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German Pages 349 [351] Year 2019
Forschungen zum Alten Testament 2. Reihe Herausgegeben von Konrad Schmid (Zürich) ∙ Mark S. Smith (Princeton) Hermann Spieckermann (Göttingen) ∙ Andrew Teeter (Harvard)
112
Mareike Verena Blischke
Der Geist Gottes im Alten Testament
Mohr Siebeck
Mareike Verena Blischke, geboren 1977; Studium der Theologie; 2007 Promotion; 2008–19 Mitarbeiterin am Seminar für Altes Testament der Georg-August-Universität Göttingen; 2011–19 wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl von Prof. Hermann Spieckermann; seit 2017 Vikarin in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.
ISBN 978-3-16-157524-2 / eISBN 978-3-16-157525-9 DOI 10.1628 / 978-3-16-157525-9 ISSN 1611-4914 / eISSN 2568-8367 (Forschungen zum Alten Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Über setzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Meiner Familie
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist während meiner Zeit als wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Spieckermann an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität in Göttingen entstanden. Nachdem ich auf die Frage nach der Entwicklung und Profilierung der Vorstellung von Gottes Geist innerhalb der alttestamentlichen Schriften gestoßen war, hat mich diese nicht mehr losgelassen und mehrere Jahre beschäftigt. Ich danke Prof. Dr. Dr. h.c. Spieckermann für alle Anregungen und Denkanstöße. Gleichzeitig danke ich ihm und den weiteren Herausgebern, Prof. Dr. Konrad Schmid und Prof. Dr. Mark S. Smith, für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Forschungen zum Alten Testament II“. Mein weiterer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlags Mohr Siebeck, die mich mit großem Engagement bei der Herstellung des Manuskriptes unterstützt haben, insbesondere Herrn Tobias Stäbler und Herrn Tobias Weiß. Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang auch Dr. Claus-Jürgen Thornton, der mit Umsicht und Sorgfalt ganz wesentlich dazu beigetragen hat, dass aus dem bloßen Manuskript ein vorzeigbares Buch geworden ist. Mein größter Dank gilt meiner Familie, die mich immer wieder bestärkt und ermutigt hat und ohne die dieses Buch nie erschienen wäre: meinem Mann, Dr. Folker Blischke, für seine Liebe, seine Geduld und sein offenes Ohr, unseren Kindern Asmus, Elise und Laurids, die mich immer wieder daran erinnern, was wirklich wichtig ist, und meiner Mutter, Gabriele Tischer, für ihre beständige Unterstützung in so vielfacher Hinsicht. Ihnen sei dieses Buch in Liebe und Dankbarkeit gewidmet. Roßla, im September 2019
Mareike Blischke
Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................... VII Abkürzungen .............................................................................................. XV
1. Kapitel: Einleitung .............................................................................. 1 1.1 Der Begriff רוח................................................................................... 1 1.2 Forschungsgeschichtliche Problemanzeige und Vorhaben .................. 5
2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern ..................... 9 2.1 Gottes Geist in den Überlieferungen um Saul und David ...................10 2.1.1 Kompositionsgeschichtliche Erwägungen zu 1 Sam 8–11 ........11 2.1.2 1 Sam 11 ..................................................................................14 2.1.3 1 Sam 10 ..................................................................................16 2.1.4 1 Sam 16–19 ............................................................................18 2.1.5 Zusammenfassung....................................................................22 2.2 Gottes Geist im Richterbuch ..............................................................24 2.2.1 Die Simson-Überlieferung .......................................................25 a) Ri 13....................................................................................26 b) Ri 14–15 ..............................................................................29 c) Ri 16....................................................................................32 d) Gottes Geist in Ri 13–16......................................................33 2.2.2 Die Richter Otniël, Gideon und Jeftah......................................35 a) Otniël...................................................................................35 b) Gideon .................................................................................36 c) Jeftah ...................................................................................40 2.2.3 Zusammenfassung....................................................................42 2.3 Gottes Geist im Numeribuch..............................................................43 2.3.1 Die Erzählung von der Geistübertragung in Num 11 ................45 a) Die Komposition des Erzählstoffes in Num 11 ....................45 b) Die Übertragung des Geistes auf die siebzig Ältesten ..........48
X
Inhaltsverzeichnis
2.4
2.5
2.6
2.7
2.3.2 Die Bileam-Erzählung in Num 22–24 ......................................52 a) Kompositionsgeschichtliche Erwägungen ............................52 b) Der theologische Gehalt von Num 22‒24.............................58 c) Bileam und der Geist Gottes ................................................60 d) Exkurs: Der Bileam der Inschriften von Tell Deir ʿAllā.......60 Gottes Geist in Genesis, Exodus und Deuteronomium .......................63 2.4.1 Gottes Geist und das Zelt der Begegnung in Ex 28–35.............63 2.4.2 Gottes Geist und die Nachfolge Moses in Dtn 34,9 ..................67 2.4.3 Exkurs: Gottes Geist in Gen 1,2 ...............................................69 a) Literargeschichtliche Verortung...........................................70 b) רוחin Gen 1,2......................................................................72 2.4.4 Zusammenfassung....................................................................73 Gottes Geist in 1 Kön 22....................................................................76 2.5.1 Der literarische Zusammenhang ...............................................76 2.5.2 Kompositionsgeschichtliche Erwägungen ................................77 2.5.3 Gottes Geist und Lügengeist ....................................................80 Exkurs: Der Geist der heiligen Götter im Danielbuch ........................82 2.6.1 Einführung in das Danielbuch ..................................................82 2.6.2 רוחim Danielbuch. Der Befund ...............................................84 2.6.3 רוחim Danielbuch. Interpretation ............................................86 Zusammenfassung: Gottes Geist in den erzählenden Büchern............89
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch ..............................................93 3.1 Gottes Geist im Protojesajabuch ........................................................93 3.1.1 Literarisches Wachstum im Protojesajabuch ............................94 3.1.2 Jes 28,1–6 ..............................................................................101 a) Literarkritische Analyse.....................................................101 b) Der Geist des Rechtes in Jes 28 .........................................107 3.1.3 Jes 30,1 ..................................................................................112 a) Literarkritische Analyse.....................................................112 b) Der Geist Gottes in Jes 30..................................................115 3.1.4 Jes 29,10 und 32,15................................................................115 a) Literarkritische Analyse von Jes 29 ...................................116 b) Die רוח תרדמהin Jes 29,10 ...............................................118 c) Literarkritische Analyse von Jes 32 ...................................119 d) Der Geist aus der Höhe in Jes 32,15 ..................................122 3.1.5 Jes 34 .....................................................................................123 a) Jes 34 im Protojesajabuch ..................................................124 b) Literarkritische Analyse.....................................................125 c) Der sammelnde Geist in Jes 34,16 .....................................132
Inhaltsverzeichnis
XI
3.1.6 Das zukünftige Heil und der Geistträger in Jes 11..................133 a) Jes 11 im Kontext von Jes 1–12 .........................................133 b) Literarkritische Analyse.....................................................135 c) Der Geistträger in Jes 11....................................................136 d) Jes 11 im Kontext der Geistaussagen des Protojesajabuches ........................................................143 3.1.7 Zusammenfassung: Gottes Geist im Protojesajabuch .............143 3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch ..................................................146 3.2.1 Erwägungen zur Entstehung des Deuterojesajabuches ...........146 3.2.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch. Ein Überblick.................149 3.2.3 Jes 40 .....................................................................................151 a) Literarkritische Analyse.....................................................151 b) Schöpfung, Weisheit und die רוח יהוהin Jes 40.................153 c) Exkurs: Gottes Geist in Psalm 139.....................................158 d) Unvergleichlichkeitsaussagen in Jes 40,12–31 und in der Umwelt Israels ..................................................160 3.2.4 Jes 44,3 ..................................................................................162 a) Jes 44 im Kontext des Deuterojesajabuches .......................162 b) Die Ausgießung des Geistes und das zukünftige Heil ........168 3.2.5 Jes 42 .....................................................................................170 a) Jes 42 im Kontext der Gottesknechtslieder und des Deuterojesajabuches .............................................170 b) Der Gottesknecht als Geistträger in Jes 42 und der Geistträger in Jes 61..............................................176 3.2.6 Gottes Geist in Jes 59,21........................................................184 3.2.7 Jes 63 .....................................................................................186 a) Literarkritische Analyse.....................................................186 b) Der heilige Geist in Jes 63 .................................................187 3.2.8 Zusammenfassung: Gottes Geist im Deuterojesajabuch .........188
4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch .......................................191 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
Einführung.......................................................................................191 Gottes Geist im Ezechielbuch. Ein Überblick ..................................194 Die dynamisierende Wirkung der רוח..............................................196 Die Textüberlieferung in P 967 und der Masoretische Text .............200 Neukonstituierung, Wiederbelebung und zukünftiges Heil ..............206 4.5.1 רוחund neues Leben in Ez 37 ................................................206 a) Literarisches Wachstum und die Profilierung des Begriffes רוח...............................................................207 4.5.2 Die Erneuerung von Herz und Geist in Ez 36, 11 und 18 .......212 a) Ez 36 im Kontext des Ezechielbuches................................212 b) Literarkritische Erwägungen zu Ez 36 ...............................212
XII
Inhaltsverzeichnis
c) Ez 36 im Vergleich mit Ez 11 und 18 ................................214 d) Zusammenfassung .............................................................218 4.5.3 Exkurs: רוחin Ps 51 und das Ezechielbuch............................220 a) Kompositionsgeschichtliche Erwägungen zu Ps 51............220 b) Gottes Geist und die Neubestimmung des Menschen in Ps 51..............................................................................222 4.5.4 Die רוחund der Prophet in Ez 11,5 ........................................224 4.5.5 Geistausgießung in Ez 39,29 ..................................................225 4.6 Zusammenfassung: Gottes Geist im Ezechielbuch............................226
5. Kapitel: Gottes Geist im Joelbuch ................................................229 5.1 5.2 5.3 5.4
Einführung.......................................................................................229 Joel 3 und seine innerbiblischen Bezüge..........................................234 Die Geistausgießung in Joel 3 und ihre Folgen ................................239 Zusammenfassung: Gottes Geist im Joelbuch ..................................242
6. Kapitel: Exkurs: Der Geist Gottes in den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia ..................245 6.1 Einführung.......................................................................................245 6.1.1 Erwägungen zur Entstehung der Chronikbücher.....................246 6.1.2 Erwägungen zur Entstehung von Esra und Nehemia ..............247 6.2 Gottes Geist in den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia ......249 6.2.1 Reden im Geist ......................................................................249 6.2.2 Erweckung zum Handeln durch Gottes Geist .........................250 6.2.3 Handeln im Geist in 1 Chr 28,12............................................251 6.2.4 Der rationale Gebrauch des Begriffes רוח...............................252 6.3 Zusammenfassung ...........................................................................252
7. Kapitel: Gottes Geist im Haggaibuch ..........................................255 7.1 Einführung.......................................................................................255 7.2 Gottes Geist in Hag 1,14 und 2,5 .....................................................257 7.2.1 Die Erweckung der Geister in Hag 1,14 .................................257 7.2.2 Beistand durch Gottes Geist in Hag 2,5..................................258 7.3 Zusammenfassung ...........................................................................259
8. Kapitel: Gottes Geist im Sacharjabuch .......................................261 8.1 Einführung.......................................................................................261 8.2 Entwicklungen im Nachdenken über Gottes Geist im Sacharjabuch ..............................................................................262
Inhaltsverzeichnis
XIII
8.2.1 Sach 4,6 .................................................................................263 8.2.2 Sach 7,12 ...............................................................................264 8.2.3 Sach 6,8 .................................................................................265 8.2.4 Sach 12 ..................................................................................266 8.3 Zusammenfassung ...........................................................................269
9. Kapitel: Ausblick auf das deuterokanonische Schrifttum und die Texte von Qumran .............................................................271 9.1 Mehrere Geister und der heilige Geist in den Schriften von Qumran ...........................................................271 9.1.1 רוחin den Hodajot .................................................................274 9.1.2 רוחin der Gemeinderegel.......................................................276 9.1.3 Zusammenfassung..................................................................280 9.2 Die Sapientia Salomonis ..................................................................281 9.2.1 Einführung .............................................................................281 9.2.2 πνεῦµα in der Sapientia Salomonis. Ein Überblick.................283 9.2.3 Geist und Weisheit in Sap 7–9 ...............................................284 9.2.4 Die Weisheit, der heilige Geist und der Geist des Herrn in Sap 1..................................................................................287 9.2.5 Zusammenfassung..................................................................288
10. Kapitel: Zusammenführung .........................................................289 10.1 Buchimmanente Entwicklungen in der Rede von Gottes Geist........289 10.1.1 Spontane Ekstase und Amtscharisma in den Saul- und David-Überlieferungen..............................289 10.1.2 Vom Geist des ersten Königs Saul zum Geist der Richter ....290 10.1.3 Gottes Geist in Schlüsseltexten des Pentateuchs ..................291 10.1.4 Die Profilierung der Vorstellung von רוח innerhalb des Jesajabuches...................................................292 10.1.5 רוחund neues Leben im Ezechielbuch .................................293 10.2 Bücherübergreifende Entwicklungslinien .......................................294 10.2.1 Vom Geist irdischer Herrscher zum Geistbesitz zukünftiger Heilsträger ........................................................294 10.2.2 Vom Geist für den Einzelnen zum Geist für die Vielen........295 10.2.3 Von richtigem Handeln zu prophetischem Reden.................297 10.2.4 Von einem offenen zu einem fest umrissenen Gebrauch des Begriffes רוח.................................................................297 10.2.5 Die רוחals Gabe und als eigenständige Größe .....................298
11. Kapitel: Ertrag ................................................................................299 Gottes Geist: Beziehungsstifter zwischen Gott und Mensch ...................299
XIV
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis....................................................................................303 Quellen ..................................................................................................303 Hilfsmittel ..............................................................................................304 Sekundärliteratur....................................................................................304 Stellenregister.............................................................................................321 Autorenregister...........................................................................................327 Sachregister................................................................................................331
Abkürzungen AASF B ÄAT ABG ADPV AGJU AnBib AncB AOAT ATD AThANT ATM BAR BBB BE BEAT BEThL BEvTh Bib. BiKi BK BN BThSt BWANT BZAR BZAW CB CBET CBQ CRI DB(V) DCLY DJD DMOA DNP EdF EHPhR
Annales Academiae Scientiarum Fennicae, Serie B Ägypten und Altes Testament Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums Analecta biblica The Anchor Bible Alter Orient und Altes Testament Altes Testament Deutsch Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments Altes Testament und Moderne Bonner akademische Reden Bonner biblische Beiträge Biblische Enzyklopädie Beiträge zur Erforschung des Alten Testaments und des antiken Judentums Bibliotheca Ephemeridum theologicarum Lovaniensium Beiträge zur evangelischen Theologie Biblica Bibel und Kirche Biblischer Kommentar. Altes Testament Biblische Notizen Biblisch-theologische Studien Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament Beihefte zur Zeitschrift für altorientalische und biblische Rechtsgeschichte Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Coniectanea biblica Contributions to Biblical Exegesis and Theology Catholic Biblical Quarterly Compendia Rerum Iudaicarum ad Novum Testamentum Dictionnaire de la Bible Deuterocanonical and Cognate Literature. Yearbook Discoveries in the Judaean desert Documenta et monumenta Orientis antiqui Der neue Pauly Erträge der Forschung Études d’histoire et de philosophie religieuses
XVI EHS.T ÉtB EThL EThS EvTh FAT FChr FOTL FRLANT fzB GAT HAT HBS HCOT HMS HThKAT IEKAT Int. ITC JAC JAOS JBL JBTh JJS JNSL JSHRZ JSOT.S JudUm KStTh KTU MThS MThSt NCB NCBC NEB NICOT NSK.AT OBO ÖBS OTS PTA QD RB RdQ RGG4 SAHG SAPERE
Abkürzungen Europäische Hochschulschriften, Reihe 23, Theologie Études bibliques Ephemerides theologicae Lovanienses Erfurter theologische Schriften Evangelische Theologie Forschungen zum Alten Testament Fontes Christiani The Forms of the Old Testament Literature Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Forschungen zur Bibel Grundrisse zum Alten Testament Handbuch zum Alten Testament Herders Biblische Studien Historical Commentary on the Old Testament Harvard Semitic Monographs Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament Internationaler Exegetischer Kommentar zum Alten Testament Interpretation International theological commentary Jahrbuch für Antike und Christentum Journal for the American Oriental Society Journal of Biblical Literature Jahrbuch für Biblische Theologie Journal of Jewish studies Journal of Northwest Semitic Languages Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit Journal for the Study of the Old Testament. Supplement Series Judentum und Umwelt Kohlhammer Studienbücher Theologie Die keilalphabetischen Texte aus Ugarit Münchener theologische Studien Marburger theologische Studien New Clarendon Bible The New Century Bible Commentary Neue Echter Bibel The New International Commentary on the Old Testament Neuer Stuttgarter Kommentar. Altes Testament Orbis biblicus et orientalis Österreichische biblische Studien Oudtestamentische studien Papyrologische Texte und Abhandlungen Quaestiones Disputatae Revue biblique Revue de Qumran Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Auflage Sumerische und akkadische Hymnen und Gebete Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam Religionemque pertinentia
Abkürzungen SBA SBL SBL.DS SBS SSN StANT STAT B StTDJ StTh THAT ThB ThQ ThSt ThTh ThViat ThWAT ThWNT TRE TThZ TUAT TzF UBL VT VT.S VWGTh WBC WMANT ZAH ZAW ZBK.AT ZDPV ZKG ZNW ZThK
XVII
Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft Society of Biblical Literature Society of Biblical Literature Dissertation Series Stuttgarter Bibelstudien Studia Semitica Neerlandica Studien zum Alten und Neuen Testament Suomalaisen Tiedeakatemian Toimituksia, Serie B Studies on the Texts of the Desert of Judah Studia theologica Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament Theologische Bücherei Theologische Quartalschrift Theologische Studien Themen der Theologie Theologia viatorum Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament Theologische Realenzyklopädie Trierer Theologische Zeitschrift Texte aus der Umwelt des Alten Testaments Texte zur Forschung Ugaritisch-biblische Literatur Vetus Testamentum Vetus Testamentum. Supplements Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie Word Biblical Commentary Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament Zeitschrift für Althebraistik Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Zürcher Bibelkommentare, Altes Testament Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Zeitschrift für Theologie und Kirche
1. Kapitel
Einleitung Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Phänomen der רוח יהוהbzw. der רוח אלהיםin den Texten des Alten Testaments. Wie die nachfolgenden Untersuchungen zeigen werden, wird durch Gottes רוחin nahezu allen Texten eine Beziehung zwischen Gott und Mensch hergestellt. Dieses Beziehungsgeschehen wird in der deutschen Übersetzung mit „Geist JHWHs/Gottes“ für רוח יהוהoder רוח אלהיםsinnvoll zum Ausdruck gebracht. Gleichwohl sind innerhalb des hebräischen Textes alle Aussagen zu Gottes רוחdurch den weiten Bedeutungsspielraum geprägt, den der Begriff רוחals solcher besitzt, so dass den verschiedenen Texten zu Gottes רוחimmer auch eine ganz eigene Konnotation verliehen wird. Um diese Charakteristika erkennen zu können, muss einer Untersuchung zu Gottes רוחeine allgemeine Beschreibung des Begriffes vorausgehen. In diesem Zusammenhang ist auch das Verhältnis des Begriffes רוחzu ihm nahestehenden Begriffen wie נשמהoder נפשmit zu bedenken. Indem die vorliegende Arbeit nach einer mit Gott verbundenen Größe, nach Gottes רוח, fragt, ist sie Teil der Frage, wie in biblischen Texten von Gott geredet wird, und versteht sich als ein Teilbeitrag zur Biblischen Theologie.1
1.1 Der Begriff רוח 1.1 Der Begriff רוח Die Grundbedeutung von רוחist Wind. Möglicherweise hat der Begriff lautmalerischen Charakter und ahmt „das Geräusch des vorbeipfeifenden Windes und des erregten Atems“ nach.2 In dieser Grundbedeutung geht es weniger um die Beschreibung des Vorhandenseins von Wind überhaupt, sondern um den dynamischen Aspekt, der dem Wind zu eigen ist. Damit steht רוחimmer für etwas, „was sich in Bewegung befindet und was die Kraft hat, anderes in
1 In diesem Zusammenhang sei auf folgende Werke zur Biblischen Theologie hingewiesen: CHILDS 1992; KAISER 1993–2003; RENDTORFF 1999–2001; BRUEGGEMANN 1997; FELDMEIER/SPIECKERMANN 2011. 2 Vgl. ALBERTZ/WESTERMANN 1976, 727.
2
1. Kapitel: Einleitung
Bewegung zu setzen“.3 Wenn man die Texte betrachtet, in denen רוחin der Bedeutung für „Wind“ durch Adjektive näher bestimmt ist, fällt auf, dass רוח zwar auch einen Windhauch bezeichnen kann (Jes 57,13), dass aber Steigerungen zu einem starken oder stürmischen Wind wesentlich häufiger anzutreffen sind (Jon 1,4; Hi 1,19; Jes 27,8; Ps 55,9; Ez 1,4; 13,11.13 u.ö.).4 So ist dem Begriff besonders ein dynamischer, kraftvoller Aspekt zu eigen. Unabhängig von dieser Grundbedeutung „Wind“ begegnet der Begriff als eine dem Menschen innewohnende Größe und als ein für die Beziehung zwischen Gott und Mensch konstitutives Element. In Zusammenhängen, in denen es um die Verfasstheit des Menschen geht, ist רוחvor allem eine Vokabel für den Atem des Menschen, wobei es nicht um den Gedanken des normalen, regelmäßigen Ein- und Ausatmens geht. Die רוחist vielmehr der Lebensatem des Menschen, der seine Vitalität ausmacht (Gen 6,3; 7,15; Hi 9,18; 12,10; 32,8; 33,4; 34,14; Koh 12,7; Ps 146,4).5 Der Verlust der רוחbedeutet unweigerlich auch den Verlust des Lebens. Dies wird besonders deutlich in der kurzen Episode in Ri 15,18–19, in der Simson vor Durst zu sterben droht. Durch das Trinken des Wassers aus dem Kinnbacken des Esels kehrt seine רוחzurück, und er lebt wieder auf.6 In mehreren dieser Texte kommt außerdem die Vorstellung zum Ausdruck, dass Gott es ist, der diesen Lebensatem schenkt und der ihn auch wieder zu sich zurücknimmt (Gen 6,3; Hi 12,10; 34,14; Koh 12,7). Diese Vorstellung von רוחals lebensspendendem Atem zeigt große Nähe zu der Vorstellung, die mit der Größe der נשמהzusammenhängt. Wie in den oben genannten Stellen die רוח, so steht auch נשמהfür den von Gott gegebenen, das Leben bringenden Atem (Gen 2,7; 7,22; Hi 32,8; 33,4; Jes 42,5; 57,16).7 Teilweise werden רוחund נשמהin diesem Zusammenhang auch nebeneinander und vermutlich synonym gebraucht (Hi 32,8; 33,4; 34,14; Jes 42,5; 57,16).8 Parallel zueinander begegnen beide Begriffe auch in Texten, in denen durch רוחund נשמהdas wutentbrannte Schnauben und der Zorn Gottes ausgedrückt werden sollen (2 Sam 22,16; Ps 18,16; Hi 4,9; 37,10). Auch dort, wo נשמהzum Ausdruck bringt, dass Leben in den Menschen ist, ohne direkt davon zu sprechen, dass Gott diesen Lebensatem gebracht hat, steht immer 3
ALBERTZ/WESTERMANN 1976, 728. Auch im Ugaritischen wird rḥ zur Bezeichnung von „Wind“ verwendet und gehört damit beispielsweise zu den Begleiterscheinungen des Wettergottes Baʿal-Hadad (KTU 1,5, V, 7). Vgl. TENGSTRÖM 1993, 389. 4 ALBERTZ/WESTERMANN 1976, 730. 5 Zu Koh 12,7 und dem Aufsteigen der רוחzu Gott vgl. KÖHLMOOS 2015, 246. 6 Vgl. auch ALBERTZ/WESTERMANN 1976, 735. Ebenfalls WOLFF 1974, 59. 7 Zum Zusammenhang von רוחund נשמהvgl. auch FELDMEIER/SPIECKERMANN 2011, 205–206. Auch hier deckt sich der hebräische Sprachgebrauch mit dem Gebrauch im Ugaritischen, da auch dort rḥ als Atem und in diesem Zusammenhang als Sitz der Lebenskraft verstanden werden kann (KTU 1,18, IV, 24–25). Vgl. TENGSTRÖM 1993, 390. 8 Vgl. auch TENGSTRÖM 1993, 399.
1.1 Der Begriff רוח
3
die Vorstellung des Schöpfungshandeln Gottes im Hintergrund (Dtn 20,16; Jos 10,40; 11,14). Sowohl mit רוחals auch mit נשמהkann also der Gedanke ausgedrückt werden, dass Gott dem Menschen die Lebenskraft gibt und sie ihm auch wieder entziehen kann. Beide Begriffe stehen daher für ein Merkmal, das den Menschen ausmacht und ihn in seiner Beziehung zu Gott beschreibt. Während נשמהaber nie etwas anderes als den Lebensatem bezeichnet, der den Menschen von Gott gegeben ist, geht der Begriff רוחin der Beschreibung der Beziehung zwischen Gott und Mensch über diesen Gedanken weit hinaus. Die רוחwird zu einer Größe, durch die Gott auf den Menschen in seinem Denken und Handeln Einfluss nehmen kann, die sein Leben an sich und die Qualität seines Lebens ausmacht (Ez 11,19; 36,27; Ps 51,12– 13).9 Abgesehen von den soeben skizzierten Zusammenhängen begegnet רוחals eine den Menschen charakterisierende Größe in zwei weiteren Kontexten: So ist im anthropologischen Sinne רוחnicht nur der Sitz der Lebenskraft des Menschen, sondern sie ist auch der Ort, an dem Gefühle des Menschen zum Ausdruck kommen.10 So kann davon die Rede sein, dass der Geist der Menschen betrübt ist (Gen 41,8) oder in Ängsten (Ps 142,4) oder geduldig (Koh 7,8). Gleichzeitig kann vor allem das Ergriffensein von negativen Affekten als Ergriffensein durch die רוחder Eifersucht (Num 5,14) oder des Unmuts (1 Kön 21,5) oder der Hurerei (Hos 4,12; 5,4) beschrieben werden. In wenigen Belegen scheint die רוחaußerdem der Ort des Nachsinnens zu sein (Ps 77,7; Prov 29,11). Allerdings ist diese Bedeutung in Anbetracht der anderen Belege eher marginal. Auch der Begriff נפשhat ähnliche Bezugspunkte wie die hier beschriebenen Begriffe רוחund נשמה. Bereits in Gen 2,7 zeigt sich die Nähe zwischen נפשund נשמה. Dadurch, dass Gott dem Menschen seinen Lebensatem ()נשמה einbläst, wird der Mensch zu einem lebendigen Wesen, zu נפש חיה.11 Die Vorstellung, dass der Mensch נפש חיהist, führt dazu, dass dort, wo das Leben der Menschen bedroht ist, von einer Bedrohung der נפשgesprochen wird (Ex 4,19; Jer 4,30; Ps 22,21; Gen 37,21; Lev 24,17).12 Ebenso wie רוחkann die נפשder Sitz von Gefühlen, Leidenschaften und Affekten sein.13 Anders als נשמהund רוחbleibt נפשaber eine fast ausschließlich anthropologische Größe. In einigen wenigen Texten ist zwar auch davon die Rede, dass Gott seine נפשvon den Menschen abwendet (Jer 5,9.29; 6,8; 9,8; 15,1; 26,11.30; Jes 1,14; Ez 23,18; Sach 11,8), allerdings dient נפשin diesen Belegen vor allem 9
Vgl. auch FELDMEIER/SPIECKERMANN 2011, 210. Vgl. dazu auch A. WAGNER 2006. 11 In diesen Zusammenhang gehören ebenfalls Gen 1,30 und 1 Kön 17,21.22. Vgl. WESTERMANN 1976 (I), 73. 12 Vgl. ebd. 13 Vgl. WOLFF 1974, 35. 10
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1. Kapitel: Einleitung
anderen dazu, der Abwendung Gottes mehr Vehemenz zu verleihen.14 Des Weiteren kann, vor allem in den Psalmen, davon gesprochen werden, dass Gott das Leben der Menschen, ausgedrückt durch den Begriff נפש, bewahrt (Ps 116,4; 116,8). Außerdem wird das Sehnen des Menschen nach Gott durch das Sehnen der נפשbeschrieben (Jes 26,9; Ps 33,20; 42,2.3; 63,2.6.9; 84,3; 119,20.81).15 Die נפשbleibt dabei aber stets Teil des Menschen. Sie wird nicht wie die רוחoder die נשמהvon Gott gegeben und wieder genommen, und sie ist auch nicht wie die רוחZeichen einer Verbindung zwischen Mensch und Gott, sondern sie ist allenfalls ein Teil des Menschen, der sich auf Gott ausrichten kann (Ps 42,2; 63,2; 86,4).16 Gegenüber dem hier beschriebenen Gebrauch von רוחals einer dem Menschen eigenen Größe überwiegen deutlich die Texte, in denen die רוחTeil eines Beziehungsgeschehens zwischen Gott und Mensch ist. Während die רוח als eine anthropologische Größe 32 Mal begegnet, finden sich 64 Belege, in denen sie Gott und Mensch miteinander verbindet. In 57 dieser Belege wird die רוחwiederum explizit als רוח יהוהoder als רוח אלהיםbezeichnet, bzw. es wird mit dem entsprechenden Suffix auf Gott verwiesen.17 Dort, wo durch die רוחein Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch verdeutlicht wird, lässt sich oft die ursprüngliche Bedeutung „Wind“ noch erkennen. So setzt die von Gott kommende רוחals Wind die Natur in Bewegung (Jes 59,19), bewegt Dinge oder Worte (Sach 7,12) und sogar Menschen (1 Kön 18,12). Menschen, die von der רוחGottes ergriffen werden, können prophetisch reden (Num 24,2; 2 Sam 23,2; Ez 11,5; 2 Chr 20,14), geraten in Ekstase oder Verzückung (1 Sam 10,6.10; 19,20.23), erlangen besondere Fähigkeiten (Dan 4,5.6.15; 5,11.14; Ez 36,27) oder besondere Kraft (Ri 14,6.19; 1 Sam 11,6) und Herrschaftsmacht (Ri 3,10; 6,34; 11,29; 1 Sam 16,13.14). Sie werden also von Gott zu einem bestimmten Handeln, Denken und Leben dynamisiert.18 Dieser Überblick über die Verwendung des Begriffes רוחin den Texten des Alten Testaments zeigt bereits, dass רוחin der Mehrheit der Texte eine Größe ist, die Gott zu eigen ist und die er den Menschen verleiht, um unter ihnen eine bestimmte Wirkung zu entfalten.19 14
Vgl. auch WESTERMANN 1976 (I), 91. Ebd., 91–94. 16 Vgl. TENGSTRÖM 1993; BLISCHKE 2007, 63; VAN OORSCHOT 2015. 17 Wie viele Belege auf רוח יהוהbzw. auf רוח אלהיםim Einzelnen entfallen, lässt sich der Statistik bei ALBERTZ/WESTERMANN 1976, 742–743 entnehmen. 18 Vgl. auch 1 Sam 16,13.14; Jes 61,1; Ez 11,5; Mi 3,8; 2 Chr 15,1; 24,20; Jes 44,3; Ps 51,13 u.a. 19 Bei Cazelles findet sich eine Beschreibung des Begriffes רוח, die diesen Aspekt des Begriffes vollkommen außer Acht lässt. Cazelles unterscheidet einen kosmologischen, einen physikalischen, einen psychologischen und einen weiteren Sinn, in dem er verschiedene Phäonmene der von JHWH ausgehenden רוחzusammenfasst. Vgl. CAZELLES 1991, 133–135. Als die entscheidende Grundbedeutung von רוחsieht Cazelles außerdem den 15
1.2 Forschungsgeschichtliche Problemanzeige und Vorhaben
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1.2 Forschungsgeschichtliche Problemanzeige und Vorhaben 1.2 Forschungsgeschichtliche Problemanzeige und Vorhaben
Diese hier beschriebene Vorstellung von Gottes רוחals Element eines Beziehungsgeschehens zwischen Gott und Mensch durchzieht nahezu alle Texte, die innerhalb des Alten Testaments vorliegen. Die רוחJHWHs schwebt bereits zu Beginn der Schöpfung über den Wassern (Gen 1,2). Sodann ist sie Merkmal der Führungskraft der herausragenden Gestalten der Frühzeit, wie Mose und Josua (Num 27,18; Dtn 34,9), sie ergreift verschiedene Richter, wie Otniël (Ri 3,10), Gideon (Ri 6,34), Jeftah (Ri 11,29) und Simson (Ri 14,6), und sie entwickelt sich in den Erzählungen um die Entstehung des Königtums zum Amtscharisma des Königs David (1 Sam 16,13). Innerhalb der Prophetie wird sie schließlich zu einem Merkmal zukünftig erwarteter Heilsgestalten (Jes 11; 42,1; 61,6) und zum Zeichen des göttlichen Beistandes für das gesamte Volk (Jes 32,15; 44,3; Ez 39,29; Joel 3,1–2). In den deuterokanonischen Schriften findet sich der Gedanke von Gottes Geist (πνεῦµα) vor allem in der Sapientia Salomonis (Sap 1,5.7; 9,17; 12,1), aber auch im Buch Judith (Jdt 16,14) und bei Jesus Sirach (Sir 34,14; 39,6; 48,12). Innerhalb der Schriften von Qumran bekommt der Geist eine Schlüsselfunktion für die Teilhabe an der Gemeinschaft (1QS III,6–9). Die vorliegende Arbeit wird diesem Befund entsprechend besonders die Texte in den Blick nehmen, in denen die רוחals eine Gabe Gottes Gott und Mensch miteinander verbindet bzw. in denen durch die רוחGottes Gegenwart unter den Menschen zum Ausdruck gebracht wird. Im Nachdenken über die רוחGottes als eine Gott und Mensch in Beziehung setzende Größe hat sich innerhalb der Schriften des Alten Testaments ganz offensichtlich eine Entwicklung vollzogen. Dies zeigt sich bereits dann, wenn man die verschiedenen Personen oder Personengruppen, die im Alten Testament als Träger der רוחerscheinen, in den Blick nimmt. So besteht ganz offensichtlich eine Entwicklung von der Vorstellung, dass einzelne herausragende Gestalten über die רוחverfügen, wie es vor allem im Richterbuch und im Ersten Samuelbuch der Fall ist, dahin, dass die רוחan viele gegeben bzw. auf viele ausgegossen wird (Num 11; Jes 32,15; 44,1–5 u.a.). Gleichzeitig bestehen zwischen verschiedenen Texten, in denen die רוחals eine Gabe begegnet, die Gott und Mensch miteinander in Beziehung setzt, unmittelbare literarische Abhängigkeiten. Dies ist z.B. für die Texte über die Könige Saul und David (1 Sam 10–16 und 19) und die Texte über Simson (Ri 13–16) der Fall. Die Texte, in denen durch die Verwendung des Begriffes רוחein Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch zum Ausdruck gebracht wird, sollen daher nicht nur einzeln nebeneinander, sondern, wenn möglich, in Raum an (espace), denn: „L’air n’est qu’occasionellement l’air agité, vent ou souffle, la racine est d’ordre spatial.“ CAZELLES 1982, 90.
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1. Kapitel: Einleitung
ihrem Zusammenhang analysiert werden, um Entwicklungslinien im Nachdenken über die רוחerkennen und darstellen zu können. Den Überlegungen zu der Bedeutung, die der Begriff רוחin den jeweiligen Texten hat, gehen daher immer kompositionsgeschichtliche Betrachtungen voraus. Gleichwohl können kompositionsgeschichtliche Hintergründe nur insoweit dargestellt werden, wie sie für das unmittelbare Verständnis der Texte über die Gabe der רוחnotwendig sind. Forschungsbeiträge, die den Versuch unternehmen, Entwicklungen in der Vorstellung von Gottes רוחund ihrem Wirken innerhalb des Alten Testaments umfassend darzustellen, gibt es bisher nicht. Natürlich existieren Überblicksartikel in einschlägigen Nachschlagewerken und in Arbeiten zur Biblischen Theologie20 und daneben auch einzelne Monographien.21 Von einer intensiveren Beschäftigung mit der Frage nach Gottes רוחkann man jedoch kaum sprechen. Unter den jüngeren Arbeiten, die sich mit Gottes Geist beschäftigen, bewegt sich das Buch von R. Koch auf der breitesten Textbasis, bleibt aber jeweils nur bei oberflächlichen Betrachtungen stehen.22 H. SchüngelStraumann wiederum beschränkt sich für ihre ebenfalls sehr knapp gehaltene Untersuchung auf Deuterojesaja, Ezechiel und Ps 104.23 M. Dreytza geht nicht von einzelnen biblischen Texten aus, sondern vom Vorkommen des Begriffes רוחin bestimmten Wortverbindungen.24 Neben diesen Arbeiten, die einen Anspruch auf Vollständigkeit hegen, gibt es weitere, die sich auf die Bedeutung von Gottes רוחin einem bestimmten Textzusammenhang beziehen. Hierzu gehören die Arbeit von D. Wagner zu „Geist und Tora“, in der der Geist Gottes allerdings nur ein Merkmal für die Legitimation von Herrschaft ist und darüber hinaus keine Rolle spielt.25 Relativ ausführliche Untersuchungen für die Bedeutung von רוחbieten für das Jesajabuch die Arbeit von W. Ma26 sowie für die Saul-und-David-Überlieferung die Arbeit von S. Han, die zugleich die jüngste Arbeit ist, die sich mit dem „Geist“ in einem Bereich des Alten Testaments beschäftigt.27 W. Ma untersucht in seiner 20
Einen Überblick bieten lediglich einige Artikel in Nachschlagewerken. Vgl. BAUMSCHMIDT 1984; WESTERMANN 1981; Zu erwähnen ist außerdem WELKER 2005, der seinen Ansatz als eine Form der „Biblischen Theologie“ versteht. Vgl. ebd., 13. 21 Einen kursorischen Überblick über den Forschungsstand bis 1990 bietet DREYTZA 1990, 39–110. 22 Vgl. R. KOCH 1991. Breit angelegt ist auch die Arbeit von Lys, die allerdings das Problem hat, dass einzelne Texte von vornherein bestimmten Epochen, wie beispielsweise der Exilszeit, zugeordnet werden. Vgl. LYS 1962. 23 Vgl. SCHÜNGEL-STRAUMANN 1992. 24 Vgl. DREYTZA 1990. 25 D. WAGNER 2005. 26 MA 1999. 27 Vgl. HAN 2015.
GÄRTEL 1959; ALBERTZ/WESTERMANN 1976; W. H. ferner FELDMEIER/SPIECKERMANN 2011, 203–249.
1.2 Forschungsgeschichtliche Problemanzeige und Vorhaben
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Arbeit relativ ausführlich die verschiedenen Belege für den Begriff רוחinnerhalb des Jesajabuches. Problematisch ist allerdings, dass Ma im Vorfeld seiner Untersuchungen zum Jesajabuch verschiedene Bedeutungsebenen des Begriffes beschreibt, die er dann bei seinen Analysen auf das Jesajabuch anwendet. Der Weg müsste hier eigentlich ein umgekehrter sein, indem aufgrund der Textexegesen nach möglichen Begriffsdefinitionen gefragt wird. Abgesehen davon entspricht seine zeitliche Einordnung der Texte des Jesajabuches nicht immer dem aktuellen Forschungsstand. Dies gilt vor allem für seine Ausführungen zu vorexilischen Geisttraditionen.28 Die Beschränkung der Darstellung auf einzelne biblische Bücher macht es schwierig, Entwicklungslinien im Nachdenken über Gottes רוחinnerhalb des Alten Testaments aufzuzeigen. Fragen danach, wie sich die Rede über die רוח verändert hat oder wo sich die verschiedenen alttestamentlichen Schriften wechselseitig beeinflusst haben, können unter diesen Voraussetzungen nicht gestellt und somit auch nicht beantwortet werden. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll nun unter der Perspektive der רוח als einer Gabe Gottes und als Merkmal eines Beziehungsgeschehens zwischen Gott und Mensch auf die entsprechenden Texte geblickt werden. Der Fokus liegt also auf den Texten, in denen die רוחeine Gabe Gottes ist, die Gott und Mensch in irgendeiner Weise zueinander in Beziehung setzt. Hierzu gehören die oben genannten Texte aus den erzählenden Büchern, vor allem aus dem Richterbuch (Ri 3,10; 6,34; 11,29; 13,25; 14,6.19; 15,14) und aus den Samuelbüchern (1 Sam 10,6.10; 11,6; 16,13.14.23; 18,10; 19,9.20.23; 2 Sam 23,2), aber auch einzelne Texte aus dem Pentateuch (wie Ex 28,3; 31,3; 35,31; Num 11; 27,18 und Dtn 34,9). Relevant sind darüber hinaus mehrere Texte des Jesajabuches (Jes 11; 29,10; 32,15; 42,1; 44,3; 59,21; 61,6) sowie einzelne Texte des Ezechielbuches (Ez 36,27; 37,14; 39,29) und die Texte über die Geistausgießung in Joel 3 (Joel 3,1–2) und bei Sacharja (Sach 6,8; 12,10). Texte, in denen über die רוחnachgedacht, sie aber nicht deutlich als Gottes רוחbzw. als eine Gabe Gottes in den Blick genommen wird, bleiben von der Untersuchung ausgenommen. Dies gilt vor allem für den Bereich der Schriften, in denen die רוחweniger eine Gott und Mensch verbindende Gabe Gottes, sondern eher eine dem Menschen innewohnende Größe ist, die mit נפש oder mit נשמהverglichen werden kann (Hi 4,9.15; 6,4; 9,18; 12,10; 17,1; 20,3; 26,4; Ps 31,6; 32,2; 77,7; 78,8; 142,4; 143,4; Prov 1,23; 20,27; Koh 7,8). Ebenso müssen alle Belege für רוח, in denen sie das den Menschen belebende Element ist, aus der Betrachtung ausgenommen bleiben (Gen 6,3; 7,15; Koh 12,7; Ps 146,4). Einzelne Texte, wie Gen 1,2, Hag 2,5 und Jes 40,13, in denen רוחnicht Teil eines unmittelbaren Beziehungsgeschehens zwischen Gott und Mensch ist, werden dennoch in die Untersuchung mit 28
Vgl. das Kapitel zu Pre-Exilic Isaianic Spirit Tradition in MA 1999, 33–70.
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1. Kapitel: Einleitung
einbezogen, einerseits, weil sie für das Verständnis anderer Aussagen zur רוח in ihrem unmittelbaren Kontext beitragen können, andererseits, weil in ihnen durch die רוחgleichwohl, wenn auch losgelöst von einem Beziehungsgeschehen, Gottes Gegenwart bei den Menschen zum Ausdruck gebracht wird. Durch die hier beschriebenen Abgrenzungen ist die Textauswahl breit genug, um auch Entwicklungslinien im Nachdenken über Gottes רוחaufzeigen zu können und gleichzeitig den ausgewählten Texten den Raum zu geben, den ihre Untersuchung erfordert. Der Fokus liegt damit klar auf den Schriften der Hebräischen Bibel. In einem Ausblick werden allerdings das Konzept von πνεῦµα in der Sapientia Salomonis als einer Schrift des griechischsprachigen Diasporajudentums sowie das von רוחin den Qumranschriften in den Blick genommen, um den Vorstellungshintergrund, in den die Texte der Hebräischen Bibel eingeordnet werden müssen, zu umreißen. Die Texte der Hebräischen Bibel machen teilweise bewusst von der oben beschriebenen Mehrdeutigkeit des Begriffes רוחGebrauch, so dass er sich einer eindeutigen Übersetzung mitunter entzieht. Aus diesem Grund soll nach Abschluss der Textanalysen und vor dem Hintergrund der gewonnenen Erkenntnisse noch einmal die Frage aufgegriffen werden, inwieweit eine Übersetzung mit „Geist“ dem Bedeutungshorizont von רוחtatsächlich entspricht. Im Sinne der Lesbarkeit der Arbeit wird für רוחin den folgenden Ausführungen gleichwohl die Übersetzung „Geist“ verwendet, wenn die analysierten Texte nicht deutlich nahelegen, dass eine andere Übersetzung gewählt werden muss. Dies entspricht der üblichen Übersetzungspraxis, und auch die Septuaginta hat in fast allen der hier analysierten Texte רוחbereits mit πνεῦµα wiedergegeben.29
29 Die Septuaginta übersetzt רוחin der Bedeutung für „Wind“ mit ἄνεµος. Ansonsten übersetzt sie meist mit πνεῦµα, sechs Mal allerdings mit θυµός, unter anderem in dem auch in dieser Arbeit behandelten Text Sach 6,8. In allen übrigen in dieser Arbeit in den Blick genommenen Texten übersetzt die Septuaginta mit πνεῦµα. Allerdings gibt es außer Sach 6,8 nur noch eine Ausnahme in Jes 40,13, wo sich in der Septuaginta νοῦς findet. Zur Übersetzungspraxis der Septuaginta vgl. auch CAZELLES 1991, 128.
2. Kapitel
Gottes Geist in den erzählenden Büchern Innerhalb der erzählenden Bücher des Alten Testaments ist an verschiedenen Stellen von Gottes Geist die Rede. Mit Ausnahme von Gen 1,2, wo der Geist Gottes ( )רוח אלהיםüber den Wassern schwebt ( רחףim Piel),1 geht es immer um den Geistbesitz einzelner Personen. Besonders häufig begegnet der Geist Gottes im Richter- und im Ersten Samuelbuch (Ri 3,10; 6,34; 11,29; 13,25; 14,6.19; 15,14; 1 Sam 10,6.10; 11,6; 16,13.14.23; 18,10; 19,9.20.23; vgl. auch 2 Sam 23,2). Hier wird davon berichtet, dass die Richter Otniёl, Gideon, Jeftah und Simson, ferner Saul und David in den Besitz der רוחgelangen. Auch von Josua wird gesagt, dass die ( רוחohne nähere Bestimmung) auf ihm sei (Num 27,18). Dtn 34,9 beschreibt die רוח, mit der Josua erfüllt ist, als eine „( רוח חכמהGeist der Weisheit“). Von Mose wird implizit vorausgesetzt, dass er die רוחbesitzt (Num 11,25), ohne dass dies in einer ähnlich ausführlichen Weise, wie es für Simson oder für Saul der Fall ist, entfaltet wird. In Verbindung mit Weisheit ( )חכמהbegegnet die רוחauch im Buch Exodus für Bezalel, der als Kunsthandwerker am Zeltheiligtum arbeitet (Ex 31,3 und 35,31), und für diejenigen, die die Kleidung für Aaron und die Priester fertigstellen (Ex 28,3). Auch Josef wird vom Pharao in Gen 41,38–39 gleichzeitig als Träger des Geistes Gottes ( )רוח אלהיםund als weise ( )חכםbezeichnet. Im Buch Numeri begegnet die רוחaußer für Josua und Mose auch im Rahmen der Übertragung des Geistes, der auf Mose ist, auf siebzig Älteste (Num 11) und im Zusammenhang mit der Bileam-Überlieferung (Num 24,2). Im Ersten und Zweiten Buch der Könige gibt es nur einen Beleg für Gottes רוחim Rahmen der Auseinandersetzung um wahre und falsche Prophetie in 1 Kön 22 (1 Kön 22,24). In den Chronikbüchern befähigt Gottes רוחeinzelne Personen dazu, zur rechten Zeit das Richtige zu reden (1 Chr 12,19; 2 Chr 15,1; 20,14; 24,20). Diese Belegstellen können im Folgenden nicht alle in gleicher Ausführlichkeit behandelt werden. Begonnen werden soll mit einer Untersuchung der Belege in den Überlieferungen über Saul und David, da der Begriff רוחvor allem in den Erzählungen über Saul am häufigsten belegt ist und ihre Wirkungen auf Saul einen großen Facettenreichtum aufweisen, den die übrigen Texte nicht zeigen. Im Anschluss daran sollen die Belege für Gottes רוחim
1
Gen 1,2 wird später noch ausführlich zu untersuchen sein.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
Richterbuch in den Blick genommen werden, da vor allem zwischen der Simson- und der Saul-Überlieferung Verbindungen bestehen. Ebenfalls ausführlich beleuchtet wird Num 11, da die Vorstellung vom Besitz der רוחGottes hier eine Erweiterung erfährt, die über die meisten der Belege in den erzählenden Büchern hinausgeht. Die Belege zu רוחund Weisheit in Gen 41,38, Ex 28,3, 31,3, 35,31 und Dtn 34,9 werden als zusammenhängende Gruppe betrachtet, da sie zueinander in Beziehung stehen. Die Geisttexte in den Chronikbüchern werden im Rahmen eines Exkurses im Zusammenhang mit den Geistaussagen bei Haggai und Sacharja in den Blick genommen, da es zwischen diesen Büchern zu gegenseitigen Beeinflussungen gekommen zu sein scheint.
2.1 Gottes Geist in den Überlieferungen um Saul und David 2.1. Gottes Geist in den Überlieferungen um Saul und David
Wie bereits dargestellt, ist innerhalb der Erzählungen um Saul und sein Königtum besonders häufig davon die Rede, dass Gottes רוחüber Saul kommt (1 Sam 10,6.10; 11,6; 19,23) oder ihn verlässt (1 Sam 16,14: ורוח יהוה סרה )מעם שאול. Dabei sind die Auswirkungen, die der Besitz der רוחauf Saul hat, jeweils verschieden. In 1 Sam 10,6.10 und 19,23 wird davon berichtet, wie Gottes רוחüber Saul kommt und er infolgedessen in Ekstase gerät ( נבאim Hitpael). In 1 Sam 18,10 gerät Saul ebenfalls in einen Zustand, der mit נבא im Hitpael beschrieben wird. Allerdings wird das Verhalten hier deutlich negativer gesehen und bedarf des beruhigenden Saitenspiels Davids, so dass es am ehesten mit „Raserei“ bezeichnet werden muss. Auch ist die auf Saul kommende רוחhier ebenfalls negativ konnotiert. Es ist eine רוח אלהים רעה, die auf Saul kommt und ihn zu bösem Verhalten bewegt („ והחנית ביד־שאולund Saul hatte den Speer in der Hand“). Von einer bösen רוחvon Gott ist außerdem noch in 1 Sam 16,14 und 16,23 die Rede. In 1 Sam 16,14 weicht Gottes רוחinfolge der Salbung Davids zum König von Saul, und stattdessen ängstigt ihn nun die böse von Gott kommende )ובעתתו רוח־רעה מאת יהוה( רוח. Das Saitenspiel Davids vermag diese böse רוחzurückzudrängen (1 Sam 16,24). In 1 Sam 11,6 gerät Saul aufgrund des Geistbesitzes nicht in Ekstase, sondern in Zorn, aus dem heraus er eine außergewöhnliche Krafttat vollbringt, indem er ein Rind zerhackt. Von David wird an zwei Stellen berichtet, dass er im Besitz von Gottes רוח ist: In 1 Sam 16,13 geht es darum, dass der Geist Gottes im Zusammenhang mit der Salbung Davids zum König auf ihn kommt ( ותצלח רוח־יהוה אל־דוד )מהיום ההוא ומעלה. 2 Sam 23,2 stellt im Zusammenhang der letzten Worte Davids fest, dass der Geist JHWHs durch David redet ()רוח יהוה דבר־בי.
2.1. Gottes Geist in den Überlieferungen um Saul und David
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2.1.1 Kompositionsgeschichtliche Erwägungen zu 1 Sam 8–11 Die meisten Geistbelege innerhalb der Saul-und-David-Überlieferung finden sich in den Kapiteln 1 Sam 10 und 11 und sind damit Teil der Erzählungen um die Entstehung des Königtums in 1 Sam 8‒12, in denen die Entstehung des Königtums in Israel einerseits negativ und andererseits positiv bewertet wird. In 1 Sam 8 begehrt das Volk einen König. Dieses Ansinnen stößt auf den Unwillen Samuels und führt zu einer Kritik des Königtums in 1 Sam 8,11‒18. Hierauf folgt in 1 Sam 9,1‒10,16 eine Geschichte darüber, wie Saul auszieht, die Eselinnen seines Vaters zu suchen, statt der Eselinnen aber das Königtum findet. 1 Sam 10,17‒27 berichtet von der Wahl Sauls zum König per Losentscheid in Mizpa. In 1 Sam 11 schließt sich die Erzählung vom Ammonitersieg Sauls und seiner daraufhin folgenden Erhebung zum König an. 1 Sam 8 und 10,17‒27 stehen dem Königtum deutlich kritisch gegenüber. 1 Sam 9,1‒10,16 und 1 Sam 11 beinhalten keine Königskritik. Zwischen 1 Sam 8 und 10,17‒27 bestehen auch über die Kritik am Königtum hinaus einige Verbindungen. In beiden Kapiteln wird der Wunsch des Volkes nach einem König von Gott selbst als Abfall von JHWH interpretiert (1 Sam 8,7‒8; 10,19), in beiden Kapiteln spielt das Recht des Königs eine Rolle (1 Sam 8,9; 10,25), und in beiden Kapiteln bekommt das Volk seinen Willen, auch wenn dieser dem Willen Gottes und der Einsicht Samuels zuwiderläuft. Trotz dieser Gemeinsamkeiten weisen die Erzählungen verschiedene Brüche auf, die einen mehrschichtigen Entstehungsprozess nahelegen. So unterscheiden sich die Begründungen, die das Volk für seinen Wunsch nach einem König liefert: In 1 Sam 8,5 begehrt es einen König, weil die Söhne Samuels nicht recht handeln und weil auch die Heiden ( )הגויםeinen König haben. In 1 Sam 8,20 wird Letzteres zwar abermals als Grund angeführt,2 als weiterer Aspekt kommt aber hinzu, dass der König Richter sein und für das Volk Kriege führen soll. Des Weiteren verkündet Samuel in 1 Sam 8,11‒17 bereits ausführlich das Recht ( )משפטdes Königs und die damit verbundene Königskritik, während 1 Sam 10,25 davon offensichtlich nichts weiß, sondern erneut berichtet, dass Samuel dem Volk das Recht des Königtums kundtue. Und obwohl in 1 Sam 8,10 ausgesagt wird, dass Samuel dem Volk die Worte des Herrn mitteilt, werden diese in 1 Sam 10,18‒19 noch einmal wortwörtlich dem Volk wiedergegeben. Somit ist deutlich, dass die Erzählungen von der Entstehung des Königtums auch in den Passagen, die dem Königtum gegenüber negativ eingestellt sind, ein vielschichtiges Textwachstum erfahren haben. Der Grundbestand des Textzusammenhanges vom Begehren des Volkes nach einem König und der Loswahl in Mizpa ist meines Erachtens in 1 Sam 8,1‒6.7a.9b und in 2
Wie in 1 Sam 8,5: ככל־הגוים.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
1 Sam 10,17.20‒26 zu sehen: Das Volk begehrt aufgrund des Alters Samuels und des zweifelhaften Wandels seiner Söhne einen König, wie ihn die Heiden haben, und der das Volk richtet ()שפט. Samuel ruft daraufhin in Mizpa das Volk zusammen, und das Los entscheidet. In diese Geschichte wurde später in zwei Stadien eine Kritik des Königtums eingetragen. Die erste Ergänzung findet sich in 1 Sam 8,10‒22. Sie bietet eine allgemeine Kritik des Königtums, die die Rechte, über die der König verfügt, zum Inhalt hat. Die zweite Ergänzung in 1 Sam 8,7b‒9a erweitert diese Königskritik um eine theologische Ebene: Es tritt nun zur allgemeinen Königskritik der Gedanke hinzu, dass das Volk, indem es einen König begehrt, gleichzeitig JHWH verwirft. In diesen redaktionellen Zusammenhang gehört außerdem auch 1 Sam 10,18‒19. Die Verse 1 Sam 8,21‒22 sind als eine redaktionelle Notiz anzusehen, die dadurch, dass die Männer zunächst nach Hause geschickt werden, die Einschaltung von 1 Sam 9,1‒10,16 ermöglichen.3 Neben dem Begehren des Volkes nach einem König und der Loswahl in Mizpa bietet 1 Sam 11 eine weitere Erklärung für die Entstehung des Königtums. Saul wird hier aufgrund seines Ammonitersieges zum König erhoben. Nach den eng miteinander verwobenen Erzählsträngen in 1 Sam 8‒10 bildet 1 Sam 11* eine geschlossene Einheit. Die Erzählung kann ursprünglich für sich gestanden haben. Sie ist aus sich heraus zu verstehen und bedarf keiner erzählerischen Voraussetzung aus ihrem Kontext. Es wird berichtet, wie das Volk bedroht wird, der vom Geist Gottes ergriffene Saul zum Kampf rüstet, die Ammoniter besiegt und vom Volk infolge dieses Sieges zum König gemacht wird. Der Grundbestand der Erzählung dürfte in 1 Sam 11,1‒11.15 zu sehen sein.4 In Vers 12‒14 liegt eine Fortschreibung vor, die die Erzählung vom Ammonitersieg mit der vorherigen Erzählung von der Loswahl in Mizpa verbindet, die Mitwirkung Samuels bei der Verleihung der Königswürde in den Erzählzusammenhang einfügt und mit der redaktionellen Notiz in Vers 14 aus der ehemals eigenständigen und sehr wahrscheinlich älteren Geschichte von der Erhebung Sauls zum König aufgrund seines Ammonitersieges eine den vorausgegangenen Geschichten nachrangige Erzählung macht, in der das Königtum lediglich erneuert wird.5 Die Verbindung der Texte, die in 1 Sam 8 und 10,17‒27 vorliegen, mit 1 Sam 11 ist damit klar. Bleiben nun die Kapitel 1 Sam 9,1‒10,16. Sie lesen sich wie eine ursprünglich eigenständige Erzählung, fügen sich aber auch gut in den bestehenden Kontext ein.6 Die Erzählung unterstreicht zum einen die Mitwirkung des Propheten Samuel bei der Erhebung Sauls zum König und stellt damit eine 3
Eine ausführliche Analyse der Kapitel findet sich bei KRATZ 2000, 176. Stolz sieht das natürliche Ende der Geschichte in 1 Sam 11,11. STOLZ 1981, 74. 5 Vgl. KRATZ 2000, 176; SCHROER 1992, 62. 6 Für den Grundbestand der Erzählung vgl. KRATZ 2000, 176. 4
2.1. Gottes Geist in den Überlieferungen um Saul und David
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Verbindung zu den vorausgegangenen Samuel-Erzählungen her, zum anderen zeigt sie Verbindungen zu den später folgenden David-Saul-Geschichten und zur Erhebung Davids zum König. So hat die Episode vom Geistbesitz Sauls und von der sich in Verzückung befindenden Prophetenschar aus 1 Sam 10,5‒11* eine Parallele in 1 Sam 19,18‒24. Außerdem wird hier, genau wie später David (1 Sam 16,13), auch Saul von Samuel zum König gesalbt (1 Sam 10,1). Und so wie David in 1 Sam 16 der kleinste unter den für das Königtum in Betracht gezogenen Brüder ist, so betont Saul in 1 Sam 9,21, dass sein Stamm und sein Geschlecht die jeweils geringsten seien. Es ist also mehr als deutlich, dass die Erzählung, wenngleich ihr eine ursprüngliche Legende zugrunde gelegen haben mag, besonders auch dazu dient, die verschiedenen Erzählstränge der Samuel-, Saul- und David-Erzählungen miteinander zu verbinden.7 In ihr einen reinen Brückentext zwischen 1 Sam 8 und 10 zu sehen, kommt aber gleichfalls nicht infrage. Mit dieser Annahme ließen sich die Brüche in 1 Sam 9,1–10,5 nicht erklären. So wird zum Beispiel Samuel als Mann Gottes (1 Sam 9,6–7) und als Seher (1 Sam 9,11.19) angesprochen. Außerdem gehen Saul und der Knecht von Sauls Vater los, kehren aber zu Sauls Onkel zurück (1 Sam 10,14), um nur einige dieser Brüche zu nennen. Der Grundbestand der Eselinnen-Episode liegt vermutlich in 1 Sam 9,1.2a.3– 10a.14–20.22–27 und 10,1‒5.7.9b vor. In diesen Versen wird erzählt, wie Saul die Eselinnen seines Vaters sucht, wie er beschließt, einen Mann Gottes zu befragen, und daraufhin Samuel begegnet, der ihn zum Fürsten über Israel salbt und ihm mehrere Beglaubigungszeichen ankündigt, deren Eintreffen in 1 Sam 10,9b summarisch zusammengefasst ist. Das ursprüngliche Ende der Erzählung um das Finden des Königtums ist in 1 Sam 10,5.7.9b zu sehen.8 Setzt man die soeben skizzierten Überlieferungsstränge zueinander in Verbindung, so ist zuerst davon auszugehen, dass in 1 Sam 11* eine eigenständige Überlieferung vorliegt, die unter allen Erzählungen um die Entstehung des Königtums möglicherweise die älteste ist.9 Innerhalb der Erzählstränge 1 Sam 8, 10,17‒27 und 9,1‒10,16 muss man davon ausgehen, dass die Erzählung, wie Saul auszieht, die Eselinnen seines Vaters zu suchen, und stattdessen das Königtum findet, einen älteren Kern hat, der zunächst unabhängig von seinem bisherigen Ort überliefert und erweitert wurde. Innerhalb des literarischen Zusammenhangs von 1 Sam 8 bis 10,27 ist die Eselinnen-Episode aber gegenüber 1 Sam 8 und 10,17‒27 erst später in den Kontext eingetragen worden.
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Ebd. Ebd. 9 So auch SCHROER 1992, 63. 8
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
2.1.2 1 Sam 11 In 1 Sam 11 wird berichtet, wie der Ammoniter Nahasch die Stadt Jabesch in Gilead belagert. Als er mit einem harten Vorgehen gegen alle Jabeschiter droht, schicken diese Boten in das ganze Gebiet Israels, um Rettung ()מושיע zu erbitten. Saul ist in dieser Erzählung ein einfacher Bauer, der vom Feld kommt und von der Belagerung hört. Daraufhin entbrennt er im Zorn, zerstückt ein Paar Rinder, schickt diese an das Gebiet Israels und droht an, mit allen Rindern derer, die nicht mit ihm und Samuel in den Krieg ziehen, das Gleiche zu tun (Vers 6.7). Daraufhin kann er ein Heer von dreihunderttausend Mann aufbieten und die Ammoniter besiegen (Vers 11). Sauls Erzürnen und die daraus folgenden Taten werden dadurch gedeutet, dass der Geist Gottes über Saul kam (Vers 6: )ותצלח רוח־אלהים על־שאול. Es wird häufig infrage gestellt, ob der Geist schon immer Bestandteil dieser Erzählung war. Die vorgebrachten Zweifel an der Ursprünglichkeit des Geistes Gottes in 1 Sam 11,6 gründen vor allem auf der Tatsache, dass für das Vom-GeistGottes-ergriffen-Werden Sauls die gleiche Formulierung verwendet wird, die auch in der Simson-Überlieferung (Ri 14,6.19; 15,14) und in anderen Belegen im Ersten Samuelbuch (1 Sam 10,6.10; 11,6; 16,13; 18,10) das Phänomen des Geistbesitzes stereotyp beschreibt ()ותצלח רוח. G. Hentschel führt außerdem aus, dass die Sitte, Rinder zu zerstücken, um ein Heer aufzubieten, in Mari bekannt war, so dass Sauls Verhalten auch ohne den Geistbesitz erklärbar wird.10 Es wird also gemeinhin angenommen, dass der Geist Gottes in 1 Sam 11,6 einer ganz profanen Geschichte doch noch eine religiöse Note verleiht und dass durch die Geistnotiz eine göttliche Beteiligung in das Geschehen eingetragen wurde. Der Geist Gottes diente somit dazu, das – vielleicht ja auch bereits bei der Einarbeitung der Erzählung in den Zusammenhang archaisch anmutende – Verhalten Sauls auf das Wirken Gottes bzw. seines Geistes zurückzuführen.11 R. Kratz sieht den Geist Gottes in 1 Sam 11,6 als einen sekundären Eintrag an, der aus den Richtererzählungen zu Saul gekommen ist.12 Betrachtet man aber die Geistbelege im Richterbuch und in den Samuelbüchern, kommt man schnell zu dem Schluss, dass die Auswirkungen des Vom-Geist-Gottes-ergriffen-Werdens und die verwendeten Formulierungen zu unterschiedlich sind, als dass man von einer Redaktionslinie aus dem Richterbuch in die Samuelbücher hinein sprechen könnte.13 Betrachtet man außerdem die Belege aus der Simson-Überlieferung und der Saul-und-David-Überlieferung, die alle das Verb צלחverwenden, sieht 10
HENTSCHEL 1994, 85. Vgl. STOLZ 1981, 76. 12 Vgl. KRATZ 2000, 178. 13 Skeptisch ist in dieser Hinsicht auch BEZZEL 2015, 164–165. 11
2.1. Gottes Geist in den Überlieferungen um Saul und David
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man, dass vor allem bei Simson in stereotyper Weise vom Geist Gottes geredet wird, während der Geist Gottes in der Saul-und-David-Überlieferung variantenreicher belegt ist. Zwar wird in 1 Sam 10,6.10, 11,6, 16,13 und 18,10 wie auch in Ri 14,6.19 und 15,14 das Verb צלחverwendet, das innerhalb des Alten Testaments tatsächlich auch nur an diesen Stellen für das Vom-Geist-Gottes-ergriffenWerden verwendet wird. Von einer stereotypen Formulierung kann allerdings nur im Falle der Richterbelege gesprochen werden, die dreimal die Formulierung ותצלח עליו רוח יהוהbieten. In den Überlieferungen über Saul und David findet sich רוח יהוהnur noch in 1 Sam 10,6, wo allerdings die Verbform variiert, und in 1 Sam 16,3, wobei es hier nicht heißt ותצלח עליו רוח יהוה, sondern ותצלח רוח יהוה אל־דוד. In 1 Sam 10,10 und 11,6 findet sich nicht רוח יהוה, sondern רוח אלהים, und in 1 Sam 18,10 ist es eine רוח אלהים רעה, von der Saul ergriffen wird. Von einer durchgehenden Geistredaktion, die den Geist der Richterzeit in die Saul-Erzählungen eintrüge, ist also nicht auszugehen.14 Zieht man außerdem in Erwägung, dass Simson als eine Art Brückenfigur zwischen den vorausgehenden Richtererzählungen und der Saul-Überlieferung gestaltet zu sein scheint, muss man schnell zu dem Schluss kommen, dass ein redaktioneller Prozess, wenn er hier vorliegt, in die andere Richtung, also von Saul und David ins Richterbuch hinein, verlaufen ist. Des Weiteren ist die Erzählung in 1 Sam 11 relativ konsistent, wenn man von den redaktionellen Ergänzungen in Vers 12‒14 absieht. Zudem ist die Wirkung, die der Geist Gottes hier auf Saul hat, nämlich das „Im-Zorn-Entbrennen“, eher im Zusammenhang mit dem ekstatischen Verhalten Sauls zu sehen, das auch in 1 Sam 10,6.10 und 19,9 beschrieben wird, als mit dem Verhalten von Richtern wie Otniёl, Gideon oder Jeftah,15 die aufgrund des Geistbesitzes zum Richter werden (Otniёl; Ri 3,10) oder eine Posaune blasen und ein Heer aufbieten (Gideon; Ri 6,34). Gleichzeitig ist der Geist Gottes im Erzählverlauf von 1 Sam 11 die entscheidende Kraft, die aus dem vom Feld kommenden Saul denjenigen macht, der in der Lage ist, ein Rind zu zerstücken; denn Ähnliches ist von Saul – anders als von Simson, der eine Krafttat nach der nächsten vollbringt – zuvor nicht berichtet worden. 1 Sam 11,6 ist also nicht nur eine einfache Notiz darüber, dass Saul vom Geist Gottes ergriffen wurde und daraufhin gegen die Feinde Israels in den Kampf zog, wie sie sich in den Richterbüchern findet (Ri 3,10; 6,34; 11,29), sondern die 14 So auch BEZZEL 2015, 167–168. Anders KRATZ 2000, 178. Auch D. Wagner geht davon aus, dass Saul durch den Geistbesitz in eine Reihe mit den Geistträgern der Frühzeit gestellt wurde. Die von Wagner aageführten Texte haben jedoch alle ihre eigene Entstehungsgeschichte, so dass die „Einreihung“ Sauls in eine Linie mit allen Anführern Israels vor ihm nicht wahrscheinlich ist. Vgl. D. WAGNER 2005, 73. 15 Vgl. dazu auch die späteren Kapitel dieser Arbeit.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
unmittelbaren Auswirkungen des Geistbesitzes werden bildhaft und detailliert geschildert. Saul entbrannte im Zorn, zerstückte seine Rinder und versandte die Teile an Israel. Es ist der Geist Gottes, der eine punktuelle Wesensänderung Sauls herbeiführt, die ihn in Zorn versetzt und ihm die Kraft verleiht, seine Rinder zu zerstücken. Hier ist der ursprüngliche Bedeutungsinhalt von רוחnoch deutlich zu erkennen als Wind, der Naturgewalten entfesseln kann und eine bewegende und dynamisierende Wirkung entfaltet. Aufgrund dessen ist davon auszugehen, dass der Geist Gottes in 1 Sam 11,6 schon immer Bestandteil der schriftlichen Überlieferung vom Ammonitersieg Sauls war.16 2.1.3 1 Sam 10 Ganz andere Auswirkungen auf das Verhalten Sauls hat der Geist in 1 Sam 10,6 ( )רוח יהוהund 10,10 ()רוח אלהים. In 1 Sam 10,1‒16 wird berichtet, wie Samuel Saul zum Fürsten ( )נגידsalbt und ihm für seinen Heimweg verschiedene Beglaubigungszeichen ankündigt, die seine Salbung zum König legitimieren und als Willen Gottes ausweisen sollen. Zu diesen Zeichen gehört auch die Begegnung mit einer Schar von Propheten, die sich in Verzückung befinden ( נבאim hitpa‘el). Angesichts dieser Prophetenschar gerät der Geist JHWHs (1 Sam 10,6) bzw. der Geist Gottes (1 Sam 10,10) über Saul, so dass er mit den Propheten in Verzückung gerät. 1 Sam 10,12 stellt diese Episode als eine Erklärung für das Sprichwort ( )משלdar: „Ist auch Saul unter den Propheten (“?)הגם שאול בנבאים Der Text in sich ist hier ziemlich brüchig. So unterscheiden sich bereits die beiden Bezeichnungen für den Geist Gottes. Einmal ist es der Geist JHWHs und einmal der Geist Gottes, der über Saul kommt.17 Und während in 1 Sam 10,6‒7 prophezeit wird, dass mit der Geistgabe eine Umwandlung des gesamten Menschen einhergehen soll ()ונהפכת לאיש אחר, weiß 1 Sam 10,10 davon nichts, sondern macht aus dem Geistbesitz eine simple Erklärung für das bekannte Sprichwort. Seltsam ist auch, dass Saul in 1 Sam 10,8 ermahnt wird, in Gilgal auf Samuel zu warten, damit der ihm sage, was er tun solle, obwohl ihm doch bereits in 1 Sam 10,7 zugesprochen wurde, dass ihm alles gelingen werde, was in seine Hände kommt, weil Gott mit ihm sei. In 1 Sam 10,8 ist außerdem von einem Brandopfer ( )עלהund einem Gemeinschaftsopfer ( זבח )שלמיםdie Rede, um die es dann erst wieder in 1 Sam 13,8 geht. Auch das Ende der Erzählung lässt zumindest die Frage offen, warum Saul statt zu seinem Vater zu seinem Onkel zurückkehrt. 16 Auch Bezzel rechnet 1 Sam 11,6 zu der von ihm für 1 Sam 11 rekonstruierten Grundschicht (1 Sam 1,1–11 ohne 11,2b.7–8). Vgl. BEZZEL 2015, 199–200. 17 Da der Geist Gottes bei Saul sowohl als Geist JHWHs als auch als Geist von אלהים beschrieben wird, ist die Annahme J. Kleins, dass hier eine bewusste Unterscheidung stattfindet, die für David das persönliche Mitsein JHWHs ausdrücken soll, nicht stichhaltig. Vgl. J. KLEIN 2002, 69–70.
2.1. Gottes Geist in den Überlieferungen um Saul und David
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Was den Geist anbetrifft, ist davon auszugehen, dass er in zwei Stadien in den Text von 1 Sam 10 hineingekommen ist. Die ursprüngliche Variante beinhaltete vermutlich die Salbung Sauls durch Samuel sowie die angekündigten drei Beglaubigungszeichen, wobei das dritte lediglich in 1 Sam 10,5 vorgelegen haben wird und in der Begegnung mit der Prophetenschar bestanden hat (1 Sam 10,1‒5.7.9b.14‒16).18 Die Begegnung mit der Prophetenschar bot den Anknüpfungspunkt, um in 1 Sam 10,10‒13 die Episode vom Geistbesitz Sauls nach der Begegnung mit den Propheten in den Text einzuarbeiten. Dies fügt eine bekannte Episode aus dem Leben Sauls19 an passender Stelle in den Text ein und zeigt, vielleicht auch im Hinblick auf 1 Sam 11,6, dass Saul eine Affinität dazu besaß, vom Geist ergriffen zu werden. Womöglich wird so auch eine Verbindung zu einer Erzählung hergestellt, die in den Erzählungen um die Nachfolge Sauls durch David bereits einen Platz hatte; denn in 1 Sam 19,18‒24 hat die in 1 Sam 10,10‒13 berichtete Episode eine Parallele.20 Die Szene vom Geistbesitz Sauls enthält aber noch kein theologisches Interpretament. Dies wird in 1 Sam 10,6 möglicherweise in Verbindung mit 1 Sam 10,9 in den Text eingetragen. Den Geist Gottes zu haben, bedeutet, ein anderer, ein neuer Mensch zu werden. Damit tritt ein Gedanke zum Geistbesitz hinzu, der weder in 1 Sam 11,6 noch in 1 Sam 10,10, noch in 1 Sam 19,23 so vorliegt. Es spricht einiges dafür, dass 1 Sam 10,6 und 10,9 zusammen in den Text eingetragen wurden.21 So kommt in 1 Sam 10,6 der Geist JHWHs über Saul, so dass er ein anderer Mensch wird ()איש אחר. In 1 Sam 10,9 gibt Gott Saul ein anderes Herz ()לב אחר. Im Ezechielbuch gehören Herz und Geist ebenfalls zusammen und bewirken gemeinsam eine Erneuerung des Menschen (Ez 11,19; 36,26).22 Der Anlass, an dieser Stelle die Umwandlung in einen anderen Menschen in den Text einzutragen und mit dem Geistbesitz zu verbinden, dürfte in dem Bestreben zu sehen sein, die tragische Figur Sauls in seiner Anfangszeit in ein positiveres Licht zu setzen
18 Ähnlich auch BEZZEL 2015, 167. Häufig wird das dritte Beglaubigungszeichen komplett aus dem ursprünglichen Textbestand ausgeschieden. Vgl. L. SCHMIDT 1970, 101; LEHNART 2003, 46. 19 Es ist möglich, dass Saul tatsächlich solche Begegnungen mit ekstatischen Prophetenjüngern hatte und auch von ihm ekstatische Zustände berichtet wurden. Vgl. SCHROER 1992, 65. So auch STOLZ 1981, 70. 20 Problematisch daran ist, dass 1 Sam 19 im Allgemeinen auch für sehr jung gehalten wird. Dennoch spricht vieles dafür, dass die Ergänzungen in 1 Sam 10 später als 1 Sam 19 in den Gesamtzusammenhang eingetragen wurden. 21 Anders D. Wagner, der die Auffassung vertritt, dass die Verwandlung Sauls nicht von der Geistgabe zu trennen ist. Vgl. D. WAGNER 2005, 71. 22 Als textkritische Möglichkeit bietet Ez 11,19 auch לב אחר, ansonsten steht חדש.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
und auch ihm den Geist als eine Art Amtscharisma, wie später David es besitzt, von Anfang an schon zuzuschreiben.23 Innerhalb der Erzählungen um die Entstehung des Königtums begegnet der Geist Gottes also in folgender literargeschichtlichen Reihenfolge: Er ist vermutlich schon immer Teil von 1 Sam 11 und damit Teil einer der ältesten Erzählungen im Erzählgefüge von 1 Sam 8–11.24 In 1 Sam 10,10b–13 wird der Geist Gottes als Erweiterung des Beglaubigungszeichens für das Königtum Sauls, das in der Begegnung mit einer Prophetenschar besteht, sekundär in die Erzählung in 1 Sam 9–10 eingetragen. Der Geist Gottes wird dadurch bereits hier mit dem Königtum Sauls in Verbindung gebracht. Gleichzeitig werden eine Verbindung zu späteren Überlieferungen hergestellt und eine bekannte Episode aus dem Leben Sauls an dieser Stelle in den Text eingetragen. Wiederum später sind die Ergänzungen in 1 Sam 10,6.9, die den Geistbesitz Sauls mit einer Änderung seines Wesens in Verbindung bringen und die Tatsache seines Geistbesitzes in ein positives Licht und in die Nähe eines Amtscharismas rücken. 2.1.4 1 Sam 16–19 Wie verhält es sich nun aber mit den Geistbelegen im weiteren Verlauf der Überlieferung in 1 Sam? In 1 Sam 19,18‒24 findet sich die schon erwähnte Parallele zu 1 Sam 10,10‒13. Sie ist Bestandteil der Erzählungen um die Rivalitäten zwischen David und Saul. Infolge verschiedener Verwicklungen flieht David in 1 Sam 19,18 vor Saul zu Samuel nach Rama. Dies war Saul zu Ohren gekommen, und er schickte seine Boten hinter David her. Sie finden dort eine Schar von Propheten in Ekstase mit Samuel an der Spitze vor und geraten selbst in Ekstase. Das Gleiche geschieht auch mit den Boten, die Saul als Nächstes aussendet. Schließlich zieht Saul selbst nach Rama. Er gerät ebenfalls derart in Ekstase, dass er sich die Kleider auszieht und den ganzen Tag und die ganze Nacht nackt liegt (1 Sam 19,23.24).
23 D. Wagner hält 1 Sam 9,1‒10,16 insgesamt für eine „narrative Entfaltung der Vorstellung von der göttlichen Erwählung König Sauls mit hineinverwobenen Aussagen über die Befähigung bzw. Ausrüstung des von JHWH legitimierten Herrschers zum Amt“. Vgl. D. WAGNER 2005, 72. Dass hier dem Gedanken gewehrt werden sollte, dass Saul von einem bösen Geist befallen ist, wie Hentschel annimmt, halte ich für nicht wahrscheinlich. Vgl. HENTSCHEL 1994, 77. 24 Auch wenn Fritz die legendenhafte Darstellung von 1 Sam 11 betont hat, ist es weiterhin nahezu Konsens, dass 1 Sam 11 im Erzählgefüge von 1 Sam 8‒12 einer der ältesten Teile ist und womöglich auch einen historischen Kern bewahrt hat. Zu den Ausführungen Fritz’ vgl. FRITZ 1976. Für den historischen Kern vgl. DIETRICH/MÜNGER 2003, 42.
2.1. Gottes Geist in den Überlieferungen um Saul und David
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Im Vergleich zu der Erzählung in 1 Sam 10,1‒16 ist 1 Sam 19,18‒24 wesentlich stringenter. Das Ergebnis und die Begleiterscheinungen der Ekstase werden anders als in 1 Sam 10,1‒16 eindrücklich geschildert. Genau wie 1 Sam 10,12 wird 1 Sam 19,18‒24 herangezogen, um die Entstehung der Redensart „Ist auch Saul unter den Propheten?“ zu erklären. Dabei scheint 1 Sam 19,18‒24 nichts davon zu wissen, dass diese Redensart schon einmal erklärt wurde.25 Wiewohl auch 1 Sam 19,18‒24 erst später in einen bestehenden Erzählstrang eingefügt wurde,26 scheint aus den oben genannten Gründen doch alles dafür zu sprechen, dass sich die Episode hier schon im Erzählzusammenhang befand, als 1 Sam 10,10‒12 in die Erzählung in 1 Sam 9,1‒10,16 eingetragen wurde.27 Möglicherweise ist die Frage, welche der beiden Episoden in 1 Sam 10,1‒16 und 19,18‒24 die ursprüngliche ist, aber auch gar nicht zielführend. Betrachtet man die Problemlage und die Tatsache, dass sowohl 1 Sam 10,10ff als auch 1 Sam 19,18‒24 anscheinend spät in ihre erzählerischen Zusammenhänge eingefügt worden sind, muss man womöglich zu dem Schluss kommen, dass zwar beide Episoden einen älteren Kern, nämlich die Vorstellung, dass Saul Kontakt mit ekstatischen Prophetengruppen hatte, haben und das Sprichwort „Ist auch Saul unter den Propheten?“ bewahren, dass aber beide in ihrem erzählerischen Kontext eine bestimmte Funktion einnehmen. 1 Sam 10,10 macht den Geistbesitz Sauls und seinen Kontakt zu ekstatischen Propheten zu einem Beglaubigungszeichen seines Königtums. 1 Sam 19,18‒24 bringt, nachdem der Geist Saul eigentlich schon verlassen hatte, David, Saul und Samuel noch einmal zusammen, um David in ein positives Verhältnis zu Samuel zu rücken. Gleichzeitig wird der Geistbesitz Sauls nun negativ überzeichnet.28 Auch der Geist von Gott, der kein böser Geist war, ist also eigentlich ein Geist, der negative Auswirkungen auf Saul mit sich brachte. So erklärt sich vielleicht auch, dass 1 Sam 19,18‒24 noch einmal davon berichtet, dass Saul vom Geist Gottes ergriffen wird, nachdem Saul in 1 Sam 16,14 infolge der Salbung Davids zum König schon in sehr nachhaltiger Weise vom Geist Gottes verlassen wurde: 25
Dass es sich um zwei konkurrierende Erzählungen zweier verschiedener Prophetengruppen handelt, halte ich für unwahrscheinlich. Vgl. HENTSCHEL 1994, 118. 26 Zur Entstehungsgeschichte dieser Kapitel des Ersten Samuelbuches vgl. KRATZ 2000, 184–186. Dass man es im Falle von 1 Sam 19,18‒24 mit einer „sehr späten, vermutlich auf prophetische Kreise zurückgehenden Einfügung“ zu tun hat, meint auch SCHROER 1992, 95. Nitsche hält den Erzählzusammenhang 1 Sam 18–19 für einheitlich aus spätvorexilischer Zeit stammend. Vgl. NITSCHE 2004. Das Problem, wie 1 Sam 19,18‒24 im weiter verlaufenden Kontext verankert ist, kann hier leider nicht ausführlich behandelt werden. Zur Stellung von 1 Sam 19,18‒24 in den folgenden Kapiteln vgl. auch WILLI-P LEIN 2004, die allerdings die Prophetenepisode in 1 Sam 10 für älter hält. 27 Meistens wird allerdings 1 Sam 19,18–24 als die jüngere Variante angesehen. Vgl. SCHROER 1992, 95; WILLI-PLEIN 2004, 153; LEHNART 2004. 28 LEHNART 2004, 209–210.
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1 Sam 16 berichtet davon, wie JHWH Samuel aussendet, um einen der Söhne Isais zum König zu salben (1 Sam 16,1). Unter den Söhnen Isais ist David der jüngste bzw. der kleinste (הקטן, 1 Sam 16,11), der gerade unterwegs ist, die Schafe zu hüten. Dieser Kleinste ist es, der von JHWH selbst ausgewählt wird (1 Sam 16,12) und den Samuel infolgedessen zum König salbt. Im Zusammenhang mit dieser Salbung zum König wird David vom Geist JHWHs ergriffen ()ותצלח רוח־יהוה אל־דוד. Auch wenn hier die gleiche Formulierung verwendet wird wie in den Erzählungen um Saul zuvor, ist hier nicht mehr ein momentanes Vom-Geist-ergriffen-Sein gemeint, sondern ein dauerhafter Zustand. Der Geist JHWHs gerät über David „von dem Tag an und weiterhin“ (מהיום ההוא ומעלה, 1 Sam 16,13). Damit ändert sich die Vorstellung, die mit dem Geist Gottes verbunden ist, im Vergleich zu den vorausgehenden Überlieferungen um Saul und auch im Vergleich zu der Vorstellung vom Geist Gottes, wie sie hinter den Erzählungen des Richterbuches aufscheint. Der Geist Gottes ist hier nicht mehr spontan auftretende Wirkweise Gottes, die einen Menschen punktuell zu einer besonderen Tat bevollmächtigt oder ihn in anderer Hinsicht dynamisiert, ihn in Ekstase oder Raserei versetzt. Das Ergriffenwerden vom Geist Gottes ist hier in Verbindung gebracht mit der Übertragung des Königsamtes und wird nicht mehr als spontane Wirkweise, sondern als eine dauerhafte Gabe verstanden. Der dauerhafte Geistbesitz kann somit als das Amtscharisma des Königs verstanden werden.29 Infolge dieser auf Dauer ausgerichteten Geistübertragung wird zum einen von David kein weiteres Mal davon berichtet, dass der Geist Gottes über ihn kommt. Lediglich in 2 Sam 23,2 wird der Geist Gottes von David zur Legitimation seiner letzten Worte herangezogen. Zum anderen weicht der Geist Gottes von Saul, auch wenn er ihn zuvor nie dauerhaft besessen hat, sondern immer nur in Momenten von ihm ergriffen wurde (ורוח יהוה סרה מעם שאול, 1 Sam 16,14), und es ist in den folgenden Kapiteln nur noch davon die Rede, dass Saul von einem bösen Geist von Gott bzw. von JHWH geängstigt wird (1 Sam 16,14.15.16.23; 18,10; 19,9). In diesen Texten, die von Saul und dem bösen Geist von Gott (רוח־אלהים רעה/ )רוח יהוה רעהberichten, erscheint gleichzeitig immer auch David als Saitenspieler, der dafür sorgen kann, dass der böse Geist verschwindet (1 Sam 16,23; 18,10; 19,9). Zumindest ist dies das Verständnis der Situation, wie es durch 1 Sam 16,14‒23 nahegelegt wird. David wird hier (1 Sam 16,14‒18.22.23) als ein junger Mann eingeführt, der durch sein Spiel auf der Harfe dafür sorgen kann, dass es Saul besser geht (1 Sam 16,23). Liest man allerdings 1 Sam 18,10‒11 und 19,9‒10, gewinnt man nicht den Eindruck, dass das Saitenspiel Davids dem vom bösen Geist gepeinigten Saul Erleichterung verschafft. Vielmehr ist es sowohl in 1 Sam 18,10‒11 als auch in 1 Sam 19,10 so, dass Saul David trotz oder vielleicht auch gerade aufgrund seines Saitenspiels an die Wand spießen will. Es ist 29
Vgl. auch FELDMEIER/SPIECKERMANN 2011, 216.
2.1. Gottes Geist in den Überlieferungen um Saul und David
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allein die Tatsache, dass David dem Spieß Sauls ausweichen kann, die einen für David guten Ausgang dieser Episoden herbeiführt. Davon, dass Saul den Spieß aus der Hand legt, nachdem David begonnen hat, die Harfe zu spielen, ist nicht die Rede. Es wird außer in 1 Sam 16,14‒18.22.23 also nie erwähnt oder belegt, dass das Saitenspiel Davids den bösen Geist, von dem Saul heimgesucht wird, vertreibt. 1 Sam 16,15‒23* ist also offenkundig eine sekundär ergänzte Interpretation, die das Saitenspiel Davids als eine Möglichkeit entfaltet, den bösen Geist, von dem Saul heimgesucht wird, zu beseitigen.30 Die Vorstellung, dass Sauls Raserei auf einen bösen Geist, der von Gott geschickt wird, zurückgeführt wird, ist demgegenüber älter, und die Episode in 1 Sam 18,10‒11 ist es auch. 1 Sam 16,15‒23* dient der weiteren Überhöhung Davids im Vergleich mit Saul.31 David ist somit nicht nur erfolgreicher im Kampf als Saul (1 Sam 18,7), nicht nur derjenige, der von JHWH erwählt ist (1 Sam 16,12), während Saul verworfen ist, und nicht nur derjenige, auf dem der Geist JHWHs ist, während der von Saul gewichen ist (1 Sam 16,13.14), sondern er ist darüber hinaus auch noch derjenige, der über den Geist, von dem Saul geplagt wird, gebieten kann und damit Einfluss auf Sauls Gemütszustände hat.32 Gründlicher kann jemand einem Rivalen nicht ausgeliefert sein, als Saul es in 1 Sam 16,14‒23 seinem Konkurrenten David ist. Um die Erzählungen in 1 Sam 16‒19 in eine ungefähre Chronologie zu bringen,33 muss man von Folgendem ausgehen: Innerhalb der Erzählungen darüber, wie David an Sauls Hof kommt, ist der Gedanke, dass er als Waffenträger zu Saul kommt, der ursprüngliche.34 Er findet sich sowohl eingebettet in die Erzählung um David und Goliath (1 Sam 17,22.31.55‒58) als auch in 1 Sam 16,18.21. Ich gehe davon aus, dass in den Versen in 1 Sam 17, die David als einen Waffenträger im Gefolge seiner älteren Brüder zeichnen, die ursprüngliche Erklärung dafür, wie David an Sauls Hof kommt, zu sehen ist (1 Sam 17,22.31.55‒58).35 1 Sam 18,5‒12 reagiert auf Davids militärischen Erfolg und begründet Sauls Eifersucht. Unter den Geistbelegen in den Kapiteln 1 Sam 16‒19 ist dies der älteste Eintrag. Hier wird Sauls Raserei auf einen bösen Geist von Gott zurückgeführt. 1 Sam 16,1‒13, die Salbung Davids
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Sie ist aber keine „früheste literarische Beschreibung einer erfolgreichen Musiktherapie“, wie Dietrich es beschreibt. Vgl. DIETRICH 2006, 283. 31 Zur Kontrastierung Davids und Sauls vgl. auch VERMEYLEN 2013 (II). 32 Anders Dietrich, der den bösen Geist für eine ursprüngliche Erklärung der Krankheitssymptome Sauls hält. Vgl. DIETRICH 1989. 33 Eine genaue Analyse der Redaktionsgeschichte der Texte kann auch an dieser Stelle nicht erfolgen. 34 Auch Schroer hält diese Erklärung für ursprünglicher. Vgl. SCHROER 1992, 86. 35 Vgl. auch DIETRICH 1989, 132. Dietrich erkennt allerdings auch der Vorstellung, dass David als Saitenspieler an Sauls Hof kommt, eine mögliche Ursprünglichkeit zu, hält aber 1 Sam 16,1‒13 für eine Legende.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
durch Samuel, ist gegenüber der Erzählung in 1 Sam 17 ein jüngerer Text.36 Die Tatsache, dass David aufgrund seines Saitenspiels an Sauls Hof kommt, gilt meistens als eigenständige Überlieferung, um das Zusammenkommen von Saul und David zu berichten. 1 Sam 16,15‒23 ist im Gefolge von 1 Sam 16,14 entstanden.37 Die Erklärung, dass David als Saitenspieler zu Saul kommt, setzt voraus, dass der Geist JHWHs von Saul gewichen ist und Saul fortan von einem bösen Geist gepeinigt wird. Dieses wiederum setzt die Salbung Davids und die damit verbundene dauerhafte Geistübertragung auf David in 1 Sam 16,1‒13 voraus. 1 Sam 16,15‒23* ist also ein Text, der erst im Gefolge von 1 Sam 16,1‒13.14 entstanden sein wird. Wir haben es hier daher mit einer Entwicklung zu tun, die zunächst die Eifersucht Sauls auf David mit einem bösen Geist von Gott begründete (in 1 Sam 18,10 und 19,10). Zunächst führt dieser böse Geist aber nur zu momentaner Eifersucht und steht nicht in einem weiteren theologischen Zusammenhang, der sich auf das Königtum an sich bezieht. Dies geschieht erst später durch die Erzählungen in 1 Sam 16,1‒13, die David den Geist als dauerhaftes Amtscharisma verleiht und Saul den Geist dauerhaft abspricht. 1 Sam 16,14‒23 bringt Saul gegenüber David in ein noch schlechteres Licht, indem David die Macht über den bösen Geist, der Saul peinigt, verliehen wird. 1 Sam 19 gehört in einen anderen Überlieferungszusammenhang. Das Kapitel ist nicht mehr Teil der Erzählungen darüber, wie David an den Hof Sauls kommt, sondern es ist Teil der Erzählungen, die darüber berichten, wie Saul David nachstellt. 1 Sam 19,23‒24 behandelt einen anderern Aspekt des Geistbesitzes Sauls, der womöglich auf ein älteres Sprichwort zurückgeht ()הגם שאול בנביאם, an seinem jetzigen Ort aber dazu dient, auch diesen überlieferten Sachverhalt in ein negatives Licht zu rücken. 2.1.5 Zusammenfassung Der Geist Gottes ist innerhalb der Erzählungen um Saul und David sowohl im Hinblick auf sein Wirken als auch auf die theologischen Vorstellungen, die mit ihm verbunden sind, eine schillernde Größe. Von keiner im Alten Testament auftretenden Figur wird auf so vielfältige Weise davon berichtet, wie der Geist Gottes sie ergreift, wie von Saul. Der Geist Gottes macht ihn zum 36
Vgl. KRATZ 2000, 184. D. Wagner sieht 1 Sam 16,14 gegenüber 1 Sam 16,15‒23 als sekundär an. Er argumentiert vor allem aufgrund der unterschiedlichen Bezeichnungen für den bösen Geist in 1 Sam 16,14 ()רוח־רעה מאת יהוה, 16,15 ( )רוח־אלהים רעהund 16,23 ()רוח־אלהים. 1 Sam 16,14 wählt die Formulierung im Binnenkontext mit Blick auf 1 Sam 16,13. 1 Sam 16,15 und 16,23 haben aber den Beleg über den bösen Geist von Gott in 1 Sam 18,10 ( רוח־אלהים )רעהim Blick und formulieren deshalb anders. Die unterschiedlichen Begriffe müssen daher nicht bedeuten, dass 1 Sam 16,14 gegenüber 1 Sam 16,15‒23 sekundär ist. Zu den Ausführungen Wagners vgl. D. WAGNER 2005, 197. 37
2.1. Gottes Geist in den Überlieferungen um Saul und David
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Heerführer (1 Sam 11,6), er versetzt ihn in Ekstase (1 Sam 10,6.10; 19,23), und er ist Beglaubigungszeichen für das Königtum Sauls. Seinen auf literarischer Ebene ursprünglichen Ort hat der Geist Gottes in der Erzählung vom Ammonitersieg Sauls in 1 Sam 11,6 und in der Erzählung, die das Sprichwort begründet „Ist auch Saul unter den Propheten (“?)הגם שאול בנביאם, die aber erst sekundär an ihre jetzigen literarischen Orte eingetragen worden ist. Möglicherweise diente der Geist Gottes auch bereits in der Überlieferungsgeschichte des Sprichwortes zur Begründung des auffälligen Verhaltens Sauls. Innerhalb des Erzählzusammenhangs in 1 Sam 9,1‒10,16 ist der Geist Gottes sekundär eingetragen. In 1 Sam 10,6 ist er mit der Vorstellung verbunden, dass Saul als Folge des Vom-Geist-ergriffen-Werdens in einen anderen Menschen umgewandelt wird ()ונהפכת לאיש אחר. Zu 1 Sam 10,6 gehört vermutlich auch 1 Sam 10,9 und die Gabe eines anderen Herzens ()לב אחר. Beide Verse zeigen eine Nähe zum Ezechielbuch. Im Rahmen der Saul-Überlieferung bleibt der Geist Gottes allerdings eine den Menschen spontan ergreifende Wirkweise Gottes, die zu einer momentanen, zeitlich begrenzten außergewöhnlichen Befähigung oder zu einem außergewöhnlichen Verhalten führt. Mit 1 Sam 16,13 ändert sich diese Vorstellung. Der Geist Gottes wird hier in einem der jüngsten Texte der Erzählungen um Saul und David zu einem David dauerhaft gegebenen Amtscharisma. Dieser dauerhafte Geistbesitz Davids führt dazu, dass der Geist Gottes von Saul weicht. 1 Sam 16,15‒23* überhöht David im Vergleich zu Saul noch weiter, indem David hier zu demjenigen wird, der den bösen Geist von Gott, von dem Saul geängstigt wird, beeinflussen kann. Interessant bleibt, dass die Gabe von Gottes Geist als eine Art Amtscharisma im Zusammenhang mit der Salbung zum König in den folgenden Texten über die Könige in Israel nicht mehr von Bedeutung ist. Der Geist Gottes spielt auf literarischer Ebene in den Texten eine Rolle, die den Erzählungen um Saul und David vorausgehen. Er ist ein Merkmal einzelner Richter und für Mose und Josua der Ausweis ihrer Fähigkeit, das Volk zu führen. Ein Merkmal des Königtums an sich ist er nicht. Nur in Texten des Jesajabuches erscheint der Geist wieder als ein Merkmal des neu erwarteten Herrschers in Jes 11 oder als Ausweis der Fähigkeit des Knechtes, das Recht unter die Heiden zu bringen, in Jes 42,1. Auf den ersten Blick scheint dieses Desinteresse an einem charismatischen Königtum zu verwundern. Führt man sich jedoch die eben dargestellten Texte und die Entwicklung, die der Geist Gottes in ihnen nimmt, vor Augen, so schwindet diese anfängliche Verwunderung. Ganz offenkundig geht es in 1 Sam 16,13 ja nicht vorrangig darum, dem König David ein Amtscharisma zu verleihen. Die Tatsache, dass David den Geist Gottes bekommt, und zwar anders als Saul nicht als punktuelle ekstatische Erscheinung, sondern als dauerhafte Gabe, hat wenig mit der Vorstellung zu tun, dass man sich von jetzt an und für alle Zeit einen charismatischen Herrscher erwartete. Die dauerhafte Gabe des Geistes an David hat
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
vielmehr mit dem Ringen um die Gewichtung von Saul und David zu tun. Der Mann, der in Beziehung zum Geist Gottes steht, ist zunächst eigentlich Saul. David erhält den Geist allein aus dem Grund, um Saul zu überbieten. Das Amtscharisma des Königs David ist zunächst also nichts anderes als eine Möglichkeit, Saul einer Begabung zu berauben und David gegenüber Saul zu überhöhen. Diese Überhöhung gelingt im Zusammenhang der Kapitel 1 Sam 16‒18 auch auf ganzer Linie. Die spätere Einschaltung in 1 Sam 10,6 und 10,9 versucht Saul dann zu rehabilitieren, indem mit der Gabe des Geistes eine Umwandlung des ganzen Menschen und die Gabe eines anderen Herzens verbunden und so dem jungen König Saul eine neue, besondere Qualität verliehen wird, mit der er gegenüber David bestehen kann.
2.2 Gottes Geist im Richterbuch 2.2 Gottes Geist im Richterbuch
So wie von den ersten Königen Saul und David, wird auch von einigen Helden des Richterbuches berichtet, wie Gottes Geist über sie kam. Dies sind die Richter Otniёl (Ri 3,10), Gideon (Ri 6,34), Jeftah (Ri 11,2) und Simson (Ri 13,25; 14,6.19; 15,14). Über die kleinen Richter Schamgar (Ri 3,31), Tola und Jaїr (Ri 10,1‒5) und Ibzan, Elon und Abdon (Ri 12,8‒15) wird nichts von einem Geistbesitz berichtet, ebenso wenig für Ehud (Ri 3,12–30) und für Debora und Barak (Ri 4‒5). Über den Geistbesitz Otniёls, Gideons und Jeftahs gibt es jeweils nur kurze Notizen. Für Otniёl und Jeftah wird die Tatsache, dass der Geist Gottes über sie kommt, mit dem Verb היהausgedrückt (Ri 3,10: ותהי עליו רוח־יהוהund Ri 11,29: )ותהי על־יפתח רוח יהוה. Bei Gideon wird das Verb לבשverwendet (ורוח יהוה לבשה את־גדעון, Ri 6,34). In der Simson-Überlieferung findet sich in Ri 13,25 eine Umschreibung mit dem Verb „ ותחל רוח יהוה לפעמו במחנה־דן( חללund der Geist JHWHs begann ihn umzutreiben im Lager Dans“). In Ri 14,6.19 und 15,14 wird das Verb צלח verwendet, wobei die Formulierung in diesen drei Belegen geradezu stereotyp ist ( )ותצלח עליו רוח יהוהund einen Hinweis auf eine mögliche literarische Verbindung in die Saul-und-David-Überlieferung bietet.38 Der Geist Gottes findet sich damit also innerhalb zweier der im israelitischen Norden überlieferten Erzählkränze: bei Gideon und bei Jeftah.39 Er findet sich außerdem in der unabhängig von diesen Rettererzählungen zu sehenden Simson-Überlieferung und in der Notiz über Otniёl, die eine redak-
רוחin Verbindung mit dem Verb צלחfindet sich innerhalb des Alten Testaments ansonsten nur noch in der Saul-und-David-Überlieferung (1 Sam 10,6.10; 11,6; 16,13). 39 Zur Entstehung des Richterbuches vgl. HENTSCHEL 2012, 275. Außerdem KRATZ 2000, 200‒204. Ebenfalls SCHERER 2005 (I). Außerdem W. GROẞ 2009, 82–94 und KNAUF 2016, 16–26. 38
2.2 Gottes Geist im Richterbuch
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tionelle Bildung als Paradigma für das Richterbuch ist.40 Er ist somit Teil sowohl einer Rettererzählung ( ישעim Hifil; Ri 6,14.15) als auch von Richtererzählungen ( ;שפטRi 12,11; 15,20).41 Angesichts dieser Disparität der Geistbelege ist eher nicht davon auszugehen, dass der Geist Gottes innerhalb des Richterbuches auf eine einzige Redaktionsschicht zurückgeht.42 Offensichtlich ist der Geist Gottes auf verschiedenen Wegen in das Richterbuch hineingekommen, denen im Folgenden noch nachzugehen sein wird. Am breitesten belegt ist der Geist in der Simson-Überlieferung. Dementsprechend sollen die Texte, die von Simson und seinen Taten handeln, hier an erster Stelle betrachtet werden. 2.2.1 Die Simson-Überlieferung Die Erzählungen über Simson finden sich in den Kapiteln Ri 13‒16. Ri 13 bietet den Auftakt, indem es von der wunderbaren Geburt Simsons und dem Beginn seines Wirkens berichtet. In Ri 14‒15 sind verschiedene Krafttaten Simsons überliefert: das Erschlagen eines Löwen (Ri 14,5‒6), das Erschlagen von dreißig Männern in Aschkelon (Ri 14,19), das Brandschatzen in den Feldern der Philister (Ri 15,4‒5), das Erschlagen der Philister bei Etam (Ri 15,6‒8), die Gefangennahme Simsons durch die Judäer und seine Befreiung (Ri 15,11‒14) und das Erschlagen von tausend Philistern mit einem Eselskinnbacken (Ri 15,15‒17). Zu diesen Taten Simsons ist ebenfalls die zu Beginn von Ri 16 überlieferte Episode zu rechnen, die davon berichtet, wie Simson von den Philistern im Stadttor gefesselt war und die beiden Torflügel des Stadttores wegträgt (Ri 16,1‒3). Allerdings geht sie über den lokalen Rahmen der in Ri 14 und 15 berichteten Taten hinaus, indem sie in Gaza spielt, während die Kapitel Ri 14 und 15 im Tal Sorek verortet sind.43 Die Krafttaten in Ri 14 und 15 sind eingebettet in die Erzählung von der Hochzeit Simsons mit einer Philisterin (Ri 14,7‒20; 15,1‒7). Ri 16 berichtet von Simsons Beziehung zu Delila, von dem Geheimnis seiner Kraft und von seinem Ende. Das Simson-Bild, das die Kapitel Ri 13, Ri 14 und 15 und Ri 16 vermitteln, ist jeweils verschieden: Ri 13 zeichnet das Bild eines vom Mutterleib an Gott Geweihten, ohne dass von einer besonderen Kraft des angekündigten Kindes die Rede ist. In Ri 14 und 15 wird die Kraft Simsons teilweise, nämlich beim Zerreißen des Löwen (Ri 14,6), beim Erschlagen der dreißig Männer in Aschkelon (Ri 14,19) und bei der Befreiung Simsons aus den Fesseln 40
Vgl. KRATZ 2000, 210. Vgl. die Unterscheidung in einen Teil aus „Rettererzählungen“ in Ri 3,7‒8,28 und in einen Teil aus „Richtererzählungen“ in Ri 10‒16 bei KRATZ 2000, 201. 42 So auch SCHERER 2005 (I), 36. 43 Vgl. Calwer Bibelatlas, erarbeitet von ZWICKEL 2000, 17 (Karte 4). Zu den Ortsnamen im Richterbuch vgl. GAẞ 2005. 41
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
der Judäer (Ri 15,14), auf den Geist Gottes zurückgeführt. Davon, dass Simson Gott geweiht ist, sprechen diese Kapitel nicht. In Ri 16 lüftet Delila das Geheimnis der Kraft Simsons, die mit seiner Haartracht in Verbindung gebracht wird. Gleichzeitig wird ein Zusammenhang zu Ri 13 und der Tatsache, dass Simson ein Geweihter Gottes ist, hergestellt (Ri 16,17). Vom Geist Gottes ist in Ri 16 nicht mehr die Rede. Schon diese Beobachtungen weisen darauf hin, dass die Simson-Erzählungen nicht auf eine einheitliche Überlieferung zurückgehen, sondern dass in den Kapiteln Ri 13‒16 verschiedene Motive und Themen miteinander verbunden sind. a) Ri 13 Bereits das erste Kapitel der Simson-Überlieferung, Ri 13, bietet ein ausgesprochen vielschichtiges Bild Simsons und enthält eine Vielzahl von Doppelungen und Widersprüchen. So wird an drei Stellen von der Aufforderung des Engels an die kinderlose Frau des Manoach berichtet, sich vor Wein und starkem Getränk und vor unreinen Speisen zu hüten (Ri 13,4.5; 13,7; 13,14), wobei diese Aufforderung in allen drei Fällen um Nuancen variiert. In Ri 13,5 und 13,7 wird angekündigt, dass der Sohn ein Geweihter Gottes sein wird ()כי־נזיר אלהים יהיה הנער. Diese Ankündigung fehlt in Ri 13,14. Dafür wird dort zusätzlich zu dem Verbot, Wein ( )ייןund starkes Getränk ( )שכרzu sich zu nehmen und Unreines ( )טמאzu essen, hinzugefügt, dass die Frau auch nicht essen soll, was vom Weinstock kommt ()מכל אשר־יצא מגפן היין לא תאכל. Ri 13,5 wiederum ist der einzige Vers, in dem davon die Rede ist, dass kein Schermesser ( )מורהdem Kind aufs Haupt kommen soll. Widersprüchlich ist auch die Bezeichnung des Boten, der der Frau die Geburt des Kindes ankündigt. In Ri 13,3 wird berichtet, dass der Engel JHWHs der Frau erscheint ()מלאך־יהוה. Diese Tatsache ist Manoach dann aber fast über die gesamte Dauer der Erzählung unklar, und er wird ihrer erst in Ri 13,21 gewahr. In Ri 13,6 erzählt Manoachs Frau ihrem Mann, dass ihr ein Mann Gottes ( )איש האלהיםerschienen sei, der anzusehen war wie der Engel Gottes ()מלאך האלהים. Auch im berichtenden Teil dieser Episode, der nicht auf einer Interpretation Manoachs oder seiner Frau beruht, wird der Bote als Engel Gottes ( )מלאך האלהיםbezeichnet (Ri 13,9), daneben auch von Manoach als Mann Gottes (איש האלהים, Ri 13,8) oder auch einfach als Mann (Ri 13,10–11). Am Ende des Kapitels in Ri 13,15‒21 wird wieder durchgängig Engel JHWHs ( )מלאך יהוהals Bezeichnung für den Boten verwendet. Aufgrund der Ernährungsvorschriften für die Frau, dem Verbot, dem Kind das Haar zu scheren, und natürlich aufgrund der expliziten Bezeichnung des Kindes als ( נזירRi 13,5.7) wird Simson als Nasiräer betrachtet. Allerdings sind die Bezüge zum Nasiräatsgesetz in Num 6 nicht besonders stark. So findet sich dort kein Verbot, unreine Speisen zu sich zu nehmen. Dafür sind die
2.2 Gottes Geist im Richterbuch
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Vorschriften über den Genuss von Wein und von Speisen, die aus dem Weinstock hervorgehen, weitaus detaillierter (Num 6,3‒4), auch detaillierter als die bereits erweiterte Version der Ernährungsvorschriften, die an Manoachs Frau ergehen (Ri 13,14). Zudem wird in Num 6 von demjenigen, der das Nasiräatsgelübde ablegen möchte, selbst erwartet, dass er sich an die Speisevorschriften hält, während sie in Ri 13 nur die Mutter betreffen. Überhaupt liegt in Num 6 der Schwerpunkt natürlich darauf, dass es sich um ein Gelübde handelt, das man ablegen und von dem man auch wieder zurücktreten kann, während Simson in Ri 13 vom Mutterleib an zum Geweihten Gottes bestimmt wird, was, während Ri 13,4 dies noch offenließ, in Ri 13,7 bis zu seinem Tod erweitert wird. Außerdem verwendet Ri 13,5 erstaunlicherweise mit מורהeine andere Vokabel für das Schermesser als Num 6,5, wo das Wort תערverwendet wird. Die Vokabel מורהfindet sich dagegen ebenfalls in 1 Sam 1,11, wo Hanna gelobt, dass kein Schermesser auf das Haupt Samuels kommen soll.44 Die Verwendung dieser Bezeichnung für das Schermesser ist überhaupt nur an diesen beiden Stellen und in Ri 16,17 belegt. Aber auch über das Schermesser hinaus zeigt Ri 13 Parallelen zu 1 Sam 1. In beiden Fällen ist eine Frau unfruchtbar und bekommt trotz dieser Unfruchtbarkeit ein Kind. So wie Manoachs Frau enthält sich auch Hanna während ihrer Schwangerschaft des Weins und starken Getränks (1 Sam 1,15: )ויין ושכר לא שתיתי. 1 Sam 1,15 liegt damit als Parallele für die Ernährungsvorschriften, die Manoachs Frau in Ri 13 einhalten soll, im Grunde näher als die sehr speziellen Angaben in Num 6,3‒4. Es ist daher am wahrscheinlichsten, das Ri 13 mit den Hinweisen auf die Speisevorschriften an die Mutter und auf das Verbot an Simson, sich die Haare zu scheren, zunächst eine Verbindung in die Anfänge des Ersten Samuelbuches herstellen wollte und auf diese Weise gleichzeitig die ältere Überlieferung aus Ri 16, dass die Kraft Simsons in seinen Haaren steckte, theologisch gedeutet hat. Der Hinweis, dass Simson deshalb auch ein Nasiräer gewesen sei, ist wiederum sekundär zu diesen Vorschriften hinzugetreten.45 Auch in anderer Hinsicht erweist sich Ri 13 als ein literarischer Brückentext. So zeigt die Episode des Opfers des Ziegenböckleins, das Manoach dem 44
Vgl. auch W. GROẞ 2009, 666. Bei Groß findet sich auch eine ausführliche Diskussion zum Nasiräat des Simson (ebd., 665ff). 45 So auch WITTE 2000, 529. Dies löst auch die Probleme, die das Verständnis Simsons als Nasiräer ansonsten mit sich bringt. Da die Bestimmungen über die Speisen und die Haartracht im Text schon vorlagen, wurde hier nicht bewusst eine neuartige Konzeption des Nasiräats entwickelt, wie Stipp annimmt. Vgl. STIPP 1995. Ebenso wenig wurde Simson bewusst als ein gescheiterter Nasiräer gezeichnet. Vgl. dazu RÖMHELD 1992, der den Hinweis auf das Haareschneiden als einen sekundären Zusatz in das Nasiräergesetz überhaupt ansieht. Ebenso obsolet sind dann Versuche zu erklären, warum sich die Vorschriften für die Ernährung und für die Haartracht auf Mutter und Sohn verteilen. Vgl. PARENTE 1990 und CARTLEDGE 1989.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
Herrn darbringt, in Ri 13,15‒23 Anklänge an Ri 6,11‒24.46 Auch in Ri 6 erscheint der Engel JHWHs, auch Gideon bringt wie Manoach JHWH ein Opfer dar, und wie Ri 6,18 thematisiert auch Ri 13,15 das Problem, dass der Engel bis zur Darbringung des Opfers dableiben möge. Sowohl in Ri 6,21 als auch in Ri 13,20 entschwindet der Engel mit der Darbringung des Opfers, und in beiden Fällen wird die Befürchtung deutlich, sterben zu müssen, weil man den Engel JHWHs gesehen hat. Die Opferepisode in Ri 13,15‒23 ist außerdem noch um das Motiv des wunderbaren Namens in Ri 13,17‒18 angereichert, das Anklänge an Gen 32,23‒33 zeigt.47 Weitere Verknüpfungspunkte zu den angrenzenden Büchern des Alten Testaments bieten das Motiv des Segens in Ri 13,14 und das des Ergriffenseins vom Geist in Ri 13,25, die Simson einerseits in eine Tradition mit Abraham und Jakob, andererseits in eine Linie mit den vorausgegangenen Richtern und Saul und David stellen (Gen 24,1; 35,9; Ri 3,9–10; 6,34). Das Verbot, unreine Speisen zu essen, kann sich auf die Speiseverbote in Lev 11 und Dtn 14,3‒21 beziehen und eine weitere Verbindung in den Pentateuch sein. Ri 13 bietet damit in seiner Endgestalt einen komplexen Text, der Rückbezüge zum Pentateuch und zu den vorausgegangenen Kapiteln des Richterbuches aufweist, gleichzeitig aber auch auf Samuel und Saul vorausweist. Die Vorstellung, dass Simson ein Nasiräer gewesen sei, wird innerhalb dieser vielschichtigen Motivlage nicht ursprünglich gewesen sein. Es ist eher anzunehmen, dass die Herkunftsgeschichte Simsons ursprünglich Anklänge an 1 Sam 1 gezeigt hat, die später auf ein Nasiräat Simsons zugespitzt wurden. Der Kern von Ri 13 dürfte am ehesten in den Versen Ri 13,2.6.7a.8‒12.(13‒14).24 zu sehen sein.48 An diesen Grundbestand könnte sich die Erzählung des Opfers in Ri 13,15‒23 angelagert haben, außerdem dürften Ri 13,14aα sowie 13,7b und 13,5a später hinzugekommen sein, um die Vorstellung eines Nasiräats Simsons in den Text einzuarbeiten.49 Auch die Einordnung Simsons in eine Situation, in der Israel durch die Philister bedroht wurde, in Ri 13,1 und 13,5b ist sekundär.50 Schwer zu klären ist, wie sich Ri 13,25 in den Gesamtzusammenhang einfügt. Hier gerät der Geist nicht über Simson ( )צלחwie in Ri 14,6.19; 15,14, sondern der Geist fängt an ( )חללSimson umherzutreiben bzw. „anzustoßen“ ()ותחל רוח יהוה לפעמו המחנה־דן בין צרעה ובין אשתאל. Das Verb פעםbegegnet innerhalb des Alten Testamentes ausgesprochen selten und ist im Qal nur
46
Vgl. W. GROẞ 2009, 672; GÖRG 1993, 74. Vgl. W. GROẞ 2009, 673. 48 Kratz sieht den Grundbestand in Ri 13,2.6–7.24a. Vgl. KRATZ 2000, 213. 49 Das Nasiräertum hält auch Görg für sekundär. Vgl. GÖRG 1993, 71. Ebenso KNAUF 2016, 130, der annimmt, dass der Nasiräatsgedanke zuerst in Ri 16 eingetragen wurde und von dort auch zu einem Gegenstand in Ri 13 geworden ist. 50 Vgl. auch KRATZ 2000, 213. Ebenfalls RÖMHELD 1992, 34. 47
2.2 Gottes Geist im Richterbuch
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an dieser Stelle belegt.51 Es liegt also eine sehr ungewöhnliche Redeweise vom Wirken des Geistes Gottes vor. Das Verb חללbegegnet innerhalb der Simson-Erzählungen an einigen Stellen, um neue, die Handlung beeinflussende Aspekte herauszustellen (Ri 13,5.25; 16,19.22).52 Auffällig ist, dass dies nur in den Rahmenkapiteln der Fall ist. Von Ri 13,5 lässt sich auf jeden Fall sagen, dass Vers 5b ein sekundärer Einschub ist, mit dem Simson als Richter Israels und Retter vor den Philistern dargestellt werden soll. Auch von Ri 13,25 ist anzunehmen, dass der Vers als ein redaktionelles Scharnier zwischen dem ersten Kapitel und den Kapiteln 14 und 15, in denen die Krafttaten Simsons als geistgewirkte Taten dargestellt werden, fungiert. Dass hier für das Eingreifen des Geistes nicht die in Ri 14 und 15 verwendete stereotype Formulierung ( )ותצלח עליו רוח יהוהherangezogen wird, lässt sich damit erklären, dass hier nicht auf eine einzelne Heldentat Simsons hingewiesen werden soll, sondern auf ein allgemeines Vom-Geist-ergriffen-Sein. Gleichzeitig wird Simson mit diesem Vers im Lager Dans53 zwischen Zora und Eschtaol verortet.54 Ri 13,25 ist gewissermaßen eine Auftaktnotiz für das weitere Wirken Simsons, die ihn und sein Handeln lokalisiert, die ihn aber durch die Verwendung von פעםim Piel gleichzeitig als einen unruhigen, rastlosen, umhergetriebenen Menschen zeichnet, dessen Unruhe und Unberechenbarkeit aber immer schon auf den Geist zurückzuführen ist.55 b) Ri 14–15 Unter den in Ri 14 und 15 berichteten Episoden aus dem Leben Simsons erscheinen zwei, Ri 15,14‒17 und 15,18‒19, als Ätiologien für die Ortsbezeichnungen Ramat-Lehi und „ עון הקוראQuelle des Rufenden“.56 Von den verschiedenen, oben bereits erwähnten Krafttaten Simsons werden einige auf das Wirken des Geistes zurückgeführt. Diese sind die Episode über das Zerreißen des jungen Löwen in Ri 14,6, der Bericht über das Erschlagen der Männer in Aschkelon, um ihnen die Gewänder abzunehmen und so den Einsatz für das Rätsel einlösen zu können (Ri 14,19), sowie die Befreiung Simsons von den Fesseln, die ihm die Judäer angelegt hatten, und das anschließende Erschlagen von tausend Männern mit einem Eselskinnbacken in Ri 15,14–15. 51
Vgl. W. GROẞ 2009, 676; WEBB 2012, 359. Vgl. W. GROẞ 2009, 676. 53 Zur Lokalisation eines möglichen Ortes Machaneh-Dan bzw. zur Interpretation als „Lager Dans“ vgl. GAẞ 2007, 375. 54 Die Verortung in einem Lager Dans ist eine literarische Fiktion und kein historischer Hinweis. Mit W. GROẞ 2009, 741. Gegen NIEMANN 1985, 169‒175. Dazu, dass konkrete Ortszuweisungen hypothetisch bleiben müssen, vgl. auch GAẞ 2007, 364. 55 Ähnlich auch WEBB 2012, 359. 56 Vgl. GÖRG 2009, 79; KRATZ 2000, 213. 52
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
Die Episode von den Füchsen, die Simson mit brennenden Fackeln in die Felder der Philister laufen lässt (Ri 15,4‒6), das Schlagen der Philister, nachdem sie die Familie seiner Frau getötet hatten (Ri 15,8), und das Aus-denAngeln-Heben des Stadttores von Gaza (Ri 16,3) bleiben dagegen ohne Begründung für die außergewöhnliche Kraft Simsons. Keine der erwähnten Taten macht Simson zu einem Retter vor einer Bedrohung durch die Philister. Alle Episoden spiegeln eher Auseinandersetzungen zwischen Simson und den Philistern von rein privater Natur wider57 und dienen Simson allein. Zwar wird in Ri 14,4 eingefügt, dass die Philister über Israel herrschten und Simson einen Anlass zum Kampf gegen die Philister suchte, und in Ri 15,20 wird ebenso erwähnt, dass Simson zwanzig Jahre Richter über Israel gewesen sei, doch sind diese beiden Notizen sekundäre Einschübe, die Simson in eine Reihe mit den übrigen Richter- und Rettergestalten des Richterbuches stellen sollen.58 Die in Ri 15,9–17 berichtete Episode bietet ein ganz anderes Bild der Verhältnisse. Hier scheinen die Judäer überhaupt kein Problem damit zu haben, dass die Philister über sie herrschen, und sie liefern Simson an sie aus.59 Zu klären ist nun an dieser Stelle die Frage, warum einige der Taten als durch den Geist JHWHs gewirkt erklärt werden und andere nicht. Die stereotype Formulierung, die für das Ergriffenwerden vom Geist verwendet wird ()ותצלח עליו רוח, scheint dafür zu sprechen, dass die Taten Simsons nachträglich, durch eine sekundäre Bearbeitung, auf den Geist zurückgeführt wurden.60 Wonach richtete sich aber die Auswahl der geistgewirkten Taten? Auffällig ist zunächst, dass alle Krafttaten Simsons, die nicht mit dem Geist Gottes in Verbindung stehen, Reaktionen Simsons auf ihm widerfahrenes Unrecht sind. Durch das Brandschatzen mit den Füchsen (Ri 15,4) rächt er sich dafür, dass seine Frau einem anderen gegeben wurde. Ebenso ist das Erschlagen der Philister in Ri 14,8 die Vergeltung dafür, dass sie die Frau und ihre Familie verbrannt haben. Simson selbst stellt beide Taten in den
57
Vgl. W. GROẞ 2009, 677. Ebd., 680 und 710. Auch Kratz hält Ri 15,20 für einen sekundären Einschub. Vgl. KRATZ 2000, 213. 59 Die Judäer sind hier ausgesprochen negativ gestaltet. Vgl. W. GROẞ 2009, 706. Zu Überlegungen zur Gemengelage von Judäern und Philistern in den in den Simson-Kapiteln genannten Orten vgl. ebenfalls W. GROẞ 2009, 741–743. Vgl. außerdem LEHMANN/NIEMANN 2006; GAẞ 2005; NIEMANN 2002. 60 Dass die Einträge über den Geist in den Text gekommen sind, weil der Geist Simsons bereits in Ri 15,19 erwähnt wurde, wie Kratz annimmt, vgl. KRATZ 2000, 213, kann nicht als alleinige Begründung stehen gelassen werden. Eher anzunehmen ist, dass Simson in eine Linie mit den vorausgegangenen Richtern und mit Saul und David gestellt werden soll. Am größten ist die Ähnlichkeit mit Saul, dessen außergewöhnliche Gemüts- und Kraftzustände in 1 Sam 10 und 11 auch durch das Wirken des Geistes Gottes erklärt werden. Auch Witte führt die Geistbelege auf eine Redaktionsschicht zurück. Vgl. WITTE 2000, 531. 58
2.2 Gottes Geist im Richterbuch
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Zusammenhang des Vergeltungsrechtes (Ri 15,7).61 In Ri 16,1‒3 gerät er durch sein Auftauchen in Gaza in Gefahr, aus der er sich selbst befreit. Die Taten in Ri 14,5‒6 (das Zerreißen des Löwen), 14,19 (das Erschlagen der Männer in Aschkelon) und 15,14.15 (das Schmelzen der Fesseln und das Erschlagen von tausend Mann mit einem Eselskinnbacken) haben einen anderen Charakter. Sie alle stehen nicht im Zusammenhang mit persönlichen Vergeltungsaktionen Simsons. Das Zerreißen des Löwen, das Schmelzen der Fesseln und das Erschlagen der Männer mit einem Eselskinnbacken tragen Züge des Wunderhaften. Das Erschlagen der Männer im Rahmen des Festgelages wirkt wie ein Ausdruck blindwütiger Raserei. Es scheint also zunächst so zu sein, dass die rational zu erklärenden Taten ohne die Zuschreibung des Geistes Gottes geblieben sind, während die Handlungen, die Simson als einen mit wundersamer Kraft oder wundersamen Fähigkeiten ausgestatteten Helden oder als einen vor Wut Rasenden zeigen, durch den Geist Gottes eine Form der Legitimation erfahren.62 Auffällig ist, dass die Geistnotizen in Ri 14,6.19 und 15,19 mit ותצלח עליו רוחdie Formulierung verwenden, die fast identisch in 1 Sam 10,6.10, 11,15, 16,13 und 18,10 verwendet wird. 1 Sam 10,6 weicht lediglich in der Verbform etwas ab, da der Geistbesitz hier zu einem von Samuel an Saul verheißenen Beglaubigungszeichen für das Königtum gehört ()וצלחה עליך רוח. In 1 Sam 10,10, 11,15 und 18,10 findet sich außerdem nicht רוח יהוה, sondern רוח אלהים. Die Einleitung mit ותצלח עליוist aber in 1 Sam 10,10 und 11,15 mit den Belegen in 1 Sam 16,13, Ri 14,6.19 und 15,19 identisch. In keinem der übrigen Belege innerhalb des Alten Testamentes, die sich auf das Ergriffenwerden vom Geist beziehen, wird das Verb צלחverwendet. Es gehen also ganz offensichtlich eine Reihe dieser Belege auf eine Redaktionsschicht zurück. Die Untersuchungen zu den Geistbelegen in den Saul-und-DavidÜberlieferungen haben bereits gezeigt, dass dort der Beleg in 1 Sam 10,6 ein späterer Eintrag ist, der den Geistbesitz Sauls zu einem Beglaubigungszeichen seines Königtums macht. Ebenso scheint 1 Sam 16,3 etwas jünger als die anderen Geisttexte innerhalb der Saul-Überlieferung zu sein, da es hier nicht mehr um ein momentanes Vom-Geist-ergriffen-Sein geht, sondern um einen dauerhaften Geistbesitz im Sinne eines Amtscharismas. Die ursprünglichen Geisttexte innerhalb der Saul-Überlieferung sind damit in 1 Sam 10,10 und 11,6 zu sehen. Die Geistnotizen in der Simson-Überlieferung hängen deutlich von den Geisttexten aus den Erzählungen um Saul und David ab. Während die Geistaussagen in der Saul-und-David-Überlieferung nicht nur im Hinblick auf die Verwendung des Gottesnamens variieren, sondern auch 61
Ähnlich auch Ri 15,3. Einen ähnlichen Eindruck scheint Knauf gehabt zu haben, wenn er schreibt, dass der Geist Simson „nur zu Schabernack“ inspirierte, während er „die früheren ‚Retter‘ zu Taten von regionaler politischer Bedeutung befähigte“. KNAUF 2016, 132. 62
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in so unterschiedlichen Szenarien wie der Begegnung mit ekstatischen Prophetengruppen, der Frage nach der Entstehung des Königtums und innerhalb kriegerischer Auseinandersetzungen begegnen, bestehen die Geistaussagen in der Simson-Überlieferung in stereotypen Formulierungen, die innerhalb eines fest umrissenen Erzählfadens einzelnen Taten Simsons zugeschrieben sind. Dass gerade die in der Saul-und-David-Überlieferung geprägte Formulierung mit צלחfür diese Geistnotizen gewählt wurde, weist darauf hin, dass Simson mit Saul in Verbindung gebracht werden sollte.63 Die Taten, die von Simson berichtet werden, lassen, für sich genommen, Simson nicht als einen herausragenden Retter Israels erscheinen. Manches an ihm wie das Zerschmelzen der Fesseln (Ri 15,14) ist rätselhaft. Seine Kraft, die ihn mit einem Eselskinnbacken tausend Mann erschlagen (Ri 15,16) oder einen Löwen mit der bloßen Hand erlegen lässt (Ri 14,6), ist geradezu unheimlich. Und mitunter ist sein Verhalten, milde ausgedrückt, unangebracht (Ri 14,19). Gleichzeitig ist er eine heldenhafte Gestalt, die in ihrer Stärke, die sich besonders in Auseinandersetzungen mit den Philistern zeigt, von großer Faszination ist. Um diesen Helden in das Richterbuch einzubinden, wurden zum einen die Notizen eingefügt, die ihn als Richter über Israel darstellen (Ri 15,20; 16,31). Zum anderen mussten seine merkwürdigen, teilweise anstößigen Taten so interpretiert werden, dass sie in das Bild eines von Gott legitimierten Richters passen. Dazu vor allem dienen in Ri 14 und 15 die Geistnotizen (Ri 14,6.19; 15,14). Die ebenfalls schillernde Figur des Königs Saul, von dem ekstatische Zustände (1 Sam 10,10), Raserei (1 Sam 18,10) und ungewöhnliche Kraft (1 Sam 11,6) überliefert sind und der gleichwohl zum König über Israel wurde, ist für die Interpretation der ungewöhnlichen Krafttaten Simsons der ideale Anknüpfungspunkt. Der sagenhafte Held Simson wird also durch Eintrag der Geistnotizen in Ri 14,6.19 und 15,14 zu einem Vorläufer des Königs Saul.64 c) Ri 16 In Ri 16,13 findet sich eine andere Strategie, die außergewöhnliche Kraft Simsons zu erklären. Hier scheint es so zu sein, dass diese Kraft in seiner Haarpracht begründet ist. Simson selbst offenbart Delila das Geheimnis seiner Kraft: Sie wird schwinden, 65אם־תארגי את־שבע מחלפות ראשי עם־המסכת „wenn du die sieben Locken meines Hauptes mit den Fäden an einem Web-
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So auch W. GROẞ 2009, 733. Und auf der Ebene des Endtextes zu einem Nachfolger der Richter Otniël, Gideon und Jeftah (Ri 3,10; 6,34; 11,29). Vgl. W. GROẞ 2009, 733. 65 מסכתbezeichnet die längsgerichteten Kettfäden am Webstuhl. Die Haare Simsons werden dementsprechend offensichtlich in die Webarbeit eingewebt. Vgl. auch die Erläuterungen bei W. GROẞ 2009, 718. 64
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rahmen verwebst“.66 Mit dem Verlust der Haare schwindet Simsons Kraft dann zunächst tatsächlich. Vers 22 deutet allerdings an, dass sie mit dem Nachwachsen der Haare zurückkehren könnte. Die Tatsache, dass Simsons Kraft in seiner Haartracht begründet ist, wird innerhalb von Ri 16 auf zwei verschiedene Weisen auf Gott und Simsons besonderes Verhältnis zu ihm zurückgeführt. Ri 16,17 verbindet die Kraft in den Haaren mit der Tatsache, dass Simson ein Geweihter Gottes ( )נזיר אלהיםsei, wie es bereits in Ri 13,5 angekündigt ist. In Vers 28 findet sich dann noch eine vollkommen neue Begründung für die Kraft Simsons. Hier ruft er den Herrn an und bittet ihn, ihm noch ein letztes Mal Kraft zu verleihen. Beide Verse, sowohl Ri 16,17 als auch Ri 16,28, sind nachträgliche Ergänzungen, die die sagenhafte Kraft Simsons theologisieren,67 indem sie der Vorstellung wehren, dass die Kraft auf magische Weise allein in den Haaren sitzen könnte. Haartracht und Zutun Gottes werden sowohl durch den Nasiräatsgedanken als auch durch das Gebet Simsons miteinander verbunden. Der Nasiräatsgedanke ist es auch, der eine Verbindung von Ri 16 zu Ri 13 herstellt. Von Ri 14 und 15 heben sich beide Kapitel deutlich ab. Zwar kann an dieser Stelle keine ausführliche Analyse der literarischen Entstehung der Simson-Erzählung erfolgen, sie soll jedoch zumindest in groben Zügen, soweit sie für die Untersuchung zu Gottes Geist von Bedeutung ist, dargelegt werden. d) Gottes Geist in Ri 13–16 In Anbetracht der Tatsache, dass die Erzählung um Delila in Ri 16 wesentlich stringenter aufgebaut ist68 als die aneinandergereihten Episoden in Ri 14 und 15, kann man davon ausgehen, dass der Anfang der Simson-Überlieferung in Ri 14 und 15 zu suchen ist. Hier finden sich die ursprünglichen Episoden aus Simsons Leben: das Zerreißen eines Löwen (Ri 14,5), das Auffinden der Bienen (Ri 14,8–9), das Hochzeitsgelage (Ri 14,10–19), das Verbrennen der 66 Oft wird der Bestand des Masoretischen Textes an dieser Stelle in Analogie zu den vorausgegangenen Antworten Delilas und in Anlehnung an die Überlieferung der Septuaginta ergänzt, deren Handschriften für die Verse Ri 16,13 und 16,14 verschiedene Varianten bieten, die aber alle καὶ ἔσοµαι ὡς εἷς τῶν ἀνθρώπων ἀσθενής „und ich werde schwach sein wie einer der Menschen“ hinzufügen. Es ist aber eher anzunehmen, dass die Septuaginta selbst hier in Anlehnung an die vorausgehenden Verse den Masoretischen Text geglättet hat. Da der Masoretische Text aus sich heraus verständlich ist, wird er hier beibehalten. Vgl. auch die ausführliche textkritische Diskussion bei W. GROẞ 2009, 720‒721. Zur Diskussion der Textkritik vgl. außerdem SOISALON-SOININEN 1951. 67 In diesen Zusammenhang gehört auch der Nachtrag in Ri 16,20: והוא לא ידע בי יהוה סר מעליו. Auch W. Groß hält Ri 16,28 für einen sekundären Zusatz. Vgl. W. GROẞ 2009, 730. Vgl. außerdem KRATZ 2000, 213, Anm. 117. 68 W. Groß sieht den maßgeblichen Unterschied zu den anderen Kapiteln in der „Märchenhaftigkeit“. Vgl. W. GROẞ 2009, 712.
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Ernte der Philister (Ri 15,1.4‒5), die Schlacht bei Etam (Ri 15,8), das Erschlagen der Philister mit dem Eselskinnbacken (Ri 15,9.14‒15) und die Ätiologie der Höhle von Lechi (Ri 15,17). Diese Episoden sind zu einem ersten Erzählkranz mit dem Thema der Hochzeit mit einer der Töchter der Philister zusammengestellt worden.69 Vermutlich ist zu diesem ersten Erzählkranz dann das Kapitel 16 hinzugetreten, das mit einem ähnlichen Thema, nämlich dem Scheitern der Beziehung Simsons zu einer Frau, eine weitere Facette der Simson-Überlieferung, die Vorstellung von einem Helden mit besonderer Kraft und Haartracht, beinhaltet.70 Durch das Einfügen des Geistes in Ri 14,6.19 und 15,14 haben diese Erzählungen eine erste Theologisierung erfahren, durch die außerdem eine Verbindung zu den Saul- und DavidErzählungen und zu den übrigen Richtern entstanden ist.71 Durch die Voranstellung von Ri 13 und das Eintragen des Nasiräatsgedankens in Ri 16,17 wird auch Ri 16 theologisiert.72 Simson Handeln wird durch den Nasiräatsgedanken dauerhaft als von Gott gewollt und gewirkt legitimiert.73 Diese Vorstellung geht noch über die punktuelle Ermächtigung Simsons durch den Geist Gottes in den Kapiteln 14 und 15 hinaus. Gleichzeitig wird durch Ri 13 und durch den Nasiräatsgedanken eine Verbindung zu vorausgehenden Richtern wie Gideon und in den Pentateuch hergestellt. Die Parallelen zwischen Manoachs Frau und Hanna untermauern daneben zusätzlich die Verbindung in die Samuelbücher, die bereits durch die Parallelität von Simson und Saul in Ri 14 und 15 vorgegeben war.74 Die Geistnotiz in Ri 13,25 hat die Geistaussagen in Ri 14,6.19 und 15,14 schon vorgefunden. Sie 69
Kratz sieht den Kern der Überlieferung in Ri 14,1–15,8, der noch vor der Aufnahme in das Richterbuch durch die Ätiologie des Ortes Ramat-Lehi in Ri 15,9–19, die Fortsetzung der Frauengeschichten in Ri 16,1–30 und die Geburtslegende in Ri 13,2–24 erweitert wurde. Vgl. KRATZ 2000, 213. Ähnlich auch MEURER 2001, 192. Ebenso GESE 1985. 70 Anders W. Groß, der Ri 13 und 16 auf einen Autor zurückführt. Vgl. W. GROẞ 2009, 739. 71 Bereits Wellhausen sah in Simson „den Schatten Sauls“. Vgl. WELLHAUSEN 1963, 227. Aktuell W. GROẞ 2009, 733. 72 Auch Stipp sieht in der Darstellung Simsons als Nasiräer in Ri 13 den Versuch, das bereits vorhandene Kapitel Ri 16 theologisch zu erklären. Vgl. STIPP 1995, 369. 73 Ein ähnliches Entstehungsmodell vertritt auch Witte. Er rechnet die Kapitel 13 und 16 allerdings zu einer von ihm so genannten „Wunderschicht“. Dieser Wunderschicht vorausgegangen seien zunächst Einzelsagen, die zu einem Simson-Zyklus A verbunden wurden. In diesem Zusammenhang wurden einzelne Taten auf den Geist Gottes zurückgeführt. Durch die Ergänzungen der „Wunderschicht“ entsteht der Simson-Zyklus B, der dann seinerseits eine Endredaktion erfährt. Vgl. WITTE 2000, 547‒549. 74 Ganz anders Römheld, der in Ri 13 eine literarische Einleitung zu Ri 14‒15 sieht und für das Gesamtgebilde Ri 13‒15 eine Bearbeitung mit Eintragung der Geistbelege annimmt. In Ri 16 sieht Römheld eine noch spätere Anfügung. Vgl. RÖMHELD 1992, 48. Eine Verbindung von Simson sowohl zu Gideon als auch zu Saul beschreiben auch Wenning und Zenger. Vgl. WENNING/ZENGER 1982.
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geht in ihrem Bemühen, Simsons schwieriges Verhalten zu legitimieren, noch weiter, indem hier ganz allgemein die Unruhe und Unberechenbarkeit Simsons auf das Wirken des Geistes zurückgeführt wird. Der sagenhafte Held Simson75 wird also zunächst zu einem punktuell mit dem Geist Gottes versehenen Kämpfer und zum Vorläufer Sauls, bevor er als vom Mutterleib an von Gott Geweihter dargestellt wird. 2.2.2 Die Richter Otniël, Gideon und Jeftah Innerhalb des Richterbuches begegnet der Geist Gottes, wie wir bereits gesehen haben, auch bei den Richtern Otniёl, Gideon und Jeftah. Allerdings berichtet anders als bei Simson und auch anders als bei Saul nur jeweils eine kurze Notiz über den Geistbesitz dieser Richter (Ri 3,10; 6,34; 11,29). Daher werden Otniёl, Gideon und Simson hier in einem gemeinsamen Kapitel behandelt. a) Otniël Der Bericht über den Richter Otniёl ist kurz und knapp. In fünf komprimierten Versen (Ri 3,7‒11) findet sich alles Wesentliche zusammengefasst. Vers 7 berichtet vom Abfall der Israeliten von JHWH, Vers 8 davon, wie der Zorn JHWHs entbrennt und JHWH die Israeliten mit der Bedrückung durch ein Fremdvolk, Mesopotamien ()ארם נהרים, angeführt durch Kuschan-Rischatajim, straft. Vers 9 weiß vom Schreien der Israeliten zu JHWH und von der Erweckung Otniёls als Retter ()מושיע. In Vers 10 wird berichtet, wie die רוח יהוהauf Otniёl kommt ()ותהי עליו רוח־יהוה, er Richter in Israel wird ( וישפט )את־ישראלund erfolgreich in den Kampf zieht. Vers 11 stellt abschließend fest, dass Israel daraufhin vierzig Jahre Ruhe hatte ()ותשקט הארץ, bis Otniёl starb. Ohne zusätzliches Beiwerk werden hier Vers für Vers alle wichtigen Aspekte aufgezählt, die einen Retter und Richter Israels ausmachen oder auszumachen scheinen: die Berufung durch Gott (Ri 3,9), der Besitz der רוח (Ri 3,10), der Kampf gegen das Israel bedrückende Fremdvolk, der Sieg (Ri 3,10) und die durch diesen Sieg herbeigeführte temporäre Ruhe (Ri 3,11). In diesem Zusammenhang wird auch eine Verbindung zwischen den innerhalb des Richterbuches behandelten Rettergestalten und den Richtergestalten
75 Auf die verschiedenen Traditionen, die als Vorlagen für die Figur Simsons diskutiert werden, kann an dieser Stelle nicht im Einzelnen eingegangen werden. Zum Motiv des Löwenbezwingers vgl. ausführlich W. GROẞ 2009, 688–689. Zu weiteren Motiven vgl. ebenfalls ebd., 735–738. Dort werden Zuweisungen wie Sonnenheros, alttestamentlicher Herakles und siebenlockiger Held ausführlich diskutiert. Die Interpretation Görgs ist dagegen sehr auf die Parallelen zu Herakles beschränkt. Vgl. GÖRG 1993, 80 u.ö. Eine ausführliche Analyse des Motivs des siebenlockigen Helden findet sich bei WENNING/ZENGER 1982.
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geschaffen, indem Otniёl beide Aspekte in sich vereinigt.76 Gleichzeitig wird in diesen fünf Versen das Schema abgehandelt, nach dem auch die übrigen Retter- und Richtererzählungen, abgesehen von Simson, strukturiert sind: Israel fällt von JHWH ab (Ri 3,7), JHWH bedrückt das Volk durch ein Fremdvolk (Ri 3,8), das Volk schreit zu JHWH, JHWH bestellt einen Retter (Ri 3,9). Otniёl ist daher nicht als eine historisch zu verortende Rettergestalt zu verstehen, sondern als eine paradigmatische Figur, mit der die Erzählungen des Richterbuches eingeleitet werden und die das Produkt literarischer Gestaltung ist.77 Dass die רוח יהוהTeil dieses Paradigmas einer Richter- und Retterfigur ist, weist darauf hin, dass diejenigen, auf die die Figur des Otniёl zurückzuführen ist,78 den Geist Gottes bereits als wichtigen Aspekt für einen Richter verstanden haben. Auffällig ist, dass die רוחhier in erster Linie ein Charakteristikum des Richteramtes ist und erst in zweiter Linie mit der Tatsache, dass für Israel in den Kampf gezogen wird, verbunden. Denn anders als in 1 Sam 11,5, wo der vom Feld kommende Saul durch Gottes Geist zu einem Heerführer wird, der im Zorn entbrennt, ein Rind zerhackt und ein Heer aufbietet, stellt Ri 3,10 zunächst fest, dass die רוח יהוהauf Otniёl kommt und er daraufhin zum Richter in Israel wird.79 Erst aufgrund dieses Richteramtes zieht er dann auch in den Kampf. Dem Geist Gottes wird damit das stürmische Element genommen, das Menschen in Raserei, in Zorn oder in außergewöhnliche Kraft versetzt, wie es in den Saul- und auch in den Simson-Erzählungen von Bedeutung war. b) Gideon Die Erzählungen um den Richter Gideon/Jerubbaal stehen im Zentrum des Richterbuches in den Kapiteln 6‒8. Zu diesem Erzählzusammenhang ist außerdem noch das Kapitel 9, das von Gideons Sohn Abimelech handelt, hinzuzurechnen. Die Kapitel 6‒8 sind inhaltlich sehr komplex, und vor allem die geschilderten Kampfhandlungen gegen die Midianiter in Ri 7 und 8 lassen sich schwer gliedern. Ri 6,11–24 handelt von Gideons Berufung zum Retter über Israel. Hierauf folgt in Ri 6,25‒32 eine Erzählung darüber, wie Gideon einen Altar Baals zerstört und daraufhin den Namen Jerubbaal bekommt. Ri 76 Vgl. die bereits oben erwähnte Unterscheidung in Richter- und Rettererzählungen bei KRATZ 2000, 201. 77 Dass die Otniёl-Episode ein literarisches Produkt zur Einleitung in das Richterbuch ist, ist weitgehend Konsens. Vgl. unter anderen BECKER 1990, 104. Außerdem KRATZ 2000, 210. 78 W. Groß sieht in den Autoren von Ri 3,7–11 diejenigen, auf die auch Ri 2 zurückgeht. Was in Ri 2 theoretisch ausgeführt wird, wird in Ri 3 am Beispiel Otniёls exemplarisch entfaltet. Vgl. W. GROẞ 2009, 222–223. Ähnlich auch BECKER 1990, 104. 79 Ähnlich auch KNAUF 2016, 57.
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6,33‒35 bietet eine kurze Notiz über ein erstes Aufgebot Gideons gegen die Midianiter. Ri 6,36‒40 beinhaltet Gideons Bitte um ein Beglaubigungszeichen. In Ri 7,1‒8 wird das zu große Heer dezimiert. Ri 7,9‒15 sind eine Art Vorgeschichte zu den in Ri 7,16‒22 geschilderten ersten Kampfhandlungen. Ri 7,23‒25 berichtet vom Ende der Midianiterfürsten Oreb und Seeb und Ri 8,4‒22 vom Kampf gegen die Midianiterkönige Sebach und Zalmunna. Zwischen die Verse Ri 7,23‒25 und 8,4‒22 ist eine Notiz über den Unmut der Ephraimiter in Ri 8,1‒3 eingeschoben, die nicht an den Kampfhandlungen beteiligt waren. In Ri 8,22–27 wird davon berichtet, wie Gideon einen Efod herstellt, Ri 8,29‒33 enthält biographische Notizen zur Figur Gideons. Innerhalb dieser vielschichtigen Erzählungen fallen zahlreiche Doppelüberlieferungen und auch Überlieferungen ins Auge, die sich inhaltlich widersprechen. Zu diesen Widersprüchlichkeiten gehören beispielsweise die Aktionen Gideons, die den Kult betreffen. Während er in Ri 6,19 dem Engel JHWHs ordnungsgemäß ein Opfer darbringt und in Ri 6,24 einen Altar für JHWH errichtet,80 den er „JHWH ist Friede“ ( )יהוה שלוםnennt, und während Gideon in Ri 6,28 einen Altar Baals niederreißt, berichtet Ri 8,22‒27 davon, dass Gideon einen Efod herstellt, womit er ganz Israel in die Abgötterei getrieben habe (Ri 8,27). Aus den zahlreichen Doppelungen in der Erzählung seien an dieser Stelle nur einige ausgewählte genannt: Sowohl in Ri 6,7‒10 als auch in Ri 8,33‒35 wird die Schuld Israels festgestellt, sowohl in Ri 6,17‒21 als auch in Ri 6,36‒40 erbittet Gideon ein Beglaubigungszeichen für seine Berufung. Des Weiteren überfällt Gideon zweimal die Midianiter (Ri 7,15‒22; 8,10‒11), und zweimal wird von zwei jeweils verschiedenen Maßnahmen zur Reduktion der Heeresgröße berichtet (Ri 7,3; 7,4‒7). Ebenfalls als Doppelung erscheint die zweifache Erzählung von dem Kampf gegen zwei Midianiteranführer (Ri 7,24‒25; 8,12.21). Außerdem verweigern zwei Städte Gideon die Verpflegung, wofür sie bedroht und bestraft werden (Ri 8,5‒7.8‒9; 8,15‒16.17). Hinzu kommen kleinere Doppelungen innerhalb der erzählten Episoden, wie z.B. der doppelte Einwand Gideons gegen seine Berufung in Ri 6,13.16. Auf diesem Hintergrund wird im Allgemeinen von einem mehrschichtigen Wachstum der Gideon-Erzählungen ausgegangen, das hier nur in gebotener Kürze umrissen werden kann. Grundsätzlich wird von einigen ersten, ursprünglich eigenständigen Erzählungen ausgegangen, zu denen das Erscheinen des Boten JHWHs und der Altarbau in Ofra in Ri 6, die Traumerzählung und der Kampf gegen die Midianiter in Ri 7, das Geschehen in Sukkot und Penuёl in Ri 8 und die Verfolgung der Könige Sebach und Zalmunna, ebenfalls in Ri 8, gerechnet werden.81 Diese Erzählungen wurden vermutlich noch 80
Der Bau des Altars gehört auch gleichzeitig zu den Doppelüberlieferungen (Ri 6,24; 6,25‒27). 81 Vgl. W. GROẞ 2009, 368. Ähnlich BECKER 1990, 206. Vgl. auch KRATZ 2000, 211.
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vordeuteronomistisch zu einem ersten Erzählkranz zusammengefügt, der dann zahlreiche, auch späte Ergänzungen erfahren hat. W. Groß nimmt an, dass bereits der vordeuteronomistische Redaktor die militärischen Aktionen so gestaltet hat, dass sie einen cis- und einen transjordanischen Feldzug beschreiben und somit zweigeteilt sind.82 In diesem Zusammenhang stellt er Gideon als idealen Helden dar, wobei immer deutlich bleibt, dass es JHWH ist, der durch Gideon rettet. Der deuteronomistische Redaktor hat die Regentenzeit Gideons für den größeren Gesamtzusammenhang gestaltet, alle späteren Zusätze haben einzelne Eigenschaften Gideons verstärkt.83 U. Becker argumentiert gegen eine vordeuteronomistische Zusammenstellung der ursprünglichen Gideon-Überlieferungen und führt eine erste Redaktion bereits auf DtrH zurück, der gleichzeitig eine Verbindung zu Ri 9 und zwischen Gideon und Abimelech geschaffen habe.84 Ich halte es mit R. Kratz und W. Groß für wahrscheinlicher, dass bereits vordeuteronomistisch eine erste Zusammenstellung des Erzählstoffes erfolgte. Für die Frage nach dem Geist ist nun allerdings vor allem interessant, wie Ri 6,34‒35 und damit die Geistnotiz in Vers 34 in den Gesamtzusammenhang der Gideon-Erzählungen einzuordnen ist. Die Verse Ri 6,34‒35 sind im Hinblick auf ihre Entstehung nicht unumstritten. Ihnen voraus geht der Vers Ri 6,33, der davon berichtet, dass alle Midianiter und Amalekiter sich in der Ebene Jesreel versammelt haben. Daraufhin wird Gideon in Ri 6,34 mit der רוח יהוהumkleidet ()לבש, woraufhin er eine Posaune bläst und zunächst die Abiёsriter aufbietet. Vers 35 berichtet zusätzlich davon, dass er auch Boten nach Manasse, nach Asser, Sebulon und Naftali schickt, um auch diese aufzubieten. Diskutiert wird vor allem das Verhältnis von Ri 6,34‒35 zu Ri 7,23, da dort abermals davon berichtet wird, wie Gideon Naftali, Asser und Manasse aufbietet. Ri 6,34‒35 bereitet aber auch in anderer Hinsicht Probleme. Der Geistbesitz Gideons und das Aufgebot der Abiёsriter sind eng mit Ri 6,33 und der Übermacht der Midianiter und Amalekiter verbunden. Ri 6,34 ist die logische Konsequenz aus der übermächtigen Bedrohung, die in Ri 6,33 geschildert wird. Der mit der רוח יהוהumkleidete Gideon bläst die Posaune und rüstet zum Kampf. Betrachtet man aber Ri 6,33‒34 ohne Ri 6,35, kann er der Übermacht der Amalekiter und Midianiter nur eine verschwindend kleine Gruppe, nämlich die im übrigen Alten Testament sonst nicht erwähnten Abiёsriter, gegenüberstellen. Ri 6,35 vergrößert das Heer dann zusehends um die Männer aus Manasse, Asser, Sebulon und Naftali. W. Richter sieht hierin einen sekundären 82
Auch Kratz geht davon aus, dass die Gideon-Erzählungen bereits vor ihrer Aufnahme in das Richterbuch zu einem ersten Erzählkranz zusammengestellt waren. Vgl. KRATZ 2000, 211. 83 Vgl. W. GROẞ 2009, 466. 84 Vgl. BECKER 1990, 206–208.
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Vorgriff auf Ri 7,23.85 Allerdings ist die Vergrößerung des Aufgebotes in Ri 6,35 notwendig, um die folgenden Erzählungen von der Verkleinerung des Heeres auf nur 300 Mann plausibel zu machen. Ein Aufgebot der Abiёsriter allein, wie es Ri 6,34 berichtet, erweckt kaum den Eindruck eines zu großen Heeres.86 Eine weitere Widersprüchlichkeit besteht zwischen dem in Ri 6,34 berichteten Geistbesitz Gideons und der Forderung Gideons nach einem Beglaubigungszeichen für sein Retteramt in Ri 6,36‒40. Warum sollte der zuvor vom Geist erfüllte Gideon plötzlich von Zweifeln ergriffen sein? Festzuhalten ist also Folgendes: Ri 6,33‒35 bildet inhaltlich eine Einheit. Ri 6,34 reagiert auf die Bedrohung durch die Midianiter und Amalekiter, und Ri 6,35 berichtet von einer Erweiterung des Heeres über die Abiёsriter hinaus, die in jedem Fall notwendig ist, sei es aufgrund der Stärke der Feinde, sei es als Ausgangspunkt für die im Folgenden berichteten Verkleinerungen des Heeres. Von der vorausgegangenen Episode in Ri 6,25‒32, wo vom Niederreißen des Baalaltares berichtet wird, heben sich die Verse Ri 6,33‒35 ohnehin ab. Sie sind aber auch losgelöst von den Versen Ri 6,35‒40 zu sehen, die mit ihrer Forderung nach zusätzlicher Versicherung zu dem zuvor berichteten Geistbesitz im Widerspruch stehen. Am ehesten ist der Abschnitt in Ri 6,33‒35 somit als eine literarisch sekundäre Einleitung in die in Ri 7‒8 berichteten Kriegshandlungen zu lesen, die gewissermaßen eine Leseanweisung für die vielschichtigen Erzählungen in Ri 7‒8 bietet, indem sie die wesentlichen Faktoren nennt:87 die Bedrohung durch die Midianiter und Amalekiter, das Aufgebot Gideons, das über die Abiёsriter hinaus aus Männern aus Manasse, Asser, Sebulon und Naftali besteht, und die Legitimation Gideons, die hier durch seinen Geistbesitz ausgedrückt wird. Die Abiёsriter begegnen in Ri 6,34 aufgrund der Tatsache, dass sie in Verbindung mit der Stadt Ofra bereits in Ri 6,11 und 6,24 erwähnt wurden und auch in Ri 8,32 erwähnt werden.88 Der Geist Gottes, mit dem Gideon bekleidet ist ()לבש, verdeutlicht zum einen die göttliche Legitimation Gideons, hier als Heerführer zu agieren, und stellt ihn gleichzeitig in eine Reihe mit Saul, aber auch mit David. Gerade die Verwendung des Verbs לבשim Qal weist auf eine Entstehung von Ri 6,34 in relativ später Zeit hin.89 So ist לבשnicht nur für das Beschreiben des Vom-Geist-Gottes-ergriffen-Werdens ungewöhnlich, sondern begegnet 85
RICHTER 1966 (I), 169. Ebenso KNAUF 2016, 90. Vgl. auch BECKER 1990, 161. 87 Anders W. Groß, der Ri 7,23‒24 in Abhängigkeit von Ri 6,34‒35 sieht und diese der Gideon-Erzählung zuordnet. Vgl. W. GROẞ 2009, 376‒377. Dafür, dass Ri 6,33‒35 ein später Zusatz ist, plädiert auch BECKER 1990, 162. Kratz ordnet Ri 6,33‒35 ebenfalls den von ihm angenommenen späteren Ergänzungen der ursprünglichen Gideon-Erzählungen zu, die er allerdings zeitlich nicht unterscheidet. Vgl. KRATZ 2000, 211. 88 Gegen Scherer, der das Aufgebot der Abiёsriter der literarischen Vorgeschichte der Gideon-Erzählung zuweist. Vgl. SCHERER 2005 (I). 89 Gegen ebd., 249. 86
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im metaphorischen Sinne innerhalb des Alten Testamentes nur selten, und wenn, dann vor allem in späteren Texten (mit „ עזStärke“ in Jes 51,9; 52,1; mit „ צדקהGerechtigkeit“ in Jes 59,17; Hi 29,14; Ps 132,9; mit חוד וחדר „Pracht und Herrlichkeit“ in Hi 40,10; mit „ בשתSchande“ in Ps 35,26 u.ö.). Für das Vom-Geist-Gottes-ergriffen-Werden wird לבשabgesehen von Ri 6,34 nur noch in 1 Chr 12,19 verwendet. Eine Bedeutungsänderung des Verbs לבשvon Umkleiden zu „Erfülltwerden“, wie Jenni sie vorschlägt,90 anzunehmen, ist hier nicht notwendig. Im Gesamtzusammenhang der GideonErzählungen, die auch Gideons Herrschaftsanspruch vor allem im Vorausblick auf Ri 9 problematisieren (Ri 8,22‒23), ist es eher wahrscheinlich, dass hinter der Verwendung von לבשdie Vorstellung steht, dass Gideon mit der רוח יהוהwie mit einem Königsmantel umkleidet ist. Ri 6,33‒35 führt damit nicht nur in die kriegerischen Auseinandersetzungen ein, sondern verweist auch bereits auf die Problematik des Amtes und dürfte damit eines der spätesten Stücke im Erzählkomplex Ri 6‒8 sein. c) Jeftah Auf die Erzählungen über Gideon und Abimelech folgt als nächster großer Richter Jeftah, über den in den Kapiteln Ri 10,17‒12,7 berichtet wird. Die Erzählungen über ihn sind gerahmt von zwei Einträgen zu den kleinen Richtern Tola und Jaїr (Ri 10,1‒4) und zu Ibzan, Elon und Abdon (Ri 12,8‒15). Außerdem geht den Jeftah-Erzählungen ein theoretisches Stück über Israels Untreue in Ri 10,6‒16 voraus, das erneut das Schema, nach dem die Erzählungen des Richterbuches gestaltet sind, entfaltet: Abfall von JHWH ‒ Zorn JHWHs – Bedrohung durch ein Fremdvolk ‒ Hilferuf zu JHWH. Allerdings ist dieses Schema hier noch um den Gedanken erweitert, dass JHWH nicht sofort bereit ist, die Reue Israels zu akzeptieren (Ri 10,11‒14). Schließlich kann JHWH das Elend Israels doch nicht mehr ertragen (ותקצר נפשו בעמל ישראל, Ri 10,16). Dies ist der Auftakt für die Erzählungen um den Richter Jeftah (Ri 10,17‒12,7). Ri 11,1‒3 bietet eine Einleitung in die Jeftah-Erzählungen, die den biographischen Hintergrund Jeftahs thematisiert. Jeftah stammt aus Gilead und ist der Sohn einer Prostituierten. Nachdem er von seinem Vater und seinen Brüdern verstoßen wurde, lebt er als Anführer einer umherziehenden Gruppe von Männern im Land Tob. Als Israel von den Ammonitern bedroht wird, kommen die Ältesten von Gilead zu Jeftah und wollen ihn dazu bewegen, mit ihnen gegen die Ammoniter zu ziehen (Ri 11,4‒11). Schließlich setzen sie den vormals verstoßenen Jeftah sogar zum Haupt ( )ראשund Obersten ( )קציןüber sich 90 „An drei Stellen ist das Wirken des Gottesgeistes in einem Menschen so vorgestellt, daß der Geist in dem Betreffenden so wohnt, wie der Mensch in den Kleidern steckt (Ri 6,34; 1 Chr 12,19; 2 Chr 24,20); לבשhier also wie sonst ‚sich bekleiden mit‘, nicht transitiv ‚jemanden umkleiden‘, wobei der Geist das Kleid wäre.“ Vgl. JENNI 1971, 859.
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ein (Ri 11,11). Die Verse Ri 11,12‒28 enthalten eine Rede Jeftahs an den König der Ammoniter. Nachdem dieser nicht bereit war, auf Jeftahs Worte zu hören (Ri 11,28), kommt der Geist Gottes über Jeftah ()ותהי על־יפתח רוח יהוה, woraufhin er auf eigentümlichem Wege gegen die Ammoniter zieht (Ri 11,29). Sein Kampf gegen die Ammoniter wird sehr kurz und knapp in den Versen Ri 11,30‒33 erzählt. In Ri 11,34‒40 folgt die Erzählung über Jeftahs Tochter, die er wegen eines vor dem Kampf gegen die Ammoniter gefassten Gelübdes (Ri 11,30‒31) JHWH opfern muss. Ri 12,1‒6 berichtet in ähnlicher Weise wie im Rahmen der Gideon-Erzählung die Verse Ri 8,1‒3 vom Unmut der Ephraimiter darüber, dass Jeftah sie nicht am Kampf gegen die Ammoniter beteiligt hatte. Ri 12,7 schließt mit einem Summarium über die Regierungszeit Jeftahs die Jeftah-Erzählungen ab. Innerhalb der Forschung unbestritten ist, dass Ri 11,1‒11* die ursprüngliche Jeftah-Erzählung enthält, wie aus dem Sohn illegitimer Herkunft doch das Oberhaupt der Gileaditer werden konnte.91 Ebenfalls unbestritten ist die Tatsache, dass es sich bei Ri 11,12‒28 um einen späten Einschub handelt,92 dem vermutlich bereits Num 20 und Dtn 1‒2 vorlagen.93 Ri 12,1‒6 wird ebenfalls gemeinhin als spät angesehen.94 Als eine späte Einfügung wird außerdem die Erzählung um Jeftahs Tochter und sein Gelübde in Ri 11,34‒40 betrachtet, wobei der überlieferungsgeschichtliche Hintergrund umstritten ist.95 Von Bedeutung für die Frage nach dem Geist Gottes ist die literarkritische Einordnung von Ri 11,29. Der Vers greift nach der Rede Jeftahs in Ri 11,12‒28 die Thematik des Kampfes gegen die Ammoniter wieder auf. Bevor aber in Ri 11,33 der Kampf gegen die Ammoniter geschildert wird, stehen noch in Ri 11,30‒31 das Gelübde Jeftahs und in Ri 11,32 eine erneute Notiz, dass Jeftah in den Kampf zieht. W. Groß hält die Geistnotiz in Ri 11,29a für ursprünglich, den zweiten Teil von Vers 29 jedoch für eine sekundäre Ergänzung. Durch die merkwürdige Route, die Jeftah wählt, soll dem Vorwurf der Ephraimiter in Ri 12,1‒6 entgegengetreten werden.96 Ich halte es allerdings nicht für notwendig, Ri 11,29a von 11,29b zu trennen. Die Geistnotiz ist 91 Vgl. W. GROẞ 2009, 557; KRATZ 2000, 212; BECKER 1990, 217. Als Grundbestand werden im Wesentlichen die Verse Ri 11,1a.3.5b.6‒8.11a angenommen. Vgl. KRATZ 2000, 212. 92 Vgl. BECKER 1990, 218; RICHTER 1966 (II); W. GROẞ 2009, 563. 93 Vgl. W. GROẞ 2009, 561‒563. 94 Vgl. BECKER 1990, 221; GROẞ 2009, 565; RICHTER 1966 (I), 326‒328. Richter vermutet allerdings in Ri 12,5 eine alte Tradition. Vgl. RICHTER 1966 (II), 517‒522. Scherer sieht die Episode in Ri 8,1‒3 als von Ri 12,1‒6 abhängig an. Vgl. SCHERER 2005 (I). 95 Vgl. BECKER 1990, 221. Richter sieht das Stück als sekundär an, vermutet aber, dass es bereits vor allen anderen Bearbeitungen, also vordeuteronomistisch, mit Ri 11,1‒11 verbunden wurde. Dem misst auch W. GROẞ 2009, 564 die größte Wahrscheinlichkeit bei. 96 Vgl. ebd., 563.594.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
ebenso sekundär wie das ungewöhnliche Itinerar. Durch den Geisteintrag wird Jeftah, der zuvor lediglich von den Ältesten aus Gilead berufen worden war, nachträglich auch göttlich legitimiert. Diese göttliche Legitimation durch den Geist scheint mir gegenüber dem Gelübde in Ri 11,30‒31 sekundär zu sein. Hinzu kommt, dass in der Verbindung mit dem Geist Gottes in Ri 11,29 und dem etwas planlosen Hin-und-her-Ziehen durch Gilead und Manasse die dynamisierende Wirkung des Geistes Gottes aufscheint, wie sie sich auch in einigen anderen Geistbelegen, vor allem in Ri 13,25 ( ותחל רוח יהוה )לפעמו במחנה־דן, findet, so dass beide Versteile sich aufeinander beziehen. Wenn also das Itinerar erst spät in den Zusammenhang eingetragen worden ist, um auf die Episode mit den Ephraimitern zu reagieren und Ri 12,2 vorzubereiten, dann gilt das auch für den mit dem Itinerar verbundenen Geistbeleg in Ri 11,29a. Durch den Eintrag von Ri 11,29 wird also nicht nur der Zusammenhang zu Ri 12,1‒6 hergestellt, sondern Jeftah wird gleichzeitig von Gott legitimiert, und er wird in eine Reihe mit den Richtern Otniёl, Gideon und Simson gestellt. 2.2.3 Zusammenfassung Es konnte festgestellt werden, dass der Geist Gottes im Richterbuch sowohl in der Otniёl-Episode in Ri 3,7‒11 als auch in den Gideon-Erzählungen (Ri 6‒8), den Jeftah-Erzählungen (Ri 11,1‒12,7) und bei Simson (Ri 13‒16) ein sekundäres Element ist. Allerdings gehen die Geisteinträge in den genannten Richtererzählungen nicht auf eine einheitliche Redaktion zurück. Die SimsonErzählungen sind deutlich durch die stereotype Verwendung der Formulierung mit צלחredaktionell mit den Erzählungen um Saul und David verbunden. Für Otniёl, Gideon und Jeftah wird das Verb צלחnicht verwendet. Bei Otniёl und Jeftah begegnet היה, bei Gideon לבש. Der Simson-Überlieferung kommt für die Untersuchung des Geistes Gottes wie auch für die Untersuchung des Richterbuches überhaupt eine Sonderrolle zu. Die Geistbelege sind hier weitaus breiter gestreut als in den Erzählungen über Otniёl, Gideon und Jeftah, in denen jeweils nur einmal in kurzen Notizen auf den Geistbesitz dieser Richter hingewiesen wird. Auch scheint hinter den Geisttexten der Simson-Überlieferung die Vorstellung auf, dass der Geist Gottes einen einzelnen Menschen mit außergewöhnlicher Kraft ausstatten könnte, so dass der Geist Gottes innerhalb der Simson-Überlieferung dazu herangezogen wird, die besonders rätselhaften Taten Simsons auf Gottes Wirken durch den Geist Gottes zurückzuführen. Gleichzeitig wird durch die Geisteinträge in der Simson-Überlieferung eine deutliche Verbindung zwischen Simson und Saul geschaffen. Die übrigen Geistnotizen in Ri 3,10, 6,34 und 11,29 stehen alle in Zusammenhang mit der Tatsache, dass Otniёl, Gideon und Jeftah gegen die Feinde Israels in den Krieg ziehen. Allerdings ist dieser Zusammenhang eher lose. Von Otniёl wird berichtet, dass der Geist Gottes auf ihn kam, er Richter
2.3 Gottes Geist im Numeribuch
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( )שפטüber Israel wurde und dann gegen die Mesopotamier in den Krieg zog. Der Geist Gottes ist also enger mit der Tatsache des Richterseins verbunden als mit dem Kriegszug. Gideon bläst, vom Geist bekleidet, eine Posaune und bietet ein Heer auf. Bevor er dann aber eigentlich in den Krieg zieht, muss dieses Heer noch durch verschiedene Aktionen verkleinert werden, und Gideon erbittet selbst Beglaubigungszeichen von Gott. In Ri 11,29 führt der Geistbesitz Jeftahs zunächst dazu, dass er durch das Gebiet Manasses und nach Gilead zieht, vermutlich zwar, um ein Heer aufzubieten, aber auch hier folgen die eigentlichen Kriegshandlungen erst in Ri 11,33 und nicht unmittelbar auf den Geistbesitz. Es ist also nicht so, dass der Geist Gottes Personen in erster Linie zu charismatischen Heerführern macht, sondern dass er die Anführer, die Israel erwählt hat (Ri 11,1‒11) oder die von Gott berufen sind (Ri 6), ganz grundsätzlich auszeichnet. Gerade die Tatsache, dass die Abfolge in Ri 3,10 nicht Geistbesitz ‒ Kriegszug ist, sondern Geistbesitz ‒ Richteramt ‒ Kriegszug, lässt dies auch in Zusammenhang damit, dass Otniёl in Ri 3,7‒11 ja gerade als das Paradigma eines Richters gezeichnet ist, besonders deutlich werden. Vor diesem Hintergrund wird auch die Tatsache plausibel, dass es gerade Otniёl, Gideon, Jeftah und Simson sind, die mit dem Geist Gottes ausgezeichnet werden, die kleinen Richter sowie Ehud, Debora und Barak aber nicht. Es sind diejenigen, in denen der Gedanke des Königtums schon mitklingt. Im Falle Simsons geschieht das durch die enge Verbindung mit dem König Saul, bei Gideon dadurch, dass in Ri 8,23 die Frage einer möglichen Herrschaft ( )משלGideons aufgeworfen wird,97 und bei Jeftah durch die Tatsache, dass er zum Haupt ( )ראשund Obersten ( )קציןerhoben wird (Ri 11,11). Im Paradigma, das Otniёl als Einstieg in das Richterbuch bildet, ist der Gedanke, dass Richteramt und Geistbesitz zusammengehören, dann schon fest vorausgesetzt.
2.3 Gottes Geist im Numeribuch 2.3 Gottes Geist im Numeribuch
Neben den bereits dargestellten Texten aus den Samuelbüchern und dem Richterbuch finden sich auch im Buch Numeri markante Texte, in denen Gottes Geist eine signifikante Rolle spielt. Dies sind zum einen die BileamErzählung in den Kapiteln Num 22‒24 und zum anderen die Erzählung von der Übertragung der רוח, die auf Mose liegt, auf siebzig Älteste in Num 11. Das Buch Numeri ist eng mit dem Kontext des Pentateuchs bzw. des Hexateuchs verzahnt und liegt als von diesem Kontext abgegrenztes, eigenständiges Buch im Grunde nur als Resultat der Endredaktion des Pentateuchs vor.98 97
Waschke sieht in der Gideon-Erzählung sogar einen bewussten Gegenentwurf zu David. Vgl. WASCHKE 2001, 20‒24. 98 Vgl. ACHENBACH 2007.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
Es lässt sich im Wesentlichen in vier Teile gliedern: in einen ersten Teil, der noch am Sinai spielt in Num 1,1‒10,10, in einen zweiten Teil, der von der Wanderung Israels vom Sinai bis in das Gebiet von Moab berichtet in Num 10,11‒21,35, in einen dritten Teil in Num 22‒25, der erste Eroberungen im Ostjordanland zum Inhalt hat und in den die Bileam-Kapitel in Num 22‒24 gehören, sowie in einen vierten Teil in Num 26‒36, der auf die Eroberung auch des Westjordanlandes vorausblickt. Diese einfache Vierteilung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Numeribuch verschiedene Traditionen vorliegen, die teilweise in der Exoduserzählung ihren Ursprung haben und bis in die im Josuabuch erzählte Landnahme hineinreichen. Wesentliche Erzählstränge bzw. Textgruppen im Numeribuch sind zum einen die Gesetzestexte in Num 5; 6; 8,5‒19; 18; 19; 27,6‒11; 28‒29; 30; 35 und 3699 sowie zum anderen die Erzählungen von der Wüstenwanderung Israels, die vor allem in Num 10,11‒21,35 vorliegen. Fester Bestandteil der Wüstenüberlieferung sind die Erzählungen von der Unzufriedenheit des Volkes, die sich in Num 11,1‒3 (Unzufriedenheit des Volkes), 11,4ff (Wachtelerzählung und Ältestenbeauftragung), 12 (Opposition Aarons und Mirjams), 13‒14 (Kundschaftererzählungen), 16‒17 (Aufstände), 20 (Wasser aus dem Felsen) und 21,4b‒9 (eherne Schlange) finden und die in einen Zusammenhang mit vergleichbaren Erzählungen im Exodusbuch in Ex 15,23‒25a (Wasserwunder in Mara), 16,1‒15 (Wachtel-Manna-Erzählung) und 17,1b‒7 (Wasser aus dem Felsen) gehören.100 Weitere Textgruppen sind die Zählungen in Num 1‒2, 3– 4 und 26, die dem Numeribuch seinen Namen gegeben haben, und die Texte über die Landverteilung, die sich in Num 32, 33,50‒56 und 34‒45 finden. Vor allem in Num 11 sind verschiedene der hier aufgezeigten Erzählstränge miteinander verbunden.101 Im Hinblick auf das Verständnis von רוחin Num 11 und 22–24 ist es allerdings so, dass die dort getroffenen Aussagen keine Beziehungen in den näheren Kontext des Pentateuchs zeigen. Falls sie durch andere Texte zu Gottes Geist beeinflusst sein sollten, dann liegen diese wenigstens in Num 11 außerhalb des unmittelbaren Erzählkontextes. Insofern können und müssen die Geistaussagen in beiden Texten zunächst je für sich dargestellt werden.
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Zu den Gesetzestexten im Pentateuch vgl. GERTZ 2010, 222. Zur Überlieferung der Wüstenwanderung und den Verbindungen des Numeribuches in das Exodusbuch vgl. L. SCHMIDT 2007. 101 Unabhängig von den hier erwähnten Erzählsträngen weist das Numeribuch sowohl deuteronomistische Bearbeitungen als auch Bearbeitungen bzw. Themen auf, die in einem priesterlichen Zusammenhang stehen. Zu einer möglichen Einordnung der Bearbeitungsschichten vgl. ACHENBACH 2007. 100
2.3 Gottes Geist im Numeribuch
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2.3.1 Die Erzählung von der Geistübertragung in Num 11 a) Die Komposition des Erzählstoffes in Num 11 Die Erzählung von der Geistübertragung in Num 11 hat ihren Ort, wie oben beschrieben, in den Erzählungen über die Wüstenwanderung Israels. Des Weiteren ist sie eingebettet in eine Erzählung über die Unzufriedenheit des Volkes in Num 11,4‒35. Bevor also über die רוחin Num 11 gesprochen werden kann, ist es notwendig, die verschiedenen Erzählstränge in Num 11 voneinander zu unterscheiden. Der Text in Num 11 steht zu Beginn der Wüstenwanderung Israels vom Sinai in das Gebiet von Moab. In Num 10,11‒36 wurde der Aufbruch Israels vom Sinai geschildert. Auf eine erste, kurze Beschreibung des Aufbruchs und des Weges vom Sinai nach Paran in Num 10,11‒12 folgt eine Auflistung aller Stämme und Heerscharen in Num 10,14‒27. Das Kapitel Num 10 endet damit, dass die Begleitung Israels durch die Wolke JHWHs ( )ענן יהוהund die Lade ( )הארןbeschrieben wird (Num 10,33‒36). Mit Num 11 beginnt dann eine ganze Folge von Geschichten, die sich alle um die Unzufriedenheit Israels in der Wüste ranken (Num 11; 12; 13‒14; 16–17; 20; 21,4b‒9), wobei auffällig ist, dass die Unzufriedenheit des Volkes in Num 11, 12, 20 und 21,4‒9 nicht mit dem hebräischen Verb לון „murren“ oder mit der substantivierten Form תלונהbeschrieben wird, die in Num 14 und 16‒17 und daneben auch in Ex 15,23‒25, 16,1‒15 und 17,1b‒7 verwendet wird.102 Vielmehr verwendet Num 11 stattdessen die Verben אנן „klagen“ (Num 1,1) bzw. „ בכהweinen“ (Num 11,4). Das Kapitel selbst beginnt in Num 11,1‒3 mit der Schilderung einer Begebenheit, in der das Volk ganz allgemein und ohne offensichtlichen Anhalt klagt. Aufgrund dieser Klage entbrennt JHWHs Zorn, und es lodert Feuer am Rande des Lagers der Israeliten auf. Das Volk schreit daraufhin zu Mose, der als Fürbitter für das Volk vor JHWH tritt, woraufhin das Feuer wieder verschwindet. Auf diese abgeschlossene Begebenheit folgt ab Num 11,4 eine neue Erzählung, in der das Volk ebenfalls beginnt, zu weinen ( )בכהund sich zu beklagen. Die Klage des Volkes reicht bis Num 11,6. Sie bezieht sich vor allem darauf, dass die Israeliten des Manna überdrüssig sind und stattdessen nach Fleisch verlangen. Die Speisen, von denen sie behaupten, dass sie sie in Ägypten sogar umsonst ( )חנםgenossen haben, werden in aller Ausführlichkeit beschrieben. In Num 11,7‒9 folgt daraufhin eine belehrende Notiz über Gestalt, Geschmack und Eigenart des Mannas. Vers 10 berichtet, wie auf die Klage des Volkes hin sowohl der Zorn JHWHs entbrennt als auch Mose betrübt wird. Sodann folgen zwei Redeteile. In Num 11,11‒15 findet sich zunächst eine Klage Moses, in der dieser sich selbst als Knecht JHWHs (עבד, Num 11,11) darstellt und JHWH vorhält, dass er zwar der Knecht JHWHs ist, das Volk aber nicht wie eine Amme mit Nahrung versorgen kann (Num 11,12). 102
So z.B. in Ex 15,24; 16,2; 17,3; Num 14,27; 17,6.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
Die ihm zugeteilte Aufgabe empfindet Mose als zu schwer, so dass er sich lieber den Tod wünscht, als sie weiter ausführen zu müssen (Num 11,15). Daraufhin redet JHWH zu Mose und reagiert in seiner Rede auf zweierlei: Zum einen antwortet er unmittelbar auf die vorausgegangene Klage des Mose und verspricht, von der רוח, die auf Mose ist ()ואצלתי מן־הרוח אשר עלך, etwas auf siebzig Männer, die aus den Ältesten Israels ( )מזקני ישראלausgewählt wurden, zu übertragen (Num 11,16‒17). Außerdem reagiert er in Num 11,18‒20 auf die Klage des Volkes und kündigt an, ihnen so viel Fleisch zu essen zu geben, bis sie es nicht mehr riechen können. In Num 11,21‒23 trägt Mose seine Zweifel an dieser Ankündigung vor, die JHWH mit der Frage zum Schweigen bringt: „Ist denn die Hand JHWHs zu kurz?“ ()היד יהוה תקצר. Es folgt in Num 11,24‒25 die Umsetzung der Geistübertragung auf die Ältesten und in Num 11,31‒33 die Versorgung der Israeliten mit Fleisch im Überfluss in Form eines Wachtelwunders, das hier darauf zurückgeführt wird, dass JHWH einen Wind (ebenfalls mit )רוחschickt, der die Wachteln in einiger Entfernung vom Lager niederfallen lässt (Num 11,31). Num 11,33 berichtet vom Zorn JHWHs, der angesichts der Gier, mit der sich das Volk auf die Wachteln stürzt, entbrennt, so dass er sie mit einer nicht näher bestimmten Plage ( )מכהschlägt. Davon, dass die Israeliten von allein des im Überfluss vorhandenen Fleisches überdrüssig werden, wie es in Num 11,19‒20 eigentlich angekündigt war, wird hier nicht berichtet. Num 11,34 macht aus der Wachtelerzählung eine Ätiologie für die Ortsbezeichnung „ קברות התאזהLustgräber“, und Num 11,35 schildert den Weiterzug der Israeliten von den Lustgräbern nach Hazerot. Wie diese inhaltliche Übersicht zeigt, sind in Num 11,4ff offenkundig mindestens zwei Erzählstoffe miteinander verbunden: Dies ist zum einen das Murren des Volkes, das des Mannas überdrüssig ist, sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens sehnt und auch noch mitten in der wundersamen Versorgung mit Wachteln durch JHWH seine Gier offenbart. Zum anderen ist mit der Wachtelerzählung die Übertragung der רוח, die auf Mose liegt, auf siebzig Älteste verbunden, die Mose dabei unterstützen sollen, die Last des Volkes zu tragen. Die Verse in Num 11,1‒3 gehen der Erzählung vom Wachtelwunder und der Geistübertragung auf die Ältesten voraus, wobei in ihnen keine eigenständige Überlieferung vorliegt, sondern sie vielmehr als eine beispielhafte Einleitung in die in den folgenden Kapiteln vorliegenden Erzählungen vom Unmut des Volkes zu verstehen sind, so wie auch Ri 3,7‒11 eine beispielhafte Einleitung in die Richterzeit ist.103 Das Vorliegen dieser beiden Erzählstoffe in Num 11 hat zu verschiedenen Entstehungshypothesen dieses Kapitels geführt: Zumeist wird der Textbestand in Num 11,4‒34 in eine 103
So bereits FRITZ 1970, 70, der die Verse allerdings noch dem Jahwisten zugeschrieben hat. Dass es sich um eine relativ junge literarische Bildung handelt, ist mittlerweile Konsens. Vgl. AURELIUS 1988; STAUBLI 1996, 242; L. SCHMIDT 2004, 20.
2.3 Gottes Geist im Numeribuch
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Wachtel-Grunderzählung und in eine ergänzende Ältestenerzählung geschieden.104 Auch L. Schmidt erkennt in seinem Kommentar zum Numeribuch105 eine ursprüngliche vom Jahwisten stammende Wachtelerzählung in Num 11,4b*–6.10bα.31–34*, die aus dem Ortsnamen Kibrot-Taawa entwickelt worden sei. Diese ursprüngliche Erzählung lässt Mose unerwähnt und erklärt das Aufkommen der Wachteln mit einem Wind ( )רוחJHWHs.106 In diese Wachtelerzählung sei, so Schmidt, eine „Ältestenschicht“ eingetragen worden, die gleichzeitig Bezüge zum elohistischen Werk zeige.107 Diese Ältestenschicht liege in Num 11,10a.bβ.11‒17.24*.25.30.33bα vor. Die Verse Num 11,18‒23 und 11,24a führt Schmidt auf die Pentateuchredaktion zurück. Gleichwohl bereitet die Tatsache, dass die Erzählstoffe auf der Ebene des Endtextes so kunstvoll miteinander verwoben sind, dass Wachtel- und Ältestenerzählung ineinandergreifen und einander bedingen, verschiedene Probleme.108 Auf der Ebene des Endtextes folgt die Erzählung einer strengen Zweiteilung: Zu Beginn stehen zwei Klagen, nämlich die Klage des Volkes (Num 11,4‒10a) und die Moses (Num 11,10b‒15). Darauf folgt eine zweigeteilte Antwort Gottes (Num 11,16‒20.23) und eine in zwei Teilen erzählte Umsetzung der Rede Gottes in Form der Geistübertragung auf die Ältesten (Num 11,24‒30) und des Wachtelwunders (Num 11,31‒34).109 Die Schwierigkeit besteht darin, aus dieser Wachtel-Ältesten-Erzählung einen Kern herauszuarbeiten, der auch eigenständig und ohne die anderen sinnvoll existiert habe könnte. Hebt man die Erzählung von der Geistübertragung auf die Ältesten in Num 11,24‒30 vom übrigen Geschehen ab, so muss man gleichzeitig auch die Klage Moses und die zweigeteilte Antwort Gottes in Num 11,10b‒15 und 11,16‒20 ausscheiden; denn die Klage Moses ist ja erst der Auslöser für die Übertragung des Geistes auf die Ältesten. In ihr wird erst deutlich, dass die Last, die Mose am Volk zu tragen hat, zu schwer ist, so dass es der Verteilung dieser Last auf siebzig Älteste bedarf.110 Die verbleibende und von 104
So beispielsweise Schart, der die Grunderzählung in den Versen 4‒6.18‒24a.31‒34 und die Ergänzungserzählung in den Versen 16‒17.24b‒30 sieht. Vgl. SCHART 1990, 163. Davor bereits FRITZ 1970, 70ff. Zuletzt auch Achenbach, vgl. ACHENBACH 2003, 266, wobei er den Grundbestand von Num 11 sehr jung ansetzt. Er sieht in ihm ein Erzählfragment „aus einer Reformulierung der Exoduslegenden in nach-exilischer Zeit“. Genau umgekehrt, also für eine „Ältestensage“ als „Grundschicht“ und für eine ergänzende „Wachtelvariante“, argumentiert SEEBASS 2003, 36. 105 L. SCHMIDT 2004. 106 Ebd., 21. 107 Ebd., 22. 108 Bereits Noth hatte dieses Problem gesehen: „Die Einheitlichkeit von Num 11 ist kein literarkritisches, sondern ein überlieferungsgeschichtliches Problem; denn verschiedene Stoffe sind hier zu einer nicht mehr auflösbaren Einheit verschmolzen.“ NOTH 1984, 34. 109 Vgl. auch die schematische Darstellung bei STAUBLI 1996, 242. 110 Dass die Klage in Num 11,11–15 mit der übrigen Erzählung zusammengehört, hat bereits Aurelius gesehen. Vgl. AURELIUS 1988, 178.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
L. Schmidt als jahwistisch postulierte Wachtelerzählung in Num 11,4b*– 6.10bα.31–34* bietet isoliert von der Klage Moses mit Num 11,33.34 ein etwas drastisches Ende. Verständlich wird dieses Ende, wenn man die Klage Moses in Num 11,11aα.13 hinzunimmt,111 da so bereits vorher die unzulässige Gier der Israeliten ausreichend thematisiert worden ist. Diese Erzählung über die Gier der Israeliten, die Speisung mit Wachteln und die gleichzeitig mit dieser verbundenen Strafe (Num 11,4b.10.13.31–34) bildete den Grundbestand von Num 11. In diese Erzählung wurden mehrere erklärende Zusätze eingetragen: zum einen die Leseanweisung in Num 11,1–3 sowie die Antwort JHWHs auf die Frage Moses in Num 11,13, die in Num 11,16a.18–20 vorliegt und die den Zorn JHWHs und die Plage aus Num 11,35 noch einmal zusätzlich erklärt und interpretiert. Sekundär hinzugetreten ist dann auch die Stilisierung Moses als Propheten in Num 11,11–15 sowie die daran angeschlossene Übertragung des Geistes auf die siebzig Ältesten, die somit eine der jüngsten Schichten in Num 11 darstellt. Die Geistübertragung auf die siebzig Ältesten in Num 11,16.17.24–25 hat in Num 11,16–30112 eine weitere Ergänzung erfahren. Ein sekundärer Eintrag liegt auch in den Erläuterungen über die Beschaffenheit des Mannas in Num 11,7‒9 vor. b) Die Übertragung des Geistes auf die siebzig Ältesten Nachdem nun die Verknüpfung der Erzählstoffe in Num 11 geklärt wurde, kann die Bedeutung, die die רוחin diesem Kapitel hat, in den Blick genommen werden. Darüber, dass Mose Unterstützung benötigt, wird noch an zwei anderen Stellen innerhalb der Mose-Überlieferung berichtet, und zwar in Ex 18,13‒27 und in Dtn 1,9ff. In Ex 18,13‒27 regelt Mose die Rechtsstreitigkeiten des Volkes ()שפט, die offensichtlich in so großer Zahl bestehen, dass er damit vom Morgen bis zum Abend beschäftigt ist. Auf Rat seines Schwiegervaters setzt Mose Gehilfen für sich ein. Diese werden als Leute beschrieben, die kräftig sind, Gott fürchten, zuverlässig sind und ungerechte Gewinne hassen (אנשי־חיל יראי אלהים אנשי אמת שנאי בתע, Ex 18,21), und sie werden von Mose zu Häuptern über das Volk, zu Obersten ( )שריםüber tausend, über hundert, über fünfzig und über zehn eingesetzt (Ex 18,25). Das Problem, das Mose in Ex 18 hat, ist klar auf das Richten des Volkes ( )שפטbegrenzt, und die Aufgabe, die die neu eingesetzten Gehilfen haben, ist ebenfalls aus111 Frankel sieht die Klage und die Strafe in Num 11 wie auch in Ex 14 und 16 als spätere Zusätze an und sieht den Kernbestand der Erzählungen in der wundersamen Bewahrung des Volkes in der Wüste durch Gottes unmittelbare Hilfe, die nicht erst durch eine Klage oder Bitte veranlasst werden muss. Vgl. FRANKEL 2002, 26. 112 So bereits NOTH 1963, 80. Achenbach sieht die Episode um Eldad und Medad als zur Ältestenschicht gehörig an. Vgl. ACHENBACH 2003, 262ff. So ebenfalls SCHARBERT 1992.
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schließlich darauf bezogen (Ex 18,26). Von Ältesten ( )זקןwie in Num 11 lesen wir in Ex 18 nichts. Dtn 1,9ff bezieht sich deutlich auf Ex 18. In Dtn 1,15 findet sich eine ähnliche Beschreibung wie in Ex 18,25, die die gleichen Amtsbezeichnungen verwendet (ראש, )שר, und auch das Aufgabengebiet der Gehilfen ist, wie in Ex 18, das Richten des Volkes (Dtn 1,16.17). Num 11 hebt sich von diesen beiden Texten, Ex 18 und Dtn 1, ab.113 Das Problem, mit dem sich Mose in Num 11 konfrontiert sieht, ist nicht auf die Ausübung fest umrissener Amtsgeschäfte bezogen, die sich problemlos auf andere übertragen lassen. Mose wird in Num 11 auch nicht als ein „Richter“ über die Israeliten dargestellt, sondern erscheint vor allem durch seine Klage als ein Prophet in Anlehnung an Schriftpropheten wie Jesaja114 und Jeremia.115 Ein weiterer Unterschied zwischen Num 11 und Ex 18 ist darin zu sehen, dass Mose in Ex 18 nicht selbst an der Fülle seiner Aufgaben verzweifelt, sondern das Aufteilen der Arbeit ein von außen kommender Vorschlag ist. In Num 11 geht es also nicht um die Übertragung eines einzelnen Aufgabenbereiches an dafür ausgewählte und besonders qualifizierte Funktionsträger, sondern es geht darum, die Gesamtlast und die Gesamtverantwortung, die Mose trägt und die er zu tragen sich allein nicht mehr in der Lage sieht (Num 11,15), auf viele Schultern zu verteilen. Die Gruppe, die dafür ausgewählt wird, sind die siebzig Ältesten. Älteste begegnen in der Mose-Überlieferung bereits an verschiedenen anderen Stellen insbesondere im Exodusbuch (Ex 3,16.18; 4,29; 12,21; 17,5.6; 18,12; 19,7; 24,1.9).116 Im Numeribuch begegnen die Ältesten nur noch in Num 16,25, danach ist erst wieder im Buch Deuteronomium von ihnen die Rede, dort allerdings weniger im Sinne von Mitverantwortlichen während der Wüstenwanderung, sondern im Sinne von Amtsträgern in einem 113 Will man die Texte Ex 18 und Dtn 1,9ff in eine Reihenfolge bringen, so ist Num 11 deutlich der jüngste Text, wie auch die folgenden Ausführungen noch zeigen werden. Dass Dtn 1,9‒18 eine Wiederaufnahme von Ex 18 ist, ist nahezu unumstritten. Num 11 wurde bereits von Aurelius für den jüngsten Text gehalten. Vgl. AURELIUS 1988, 180. Anders Schart, der die Texte in der Reihenfolge Ex 18, Num 11, Dtn 1 sieht. Vgl. SCHART 1990, 166. 114 Vgl. ACHENBACH 2003, 260. 115 Vgl. dazu AURELIUS 1988, 184. 116 Über die Ältesten überhaupt ist viel Kontroverses geschrieben worden. Ihre Funktionen und Zuordnungen sind auf literarischer Ebene so vielfältig, dass es schwierig ist, zu dem Begriff „Ältester“ ein fest umrissenes Amt zu rekonstruieren. V. Wagner hat die verschiedenen Kontexte, in denen Älteste belegt sind, beschrieben und trotz der Bandbreite der Belege das Amt historisch in der Königszeit verankert. Vgl. V. WAGNER 2002. Achenbach sieht eine Entsprechung zum Amt der Ältesten erst in nachexilischer Zeit. Vgl. ACHENBACH 2003, 251–259. Zumindest für die hellenistische Zeit ist tatsächlich auch außerbiblisch ein Ältestenamt bezeugt (Josephus, Ant. XII 138; 2 Makk 11,27–33). Vgl. GRÄTZ 2006, 420.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
neu zu gründenden Gemeinwesen.117 Von siebzig Ältesten ist außer in Num 11 noch in Ex 24 die Rede. In Anbetracht der Tatsache, dass die Ältesten ab Num 11 in den Hintergrund treten, stellt sich die Frage, warum sie zuvor noch mit Gottes Geist begabt werden. Literarisch sind die Ältesten also mit unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen breit bezeugt. In Num 11 verhält es sich so, dass das Projekt der Wüstenwanderung angesichts des unzulässigen Murrens des Volkes nicht mehr eine Angelegenheit sein soll, die einer allein, nämlich Mose, zu verantworten hat, sondern dass möglichst wieder alle in dem Bewusstsein agieren, dass der Auszug aus Ägypten und das Wandern in ein neues Land das einzig Richtige sind. Zieht man dann aber die Tatsache in Betracht, dass Num 11 ganz offensichtlich eine späte Komposition verschiedener Überlieferungsstränge ist, die auch relativ junge Texte wie Joel 3 zu kennen scheint, und dass es dieser Schicht darum geht, die Verantwortung und den Geistbesitz auf viele zu übertragen und nicht auf eine Person zu beschränken, kann man, wenn auch unter Vorbehalt, in Erwägung ziehen, ob hinter den Ältesten aus Num 11 nicht die γερουσία Jerusalems aus hellenistischer Zeit steht.118 Bezogen auf den Geist hat die Erzählung in Num 11 Parallelen in 1 Sam 10,6‒13 und 19,18‒24. Auch in diesen Texten wird davon berichtet, wie Saul durch den Geist Gottes zusammen mit Prophetenscharen in Ekstase gerät. Sowohl in Num 11,25 als auch in 1 Sam 10,6.10.11 und in 1 Sam 19,20.21.23 wird für die Beschreibung der Ekstase das hebräische Verb נבאim Hitpael verwendet.119 In Num 11,25 ist allerdings der Vorgang, durch den der Geist auf die Ekstatiker gerät, ein anderer. Während in 1 Sam 10 und 19 durchgehend das Verb צלחverwendet wird und der Geist Gottes unmittelbar auf die betreffenden Personen kommt, wird hier von der רוח, die zunächst auf Mose ist, genommen und auf die siebzig Ältesten übertragen, wo sie „zur Ruhe kommt“ ()נוח. Das hier verwendete Verb נוחdrückt etwas ganz anderes aus als das Verb צלח. Es geht hier nicht um ein punktuelles Ergriffensein vom Geist Gottes, sondern darum, dass der Geist dauerhaft auf den Ältesten bleiben wird.120 Dementsprechend ist die Ekstase in Num 11 nicht die ausschließliche Wirkung des Geistes, sondern sie ist das sichtbare Zeichen dafür, dass die Übertragung der רוחtatsächlich stattgefunden hat. Diejenigen, auf die die Komposition und die Erzählung von der Geistübertragung zurückgeht, kannten also sowohl den Gedanken des dauerhaften Geistbesitzes im Sinne eines Amtscharismas, wie wir es von David aus 1 Sam 16 kennen, als auch 117
Vor allem in Dtn 21.22.25. Vgl. GERTZ 1994, 172–225. Schmitt geht davon aus, dass die Ältesten der Mose-Überlieferung auf Kreise zurückgehen, „die sich für die zentrale Rolle eines das nachexilische Gottesvolk insgesamt repräsentierenden Ältestengremiums einsetzen“. Vgl. SCHMITT 2008, 69. 119 Es begegnet sonst nur noch in 1 Kön 18,29 für die Beschreibung der Ekstase der Baalspropheten. 120 So auch SCHART 1990, 164. 118
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die Vorstellung von geistgewirkter Ekstase, wie sie sich in 1 Sam 10 und 19 findet. Gleichzeitig kannten sie offenkundig aber auch die Vorstellung einer Geistausgießung auf das ganze Volk, wie sie sich in späten Prophetentexten, vor allem in Joel 3,1, findet. Die Episode um Eldad und Medad führt den Geistbesitz noch über die Übertragung des Geistes auf die siebzig Ältesten hinaus. Eldad und Medad waren im Lager geblieben, obwohl sie ebenfalls aufgeschrieben waren, mit den Ältesten zum Zelt der Begegnung zu gehen. Num 11,26 berichtet, dass auch auf diesen beiden die רוחzur Ruhe kommt ( )נוחund dass auch sie in Ekstase geraten. An dieser Stelle tritt nun, erstmals in Num 11, Josua auf den Plan, der Mose ersucht, dies zu unterbinden. Mose aber ist vollkommen einverstanden mit dem Geschehen und äußert den Wunsch: „Wollte Gott, dass alle im Volk des Herrn Propheten wären und JHWH seinen Geist über sie kommen ließe!“ (ומי יתן כל־עם יהוה נביאים כי־יתן יהוה את־רוחו עליהם, Num 11,29). Die Intention dieser Ergänzung in Num 11,26‒29 ist es zu zeigen, dass der Geistbesitz unabhängig von einem besonderen Akt, der Zugehörigkeit zu einem besonderen Gremium oder unabhängig von der Nähe zum Zelt der Begegnung möglich ist und von einer Autorität wie Mose und nicht zuletzt von Gott sogar erwünscht wird. Mose sagt es selbst: Der Idealzustand wäre, wenn alle im Volk den Geist besäßen. Dass dafür unabhängig von der Anwesenheit am Zeltheiligtum dennoch eine besondere Eignung nötig ist, zeigt sich in den Namen Eldad und Medad. Eldad bedeutet „Gott hat geliebt“, Medad „der Geliebte“.121 Wären also alle so vorbildlich in ihrem Lebenswandel, dass sie von Gott geliebt werden, könnten alle zu Geistträgern werden.122 Bezogen sich die Verse Num 11,24‒25 noch darauf, dass der Geist Gottes im Sinne eines Amtscharismas auf mehrere Männer übertragen werden sollte, die Mose im Verlauf der Wüstenwanderung unterstützen sollten, machen die Verse Num 11,26‒29 deutlich, dass es die Nähe zu Gott selbst und nicht die Zugehörigkeit zu einem Amt ist, die Geistbesitz möglich macht, und dass dies potenziell allen gilt, die sich zu Gott halten. Offensichtlich wollten diejenigen, die diese Verse in Num 11,26‒29 noch ergänzt haben, dem Umstand wehren, dass der Geistbesitz, der in Num 11,24‒25 ja bereits eine Öffnung von der Vorstellung, dass eine Person Geistträger ist, dahin, dass mehrere Personen den Geist besitzen können, erfahren hatte, erneut zu eng gefasst wurde und nur für Personen, die ein bestimmtes Amt bekleiden wollten, in Betracht gezogen werden konnte. Durch den Eintrag der Geistübertragung auf die siebzig Ältesten in Num 11 wird aber noch ein drittes Ziel erreicht. Dadurch, dass die Übertragung der רוחso beschrieben ist, dass von der רוח, die auf Mose ist, genommen und auf die siebzig Ältesten übertragen wird (Num 11,17), wird auch Mose als ein 121 122
Vgl. ACHENBACH 2003, 265; L. SCHMIDT 2004, 27. Ähnlich auch STAUBLI 1996, 247.
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Geistträger charakterisiert und qualifiziert. In der Mose-Überlieferung spielte der Gedanke, dass Mose im Besitz von Gottes Geist handelt, bis hin zu Num 11 keine Rolle, und auch in den Kapiteln, in denen Mose Josua als seinen Nachfolger einsetzt, in Num 27 und in Dtn 34,9, geht es ausschließlich um den Geist Josuas und nicht um den Geist Moses. Insgesamt müssen die Verse über die Geistübertragung und damit auch die Komposition in Num 11 überhaupt als relativ jung und in jedem Fall als nachexilisch betrachtet werden, wie die Öffnung der Vorstellung vom Geistbesitz zeigt.123 Es werden hier verschiedene Vorstellungen in den Text eingetragen. Zum einen ist der Text von der Übertragung des Geistes auf die siebzig Ältesten von dem Gedanken geprägt, dass nicht nur Einzelne Gottes Geist besitzen können, sondern dass auch größere Gruppen Träger von Gottes Geist sein können. Durch diese Vorstellung hebt sich Num 11 von allen übrigen Texten zu Gottes Geist in den erzählenden Büchern deutlich ab. Zum anderen wird Gottes Geist durch das Verb נוחnicht mehr als eine Kraft beschrieben, die spontan von den Menschen Besitz ergreift, sondern sie bekommt den Charakter einer dauerhaften Gabe. Und zuletzt wird Mose als Geistträger par excellence eingeführt, der ganz selbstverständlich schon immer über den Geist verfügte und an dessen Geistgabe auch die siebzig Ältesten partizipieren können. 2.3.2 Die Bileam-Erzählung in Num 22–24 a) Kompositionsgeschichtliche Erwägungen Die Bileam-Erzählung hat ihren Ort in der zweiten Hälfte des Numeribuches. Die Kapitel Num 10,11‒21,20 berichten von der Wanderung des Volkes Israel durch die Wüste ins Ostjordanland. In Num 21,21‒35 kommt es zu ersten Eroberungen und Siegen über die dort ansässigen Völker, namentlich über Sihon, den König der Amoriter, und über Og, den König von Baschan. Diese Siege sind der Ausgangspunkt für die Problematik der folgenden Kapitel Num 22‒24. Angesichts der militärischen Erfolge Israels fürchtet sich Balak, der König der Moabiter, vor den Israeliten (Num 22,3). Daher sendet er Boten zu Bileam, einer in Petor124 am Euphrat ansässigen Kapazität (Num 22,5), die offensichtlich dazu in der Lage ist, Verfluchungen auszusprechen, und bittet ebendiesen, das Volk Israel zu verfluchen (Num 22,6). Bileam stellt von vornherein klar, dass er nur das zu tun in der Lage ist, was Gott ihm auch zu tun gestattet (Num 22,18.38), und die Geschichte endet dann auch damit, dass Bileam das Volk Israel dreimal segnet (Num 23,7‒10; 23,18‒24; 123 Dies entspricht auch dem neuesten Forschungsstand zu Num 11. Vgl. vor allem ACHENBACH 2003. 124 Das Petor der Bileam-Erzählung ist wahrscheinlich mit Pitru am Euphrat (ca. 600 km von Moab entfernt) zu lokalisieren. Vgl. STAUBLI 1996, 293.
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24,3‒9), anstatt es zu verfluchen, woraufhin er von dem zornentbrannten Balak entlassen wird (Num 24,10‒11). Die Erzählung ist recht komplex und enthält zahlreiche Wendungen, über die noch gesprochen werden muss. In groben Zügen lässt sie sich allerdings folgendermaßen gliedern: Num 22,1‒4 beschreibt die Ausgangslage der Erzählung. Die Israeliten sind in das Gebiet der Moabiter gezogen, Balak hat von ihren Siegen gehört und fürchtet sich. Num 22,5‒14 handelt dann von der ersten Gesandtschaft Balaks zu Bileam, die auf eine – im Gespräch Bileams mit Gott herbeigeführte – Absage Bileams hinausläuft. Num 22,15‒20 berichtet von einer zweiten Gesandtschaft und dem, wiederum in Rücksprache mit Gott, gefassten Entschluss Bileams, zu Balak zu ziehen. In Num 22,21‒35 folgt auf diese Berichte eine sehr märchenhafte Episode, in der der Engel JHWHs Bileam und seiner Eselin erscheint, zunächst aber nur von der Eselin wahrgenommen wird. Der Engel ( )מלאךJHWHs versucht zunächst, Bileam von seinem Vorhaben abzubringen, lässt ihn am Ende aber doch ziehen unter der Bedingung, dass er nichts anderes, als was der Engel ihm sagen werde, reden solle (Num 22,35). Die Verse Num 22,36‒40 schildern die Ankunft Bileams bei Balak. In Num 22,41‒23,12 und 23,13‒26 folgen die ersten beiden Versuche, das Volk Israel zu verfluchen, in deren Zusammenhang Balak und Bileam Opfer darbringen, Bileam jeweils JHWH begegnet und letztlich das Volk Israel segnet. In Num 23,27‒24,14 findet sich der dritte Versuch, der wieder auf einen Segensspruch über Israel hinausläuft, woraufhin Balak Bileam entlässt. Bevor Bileam zurückgeht, spricht er in Num 24,15‒24 ein viertes Mal, diesmal allerdings mit einer eschatologischen Ausrichtung und verbunden mit Sprüchen über die Nachbarvölker Israels. Innerhalb der Erzählung gibt es zahlreiche Spannungen und Unstimmigkeiten, die zu verschiedenen Thesen zum literarischen Wachstum der BileamErzählungen geführt haben. Zu diesen Spannungen gehören die verschiedenen Bezeichnungen der Würdenträger, die die Gesandtschaften zu Bileam anführen. Sie werden als die Ältesten der Moabiter (זקני מואב, Num 22,7), als Fürsten der Moabiter (שרי־מואב, Num 22,8), als Fürsten Balaks (שרי בלק, Num 22,13) oder als Knechte Balaks (עבדי בלק, Num 22,18) bezeichnet, neben denen außerdem an einer Stelle auch die Ältesten der Midianiter ( זקני מדין, Num 22,7) auftreten. Als weiteres Kriterium für literarkritische Scheidungen in den Kapiteln Num 22‒24 wird außerdem oft der Gottesname herangezogen, der innerhalb der Kapitel zwischen יהוהund אלהיםwechselt. So begegnet in der Eselinnen-Episode in Num 22,22‒35 beispielsweise ausschließlich יהוה, während die Gottesanrede ansonsten durchaus wechseln kann (Num 22,12: ;אלהים22,13: ;יהוה23,3: ;יהוה23,4: אלהיםu.a.). Des Weiteren fällt auf, dass Bileam in der Eselinnen-Episode in Num 22,21‒35 in ganz anderer Weise dargestellt wird, als es im übrigen Teil der Erzählung der Fall ist. Während Bileam in der übrigen Erzählung von Anfang an darauf bedacht ist, sich an den Willen Gottes zu halten, und er sich in
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regelmäßigem Austausch mit Gott befindet, zeichnen die Verse Num 22,21‒ 35 das Bild eines Mannes, der in Bezug auf die Begegnung und die Erkenntnis des Göttlichen und des göttlichen Willens sogar noch hinter den Möglichkeiten einer Eselin zurückbleibt. Gleichzeitig handelt Bileam in Num 22,21‒ 35 ganz offensichtlich dem göttlichen Willen zuwider, obwohl Gott eigentlich bereits in Num 22,20 seine Einwilligung zu der Reise Bileams gegeben hatte. Problematisch ist auch das Verhältnis der verschiedenen Sprüche Bileams in Num 23,7‒10, 23,18‒24, 24,3‒9 und 24,15‒24 zueinander. Während die ersten drei klar auf Israel bezogen bleiben, geht der vierte Spruch in Num 24,15‒24 über Israel hinaus und verheißt auch das Schicksal der Völker in Israels Nachbarschaft. Aber auch zwischen den ersten beiden Sprüchen und dem dritten Spruch in Num 24,3‒9 gibt es Unterschiede. Während die Sprüche in Num 23,7‒10 und 23,18‒24 das Ergebnis einer Begegnung zwischen Bileam und JHWH sind und JHWH das zu redende Wort Bileam jeweils in den Mund gibt (וישם יהוה דבר בפי בלעם, Num 23,5.16), wird in den dem dritten Spruch in Num 24,3‒9 vorausgehenden Versen nichts von einer Begegnung zwischen Bileam und JHWH berichtet. Der dritte Spruch ist vielmehr das Ergebnis davon, dass der Geist Gottes auf Bileam gekommen ist (ותהי עליו רוח אלהים, Num 24,2). Außerdem enthält der dritte Spruch im Vergleich zu den beiden ersten Sprüchen eine Einleitung, die Bileam als Sprecher einführt und seine Autorität untermauern soll (Num 24,3‒4). Die gleiche Einleitung hat auch der vierte Spruch (Num 24,15‒16). Allerdings geht diesem keine irgendwie geartete Begegnung mit Gott voran, sondern Bileam spricht direkt aus sich selbst heraus. Insgesamt kann man über alle vier Sprüche hinweg eine Entwicklung beobachten. Während der erste Spruch noch relativ kurz ist und vor allem darauf abzielt, dass Bileam dieses Volk nicht verfluchen kann (מה אקב לא קבה אל ומה אזעם לא זעם יהוה, Num 23,8), und ansonsten beschreibt, dass das Volk Israel abgesondert von den Heiden wohnen wird und von großer Zahl ist (Num 23,9), ist der zweite Spruch hinsichtlich seiner Ausführungen zu Israel bereits ausführlicher. Es wird gesagt, dass kein Unheil in Israel ist und dass Gott mit ihm ist (Num 23,21), dass Gott es aus Ägypten geführt hat (Num 23,22) und dass es weder Zauberei ( )נחשnoch Wahrsagerei ( )קסםin Israel gibt (Num 22,23). Darüber hinaus enthält der zweite Spruch auch eine Art Verheißung für Israel, wenn es heißt, dass es aufstehen wird wie ein junger Löwe (הן־עם כלביא יקום וכארי יתנשא, Num 23,24). Der dritte Spruch entfaltet dann den Segen über Israel in aller Ausführlichkeit (Num 24,5‒9). Der vierte Spruch hat weniger den Segen über Israel zum Inhalt als das durchweg vernichtende Schicksal seiner Nachbarvölker. Gleichzeitig gibt es verbindende Elemente zwischen den Sprüchen. Alle vier Sprüche werden mit der Redewendung eingeleitet וישא משלו ויאמר (Num 23,7.18; 24,3.15). Der dritte und der vierte Spruch haben darüber hinaus die jeweils gleichlautende, Bileam als Sprecher einführende und autori-
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sierende Redeeinleitung (Num 24,3‒4 und 24,15‒16). Zwischen dem zweiten und dem dritten Spruch gibt es außerdem Stichwortverbindungen. Beide Sprüche vergleichen Israel mit einem Löwen ( לביאund אריin Num 23,24 und 24,9), und in beiden Sprüchen heißt es: אל מוציאם ממצרים כתועפת ראם „ לוGott, der sie aus Ägypten herausgeführt hat, ist für sie (für das Volk Israel) wie die Kraft im Horn eines jungen Wildstieres“ (Num 23,22 und 24,8). All diese Spannungen im Text sind der Grund dafür, dass die Entstehung und das Wachstum der Bileam-Kapitel innerhalb der Forschung kontrovers diskutiert werden. Ein gewisser Konsens besteht lediglich darin, dass der vierte Spruch in Num 24,15‒24 mit seiner Ausrichtung auf die Israel umgebenden Völker und seiner auf eine entfernte, wenn nicht gar auf eine eschatologische Zukunft bezogenen Perspektive125 als der jüngste Teil der Kapitel Num 22‒24 betrachtet wird.126 Scheidet dieser Spruch aus, bleibt eine dreigliedrige Komposition. Es wird dreimal darüber berichtet, dass Balak zu Bileam schickt bzw. dass Bileam zu Balak gehen will (Num 22,5‒14.15‒21.22‒35), es wird dreimal von einem Opfer Balaks berichtet (Num 23,1‒3.14‒15.29‒30), und es gibt drei Sprüche Bileams (Num 23,7‒10, 23,18‒24 und 24,1‒9), die auf das Resultat hinauslaufen, das Balak in Num 23,11 in Worte fasst: לקב איבי לקחתיך והנה ברכת „ ברךich habe dich gerufen, meine Feinde zu verfluchen, aber siehe, du hast sie dreimal gesegnet“. Die oben beschriebenen Beobachtungen sprechen aber dagegen, diese in einem dreigliedrigen Schema aufgebaute Komposition als ursprünglich zu betrachten. Die Entstehungsmodelle zu Num 22‒24 gehen von ganz unterschiedlichen Grundannahmen aus. So wird vor allem aufgrund des Wechsels der Gottesbezeichnung mithilfe der Quellenscheidung argumentiert.127 Exemplarisch sei hier die These von L. Schmidt genannt, der die Verse 22,3b‒7*.23‒34.37.39. 40a; 23,28; 24,2–6a.7.8*.9.10a.bα*.11a*.12a.14*.15‒17.25 dem Jahwisten zuweist.128 Zum Jahwisten gehören damit also vor allem die Eselinnen-Episode
Für die eschatologische Ausrichtung fällt vor allem Num 24,17 ins Gewicht: אראנו „ ולא עתה אשורנו ולא קרובIch sehe ihn, aber nicht jetzt, ich schaue ihn, aber nicht von 125
Nahem.“ 126 Vgl. L. SCHMIDT 2004, 123; STAUBLI 1996, 297. 127 Gegen die Möglichkeit der Quellenscheidung in Num 22‒24 argumentiert Schmitt. Vgl. SCHMITT 2001, 241. 128 Weitere Theorien zu Num 22‒24 im Sinne eines Quellenmodells finden sich unter anderem bei Seebass und Graupner. Seebass unterscheidet J-Fragmente: Num 22,3b‒*4. *7a(.22‒34); 24,1‒10a.12.13b‒19 (Eselin-Episode plus erster Spruch) und eine E-Grunderzählung: Num 22,*2.5‒6.7b‒21.36‒41; 23,2b‒4a.5b‒15.18‒26(.28?) (Bileam und Balak, erster und zweiter Spruch), die von einer JE-Redaktion verbunden wurden (JE-Redaktion:
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und der dritte Spruch Bileams. Bileam sei hier ein vom Geist inspirierter Seher. Die Verse Num 22,23a.20‒21.36*.38.41; 23,1.2*.3.4a.5a*.b.6a.7‒10a. 11‒13aαb.14‒17aα.18‒21.24‒26 stammen, Schmidt zufolge, aus einer elohistischen Quelle E, die Bileam als jemanden darstellt, der nur reden darf, was Gott ihm sagt, und der in der Lage ist zu segnen. Beide Quellen seien dann vom Jehowisten mit einer Rahmenhandlung versehen und zusammengefügt worden.129 Neben den beschriebenen Quellenmodellen gibt es zahlreiche Thesen, die Num 22‒24 im Sinne einer Ergänzungshypothese erklären. Meistens wird im Zusammenhang dieser Erklärungsversuche die Existenz einer Grundschicht angenommen, die im Laufe der Zeit mehrere Fortschreibungen erfahren hat. Allerdings besteht auch hier kein Konsens, sondern es ist umstritten, welche Verse als die ursprüngliche Schicht anzusehen sind. Innerhalb der Modelle, die Ergänzungshypothesen zu Num 22‒24 vertreten, ist vor allem die Zuordnung der Sprüche zu den verschiedenen erhobenen Schichten umstritten. So betrachtet C. Levin den dritten Spruch Bileams als ursprünglich, während beispielsweise W. Groß und V. Fritz den ersten Spruch für ursprünglich erachten.130
22,2aα.35; 23,1–2a.4b‒5a.16‒17.27.29‒30; 24,10b‒11.13a; vor allem Rahmen und vierter Spruch). Vgl. SEEBASS 1998 und DERS. 1995. Graupner unterscheidet ebenfalls eine Quelle J, eine Quelle E und eine J und E zusammenführende Redaktion (J: Num 22,2.3b.7a*.22‒34.37.38; 23,28; 24,1aαβ.2aαβ.3–10abαβ. 11.12a.14*‒17.18‒19; E: 22,3a.4b.5‒6.7b.8aαβ.9‒13a.14‒17.20.21.36.38.40.41; 23,1‒3aα. 4a.7‒10a.13‒15.18.23a.24‒26; 24,25; JE: 22,4aα*.8aβ.13b.18.19.35; 23,3aβb.4b‒6.11.12. 16.17.27.29.30; 24,10bγ.12b.13.14). Vgl. GRAUPNER 2002. Ein Quellenmodell mit einer Unterscheidung in J und E vertritt in Anlehnung an Schmidt auch Scharbert. Vgl. SCHARBERT 1992, 87‒102. 129 Vgl. dazu L. SCHMIDT 2004 (II). Außerdem DERS. 2004 (I), 117‒144. 130 Levin sieht in Num 22,4b.5a*bα*β.6aα*βγ.7a*.b.21.36abα*β.41; 23,2b*; 24,3.4b*. 6a.10a.25 eine vorjahwistische Quelle, die dann vor allem in Num 22,1.3.6aα.b.8aγ.12b; 24,1aα.5.6b.9b.10bαβ.11a von einem nachdeuteronomischen, aber vordeuteronomistischen Redaktor JR bearbeitet worden sei. Zusätzlich sieht Levin umfangreiche nichtjahwistische Fortschreibungen. Vgl. LEVIN 1993, 381–388. Ebenso wie Levin hält auch Scharbert den dritten Spruch für ursprünglich. Vgl. SCHARBERT 1992, 98‒99. Außerdem RÖSEL 1999. W. Groß sieht eine ursprünglich selbständige Erzählung in Num *22,4b‒23,14.18; 24,11.25, die vor allem drei größere Erweiterungen (1: Num 23,26‒30; 24,1*.2.3*.10.12– 15*; 2: Num : 22,2.3*.4a*; 3: Num 22,22‒35) erfahren hat. Vgl. W. GROẞ 1974. Fritz sieht in Num 22,4b‒6.21.36‒41; 23,1‒25; 24,25 eine älteste Bileam-Erzählung, in Num 22,7‒20 eine ursprünglich ebenfalls selbständige Episode, in Num 22,22‒35 eine nachträgliche Interpolation, in Num 23,26‒24,24 eine nachexilische Ergänzung und in Num 22,2‒4a eine nachexilische Einfügung, die Num 22‒24 in den ostjordanischen Erzählkontext einfügt. Vgl. FRITZ 1996 (I), 23‒24. Van Seters sieht in nahezu dem gesamten Textkomplex Num 22‒24 das Werk eines Historikers J, dessen Arbeit er als „nachdeuteronomistisch“ einschätzt. Die Eselin-
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All diese aufgeführten Entstehungsmodelle zu Num 22‒24 sind eng mit Theorien zur Entstehung des Pentateuchs und der erzählenden Bücher überhaupt verwoben.131 An dieser Stelle kann dieser übergreifenden Problematik leider nicht bis ins Detail nachgegangen werden, sondern es muss das Augenmerk auf eine Analyse der Kapitel Num 22‒24 in sich gelegt werden. Wie schon festgestellt wurde, liegt in Num 24,15‒24 eine späte Fortschreibung vor, die die Perspektive der vorausgegangenen Segenssprüche erheblich weitet. Sie ist mit ihrer Einleitung in Num 24,15‒16 in Anlehnung an den vorausgegangenen dritten Segensspruch gestaltet. Es wurde ebenfalls bereits festgestellt, dass sich der dritte Segensspruch in Num 24,2‒9 von den ersten beiden Sprüchen in Num 23,7‒10 und 23,18‒24 durch seine Einleitung in Num 24,3‒4 und durch die Begründung für den Empfang dieser Worte unterscheidet. Der Spruch in Num 24,3‒9 resultiert daraus, dass der Geist Gottes über Bileam kam und wird nicht wie die beiden vorherigen Sprüche dem Bileam in den Mund gelegt (Num 23,5.16). Es muss also davon ausgegangen werden, dass dieser dritte Spruch zu einer anderen literarischen Schicht gehört als die ersten beiden Sprüche. Gleichzeitig weist der dritte Spruch Stichwortverbindungen zur Eselin-Episode in Num 22,22‒35 auf. Auch innerhalb der Eselin-Erzählung ist davon die Rede, dass Bileam die Augen geöffnet werden (Num 22,31), damit er in der Lage ist, den Engel JHWHs zu sehen (wie in Num 24,4 mit )גלה. Ähnlich wie in Num 24,4 wird außerdem auch in Num 22,31 berichtet, dass Bileam vor dem Engel JHWHs niederkniet (allerdings mit קדדstatt wie in Num 24,3 mit )נפל. Bileam ist weder in der EselinEpisode noch im Zusammenhang mit der Verkündigung des dritten Spruches als jemand dargestellt, der in direktem Kontakt zu Gott steht, vielmehr ist er darauf angewiesen, dass ihm die Erkenntnis erst durch Gottes Initiative zuteil wird. In der Eselin-Episode ist es der Engel JHWHs, der zunächst der Eselin erscheint und dann Bileam die Augen öffnet. In Num 24,2 ist es der Geist Gottes, der über Bileam kommt und ihm zu seinem Reden ermächtigt.132 Der dritte Spruch und die Eselin-Episode gehören dementsprechend offensichtlich zu einer Schicht.133 Da es das Hauptmerkmal des dritten Spruches ist, dass Bileam hier den Segen über Israel überhaupt erst ausspricht, während die ersten beiden Sprüche eher darauf abzielen zu sagen, dass Bileam nicht Erzählung Num 22,22‒35 und den vierten Spruch in Num 24,14‒24 sieht er als spätere Einträge an. Vgl. VAN SETERS 1994, 405‒435. 131 Der jüngste Versuch, die Redaktionsgeschichte von Num 22‒24 eng mit der Redaktionsgeschichte des Hexateuchs zu verbinden, stammt von Achenbach, der die Komposition des Erzählstoffes der Bileam-Episode insgesamt, abgesehen von punktuellen Ergänzungen eines „Pentateuchredaktors“ und einer „theokratischen Nachbearbeitung“, für das Werk eines „Hexateuchredaktors“ hält. Vgl. ACHENBACH 2003, 389–393. 132 Ähnlich sieht auch Witte die Verbindung zwischen dem dritten Spruch und der Eselin-Episode. Vgl. WITTE 2002, 206. 133 So auch SCHMITT 2001, 252.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
anders reden kann, als JHWH es von ihm verlangt, muss man auch den Gedanken des Segens zu dieser Schicht hinzurechnen.134 Bileam ist hier jemand, der zunächst einmal unwissend ist, dann aber durch vermittelnde Größen wie den Engel JHWHs oder den Geist Gottes Erkenntnis empfängt und aus dieser Erkenntnis heraus in der Lage ist, Israel zu segnen. So ist womöglich auch Num 23,20 dieser Schicht zuzurechnen. Es bleibt dann in Num *22,1‒21. 36‒41, 23,1‒8.11*‒21, 24,10a.11‒14.25 eine Grundschicht, die vor allem einen zweigliedrigen Aufbau aufweist und die von Bileam handelt, der in zwei Anläufen zu Balak gerufen wird, nach zwei Opfern zweimal das Wort JHWHs empfängt und der zweimal von JHWH daran gehindert wird, dem Willen Balaks, das Volk Israel zu verfluchen, nachzukommen. Num 22,6b, 23,20.25‒26 und 24,10b gehören wahrscheinlich zur Ergänzungsschicht, die in Num 22,22‒35 und 23,27‒24,9 vorliegt. In Num 22,7, 23,9.10 und 23,22‒24 liegen weitere, spätere Ergänzungen vor. Num 23,22‒24 dient dazu, den zweiten Spruch zu dem später angefügten dritten Spruch in Beziehung zu setzen.135 Die Frage nach dem Alter dieser nun erhobenen Schichten kann hier nicht letztgültig beantwortet werden. Sicher ist aber, dass bereits die Grundschicht ein kunstvoll nach einem zweigliedrigen Schema komponierter Text ist, der eng in die Erzähltraditionen der Wüsten- und der Landnahmeüberlieferung eingebunden ist,136 so dass davon auszugehen ist, dass es sich in Num 22‒24 bereits auf der ersten Ebene der Textentstehung um einen relativ jungen Text handeln muss.137 b) Der theologische Gehalt von Num 22‒24 Auf der ältesten Textebene von Num 22‒24 begegnet uns Bileam als ein in Petor am Euphrat ansässiger Prophet, der offensichtlich dafür bekannt zu sein scheint, andere Völker zu verfluchen. Aus diesem Grund schickt Balak nach 134
So auch Witte, der die Ergänzungsschicht, die die Eselin-Episode und den dritten Spruch in die Kapitel Num 22‒24 eingetragen hat, daher auch als „Segensschicht“ bezeichnet. Vgl. WITTE 2002, 206. 135 Ein ähnliches Modell mit kleineren Abweichungen vertritt Witte. Er sieht die Grundschicht in Num 22,1‒20.36‒41; *23,1–24; *24,10–14.25, eine ergänzende „Segensschicht“ in Num 22,6aαβ.12b; 22,21‒35; 23,11bβ.20.23a.25‒30; 24,1‒6.9b‒10a und eine „Zukunftsschicht“ in Num 23,10b.23b‒24; 24,14b‒24 als jüngste Schicht. Hinter der „Grundschicht“ vermutet Witte außerdem eine nicht mehr zu rekonstruierende Vorlage. Vgl. WITTE 2002, vor allem 206‒208. 136 Witte zeigt in seinem Aufsatz Stichwortverbindungen zur Exodus-, Wüsten- und Landnahmeüberlieferung auf. Vgl. ebd., 209. 137 Vgl. ebd., 202. Außerdem SCHMITT 2001, 254, der hinter der Eselin-Episode in Num 22,22‒35 und den Sprüchen in Num 23,27‒24,24 den Pentateuchredaktor vermutet. Auch Achenbach vermutet hinter dem Eintrag der Eselin-Episode in den Text den Pentateuchredaktor. Vgl. ACHENBACH 2003, 404. Für eine späte Datierung des Prosatextes und des ersten und zweiten Spruches hat bereits Timm argumentiert. Vgl. TIMM 1989, 155.
2.3 Gottes Geist im Numeribuch
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ihm. Bileam, der kein Israelit ist, steht dennoch in großer Selbstverständlichkeit in Kontakt zu dem Gott Israels, zu JHWH, und verhält sich ihm gegenüber durchgehend loyal (Num 22,38138). Den Willen Gottes erfährt Bileam durch die Begegnung mit Gott im Anschluss an ein dargebrachtes Opfer (Num 23,4.5; 23,16). Die Sprüche, die Bileam von Gott in den Mund gelegt werden, zielen auf ihrer ursprünglichen Ebene darauf ab (1. Spruch: Num 23,7‒8; 2. Spruch: Num 23,18‒19.21) festzustellen, dass das Volk Israel gegen Gottes Willen nicht verflucht werden kann (Num 23,8) und dass der Gott JHWH unverbrüchlich mit diesem Volk ist (Num 23,21). Durch den Eintrag der Eselin-Episode in Num 22,22‒35 und des dritten Spruches samt Einleitung in Num 23,25.27‒30 und 24,1–9.10b wird zunächst die selbstverständliche Beziehung zwischen dem Fremden Bileam und dem Gott Israels durchbrochen. Bileam kann nicht mehr aus eigener Initiative in Kontakt mit Gott treten, sondern zur Erkenntnis des Willens Gottes ist Vermittlung notwendig, und zwar einmal durch den Engel ( )מלאךGottes (Num 22,22‒35) und einmal durch den Geist ( )רוחGottes (Num 24,2). Oft wird in der Forschung behauptet, dass der fremde Prophet vor allem durch die EselinEpisode in ein schlechtes Licht gerückt und lächerlich gemacht werden sollte.139 Es ist wohl allerdings eher das Gegenteil der Fall.140 Ein Bileam, dem vom Engel Gottes die Augen geöffnet werden (Num 22,31 und 24,4) und der außerdem aus Ehrfurcht vor dem Engel JHWHs niederkniet (Num 22,31), ist über jeden Zweifel erhaben. Gleichzeitig wird durch den dritten Spruch in Num 24,1‒9.10b der Gedanke des Segens in die Bileam-Erzählung eingetragen. Ging es vorher lediglich darum, dass Bileam von Gott daran gehindert wird, das Volk Israel zu verfluchen, so wird ihm nun durch den Geist Gottes eingegeben, das Volk zu segnen. Mit der Vorstellung des Segens für Israel wird die Bileam-Erzählung zugleich mit wichtigen Segenstexten im Pentateuch verbunden. So haben Num 23,24 und 24,9 eine Parallele im Juda-Spruch in Gen 49,9, wo jeweils von Israel bzw. von Juda gesagt wird, dass es wie ein junger Löwe sei, der sich hingestreckt habe (כרע רבץ כאריה וכלביא מי יקימנו, Gen 49,9/הן־עם כלביא יקום וכארי יתנשא, Num 23,24).141 Num 24,17 zeigt ebenfalls Verbindungen zu Jakobs Segen über Juda (Gen 49,10). So ist in beiden Texten vom Zepter ( )שבטJakobs (Gen 49,10) bzw. Israels (Num 24,17) die Rede. Der Abschluss des dritten Spruches in Num 24,9 (מברכיך ברוך וארריך ארור „wer dich segnet, ist gesegnet, und wer dich verflucht, ist verflucht“) ist in Zusammenhang mit Gen 12,3 zu sehen ()ואברכה מברכיך ומקללך אאר.142 Die Kraft in den Hörnern der Wildstiere ( )ראםbegegnet als Ausdruck besonderen 138
Außerdem Num 22,13.18; 23,12.26; 24,13. Vgl. SCHARBERT 1992, 92; STAUBLI 1996, 301. 140 So auch SCHMITT 2001, 238. Außerdem BUDD 1984, 263–264. 141 So auch SCHMITT 2001, 247. 142 Die Nähe zu Gen 12 sieht auch Staubli. Vgl. STAUBLI 1996, 297.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
Segens neben Num 24,8 und 23,22 auch in Dtn 33,17. Der Gedanke, dass das Volk Israel so unzählbar ist wie Staub, der in der sekundären Ergänzung des ersten Spruches in Num 23,10 ausgesprochen wird, findet sich so auch in Gen 13,16. Bileam spricht dem Volk Israel damit auf der späteren Textebene genau den Segen zu, den ihm auch andere Pentateuchtexte zusprechen. c) Bileam und der Geist Gottes In welchem Zusammenhang steht nun der Geist Gottes zu den bisher gemachten Beobachtungen? Er gehört zu der Schicht, die die Eselin-Episode, den dritten Spruch und den Gedanken des Segens für Israel in den Text eingetragen hat (Num 22,22–35; 23,27–24,9). Da diese Schicht und vor allem der Gedanke des Segens für Israel auch dazu dient, die Bileam-Episode mit zentralen Segenstexten des Pentateuchs zu verbinden, müssen wir davon ausgehen, dass sie sehr jung ist und dass dementsprechend auch der Geist Gottes erst spät in die Bileam-Episode eingetragen worden ist. Anders als andere herausragende Figuren, die in den erzählenden Büchern eine Rolle spielen, führt der Geistbesitz Bileams nicht dazu, dass Bileam eine herausragende Tat vollbringt. Zwar bewirkt der Geist Gottes auch bei ihm eine spontane Ermächtigung, nur eben nicht zu einer kraftvollen Tat, sondern zu der spontanen Eingebung, das Richtige zu reden und Israel zu segnen. Es ist davon auszugehen, dass die Verfasser des dritten Bileam-Spruches die Vorstellung, der Geistbesitz sei das Kriterium für richtiges prophetisches Reden, wie sie sich in den Chronikbüchern findet, kannten. Außerdem fanden sie die Figur Bileams in einem Erzählkontext vor, der von Mose wie selbstverständlich als von einem Geistträger ausging und in Num 11 sogar von einer Übertragung des Geistes Moses auf die siebzig Ältesten berichten konnte. Aus dieser Textlage heraus musste eine Gestalt wie Bileam den Geist Gottes besitzen, um ihn als einen Propheten, der für Israel entscheidende Dinge redet, zu legitimieren.143 Zugleich ist der Geist Gottes der ideale Vermittler, um Bileam vor Vorbehalten gegenüber seiner Person und aufgrund seiner Fremdheit in Schutz zu nehmen. Auch wer Zweifel hegt, dass jemand, der von weit her aus Petor am Euphrat stammt, den Willen JHWHs kennen kann, und wer infrage stellt, dass ein Fremder einen Umgang mit dem Gott JHWH pflegen kann oder darf, und wer eine dauerhafte Beziehung zwischen einem Fremden und JHWH für ausgeschlossen hält, kann dennoch anerkennen, dass ein Fremder, vom Geist ergriffen, zu einem bestimmten Zeitpunkt im Sinne JHWHs reden kann. d) Exkurs: Der Bileam der Inschriften von Tell Deir ʿAllā Immer wieder ist innerhalb der alttestamentlichen Forschung die Frage gestellt worden, inwieweit die aus den Inschriften von Tell Deir ʿAllā bekannte 143
So auch BARTELMUS 2005.
2.3 Gottes Geist im Numeribuch
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historische Bileam-Gestalt für die Texte im Numeribuch von Bedeutung ist und ob nicht sogar einzelne Sprüche auf diesen Bileam zurückzuführen sind. Auf dem im östlichen Jordantal gelegenen Tell Deir ʿAllā wurden im Jahr 1967 bei Ausgrabungen, die durch H. J. Franken geleitet wurden, Inschriften entdeckt, die mit roter Tinte auf einer verputzten Wand angebracht waren.144 Die Besiedlung des Tell Deir ʿAllā reicht bis in die Mittelbronzezeit II zurück. In der Spätbronzezeit, nach 1600 v. Chr., wurde der Siedlungshügel künstlich aufgeschüttet und ein Heiligtum errichtet, das über vierhundert Jahre lang Bestand hatte145 und das vermutlich als ein „unbefestigtes Pilgerheiligtum“ an einer Handelsstraße diente.146 Dieses spätbronzezeitliche Heiligtum wurde durch ein starkes Erdbeben zerstört.147 Die Inschriftenfunde stammen aus einer späteren Siedlungsschicht, aus Stratum IX, Siedlungsphase M.148 Auch diese Siedlungsschicht wurde durch ein Erdbeben zerstört, so dass die Inschriftenfragmente zerstört und nicht an ihrem ursprünglichen Ort aufgefunden wurden. Auch die Datierung der Inschriften schwankt zwischen dem 9. und 6. Jahrhundert v. Chr. J. Hoftijzer datiert sie aufgrund „archäologischer und paläologischer Indizien“ in den Zeitraum zwischen 750 und 650 v. Chr.149 In der jüngeren Diskussion wird eher eine Datierung in das späte 9. Jahrhundert v. Chr. in Betracht gezogen.150 Außerdem können keine klaren Angaben über den Charakter des Hauses, in dem sie einmal angebracht waren, gemacht werden. Aus der bisher ausgegrabenen Siedlungsphase M in Stratum IX lassen sich aufgrund der gefundenen Haushaltsgegenstände etwa vierzehn bis fünfzehn Haushalte nachweisen, deren Bewohner überwiegend dem Handwerk der Weberei und Wollspinnerei nachgingen. Insgesamt wurden etwa vierzig kleinere Räume ausgegraben. Deren Aufteilung in verschiedene Häuser ist jedoch kaum noch nachzuvollziehen. Nur an sechs Stellen ist an den Raumwänden ein Kalkverputz nachgewiesen worden. Einige der Räume waren nur mit Schilfmatten überdeckt, so auch der Raum EE 335, aus 144 Erwähnt wurden sie erstmals in einem vorläufigen Ausgrabungsbericht von Franken selbst. Vgl. FRANKEN 1967, 480–481. Veröffentlicht wurden die Texte sodann von Hoftijzer und van der Kooj. Vgl. HOFTIJZER/VAN DER KOOJ 1976. 145 Vgl. FRANKEN 1961. 146 Das spätbronzezeitliche Heiligtum wird ausführlich besprochen von WENNING/ ZENGER 1991. Vgl. außerdem FRANKEN 1992. 147 FRANKEN 1961, 363. 148 Stratum IX wurde von 1960‒1969 von Franken ausgegraben, anschließend 1976/77 von Ibrahim und nach 1978 von Ibrahim gemeinsam mit van der Kooj. Vgl. FRANKEN 1969; IBRAHIM/VAN DER KOOIJ 1989. 149 Vgl. HOFTIJZER 1986. 150 Eine ausführliche Diskussion der verschiedenen Datierungsmöglichkeiten findet sich bei WENNING/ZENGER 1991. Von einer Datierung ins 9. eher als ins 7. Jahrhundert scheint auch Blum auszugehen. Vgl. BLUM 2008 (I).
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
dem die Inschriftenfunde stammen.151 Die Theorien über die Nutzung dieses Raumes variieren und nennen Möglichkeiten wie die Existenz eines BileamHeiligtums152 oder eines hieros logos einer sich auf Bileam zurückführenden Prophetenschule.153 Wichtig für das Verständnis der biblischen Bileam-Erzählung und vor allem für das Verständnis des Geistbesitzes Bileams kann daher ausschließlich das sein, was die Texte, die sich aus den gefundenen Fragmenten rekonstruieren lassen, über Bileam aussagen. Die Inschriftenfragmente lassen sich zu verschiedenen Kombinationen zusammenfügen. Nur zwei dieser Rekonstruktionen bieten allerdings einen einigermaßen zusammenhängenden Text.154 Innerhalb der ersten Kombination erscheint Bileam, der Sohn Beors, als Hauptperson. Durch eine Gotteserscheinung erhält er Kenntnis von einer bevorstehenden Katastrophe, die er seinen Mitmenschen ankündigt. Wie dies genau vonstattengeht, lässt sich aufgrund der fragmentarischen Überlieferung nicht mehr sagen. Wahrscheinlich kündigt Bileam an, dass die Göttin Schagar eine Katastrophe über die Menschen bringen wird. Bileam versucht, seine Hörer auf den rechten Weg zurückzubringen.155 Noch unsicherer ist der Bestand der zweiten Kombination. Wahrscheinlich besteht sie aus einer Reihe von durch Bileam ausgesprochene Verfluchungen.156 Problematisch für einen Vergleich des Bileams der Inschriften und des Bileams aus Num 22‒24 ist, dass es sich in beiden Fällen um literarische Produkte handelt. Die Inschriften sind sehr umfangreich. Aus diesem Grund werden sie mittlerweile als Übertragung oder als das Exzerpt aus einer Schriftrolle auf die verputzte Wand betrachtet.157 E. Blum geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er den Text der Kombination I als Produkt eines Fortschreibungsprozesses erklärt, durch den eine ursprüngliche Unheilsprophetie des Sehers Bileam in ein weisheitliches Lehrstück umgearbeitet wurde.158 Die Inschriften aus Tell Deir ʿAllā können uns demnach auch keine Erkenntnisse über den historischen Bileam vermitteln. Was sich sagen lässt, ist, dass in der Umwelt des Alten Testaments prophetische Sprüche, die ebenso, wie es in Num 22‒24 der Fall ist, Unheilsprophetie beinhalteten, auf einen 151
Vgl. zu den obenstehenden Ausführungen WENNING/ZENGER 1991, 189. Vgl. unter anderem LEMAIRE 1985; HOFTIJZER/VAN DER KOOJ 1976, 269; H. WEIPPERT 1988, 626–627. 153 So BLUM 2008 (I), 596–597; WENNING/ZENGER 1991, 192. 154 Vgl. HOFTIJZER 1986, 138. 155 Vgl. ebd., 139. Eine ausführliche Besprechung dieser ersten Kombination findet sich bei BLUM 2008 (I). 156 Vgl. HOFTIJZER 1986, 145‒148. 157 Vgl. BLUM, 2008 (II); DERS. 2008 (I), 595; WENNING/ZENGER 1991, 192. 158 Vgl. BLUM 2008 (I), 596. 152
2.4 Gottes Geist in Genesis, Exodus und Deuteronomium
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Seher Bileam zurückgeführt und überliefert wurden. Möglicherweise haben sich Schüler Bileams mit seinen Prophezeiungen auseinandergesetzt und sie in ähnlicher Weise fortgeschrieben, wie es auch für alttestamentliche Prophetentexte belegt ist. Auch hinter den Bileam-Sprüchen, die in Num 22‒24 überliefert sind, lässt sich schwer die Figur eines historischen Bileam greifen. Bereits die ersten beiden Sprüche in Num 22‒24 beinhalten durchgehend Bezüge zu anderen biblischen Büchern und fügen sich nahtlos in das Erzählgefüge der Grundschicht ein. Auch der dritte und vierte Spruch weisen Verbindungen zu zentralen Pentateuchtexten auf, so dass davon auszugehen ist, dass es sich bei allen Sprüchen um literarische Bildungen handelt und nicht um auf einen historischen Bileam zurückgehende Orakel. Dass hinter der Grundschicht eine Tradition steht, die ein entsprechendes Handeln Bileams überliefert, kann allerdings nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Im Hinblick auf den Geist Gottes ist es wichtig festzuhalten, dass sich in den Bileam-Inschriften kein Hinweis darauf findet, dass Bileam seine Sprüche durch die Vermittlung eines göttlichen Geistes empfangen hat, zumal sie ebenso wenig wie der biblische Befund einen unmittelbaren Eindruck vom historischen Bileam vermitteln können. Der archäologische Befund steht somit der oben durchgeführten Analyse, dass der Geist Gottes erst spät in die Bileam-Erzählung eingetragen wurde, nicht entgegen.
2.4 Gottes Geist in Genesis, Exodus und Deuteronomium 2.4 Gottes Geist in Genesis, Exodus und Deuteronomium
2.4.1 Gottes Geist und das Zelt der Begegnung in Ex 28–35 Im Buch Exodus begegnet der Geist Gottes an drei Stellen im Rahmen der Texte, die sich mit der Konstruktion des Zeltes der Begegnung ()אהל מעד befassen, wobei einer dieser Verse (Ex 28,3) nicht explizit den Geist Gottes, sondern den Geist der Weisheit ( )רוח חכמהerwähnt, mit dem diejenigen erfüllt sind, die die Kleider für Aaron und die Priester herstellen sollen. In Ex 31,3 und 35,31 geht es darum, dass Bezalel, der für den Bau der Stiftshütte berufene Handwerker, mit dem Geist Gottes ( )רוח אלהיםerfüllt ist. Die drei genannten Verse haben miteinander nicht nur gemein, dass sie im gleichen Nahkontext stehen. In allen drei Versen wird die רוחaußerdem entweder, wie in Ex 28,3, direkt als Geist der Weisheit ( )רוח חכמהbenannt, oder sie wird mit der Gabe von Weisheit verbunden. So heißt es in Ex 31,3: ואמלא אתו רוח „ אלהים בחכמה ובתבונה ובדעת ובכל־מלאכהund ich habe ihn mit dem Geist Gottes erfüllt, in Weisheit und in Verstand und in Erkenntnis für jedes Handwerk“. Und in Ex 35,31 findet sich fast identisch: וימלא אתא רוח אלהים „ בחכמה בתבונה ובדעת ובכל־מלאכהer hat ihn mit dem Geist Gottes erfüllt, in Weisheit und in Verstand und in der Erkenntnis für jedes Handwerk“. Des
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
Weiteren wird an allen drei Stellen das Verb מלאim Piel verwendet,159 das in Verbindung mit der רוח אלהים, mit der רוח יהוהoder mit רוחallein überhaupt nur in diesen drei Belegen und außerdem in Dtn 34,9 verwendet wird. Dort heißt es über Josua:ויהושע בן־נון מלא רוח חכמה כי־סמך משה את־ידיו עליו „und Josua, der Sohn Nuns, war erfüllt mit dem Geist der Weisheit, denn Mose hatte ihm die Hände aufgelegt.“ Auch hier findet sich רוחalso als רוח חכמהin Verbindung mit dem Verb מלא. In der Kombination mit חכמהbegegnet רוח, abgesehen von Dtn 34,9 und Ex 28,3, ansonsten nur noch in Jes 11,2. Dieser Befund legt nahe, die vier dargestellten Belegstellen Ex 28,3, 31,3, 35,31 und Dtn 34,9 auf ihren Zusammenhang hin zu untersuchen, zumal es sich gleichzeitig auch um die einzigen Belege für Geist Gottes oder für Geist überhaupt in den Büchern Exodus und Deuteronomium handelt. Die drei Belege aus dem Buch Exodus finden sich in den Anweisungen für die Errichtung des Zeltes der Begegnung bzw. in der Ausführung dieser Anweisungen. Ex 28,3 und 31,3 gehören zu einer der Gottesreden des Exodusbuches, in der JHWH Mose Anweisungen für die Errichtung und die Ausstattung des Zeltes der Begegnung erteilt (Ex 25,1‒31,17).160 Ex 35,31 gehört in den Bericht über die Ausführungen derselben, der das Buch Exodus abschließt (Ex 35,1‒40,38). Es kann an dieser Stelle keine ausführliche Analyse dieser Kapitel erfolgen,161 es können nur einzelne Beobachtungen zusammengefasst werden, die auch für die Interpretation der Aussagen zur רוחin den drei Texten von Belang sind. Für alle drei genannten Texte des Exodusbuches ist davon auszugehen, dass die Geistaussagen auf sekundäre Ergänzungen zurückgehen. Ex 31,1–5 und 35,31–33 sind identisch, wenn man vom Wechsel der Person absieht, der darauf zurückzuführen ist, dass in Ex 31 JHWH redet und in Ex 35 Mose. Ab Ex 31,6 bzw. 35,34 bestehen keine wörtlichen Übereinstimmungen mehr. Dies trifft sofort auf den im jeweils folgenden Vers eingeführten Oholiab zu. In Ex 31,6 heißt es: ואני הנה נתתי אתו את אהליאב בן־אחיסמך למטה־דן ובלב „ כל־חכם־לב נתתי חכמה ועשו את כל־אשר צויתךund ich, siehe, ich habe ihm zur Seite gegeben Oholiab, den Sohn Ahisamachs, aus dem Stamm Dan, und habe allen, die weisen Herzens sind, die Weisheit ins Herz gegeben, damit sie alles tun können, was ich dir geboten habe“. 159 Ex 28,3: ואתה תדבר אל־כל־חכמי־לב אשר מלאתיו רוח חכמה ועשו את־בגדי אהרן לקדשו „ לכהנו־ליund du sollst zu allen sagen, die ein weises Herz haben und die ich mit dem Geist
der Weisheit erfüllt habe, dass sie die Kleider für Aaron machen sollen, um ihn zu heiligen, damit er mir als Priester dient“. 160 Weitere wichtige Gottesreden im Rahmen der Sinai-Perikope finden sich in Ex 20,1‒17 (Dekalog), 20,22‒23,33 (Bundesbuch) und 34,11‒26. 161 Eine Untersuchung der Kapitel Ex 24,12‒31,18 auf der Ebene des Endtextes nimmt Steins vor. Vgl. STEINS 1989. Ausführliche Analysen der Kapitel Ex 24‒40 finden sich außerdem bei JANOWSKI 1990; ZENGER 1985; WEIMAR 1988.
2.4 Gottes Geist in Genesis, Exodus und Deuteronomium
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In Ex 35,34 wird Oholiab folgendermaßen eingeführt: ולהורת נתן בלבו הוא „ ואהליאב בן־אחיסמך למטה־דןund er hat ihm die Fähigkeit zu lehren in sein Herz gegeben, ihm und Oholiab, dem Sohn Ahisamachs, aus dem Stamm Dan“. In Ex 31,7–11 folgt dann eine Aufzählung aller Dinge, die Bezalel und Oholiab und diejenigen, denen die Weisheit ins Herz gegeben wurde, ausführen sollen, vom Zelt der Begegnung über den Brandopferaltar, die Kleider für Aaron bis zum Salböl und zum Räucherwerk. In Ex 35,35 dagegen folgt auf die Einführung des Oholiab ein Tätigkeitsfeld, das eher an Ex 28 und das dort beschriebene Anfertigen der Kleidung für die Priester erinnert. So bestehen zwischen Ex 35,5 und Ex 28 zahlreiche terminologische Bezüge. Die Tätigkeit wird jeweils mit dem Verb חשבbeschrieben (Ex 35,5; 28,7.8), und die verwendeten Farben und Materialien, die in Ex 35,35 genannt werden, finden sich nahezu identisch in Ex 28,5. Eine Parallele besteht auch darin, dass in Ex 35,35 die Weber mit Weisheit ()חכמה erfüllt sind ()מלא, und in Ex 28,3 die Kunstschneider mit dem Geist der Weisheit ( )רוח חכמהerfüllt sind (ebenfalls )מלא. Ex 31 und 35 zeigen des Weiteren jeweils in sich Spannungen im Hinblick auf die verliehenen Gaben. Ex 31 erwähnt in Vers 3 zunächst den Geist Gottes ()רוח אלהים, der mit Weisheit ()חכמה, Verstand ()תבונה, Erkenntnis ()דעת und Geschicklichkeit im Handwerk ( )מלאכהverbunden ist. Diese Reihe findet sich identisch in Ex 35,31 und ohne den Geist Gottes mit חכמה, תבונה, דעתund מלאכהebenfalls in 1 Kön 7,14 für den für den Tempelbau herbeigerufenen Hiram von Tyrus. In Ex 31,6 heißt es dann außerdem, dass JHWH den Arbeitern am Zeltheiligtum Weisheit ins Herz gegeben habe ()נתן, obwohl zuvor schon die umfangreiche Geistgabe in Ex 31,3 berichtet wurde. In Ex 35,35 ist davon die Rede, dass das Herz der Beteiligten mit Weisheit ( )חכמהerfüllt sei ()מלא. In Ex 31 bleibt es bei den beiden Versen in Ex 31,3 und 31,6, in denen von den besonderen Gaben der Arbeiter die Rede ist, nämlich von der Gabe des Geistes Gottes ()רוח אלהים, von Weisheit ()חכמה, Verstand ()תבונה, Erkenntnis ( )דעתund Geschicklichkeit ( )מלאכהin Ex 31,3 und von der Weisheit ()חכמה, die ins Herz gegeben ist, in Ex 31,6. In Ex 35/36 dagegen treten weitere Äußerungen, vor allem zur Begabung mit Weisheit, hinzu. In Ex 35,35 findet sich parallel zu Ex 31,3 die Begabung mit dem Geist Gottes, mit Weisheit, Verstand, Erkenntnis und Geschick. In Ex 35,34 tritt die Fähigkeit zu Lehren hinzu, die Gott Bezalel und Oholiab ins Herz ( )לבgegeben hat. In Ex 35,35 ist dann wieder in Anlehnung an Ex 28 davon die Rede, dass JHWH das Herz von Oholiab und Bezalel mit Weisheit ( )חכמהerfüllt habe ()מלא. In Ex 36,1 wiederum werden Oholiab und Bezalel zusammen mit allen, die weisen Herzens sind ()כל איש חכם־לב, erwähnt, denen JHWH Weisheit ( )חכמהund Verstand ( )תבונהgegeben ( )נתןhat. Die Formulierung hier ähnelt Ex 31,6, wobei die Gabe des Verstandes in Ex 36,1 noch zur Gabe der Weisheit hinzutritt.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
Ex 36,2 wiederholt dann fast identisch noch einmal Ex 36,1, lässt aber die Gabe des Verstandes, die in Ex 36,1 im Vergleich zu Ex 31,6 hinzugetreten war, weg. Ex 36,2 ist außerdem ein erzählender Vers, während Ex 36,1 Teil einer sich von Ex 35,30 bis 36,1 hinziehende Mose-Rede ist. Diese Spannungen, die einerseits innerhalb der Kapitel Ex 31 und 35/36 vorliegen und die andererseits auch einen Vergleich beider Texte miteinander erschweren, zeigen deutlich, dass die Texte das Ergebnis von Fortschreibungen sind, die einerseits die Texte miteinander verbinden, andererseits aber auch auf redaktionelle Tätigkeiten zurückgehen, die auf das jeweilige Kapitel konzentriert waren. Die Diskrepanz zwischen der mit Weisheit, Verstand, Erkenntnis und Geschicklichkeit verbundenen Gabe des Geistes in Ex 31,3 bzw. 35,31 mit dem dann folgenden Reden von der Gabe der Weisheit (Ex 31,6; 35,35; 36,1.2) lässt sich so erklären, dass in beiden Texten der Gedanke ursprünglich ist, dass diejenigen, die das Zelt der Begegnung bauen sollten, weise ( )חכםwaren und mit Weisheit ( )חכמהausgestattet wurden, während die Gabe des Geistes eine sekundäre Ergänzung darstellt. Der ursprüngliche Text von Ex 31 dürfte dann in Vers 1–2.6–11 vorgelegen haben, während Ex 31,3–5 eine Ergänzung darstellt, die eine textliche Brücke zum Tempelbau unter Salomo (1 Kön 7,14) herstellt und gleichzeitig die am Bau des Zeltes der Begegnung Beteiligten mit dem Geist Gottes ( )רוח אלהיםausstattet. In Ex 35,30–36,7 begann der Text ursprünglich mit Ex 36,2 und hatte bereits auf dieser ersten Ebene eine Parallele zu Ex 31,6. Auch in Ex 35,30– 36,7 wurde die Gabe des Geistes Gottes in Ex 35,31–33 in Verbindung mit Ex 35,30 sekundär ergänzt, entweder gleichzeitig mit dem Eintrag in Ex 31,3–5 oder in Abhängigkeit davon. Allerdings wurden Bezalel und Oholiab in Ex 35 noch weiter ausgestaltet, und der Text hat eine Entwicklung genommen, die in Ex 31 nicht vorliegt. Offensichtlich wurde hier mit Ex 35,35 noch eine Verbindung zu den in Ex 28,3 erwähnten Schneidern der Priesterkleider in den Text eingetragen sowie der Hinweis, dass Oholiab und Bezalel auch die Gabe zu lehren besaßen, in Ex 35,34 sekundär ergänzt. Ex 36,1 stellt dann die Verbindung zwischen den Ergänzungen und dem ursprünglichen Text in Ex 36,2 her. Die Verbindung in Ex 35,35 zu Ex 28,4 steht wahrscheinlich in Zusammenhang mit der Entwicklung, die der Text in Ex 28 genommen hat: Ex 28 hat in Ex 39 seine Entsprechung. Auch hier fällt auf, dass beide Texte weit weniger parallel gestaltet sind, als das beispielsweise in Ex 27 und 38 für den Brandopferaltar und den Vorhof der Fall ist. Insgesamt scheint Ex 28 sich gegenüber Ex 39 durch Ergänzungen auszuzeichnen. So gibt es bei den Bestimmungen für die Brusttasche ( )חשןin Ex 28,30 Hinweise über die Aufbewahrung der Lose האוריםund התמים, die in Ex 39 fehlen. In Ex 28,42 findet sich außerdem der Hinweis, dass die Beinkleider die Blöße bedecken sollen, der in Ex 39 ebenfalls nicht erscheint. Hinzu kommt, dass in Ex 39 diejenigen, die die Priestergewänder herstellen, nicht eigens erwähnt und
2.4 Gottes Geist in Genesis, Exodus und Deuteronomium
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charakterisiert werden. Offensichtlich sind in Ex 39 immer noch die Personen am Werk, die in Ex 35 eingeführt wurden. Ex 28,3 stellt demgegenüber fest, dass Mose diejenigen mit dem Nähen der Priesterkleidung beauftragen soll, die sich darauf verstehen und die JHWH mit dem Geist der Weisheit erfüllt hat ( ואתה תדבר אל־כל־חכמי־לב אשר מלאתיו רוח חכמה ועשו את־בגדי אהרן )לקדשו לכהנו־לי. Ex 28,4 liest sich im Anschluss daran wie eine Aufzählung all dessen, was im Folgenden hergestellt werden soll. Eine vergleichbare Auflistung findet sich in Ex 39 ebenfalls nicht. Ex 28,3–4 verändert dann auch den Beginn des Kapitels 28 so, dass die Reihenfolge zu Ex 39, die von Ex 28,5 an wieder parallel zu Ex 39 läuft, zunächst als gestört erscheint. Hinzu kommt, dass innerhalb von Ex 28 eigentlich fast durchgehend von Aufträgen für Mose die Rede ist, während in Vers 3–6(.7–8) die Künstler ()חכמי־לב angeredet werden. Vermutlich waren sie allerdings schon immer Teil von Ex 28, so wie sie auch in Ex 31,6 und 36,2 zur Grundschicht der Texte in Ex 31 und 35/36 gehören. Sie sind dann sekundär in Ex 28,3 mit dem Geist der Weisheit ( )רוח חכמהversehen worden. Ob nun der Eintrag in Ex 28,3 in Abhängigkeit von Ex 31,3 und 35,31 erfolgt ist oder ob diejenigen, die an den Priesterkleidern arbeiten sollten, den Geist der Weisheit schon besaßen, bevor in Ex 31,3 und 35,31 die Handwerker, die am Zelt der Begegnung arbeiten, mit dem Geist Gottes, mit Weisheit, Verstand, Einsicht und Geschick ausgestattet wurden, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit rekonstruieren. Möglicherweise ist der Geist der Weisheit hier eine Synthese aus der Gabe der Weisheit, die in Ex 31,6 und 36,1 erwähnt wird und der Geistbegabung aus Ex 31,3 und 35,31. In jedem Fall ist festzuhalten, dass das Personal, das mit der Fertigstellung der Priestergewänder und mit der Errichtung des Zeltes der Begegnung beauftragt war, in einem späteren Textstadium zusätzlich zu einer grundsätzlichen Begabung, die auf die Weisheit zurückgeführt wurde, mit dem Geist begabt wurde, in Ex 31,3 und 35,31 mit dem Geist Gottes ( )רוח אלהיםund in Ex 28,3 mit dem Geist der Weisheit ()רוח חכמה. 2.4.2 Gottes Geist und die Nachfolge Moses in Dtn 34,9 Wie fügt sich nun aber Dtn 34,9 in diesen Zusammenhang ein? Oder anders gefragt: Ist es überhaupt möglich, den Vers mit den diskutierten Belegen aus dem Buch Exodus in einen Zusammenhang zu stellen? Wie bereits dargelegt, wird in Dtn 34,9 Josua mit dem Geist der Weisheit ( )רוח חכמהerfüllt, weil Mose ihm die Hände aufgelegt hat ( ויהושע בן־נון מלא רוח חכמה כי־סמך משה )את־ידיו עליו. Wie auch in Ex 28,3, 31,3 und 35,31 wird hier das Verb מלא verwendet, das sonst in Zusammenhang mit רוחnicht vorkommt, wohl aber im Zusammenhang mit ( חכמה1 Kön 7,14). Außerdem begegnet רוחin Dtn 34,9 als רוח חכמה, was sonst nur in Ex 28,3 und Jes 11,2 belegt ist. Es fällt schwer, diesen Zusammenhang vollkommen zu ignorieren. Zunächst ist Dtn
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
34,9 allerdings im Kontext der Texte zu verstehen, die Josua als einen Nachfolger Moses etablieren. Neben den Texten, in denen Josua als ein Gehilfe oder Mitarbeiter Moses auftritt (Ex 24,13; 32,17; 33,11; Num 11,28; Jos 1,1), sind das vor allem Num 27,15‒23, Dtn 1,38 und 31,1‒8, wobei auch Dtn 1,38 und 31,1‒8 weniger um den Gedanken kreisen, dass Josua in allen Belangen ein Nachfolger Moses sein soll, sondern vielmehr darauf konzentriert sind, dass Josua derjenige sein wird, der in das Land hineinkommen wird. In Dtn 1,38 wird Josua zusätzlich zu diesem Aspekt als Diener (mit )עמדMoses bezeichnet. Num 27,15‒23 geht über den bloßen Gedanken, dass Josua derjenige ist, der vor dem Volk her in das Land einzieht, hinaus. Er soll in Num 27,15‒23 über die Gemeinde ( )עדהeingesetzt werden als jemand, der wie ein Hirte ( )רעהmit dem Volk zieht. Diese Amtseinsetzung wird ausführlich beschrieben (Num 27,20‒23). Mose legt Josua die Hände auf, und Josua wird anschließend Eleasar, dem Priester, vorgestellt, der für Josua mit den „Urim“ ( )האוריםJHWH befragt. Anders als in Num 11 findet während des Aktes der Handauflegung keine Übertragung der רוחvon Mose auf Josua statt. Dies ist auch nicht notwendig, da in Num 27,18 bereits festgestellt wurde, dass Josua den Geist schon besitzt. Anders als in den meisten Texten in den erzählenden Büchern wird Josua nicht punktuell und spontan vom Geist Gottes ergriffen oder erfüllt, sondern der Geist ist in ihm (איש אשר־רוח בו, Num 27,18). Diese Tatsache qualifiziert ihn dann auch zu dem Amt, für das er vorgesehen ist. Die רוחwird hier nicht näher als רוח אלהיםoder רוח יהוהqualifiziert, es ist aber davon auszugehen, dass es nicht um irgendeine menschliche Gemütsverfassung, sondern um den Besitz von Gottes Geist geht. Josua ist also durch den Besitz von Gottes Geist ausgezeichnet, muss aber doch erst in einem komplizierten Verfahren in sein neues Amt eingesetzt werden. Im Akt der Handauflegung überträgt Mose seine Hoheit auf ihn (ונתתה מהודך עליו, Num 27,20). Der Zusammenhang zwischen Dtn 34,9 und Num 27,15‒23 ist nun zwar deutlicher als der zwischen Dtn 34,9 und 1,38 und 31,1‒8, da es in beiden Texten um die Einsetzung Josuas als Nachfolger Moses durch den Akt der Handauflegung geht; dennoch bestehen zwischen Dtn 34,9 und Num 27,15‒23 auch deutliche Unterschiede: Während in Num 27,18 Josua den Geist schon hat, wird er in Dtn 34,9 offensichtlich vollkommen neu mit dem Geist der Weisheit ( )רוח חכמהerfüllt. Dass es zu diesem Mit-dem-Geist-derWeisheit-erfüllt-Werden kommt, wird darauf zurückgeführt, dass Mose Josua die Hände aufgelegt hatte ()כי־סמך משה את־ידיו עלין. In Dtn 34,9 geht es offensichtlich darum, dass mit dem Tod Moses die Amtszeit Josuas erst beginnt. Der in Num 27,15‒23 zwar schon intendierte Wechsel wird in Dtn 34,9 noch einmal neu vollzogen und gewissermaßen durch das Erfülltwerden mit dem Geist der Weisheit in Kraft gesetzt. Dass dieser Amtswechsel vom Volk Israel auch anerkannt wird, wird in Dtn 34,9b damit bestätigt, dass es heißt, die Israeliten hätten Josua gehorcht und getan, was JHWH Mose geboten hatte ()וישמעו אליו בני־ישראל ויעשו כאשר צוה יהוה את־משה. In dieser
2.4 Gottes Geist in Genesis, Exodus und Deuteronomium
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Bestätigungsformel liegt ein Bezug zur Sinai-Geschichte. Auch dort wird, wie oben beschrieben, bestätigend versichert, dass sie alles taten, was JHWH Mose geboten hatte (והנה עשו אתה כאשר צוה יהוה כן עשו, Ex 39,43). Ähnlich findet sich auch in Num 27,20 der Gedanke, dass das Volk, hier als Gemeinde ( )עדהbezeichnet, Josua gehorcht, nachdem Mose ihm die Hand aufgelegt hatte ()ישמעו כל־עדה בני ישראל. In Dtn 34,9 unterbricht der Eintrag über den auf die Handauflegung durch Mose zurückgeführten Geistbesitz Josuas die Schilderung über den Tod Moses und die daraus resultierenden Konsequenzen (Dtn 34,10–12), die darin bestehen, dass in Israel kein Prophet mehr wie Mose aufsteht (Dtn 34,10). Dtn 34,9 ist damit eine sekundäre Ergänzung, die einerseits eine Verbindung in das anschließende Josuabuch herstellt, gleichzeitig aber das letzte Kapitel des Deuteronomiums mit anderen Texten des Pentateuchs vernetzt. Über die Vorstellung, dass Josua mit dem Geist der Weisheit ( )רוח חכמהerfüllt ist, wird deutlich eine Parallele zu den oben beschriebenen Texten des Exodusbuches hergestellt (Ex 35,31; 31,3; 28,4). Durch die Formulierung, dass sie taten, wie JHWH Mose geboten hatte, entsteht außerdem eine Verbindung zu Ex 39,43. Die Handauflegung durch Mose wiederum weist auf Num 27 und die dort beschriebene Einsetzung Moses zurück.162 Es ist also anzunehmen, dass die Einsetzung Josuas als Nachfolger Moses in einen Zusammenhang mit der Errichtung des Zeltheiligtums gestellt werden sollte und dass Josua als Personifikation eines Neuanfangs und an der Schwelle zum Einzug in ein neues Land mit dem Geist der Weisheit ebenso versehen sein sollte wie Bezalel mit dem Geist Gottes zu Beginn der Arbeiten am Zelt der Begegnung.163 2.4.3 Exkurs: Gottes Geist in Gen 1,2 Gottes רוחbegegnet also mit Dtn 34,9, dem Tod Moses und dem Ende des Pentateuchs, und mit Ex 28–32, der Errichtung des Zeltheiligtums, an zentralen Stellen des Pentateuchs. Zu diesen Schlüsseltexten gehört auch Gen 1,2, wo ebenfalls von Gottes רוחdie Rede ist. Auch wenn mit רוחin Gen 1,2 keine Beziehung zwischen Gott und Mensch beschrieben wird, soll aufgrund des Zusammenhangs, der zu Dtn 34,9 und Ex 28–32 als wichtigen Texten des Pentateuchs besteht, Gen 1,2 hier in die Untersuchung mit einbezogen werden. 162
Die Beziehung dieser beiden Texte kann an dieser Stelle nicht ausführlich geklärt werden. Wichtig ist festzuhalten, dass der Geist der Weisheit in Dtn 34,9 in einer Beziehung zum Exodusbuch steht. 163 Dass Dtn 34,9 zur Priesterschrift gehören könnte, hat auch Janowski erwogen. Vgl. JANOWSKI 1990, 48. In Hinblick auf die Geistaussagen in den genannten Stellen ist eine direkte Zuweisung zur Priesterschrift allerdings nicht nötig. Es ist vielmehr damit zu rechnen, dass es sich um redaktionelle Eingriffe in das als Priesterschrift verstandene Erzählsystem handelt.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
a) Literargeschichtliche Verortung In Gen 1,1–2,4a findet sich der erste Schöpfungsbericht, der als priesterschriftlich angesehen wird. Er ist eng mit weiteren zum priesterschriftlichen Textbestand gehörenden Texten verbunden,164 setzt die innerhalb des Deuterojesajabuches vollzogene Profilierung Gottes zum Schöpfer des Himmels und der Erde voraus165 und zeigt Beziehungen in seinen religionsgeschichtlichen Kontext.166 Auf eine Einleitung in Gen 1,1, die als eine Überschrift für das folgende Geschehen verstanden werden kann,167 folgen verschiedene Schöpfungswerke, verteilt auf insgesamt sieben Tage (Gen 1,3–5.6–8.9–13.14–19.20–23.24– 31 und 2,1–4a). Diese Verteilung des Schöpfungsgeschehens auf eine bestimmte Anzahl von Tagen zeigt das Interesse des priesterschriftlichen Schöpfungsberichtes daran, das Schöpfungsgeschehen in ein Ordnungssystem zu bringen.168 Neben diesem chronologischen Ordnungssystem fallen zahlreiche Formeln auf, die den Text durchziehen. Zu diesen gehören neben der Feststellung des Schöpfungstages (Gen 1,5.8.13.19.23.31), die immer mit ויהי „ ערב ויהי־בקרund es ward Abend, und es ward Morgen“ eingeleitet wird, die Formel „ וירא אלהים כי־טובund Gott sah, dass es gut war“ (Gen 1,4.10.12.18.21.25.31) sowie die Wendung „ ויהי־כןund es geschah so“ (Gen 1,9.11.15). Trotz dieser Stilisierungen und der ordnungsliebenden Sprache gibt es verschiedene Anzeichen dafür, dass der Text in Gen 1,1–2,4a nicht einheitlich ist. Zwar beginnt das an den einzelnen Tagen beschriebene Schöpfungsgeschehen immer mit dem Hinweis darauf, dass Gott redet ( ויאמר אלהים, Gen 1,3.6.9.14.20.24), und es endet immer mit der Feststellung des Schöpfungstages (Gen 1,5.8.13.19.23.31). Ansonsten bestehen aber in der Darstellung des Geschehens an den einzelnen Schöpfungstagen erhebliche Unterschiede. Am zweiten, dritten und vierten Schöpfungstag findet sich die Formel ויהי־כן, an den übrigen Schöpfungstagen nicht.169 An den ersten drei Schöpfungstagen folgt auf das Schöpfungsgeschehen die Benennung des Geschaffenen durch Gott (Gen 1,4.8.10), an den weiteren Schöpfungstagen fehlt dieser Vorgang der Namensgebung wiederum. Die Formulierung וירא אלהים 164
Vgl. K. SCHMID 2012, 80–81. Vgl. KRATZ/SPIECKERMANN 1999, 269. 166 Vgl. KEEL/SCHROER 2009, 137–155. Außerdem FELDMEIER/SPIECKERMANN 2011, 207. 167 Zum Überschriftscharakter von Gen 1,1 vgl. KEEL/SCHROER 2009, 174. 168 Die Betonung der Zeit ist ein Charakteristikum von Gen 1,1–2,4a, das diesen Schöpfungstext von anderen Schöpfungstexten, auch aus der Umwelt des Alten Testamentes, abhebt. Vgl. KEEL/SCHROER 2009, 176. 169 Wenn man die Wendung ויהי אורin diese Reihe mit aufnimmt, wäre das Schöpfungsgeschehen der ersten vier Tage mit der Feststellung, dass das, was durch das Wort gesprochen wurde, eintrifft, abgeschlossen. Innerhalb des zweiten Schöpfungstages ist in Gen 1,7a allerdings noch Gottes Handeln eingeschoben. 165
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כי־טובfindet sich in allen Schöpfungstagen, allerdings im Geschehen am zweiten Schöpfungstag nicht. Am zweiten, vierten, fünften und sechsten Schöpfungstag folgt auf das Wort ein Bericht über das Handeln Gottes (Gen 1,7.16.21.25.27) in den übrigen Schöpfungstagen genügt das Wort, oder die Erde lässt die Pflanzen hervorgehen (Gen 1,12). Des Weiteren werden die am fünften Tag geschaffenen Wassertiere und die Vögel gesegnet (Gen 1,22), genau wie die Menschen (Gen 1,28) und der Sabbat (Gen 2,3). Die in Gen 1,24–25 geschaffenen Tiere bekommen diesen Segen wiederum nicht. Aufgrund der unterschiedlichen Verwendung des Vorgangs der Benennung, der Formel ויהי כןsowie des in Gen 1,22, 1,28 und 2,3 vorkommenden Motivs des Segens besteht in der sprachlichen Gestaltung zwischen den ersten vier Schöpfungstagen (Schöpfungstage 1–4) eine gewisse Gemeinsamkeit sowie zwischen den letzten drei Schöpfungstagen (Schöpfungstage 4–6).170 Als grundsätzlich problematisch verstanden wurde und wird auch immer die ungleiche Verteilung von acht171 Schöpfungswerken auf sechs Tage, an denen Schöpfung vollbracht wird.172 Literarisch auffällig sind außerdem die Anweisungen an den Menschen in Gen 1,29–30, die über das Schöpfungsgeschehen deutlich hinausweisen. Vor allem aufgrund der Verteilung der acht Schöpfungswerke auf sechs Tage, aber auch aufgrund des Wechsels von Wort Gottes und Handeln Gottes sind verschiedene Vorschläge für die Entstehung von Gen 1,1–2,4a gemacht worden: Vor allem wurde in einen Wort- und in einen Tatbericht unterschieden.173 Zwar wurde diese These W. H. Schmidts bereits von O. H. Steck widerlegt, dennoch sind die literarkritischen Schwierigkeiten so evident, dass man kaum davon ausgehen kann, dass der Text aus einem Guss ist.174 R. Kratz und H. Spieckermann vermuten deshalb, dass Gen 1,1–2,4a eine Liste mit mindestens acht Werken vorlag,175 die dann in einem oder mehreren Redaktions170 Der vierte Schöpfungstag zeigt durch die Verwendung der Formel ויהי־כןBeziehungen zu den ersten Schöpfungstagen sowie durch die Abfolge von Wort und Tag, Billigungsformel und Feststellung des Schöpfungstages auch Verbindungen zu den folgenden Schöpfungstagen. 171 Um auf acht Schöpfungswerke zu kommen, muss man die Entstehung des Lichtes und die Teilung von Licht und Finsternis am ersten Tag als ein Schöpfungswerk annehmen, ebenso die Erschaffung von Wassertieren und Vögeln am fünften Tag (Gen 1,20–23). 172 Eine Übersicht mit der Verteilung der Werke und der Formeln auf die jeweiligen Schöpfungstage findet sich bei KEEL/SCHROER 2009, 174 und in knapper Form auch bei K. SCHMID 2012, 79. 173 Vgl. W. H. SCHMIDT 1973. 174 Auch wenn K. Schmid eine Reihe der Schwierigkeiten, die Gen 1,1–2,4a bietet, mit der Verbindung in die folgenden Texte der Priesterschrift zu erklären versucht. Vgl. K. SCHMID 2012, 77–84. 175 KRATZ/SPIECKERMANN 1999, 269.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
schüben um die „priesterschriftlichen Interpretamente“ ergänzt wurde,176 wobei sich der Bestand dieser Liste aus dem überlieferten Text in Gen 1,1–2,4a nicht rekonstruieren lässt.177 Die Annahme, dass die „Worttheologie“ damit ausschließlich auf redaktionelle Ergänzungen zurückgeht, bereitet allerdings auch gewisse Schwierigkeiten, da dann immer noch nicht geklärt ist, warum manche Rede Gottes mit der Formel ויהי־כןbestätigt wird (Gen 1,9.11.14.15) und manche nicht (Gen 1,20.24.26).178 Eine Lösung kann aber ebenfalls nicht darin liegen, Gen 1,1–2,4a „insgesamt als literarische und überlieferungsgeschichtliche Einheit“ zu verstehen.179 Die vorliegende Arbeit kann diese Problemlage nicht lösen, festgehalten werden kann jedoch, dass innerhalb von Gen 1,1–2,4a mit einer komplexen Redaktionsgeschichte zu rechnen ist. b) רוחin Gen 1,2 In Gen 1,1–2 liegt eine Schilderung des Zustandes der Welt vor der Schöpfung vor. Das eigentliche Schöpfungshandeln setzt erst in Gen 1,3 ein. Üblicherweise wird Gen 1,1 als eine Überschrift zum folgenden Bericht verstanden. Dieses Verständnis ist an der Übersetzung der Septuaginta orientiert, die Gen 1,1–2 als zwei aufeinanderfolgende Hauptsätze versteht. Möglich ist aber auch, die beiden Verse als eine zeitliche Reihenfolge zu interpretieren und zu lesen: „Als Gott am Anfang Himmel und Erde machte, war die Erde wüst und leer.“ Mit dieser Art der Übersetzung ähnelte Gen 1,1–2 Vorweltschilderungen, die sich beispielsweise auch innerhalb des Enuma Elisch finden.180 Versteht man Gen 1,1 weniger als eine Überschrift über den gesamten ersten Schöpfungsbericht in Gen 1,1–2,4a, sondern eher als einen einleitenden Vers, wird die Beziehung zwischen Gen 1,1 und der Feststellung, dass Gott ( )אלהיםdie Welt erschafft, und Gen 1,3, in dem das eigentliche Schöpfungshandeln Gottes ( )אלהיםeinsetzt, enger, und es stellt sich umso mehr die Frage, warum innerhalb eines Textes, indem es vornehmlich um das Reden und Handeln Gottes ( )אלהיםgeht, in Gen 1,2 die רוח אלהיםüber den Wassern schwebt, zumal dieser רוחim weiteren Verlauf des Schöpfungsgeschehens keine Funktion mehr zukommt. 176
KRATZ 2000, 234. Dies ist in der Tat kaum möglich. Die Rekonstruktion, die Levin vornimmt, bereitet bereits zu Beginn das Problem, dass Gott zwischen Licht und Finsternis scheidet, ohne dass Licht oder Finsternis innerhalb des von ihm rekonstruierten Berichtes vorhanden gewesen wären. Vgl. LEVIN 1994. 178 Steck hat auch diese Unregelmäßigkeiten, allerdings nicht immer einleuchtend, auf das planvolle Gestalten der Priesterschrift zurückgeführt. Vgl. STECK 1975, 31–61.199– 256. 179 So BÜHRER 2014, 163. 180 Vgl. TUAT III/4, 569. Zur Möglichkeit der Übersetzung mit „als“ vgl. auch SCHÜLE 2009, 33. Ausführlich zu den verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten außerdem BAUKS 1997, 65–92. 177
2.4 Gottes Geist in Genesis, Exodus und Deuteronomium
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In Anbetracht der Tatsache, dass Gen 1,1–2,4a insgesamt das Produkt intensiver redaktioneller Arbeit zu sein scheint, legt sich die Vermutung nahe, dass auch die רוחin Gen 1,2 sekundär ergänzt worden ist. Dass Gott auch in dem Zustand zu Beginn der Schöpfung anwesend sein muss, erklärt sich eigentlich bereits durch Gen 1,1 und durch die Tatsache, dass Gott in Gen 1,3 spricht. Gen 1,2b zeigt das Bestreben, Gottes Anwesenheit lokalisieren zu können, was durch den Eintrag der über den Wassern schwebenden/zitternden רוח אלהיםgeschieht. Der Begriff רוחentzieht sich hier einer eindeutigen Übersetzung.181 Diejenigen, die Gen 1,2 geschrieben oder Gen 1,2b in den bestehenden Text eingefügt haben, arbeiten bewusst mit der Mehrdeutigkeit des Begriffes und mit dem Wissen, dass רוח אלהיםin den Schriften des Alten Testaments sowohl ein Wind als auch eine Größe bezeichnen kann, die losgelöst vom Verständnis als Wind Gottes Gegenwart zum Ausdruck bringen und gleichzeitig eine lebensstiftende Größe (Ez 37) sein kann. Die רוח אלהים in Gen 1,2 weht daher wie ein Wind über der Urflut, steht aber ebenfalls für die Präsenz Gottes auch im uranfänglichen Chaos und bringt die Anwesenheit des lebensstiftenden Gottes zum Ausdruck.182 Die Tatsache, dass רוח אלהיםhier offensichtlich mehrere Aspekte des Begriffes רוחimpliziert, spricht einmal mehr dafür, dass Gen 1,2b in Kenntnis der Entwicklung, die der Begriff innerhalb der alttestamentlichen Schriften genommen hat, spät in den vorhandenen Text eingetragen worden ist. 2.4.4 Zusammenfassung Offen bleibt weiterhin die Frage, warum gerade Bezalel und die Schneider der Kleider Aarons als einzige innerhalb des Buches Exodus als Geistträger dargestellt werden und warum Josua in Dtn 34,9 zu diesen Personen in Beziehung gesetzt wird. Insgesamt ist innerhalb des Pentateuchs vom Geist Gottes nicht besonders häufig die Rede. Für Mose muss der Geistbesitz zwar zumindest innerhalb der Gesamtkomposition des Pentateuchs vorausgesetzt werden, da er im Numeribuch (Num 11) als derjenge erscheint, der den Geist Gottes von sich auf andere übertragen kann. Im Buch Exodus wird der Geistbesitz Moses allerdings nicht erwähnt. Neben Josua (Num 27,18; Dtn 34,9), den Ältesten in Num 11, Bileam in Num 24,2, Bezalel und den Schneidern in Ex 28–35 wird ansonsten nur noch Josef in Gen 41,38 als ein Mann, in dem der Geist Gottes ist, beschrieben. Bezalel und die Schneider sind gleichzeitig die einzigen, die in den Kapiteln über die Errichtung des Zeltheiligtums in 181 Versuche, רוחeindeutig als „Wind“ (Bauks) oder als „Atem“ (Steck) zu übersetzen, greifen daher auch zu kurz. Vgl. BAUKS 1997, 141; STECK 1975, 236. 182 Schüle nimmt an, dass dadurch, dass im uranfänglichen Chaos Gottes Geist anwesend ist, eine Distanz zwischen Gott selbst und diesem Chaos hergestellt werden soll. Da Gott aber ordnend in dieses Chaos eingreift, ist er diesem von vornherein übergeordnet. Vgl. SCHÜLE 2009, 35.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
besonderer Weise erwähnt werden. Josua, Bezalel und die Schneider fallen unter diesen Personen außerdem dadurch auf, dass die terminologischen Bezüge zwischen ihnen besonders eng sind. Bezieht man Gen 1,2 und die dortige Erwähnung von Gottes Geist in die Überlegungen mit ein, so muss man feststellen, dass Gottes Geist an Schlüsselstellen des Pentateuchs in den Text eingetragen worden ist.183 Ich vermute, dass die Antwort auf die eingangs gestellte Frage auf der Ebene eines größeren kompositorischen Zusammenhangs beantwortet werden muss, nämlich aufgrund des mit der Priesterschrift in Verbindung stehenden Erzählfadens von der Schöpfung bis zur Fertigstellung des Zeltes der Begegnung am Sinai. Dass der Bestand der Grundschrift der Priesterschrift von Gen 1,1‒2,4a wenigstens bis zu Ex 40 reicht, kann an dieser Stelle vorausgesetzt werden.184 Interessant für die Texte über den Geist Gottes in den Kapiteln des Exodusbuches ist der Zusammenhang zwischen dem priesterschriftlichen Schöpfungsbericht in Gen 1,1‒2,4a und dem Bau des Heiligtums, der in Ex 25,1‒31,17 von Gott verlangt und in Ex 35–40 von Mose und dem Volk Israel ausgeführt wird. Zwischen dem Schöpfungsbericht und dem Bau des Zeltes der Begegnung am Sinai gibt es verschiedene Entsprechungen, die innerhalb der alttestamentlichen Forschung bereits vielfach aufgezählt worden sind.185 Zu diesen Entsprechungen gehört der Befund, dass Ex 39,32a und 40,33b in gleicher Weise und mit demselben Verb, mit כלהim Piel, von der Vollendung des Werkes Moses sprechen, wie Gen 2,2a die Vollendung des Schöpfungswerkes konstatiert. Außerdem scheint die Billigung des geschaffenen Werkes in Gen 1,31a (וירא אלהים את־כל־אשר עשה והנה־טוב מאד „und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“) der Billigung in Ex 39,43a zu entsprechen ( וירא משה את־כל־המלאכה והנה עשו „ אתה כאשר צוה יהוה כן עשוund Mose sah alles Werk an, und siehe, sie hatten es getan, wie JHWH geboten hatte“). Ebenso schließt sowohl der Schöpfungsbericht als auch der Bau des Zeltheiligtums mit einer Segensformel ab (Ex 39,43b; Gen 2,3a). Abgesehen von diesen Entsprechungen sind beide Texte nach einem zeitlichen Raster aus sechs Tagen, die auf einen siebten Tag hinlaufen, strukturiert (Gen 1,3‒31 und Ex 24,15‒18).186 Angesichts dieser formalen und strukturellen Gemeinsamkeiten liegt es nahe, anzuneh183 Auch in Gen 1,2 ist der Geist vermutlich eine sekundäre Notiz. Vgl. dazu das entsprechende Kapitel dieser Arbeit. 184 Zur neueren Forschungsdiskussion um den Bestand der Priesterschrift vgl. POLA 1995; L. SCHMIDT 1993; WEIMAR 2008. 185 Schon sehr früh bei Jacob. Vgl. JACOB 1905, 157‒158. Vgl. außerdem JANOWSKI 1982, 309; KÖCKERT 1989; ZENGER 1987, 170ff; WEIMAR 1988; UTZSCHNEIDER 1988. 186 Vgl. JANOWSKI 1990, 47; WEIMAR 1984, 81. Fischer und Markl zeigen in ihrem Kommentar außerdem, dass in den Kapiteln des Exodusbuches, die sich auf den Bau des Zeltheiligtums beziehen, die Zahl sieben eine strukturierende Größe ist. Vgl. G. FISCHER/ MARKL 2009, 319.371.
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men, dass beide Texte in einem inhaltlichen Zusammenhang gelesen und verstanden werden sollen.187 Mit dem Bau des Heiligtums in der Wüste, mit dem sich einerseits das Volk Israel als eine gemeinsam für JHWH tätige Größe konstituiert und mit dem andererseits das Mitsein JHWHs mit den Menschen ermöglicht wird, vollzieht sich nach Ereignissen wie der Sintflut (Gen 6,9‒9,29*) und dem Auszug aus Ägypten (Ex 1,13‒14,29*) eine Neukonstituierung der bestehenden Verhältnisse und damit eine „Neuschöpfung Israels und seiner gesamten Lebenswelt durch JHWH“.188 Der Geist Gottes wird weder im Schöpfungsbericht in Gen 1,1‒2,4a noch in Ex 31,3 und 35,31 zum Grundbestand der Texte gehört haben. Vielmehr ist er im Rahmen einer späteren Redaktion eingetragen worden, die die Verbindungen zwischen dem Errichten des Zeltes der Begegung als einem Akt der Neuschöpfung bzw. der anfänglichen Schöpfung in Gen 1,1‒2,4a verstanden hat und die der Meinung war, dass die רוחan diesen entscheidenden Ereignissen beteiligt sein sollte. Mit der רוחwird eine weitere Entsprechung in dieses Erzählsystem eingetragen. So wie er in Gen 1,2 über den Wassern schwebt, noch bevor mit der eigentlichen Schöpfung begonnen worden ist, so ist auch Bezalel als derjenige, der als übergeordneter Kunsthandwerker unter allen, die an der Errichtung des Zeltheiligtums beteiligt sind, herausgehoben ist, vom Geist Gottes erfüllt, so dass Gottes Gegenwart in Bezalel schon realisiert ist, noch bevor mit dem Bau des Heiligtums, das JHWHs Mitsein mit seinem Volk erst ermöglichen soll, begonnen wird. So wie in Gen 1,2 ist also auch in Ex 31,3 und 35,31 der der Schöpfung bzw. der Neuschöpfung vorausgehende Zustand durch den Geist Gottes und dessen Gegenwart gekennzeichnet. Die Zugehörigkeit von Dtn 34,9 zu einem priesterschriftlichen Erzählzusammenhang ist umstritten.189 Ganz offensichtlich wurden aber der Tod Moses und das Stehen an der Schwelle zum verheißenen Land als ein weiterer Eckpunkt innerhalb des Pentateuchs verstanden, so dass auch hier Gottes Geist in Bezug zu Ex 35,31, 31,3 und 28,4 eingetragen worden ist. Die Geisttexte in Ex 28,4, 31,3, 35,31 und Dtn 34,9 gehen also offensichtlich, ebenso wie Gen 1,2 auf redaktionelle Ergänzungen zurück, die an entscheidenden Stellen des Pentateuchs Gottes Geist eingetragen haben.
187
Auf diesen Zusammenhang hat schon von Rad hingewiesen. Vgl. VON RAD 1969,
247. 188
JANOWSKI 1990, 63. Wellhausen sah in Dtn 34,9 das Ende der Priesterschrift. Vgl. WELLHAUSEN 1963. Heute wird dieser Auffassung weiterhin vertreten von Weimar. Vgl. WEIMAR 2010; DERS. 2008. Dass das Ende der Priesterschrift in Dtn 34,9 vorliegt, hat bereits Perlitt allerdings schlüssig widerlegt. Vgl. PERLITT 1988. Vgl. außerdem KRATZ 2000, 113. 189
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
2.5 Gottes Geist in 1 Kön 22 2.5 Gottes Geist in 1 Kön 22
2.5.1 Der literarische Zusammenhang Die komplexe Entstehung der Bücher Erster und Zweiter Könige kann an dieser Stelle nicht in aller Ausführlichkeit erörtert werden. Festzuhalten ist, dass sie das Ergebnis redaktioneller Tätigkeit sind, die auf verschiedene Quellen zurückgegriffen hat.190 Während Martin Noth die Königsbücher dem Deuteronomistischen Geschichtswerk zugerechnet und sie damit als einheitliches Werk betrachtet hatte, erklärt man die Entstehung von Erster und Zweiter Könige heute vor allem entweder mithilfe eines Stufen- oder eines Schichtenmodells.191 Das Stufenmodell rechnet mit einer ersten Version, die gegen Ende der Königszeit entstanden ist und dann in späterer Zeit nach hinten verlängert wurde.192 Das Schichtenmodell nimmt, wohl zutreffender, eine Grundschicht an, die mehrmals durch umfangreiche Einschübe und auch durch einzelne Nachträge erweitert und fortgeschrieben wurde.193 Man muss außerdem damit rechnen, dass einzelne Abschnitte vor der Fertigstellung der Grundschicht bereits zu einzelnen Erzählkränzen zusammengefasst waren.194 Die Bücher Erster und Zweiter Könige lassen sich im Wesentlichen in drei Abschnitte gliedern, in einen Teil über Salomo (1Kön 1,1‒11,43), in einen Teil über die geteilten Reiche (1 Kön 12,1‒2 Kön 17,41) und in einen dritten Teil, der von den letzten Königen Judas handelt und die Geschichte Judas bis zur Begnadigung Jojachins erzählt (2 Kön 18,1‒25,30).195 Die meisten Erzählungen in den Königsbüchern sind nach einem synchronisierenden Rahmenformular gestaltet.196 1 Kön 22 gehört zu den Texten, die ohne dieses Rahmenformular auskommen. Weitere Texte ohne Rahmenformular finden sich im näheren Kontext von 1 Kön 22 in den Überlieferungen über Elia und Elisa (1 Kön 17–2 Kön 8) und in den Berichten über Ahia von Schilo (1 Kön 11,29–39; 14,1–18). Es sind damit besonders Texte, die von Propheten han190 Mitunter wird angenommen, dass einige dieser Quellen in 1. und 2. Könige genannt werden, wie z.B. die „Chronik Salomos“ (ספר דברי שלמה, 1 Kön 11,41), die „Chronik der Könige von Israel“ (ספר דברי הימים למלכי ישראל, 1 Kön 14,19) und die „Chronik der Könige von Juda“ (ספר דברי הימים למלכי יהודה, 1 Kön 14,29). Zu den verwendeten Quellen vgl. HENTSCHEL 1984, 7; FRITZ 1996 (II), 7. 191 Als ein literarisch kohärentes Werk, das zwar spätere Ergänzungen aufweist, aber zunächst unter dem Einfluss des Deuteronomiums als ein Text komponiert wurde, erklären das Deuteronomistische Geschichtswerk heute BLUM 2011, 269‒295; MCKENZIE 1991. 192 Vertreter des Schichtenmodells ist vor allem CROSS 1980. Außerdem FRIEDMAN 1981. 193 Vgl. unter anderen SMEND 1986, 124‒137.494‒509; VEIJOLA 1975; DERS. 1977; NENTEL 2000. 194 Vgl. KRATZ 2000, 161‒191. 195 Vgl. HENTSCHEL 1984, 6. 196 Zu den Bestandteilen des Rahmenformulars vgl. unter anderen WERLITZ 2002, 15; HENTSCHEL 1984, 6.
2.5 Gottes Geist in 1 Kön 22
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deln, die das Rahmenformular nicht aufweisen.197 Die Texte über die Propheten sind über beide Königsbücher verteilt und sind in ihrem Umfang ebenso unterschiedlich wie in der Beschreibung der auftretenden Propheten. So begegnet in 1 Kön 13 ein namenloser Gottesmann und in 1 Kön 20 ein Prophet, der nicht näher bezeichnet wird. Ahia von Schilo tut eine Zeichenhandlung (1 Kön 11,29‒39), von Micha ben Jimla sind Visionen überliefert (1 Kön 22). Die Erzählungen über Elia und Elisa sind relativ umfangreich und hatten eine eigene Überlieferungsgeschichte, bevor sie in die Königsbücher eingetragen wurden.198 Die Prophetentexte der Königsbücher können daher je für sich in ihrem jeweiligen Kontext untersucht werden. 2.5.2 Kompositionsgeschichtliche Erwägungen Der Erzähltext über Micha ben Jimla in 1 Kön 22 findet sich im Schlussteil von Erster Könige199 und unterbricht die Erzählungen über Elia und Elisa, die in 1 Kön 17‒21 und 2 Kön 1‒7 vorliegen. 1 Kön 22 selbst lässt sich zunächst in drei Teile gliedern, nämlich in einen ersten Teil in Vers 1‒40, in dem es um den Kampf des Königs von Israel, der mit Ahab identifiziert wird, und Josaphats von Juda gegen die Aramäer geht, in einen zweiten Teil in Vers 41‒51 über den König Josaphat und in einen dritten Teil über Ahasja von Israel in Vers 52‒54. Somit wird durch die Einschaltung von 1 Kön 22 in die im Nordreich angesiedelten Elia/Elisa-Erzählungen ein Text über den zur gleichen Zeit im Südreich regierenden König Josaphat eingefügt. Der Textabschnitt in 1 Kön 22,41‒51 bietet eine Zusammenfassung über die Regierungszeit Josaphats, die nach dem oben bereits angesprochenen, beide Königebücher strukturierenden Rahmenformular gestaltet ist. Die Verse 52‒54 bieten das Einleitungsformular für die Regierungszeit Ahasjas von Israel, das Informationen über die Datierung seiner Regierungszeit und eine Beurteilung seines Königtums bietet. Das Schlussformular zu König Ahasja findet sich in 2 Kön 1,17‒18. 1 Kön 22,1‒40 fällt aus diesem Rahmenschema heraus. In ihrer Gesamtheit gelesen, bieten diese Verse eine Erzählung darüber, wie Ahab von Israel und Josaphat von Juda gemeinsam, allerdings vorrangig auf Betreiben Ahabs hin, gegen die Aramäer in den Krieg ziehen. Josaphat besteht vorher auf einer Befragung JHWHs (1 Kön 22,5), die durch einen Propheten JHWHs erfolgen soll (1 Kön 22,7). Aus diesem Ansinnen und der folgenden Gegenüberstellung von Micha ben Jimla als Prophet JHWHs und vierhundert anderen Propheten, unter denen Zedekia namentlich hervorgehoben ist, ent197 Vgl. WERLITZ 2002, 19. Bei Werlitz findet sich auch eine tabellarische Übersicht über die in 1. und 2. Könige vorkommenden Propheten. DERS. 2002, 20. 198 Vgl. SAUERWEIN 2014. 199 Die Einteilung der Bücher in Erster und Zweiter Könige ist allerdings nicht ursprünglich. Die Zweiteilung wurde erst durch die Septuaginta vorgenommen. Vgl. HENTSCHEL 1984, 6.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
wickelt sich eine Auseinandersetzung über wahre und falsche Prophetie. Schlussendlich ziehen Josaphat und Ahab gemeinsam in den Krieg. Ahab versucht dabei, Josaphat hereinzulegen, indem er selbst ohne Königsgewänder in den Kampf zieht. Am Ende wird er aber doch verwundet und stirbt. Die Erzählung weist zahlreiche Brüche auf, die auf ein vielschichtiges literarisches Wachstum des Textes hinweisen. Problematisch ist, dass die Erzählung fast durchgängig, mit der Ausnahme von 1 Kön 22,20, von einem nicht namentlich genannten König von Israel handelt. Erst am Ende, in 1 Kön 22,39‒ 40, findet sich der Name Ahab im Schlussformular zu seiner Regierungszeit. Dies ist nicht nur ungewöhnlich, es besteht auch eine Diskrepanz zwischen dem dramatischen Tod des Königs von Israel auf dem Schlachtfeld, der bereits in 1 Kön 22,35‒37 berichtet wird, und der abschließenden Formulierung „ וישכב אחאב עם־אבתיוund Ahab legte sich zu seinen Vätern“ in 1 Kön 22,40, zumal diese Formulierung eigentlich nur für ein Sterben im Alter und nicht für ein Sterben im Kampf verwendet wird.200 Weitere Brüche im Text sind darin zu sehen, dass Josaphat dem Ansinnen Ahabs, gemeinsam in den Kampf zu ziehen, zunächst zustimmt (1 Kön 22,4), dann aber doch zuerst nach dem Wort JHWHs (דבר יהוה, 1 Kön 22,5) fragen möchte und schließlich einen Propheten JHWHs (נבאי ליהוה, 1 Kön 22,7) befragen will. Auch die Prophezeiung der übrigen befragten Propheten wird doppelt berichtet, zunächst in 1 Kön 22,6 in summarischer Form, dann außerdem detaillierter und mit der Hervorhebung von Zedekia unmittelbar vor der Befragung Micha ben Jimlas in 1 Kön 22,10‒12. Auch das Auftreten Micha ben Jimlas ist widersprüchlich. In 1 Kön 22,14 betont Micha ben Jimla, dass er nur das reden wird, was JHWH ihm sagt ()כי את־אשר יאמר יהוה אלי אתו אדבר, sagt dann aber zum König von Israel zunächst, dass er ruhig in den Kampf ziehen solle (1 Kön 22,15). In 1 Kön 22,17 geht es dann zunächst nicht mehr um das, was JHWH redet, sondern um die Vision Micha ben Jimlas. Er sieht Israel zerstreut auf den Bergen wie Schafe, die keinen Hirten haben ()כצאן אשר אין־להם רעה. In 1 Kön 22,17b redet dann doch wieder JHWH und deutet das, was Micha geschaut hat. Auch in der dritten Rede Micha ben Jimlas ist das Wort JHWHs in eine Vision gekleidet (1 Kön 22,19‒23). Diese Vision zeigt in ihrer Gestaltung Parallelen zu Jes 6,1‒2 und zu Hi 1,6‒12. Wie in Jes 6,1 sieht Micha ben Jimla JHWH auf einem Thron sitzen, umgeben von seinem himmlischen Heer ()ראיתי את־יהוה ישב על־כסאו וכל־צבא השמים עמד עליו מימינו ומשמאלו. Und wie es dem Satan im Hiobbuch erlaubt ist, Hand an Hiob zu legen, so ist es in 1 Kön 22,21‒22 dem Geist ( )הרוחerlaubt, ein Lügengeist im Mund der Propheten zu sein, um Ahab zu betören, nach Ramot Gilead zu ziehen und dort zu fallen. Josaphat, der ja eigentlich darauf bestanden hatte, vor dem Aufbruch in den Kampf JHWH zu befragen, bleibt dann im weiteren Verlauf der Erzählung 200
Vgl. ebd., 135.
2.5 Gottes Geist in 1 Kön 22
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passiv. Der König von Israel wirft Micha ben Jimla ins Gefängnis (1 Kön 22,17), und Josaphat zieht trotz der Warnungen Michas mit in den Kampf. Die beschriebenen literarischen Brüche werden auf verschiedene Weise zu erklären versucht. Volkmar Fritz nimmt an, dass in die Erzählung vom Tod Ahabs bei Ramot in Gilead, die in 1 Kön 22,1‒4.29‒38 vorliegt, eine Prophetenerzählung in 1 Kön 22,5‒28 eingeschoben ist, die ihrerseits nachträglich um die Verse 10‒12.19‒23 und 24‒25 ergänzt wurde.201 Georg Hentschel zufolge gehören Kampf- und Prophetenerzählung bereits auf der Ebene der Grundschicht zusammen. Er sieht vor allem in 1 Kön 22,19b‒23a eine sekundäre Erweiterung. Auch 1 Kön 22,13–14 und 22,17b gehören zu einer späteren Ergänzung, die das Wort JHWHs in die Schauungen Michas einträgt. Eine letzte Bearbeitung habe die Erzählung mit anderen Traditionen in Verbindung gebracht. Hierzu gehörte 1 Kön 22,4.7.15–16. Ebenso sieht er die Einleitung in 1 Kön 22,1‒2a als eine junge Ergänzung an.202 J. Werlitz wiederum geht zwar von einer längeren Entstehungsgeschichte des Textes aus, nimmt aber von genaueren redaktionskritischen Untersuchungen Abstand, weil sich „bei den vorgeschlagenen Schichtendifferenzierungen kaum redaktionelle Bestandteile, die in den Zusammenhang der Konzeptionen von 1/2 Könige gehören“, ergeben.203 Er geht davon aus, dass 1 Kön 22 in Juda entstanden ist und „nach einer längeren Überlieferungsgeschichte en bloc in 1/2 Könige integriert wurde“.204 Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Erzählung um Josaphat von Juda und dem unbenannten König von Israel ihren überlieferungsgeschichtlichen Ort in Juda hat. Über die Überlieferungsgeschichte der Texte, bevor sie in einer ersten Komposition an ihren jetzigen Ort in 1 Kön 22 eingetragen wurden, ließe sich hier nur spekulieren. Für den Ort im Zusammenhang der Elia/ElisaÜberlieferung und im Zusammenhang der Erzählungen über Ahab und Ahasja von Israel wurde vermutlich eine Grunderzählung in 1 Kön 22,3.4.22‒37, die davon erzählt, wie Josaphat von einem ungenannten König von Israel im Kampf gegen die Aramäer schlecht behandelt worden ist, was schließlich für den König von Israel übel ausging, nachträglich um 1 Kön 22,7‒9.15a.17. 26‒28 ergänzt. Durch diese Ergänzung wurde der ohnehin in 1 Kön 22,43.47 positiv beurteilte Josaphat gegenüber dem König von Israel in ein noch besseres Licht gerückt, indem er als derjenige dargestellt wird, der nur in den Kampf ziehen möchte, wenn vorher ein Prophet JHWHs befragt wird. In dieser ersten Erweiterung geht es um den einzigen Propheten JHWHs (1 Kön 201
Vgl. FRITZ 1996 (II), 195‒197. Vgl. HENTSCHEL 1984, 131. 203 WERLITZ 2002, 195. 204 Ebd., 195. Daneben gibt es auch Ansätze, die eine mögliche sukzessive Entstehungsgeschichte von 1 Kön 22 vollkommen unbeachtet lassen. Vgl. z.B. SCHMITZ 2008. 202
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
22,8), den es noch gibt, um das, was er sieht (1 Kön 22,17a), und um das Zurückkehren in Frieden ( בשלוםin 1 Kön 22,17; 22,27.28). Diese Ergänzung wirft die Frage auf, ob das, was Micha ben Jimla verkündet, der Wahrheit entspricht. Außerdem wird ein Kriterium für die Beurteilung des Wahrheitsgehaltes von Prophetie benannt, das sich so auch in Dtn 18,21‒22 und in Jer 28,9 findet: Sie ist dann wahr, wenn sie eintrifft. Kommt Ahab also mit Frieden wieder, so hat JHWH nicht durch Micha geredet ( אם־שוב תשוב בשלום לא־דבר יהוה בי, 1 Kön 22,28). Gleichzeitig zeigt sie, dass der wahre Prophet JHWHs nicht unbedingt das redet, was dem König gefällt, sondern dass das Kriterium seiner Rede eigentlich Unheilsprophetie ist. In einer weiteren Ergänzung wurde die Gegenüberstellung von Micha ben Jimla und den übrigen Propheten in den Text eingetragen (1 Kön 22,10‒13.15b.16.18). Der Gedanke, dass wahre Prophetie nicht das ist, was viele reden, wird hier noch unterstrichen. Eine weitere Ergänzung in 1 Kön 22,5.6.14 betont die Vorstellung, dass es in der Prophetie hauptsächlich um den Empfang des Wortes JHWHs und um dessen Weitergabe geht. 1 Kön 22,19‒25 ist ebenfalls ein sehr später Eintrag, dessen Aussageabsicht im Folgenden noch genauer betrachtet werden muss. Hinsichtlich des Wachstums von 1 Kön 22,1‒40 bleibt noch zu sagen, dass Vers 1‒2 wie auch Vers 39‒40 eine Verbindung zu den vorausgegangenen Erzählungen über Ahab herstellen und 1 Kön 22,1‒40 somit fest in seinem Kontext verankern. 2.5.3 Gottes Geist und Lügengeist Auf die Frage des Königs von Israel hin, ob er gegen Ramot in Gilead in den Kampf ziehen solle, antwortet Micha ben Jimla dreimal. Zunächst äußert er sich diesem Ansinnen gegenüber positiv (1 Kön 22,15). Allerdings ist nicht einmal der König der Meinung, dass dies Michas wahre Meinung sein kann. Es folgt dann in Vers 17 das Wort über die auf den Bergen zerstreuten Schafe. In Vers 19‒23 teilt Micha dem König eine Vision mit, die Anklänge an Jesajas Thronvision in Jes 6,1 zeigt und darüber hinaus dem Gespräch Gottes mit dem Satan in Hi 1 und 2,1‒6 ähnelt. In 1 Kön 22,19‒23 sieht Micha den Thron JHWHs und das himmlische Heer ()כל־צבש השמים. JHWH fragt diejenigen, die ihn umgeben, wer Ahab verführen ( פתהim Piel) könnte, gegen Ramot in Gilead in den Kampf zu ziehen und in diesem Kampf zu fallen. Die Meinungen der nicht näher beschriebenen Anwesenden sind zweigeteilt (ויאמר זה בכה וזה אמר בכה, Vers 20b). Schließlich tritt der Geist ( )הרוחvor und bietet seine Initiative an. Er will ein Lügengeist (רוח שקר, Vers 22) im Mund der Propheten sein. JHWH willigt in diesen Vorschlag ein und Micha fasst das Ergebnis zusammen: ועתה הנה נתן יהוה רוח שקר בפי כל־נביאיך אלה „ ויהוה דבר עליך רעהsiehe, JHWH hat einen Lügengeist in den Mund all deiner Propheten gegeben, und JHWH hat Schlechtes gegen dich geredet“ (Vers 23). In dieser Vision geht es vordergründig immer noch um die Frage
2.5 Gottes Geist in 1 Kön 22
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wahrer und falscher Prophetie, die bereits auf einer früheren Ebene des Textwachstums in 1 Kön 22 behandelt wurde. Das, was die Propheten reden, die Ahab zuraten, in den Kampf zu ziehen, ist ihnen durch einen Lügengeist ( )רוח שקרin den Mund gegeben und nicht das, was für Ahab eigentlich richtig wäre. Die Aussageabsicht der Vision in 1 Kön 22,19‒23 reicht aber noch über die Frage nach wahrer und falscher Prophetie und ihren Unterscheidungskriterien hinaus. Es geht um die Frage, woher die falsche Prophetie kommt. Die Prophetie der Lügenpropheten wird ebenso auf JHWH zurückgeführt, wie die wahre Prophetie es schon als Wort JHWHs immer ist. Es gehört zu JHWHs Plan, dass Ahab in den Kampf zieht und in diesem Kampf fällt. Nur deshalb verwandelt sich der Geist in einen Lügengeist, und nur deshalb ist es den Propheten möglich, Ahab das für ihn persönlich eigentlich Falsche zu raten. Hinter der Vision steht der Gedanke, dass also alles, was sich ereignet, auf JHWH zurückzuführen ist und dass es nichts gibt, was seinem Einflussbereich entzogen wäre. Der Geist ( )הרוחtritt hier als eine eigenständig agierende Größe auf. Dies ist in keinem anderen Text des Alten Testaments in dieser Weise der Fall. Zwar kann der Geist Gottes wie in Gen 1,2 über den Wassern schweben oder wie in Sap 1,7 den Erdkreis erfüllen (πνεῦµα κυρίου πεπλήρωκεν τὴν οἰκουµένην), aber in einer personifizierten Form wie in 1 Kön 22,21 tritt er sonst nicht auf.205 Der Geist erscheint also als eigenständige Größe, die aus eigener Initiative einen Vorschlag zum Geschehen unterbreitet. Gleichzeitig ist er aber an die Weisung und Zustimmung JHWHs gebunden, der diese in 1 Kön 22,22 erteilt:„ תפתה וגם־תוכל צא ועשה־כןdu sollst ihn verführen, und du sollst es vermögen, zieh aus und tu so“.206 Und auch wenn hier nur von „dem Geist“ ( )הרוחund nicht vom Geist Gottes oder vom Geist JHWHs die Rede ist, so ist doch vollkommen klar, dass es sich dabei nur um den Geist JHWHs handeln kann; denn der Text spielt mit dem Gedanken, dass der Geist JHWHs es den Menschen eingibt, das Richtige zu reden, dass er aber im Munde der Propheten ein Lügengeist ( )רוח שקרist. Darauf, dass nämlich eigentlich der Geist JHWHs ( )רוח יהוהaus einem Propheten spricht, weist 1 Kön 22,24 hin.207 Dort fragt Zedekia, ob der Geist JHWHs von ihm gewichen sei. Prophetisches Reden wird ansonsten eigentlich nicht auf den Geist JHWHs zurückgeführt. In der Vielzahl anderer prophetischer Texte geht es im Wesentlichen um den Empfang und die Weitergabe des Wortes Gottes. Der Gedanke, dass der Geist JHWHs den Menschen das Richtige zu 205
Mitunter wird dies für Ez 37,9.10 erwogen, allerdings wird die determinierte Form von רוחdort allein aus dem Grund verwendet, um den Geist Gottes von den gleichzeitig erwähnten vier Winden ( )רוחותunterscheiden zu können. Dennoch besteht in Hinblick auf die Eigenständigkeit der רוח, die sich auch in Ez 37 losgelöst von Gott bewegen und bei den vier Winden aufhalten kann, eine Parallele zu 1 Kön 22. 206 Gegen Dafni, die den Geist in 1 Kön 22 als eine „böse Macht“, die nicht von JHWH ausgeht, interpretiert. Vgl. DAFNI 2000, vor allem 378–379. 207 So auch HIRTH 1989, 113‒114.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
reden eingibt, findet sich vor allem in Texten der Chronikbücher (1 Chr 12,19; 2 Chr 20,14; 15,1; 24,20), an einer Stelle für König David (2 Sam 23,2) sowie in zwei späten Prophetentexten in Ez 11,5 und in Sach 7,12.208 Der Geist JHWHs in 1 Kön 22 ist alllerdings auch nicht ausschließlich ein Merkmal prophetischer Rede, sondern durch den Geist wird in diesem Text auch grundsätzlich zum Ausdruck gebracht, dass alle Geschicke auf JHWH zurückgeführt werden. Es geht nicht allein darum, dass der Geist JHWHs Kriterium prophetischer Rede ist, sondern der Geist Gottes ist hier eine Wirkweise, durch die JHWH seine Pläne mit den Menschen umsetzen kann, auch wenn er selbst der Lebenswirklichkeit der Menschen gegenüber transzendent ist. Der Einschub in 1 Kön 22,19‒25 kann daher nur als ein sehr später Einschub betrachtet werden, der dem Text in 1 Kön 22,1‒40 ein vollkommen neues Gepräge gibt.
2.6 Exkurs: Der Geist der heiligen Götter im Danielbuch 2.6 Der Geist der heiligen Götter im Danielbuch
Auch wenn das Danielbuch nicht zu den erzählenden Büchern des Alten Testaments gehört, soll es dennoch an dieser Stelle in die Betrachtungen einbezogen werden, da die Aussagen zu רוח, die sich in ihm finden, an den Gebrauch des Begriffes רוחin der erzählenden Literatur des Alten Testaments anschließen und da es in dieser Hinsicht insbesondere Parallelen zu Gen 41,38 und dem Gebrauch von רוחin der Josefserzählung aufweist. 2.6.1 Einführung in das Danielbuch Das Danielbuch hat zwölf Kapitel, die in hebräischer (Dan 1,1–2,4a; 8,1– 12,13) und in aramäischer Sprache vorliegen (Dan 2,4b–7,28). Diese Verwendung verschiedener Sprachen sowie inhaltliche und stilistische Aspekte legen eine Dreiteilung des Buches nahe, nämlich in eine hebräischsprachige Einleitung in Dan 1,1–2,4a, einen aramäischen Hauptteil, der Episoden aus dem Leben Daniels am Königshof in Babylon zum Inhalt hat, und in einen dritten, wiederum hebräischsprachigen Teil, der Visionen enthält, die mit Daniel in Verbindung gebracht werden. Die griechische Überlieferung zeigt große Unterschiede zum Masoretischen Text. Zum einen weicht der Text der Septuaginta in den Kapiteln 4–6 so stark vom Masoretischen Text ab, dass wiederholt davon ausgegangen wurde und davon ausgegangen wird, dass der Septuaginta-Text eine eigene hebräische Vorlage gehabt habe.209 Die Septuaginta-Überlieferung weist außerdem verschiedene Zusätze zum Masoreti208 Das bedeutet nicht, dass für andere Propheten der Besitz des Geistes Gottes nicht wichtig wäre. Es geht an dieser Stelle lediglich um die Vermittlung prophetischer Rede. 209 So unter anderen ALBERTZ 1988. Eine Diskussion der verschiedenen Forschungspositionen zum abweichenden Text der Septuaginta findet sich bei K. KOCH 2005, 378–380.
2.6 Der Geist der heiligen Götter im Danielbuch
83
schen Text auf, nämlich ein Gebet des Asarja in DanLXX 3,24–45, einen Überleitungstext in DanLXX 3,46–50, den Gesang der drei Männer im Feuerofen in DanLXX 3,51–90 sowie drei zusätzliche Erzählungen über Daniel.210 Als eine weitere Besonderheit der griechischen Überlieferung des Danielbuches ist die Tatsache anzusehen, dass der Septuaginta-Text im 3. Jahrhundert n. Chr. zugunsten einer jüngeren Textüberlieferung aufgegeben wurde, die dem aramäischen Text folgt und der Rezension Theodotions zugeschrieben wurde.211 Die Abfassung des Buches in verschiedenen Sprachen, der inhaltliche und stilistische Wechsel zwischen den aramäischen Danielerzählungen in Dan 2– 6 und 7 und dem hebräischen Visionsteil in Dan 8–12, die unterschiedliche Darstellung Daniels in Kapitel 2–7 und 8–12 sowie der Wechsel der Erzählperspektive von der 3. Person Singular in Dan 1–6 zur 1. Person Singular in Dan 7–12 deuten auf einen längeren, mehrschichtigen Entstehungsprozess des Buches hin. Zugleich weist es auf der Ebene des Endtextes verschiedene Gestaltungsmerkmale auf, die die Darstellung vereinheitlichen sollen. Dazu gehören beispielsweise die das gesamte Buch durchziehenden Datierungen (Dan 1,1; 2,1; 3,1; 5,30; 6,1; 7,1; 8,1; 9,1; 10,1) sowie die sorgfältige Anordnung der Stoffe in den beiden Hauptteilen Dan 2,4b–7,28 und 8,1–12,13.212 Um die Entstehung des Danielbuches zu erklären, bedienen sich die meisten neueren Ansätze einer Aufstockungs- bzw. Ergänzungshypothese. Als ein Konsens aus den verschiedenen neueren Entstehungsmodellen kann die Darstellung M. Wittes verstanden werden. Er sieht den Grundbestand des Buches in den aramäischen Kapiteln *2–6 mit einer Dan 1 vergleichbaren aramäischen Einleitung, der zunächst um die aramäische Vision in Dan 7 ergänzt wurde, an die dann wiederum in einem späteren Schritt die hebräischen Kapitel 8 und 10–12 angefügt worden sind. Im Zuge der Ergänzung der hebräischen Kapitel sei auch die aramäische Einleitung in die hebräische Sprache übertragen worden. Innerhalb der Masoretischen Überlieferung kann Dan 9 als das jüngste Kapitel angesehen werden. Innerhalb der griechischen Überlieferung gehören die Zusätze zum Danielbuch zu den jüngsten Texten.213 210
In der Lutherbibel mit Apokryphen unter „Stücke zu Daniel“ (1–2), in anderen Bibelübersetzungen in Dan 13–14. 211 Vgl. NEEF 2005 sowie DERS. 2009. 212 So entsprechen sich innerhalb des aramäischen Teils die Darstellungen der Träume in Dan 2 und 7, die Erzählung von der Errettung der Männer im Feuerofen in Dan 3 und die Erzählung von der Errettung Daniels in der Löwengrube in Dan 6 sowie die Kapitel Dan 4 und 5. Vgl. auch WITTE 2016 (II), 496. 213 Vgl. WITTE 2016 (II), 501. Dieses Modell entspricht in weiten Teilen dem Ansatz, den Kratz in seinem Buch Translatio Imperii vertritt. Vgl. KRATZ 1991 (I), 11–160. Einen etwas anderen Akzent setzt E. Haag, der als Kern des Danielbuches zwei weisheitliche Lehrerzählungen ermittelt (Dan 4,1–24.31–34 und 6,1–29), die gemeinsam mit zwei Geschichtsdarstellungen vom Untergang Babels in Dan 4,25–30 und 5,1–30 zur Grundschicht des Danielbuches in Dan 4–6 zusammengefügt wurden. Diese Grundschicht wurde um eine
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
2.6.2 רוחim Danielbuch. Der Befund Der Begriff רוחbegegnet nur in den aramäischen Danielüberlieferungen in den Kapiteln 2–7,214 nämlich insgesamt elfmal, darunter in besonderer Häufigkeit in den Kapiteln 4–5 (siebenmal). In Dan 2,1.3, 5,20 und 7,15 ist die רוחeine dem Menschen eigene Größe, mit der der Ort im Menschen bezeichnet wird, der für die Gemütsverfassung zuständig ist. Als ein solches Zentrum für Gemütszustände ist die רוחin jedem Menschen vorhanden. So wird von Nebukadnezar gesagt, dass seine רוחinfolge eines Traums beunruhigt sei (Dan 2,1.3). In Dan 5,20 wird an der Verfasstheit von רוחund לבבdie Vermessenheit Bezalels deutlich ()וכדי רם לבבה ורוחה תקפת להזדה, und in Dan 7,15 ist Daniel in seiner רוחbekümmert. In den übrigen Belegen in Dan 4–6 ist die רוחeine Größe, die Daniels besondere Befähigung für die ihm angetragenen Aufgaben illustriert. Der Masoretische Text bedient sich in diesem Zusammenhang verschiedener Formulierungen. In Dan 4,5.6.15 und 5,11 wird gesagt, dass in Daniel die „ רוח־אלהין קדישיןder Geist der heiligen Götter“ sei. In Dan 5,14 ist es nur die „ רוח אלהיןder Geist der Götter“, und in Dan 5,12 und 6,4 ist es ein außergewöhnlicher Geist, eine רוח יתירה. Mit Ausnahme von Dan 6,4 sind es immer Angehörige des fremden Königshauses, die von Daniels besonderem Geistbesitz reden. In Dan 4,5.6.15 ist es Nebukadnezar, der redet, in Dan 5,11.12 die Königinmutter und in Dan 5,14 Bezalel. Die griechische Überlieferung beschreitet im Hinblick auf die Verwendung eines Äquivalents für die aramäische Vokabel רוחje eigene Wege, die sich am besten mithilfe einer Synopse darstellen lassen: Vers 4,5
4,6
Aramäisch
ועד אחרין על קדמי דניאל די־שמה בלטשאצר כשם אלהי ודי רוח־אלהין קדשין בה וחלמא קדמוהי אמרת בלטשאצר רב חרטמיא די אנה ידעת די רוח אלהין קדשין בך וכל־רז לא־אנס לך חזוי חלמי די־חזית ופשרה אמר
LXX
Theodotion (4,8) ἕως οὗ ἦλθεν ∆ανιηλ, οὗ τὸ ὄνοµα Βαλτασαρ κατὰ τὸ ὄνοµα τοῦ θεοῦ µου, ὃς πνεῦµα θεοῦ ἅγιον ἐν ἑαυτῷ ἔχει, καὶ τὸ ἐνύπνιον ἐνώπιον αὐτοῦ εἶπα (4,9) Βαλτασαρ ὁ ἄρχων τῶν ἐπαοιδῶν, ὃν ἐγὼ ἔγνων ὅτι πνεῦµα θεοῦ ἅγιον ἐν σοὶ καὶ πᾶν µυστήριον οὐκ ἀδυνατεῖ σε, ἄκουσον τὴν ὅρασιν τοῦ ἐνυπνίου, οὗ εἶδον, καὶ τὴν σύγκρισιν αὐτοῦ εἰπόν µοι,
Einleitung in Dan 1–3 und um den Visionsteil in Dan 7–8 erweitert. Erst spät (167 v. Chr.) seien die Kapitel Dan 9–12 hinzugefügt worden. Vgl. E. HAAG 1993, 7–8. 214 Dan 2,1.3; 4,5.6.15; 5,11.12.14.20; 6,4; 7,15.
2.6 Der Geist der heiligen Götter im Danielbuch 4,15
5,11
5,12
5,14
6,4
דנה חלמא חזית אנה מלכא נבוכדנצר ואנתה בלטשאצר פשרא אמר כל־קבל די כל־חכימי מלכותי לא־יכלין פשרא להודעתמי ואנתה כהל די רוח־אלהין קדשין רך איתי גבר במלכותך די רוח אלהין קדשין בה וביומי אבוך נהירו ושכלתני וחכמה כחמת־אלהין השתכחת בה ומלכא נבכדנצר אבוך רב חרטמין אשפין כשדאין גזרין הקימה אבוך מלכא כל־קבל די רוח יתירה ומנדע ושכלתנו מפשר חלמין ואחזוית אחידן ומשרא קטרין השתכחת בה בדניאל די־מלכא שם־שמה בלטשאצר כעו דניאל יתקרי ופשרה יהחוה ושמעת עליך די רוח אלהין בך ונהירו ושכלתנו וחכמב יתירה השתכחת בך אדין דניאל דנה הוא מתנצח על־סרכיא ואחשדרפניא כל־קבל די רוח יתירא בה ומלכא עשית להקמותה על־כל־מלכותא
(4,18) καὶ ἀναστὰς τὸ πρωὶ ἐκ τῆς κοίτης µου ἐκάλεσα τὸν ∆ανιηλ τὸν ἄρχοντα τῶν σοφιστῶν καὶ τὸν ἡγούµενον τῶν κρινόντων τὰ ἐνύπνια καὶ διηγησάµην αὐτῷ τὸ ἐνύπνιον, καὶ ὑπέδειξέ µοι πᾶσαν τὴν σύγκρισιν αὐτοῦ. καὶ εἶπε τῷ βασιλεῖ ὁ ἄνθρωπος ἐπιστήµων ἦν καὶ σοφὸς καὶ ὑπερέχων πάντας τοὺς σοφοὺς Βαβυλῶνος,
καὶ πνεῦµα ἅγιον ἐν αὐτῷ ἐστι, καὶ ἐν ταῖς ἡµέραις τοῦ πατρός σου τοῦ βασιλέως συγκρίµατα ὑπέρογκα ὑπέδειξε Ναβουχοδονοσορ τῷ πατρί σου.
ὑπὲρ πάντας ἔχων ἐξουσίαν ἐν τῇ βασιλείᾳ. καὶ ∆ανιηλ ἦν ἐνδεδυµένος πορφύραν καὶ µέγας καὶ ἔνδοξος ἔναντι ∆αρείου τοῦ βασιλέως, καθότι ἦν ἔνδοξος καὶ ἐπιστήµων καὶ συνετός, καὶ πνεῦµα ἅγιον ἐν αὐτῷ, καὶ εὐοδούµενος ἐν ταῖς πραγµατείαις τοῦ βασιλέως, αἷς ἔπρασσε. τότε ὁ βασιλεὺς ἐβουλεύσατο καταστῆσαι τὸν ∆ανιηλ ἐπὶ πάσης τῆς βασιλείας αὐτοῦ καὶ τοὺς δύο ἄνδρας, οὓς κατέστησε µετ᾽ αὐτοῦ, καὶ σατράπας ἑκατὸν εἴκοσι ἑπτά.
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(4,18) τοῦτο τὸ ἐνύπνιον, ὃ εἶδον ἐγὼ Ναβουχοδονοσορ ὁ βασιλεύς, καὶ σύ, Βαλτασαρ, τὸ σύγκριµα εἰπόν, ὅτι πάντες οἱ σοφοὶ τῆς βασιλείας µου οὐ δύνανται τὸ σύγκριµα αὐτοῦ δηλῶσαί µοι, σὺ δέ, ∆ανιηλ, δύνασαι, ὅτι πνεῦµα θεοῦ ἅγιον ἐν σοί. ἔστιν ἀνὴρ ἐν τῇ βασιλείᾳ σου, ἐν ᾧ πνεῦµα θεοῦ, καὶ ἐν ταῖς ἡµέραις τοῦ πατρός σου γρηγόρησις καὶ σύνεσις εὑρέθη ἐν αὐτῷ, καὶ ὁ βασιλεὺς Ναβουχοδονοσορ ὁ πατήρ σου ἄρχοντα ἐπαοιδῶν, µάγων, Χαλδαίων, γαζαρηνῶν, κατέστησεν αὐτόν, ὅτι πνεῦµα περισσὸν ἐν αὐτῷ καὶ φρόνησις καὶ σύνεσις, συγκρίνων ἐνύπνια καὶ ἀναγγέλλων κρατούµενα καὶ λύων συνδέσµους, ∆ανιηλ καὶ ὁ βασιλεὺς ἐπέθηκεν αὐτῷ ὄνοµα Βαλτασαρ. νῦν οὖν κληθήτω, καὶ τὴν σύγκρισιν αὐτοῦ ἀναγγελεῖ σοι. ἤκουσα περὶ σοῦ ὅτι πνεῦµα θεοῦ ἐν σοί, καὶ γρηγόρησις καὶ σύνεσις καὶ σοφία περισσὴ εὑρέθη ἐν σοί. καὶ ἦν ∆ανιηλ ὑπὲρ αὐτούς, ὅτι πνεῦµα περισσὸν ἐν αὐτῷ, καὶ ὁ βασιλεὺς κατέστησεν αὐτὸν ἐφ᾽ ὅλης τῆς βασιλείας αὐτοῦ.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
Diese Synopse zeigt deutlich, dass die Theodotion (Th) zugeschriebene jüngere griechische Überlieferung, die ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. den Septuaginta-Text verdrängt hat, der aramäischen Vorlage weitgehend folgt. Dort, wo sich im hebräischen Text die Lesart רוח יתיראbzw. „ רוח יתירהaußergewöhnlicher Geist“ findet (Dan 5,12; 6,4), übersetzt Theodotion dies mit πνεῦµα περισσόν. Allerdings findet sich in Theodotion für die Gottesbezeichnung statt der aramäischen Pluralform רוח אלהין קדשיןdurchgehend der Singular (πνεῦµα θεοῦ ἅγιον), was sicherlich darauf zurückzuführen ist, dass die Pluralform, auch wenn sie von Nebukadnezar gebraucht wird, als anstößig empfunden wurde.215 Einmal liest Theodotion statt πνεῦµα θεοῦ ἅγιον für das aramäische רוח אלהין קדשיןlediglich πνεῦµα θεοῦ und lässt die Qualifikation des Geistes als ἅγιον aus. Außerdem fehlt bei ihm der Vers Dan 5,14. Die Septuaginta erwähnt den Geist in Dan 4,5.6.15 und 5,11 überhaupt nicht. Die besondere Eignung Daniels für die Deutung des Traums liegt in ihrer Überlieferung nicht im Besitz eines „Geistes der heiligen Götter“, sondern darin, dass Daniel der oberste unter den Weisen und Traumdeutern ist (τὸν ἄρχοντα τῶν σοφιστῶν καὶ τὸν ἡγούµενον τῶν κρινόντων τὰ ἐνύπνια). Erst in Dan 5,12 lässt die Septuaginta die Königinmutter sagen, dass in Daniel ein heiliger Geist sei (πνεῦµα ἅγιον), während im aramäischen Masoretischen Text רוח יתירהund bei Theodotion entsprechend πνεῦµα περισσόν steht. In Dan 5,14 interpretiert Bezalel diese Information dann so, dass in Daniel der Geist Gottes (πνεῦµα θεοῦ) sei. Auch die Septuaginta verwendet also statt der Pluralform für die Gottesbezeichnung ( )רוח אלהיןden Singular. Dieser Befund muss zunächst so stehen bleiben.216 Allerdings kann man festhalten, dass der Masoretische Text gegenüber der griechischen Überlieferung die ältere Variante bietet. Wäre er jünger als die Vorlage der Septuaginta, ließe sich kaum erklären, warum in den aramäischen Text erst später die merkwürdige Formulierung רוח אלהין קדשיןeingetragen worden sein soll. Insgesamt entsteht doch eher der Eindruck, dass die Septuaginta diesen Ausdruck und auch die Pluralform in der Gottesbezeichnung vermeiden möchte. 2.6.3 רוחim Danielbuch. Interpretation Wie wir gesehen haben, begegnet der Begriff רוחim Danielbuch vorwiegend in den Kapiteln Dan 4–6, die im Grunde auch als ältester Kern des Buches angesehen werden.217 Innerhalb dieser Kapitel liegt der Schwerpunkt deutlich auf den Kapiteln 4–5, wobei hier wiederum das Kapitel 5 dem Kapitel 4 215
Vgl. auch K. KOCH 2005, 380. Auch die Frage, warum Theodotion auch in den allein auf griechisch überlieferten Stücken deutlich von der Septuaginta abweicht, so z.B. auch in Hinblick auf die Aussagen zu πνεῦµα in Sus 1,44 und 1,63, kann hier nicht geklärt werden. 217 Vgl. E. HAAG 1993, 7; KRATZ 1991 (I); WITTE 2016 (II), 501.502; VERMEYLEN 2013 (I) 671. 216
2.6 Der Geist der heiligen Götter im Danielbuch
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zugeordnet ist und ohne dieses vorausgegangene Kapitel nicht funktionieren würde. Die Aussage der Königinmutter in Dan 5,11, dass es einen Mann gebe, in dem „der Geist der heiligen Götter“ sei ( איתי גבר במלכותך די רוח )אלהין קדשין בה, nimmt auf die in Dan 4,5.6.15 vorliegende Beschreibung Daniels durch Nebukadnezar Bezug. In den vorausgegangenen Kapiteln 1–3 und hier vor allem in Dan 1–2 wird die besondere Eignung bzw. Qualität Daniels nicht mit der Tatsache beschrieben, dass er im Besitz einer רוחsei. Seine Eignung besteht hier darin, dass er über besondere Weisheit חכמהverfügt (Dan 1,4.7; 2,23). Außerdem werden er und seine Freunde als besonders klug und verständig beschrieben. Die hebräischen bzw. aramäischen Vokabeln, die verwendet werden, um den besonderen Verstand der Freunde zu illustrieren, sind: שכל, Dan 1,4.17; ידע, Dan 1,4; 2,21; מדע, Dan 1,14.17; בינה, Dan 1,17; 2,21; und מנדע, Dan 2,21. Ebendiese Begriffe finden sich nun auch in Dan 5,11.12. Die Königinmutter sagt nicht nur, dass in Daniel „der Geist der heiligen Götter“ sei ( רוח )אלהין קדשין, sondern sie ergänzt auch noch, dass er über besondere Einsicht ( )שכלund Weisheit ( )חכמהverfüge (Dan 5,11). Dan 5,12 liest sich dann mit dem Verweis auf den außergewöhnlichen Geist ( )רוח יתירהwie eine weitere Ergänzung zu Dan 5,11. Auch hier werden der Geistbegabung noch die Begabung mit Einsicht und Erkenntnis ( שכלund )מנדעhinzugefügt. Dan 6 wiederum scheint dann wieder nichts von einer Begabung Daniels mit dem „Geist der heiligen Götter“ zu wissen, sondern stellt einfach fest, dass in Daniel ein überragender Geist ( )רוח יתירהsei. Diese verschiedenen qualifizierenden Beschreibungen Daniels lassen sich nun folgendermaßen erklären: Dan 4 und 6 können als zwei eigenständige Erzählungen angesehen werden, die Daniels besondere Stellung und Glaubensstärke illustrieren und die jeweils zur Gotteserkenntnis des Fremdherrschers führen (Dan 4,34; 6,27–28). Beide führen die Tatsache, dass es sich bei Daniel um eine herausragende Gestalt handelt, auf dessen Geistbesitz zurück. In Dan 6,4 wird dies im Verlauf der Erzählung schlicht festgestellt, in Dan 4,5.6.15 wird die Charakterisierung Daniels Nebukadnezar in den Mund gelegt. Dass es hier Nebukadnezar ist, der Daniels besondere Fähigkeiten erkennt, und dass es in Dan 5 die Königinmutter und Bezalel sind, die über Daniels Geistbesitz sprechen, ist im Zusammenhang mit dem Phänomen zu sehen, dass das Danielbuch besondere Gottes- und Glaubensaussagen immer den Fremdherrschern in den Mund legt. Zugleich wird durch die Tatsache, dass Daniel im Besitz der רוחist, eine Verbindung zu den herausragenden Gestalten in der erzählenden Literatur des Alten Testaments hergestellt, die ebenfalls über die רוחverfügen, gleichzeitig wird die ohnehin intendierte Verbindung zwischen Daniel und Josef verstärkt,218 der ebenfalls aufgrund des Besitzes der ( רוחGen 41,38) am Hof eines Fremdherrschers Erfolg hat. 218 Zur Verbindung von Daniel zu Josef und zu anderen Hof- und Aufstiegsgeschichten vgl. WAHL 2000.
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
Da die Beschreibung Daniels durch Nebukadnezar in Dan 4,5.6.15 vor dessen Erkenntnis des Höchsten (עליא, Dan 4,31) und des Königs des Himmels (מלך שמיא, Dan 4,34) steht, besitzt der aramäische Text offensichtlich die Freiheit, Nebukadnezar Daniel innerhalb seines eigenen Verständnisses charakterisieren und ihm so den Geist der heiligen Götter zuschreiben zu lassen. Die Tatsache, dass Nebukadnezar jemanden sucht, der über den „Geist der heiligen Götter“ verfügt, mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass in seinem Traum ebenfalls heilige Gestalten auftreten, nämlich der heilige Wächter ( )עיר וקדישin Dan 4,10 sowie die Heiligen ( )קדשיןin Dan 4,14. In Dan 5,11 bezieht sich die Königinmutter auf die Aussagen Nebukadnezars, wenn sie davon spricht, dass es jemanden gibt, in dem der Geist der heiligen Götter sei ()רוח אלהין קדשין. Dass Bezalel in Dan 5,14 nur von dem Geist der Götter ( )רוח אלהיןspricht und deren Heiligkeit unterschlägt, kann damit zusammenhängen, dass Bezalel nicht zur wirklichen Gotteserkenntnis gelangt. Möglicherweise wird hier durch die Verkürzung der Prädikation aus Dan 4,5.6.15 und 5,11 seine Ignoranz gegenüber allem Göttlichen angezeigt. Dan 5,11aβ.b und 5,12 sind deutlich sekundäre Ergänzungen, durch die eine Verbindung zwischen den Kapiteln 4 und 5 und den vorangestellten Kapiteln 1–2 geschaffen werden und wahrscheinlich auch ein Bezug zum folgenden Kapitel 6 hergestellt werden soll. Mit dem Geistbesitz Daniels werden hier Eigenschaften verbunden, die auch in Dan 1 und 2 (Dan 1,4.17; 2,21) Daniels besondere Würde und Eignung beschrieben haben. Die Tatsache, dass die Königinmutter sich auf Ereignisse in der Vergangenheit bezieht, eignet sich für diesen Einschub besonders gut. Insgesamt dienen diese Einträge in Dan 5,11aβ.b und 5,12 der Vereinheitlichung des Danielbildes auf der Ebene des Endtextes. Die Septuaginta beschreitet, wie oben bereits angedeutet, eigene Wege. In Dan 4,5.6.15 vermeidet sie die von Nebukadnezar im Masoretischen Text gebrauchte Formulierung רוח־אלהין קדשיןund spricht dementsprechend erst in Dan 5 von πνεῦµα. Die Formulierung vom außergewöhnlichen Geist in Dan 5,12 ( רוח יתירהim Masoretischen Text/πνεῦµα περισσόν bei Theodotion) findet sich in der Septuaginta allerdings auch nicht. Die Ergänzung aus Dan 5,12 fehlt im Text der Septuaginta, Dan 5,11MT findet sich in der Septuaginta in den Versen Dan 5,11LXX und 5,12LXX. In Dan 5,12LXX, was Dan 5,11MT entspricht, liest die Septuaginta πνεῦµα ἅγιον. Sie orientiert sich also offensichtlich an der Lesart רוח אלהין קדישיןaus Dan 5,11MT, lässt aber die Götter ( )אלהיןaus und lässt den Geist an sich heilig sein. In Dan 5,14 bietet sie eine fast identische Lesart wie der Masoretische Text, nur dass sie aus der Bezeichnung der Götter im Plural ( )אלהיןdie Gottesanrede im Singular macht (πνεῦµα θεοῦ). Dan 6,4 enthält im Septuaginta-Text dann die gleiche Variante, die sich in Dan 5,12 findet (πνεῦµα ἅγιον). Damit hat die Septuaginta an der gleichen Stelle eine Querverbindung zwischen Kapitel 5 und 6
2.7 Zusammenfassung: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
89
wie der Masoretische Text, nur dass jeweils unterschiedliche Bezeichnungen für den Geist verwendet werden. Dass der Septuaginta in Dan 5,12 die redaktionelle Ergänzung fehlt, die sich im Masoretischen Text an dieser Stelle findet, könnte darauf hindeuten, dass die Übersetzung der Septuaginta älter ist als der redaktionelle Eintrag. Andererseits benötigt die Septuaginta diese Ergänzung, die die Darstellung Daniels in Dan 5 an die in Dan 1–3 angleichen soll, nicht, weil sie in der Beschreibung der besonderen Fähigkeiten Daniels in Dan 4,5.6.15 ohnehin auf einer Linie mit ähnlichen qualifizierenden Bemerkungen in Dan 1–3 liegt (Dan 1,20; 2,48). Insgesamt lässt der Befund an dieser Stelle also doch eher darauf schließen, dass die Septuaginta jünger ist als der Masoretische Text und insgesamt Wert auf eine einheitlichere, glattere Darstellung Daniels legt. Was nun die Aussagen zum Geist Gottes im Danielbuch insgesamt anbelangt, so stehen sie deutlich in einer Linie mit der – in den erzählenden Büchern auch ansonsten breit bezeugten – Vorstellung, dass besondere Fähigkeiten auf Gottes Geist zurückgeführt werden. Dass der Sprachgebrauch hier zumindest im Masoretischen Text ungewöhnlich ist, ist in Dan 4,5.6.15 darauf zurückzuführen, dass der Gedanke, Daniel verfüge über den Geist, von Nebukadnezar formuliert wird. Da der Geistbesitz hier als eine dauerhafte Begabung vorgestellt wird, muss man das Danielbuch auch im Hinblick auf das Nachdenken über den Geist an das Ende einer Entwicklung stellen, die in den Samuelbüchern und im Richterbuch angelegt ist. Dadurch, dass Daniel sich durch den Geistbesitz in der Fremde als eine herausragende Gestalt erweist, steht er in deutlicher Verbindung zu Josef (Gen 41,38), der am Hof des Pharao auch durch die Tatsache, dass in ihm Geist ( )רוחist, aus dem übrigen Personal herausragt.
2.7 Zusammenfassung: Gottes Geist in den erzählenden Büchern 2.7 Zusammenfassung: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
Die vorausgegangenen Untersuchungen haben gezeigt, dass der Geist Gottes in den erzählenden Büchern in verschiedenen Überlieferungszusammenhängen begegnet. Besonders breit bezeugt ist er in den Erzählungen über Saul und sein Königtum (1 Sam 10,6.10; 11,6; 16,13–14.23; 18,10; 19,9.20.23). In diesen Texten erscheint der Geist Gottes in verschiedenen Bedeutungen. Er kann Saul zu einer besonderen Krafttat befähigen und zum Heerführer gegen die Ammoniter machen (1 Sam 11,6). Er versetzt Saul und seine Boten in Ekstase (1 Sam 10,6.10; 19,20.23), die im Zusammenhang mit den Erzählungen über die Entstehung des Königtums (1 Sam 8‒11) eines der Beglaubigungszeichen für die Ankündigungen Samuels ist (1 Sam 10,6.10). In diesen Texten findet außerdem eine Profilierung der Vorstellung vom Wirken des Geistes Gottes statt. Der Geist Gottes ist in einem späteren Stadium des Textwachstums nicht mehr allein dafür verantwortlich, dass Saul in Ekstase
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
gerät, sondern er bewirkt gleichzeitig eine Verwandlung Sauls in einen anderen Menschen (לאיש אחר, 1 Sam 10,6) mit einem anderen Herzen (לב אחר, 1 Sam 10,9). David erhält bei seiner Salbung zum König den Geist Gottes als eine dauerhafte Gabe im Sinne eines Amtscharismas (1 Sam 16,13). Infolgedessen weicht der Geist von Saul (1 Sam 16,14), und er wird fortan von einem bösen Geist ()רוח הרעה, der aber auch von Gott kommt, geplagt (1 Sam 16,23; 18,10). Von den Geistbelegen in den Saul- und David-Erzählungen gibt es Verbindungen in das Richterbuch hinein. Am deutlichsten ist die Verbindung zwischen Saul und Simson, da nur bei Saul, David und Simson das Verb צלח in Verbindung mit dem „Vom-Geist-Gottes-ergriffen-Werden“ verwendet wird. Der Geist Gottes ist nachträglich in die Simson-Erzählungen eingetragen worden und dient der Erklärung der Taten Simsons, die sich nicht mithilfe des Vergeltungsrechtes erklären lassen. Die mysteriösen, archaischen Züge Simsons werden so auf das Wirken des Geistes Gottes zurückgeführt, und die Verbindung zwischen Simson und Saul wird gestärkt. Innerhalb des Richterbuches begegnet der Geist Gottes ansonsten bei den Richtern Otniël (Ri 3,10), Gideon (Ri,34) und Jeftah (Ri 11,29). Anders als es vielleicht naheliegen könnte, hat ihr Geistbesitz weniger etwas damit zu tun, dass sie für Israel in den Kampf ziehen, sondern vielmehr damit, dass sie als Vorläufer des Königtums erscheinen. Für Simson wird diese Verbindung zum Königtum durch seine Darstellung in Anlehnung an König Saul ausgedrückt, für Jeftah durch die Tatsache, dass er zum Haupt ( )ראשund Obersten ()קצין erhoben wird (Ri 11,11), und für Gideon durch die Diskussion seiner möglichen Herrschaft ( )משלund dadurch, dass der Geist ihn wie mit einem Königsmantel umkleidet ()לבש. Im Falle Otniëls, der als Paradigma eines Richters dem Richterbuch vorangestellt ist, ist der Geist Gottes dann bereits als typisches Charakteristikum mit dem Richteramt verbunden (Ri 3,10). Ein weiterer Erzählzusammenhang, in dem der Geist Gottes begegnet, findet sich in der Mose-Überlieferung. Von Mose wird der Besitz des Geistes Gottes einfach vorausgesetzt. Anders als in den Überlieferungen um Saul und David und im Richterbuch wird nichts davon berichtet, dass Mose unmittelbar vom Geist Gottes ergriffen wird. Dass er den Geist Gottes besitzt, wird lediglich daran deutlich, dass er in der Lage ist, diesen Geist auf andere, nämlich auf die siebzig Ältesten in Num 11 und auf Josua in Num 27,18, zu übertragen. Die Erzählung von der Übertragung des Geistes auf die siebzig Ältesten in Num 11 ist ein später Text, der Prophetentexte wie Joel 3, in denen es um eine Geistausgießung auf das ganze Volk geht, zu kennen scheint und der daran interessiert ist, die Verantwortung für die Geschicke des Volkes auf mehrere Personen zu übertragen. Die wiederum später ergänzte Episode über Eldad und Medad in Num 11,26‒29 erweitert diesen Gedanken noch dahin gehend, dass keine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Institution oder im Zusammenhang von Num 11 keine Anwesenheit am Zelt
2.7 Zusammenfassung: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
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der Begegnung notwendig ist, um den Geist Gottes zu empfangen, sondern allein die Tatsache, dass man sich zu Gott hält, wie es in den Namen Eldad „Gott hat geliebt“ und Medad „der Geliebte“ deutlich wird. Ebenfalls im Numeribuch wird der Geistbesitz Bileams überliefert (Num 24,2), was allerdings eine späte Ergänzung des Textes ist. Dass Bileam vor seinem dritten Spruch den Geist Gottes verliehen bekommt, hat damit zu tun, dass insbesondere dieser dritte Spruch die beiden vorausgegangenen Sprüche übersteigt und damit einer besonderen Legitimation bedarf. Vor dem Hintergrund von Num 11, wo bereits viele mit dem Geist Gottes versehen werden, ist es einerseits notwendig, dass auch Bileam ihn bekommt, um sein Reden zu legitimieren und um andererseits zu erklären, warum ein fremder Prophet Zugang zum Wort Gottes hat. Die Texte im Numeribuch scheinen stärker in Verbindung zu Prophetie und zum Wesen von Prophetie zu stehen als die Texte in den Samuelbüchern und im Richterbuch. Zumindest ist Bileam ein Prophet, und auch in Num 11 findet sich als Abschluss der Eldad-und-Medad-Episode der Ausspruch Moses: „ ומי יתן כל־עם יהוה נביאים כי־יתן יהוה את־רוחו עליהםwollte JHWH, dass alle im Volk Propheten wären, dass JHWH seinen Geist über sie gäbe“ (Num 11,29b). Außerdem ist die Ekstase das Beglaubigungszeichen dafür, dass der Geist Gottes von Mose auf die Ältesten bzw. auf Eldad und Medad übergegangen ist (Num 11,25.26). Allerdings geht es in Num 11 und auch im Falle des für Mose vorausgesetzten Geistbesitzes eher darum, dass der Geist Gottes die Menschen befähigt, Verantwortung als Anführer zu tragen. Wenn es um Prophetentum geht, dann darum, ein Prophet im Sinne Moses zu sein. Auch in der Bileam-Überlieferung steht nicht der Gedanke im Vordergrund, dass der Geist Gottes zu prophetischer Rede führt. Denn auch in der BileamEpisode sind Geist Gottes und der Spruch Bileams nicht allzu fest miteinander verbunden, so dass der Geist Gottes auch hier eher eine grundsätzliche Legitimation Bileams ist als diejenige Instanz, durch die Bileams Reden bewirkt wird. Zu einer Größe, die die besonderen Fähigkeiten einzelner Personen aufweist, ist der Geist auch in den Erzählungen um Josef und um Daniel geworden, deren besondere Eignung für die ihnen zugedachten Aufgaben jeweils auf den Geistbesitz zurückgeführt wird (Gen 41,38; Dan 4,5.6.15; 5,11.14; 6,4). Josuas Geistbesitz, der in Num 27,18 angesprochen ist, begegnet auch in Dtn 34,9. In beiden Fällen wird Josua als Nachfolger Moses eingesetzt. Dtn 34,9 gehört aber nicht nur in den Überlieferungszusammenhang der Nachfolge Moses, sondern er ist auch in Verbindung mit dem Geistbesitz Bezalels und derjenigen, die die Kleider für Aaron schneidern, in Ex 28,3, 31,3 und 35,31 zu sehen. Der Geist Gottes begegnet in all diesen Texten in Zusammenhang mit Weisheit ( )חכמהund in Verbindung mit dem Verb מלא, das wiederum in Verbindung mit dem Geist Gottes nur an diesen Stellen gebraucht wird. Der Geist der Weisheit ( )רוח חכמהbegegnet, abgesehen von
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2. Kapitel: Gottes Geist in den erzählenden Büchern
diesen Stellen, nur noch in Jes 11,2. Vermutlich sind Ex 28,3, 31,3 und 35,31 in Zusammenhang mit der Konzeption der priesterschriftlichen Überlieferung zu sehen. Zu Beginn der Schöpfung bzw. noch vor der eigentlichen Schöpfung ist Gottes Geist anwesend (Gen 1,2). Da der Bau des Heiligtums in Anlehnung an den uranfänglichen Schöpfungsbericht gestaltet ist, ist es nur folgerichtig, dass auch Bezalel als einziger, der unter den Handwerkern namentlich genannt ist, bereits über den Geist Gottes verfügt, bevor mit der Erschaffung des Heiligtums begonnen werden kann. Dtn 34,9 ist möglicherweise von den Exodustexten abhängig und trägt Gottes Geist an einen weiteren Ausgangspunkt für einen Neuanfang ein, nämlich an den Auftakt zum Einzug ins Land. Unabhängig von einer Zugehörigkeit zu priesterschriftlichen Überlieferungszusammenhängen findet sich Gottes Geist damit am Anfang und am Ende des Pentateuchs und innerhalb der zentralen Texte über den Bau des Zeltheiligtums. Insgesamt kann man über den Geist Gottes in den erzählenden Büchern sagen, dass er fast ausschließlich an Personen gebunden auftritt. Die Texte in Gen 1,2 und 1 Kön 22 bilden hier eine Ausnahme. In der Bindung an Personen kann der Geist Gottes zwar Verschiedenes bewirken. Was sein Wirken aber durchgängig auszeichnet, ist, dass er das Handeln der Personen, die er ergreift, legitimiert und die Autorität dieser Personen als Führungsgestalten in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich untermauert. Und auch in den Texten, in denen Gottes Geist nicht Teil eines Beziehungsgeschehens zwischen Gott und Mensch ist wie in Gen 1,2 und in 1 Kön 22, steht Gottes Geist dennoch für die Anwesenheit Gottes und für die Umsetzung seines Ratschlusses.
3. Kapitel
Gottes Geist im Jesajabuch In keiner anderen prophetischen Schrift begegnet Gottes Geist so häufig wie im Jesajabuch, nämlich insgesamt zweiundzwanzig Mal (Jes 4,4; 11,2; 26,9; 28,6; 29,10.24; 30,1; 31,3; 32,15; 34,16; 40,13; 42,1.5; 44,3; 48,16; 57,15.16; 59,21; 61,1; 63,10.11.14), wobei die Belegstellen fast gleichmäßig auf das Proto- und das Deuterojesajabuch verteilt sind. Da das Proto- (Jes 1‒39) und das Deuterojesajabuch (Jes 40‒66) jeweils eine unterschiedliche Entstehungsgeschichte haben, sollen beide Buchteile an dieser Stelle zunächst getrennt voneinander untersucht werden. Aufgrund der Tatsache, dass mehrere Texte, Motive und theologische Vorstellungen das Proto- und das Deuterojesajabuch zu einem Gesamtjesajabuch verbinden, sollen nach Abschluss der einzelnen Untersuchungen die Geisttexte beider Buchteile zueinander in Beziehung gesetzt werden.
3.1 Gottes Geist im Protojesajabuch 3.1 Gottes Geist im Protojesajabuch
Bereits im Protojesajabuch wird in vielfältiger Weise von Gottes רוחgesprochen. Schon eine erste Übersicht erweckt den Eindruck, dass dem Reden von Gottes Geist hier unterschiedliche Vorstellungshintergründe und Konzeptionen zugrunde liegen. So erscheint Gottes רוחals ein richtender Geist (רוח משפט, Jes 4,4; 28,6), als Gabe an den erwarteten Herrscher in Jes 11,2 ( ונחה עליו רוח „ יהוה רוח חכמה ובינה רוח עצה וגבורה רוח דעת ויראת יהוהauf ihm wird ruhen der Geist JHWHs, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht JHWHs“), als Ausweis für Gottes Ansinnen in Jes 30,1 ( הוי בנים סוררים נאם־יהוה לעשות עצה „ ולא מני ולנסך מסכה ולא רוחיweh den abtrünnigen Söhnen, Spruch JHWHs, die ohne mich Pläne fassen und Bündnisse eingehen ohne meinen Geist“) sowie als Eigenschaft Gottes, die auch losgelöst von Gott agieren kann ( כי־פי „ הוא צוה ורוחו הוא קבצןdenn sein Mund gebietet es, und sein Geist bringt sie zusammen“, Jes 34,16). Außerdem begegnet die רוחals eine anthropologische Größe in Jes 26,9 („ נפשי אויתיך בלילה אף־רוחי בקרבי אשחרךvon Herzen verlangt mich nach dir des Nachts, ja, mit meinem Geist suche ich dich am Morgen“) und in Jes 29,24 („ וידעו תעי־רוח בינה ורוגנים ילמדו־לקחund die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen“). Zudem findet sich
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
der Begriff רוחim Zusammenhang mit einer dualistischen Aussage zu Fleisch und Geist in Jes 31,3 („ ומצרים אדם ולא־אל וסוסיהם בשר ולא־רוחdenn Ägypten ist Mensch und nicht Gott, und seine Rosse sind Fleisch und nicht Geist“) und im Zusammenhang mit der Vorstellung von einer Ausgießung der רוחin Jes 32,15 („ עד־יערה עלינו רוח ממרום והיה מדבר לכרמל וכרמל ליער יחשבso lange, bis ausgegossen wird der Geist aus der Höhe, und es wird die Wüste zum Karmel werden, und der Karmel wird wie Wald angesehen werden“), die in Jes 29,10 konterkariert vorliegt („ כי־נסך עליכם יהוה רוח תרדמהdenn JHWH hat über euch einen Geist des tiefen Schlafes ausgegossen“). Die folgende Untersuchung dieser Texte wird vor allem von folgenden Fragen geleitet sein: Zunächst soll geprüft werden, wie die einzelnen Aussagen zu רוחin ihrem jeweiligen Zusammenhang zu verstehen sind. Im Anschluss daran wird zu fragen sein, ob die einzelnen Aussagen in einem Verhältnis zueinander stehen und ob hinter zumindest einigen der oben genannten Texte ein zusammenhängendes Verständnis von Gottes רוחsteht. Außerdem sollen in diesem Zusammenhang die Aussagen zu Gottes Geist, die innerhalb des Protojesajabuches vorliegen, in eine relative Chronologie gebracht werden, so dass mögliche Entwicklungslinien im Reden und Nachdenken über den Geist Gottes innerhalb des Proto- und darüber hinaus auch innerhalb des Gesamtjesajabuches aufgezeigt werden können. Da sich die vorliegende Arbeit vorrangig mit Gottes Geist beschäftigt, werden die Texte, in denen der Geist deutlich eine anthropologische Größe ist, also Jes 26,9 und 29,24, sowie der Text Jes 31,3, in dem es um den Dualismus aus Fleisch und Geist geht, gegenüber den anderen Belegen in den Hintergrund treten. Vor allem im Hinblick auf die Frage nach einer relativen Chronologie der Aussagen zu רוחim Protojesajabuch und nach möglichen Entwicklungslinien im Nachdenken über Gottes Geist müssen das Wachstum des Protojesajabuches und die Entstehung auch der einzelnen Texte in den Blick genommen werden. 3.1.1 Literarisches Wachstum im Protojesajabuch Die meisten Arbeiten und Thesen zum literarischen Wachstum des Protojesajabuches sind eng mit seiner Gliederung verbunden, über die im Wesentlichen ein Konsens besteht.1 Jes 1 wird als einführendes Kapitel verstanden, in dem bereits die Grundzüge der Verkündigung des Propheten Jesaja aufgeführt werden. An dieses Kapitel schließt in Jes 2‒12 eine Sammlung von
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Die folgende Gliederung findet sich als Grundlage in fast allen Studien zum Jesajabuch. An dieser Stelle seien nur exemplarisch einige Kommentare und Studien genannt. Vgl. BECKER 1997, 20; BEUKEN 2003, 30; HÖFFKEN 1993, 13‒18; JÜNGLING 2012, 523; KILIAN 2012, 10. Etwas anders Barthel, der eine Vierteilung vornimmt und die Kapitel Jes 24–27 in den Textkomplex Jes 13‒23 mit einordnet. Vgl. BARTHEL 1997, 19.
3.1 Gottes Geist im Protojesajabuch
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Gerichtsworten gegen das eigene Volk an, wobei in der Endgestalt dieser Kapitel auf jedes der Gerichtsworte ein Heilswort folgt. In Jes 13‒23 liegt eine Sammlung von Gerichtsworten gegen Fremdvölker vor. Diese Gerichtstexte können, auch wenn sie sich auf einzelne Völker beziehen, als Beispiele für das Weltgericht gelesen werden. An diese Sichtweise knüpfen die Kapitel Jes 24‒27 an, die sogenannte „Jesaja-Apokalypse“, in der es um das Heil für Israel und für die Völker im Gericht geht. Die Kapitel Jes 28‒35 sind vor allem durch die Zusammenstellung verschiedener Wehrufe geprägt und werden daher als eigenständige größere Sammlung verstanden. Den Abschluss bilden Erzählungen über Jesaja und Hiskia in Jes 36‒39. Abgesehen von dieser Gliederung des Protojesajabuches sind es zwei Grundannahmen, die alle Arbeiten zu seinem literarischen Wachstum prägen. Dies ist zum einen die These B. Duhms, dass die Entstehung des Jesajabuches überhaupt auf zwei Textkomplexe zurückgeht, die noch vom Propheten Jesaja selbst verfasst worden sind, nämlich auf die „Jesaja-Denkschrift“ in Jes 6‒8 und auf den sogenannten „Assur-Zyklus“ in Jes 28‒31. In beiden Textkomplexen finden sich Hinweise auf die Überlieferungstätigkeit Jesajas (Jes 8,16‒18; 30,8). Duhm nahm an, dass Jes 6‒8 aus einer frühen Phase der jesajanischen Verkündigung stammt, Jes 28‒31 aus einer späten.2 Als zweite Voraussetzung liegt jeder Arbeit zum literarischen Wachstum des Jesajabuches eine Antwort auf die Frage zugrunde, ob die Verkündigung des historischen Jesaja ausschließlich aus Gerichtsankündigungen bestanden hat oder ob dem historischen Propheten auch Heilsaussagen zugesprochen werden können. In seiner Theologie des Alten Testaments hatte G. von Rad das Zentrum der jesajanischen Botschaft in der Verbindung aus Gericht und Heil gesehen.3 Demgegenüber sprach G. Fohrer in seinem Jesaja-Kommentar dem historischen Propheten Jesaja mit wenigen Ausnahmen alle Heilsankündigungen ab.4 Danach, wie diese Frage nach der Verkündigung des Propheten Jesaja beantwortet wird, richtet sich der Grundbestand an jesajanischem Gut, der in redaktionskritischen Arbeiten erwogen wird. Besonders umfangreich fällt dieser jesajanische Textbestand in dem Kommentar von H. Wildberger aus,5 während O. Kaiser in seinem Jesaja-Kommentar nur noch einen sehr kleinen Teil der Texte auf den Propheten Jesaja zurückführte, nämlich den Grundbestand von Jes 1 und Jes 28–31.6 Er sah in diesen Kapiteln die Grundlage für 2 Vgl. DUHM 1968, 17. Duhm sah jesajanisches Gut selbstverständlich auch in anderen Kapiteln des Jesajabuches vorliegen. Jes 6‒8 und 28‒31 sind seiner Auffassung nach die Kerne der schriftlichen Überlieferung. Vollkommen auf den Propheten Jesaja zurückgeführt wird die Denkschrift, sogar in erweiterter Form, immer noch bei Blum. Vgl. BLUM 1996 und DERS. 1997. 3 Vgl. VON RAD 1960, 161. 4 Vgl. FOHRER 1960, 15. 5 Vgl. WILDBERGER 1980. 6 Vgl. KAISER 1981, 19‒27.
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
ein im 5. Jahrhundert v. Chr. herausgegebenes erstes Prophetenbuch, das von deuteronomistischer Theologie beeinflusst war.7 Die seit dem Kommentar Duhms durchgehend für jesajanisch gehaltene Denkschrift betrachtete Kaiser als literarisch von den Kapiteln Jes 28‒31 abhängig.8 Er sah in Jes 6,1–8,18 somit eine spätere Ergänzung der ältesten Jesajarolle, die aber ebenfalls deuteronomistisch beeinflusst war. Die Rahmung der Denkschrift in Jes 5* und Jes 9* und 10* sah er als dritte Redaktionsschicht an. In einer vierten Erweiterung traten Ankündigungen des Weltgerichtes hinzu, so in Jes 2,12‒17 und Jes 24‒27*. Des Weiteren rechnete Kaiser mit einer Redaktionsschicht, die die Immanuel-Weissagungen in Jes 7,14b‒16bα.21‒22 und 8,8b*.9‒10 sowie die messianischen Weissagungen in Jes 9,1‒6 und 11,1‒5 in den Text eingetragen hat, und mit einer „Assur-Bearbeitung“, auf die Jes 10,5‒15, 14,24‒27, 17,12‒14, 29,5‒8, 30,27‒33 und 31,4‒5.8‒9 zurückgehen. Außerdem ging er von weiteren „historisierenden Einschaltungen“ und Zusätzen aus, die, wie beispielsweise Jes 2,18‒21, eine Verbindung in das Deuterojesajabuch zeigten oder, wie Jes 17,7‒8 und 31,6‒7, einen Zusammenschluss mit den tritojesajanischen Kapiteln voraussetzten.9 Kaiser vorausgegangen waren bereits die redaktionskritisch ausgerichteten Arbeiten von H. Barth und J. Vermeylen.10 Beide Arbeiten waren nicht allein von dem Interesse geleitet, den Grundbestand jesajanischer Überlieferung zu erheben, sondern vor allem davon, den theologischen Gehalt der ermittelten Redaktionsschichten zu beschreiben. Während Barth sich dabei auf die Assur-Texte konzentriert, die er als Neuinterpretation der Verkündigung des Propheten Jesaja in der Josia-Zeit betrachtete,11 hat Vermeylen eine redaktionskritische Untersuchung der Kapitel Jes 1‒35 und damit eines Großteils des Protojesajabuches vorgelegt. Barths These einer Assur-Redaktion wurde in der Folgezeit aufgegriffen und modifiziert, wobei beispielsweise die Arbeit R. E. Clements’ die Datierung in die Josia-Zeit beibehielt,12 während spätere Arbeiten zwar an einer Assur-Redaktion festhielten, selbige aber in exilischnachexilische Zeit datierten.13 Barth sah in der Assur-Redaktion eine Redaktionsschicht, die die Buchteile Jes 2‒11* und 28‒32*, die ihrerseits bereits ein mehrschichtiges Wachstum durchlaufen hatten, vorgefunden und unter Einbeziehung von Jes 13‒23* 7
Ebd., 19. Diese völlige Aufgabe der Denkschrift wurde von Kaiser später selbst zurückgenommen. In seinem Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments nimmt er jesajanisches Gut auch für Jes 8,1‒15*, 14,29‒31*, 17,1‒3* und 18,1‒2* an. Vgl. KAISER 1994, 42. 9 Vgl. dazu ebd., 22‒27. 10 BARTH 1977; VERMEYLEN 1978. 11 Vgl. BARTH 1977, 301. 12 CLEMENTS 1980 (I); DERS. 1980 (II). 13 Vgl. KILIAN 2012, 17; WERNER 1986. 8
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miteinander verbunden hat, so dass im 7. Jahrhundert v. Chr. bereits ein Protojesajabuch des Umfangs Jes 2‒32* vorlag, das dann in exilischer Zeit um Jes 1* und 33* und in nachexilischer Zeit um Jes 34‒35 und 24‒27 erweitert worden ist und zu dem die aus dem Zweiten Königebuch übernommenen Erzählungen in Jes 36‒39 hinzugetreten sind.14 Vermeylen führt den Redaktionsprozess des Jesajabuches auf sieben Phasen zurück. Ausgangspunkt sind fünf Teilsammlungen, die noch auf den Propheten Jesaja bzw. auf ihn und seine Schüler zurückgehen (I: Jes 6‒8*; II: Jes 2‒3*; III: Jes 5,8‒23 und 10,1‒4; IV: Jes 9,7ff und 5,24ff; sowie V: Jes 10,5ff; 18* und die Wehrufe in Jes 28‒31). Diese Teilsammlungen werden in der Zeit von 700 v. Chr. bis zum Beginn des Exils miteinander verknüpft und in zwei Phasen fortgeschrieben, nämlich durch Texte, die die Unverletzbarkeit Jerusalems betonen (Jes 8,8b‒10; 29,5‒7; 31,5) und die von Vermeylen in die Regierungszeit Manasses datiert werden, und durch erschatologische Texte, die am Kommen JHWHs und an einem davidischen Messias interessiert sind (Jes 2,2‒4; 8,23‒9,6*; 11,1‒5) und die Vermeylen in die Regierungszeit Josias datiert. Im Exil erfolgt eine grundlegende deuteronomistische Bearbeitung, auf die noch weitere Ergänzungen folgen, die verschiedene Probleme der nachexilischen Zeit in den Blick nehmen.15 Neuere Arbeiten zu einer Redaktionskritik des Protojesajabuches haben unter anderen U. Becker, U. Berges und J. Barthel vorgelegt,16 wobei die Arbeit von Barthel sich auf die Texte in Jes 6‒8 und 28‒31 beschränkt, während Becker das gesamte Protojesajabuch untersucht, wenn auch mit einem deutlichen Fokus auf die Kapitel Jes 4‒10. Berges nimmt das gesamte Jesajabuch (Jes 1‒66) in den Blick. Die Arbeit Beckers kann, was den Bestand jesajanischer Worte anbetrifft, als minimalistisch bezeichnet werden. Er geht von einem „mehrphasigen Fortschreibungsprozeß“ aus, „der von einer relativ schmalen ‚prophetischen Textbasis‘ (vor allem Jes 6,1‒8* + 8,1‒4*) seinen Ausgang nahm“.17 Den eigentlich ältesten Bestand sieht Becker offensichtlich in Jes 8,1.3‒4.16, in der Zeichenhandlung über die Namensgebung von Raubebald-Eilebeute. Diese Szene sei mithilfe eines Überleitungsverses (Jes 8,1) mit der Berufungsvision in Jes 6,1‒4.5aαβ.6‒8 verbunden worden, in der die Einsetzung Jesajas zum königlichen Propheten beschrieben wurde. Zu diesem ersten kleinen Jesajabuch können weitere Worte gegen fremde Völker gehört haben (Jes 17,1b.3*; 28,1*.3.7b‒10). Erst in frühnachexilischer Zeit sei es dann zu einer „Neuedition des jesjanischen Kerns“ gekommen, die Jesaja zu einem Gerichtspropheten auch gegen das eigene Volk gemacht hat. Auf das Konto dieser Neuedi14
BARTH 1977, 277‒309. Vgl. VERMEYLEN 1978, 653‒752. 16 BARTHEL 1997; BECKER 1997; BERGES 1998. 17 BECKER 1997, 281. 15
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
tion gehen zunächst Jes 6,5aβ.9.11; 8,1.3‒4.5‒8a*.17. Als weitere Fortschreibungen folgen die Rahmung der „Denkschrift“ (Jes 5,1‒7.8ff und 9,7‒20), eine Assur-Redaktion (Jes 10,5‒11*; 14,24‒25a; 29,1‒4*; 31,1.3.8a), die Hinzufügung zweier neuer Bucheinleitungen in Jes 3,1‒7*.14‒15 und 2,6‒19*, die Einschaltung in Jes 7* in „protochronistischer Zeit“ sowie eine Ungehorsams-Redaktion, auf deren Konto die Bucheinleitung in Jes 1,2–20* sowie weite Teile der in Jes 28‒31 erhaltenen Worte gehen (Jes 28,12.16aβb; 29,9‒10.13‒16; 30,1‒2.4‒5a.8‒13.15‒16.17aβb; 31,2).18 So einleuchtend sich die redaktionskritischen Analysen der einzelnen Kapitel des Jesajabuches bei Becker lesen, so problematisch bleibt die späte Datierung eigentlich aller Redaktionsschichten. Die Lücke zwischen dem Grundbestand, der offensichtlich auf den Propheten Jesaja zurückgeführt wird, und den frühnachexilischen ersten Fortschreibungen beträgt leicht zweihundert Jahre. Warum nach diesem vergleichsweise langen Zeitraum, in dem sich der Grundbestand nicht weiterentwickelte, ein intensiver Fortschreibungsprozess einsetzt, bleibt ungeklärt. Ebenso offen bleibt die Frage, wie sich das Proto- und das Deuterojesajabuch mit seinen „tritojesajanischen Ergänzungen“ zueinander verhalten, wenn sie nach diesem Entstehungsmodell im Grunde gleichzeitig entstanden sind. Von einem umfangreicheren jesajanischen Grundbestand geht U. Berges aus. Er führt Jes 1,21‒26; 2,12‒17; 6,1‒8,18*; 14,28‒29.31; 17,1‒3; 18*; 19*; 20*; 22*; 28,1‒4.7‒18*; 29,15‒16; 30,1‒5.6‒8.12‒14.16‒17; 31,1.3 auf den Propheten Jesaja und seine Wirkungszeit zwischen 734 und 701 v. Chr. zurück und hält damit im Wesentlichen an der älteren These Duhms, dass jesajanisches Gut überwiegend in Jes 6‒8* und in Jes 28‒31* vorliege, fest. Die Denkschrift in Jes 6‒8 sei dann in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts v. Chr. zu einer „Komposition aus der Manasse-Zeit“ in Jes 5,1‒10,4 erweitert und nach 605 v. Chr. noch um Jes 10,5‒15; 14,25‒26 ergänzt worden. In einem frühnachexilischen Redaktionsprozess wurde der Gedanke des „Restes“ eingetragen. Auf diese Redaktion gehen vor allem die Texte in Jes 1,2‒4,6*, 6,9‒11, Kapitel 11 und 7,10‒14a.17a zurück. In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. kommt es zu mehreren redaktionellen Prozessen, durch die unter anderem eine „Babylonisierung“ (Jes 13‒14; 21; 23,13; 28,5‒6.12. 16‒17.23‒29) sowie eine „Zionisierung“ (Jes 13,2; 14,1‒2; 16,1.3‒5; 18,3.7; 23,17‒18; 29,11‒12.17‒24) der Texte erfolgte und durch die in Jes 24‒27 Texte mit einer universalen Tendenz in den Gesamtbestand eingetragen wurden. Den Abschluss des Wachstums des Protojesajabuches sieht Berges in einer protoapokalyptischen Bearbeitung aus frühhellenistischer Zeit (Jes 28,19‒22; 29,5‒7; 30,27‒33; 31,4‒5.8‒9).19 Auch wenn der vergleichsweise 18
Ebd., 281‒287. Vgl. BERGES 1998, vor allem die Schautafel auf S. 548. Eine noch andere Schichtung findet sich bei HÖFFKEN 1993, 19–20. 19
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umfangreiche Bestand jesajanischer Texte, den Berges voraussetzt, zu hinterfragen wäre, bietet sein Ansatz den Vorteil, dass er ein kontinuierlicheres Wachstum voraussetzt, als das bei Becker der Fall ist, und dass die zeitliche Einordnung, die er vornimmt, eine Erklärung der Entstehung des Deuterojesajabuches auch vor dem Hintergrund eines Protojesajabuches erleichtert. Während bei Kaiser und auch bei Becker die Frage nach dem literarischen Wachstum von Teilkompositionen des Jesajabuches zugunsten durchgängiger literarischer Schichten aufgegeben worden ist, treten bei Berges Teilkompositionen vor allem im Hinblick auf die Denkschrift und auf Jes 28‒31 deutlich hervor. Von diesen Teilkompositionen geht auch W. Beuken in seinem Kommentar und in seinen Studien zum literarischen Wachstum des Jesajabuches aus.20 Charakteristisch für seine Arbeit ist, dass er stark von den kompositorischen Elementen des Endtextes ausgeht, die er in weiten Teilen als das Endergebnis eines literarischen Prozesses sieht, die er aber nur sehr zurückhaltend bestimmten, zeitlich abgrenzbaren Redaktionsschichten zuordnet.21 Für das Wachstum des Protojesajabuches folgt Beuken zunächst der These, dass Orakel des Propheten Jesaja vor allem in Jes 1‒12 und 28‒32 zu finden sind.22 Des Weiteren sieht er den Kern der Überlieferung des Protojesajabuches in der „Denkschrift“ in Jes 6,1‒8,18 vorliegen, die er als „Immanuelschrift“ bezeichnet23 und die er als Ergebnis der Zusammenarbeit des Propheten Jesajas mit seinem Schülerkreis interpretiert. Diese Immanuelschrift sei dann innerhalb von Jes 1‒12 sukzessive um Material ergänzt worden, das teilweise noch vom Propheten selbst stammt und das ansonsten das Produkt redaktioneller Tätigkeit ist. Innerhalb dieser Ergänzungen sieht Beuken eine „geradlinige Erweiterung“ sowie eine „ringförmige Ausweitung“ vorliegen.24 Die „geradlinige Erweiterung“ ist mit dem Weinberglied in Jes 5,1‒7 als Prolog zu Jes 6,1‒8,18 und mit der Ankündigung des Davidsohnes in 9,1‒6 als Epilog erfolgt. Die ringförmige Erweiterung betrifft die Wehesprüche in Jes 5,8‒24 und das Kehrversgedicht über den Zorn JHWHs in Jes 9,7‒20. Beuken geht davon aus, dass die ringförmige Erweiterung der geradlinigen Erweiterung untergeordnet ist, so dass die geradlinige Erweiterung die ältere sein muss. Er datiert sie in die zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts v. Chr. Die 20
Vgl. BEUKEN 2003; DERS. 2007; DERS. 2010; DERS. 1991; DERS. 1998. Bereits 1986 auf niederländisch erschien DERS. 1986. 21 Vgl. z.B. BEUKEN 2003, 32: „Während des weiteren redaktionellen Ausbaus der bereits erweiterten Immanuelschrift (5,1‒9,6) zur umfangreichen Textgestalt von Jes 1‒12 waren einige Tendenzen wirksam, die man diachron nur schwer, wohl aber synchron vom Endergebnis her unterscheiden kann.“ 22 Einzelne Orakel sieht er auch in Jes 13‒23 vorliegen (Jes 14,28‒32 über Philistäa; Jes 17 über Damaskus; Jes 18 über Kusch; Jes 19 über Ägypten; Jes 20.22 über Jerusalem). Vgl. BEUKEN 2003, 34. 23 Vgl. ebd., 30. 24 Vgl. ebd., 31.
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
ringförmige Erweiterung datiert er in die nachexilische Zeit.25 In Jes 1,2‒2,5 und 2,6‒4,6 sieht er „zwei Ouvertüren“ vorliegen, die zusammen mit Jes 10 und 12 die Immanuelschrift in einem redaktionellen Prozess erweiterten und zu einem „selbständigen Opus“ ausbauten.26 Jes 28‒32 ist Beuken zufolge das Produkt einer selbständigen vorexilischen Entwicklung,27 die sich in verschiedenen „literargeschichtlichen Schichten“ vollzogen hat.28 Besonderes Gewicht misst Beuken zwei Ergänzungen in Jes 32,1‒8 (Verheißung einer gerechten Regierung) und 32,15‒20 (Verheißung des Geistes JHWHs) zu. Diese Erweiterungen zeigen, so Beuken, Beziehungen zu Jes 1‒12, vor allem zu Jes 3,16‒4,1. Auf diese Weise sind die beiden Teilsammlungen in Jes 1‒12 und 28‒32 zu einem protojesajanischen Grundbestand zusammengefügt worden.29 Den Kapiteln Jes 13‒23 schreibt Beuken einen eigenständigen Überlieferungsprozess zu, der erst in persischer Zeit zu einem Abschluss gekommen sei.30 Beuken ist mit seiner Zurückhaltung gegenüber der genauen Zuweisung von Texten zu bestimmten Redaktionsschichten und mit seinem methodischen Zugang, von der Komposition des Endtextes her zu fragen, Vertreter einer Forschungsrichtung innerhalb der Exegese des Jesajabuches, die sich der komplizierten Entstehungsgeschichte des Jesajabuches zwar bewusst ist, aber eher an einer Analyse des Endtextes interessiert ist.31 Die folgende Untersuchung der רוחGottes im Jesajabuch kann und muss keine eigenständige These zum Wachstum des Protojesajabuches oder des Jesajabuches überhaupt entwickeln. Gleichzeitig kann aber auch keine der oben dargestellten Entstehungshypothesen als alleinige Grundlage für die folgende Arbeit dienen. Die Texte, in denen von Gottes רוחdie Rede ist, werden zunächst je für sich genommen betrachtet und redaktionskritisch untersucht. Im Anschluss daran soll der Versuch unternommen werden, die in der Analyse der Texte zur רוחentwickelten Schichten in Relation zueinander zu setzen. Inwieweit sich im Anschluss daran Rückschlüsse auf die Entstehung des Protojesajabuches überhaupt ziehen lassen, muss zunächst dahingestellt bleiben. Die Arbeit folgt allerdings der Grundannahme, dass sich jesajanisches Gut vor allem in den Kapiteln 6‒8 und in Jes 28‒32 findet und dass diesen Kapiteln eine Schlüsselfunktion für die Entstehung und Interpretation des Protojesajabuches zukommt. Die Arbeit folgt außerdem der Hypothese Beukens, dass die Teile Jes 1‒12 und Jes 28‒32 in besonderer Weise aufeinander bezogen sind und für die Entstehung und Komposition des Protojesajabuches 25
Vgl. ebd., 31–32. Vgl. ebd., 32. Ähnlich BARTELT 1996. 27 Vgl. BEUKEN 2000, 2‒5. 28 Vgl. BEUKEN 2007, 25. 29 Vgl. BEUKEN 2003, 34. 30 Vgl. ebd., 35. 31 Zu nennen sind hier beispielsweise auch ACKROYD 1978; NIELSEN 1979. 26
3.1 Gottes Geist im Protojesajabuch
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besondere Relevanz besitzen. Die enge Verbindung dieser Buchteile zeigt sich in Bezug auf die vorliegende Untersuchung der רוחGottes auch darin, dass innerhalb des Protojesajabuches nur in Kapitel 1‒12 und 28‒32.33‒34 von Gottes Geist die Rede ist, während er sich in den Teilen Kapitel 13‒23, 24‒27 und 36‒39 mit Ausnahme von Jes 26,9, wo die רוחals anthropologische Größe erscheint („ ונפשי אויתיך בלילה אף־רוחי בקרבי אשחרךvon Herzen verlangt mich nach dir des Nachts, ja, mit meinem Geist suche ich dich am Morgen“), nicht findet. In Anbetracht der Tatsache, dass sich innerhalb von Jes 1‒12 nur zwei Belege für Gottes Geist finden (Jes 4,4; 11,2), während innerhalb von Jes 28‒32.33‒34 vergleichsweise häufig davon die Rede ist (Jes 28,6; 29,10.24; 30,1; 31,3; 32,15; 34,16), wird die Untersuchung mit Jes 28‒32 beginnen und hier in der Reihenfolge der Texte vorgehen. Da Jes 4,4 und 11,2 mutmaßlich sehr junge Texte sind, liegt außerdem die Vermutung nahe, dass sich in Jes 28‒32 die ältesten Belege für Gottes Geist innerhalb des Jesajabuches finden. 3.1.2 Jes 28,1–6 Gottes רוחbegegnet in Jes 28 innerhalb des Wehrufes über Ephraim (Verse 1‒6), der das Kapitel und gleichzeitig auch die Sammlung in Jes 28‒32 eröffnet. Die רוחerscheint hier als ein Geist des Rechtes (רוח משפט, Vers 6) und damit in einem terminologischen Zusammenhang, der innerhalb des Jesajabuches ansonsten nur noch in Jes 4,4 vorliegt ( אם רחץ אדני את צאת בנות־ציון „ ואת־דמי ירושלם ידים מקרבה ברוח משפט וברוח בערwenn der Herr den Unflat der Töchter Zions abwaschen wird und wenn er die Blutschuld Jerusalems wegnehmen wird in einem Geist des Rechtes und in einem Geist des Feuers“). a) Literarkritische Analyse Der Wehruf in Jes 28,1‒6 markiert gegenüber der Sammlung Jes 24‒27 einen Neueinsatz und grenzt die beiden Teile des Protojesajabuches in Kapitel 24‒27 und 28‒32 voneinander ab. Die Abgrenzung der Kapitel Jes 28ff nach hinten ist weniger eindeutig. Ein wirklicher Neueinsatz liegt erst wieder in Jes 36 vor, wo die Erzählungen über das Leben Jesajas an Hiskias Hof einsetzen, die eine Parallele im Zweiten Königebuch haben. Dennoch dürfte der ursprüngliche Kompositionszusammenhang zunächst in Jes 32 abgeschlossen gewesen sein, da der Wechsel von Unheils- und Heilsworten, der die Kapitel 28ff prägt, hier zunächst zu einem Abschluss kommt.32 Jes 33 und 34 vermitteln dann jeweils erneut den Eindruck eines Buchschlusses, so dass anzunehmen ist, dass der Abschluss der Kapitel Jes 28ff in mindestens zwei redaktio32
Vgl. BARTHEL 1997, 255. Ähnlich BERGES 1998, 242–245.
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
nellen Schüben nach hinten gewachsen ist.33 In Jes 35 liegt ein redaktioneller Brückentext vor, der von vornherein daraufhin angelegt war, das erste und das zweite Jesajabuch miteinander zu verbinden.34 Gleichwohl gibt es strukturierende Elemente, die sich, von Jes 28 ausgehend, bis in das Kapitel 35 hinein wiederfinden lassen und die so die Kapitel 33‒35 eng an die Kapitel 28‒32 anbinden. Dies sind vor allem die Wehrufe, die die Sammlung Jes 28‒35 insgesamt prägen (Jes 28,1‒4: Wehruf für Ephraim; 29,1‒4: Wehruf über Ariel; 30,1‒7: Wehruf über die abtrünnigen Söhne; 31,1–3: Wehruf über Jerusalem; 33,1: Wehruf über den Verwüster).35 Charakteristisch für die Kapitel 28‒35 ist außerdem der Wechsel aus Unheils- und Heilstexten. Im Hinblick auf die Endfassung der Kapitel führt dieser Wechsel zu zwei Gliederungsmöglichkeiten, zum einen zu einer Einteilung in vier größere Abschnitte (Jes 28,1‒30,26: Unheil für Samaria und Heil für Zion; 30,27‒31,9: Unheil für Assur und Heil für Zion; 32‒33: Heilsaussagen und Unheil für den Verwüster; 34‒35: Unheil für Edom und Heil für Zion),36 zum anderen zu einer kleinteiligeren Gliederung unter den Gesichtspunkten „Katastrophe und Wiederherstellung“.37 Ein besonderes Merkmal der Komposition Jes 28‒35 ist weiterhin in ihren formalen Gemeinsamkeiten mit der Komposition des ersten Teils des Protojesajabuches in Jes 1‒12 zu sehen.38 So ergeht in beiden Teilen die Aufforderung an Jesaja, seine Prophezeiungen aufzuschreiben (Jes 8,16 und 30,8), beide Teile enthalten Wehrufe (Jes 5 und 10; 28,1‒4; 29,1‒4; 30,1‒17; 31,1‒3; 33,1), und am Ende beider Sammlungen finden sich Heilserwartungen (Jes 11.12; 32‒33). Darüber hinaus bestehen Stichwortverbindungen zwischen beiden Teilen, auf die später noch näher eingegangen wird und zu denen unter anderem die Heilsankündigung für einen „Rest“ (Jes 4,2‒6; 10,20‒23; 28,5‒6), die Ankündigung einer neuen Herrschaft (Jes 9,1‒6; 11,1‒5; 32,1‒5), die Thematik von der Erniedrigung des Hohen und Stolzen (Jes 2,6‒4,1; 5,15‒16; 9,7ff; 10,5ff; 28,1‒6; 29,1‒4), der Hinweis auf Ruhe und Glauben als Heilsbedingung (Jes 7,4.9b; 28,12.16; 30,15) und die Begriffe Gerechtigkeit und Recht (Jes 1,21‒28; 5,1–7; 11,1‒5; 28,17; 32,1– 2.16–17) gehören.39 Darüber hinaus verbindet zumindest die Kapitel 6‒8 mit 33
Vgl. BARTHEL 1997, 254. Vgl. STECK 1985; DERS. 1991, 20‒27. 35 Vgl. BERGES 1998, 199; JÜNGLING 2012, 528. 36 Vgl. JÜNGLING 2012, 528. Ähnlich BERGES 1998, 202. 37 Nur auf das Kapitel 28 bezogen bedeutet dies Folgendes: Jes 28,1‒4: Katastrophe für Ephraim; 28,5‒6: Wiederherstellung; 28,7‒14.15‒22: Katastrophe für Jerusalem; 28,23‒29: Schonung Ariels. Schon allein der Unterschied im Umfang der Unheils- und Heilsaussagen und der Wechsel in der Terminologie, z.B. von Jerusalem zu Ariel, lässt diese Gliederungsart als etwas gewollt erscheinen. Zu einer ausführlichen Darstellung vgl. JÜNGLING 2012, 529. 38 Zu diesen Gemeinsamkeiten vgl. BARTHEL 1997, 245–246. 39 Vgl. dazu auch ebd., 246. 34
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den Kapiteln 28‒32 die Tatsache, dass jeweils ein konkretes historisches Setting vorliegt. In Jes 6‒8 ist dies die Regierungszeit des Königs Ahas und die Bedrohung innerhalb der Konstellation des syrisch-ephraimitischen Krieges um 734 v. Chr., in Jes 28‒32 ist es die Regierungszeit Hiskias und die Warnung vor einem Bündnis mit Ägypten gegen die assyrische Vorherrschaft im Jahr 701 v. Chr. Nachdem in den Sammlungen Jes 1‒12 und 28‒32 im Gefolge B. Duhms lange Zeit zwei eigenständige Sammlungen jesajanischer Orakel gesehen worden waren, ist in letzter Zeit aufgrund der oben beschriebenen Verbindungslinien verstärkt über die literarische Abhängigkeit der Kapitel 1‒12 und 28‒32 nachgedacht worden. Vorherrschend ist dabei die Auffassung, dass die Kapitel 28‒32 nach dem Vorbild der Kapitel 1‒12 gestaltet worden sind,40 wobei die Einschätzung des jesajanischen Bestandteils der Kapitel 28‒32 variiert. U. Becker sieht die Kapitel 28ff fast ausschließlich als das Ergebnis einer Redaktion an, die eine Neuedition des Jesajabuches zum Ziel hatte und die sich der Denkschrift in Jes 6‒8 als Vorbild bedient hat. Als jesajanisches Gut betrachtet Becker nur Jes 28,1*.3 und 28,7b‒10.41 R. Kratz und U. Berges sehen in Jes 28‒32 einen etwas umfangreicheren älteren Kern, der dann in Anlehnung an Jes 1‒12 fortgeschrieben worden ist. Kratz sieht älteres Material in den Wehrufen in Jes 28,1‒4, 29,1‒4, 29,15‒16, 30,1‒5 und 31,1‒3 vorliegen, das zu einer eigenen Sammlung zusammengestellt war und mit Jes 28,11‒22, 29,9‒16 und 30,8‒17 in Anlehnung an Jes 1‒12 fortgeschrieben wurde. Darüber hinaus nimmt er eine sekundäre Erweiterung durch die Heilserwartungen in Jes 28,5‒6, 29,17‒24, 30,18‒33, 31,4‒9 und Kapitel 32 an.42 Berges geht in der Annahme eines jesajanischen Grundbestandes über Kratz hinaus (Jes 28,1‒4.7‒18; 29,1‒4.9‒10.13‒14.15‒16; 30,1‒5.6‒8.12‒14. 16‒17; 31,1.3). Dieser Grundbestand sei in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. von einer Zionsredaktion mit Jes 1‒12 und 13‒23 verbunden worden, die auch eigene Texte entwickelt habe (Jes 28,5‒6.12.16‒17.23‒29; 29,11‒12.17‒24; 30,9‒11.15.18‒26; 31,2; 32,1‒8.9‒14.15‒20). Darüber hinaus nimmt Berges eine protoapokalyptische Bearbeitung an (Jes 28,19‒22; 29,5‒7; 30,28‒33; 31,4‒5.8‒9; möglicherweise auch 33,3‒4.7‒12; 34,2‒4).43 Im Hinblick auf die Verwendung von רוחin Jes 28,6 sind nun folgende Fragen von Interesse: In welchem Verhältnis stehen die Verse 5‒6 zu dem eigentlichen Wehruf in Jes 28,1‒4? Wie ist Jes 28,1‒6 in das Kapitel 28 überhaupt einzuordnen? Und wie ist das Verhältnis von Jes 28 zu Jes 4 und damit
40
Kaiser hat die literarische Abhängigkeit zunächst in umgekehrter Richtung vorliegen sehen, also in der Abhängigkeit der Kapitel 1‒12 von 28‒32. Vgl. KAISER 1973, 20. 41 Vgl. BECKER 1997, 263‒268. 42 Vgl. KRATZ 2010, 245‒266. 43 Vgl. BERGES 1998, 221‒242.
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auch das Verhältnis der beiden dort vorliegenden Aussagen zur רוחzueinander? Über die Wehrufe in Jes 28‒35 und über das literarische Wachstum dieser Kapitel wurde oben bereits einiges gesagt. In den meisten Abhandlungen zu Jes 28‒32, sogar in der minimalistischen Hypothese Beckers, wird der Wehruf in Jes 28,1‒4 auf den Propheten Jesaja zurückgeführt.44 Bei näherer Betrachtung ist diese Zuweisung jedoch zu hinterfragen. Im Zusammenhang des gesamten Kapitels 28, aber auch der Kapitel 28‒32 überhaupt, fällt der Wehruf über Ephraim, der in Jes 28,1‒4 vorliegt, sowohl aus dem Rahmen der Adressaten als auch aus dem zeitlichen Rahmen heraus. Ab Jes 28,7 steht sowohl bei den Unheils- als auch bei den Heilsankündigungen Jerusalem im Zentrum. Ob es nun um die Priester geht wie in Jes 28,7ff, um Ariel wie in Jes 29,1 oder um die abtrünnigen Söhne wie in Jes 30,1: Es geht hier um Jerusalem als Stadt und um ihre Bewohner. Des Weiteren liegt der historische Fokus auf der Bedrohung der Stadt durch die Assyrer aus dem Jahr 701 v. Chr. und auf der Warnung vor Bündnissen mit Ägypten, die sich auf die antiassyrischen Koalitionen der Jahre 705/704 v. Chr. beziehen.45 Als Wort des historischen Jesaja würde Jes 28,1‒4 somit eher in die frühe Phase seiner Verkündigung gehören, was zwar einerseits möglich wäre, andererseits trotzdem die Frage offenlässt, warum es hier die Kapitel 28‒32 eröffnet. Innerhalb des Kapitels 28 fallen die Verse 1‒6* zunächst dadurch auf, dass sie eine klare Komposition aufweisen. Die sprachliche Gestaltung dieser Verse ist sehr dicht und auf kleinem Raum äußerst kunstvoll. Auf den eigentlichen Wehruf gegen die „prächtige Krone der Trunkenen von Ephraim“ ( )עטרת גאות שכרי אפריםund „gegen die welke Blume ihrer lieblichen Herrlichkeit, die da prangt hoch über dem fetten Tal“ ( ציץ נבל צבי תפארתו אשר )על־ראש גיא־שמניםin Jes 28,1 folgt in Vers 3.4 eine Aussage darüber, wie das kommende Gericht aussehen wird. Die Formulierungen „die prächtige Krone der Trunkenen von Ephraim“ und „die welke Blume ihrer lieblichen Herrlichkeit, die da prangt hoch über dem fetten Tal“ werden dort wieder aufgegriffen (Jes 28,3.4). Die Krone wird mit Füßen zertreten werden ()רמס und die welke Blume zu einer Frühfeige ()בכורה. Mit der Formulierung „an diesem Tag“ ( )בים ההואwird an diesen Wehruf mit Gerichtsaussage eine Heilsaussage angeschlossen (Jes 28,5.6). Die Bilder der Krone ( )עטרהund des Lieblichen ( )צביwerden wieder aufgegriffen und in dem Bild der lieblichen Krone ()עטרת צבי, die JHWH sein wird, zusammengeführt. Aus dieser kunstvollen Gestaltung fällt lediglich Jes 28,2 etwas heraus. Hier ist von einem Starken und Mächtigen die Rede ()חזק ואמץ, der an der Durchführung des Gerichtes beteiligt ist, von dem man aber weder hier noch im Folgenden 44
Vgl. BECKER 1997, 226–227; KRATZ 2010; BERGES 1998, 209–210; BARTHEL 1997,
278. 45
Zu diesen Ereignissen vgl. SPIECKERMANN 1982; VOGT 1986.
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Näheres erfährt. Die Formulierung חזק ואמץbegegnet auch sonst in keinem prophetischen Text, sondern fast ausschließlich in Texten, die die Beauftragung Josuas als Nachfolger Moses zum Inhalt haben (Dtn 31,7.23; Jos 1,6.7.9.18).46 Keiner der folgenden Wehrufe ist in ähnlich poetischer Sprache gehalten oder ähnlich kunstvoll komponiert wie der um Jes 28,5.6 erweiterte Wehruf in Jes 28,1‒4. Und auch die in Jes 28,7‒29 folgenden Verse unterscheiden sich im Stil stark von Jes 28,1‒6. Jes 28,7‒10.13 handelt von der Trunkenheit der Priester und Propheten. In Vers 14 wechselt die Perspektive, und es geht um diejenigen, die in Jerusalem herrschen und die mit dem Tod einen Bund geschlossen haben (כי אמרתם כרתנו ברית את־מות, Jes 28,15) und denen vorzuwerfen ist, dass sie Lüge zu ihrer Zuflucht und Trug zu ihrem Schutz gemacht haben ()כי שמנו כזב מחסנו ובשקר נסתרנו. Dem Fehlverhalten der Herrschenden werden in Jes 28,16‒19 der Glaube („ האמין לא יחישwer glaubt, der flieht nicht“, Jes 28,16), Recht ( )משפטund Gerechtigkeit ()צדקה entgegengesetzt (Jes 28,17), so dass die falsche Zuflucht ( )מחסה כזבund der Bund mit dem Tod keinen Bestand haben (Jes 28,17.18). In Jes 28,20 findet sich ein einzelnes Sprichwort, auf das in Vers 21‒22 eine erneute Gerichtsankündigung mit dem Aufruf zur Umkehr folgt. In Jes 28,23‒29 folgen Beispiele aus der Landwirtschaft, die Gottes weisen Rat illustrieren sollen. Um nun zunächst das Verhältnis von Jes 28,1‒6 zu 28,7ff zu klären, so scheint es wenig plausibel zu sein, dass Jes 28,7ff Fortschreibungen des Wehrufes aus Jes 28,1‒6 sind. Warum sollte die sorgfältig komponierte Eröffnung in Jes 28,1‒6 um eine Aneinanderreihung verschiedener Drohworte, Sprichwörter und Beispiele erweitert worden sein? Warum spielt Ephraim in den folgenden Kapiteln keine Rolle mehr? Und warum hebt sich dieser Wehruf in seiner Gestaltung so sehr von den anderen Wehrufen ab? Dies alles lässt sich eher erklären, wenn man annimmt, dass der Kern von Jes 28 in dem Wort über die betrunkenen Priester und Propheten in Vers 7b‒10.13 liegt, das mit einem weiteren Wort gegen die Spötter in Vers 14‒19 sekundär verbunden worden ist.47 In Jes 28,11.12 und 28,20‒22 liegen Ergänzungen vor, auf deren Charakter hier nicht näher eingegangen werden kann. Der Kern der Überlieferung liegt damit in Unheilsankündigungen an das eigene Volk und an die Stadt Jerusalem, wie sie auch für die Verkündigung des Propheten Jesaja in der Zeit von 705‒701 v. Chr. plausibel sein können. Der um die Heilsaussage in Jes 28,5.6 erweiterte Wehruf in Jes 28,1‒4 ist demgegenüber sekundär und ist nicht nur die Eröffnung des Kapitels 28, sondern des in Jes 28‒35 vorlie46
Daneben nur noch in 1 Chr 22,13 und 28,20. Berges sieht den gesamten Komplex Jes 28,7‒18 als jesajanisch an und zählt ihn zu seiner Grundschicht. Vgl. BERGES 1998, 209. Barthel nimmt an, dass hier eine Komposition vorliegt, deren historischer Ort sich nicht mehr sicher bestimmen lässt. Vgl. BARTHEL 1997, 294. 47
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genden Buchteils überhaupt. Gerichtsansage und Heil sind hier auch stilistisch (בים ההוא, Jes 28,5) aufeinander bezogen und nehmen den für die folgenden Kapitel konstitutiven Zusammenhang von Gericht und Heil vorweg. Die Gerichtsaussage gegen Ephraim spielt als vaticinium ex eventu auf den Fall Samarias an und dient der Plausibilisierung der folgenden Gerichtsansagen und Wehrufe.48 Daher ist älteres Material gerade nicht in Jes 28,1‒6 zu sehen,49 sondern vielmehr in Jes 28,7b‒10.1350 und 28,14‒19.51 Sieht man Jes 28,1‒6 als sekundäre Eröffnung der Sammlung in Jes 28‒32 an, ist auch die sekundäre Unterscheidung zwischen Vers 1‒4 und 5‒6 nicht mehr notwendig.52 Jes 28,1‒6* ist dann in seiner Gesamtheit als eine Komposition aus Unheils- und Heilsansagen den folgenden Prophetenworten vorangestellt.53 Lediglich Jes 28,2 scheint sich nicht ganz in die Gestalt von Jes 28,1‒6 zu fügen. Für den späten und sekundären Charakter von Jes 28,1‒6* sprechen auch zahlreiche Stichwortverbindungen, die sich, von diesen Versen ausgehend, in das Jesajabuch insgesamt finden lassen, sowie die Sprache, die teilweise auf spätere Zeit verweist. So begegnet beispielsweise der Begriff עטרהfür Krone fast ausschließlich in späteren Texten des Alten Testaments (Hi 31,36; Prov 12,4; 16,31; 17,6; Est 8,19; Sach 6,14)54 und im Jesajabuch, abgesehen von Jes 28,1.3.5, nur noch in Jes 62,3, und dort in einem Vorstellungszusammenhang, der mit Jes 28,5 vergleichbar ist. Während in Jes 28,5 JHWH zu einer lieblichen Krone und zu einem herrlichen Kranz für den Rest des Volkes wird ()בים ההוא יהיה יהוה צבאות לעטרת צבי ולצפירת תפארה לשאר עמו, so wird in Jes 62,3 Zion zu einer Krone und zu einem könglichen Reif ( והיית )עטרת תפארת ביד־יהוה וצנוף מלוכה בכף־אלהיך. Der Terminus צפירהfür Kranz begegnet im Alten Testament nur in Jes 28,5.55 Der Begriff ציץfür Blume ist dort ebenfalls selten und begegnet im Jesajabuch außer in Jes 28,1 lediglich in Jes 40,6.7.8, und dort in deutlicher Anspielung auf Jes 28,1. In Jes 40,7 geht es ebenfalls um eine welkende Blume (mit נבלwie in Jes 48
Mit KILIAN 1994, 159. Gegen KRATZ 2010. BERGES 1997, 209 und BECKER 1997 und BERGES 1998 sehen jesajanisches Gut auch in Jes 28,7b‒10 (Becker) bzw. in Jes 28,7‒18 (Berges). 50 Die Verse Jes 28,11.12 setzen Jes 28,13 voraus. So auch HÖFFKEN 1993, 197. 51 Auch Höffken nimmt an, dass der Passage ein ursprüngliches, eigenständiges, auf Jesaja zurückgehendes Wort zugrunde liegt. Vgl. DERS. 1993, 197. Ähnlich auch KILIAN 1994, 161. Beuken sieht in dem gesamten Komplex Jes 28,1‒18 eine Komposition aus auf Jesaja zurückgehenden Orakeln. Als nachexilische Zusätze wertet er die Verse Jes 28,19‒21. Vgl. BEUKEN 2007, 52. 52 Diese Unterscheidung findet sich bei BERGES 1998, 548, bei KRATZ 2010, 263, bei HÖFFKEN 1993, 194. Beuken sieht in Jes 28,5‒6 ein Heilsorakel, das auf den Propheten Jesaja zurückgeht. Vgl. BEUKEN 2007, 62. 53 Ähnlich auch KILIAN 1994, 159. 54 Dass es sich hier um einen Begriff aus der „Spätzeit“ handelt, nimmt auch Kilian an. Vgl. KILIAN 1994, 159. 55 Die beiden Belege in Ez 7,7.10 beziehen sich nicht auf einen Kranz. 49
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28,1.4). In Jes 40,7 wird das Verwelken auf die Wirkung der רוח יהוהzurückgeführt („ יבש חציר נבל ציץ כי רוח יהוה נשבה בוdas Gras ist verdorrt, die Blume ist verwelkt, denn der Odem56 JHWHs hat sie angeweht“). Die Vokabel „ תפארהZierde, Schönheit, Stolz“ findet sich innerhalb des Jesajabuches auch in Jes 10,12, 13,19 und 20,5, überwiegend jedoch innerhalb der Kapitel 40ff (Jes 44,13; 52,1; 60,7.19; 62,3; 63,12.14.15; 64,10), unter anderem eben auch in Verbindung mit עטרהund damit in Parallele zu Jes 28,5 in Jes 62,3.57 Eine Beziehung in andere Teile des Jesajabuches wird weiterhin durch den Begriff „ גאוןStolz“ bzw. durch den damit verbundenen Begriff גאותhergestellt (Jes 28,1.3). גאותbegegnet innerhalb des Jesajabuches außerdem in 9,19 und 12,5; 26,10; גאוןin Jes 2,10; 4,2; 13,19; 24,14; 60,15. Auch die ähnlich geprägte Vokabel צבי, die wiederum außerhalb des Jesajabuches nur in späten Texten des Alten Testaments, vor allem im Danielbuch, belegt ist (Jer 3,19; Ez 7,20; 20,6.19; 25,9; Dan 8,9; 11,16.41.45), verbindet Jes 28 mit anderen Texten des Jesajabuches vor allem mit Jes 4,2 (aber auch Jes 13,19; 23,9). Das Bild von zertrampelnden Füßen (רמס, Jes 28,3) findet sich ebenfalls auch in anderen Teilen des Jesajabuches (Jes 1,12; 26,6; 41,25; 63,3).58 Gleiches gilt auch für die Vorstellung vom Rest des Volkes ( )שאר עמוin Jes 1,8; 4,3; 11,16 u.ö. Die Aussage über die רוחin Jes 28,6 schließlich steht einerseits in Beziehung zu Jes 4,4; denn nur hier ist auch von einer רוח משפט die Rede. Andererseits gibt es eine enge Verbindung zu Jes 11,2, wo רוחwie in Jes 28,6 in Verbindung mit „ גבורהKraft“ steht. Diese Beobachtungen zu den Stichwortverbindungen und zum Sprachgebrauch in Jes 28,1‒6 bestätigen erneut die These, dass dieser Text eine späte Komposition zur Eröffnung der Sammlung Jes 28‒32 ist, die offensichtlich auch für die Gestaltung der Gesamtkomposition des Jesajabuches von Bedeutung war. b) Der Geist des Rechtes in Jes 28 Wie ist nun aber das Verhältnis der Aussagen zur רוחin Jes 28,6 und 4,4 zu erklären? Die oben ausgeführten Analysen des Vokabulars von Jes 28,1‒6 haben auch unabhängig von der Verwendung von רוח משפטin Jes 28,6 und 4,4 Verbindungen zwischen den beiden Texten gezeigt, so z.B. durch die Verwendung von „ צביSchönheit“ in beiden Texten (Jes 4,1; 28,1), von גאון Eine Übertragung ins Deutsche ist für den Begriff רוחan dieser Stelle nicht problemlos möglich, da in dem Wort רוחhier auch die anderen Bedeutungen des Begriffes, wie Wind oder Geist, mitschwingen. Dies ist auch in anderen Texten der Fall, so z.B. in Ez 11,1 oder in Gen 1,2. 57 Beuken ist deshalb der Auffassung, dass durch diese Parallelen ein „jesajanischer Akzent“ gesetzt wird. Vgl. BEUKEN 2007, 56. 58 Vermeylen hat hier vor allem die Bezüge zu Jes 9,4 und 9,5‒6 betont. Vgl. VERMEYLEN 1977, 388–389. 56
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bzw. „ גאותStolz“ (in Jes 4,1; 28,1) und von „ תפארתSchönheit“ (Jes 4,1; 28,1.3.5).59 Will man Jes 28,2 zu Jes 28,1‒6 hinzunehmen, wird Gott außerdem in beiden Texten mit אדניund nicht mit dem Tetragramm tituliert (Jes 28,2; 4,4).60 Auffällig ist nun, dass es auch in Jes 28,7ff deutliche Verbindungen zu Jes 4,2‒6 gibt. In Jes 28,8 wird in drastischer Sprache festgestellt, dass Unflat an allen Orten sei ()צאה בלי מקום, Jes 4,4 spricht davon, dass JHWH den Unflat der Töchter Zions abwaschen wird ()אם רחץ אדני את צאת בנות־ציון.61 Des Weiteren geht es in Jes 28,15 darum, dass die Herrschenden in Jerusalem Lüge zu ihrer Zuflucht und Trug zu ihrem Schutz gemacht haben ( כי שמנו כזב )מחסנו ובשקר נסתרנו. Das in Jes 28,17 angekündigte Gericht soll diese falsche Zuflucht zerschlagen und hingwegschwemmen ( ויעה ברד מחסה כזב )וסתר מים ישטפו. Der Begriff „ מחסהZuflucht“ findet sich ebenfalls in Jes 4,6, wo es heißt, dass JHWH eine Zuflucht und einen Schutz auf Zion errichten wird ()וסכה תדיה לצל־יומם מחרב ולמחסה ולמסתור מזרם וממטר. Er begegnet innerhalb des Jesajabuches sonst nur noch in Jes 25,4. Die Verse 28,15.17 und 4,6 sind außerdem dadurch verbunden, dass jeweils Derivate des Verbs „ סתרverbergen“ zur Bezeichnung des Schutzes verwendet werden. Um das Verhältnis von Jes 4 zu Jes 28 bestimmen zu können, sind zunächst einige kurze Überlegungen zu Jes 4 anzustellen. Jes 4 gehört zu den Kapiteln innerhalb der Sammlung Jes 1‒12, die die Denkschrift in Jes 6‒8 rahmen und die im Wesentlichen als späte Texte betrachtet werden. Im Vergleich zu den übrigen Kapiteln ist Jes 4 sehr kurz, es umfasst gerade einmal sechs Verse. Nach hinten ist es deutlich zum Weinberglied in Jes 5 abgegrenzt, das in Jes 5,1 mit dem Adhortativ „Ich will singen“ ( )אשירה נאeinen klaren Neueinsatz bietet. Die Abgrenzung zu Jes 3 ist weniger deutlich. Ein Neueinsatz scheint in Jes 4,2 mit „an diesem Tag“ ( )ביום ההואvorzuliegen, Jes 4,1 scheint eher noch zu den vorausgegangenen Versen aus Jes 3 zu gehören. Zwischen Jes 4,2.3 und 4,4‒6 besteht allerdings ein Widerspruch. Während in Jes 4,2.3 davon die Rede ist, wie JHWH alles neu, schön und herrlich sprießen lässt und wie ein jeder heilig heißen wird ( ביום ההוא יהיה צמח יהוה והיה הנשאר בציון3 :לצבי ולכבוד ופרי הארץ לגאון ולתפארת לפליטת ישראל )והנותר בירושלם קדוש יאמר לו כל־הכתוב לחיים בירשלם, muss in Jes 4,4 erst der Unflat der Töchter Jerusalems abgewaschen werden, die Schuld Jerusalems weggenommen werden und der Geist richten, um das kommende Heil zu ermöglichen. Jes 4,4 schließt außerdem mit der Erwähnung der Töchter Zions 59 Beuken sieht eher einen Bezug zwischen Jes 4 und 32. Vgl. BEUKEN 2003, 124. Jes 32 bezieht sich zweifellos ebenfalls auf Jes 4 und 28 zurück. Dennoch scheint der Zusammenhang zwischen Jes 4 und 28 enger zu sein, wie die folgende Analyse zeigen wird. 60 Zum Gottestitel אדניvgl. RÖSEL 2000, vor allem 91‒102. 61 צאהbegegnet im Alten Testament vergleichsweise selten (Prov 30,12; 2 Kön 18,27; Jes 36,12).
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( )בנות־ציוןdeutlicher an Jes 3,16.17 an, wo die Töchter Zions und ihre Vergehen bereits genannt werden. Insofern scheinen Jes 4,2 und 4,3 spätere Ergänzungen zu sein.62 Vorstellbar ist, dass der Zusammenhang Jes 3,16ff in mehreren Stadien gewachsen ist. Das späteste Stadium ist dabei in Jes 4,2.3 zu sehen. Was nun den Zusammenhang mit Jes 28 anbetrifft, so wird deutlich, dass Jes 4,4‒6 stärker in Anlehnung an Jes 28,7ff gestaltet ist als in Verbindung mit Jes 28,1‒6. Das Bild, das in Jes 4,6 im Vordergrund steht, ist dies, dass JHWH die Missstände, die in Jes 28,7ff benannt werden, beseitigt und dass er, nachdem die falsche Zuflucht aus Jes 28,15 in Jes 28,17 bereits vernichtet worden ist, eine wahre, sichere Zuflucht auf Zion bietet. Jes 4,4‒6 rückt damit die in Jes 28,7ff angeprangerten Zustände endgültig zurecht. Das in Jes 4,4 angekündigte Gericht ist als ein Läuterungsgericht zu verstehen, das JHWH vollzieht, und zwar in einem Geist, der von Recht geprägt ist ( רוח )משפט, und in einem läuternden Geist ()רוח בער.63 Jes 4,2 zeigt wiederum mit der Verwendung von צבי, גאוןund תפארתdeutliche Bezüge zu Jes 28,1‒6. Auch hier wird allerdings ein Gegenbild zu der in Jes 28,1‒4 kritisierten Wirklichkeit entworfen. Während die Blume aus Jes 28,1.3 in Wirklichkeit welk ist und alle Lieblichkeit dadurch und durch die Trunkenheit der Einwohner Ephraims konterkariert wird, lässt in Jes 4,2 JHWH etwas sprossen, das all die Attribute, die Jes 4,2 und 28,1‒3 miteinander verbinden, auch wirklich verdient. So ist für das Wachstum und für die Verbindungen zwischen Jes 4 und 28 vermutlich von einer Wechselbewegung auszugehen. In der älteren Spruchsammlung aus Jes 28, die in Vers 7ff* vorliegt, finden sich Gerichtsankündigungen für Jerusalem. Im Zuge der Zusammenstellung der Sammlungen Jes 1‒12 und 28‒32 ist in Jes 4,4‒6 eine Weiterentwicklung der Gerichtsankündigung aus Jes 28,7ff eingetragen worden, in der die in Jes 28,7ff beklagten Verhältnisse zurechtgerückt werden. Jes 28,1‒6 ist der Sammlung von Prophetenworten, die ab Jes 28,7ff vorliegt, später als eine Ouvertüre vorangestellt worden, die gleichzeitig Bezüge in die hinteren Kapitel des Jesajabuches herstellt. Aus Jes 4,4 hat diese Ouvertüre die Vorstellung von dem Geist des Rechtes mit nach Jes 28,6 genommen. Im Zuge späterer Fortschreibungen, die unter anderem die weitere Verknüpfung der Buchteile zum Ziel hatte, sind dann Jes 4,2 und 4,3 zu 4,4‒6 dazugekommen, die sich wiederum an Jes 28,1‒6 anlehnen. Damit ist das Verhältnis von Jes 28,6 und 4,4 zueinander klar: Die Geistaussage in Jes 4,4 ist der Geistaussage in Jes 28,6 vorausgegangen. Beide Texte sind innerhalb der Entstehung des Protojesaja-
62 Kilian nimmt an, dass innerhalb von Jes 4,2‒6 ein später Redaktor Verschiedenes zusammengestellt hat. Vgl. KILIAN, 2012, 38. Wildberger hält nur Jes 4,3 für eine sekundäre Ergänzung. WILDBERGER 1980, 56. 63 So auch WILDBERGER 1980, 159.
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buches überhaupt eher als spät zu betrachten. Auf den Propheten Jesaja geht weder die eine noch die andere Aussage zurück. Was wird an beiden Stellen aber nun über Gottes רוחausgesagt? Jes 4,4 beschreibt das Gerichtshandeln des HERRN ( )אדניan Jerusalem, der den Unflat der Töchter Jerusalems abwaschen und die Blutschuld Jerusalems wegnehmen wird: אם רחץ אדני את צאת בנות־ציון ואת־דמי ירושלם ידיח מקרבה ברוח משפט וברוח בער. Die Wendung ברוח משפט וברוח בערwird in den meisten deutschen und englischen Übersetzungen mit „durch den Geist …“ wiedergegeben,64 wodurch der Geist instrumental interpretiert wird. Übersetzt man so, interpretiert man רוחals eine von Gott losgelöste Größe oder Instanz, derer sich Gott hier in seinem Gerichtshandeln bedient. Es ist allerdings fraglich, ob das hebräische בhier tatsächlich in dieser Weise zu verstehen ist. Möglich ist auch eine Übersetzung, die ברוחmodal interpretiert, so dass Gott in Jes 4,4 nicht durch einen, sondern in einem Geist des Rechtes handelt. Dies entspräche auch der Übersetzung der Septuaginta, die mit ἐν πνεύµατι κρίσεως καὶ πνεύµατι καύσεως übersetzt (ὅτι ἐκπλυνεῖ κύριος τὸν ῥύπον τῶν υἱῶν καὶ τῶν θυγατέρων Ζιων καὶ τὸ αἷµα ἐκκαθαριεῖ ἐκ µέσου αὐτῶν ἐν πνεύµατι κρίσεως καὶ πνεύµατι καύσεως). Folgt man dieser Übersetzung, so ist der Geist in Jes 4,4 keine von Gott losgelöste Instanz,65 sondern es werden hier die Haltung und innere Ausrichtung Gottes beschrieben, in der er das Gericht ausübt. רוח משפטund רוח בערsind hier folglich keine Instrumente des Gerichtshandelns, sondern Ausdruck der Grundhaltung Gottes.66 Dass das Gericht Gottes durch eine רוח משפטgekennzeichnet ist, ist innerhalb des Jesajabuches kaum verwunderlich, denn wie kein anderer prägt der Begriff משפטzusammen mit צדקהdie Vorstellung von einer guten, gerechten, von Gott gewollten Ordnung. Dass das Zusammenleben von Recht und Gerechtigkeit geprägt ist, ist der von Gott intendierte Zustand (Jes 1,17.21), und dort, wo das Recht nicht beachtet wird, entzündet sich die Kritik des Propheten Jesaja und die damit verbundene Gerichtsankündigung (Jes 5,7).67 Auch die Erwartungen eines idealen Herrschers in Jes 9,1‒6 und Jes 11 sind durch die Erwartung bestimmt, dass diese Herrscher im Sinne von משפטund צדקהregieren.68 In Jes 32,16 ist die heilvolle Zukunft überhaupt durch משפטund צדקהgeprägt. So liegt es auf der 64 Der Begriff משפטund das Verb בערwerden jeweils verschieden übersetzt. Die Partikel בwird aber durchgehend mit der Präposition „durch“ übersetzt, im Englischen mit „by“. Vgl. die Elberfelder Bibel, die Einheitsübersetzung, die Lutherbibel, The New Revised Standard Version. 65 Und muss daher auch nicht mit „Wind oder Läuterungssturm“ übersetzt werden, wie es die Einheitsübersetzung tut. Gegen die Übersetzung von רוחmit „Sturm“ vgl. auch KILIAN 2012, 38. 66 Gegen KAISER 1981, 95. 67 Zu dem Gebrauch von משפטim Jesajabuch vgl. auch BEUKEN 2007, 62. 68 Vgl. auch Jes 16,5.
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Hand, dass Gottes Gericht in keinem anderen Sinn vollzogen werden kann als im Sinne von משפט. Wie eng Gott und משפטmiteinander verbunden sind, wird auch in Jes 30,18 deutlich: ולכן יחכה יהוה לחננכם ולכן ירום לרחמכם „ כי־אלהי משפט יהוה אשרי כל־חוכי לוdarum harrt JHWH darauf, dass er euch gnädig sei, und er macht sich auf, dass er sich euer erbarme; denn der HERR ist ein Gott des Rechts. Wohl allen, die auf ihn harren!“. Indem Gott in Jes 4,4 in einem Geist des Rechts handelt, ist sein Gericht durch משפטgeprägt und dient gleichzeitig dessen Aufrichtung. Das Verb בערim Piel beschreibt das gründliche Wegräumen oder Entfernen von Unerwünschtem und kann auf Unrat (1 Kön 14,10), Personen (2 Sam 4,11), aber auch auf das Böse schlechthin bezogen sein (Dtn 13,6; 17,7; 19,19; 21,21 u.ö.). Dass sich das Gericht Gottes in Jes 4,4 also in einer רוח בערvollzieht, weist darauf hin, dass das Gericht gründlich erfolgen wird und all das, was bereits in der ersten Vershälfte als kritikwürdig beschrieben ist, vollständig hinweggenommen werden wird.69 Dass בערhier mit „verbrennen“ zu übersetzen wäre, erscheint aufgrund der Tatsache, dass es in Jes 4,4a eher um das Abwaschen von Schuld geht ()רחץ, wenig wahrscheinlich. In Jes 28,6 verhält es sich etwas anders. Hier ist רוח משפטnicht bloß eine Eigenschaft Gottes und eine Qualität seines Gerichts, sondern JHWH ist selbst die רוח משפטund damit verbunden gleichzeitig eine Gabe an denjenigen, der zu Gericht sitzt ()ליושב על־המשפט. Gleichzeitig wird JHWH zu einer lieblichen Krone und zu einem herrlichen Kranz für den Rest seines Volkes ( )לעטרת צבי ולצפירת תפארה לשאר עמוund zu einer Kraft für diejenigen, die den Kampf zurücktreiben zum Tor ()ולגבורה משיבי מלחמה שערה. Die Aussage, dass JHWH eine liebliche Krone sein wird, steht in Zusammenhang mit weisheitlichen Vorstellungen, in denen besondere Eigenschaften oder besondere Segnungen die Krone bestimmter Menschen sind. So spricht beispielsweise Prov 14,18 davon, dass die Klugen mit Erkenntnis gekrönt seien ()וערומים יכתרו דעת, oder Prov 14,14 davon, dass die Rechtschaffenheit der Weisen ihre Krone sei ()עטרת חכמים עשרם. Es können aber auch Kindeskinder die Krone der Alten sein (Prov 17,6). Im Psalter krönt JHWH das Jahr mit seinem Gut (Ps 65,12: )עטרת שנת טובתךund den Menschen mit Gnade und Barmherzigkeit (Ps 103,4: )המעטרכי חסד ורחמים. Dadurch, dass JHWH hier die Krone des Restes des Volkes ist, wird die unmittelbare Verbundenheit von JHWH und dem Rest des Volkes zum Ausdruck gebracht. Die Zugehörigkeit zu JHWH ist es, die das Volk krönt. In dem erwarteten heilvollen Zustand ist alles Sein durch JHWHs Zuwendung und Gegenwart geprägt, so dass JHWH auch selbst die רוח משפטist und die גבורה, von der in Jes 28,6 die Rede ist. Während sonst im Alten Testament davon gesprochen wird, dass JHWH seinen Geist denen gibt, die er für besondere Aufgaben ausersehen hat, so ist JHWH hier selbst dieser Geist, der den zu Gericht Sitzenden aus69
Ähnlich BEUKEN 2003, 127.
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
zeichnet. Damit gewinnt nicht nur das Reden über den Geist Gottes eine neue Qualität, sondern zeigt auch das Gottesbild hier eine große Nähe zwischen Gott und Mensch, die allerdings als ein heilvoller Idealzustand gedacht ist. 3.1.3 Jes 30,1 Innerhalb von Jes 30 begegnet Gottes Geist in einem Wehruf gegen die abtrünnigen Söhne ()בנים סוררים, die ohne JHWH Pläne fassen und ohne seine רוחBündnisse eingehen (Jes 30,1: הוי בנים סוררים נאם־יהוה לעשות עצה ולא „ מני ולנסך מסכה ולא רוחי למען ספות חטאת על־חטאתWeh den abtrünnigen Söhnen, Spruch JHWHs, die ohne mich Pläne fassen und Bündnisse eingehen ohne meinen Geist, um Sünde auf Sünde zu häufen“). Worin diese falschen Bündnisse bestehen, wird in Jes 30,2 deutlich, nämlich darin, in politischen Auseinandersetzungen auf Unterstützung aus Ägypten zu vertrauen. Wohin dieses Vertrauen auf Ägypten führen wird, bringt Jes 30,5 auf den Punkt: כל „ חבאיש על־עם לא־יועילו למו לא לעזר ולא להועיל כי לבשת וגם־לחרפהaber sie müssen alle zuschanden werden an dem Volk, das ihnen nichts nützen kann, weder zu Hilfe noch sonst zu Nutzen, sondern nur zu Schande und Spott“. Der Begriff רוחfindet sich also auch hier innerhalb eines Wehrufes und damit erneut in einem Text, der von vielen dem Propheten Jesaja zugeschrieben wird.70 a) Literarkritische Analyse U. Becker rechnet den Wehruf mit Ausnahme von Jes 30,3 zwar zur Grundschicht von Jes 30 (Jes 30,1‒2.4‒5a.8‒17*), die er aber nicht auf den Propheten Jesaja, sondern auf die von ihm so genannte „Ungehorsams-Redaktion“ zurückführt, die große Teile des Protojesajabuches unter den Stichworten von Gehorsam und Ungehorsam nach dem Vorbild der Denkschrift in Jes 6‒8* gestaltet hat.71 Inwieweit die Ausführungen Beckers auf das gesamte Kapitel 30 zutreffen, muss zunächst dahingestellt bleiben. Seine Zweifel daran, dass der Wehruf in Jes 30,1ff auf den Propheten Jesaja selbst zurückgeht, sind mehr als begründet. Selbst wenn man nicht alle seine Argumente teilt, so muss man ihm doch darin zustimmen, dass Jes 30,1‒5 in einem Zusammenhang mit Jes 31,1‒3 und mit Jer 2,18.36‒37 gelesen und interpretiert werden muss.72 Auch in Jer 2,18.36‒37 geht es um das leichtfertige Vertrauen auf Ägypten und darum, dass dieses Vertrauen zu nichts anderem als zur Schande
70 Vgl. BERGES 1998, 209; BARTHEL 1997, 401; KRATZ 2010, 255; KAISER 1973, 224‒228. 71 Vgl. BECKER 1997, 245‒257. 72 Vgl. ebd., 249‒250.
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( )בושgereicht.73 Becker sieht für alle Bezüge zu jeremianischen Spruchüberlieferungen im Protojesajabuch das Jeremiabuch als den gebenden Teil.74 Besonderes Augenmerk verdient jedoch das Verhältnis von Jes 30,1‒5 zu Jes 31,1‒3. Beide Wehrufe zielen auf das leichtfertige Vertrauen auf Ägypten, wobei Parallelen vor allem zwischen Jes 30,1.2 und 31,1 bestehen. In Jes 31,1 heißt es: Jes 31,1
הוי הירדים מצרים על־סוסים ישענו ויבטחו על־רכם כי רב ועל פרשים כי־עצמו מאד ולא :שעו על־קדוש ישראל ואת־יהוה לא דרשו
Jes 31,1 Weh denen, die hinabziehen nach Ägypten um Hilfe und sich verlassen auf Rosse und hoffen auf Wagen, weil ihrer viele sind, und auf Gespanne, weil sie sehr stark sind! Aber sie halten sich nicht zum Heiligen Israels und fragen nichts nach JHWH.
In beiden Wehrufen geht es um das Hinabsteigen ( )ירדnach Ägypten (Jes 31,1; 30,2) und darum, dass zuvor nicht JHWH befragt (שאל, Jes 30,2) bzw. gesucht (דרש, Jes 31,1) wurde.75 Daneben gibt es aber auch bedeutende Unterschiede zwischen den beiden Wehworten. In Jes 31,1 ist das Wehwort in dem einen Vers abgeschlossen. Ein Vers mit zwei Sätzen reicht aus, um das Fehlverhalten, das angeprangert wird, klar zu umreißen und um deutlich zu machen, was stattdessen zu erwarten wäre, nämlich sich an den Heiligen Israels ( )קדש ישראלzu halten. Jes 30,1‒2 beginnt mit einem eher allgemein gehaltenen Wehwort, das anprangert, dass ohne die רוחJHWHs Bündnisse geschlossen und ohne JHWH Pläne gefasst werden, in dem aber noch nicht deutlich wird, worin das Fehlverhalten im Einzelnen besteht. Dies wird erst in Jes 30,2 erklärt, wo dann auch eigentlich erst die Bezüge zu Jes 31,1 hergestellt werden, die oben beschrieben wurden.76 Gleichwohl ist die Kritik in Jes 31,1 viel konkreter. Hier wird deutlich benannt, dass es falsch ist, auf die militärische Stärke Ägyptens zu hoffen, während Jes 30,2.3 eher mit den Begriffen „ חסהsich bergen“ (Jes 30,2), „ מעוזSchutz“ (Jes 30,2.3) und צל „Schatten“ (als „Schatten Ägyptens“; Jes 30,2.3) arbeitet, um so Ägypten als falsche Zuflucht gegenüber der wahren Zuflucht bei JHWH herauszustellen, wie sie an anderen Stellen des Jesajabuches beschrieben wird (z.B. in Jes 25,4; Jes 4,5.6).77 Angesichts dieser Beobachtungen scheint es plausibler zu sein, in Jes 30,1‒3 eine, wie Becker es nennt, „relecture“ von Jes 31,1 zu
73
Vgl. ebd., 250. Vgl. ebd., 250. 75 Vgl. auch ebd., 249. 76 Ähnlich auch ebd., 249. 77 Gleichzeitig sind dies alles Begriffe, die vor allem im Psalter begegnen und dort vor allem „im Sinne der exilisch-nachexilischen Zionstheologie“. Vgl. KILIAN 1994, 172. 74
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
sehen,78 als anzunehmen, dass hier zwei jesajanische Wehrufe mit ähnlicher Botschaft vorliegen.79 Für die Annahme, dass Jes 30,1ff eher spät und für den vorgegebenen Kontext literarisch gestaltet worden ist, sprechen außerdem auch weitere Beobachtungen. So wird durch die Verwendung von נסך מסכה für „Bündnisse eingehen“ eine götzenpolemische Perspektive deutlich, die eher auf literarischer Ebene entstanden zu sein scheint, als dass sie auf ein Wort des Propheten Jesaja zurückzuführen wäre.80 Des Weiteren scheint es, wie bereits in den Analysen zu Jes 28 deutlich wurde, wahrscheinlicher zu sein, dass das jesajanische Spruchgut, das in Jes 28‒32 vorliegt, anhand von Wehrufen im Rahmen einer sekundären Redaktionstätigkeit strukturiert wurde, als dass sich an eine Sammlung von Wehrufen verschiedenstes Spruchgut angegliedert hat. Für die Entstehung von Jes 30 bedeutet dies Folgendes: In Vers 1‒5 liegt ein Wehwort vor, das von einer späteren Redaktion zur Eröffnung von Jes 30 in den Text eingetragen und das wiederum sekundär in Vers 6‒7 erweitert wurde.81 In Jes 30,8 liegt vermutlich ebenfalls eine sekundäre Notiz vor, die das Material in Jes 30‒31 in Anlehnung an die Denkschrift in Jes 6‒8 gestaltet. Ältester Bestandteil von Jes 30 sind vermutlich die Worte in Vers 12‒14 und 15‒17.82 Im Hinblick auf den Begriff רוחin Jes 30,1 ist auch der Übergang zu Jes 29 interessant. Denn auch dort begegnet in Jes 29,24 רוחin dem Sinne, die richtige Entscheidung zu treffen. Hier heißt es: וידעו תעי־רוח בינה ורוגנים „ ילמדו־לקחund die im Geist Irrenden werden Einsicht erkennen und die Murrenden werden Belehrung annehmen“. Während hier also der Geist der Menschen abirrt, betont Jes 30,1 demgegenüber, dass es Gottes Geist ist, in dem Bündnisse eingegangen werden sollen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieser Gegensatz auf der Ebene des Endtextes bewusst aufgebaut worden ist. Allerdings ist es schwer zu entscheiden, welcher der beiden Texte der
78
Ebd., 172. So BERGES 1998, 548; KAISER 1973, 225–228; ebenfalls KRATZ 2010, 263. 80 Vgl. auch BECKER 1997, 248. Dafür, dass Jes 30,1‒5 eine späte, literarische Komposition ist, argumentiert auch KILIAN 1994, 171‒173. Vgl. außerdem WERNER 1988, 85‒94. Nur einen kleineren Textbestand in Jes 30,1* als jesajanisch anzunehmen, halte ich für nicht vertretbar. Vgl. HÖFFKEN 1993, 209. 81 Der Nachweis, dass diese Verse spät sind, findet sich ausführlich bei KILIAN 1994, 173. Gegen BARTHEL 1997, 403–404. 82 Kilian hält das gesamte Kapitel 30 für eine späte, literarische Komposition. Allerdings bezieht sich sein Nachweis für die Verwendung späten Vokabulars lediglich auf die Verse 8‒11, so dass man für Vers 12‒14 und 15‒17 dennoch eine jesajanische Herkunft annehmen könnte. Vgl. KILIAN 1994, 174. Dafür, dass es sich bei Jes 30,12‒14.15‒17 um zwei Prophetenworte handelt, die nachträglich um Vers 9‒11 erweitert wurden, plädiert auch BARTHEL 1997, 407. Ähnlich BERGES 1998, 229. Höffken hält nur das Wort in Jes 30,15‒17 für jesajanisch. Vgl. HÖFFKEN 1993, 213. 79
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gebende Teil ist. Jes 29,17‒24 ist eindeutig ein später Text,83 und insbesondere auch der Vers Jes 29,24 zeichnet sich durch die Verwendung später Sprache aus. Dies gilt für den Begriff „ בינהEinsicht“, der innerhalb des Alten Testaments insgesamt vor allem in späten Texten begegnet (Hi 20,3; 28,12.20.28; 39,17.26; Prov 1,2; 2,3; 3,5, 7,4; Dan 1,20; 8,15; 9,22) und auch innerhalb des Jesajabuches in Texten, die nicht auf den Propheten Jesaja zurückgehen (Jes 11,2; 27,11; 33,19). Dies gilt auch für das Verb תעה „abirren“ (Ex 14,11; 44,10.15; 48,11; Ps 58,4; 95,10; 107,4; 119,110; Jes 16,8; 21,4; 28,7; 35,8; 47,15; 53,6). Das Verb רגןfür „murren“ begegnet überhaupt nur in Jes 29,24, Dtn 1,27 und Ps 106,25. Da der Abschnitt in Jes 29,17‒23 bereits in Vers 23 zu einem Schluss kommt ( כי בראתו ילדיו מעשה )ידי בקרבו יקדישו שמי והקדישו את־קדוש יעקב ואת־אלהי ישראל יעריצו, ist es vorstellbar, dass Jes 29,24 eine spätere Hinzufügung ist, die in Aufnahme des Begriffes רוחin Jes 29 an Jes 30,1 anschließt und gleichzeitig vor allem über den Begriff בינהBezüge in den Kontext des Protojesajabuches herstellt.84 Außerdem wird ein Rückbezug zu Jes 29,15‒16 hergestellt.85 b) Der Geist Gottes in Jes 30 Auch in Jes 30,1 begegnet רוחalso nicht in einem Zusammenhang, der auf den Propheten Jesaja zurückgeführt werden könnte, sondern auch hier ist der Begriff Bestandteil einer späten literarischen Komposition. Im Hintergrund der Aussage von Jes 30,1 steht die Vorstellung, dass richtige Entscheidungen im politischen Bereich nur im Einklang mit JHWH und seiner רוחgetroffen werden können. Dass hier neben JHWH auch sein Geist genannt wird, setzt die Vorstellung voraus, dass JHWH einzelnen Menschen seinen Geist gibt und diese so in die Lage versetzt, in seinem Sinne zu handeln. Die רוחwird hier als Instanz begriffen, die das Mitsein Gottes mit den Menschen garantiert und die für den Einklang zwischen menschlichem Handeln und Gottes Interessen sorgt. Gleichzeitig steht in Jes 30,1 die Vorstellung im Hintergrund, dass richtiges Handeln ohne JHWH nicht möglich ist, sondern dass derjenige, der dies dennoch versucht, Sünde auf Sünde sammelt ( למען ספות חטאת על־חטאת, Jes 30,1). 3.1.4 Jes 29,10 und 32,15 Sowohl in Jes 29,10 als auch in Jes 32,15 ist davon die Rede, dass die רוח ausgegossen wird: In Jes 29,10 heißt es als Begründung für die Verblendung des Volkes: „ כי־נסך עליכם יהוה רוח תרדמהdenn JHWH hat über euch einen 83
So auch KRATZ 2010, 263. Über die Verwendung des Verbs תעהmöglicherweise auch zu Jes 28,7. Vgl. auch HÖFFKEN 1993, 208. 85 Vgl. BEUKEN 2007, 149. 84
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Geist tiefen Schlafs ausgegossen“, und in Jes 32,15 wird die heilvolle Zukunft folgendermaßen eingeleitet: „ עד־יערה עלינו רוח ממרוםso lange, bis über uns ausgegossen wird der Geist aus der Höhe“. Zwar ist die רוחin beiden Versen jeweils anders konnotiert („ רוח תרדמהein Geist tiefen Schlafs“ in Jes 29,10 und „ רוח ממרוםein Geist aus der Höhe“ in Jes 32,15), und auch die Verben, mit denen das Ausgießen der רוחbeschrieben wird, unterscheiden sich ( נסךin Jes 29,10 und ערהin Jes 32,15). Da innerhalb des Protojesajabuches aber nur an diesen zwei Stellen von einer Ausgießung der רוחdie Rede ist, ist es dennoch begründet, beide Verse auch in ihrem Verhältnis zueinander zu betrachten. a) Literarkritische Analyse von Jes 29 Jes 29 lässt sich im Wesentlichen in vier Abschnitte gliedern. In Vers 1‒8 findet sich ein erweiterter Wehruf über Ariel. Im Anschluss daran geht es in Vers 9‒14 um die Verblendung des Volkes. An diesen Abschnitt schließt sich ein Wehwort über diejenigen an, die nicht nach dem Willen JHWHs handeln (Vers 15‒16). In Vers 17‒24 folgt schließlich eine Schilderung der Wende zum Heil. Innerhalb der Forschung wird vor allem zwischen den Abschnitten Jes 29,1‒8, 29,9‒16 und 29,17‒24 unterschieden, die dann jeweils für sich genommen redaktionsgeschichtlich untersucht werden. Vor allem in Bezug auf die Frage, ob und gegebenenfalls wo in Jes 29 mit jesajanischem Gut zu rechnen ist, gehen die Meinungen weit auseinander. Mit einem vergleichsweise großen Bestand jesajanischer Worte rechnet U. Berges, der Jes 29,1‒4. 9‒10.13‒14.15‒16 auf den Propheten Jesaja zurückführt.86 U. Becker sieht in Jes 29 überhaupt kein jesajanisches Gut vorliegen. Er sieht die Grundschicht von Jes 29 in Vers 1.2a.3.4a, die er aber nicht dem Propheten Jesaja, sondern der „Assur-Redaktion“ zuschreibt, deren Aufgabe vor allem darin bestand, die Hiskia-Jesaja-Erzählungen, die in Jes 36‒39 vorliegen, in das Jesajabuch zu integrieren.87 Um hinsichtlich des Wachstums in Jes 29 eine Entscheidung zu treffen, sind redaktionsgeschichtlich zunächst die Verse zu ermitteln, die sich deutlich als späte, sekundäre Ergänzungen ausweisen. Dies trifft zunächst für Jes 29,17‒24 zu. Die in diesen Versen vorliegenden Heilsankündigungen stellen durch Stichwortverbindungen Bezüge in die umliegenden Kapitel her. So findet sich die Aussage vom Karmel, der zu Wald wird, aus Jes 29,17 in ähnlicher Form auch in Jes 32,15:
86 Vgl. BERGES 1998, 548; Kratz rechnet Jes 29,1‒4 und 29,15‒16 zu älterem Material in Jes 29. Vgl. KRATZ 2010, 263. De Jong nimmt Jes 29,1‒4 aus dem älteren Material aus. Vgl. DE JONG 2007, 84. 87 Vgl. BECKER 1997, 234‒238.
3.1 Gottes Geist im Protojesajabuch Jes 29,17
הלוא־עוד מעט מזער ושב לבנון לכרמל והכרמל ליער יחשב wohlan, noch eine kleine Weile, und der Libanon wird zum Karmel werden, und der Karmel wird für einen Wald gehalten werden
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Jes 32,15
והיה מדבר לכרמל וכרמל ליער יחשב und die Wüste wird zum Karmel werden, und der Karmel wird für Wald gehalten werden
Über die Wendung ( קדש ישראלJes 29,19.23) wird einerseits ein Bezug zu den umliegenden Kapiteln hergestellt (Jes 30,11; 31,1), gleichzeitig wird aber auch auf das Deuterojesajabuch vorausgewiesen, in dem diese Bezeichnung für JHWH gehäuft vorkommt (Jes 41,16; 48,17; 49,7; 55,5; 60,9.14 u.ö.). Eine Verbindung zu Deuterojesaja erfolgt auch durch die Bezeichnung des Volkes als Haus Jakob (בית יעקב, Jes 29,22), die sich zwar auch in Jes 2,4 und 10,20, daneben aber auch im Deuterojesajabuch findet (Jes 46,3; 48,1; 58,1). Diese Bezüge in das Deuterojesajabuch weisen ebenso wie die Erwähnung der Elenden ()עונים88 in Jes 29,19 darauf hin, dass der gesamte Abschnitt in Jes 29,17‒24 eine spätere Ergänzung ist, die sicherlich nicht aus einem Guss ist, sondern über ein eigenes Textwachstum verfügt. Dass Jes 29,24 eine späte Ergänzung ist, die eine Verbindung zu Jes 30,1 herstellte, wurde oben bereits dargelegt. In Jes 29,1‒8 fallen vor allem die Verse 7 und 8 als sekundäre Ergänzungen des Wehrufes in Jes 29,1‒3 auf. Beide Verse ahmen die Struktur der vorausgegangenen, den Wehruf ergänzenden Verse nach und werden, wie auch die Verse 4 und 5, mit והיהeingeleitet. Die Wendung aus Vers 7, dass die Menge der Völker wie ein Traum und wie ein Nachtgesicht werden soll ( והיה )כחלום חזון לילה, findet sich auch in Hi 20,8, wo es heißt, dass der Mensch wie ein Traum und wie ein Nachtgesicht sei ( כחלום יעוף ולא ימצאהו וידד )כחזיון לילה. Es ist anzunehmen, dass die Formulierung in Jes 29,7 aus dem Hiobbuch stammt. Jes 29,8 ist dann wiederum eine Ergänzung zu Jes 29,7. Jes 29,6 ist möglicherweise eine späte Ergänzung, die näher illustriert, wie das, was in Jes 29,5 als plötzlich kommend angekündigt wird, vorzustellen ist. Es bleibt demzufolge der Wehruf in Jes 29,1‒3 mit seiner Erweiterung in Vers 4‒5 als Grundschicht bestehen. Die Tatsache, dass in diesem Wehruf Ariel angeredet wird, was innerhalb des Jesajabuches ohne Parallele ist, lässt sich nur so erklären, dass der Wehruf an Ariel zu einem Grundbestand jesajanischer Orakel gehört hat, die in der Sammlung Jes 28‒32 zusammengestellt und erweitert wurden.89 88
Sonst vor allem im Psalter. Im Jesajabuch außerdem in Jes 61,1. Auch Kratz erkennt in Jes 29,1‒4 älteres Material. Vgl. KRATZ 2010. Berges sieht in Jes 29,1‒4 ein auf Jesaja zurückgehendes Wort vorliegen. Vgl. BERGES 1998, 548. Becker rechnet Jes 29,1.2a.3.4a zur Assur-Redaktion, Jes 29,9‒10.13‒16 zur „UngehorsamsRedaktion“ des Protojesajabuches. Vgl. BECKER 1997. 89
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
In Jes 29,9‒16 liegt in Vers 15 ein weiterer Wehruf vor. Dieser hat in Vers 16 eine Erweiterung, die einen Bezug in das Deuterojesajabuch herstellt (Jes 45,9). Ein ursprünglich jesajanisches Wort liegt daneben in Jes 29,9.10b vor,90 das in Jes 29,11‒12 und 29,13‒14 wahrscheinlich in zwei Redaktionsschüben ergänzt worden ist. Die Aussage über die רוחfindet sich in Jes 29,10a und ist ebenfalls als sekundär anzusehen. Genau wie Jes 29,7 bedient sich auch Jes 29,10a der metaphorischen Sprache von Traum und Schlaf, wie sie sich auch im Hiobbuch findet. So erscheint תרדמהim Hiobbuch auch in 4,13 und 33,15 und dort jeweils auch in Verbindung mit den auch in Jes 29,7 erwähnten Nachtgesichten ()חזון לילה. Insofern ist davon auszugehen, dass Jes 29,10a entweder gemeinsam mit Jes 29,7 in das Kapitel 29 hineingekommen ist oder dass Jes 29,10a sogar später in Abhängigkeit von Jes 29,7 ergänzt wurde. In jedem Fall gehört Jes 29,10a nicht zum ursprünglichen Bestand des Kapitels und ist nicht auf den Propheten Jesaja zurückzuführen. Der Grundbestand von Jes 29 liegt in den Versen 1‒5.9.15 vor.91 b) Die רוח תרדמהin Jes 29,10 Die Aussage über die רוחin Jes 29,10a findet sich also als sekundärer Zusatz innerhalb eines vermutlich auf den Propheten Jesaja zurückgehenden Wortes über die Verblendung des Volkes und seiner Seher und Propheten. Das schwer verständliche Wort in Jes 29,9 ist in Jes 29,11‒12 nachträglich um eine apokalyptisch geprägte Erklärung ergänzt worden, die darlegt, wozu das in Jes 29,9 beschriebene Verhalten führt. Jes 29,10a gehört möglicherweise mit der Ergänzung in Jes 29,11‒12 zusammen. Das in Jes 29,9 kritisierte Verhalten und damit eben die Verblendung und das Unverständnis des Volkes werden durch die eingetragene Notiz in Jes 29,10a von der Ausgießung des Geistes des tiefen Schlafs ( )רוח תרדמהauf JHWH selbst zurückgeführt. Es ist also JHWH selbst, der bewirkt hat, dass weder Volk noch Propheten ()נביאים, noch Seher ( )חזיםin der Lage sind, Gottes Offenbarungen zu verstehen (Jes 29,11: „ ותהי לכם חזות הכל כדברי הספר החתוםund alle Offenbarungen werden für euch sein wie die Worte in einem versiegelten Buch“). Jes 29,13‒14 wiederum versucht als sekundäre Ergänzung den Widerspruch zu lösen, der dadurch entsteht, dass der Prophet Jesaja einerseits den Umstand der Verblendung kritisiert, diese Verblendung gleichzeitig aber von Gott herbeigeführt ist, indem das Verhalten Gottes als wundersam bezeichnet wird (Jes 29,14: „ לכן הנני יוסף להפליא את־העם־הזה הפלא ופלאdarum, siehe, werde ich 90 Gegen Kratz, der den gesamten Abschnitt in Jes 29,9‒16 für eine Neuformulierung älteren Materials hält. Vgl. KRATZ 2010, 263. 91 Berges führt Jes 29,11‒12 gemeinsam mit Jes 29,17‒24 auf die Redaktion der Zionsgemeinde zurück. Für jesajanisch hält er, abgesehen von dem Wehruf in Jes 29,1‒4, außerdem die Verse 9‒10.13‒14.15‒16. Vgl. BERGES 1998, 209. Kratz sieht älteres Material außer in Jes 29,1‒4 auch in Jes 29,15‒16 vorliegen. Vgl. KRATZ 2010, 263.
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weiterhin an diesem Volk wundersam handeln, ganz gewisslich wundersam handeln“). Diese Ergänzungen sind alle als sehr spät anzusehen. Dies zeigen bereits die aus dem Hiobbuch entlehnte metaphorische Sprache der Ergänzungen in Jes 29,7.10a und auch der apokalyptische Vorstellungshintergrund der Verse Jes 29,11.12.92 Auch die Vorstellung einer Geistausgießung findet sich im Alten Testament nur in eher späten Texten (Jes 44,3; Ez 39,29; Joel 3,1.2), wobei die Geistausgießung in diesen Texten, wie auch in Jes 32,15, zum Anbruch heilvoller Zustände führt. Insofern ist zu vermuten, dass Jes 29,10a diese Vorstellung wenigstens aus Jes 32,15 kennt und sie konterkariert. JHWH, der seinen Geist zum Anbruch heilvoller Zustände ausgießen kann, kann eben auch einen Geist tiefen Schlafes ( )רוח תרדמהausgießen, um die Verblendung der Menschen herbeizuführen. Für das Verhältnis von Jes 29,10a und 32,15 ist also davon auszugehen, dass Jes 32,15 denjenigen, die Jes 29,9.10b ergänzt haben, bereits vorlag. c) Literarkritische Analyse von Jes 32 In Jes 32 wird durch die in Vers 15 beschriebene Ausgießung der רוחdie heilvolle Zukunft eingeleitet: עד־יערה עלינו רוח ממרום והיה מדבר לכרמל „ וכרמל ליער יחשבbis ausgegossen wird der Geist aus der Höhe, und es wird die Wüste zum Karmel werden, und der Karmel wird wie Wald angesehen werden“. Es kommt also zu einer Verkehrung der Verhältnisse, deren positiver Aspekt in den folgenden Versen noch betont wird: Jes 32,16–18
:ושכן במדבר משפט וצדקה בכרמל תשב והיה מעשה הצדקה שלום ועבדת הצדקה וישב עמי בנוה שלום:השקט ובטח עד־עולם :ובמשכנות מבטחים ובמנוחת שאננות
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Jes 32,16–18 16 Und das Recht wird in der Wüste wohnen, und Gerechtigkeit wird sich auf dem Karmel niederlassen, 17 und das Werk der Gerechtigkeit wird Friede sein, und der Ertrag der Gerechtigkeit wird Ruhe und Sicherheit sein in Ewigkeit. 18 Und mein Volk wird in friedlichen Auen wohnen, in sicheren Wohnungen und an sicheren Ruheplätzen.
Berges rechnet diese Verse zur Redaktion der „Zionsgemeinde“. Vgl. BERGES 1998, 548. Für eine „protoapokalyptische Bearbeitung aus frühhellenistischer Zeit“ hält er die Verse Jes 29,5‒7.
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
Der Neueinsatz gegenüber Jes 32,9‒14 ist sehr deutlich. Während die Verse Jes 32,9‒14 überwiegend im Parallelismus membrorum gestaltet sind, setzt mit Jes 32,15 Prosa ein. Auch inhaltlich ändert sich die Perspektive. Jes 32,9‒14 ist reine Gerichtsankündigung, die an die sorglosen und vertrauensseligen Töchter ergeht ( שנים שאננותund בנות בטחותin Jes 32,9) und die Verheerung des Landes ankündigt: כי־ארמון נטש המון עור עזב עפל ובחן היה „ בעד מערות עד־עולםdenn der Palast ist aufgegeben, verödet das Getümmel der Stadt, Ofel und Wachturm werden zur Höhle bis in Ewigkeit“ (Jes 32,14). Mit Jes 32,15 wird das in Vers 14 angekündigte „ עד־עולםbis in Ewigkeit“ relativiert, indem hier der Ewigkeit eine Grenze gesetzt wird. Die Verheerung und Ödnis dauert nun nicht mehr עד־עולם, sondern עד־יערה עלינו רוח ממרום „bis über uns ausgegossen wird der Geist aus der Höhe“. Dass in Jes 32,15‒18 eine sekundäre Ergänzung zu Jes 32,9–14 vorliegt, ist damit deutlich. Alter und Herkunft von Jes 32,9‒14 lassen sich schwer bestimmen. Mit der Anrede der Frauen besteht eine Parallele zu Jes 3‒4, wobei dort durchgehend von den Töchtern Zions ( )בנות ציוןdie Rede ist (Jes 3,16‒17; 4,4), während in Jes 32,9.11 vor allem die Verhaltensweisen der Frauen (שאננות und )בטחותvon Bedeutung sind. Auch in Jes 32,1‒8 finden sich Bezugspunkte zu Jes 3‒4, die allerdings nur auf inhaltlichen Ähnlichkeiten und nicht auf Stichwortverbindungen oder direkten Bezügen innerhalb der Texte beruhen. So wird in Jes 3,4 als Gericht angekündigt, dass dem Volk Knaben zu Fürsten gegeben werden („ ונתתי נערים שריהם ותעלולים ימשלו־בםund ich gebe Knaben als ihre Fürsten, und Mutwillige sollen über sie herrschen“). In Jes 32,1‒8 wird demgegenüber das Thema gerechter Herrschaft behandelt und in Jes 32,5 dezidiert von ungeeigneter Herrschaft Abstand genommen („ לא־יקרא עוד לנבל נדיב ולכילי לא יאמר שועund es wird nicht mehr ein Narr edel genannt werden, und ein Schurke wird nicht mehr nobel geheißen werden“). Außerdem geht es in Jes 32,2 darum, dass die Herrschaft des gerechten Fürsten ein Schutz vor Regen und Wasserbächen sein wird, so wie auch in Jes 4,2‒6 vom Schutz die Rede ist, den JHWH auf dem Zion bieten wird. Abgesehen davon, dass sowohl in Jes 32,2 als auch in Jes 4,6 die Metapher des Schattens ( )צלfür den gebotenen Schutz verwendet wird, gibt es keine direkten Parallelen. Direkte Stichwortverbindungen gibt es dagegen zwischen Jes 32,3 und 29,10 und zwischen Jes 32,6 und 29,8. In Jes 32,3 wird das in Jes 29,10 beschriebene Nichtsehen wieder aufgehoben: Jes 29,10
ויצם את־עיניכם את־הנביאים ואת־ראשיכם החזים כסה Und eure Augen, die Propheten, sind verschlossen, und eure Häupter, die Seher, hat er verhüllt.
Jes 32,3
ולא תשעינה עיני ריאם ואזני שמעים תקשבנה Und es werden die Augen der Sehenden nicht verklebt sein, und die Ohren der Hörenden werden doch aufmerken.
3.1 Gottes Geist im Protojesajabuch
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In Jes 32,6 und 29,8 findet sich eine vergleichbare Metapher über die Hungrigen und die Durstigen: Jes 29,8
Jes 32,6
והיה כאשר יחלם הרעב והנה אוכל והקיץ וריקם נפשו וכאשר יחלם הצמא והנה שתה והקיץ והנה עיף ונפשו כן יהיה המון כל־הגוים :הצבאים על־הר ציון
להריק נפש רעב ומשקה צמא יחסיר
Und es wird sein, wie wenn ein Hungriger träumt: Siehe, er isst etwas, und wenn er aufwacht, dann ist seine Seele leer. Und wie wenn ein Durstiger träumt: Siehe, er trinkt etwas, und wenn er aufwacht, und siehe, dann ist er matt, und seine Seele ist ausgedörrt, so wird es geschehen der Menge aller Völker, die gegen den Berg Zion in den Krieg ziehen.
Um die Seele des Hungrigen leer zu machen und um dem Durstigen den Trank zu verwehren.
Alle diese Beobachtungen lassen für die Entstehung von Jes 32 Folgendes annehmen: In Vers 9‒14 liegt mit der Gerichtsankündigung an die selbstsicheren Frauen das älteste Stück des Kapitels vor. Da es sich hier um eine allgemeiner gehaltene Gerichtsankündigung handelt, die nicht, wie es in Jes 3 und 4 der Fall ist, auf Zion abhebt und das für Zion erwartete Heil bereits impliziert, ist die literarische Abhängigkeit von Jes 3 und 4 zu Jes 32, wenn sie denn vorliegt, eher in dem Sinne zu verstehen, dass Jes 32,9‒14 den Texten in Jes 3 und 4 schon vorlag. Der Gerichtsankündigung ist die Ankündigung eines gerechten Herrschers sekundär vorangestellt worden, die vermutlich zunächst in Jes 32,1.5.6a.8 vorlag.93 Diese Ergänzung ist vermutlich im Rahmen einer ersten Gestaltung der Sammlung Jes 28‒32 erfolgt. Den vorausgehenden, mit Wehrufen eingeleiteten Kapiteln folgt als Abschluss eines, das durch die Erwartung eines gerechten Herrschers eingeleitet ist. Da es hier darum geht, dass der erwartete Herrscher tatsächlich als König herrscht (ימלך־מלך, Jes 32,1), ist die Erwartung eine andere als in Jes 11,1‒2, wo es um ideale Herrschaft geht und Begriffe, die auf das Königtum abzielen, gar nicht auftauchen. Eher ist als Vergleichstext noch Jes 9 heranzuziehen, wo es immerhin um den Thron Davids (כסא דוד, Jes 9,6) und um das Königtum geht (ממלכה, Jes 9,6). Allerdings wird auch in Jes 9,6 gleich deutlich, dass die Erwartung sich auf ein über die irdischen Verhältnisse hinausgehendes Königtum bezieht, indem dieses als eines, das von jetzt an bis in Ewigkeit besteht ()מעתה ועד־עולם, erwartet wird. Die in Jes 32,1 erwartete Herrschaft erscheint dagegen so, dass sie auch im Hier und Jetzt zu erwarten wäre. Auch 93 Gegen Berges, der nahezu das gesamte Kapitel 32 der von ihm so genannten Redaktion der „Zionsgemeinde“ zuschreibt. Vgl. BERGES 1998, 548.
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
bleibt sie nicht auf eine einzelne heilbringende Gestalt bezogen, sondern für mehrere Führungspersonen, den König und die Fürsten. Möglicherweise geht also auch die Ankündigung des gerechten Königs noch auf Jesaja selbst zurück, so dass die redaktionelle Tätigkeit lediglich darin bestand, das Wort über den Herrscher in Jes 32,1.5.6a.8 der Gerichtsankündigung in Jes 32,9‒14 voranzustellen. Die Ankündigung der gerechten Herrschaft wurde wiederum sekundär um Jes 32,2‒4.6b.7 ergänzt, wodurch Bezüge in den näheren Kontext, nämlich zu Jes 28 und 29, aber auch in das Deuterojesajabuch (im Falle von Jes 32,7) hergestellt wurden. Die Ergänzung in Jes 32,15‒17 setzt die Ankündigung der gerechten Herrschaft in Jes 32,1‒8 bereits voraus.94 Sie knüpft an diese an, abstrahiert sie aber auch, indem hier nicht mehr ein konkreter König oder Fürst erwartet wird, der für Gerechtigkeit und Recht sorgt ( צדקund משפט, Jes 32,1), sondern indem sich Recht ( )משפטund Gerechtigkeit ( )צדקהnun selbst in der Wüste und im Karmel, und damit überall, niederlassen und dort wohnen. Über das Bild von der Wüste ( )מדברbesteht einerseits eine Verknüpfung zu Jes 29,17 und andererseits in das Deuterojesajabuch (Jes 40,2.3; 41,19; 43,19‒20; 63,13; 64,9). Durch die Betonung, der ewigen Stille und Sicherheit in Jes 32,17 („ והיה מעשה הצדקה שלום ועבדת הצדקה השקט ובטח עד־עולםund das Werk der Gerechtigkeit wird Friede sein, und der Ertrag der Gerechtigkeit wird Ruhe und Sicherheit sein bis in Ewigkeit“) kommt hier das Protojesajabuch zu einem Abschluss. Die Erwartung von Ruhe aus Jes 7,14 und 30,15 wird in der Heilsaussage von Jes 32,17 erfüllt. Gleichzeitig besteht über den Begriff מנוחהeine Verbindung zu Jes 66,1. In Jes 32,18 ist es das Volk, das sicher wohnen soll, in Jes 66,1 ist es Gott, der eine sichere Wohnung sucht.95 Die Verse Jes 32,19.20 bereiten sekundär die Ergänzungen in Jes 33 vor. d) Der Geist aus der Höhe in Jes 32,15 Die Aussage über die רוחin Jes 32,15, die die Ansage der heilvollen Zukunft in Jes 32,15‒18 einleitet, ist sowohl innerhalb des Jesajabuches als auch innerhalb des Alten Testaments überhaupt ungewöhnlich. Im Protojesajabuch ist ansonsten überhaupt nicht von einer Ausgießung des Geistes Gottes an Einzelne oder viele die Rede. Innerhalb des Gesamtjesajabuches begegnet die Vorstellung von einer Ausgießung der רוחansonsten nur noch in Jes 44,3, wo es heißt: כי אצק־מים על־צמא ונזלים על־יבשה אצק רוחי על־זרעך וברכתי 94 Gegen Berges, der beide Texte der Redaktion der „Zionsgemeinde“ aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts zurechnet. Da Zion in beiden Texten überhaupt nicht erwähnt wird, ist diese Zuordnung ohnehin fraglich. Vgl. BERGES 1998, 548. 95 Dass über die Erwähnung des Geistes eine Verbindung zu Jes 4,4 besteht, wie Beuken annimmt, halte ich für nicht plausibel. Der Geist in Jes 4,4 ist viel eher in Zusammenhang mit Jes 28,6 zu sehen. Vgl. BEUKEN 2000, 4.
3.1 Gottes Geist im Protojesajabuch
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„ על־צאצאיךDenn ich will Wasser ausgießen auf das Durstige und Ströme auf das Trockene, und ich will meinen Geist ausgießen auf deine Kinder und meinen Segen auf deine Nachkommen“. Im Gegensatz zu Jes 32,5 ist die Geistausgießung in Jes 44,3 auf Personen bezogen ()על־זרעך, wie die רוחGottes auch sonst im Alten Testament überwiegend eine Gott und Mensch verbindende Größe ist. So wie die Gabe der רוחin den meisten Belegen zu einem bestimmten Verhalten der Menschen führt, so wird auch in Jes 44,4 die Ankündigung der Geistausgießung fortgesetzt, indem die Konsequenz dieses Ereignisses geschildert wird: וצמחו בבין „ חציר כערבים על־יבלי־מיםund sie werden wachsen wie Gras zwischen den Wassern und wie Weiden an den Wasserbächen“. Ebenso personenbezogen und auf bestimmte menschliche Verhaltensweisen ausgerichtet sind die Ankündigungen der Geistausgießung in Joel 3,1.2, wo der Geist über alles Fleisch (על־כל־בשר, Joel 3,1) ausgegossen wird bzw. über die Knechte und Mägde (על־העבדים ועל־השפחות, Joel 3,2) und wo die Geistausgießung zum Besitz prophetischer Gaben führen soll (Joel 3,1). Auch in Sach 12,10 ist die Ausgießung des Geistes der Gnade und des Gebets ( )רוח חן ותחנוניםauf eine Personengruppe bezogen, nämlich auf das Haus Davids und die Bürger Jerusalems ()על־בית דויד ועל יושב ירושלם. Jes 32,15 stellt somit einen absoluten Sonderfall dar. Es geht hier um eine – im alttestamentlichen Nachdenken über Gottes רוחohnehin seltene und späte – Vorstellung, die sich noch dazu von den wenigen anderen Belegen dadurch abhebt, dass die רוחnicht an bestimmte Personen und offensichtlich überhaupt nicht auf Menschen ausgegossen wird, sondern dass es zu einer allgemeinen Geistausgießung kommt, die dann Konsequenzen für das Dasein zweier abstrakter Größen, nämlich Recht ( )משפטund Gerechtigkeit ()צדקה, hat. Deren Aufrichtung und Durchsetzung ist dann wiederum nicht an eine bestimmte Person oder an menschliches Verhalten gebunden, sondern sie entfalten sich aufgrund der Ausgießung des Geistes aus der Höhe ( )רוח ממרוםund bewohnen und durchwalten Wüste und Land. Erst die Entfaltung dieser beiden abstrakten Größen führt dann zu Konsequenzen für den Menschen: Das Volk kann in friedlichen Auen wohnen und in sicheren Wohnungen ( וישב עמי בנוח שלום ובמשכנות מבטחים ובמנוחת שאננות, Jes 32,18). Hier ist im Nachdenken und Reden über Gottes רוחein Entwicklungsstand erreicht, der innerhalb des Alten Testaments, nimmt man die den Apokryphen zugeordnete Schrift der Sapientia Salomonis aus der Betrachtung heraus, einzigartig ist. Für die Ergänzung der Verse 15‒18 zu Jes 32 würde das auf chronologischer Ebene eine sehr späte Stufe bedeuten. 3.1.5 Jes 34 Jes 34 gehört zu den jüngsten Kapiteln des Protojesajabuches. Es enthält eine Gerichtsankündigung an alle Heiden in Vers 1‒5, auf die eine Schilderung des Gerichts über Edom in Vers 6‒17 folgt. Eine Aussage über Gottes רוח
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
findet sich innerhalb von Jes 34 in Vers 16, der, zumeist in Zusammenhang mit Vers 17, einhellig als eine redaktionelle Ergänzung zu Vers 6‒15 angesehen wird.96 Vers 16 bietet eine Reihe von textkritischen Schwierigkeiten und Übersetzungsproblemen, auf die im Folgenden noch eingegangen werden muss. Der Text der Biblia Hebraica Stuttgartensia lautet, hier im Zusammenhang mit Jes 34,15.17, folgendermaßen: Jes 34,15–17
שמה קננה קפוז ותמלט ובקעה ודגרה בצלה :אך־שם נקבצו דיות אשה רעותה דרשו מעל־ספר יהוה וקראו אחת מהנה לא נעדרה אשה רעותה לא פקדו כי־פי הוא צוה :ורוחו הוא קבצן והוא־הפיל להן גורל וידו חלקתה להם בקו :עד־עולם יירשוה לדור ודור ישכנו־בה
Jes 34,15–17 15 Dort nistet die Natter und legt Eier und brütet und lagert im Schatten, und dort werden die Geier versammelt, ein Weibchen zum anderen. 16 Sucht im Buch JHWHs und lest, eine wird die andere nicht vermissen, eine zur anderen, sie suchen nicht, denn mein Mund, er hat es geboten, und sein Geist, er hat sie gesammelt. 17 Und er lässt über sie das Los fallen, und seine Hand hält über ihnen die Messschnur, bis in Ewigkeit werden sie (hier: das Land Edom) besitzen, von Geschlecht zu Geschlecht werden sie in ihm wohnen.
Bevor aber auf die Problematik von Vers 16 eingegangen werden kann, ist Jes 34 im Protojesajabuch überhaupt zu verorten. a) Jes 34 im Protojesajabuch Nachdem der Textbereich Jes 28‒32 in Jes 32 zu einem Abschluss gekommen war, liegen in Jes 33, 34 und 35 drei „Brückentexte“ vor,97 die in verschiedener Weise neue Akzente zu Jes 28‒32 bzw. zu Jes 1‒32 hinzufügen und Verbindungen auch in das Deuterojesajabuch herstellen. Umstritten ist, wie sich die Texte in Jes 33, 34 und 35 zueinander verhalten. Seit Langem werden Jes 34 und 35 als zwei zusammengehörende Kapitel verstanden,98 die auch als „Kleine Apokalypse“ bezeichnet wurden.99 O. H. Steck hatte demgegenüber einen engen Zusammenhang zwischen Jes 33 und 34 gesehen, während er Jes 35 als einen eigenständigen Text verstand, der in Abhängigkeit von Jes 34 als eine redaktionelle Brücke zwischen dem Proto- und dem Deutero-
96 Vgl. BERGES 1998, 254; BEUKEN 2010, 309; DONNER 1990, 297; HÖFFKEN 1993, 237; KILIAN 1994, 198. 97 Steck hat dies vor allem im Hinblick auf Jes 35 nachgewiesen. Vgl. STECK 1985. Vgl. auch BERGES 1998, 233 und 242‒263. 98 Vgl. ELLIGER 1933, 276‒277; GOSSE 1990 (II); WILLIAMSON 1994, 211‒221. 99 Vgl. KAISER 1973, 280; VERMEYLEN 1978, 439.
3.1 Gottes Geist im Protojesajabuch
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jesajabuch komponiert wurde.100 Des Weiteren gibt es verschiedene Positionen dazu, ob Jes 34‒35 eher eine Überleitung von Jes 28 zu Jes 36‒39 bilden,101 ob sie als „Kleine Apokalypse“ den Großteil Jes 1‒35 abschließen102 oder ob in Jes 34 und 35 die Eröffnung von Jes 34‒66 vorliegt.103 Für die Verortung von Jes 34 im Jesajabuch insgesamt sind darüber hinaus die intertextuellen Bezüge des Kapitels von Interesse, vor allem zu Jes 13,104 aber auch zu Jes 63,1‒6.105 Was bei allen Unklarheiten sicher festgehalten werden kann, ist, dass innerhalb von Jes 34 zwischen Vers 4 und 5 ein Wechsel in der Perspektive vorliegt. Nachdem in Jes 34,1‒4 die Heiden ( )גויםangesprochen wurden und es darum ging, dass JHWH an ihnen sein Gericht als ein Vollziehen des Banns ( )חרםund als eine Schlachtung ( )טבחvollstrecken will (Jes 34,2), geht es ab Jes 34,5 um das Gerichtshandeln JHWHs an Edom (Jes 34,5a: כי־רותה „ בשמים חרבי הנה על־אדום תרדdenn trunken ist am Himmel mein Schwert, siehe, auf Edom wird es herabgehen“). Dennoch ist durch die Wiederaufnahme der Wurzel חרםin Vers 5 aus Vers 2 davon auszugehen, dass Vers 5 zu Jes 34,1‒4 hinzuzurechnen ist und durch die Verbindung von חרםund Edom sekundär die Überleitung zu Jes 34,6‒17* herstellt.106 b) Literarkritische Analyse Abgesehen davon bereitet der Text in Jes 34 bezogen auf seine Kohärenz einige Probleme. Besonders auffällig ist der Zusammenhang von Jes 34,10 und Jes 34,11. In Jes 34,10 heißt es: לילה ויומם לא תחרב לעולם יעלה עשנה „ מדור לדור תחרב לנצח נצחים אין עבר בהIn der Nacht und am Tag wird es nicht erlöschen,107 auf ewig wird Rauch von ihm aufsteigen, von Geschlecht zu Geschlecht wird es (sc. das Land) verwüstet sein, bis in alle Ewigkeit wird niemand mehr durch es hindurchziehen“. Auf diese Aussage, die für das Land Edom, für das das Gericht angesagt wird, Verwüstung und Leere feststellt, folgt nun in Vers 11a die Ankündigung, dass, obwohl vorher ausgesagt wurde, dass niemand mehr durch das Land hindurchziehen werde, verschiedene Tiere in ihm wohnen werden, nämlich „ קאתWüstenkauz“, „ קפורIgel“, 100
Vgl. STECK 1985. Vgl. SEITZ 1993, 203‒208. 102 VERMEYLEN 1978, 439‒446. Die Gattungszuweisung „Kleine Apokalypse“ findet sich auch bei Kaiser, der annimmt, die Texte seien eine „spätnachexilisch-apokalyptische Komposition“, die direkt für die Aufnahme in das Gesamtjesajabuch verfasst wurde. Vgl. KAISER 1973, 280. 103 POPE 1952, 235‒243. 104 Vgl. ZAPFF 1995. 105 Vgl. BERGES 1998, 254. Vor allem GOSSE 1990 (II). 106 Auch Höffken sieht den ursprünglichen Beginn des Gerichtswortes gegen Edom in Jes 34,6. Vgl. HÖFFKEN 1993, 235. 107 Gemeint ist das in Vers 9 erwähnte brennende Pech ()זפת בערב. 101
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
„ ינשוףWaldrapp“ und „ ערבRabe“.108 Auf diese Darstellung der Belebung des verwüsteten Landes folgt in Vers 11b dann erneut die Ankündigung vollkommener Verödung, indem es dort heißt: „ ונטה עליה קו־תהו ואבני־בהוund er streckt aus über sie die Messschnur der Verwüstung und das Bleilot der Ödnis“. Abgesehen von diesen inhaltlichen Spannungen fällt Jes 34,11 durch sein enges Verhältnis zu Jes 34,17 auf. Dort heißt es: והוא־הפיל להן גורל וידו „ חלקתה להם בקו עד־עולם יירשוה לדור ודור ישכנו־בהUnd siehe, er wirft für sie das Los, und seine Hand verteilt es für sie mit der Messschnur, auf ewig werden sie es besitzen, und von Geschlecht zu Geschlecht werden sie in ihm wohnen“. Die Aussage, dass sie das Land besitzen werden, findet sich mit der identischen Verbform von )ירשוה( ירשim Blick auf die erwähnten Tiere ebenfalls in Jes 34,11. Gleiches gilt für die Formulierung „ ישכנו־בהsie werden in ihm wohnen“ (Jes 34,11.17). Terminologische Verbindungen bestehen außerdem über die Wendung ( לדור ודורJes 34,17), die sich ähnlich ebenfalls in Jes 34,10 findet ()מדור לדור, und über den Begriff „ קוMessschnur“, der sowohl in Jes 34,17 als auch in Jes 34,11 vorkommt. Abgesehen von Jes 34,11 ist Jes 34,16 innerhalb des Textzusammenhangs besonders auffällig. Aufgrund der Einleitung des Verses דרשו מעל־ספר יהוה „ וקראוsucht im Buch JHWHs und lest“ wird der Vers zumeist in seiner Gesamtheit als eine interpretierende späte Glosse angesehen.109 Wie bereits oben angedeutet, bereitet der Vers in textkritischer Hinsicht und im Hinblick auf seine Kohärenz Probleme. Diese lassen sich mit Sicherheit nicht dadurch lösen, dass man den Vers als ganzen als ein spätes Interpretament ansieht. Im Hinblick auf die Textkohärenz fällt vor allem das doppelt überlieferte אשה רעותהam Ende von Jes 34,15 und in Jes 34,16 auf. Des Weiteren ist die Übersetzung von Jes 34,16aβ אחת מהנה לא נעדרהproblematisch. Da diese Phrase immer in Zusammenhang mit dem vorausgegangenen דרשו מעל־ספר „ יהוה וקראוsucht im Buch JHWHs und lest“ verstanden wird, werden vor allem zwei Übersetzungsmöglichkeiten erwogen, nämlich die, dass keines der in Jes 34 erwähnten Tiere in der Schrift JHWHs fehlen wird,110 oder die, dass Die Übersetzung dieser Tiere ist, abgesehen von der Übersetzung von ערבmit „Rabe“, umstritten. So werden für קאתauch Pelikan oder Rohrdommel erwogen, für ינשוף auch allgemein „Ibis“. Angesichts der zuvor ausgeführten Verheerung des Landes erscheint es aber wenig plausibel, dass hier Vögel gemeint sind, die zum Überleben große Fischbestände benötigen, wie etwa der Pelikan oder auch der Ibis. Insofern ist hier der „Waldrapp“ als eine Unterart des Ibis, die auch in Trockenhabitaten lebte und auf der arabischen Halbinsel weit verbreitet war, vorgeschlagen. Auch die Tatsache, dass sie in großen Schwärmen auftrat, spricht für diese Übersetzungsmöglichkeit. Zu den verschiedenen Vogelarten in der Levante vgl. BODENHEIMER 1960, 53–64, zu den Unterarten des Ibis vgl. 61. 109 Vgl. WILDBERGER 1982; DONNER 1990, 291; KILIAN 1994, 199 (zusammen mit Jes 34,17); BEUKEN 2007, 311; HÖFFKEN 1993, 237. 110 Vgl. BERGES 1998, 251. 108
3.1 Gottes Geist im Protojesajabuch
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keines der beschriebenen Ereignisse in der Schrift JHWHs fehlt.111 Die femininen Formen אחתund הנהsowie die feminine Verbform נעדרהwerden dabei auf alle zuvor erwähnten Tiere bezogen, ohne dass diese dem Genus nach tatsächlich feminin sind. Ebenso wird das Suffix der 3. Person feminin Plural, das am Ende von Jes 34,16 an das Verb קבץangehängt ist ()קבצן, auf alle in Jes 34 erwähnten Tiere bezogen. Problematisch an diesen Deutungen ist, dass zum einen den femininen Verbformen und Suffixen nicht ausreichend Beachtung geschenkt wird. Unter den zuvor erwähnten Tieren sind eindeutig Feminina die לילת,112 die „ קפוזNatter“ und die „ דיותGeier“ aus Jes 34,14b.15. Fast alle anderen in Jes 34 erwähnten Tiere sind, mit Ausnahme der קאת „Wüstenkauz“ und der „ בנות יענהStrauße“, dem Genus nach zunächst einmal maskulin. Zwar sind die Genuszuweisungen bei Tieren nicht unbedingt eindeutig, es erscheint aber fragwürdig, ob sich die weiblichen Verb- und Suffixformen aus Jes 34,16 auch auf Tiere, deren Genus als Maskulinum angegeben ist, beziehen sollten. Des Weiteren bleibt der Umstand zu klären, warum in Jes 34,16 erneut „ אשה רעותהein Weibchen zum anderen“ steht, eine Formulierung, mit der Jes 34,15 endet. Dies lässt sich eigentlich nur darauf zurückführen, dass ein Rückbezug zu Jes 34,15 hergestellt werden muss, nachdem der ursprüngliche Zusammenhang durch die Einschaltung von דרשו מעל־ספר „ יהוה וקראוsucht in dem Buch JHWHs und lest“ gestört wurde. Andererseits scheint das „ אשה רעואהein Weibchen zum anderen“ aus Jes 34,15, so wie es heute im Textzusammenhang erscheint, einer Fortsetzung zu entbehren, worauf die Variante dieser Phrase aus Jes 34,16, die dem אשה רעותהnoch לא פקדוhinzufügt, zu reagieren scheint. Diese Hinzufügung fehlt in der Jesajarolle aus Qumran. Die Vermutung, dass zwischen Vers 15 und 16 ursprünglich ein enger Zusammenhang bestand, der durch die Einfügung von דרשו מעל־ספר יהוה וקראוunterbrochen wurde, wird außerdem durch die Verwendung des Verbs קבץin beiden Versen erhärtet. So heißt es in Jes 34,15 am Versende, dass die Geier sich sammeln („ אך־שם נקבצו דיות אשה רעותהauch die Geier werden dort gesammelt, ein Weibchen zum anderen“), mit dem Verb קבץim Nifal. In Jes 34,16b findet sich die Formulierung הוא113כי־פי „ צוה ורוחו הוא קבצןdenn sein Mund, er gebietet es, und sein Geist, er sammelt sie“ (Suffix 3. Plural Femininum). Diese doppelte Verwendung des Verbs קבץkann kein Zufall sein. So ist die Anzahl der Belege für קבץinnerhalb des Gesamtjesajabuches überschaubar, im Protojesajabuch begegnet es überhaupt nur in Jes 11,12, 13,14 und 22,9.114 Abgesehen von den Belegen in 111
Vgl. DONNER 1990; BEUKEN, 2007, 311. Wobei es sich hier natürlich nicht um ein Tier handelt, dennoch gehört die Lilith zu den neuen, unheilbeschwörenden Bewohnern des Landes. 113 Mit der Jesajarolle aus Qumran u.a. zu ändern in פיהו. 114 Ansonsten noch in Jes 40,11; 43,5.9; 45,20; 48,14; 49,18; 54,7; 56,8; 60,4.7; 62,9; 66,18. 112
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
Jes 13,14 und 22,9 wird das Verb קבץausschließlich im Zusammenhang mit Heilsankündigungen verwendet, in denen es darum geht, dass JHWH die Versprengten Israels (Jes 11,12; 56,8: )נדחי ישראלoder Israel überhaupt (Jes 43,5; 54,7) sammeln wird oder dass die Heiden sich sammeln sollen, um an der heilvollen Perspektive Anteil zu haben (Jes 45,20; 48,14; 66,18). Außerdem begegnet es in Texten, in denen es um die Sammlung der Vielen zu Zion geht (Jes 49,18; 60,4). Gegen die Annahme, dass sich die Formulierung אחת מהנה לא נעדרהaus Jes 34,16 auf alle zuvor erwähnten Tiere beziehen könnte, spricht schließlich auch die Tatsache, dass die Tiere, die in Jes 34 genannt werden, ganz unterschiedliche intertextuelle Bezüge aufweisen. Eine der gängigen Thesen zu Jes 34 ist die, dass das Kapitel in Analogie zu Jes 13 gebildet ist und dass das Gericht an Edom, wie es in Jes 34 entfaltet wird, als Parallele zu der Gerichtsankündigung an Babel aus Jes 13 gestaltet ist.115 Das zentrale Argument für diese These sind die in Jes 13 und 34 gemeinsam erwähnten Tiere.116 Dass sich nur ein Teil der Tiere, die in Jes 34 eine Rolle spielen, auch in Jes 13 findet, wird dabei oft außer Acht gelassen.117 Die Tiere, die beide Kapitel gemeinsam haben, sind „ תןWolf“, „ בנות יענהStrauße“, „ ציWüstenhund“, אי „Schakal“ und „ שעידBocksgeist“ (Jes 13,21.22/34,13.14). Es sind also lediglich die Tiere aus den Versen Jes 34,13.14, die eine Parallele zu Jes 13 aufweisen. Die in Jes 34,11 vorkommenden Tiere „ קאתWüstenkauz“, ינשוף „Waldrapp“ und „ ערבRabe“ begegnen ebenfalls in Lev 11,15‒18 und in Dtn 14. Gleiches gilt auch für die in der Reihe der Tiere aus Jes 34,13.14 vorkommenden ( בנות יענהLev 11,16; Dtn 14,15). Die Tiere aus Jes 34,11 haben gleichzeitig zum Teil eine Beziehung Zef 2,14. So kommen „ קאתWüstenkauz“ und „ קפורIgel“ ebenfalls in Zef 2,14 vor, der ערבfindet sich ebenfalls in der Septuaginta-Fassung von Zef 2,14. Unter den Wesen, die in Jes 34,15 genannt werden, finden sich die ליליתund die „ קפוזNatter“ überhaupt nur an 115
Vgl. ZAPFF 1995, 240‒257. Bereits Steck hatte auf die enge Beziehung zwischen der von ihm postulierten Grundschicht in Jes 13 (Jes 13,2‒5.17‒22) und der von ihm postulierten Grundschicht in Jes 34 (Jes 34,1.5‒15) hingewiesen. Beide Grundtexte seien sekundär im „Lichte eines Weltgerichtes“ erweitert worden. Vgl. STECK 1985, 55‒57, vor allem die Fußnoten 31 und 36. 116 Vgl. die Liste der Stichwortbezüge bei ZAPFF 1995, 249 oder bei BERGES 1998, 253. Die Verwendung der Ortsbezeichnung „ שםdort“ eignet sich kaum als Stichwortverbindung, und die Bezeichnung für die Paläste in Jes 13,22 mit אלמןund in Jes 34,13 mit ארמון hat zwar in den gebeugten Formen einen fast identischen Konsonantenbestand (אלמנותיו und )ארמנתיהstammt aber dennoch nicht von der gleichen Wurzel. Das in Jes 34,9 vorkommende Pech ( )זפטist nur dort und anders konnotiert in Ex 2,3 belegt, das זפט בער stammt allerdings aus Gen 18,24, begegnet aber auch in anderen Gerichtstexten als Jes 13, nämlich in Jes 30,33, Ez 38,22, Hi 18,15 und Ps 11,6. Vgl. KILIAN 1994, 197. 117 Zapff sieht die in Jes 34,11 und in Jes 34,14b und 15 erwähnten Tiere und Wesen als sekundäre Ergänzungen an, durch die „eine deutliche Steigerung und Ausgestaltung der grausigen Szene gegenüber Jes 13,21.22a beabsichtigt ist“. ZAPFF 1995, 251.
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dieser Stelle in Jes 34, die דיותbegegnen außer in Jes 34,15 außerdem in Dtn 14,13. Die verschiedenen innerbiblischen Bezugspunkte der erwähnten Tiere, die Tatsache, dass sich die Tiere nach ihren innerbiblischen Bezugspunkten sortiert in unterschiedlichen Versen in Jes 34 finden, sowie die Tatsache, dass das Genus der Tiere nicht einheitlich ist, in Jes 34,15 aber in der Phrase אחת „ מהנה לא נעדרהeine wird von der anderen nicht vermisst“ und im Suffix zu dem Verb קבץdeutlich auf die feminine Person Bezug genommen wird, legen den Schluss nahe, dass sich Jes 34,16 offensichtlich nicht auf das gesamte Kapitel Jes 34 zurückbezieht und dass die Menge der in Jes 34 erwähnten Tiere offensichtlich sekundär ergänzt worden ist. Der ursprüngliche Textbestand von Jes 34 dürfte in einer Gerichtsschilderung des Gerichtes an Edom zu sehen sein, die in Jes 34,6 beginnt und die in einem ersten Teil in Jes 34,6‒7.9‒10 beschreibt, wie JHWH ein Opfer ()זבח in Bozra bzw. ein großes Schlachten ( )טבח גדולin Edom abhält, in dessen Folge das Land vor Blut und Fett trieft (Jes 34,7), die Bäche zu Pech ()זפת und das Land zu Schwefel ( )גפריתwird (Jes 34,9), so dass es am Ende so verwüstet ist, dass niemand mehr in ihm wohnen kann (Jes 34,10). Jes 34,8 ist in diesem Zusammenhang eine sekundäre Glosse, die durch den Hinweis, dass es sich bei diesem Gericht um den Tag der Rache JHWHs ()יום נקם ליהוה handelt, eine Verbindung zu der Gerichtsansage an Edom aus Jes 63 herstellt (Jes 63,4).118 Möglicherweise hat dieses Gerichtswort an Edom, das in Jes 34,6‒7.9‒10 vorliegt, ursprünglich eigenständig existiert.119 In einem zweiten Teil wird dieses Gerichtswort ab Jes 34,12 präzisiert, indem beschrieben wird, worin die Konsequenzen der zuvor ausgemalten Verwüstung bestehen. Es wird keinen König und keine Fürsten mehr geben, in seinen Schlössern und Palästen wachsen Dornen ()סירים, Disteln ( )קמושund Nesseln ()חוח, die welkes Gras ( )חצירfür die Strauße ( )בנות יענהsind. והיתה נוח תניםist vermutlich eine sekundäre Ergänzung, um die Verbindung zu Jes 13 herzustellen, so dass חצירauch nicht in Analogie zu נוחin חצרgeändert werden muss, sondern den Lebensraum der Strauße beschreibt. Ihnen werden in Jes 34,15 mit der Lilith, der Natter ( )קפוזund den Geiern ( )דיותweitere unheilvolle 118
Über die Abhängigkeit zwischen Jes 34 und 63,1‒6 ist viel geschrieben worden. Steck vertrat die Auffassung, Jes 63,1‒6 sei von 34,1.5‒15 abhängig. Vgl. STECK 1985, 51. Gosse trat für die folgende literarische Abhängigkeit der Edom-Texte im Jesajabuch ein: Jes 61,2, 63,4 und zuletzt 34,8. Vgl. GOSSE 1990 (I); DERS. 1990 (II). Auch Berges vertritt die Auffassung, dass „63,1‒6 das auslösende literarische Moment für die Schaffung von 34,1.5‒15 war“. Vgl. BERGES 1998, 255. An dieser Stelle wird die Auffassung vertreten, dass auf der Ebene des Endtextes zwar eine Abhängigkeit von Jes 34 von Jes 63 besteht, diese aber erst durch die sekundäre Einschaltung von Jes 34,8 in einen ursprünglich unabhängigen Edom-Text erreicht wurde. 119 Auch Kilian sieht in Jes 34,5‒15 ein ursprünglich selbständiges Edomlied. Vgl. KILIAN 1994, 195.
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Wesen hinzugefügt, die das verwüstete Land und die verwüsteten Paläste bevölkern. Durch sie alle, besonders durch die Lilith, wird ausgedrückt, dass wirkliches Leben in der Wüstenei unmöglich ist und dass nur gruselige Gestalten in ihr zu finden sind. Der ursprüngliche Schluss dieser Erweiterung des Gerichtswortes gegen Edom ist in Jes 34,16.17* zu sehen, der, hier im Zusammenhang mit Jes 34,15, wahrscheinlich folgendermaßen lautete: Jes 34,15–17
שמה קננה קפוז ותמלט ובקעה ודגרה בצלה15 אחת מהנה16 אך־שם נקבצו דיות אשה רעותה :פי הוא צוה ורוחו הוא קבצן120לא נעדרה כי־ והוא־הפיל להן גורל עד־עולם יירשוה לדור17 :ודור ישכנו־בה
Jes 34,15–17 „dort nistet die Natter, legt ihre Eier, spaltet sie und häuft sie auf im Schatten, dort werden auch die Geier versammelt, ein Weibchen zum anderen, eines wird vom anderen nicht vermisst, denn sein Mund, er hat es geboten, und sein Geist, er hat sie gesammelt. Er wirft das Los über sie, dass sie (das Land) besitzen bis in Ewigkeit und von Geschlecht zu Geschlecht in ihm wohnen“.121
„ דרשו מעל־ספר יהוה וקראוsucht in dem Buch JHWHs und lest“ ist demzufolge eine sekundäre Glosse,122 durch deren Einschaltung sich das Verständnis von „ אחת מהנה לא נעדרהeine wird von der anderen nicht vermisst“ dahin gehend änderte, dass nun keines der beschriebenen Ereignisse im Buch JHWHs vermisst werden kann, wodurch die weitere Einschaltung von אשה „ רעותה לא פקדוeine zur anderen, sie suchen nicht“ in Jes 34,16 notwendig wurde. Die Phrase „ וידו חלקתה להם בקוund seine Hand hält über ihnen die Messschnur“ in Jes 34,17 ist ebenfalls eine sekundäre Ergänzung, durch die die Verbindung zu dem späteren eingeschalteten Vers Jes 34,11 gestärkt wird. Durch die Ergänzung des Gerichtswortes gegen Edom, das in Jes 34,6‒7.9‒10 vorlag, in Jes 34,12.13*.15.16*.17* wird aus der Gerichtsansage gegen Edom ein Text, mit dem Heilsankündigungen, die sich im Jesajabuch finden, konterkariert werden.123 Dies geschieht hier durch die Verwendung des Verbs קבץ, das hier nicht mehr illustriert, wie Israel (Jes 11,12; 43,5; 54,7; 56,8) oder die Heiden zum Heil gesammelt werden (Jes 49,18; 60,4), sondern das ausdrückt, wie unheilvolle Wesen in ein verwüstetes Land gesammelt 120 An dieser Stelle ist vermutlich mit der Qumranrolle textkritisch zu ändern. Es ist wahrscheinlich, dass פהund פיursprünglich beide das gleiche Suffix hatten. Aufgrund der Verwechselbarkeit von יund וwären beide Varianten möglich. Da die Jesajarolle aus Qumran die Lesart פיהוbietet und die Septuaginta mit κύριος übersetzt, wird hier als Übersetzung „sein Mund hat geboten“ gewählt. 121 Auch Höffken sieht den Schluss von Jes 34,6ff in Vers 17, hält aber Jes 34,16 und 17a für eine sekundäre Glosse. Vgl. HÖFFKEN 1993, 237. 122 Mit BEUKEN 1992, 90. Vgl. auch DERS. 2007, 307. 123 Dies klingt auch im Kommentar Beukens an. Vgl. BEUKEN 2007, 321.
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werden, um in diesem auf Ewigkeit hin zu wohnen, wodurch bis in Ewigkeit die Existenz anderen Lebens in diesem Land unmöglich wird. Zum anderen geschieht dies dadurch, dass die Lilith und die Natter in dem Land das finden, was in dem vorausgegangenen Heilstext in Jes 32 Ausdruck von Ruhe und Frieden ist, nämlich „ צלSchatten“ (Jes 32,2) und „ מנוחRuhe“ ( מנוחותin Jes 32,18). Und auch in den Formulierungen vom Besitzen des Landes (יירשוה „sie werden es besitzen“, Jes 34,11.17) und vom Wohnen in diesem Land („ ישכנו־בהsie werden in ihm wohnen“, Jes 34,11.17) werden Heilsaussagen konterkariert. Während diese Wendungen üblicherweise benutzt werden, um die Landverheißung an Israel auszudrücken (mit ירשunter anderem in Gen 15,12; Num 13,30; Dtn 1,8.39)124 oder um die Rückkehr aus dem Exil zu beschreiben (Jes 54,3; 57,13; 60,2; 61,7), sind es hier die unheilvollen Gestalten, die das Land Edom bevölkern bis in Ewigkeit ( )עד־עולםund von Geschlecht zu Geschlecht ( )לדור ודורin ihm wohnen werden, so dass jedes andere Leben dort unmöglich ist. Und wie auch in dem Heilstext aus Jes 32 spielt in der Unheilsschilderung von Jes 34 der Geist eine Rolle. Während in Jes 32,15 die Ausgießung des Geistes aus der Höhe ( )רוח ממרוםdie heilvolle Zukunft erst heraufführt, so dass das Recht ( )משפטin der Wüste wohnt (mit שכן, das auch in Jes 34,11.17 begegnet), sammelt der Geist in Jes 34,16 die unheilvollen Wesen Lilith, Natter ( )קפוזund die Geier ( )דיותund lässt diese das Land Edom in Ewigkeit bewohnen. Dieser zweigeteilte Gerichtstext gegen Edom in Jes 34,6‒7.9‒10.12‒13*. 14b‒15.16*.17* ist eine Darstellung des Gerichts an Edom als Verkehrung des für Israel innerhalb des literarischen Kontextes zuletzt in Jes 32 angesagten Heils. Es ist aber nicht nur eine Gerichtsansage an Edom, sondern durch die Bezugnahmen auf das Heil für Israel, das in Jes 34 in sein Gegenteil verkehrt wird, erscheint es auch als eine allgemein gültige Darstellung dessen, was an der Stelle von erwartetem Heil begegnen kann. Insofern ist auch die sekundäre Eröffnung in Jes 34,1‒5, die das Gerichtsszenario an Edom auch zu einem exemplarischen Gerichtsszenario für die Heiden macht, nur folgerichtig. Gleichzeitig ist Jes 34 ein auf Jes 33 reagierendes Szenario. Während Jes 33 um die richtige Position zu JHWH ringt (Jes 33,14.15), ist Jes 34 als Gerichtstext an diejenigen zu verstehen, die sich angesichts des in Jes 32 verheißenen Heils nicht zu JHWH halten wollen.125 Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch auf die sekundären Ergänzungen eingegangen, die der Text in Jes 34 weiterhin erfahren hat. In Vers 11 sind vermutlich in Bezugnahme auf die „ בנות יענהStrauße“ und die 124 Dies ist nur eine sehr kleine Auswahl der infrage kommenden Belege. Vgl. außerdem ebd., 324. 125 Insofern ist Berges zuzustimmen, der Jes 34 als „zweiten Schlusspunkt“ von Jes 1‒34* betrachtet. Vgl. BERGES 1998, 251.
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„ דיותGeier“, die in Jes 34,14.15 zum ursprünglichen Textbestand gehörten und die sich ebenfalls in den Listen über unreine Tiere in Lev 11,16 und Dtn 14,15 bzw. in Dtn 14,13 finden, weitere Tiere aus den Listen der unreinen Tiere eingetragen worden, nämlich „ קאתWüstenkauz“, „ ינשוףWaldkauz“ und „ ערבRabe“. Da der Rabe und der Wüstenkauz ebenfalls in Zef 2,14 begegnen und es offensichtlich Bestrebungen gab, das Kapitel Jes 34 relativ weiträumig innerbiblisch zu vernetzen, ist in diese Reihe ebenfalls der קפור „Igel“ hinzugetreten. Der Eintrag von Messschnur und Bleilot, von Öde und Leere ( )קו־תהו ואבני־בהוstellt im Anschluss an Jes 34,10 erneut fest, dass das Land trotz dieser Tiere öde und leer ist. Zugleich verwendet dieser Vers die Terminologie aus Jes 34,17 und verklammert so beide Teile des Gerichtsszenarios an Edom miteinander (Jes 34,6‒7.9‒10 mit 34,12‒13*.14b‒15. 16*.17*).126 Ebenfalls sekundär ist, wie bereits gesagt, der Eintrag aus Jes 34,8, der eine Verbindung zum Edom-Kapitel in Jes 63 herstellt, sowie der Eintrag der in Jes 13 erwähnten Tiere in Jes 34,13 und 34,14a. Die Glosse in Jes 34,16aα „ דרשו מעל־ספר יהוה וקראוsucht in dem Buch JHWHs und lest“ richtet das Augenmerk der Leser auf die innerbiblischen Bezüge und Anspielungen aus Jes 34, die nicht nur durch die erwähnten Tiere konstituiert sind, sondern die auch daraus resultieren, dass Jes 34 bestehende Heilsaussagen bzw. Aussagen, die die Landverheißung an Israel betreffen, konterkariert. Insofern hat die Phrase אחת מהנה לא נעדרה, die auf der ersten Textebene auf das Sammeln der Geier bezogen war, auf der Ebene des Endtextes sowohl die Bedeutung, dass sich alle erwähnten Tiere in der Schrift finden lassen, dass sich aber auch alle beschriebenen Ereignisse, wenn auch in anderer Ausrichtung, auf die Verkündigung für Israel beziehen. c) Der sammelnde Geist in Jes 34,16 Die רוחerscheint in Jes 34,16 als eine Größe, die losgelöst von JHWH agieren kann, aber selbstverständlich den Willen und den Ratschluss JHWHs repräsentiert und umsetzt. Dies wird durch die Verbindung mit der Formulierung כי־פי הוא צוהdeutlich. Sie ist die Instanz, durch die JHWH in innerweltlichen Bezügen handelt. Ebenso wie auch schon in Jes 32 fehlt in Jes 34 das personenbezogene Element, das dem Reden von der רוח יהוהansonsten oft eigen ist. Dass die רוחin Jes 34,16 in der beschriebenen Weise agiert, hat auch mit den Bezügen von Jes 34 zu Jes 32 zu tun. Ist die רוחin Jes 32 die Größe, die die heilvollen Zustände heraufführt, hat sie in Jes 34 die Funktion, die unheilvollen Verhältnisse, die nach dem Gericht an Edom bestehen, durch das Heraufführen beängstigender Kreaturen zu unterstreichen und bis in alle Ewigkeiten zu besiegeln. Gleichzeitig wird durch das Agieren der רוחdeut126 Vgl. auch KILIAN 1994, 198. Beuken nimmt an, dass Jes 34,11 und 34,17 auf die Hand eines Redaktors zurückgehen. Vgl. BEUKEN 1992, 86.
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lich, dass JHWH, so wie er Heil wirkt, auch Unheil wirkt und dass er durch seine רוחauch in lebensfernen Zusammenhängen in der Verwüstung und Ödnis des Landes Edom präsent ist. Und schlussendlich zeigt sich dadurch, dass JHWHs רוחWesen wie die Lilith sammelt, die Macht JHWHs auch über die Kreaturen, die fern von seinem Machtbereich zu stehen scheinen. 3.1.6 Das zukünftige Heil und der Geistträger in Jes 11 Nachdem nun Gottes רוחin den Kapiteln Jes 28‒32.34 untersucht und in diesem Zusammenhang auch die mit Jes 28 in Verbindung stehende Geistaussage in Jes 4 betrachtet wurde, soll nun Jes 11 in den Blick genommen werden. Es ist unter allen Texten innerhalb des Jesajabuches, in denen von Gottes רוחdie Rede ist, das Kapitel, in dem am ausführlichsten über Gottes Geist und seine Eigenschaften nachgedacht wird, indem es heißt: Jes 11,1–2
: ויצא חטר מגזע ישי ונצר משרשיו יפרה1 ונחה עליו רוח יהוה רוח חכמה ובינה רוח2 :עצה וגבורה רוח דעת ויראת יהוה
Jes 11,1–2 1 Und es wird hervorgehen ein Reis aus dem Stumpf Isais und ein Spross aus seinen Wurzeln Frucht bringen. 2 Und es wird auf ihm ruhen der Geist JHWHs, ein Geist der Weisheit und des Verstandes, ein Geist des Rates und der Stärke, ein Geist der Erkenntnis und der Furcht JHWHs.
a) Jes 11 im Kontext von Jes 1–12 Dieser Text in Jes 11 gehört zum ersten Teil des Protojesajabuches, zu den Kapiteln 1‒12 und hier zu den Kapiteln, die die sogenannte Denkschrift in Jes 6‒8 rahmen. Außerdem wird Jes 11,1‒5 immer im Zusammenhang mit den anderen „Messiastexten“127 innerhalb des Protojesajabuches gelesen, die in Jes 7,14 und 9,5‒6 vorliegen. In Jes 7,14 findet sich das sogenannte „Immanuelzeichen“: Jes 7,14
לכן יתן אדני הוא לכם אות הנה העלמה :הרה וילדת בן וקראת שמו עמנו אל
Jes 7,14 Darum wird der Herr euch selbst ein Zeichen geben: Siehe, die junge Frau ist schwanger, und sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihn nennen Immanuel.
Auch wenn die Bezeichnung משיחim Protojesajabuch nicht verwendet wird, werden diese Texte aufgrund ihrer Erwartung gerechter Herrschaft dennoch zu den Messiastexten hinzugerechnet. Vgl. WASCHKE 2001. Vgl. auch WILLIAMSON 1998. 127
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In Jes 9,5–6 findet sich die Ankündigung der Geburt eines Kindes mit folgenden Worten: Jes 9,5–6
כי־ילד ילד־לנו בן נתן־לנו ותהי המשרה5 על־שכמו ויקרא שמו פלא יועץ אל גבור :אביעד שר־שלום המשרה ולשלום אין־קץ128 למרבה6 על־כסא דוד ועל־ממלכתו להכין אתה :ולסעדה במשפט ובצדקה מעתה ועד־עולם
Jes 9,5–6 5 Denn uns wird ein Kind geboren, ein Sohn wird uns gegeben, und die Herrschaft wird sein auf seiner Schulter, und sein Name wird heißen: Wunder-Rat; Gott-Held, EwigVater, Friede-Fürst, 6 auf dass seine Herrschaft groß werde und hinsichtlich des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, damit er es stärke und stütze in Recht und in Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.
Von diesen drei Texten ist Jes 9,5‒6 am deutlichsten auf die Erwartung eines königlichen Herrschers bezogen. Der Thron Davids ( )כסא דודwie auch die Königsherrschaft ( )ממלכהwerden in Jes 9,6 explizit erwähnt. In diesen beiden Begriffen und in ihrer Verbindung mit der Vorstellung, dass die Königsherrschaft befestigt werden ( )כוןund bis in Ewigkeit Bestand haben ( )עד־עולםsolle, finden sich außerdem Parallelen zu der Ankündigung der Herrschaft Salomos, zur Nathan-Verheißung, in 2 Sam 7,12.13 und damit zur Verheißung eines wirklichen Herrschers auf dem Thron Davids.129 Jes 7,14 und 11,1‒5 lassen derartige direkte Anspielungen auf das Königtum vermissen. In Jes 11 wird die Tätigkeit der erwarteten Gestalt durch das Verb „ שפטrichten“ ausgedrückt (Jes 11,3.4). Außerdem wird bereits durch die Metaphorik, dass aus dem Stumpf Isais (מגזע ישי, Jes 11,1) ein Reis ( )חטרbzw. ein Spross ( )נצרhervorgeht, verdeutlicht, dass hier nicht an eine Fortführung des davidischen Königtums gedacht wird, sondern dass sprichwörtlich zu den Wurzeln zurückgegangen wird, aus denen dann aber nicht das Althergebrachte, sondern etwas gänzlich Neues hervorgeht.130 Auch die oft beschriebenen Bezüge von Jes 11,1‒5 zu Ps 72131 ändern nichts daran, dass Jes 11 eine direkt mit dem Königtum verbundene Terminologie vermeidet.132
Der Masoretische Text liest hier לסרבה, der Text oben folgt dem Qere. Vgl. WERNER 1986, 76. 130 Gegen Ma, der Jes 11 in enger Verbindung zu Ps 72 sieht und als königliches Orakel aus vorexilischer Zeit interpretiert. Vgl. MA 1999, 34‒38. Als „royal oracle“ wird Jes 11,1‒9 auch von Seitz interpretiert. Vgl. SEITZ 1993, 103. 131 Vgl. WASCHKE 1998; ZENGER 1997. 132 Vgl. auch BEUKEN 2003, 324. Werner sieht Jes 11 in Anlehnung an 1 Sam 16 gestaltet. Abgesehen von der Gabe des Geistes, die in beiden Texten allerdings mit unterschiedlichen Verben ausgedrückt ist, lassen sich jedoch keine Gemeinsamkeiten feststellen. Vgl. WERNER 1989, 253–254. Ebenso wie Werner auch SEEBASS 1992, 19. 128
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Jes 7,14 wiederum hebt sich von den Texten in Jes 9,1‒6 und 11,1‒5 dadurch ab, dass sich überhaupt nicht sicher sagen lässt, ob mit der Ankündigung des Immanuel eine heilvolle Zukunft verbunden ist, wie es in Jes 9,1‒6 und 11,1‒5 deutlich der Fall ist. Die Ereignisse, die in Jes 7,15ff entfaltet werden, sind viel eher die Darstellung erwarteten Unheils.133 Aufgrund dieser auffälligen Unterschiede zwischen den Texten in Jes 7,14, 9,1‒6 und 11,1‒5 ist es legitim, Jes 11 und die in ihm getroffenen Geistaussagen zunächst einmal für sich genommen zu betrachten. b) Literarkritische Analyse Liest man den Text in Jes 11 nun genauer, so fällt zunächst auf, dass in Vers 1‒5 eine erste Einheit vorliegt. Darin geht es um das aus dem Stamm Isais ( )מגזע ישיhervorgehende Reis, dessen Geistbegabung und sein Richten in Gerechtigkeit ()בצדק. Die Verse 6‒9 bieten demgegenüber inhaltlich etwas Neues, indem hier eine Vision des Tierfriedens entfaltet wird. In syntaktischer Hinsicht stehen diese Verse allerdings in einem engen Zusammenhang zu den vorausgegangenen Versen 10,34‒11,5, indem sie die in 10,34 begonnene Ereigniskette, in der die Verse jeweils mit weqatal-Formen beginnen, fortsetzt.134 In Jes 11,9a ist die prophetische Schilderung durch eine kurze JHWHRede unterbrochen („ לא־ירעו ולא־ישחיתו בכל־הר קדשיund man wird nicht Böses tun, und man wird nicht freveln auf meinem ganzen heiligen Berg“), während Jes 11,9b die Begründung für die in der JHWH-Rede getroffene Aussage bietet, gleichzeitig aber auch als Summarium der zuvor in Vers 1‒8 geschilderten Erwartungen gelesen werden kann. In Jes 11,10 erfolgt mit der Zeitangabe „ והיה ביום ההואund es wird geschehen an diesem Tag“ ein Neueinsatz. Der Wurzelspross Isais ( )שרש ישיwird hier zu einem Feldzeichen ( )נסfür die Völker. In den folgenden Versen 11‒16 finden sich verschiedene Motive miteinander verbunden, wie die Heimkehr des Volkes Israel (Jes 11,11‒12) oder der Neid zwischen Ephraim und Juda (Jes 11,13), die Errichtung eines Großreiches (Jes 11,14) und die Rückkehr eines Restes aus Assur (Jes 11,16), so dass man ein sukzessives Wachstum dieser Verse vermuten kann. Da aber all diese Motive das gemeinsame Thema der Verse 11‒16, nämlich die Sammlung aller in die Diaspora Verstreuten, illustrieren, kann der Abschnitt Jes 11,11‒16 ebenso, wie von Kilian vermutet, als eine schriftgelehrte Komposition aus verschiedenen Motiven betrachtet werden.135 133
Zur Problematik von Jes 7,14 vgl. ausführlich KILIAN 2012, 57‒63. Außerdem DERS.
1968. 134 Vgl. dazu BEUKEN 2003, 303. Für einen Zusammenhang von Jes 11,1–9 ohne eine redaktionskritische Unterscheidung zwischen Jes 11,1‒5 und 11,6‒9 treten auch ZENGER 1997 und WASCHKE 1998, 357 ein. Vgl. auch WERNER 1986, 49. 135 Vgl. dazu KILIAN 2012, 91.
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
Bei näherem Hinsehen scheint allerdings Jes 11,10 eine sekundäre Ergänzung zu sein, durch die Jes 11,1‒9 mit 11,11ff verbunden wurde, indem das ביום ההואaus Vers 11 aufgenommen und das in Vers 12 erwähnte Feldzeichen ( )נסmit dem in Jes 11,1‒5 thematisierten Spross Isais (in Jes 11,10 mit שרש )ישיidentifiziert wird.136 Das ursprüngliche Ende scheint in Jes 11,12 vorgelegen zu haben, so dass für Jes 11 insgesamt davon auszugehen ist, dass die Beschreibung eines heilvollen Zustandes in Jes 11,1‒9 sekundär um den Gedanken in Jes 11,11.12 ergänzt wurde,137 dass der Rest, der noch nicht an diesem Heil partizipiert, aus den Völkern gesammelt wird. In Jes 11,13‒16 folgen schriftgelehrte Ergänzungen, die die beschriebenen Ereignisse vor dem Hintergrund der Geschichte des Volkes Israel interpretieren.138 Jes 11,10 dient der Verklammerung von Jes 11,1‒9 und 11,11ff. Bereits in Jes 11,1‒9 ist, vor allem aufgrund des verwendeten Vokabulars, ein später Text zu sehen, so dass sich die Frage nach einer jesajanischen Verfasserschaft gar nicht stellt.139 c) Der Geistträger in Jes 11 Im Hinblick auf die רוחin Jes 11 ist nun die Frage interessant, wie man sich die in Jes 11,1‒5 erwartete Gestalt vorzustellen hat bzw. mit wem sie möglicherweise zu identifizieren wäre, wer hier also der Geistträger ist. Des Weiteren ist zu fragen, was durch die verschiedenen Qualifizierungen von רוחin Jes 11,1‒2 intendiert wird. Um hier zu einer Erkenntnis zu gelangen, ist den Motiven und Traditionen, die in Jes 11,1‒5 mit dem Geistträger und mit dem Geist verbunden werden, nachzugehen. Der Träger der רוחwird in Jes 11,1 als ein Reis ( )חטרaus dem Stumpf Isais ( )מגזע ישיbeschrieben. Das Wort חטרfindet sich außer in Jes 11,1 nur noch in Prov 14,3, und hier in ganz anderem Kontext. Die Metaphorik von Stumpf und Wurzeln begegnet allerdings im Jesajabuch noch an anderer Stelle, nämlich in Jes 40,24, wo es darum geht, dass JHWH über den Fürsten und den Richtern der Erde steht und sie zu nichts werden lassen kann (Jes 40,23). In Jes 40,24 heißt es dazu: :אף בל־נטעו אף בל־זרעו אף בל־שרש בארץ גזעם וגם־נשף בהם ויבשו וסערה כקש תשאם kaum sind sie gepflanzt, kaum sind sie ausgesät, kaum wurzeln ihre Stämme in der Erde, da bläst er in sie hinein, und sie vertrocknen, und der Sturm hebt sie wie Stoppeln hinfort.
Gewissermaßen findet sich in Jes 40,24 das Gegenbild zu der in Jes 11,1‒15 erwarteten Gestalt, deren Wurzeln und Spross eben Neues, also Frucht (פרה, Jes 11,1) hervorbringen können Auch in Bezug auf den Gottesknecht kommt die Metaphorik von Wurzeln und Aufsprossen zur Anwendung. So heißt es in 136
Ähnlich auch ebd., 90. Vgl. auch BEUKEN 2003, 315. Vgl. auch BERGES 1998, 131–132. 138 Mit einer Folge verschiedener Ergänzungen rechnete auch Kaiser. Vgl. KAISER 1981, 250‒253. 139 Gegen WILDBERGER 1980, 441. 137
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Jes 53,2 über ihn: ויעל כיונק לפניו וכשרש מארץ צוה לא־תאר לו ולא הדר „ ונראהו ולא־מראה ונחמדהוund er stieg hervor vor seinem Angesicht wie ein Reis und wie Wurzeln aus der trockenen Erde. Er hatte keine Gestalt und keine Hoheit und wir sahen ihn an, aber da war kein Ansehen, das uns gefiel“. Auch für das Bild vom Spross ( )נצרfindet sich eine Entsprechung im zweiten Teil des Jesajabuches, nämlich in Jes 60,21, wo davon die Rede ist, dass das Volk Israel ein Spross der Pflanzung JHWHs ist ( ועמך כלם צדיקים „ לעולם יירשו ארץ נצר מטעו מעשה ידי להתפארund dein Volk, alle Gerechten, sie werden das Land bis in Ewigkeit besitzen, ein Spross meiner Pflanzung, ein Werk meiner Hände, um sich zu verherrlichen“). In Anbetracht der Tatsache, dass die Begriffe „ נצרSpross“ und „ גזעWurzelstock“ nur an den oben beschriebenen Stellen vorkommen ( נצרaußerdem in Jes 14,13), kann man Berührungspunkte zwischen den Belegen vermuten. Allerdings bleibt zunächst die Frage offen, ob Jes 11,1 im Licht von Jes 40,24 und 60,21 zu lesen ist oder ob die Texte aus dem Deuterojesajabuch Jes 11 kennen. Festzustellen bleibt zunächst aber jedenfalls, dass Jes 11,1 und 40,24 gegensätzliche Bilder von Herrschaft entfalten und dass im Deuterojesajabuch der Knecht und das Volk Israel mit einer ähnlichen Metaphorik von Wurzeln und Aufsprießen verbunden sind wie der Träger der רוחaus Jes 11. So sollen nun zunächst die Begriffe in den Blick genommen werden, mit denen die רוחin Jes 11,2 verbunden ist. Es sind dies „ חכמהWeisheit“, בינה „Verstand“, „ עצהRat“, „ גבורהStärke“, „ דעתErkenntnis“ und יראת יהוה „Furcht JHWHs“. Zunächst einmal sind alle diese Termini charakteristisch für weisheitliches Denken und finden sich insbesondere im Psalter und im Proverbienbuch. Für Jes 11,2 sind allerdings die Bezüge innerhalb des Jesajabuches von noch größerem Interesse. So begegnet der Begriff „ חכמהWeisheit“ abgesehen von Jes 11,2 innerhalb des Jesajabuches außerdem in Jes 10,13 und 47,10 sowie in Jes 29,14 und 33,6. Die Texte Jes 10,13 und 47,10 beziehen sich auf den Hochmut des Königs von Assyrien (Jes 10,13) bzw. auf Babylon (Jes 47,10) und kritisieren, dass sich der König von Assyrien bzw. von Babel für weise hält, es aber eigentlich nicht ist. So heißt es in Jes 10,12–13: Jes 10,12–13
והיה כי־יבצע אדני את־כל־מעשהו בהר ציון ובירושלם אפקד על־פרי־גדל לבב כי אמר:מלך־אשור ועל־תפארת רום עיניו בכח ידי עשיתי ובחכמתי כי נבנותי ואסיר גבולת עמים ועתידתיהם שושתי ואוריד :כאביר יושבים
Jes 10,12–13 12 Und es wird geschehen, wenn der Herr all seine Werke ausgeführt hat auf dem Berg Zion und in Jerusalem, dann will ich heimsuchen die Frucht des hochmütigen Herzens des Königs von Assur und den Stolz seiner hochmütigen Augen. 31 Denn er spricht: In der Kraft meiner Hände habe ich gehandelt und in meiner Weisheit, denn ich bin verständig, und ich habe die Grenzen der Völker verschoben, ihre Schätze geplündert und die Bewohner wie ein Stier zu Boden gestoßen.
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In Jes 29,14 geht es ebenfalls um falsche Weisheit, indem die Verblendung des Volkes thematisiert und angekündigt wird, dass JHWH so verfahren wird, dass die Weisheit der Weisen des Volkes vergehen wird. Jes 33,6 enthält eine Heilsansage an Zion, in der für Zion sichere Zeiten angekündigt werden, die unter anderem von Weisheit geprägt sein werden: „ והיה אמונת עתיך חסן ישועת חכמת ודעת יראת יהוה היא אוצרוUnd es wird deine Zeit sicher sein, ein Reichtum an Rettung, an Weisheit, an Erkenntnis, und die Furcht JHWHs, sie wird sein Schatz sein“. Der Geistträger in Jes 11 wird nun anders als beispielsweise der König von Assur aus Jes 10 mit wahrer Weisheit, die von JHWH kommt,140 ausgestattet, so dass deutlich wird, dass Jes 11 auch ein Gegenbild zu der in Jes 10 beschriebenen Herrschaft des Königs von Assyrien sein will. Gleichzeitig ist der Geistträger in Jes 11 mit denselben Merkmalen ausgestattet wie in Jes 33 Zion. Auch der Begriff בינהbegegnet vor allem in der Weisheitsliteratur, besonders im Proverbienbuch.141 Im Jesajabuch ist er außer in Jes 11,2 nur noch in Jes 29,14.24 und 40,14 belegt. In Jes 29,14 ist er im selben Kontext wie der Begriff חכמהzu finden, in Jes 29,24 begegnet בינהim Zusammenhang mit einer Aussage über den Geist: „ וידעו תעו־רוח בינה ורוגנים ילמדו־לקחund die Irrenden im Geist werden Einsicht erkennen, und die Murrenden werden Belehrung annehmen“. Hier geht es um die heilvolle Verwandlung des Volkes. Ebenfalls in Zusammenhang mit רוחfindet sich בינהaußerdem in Jes 40,13.14, innerhalb einer Beschreibung der Unvergleichlichkeit JHWHs: Jes 40,13.14
:מי־תכן את־רוח יהוה ואיש עצתו יודיענו את־מי נועץ ויבינהו וילמדהו בארח משפט :וילמדהו דעת ודרך תבונות יודיענו
Jes 40,13.14 13 Wer bestimmt den Geist JHWHs, und wer ist ein Mann seines Rates, dass er ihn unterweist? 14 Wen fragt er um Rat, dass er ihm Einsicht gebe und ihn lehre den Weg des Rechtes und ihn lehre Erkenntnis und weise ihm den Weg des Verstandes?
Innerhalb dieser Aussage über JHWH begegnen außerdem die ebenfalls in Jes 11,2 belegten Begriffe עצהund דעת. Der Geistträger in Jes 11 ist damit mit denselben Eigenschaften ausgestattet, die in Jes 40,13.14 JHWHs Unvergleichlichkeit ausmachen. Da diese Qualitäten in beiden Fällen mit der רוח verbunden sind, ist dem Geistträger in Jes 11 das gegeben, wodurch sich in Jes 40,13–14 JHWHs Unvergleichlichkeit manifestiert.
Zur Bezogenheit von חכמהauf Gott im Alten Testament überhaupt vgl. SÆBØ 1971, bes. 564‒567. 141 Vgl. H. H. SCHMID 1971. 140
3.1 Gottes Geist im Protojesajabuch
139
Eng mit JHWH verbunden ist עצהaußerdem in Jes 28,29, 30,1 und 44,26. In Jes 29,15 werden diejenigen kritisiert, die ihre Ratschlüsse ohne JHWH fassen.142 דעתfindet sich, abgesehen von Jes 11,2 und 40,14, außerdem in Jes 5,13, 44,19 und 47,10, wo es jeweils darum geht, dass das Volk bzw. Babel bzw. derjenige, der Götzenbilder anfertigt, nicht über Erkenntnis verfügt.143 Wer abgesehen von JHWH und dem in Jes 11 beschriebenen Geistträger allerdings über Erkenntnis verfügt, ist der Gottesknecht, wie er in Jes 53,11 dargestellt wird. Neben den bisher genannten Begriffen zeichnet sich der Geistträger in Jes 11,2 auch durch einen Geist der Kraft ( )גבורהaus. גבורהbegegnet besonders häufig im Psalter (Ps 20,7; 54,3; 65,7; 66,7; 71,16; 89,14; 90,10; 147,10; 150,2 u.ö.)144 und innerhalb des Jesajabuches in Jes 11,2, 30,15 und 63,15 sowie in Verbindung mit רוחin Jes 28,6 ( ולרוח משפט ליושב על־המשפט „ ולגבורה משיבי מלחמה שערהund [JHWH Zebaoth] wird zu einem Geist des Rechts werden für denjenigen, der zu Gericht sitzt, und zu einer Kraft für diejenigen, die den Kampf zurückbringen zum Stadttor“). Das letzte Merkmal, das den Geistträger in Jes 11,2 auszeichnet, ist יראת „ יהוהFurcht JHWHs“. Die Furcht JHWHs ist ebenfalls ein Kennzeichen weisheitlichen Redens (Prov 1,7) und findet sich auch im Psalter (Ps 19,10; 111,10).145 Im Jesajabuch begegnet sie, wie auch schon חכמה, in der Heilszusage für Zion in Jes 33,6. Im Zuge dieser Analyse fällt nun Folgendes auf: Zunächst einmal ist es so, dass sämtliche Termini weisheitlichen Denkens, mit denen der Geist in Jes 11,2 verbunden ist, im Jesajabuch nur in einem relativ schmalen Rahmen belegt sind. So finden sich beispielsweise für „ חכמהWeisheit“ insgesamt nur fünf Belege (neben Jes 11,10: Jes 10,13; 29,14; 33,6; 47,10), für בינה „Einsicht“ nur vier (Jes 29,14.24; 40,14) und für „ יראת יהוהFurcht JHWHs“ nur zwei (Jes 33,6). Insofern ist es legitim, nach Verbindungslinien zwischen Jes 11,2 und den verschiedenen Referenztexten zu fragen. Insgesamt fällt dabei auf, dass der Träger der רוחin Jes 11,2 ein Gegenbild zu dem verschiedentlich angeprangerten Fehlverhalten fremder Herrscher, wie des Königs von Assyrien (Jes 10,13) oder Babylon (Jes 47,10), aber auch des eigenen Volkes (Jes 30,1.15; 29,15; 5,13) ist. Seine Weisheit, seine Einsicht, seine Ratschlüsse und seine Kraft sind nicht falsch und können dies niemals sein, weil all diese Eigenschaften des Geistträgers in Jes 11,2 mit
Außerdem belegt ist עצהim Jesajabuch noch in Jes 8,10 und 14,26. Zum Gebrauch von עצהim Jesajabuch vgl. auch STÄHLI 1971, bes. 752. 143 Zur Verbindung von דעתund חכמהvgl. SCHOTTROFF 1971, bes. 699. 144 Vgl. außerdem KÜHLEWEIN 1971, bes. 400‒401. 145 Vgl. auch STÄHLI 1971 (II), bes. 775‒778. 142
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
dem Geist Gottes und damit mit Gott selbst verbunden sind und so direkt von Gott kommen. Im Hinblick auf die רוחfällt bei der Analyse von Jes 11,2 außerdem auf, dass die Begriffe, die hier auf die רוחbezogen werden, an anderer Stelle ebenfalls in Verbindung mit רוחbegegnen. Dies trifft besonders auf Jes 40,13.14 zu, wo zusammen mit רוחaußerdem דעת, עצהund בינהbegegnen. Deutlich wird es aber auch in Jes 29,14.15, wo die Tatsache, dass die Weisheit ( )חכמהder Weisen wie die Klugheit ( )בינהder Klugen vergehen wird, darauf zurückzuführen ist, dass JHWH einen Geist des tiefen Schlafes ( רוח )תרדמהauf das Volk gegossen hat (Jes 29,10). In Jes 29,24 ist außerdem רוח mit בינהverbunden. Im darauffolgenden Vers Jes 30,1 begegnet רוחgemeinsam mit הוי בנים סוררים נאם־יהוה לעשות עצה ולא מני ולנסך מסכה ולא ( עצה „ רוחיweh den abtrünnigen Söhnen, Spruch JHWHs, die ohne mich Pläne fassen und Bündnisse eingehen ohne meinen Geist“). In Jes 28,6 ist wiederum der Begriff גבורהmit רוחverbunden ( ולרוח משפט ליושב על־המשפט „ ולגבורה משיבי מלחמה שערהund [JHWH] wird zu einem Geist des Rechts für denjenigen, der zu Gericht sitzt, und zu einer Kraft für diejenigen, die den Kampf zurückbringen zum Tor“). Wenn man von der Geistaussage in Jes 4,4 absieht, die, wie oben gezeigt wurde, in Beziehung zu Jes 28 steht, und von den Geistaussagen in Jes 32,15 und 34,16, bestehen somit zwischen Jes 11,2 und allen anderen Geisttexten innerhalb des Protojesajabuches terminologische Verbindungen. In Anbetracht der Tatsache, dass die weisheitlichen Begriffe im Jesajabuch ansonsten nicht eben häufig vorkommen, kann dies kaum als Zufall betrachtet werden, sondern es ist vielmehr davon auszugehen, dass diese Verbindung beabsichtigt ist. Da die Aussagen zu רוחin Jes 28,6, 29,10.24 und 30,1 unterschiedlichen Zusammenhängen, auch in redaktionskritischer Hinsicht, entstammen, ist es ausgeschlossen, dass sich alle diese Aussagen unabhängig voneinander aus Jes 11,2 speisen und dabei unterschiedliche Begriffe von dort rezipieren. Es muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass Jes 11,2 im Bewusstsein dessen geschrieben worden ist, was innerhalb des Protojesajabuches bereits über die רוחgesagt wurde, wobei es vorrangig um die רוחals eine Gott und Mensch zueinander in Beziehung setzende Größe gegangen sein muss, weswegen Jes 32,15 und 34,16 keine Rolle spielen. In Anbetracht der Texte Jes 29,10.24 und 30,1 ist offensichtlich erneut von Bedeutung, dass der in Jes 11,2 beschriebene Geistträger das Gegenbild schlechthin zu allem menschlichen Fehlverhalten und zum „Von-Gott-und-seinem-Geist-Abirren“ ist. Aber auch Jes 40,13.14 muss den Verfassern von Jes 11,1‒9 bereits vorgelegen haben. Dies zeigt sich darin, dass die Wurzelmetaphorik Verbindungen in das Deuterojesajabuch hat, sowie darin, dass die Aufgaben des in Jes 11 beschriebenen Geistträgers, wie noch zu zeigen sein wird, denen des Gottesknechts und der hinter den letzten Kapiteln des Jesajabuches stehenden Prophetengestalt ähneln. Durch die Verbindung zwischen Jes 40,13.14 und 11,2
3.1 Gottes Geist im Protojesajabuch
141
wird deutlich, dass der Geistträger in Jes 11,2 mit all den Eigenschaften ausgestattet ist, die die Unvergleichlichkeit JHWHs ausmachen. Durch die Verbindung dieser Eigenschaften mit רוחwird vermieden, diese Eigenschaften als menschliche Eigenschaften zu verstehen. Es sind Eigenschaften, die auch JHWH hat und die durch den Geist der in Jes 11,1‒9 beschriebenen Gestalt vermittelt werden, so dass sie an JHWHs Unvergleichlichkeit partizipiert und damit das Gegenbild zu allen menschlichen Irrtümern ist. Damit wäre auch die Frage obsolet, ob es sich bei der in Jes 11,1‒9 beschriebenen Gestalt um einen in irgendeiner Weise zu fassenden irdischen Herrscher auf einem irdischen Thron handeln kann. Was nun den Aufgabenbereich des Geistträgers in Jes 11,1‒9 anbetrifft, über den die Verse 3‒5 Auskunft geben, so wird deutlich, dass auch hier ein Gegenbild zu dem König von Assyrien, wie er in Jes 10 dargestellt ist, entfaltet wird (Jes 10,2). Gleichzeitig zeigen sich terminologische Bezüge vor allem in das Deuterojesajabuch. So begegnen die Elenden ( )ענויםvor allem dort (Jes 41,17; 49,13; 51,21; 61,1), ebenso wie die Gottlosen (רשעים, Jes 55,7; 58,4.6). Und auch das Wort צדקfür „Gerechtigkeit“ findet sich vor allem in den hinteren Kapiteln des Jesajabuches (Jes 41,10; 42,6.21; 45,13; 51,1.7; 58,2; 59,4; 61,3.4). Hinzu kommen das Bild von der Geradheit (משור, Jes 40,4; 42,16) und die Verwendung des Begriffes אמונהfür Treue (Jes 59,4). Aufgrund dieser terminologischen Bezüge ins Deuterojesajabuch hinein legt sich die Frage nahe, wie sich der in Jes 11 beschriebene Geistträger zu den im Deuterojesaja dargestellten Geistträgern verhält. In den Blick zu nehmen ist hier zunächst der Knecht, von dem in Jes 42,1 gesagt wird, dass Gott ihm seinen Geist gegeben habe („ נתתי רוחי עליוich habe meinen Geist auf ihn gegeben“). Auch dieser Knecht handelt in ähnlich harmonischer Weise, wie der in Jes 11,2 beschriebene Geistträger, auch für ihn ist, wie für den Geistträger in Jes 11, Treue ein Merkmal seines Auftretens (in Jes 42,3 mit אמת, in 11,5 mit )אמונה, und auch er nimmt sich der Geplagten und Gequälten an, wobei es allerdings keine direkten begrifflichen Übereinstimmungen gibt. In Jes 42,7 geht es um die Blinden ( )עורund die Gefangenen ()אסיר, während der Geistträger in Jes 11 sich den Elenden ( )דליםund Armen ()ענוים zuwendet (Jes 11,4). Und während der Geistträger in Jes 11,4 selbst in Gerechtigkeit ( )צדקrichtet, wird der Knecht in Jes 42,6 selbst von JHWH in Gerechtigkeit ( )צדקgerufen. Zu dem Knecht, wie er in Jes 52,13‒53,12 dargestellt wird, gibt es einen Bezugspunkt durch das Bild des Aufsprossens. So wird in Jes 53,2 über den ihn gesagt, dass er emporwuchs wie ein Sprössling ( )יונףund wie eine Wurzel aus trockener Erde ()כשרש מארץ צוה. Deutlichere Beziehungen gibt es zwischen Jes 11 und dem in Jes 61,1‒11 beschriebenen Geistträger. Auch dieser Träger der רוחsoll sich der Elenden ( )ענויםannehmen (Jes 61,1), und auch er wird mit den Eigenschaften, die ihn
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
ausmachen, bekleidet (Jes 11,5; 61,10). Hinzu kommt, dass in Jes 61 ebenfalls die Metaphorik von Pflanzen und Aufsprossen zum Tragen kommt. So werden die Trauernden in Zion eine „Pflanzung JHWHs“ ()מטע יהוה, und JHWH lässt Gerechtigkeit aufsprießen (צמח, Jes 61,10). Diese beschriebenen Verbindungslinien lassen darauf schließen, dass die Texte in Jes 11, 42 und 61 nicht unabhängig voneinander entstanden sind; die Bezüge sind allerdings zu vage, als dass auf direkte Abhängigkeiten geschlossen werden könnte. Was sich im Hinblick auf Jes 11 allerdings mindestens sagen lässt, ist, dass der hier beschriebene Geistträger nicht einen Gegenentwurf oder einen ganz eigenen Entwurf zu den Erwartungen des Deuterojesajabuches entfaltet, sondern dass er sich in die dort zum Ausdruck kommenden Vorstellungen von Heilsbringern und Trägern des Geistes JHWHs einfügt. Deutlich geworden ist nun, dass die in Jes 11 beschriebene Gestalt kein König ist und auch kein messianischer Herrscher, sondern dass seine Wirksamkeit von allen Herrschaftsformen losgelöst und ein Gegenbild zu bestehenden Herrschern,146 aber auch zu dem wiederholt angeprangerten Verhalten des Volkes ist. Seine Legitimation erhält er durch die Ausstattung mit Gottes רוח, die auf ihm ruht ( )נוחund ihm somit dauerhaft und nicht nur punktuell gegeben ist. Indem Gottes Geist hier mit den verschiedenen weisheitlichen Attributen verbunden wird, werden einerseits Aspekte des Redens über Gottes Geist innerhalb des Protojesajabuches zusammengeführt, gleichzeitig wird aber auch durch den Bezug zu Jes 40,13.14 deutlich, dass der Geistträger aus Jes 11,2 Anteil an JHWHs Eigenschaften und an seiner Unvergleichlichkeit erhält. Es ist sicherlich nie das Anliegen des Textes in Jes 11,1‒9 gewesen, den Träger der רוחmit einer bestimmten Gestalt zu identifizieren. Es ist aber deutlich, dass der Geistträger zumindest sekundär auf Zion hin gedeutet worden ist. Dies geschieht durch die Einschaltung von Jes 11,10, in dem der Wurzelspross Isais ( )שרש ישיzu einem Feldzeichen ( )נסfür die Völker wird und Merkmale der Völkerwallfahrt zum Zion an sich bindet (Jes 11,12).147 Des Weiteren wird das vor dem Hintergrund von Jes 33,6 deutlich, indem Eigenschaften, die in Jes 11,2 dem Geistträger zugeschrieben werden, auf Zion gedeutet werden: והיה אמונת עתיך חסן ישועת חכמת ודעת יראת יהוה „ היא אוצרוUnd es wird Sicherheit mit dir sein, ein Reichtum an Rettung, Weisheit und Einsicht, die Furcht JHWHs, sie wird Zions148 Schatz sein“.
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Ähnlich WERNER 1986, 66: „Der messianische Herrscher wird von Jahwe her als vollkommener Herrscher qualifiziert.“ Vgl. auch BEUKEN 2003, 324. 147 Ähnlich auch ZENGER 1997, 147. Vgl. außerdem BERGES 1998, 132. 148 Mit dem Vorschlag der Herausgeber der Biblia Hebraica Stuttgartensia lese ich אוצרהstatt אוצרו.
3.1 Gottes Geist im Protojesajabuch
143
d) Jes 11 im Kontext der Geistaussagen des Protojesajabuches Indem Jes 11, wie oben beschrieben, die theologische Summe aus allen Geistbelegen des Protojesajabuches zieht, die sich ihrerseits wiederum weitgehend als spät, mit Bezügen in späte weisheitliche Texte (Jes 28.29) und mit Bezügen in das Deuterojesajabuch (Jes 40,24; 60,21) dargestellt haben, muss man Jes 11 für einen der jüngsten Texte des Jesajabuches überhaupt halten. Die Sammlung aller Geistaussagen aus Jes 28‒32 in Jes 11 wirft außerdem ein neues Licht auf die Frage der literarischen Gestaltung von Jes 28‒32 und Jes 1‒12. Vor dem Hintergrund der Geistaussagen muss sich doch die Annahme nahelegen, dass Jes 1‒12 in Anlehnung an Jes 28‒32 gestaltet ist. So führt Jes 11 die Sammlung in Jes 1ff zu einem ersten Abschluss, so wie Jes 32 die Sammlung Jes 28‒32 abgeschlossen hat, indem es in der Erwartung des idealen Geistträgers das bündelt, was in Jes 32 erst im Rahmen eines Wachstumsprozesses zusammengeführt worden ist: Herrschaft und Geist. 3.1.7 Zusammenfassung: Gottes Geist im Protojesajabuch Die vorausgegangenen Untersuchungen haben gezeigt, dass Gottes רוחim Protojesajabuch vor allem in den Kapiteln 28‒32 und 34 begegnet. Die einzigen Ausnahmen bilden Jes 4 und 11. In den Kapiteln 13‒23, 24‒27 und 36‒39 fehlen Aussagen über Gottes רוחvöllig. Innerhalb der Kapitel Jes 28‒32.34 und 4 ist wiederum die Rede von Gottes רוחdurchweg das Ergebnis sekundärer Ergänzungen. Wie die Untersuchungen zu den einzelnen Aussagen über רוחinnerhalb von Jes 28‒32 gezeigt haben, ist das Wachstum dieses Teils des Protojesajabuches so vorzustellen, dass es eine erste Sammlung jesajanischer Worte gab (Jes 28,7ff; 29,1‒3.4‒5; 29,9b.10b.15; 30,12‒14.15– 17; 31,1; 32,9‒14), die Gerichtsansagen an Jerusalem beinhalteten, in denen vor allem Sozialkritik geübt wurde und die falschen politischen Entscheidungen, wie das Vertrauen auf militärische Hilfe aus Ägypten, kritisiert wurden. Zu diesen älteren Texten gehören mit Jes 29,1‒3, 29,15 und 31,1 auch drei Wehrufe. Dieses jesajanische Material ist nach und nach ergänzt worden, wobei auf der einen Seite Fortschreibungen zu beobachten sind, die sich auf den unmittelbaren Nahkontext beziehen und einzelne Kapitel innerhalb der Kapitel Jes 28‒32 miteinander verbinden oder einzelne Aussagen fortschreiben und interpretieren. Zu diesen auf den Nahkontext bezogenen Fortschreibungen gehören die Aussagen zur רוחin Jes 29,24, die das Kapitel 29 mit Jes 30 verbindet, oder die Geistaussage aus Jes 29,10, die einen Zusammenhang zu Jes 29,8 herstellt, gleichzeitig auf Jes 32,15 vorausweist und möglicherweise über die Verwendung des Verbs נסךauch eine Verbindung zu Jes 30,1 herstellt. Darüber hinaus gibt es redaktionelle Ergänzungen der Kapitel, die das ältere Material zu einer Komposition gestalten. Hierzu gehört der Wehruf in Jes 30,1‒5, der in Anlehnung an Jes 31,1 gestaltet ist und der auf der Textebene Jes 29‒31 für einen wiederkehrenden Wechsel von Weh-
144
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
rufen sorgt. Hierzu gehört vermutlich auch die Einleitung in Jes 32,1.5.6a.8, die dem in den vorausgehenden Wehrufen kritisierten politischen Verhalten die Erwartung eines gerechten Herrschers entgegensetzt. Schließlich gibt es Fortschreibungen, die einerseits die Komposition in Jes 28‒32 weiter ausgestalten, aber stärker als die vorausgehenden Ergänzungen auch auf die Verbindung von Jes 28‒32 mit Jes 1‒12 und auf die Verbindung des Protojesajabuches mit dem Deuterojesajabuch ausgerichtet sind. Hierzu gehören unter anderem der die Sammlung einleitende Wehruf über Samaria in Jes 28,1‒6, 29,16 und 29,17‒24 sowie 32,15‒18 und damit auch die Geistaussagen in Jes 28,6 und 32,15. Für das Aufkommen des Nachdenkens über Gottes רוחim Protojesajabuch bedeutet dies Folgendes: Der Geist Gottes ist nicht Bestandteil jesajanischer Verkündigung, sondern wird erst später zu einer Größe, die die Texte des Jesajabuches prägt. Gleichzeitig gehören die Geistaussagen verschiedenen Fortschreibungslinien an und sind nicht einer durchgehenden Redaktion, die besonders am Geist Gottes interessiert gewesen wäre, zuzurechnen. In einigen Fällen, wie in Jes 29,24 und 29,10, aber auch in Jes 28,6 nehmen sie Bezug auf vorausgegangene Texte, die Gottes רוחbeinhalten. Für Jes 29,14 ist dies im Hinblick auf Jes 30,1 der Fall, für Jes 28,6 im Hinblick auf Jes 4,4, wobei die Vorstellung von Gottes Geist aus Jes 4,4 in Jes 28,6 noch weiterentwickelt wird. Die älteste Aussage über die רוחGottes findet sich in Jes 30,1 ( הוי בנים סוררים נאם־יהוה לעשות עצה ולא מני ולנסך מסכה ולא רוחי למען „ ספות חטאת על־חטאתWeh den abtrünnigen Söhnen, Spruch JHWHs, die ohne mich Pläne fassen und Bündnisse eingehen ohne meinen Geist, um Sünde auf Sünde zu häufen“). Diese Aussage ist im Zusammenhang mit Vorstellungen zu verstehen, wie sie auch aus dem Richter- und dem Ersten Samuelbuch belegt sind, dass Gott seinen Geist politischen Entscheidungsträgern gibt (Ri 3,10; 6,34; 11,29; 1 Sam 16,13), aber auch im Zusammenhang mit der Vorstellung, die sich vor allem im Zweiten Chronikbuch und bei Nehemia findet, dass der Geist Menschen dazu bringt, sich richtig zu verhalten oder das Richtige zu reden (2 Chr 20,14; 24,20; Neh 9,20.30). Der Unterschied zu diesen Texten, liegt vor allem darin, dass sonst immer davon die Rede ist, dass Gottes רוחin irgendeiner Weise auf die Menschen kam. In Jes 30,1 geht es nun gerade darum, dass die Entscheidungen nicht durch Gottes Geist getroffen wurden. Dieses Fehlen von Gottes Geist wird einfach durch die Formulierung ( )ולא רוחיausgedrückt, „es ist nicht mein Geist“. Der in einer relativen Chronologie nächste Geistbeleg ist die Aussage in Jes 4,4. Die רוחGottes ist hier nicht personenbezogen, es ist nicht von der Gabe des Geistes an einen Einzelnen die Rede. Sie ist hier aber auch keine eigenständige Größe, sondern steht für die „Geisteshaltung“, in der JHWH das in Jes 4,4 beschriebene Gerichtsgeschehen ausübt. Gleichzeitig ist sie durch einen für das Protojesajabuch konstitutiven Begriff, משפט, näher bestimmt.
3.1 Gottes Geist im Protojesajabuch
145
In Jes 28,6 wird diese Vorstellung von einem Geist des Rechts ()רוח משפט wieder aufgegriffen, aber auch neu interpretiert. Es wird nun deutlich gemacht, dass JHWH selbst dieser Geist des Rechtes ist, so dass jedes Missverständnis darüber, woher der Geist kommt oder welchen Ursprungs er ist, von vornherein ausgeschlossen ist. JHWH und seine רוחsind ein und dasselbe. Jes 32,15 hat diese eindeutige Zuweisung des Geistes (hier )רוח ממרום offensichtlich nicht nötig. Es ist hier weder die Rede davon, wer den Geist ausgießt, noch wer den Geist bekommt. Hier scheint die Vorstellung auf, dass die רוחeine Größe ist, die losgelöst von JHWH in der Welt anwesend sein und dafür sorgen kann, dass die Gerechtigkeit ( )צדקהzu voller Entfaltung kommt. Dass diese רוחaus der Höhe von Gott kommt, bedarf keiner weiteren Erklärung. Innerhalb der beschriebenen Texte ist somit keine klare Entwicklung im Nachdenken über Gottes רוחzu erkennen. Dies legte ja bereits die Feststellung nahe, dass die Geistaussagen im Protojesajabuch nicht auf durchlaufende Redaktionsschichten oder die Vorstellung des Propheten Jesaja zurückzuführen sind. Was die Geistaussagen im Protojesajabuch allerdings miteinander verbindet, ist, dass sie alle über die Vorstellung, dass der Geist Gottes einen Menschen ergreift und zu besonderem Handeln führt, hinausgehen. Die vorliegende Untersuchung hat auch gezeigt, dass die Geistaussagen im Protojesajabuch größtenteils einer Denkrichtung entstammen, die mit Weisheitstraditionen verbunden ist. Dies zeigt sich im Reden von JHWH, der zur Krone ( )עטרתund zu einem Geist des Rechts ( )רוח משפטwird in Jes 28,5.6, in den Bezügen zum Hiobbuch, die in Jes 29 aufscheinen, sowie in der Summe weisheitlicher Begriffe, die schließlich in Jes 11,2 in Bezug auf das Reis aus dem Stumpf Isais gebündelt werden. In vielen dieser Texte wird das Bedürfnis deutlich, weisheitliche Qualitäten auf JHWH zurückzuführen und mit JHWH zu verbinden. Insgesamt wird außerdem ein Dualismus deutlich zwischen Zeiten, die ohne Gottes Geist auskommen müssen (Jes 29,10; 30,1), und der heilvollen Zukunft, in der dann entweder, wie in Jes 32,15, der Geist aus der Höhe ausgegossen wird oder in denen der in Jes 11,2 beschriebene Geistträger, in umfassender Hinsicht mit Gottes רוחbegabt, für heilvolle Verhältnisse sorgen wird. Diesem Dualismus aus Abwesenheit des Geistes und heilvoller Geistbegabung entspricht der aus Abwesenheit von Recht ( )משפטund Gerechtigkeit ()צדקה. Die oben beschriebenen Bezüge zum Deuterojesajabuch legen die Vermutung nahe, dass eine Profilierung des Nachdenkens über Gottes רוחzunächst innerhalb des Deuterojesajabuches stattgefunden hat und aus diesem in das Protojesajabuch gekommen ist. Dies wäre in den folgenden Analysen zu bestätigen.
146
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch 3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
Nachdem die Belegstellen für Gottes Geist im Protojesajabuch ausführlich besprochen worden sind, soll nun das Reden über Gottes Geist im Deuterojesajabuch in den Blick genommen werden. Ziel der Untersuchung ist es, die Aussagen zu Gottes Geist je für sich zu bedenken und zu würdigen und sie zueinander in Beziehung zu setzen. Da die Untersuchung der Verwendung des Begriffes רוחinnerhalb des Protojesajabuches den Verdacht nahegelegt hat, dass das Protojesajabuch einen Teil der Vorstellungen über Gottes Geist aus dem Deuterojesajabuch übernommen hat, soll natürlich auch der Frage nach den Verbindungslinien zwischen den beiden Büchern in Bezug auf Gottes Geist nachgegangen werden. Bevor aber auf die Texte zu Gottes רוחinnerhalb des Deuterojesajabuches im Einzelnen eingegangen werden kann, sind sie zunächst innerhalb des Deuterojesajabuches insgesamt und, soweit das zu diesem Zeitpunkt bereits möglich sein kann, innerhalb seines Wachstums zu verorten. Dies soll in den folgenden einleitenden Bemerkungen geschehen. 3.2.1 Erwägungen zur Entstehung des Deuterojesajabuches Die vorliegende Untersuchung geht, wie in der aktuellen alttestamentlichen Forschung mehrheitlich vertreten, davon aus, dass das Proto- und das Deuterojesajabuch ursprünglich als selbständige, voneinander unabhängige Größen existiert haben, die erst sekundär miteinander verknüpft wurden.149 Für die Entstehung des Deuterojesajabuches gibt es verschiedene neuere Untersuchungen.150 Beispielhaft seien an dieser Stelle die Positionen von U. Berges und R. Kratz etwas ausführlicher erläutert. Berges kommt für das Deuterojesajabuch zu folgenden Erkenntnissen: Innerhalb der Kapitel 40,12‒46,11 finden sich Aussprüche eines anonymen Propheten, der von 550 bis 539 v. Chr. in Babylon gewirkt hat (40,*12‒28; 41,1‒5.8‒13.16b‒20.21‒26.28; 42,5‒9.13‒16; 43,1‒4.8‒13.14‒15.16‒21; 44,1‒3a.4.6‒8.21‒22; 44,24‒45,7; 45,11‒13.20a.21; 46,9‒11). Seine Schüler haben in den Jahren 539‒521 die Aussprüche dieses Anonymus gesammelt und durch Hymnen strukturiert (= Gola-Redaktion). Die Texte, die von dieser Gola-Redaktion stammen, fordern die Exulanten zum Auszug aus Babel auf (Jes 42,1‒4.10‒12; 44,23; 47,1‒11; 48,1‒19*20‒21). Nach 521 werden die 149 Vgl. BERGES 1998; STECK 1985; DERS. 1996; DERS. 1992. Dass die Kapitel 40‒55 eher als eine Fortschreibung von Jes 1‒39 denn als eigenständiges Werk zu verstehen sind, wie Williamson es postuliert, scheint allein vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich die Abhängigkeit der Geisttexte offensichtlich eher als eine Abhängigkeit des Protojesajabuches vom Deuterojesajabuch verstehen lässt, wenig wahrscheinlich. Vgl.WILLIAMSON 1994. 150 KRATZ 1991 (I); WERLITZ 1999; VAN OORSCHOT 1993; MERENDINO 1981.
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
147
Texte von einer Gruppe von Heimkehrern erneut überarbeitet, von der bei Berges so genannten „Ersten Jerusalemer Redaktion“. Die Texte dieser Redaktion zeigen eine Orientierung an Jerusalem bzw. Zion und finden sich in Jes 40,1‒5.9–11; *49,13.14‒26; 50,1‒3; 51,9‒11.17.19; 52,1‒2.7‒8.9‒10.11‒ 12. Diese erste Jerusalemer Redaktion stellt außerdem erstmals eine Verbindung zwischen Jes 1‒32 und 40‒52 her, indem sie unter anderem den Brückentext Jes 33 in den Textzusammenhang einfügt. In der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. kommt es durch eine zweite Jerusalemer Redaktion zur Einarbeitung weiterer Texte (Jes 40,3aα.6‒8.29‒31; 46,12‒13; 50,4‒9; 51,1‒2.12‒16; *54–55). Für die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. nimmt Berges verschiedene weitere Redaktionsschübe an, wie die Einschaltung von Jes 34 und 35 sowie die Einfügung der bereits früher separat entstandenen Kapitel *60‒62 und die Einarbeitung einer von ihm so genannten „Umkehr-Redaktion“ (*56,9‒59,21). Für das Ende des 5. bzw. den Beginn des 4. Jahrhunderts nimmt Berges eine in zwei Phasen erfolgte Redaktion der „Knechtsgemeinde“ an (Jes 56,1‒ 8; 63,1‒6; 63,7‒64,11; 65 und 66,1‒24). In dieser Zeit seien außerdem die Kapitel 36‒39 in den Gesamtzusammenhang eingefügt worden.151 Die These, dass hinter der Grundschicht des Deuterojesajabuches eine anonyme Prophetengestalt stehe, hat Berges in seinem 2008 erschienenen Kommentar zu Jes 40–48 zugunsten einer „Tempelsänger-Hypothese“ revidiert.152 Dass das Deuterojesajabuch auf einen einzelnen Propheten zurückgeführt werden könnte, war erstmals grundlegend von J. Werlitz infrage gestellt worden, der in dem Buch eher das Produkt einer Gruppe von Rückwanderern gesehen hatte.153 R. Kratz konzentriert sich in seiner Analyse154 vor allem auf die Kapitel 40–55. Er sieht eine deuterojesajanische Grundschicht in Jes 40,*12–17.*21– 31; 41,*1–5.*8–20.*21–29; 42,10–13.14–16; 43,1–4.9–13.14–15.16–21.*22– 28; 44,1–4.6–8.21–23.24–26a; 45,*1–7.20a.21/46,9–11; *47; 48,20–21. Anders als Berges rechnet Kratz die hymnischen Stücke (Jes 42,10–13; 43,20– 21), die Berges der Gola-Redaktion zuschreibt, der Grundschicht hinzu. Unterschieden sind beide Ansätze in der inhaltlichen Einordnung der Redaktionsschichten. Während bei Berges vor allem das Wachstum des Gesamtjesajabuches im Blick ist155 und die bei ihm erhobenen Redaktionsschichten 151
Für die Übersicht vgl. vor allem das Schaubild III in BERGES 1998, 549. Vgl. BERGES 2008, 38–43. 153 Vgl. WERLITZ 1999. 154 KRATZ 1991 (II). 155 Ähnlich am Gesamtjesajabuch interessiert ist auch der Kommentar Sweeneys, der im Wesentlichen mit vier Hauptstadien der Entstehung des Gesamtjesajabuches rechnet, mit Worten des historischen Propheten Jesaja aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. (1*; *2–4; 5–10; *14–23; *28–32), mit einem josianischen Jesajabuch aus dem 152
148
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
die unterschiedlichen Positionen ihrer Verfasser zum Exil und zu Zion zum Ausdruck bringen, sind Redaktionsschichten, die bei Kratz festgestellt werden, eher als Fortschreibungen inhaltlicher Themen, die bereits in der Grundschicht des Deuterojesajabuches eine Rolle spielten, zu verstehen. So ermittelt Kratz eine kleinere Gruppe von Zion-Fortschreibungen aus der späten Kyros- oder der Kambyses-Zeit (Jes 41,27; 44,*26b.27; 45,*14; 47; *49,14– 54,17; 55,1–2),156 eine Kyros-Ergänzungsschicht aus der Zeit Dareios’ I. (520–515 v. Chr.; Jes 41,1aβ.25aβ; 42,1–4.5–7; 44,28; 45,1.3.5.11a.12– 13bα.18.22–23; 48,12–15; 49,1–6; 50,4–9; 51,*4–5; 52,11–12; 52,13–53,12; 55,3–5),157 eine etwas spätere Götzen-Schicht (Jes 40,18–20; 41,6–7.24b.29b; 44,9–20; 45,15–17.20b; 46,5–7) sowie eine Ebed-Israel-Schicht aus der ersten Hälfte oder der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. (Jes 40,9–11; 42,8–9.17. 18–25; 43,5–7.8; 44,5; 45,8–10.11b.19.24–25; 46,1–4.8.12–13; 48,1–11.16. 17–19; 49,3.7–13; 54,11–17a; 55,6–13). Daneben rechnet er mit weiteren späteren Einzelzusätzen.158 Die vorliegende Arbeit kann und muss die Frage des Wachstums des Jesajabuches nicht im Einzelnen klären. Für die Analysen der Aussagen zu רוחist es wichtig, dass in den Kapiteln Jes *40–55159 mit einer Grundschicht des Deuterojesajabuches aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. gerechnet werden kann sowie mit Fortschreibungen, die sich ebenfalls noch in dieses Jahrhundert datieren lassen. Gleichzeitig müssen Verbindungslinien zwischen Protound Deuterojesajabuch, wie sie von Berges aufgezeigt worden sind, im Blick behalten werden, um mögliche Bezüge zwischen den Geisttexten beider Bücher nachvollziehen zu können.
Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. (5–12; *14–23; 27; 28–32; 36–37), einer Ausgabe eines Jesajabuches aus dem Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. (*2–32; 35–55; 60–62) und der Endfassung des Jesajabuches in Jes 1–66 aus der Mitte oder vom Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. Diese Einteilung ist zwar überaus eingängig, bereitet gleichzeitig aber auch das Problem, dass kleinteilige Fortschreibungen keine Berücksichtigung finden können. Zu hinterfragen wäre auch die Datierung, die bereits für das Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. ein abgeschlossenes Gesamtjesajabuch annimmt. Vgl. SWEENEY 1996. 156 Bei Berges gehören Teile dieser Schicht zur ersten und zweiten Jerusalemer Redaktion (I: Jes 49,14–54,17; II: 55,1–2). 157 Diese Texte gehören bei Berges teilweise zur Grundschicht. 158 Zu den Analysen vgl. KRATZ 1991 (II), 148–217. Eine Übersicht über die Schichten findet sich auf den Seiten 216–217. 159 Die Abgrenzung der Grundschicht in Kapitel 55 ist hier weit gefasst. Mitunter wird mit der Grundschicht des Deuterojesajabuches auch nur in den Kapiteln 40–48 (MERENDINO 1981) bzw. 40–46 gerechnet (VAN OORSCHOT 1993, 21).
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
149
3.2.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch. Ein Überblick Bevor die Aussagen zu Gottes רוחinnerhalb des Deuterojesajabuches im Einzelnen untersucht werden können, sollen sie nun noch in den inhaltlichen Aufbau des Buches eingeordnet werden. Das Deuterojesajabuch lässt sich im Sinne einer Grobgliederung in vier Abschnitte gliedern: in die Kapitel Jes 40–55, die früher als das Buch Deuterojesaja im Unterschied zum Buch Tritojesaja galten und die im Wesentlichen Heilsankündigungen enthalten, in die Kapitel Jes 56–59, in denen das in Jes 40–55 angekündigte Heil durch erneute Mahnungen abgelöst wird, in den Abschnitt Jes 60–62, in dem es um die Verherrlichung Zions geht, und in den letzten Teil in Jes 63–66, der das endzeitliche Heil für die Frommen zum Inhalt hat. Die Kapitel Jes 40–55 lassen sich wiederum in einen Teil in Jes 40–48, der Kyros zum Thema hat, und in einen Teil in Jes 49–55, in dem es besonders um Zion geht, untergliedern. Gleichzeitig fallen die Gottesknechtslieder als eigenständige Größe aus dem Bereich Jes 40–55 heraus (Jes 42,1–4; 49,1–6; 50,4–9; 52,12–53,12).160 Ebenso fällt auf, dass Jes 40,1–11 als Prolog und Jes 52,7–10 als Epilog eine Rahmung um die Kapitel Jes 40–52 bilden.161 Die Aussagen zu Gottes רוחinnerhalb des Deuterojesajabuches finden sich nun besonders in verschiedenen Texten des Bereiches Jes 40–48. Bereits in der auf den Prolog in Jes 40,1–11 folgenden Argumentation geht es um die „ מי־תכן את־רוח יהוה ואיש עצתו יודיענו( רוחwer bestimmt den Geist JHWHs, und welcher Mann seines Ratschlusses unterweist ihn?“ Jes 40,13). In den folgenden Belegen in Jes 42,1, 44,3 und 48,16 ist die רוחdann deutlich auf Personen bezogen und ein Gott und Mensch verbindendes Element. In Jes 42,1 geht es darum, dass JHWH seine רוחdem Knecht gegeben hat, in Jes 44,3 wird die Ausgießung der רוחauf die Kinder Israel angekündigt: Jes 44,3
כי אצק־מים על־צמא ונזלים על־יבשה :אצק רוחי על־זרעך וברכתי על־צאצאיך
Jes 44,3 Denn ich will Wasser auf das Durstige gießen und Ströme auf das Trockene, ich will meinen Geist auf deine Nachkommen gießen und meinen Segen auf deine Nachfahren.
In Jes 48,16 geht es um die Sendung eines mit Gottes Geist begabten Einzelnen („ ועתה אדני יהוה שלחני ורוחוund nun sendet mich der Herr JHWH und sein Geist“). 160
Zu einer allgemeinen Einführung in das Problem der Gottesknechtslieder vgl. CONAußerdem H. HAAG 1985. 161 Vgl. zur Gliederung und zum Aufbau Deuterojesajas auch K. SCHMID 2016, 325.339. ROY 2004.
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
In den Kapiteln Jes 49–59 finden sich keine Aussagen zu רוח. Erst ganz am Ende von Jes 59 in Vers 21 tritt Gottes Geist wieder in den Blick, wobei zu prüfen ist, ob dieser Vers nicht eher als Auftakt zu Jes 60ff zu lesen ist und weniger als Bestandteil des Textbereiches Jes 56–59. Dort heißt es in Jes 59,21: Jes 59,21
ואני זאת בריתי אותם אמר יהוה רוחי אשר עליך ודברי אשר־שמתי בפיך לא־ימושו מפיך ומפי זרעך ומפי זרע זרעך אמר יהוה מעתה :ועד־עולם
Jes 59,21 Und dies ist mein Bund mit ihnen, spricht JHWH: Mein Geist, der auf dir ist, und meine Worte, die ich in deinen Mund gelegt habe, sollen von deinem Mund nicht weichen und vom Mund deiner Kinder und deiner Kindeskinder, spricht JHWH, von nun an bis in Ewigkeit.
Davon, dass der Geist JHWHs auf der gesandten Person ist, ist dann noch einmal in Jes 61,1 die Rede („ רוח אדני יהוה עלי יען משח יהוה אתיder Geist des Herrn JHWH ist auf mir, weil JHWH mich gesalbt hat“). Schließlich finden sich drei weitere Aussagen zu רוחin Jes 63,10.11.14, in denen es um die Wirkung der רוחauf das Volk Israel in der Geschichte geht. In Jes 63,10.11 wird die רוחaußerdem als „ רוח קדשוGeist seiner Heiligkeit“ qualifiziert. In Jes 63,11 ist diese רוחseiner Heiligkeit deutlich personenbezogen, indem darauf angespielt wird, dass Mose/oder die Gemeinde162 über sie verfügte („ איה השם בקרבו את־רוח קדשוwo ist derjenige, der den Geist seiner Heiligkeit in seine Mitte setzte?“). Ganz allgemein lässt sich nach diesem Überblick über das Vorkommen von רוחim Deuterojesajabuch bereits Folgendes sagen: רוחist mehrheitlich auf Personen bezogen, wobei es sich bei diesen Personen sowohl um einzelne als auch um Gruppen handeln kann. Der Knecht aus Jes 42,1 verfügt über Gottes רוח, ebenso die hinter Jes 59,21 und 61,1 stehende Prophetengestalt, aber auch auf das Volk Israel kann Gottes רוחausgegossen werden (Jes 44,3, möglicherweise auch in Jes 63,11). Daneben kann sie aber auch als Gottes Wesen bestimmende Größe begegnen (Jes 40,11 und 63,10). Zieht man den Umstand in Betracht, dass die Geistaussagen in Jes 63,10.11.14 alle in den gleichen Nahkontext gehören, findet sich die Mehrheit der Geisttexte im ersten Teil des Deuterojesajabuches in Jes 40–55 und hier ausschließlich in den Kapiteln 40–48, die den Schwerpunkt auf die Figur des Kyros legen.
162
sein.
Auf wen sich das Suffix in בקרבוbezieht, wird an späterer Stelle noch zu klären
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
151
3.2.3 Jes 40 a) Literarkritische Analyse In Jes 40 liegt der Beginn des Deuterojesajabuches vor. Mit dem Aufruf „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott“ ()נחמו נחמו עמי יאמר אלהיכם wird die Heilsankündigung, die besonders die Kapitel 40–55 auszeichnet und die sich in keiner anderen prophetischen Schrift in dieser Intensität findet, eingeleitet.163 Das Kapitel lässt sich in zwei Abschnitte grob gliedern, in die Verse 1–11 und 12–31. Beide Teile sind sowohl in stilistischer Hinsicht als auch durch ihre inhaltliche Ausrichtung voneinander unterschieden. Jes 40,1– 11 ist durch eine Reihe von Imperativen geprägt (Vers 1: „ נחמוtröstet“, Vers 2: „ דברוredet“, Vers 3: „ ישרוebnet“, Vers 7: „ יבשוtrocknet“ u.a.), während der Stil in Jes 40,12–31 durch rhetorische Fragen gekennzeichnet ist, wie beispielsweise gleich in Vers 12 (מי־מדד בשעלו מים ושמים בזרת תכן „wer misst die Wasser mit seiner hohlen Hand, und wer misst den Himmel mit der Spanne?“). Und während der Adressat in Jes 40,1–11 Zion bzw. Jerusalem ist (Vers 2.9), sind die Adressaten in Jes 40,12–31 Israel bzw. Jakob (Vers 27). Umgekehrt begegnet die Größe Jakob/Israel in Jes 40,1–11 nicht, und in Jes 40,12–31 ist nicht von Zion die Rede. Diese unterschiedlichen Bezugnahmen lassen sich auch in den folgenden Kapiteln finden. So ist in Jes 40,12–48,22 von Zion nur am Rande die Rede.164 Erst in Jes 49,14 begegnet Zion erneut und prägt dann die Kapitel 49–55. Jakob/Israel wiederum steht im Zentrum der Kapitel 40,12–48,22, fehlt dann aber in Jes 49–55.165 Inhaltlich ist es weiterhin so, dass sich Jes 40,1–11 auf eine mögliche Rückkehr des Heils für Zion und damit auch auf eine mögliche Rückkehr aus dem Exil bezieht, während es in Jes 40,12–31 um die Unvergleichlichkeit Gottes gegenüber der Welt und gegenüber anderen Göttern und ihren Bildern geht. Auf synchroner Ebene lassen sich beide Teile dann so lesen, dass es in Jes 40,1–11 um die Annahme der tröstlichen Botschaft überhaupt geht und in Jes 40,12–31 um den Beweis, dass JHWH tatsächlich dazu in der Lage ist, die in Jes 40,1–11 angekündigten Ereignisse heraufzuführen.166 Auffällig ist, dass Jes 40,1–11 deutlich intratextuelle Bezüge zu Jes 1–35 aufweist, so auf Jes 35, Jes 6 und Jes 28,1–4, aber auch vorausweisend zu Jes 40–66. Gleichzeitig ist der Text auch mit anderen biblischen Büchern wie Gen 50, dem Buch Ruth und Jer 31 verbunden.167 Solche deutlichen Bezüge finden sich in Jes 40,12–31 nicht. Allerdings lassen sich, wie oben dargestellt, Verbindungen zu Jes 11 sehen 163
Vgl. CARR 1995, 52; BERGES 2008, 80. Jes 41,27; 44,26. 165 Vgl. auch BERGES 2008, 96; VAN OORSCHOT 1993, 11. 166 Vgl. BERGES 2008, 125. 167 Ebd., 83–89; KRATZ 1993, 412–413. 164
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
(Jes 40,13). U. Berges sieht außerdem Bezüge zur Völkerspruchsammlung in Jes 13–23,168 und in der Terminologie finden sich Bezüge zu Schöpfungsaussagen in den Psalmen und zu anderen Weisheitstexten.169 Umstritten ist nun, wie sich Jes 40,1–11 und 40,12–31 in literarkritischer Hinsicht zueinander und zu den folgenden Kapiteln verhalten. Die These, beide Teile seien als Einheit zu betrachten,170 kann aufgrund der oben beschriebenen Unterschiede nicht überzeugen. Oft wird Jes 40,12–31 als Beginn der ältesten Kernüberlieferung in Jes 40–48/40–52 angesehen.171 Doch befindet Berges in seinem Kommentar zu Recht, dass dies in Anbetracht der Tatsache, dass in Jes 40,12–31 weder Kyros noch die Vorstellung von Jakob/ Israel als Knecht eine Rolle spielen, merkwürdig wäre.172 Er geht davon aus, dass Jes 40,12–31 zur ersten Sammlung der Kapitel 40–52* gehört, dass die Texte, die in Jes 41–52 vorliegen, teilweise aber älter sind als Jes 40,12–31. Diese These scheint mir die Entstehung von Jes 40 und den Beginn der Komposition in Jes 40–55 am plausibelsten zu erklären.173 Dafür, dass Jes 40,12– 31 ein sekundär verfasster Prolog zu einer ersten deuterojesajanischen Sammlung in Jes 40–48 ist, spricht auch die Tatsache, dass verschiedene Themen in Jes 40,12–31 angesprochen werden, die dann in den folgenden Kapiteln immer wieder in einzelnen Versen aufscheinen. Dazu gehören der Hinweis auf das Unverständnis Jakobs/Israels (Jes 40,21.28), die Frage nach dem Ratschluss JHWHs (עצה, Jes 40,13; 41,28; 44,26; 46,11) sowie der Verweis auf die Nichtigkeit der Inseln, Fürsten und Völker (Jes 40,15–17; 41,1). Dennoch bleibt die Frage der inneren Einheit von Jes 40,12–31 zu klären. Die Verse weisen auch in sich und nicht nur in Abgrenzung zu Jes 40,1–11 einige Unstimmigkeiten auf. So findet sich zweimal eine ähnliche Frage: „ ואל־מי תדמיון אל ומה־דמות תערכו לוUnd mit wem wollt ihr denn Gott vergleichen? Und was für ein Abbild wollt ihr von ihm machen?“ (Vers 18) und „ ואל־מי תדמיוני ואשוה יאמר קדושUnd mit wem wollt ihr mich vergleichen, dem ich gleich sei, spricht der Heilige“ (Vers 25). Gleichzeitig wechselt die Anrede. Vers 18–21 und Vers 25–26 wenden sich deutlich mit der 2. Person Plural an ein Kollektiv, während in Vers 27–28 die Anrede in die 2. Person Singular wechselt („ הלוא ידעתhast du denn nicht erkannt“, Vers 28). Hinzu kommen thematische Wiederholungen, wie die Doppelung der Schöpfungsvorstellungen in Vers 22–23.26 sowie die doppelte Erwähnung des Unverständnisses in Vers 21 und 28. Außerdem unterbricht die Götzenthematik aus 168
BERGES 2008, 125. Hierauf wird noch einzugehen sein. 170 So DE MOOR 1993. 171 Vgl. BERGES 1998, 341; VAN OORSCHOT 1993, 24; ZAPFF 2003. 172 BERGES 2008, 128. 173 Der zeitlichen Einordnung Berges muss deshalb nicht zugestimmt werden. Die Frage der relativen Chronologie ist damit allerdings geklärt. Zur historischen Einordnung vgl. BERGES 2008, 129. 169
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
153
Vers 18–20 den Zusammenhang auch in stilistischer Hinsicht, da das Schema aus Fragen und Antworten, die mit Partizipien in der 3. Person Singular eingeführt werden, unterbrochen wird. Auch wenn man davon ausgeht, dass Jes 40,12–31 als Prolog einer ersten deuterojesajanischen Sammlung verschiedene Aspekte in sich vereint,174 lassen sich nicht alle hier beschriebenen Spannungen mit dieser These erklären. Es ist wohl eher davon auszugehen, dass der Abschnitt sekundäre Ergänzungen erfahren hat. Zum ursprünglichen Textbestand werden die Fragen in Vers 12–14 und die Antworten darauf in Vers 21–24.27–31 gehört haben. Die Antworten beziehen sich jeweils auf die beiden Aspekte, die in Vers 12–14 aufgeworfen werden, nämlich auf JHWH als Schöpfer und auf JHWH als Gott von unerschöpflichem Verstand. Die beiden Fragen zum Unverständnis in Vers 21 und 27 verengen die Perspektive aus dem Allgemeinen hin auf Jakob/Israel. Dieser Perspektivwechsel ist aber offensichtlich von vornherein gewollt. In diesen Zusammenhang sind dann vor allem sekundär die beiden Fragen in Vers 18 und 25 mit ihren jeweiligen Antworten in Vers 18–20 und 26 eingetragen worden, die JHWH nicht mehr allgemein als unvergleichlichen Gott beschreiben, sondern die seine Unvergleichlichkeit in der Auseinandersetzung mit anderen Göttern betonen. Hier geht es zum einen in Vers 18–20 um die Auseinandersetzung mit Götterbildern, zum anderen in Vers 26 um die Unterordnung der Gestirne unter JHWH als ihren Schöpfer. Sollte man nun den Versuch einer relativen zeitlichen Einordnung von Jes 40,12–31 unternehmen wollen, so ist festzuhalten, dass dieser Abschnitt deutlich der Prolog einer in Jes 40–48 vorliegenden Sammlung ist und die Perspektive, die die Kapitel 50–55 einnehmen, noch nicht im Blick hat. b) Schöpfung, Weisheit und die רוח יהוהin Jes 40 Um nun die Frage nach der Bedeutung von Gottes רוחin Jes 40,12–31 klären zu können, sei zunächst auf den Inhalt des Textes überhaupt eingegangen. In Jes 40,12–31 geht es um den Nachweis, dass JHWH in der Lage ist, das Heil für Jakob/Israel heraufzuführen. Das Heraufführen des Heils für Israel wird in Jes 40,29–31 mit dem Bild der Kraftspende für die Müden und mit dem Bild von den auffahrenden Adlern bzw. Geiern175 beschrieben. Dieser Nachweis wird in einer Weise geführt, die von J. Begrich der Gattung des „Disputationswortes“ zugeschrieben wurde.176 Diese Gattungszuschreibung bereitet, 174 Zum Charakter von Jes 40,12–31 als Prolog einer deuterojesajanischen Grundschrift oder einer ersten deuterojesajanischen Sammlung vgl. ZAPFF 2003. 175 In Anbetracht der Ikonographie des Antiken Vorderen Orients, in der der Geier als Symbol für Werden und Vergehen und als Inbegriff der Hoffnung auf das Wiedererwachen der Kräfte des Siegelbesitzers dargestellt wurde, scheint es tatsächlich angeraten, נשרhier mit Geier zu übersetzen. Vgl. SCHROER 1995, 68. 176 Vgl. BEGRICH 1969.
154
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
wie fast alle Gattungszuschreibungen, ihre Probleme. Ob man ihr jedoch zustimmt oder nicht,177 wird man feststellen müssen, dass in Jes 40,12–31 eine Argumentation stattfindet, die JHWH schließlich als den behauptet, dem man zutraut, das in Jes 40,29–31 und dann in den folgenden Kapiteln des Jesajabuches (Jes 40–48) verkündete Heil herbeizuführen.178 Auf der ursprünglichen Textebene werden JHWH bereits durch die in Jes 40,12–14 aufgeworfenen rhetorischen Fragen und die mit diesen Fragen verbundenen Antworten als der Schöpfer von Himmel und Erde beschrieben (Jes 40,12 und 40,22) und gleichzeitig die unergründliche Dimension seines unermesslichen Verstandes (תבונה, Jes 40,14.28) festgestellt. Bereits diese Argumentation stellt JHWH in jeder Hinsicht als unvergleichlich und erhaben heraus. Diese Unvergleichlichkeit JHWHs wird durch die Fortschreibungen noch weiter illustriert: Die Völker sind vor ihm wie nichts (כאין, Jes 40,17), ebenso wie alle Herrschenden („ הנותן רוזנים לאין שפטי ארץ כתהו עשהer setzt die Fürsten ins Nichts, die Richter auf Erden macht er zunichte“, Jes 40,23). Aber nicht nur irdischen Würdenträgern gegenüber, sondern auch neben anderen Göttern erscheint er als der einzige Gott. In Jes 40,18–21 werden Götter, die in Götzenbildern ( )פסלverehrt werden, der Lächerlichkeit preisgegeben, und in Jes 40,26 wird JHWH als derjenige dargestellt, der die Gestirne geschaffen hat und über sie gebietet, so dass er also auch als mächtiger denn alle Astralgottheiten erscheint: Jes 40,26
שאו־מרום עיניכם וראו מי־ברא אלה המוציא במספר צבאם לכלם בשם יקרא מרב אונים ואמיץ כח איש לא נעדר
Jes 40,26 Hebt die Augen in die Höhe und seht, wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen, seine Macht und seine starke Kraft sind so groß, dass nichts ein von ihnen fehlt.
Bereits auf der Ebene der Grundschicht wird die Unvergleichlichkeit JHWHs dadurch illustriert, dass JHWH in umfassender Weise als Schöpfer dargestellt wird. Er wird hier, und nur hier, auch explizit als Schöpfer mit dem Partizip Maskulinum Singular im Qal von בראbezeichnet. Andere Schöpfungsaussagen bzw. Schöpfungsbilder, die in Jes 40,12–31 verwendet werden, finden sich auch in anderen Texten des Alten Testaments. So findet sich die Vorstellung, dass JHWH etwas bemisst ( )מדדwie in Jes 40,12, auch in Hi 28,25. Der Horizontkreis ()חוג הארץ, über dem JHWH in Jes 40,22 thront, findet sich ebenfalls in Hi 22,14 und in Prov 8,27, die Vorstellung, dass JHWH den 177
Zur Problematik der Zuweisung von Jes 40,12–31 zur Gattung des Disputationswortes vgl. HERMISSON 1971; GRAFFY 1984; LAUBER 2008. 178 Van Oorschot hat daher vorgeschlagen, „den Begriff ‚Disputationswort‘ als einen Sammelbegriff für die verschiedenen Redeformen der Auseinandersetzung und nicht als eine präzise Gattungsbezeichnung zu verwenden“. VAN OORSCHOT 1993, 24.
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
155
Himmel ausspannt ( )נטה שמיםaus Jes 40,22, kennt auch Ps 104,2, und die Verbindung von Himmel und Zelt ( )אהלfindet sich ähnlich auch in Ps 19,5 („ לשמש שם־אהל בהםder Sonne hat er an ihnen [sc. den Himmeln] ein Zelt gesetzt“). Zum anderen wird die Unvergleichlichkeit JHWHs mit weisheitlichen Attributen illustriert, die teilweise eng mit den Schöpfungsaussagen verbunden werden. Dies geschieht vor allem in den ersten Versen des Textes in Jes 40,12–31, nämlich in Vers 12–14. Auf die Fragen in Jes 40,12, wer die Wasser mit der hohlen Hand misst und die Weite des Himmels bestimmt ()מי־מדד בשעלו מים ושמים בזרת תכן, die auf die Schöpfungstätigkeit JHWHs und seine Macht über seine Schöpfung Bezug nehmen, folgen in Jes 40,13.14 sogleich Eigenschaften und Fähigkeiten JHWHs, die weisheitlichem Denken und Reden entstammen („ עצהRatschluss“ in Jes 40,13; „ ביןverstehen/einsehen“, „ דעתErkenntnis“ und „ תבונהVerstehen“ in Jes 40,14).179 In diesem Cluster aus weisheitlichen Begriffen findet sich auch der Begriff רוח. Im Hinblick auf die Bedeutung von רוחin Jes 40,13 kann schon jetzt Folgendes festgehalten werden: Die Frage „ מי־תכן את־רוח יהוה ואיש עצתו יודיענוwer bestimmt den Geist JHWHs, und wer ist ein Mann seines Ratschlusses, dass er ihn unterweise?“ in Jes 40,13 findet sich in einem Textstück, das als einleitende Komposition einer ersten deuterojesajanischen Sammlung in Jes *40–52 vorangestellt wurde.180 Gleichzeitig ist es Teil eines Textes, in dem sich eine Profilierung der Vorstellungen von JHWH vollzieht: Im Vergleich zu älteren Psalmen, in denen JHWH vornehmlich als Gott gezeichnet wird, der die bereits bestehende Schöpfung im Sinne einer creatio continua beherrscht (z.B. in Ps 93, Ps 48 und Ps 29),181 wird JHWH hier als uranfänglicher Schöpfer im Sinne einer prima creatio dargestellt. Das Deuterojesajabuch verwendet dazu vermutlich erstmals das Schöpfungsverb בראund bezeichnet JHWH auch selbst als den Schöpfer ( בראim Partizip 1. Person Singular im Qal).182 In diesem Kontext, in dem die Unvergleichlichkeit und Einzigkeit JHWHs entfaltet und der Glaube an JHWH profiliert wird, findet sich die Aussage über die רוחin einer Reihe von rhetorischen Fragen, die gleich zu Beginn des Textes in Jes 40,12–31 stehen. Diese rhetorischen Fragen loten den Bereich aus, in dem JHWHs Unvergleichlichkeit unter Beweis gestellt wird. Jes 40,12 zielt auf JHWHs Stellung als Schöpfer der Welt und des Kosmos ab:
179
Zum weisheitlichen Gebrauch dieser Termini vgl. SCHOTTROFF 1971, bes. 699–701; H. H. SCHMID 1971; STÄHLI 1971 (I). 180 Vgl. BERGES 2008, 128–129. 181 Zu Ps 93 und 29 vgl. SPIECKERMANN 1989 (I), 165–196. 182 Vgl. KRATZ/SPIECKERMANN 1999, 267–268.
156
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
Jes 40,12
מי־מדד בשעלו מים ושמים בזרת תכן וכל בשלש ערר הארץ ושקך בפלס הרים וגהעת :במאזנים
Jes 40,12 Wer misst die Wasser mit der hohlen Hand, und wer bestimmt die Weite des Himmels mit der Spanne und fasst den Staub der Erde mit einem Maß und wiegt mit einer Waage die Berge und die Höhen mit Waagschalen?
Jes 40,14 nimmt die Unvergleichlichkeit JHWHs mit weisheitlichen Termini in den Blick und beschreibt, dass seine Ratschlüsse und seine Einsicht und sein Verstand ihresgleichen suchen: Jes 40,14
את־מי נועץ ויבינהו וילמדהו בארח משפט :וילמדהו דעת ודרך תבונות יודיענו
Jes 40,14 Wen fragt er um Rat, dass er ihn unterweise und ihn lehrt den Weg des Rechtes und ihn lehrt Einsicht und ihn lehre den Weg des Verstandes?
In diesen Fragen ist die Unvergleichlichkeit JHWHs im Grunde schon umrissen. Alle weiteren Verse dienen letztlich nur noch dazu, die Themen, die mit diesen Fragen angerissen worden sind, zu illustrieren. In diesen Zusammenhang, in dem die Unvergleichlichkeit JHWHs abgesteckt wird, gehört nun mitten zwischen die Fragen nach der Schöpfungsmacht JHWHs in Jes 40,12 und die Fragen nach seiner Einsicht in Jes 40,14 auch die Frage nach seiner רוחin Jes 40,13: Jes 40,13
:מי־תכן את־רוח יהוה ואיש עצתו יודיענו
Jes 40,13 Wer bemisst den Geist JHWHs, und wer ist ein Mann seines Ratschlusses, dass er ihn unterweise?
Dieser Vers steht nicht nur zwischen den schöpfungsbezogenen Fragen in Jes 40,12 und den weisheitsbezogenen Fragen in Jes 40,14, sondern er verbindet sie auch, indem die רוחbemessen werden soll ( )תכןwie auch in Jes 40,12 der Himmel mit der Spanne und indem er in einem Vers parallel zu dem Ratschluss JHWHs ( )עצהsteht, der der weisheitlichen Terminologie zuzurechnen ist,183 die in Jes 40,14 dann weiter folgt. Damit ist zunächst einmal zum Ausdruck gebracht, dass die רוחJHWHs zu beiden Themenbereichen, die JHWHs Unvergleichlichkeit umschreiben, gehört. Während in Jes 40,12 deutlich wird, dass JHWH der Einzige ist, der in der Lage ist, die Wasser und die Himmel abzumessen, erscheint in Jes 40,13 die רוחJHWHs als eine Größe, die niemand abmessen kann. Indem dasselbe Verb ( )תכןverwendet wird wie 183
Vgl. STÄHLI 1971.
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
157
für die Himmel, wird die Vorstellung evoziert, dass der Geist eben auch die Dimensionen und Ausmaße annehmen kann wie diese. So wie sich der Himmel über alles wölbt und endlos weit scheint, so ist auch JHWHs רוחvon unendlicher, nicht messbarer Weite. Hier ist die Grundlage gelegt für die Entwicklung der Vorstellung von der רוחzu einer Größe, die die Welt und den Kosmos durchwaltet, wie sie sich beispielsweise in der Sapientia Salomonis findet (Sap 1,7). Dass die רוחhier mehr ist als eine mit dem Himmel in Verbindung zu bringende Größe am Firmament, bringt Jes 40,14 zum Ausdruck. Durch die Verbindung zur weisheitlichen Terminologie, zu Ratschluss ( )עצהund darüber hinaus auch zu Einsicht ( )ביןund zur Erkenntnis ()דעת werden die dem Menschen zugewandte Seite von Gottes רוחbetont und der Gedanke hervorgehoben, dass da, wo Gottes רוחbei den Menschen ist, eben auch Ideale wie Erkenntnis ()דעת, aber auch Recht ( )משפטverwirklicht werden können. In den drei Versen in Jes 40,12–14 findet sich damit nicht nur eine Darstellung der Unvergleichlichkeit JHWHs, sondern auch eine komprimierte Darstellung der Vorstellung von der רוחund ihrer Wirksamkeit und Bedeutung für die Welt und den Menschen. Gleichzeitig werden durch Jes 40,13 zwei Zusammenhänge aufgegriffen, die für die folgenden Kapitel und für das Handeln JHWHs in diesen Kapiteln von besonderer Bedeutung sein werden. So ist die רוחin Jes 44,1–5 Zeichen des angekündigten Heils. Gleichzeitig geht es in Jes 40–48 immer wieder um die Frage, wie Gottes Ratschluss ( )עצהdurchgesetzt werden kann (Jes 41,28; 44,26; 46,11). In Jes 41,28 wird beklagt, dass es keinen Ratgeber gibt ( אין )יועץ. In Jes 44,26 ist JHWH selbst derjenige, der den Ratschluss seiner Boten vollführt, und in Jes 46,11 wird schließlich Kyros zu demjenigen, der Gottes Ratschluss ausführen wird. Jes 46,11 zeigt eine starke Verbindung zu Jes 40,13, da auch hier אישund עצהmiteinander verbunden sind.184 Jes 40,13 weist also schon auf Jes 46,11 und auf Kyros hin, wobei die Abhängigkeit nicht so zu verstehen ist, dass Kyros derjenige ist, der die Antwort auf die in Jes 40,13 aufgeworfene Frage bietet und JHWH lehren könnte. Diese Darstellung von Gottes Geist nicht nur als eine dem Menschen zugewandte und Gott und Mensch verbindende Größe, verbunden mit dem Gedanken, dass die רוחeine mit der Weite des Himmels zu vergleichende Ausdehnung annehmen kann, findet sich im hebräischen Alten Testament sonst kaum. Über die Vorstellung von Gottes רוחals einer Gabe an den Menschen gehen nur wenige Texte hinaus. Neben Jes 40,13 sind dies noch Ps 139,7, 143,10, Gen 1,2 und möglicherweise noch Sach 6,8. Jes 40,13 ist mit einiger Wahrscheinlichkeit der älteste dieser Texte.
184
In Jes 46,11 muss mit dem Qere עצתיgelesen werden.
158
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
c) Exkurs: Gottes Geist in Psalm 139 Da Jes 40,13 Ähnlichkeiten mit Ps 139 aufweist, soll dieser Psalm im Folgenden kurz untersucht werden. Ps 139 lässt sich am ehesten in vier Strophen zu jeweils sechs Versen gliedern (Ps 139,1–6.7–12.13–18.19–24), wobei die Abgrenzungen nicht immer eindeutig sind, da die Strophen auch aufeinander Bezug nehmen und miteinander verschränkt sind. So bietet Vers 1–5 beispielsweise eine Reihe von Sätzen, in denen der Beter sich in der 2. Person Singular an JHWH wendet, während in Vers 7–12 Aussagen in der 1. Person Singular über den Beter selbst im Vordergrund stehen. Vers 6 ist nun einerseits der Abschluss des ersten Blocks in Vers 1–5, indem er auf die vorausgegangenen Aussagen Bezug nimmt, gleichzeitig eröffnet er aber die Reihe von Ich-Aussagen, die dann in Vers 7–12 vorliegen. Ähnliches gilt für die Verse 17.18. Einerseits schließen sie unmittelbar an Vers 13–16 an und positionieren den Beter im Gegenüber zu JHWH, der den Beter schon von Beginn an geschaffen und bereitet hat, gleichzeitig leiten sie zu der Ratlosigkeit des Beters über, die dann die letzte Strophe des Psalms in Vers 19–24 prägt und die offensichtlich zum Ausdruck bringt, dass der Beter sich der Richtigkeit seiner Gedanken im Gegenüber zu JHWH nicht sicher ist. Insofern ist Ps 139 als eine Einheit zu begreifen,185 die in ihrer Gesamtheit das Verhältnis zwischen Beter und Gott ausloten soll.186 Auf diese Verhältnisbestimmung hin sind alle Teile des Psalms ausgerichtet und laufen auf die Bitte des Beters zu, dass Gott die Richtigkeit seiner Position im Gegenüber zu ihm prüfen möge.187 Aufgrund sprachlicher Besonderheiten wird der Psalm in der neueren Exegese für relativ jung gehalten.188 Der Begriff רוחbegegnet in Ps 139 in der zweiten Strophe in Vers 7. Im Anschluss an die in der ersten Strophe beschriebene Allwissenheit JHWHs, die als etwas Positives verstanden wird (Vers 5), wird mit Vers 7 eine Reihe von Überlegungen eröffnet, die die Möglichkeit erörtern soll, sich dem Wissen und der Anwesenheit JHWHs zu entziehen. Es ist allerdings unzutreffend, im Zusammenhang der Aussagen aus Vers 7–12 von „Erwägungen zu nicht realisierbaren Fluchtbewegungen“ zu sprechen.189 Vielmehr geht es hier darum, dass der Beter sich dessen gewiss ist, dass JHWH im Leben des Beters immer anwesend ist, wie sehr der Beter auch im Begriff ist, auf Abwege zu 185
Vgl. auch SEYBOLD 1996, 515. Vgl. HOSSFELD/ZENGER 2012, 839. 187 Es handelt sich dabei um eine innere Angelegenheit zwischen Beter und Gott. Für die Annahme Seybolds, dass der Hintergrund des Psalms insgesamt eine Gerichtsverhandlung ist, in der JHWH als Zeuge angerufen wird, gibt es keinen Anhalt. Vgl. SEYBOLD 1996, 515. 188 Vgl. BUYSCH 2009. 189 So HOSSFELD 2012, 839. 186
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
159
geraten. Dass die Tatsache, dass der Beter sich immer im Einflussbereich JHWHs befindet, als etwas Positives verstanden wird, bringt Vers 11.12 zum Ausdruck. Vers 7 eröffnet nun die Reihe von Beispielen, die illustrieren sollen, auf welche Weise sich der Beter von JHWH entfernen könnte, mit der Frage אנה „ אלך מרוחך ואנה מפניך אברחWohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?“. Mit der Metapher vom Angesicht Gottes ( )פניםsind im Alten Testament verschiedene Vorstellungen verbunden. Es kann mitunter den Menschen im Zorn zugewandt sein (Ps 80,17), oder die Metapher vom Angesicht Gottes illustriert die Tatsache, dass Gott alles sieht (Gen 4,14). Häufig steht sie aber auch für die lebenspendende Zuwendung JHWHs wie beispielsweise in Num 6,26, so dass das Verbergen von Gottes Angesicht im Umkehrschluss eine Bedrohung für den Menschen darstellen kann (Ps 102,3).190 Ps 139,7 steht vor dem Hintergrund des breit bezeugten Redens vom Angesicht JHWHs und impliziert sicherlich einerseits die Vorstellung, dass man sich dem Blick und der Tatsache, dass Gott den Menschen sieht, ohnehin nicht entziehen kann, verweist andererseits aber auch auf die Gewissheit, dass der Beter aus der lebenspendenden Zuwendung JHWHs auch „am äußersten Meer“ (Vers 9) nicht herausgenommen ist. Ähnlich offen ist in Ps 139,7 auch die Verwendung des Begriffes רוח. Die vorausgegangenen Äußerungen der ersten Strophe in Vers 1–6, die alle auf Gottes Kenntnisse und auf Gottes Einsicht Bezug nahmen (ידע, בין, )דעת, lassen die רוחzunächst als eine kognitive Größe erscheinen, die der Ort des Wissens und der Erkenntnisse ist. Allerdings darf der Begriff רוחhier auch nicht auf eine Kategorie reduziert werden, mit der Gottes Verstand beschrieben wird; denn gleichzeitig muss dem Vers 7 ein großer Teil der Texte des Alten Testaments bekannt sein, in der die רוחGott und Mensch zueinander in Beziehung setzt. Die רוחsteht in Ps 139,7 ebenso für diesen Zusammenhang, so dass einerseits die Vorstellung aufgegriffen wird, dass JHWH den Menschen und seine Gedanken kennt, wo immer er sich auch aufhält, dass JHWH aber auch an allen Orten der Erde durch seine רוחeine Beziehung zwischen sich und den Menschen herstellen kann. Dass dies durch die רוחmöglich ist, wird auch vor dem Hintergrund von Jes 40,13 deutlich, wo die רוחebenfalls zwischen den Weiten des Himmels und weisheitlichem Verstehen verortet wird. Der Gedanke, dass Gott durch den Geist Kenntnis von allem hat, was sich im Erdkreis ereignet, findet sich ebenfalls in Sap 1,7.8:
190
Vgl. VAN DER WOUDE 1976, 449–454.
160
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
Sap 1,7.8 ὅτι πνεῦµα κυρίου πεπλήρωκεν τὴν οἰκουµένην, / καὶ τὸ συνέχον τὰ πάντα γνῶσιν ἔχει φωνῆς. / διὰ τοῦτο φθεγγόµενος ἄδικα οὐδεὶς µὴ λάθῃ, / οὐδὲ µὴ παροδεύσῃ αὐτὸν ἐλέγχουσα ἡ δίκη.
Sap 1,7.8 7 Denn der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis, und der alle Dinge umfasst, hat Erkenntnis von jedem Wort. 8 Deswegen kann keiner verborgen bleiben, der Unrechtes redet, und die strafende Gerechtigkeit wird ihn nicht verfehlen.
Die Parallele zu Ps 139,7 ist hier mehr als deutlich. d) Unvergleichlichkeitsaussagen in Jes 40,12–31 und in der Umwelt Israels Im Kontext von Jes 40,12–31 zeigt sich eine Profilierung der Vorstellung von JHWH als Schöpfer191 und eine Zuspitzung des Monotheismus.192 Möglicherweise hat auch die רוחeinen Platz in den Unvergleichlichkeitsaussagen von Jes 40,12–31 gefunden, weil sie JHWH von den Göttern der Umwelt deutlich abhebt. In Stil und Inhalt her folgt Jes 40,12–31 in der Betonung der Unvergleichlichkeit JHWHs Unvergleichlichkeitsaussagen aus der altorientalischen Umwelt. Diese finden sich für verschiedene Gottheiten und für verschiedene Zeiten, so auch bereits in einem sumerischen Hymnus der Göttin Inanna: Mein Vater hat mir den Himmel gegeben, hat mir die Erde gegeben, ich – die Himmelsherrin bin ich. Misst sich einer, ein Gott, mit mir? Mullil hat mir den Himmel gegeben, hat mir die Erde gegeben, ich – die Himmelsherrin bin ich. Die Herrenschaft hat er mir gegeben, die Herrinnenschaft hat er mir gegeben.193
Unvergleichlichkeitsaussagen finden sich auch über den von Nabonid favorisierten Mondgott Sin: Dein Wort bewirkt Recht und Gerechtigkeit, lässt die Menschen die Wahrheit reden. Dein Wort ist himmelsfern und erdentief, so dass niemand es durchschauen kann. Dein Wort – wer vermag es zu erkennen, wer kann sich mit ihm messen! O Herr, Dein Herrentum im Himmel, Deine Heldenkraft auf Erden hat unter Deinen Götterbrüdern keinen Widerpart, Gewaltiger, erhabener König, dessen „Göttliche Kräfte“ Dir niemand Abzuverlangen wagt – mit Deiner Göttlichkeit vergleicht sich keiner der Götter.194
191
Vgl. KRATZ/SPIECKERMANN 1999, 267. FELDMEIER/SPIECKERMANN 2011, 262. Zur Entstehung des Monotheismus vgl. ALBANI 2003; KRATZ 1991 (II), 167. 193 TUAT II, 646. Zur Interpretation dieses Hymnus auch in Bezug auf Jes 40 vgl. RUPPERT 1991. 194 BEYERLIN 1985, 130. 192
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
161
Auch im Enuma Elisch wird Marduks Unvergleichlichkeit unter den Göttern herausgestellt: Es versammelten sich die großen Götter, sie machten das Schicksal Marduks erhaben und verbeugten sich … Sie gewährten ihm das Recht auf Königsherrschaft über die Götter und bestätigten ihn als Herrn der Götter von Himmel und Unterwelt … Wenn er spricht, sollen die Götter auf ihn achten, sein Befehl sei oben und unten überragend. Der Sohn, unser Rächer, sei hoch erhaben, seine Herrschaft sei hoch erhaben, seinesgleichen habe er nicht. (Enuma Elisch VI, 95–100.103–106).195
Im Enuma Elisch kommt auch die Verehrung Marduks als Sohnes des Gottes Ea zum Ausdruck, der in den Plan seines Vaters eingeweiht worden ist: Einen mächtigen Sohn, den Rächer seines Vaters, der zum Kampf eilte, den Helden Marduk, den rief Ea in sein privates Gemach, um ihm seinen Plan zu erklären. Marduk, gib Acht, höre auf deinen Vater! Du bist mein Sohn, der mir Freude schafft. (Enuma Elisch II, 127–132).196
In all diesen Texten wird die Unvergleichlichkeit der altorientalischen Götter mit Aspekten illustriert, die auch in Jes 40,12–31 zum Tragen kommen. Inanna ist die Herrscherin von Erde und Himmel, so wie auch der Schöpfergott in Jes 40,12–31 Herrscher über Himmel und Erde ist (Jes 40,12.26).197 Der Mondgott Sin ist ebenfalls Herrscher über Himmel und Erde, gleichzeitig wird besonders sein Wort hervorgehoben, das wie JHWH in Jes 40,14 für das Aufrichten von Recht (und Gerechtigkeit) steht. Marduk ist, wie JHWH in Jes 40,16, Gebieter über die Gestirne, die auch seine Geschöpfe sind (Enuma Elisch V, 1),198 und es besteht durch die Verbindung von Marduk zu Ea und seinem Plan eine Verbindung zu weisheitlichen Vorstellungen, wie sie in Jes 40,14 zum Ausdruck kommen. Im Zusammenhang mit der Weisheit steht sowohl bei Marduk als auch bei JHWH die Vorstellung, dass sie jeweils den Verlauf der Geschichte bestimmen.199 Die altorientalischen Götter haben also auch Schöpfungsmacht, und sie verfügen auch über Weisheit, und beides wird in Unvergleichlichkeitsaussagen verwendet, so wie beide Themenbereiche auch Jes 40,12–31 entscheidend
195
Vgl. TUAT III, 594. Vgl. TUAT III,4, 578. 197 Vgl. RUPPERT 1991. 198 Vgl. TUAT III, 587. Vgl. außerdem ALBANI 2000, 124–253. 199 Vgl. dazu ebd., 170–201. 196
162
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
prägen.200 Hinzu kommt, dass Jes 40,12–31 auch im Stil altorientalischen Unvergleichlichkeitstexten ähnelt.201 Dies wird besonders in dem oben zitierten Handerhebungsgebet an den Mondgott Sin sowie in dem sumerischen Hymnus an Inanna deutlich sowie in einem weiteren Inanna-Lied (SAHG 229). In all diesen Texten geht es darum, dass sich niemand mit diesen Göttern messen kann, so wie es auch in Jes 40,12–14 darum geht, dass niemand in der Lage ist, den Geist JHWHs zu bemessen. Bei all diesen Ähnlichkeiten im Stil und auch in der Beschreibung der Fähigkeiten der Gottheiten fällt die Vorstellung der רוח, die zum einen unermesslich und zum anderen mit den Menschen verbunden ist, als die unterscheidende Größe heraus. Zwar gibt es auch im Alten Orient die Vorstellung, dass die Gottheiten ihren Aufenthaltsort wechseln können. So wird Marduk in der Marduk-Prophetie (Hecker, TUAT II,1) als ein Gott beschrieben, der aus freien Stücken die Welt durchstreift. Allerdings ist er im Falle dieses Umherziehens an seine Statue gebunden, da der Text im Zusammenhang mit der Wegführung der Marduk-Statue aus Babylon zu verstehen ist.202 3.2.4 Jes 44,3 Unter den Geisttexten aus Jes 40–48 in Jes 40,13, 42,1, 44,3 und 48,16 ist Jes 44,3 der Text, der zur Grundschicht dieser Kapitel gehört.203 Die Aussage zu רוחin Jes 42,1 gehört in einen später hinzugefügten Text, der die Gottesknechtsthematik im Deuterojesajabuch exemplarisch einleitet, Jes 48,16 greift diese Einführung aus Jes 42,1–6 auf und stellt auf diese Weise eine Verbindung zwischen Kapitel 40–48 und 49–55 her.204 a) Jes 44 im Kontext des Deuterojesajabuches Jes 44,3 ist Teil eines der von Begrich so genannten Heilsorakel des Deuterojesajabuches, das in Jes 44,1–5 vorliegt.205 Vor allem ist es aber auch Teil der in Jes 40–48 getroffenen Aussagen über den Knecht Jakob/Israel. In diesen Zusammenhang gehören Jes 41,8–14.15–20, 43,1–7.8–13 und 44,1–5.21–23. Jes 43,1–7 steht auch dadurch mit Jes 44,1–5 in einem Zusammenhang, dass hier wie dort ein Heilsorakel vorliegt. Auch in dem Textzusammenhang in Jes 200 Vgl. auch ebd., 173: „Weissagungsbeweis und Schöpfungsaussagen bilden sozusagen die beiden Brennpunkte der dtjes ‚Monotheismus-Ellipse‘.“ 201 Vgl. dazu auch die Darstellung bei RUPPERT 1991. 202 Zur Auslegung der Prophetie vgl. HÖFFKEN 2005. Höffken beschäftigt sich in diesem Aufsatz auch mit anderen altorientalischen Texten, die sich mit dem Umherziehen der Götter befassen, so z.B. mit der Babylon-Stele III.11ff für Ištar von Uruk oder mit der Adad-guppi-Stele I.7–9, in der es um den Rückzug Sins in den Himmel geht. 203 Vgl. auch KRATZ 1991 (II); BERGES 1998. 204 Beide Texte werden im Folgenden noch ausführlich behandelt. 205 Vgl. BEGRICH 1964.
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
163
41,8–13 findet sich ein Heilsorakel in Vers 10. Alle genannten Texte haben also miteinander gemein, dass sie Heil für Jakob/Israel verkünden, dass sie in einem Zusammenhang mit Heilsorakeln stehen und dass sie in weiten Teilen zur Grundschicht der Kapitel 40–48 zu rechnen sind.206 Im Falle von Jes 43,1ff liegt in Vers 5–7 vermutlich eine Erweiterung des ursprünglichen Heilsorakels in Jes 40 vor, durch die das in Jes 43,1–4 angekündigte Heil eine universalere Ausrichtung bekommt, indem eine Sammlung aller Kinder Israel aus allen vier Himmelsrichtungen verheißen wird (Jes 43,5): Jes 43,5–6
אל־תירא כי אתך־אני ממזרח אביא זרעך :וממערב אקבצך אמר לצפון תני ולתימן אל־תכלאי :הביאי בני מרחוק ובנותי מקצה הארץ
Jes 43,5–6 5 Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, 6 ich will sagen zum Norden: Gib her! und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde.
Der thematische Neueinsatz wird auch durch die Wiederholung der Formulierung „ אל־תיראfürchte dich nicht“ markiert („ אל־תירא כי אתך־אניfürchte dich nicht, denn ich bin bei dir“ in Jes 43,5a und „ אל־תירא כי גאלתיךfürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst“ in Jes 43,1b).207 Die drei oben beschriebenen Textzusammenhänge zeigen nun nicht nur stilistische und inhaltliche Ähnlichkeiten, sondern sie führen einander argumentativ fort. Von Jes 41,8–13 zu 43,1–5 und 44,1–5 findet jeweils ein Fortschritt in der Aussageabsicht statt. Jes 41,8–13 stellt zunächst einmal grundsätzlich fest, dass JHWH seinen Knecht Jakob/Israel erwählt ( )בחרhat (Jes 41,8): Jes 41,8
ואתה ישראל עבדי יעקב אשר בחרתיך זרע אברהם אהבי
Jes 41,8 Du aber, Israel, mein Knecht Jakob, den ich erwählt habe, Nachkomme Abrahams, meines Geliebten.
206 Vgl. KRATZ 1991 (II), 14; Berges 1998, 548; VAN OORSCHOT 1993, 23; WERLITZ 1999, 242ff. Anders Merendino, der von fünf verschiedenen Sammlungen von deuterojesajanischen Worten ausgeht. Das Heilsorakel in Jes 44,1–4 rechnet er zur vierten Sammlung. Vgl. MERENDINO 1981, 563–570. 207 Die sekundäre Erweiterung des Heilsorakels sieht auch Kratz. Vgl. KRATZ 1991 (II). Außerdem ZAPFF 2001, 258.
164
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
Außerdem wird festgehalten, dass diese Erwählung mit dem fortdauernden Beistand JHWHs für seinen Knecht gleichzusetzen ist (Jes 41,11): Jes 41,11
אל־תירא כי עמך־אני אל־תשתע כי־אני אלהיך אמצתיך אף־עזרתיך אף־תמכתיך בימין צדקי
Jes 41,11 Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.
Jes 43,1–4 betont erneut die von der Schöpfung her bestehende Beziehung zwischen JHWH und Jakob/Israel und illustriert weiterhin, wie der Beistand und das Mitsein JHWHs mit seinem Volk sich konkret darstellen: Jes 43,2
כי־תעבר במים אתך־אני ובנהרות לא ישטפוך כי תלך במו־אש לא תכוה ולהבה לא :תבער־בך
Jes 43,2 Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.
Der Beistand JHWHs bedeutet also die Rettung vor allen vorstellbaren Gefahren. Gleichzeitig steht in Jes 43,1–4 nicht mehr der Gedanke im Vordergrund, dass JHWH seinen Knecht Israel erwählt hat, sondern es geht hier um die Erlösung Israels durch JHWH: „ אל־תירא כי גאלתיךfürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst“ (Jes 43,1b). Jes 44,1–5 führt nun die Aussagen der beiden vorangegangenen Texte (Jes 41,8–13 und 43,1–4) zusammen. Es wird die Erwählung ( )בחרdes Knechtes Jakob benannt („ ועתה שמע יעקב עבדי וישראל בחרתי בוund höre nun, mein Knecht Jakob und Israel, den ich erwählt habe“, Jes 44,1). Gleichzeitig wird, wie in Jes 43,1, betont, dass JHWH seinen Knecht von Anfang an bereitet hat („ כה־אמר יהוה עשך ויצרך מבטן יעזרךso spricht JHWH, der dich gemacht hat, dein Schöpfer, der dir hilft von Mutterleibe an“, Jes 44,2a). In Jes 43,1 heißt es vergleichbar: „ ועתה כה־אמר יהוה בראך יעקב ויצרך ישראלund nun, so spricht JHWH, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel“. Seine besondere inhaltliche Ausrichtung bekommt der Text in Jes 44,1–5 durch die Verheißung des Geistes für die Kinder Israel und des Segens für die Nachkommen: Jes 44,3
כי־אצק־מים על־תצמא ונזלים על־יבשה אצק רוחי על־זרעך וברכתי על־צאצאיך
Jes 44,3 denn ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre. Ich will meinen Geist auf deine Kinder gießen und meinen Segen auf deine Nachkommen.
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Die Konsequenz dieser Geistausgießung soll sein, dass die Kinder Israel wachsen sollen wie Gras zwischen den Wassern und wie Weiden an den Wasserbächen (וצמחו בבין חציר כערבים על־יבלי־מים, Jes 44,4). Bevor nun auf die Bedeutung dieser Aussagen näher eingegangen wird, soll noch kurz auf den Charakter der Jakob/Israel-Texte und der Grundschicht von Jes 40–48 überhaupt eingegangen werden. Wie oben beschrieben, gelten die Jakob/Israel-Texte in Jes 41,8–13, 43,1– 4 und 44,1–5 gemeinhin als Teil der Grundschicht der Kapitel 40–48 des Deuterojesajabuches. Trotz aller oben beschriebenen Gemeinsamkeiten bleiben in Bezug auf die Zugehörigkeit der drei Texte zu einer einheitlichen Schicht dennoch Fragen offen. Besonders auffällig ist die Bezeichnung von Jakob/Israel als Knecht. Während Jes 41,8 Israel mit „mein Knecht Jakob“ anredet ()עבדי יעקב, wissen die beiden auf Jes 41,8 folgenden Heilsorakel von dieser Anrede nichts. Jes 41,10 bietet gar keine Anrede, Jes 41,14 redet zum „Würmlein Jakob“ ( )תולעת יעקבund zum „armen Haufen Israel“ ( מתי )ישראל. Auch das Heilsorakel in Jes 43,1–4 weiß nichts davon, dass Jakob/ Israel als Knecht bezeichnet wird. Hier wird weniger der Knechtsgedanke als vielmehr das Geschaffensein von Jakob/Israel betont: ועתה כה־אמר יהוה בראך „ יעקב ויצרך ישראלund nun, so spricht JHWH, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel“ (Jes 43,1). Innerhalb von Jes 44,1–4 findet sich die Anrede Jakobs als Knecht dann gleich zweimal (Jes 44,1–2): Jes 44,1–2
כה:ועתה שמע יעקב עבדי וישראל בחרתי בו אמר יהוה עשה ויצרך מבטן יעזרך אל־תירא :עבדי יעקב וישרון בחרתי בו
Jes 44,1–2 1 Und nun höre, mein Knecht Jakob, und Israel, den ich erwählt habe! 2 So spricht JHWH, der dich gemacht und bereitet hat vom Mutterleibe an und der dir hilft: Fürchte dich nicht, mein Knecht Jakob, und du, Jeschurun, den ich erwählt habe!
Warum ist Jakob/Israel also in Jes 41,8 und 44,1–2 JHWHs Knecht, in Jes 43,1–4 und 41,10.14 aber nicht, zumal Jes 41,9 bereits dezidiert festgestellt hat, dass eben Jakob/Israel der Knecht JHWHs sein soll ( ואמר לך עבדך־אתה „ בחרתיך ולא מאסתיךund ich sprach zu dir: Du sollst mein Knecht sein, ich erwähle dich und vergesse dich nicht“). Ein weiteres Problem ist, dass in Jes 41,8 die Erwählung des Knechtes mit seiner Sammlung von den Grenzen der Erde her verbunden ist, mit einem Gedanken also, den man eigentlich erst mit späteren literarischen Schichten des Jesajabuches verbinden würde (אשר החזקתיך מקצות הארץ ומאציליה קראתיך „den ich von den Enden der Erde her ergriffen habe, und von ihren Grenzen her habe ich dich berufen“, Jes 41,9). So ist es eher wahrscheinlich, dass die Grundschicht der Kapitel 40–48 ursprünglich nicht aus verschiedenen Aussagen über den Knecht Jakob/Israel bestand, sondern aus einer Reihe von Heilsworten/Heilsorakeln, die das Heil
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
für Jakob/Israel verkündeten und in deren letztem in Jes 44,1–4 als Höhepunkt einer Entwicklung die Erwählung des Knechtes Jakob/Israel festgestellt wurde, während die vorausgegangenen Heilsworte Israel zwar den Beistand JHWHs zusicherten und auch die Tatsache, dass JHWH Jakob/Israel erlösen wird, aber noch nicht von Erwählung und von einer Beziehung Jakob/Israels zu JHWH als der eines Knechtes sprechen. Zur Grundschicht der Kapitel 40–48 wären demzufolge zu rechnen die mit אל־תיראeingeleiteten Heilsworte in Jes 41,10.14 mit den jeweils folgenden Versen Jes 41,11–13.17–20, in denen Jakob/Israel das Mitsein JHWHs zugesagt und in denen das Heil als ein Aufbrechen von Wasserbächen in der Wüste entfaltet wird, außerdem das Heilswort in Jes 43,1–4 sowie die Vorstellung von der Tilgung der Übertretungen Israels in Jes 43,22–28 und schließlich das Heilswort in Jes 44,1–5 mit den abschließenden Versen Jes 44,6.21–23.24–26a. Mit Kapitel 44 kommt ein erster Gedankengang innerhalb der Kapitel 40–48 zu einem Abschluss. Die Kapitel 45–48 erhalten mit den dort zum Ausdruck gebrachten Erwartungen an Kyros eine neue Ausrichtung. Zur Grundschicht zu zählen sind hier Jes 45,1–8 mit der Hoffnung, die auf Kyros liegt, der Aufweis, dass JHWH tatsächlich derjenige sein wird, der durch Kyros handelt, in Jes 46,3–4.8–11 und der Abschluss in Jes 48,12– 13.20.208 Nicht zur Grundschicht gehören die Einträge zur Götzenpolemik, wie z.B. in Jes 45,14–25 oder 46,5–7 sowie die Zionsthematik, die stellenweise bereits anklingt, wie beispielsweise in Jes 41,27 und 44,28, auch nicht der Gedanke einer Sammlung Israels bzw. aller Völker in Jes 41,9, 43,5–7, 43,9, 45,20 u.ö. Auch die Thematik der Abtrünnigkeit Israels bzw. der Nichtannahme des angekündigten Heils ist an vielen Stellen über das in Jes 43,22–28 im Rahmen der Grundschicht hinaus Gesagte erweitert (wie z.B. in Jes 45,9–13). Wichtig für den Text Jes 44,1–5 ist auch, dass der Knechtsgedanke, der sich dort findet, sich erst entfaltet. Innerhalb der Grundschicht der Kapitel 40–48 ist Jes 44,1–5 der erste Text, in dem Israel als Knecht bezeichnet wird. Die vorausgegangenen Anreden Israels als Knechtes in Jes 43,10, 42,19 und 41,8.9 sind erst sekundär eingefügt worden, Jes 41,8.9 wahrscheinlich erst, nachdem die paradigmatische Darstellung des Knechtes in Jes 42,1–9 in den Text hineingekommen ist. In Bezug auf die sekundären Texte, die Kritik an den Kultbildern enthalten (wie z.B. Jes 44,9–20 und 45,16–17), ist zu bedenken, dass sie – anders als in der Forschung vielfach angenommen – in weiten Teilen noch im Exil und in unmittelbarer Auseinandersetzung mit der Grundschicht von Jes 40–48 in den 208 Auch Kratz rechnet Jes 45,*1–7 zur Grundschicht, außerdem Jes 46,9–11 sowie 48,20–21. Vgl. KRATZ 1991 (II), 148. Berges rechnet Jes 45,1–10 nicht zur Grundschicht hinzu, allerdings Jes 46,9–11. Vgl. BERGES 1998, 548. Van Oorschot rechnet Jes 45,1–5 ebenfalls zur Grundschicht wie auch Jes 46,9–11. Vgl. VAN OORSCHOT 1993, 96.
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
167
Text hineingekommen sind. Sie reagieren darauf, dass Israel das von JHWH versprochene Heil offenkundig nicht annimmt, sondern Interesse an der babylonischen Götterbildpraxis zeigt.209 Nur so lässt sich erklären, dass sich Texte, die Kritik an Kultbildern enthalten, nur in den Kapiteln 40–48 finden, in den Kapiteln 49–55, die eine deutliche Rückkehrperspektive zeigen, hingegen nicht.210 Anzumerken ist schließlich noch, dass die Grundschicht der Kapitel 40–48 hier als eine erste deuterojesajanische Sammlung verstanden wird und damit als ein schriftliches Produkt. Die Frage, ob einzelne Heilsworte auf einen einzelnen Propheten zurückgeführt werden können, muss hier unbeantwortet bleiben. Der Prolog in Jes 40,12–31 ist dieser ersten Sammlung, die bereits um die Texte, die Kritik an den Götterbildern enthalten, erweitert worden ist, vorangestellt.211 Jes 44,1–5 ist damit der End- und Höhepunkt einer Reihe von Heilsaussagen an Jakob/Israel, die den Exulanten in Babylon zu vermitteln suchen, dass auch unter den gegenwärtigen Umständen JHWH ihr Gott ist und sie das Volk dieses Gottes sind. Innerhalb dieser Heilsaussagen findet eine Entwicklung statt vom Würmlein Jakob ( )תולעת יעקבbzw. vom armen Haufen Israel ( )מתי ישראלüber den Gedanken, dass JHWH derjenige ist, der dieses Israel geschaffen hat und es bei seinem Namen ruft (Jes 43,1), bis hin zu der Vorstellung vom erwählten Knecht in Jes 44,1.2.21. Mit der Bezeichnung „mein Knecht“ ( )עבדיwird in Jes 44,1.2 und in dessen Gefolge auch in Jes 44,21 das enge Verhältnis zwischen JHWH und Jakob/Israel ausgedrückt. Zum einen geschieht dies im Kontext derer, die in anderen alttestamentlichen Texten, mitunter sekundär, als Gottes Knechte bezeichnet und ausgezeichnet werden, wie vor allem Mose (Ex 14,13; Jos 1,2.7.13.15) oder König David (2 Sam 3,18; 7,8; 1 Kön 11,13.32.36.38) oder auch Abraham (Gen 26,24) und Isaak (Gen 24,14). Zum anderen steht diese Anrede in Verbindung mit der Selbstbezeichnung des Beters in zahlreichen Psalmen (Ps 86,2; 116,16; 123,2–3 u.ö.). In einzelnen Psalmen kann auch eine Gruppe von Betern als „Knechte“ ( )עבדיםim Plural bezeichnet werden. Diese Bezeichnung findet sich dann auch häufiger in den hinteren Kapiteln des Jesajabuches (Jes 56,6; 65,8.9.13–15; 66,14). Während die Gestalten der Frühzeit, wie Mose oder David, wie Jakob/ Israel in Jes 44,1.2 von JHWH als „mein Knecht“ angeredet werden, ist die Bezeichnung Knecht in den Psalmen Einzelner vorwiegend eine Selbstbe209
Für die Einordnung dieser Texte in den babylonischen Kontext vgl. auch BERLE-
JUNG 1998. 210
Gegen KRATZ 1991 (II), 192–206; VAN OORSCHOT 1993, 321–322; WERLITZ 1999, 40–43. Mit BERGES 2008, 56. 211 Gegen ZAPFF 2001, 221. Mit BERGES 2008, 128.
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
zeichnung des Beters. Und während die Gestalten der Frühzeit, die von Gott als „seine Knechte“ benannt werden, mit besonderen Aufgaben betraut sind, die sie als ebendiese Knechte auszuführen haben, so schwingt in der Selbstbezeichnung der Psalmbeter nicht die Vorstellung mit, für einen besonderen Auftrag ausersehen zu sein, sondern der Gedanke, sich als „Knecht“ ganz auf seinen Herrn JHWH auszurichten, von dem der betende Knecht sich im Gegenzug allerdings auch Hilfe und Beistand erwartet. Dies findet sich paradigmatisch ausgedrückt in Ps 123,2.3: Ps 123,2.3
הנה כעיני עבדים אל־יד אדונוהם כעיני שפחה אל־יד גברתה כן עינינו אל־יהוה חננו יהוה חננו כי־רב:אלהינו עד שיחננו :שבענו בוז
Ps 123,2.3 2 Siehe, wie die Augen der Knechte auf die Hand ihrer Herren sehen, wie die Augen der Magd auf die Hand ihrer Frau, so sehen unsere Augen auf JHWH, unseren Gott, bis er uns gnädig werde. 3 Sei uns gnädig, JHWH, sei uns gnädig, denn allzu sehr litten wir Verachtung.212
b) Die Ausgießung des Geistes und das zukünftige Heil In Jes 44,1.2 vollzieht sich im Rahmen des Heilswortes nun eine Zusammenführung dieser beiden „Knechts-Konzepte“. Zwar ist es so, dass JHWH sich Israel/Jakob als seinen Knecht erwählt (בחר, Jes 44,1) und nicht etwa Israel/ Jakob wie der Psalmbeter von selbst JHWH als seinen Herrn anredet, gleichzeitig erwartet aber JHWH von Israel/Jakob nicht eine herausragende Funktion in einem historischen Ereignis, sondern eine Haltung, wie sie der des Psalmbeters entspricht. JHWH erwählt Jakob/Israel also in ein hingebungsvolles Vertrauensverhältnis und verheißt das Heil gleich mit, für das der Beter in Ps 123 erst bitten muss. Indem Jakob/Israel der erwählte Knecht ist, besteht für ihn kein Anlass mehr, sich zu fürchten. Dieses Heil wird in Jes 44,3.4 bildhaft dargestellt als ein Bewässern des Durstigen und Trockenen („ כי אצק־מים על־צמא ונזלים על־יבשהdenn ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Trockene“, Jes 44,3a). Dass das Heil als Vorgang des Bewässerns dargestellt wird, findet sich auch an anderen Stellen innerhalb der Kapitel Jes 40–48, nämlich in Jes 41,18 und 43,19, hier allerdings mit dem Begriff נהריםfür Ströme statt wie in Jes 44,3 mit dem Begriff נזלים. Als Folge dieser Bewässerung wird für die Nachkommen Jakob/Israels verheißen, dass sie wachsen wie Gras zwischen Wassern, wie Euphratpappeln an den Wasserbächen ( וצמחו בבין חציר כערבים על־יבלי־ מים, Jes 44,4). Die Vorstellung des Wachsens ( )צמחals Bild für das angekündigte Heil findet sich ebenfalls auch sonst im Deuterojesajabuch, allerdings 212 Zum Knechtsgedanken im Alten Testament überhaupt vgl. WESTERMANN 1976 (II), bes. 192.
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
169
geht es dort eher um das Aufwachsen der neuen Botschaft (Jes 43,19; 42,9) oder der angekündigten Gerechtigkeit (Jes 45,8; 61,11). Mit dieser heilvollen Metapher von der Bewässerung des Durstigen und Trockenen und des Aufwachsens ist die Ankündigung von der Ausgießung von Gottes Geist und Segen verbunden (Jes 44,3): Jes 44,3
כי אצק־מים על־צמא ונזלים על־יבשה אצק רוחי על־זרעך וברכתי על־צאצאיך
Jes 44,3 Denn ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre; ich will meinen Geist auf deine Kinder gießen und meinen Segen auf deine Nachkommen.
Es ist dies die einzige Stelle im Alten Testament, an der Geist und Segen miteinander verbunden sind, wenn man von der Bileam-Perikope absieht, in der Bileam den Geist bekommt und infolgedessen Israel segnet. Ebenso selten ist die Vorstellung von der Ausgießung einer Geistes- oder Segensgabe. Für den Geist findet sich diese Vorstellung nur noch in Joel 3,1 und Jes 32,15, für den Segen in Mal 3,10. Dass diese Vorstellung hier vorliegt, hängt zum einen damit zusammen, dass das Heil als das Ausgießen von Wasser auf das Durstige und Trockene beschrieben wird. In Analogie zu diesem Akt des Bewässerns werden eben auch Geist und Segen ausgegossen.213 Der Segen selbst hat in der Metaphorik von Bewässern und Wachsen ohnehin einen guten Ort, da mit Segen häufig der Gedanke verbunden ist, dass Gott den Dingen Fruchtbarkeit, Gedeihen und Lebenskraft verheißt (Gen 17,16.20; 24,35; 28,3–4; 48,3–4; 49,25a; Dtn 7,13 u.ö.).214 In dem Heilswort in Jes 44,3 stehen Geist ( )רוחund Segen ( )ברכהfür zwei Aspekte des angekündigten Heils. Die Gabe des Geistes gehört in einen Zusammenhang mit der Anrede Jakob/Israels als Knecht und mit der Erwählung. Indem JHWH seinen Geist gibt, ist die Verbindung zwischen JHWH und den Kindern Jakob/Israels noch verstärkt. Durch die Gabe des Segens wird deutlich gemacht, dass alles zukünftige Aufwachsen und alle zukünftige Fruchtbarkeit auf JHWH zurückzuführen sind. Gleichzeitig dient die Verheißung der Geist- und Segensausgießung dazu, dem in Jes 44,1–4 angekündigten Heil eine weit in die Zukunft reichende Perspektive zu verheißen. Nicht nur jetzt ist Jakob/Israel als Gottes Knecht erwählt, sondern auch in der Zukunft werden seine Nachkommen den Geist JHWHs erhalten und so Teil 213
Ähnlich HÖFFKEN 1998, 81. Außerdem BERGES 2008, 321. Vgl. zum Segen im Alten Testament KELLER/WEHMEIER 1971, bes. 366. Interessant ist, dass Segen und segnen in der Prophetie insgesamt wenig vorkommt, am häufigsten im Jesajabuch. Ansonten begegnet die Terminologie vor allem im Buch der Genesis und im Psalter, ähnlich häufig noch im Deuteronomium und in den Büchern der Chronik. Vgl. ebd., 354. Zum Segen im Alten Testament vgl. auch LEUENBERGER 2008. 214
170
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
dieser gegenwärtig im Exil stattfindenden Erwählung bleiben. Und ebenso wird alles, was den Nachkommen Jakob/Israels als heilvoll erscheinen mag, Produkt des verheißenen Segens sein. Geist und Segen sind an dieser Stelle also nicht im Sinne einer Analogie zu verstehen, sondern als zwei Aspekte göttlicher Zuwendung zum Menschen, einmal zur Stärkung der besonderen Beziehung zwischen Gott und den Menschen ( )רוחund einmal als Aufweis des göttlichen heilvollen Handelns in der Lebenswirklichkeit des Menschen. Gleichzeitig werden sowohl Geist als auch Segen hier dafür genutzt, um Gottes über die Gegenwart hinausgehende Zuwendung zu den Menschen und an dieser Stelle eben besonders zu seinem erwählten Volk Jakob/Israel auszudrücken. Damit hat die Vorstellung von Gottes Geist eine neue Weite bekommen, von einer Kraft, die an punktuellen Ereignissen Menschen zu besonderem Handeln ermächtigt, zur Verheißung einer dauerhaften Verbundenheit mit JHWH nicht nur für einen Einzelnen, sondern für ein ganzes Volk mitsamt seinen Nachfahren. 3.2.5 Jes 42 Nachdem Gottes Geist im Deuterojesajabuch bereits in einem der Prologe in Jes 40,12–31 sowie in einem Heilsorakel in Jes 44,1–5 begegnete, findet er sich auch in der für das Deuterojesajabuch prägenden Textform der Gottesknechtslieder (Jes 42,1–4; 49,1–6; 50,4–9; 52,13–53,12), und zwar im ersten Gottesknechtslied Jes 42,1–9. Hier heißt es in Vers 1: Jes 42,1
הן עבדי אתמך־בו בחירי רצתה נפשי נתתי :רוחי עליו משפט לגוים יוציא
Jes 42,1 Siehe, das ist mein Knecht, ich halte ihn, und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben, er wird das Recht zu den Heiden bringen.
a) Jes 42 im Kontext der Gottesknechtslieder und des Deuterojesajabuches Über die Gottesknechtslieder ist bereits viel gesagt und geschrieben worden, seitdem sie von B. Duhm als eine eigene Textgruppe innerhalb des Deuterojesajabuches identifiziert worden sind.215 Eine Art forschungsgeschichtlicher Konsens bestand in Bezug auf die Gottesknechtslieder lange darin, sie als eine Textgruppe zu betrachten, die ursprünglich selbständig existierte und erst sekundär in das Deuterojesajabuch eingetragen worden ist, wobei die Zu-
215
Vgl. DUHM 1968, 311–316.
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
171
gänge innerhalb dieses Konsenses auch durchaus vielgestaltig sein können.216 In neueren Arbeiten wird verstärkt nach der Bedeutung der Gottesknechtslieder für die Komposition des Deuterojesajabuches und in diesem Zusammenhang auch nach redaktionellen Fortschreibungen innerhalb der Lieder gefragt.217 Umstritten ist weiterhin auch die Frage nach der Identität des Gottesknechtes, wobei die Identitätszuweisungen auch davon abhängen, ob man die Gottesknechtslieder vor allem als eine ursprünglich eigenständige Textgruppe versteht, für die dann auch eine ursprünglich einheitliche Identität des Knechtes angenommen wird,218 oder ob man annimmt, dass die Gottesknechtslieder bei der Einarbeitung in das Deuterojesajabuch redaktionell ergänzt wurden und sich im Zuge dieser redaktionellen Tätigkeit die Deutungen der Figur des Gottesknechtes veränderten.219 Das Problem der Gottesknechtslieder, der Identität des Knechts und ihrer Stellung im Deuterojesajabuch kann an dieser Stelle nicht endgültig und in aller Ausführlichkeit geklärt werden. Dennoch seien hier ein paar Beobachtungen zusammengefasst, die für die Einordnung von Jes 42,1–4 in das Deuterojesajabuch und in die Gruppe der Gottesknechtslieder und damit auch für die Interpretation der רוחGottes relevant sind. Das Gottesknechtslied in Jes 42,1–4.5–9 hebt sich von den anderen drei Gottesknechtsliedern in Jes 49,1–6, 50,4–9 und 52,13–53,12 bereits durch seine Position innerhalb der Kapitel Jes 40–48 ab. Während sich die folgenden drei Gottesknechtslieder alle in den Kapiteln Jes 49–55 und damit im zionorientierten Teil des Deuterojesajabuches finden, steht Jes 42,1–4.5– 9, von ihnen abgerückt, innerhalb des Jakob/Israel-Teils in Jes 40–48. Gleichzeitig hebt sich der Text in Jes 42,1–4.5–9 von den folgenden Gottesknechtsliedern dadurch ab, dass die Widerstände gegen den Knecht, um die die Gottesknechtslieder in Jes 49,1–6, 50,4–9 und 52,13–53,12 wissen (Jes 49,4; 50,6; 53,3–10), fehlen. Vielmehr wird in Jes 42,4 zum Ausdruck gebracht, dass der Knecht hier gänzlich unangefochten seinen Auftrag erfüllen kann: „ לו־יכהה ולו ירוץ עד־ישים בארץ משפט ולתורתו איים ייחילוEr wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichtet, und die Inseln warten auf seine Weisung“. Die engsten Beziehungen finden sich noch zwischen Jes 42,1–4.5–9 und 49,1–6 mit der Identifikation des Knechtes als Israel in Jes 49,3, der Ausrichtung auf die Inseln (איים, Jes 42,4; 49,1) und der Metapher vom Licht der Heiden (אור גוים, Jes 42,6; 49,6), wobei diese Beziehungen vermutlich das 216 Vgl. H. HAAG 1985, 15–24. Dass die Gottesknechtslieder eine ursprünglich einheitliche Größe gebildet haben, vertritt auch Höffken in seinem Kommentar. Vgl. HÖFFKEN 1998, 65–66. 217 Vgl. WERLITZ 1997, 30–43; METTINGER 1983; VAN OORSCHOT 1993, 178–196 und 279–283. 218 Vgl. M. WEIPPERT 1989. 219 So. z.B. KRATZ 1991 (II), 128–147.
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
Ergebnis redaktioneller Ergänzungen sind.220 Nimmt man zu Jes 49,1–6 die Verse Jes 49,7–12 hinzu, wird die Verbindung zwischen den ersten beiden Gottesknechtsliedern noch verstärkt, nämlich durch die Metapher des Bundes für das Volk ( ברית עםin Jes 42,6 und 49,8) und durch die Zuwendung zu den Gefangenen und zu denen in der Finsternis. So findet sich in Jes 42,7: לפקח „ עינים עורות להוציא ממסגר אסיר מבית כלא ישבי חשךum aufzutun blinde Augen, um herauszuführen Gefangene aus dem Gefängnis, aus dem Kerker diejenigen, die in Finsternis sitzen“. In Jes 49,9 ist zu lesen: „ לאמר לאסורים צאו לאשר בחשך הגלוzu sagen den Gefangenen: Geht heraus! und zu denen in der Finsternis: Kommt hervor!“. Auch diese Verbindungen sind allerdings das Ergebnis sekundärer Ergänzungen.221 Nachdem damit die Beziehung von Jes 42,1–4.5–9 zu den folgenden Gottesknechtsliedern sondiert worden ist, ist noch auf die Stellung des ersten Gottesknechtsliedes innerhalb des Deuterojesajabuches überhaupt einzugehen. Diese kann zum einen durch Stichwortverbindungen in andere Kapitel des Deuterojesaja ausgelotet werden, zum anderen aber auch dadurch, dass der in Jes 42,1–4.5–9 beschriebene Knecht mit anderen Knechtsgestalten und Geistträgern des Deutero- und des Jesajabuches überhaupt verglichen wird. Was die Bezeichnung „Knecht“ ( )עבדangeht, so findet sie sich vor allem im ersten Teil des Deuterojesajabuches, und dort, mit Ausnahme der Belege in Jes 42,1 und 42,19, ausschließlich für Jakob/Israel (Jes 41,8.9; 43,10; 44,1.2.21; 48,20). Im zweiten Teil des Deuterojesajabuches, in den Kapiteln Jes 49–55 findet sich die Bezeichnung „ עבדKnecht“ nur im zweiten und vierten Gottesknechtslied (Jes 49,3.6.7; 52,13; 53,11) und im unmittelbaren Kontext des dritten (Jes 50,10). In den letzten Kapiteln des Jesajabuches gerät dann auch die Bezeichnung „Knechte“ ( )עבדיםim Plural für die sich zu JHWH haltenden Frommen in den Blick (Jes 63,17; 65,8.15; 66,14; Jes 54,17 ist bereits zu dieser Gruppe zu rechnen).222 Der Knecht in Jes 42,1–4 wird in Vers 1 weiterhin als Auserwählter ()בחיר angesprochen. Mit „ בחירauserwählt“ wird im Jesajabuch ansonsten nur das Volk Jakob/Israel bezeichnet (Jes 43,20; 45,4; 65,9.15.22). Auch das Verb „ בחרerwählen/auswählen“ wird meistens in dem Zusammenhang verwendet, dass JHWH das Volk Jakob/Israel erwählt (Jes 14,1; 41,8.9.24; 44,1.2). Abgesehen davon kann es auch verwendet werden, um die Wahl der Menschen 220
Kratz geht davon aus, dass Jes 42,6 von 49,6 inspiriert ist. KRATZ 1991 (II), 131. So geht Werlitz davon aus, dass durch Jes 49,7–12 die Verbindung zwischen dem ersten und dem zweiten Gottesknechtslied intensiviert und gleichzeitig eine Verbindung zwischen den Buchteilen Jes 40–48 und 49–55 geschaffen werden sollte. Vgl. WERLITZ 1997, 36–43. Vgl. außerdem KRATZ 1991 (II), 144–145. Kratz geht davon aus, dass die beiden ersten Gottesknechtslieder sekundär auf Kyros hin gedeutet worden sind. 222 Vgl. dazu auch BLENKINSOPP 1997. 221
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
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für eine bestimmte Sache auszudrücken. So wählt beispielsweise der verheißene Immanuel zwischen Gutem und Bösem (Jes 7,15.16), der Handwerker wählt das Holz für die Herstellung eines Götzenbildes (Jes 40,20), die Menschen wählen etwas, woran Gott keinen Gefallen hat (Jes 65,12; 66,3.4). So ist festzuhalten, dass sich das erste Gottesknechtslied mit seiner Positionierung in Jes 40–48 nicht nur in einem Kontext befindet, in dem es vor allem um die Erwählung des Knechtes Jakob/Israel geht, sondern dass sowohl die Bezeichnung Knecht ( )עבדals auch die Bezeichnung Auserwählter ()בחיר überwiegend bzw. ausschließlich für Jakob/Israel verwendet werden. Über diese Bezeichnungen für die Figur des Knechtes hinaus sind im Hinblick auf Stichwortverbindungen in den Kontext des Jesajabuches auch die Termini von Interesse, die den Aufgabenbereich des in Jes 42,1–4.5–9 beschriebenen Knechtes umreißen. Dazu gehört besonders der Begriff משפט „Recht“, der hier mehrmals erwähnt wird: Der Knecht soll das Recht unter die Heiden bringen (Vers 1), er soll es in Treue hinaustragen (לאמת יוציא משפט, Vers 3), und er soll es auf Erden aufrichten (עד־ישים בארץ משפט, Vers 4). Für den Begriff משפטgibt es eine Vielzahl von Belegen innerhalb des Jesajabuches. Er findet sich häufig in der Schilderung von Gerichtsszenarien oder im Sinne von Richter- oder Rechtsspruch (Jes 1,27; 3,14; 4,4; 5,16; 26,8; 41,1; 43,5; 50,8; 53,8; 54,17 u.ö.). Daneben begegnet er, wie auch hier in Jes 42, zur Schilderung idealer, heilvoller Umstände (Jes 9,6; 32,1.16; 33,5; 51,4; 56,1; 61,8). Im Zusammenhang mit der Beauftragung, das Recht unter die Heiden zu bringen (Jes 42,1), ist auch die Perspektive auf die Heiden ( )גויםinteressant.223 Die Heiden bzw. die Völker finden sich im Deuterojesajabuch zum einen in Jes 40,15.17, wo sie von dem unvergleichlichen JHWH für nichts geachtet werden. Des Weiteren findet sich öfter der Gedanke, dass das Volk Israel in irgendeiner Weise von den Völkern profitieren wird (Jes 54,3; 60,5.11.16; 61,6.9). So wird es von den Gütern der Völker essen (Jes 61,6), oder die Schätze der Völker werden sich zu Israel kehren (Jes 60,5). Jes 42,1 gehört zu den Texten, die den Heiden eine heilvolle Perspektive eröffnen. Dazu gehören in den Kapiteln Jes 40–55 neben Jes 42,1.6 nur noch Jes 43,9 und 49,6.7, wo wie in Jes 42,6 ebenfalls vom Licht der Heiden ( )אור גויםdie Rede ist, wobei in beiden Texten davon auszugehen ist, dass es sich um sekundäre Ergänzungen handelt. Ansonsten findet sich die Vorstellung von einer Teilhabe der Heiden am Heil vor allem in den hinteren Kapiteln des Jesajabuches, in Jes 60,3.12, 62,2 und 66,18.19.20. In Jes 60 ist die Vorstellung vom Heil für die Völker auch mit der Lichtmetaphorik verbunden, indem hier gesagt wird, dass die Heiden zu „deinem“ (also zu dem über Israel aufgegangenen) Licht ziehen werden: ( והלכו גוים לאורךJes 60,3). 223 Dass mit den Völkern nur eine interessierte Öffentlichkeit gemeint sein soll, wie Merendino annimmt, halte ich für ausgeschlossen. Vgl. MERENDINO 1981, 233.
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
In diese hinteren Kapitel des Jesajabuches weisen auch weitere Stichwörter aus Jes 42. So findet sich hier auch der Gedanke des Bundes, der in Jes 42,6 angesprochen wird. Der Knecht soll zum Bund für das Volk und zum Licht für die Heiden werden ( אני יהוה קראתיך בצדק ואחזק בידך ואצרך ואתנך לברית „ עם לאור גויםIch, JHWH, habe dich in Gerechtigkeit gerufen, ich halte dich bei der Hand und behüte dich und mache dich zum Bund für das Volk, zum Licht der Heiden“). Der Gedanke des Bundes begegnet innerhalb des Deuterojesajabuches außerdem in Jes 49,8, 54,10, 55,3, 56,4.6, 59,21 und 61,8. Ebenso gibt es in Jes 61 außerdem auch den Gedanken der Treue ()אמת, der sich auch in Jes 42,3 findet, ansonsten im Deuterojesajabuch aber nicht belegt ist. In Jes 42,3 heißt es: „ לאמת יוציא משפטin Treue trägt er das Recht hinaus“ und in Jes 61,8: כי אני יהוה אהב משפט שנא גזל בעולה ונתתי פעלתם „ באמת וברית עולם אכרות להםDenn ich, JHWH, liebe das Recht, ich hasse den Raub mitsamt dem Unrecht, und ich werde ihnen den Lohn in Treue geben, und ich werde einen ewigen Bund mit ihnen schließen“. Eine letzte, interessante Stichwortverbindung besteht über das Verb רצה. In Jes 42,1 wird gesagt, dass JHWHs Seele an dem Knecht Wohlgefallen hat: „ הן עבדי אתמך־בו בחירי רצתה נפשיSiehe, das ist mein Knecht, ich halte ihn, und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat“. Das Verb רצהfindet sich innerhalb des Jesajabuches sonst nicht. Es begegnet allerdings als Nominalbildung רצוןim Sinne von Wohlgefallen oder von Gnade. In Jes 56,7, 58,5 und 60,7 geht es vor allem um Gott wohlgefällige Opfer bzw. um das Gott wohlgefällige Fasten. In Jes 60,10 wird רצוןim Sinne von „Gnade“ gebraucht. In Jes 49,8 und 61,2 ist es mit einer Zeitangabe verbunden. In Jes 49,8 heißt es: כה אמר יהוה בעת רצון עניתיך וביום ישועה עזרתיך ואצרך ואתנך „ לברית עם להקים ארץ להנחיל נחלות שממותSo spricht JHWH: Ich habe dich erhört zur Zeit der Gnade und habe dir am Tage des Heils geholfen und habe dich behütet und zum Bund für das Volk bestellt, dass du das Land aufrichtest, das verwüstete Erbe zuteilst“. In Jes 61,2 wird ein gnädiges Jahr JHWHs ausgerufen ()שנת־רצון ליהוה. Diese Beobachtungen machen nun Verschiedenes deutlich: Jes 42,1–4.5–9 ist durch seine Stellung in Jes 40–48 deutlich von den folgenden Gottesknechtsliedern abgehoben. Die Ausrichtung dieses Gottesknechtsliedes ist auch inhaltlich eine andere als in den folgenden Gottesknechtsliedern, in denen viel stärker der Aspekt des Leidens des Knechtes in den Vordergrund rückt. Durch die Stichwortverbindungen in den unmittelbaren Kontext, in dem der Knecht durchgehend Jakob/Israel ist und in dem auch von Erwählung (בחר/ )בחירimmer nur in Bezug auf Jakob/Israel die Rede ist, fällt eine individuelle Deutung des Knechtes darüber hinaus schwerer, als dies für die drei folgenden Gottesknechtslieder der Fall ist.224 224 Gegen Steck, der eine enge Verbindung der ersten drei Gottesknechtslieder aufgrund ihrer Orientierung an 1 Kön 22,19–22 postuliert hat. Vgl. STECK 1992. Dass Jes 42,1–9
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
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Durch die oben beschriebenen Stichwortverbindungen wird außerdem deutlich, dass Jes 42,1–4.5–9 vor allem im Zusammenhang mit Jes 49,1–6.7– 12 und mit Jes 59,21–60,5 und 61,1–9 gelesen werden muss.225 Die Verbindungen zum zweiten Gottesknechtslied in Jes 49,1–6 bestehen vor allem über die Bezeichnung „ עבדKnecht“ (Jes 42,1; 49,3), den Terminus ( משפטJes 42,1.3.4; 49,4)226 und die Ausrichtung auf die Inseln (איים, Jes 42,4; 49,1). Nimmt man zu Jes 42,1–4 die Verse 5–9 hinzu, vertiefen sich die Verbindungen zunächst um das Stichwort vom Licht der Heiden (אור גוים, Jes 42,6; 49,6). Nimmt man für Jes 49,1–6 die Erweiterung in Jes 49,7–10 hinzu, erweitern sie sich noch um den Gedanken des Bundes für das Volk (ברית עם, Jes 42,6 und 49,8) und um die Ausrichtung auf die Gefangenen (Jes 42,7; 49,9). Dass es sich bei Jes 49,7–10 um eine Fortschreibung des zweiten Gottesknechtsliedes handelt, scheint relativ offensichtlich zu sein.227 Möglicherweise sind auch die Verse Jes 49,1a und 49,6 als eine sekundäre Rahmung anzusehen, durch die das zweite Gottesknechtslied in seinen Kontext eingefügt wurde und durch die eine sekundäre Verbindung zum ersten Gottesknechtslied hergestellt wurde. Für Jes 42,1–4.5–9 wird oft angenommen, dass ein ursprüngliches Gottesknechtslied in Vers 1–4 in Vers 5–9 fortgeschrieben worden ist.228 Diese Annahme hat ihr gutes Recht. Ganz unabhängig von dieser These ist es evident, dass das erste Gottesknechtslied weniger biographische Züge trägt als die folgenden Gottesknechtslieder und dass es mit der heilvollen Perspektive, das Recht aufzurichten und unter die Heiden zu bringen, eher eine ideale Gestalt beschreibt229 als eine, die sich in der Geschichte in irgendeiner Weise innerweltlich verankern lässt.230 Zieht man zusätzlich die von den weiteren Gottesknechtsliedern exponierte Stellung in Jes 40–48 in Betracht, muss man in jedem Fall zu dem Schluss kommen, dass hier eine ideale, literarische Eröffnung der Gottesknechtsthematik vorliegt, die als ein Brückentext mindestens zwischen Jes 40–48 und 49–55 zu sehen ist. Auch wenn man annimmt,
sich von den anderen Gottesknechtsliedern deutlich abhebt, hat bereits Mettinger herausgestellt. Vgl. METTINGER 1983, 28. 225 Gegen Zapff, der annimmt, dass die ersten drei Gottesknechtslieder eine eigene redaktionelle Schicht innerhalb des Deuterojesajabuches bilden. Vgl. ZAPFF 2001, 248. 226 Wobei der Begriff jeweils unterschiedlich gebraucht wird. 227 Vgl. auch WERLITZ 1997, 39; KRATZ 1991 (II), 135–139. 228 Vgl. WERLITZ 1997, 36–43; KRATZ 1991 (II), 131–135. 229 Ähnlich Zapff: „So handelt es sich beim GK in Jes 42,1–4 wahrscheinlich weder um eine kollektive (Israel), noch um eine individuelle Persönlichkeit (Deuterojesaja o.a.), sondern eher um eine idealprophetische Gestalt, die als Identifikationsgröße der das prophetische Erbe (Deutero-)Jesajas bewahrenden und überliefernden prophetischen Tradentenkreise diente.“ ZAPFF 2001, 249. Vgl. auch BLENKINSOPP 1997, 164. 230 Gegen Höffken, der annimmt, dass es sich bei dem Knecht in Jes 42,1–9 insgesamt um Kyros handelt. Vgl. HÖFFKEN 1998, 64.
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
dass diese Brücke zunächst nur durch Jes 42,1–4 hergestellt und später um Jes 42,5–9 erweitert wurde,231 muss man feststellen, dass auch diese Grundfassung bereits über den Textbereich Jes 40–48.49–55 hinausweist. Durch die Ausrichtung auf die Heiden, die Verwendung der Wurzel ( רצהJes 42,1) und das Stichwort der Treue ( )אמתbestehen auch für Jes 42,1–4 bereits Beziehungen zu den hinteren Kapiteln des Jesajabuches, und zwar besonders zu Jes 61,2.8. Dass sowohl in Jes 42 als auch in Jes 61 der Geistbesitz der beschriebenen Gestalten eine Rolle spielt, kommt als Argument noch hinzu.232 Jes 42,1–4.5–9 ist also in jedem Fall eine sekundäre Bildung, die den Auftakt für die folgenden Gottesknechtslieder bildet und die in der hier beschriebenen Knechtsgestalt den Knecht Jakob/Israel der Kapitel Jes 40–48 mit dem Knecht der Lieder in Jes 49–55 verbindet. Dazu werden Merkmale des Knechtes Jakob/Israel, die mit dem Heilsorakel in Jes 44,1–5 bereits zur Grundschicht von Jes 40–48 gehören, aufgegriffen und für die beschriebene Gestalt verwendet. So wie der Knecht Jakob/Israel über den Geist verfügt (Jes 44,1–5), so auch der Knecht in Jes 42,1–4. Und so wie Jakob/Israel auserwählt ist (Jes 41,8.9; 43,20; 44,1.2), so auch der Knecht in Jes 42,1–4. Gleichzeitig ist der Geist tragende Knecht in Jes 42,1–4.5–9, mindestens auf der Ebene des Endtextes, mit einiger Wahrscheinlichkeit aber schon von vornherein im Licht des Geistträgers von Jes 61,1–8 zu verstehen.233 Im Folgenden soll sich ein Vergleich dieser beiden Geistträger anschließen. b) Der Gottesknecht als Geistträger in Jes 42 und der Geistträger in Jes 61 Für einen Vergleich der Geistträger in Jes 42 und 61 sind vor allem die Eigenschaften, die ihnen zugemessen werden, und ihre Aufgabenbereiche von Interesse. In Jes 42,1–9 geht es um den Knecht (עבד, Jes 42,1). Er ist Gottes Auserwählter (בחיר, Jes 42,1), Gott hat Wohlgefallen an ihm (רצה, Jes 42,1) und ihm seinen Geist ( )רוחgegeben ()נתן. Das Verhältnis zwischen JHWH und seinem Knecht wird damit bereits in Jes 42,1 umfassend beschrieben. In Jes 42,6 wird die Verbindung zwischen JHWH und dem Knecht erneut aufgegriffen und etwas anders akzentuiert:
231
Vgl. WERLITZ 1997, 34; VAN OORSCHOT 1993, 182ff und 228ff; KRATZ 1991 (II),
134. 232
Berges nimmt an, dass dass das Gottesknechtslied „erst aus der Jerusalemer Perspektive an den relativen Anfang der Gesamtkomposition von Jes 40–55 gesetzt worden“ ist. Vgl. BERGES 2008, 213. 233 Gegen Kratz, der annimmt, dass der Knecht aus Jes 42,1–4 durch die Ergänzung in Vers 5–7 auf Kyros gedeutet werden sollte. Vgl. KRATZ 1991 (II), 145.
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch Jes 42,6
אני יהוה קראתיך בצדק וחזק בידך :ואצרך ואתנך לברית עם לאור גוים
177
Jes 42,6 Ich, JHWH, habe dich gerufen in Gerechtigkeit, ich halte dich fest bei deiner Hand, ich behüte dich, und ich mache dich zum Bund des Volkes, zum Licht der Heiden.
Durch Jes 42,6 wird der Beistand JHWHs mit seinem Knecht auch über die anfängliche Erwählung hinaus, wie sie in Jes 42,1 beschrieben wurde, ausgedrückt. Bei dem, was dem Knecht aufgetragen ist, steht JHWH ihm zur Seite. Das Wesen des Knechtes selbst wird weniger mit konkreten Eigenschaften beschrieben als mit einer Aufzählung all dessen, was der Knecht nicht ist bzw. nicht tun wird: „ לא יצעק ולא ישא ולא־ישמיע בחוץ קולוEr wird nicht schreien und wird seine Stimme nicht erheben, und seine Stimme wird nicht draußen gehört werden“ (Jes 42,2). Und weiterhin heißt es in Jes 42,3.4: Jes 42,3.4
קנה רצוץ לא ישבור ופשתה כהה לא יכבנה לא יכהה ולא ירוץ:לאמת יוציא משפט :עד־ישים בארץ משפט ולתורתו איים ייחילו
Jes 42,3.4 3 Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen, in Treue trägt er das Recht hinaus. 4 Er wird nicht müde, und er wird nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufgerichtet hat. Und auf seine Weisungen warten die Inseln.“
Auf der einen Seite entsteht so durch die Betonung, dass der Knecht nicht schreien (לא יצעק, Jes 42,2) noch in irgendeiner anderen Weise laut werden wird und dass er das geknickte Rohr nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen wird (Jes 42,3), der Eindruck eines sanftmütigen, zurückgenommenen Auftretens. Indem zugleich gesagt wird, dass der Knecht seinerseits aber auch nicht ermüden ( )כההoder zerbrechen ( )רצץwird (Jes 42,4), entsteht aber ebenso das Bild einer unverwüstlichen, hartnäckigen Person, die nicht eher aufgibt, als bis ihr Auftrag, auf Erden das Recht aufzurichten, erfüllt ist (Jes 42,4). Gerade diese Ambivalenz zeigt deutlich, dass es sich hier um eine Idealperson handelt, die über die bestehende Wirklichkeit weit hinausweist. Die Aufgabe des Knechtes besteht nun darin, das Recht ( )משפטaufzurichten. Dies wird in Jes 42,1–4 gleich dreimal gesagt (Vers 1.3.4). Mit משפט ist hier das Recht JHWHs und damit eine Ordnung im Sinne JHWHs gemeint.234
234 Gegen Berges, der annimmt, dass es hier um den Rechtsentscheid JHWHs mit den Nationen gehe. Vgl. BERGES 2008, 226. Vgl. BEUKEN 1972.
178
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
In Jes 42,7 kommt es zu einer Konkretion des Auftrages des Knechtes, die sich in Jes 42,1–4 nicht findet. Hier werden verschiedene Zielgruppen genannt, denen sich der Knecht zuwenden soll (Jes 42,7): Jes 42,7
לפקח עינים עורות להוציא ממסגר אסיר :מבית כלא ישבי חשך
Jes 42,7 … um aufzutun blinde Augen, um herauszuführen Gefangene aus dem Gefängnis, aus dem Kerker diejenigen, die in Finsternis sitzen.
Diese vergleichsweise deutliche und ausführliche Schilderung des Aufgabenbereichs des Knechtes ist nun allerdings weniger die Illustration dessen, was unter dem in Jes 42,1–4 beschriebenen Herausführen des Rechtes zu verstehen ist, sondern es ist die Illustration dessen, was es bedeutet, dass der Knecht, wie in Jes 42,6 angekündigt, zum Bund des Volkes ( )לברית עםund zum Licht der Heiden ( )אור גויםwird. Diese unterschiedliche Ausrichtung im Hinblick auf den Aufgabenbereich des Knechtes ist nun ein weiterer Hinweis darauf, dass Jes 42,1–4 und Jes 42,5–9 nicht aus einer Hand sind, sondern dass es sich bei Jes 42,5–9 um eine sekundäre Ergänzung handelt. Zusammengefasst ist der in Jes 42,1–4.5–9 beschriebene Knecht nun eine ideale Gestalt. Er ist zugleich sanftmütig und agiert zurückgenommen, gleichzeitig aber auch hartnäckig und offensichtlich in der Lage, erfolgreich zu handeln. Sein Auftrag in Jes 42,1–4 ist der, das Recht aufzurichten, und zwar nicht innerhalb des Volkes Jakob/Israel, sondern mit einer universalen Perspektive. Bezugspunkte sind die Heiden (גוים, Jes 42,1), die Inseln (איים, Jes 42,4) und die Erde in ihrer Gesamtheit (בארץ, Jes 42,4). In Jes 42,5–9 bleibt die Ausrichtung des Handelns des Knechtes universal. Er wird zum Licht für die Heiden (אור גוים, Jes 42,6). Gleichzeitig wird seine Verbundenheit auch mit dem eigenen Volk betont, so dass der Knecht gewissermaßen zurückgeholt wird auch zum Wohl des eigenen Volkes, für das er zum Bund wird (ברית עם, Jes 42,6). Der Text über den Geistträger in Jes 61,1–11 steht im hinteren Teil des Jesajabuches innerhalb der Kapitel 60–62, die im Wesentlichen Heil für Zion zum Inhalt haben, bevor in Jes 63 ein Text über das Gericht an Edom folgt und in Jes 64.65 auch wieder Strafen für das Fehlverhalten des Volkes Israel in den Blick kommen. Die Auseinandersetzung mit dem Fehlverhalten der Gottlosen oder des eigenen Volkes geht auch den Kapiteln Jes 60–62 voraus (Jes 57–59), wobei vor allem Jes 59 auf die Überwindung der Sünden (חטאת, Jes 59,2) des Volkes durch JHWH hinzielt. Jes 60 entwirft eine heilvolle Zukunftsschau für Zion, die in ihrer Darstellung utopische Züge trägt, angefangen bei den Schätzen der Völker am Meer, die zu Zion kommen werden (כי־יהפך עלחל המון ים חיל גוים יבאו לך, Jes 60,5), über die Kamele, die Zion
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
179
bedecken werden (שפעת גמלים תכסך, Jes 60,6), bis hin zu der Vorstellung, dass Sonne und Mond nicht mehr untergehen werden und JHWH das ewige Licht Zions sein wird (Jes 60,20):235 Jes 60,20
לא־יבוא עוד שמשך וירחך לא יאסף כי יהוה יהיה־לך לאור עולם ושלמו ימי :אבלך
Jes 60,20 Deine Sonne wird nicht mehr untergehen, und dein Mond wird nicht mehr verschwinden, denn JHWH wird für dich werden zum ewigen Licht, und die Tage deiner Trauer werden ein Ende haben.
Jes 61 ist demgegenüber realistischer ausgerichtet. Über den Geistträger heißt es dort, dass der Geist JHWHs auf ihm ist (רוח אדני יהוה עלי, Jes 61,1). Der Geistbesitz wird damit begründet, dass JHWH das in Jes 61 redende Ich gesalbt hat (יען משח יהוה אתי, Jes 61,1). Ansonsten erfahren wir über das redende Ich in Bezug auf seine Eigenschaften oder sein Wesen nichts. Möglicherweise wird sein Wesen noch durch Jes 61,10 illustriert: Jes 61,10
שוש אשיש ביהוה תגל נפשי באלהי כי הלבישני בגדי־ישע מעיל צדקה יעטני :כחתן יכהן פאר וככלה תעדה כליה
Jes 61,10 Freuen, ja freuen will ich mich in JHWH, jubeln soll meine Seele in meinem Gott, denn er hat mich mit den Kleidern des Heils bekleidet, den Mantel der Gerechtigkeit mir umgetan, wie ein Bräutigam nach Priesterart den Kopfschmuck trägt und wie eine Braut sich mit ihrem Geschmeide schmückt.
Allerdings scheint mit Jes 61,10 eher eine sekundäre Ergänzung zu Jes 61,1– 9 vorzuliegen,236 so dass man also für die Frage nach der Eigenart und dem Wesen des Geistträgers auf Jes 61,1 angewiesen bleibt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Salbung ( )משחals eine Begründung für den Geistbesitz angeführt ist. Es wird in der Forschung häufig der Gedanke geäußert, dass hier auf eine königliche Funktion des Geistträgers aus Jes 61 verwiesen werden soll.237 Da der Geistbesitz aber, abgesehen von Saul und David, kein typisches Merkmal des Königtums ist und ohnehin nur bei diesen beiden mit der Salbung verbunden ist, scheint mir dieser Gedanke eher wenig wahrscheinlich zu sein. Der Geistträger aus Jes 61 weist dann im Grunde auch keine weiteren Merkmale eines Königs auf. 235
Zum Aufbau von Jes 56–66 vgl. ZAPFF 2006, 344–345. Vgl. auch HÖFFKEN 1998, 219–220. 237 So auch HÖFFKEN 1998, 219; Zapff 2006, 390; HERMISSON 1996, 22. Zapff sieht bereits in der Tatsache des Geistbesitzes eine königliche Funktion des Geistträgers aus Jes 61 begründet. Vgl. ZAPFF 2006, 390. 236
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
Es ist demgegenüber eher anzunehmen, dass ein Beweis dafür gebraucht wurde, warum das redende Ich in Jes 61,1 nun in besonderer Weise über den Geist JHWHs verfügt, wenn schon in Jes 44,4 und 59,21 der Geistbesitz für alle Nachkommen Israels vorausgesagt wurde. Möglicherweise musste ein Nachweis erbracht werden, warum der Geistträger in Jes 61 schon jetzt über den Geist verfügt. Des Weiteren halte ich es für wahrscheinlich, dass sich der Text in Jes 61 mit einer anderen Gestalt auseinandersetzt, von der im Deuterojesajabuch gesagt wird, dass sie Gesalbter ist, nämlich mit Kyros aus Jes 45.238 Durch den Umstand der Salbung wird hier also weniger ausgedrückt, dass der Geistträger in Jes 61 königliche Züge trägt, sondern er wird vielmehr als ein neuer Hoffnungsträger etabliert.239 Wesentlich ausführlicher als das Wesen und die Eigenschaften des Geistträgers ist dann aber sein Aufgabenbereich dargestellt: Jes 61,1–3
רוח אדני יהוה עלי יען משח יהוה אתי לבשר ענוים שלחני לחבש לנשברי־לב :לקרא לשבוים דרור ולאסורים פקח־קוח לקרא שנת־רצון ליהוה ויום נקם לאלהינו לשום לאבלי ציון לתת להם:לנחם כל־אבלים פאר תחת אפר שמן ששון תחת אבל מעטה תהלה תחת רוח כהה :וקרא להם אילי הצדק מטע יהוה להתפאר
Jes 61,1–3 1 Der Geist des Herrn JHWH ist auf mir, weil JHWH mich gesalbt hat, er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, den Gefangenen Freiheit zuzurufen und den Gefesselten, dass sie frei sein werden. 2 Auszurufen ein Jahr der Gnade JHWHs und einen Tag der Vergeltung unseres Gottes, zu trösten alle Trauernden. 3 Zu schaffen den Trauernden Zions, dass ihnen Schmuck statt Asche gegeben werde, ein Kleid der Freude statt der Klage, ein Mantel des Gebetes statt eines betrübten Geistes, dass sie genannt werden „Terebinthen der Gerechtigkeit“, „Pflanzung JHWHs“, um ihn zu preisen.
Mit Jes 61,3 wird deutlich, an wen sich diese frohe Botschaft richtet, nämlich an die „Trauernden Zions“ ( )לאבלי ציוןund damit an Zion. In Jes 61,4 wird dann des Weiteren deutlich, wohin diese heilvolle Botschaft führt, nämlich zum Wiederaufbau Zions und schließlich zu einer
238 Dass in der Gestalt aus Jes 61 Mose- und David-Traditionen miteinander verbunden sind, wie Labouvie annimmt, kann ich dem Text in Jes 61 nicht entnehmen. Vgl. LABOUVIE 2013, 322. 239 Dass durch die Salbung Hoffnungen, die ursprünglich auf König David lagen, in späterer Zeit auch auf andere Größen, wie beispielsweise das Volk Israel, übertragen werden können, hat Waschke gezeigt. Vgl. WASCHKE 2001, 100; DERS. 2003.
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
181
Wiederherstellung des in den vorausgegangenen Kapiteln (Jes 58) infrage gestellten Verhältnisses zwischen JHWH und seinem Volk.240 Die Wiederherstellung dieses Verhältnisses wird vor allem im Bild des ewigen Bundes, den JHWH mit seinem Volk schließen will, ausgedrückt: Jes 61,8
כי אני יהוה אהב משפט שנא גזל בעולה :ונתתי פעלתם באמת וברית עולם אכרות להם
Jes 61,8 Denn ich, JHWH, liebe das Recht, ich hasse den Raub mitsamt dem Unrecht, und ich werde ihnen den Lohn in Treue geben, und ich werde einen ewigen Bund mit ihnen schließen.
Damit sind die Unterschiede zwischen den beiden Gestalten in Jes 42 und 61 zunächst klar. Im Vergleich zu dem Knecht in Jes 42, für den mit verschiedenen Metaphern sowohl in Vers 1 als auch in Vers 6 seine Verbundenheit mit und sein besonderes Verhältnis zu JHWh entfaltet wird – er ist Knecht ()עבד, er ist auserwählt (בחיר, Jes 42,1), JHWH hat Wohlgefallen an ihm (רצה, Jes 42,1), und er hält ihn bei der Hand und behütet ihn (נצר, Jes 42,6), reicht für den Geistträger in Jes 61,1 die Feststellung, dass er den Geist JHWHs besitzt, weil er von JHWH gesalbt worden ist ()משח, um seine Legitimation zu begründen. Außerdem unterscheiden sich beide in Bezug auf ihren Auftrag. Während der Knecht deutlich zu den Heiden gesandt ist und sein Auftrag, das Recht aufzurichten, eine universale Dimension hat, geht es in Jes 61 um eine Sendung des Geistträgers zu Zion und seinen Bewohnern. Der Auftrag des Geistträgers in Jes 61 ist damit wesentlich eher im Rahmen historischer Umstände zu verstehen, nämlich im weitesten Sinne in der Wiederherstellung Jerusalems nach dem Exil. Der Auftrag des Knechtes aus Jes 42 hat dagegen eine eher offene, auf eine fernere Zukunft bezogene Perspektive. Gleichzeitig gibt es zwischen beiden Texten deutliche Bezugspunkte. Sowohl der Knecht als auch die hinter Jes 61 stehende Gestalt sind im Besitz des Geistes. In Verbindung mit einem heilvollen Auftrag und in Bezug auf eine irgendwie als Individuum zu verstehende Gestalt ist dies innerhalb des Jesajabuches nur noch in Jes 11 der Fall. Darüber hinaus gibt es, wie bereits angedeutet, Stichwortverbindungen zwischen beiden Texten. Am deutlichsten wird dies in der Sendung beider zu den Gefangenen. In Jes 42,7 ist der Knecht dazu gesandt „ להוציא ממסגר אסירum die Gefangenen aus dem Gefängnis herauszuführen“, in Jes 61,1 soll der Geistträger den Gefangenen die Freiheit verkünden ()לקרא לשבוים דרור ולאסורים פקח־קוח. Ein weiterer Bezugspunkt liegt in dem Gedanken vor, dass sowohl der Knecht in Jes 42 als auch der Geistträger in Jes 61 mit dem Gedanken des Bundes ver240
Ähnlich ZAPFF 2006, 390.
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
bunden sind. Der Knecht wird in Jes 42,6 zum Bund für das Volk ()לברית עם, und in Jes 61,8 will JHWH mit seinem Volk einen ewigen Bund schließen ()וררית עולם אכרות להם. Außerdem wird in Jes 42,1 gesagt, dass JHWH Wohlgefallen an seinem Knecht hat ()רצה, und in Jes 61,2 verkündet der Geistträger ein „ שנת־רצוןJahr der Gnade“. Dies ist insofern bedeutsam, als das Verb רצהim Jesajabuch ansonsten nicht begegnet und auch רצוןnur an wenigen Stellen belegt ist (Jes 49,8; 56,7; 58,5; 60,7.10; 61,2). In beiden Texten finden sich außerdem das Wort צדקfür „Gerechtigkeit“ (Jes 42,6; 61,11) und der Terminus ( משפטJes 42,1.3.4; 61,8). Ebenso erscheint, wie bereits dargelegt, sowohl in Jes 42 als auch in Jes 61 der Gedanke der Treue (אמת, Jes 42,3; 61,8), der ansonsten im Jesajabuch ebenfalls nur spärlich belegt ist (Jes 48,1; 59,14.15). Als letzte Stichwortverbindung ist die Verwendung des Verbs „ צמחaufwachsen“ zu nennen, das sich ebenfalls nur an einigen anderen Stellen findet (Jes 43,19; 44,4; 45,8; 55,10; außerdem 49,9 und 61,11). Gleichzeitig muss man sagen, dass Jes 42 auch über Jes 61 hinaus Bezüge in die hinteren Kapitel des Jesajabuches aufweist. So findet sich die Vorstellung, dass das Heil auch für die Heiden wirksam wird, die bereits in Jes 42,1– 4 eine Rolle spielt, vor allem in Jes 60,1–3, 62,2 und 66,18–20. In Jes 60 ist diese Vorstellung vom Heil, an dem auch die Heiden teilhaben, gleichzeitig auch mit der Metapher des Lichtes verbunden, indem es nach den eröffnenden Versen in Jes 60,1.2 heißt: „ והלכו גוים לאורךund die Heiden werden zu deinem Licht gehen“ (Vers 3). In Jes 42 ist die Vorstellung von der Sendung zu den Heiden ebenfalls mit der Metapher des Lichtes verbunden, indem in Jes 42,6 vom Licht der Heiden ( )אור גויםdie Rede ist. Das Verhältnis des Knechtes aus Jes 42 zu dem Geistträger aus Jes 61 ist damit folgendermaßen zu verstehen: Die Autoren von Jes 61 sind am Knechtsgedanken nicht interessiert. Ihnen reicht der Hinweis auf Salbung und Geistbesitz aus, um den Heilsboten und seine heilvolle Botschaft zu legitimieren. Durch den Verweis auf die Salbung, von der vorher nur in Bezug auf Kyros (Jes 45) die Rede war, wird er als ein neuer Hoffnungsträger stilisiert, nachdem die Hoffnungen auf Kyros zu einem Ende gekommen sind. Da der Text in Jes 61 insgesamt wesentlich realistischer auf eine Wiederherstellung Jerusalems ausgerichtet zu sein scheint als das ihm vorausgehende Kapitel Jes 60, kann er möglicherweise ursprünglich enger an die vorausgegangenen Kapitel vor allem aus Jes 49–55 angebunden gewesen sein, als dies auf der Ebene des Endtextes der Fall ist.241 Dies kann aber in der vorliegenden Arbeit nicht näher untersucht werden. Der Knecht aus Jes 42 wiederum scheint in einigen Aspekten vor allem in seiner Beauftragung, sich den Gefangenen zuzuwenden (Jes 42,7), oder in 241
Höffken nimmt dies für den gesamten Teil Jes 60–62 an. Vgl. HÖFFKEN 1998, 211. Auch Zapff sieht den Grundbestand der „tr-jes. Sammlung“ in Jes 60–62*. Vgl. ZAPFF 2006, 346.
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
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seiner Rückbindung an das eigene Volk durch den Gedanken des Bundes (Jes 42,6) nachträglich an den Geistträger aus Jes 61 angeglichen worden zu sein.242 Insgesamt ist der Knecht aus Jes 42,1–4.5–9 in seinem Auftrag aber auch mit Jes 59,21–60,22 verbunden. Diese Verbindung wird vor allem durch den Eintrag von der Metapher vom Licht der Heiden ( )אור גויםhergestellt (Jes 42,6), die sich deutlich auf Jes 60,2 und den zuvor in Jes 59,21 geäußerten Gedanken des Bundes zu beziehen scheint. Sollte man die Texte zueinander in ein chronologisches Verhältnis bringen, so scheint es so zu sein, dass in Jes 61 ein „prophetisches Ich“,243 das sich an den Propheten Jesaja anlehnt und sich mit Kyros als dem zuvor erwähnten Hoffnungsträger des Deuterojesajabuches aueinandersetzt, mit einer heilvollen Botschaft für Jerusalem das Jesajabuch zu einem ersten Abschluss bringt. Der Knecht in Jes 42 dient als eine Verbindung des auf Jakob/Israel bezogenen ersten Teils des Deuterojesajabuches in Jes 40–48 mit dem zweiten Teil in Jes 49–55, in dem der Knecht der Lieder eine größere Rolle spielt. Durch die Ausrichtung auf die Heiden hat Jes 42,1–4 wohl schon immer über diesen Teil hinausgegriffen und eine Verbindung auch zu den hinteren Kapiteln des Jesajabuches hergestellt. Durch die Ergänzung von Jes 42,5–9 ist auf jeden Fall eine Verbindung zu dem in Jes 61 redenden prophetischen Ich in Jes 42 sekundär in den Text eingetragen bzw. seine ohnehin schon vorhandene Beziehung zu den Kapiteln 60–62 des Jesajabuches noch vertieft worden, so dass der Knecht in Jes 42,1–4.5–9 auf der Ebene des Endtextes wohl als eine prophetische Idealgestalt interpretiert werden muss, obwohl in seinem unmittelbaren Nahkontext nur von Jakob/Israel als dem Knecht die Rede ist. Nimmt man nun Jes 11 als dritten Text in diese Vergleichsreihe von Texten hinzu, in denen imdes Jesajabuch von einem irgendwie als Individuum zu verstehenden, das Heil bringenden oder verkündenden Geistträger die Rede ist, so stellt man, wie bereits oben in Kapitel 3.1.6 dargestellt, fest, dass der Geistträger aus Jes 11 Bezüge zu Jes 42, aber auch zu Jes 61 aufweist. Er ist zu den Armen ( )ענויםgesandt (Jes 11,4), wie auch der Geistträger aus Jes 61,1. Auch für ihn spielt die Metapher des „Mit-Gerechtigkeit-bekleidetSeins“ eine Rolle (Jes 11,5; 61,10), ebenso wie das Bild vom Aufsprossen (Jes 11,1; 61,10). Verbindungen bestehen auch über die Verwendung des Wortes צדקfür „Gerechtigkeit“ (Jes 11,4; 61,3.4; 42,6) sowie über den Gedanken der Treue (mit אמתin Jes 42,4 und in Jes 61,8; mit אמונהin Jes 11,5). Während unter allen drei Texten der Geistträger in Jes 61 am ehesten als eine prophetische Gestalt zu verstehen ist,244 die die Botschaft des Jesajabuches zu einem heilvollen Abschluss bringt, sind Jes 42 und 11 beide in den 242 Gegen Hermisson, der die Beziehungen zwischen Jes 42 und 61 in umgekehrter Reihenfolge sieht. Vgl. HERMISSON 1996, 22. 243 Vgl. auch ZAPFF 2006, 389. 244 So auch HÖFFKEN 1998, 218; ZAPFF 2006, 390.
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3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
Gedanken eingebettet, dass die in diesen Texten präsentierten Gestalten auch als Kollektiv verstanden werden können, der Knecht in Jes 42 aufgrund seines Kontextes als Jakob/Israel, der Geistträger in Jes 11 aufgrund der späteren Fortschreibungen als Zion. Es ist hiermit der Verdacht erhärtet, dass Jes 11, mindestens auf der Ebene des Endtextes, sowohl Jes 42 als auch Jes 61 bereits voraussetzt.245 Auf jeden Fall zeigt sich in allen Texten ein Bestreben, die im Jesajabuch präsentierten Geistträger auf der Ebene des Endtextes miteinander zu verbinden. 3.2.6 Gottes Geist in Jes 59,21 Jes 59 gehört zu einer literarischen Schicht innerhalb des Jesajabuches, die sowohl von U. Berges als auch von B. Zapff als „Umkehrredaktion“ bezeichnet wird246 und die im Vorlauf zu den heilsorientierten Kapiteln Jes 60–62 zur „Umkehr als Voraussetzung künftiger Heilsteilhabe“247 anleiten. In Jes 59,21 begegnet Gottes רוחinnerhalb einer JHWH-Rede, in der JHWH seinen Bund ( )בריתmit einer innerhalb des Verses nicht näher bestimmten Größe beschreibt. Es ist allerdings anzunehmen, dass mit אותםdiejenigen im vorausgegangenen Vers 20 Erwähnten aus Jakob gemeint sind, die sich von der Sünde fernhalten. Dort heißt es: ובא לציון גואל ולשבי פשע ביעקב „ נאם־יהוהUnd er kommt für Zion als Erlöser, und für diejenigen, die von der Sünde zurückweichen in Jakob, Spruch JHWHs“. Mit Jes 59,21 endet ein Kapitel, in dem es um die Schuld und die Verstöße Israels gegen JHWH und sein Recht (משפט, Jes 59,9.14.15) geht. Da es keinen Mittler zwischen JHWH und seinem Volk gibt, der die Verhältnisse wieder zurechtrücken könnte, tritt am Ende JHWH selbst auf den Plan (Jes 59,16–19). In Jes 59,20 werden dann diejenigen benannt, die von dem richtenden Eingreifen JHWHs ausgenommen sind. An diejenigen ist offenkundig auch der Bund in Jes 59,21 gerichtet, wobei anzunehmen ist, dass es sich bei Jes 59,21 um eine sekundäre Ergänzung handelt,248 die eine Verbindung herstellt zu Jes 44,1–4 und die die Zuwendung JHWHs zu den Frommen, ihren Kindern und Kindeskindern bis in Ewigkeit entgrenzt ()מעתה ועד־עולם. In Anbetracht der Tatsache, dass es bereits in Jes 44,1–4 um die Gabe des Geistes für die Kinder Jakob/Israels ging („ אצק רוחי על־זרעךich will meinen Geist auf deine Nachkommen gießen“, Jes 44,3) und dieser Text zur Grundschicht des Deuterojesajabuches in Jes 40–48 gehört, ist es offenkundig, dass Jes 59,21 sich auf diesen Gedanken zurückbezieht. 245 Zapff plädiert bei allen drei Texten für eine Abhängigkeit in anderer Richtung, also für eine Beeinflussung von Jes 61 sowohl durch Jes 42 als auch durch Jes 11. Vgl. ZAPFF 2006, 390. 246 Ebd., 374; BERGES 1998, 414–509. 247 ZAPFF 2006, 374. 248 So auch HÖFFKEN 1998, 209. Ebenso ZAPFF 2006, 381.
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
185
In Jes 59,21 findet nun einerseits eine Einschränkung der Gabe der רוח statt, da sich der Bund nur auf diejenigen in Jakob bezieht, die von der Sünde Abstand nehmen (Jes 59,20), gleichzeitig geht er aber über den in Jes 44,1–4 intendierten zeitlichen Horizont hinaus. Während es dort um eine Gabe des Geistes für die unmittelbaren Nachkommen Jakob/Israels ging, wird in Jes 59,21 stärker betont, dass der Bund und die Gabe des Geistes auch über alle Generationen hinweg bis in Ewigkeit Gültigkeit haben. Die Gabe des Geistes ist hier außerdem mit dem Gedanken verbunden, dass JHWH sein Wort ( )דברin den Mund der Nachkommen der Frommen aus Jakob/Israel gelegt habe und dass dieses Wort nicht weichen soll: Jes 59,21
ודברי אשר־שמתי בפיך לא־ימושו מפיך ומפי זרעך ומפי זרע זרעך אמר יהוה מעתה :ועד־עולם
Jes 59,21 Und meine Worte, die ich in deinen Mund gelegt habe, sollen aus deinem Mund nicht weichen, noch aus dem Mund deiner Nachkommen, noch aus dem Mund der Nachkommen deiner Nachkommen, spricht JHWH, von nun an bis in Ewigkeit.
Das Wort JHWHs spielt im Alten Testament insgesamt eine große Rolle, besonders auch in prophetischer Literatur. Grundsätzlich ist mit dem Wort JHWHs die Vermittlung und Übermittlung von JHWHs Willen verbunden.249 Vor allem im Jesajabuch entwickelt sich das Wort JHWHs zu einer Größe, die in ihrer Wirksamkeit eine gewisse Eigenständigkeit entwickeln kann.250 Dies wird vor allem in Jes 9,7 deutlich, wo es heißt: דבר שלח אדני ביעקב ונפל „ בישראלDer Herr hat ein Wort gesandt nach Jakob, und es ist auf Israel niedergefallen“. Im Deuterojesajabuch findet sich ein ähnlicher Aspekt vor allem in Jes 55,11: Jes 55,11
כן יהיה דברי אשר יצא מפי לא־ישוב אלי ריקם כי אם־עשה את־אשר חפצתי והצליח אשר :שלחתיו
Jes 55,11 So soll auch das Wort sein, das aus meinem Mund kommt, es wird nicht leer zu mir zurückkommen, sondern es wird tun, was mir gefällt, und es wird ihm gelingen, wozu ich es sende.
Dass das Wort JHWHs eine besondere Bedeutung hat, zeigt sich auch im Prolog zum Deuterojesajabuch in Jes 40,8, wo betont wird, dass das Wort JHWHs ewig Bestand haben wird ()ודבר־אלהינו יקום לעולם.
249 250
Vgl. GERLEMAN 1971, bes. 439–440. Vgl. ebd., 441.
186
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
Worum es bei diesem Wort JHWHs inhaltlich geht, macht Jes 45,23 deutlich: „ בי נשבעתי יצא מפי צדקה דבר ולא ישובIch habe bei mir selbst geschworen, Gerechtigkeit ist aus meinem Mund hervorgegangen, ein Wort, das nicht zurückkehrt“. JHWHs Wort ist also mit Gerechtigkeit verbunden bzw. sogar gleichzusetzen. Wenn dieses Wort Jes 59,21 zufolge nun in den Mund der Frommen in Jakob/Israel gelegt ist, so bedeutet dies, dass sie sich über Generationen hinweg bis in Ewigkeit für JHWHs Gerechtigkeit einsetzen werden. Die רוח dient in diesem Zusammenhang als Aufweis dafür, dass das in den Mund gelegte Wort tatsächlich auch in der von JHWH intendierten Weise zum Ausdruck gebracht werden wird. Ein weiteres Mal sind hier also theologische Vorstellungen, die JHWHs Mitsein mit seinem Volk bzw. mit den Frommen zum Ausdruck bringen, miteinander verbunden. In Jes 44,1–4 waren dies Gottes רוחund sein Segen, hier sind es רוחund JHWHs Wort. 3.2.7 Jes 63 a) Literarkritische Analyse Innerhalb von Jes 63 finden sich drei weitere Belege für Gottes ( רוחVers 10.11.14). Sie finden sich in dem Abschnitt Jes 63,7–64,11, der in der Forschung als eine einheitliche, eigenständige, literarische Größe wahrgenommen wird,251 deren Position innerhalb des Jesajabuches aber umstritten ist. So wird der Text beispielsweise von I. Fischer als ein eigenständiges Klagelied beschrieben, das nachträglich in das Jesajabuch eingetragen worden sei.252 O. H. Steck und U. Berges hingegen rechnen den Text Jes 63,7–64,11 einer der Redaktionsschichten des Jesajabuches zu.253 In Anbetracht des eigenständigen theologischen Profils des Textes Jes 63,7–64,11, der sich deutlich von der Heilsbotschaft in Jes 60–62 abgrenzt, sich aber gleichzeitig von Jes 65 klar unterscheidet, indem er die dort formulierte Kultkritik nicht zu kennen scheint, ist es jedoch am wahrscheinlichsten, dass in Jes 63,7–64,11 eine eigenständige, sekundäre Ergänzung vorliegt, die nicht einer bestimmten Redaktionsschicht innerhalb des Jesajabuches zuzurechnen ist.254 Aufgrund der schriftgelehrten Anspielungen, die Jes 63,7–64,11 aufweist, ist eher nicht mit einer ursprünglich eigenständigen Existenz zu rechnen.255
251
Vgl. I. FISCHER 1989, 29; LAU 1994, 315. Vgl. I. FISCHER 1989, 283; LAU 1994, 315. Anders Koenen, der der Auffassung ist, dass Jes 63,1–7 für den literarischen Kontext geschaffen wurde. Vgl. KOENEN 1990, 83. 253 Vgl. BERGES 1998, 485–497; STECK 1991, 238. 254 So GOLDENSTEIN 2001, 250–251. In eine ähnliche Richtung argumentierte auch bereits EMMENDÖRFFER 1998, 261–289. 255 So auch ZAPFF 2006, 405. 252
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
187
Mit Jes 63,7–64,11 liegt somit ein Text vor, der als eigenständige, sekundäre Ergänzung für seinen jetzigen Ort geschrieben wurde und der zu einer bestimmten Zeit den Schluss des Jesajabuches gebildet haben kann.256 b) Der heilige Geist in Jes 63 Der Text insgesamt weist in literarischer Hinsicht Merkmale einer Klage auf und sucht offensichtlich den Grund für die Verzögerung des in Jes 60–62 beschriebenen Heils. Die Geistbelege gehören in den Abschnitt Jes 63,8–14, in dem ein Rückblick auf die Geschichte JHWHs mit seinem Volk vorliegt. In Jes 63,10 heißt es: Jes 63,10
והמה מרו ועצבו את־רוח קדשו :ויהפך להם אויב הוא נלחם־בם
Jes 63,10 Sie aber, sie sind widerspenstig gewesen und haben seinen heiligen Geist betrübt. Da verwandelte er sich für sie in einen Feind und kämpfte gegen sie.
Mit dem Verb מרהwird an den Ungehorsam des Volkes während der Wüstenwanderung erinnert (Num 20,10.24; 27,14, in diesem Sinne ebenfalls in Ps 78,17.40).257 Auch die folgenden Verse Jes 63,11.12 bleiben mit der Erwähnung von Mose und seinem starken Arm bei dem Bild der Wüstenwanderung. Mose wird hier zum Helden der Frühzeit stilisiert, die Ereignisse der Wüstenwanderung selbst illustrieren JHWHs heilvolles Handeln in der Geschichte. Jes 63,11 greift offensichtlich die Geistbegabung der Ältesten aus Num 11 auf: Jes 63,11
ויזכר ימי־עולם משה עמו איה המעלם מים את רעי צאנו :איה השם בקרבו את־רוח קדשו
Jes 63,11 Da erinnerte man sich an die lange vergangenen Tage, an Mose und an sein Volk. „Wo ist der, der den Hirten seiner Herde aus dem Meer heraufführte, wo ist der, der seinen heiligen Geist in sie gab?“
Jes 63,10 spielt wahrscheinlich durch die Verwendung des Verbs „ עצבbetrüben“ und durch dessen Ähnlichkeit mit dem Nomen עצבfür „Götzenbild“ auf den Abfall Israels von JHWH und auf mögliche Fremdgötterverehrung an. רוחerscheint in Jes 63,11 als Weseneigenschaft JHWHs, dort ist sie das Gott und Mensch verbindende Element. In beiden Fällen geht es aber vorrangig um den Bezug zur Geschichte Israels mit seinem Volk und nicht um Verbindungen zu den übrigen Geisttexten des Jesajabuches. Dass der Geist 256 257
Vgl. ebd., 405. Vgl. auch ebd., 408.
188
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
hier als „heiliger Geist“ bzw. „Geist seiner Heiligkeit“ qualifiziert ist, zeigt einen ähnlichen Sprachgebrauch, wie er sich auch in Ps 51,13 findet.258 Es geht mit der Zuweisung der רוחzur Heiligkeit ( )קדשdarum, die רוחdeutlich als eine Eigenschaft und eine zu Gott gehörende Größe auszuweisen. Da die Vorstellung, dass JHWH seinen Geist auch vielen Menschen dauerhaft gibt, wie sie auch im Jesajabuch beispielsweise in Jes 44,1–4 anklingt, bereits verbreitet war, muss die göttliche Herkunft dieses Geistes stärker betont werden. Dass dies hier in Jes 63,10.11 geschieht, weist den Text in Jes 63,7– 64,11 als einen sehr späten Text innerhalb des Jesajabuches aus und die darin vorkommenden Belege für רוחals den Endpunkt, den die Entwicklung vom Reden und Nachdenken über den Geist Gottes im Jesajabuch nimmt. 3.2.8 Zusammenfassung: Gottes Geist im Deuterojesajabuch Wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, findet sich Gottes רוחim Deuterojesajabuch innerhalb verschiedener für dieses Buch zentraler Texte. So begegnet רוחin einem der Prologe, die den Kapiteln Jes 40–55 vorangestellt sind, nämlich in Jes 40,12–31 und dort in Vers 13. In diesem Prolog gehört Gottes רוחgleichzeitig in den Zusammenhang von Unvergleichlichkeitsaussagen JHWHs. Daneben findet Gottes Geist sich in einem der im Deuterojesajabuch vorliegenden Heilsorakel in Jes 44,1–4 und in einem der Gottesknechtslieder, in Jes 42,1–4.5–9. Darüber hinaus erscheint רוחin Jes 59,21 und 61,1 sowie in 63,11.12.14. Der Geist Gottes gehört damit vor allem in den ersten Teil des Deuterojesajabuches, in die Kapitel 40–48, die auf den Knecht Jakob/Israel bezogen sind und in denen sich die ältesten Texte des Deuterojesajabuches finden. Zu diesen ältesten Texten, also zur Grundschicht des Deuterojesajabuches und damit in das 6. Jahrhundert v. Chr., gehört das Heilsorakel in Jes 44,1–4. In diesem Heilsorakel wird die heilvolle Zuwendung JHWHs zu Jakob/ Israel auch über die bestehende Gegenwart hinaus zum Ausdruck gebracht. Jes 59,21 und 48,16 greifen den hier formulierten Gedanken wieder auf. Jes 59,21 schränkt ihn einerseits ein, indem die Gabe des Geistes nur noch für den Frommen aus Jakob/Israel verheißen wird, bietet dann für diese Frommen aber noch eine weitreichendere Zukunftsperspektive, als dies in Jes 44,1–4 der Fall ist. In Jes 40,13 findet sich im Rahmen des Prologes, der der erweiterten Grundschicht in Jes 40–48 noch vor dem Ende des Exils vorangestellt wurde, eine Profilierung der Vorstellung von Gottes רוח, die sich bis dahin im Alten Testament nicht findet. Gottes רוחwird hier als eine Größe beschrieben, die einerseits die Schöpfung durchwalten kann, indem sie sich ähnlich wie die Spanne des Himmels nicht ermessen lässt, die aber andererseits durch die 258
Vgl. auch ebd., 409.
3.2 Gottes Geist im Deuterojesajabuch
189
Verbindung des Gedankens des Ratschlusses auf den Menschen bezogen ist. Gottes Geist ist also einerseits unverfügbar, andererseits ist es der Geist, der Gott und Mensch verbindet und dem Menschen im Zweifelsfall auch richtige Einsicht bringt. Dass diese Vorstellung von Gottes Geist hier derart entfaltet wird, hängt damit zusammen, dass in der Situation des Exils nach neuen Möglichkeiten gefragt wird, um Gottes heilvolles Mitsein mit den Menschen zum Ausdruck zu bringen. Das Jesajabuch erprobt hier mehrere Möglichkeiten: den Gedanken der Knechtschaft in Jes 40–48, den der Erwählung (Jes 41,8.9; 44,1–4), die Vorstellung der Schöpfung durch JHWH, das Wort JHWHs (Jes 59,21) und die Vorstellung der Salbung (Jes 45,1; 61,1). Der Geist Gottes begegnet innerhalb all dieser Versuche, Konzeptionen zu entwickeln, durch die Gott und Mensch miteinander in Verbindung gebracht werden können, und muss letztlich wohl als die tragfähigste Konzeption hierfür verstanden werden. Gleichzeitig finden sich im Deuterojesajabuch verschiedene Modelle, wie JHWHs Heil unter den Menschen angesagt und aufgerichtet werden kann. So begegnet innerhalb der Grundschicht des Buches zunächst Kyros als Hoffnungsträger (Jes 45). In Jes 61 ruhen die Hoffnungen auf die Verkündigung und Durchsetzung des Heils auf dem hinter diesem Kapitel stehenden Geistträger, der weniger als historische Person denn als literarische Gestalt zu verstehen ist und wahrscheinlich für die hinter Jes 60–62 stehenden Frommen steht. In Auseinandersetzung mit Jes 61 wird schließlich der in den Liedern in Jes 49,1–6, 50,4–9 und 52,13–53,12 bereits erwähnte Knecht durch die Voranschaltung in Jes 42,1–4.5–9 zu einer idealen, das Heil auch für die Heiden aufrichtenden Gestalt. Durch die Gabe des Geistes an die Nachfahren Jakob/Israels als Zeichen der heilvollen Zuwendung JHWHs zu seinem Volk auch über die bestehende Gegenwart hinaus, wie sie in Jes 44,1–4 zum Ausdruck kommt und wie sie in Jes 59,21 wieder aufgegriffen wird, messen sich alle für die Zukunft verheißenen Heilsboten daran, ob sie an dieser heilvollen Zuwendung JHWHs zu den ihn am Herzen liegenden Menschen Anteil haben. Insofern ist evident, dass sowohl der Knecht in Jes 42,1–4.5–9 als ein Paradigma des für eine gute Ordnung unter dem Stichwort משפטeintretenden Boten den Geist besitzen muss wie auch das hinter Jes 61 aufscheinende prophetische Ich. Auch wenn die Gestalten in den genannten Texten Jes 42, 11 und 61 individuelle Züge haben, ist der Geistbesitz innerhalb des Deuterojesajabuches schon längst eine Gabe, die vielen verheißen sein kann und nicht nur spontan von einzelnen Personen Besitz ergreift. Da sich der Gedanke, dass JHWH sich seinem Volk durch seinen Geist dauerhaft und über Generationen hinweg zuwendet, in Jes 44,1–4 bereits innerhalb der Grundschicht des Deuterojesajabuches findet, liegt im Jesajabuch möglicherweise das erste Mal der Gedanke einer Geistbegabung vieler vor.
190
3. Kapitel: Gottes Geist im Jesajabuch
Dass sich die Vorstellung von Gottes Geist in der oben beschriebenen Weise im Jesajabuch profiliert, ist im Zusammenhang mit der Tatsache zu verstehen, dass sich auch andere theologische Bereiche in dieser Zeit profilieren, wie der Monotheismus und der Schöpfungsgedanke. Möglicherweise liegt in diesen beiden Themenbereichen auch ein verstärktes Interesse an Gottes Geist begründet. Wenn JHWH als der einzige Gott bereits zu Anfang seine Schöpfung perfekt eingerichtet hat, bleibt die Frage, wie er als der Einzige in seiner Schöpfung weiterhin gegenwärtig und wirksam sein kann. Hier bietet der Geist Gottes eine Möglichkeit, um JHWHs heilvolle Gegenwart in seiner Schöpfung, und zwar in seiner Schöpfung in vollem Umfang, auszudrücken. Indem die Vorstellung von Gottes Geist so ausgedehnt wird und über die punktuelle Verbindung zwischen JHWH und Mensch deutlich hinausgeht, bietet sie auch Raum für die Vorstellung, dass JHWH durch seinen Geist mit den Menschen eines gesamten Volkes über Generationen hinweg dauerhaft verbunden sein kann. Die Texte Jes 63,11.12.14 markieren den Schlusspunkt des Nachdenkens über den Geist Gottes im Jesajabuch. Nachdem der Geist Gottes zuvor immer stärker zu einer Größe geworden ist, die Gott und Mensch miteinander verbindet, muss in Jes 63 wieder deutlicher die göttliche Herkunft und auch Unverfügbarkeit von Gottes Geist betont werden, indem hier auf seine Heiligkeit ( )קדשוhingewiesen wird. Für das Jesajabuch insgesamt muss man auch im Lichte der Exegese der Geisttexte des Deuterojesajabuches sagen, dass die Vorstellung von Gottes Geist im Jesajabuch überhaupt wahrscheinlich vor allem ausgehend vom Deuterojesajabuch beeinflusst ist.
4. Kapitel
Gottes Geist im Ezechielbuch 4.1 Einführung 4.1 Einführung
Bevor im Folgenden die Bedeutung von רוחim Ezechielbuch in den Blick genommen wird, soll noch kurz auf die Frage nach der Entstehung und Verortung des Buches eingegangen werden. Das Ezechielbuch sticht aus allen anderen Prophetenschriften des Alten Testaments durch seinen besonderen Stil hervor. In seinem in vier Abschnitte gegliederten Aufbau (Ez 1–24: Gerichtsworte gegen das eigene Volk und gegen Jerusalem; Ez 25–32: Gerichtsworte gegen Fremdvölker; Ez 33–39: Verheißungen für das eigene Volk; Ez 40–48: der neue Tempel im neuen Land), der sich entweder im Sinne eines „Zwei-Phasen-Schemas“ aus Unheils- und Heilsverkündigung1 oder im Sinne eines dreigliedrigen Schemas (Gerichtsworte gegen das eigene Volk/Gerichtsworte gegen Fremdvölker/Heilsankündigungen an das eigene Volk) verstehen lässt,2 ähnelt es anderen Prophetenbüchern wie beispielsweise Protojesaja oder Zefanja. Zugleich weist es aber stilistische Merkmale auf, die im Kontext der Prophetenschriften des Alten Testaments einzigartig sind. So ist es ein nahezu lückenloser Ich-Bericht (mit Ausnahme von Ez 1,3 und 24,24), der dennoch gleichzeitig eine fast durchgängige JHWH-Rede bietet. Dieser Ich-Bericht ist durch 14 Datierungen strukturiert (Ez 1,1.2; 8,1; 20,1; 24,1; 26,1; 29,1.17; 30,20; 31,1; 32,1.17; 33,21; 40,1).3 Vor allem durch diese Stilisierung als Ich-Bericht4 und durch das System der Datierungen erhält das Ezechielbuch den Charakter einer Prophetenbiographie,5 und es entsteht der Eindruck einer einheitlichen Komposition. Dieser Eindruck der Einheitlichkeit wird durch weitere stilistische Besonderheiten des Ezechielbuches zusätzlich verstärkt. So ist seine Sprache durch zahlreiche feste Formeln geprägt, und das Buch insgesamt zeichnet sich durch bestimmte Textsorten, insbesondere durch die Visionsberichte in Ez 1–3, 8–11, 33,7–9, 37,1–14 und 40–48 aus. Darüber hinaus gibt es kom1
So FUHS 1984, 7. So SEDLMEIER 2002, 49. Ebenfalls POHLMANN 1996, 20. 3 Zu den chronologischen Systemen des Ezechielbuches vgl. KUTSCH 1985. Außerdem FREEDY/REDFORD 1970. 4 Vgl. dazu SEDLMEIER 2002, 44. 5 Vgl. SCHÖPFLIN 2002. 2
192
4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
positorische Elemente, die die einzelnen Teile des Buches miteinander verbinden und zu dem Eindruck inhaltlicher Geschlossenheit beitragen. So ist Ez 33,21–22 als ein Wendepunkt innerhalb des Ezechielbuches gestaltet, der die Verkündigung des Propheten in zwei Phasen unterteilt, nämlich in die der Unheilsverkündigung vor und die der Heilsverkündigung nach dem Fall der Stadt Jerusalem. Diese beiden Phasen in der Verkündigung des Propheten sind dann wiederum durch sich entsprechende Texte miteinander verbunden.6 So macht die Berufungsvision in Ez 1–3 Ezechiel zum Gerichtspropheten für ganz Israel, während Ez 33,1–20 ihn zum Wächterpropheten für die Gola stilisiert. Ebenso entsprechen sich die Tempelvision in Ez 8–11 sowie die Vision des neuen Tempels in Ez 40–48, und auch einzelne Gerichtsworte sind einander zugeordnet, wie beispielsweise das Gerichtswort vom „Tag JHWHs“ in Ez 7 und die Prophetie vom Gerichtstag über Gog und Magog in Ez 38–39. Aufgrund dieser Stilisierung des Ezechielbuches zu einer Biographie des Propheten7 und aufgrund des Eindrucks der inneren Geschlossenheit wurde das Ezechielbuch für literarisch einheitlich gehalten,8 bzw. die Exegese des Buches ist ausschließlich am Endtext orientiert.9 Gleichwohl gibt es auch innerhalb des Ezechielbuches zahlreiche Hinweise auf ein diachrones Wachstum dieser Prophetenschrift. So ist der Unheilsteil durch kleinere Einheiten geprägt, der Heilsteil durch größere. Daneben wird die Trennung von Unheils- und Heilsverkündigung nicht immer durchgehalten. So gibt es Heilsverkündigung auch in Ez 1–24 (11,14–21; 16,59–63) und Gerichtsankündigung auch in Ez 33–48 (Ez 38–39). Besonders die Fremdvölkerverkündigung in Ez 25–32 weist eigene Merkmale auf, was vor allem durch ein eigenes System der Datierung zum Ausdruck kommt.10 Hinzu 6
Vgl. SEDLMEIER 2002, 50–51. Der Begriff der „Biographie“ des Propheten wurde maßgeblich von Schöpflin für das Ezechielbuch fruchtbar gemacht. Schöpflin hat die autobiographische Stilisierung des Ezechielbuches dargestellt. Vgl. SCHÖPFLIN 2002, 343–358. Konkel kritisiert an diesem Ansatz, dass die Person des Propheten, anders als in Biographien üblich, eher in den Hintergrund rückt. KONKEL 2010 (II). 8 So Smend sen. Vgl. SMEND 1880. 9 GREENBERG 2001. Dem Ansatz Greenbergs folgen die Kommentare von VAWTER/ HOPPE 1991 und BLOCK 1997. 10 Das System der Datierung, das sich nicht in den Fremdvölkersprüchen findet (Ez 1,1.2; 8,1; 20,1; 24,1; 33,21; 40,1), folgt einer strengen chronologischen Abfolge, ist auf die erste Wegführung aus Jerusalem nach Babel im Jahr 598 v. Chr. geeicht und möglicherweise mit dem Lebensalter Ezechiels verbunden. Es werden innerhalb dieses chronologischen Systems allerdings keine stereotypen Formulierungen für die Datierungen verwendet. Dies wiederum ist allerdings innerhalb des chronologischen Systems, das in den Fremdvölkersprüchen vorliegt (Ez 26,1; 29,1.17; 30,20; 31,1; 32,1.17), der Fall. Allerdings wird hier die strenge chronologische Reihenfolge unterbrochen. Die Datierungen scheinen hier eher auf Ereignisse, die mit den adressierten Fremdvölkern verbunden sind, bezogen zu sein. Vgl. GREENBERG 2001, 24–25. 7
4.1 Einführung
193
kommt, dass einzelne Themen, wie beispielsweise die Berufung Ezechiels zum Wächterpropheten aus Ez 33,1–20, die sich zusammengefasst in Ez 3,16b–21 findet, sekundär offensichtlich nach vorne verschoben wurden. Wegweisend für die diachrone Auslegung des Ezechielbuches war W. Zimmerli, der die Entstehung des Ezechielbuches im Wesentlichen auf Fortschreibungen einzelner Prophetenworte zurückführte.11 Die Komposition des Buches als Ganzes führte Zimmerli auf das Wirken einer Ezechielschule zurück. Den Analysen Zimmerlis folgt weitgehend auch der Kommentar von H. F. Fuhs.12 Die neuere Forschung zum Ezechielbuch hat über das Phänomen der Fortschreibung hinaus auch stärker buchübergreifende Redaktionsschichten in den Blick genommen, wie z.B. K.-F. Pohlmann sie in seinem Ezechielkommentar für das gesamte Buch nachzeichnet.13 Er versteht das Ezechielbuch als Ergebnis mehrerer buchübergreifender Redaktionen. Die älteste, bereits als Buch struktuierte Sammlung sieht Pohlmann in den Kapiteln *4–7, *12,21ff, *14, *17–19/31, *15, *21, *36,11–14, *31,1–15 und bezeichnet sie als „vorgolaorientiertes Buch“.14 Die ältesten Einzeltexte findet Pohlmann in Ez *19/*31, in zwei Gedichten also, die über den Fall Jerusalems klagen.15 Durch eine golaorientierte Redaktion sei dieses „vorgolaorientierte Buch“ zu einem Sprachrohr der Gola geworden. Diese Redaktion habe den Gedanken in die Texte eingetragen, dass alle im Land Verbliebenen verworfen seien (Ez 14,21–31). Zu dieser Redaktion gehören auch die Heilstexte in Ez *33– 39.40–48 sowie die Visionen in Ez *1–3, *8–11, *37 und *40–48.16 Diese Bezogenheit auf die Gola wurde in weiteren Bearbeitungsschüben auf eine Orientierung auf die Diaspora überhaupt ausgeweitet (Ez *20; 36,16–23; 37,*15–28).17 Die Visionen haben Pohlmann zufolge eine protoapokalyptische Bearbeitung erfahren, durch die sie Texten der späteren Apokalyptik angeglichen wurden (unter anderem Ez 37,7a.8a–10b).18 Neben dieser buchübergreifenden kompositionsgeschichtlichen Analyse Pohlmanns gibt es weitere Arbeiten, die vor allem die Entstehung einzelner Bereiche des Ezechielbuches stärker in den Blick nehmen, wie beispielsweise die Arbeit A. Kleins zu Ez 34–3919 oder die Arbeit T. Rudnigs zu Ez 40–48.20
11
ZIMMERLI 1979, 104–115. FUHS 1984, 9–11; DERS. 1988. 13 Vgl. POHLMANN 1996, 27–39; DERS., 2001. 14 POHLMANN 1996, 34–36. 15 Ebd., 36–39. 16 ebd., 27–33. 17 Ebd., 31. 18 Vgl. ebd., 34. 19 A. KLEIN 2008. 20 RUDNIG 2000. 12
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4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
Zwischen den ausschließlich redaktionskritischen Arbeiten und der Endtextanalyse M. Greenbergs beschreiten einzelne Exegeten, wie beispielsweise F. Sedlmeier, einen Mittelweg, indem sie zwar Spuren eines diachronen Wachstums des Ezechielbuches nachzuzeichnen versuchen, anschließend aber zur Gestaltung des Endtextes zurückkehren.21 Die vorliegende Untersuchung zur Verwendung von רוחim Ezechielbuch kann unmöglich einen eigenen Entwurf zur Entstehung des gesamten Buches vorlegen. Gleichzeitig lassen die vorliegenden Entwürfe zu viele Fragen offen, als dass ihnen jeweils im Einzelnen gefolgt werden könnte.22 So ist beispielsweise die Frage nicht ausreichend geklärt, warum ein Prophetenbuch, das eine gola- bzw. eine diasporaorientierte Ausrichtung erfahren hat, gleichzeitig aber ein ausgesprochen starkes und detailliertes Interesse an den Geschehnissen in Jerusalem hat, Rückkehrhoffnungen aus der Gola kaum thematisiert. Insofern können die zu untersuchenden Texte nur in ihrem unmittelbaren Nahkontext ausgelegt und dargestellt werden und allenfalls in eine relative Chronologie zu anderen Texten des Ezechielbuches gebracht werden.
4.2 Gottes Geist im Ezechielbuch. Ein Überblick 4.2 Gottes Geist im Ezechielbuch. Ein Überblick
Im Ezechielbuch ist in einer Vielzahl von Texten von Geist23 ( )רוחdie Rede, so oft wie in keinem anderen Prophetenbuch (Ez 1,12.20.21; 2,2; 3,13.14.24; 8,3; 10,17; 11,1.5.19.24; 13,3; 18,31; 36,26.27; 37,1.5.6.8.9.10.14; 39,29; 43,5). Ein großer Teil der Belege für רוחfindet sich dabei in den Visionstexten in Ez 1–3, 8–11, 37 und 43,1–9. Eine weitere Gruppe von Belegen für רוחfindet sich in den Texten, die sich mit der Frage nach einem neuen Geist ( )רוח חדשהbzw. nach einem neuen Herzen ()לב חדש24 beschäftigen (Ez 11; 18; 36). Besonders häufig ist von רוחaußerdem in der Vision über die Wiederbelebung der Totengebeine in Ez 37 die Rede. Hinter dieser Vielzahl von Belegen für die רוחstehen verschiedene Vorstellungshintergründe. Innerhalb der Visionstexte ist die רוחvor allem eine Instanz, die den Propheten Ezechiel aus der Gola nach Jerusalem entrückt. So begegnet sie in Ez 3,12.14, 8,3, 11,1.24 und in 43,5 zusammen mit den Verben „ נשאemporheben“ und בואim Hifil „bringen“, wobei die Formulierungen nicht stereotyp sind, sondern variieren können. So heißt es beispielsweise in Ez 3,12 ותשאני רוח, in Ez 8,3 aber ותשא אתי רוחund in Ez 11,1 21
SEDLMEIER 2002; DERS. 2013. Ähnlich ALLEN 1994; DERS. 1990. Eine Kritik an der „holistischen Lektüre“, wie Greenberg sie beschreitet, findet sich bei HOSSFELD 1987, 266–277. 23 Wobei noch zu klären ist, ob רוחin allen Fällen mit Geist zu übersetzen ist. 24 Oder auch nach einem einigen Herzen ( )לב אחדoder nach einem Herzen aus Fleisch ( )לב בשרwie in Ez 11,19. 22
4.2 Gottes Geist im Ezechielbuch. Ein Überblick
195
ותשא אתי רוח ותבא אתי אל. Als bewegendes Element begegnet die רוחim Hinblick auf den Propheten auch zu Beginn der Vision in Ez 37. Hier wird der Prophet von der רוחaber nicht emporgehoben, sondern herausgeführt ( יצאim Hifil). Bewegende Wirkung hat רוחnicht nur für den Propheten Ezechiel, sondern auch für den Thronwagen. Hier ist zum einen von dem Geist der Lebewesen die Rede ()רוח החיה, der in den Rädern des Wagens wohnt (Ez 1,21; 10,17), zum anderen auch davon, dass die Gestalten sich in die Richtung bewegen, in die „der Geist“ (in beiden Fällen anders als sonst: )הרוחsie treibt (Ez 1,12.20). Eine den Propheten dynamisierende Wirkung hat die רוחaußerdem in Ez 2,2 und 3,24, wo es jeweils heißt, dass sie in den Propheten kommt und ihn auf die Füße stellt: ותבא בי רוח כאשר דבר אלי „ ותעמדני על־רגליund es kam Geist in mich, als er so mit mir redete, und er (sc. der Geist) stellte mich auf meine Füße“ (Ez 2,2).25 Die beiden letztgenannten Belege stehen dann bereits am Übergang zu einem weiteren Bedeutungshorizont, nämlich zu dem von רוחals einer anthropologischen, dem Menschen innewohnenden Größe. In diesen Zusammenhang gehören die bereits erwähnten Texte in Ez 11, 18 und 36, in denen es um die Erneuerung des Menschen durch die Erneuerung von Geist ()רוח und Herz ( )לבgeht. Ebenso gehört Ez 13,3 dazu, ein Wehruf, in dem beklagt wird, dass einige Propheten nur ihrem eigenen Geist folgen ( הוי על־הנביאים „ הנבלים אשר הלכים אחר רוחם ולבלתי ראוweh den törichten Propheten, die nur ihrem eigenen Geist folgen, ohne dass sie etwas sehen“). Während der Geist in all diesen Texten die Geisteshaltung des Menschen bestimmt, ist er in Ez 37 zwar auch eine anthropologische, den Menschen prägende Größe, bestimmt dort allerdings nicht das Wesen des Menschen, sondern ist das ihn belebende Element. In einigen dieser Texte, in denen רוחim Wesentlichen ein den Menschen charakterisierendes Merkmal ist, kommt gleichzeitig der Gedanke zum Tragen, dass durch die dem Menschen gegebene oder ihm innewohnende רוחGott und Mensch miteinander verbunden sind. Dies ist immer dann der Fall, wenn רוחeinerseits dem Menschen gegeben wird, andererseits aber gleichzeitig auch als Gottes רוחnäher bestimmt wird. Dies ist unter anderem in Ez 37,14 der Fall, wo es heißt, dass Gott den Menschen seinen eigenen Geist gibt,26 aber auch in Ez 36,27, wo Gott sagt, dass er seinen Geist in die Menschen legt. In den Vorstellungsbereich von Gottes Geist als eine Gott und Mensch verbindende Größe gehören auch der Text Ez 11,5, in dem es wie im Stil von Berufungstexten des Richterbuches oder aus den Saul-und-David-Überlieferungen heißt, dass der Geist JHWHs über Ezechiel kommt („ ותפל עלי רוח יהוה ויאמר אלי אמר כה־אמר יהוהund der Geist JHWHs fiel auf mich, und er redete zu mir: Sprich: So spricht JHWH“),
25 26
In Ez 3,24: ותבא־בי רוח ותעמדני. ( ונתתי רוחי בכםEz 37,14) und ( ואת־רוחי אתן בקרבכםEz 36,27).
196
4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
sowie der Text Ez 39,29, in dem es heißt, dass JHWH seinen Geist über das Haus Israel ausgegossen hat ()שפכתי את־רוחי על־בית ישראל נאם אדני יהוה. Dieser Überblick über Vorkommen und Verwendung von רוחim Ezechielbuch zeigt, dass trotz der Vielzahl von Belegen für רוחüberhaupt nur eine kleine Auswahl von Texten für eine Untersuchung, die ausdrücklich auf Gottes Geist und auf die Gabe dieses Geistes an den Menschen ausgerichtet ist, infrage kommen. Dies sind die Texte Ez 11,5 ( ותפל עלי רוח יהוה ויאמר אלי )אמר כה־אמר יהוה, 36,27 ( ואת־רוחי אתן בקרבכם ועשיתי את אשר־בחקי תלכו )ומשפטי תשמרו ועשיתם, 37,14 ( )ונתתי רוחי בכם וחייתםund 39,29 ( ולא־אסתיר )עוד פני מהם אשר שפכתי את־רוחי על־בית ישראל נאם אדני יהוה. Die Geistaussage in Ez 37,14 ist dabei im Kontext des gesamten Kapitels 37 zu untersuchen und eben auch im Zusammenhang mit den dort vorkommenden weiteren Aussagen über רוח. Ez 36,27 gehört in den Kontext der Fragestellung nach dem neuen Geist und dem neuen Herzen, so dass hier auch die Texte Ez 11,9 und 18,31, die ebenfalls um diese Fragestellung kreisen, ohne aber zu erwähnen, dass der neue Geist zugleich Gottes Geist ist, zu berücksichtigen sind.
4.3 Die dynamisierende Wirkung der רוח 4.3 Die dynamisierende Wirkung der
רוח
Bevor die Texte, die dezidiert auf die רוח יהוהBezug nehmen, nun genauer in den Blick genommen werden, soll an dieser Stelle noch kurz auf die Frage nach der Übersetzung von רוחin den Texten eingegangen werden, in denen sie dazu dient, den Propheten zu bewegen. Außerdem sollen die innerhalb des Ezechielbuches seltene Wendung הרוחin Ez 1,12.20 sowie die Wendung רוח החיה, die sich in Ez 1,21 und 10,17 findet, berücksichtigt werden. Die Vorstellung, dass die רוחden Propheten emporhebt und an einen anderen Ort bringt, findet sich in Ez 3,12.14, 8,3, 11,1.24 und 43,5 jeweils in Verbindung mit dem Verb נשא. Ein ähnlicher Vorstellungshintergrund findet sich außerhalb des Ezechielbuches im Alten Testament sonst nur noch in 2 Kön 2,16 im Zusammenhang mit der Entrückung Elias. Dort suchen die Prophetenjünger ( )בני הנביאיםnach Elia, der zuvor in einem Sturmwind ()סערה in den Himmel gefahren ist (2 Kön 2,11), und mutmaßen, dass die רוח יהוה ihn genommen und auf einen Berg oder in ein Tal geworfen habe (2 Kön 2,16b: )פן־נשאו רוח יהוה וישלכהו באחד ההרים או באחת הגיאות. Sowohl in 2 Kön 2,16 als auch in Ez 3,12.14, 8,3, 11,1.24 und 43,5 geben die meisten Übersetzungen27 רוחmit „Geist“ wieder. In Anbetracht der Vielzahl von Belegen für רוחim Ezechielbuch und angesichts der theologischen Diskussion, 27
Elberfelder Bibel, Einheitsübersetzung, Lutherbibel, New Revised Standard Version, Zürcher Bibel. So auch POHLMANN 1996, 46.123. Lang erwägt zumindest die Möglichkeit, hier mit Wind zu übersetzen. Vgl. LANG 1983.
4.3 Die dynamisierende Wirkung der רוח
197
die in Ez 11, 18 und 36 zu רוחund zur Neuausrichtung des Menschen stattfindet, ist es verständlich, dass auch die Belege, in denen רוחdie oben beschriebene dynamisierende Wirkung hat, mit „Geist“ übersetzt werden. Für den Beleg aus 2 Kön 2,16b ist das schon weniger naheliegend. Auch wenn man, wie die meisten Exegeten, davon ausgeht, dass es sich in 2 Kön 2,16–18 um eine nachträgliche Ergänzung der Erzählung handelt,28 bleibt die Frage offen, warum hier ein zuvor deutlich als Wettererscheinung beschriebener Vorgang nun auf den Geist gedeutet wird.29 Aber auch für das Ezechielbuch ist die Übersetzung von רוחin Ez 3,12.14, 8,3, 11,1.24 und 43,5 zumindest zu hinterfragen. In 2 Kön 2 ist es eindeutig so, dass Elia durch einen Sturmwind von den irdischen Verhältnissen entrückt wurde. Dies wird gleich zu Beginn des Kapitels zum Ausdruck gebracht, indem in 2 Kön 2,1 gesagt wird, dass JHWH Elia in einem Sturmwind in den Himmel holen möchte ( ויהי בהעלות יהוה )את־אליהו בסערה השמים. Genau wie hier angekündigt, tritt das Geschehen in 2 Kön 2,11 dann auch ein. Die Prophetenjünger haben dieses Ereignis zumindest aus der Ferne verfolgt (2 Kön 2,7). Insofern ist es unwahrscheinlich, dass sie in 2 Kön 2,16 vermuten, der Geist JHWHs habe Elia auf einen Berg oder in ein Tal gebracht. Naheliegender scheint es doch, dass mit רוח יהוהin 2 Kön 2,16 ausgedrückt werden soll, dass der in 2 Kön 2,11 wirksame Sturm ( )סערהeben ein Sturmwind war, der von JHWH ausging. Auch für das Ezechielbuch gibt es Argumente, die nahelegen, dass רוחan den genannten Stellen ebenfalls mit „Wind“ zu übersetzen ist. Zunächst ist die Frage zu klären, in welchem Zusammenhang Ez 3,12.14, 8,3, 11,1.24 und 43,5 stehen und welche Funktion רוחin diesen Versen tatsächlich hat. Die Gemeinsamkeit dieser Belege scheint auf den ersten Blick die zu sein, dass sie innerhalb der Visionen des Propheten Ezechiel vorkommen. Die רוחkann in diesem Kontext also zum einen die Wirkung haben, die Visionen überhaupt herbeizuführen, oder sie kann zum anderen dazu dienen, den Propheten aus der Gola nach Jerusalem zu bringen. Beides ist aber nicht der Fall. In Ez 1, 8 und 43 haben visionäre Schauungen bereits eingesetzt, bevor die רוחden Propheten Ezechiel emporgehoben hat. Die רוחhat also keine die Visionen initiierende Wirkung und Bedeutung. Aber auch die Ortswechsel, die der Prophet durch die רוחerfährt, haben keinen einheitlichen Charakter. In Ez 8,3 und 11,24 macht es den Eindruck, dass der Prophet durch die רוחaus der Gola nach Jerusalem gebracht wird (Ez 8,3), um dann ebenfalls durch die רוחin Ez 11,24 wieder zurückgeführt zu werden. In Ez 3,12.14 scheint das Emporgehoben- und bei den Weggeführten am Fluss Kebar wieder Abgesetztwerden zunächst keinen besonderen Sinn zu haben; denn der Prophet befindet sich Ez 1,1–3 zufolge ja bereits ebendort, und in den zwischen Ez 3,12 und 1,3 liegenden Versen ist nirgends davon die Rede, dass 28 29
Vgl. WÜRTHWEIN 1984, 274.276; FRITZ 1998, 12–14. Zur Entstehung von 2 Kön 2 insgesamt vgl. SAUERWEIN 2014, 16–25.
198
4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
er an einen anderen Ort transportiert worden wäre. In Ez 11,1 und 43,5 ist es dann wiederum so, dass der Prophet, der sich bereits im Tempel befindet, dort durch die רוחemporgehoben und nur ein kleines Stück weit entfernt, immer noch im Bereich des Tempels, wieder abgesetzt wird. Worin liegt also die Gemeinsamkeit zwischen den Texten Ez 3,12.14.24; 8,3, 11,1.24 und 43,5? Es ist so, dass mit Ausnahme von Ez 8,3 alle diese Texte in unmittelbarem Zusammenhang mit der Bewegung des כבדbzw. mit der Bewegung des in Ez 1–3 beschriebenen Thronwagens stehen. In Ez 3,12 wird noch im selben Vers erwähnt, dass auch der כבדsich mit großem Getöse ( )קול רעס גדולvon seinem Ort entfernt.30 In Ez 3,13 wird weiterhin das Rauschen der Flügel der Gestalten beschrieben ( וקול כנפי החיות משיקות אשה )אל־אחותה, bevor dann in Ez 3,14 erneut davon gesprochen wird, dass die רוחEzechiel emporhebt. Auch dem Beleg für die רוחin Ez 11,1 geht eine Beschreibung der Bewegung des כבדvoraus (Ez 10,18–22). Ebenso findet sich in den Ez 11,24 unmittelbar vorausgehenden Versen eine Beschreibung der Bewegung des כבד, nämlich in Ez 11,22–23. In gleicher Weise ist dies in Ez 43,5 der Fall, wo in Ez 43,4 die Einkehr des כבדin das Tempelhaus dargestellt wird. Der Prophet Ezechiel wird also immer dann von der רוחergriffen, wenn sich der כבדin Bewegung setzt. In Ez 11,1.24 und 43,5 stimmt der Ort, an den der Prophet durch die רוחverbracht wird, außerdem ungefähr mit dem Ort überein, an den sich der כבדbewegt. So bewegt sich dieser Ez 10,19 zufolge zum östlichen Tor des Tempels ()פתח שער בית־יהוה הקדמוני, genau wie der Prophet Ez 11,1 zufolge durch die רוחdorthin gebracht wird ( אל־שער )בית־יהוה הקדמוני. In Ez 11,23 entschwindet der כבדendgültig aus Tempel und Stadt und lässt sich auf einem Berg östlich der Stadt nieder ( ויעמד על־ההר )אשר מקדם לעיר, und auch der Prophet bewegt sich nach Osten, in die Gola. In Ez 43,5 kehrt der כבדin den Tempel zurück, und nachdem der כבדzurückgekehrt ist, wird auch der Prophet in den inneren Vorhof des Tempels gebracht, der von dem כבד יהוהerfüllt ist ( ותשאני רוח ותביאני אל־החצר הפנימי והנה מלא כבוד־יהוה הבית, Ez 43,5). Der Zusammenhang zwischen der Bewegung des כבדund der des Propheten Ezechiel durch die רוחist damit klar. Bleibt die Frage, ob an der Übersetzung von רוחmit Geist festzuhalten ist oder ob an den genannten Stellen wie auch in 2 Kön 2,16 eine Übersetzung mit Wind vorzuziehen wäre. Um hier zu einer Antwort zu kommen, sollten die Texte Ez 1,12 und 1,20 in die Betrachtung mit einbezogen werden, da die רוחauch hier eine dynamisierende Wirkung hat. Nimmt man Ez 1,12 und 1,20 hinzu, ergibt sich folgendes Bild: 30
Wenn Fuhs schreibt, dass der Prophet hier im Geist die Herrlichkeit JHWHs schaue, so ist dies nicht zutreffend. Der Prophet schaut nicht im Geist die Herrlichkeit JHWHs, sondern der Prophet bewegt sich gleichzeitig mit der Herrlichkeit. Vgl. FUHS 1984, 29. Zimmerli hatte den Zusammenhang mit Wettererscheinungen ebenfalls gesehen, dennoch aber mit Geist übersetzt. ZIMMERLI 1969, 82.
4.3 Die dynamisierende Wirkung der רוח
199
Ez 1,12 und 1,20 fallen vor allem dadurch auf, dass רוחin beiden Versen determiniert ist ()הרוח. Ganz offenkundig soll also deutlich gemacht werden, dass es sich um eine bestimmte רוחhandelt. Dass hier gleich zu Beginn des Ezechielbuches von einer irgendwie hypostasierten Größe die Rede ist, die deshalb als הרוחbezeichnet wird, ist nicht sehr wahrscheinlich. Viel eher scheint es in Ez 1,12 und 1,20 darum zu gehen, deutlich zu machen, dass es sich hier um die רוחhandelt, von der der Leser schon Kenntnis hat. Und diese רוחfindet sich in Ez 1,4: וארא והנה רוח סערה באה מן־הצפון ענן גדול ואש „ מתלקחת ונגה לו סביב ומתוכה כעין החשמל מתוך האשund ich sah, und siehe, ein Wind, ein Sturmwind kam von Norden her, eine große Wolke und loderndes Feuer, und um ihn herum war ein Glanz, und in seiner Mitte war es anzusehen wie Bernstein, in der Mitte des Feuers“. Alles, was im Folgenden beschrieben wird, hängt mit dem Wind von Norden zusammen, und eben auf diesen Wind nimmt auch Ez 1,12 Bezug.31 Der Wind, der der Ausgang der gesamten Vision ist, dieser Wind ist es auch, der die Gestalten antreibt.32 In Ez 3,12.14 gerät der Prophet nun in die Bewegung der Gestalten hinein, und wenn nun hier davon die Rede ist, dass er von der רוחemporgehoben wird, so liegt die Annahme nahe, dass es sich bei der רוחimmer noch um den göttlichen Wind handelt, der auch die Gestalten Ez 1,12 zufolge antreibt.33 Dass auch dieser Wind göttlicher Provenienz ist, steht dennoch außer Frage. Diesen Spielraum bietet die Verwendung von רוחim Ezechielbuch ohnehin. Gleichwohl ist damit deutlich, dass es in Ez 3,12.14, 8,3, 11,1.24 und 43,5 eher ein göttlicher Wind als Gottes Geist ist, der den Propheten Ezechiel bewegt. Es ist der Wind, der den כבדbewegt, der auch den Propheten Ezechiel emporhebt und ihn die Bewegung des כבדnachvollziehen lässt.
31
So auch SEDLMEIER 2002, 84. Greenberg vertritt die Auffassung, dass הרוחin Ez 1,12 nicht auf den in Ez 1,4 erwähnten Wind zu beziehen sei, sondern auf den in Ez 1,20 erwähnten Geist der Lebewesen ()רוח החיה, und dass in Ez 1,12 dementsprechend mit „der Geist“ übersetzt werden müsse. Es ist allerdings wenig wahrscheinlich, dass sich die determinierte Version von רוחin Ez 1,12 auf eine Äußerung bezieht, die in Ez 1,20 erst folgt. Eher wahrscheinlich ist, dass es um eine רוחgeht, die im vorausgehenden Text bereits erwähnt wurde. Des Weiteren gehört die רוח החיהin Ez 1,20 zu einer anderen redaktionellen Schicht des Ezechielbuches, da innerhalb der Thronwagenvision die in Ez 1,15–21 erwähnten Räder eine sekundäre Ergänzung sind, durch die die Beweglichkeit des Gefährtes illustriert werden sollte. Die רוח החיה dient im Rahmen dieser sekundären Erweiterung der Vision dazu, die Verbindung zwischen den Gestalten und den Rädern so darzustellen, dass Räder und Gestalten sich einhellig in eine Richtung bewegen. Zur literarischen Ergänzung in Ez 1,15–21 vgl. SEDLMEIER 2002, 85; POHLMANN 1996, 59; KEEL 1977, 251–252; ZIMMERLI 1979, 29. 33 Sedlmeier übersetzt hier mit Geist. Vgl. SEDLMEIER 2002, 103. 32
200
4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
4.4 Die Textüberlieferung in P 967 und der Masoretische Text 4.4 Die Textüberlieferung in P 967 und der Masoretische Text
Da sich gleich mehrere der zu untersuchenden Geisttexte des Ezechielbuches in den Kapiteln Ez 36ff finden (Ez 36,27; Ez 37 mit mehreren Belegen; 39,29), muss an dieser Stelle die Frage der Textüberlieferung in diesen Kapiteln in den Blick genommen werden. Die aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. stammende griechische Handschrift P 967 und die altlateinische Übersetzung des Ezechielbuches, die durch den Codex Wirceburgensis aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. bezeugt wird, weisen zwei in ihrer Bedeutung weitreichende Abweichungen gegenüber dem Masoretischen Text auf.34 So fehlen im Papyrus P 967 die Textpassagen Ez 12,26–28 und 36,23bβ– 38. Weiterhin weist er eine andere Anordnung der Kapitel in Ez 36ff auf als der Masoretische Text. Während im Masoretischen Text auf die darin enthaltene Passage über die Erneuerung des menschlichen Herzens in Ez 36,23bβ– 38 die Vision von den Totengebeinen in Ez 37,1–14 und die Heilsworte in Ez 37,15–28 folgen, finden sich in P 967 im Anschluss an Ez 36,23bα die Kapitel 38 und 39 mit der Ankündigung des Gerichtes über Gog aus Magog. Das Kapitel Ez 37 rückt in P 967 hinter die Gog-Kapitel und unmittelbar vor die Vision vom neuen Tempel im neuen Land in Ez 40–48. In der Exegese des Ezechielbuches ist dieser textgeschichtliche Befund lange entweder nicht berücksichtigt oder als ein Problem, das ausschließlich die Überlieferung des Septuaginta-Textes anbetreffe, betrachtet worden.35 Auch in der gegenwärtigen Diskussion gibt es Positionen, die sich für die Exegese des Ezechielbuches ausschließlich auf den Masoretischen Text stützen.36 P 967 hat deshalb ein besonderes Gewicht, weil er der älteste Textzeuge des vorhexaplarischen Septuaginta-Textes und damit die älteste griechische Handschrift des Ezechielbuches ist. Dass der Text, den P 967 bietet, auch durch den Codex Wirceburgensis bezeugt wird,37 macht es schwierig, Abwei-
34 Vgl. zu P 967 die Einführung bei ZIMMERLI 1979, 117*. Vgl. außerdem die Textedition von P 967 von JAHN 1972. Der Codex Wirceburgensis ist von Ranke herausgegeben worden. Vgl. RANKE 1871. 35 Zu diesem Schluss kam trotz aller Überlegungen zu einer möglichen hebräischen Vorlage von P 967 ZIMMERLI 1969, 873. 36 Vgl. die Argumentation dazu bei GREENBERG 2001, 36–38. Und auch Hossfeld argumentierte zuletzt noch zugunsten einer Trennung der Textgeschichte des Masoretischen Textes und der Septuaginta. Vgl. HOSSFELD 2016, 600. Für ein höheres Alter oder ein höheres Gewicht des Masoretischen Textes votieren außerdem BLOCK 1998, 42; JOYCE 2007, 47; sowie VAN DER MEER 2002. 37 Zu den Übereinstimmungen zwischen P 967 und dem Codex Wirceburgensis vgl. BOGAERT 1978.
4.4 Die Textüberlieferung in P 967 und der Masoretische Text
201
chungen in der Textüberlieferung als alleiniges textkritisches Problem von P 967 zu erklären. Gleichzeitig weist die Überlieferung von P 967 eine Reihe von Problemen auf, die es wiederum nicht einfach machen, das Gewicht dieses Textzeugen zu bestimmen. So verteilt sich der Textbestand auf verschiedene Blattsammlungen, die an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten gefunden bzw. bekannt gemacht wurden, und es fehlen immer noch ganze Textbereiche, vor allem der Anfang des Ezechielbuches in Ez 1,1–11,25.38 Des Weiteren unterscheidet sich P 967 im Stil von anderen Septuaginta-Handschriften.39 Zusammengefasst ergibt sich für die Textüberlieferung in den hinteren Kapiteln des Ezechielbuches folgender Befund: Der Masoretische Text bietet die Textreihenfolge Ez 34 (Hirtenkapitel), 35,1–36,15 (Gericht über die Berge Edoms/Heil für die Berge Israels), 36,16–38 (Erneuerung des Herzens), 37,1–14 (Vision von den Totengebeinen), 37,15–28 (heilvolle Zukunft des Gottesvolkes), 38–39 (Gericht über Gog aus Magog), 40–48 (der neue Tempel im neuen Land). Diese Textreihenfolge wird von verschiedenen Septuaginta-Handschriften und von einer Handschrift des Ezechielbuches, die in Masada gefunden wurde, bezeugt.40 Die Handschrift aus Masada stammt aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. und kann als ältester Textzeuge für die Textreihenfolge Ez 36–37.38–39 und für den Text in Ez 36,23bβ–38 gelten.41 Daneben bezeugen die aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. stammende Handschrift P 967 und der aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. stammende Codex Wirceburgensis unabhängig voneinander die Textreihenfolge Ez 34 (Hirtenkapitel), 35,1–36,23bα (Gericht für die Berge von Edom/Heil für die Berge Israels), 38,1–39,29 (Gericht über Gog aus Magog), 37,1–14 (Vision von den Totengebeinen), 37,15–28 (heilvolle Zukunft des Gottesvolkes), 40–48 (der neue Tempel im neuen Land). In der jüngeren Forschung zum Ezechielbuch wird verstärkt die Position vertreten, dass P 967 und der Codex Wirceburgensis auf eine hebräische Vorlage zurückgehen, die älter ist als der Masoretische Text. Dies wurde zunächst von J. Lust vertreten, der aufgrund einer Untersuchung von Terminologie und Sprachstil ausgeführt hat, dass Ez 36,23bβ–38 innerhalb des Kontextes eine Sonderstellung einnimmt und erst im Zusammenhang mit der Umstellung des Kapitels Ez 37 als ein Brückentext in den Gesamtzusammenhang hineingekommen ist, durch den eine Verbindung zwischen Ez 36,23bα und
38 Vgl. dazu den Überblick bei ZIMMERLI 1979, 117. Die einzelnen Teile des Papyrus fanden sich in London als Teil der Chester Beatty Papyri des Britischen Museums, in Princeton als Teil der John H. Scheide Biblical Papyri, in Köln sowie in Madrid und Montserrat. Sie sind ediert in KENYON 1937; JOHNSON 1938; JAHN 1971, 7–76. 39 Vgl. ZIMMERLI 1979, 117. 40 Vgl. TALMON 1999. 41 Vgl. ebd., 60.
202
4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
Ez 37 hergestellt werden sollte.42 Diese These wurde von P. Schwagmeier aufgegriffen und ausführlich bestätigt43 und auch an anderer Stelle aufgenommen44 und erweitert.45 Besondere Würdigung hat Lusts These deshalb gefunden, weil sie beide Besonderheiten, die P 967 gegenüber dem Masoretischen Text aufweist, in einem Zusammenhang erklärt, indem die Entstehung von Ez 36,23bβ–38 in Verbindung mit der Umstellung der Textreihenfolge verstanden wird. Problematisch an den Ausführungen Lusts ist jedoch die zeitliche Einordnung dieses redaktionellen Prozesses, den er im Zusammenhang von theologischen Auseinandersetzungen mit den Christen verortete.46 Probleme bereitet nach wie vor auch der ursprüngliche Anschluss an Ez 36,23bα. A. Klein sieht das ursprüngliche Textgefüge in Ez 36,23bα und 39,23–29 vorliegen, das durch die Einschaltung des Gog-Textes in Ez 38,1– 39,22 unterbrochen wurde.47 B. Biberger sieht die inhaltliche Fortführung von Ez 36,23bα in 39,1–5.7,48 und P. Schwagmeier argumentiert für eine Fortsetzung von Ez 36,23bα in 38,1ff.49 Problematisch ist aber auch die Position von Ez 37,1–14. Auf der Ebene des Endtextes schließt es in der Variante, die der Masoretische Text bietet, durch die Einschaltung von Ez 36,23bβ–38 gut an den vorausgehenden Zusammenhang an. Gleichzeitig ist auch in P 967 der Übergang von Ez 39,29 mit dem Hinweis auf die Ausgießung des Geistes zu Ez 37 sehr glatt. Dennoch bildet Ez 37,1–14 sowohl im Masoretischen Text als auch in P 967 eine Textgröße, die sich von den umgebenden Texten abhebt. Im Zusammenhang von P 967 scheinen einzelne Verse aus Ez 39 schon auf Ez 37,1–14 hinzuweisen und diesen Text bereits vorauszusetzen (Ez 39,15), im Masoretischen Text gehen der Vision von den Totengebeinen in Ez 37,1–14 andere Entwürfe über die Sammlung und Wiederherstellung Israels unmittel-
42
Vgl. LUST 1981. SCHWAGMEIER 2004, bes. 180–186.313–317. 44 MOSIS 2002, 123–173; RUDNIG 2000, 54. 45 Vgl. A. KLEIN 2008, 60–65; BIBERGER 2010, 125–132. 46 Vgl. LUST 1981, 532. In Anbetracht der Tatsache, wie umstritten die Entstehung des Ezechielbuches immer noch ist und wie schwierig es ist, überhaupt nur einzelne Texte zeitlich einzuordnen, können Erklärungsversuche, die die unterschiedliche Anordnung des Materials in P 967 und im Masoretischen Text mit bestimmten historischen Ereignissen begründen, ohnehin nur wenig überzeugen. Dies gilt auch für den Erklärungsversuch Konkels, der im Masoretischen Text einen Versuch „priesterlich-zadokidischer“ Kreise sieht, das Ezechielbuch zu überarbeiten und so vor prohasmonäischer Propaganda, für die P 967 die Vorlage geliefert hätte, in Schutz zu nehmen. Vgl. KONKEL 2010 (I). 47 Vgl. A. KLEIN 2008, 125. 48 Vgl. BIBERGER 2010, 104. 49 Vgl. SCHWAGMEIER 2004, 356–358. 43
4.4 Die Textüberlieferung in P 967 und der Masoretische Text
203
bar voraus (Ez 34; 36,1–15), unter denen Ez 37,1–14* in seiner Ausrichtung auf die Gola einer der älteren zu sein scheint.50 Ganz grundsätzlich stellt sich in Bezug auf die These Lusts außerdem die Frage, ob man in Anbetracht des besonderen Charakters von Ez 37,1–14 unbedingt davon ausgehen muss, dass die Änderung der Reihenfolge der Texte zeitgleich mit der Einschaltung von Ez 36,23bβ–38 erfolgt ist. In Anbetracht der hier beschriebenen Schwierigkeiten kann die Frage nach einem höheren Alter von P 967 oder nach dem Vorrang des Masoretischen Textes an dieser Stelle nicht letztgültig beantwortet werden. Gleichwohl sollen nun die Textreihenfolge in P 967 und im Masoretischen Text in Bezug auf die Verortung des für den Geist bedeutsamen Kapitels Ez 37 und auf die Bedeutung, die der Geist in der Gesamtkomposition einnimmt, näher betrachtet werden. Stellt man die Überlegungen zum Alter des von P 967 gebotenen Textes bzw. der Vorlage des Masoretischen Textes zunächst einmal zurück, lässt sich beobachten, dass beide Varianten verschiedene Blickwinkel in Bezug auf den Geist einnehmen. Dass P 967 und der Masoretische Text sich vor allem in Bezug auf ihre Heilsverkündigung und Heilserwartung unterscheiden, ist eine Beobachtung, die bereits den verschiedenen Datierungsvorschlägen für eine mutmaßliche Umstellung der Textreihenfolge durch den Masoretischen Text zugrunde liegt.51 F. Sedlmeier hat die unterschiedliche Akzentuierung der Heilsverkündigung in P 967 und im Masoretischen Text überzeugend und pointiert dargestellt:52 Die Anordnung der Texte innerhalb des Masoretischen Textes steht unter dem Fokus, dass die Heilsverkündigung des Ezechielbuches „bestehendes Fehlverhalten nicht ausblendet, sondern dieses weiterhin und deutlich benennt“.53 Dementsprechend sind Gerichts- und Heilsworte miteinander verbunden bzw. einander zugeordnet. So setzt die Heilsverkündigung in den Kapiteln 33ff mit der Bestellung Ezechiels zum Wächterpropheten in Ez 33,1– 20 ein, es folgen jedoch in Ez 33,23–29.30–33 zunächst zwei Gerichtsworte. Ebenso sind im Hirtenkapitel Ez 34 Heilsverkündigung und das Scheitern der Hirten und die damit verbundene Gerichtsbotschaft miteinander verwoben. In Ez 35,1–36,15 folgt auf die Darstellung des Gerichts über die Berge Edoms in Ez 35,1–15 die Darstellung des Gerichts für die Berge Israels in Ez 36,1– 15. In Ez 37 ist in Vers 1–14 die Ausgangssituation zunächst totale Hoffnungslosigkeit, die dann aber durch Heilsankündigung aufgehoben wird. Ez 37,15–28 weist mit der Ankündigung, dass JHWH unter seinem Volk wohnen 50
Vgl. A. KLEIN 2008, 288–289. Vgl. LUST 1981, 521–525; KONKEL 2010 (II), 237, Anm. 65. 52 Vgl. SEDLMEIER 2013, 126–132. 53 Ebd., 127. 51
204
4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
will (Vers 27), bereits auf die Tempelvision in Ez 40–48 hin. Die Umsetzung des in Ez 37,15–28 angekündigten Heils in Ez 40–48 wird aber durch das in Ez 38 und 39 entfaltete Gerichtsszenario erneut unterbrochen. Sedlmeier sieht in dieser Anordnung der Texte den Gedanken zum Ausdruck gebracht, dass sich die heilvolle Zukunft erst durch äußere Gefährdung hindurch verwirklichen wird.54 Die Anordnung der Texte in P 967 lässt sich mit Sedlmeier folgendermaßen darstellen:55 Ez 34,1–31
Schlechte Hirten (Vers 1–10)
Ez 35,1–36,23bα
Gericht über die Berge Edoms (Ez 35,1–14)
Ez 38,1–39,29
Gericht über Gog aus Magog
Rettung des JHWHVolkes
Ez 37,1–14
Israel als Totengebein; Trennung Nord-/ Südreich
Erweckung Israels; ein einziges Volk
Ez 37,15–28
JHWH, der gute Hirte (Vers 11– 16.17–22) Heil über die Berge Israels (Ez 36,1–15)
David als Hirte (Vers 23–24); Bund des Friedens (Vers 25) Ausgießung des Zornes (Ez 36,18); Heiligung des Namens (Ez 36,20– 23bα) Heiligung des Namens (Ez 38,23; 39,7.25–29); Ausgießung des Geistes (Ez 39,29) David als Hirte und König (Vers 24); Bund des Friedens (Vers 26)
Die Texte über Gog aus Magog in Ez 38 und 39 haben in P 967 den Zweck, die Heiligung des zuvor entweihten Namens JHWHs zu illustrieren. Indem diese Kapitel mit der Ausgießung des Geistes beschlossen werden, wird die in Ez 36,18 angekündigte Ausgießung des Zorns durch die des Geistes abgelöst. Insgesamt zeigt der Aufbau von P 967 eine größere Stringenz. Die Ausgießung des Zorns wird durch die des Geistes abgelöst, die Ankündigungen eines guten Hirten und eines Friedensbundes in Ez 34,23–24 und 34,25 und in Ez 37,24 und 37,26 bilden einen konzentrischen Rahmen um die Heilskapitel Ez 34–36.38–39.37. Diese größere Stringenz wird in der neueren Forschung gerne als das Argument für das höhere Alter von P 967 genutzt. Der Masoretische Text habe die ursprüngliche Reihenfolge unterbrochen, um das Heil in Ez 40–48 weiter hinauszuschieben.56 Was bedeutet nun aber diese unterschiedliche Anordnung des Textmaterials in Bezug auf den Geist? 54
Vgl. ebd., 128. Vgl. ebd., 129–131. 56 Vgl. KONKEL 2010 (I), 72; DERS. 2002, 175; BIBERGER 2010, 130–132. 55
4.4 Die Textüberlieferung in P 967 und der Masoretische Text
205
In der Version von P 967 ist der Geist zunächst kein Teil der Heilsverkündigung, bis in Ez 39,29 nach der Heiligung des Namens in Ez 39,25–29 die Ausgießung des Geistes über das Haus Israel verheißen wird ( ולא־אסתיר „ עוד פני מהם אשר שפכתי את־רוחי על־בית ישראל נאם אדני יהוהund ich will mein Angesicht nicht mehr vor ihnen verbergen, denn ich habe meinen Geist über das Haus Israel ausgegossen, Spruch des Herrn JHWH“). Auf diese Ankündigung folgt dann das Kapitel 37, in dem der Geist zu der maßgeblichen Größe wird, durch die die Wiederbelebung der Totengebeine erst möglich wird (Vers 1.5.6.8.9.10.14). Der Übergang von Ez 39 zu Ez 37 in P 967 ist aber nicht nur im Hinblick auf den Geist bedeutsam. Ez 37 erscheint auch nach den in Ez 39 getroffenen Aussagen über die Erschlagenen (Ez 39,23) in einem anderen Licht, als dies im Masoretischen Text der Fall ist. Zumindest muss in Anbetracht der in Ez 39,23 erwähnten Erschlagenen geklärt werden, inwieweit es in Ez 37 möglicherweise um eine tatsächliche Auferstehung der Toten und weniger um eine Wiederbelebung im Diesseits geht.57 Von Ez 37,27–28 geht dann die Ankündigung des Wohnens JHWHs unter seinem Volk unmittelbar in die Tempelvision in Ez 40–48 über. Im Masoretischen Text verhält es sich im Hinblick auf den Geist anders. Mit Ez 36,23bβ–38 wird Ez 37 ein Text vorangestellt, der auf andere Geisttexte des Ezechielbuches in Ez 11,19–21 und 18,31 Bezug nimmt und der gleichzeitig mit der Verbindung von רוחmit dem Verb נתןeine größere terminologische Nähe zu Ez 37,6.14 aufweist, als dies in der Formulierung von der Geistausgießung aus Ez 39,29 der Fall ist. Durch die Verbindung zu Ez 11,19–21, besonders aber zu Ez 18,31 wird gleichzeitig auch eine Nähe zur Fragestellung nach Leben und Sterben als Folgen der Entscheidung für JHWH hergestellt. Ez 36,23bβ–38 ist damit in zweierlei Hinsicht eine Leseanweisung für Ez 37. Es wird zum einen deutlich, dass Ez 37 mit seinen Geistaussagen im Zusammenhang mit anderen Texten, die sich mit dem Geist der Menschen und dem Geist Gottes auseinandersetzen, zu verstehen ist. Zum anderen wird Ez 37 so in den Zusammenhang der Fragestellung gerückt, die auch in Ez 18 aufgeworfen wurde, dass eine Entscheidung für oder gegen JHWH eine Entscheidung für Leben oder Sterben ist. Damit wird die Vision in Ez 37, die, wie oben bereits beschrieben, ein ungewöhnlicher Text mit ungewöhnlichem Inhalt ist, deutlich in den Zusammenhang der theologischen Diskussion gerückt, die auch an anderen Stellen des Ezechielbuches über den Geist geführt wird, und es wird vor dem Hintergrund von Ez 18 deutlich, dass es vorrangig um eine Wiederherstellung Israels für das Leben mit JHWH geht und weniger um eine Auferstehung von den Toten. Die Geistausgießung in Ez 39,29 ist im Erzählverlauf, den der Masoretische Text bietet, dann der Auftakt und die Ermöglichung für das in Ez 40–48 angekündigte Heil und die Zusammenfassung aller zuvor angekündigten Formen der Wiederherstellung. 57
Vgl. auch SEDLMEIER 2013, 131.
206
4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
Auf die Heiligung des Namens, die Sammlung und die Zurückführung folgt als letzter Punkt die Ausgießung des Geistes. Zusammenfassend lässt sich über P 967 und den Masoretischen Text unter dem Blickwinkel der Frage nach dem Geist Folgendes sagen: Beide Texte unterscheiden sich maßgeblich nicht nur in der Abfolge des Textmaterials und in der Konzeption der Heilsankündigung, sondern besonders auch in der Interpretation von Ez 37. Während der Masoretische Text daran interessiert ist, Ez 37 als einen Text, der in den Kontext der übrigen Geisttexte des Ezechielbuches gehört, zu interpretieren, sieht P 967 in Ez 37 den Schlüssel für das in Ez 40–48 angekündigte Heil und bietet in der Nachordnung von Ez 37 nach Ez 38 und 39 zumindest die Möglichkeit, Ez 37 auch deutlicher im Lichte einer Auferstehungserwartung zu lesen. Ob nun der Masoretische Text gerade diese Möglichkeit wahren wollte und das Material in Ez 34–39 deshalb anders angeordnet hat, muss offenbleiben. Ich halte es für ebenso wahrscheinlich, dass der Masoretische Text die ursprüngliche Reihenfolge der Kapitel bietet, Ez 37 ursprünglich viel dichter an Ez 33 und die auch dort aufgeworfene Frage nach Leben und Tod angeschlossen hat und die Einschaltung von Ez 36,23bβ–38 erst notwendig geworden ist, nachdem der Zusammenhang von Ez 33 und 37 durch weitere Fortschreibungen und Heilsankündigungen unterbrochen worden ist, so dass Ez 37 ohne diesen Zusammenhang zu einem Text werden konnte, der von P 967 in anderem Kontext verwendet wurde. Im Folgenden werden Ez 37 und 36,23bβ–38 nun jeweils für sich untersucht werden sowie im Anschluss an die einzelnen Untersuchungen in dem Zusammenhang, in dem sie dem Zeugnis des Masoretischen Textes zufolge stehen und dem Zeugnis der Masada-Handschrift zufolge seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. standen.
4.5 Neukonstituierung, Wiederbelebung und zukünftiges Heil 4.5 Neukonstituierung, Wiederbelebung und zukünftiges Heil
4.5.1 רוחund neues Leben in Ez 37 Ez 37,1–4, die Vision von den Totengebeinen, gehört zu den Visionstexten des Ezechielbuches, zu denen auch die Thronwagenvision in Ez 1,1–3,15, die Vision über den Tempel in Jerusalem in Ez 8,1–11,25 und die Vision vom neuen Tempel im neuen Land in Ez 40–48 gehören. Gleichzeitig nimmt Ez 37 unter diesen Visionstexten eine Sonderstellung ein, da alle übrigen drei Visionstexte sich mit dem כבדbeschäftigen und alle mit genauen Datierungen eingeleitet werden.58 In Ez 37,1–14 ist dies nicht der Fall. Gleichwohl ist der Text in Ez 37,1–14 wie auch die Visionen in Ez 1,1–3,15, 8,1–11,25 und 58
Vgl. auch SEDLMEIER 2013, 208.
4.5 Neukonstituierung, Wiederbelebung und zukünftiges Heil
207
Kapitel 40–48 durch einen Hinweis auf die Hand JHWHs ( )יד יהוהeingeleitet (Ez 37,1; 1,3; 8,1; 40,1), wobei die Formulierungen, mit denen das Kommen der Hand JHWHs ausgedrückt werden, variieren.59 Ez 37 ist gleichzeitig das Kapitel des Ezechielbuches, in dem am häufigsten von der רוחdie Rede ist. Gleich in Vers 1 wird der Geist in der Einleitung des Kapitels wirksam, wenn davon die Rede ist, dass die Hand JHWHs auf den Propheten kommt und er im Geist ( )ברוחhinausgeführt wird. Im weiteren Verlauf geht es dann wiederholt darum, dass JHWH den Gebeinen ( )עצמותGeist ( )רוחgeben will, damit sie lebendig werden (Vers 5.6.14). In Vers 5 wird für den Akt der Geistgabe das Verb בואim Hifil verwendet ( הנה )אני מביא בכם רוח וחייתם, in Vers 6 und 14 das Verb ונתתי בכם רוח ( נתן וחייתםin Vers 6 bzw. ונתתי רוחי בכם וחייתםin Vers 14). In Vers 9 und 10 geht es darum, dass der Prophet zum Geist reden und ihn von den vier Winden ( )מארבע רוחותherbeirufen soll, damit der Geist in die Getöteten ( )בהרוגיםhineinblase ()פוח, so dass diese leben. In Vers 9.10 wird רוחin der determinierten Form הרוחverwendet. a) Literarisches Wachstum und die Profilierung des Begriffes רוח In diesem Überblick über die Verwendung von רוחin Ez 37 offenbaren sich bereits die literarkritischen Schwierigkeiten, die auch das Kapitel als ganzes prägen. So weist die Schilderung des Aktes der Wiederbelebung verschiedene Brüche auf. In Vers 3 stellt JHWH dem Propheten die Frage, ob die Gebeine, die der Prophet in seiner Vision sieht, wieder lebendig werden könnten. Der Prophet gibt diese Frage an Gott zurück, indem er antwortet: אדני יהוה אתה ידעת. Daraufhin wird in Vers 5.6 zweimal angekündigt, dass JHWH den Gebeinen רוחgeben will. In Vers 6 geht es außerdem darum, dass die Gebeine wieder mit Sehnen und Fleisch versehen werden sollen. In Vers 8– 10 wachsen den Gebeinen dann zwar die angekündigten Sehnen (Vers 8), aber es ist noch keine רוחin ihnen. Davon, dass JHWH רוחgibt, ist nicht mehr die Rede, stattdessen muss der Prophet sich an sie ( )הרוחwenden und sie herbeirufen. In Vers 10 sind die Gebeine dann mit Sehnen, Fleisch und רוחversehen und wieder lebendig geworden. Vers 11 scheint davon jedoch nichts zu wissen; denn die Gebeine sprechen hier davon, dass sie ganz verdorrt seien ( )יבשו עצמותינוund es aus mit ihnen sei. In Vers 14 wiederum wird neuerlich verheißen, dass JHWH seine רוחin die Gebeine geben wird, damit sie wieder lebendig werden, obwohl die Wiederherstellung in Vers 10 eigentlich schon zu einem Abschluss gekommen ist und der Prophet die רוח schon längst herbeigerufen hat. Neben diesen Brüchen im Erzählgefüge gibt es einzelne Uneinheitlichkeiten in der Terminologie. So ist auffällig, dass die Identisch sind die Formulierungen in Ez 37,1 und 40,1: היתה עלי יד יהוה. In Ez 1,3 wird ebenfalls eine Form von היהverwendet. In Ez 8,1 „fällt“ die Hand JHWHs auf den Propheten ()ותפל עלי שם יד אדני יהוה. 59
208
4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
רוחin Vers 9.10 determiniert gebraucht wird ()הרוח, in den übrigen Versen jedoch nicht. Vers 9 fällt außerdem durch die Bezeichnung der Wiederzubelebenden mit „ הרוגיםdie Erschlagenen“ auf, während sonst von den Knochen ( )עצמותdie Rede ist. Auffällig ist auch die Feststellung, dass die Erschlagenen in Vers 10 zu einem sehr großen Heer ( )חיל גדול מאד־מאדwerden. Der Interpretationsspielraum, den Ez 37 in seiner Gesamtheit durch diese Widersprüche bietet, hat zu unterschiedlichen Deutungen des Kapitels geführt. So wird in der Exegese weithin die Auffassung vertreten, dass in Ez 37 die Wiederherstellung der Exilierten als Volk und Haus Israel im Mittelpunkt steht,60 während der Text in der Tradition als ein Text über die endzeitliche Auferstehung der Toten interpretiert werden konnte.61 Gleichzeitig gibt es in Anbetracht der oben benannten Brüche verschiedene Entstehungshypothesen zu Ez 37,1–14, wenngleich einzelne Exegeten von der Einheit des Textes ausgehen.62 Grundlegend für die neueren redaktionskritischen Arbeiten zu Ez 37,1–14 waren die Arbeiten von R. Bartelmus.63 Bartelmus ging vor allem von Beobachtungen zum unterschiedlichen Sprachgebrauch aus und kam aufgrund der determinierten und indeterminierten Verwendung von רוחund aufgrund der Verwendung von עצמותund הרגיםzu dem Schluss, dass ein aus der Exilszeit stammender Grundtext in Ez 37,1–6*.11–14, der die Auferweckung des Gottesvolkes zum Ausdruck bringen sollte, vor allem in Ez 37,7a.8b und 37,9–10 ergänzt worden ist.64 Durch die Fortschreibungen wurde die Botschaft von der kollektiven Erneuerung auf das Schicksal des Einzelnen hin ausgeweitet.65 Auch A. Klein geht von einem Grundtext Ez 37,1–6* aus, der zum einen in Vers 2abα.7.10 fortgeschrieben worden ist, wodurch die Restitution Israels im Sinne einer Wiederbelebung der Toten interpretiert wurde, und der zum anderen in Vers 11–13a dahin gehend aktualisiert wird, dass die erste Gola als „ganz Israel“ bezeichnet wird. Eine weitere Fortschreibung findet sich Klein zufolge in Vers 13b–14*. Hier soll der Gedanke nachgetragen werden,
60
Vgl. FUHS 1988, 207. So beispielsweise in der Apokalypse des Elia oder in den Darstellungen in der Synagoge von Dura Europos. Vgl. SEDLMEIER 2013, 207. Zur frühjüdischen und frühchristlichen Deutung des Textes vgl. auch GREENBERG 2005, 462–464. 62 Vgl. GREENBERG 2005, 453; BLOCK 1998; ZIMMERLI 1969, 888–891. Zur Forschungsgeschichte von Ez 37 überhaupt vgl. HUBMANN 2003. 63 Vgl. BARTELMUS 1985 und DERS. 1984. 64 Vgl. BARTELMUS 1985, 384. 65 Vgl. ebd., 387–389. Wahl geht von einem literarischen Wachstum in drei Schichten aus: Ez 37,1–7a (I), 37,11–14 (II), 37,7b–10 (III). Vgl. WAHL 1999. Der Ansatz Wahls wurde aufgenommen von LESCOW 2001, 74–76. Mosis scheidet aus Ez 37,1–14 Vers 4–10 als sekundäre Ergänzung aus. Vgl. MOSIS 2002, 149–150. 61
4.5 Neukonstituierung, Wiederbelebung und zukünftiges Heil
209
dass das entscheidende Heilsereignis der Geistverleihung erst im Land stattfinden kann.66 Diese beiden skizzierten Hypothesen erklären jedoch noch nicht die Dublette der Verheißung von רוחin Ez 37,5.6. Auch erscheint es fraglich, ob die Wiederherstellung der Knochen mit Sehnen und Fleisch immer schon Teil einer Grundschicht gewesen ist, wenn zumindest Ez 37,11 immer noch von den vertrockneten Gebeinen spricht ()יבשו עצמותינו. Dieses Problem lässt sich jedoch klären, wenn man von einer Grundschicht des Textes in Ez 37,1– 5.7.11–13 ausgeht. Diese Grundschicht richtet den Fokus deutlich auf die Wiederbelebung des ganzen Hauses Israel ()כל־בית ישראל. Die Wiederbelebung vollzieht sich dadurch, dass JHWH רוחin die Gebeine bringt ( אני מביא )בכם רוח וחייתם. רוחist auf dieser Ebene noch nicht näher als רוח יהוהqualifiziert. Dies geschieht erst im Rahmen einer Fortschreibung in Vers 14.67 Gleichwohl ist deutlich, dass JHWH dafür sorgt, dass רוחdie Knochen belebt. Gleichzeitig geht es im Rahmen dieser Grundschicht nicht um die Vorstellung, dass tatsächlich Knochen durch die Gabe von רוחwiederbelebt sind, sondern die Knochen sind eine Metapher für das Haus Israel.68 Dies wird durch Vers 11 deutlich gemacht. Diese Deutung der Vision in Vers 11 ist notwendig, um überhaupt den entscheidenden Hinweis zu erhalten, was durch die Vision von den Totengebeinen zum Ausdruck gebracht werden soll. Insofern ist die Deutung der Knochen als „das ganze Haus Israel“ immer schon auch Teil des Textes. Versteht man die Knochen als das Haus Israel, lässt sich Ez 37 in der Grundschicht von Ez 37,1–5.7.11–13 im Zusammenhang von Ez 18 als ein Text lesen, der zum Ausdruck bringt, dass Leben ohne JHWH und ohne רוחgleichbedeutend mit dem Tod ist, während ein Leben mit רוחund mit JHWH Leben bedeutet.69 Diese Grundschicht hat in Ez 37,6.8–10 eine Fortschreibung erfahren, die in den Text, der eine Wiederherstellung des sich im Exil befindenden Hauses Israel im Geist und zu einem Leben mit JHWH zum Inhalt hatte, eine sehr viel plastischere Vorstellung von einer Wiederbelebung der Erschlagenen (הרוגים, Vers 9) eingetragen hat.70 Diese Fortschreibung versteht die Gebeine nun nicht mehr als eine Metapher für das Haus Israel, sondern sie versteht sie 66
Vgl. A. KLEIN 2008, 285–289. Auch Fuhs sieht in Ez 37,13a.14 eine literarische Fortschreibung. Vgl. FUHS 1988, 207. So auch schon GARSCHA 1974, 222. Eine völlig andere Entstehungshypothese bietet Pohlmann, der davon ausgeht, dass Ez 37,1–10 nachträglich Vers 11–14 vorgeschaltet wurde. Vgl. POHLMANN 2001, 494–495. 67 Dass diese Fortschreibung erst im Zusammenhang mit der Fortschreibung in Ez 36,23ff erfolgt ist, wie Schnocks es annimmt, halte ich jedoch für unwahrscheinlich. Vgl. SCHNOCKS 2009, 227. 68 Zur Metapher der trockenen Knochen vgl. auch DIJKSTRA 1999. 69 Schnocks sieht in Ez 37,1–13a* einen zusammenhängenden Text, dessen Teile einander gegenseitig deuten. Vgl. SCHNOCKS 2009, 224. 70 Vgl. auch OHNESORGE 1991, 336.
210
4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
im wörtlichen Sinne als trockene Knochen, die ganz konkret durch die Gabe von Sehnen und Fleisch zu menschlichen Körpern neu gebildet werden (Vers 6.8). Dies allein ist jedoch nicht ausreichend, um den Erschlagenen zu neuem Leben zu verhelfen, sondern es bedarf auch im Rahmen dieser Fortschreibung der belebenden Gabe der ( רוחVers 6b.9–10). Die Gabe der רוחist deutlich von dem Wachsen der Sehnen und des Fleisches abgesetzt. Vers 8 stellt fest, dass in den nun mit Sehnen und Fleisch versehenen Gebeinen noch keine רוח ist ()ורוח אין בהם. Der Prophet wird daraufhin aufgefordert, der רוחzu weissagen ()הנבא אל־הרוח. In dieser Weissagung teilt der Prophet der רוחdas Wort JHWHs mit, dass sie von allen vier Winden kommen und in die Erschlagenen hineinblasen solle. Durch diese deutliche Zweiteilung in die plastische Wiederherstellung der Gebeine und in das Einblasen der רוחwird zum Ausdruck gebracht, dass zur wirklichen Wiederbelebung nicht nur eine Wiederherstellung der Körper, sondern eben auch die Gabe der רוחgehört. Ohne diese Gabe ist wirkliches Leben nicht möglich, ohne die Verwandlung der Gebeine wiederum würde nicht deutlich werden, dass es sich um eine tatsächliche Wiederauferstehung und nicht um eine metaphorische Wiederbelebung handelt. Gleichzeitig entspricht die Fortschreibung in Vers 6–10 mit dieser Zweiteilung auch anderen biblischen Texten, besonders Gen 2,7.71 Auch hier wird der Mensch in zwei Schritten erschaffen, der plastischen Bildung aus אדמהund dem Einblasen von נשמת חיים. Dass Ez 37,6.8–10 die Erschaffung des Menschen aus Gen 2,7 vor Augen hat, zeigt sich auch daran, dass in beiden Texten das Verb פוח für das Einhauchen von נשמת חייםbzw. רוחverwendet wird. Es geht Ez 37,6.8–10 also auch um die Vorstellung einer Neuschöpfung des Menschen nach dem Tod.72 Dass das Ezechielbuch anstelle von נשמת חייםden Begriff רוחverwendet, liegt daran, dass der Begriff רוחin der Grundschrift von Ez 37 und im Kontext des Ezechielbuches überhaupt bereits vorgegeben war. Im Hinblick auf die רוחist die Fortschreibung in Ez 37,6.8–10 auch noch aus anderen Gründen interessant. Zum einen unterscheidet sich der Gebrauch von רוחin Ez 37,9.10 von den übrigen Belegstellen in Ez 37, da רוחin Ez 37,9.10 determiniert gebraucht wird ()הרוח. Zum anderen ist die Vorstellung, dass die רוחfür die Wiederbelebung der Erschlagenen zunächst noch fehlt und dann von allen vier Winden herbeigeholt werden muss, ungewöhnlich.
71 Vgl. FUHS 1988, 208. In jüngeren Texten des Alten Testaments findet sich נשמהoft auch in Verbindung mit ( רוחJes 42,5; 57,16; Hi 27,3; 32,8; 33,4; 34,14–15). In Gen 7,22 findet sich sogar die Formulierung נשמת־רוח חיים. In den Texten, in denen נשמהund רוח synonym gebraucht werden, geht es darum, das Leben des Menschen in Beziehung zu Gott auszudrücken. Vgl. auch FELDMEIER/SPIECKERMANN 2011, 209. 72 Vgl. auch SEDLMEIER 2013, 219.
4.5 Neukonstituierung, Wiederbelebung und zukünftiges Heil
211
Beide Besonderheiten dieser Verse hängen miteinander zusammen. רוח wird im Ezechielbuch immer indeterminiert verwendet, außer eben in Ez 37,9.10 und 1,12.20. Der determinierte Gebrauch in Ez 1,12.20 wurde oben bereits geklärt. רוחist dort deutlich auf den zuvor erwähnten Sturmwind ( רוח )סערהbezogen. Auch in Ez 37,9.10 ist davon auszugehen, dass die determinierte Form sich auf eine vorherige Erwähnung von רוחim Textverlauf bezieht. Es soll so deutlich gemacht werden, dass die in Ez 37,9.10 erwähnte רוחder רוחentspricht, die den Text auch im Rahmen der Grundschicht geprägt hat und die das Ezechielbuch auch über die Grundschicht von Ez 37 hinaus prägt.73 Gleichzeitig wird durch den determinierten Gebrauch in Ez 37,9.10 der Unterschied zu den vier Winden betont. Die רוח, die die Erschlagenen beleben soll, wird so deutlich als die רוחdargestellt, von der JHWH schon auf der Ebene der Grundschicht gesagt hat, dass er sie in die Gebeine bringen will, damit sie wieder lebendig werden (Ez 37,5). Außerdem wird eine Verwechselung mit einem der vier Winde ( )ארבע רוחותausgeschlossen. Die רוח, der der Prophet hier weissagen soll, ist kein Wind, keine Naturgewalt, sondern sie ist eine Gabe Gottes, die die Menschen lebendig macht. Dennoch bleibt die Frage zu klären, warum die רוחin Ez 37,9.10 erst von den vier Winden herbeigerufen werden muss, wenngleich vorher sowohl im Rahmen der Grundschicht in Ez 37,5 als auch im Rahmen der Fortschreibung in Ez 37,6 angekündigt worden ist, dass JHWH den Geist in die Gebeine geben wird. Offensichtlich ist die Entwicklung innerhalb der Vorstellung von der רוחals lebensstiftendem Element bei aller Anlehnung an die Vorstellungswelt der Grundschicht auch über diese hinausgegangen. Sie ist innerhalb der Fortschreibung eher Lebensodem in Analogie zu Gen 2,7 als ein Ort der Geisteshaltung, wie es etwa in Ez 18 anklingt und wie es auch die Grundschicht in Ez 37 impliziert. Und ganz offensichtlich liegt hier ähnlich wie in Jes 40,13 und Gen 1,2 der Gedanke vor, dass die רוחdie bestehende Schöpfung durchwaltet und sich zu verschiedenen Orten hin bewegen kann.74 Ihr ist hier in Ez 37,9.10 eine gewisse Unverfügbarkeit gegeben, die in einem Punkt dennoch eingeschränkt wird: Sie ist an das Wort JHWHs gebunden. Der Prophet tut der רוחGottes Wort kund und die רוחkommt, wie es diesem Wort entspricht.
73 Anders Fuhs, der hier eine „naturhafte rūaḥ göttlichen Wirkens“ von der „rūaḥ JHWH als der inneren Wesensmacht Gottes, die Geschichte und Geschicke von Welt und Mensch lenkt und antreibt“, unterscheidet. Vgl. FUHS 1988, 208. 74 Ähnlich auch ZIMMERLI 1969, 895. Vgl. außerdem SCHNOCKS 2009, 209.
212
4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
4.5.2 Die Erneuerung von Herz und Geist in Ez 36, 11 und 18 a) Ez 36 im Kontext des Ezechielbuches In Ez 36 findet sich innerhalb der Verse Vers 26–28 eine weitere Aussage zu Gottes Geist, indem die Verheißung aus Vers 26 ( ונתתי לכם לב חדש ורוח „ חדשה אתן בקרבכם והסרתי את־לב האבן מבשרכם ונתתי לכם לב בשרund ich werde ein neues Herz in euch geben, und einen neuen Geist gebe ich in eure Mitte, und das Herz aus Stein werde ich aus eurem Fleisch fortnehmen, und ich werde euch ein Herz aus Fleisch geben“) dahin gehend präzisiert wird, dass es Gottes eigener Geist ist, den er geben wird ()ואת־רוחי אתן בקרבבם. Diese Verse zu Gottes Geist stehen in einem Zusammenhang, der einerseits vor allem aufgrund seines Fehlens in P 967 als einer der jüngsten Texte des Ezechielbuches gilt (Ez 36,23bβ–38)75 und der gleichzeitig eine Reihe von Bezügen in das Ezechielbuch und auch in andere biblische Bücher, vor allem in das Jeremiabuch und zu Ps 51, aufweist. Im Ezechielbuch besteht über die Formulierung ( ואת־רוחי אתן בקרבכםEz 36,27) eine Verbindung zu Ez 37,14 ()ונתני רוחי בכם,76 da es beide Male darum geht, dass JHWH seinen Geist geben wird, ein Gedanke, der im Ezechielbuch ansonsten nicht vorkommt. Gleichzeitig gehört Ez 36,26–27 zu den Texten des Ezechielbuches, in denen es um eine neue Ausrichtung bzw. um eine Neubestimmung des Menschen und seines Innersten geht. Dies sind neben Ez 36,26–27 der Schluss von Ez 18 in Vers 31 und ein vermutlich redaktioneller Anhang zur Tempelvision in Ez 8–11 in Ez 11,14–21. Die anthropologische Größe des Herzens spielt außerdem bereits in der Problematik des verhärteten Herzens in Ez 2,4 ( )חזקי־לבund 3,7 ( )קשי־לבeine Rolle.77 Zu den innerbiblischen Bezugstexten außerhalb des Ezechielbuches gehören Jer 24,7, 31,31–34, 32,37–41 und Ps 51.78 b) Literarkritische Erwägungen zu Ez 36 Im Folgenden soll nun zunächst der unmittelbare literarische Kontext von Ez 36,26–28 und die Position dieser Verse in Ez 36 in den Blick genommen werden, bevor dann die Beziehung zu den Texten Ez 11,14–21 und 18,31 erläutert werden soll. Unter den innerbiblischen Paralleltexten ist im Hinblick auf die רוחbesonders Ps 51 von Interesse, während die Texte des Jeremiabuches hier weniger im Vordergrund stehen werden.
75
Vgl. LUST 1981, 522; A. KLEIN 2008, 60–65. Vgl. auch LUST 1981, 526; A. KLEIN 2008, 86; PFEIFFER 2005, 304. 77 Vgl. auch A. KLEIN 2008, 89. Das Herz spielt daneben noch in einigen anderen Texten des Ezechielbuches eine Rolle, in denen es darum geht, dass das Herz an den Götzen ( )גלולhängt (Ez 6,9; 11,21; 14,3.7; 20,16). Vgl. auch SEDLMEIER 2013, 202. 78 Vgl. A. KLEIN 2008, 99–110. 76
4.5 Neukonstituierung, Wiederbelebung und zukünftiges Heil
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Die Betrachtung kann hier in Ez 36,16 beginnen, da dort mit der Wortereignisformel ein literarischer Neuanfang markiert ist, mit dem von den Bergen Israels, von denen in Vers 1–15 die Rede ist, zum Geschick des Volkes Israel übergeleitet wird. In Vers 16–23 geht es wiederum zunächst um die Heiligung des Namens JHWHs, während mit Vers 24 Ausführungen zur Reinigung Israels und zu seiner Sammlung aus den Heiden einsetzen. Die Heiligung des Namens JHWHs wird im Folgenden nicht mehr erwähnt.79 Ez 36,26–28 ist damit Teil der Ausführungen über die Reinigung und Sammlung Israels, steht aber innerhalb dieser Ausführungen relativ isoliert. Die Verse 24.25 sprechen von der Reinigung Israels und von der Rückführung ins Land. In Vers 28 wird zwar der Gedanke des Wohnens im Lande aufgegriffen, die vorausgehenden Verse 26.27, die zwar auch auf eine Neukonstituierung Israels zielen, haben aber dennoch einen anderen Charakter als die zuvor in Vers 25 durch das Besprengen mit Wasser vollzogene Reinigung. In Vers 29 wird dann der Gedanke der Reinigung von der Unreinheit ( )טמאהaus Vers 25 wieder aufgegriffen, und auch im Folgenden spielt die Tatsache der Neuausrichtung von Herz und Geist keine Rolle mehr. Auch in Vers 33 wird noch einmal der Gedanke der Reinigung ( )טהרangesprochen, während von Herz und Geist nicht die Rede ist. Hinsichtlich des Stils in Vers 24–38 ist des Weiteren auffällig, dass in Vers 24.25.26.29.30 eine Reihe von mit וverbundenen Perfekta in der 1. Person Singular vorliegt, die in Vers 31 zu einem Abschluss kommt und in Vers 27.28 unterbrochen ist. Außerdem fallen Vers 33 und 37 als zwei Verse auf, die jeweils mit der Gottesspruchformel ( )כה אמר אדני יהוהeinen Neueinsatz markieren. A. Klein hat den literarischen Aufbau und mit diesem zusammenhängend auch die literarische Genese von Vers 23bβ–38 dementsprechend als eine JHWH-Rede in drei Einheiten (Vers 23bβ–32.33–36.37–38) beschrieben, von denen die letzten beiden Einheiten als redaktionelle Nachträge zu verstehen seien.80 Die Ansicht, dass es sich in Vers 33–36.37–38 um sekundäre Nachträge handelt, wird in der exegetischen Forschung auch ansonsten mehrheitlich vertreten,81 allerdings werden vielfach bereits in Vers 29ff literarische Nachträge bzw. Fortschreibungen zu älteren Schichten gesehen.82 Dass in Vers 33ff und 37–38 literarische Nachträge vorliegen, ist nicht von der Hand zu weisen. In keinem dieser Modelle wird jedoch erklärt, warum die 79 Die textkritischen Probleme des Scharnierverses Ez 36,23 sind für die Geistaussagen in Vers 26–28 nicht von Bedeutung. Sie finden sich ausführlich diskutiert bei A. KLEIN 2008, 82–83. 80 Vgl. ebd., 84. 81 So bereits ZIMMERLI 1969, 872. Außerdem HOSSFELD 1977, 300–303.326–328; LEVIN 1985, 210; ALLEN 1990, 176–178; OHNESORGE 1991, 245–259. 82 Hossfeld und Ohnesorge sehen einen Einschub in Vers 29–30 vorliegen. Levin hält Vers 29–32 für eine jüngere Ergänzung einer bis Vers 28 reichenden Grundschicht. Vgl. HOSSFELD 1977, 337–339; LEVIN 1985, 210; OHNESORGE 1991, 217–218.
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4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
Erneuerung von Herz und Geist in den auf Vers 26–28 folgenden Versen keine Rolle mehr spielt, obwohl sie auch in anderen Kapiteln des Ezechielbuches (Ez 11 und 18) und in anderen biblischen Büchern wie dem Jeremiabuch, die dem Ezechielbuch möglicherweise als Vorlage gedient haben, von Bedeutung ist, während andererseits der Gedanke der Reinheit sowohl in Ez 36,29 als auch in Ez 36,33 wieder aufgegriffen wird. Ich halte es daher eher für wahrscheinlich, dass es in Ez 36,24–32, erweitert um Vers 33–36 und 37– 38, zunächst um eine Reinigung Israels von seinen Sünden, verbunden mit einer Rückkehr ins Land, ging, in die dann als ein Brückentext Vers 26–28 eingetragen worden ist, um Verbindungen in das Gesamtezechielbuch zu ziehen und gleichzeitig eine Leseanweisung für die in Ez 37 folgende Vision von den Totengebeinen zu bieten. Aus redaktionsgeschichtlicher Sicht dürfte dies der letzte Nachtrag in den Text in Ez 36,23bβ–38 gewesen sein, da zumindest die Fortschreibung in Ez 36,33–36 zwar die Reinigung Israels, nicht aber die Neubestimmung des Menschen in den Blick nimmt. Unabhängig davon, wie man den Befund, dass Ez 36,23bβ–38 in P 967 fehlt, gewichtet, liegt mit Ez 36,26–28 ein Text vor, der erst in einem in Relation zu den anderen Schichten in Ez 36 späten Stadium in den Gesamtzusammenhang eingeschrieben worden ist. c) Ez 36 im Vergleich mit Ez 11 und 18 Betrachtet man Ez 36,26–28 nun im Zusammenhang der Paralleltexte, die im Ezechielbuch vorliegen, lässt sich Verschiedenes beobachten: Alle drei Texte Ez 36,26–28, 11,19–20 und 18,31–32 weisen durch die Rede von der Neuausrichtung von Herz ( )לבund Geist ( )רוחeine große inhaltliche Nähe zueinander auf, die besondere Beachtung auch deswegen verdient, weil sich dieser Gedanke, abgesehen von Ps 51, im Alten Testament ansonsten nicht findet. Zugleich setzen alle drei Texte jeweils unterschiedliche Akzente. Ez 36,26–28 redet von einem neuen Geist ( )רוח חדשהund einem neuen Herzen ()לב חדש, das Gott den Angehörigen des Hauses Israel hier in direkter Anrede zu geben verspricht. In der Ergänzung zu Ez 36,26 in Vers 27 wird außerdem die Qualität dieses neuen Geistes als Gottes eigener Geist hervorgehoben. Ez 18,31 spricht ebenfalls von einem neuen Geist ( )רוח חדשהund von einem neuen Herzen ()לב חדש, die aber nicht von Gott gegeben werden, sondern die die Menschen sich selbst machen sollen ()ועשו לכם לב חדש ורוח חדשה. Der in Ez 11,19 und 36,27 thematisierte Austausch des steinernen Herzens in eines aus Fleisch findet sich in Ez 18,31 nicht. Ez 11,19 gleicht Ez 36,26 fast aufs Wort, wenn man den Wechsel von der 2. in die 3. Person Plural außer Acht lässt.83 Umso auffälliger ist die Verwen בקרבכםin Ez 11,19 fällt aus der ansonsten verwendeten 3. Person Plural heraus. In einer Reihe von Textzeugen unter anderem in der Septuaginta findet sich die passende Variante בקרבם. Es ist allerdings fraglich, ob hier tatsächlich ein textkritisches und nicht 83
4.5 Neukonstituierung, Wiederbelebung und zukünftiges Heil
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dung von לב אחדanstelle von לב חדשin Ez 11,19. Die Septuaginta liest in Ez 11,19 καρδίαν ἑτέραν, was darauf schließen lässt, dass ihr ein hebräischer Text vorlag, der die Variante לב אחרbot. Einige Handschriften lesen außerdem לב חדש, was allerdings auf eine Angleichung an Ez 18,31 und 36,26 zurückgeführt werden kann. Die Meinungen darüber, ob in Ez 11,19 dem Masoretischen Text oder der Septuaginta zu folgen ist, gehen auseinander. Teilweise wird der Septuaginta gefolgt, weil das „andere“ Herz besser zu der Vorstellung zu passen scheint, dass das steinerne Herz ( )לב האבןdurch eines aus Fleisch ( )לב בשרund damit eben durch ein anderes Herz ( )לב אחרersetzt werden soll.84 Damit glättet man allerdings den Masoretischen Text, so dass allein schon aus diesem Grund die Variante des Masoretischen Textes ( לב )אחדals lectio difficilior beizubehalten ist.85 Abgesehen davon findet sich die Verwendung von לב אחדauch im Jeremiabuch in Jer 32,39 ( ונתתי להם לב )אחד, und da es offensichtlich Beeinflussungen zwischen dem Jeremia- und dem Ezechielbuch gab, kann dies als ein weiteres Argument für die Beibehaltung des Masoretischen Textes angesehen werden. Ez 36,26–28 und 11,19–20 ähneln sich auch in der Konsequenz, die die Neubestimmung des Menschen in Herz und Geist hat. In beiden Texten geht es darum, dass die Angehörigen des Hauses Israel fortan nach JHWHs Satzungen leben, sein Recht halten und danach handeln. Die Terminologie ist hier jeweils identisch, allerdings wird einmal die 2. und einmal die 3. Person Plural verwendet (Ez 11,20: למען בחקתי ילכו ואת־משפט ישמרו ועשו אתםund Ez 36,27: )ועשיתי את אשר־בחקי תלכו ומשפטי תשמרו ועשיתם. Außerdem ist das richtige Verhalten in Ez 11,20 direkte Folge der Änderung des Herzens und der Gabe des Geistes, während in Ez 36,27 noch zusätzlich betont wird, dass JHWH dies bewirkt ()ועשיתי את אשר־בחקי תלכו. Ez 36,27 scheint in Bezug auf die Tragfähigkeit der Veränderung der Israeliten also pessimistischer zu sein als Ez 11,20. Sowohl in Ez 11,20 als auch in Ez 36,28 folgt dann noch die Feststellung, dass Israel nun JHWHs Volk und JHWH ihr Gott sein wird, auch hier mit nahezu identischer Terminologie (Ez 11,20: והיו־לי לעם ואני אהיה להם לאלהיםund Ez 36,28: )והייתם לי לעם ואנכי אהיה לכם לאלהים. In Ez 36,28 ist diese Verheißung allerdings noch dadurch ergänzt, dass das Haus Israel im Land der Väter wohnen wird ()וישבתם בארץ אשר נתתי לאבתיכם. Aufgrund der Ähnlichkeit der Texte, verbunden mit den hier beschriebenen individuellen Akzentsetzungen, muss man davon ausgehen, dass keine unmittelbaren literarischen Wiederaufnahmen vorliegen, sondern dass das Beziehungsgeflecht zwischen den Texten als komplex zu verstehen ist. eher ein literarkritisches Problem vorliegt. Daher wird der Masoretische Text als lectio difficilior zunächst beibehalten. 84 Vgl. OHNESORGE 1991, 9–10; ALLEN 1990, 118.129; POHLMANN 2001, 127. 85 Ebenso A. KLEIN 2008, 93.
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4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
Im Folgenden sollen daher Ez 11,19–20 und 18,31–32 noch kurz in ihrem jeweiligen Kontext betrachtet werden. Ez 11,19–20 ist Teil der Tempelvision in Ez 8–11, die erst in Ez 11,22–25 mit dem Weggang des כבדaus der Stadt und mit der Wegführung des Propheten nach Chaldäa endet. Während Ez 11,1–14 deutlich Teil des Visionsgeschehens ist, indem Ezechiel in Vers 1 zum östlichen Tor des Tempels gebracht wird, wo er den Obersten des Volkes Jaasanja und Pelatja, den Sohn Benajas, erblickt, markiert Ez 11,14 mit der Wortereignisformel ( )ויהי דבר־יהוה אלי לאמרeinen Neueinsatz. Zuvor ist in Vers 13 mit dem Tod Pelatjas der mit Vers 1 eingeleitete Sinnabschnitt zu einem Ende gekommen. Insofern ist es legitim, Ez 11,19–20 hier lediglich im Zusammenhang des Abschnittes Ez 11,14–21 zu betrachten. In ihm liegt ein Disputationswort vor, das die Frage der Zugehörigkeit zu Gott und den Besitz des Landes zum Thema hat. Die in Vers 15 aufgeworfene Frage wird in Vers 16 und 17 zweimal beantwortet, beide Male ist die Antwort mit einem Redeauftrag an den Propheten und mit der Gottesspruchformel eingeleitet ( לכו אמר כה־אמר אדני )יהוה. Aufgrund dieser doppelten Einleitung und des Wechsels in der Person von Vers 16 zu Vers 17 ist anzunehmen, dass die Erörterung der Frage nach der Nähe bzw. Ferne zu JHWH ursprünglich mit Vers 16 abschließend geklärt war. Dieser Schluss entspricht auch der Wegführung Ezechiels nach Chaldäa in Vers 22ff. Ez 11,17 ist als ein späterer Nachtrag zu verstehen, der eine positivere Sicht und eine Sammlung aus der Diaspora überhaupt in den Text einträgt.86 Es ist unwahrscheinlich, dass der ursprüngliche Schluss in Vers 16, der die Zerstreuung in die Länder beinhaltet, schon immer mit Vers 19 eine Fortsetzung hatte. Ganz offensichtlich ist es also so, dass der Gedanke der Neubestimmung des Menschen auch hier erst später in den Zusammenhang eingeschrieben worden ist.87 Die beiden Verse 18 und 21, die die Götzenthematik in den Text eintragen, sind ebenfalls als sekundär anzusehen.88 Ez 11,19–20 scheint die Fortschreibungen in Vers 17.18 bereits zu kennen und auf diese zu reagieren, indem es die Frage beantwortet, wie Israel so wiederhergestellt werden kann, dass es verantwortlich im Land lebt. Es spricht viel dafür, dass sich die Ausführungen zur Neubestimmung Israels zunächst nur auf den Austausch des steinernen Herzens in ein Herz aus Fleisch und auf die Gabe eines einzigen, einmütigen Herzens bezogen. A. Klein hat dies ausführlich dargelegt.89 Ez 11,19 hatte zunächst nur die Veränderung des Herzens im Blick und reagiert auf die in Ez 2,4 und 3,7 beschriebene Verstocktheit des Herzens. Die Gabe des neuen Geistes wurde 86
Vgl. auch A. KLEIN 2008, 92; OHNESORGE 1991, 7–9; HOSSFELD 1986, 164. Vgl. auch A. KLEIN 2008, 92. 88 Vgl. auch ZIMMERLI 1979, 251; LEVIN 1985, 206–207; OHNESORGE 1991, 9–12; A. KLEIN 2008, 92. 89 Vgl. A. KLEIN 2008, 94–96. 87
4.5 Neukonstituierung, Wiederbelebung und zukünftiges Heil
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erst später als Angleichung an Ez 36,26 in den Text eingetragen. Die Aufnahme aus Ez 36,26 ging hier so weit, dass die Formulierung בקרבכםbeibehalten und nicht an den Kontext angeglichen wurde.90 Dafür, dass die Eintragung des neuen Geistes in Ez 11,19 erst auf später redaktionsgeschichtlicher Ebene erfolgt ist, spricht auch der Sachverhalt, dass in den Ez 11 vorausgegangenen Kapiteln des Ezechielbuches רוחnoch nicht als eine anthropologische Größe begegnet, sondern dass רוחhier vor allem eine Größe ist, die wie ein von JHWH kommender Wind den Propheten Ezechiel gemeinsam mit dem כבדin Bewegung setzt und an verschiedene Orte führt. Ez 11,19–20 ist daher zunächst auf eine Neubestimmung des Herzens ausgerichtet, die das Haus Israel dazu befähigt, nach JHWHs Satzung ( )חקund JHWHs Recht ( )משפטzu leben und JHWHs Volk zu sein. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist das bereits zuvor erwähnte harte Herz (Ez 2,4 und 3,7), und ihre Vorlage ist in Jer 32,37–41 zu sehen, wo es wie in Ez 11,19 um die Gabe des einen Herzens ( )לב אחדgeht und wo sich in Ez 32,38 die Bundesformel findet, die auch in Ez 11,20 vorliegt ( והיו לי לעם ואני אהיה להם )לאלהים.91 Ez 18,31–32 bietet nun einerseits dieselbe Terminologie wie Ez 36,26, nämlich לב חדשund רוח חדשה, steht allerdings in einem völlig anderen inhaltlichen Zusammenhang. Während es in Ez 11,19–20 und 36,26–28 um die Neukonstituierung des Volkes und auch um die Erneuerung eines Bundes zwischen JHWH und seinem Volk geht, steht in Ez 18 der Einzelne im Mittelpunkt.92 Ausgehend von dem Sprichwort über die sauren Trauben in Vers 1–3 wird in zwei Argumentationsgängen die individuelle Verantwortung eines jeden für sein Verhalten und für sein Verhältnis zu Gott thematisiert. Im ersten geht es um die Frage nach der Schuld der Generationen (Vers 4–20), im zweiten um die Frage nach dem Wert der Gerechtigkeit (Vers 21–29). Beide Argumentationsgänge münden dann in die in Vers 31–32 thematisierte Aufforderung zur Umkehr,93 und in beiden wird die Frage nach Schuld und Unschuld mit der Frage nach Leben und Tod verwoben. Wer die Gebote JHWHs hält, der soll leben, wer schuldig ist, der soll sterben (Vers 17.18 bzw. 23). Auch wenn die Fragen, die das Sprichwort aufgeworfen hat, ursprünglich bereits in Vers 4 eine Antwort erhalten haben und die beispielhafte Darstellung in Vers 5ff erst sekundär ergänzt worden ist,94 so ist es aufgrund der engen Beziehungen innerhalb der Argumentationsgänge nicht möglich, 90
Vgl. ebd., 96. Ähnlich auch schon OHNESORGE 1991, 47. Vgl. A. KLEIN 2008, 103; LEVIN 1985, 205; SEDLMEIER 2013, 203; BLOCK 1997. 92 Wobei Sedlmeier zu Recht betont, dass die Erneuerung des Einzelnen auch zur Erneuerung des Hauses Israel führt. Vgl. SEDLMEIER 2013, 204. 93 Zum Aufbau von Ez 18 vgl. ausführlich SEDLMEIER 2002, 240.245. 94 So z.B. A. KLEIN 2008, 97; POHLMANN 1996, 260. 91
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diese voneinander zu trennen und hier weitere redaktionsgeschichtliche Ebenen auszumachen.95 Die Argumentation in Ez 18, die mit einem scheinbar althergebrachten Sprichwort einsetzt, hebelt des Weiteren alle üblichen Zusammenhänge von Tun und Ergehen aus. Sie erteilt nicht nur der Vorstellung einer Kollektivhaftung, wie sie sich etwa in Ex 20,5 oder in Klgl 5,7 findet, eine Absage, sondern sie hebelt auch den Zusammenhang von Gerechtigkeit und Ergehen aus, indem sie die Unterscheidung in gerecht ( )צדקund gottlos ( )רשעnicht als unumstößliche Kategorien bestehen lässt, sondern zu durchlässigen Größen macht. Man kann also sagen, dass innerhalb der kunstvoll miteinander verwobenen Argumentationsgänge in Ez 18 die Frage nach dem Lohn für richtiges Handeln auf eine im Alten Testament vollkommen neue Ebene gehoben wird.96 JHWH selbst präsentiert sich in diesem Zusammenhang als ein allgemein menschenfreundlicher Gott, der möchte, dass sich Gerechte wie Gottlose für ihn und dementsprechend für das Leben entscheiden (Ez 18,23.32). Der Unterschied zu Ez 11,19–21 und 36,26–28, dass die Menschen hier aufgefordert werden, sich selbst einen neuen Geist und ein neues Herz zu machen, erklärt sich in diesem Zusammenhang zunächst dadurch, dass Ez 18 überhaupt an die Initiative des Einzelnen und an sein richtiges Verhalten appelliert. d) Zusammenfassung Zwischen Ez 18,31–32, 36,26–28 und 11,19–20 besteht nun nicht nur deshalb eine Verbindung, weil alle drei Texte über die Gabe von Geist ( )רוחund Herz ( )לבnachdenken, sondern alle drei Texte zeigen gleichzeitig auch eine Nähe zum Jeremiabuch. Die Gabe eines einmütigen Herzens ()לב אחד, wie sie in Ez 11,19 thematisiert wird, findet sich, wie oben bereits angesprochen, auch und wahrscheinlich zuerst im Jeremiabuch in Jer 32,37–41, und dort auch in Verbindung mit der ebenfalls in Ez 11,20 und 36,28 verwendeten Bundesformel ()והיו־לי לעם ואני אהיה להם לאלהים. Die Gabe des Herzens findet sich im Jeremiabuch außerdem in Jer 24,7 und 31,31–34, dort ebenfalls verbunden mit der Bundesformel. Auch Ez 18 zeigt nun eine Nähe zum Jeremiabuch, wenn auch auf einer anderen Ebene; denn das Sprichwort über die sauren Trauben, das in Vers 1–3 als Auftakt des Kapitels dient, ist ebenfalls in Jer 31,29 bezeugt. Dort folgt auf das Sprichwort die Abhandlung über den Bund in Jer 31,31–34, die wiederum eine Nähe zu Ez 11,19–20 und 36,26–28 hat. A. Klein hat deshalb in Erwägung gezogen, „dass ein späterer Autor durch
95 Von vielen Exegeten wird ohnehin die Einheitlichkeit des Kapitels vertreten. Vgl. ZIMMERLI 1979, 396; ALLEN 1994, 268; BLOCK 1997, 554. Sedlmeier lässt die Frage nach der Redaktionsgeschichte von Ez 18 offen. Vgl. SEDLMEIER 2002, 239. 96 So auch SCHENKER 1981.
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die doppelte Abhandlung des Sprichwortes dazu angeregt wurde, auch das Motiv der Neuheit in Ez 18 nachzutragen“.97 Allerdings bliebe dann zu fragen, warum in Ez 18,31–32 der Gedanke des Bundes fehlt, der doch im Jeremiabuch und auch in den parallelen Stellen des Ezechielbuches eine wichtige Rolle spielt, und warum hier dieser eigene Weg gewählt wird, von einer Neuschaffung von Herz und Geist des Menschen zu sprechen, während im Jeremiabuch und auch in Ez 11,19–20 und 36,26–28 immer davon die Rede ist, dass JHWH Geist bzw. Herz gibt. In Anbetracht der Tatsache, dass Ez 18 dem Zusammenhang kollektiver Vergeltung (Dtn 24,16) sowie dem weisheitlichen Zusammenhang aus Tun und Ergehen eine Absage erteilt, könnte man zu dem Schluss kommen, dass hier eben auch dem Bundesgedanken eine Absage erteilt werden soll und Ez 18 ganz neue, eigene Wege mit einer gänzlich neuen Akzentsetzung beschreitet. Allerdings stünde dies im Widerspruch zu der Tatsache, dass auch Ez 36,26–28 mit der Betonung der Gabe von Gottes Geist einen neuen, eigenen Akzent setzt und dass in P 967 Ez 18,31 enthalten ist, während Ez 36,23bβ–38 fehlt, was im Allgemeinen dahin gehend gedeutet wird, dass in Ez 36,23bβ–38 einer der jüngsten Texte des Ezechielbuches vorliegt.98 Daher ist für die Verhältnisbestimmung aller drei Texte doch davon auszugehen, dass in Ez 18,31–32 der älteste Text vorliegt, der, wie auch A. Klein vermutet hat, das im Ezechiel- und im Jeremiabuch doppelt verwendete Sprichwort zum Anlass nimmt, um die Argumentation mit einem Appell für eine Neuschaffung des Herzens zu schließen, wie auch auf Jer 31,29 ein Gedankengang, der die Neugabe des Herzens zum Inhalt hat, folgt. Da Ez 18 aber losgelöst von alttestamentlichen Zusammenhängen argumentiert, greift es auch den Bundesgedanken aus Jer 31 nicht auf und spricht auch nicht von der Gabe des Herzens durch JHWH, sondern setzt ganz auf die Eigeninitiative des Menschen. Gleichzeitig kennt Ez 18 vermutlich den Vorwurf aus Ez 13,3 an die törichten Propheten, dass sie nur ihrem eigenen Geist folgen ()הוי על־הנביאים הנבלים אשר הלכים אחר רוחם ולבלתי ראו, und fordert deshalb nicht nur eine Erneuerung des Herzens, sondern auch des Geistes. Für Ez 11,19–20, wo es um den rechtmäßigen Landbesitz und um den Rest Israels geht, bekommt der Gedanke des Bundes, der sich im Jeremiabuch findet, doch wieder Bedeutung, so dass er hier in Anlehnung an Jer 32 aufgegriffen wird. Da רוחin den ersten Kapiteln des Ezechielbuches sehr prominent als der den Propheten bewegende Wind begegnet, geht Ez 11,19 wieder ganz auf das Jeremiabuch zurück und spricht nur von der Gabe des einmütigen Herzens ()לב אחד. Ez 36,26–28 wiederum kennt sowohl Ez 18,31–32 als 97
A. KLEIN 2008, 99. Fuhs’ Annahme, dass Ez 18,31–32 von 36,26ff abhängig ist, kann daher nicht zutreffend sein. FUHS 1988, 204. 98
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auch Ez 11,19–20 und führt beide Texte zusammen, indem es vom neuen Herzen und vom neuen Geist spricht. Gegenüber beiden Texten fügt Ez 36,26–28 außerdem den neuen Gedanken ein, dass der neue Geist des Menschen der Geist JHWHs ist. Der neue Geist ist dann wiederum später in Anlehnung an den Text aus Ez 36,26–28 in Ez 11,19 eingetragen worden. 4.5.3 Exkurs: רוחin Ps 51 und das Ezechielbuch Da Ps 51 neben den genannten Texten des Ezechielbuches der einzige Text im Alten Testament ist, in dem es um die Neuschaffung von Geist und Herz geht (Ps 51,12–14), soll dieser Psalm an dieser Stelle mit in den Blick genommen werden. a) Kompositionsgeschichtliche Erwägungen zu Ps 51 Ps 51 steht zu Beginn der zweiten Davidpsalmensammlung in Ps 51–72 und leitet diese Sammlung ein. Da er eine Vielzahl von Bezügen zu anderen alttestamentlichen Texten, vor allem zu prophetischen Texten, aufweist, liegt die Vermutung nahe, dass mit dem Psalm eine späte Komposition vorliegt, die eigens für die herausgehobene Position zu Beginn des zweiten Davidpsalters geschaffen wurde.99 Vor allem die Psalmüberschrift, die den Psalm im Leben Davids verortet, sowie die sprachlichen Anspielungen, die sich innerhalb des Psalms auf die David-Überlieferung, wie sie im Zweiten Samuelbuch vorliegt, finden, sprechen dafür, dass der Psalm für den bestehenden Kontext komponiert wurde.100 Des Weiteren spricht für diese Annahme, dass in Ps 51 zahlreiche Verheißungen aus den Prophetenbüchern aufgenommen und im Hinblick auf den betenden Einzelnen aktualisiert werden. Hierzu gehören der Gedanke der Vergebung der Sünden (Jes 43,25; 44,22; Jer 31,31– 34), der Gedanke der Neuschaffung (Jes 43,1–23), die Stiftung von Jubel (Jes 35,1.10; 51,3.11) sowie eben die Gabe eines reinen Herzens und eines neuen Geistes (Ez 11,19–20 und 36,26–28)101 sowie die Gabe des heiligen Geistes (Jes 63,11).
99
So PFEIFFER 2005, 296. Anders Zenger, der davon ausgeht, dass Ps 51 nachträglich an die Position zu Beginn der Sammlung Ps 51–72 gerückt wurde. Vgl. HOSSFELD/ZENGER 2000, 56. Spieckermann geht davon aus, dass die Überschrift des Psalms sekundär ist, und nimmt dementsprechend an, dass der Psalm ursprünglich selbständig bestand. Vgl. SPIECKERMANN 1998, 147. 100 Sprachliche Anklänge an das 2. Samuelbuch finden sich in Ps 51,3a auf 2 Sam 12,22, in Ps 51,6aα auf 2 Sam 12,13, in Ps 51,6aβ auf 2 Sam 12,9 und in Ps 51,16 auf 2 Sam 16,7–8. Vgl. die Tabelle bei PFEIFFER 2005, 297 sowie die Übersicht bei HOSSFELD/ZENGER 2002, 335. 101 Vgl. zu dieser Zusammenfassung auch HOSSFELD/ZENGER 2002, 337. Ausführlich finden sich die Parallelen auch diskutiert bei PFEIFFER 2005.
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Der Psalm lässt sich grob in zwei Teile unterteilen (Vers 1–11/12–20), wobei der erste Teil eher den Charakter eines Sündenbekenntnisses trägt, der zweite eher den Charakter einer Bitte um Sündenvergebung.102 Während im ersten Teil terminologisch der Begriff der Sünde prägend ist (Ps 51,3.5: ;פשע 51,4.7.11: ;עון51,4.5.6.7: ;חטה51,6: )הרע, ist der zweite Teil durch anthropologische Begriffe geprägt, besonders aber durch den Begriff רוח.103 Vor allem dieser Begriff begegnet innerhalb von Ps 51 in verschiedenen Ausrichtungen und Zusammenhängen. Der Beter bittet darum, dass ein beständiger Geist ( )רוח נכוןin ihm erneuert werde ( )חדשund dass JHWH seinen heiligen Geist nicht von ihm nehmen solle (רוח קדשך אל־תקח ממני, Vers 14b). Des Weiteren bittet der Beter um die Ausrüstung mit einem willigen Geist ()רוח נדיבה. נדיבfindet sich im Alten Testament häufig als Bezeichnung für Fürsten oder Edle (1 Sam 2,8; Jes 13,2; 32,5; Ps 107,40; 113,8; 118,9; 146,3; Prov 17,7; 19,6; 25,7 u.ö.). In der Bedeutung für „willig“ findet sich נדיבnur noch in 1 Chr 28,21 und 2 Chr 29,31. In Ex 35,5.22 ist es außerdem der Terminus für die freiwillig erbrachten Gaben für das Zeltheiligtum. Auch in 2 Chr 29,31 geht es darum, dass die zusätzlich zu den Schlachtund Lobopfern erbrachten Brandopfer willigen Herzens dargebracht werden ()כל־נדיב לב. Der heilige Geist ( )רוח קדשךbegegnet im Alten Testament nur hier und in Jes 63,10–11. Für die Beständigkeit, die in Ps 51,12 für den Geist erbeten wird ()רוח נכון, finden sich verschiedene Bezugspunkte in anderen alttestamentlichen Texten. So wird נכוןhäufig dafür verwendet, um zum Ausdruck zu bringen, dass eine Sache sicher sei (Gen 41,32; Ex 8,22; 34,2; Dtn 13,15; 17,4; 1 Sam 23,23; 26,4). Darüber hinaus ist es vor allem Davids Thron, von dem gesagt wird, dass er festen Bestand hat (2 Sam 7,16.26; 1 Kön 2,45; 1 Chr 17,14.24), ebenso wie JHWHs Thron (Ps 93,2) und der Tempelberg (Jes 2,2 und Mi 4,1). Innerhalb des Psalters geht es außerdem mehrmals darum, dass das Herz der Betenden bereit bzw. fest sei (Ps 57,8; 78,32; 108,2). In Anbetracht dieser vielfältigen Bezüge, die dieses Reden über die Neubestimmung, die Neuschöpfung ( )לב טהר ברא־ליdes sich als Sünder bekennenden Beters zu anderen alttestamentlichen Texten aufweist, ist es ausgeschlossen, dass alle erwähnten Referenztexte unabhängig voneinander auf Ps 51 Bezug nehmen. Vielmehr ist hiermit umso mehr deutlich, dass Ps 51
102
Vgl. PFEIFFER 2005, 293; A. KLEIN 2008, 106. HOSSFELD/ZENGER 2002, 333 unterteilen den Psalm ebenfalls in zwei Teile, allerdings in einen Teil in Ps 51,3–7 und in einen Teil in Ps 51,8–14. Pfeiffer wiederum unterteilt die beiden Teile ihrerseits in jeweils drei Strophen (Ps 51,3–4.5–8.9–11/12–14.15–17.18–19). 103 Vgl. PFEIFFER 2005, 294.
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alle diese Vorstellungshintergründe aufnimmt, um hier den sündigen Menschen vollkommen neu zu konstituieren.104 Bleibt noch zu fragen, welche Bedeutung die in Ps 51,12–14 in den Blick genommene Neuschöpfung des Menschen hat. b) Gottes Geist und die Neubestimmung des Menschen in Ps 51 Zunächst ist der Umstand, dass der Mensch in Sünde verhaftet ist, in Ps 51,3– 11 so schwerwiegend, dass es einer grundsätzlichen Neuausrichtung bedarf, wie sie dann in Vers 12–14 thematisiert wird. Mit der Bitte לב טהר ברא־לי אלהים ורוח נכון חדש בקרביwird zum einen der Gedanke der Neukonstituierung des Menschen in Geist und Herz, wie er sich im Ezechielbuch findet, aufgegriffen. Gleichzeitig wird durch die Verwendung des Verbs בראverdeutlicht, dass es sich um eine umfängliche Neuschöpfung handelt. Durch die Bitte, dass der beständige Geist erneuert ( )חדשwerden möge, wird zugleich darauf verwiesen, dass der Beter sich bereits in einer Beziehung zu JHWH befand. Dass in Vers 12 von einem reinen Herzen ( )לב טהרgesprochen wird, hat im Alten Testament ansonsten keine Parallele.105 Dieser Umstand verdankt sich einerseits den Paralleltexten innerhalb des Jeremia- und des Ezechielbuches, gleichzeitig aber auch den vorausgehenden Versen des Psalms 51, in denen es darum geht, dass der Beter von seiner Sünde gereinigt werden soll (ומחטאתי טהרני, Ps 51,4b). Durch die Qualifizierung der רוחals רוח נכון wird einerseits, passend zur Einordnung des Psalms in die Biographie Davids, auf die Beständigkeit des Throns Davids angespielt, zugleich aber auch auf die Bedeutung eines festen Herzens im Kontext des Psalters (Ps 57,8; 78,37; 108,2). In den folgenden Versen tritt dann der Begriff des Herzens zurück, und stattdessen wird die Qualität der רוחweiter entfaltet. Zum einen kann man das so verstehen, dass derjenige, der reinen Herzens ist, eben auch über einen durch dreierlei Qualitäten ausgewiesenen Geist verfügt,106 zum anderen liegt der Umstand, dass im Folgenden nur noch die רוחund nicht mehr das Herz thematisiert wird, möglicherweise daran, dass im Jeremiabuch und in Ez 11,19–20 und 36,26–28 mit der Erneuerung des Herzens auch die Erneuerung des Bundes zwischen JHWH und Volk verbunden ist, um die es in Ps 51 nicht geht. Hier geht es um die Neuschöpfung eines Einzelnen. In Anbetracht der in Ps 51,10 erwähnten zerschlagenen Knochen („ עצמות דכיתKnochen, die du zerschlagen hast“) bedarf es auch gerade der Gabe der belebenden רוח, wie sie auch das Ezechielbuch im Zusammenhang mit der Belebung der Totengebeine (ebenfalls )עצםin Ez 37 kennt.107 104
Für diese Reihenfolge der Abhängigkeit vgl. auch FUHS 1988, 204; A. KLEIN 2008, 106–110; HOSSFELD/ZENGER 2000, 52–53; H. GROẞ 1989, 107; E. HAAG 1987, 186–188. 105 Vgl. SPIECKERMANN/FELDMEIER 2011, 212. 106 Ebd., 212. 107 Vgl. auch A. KLEIN 2008, 109.
4.5 Neukonstituierung, Wiederbelebung und zukünftiges Heil
223
Der in Ps 51,13 erwähnte heilige Geist („ רוח קדשךGeist deiner Heiligkeit“) wird von den Geistaussagen in Vers 12.14 gerahmt. Im Zentrum der Bitten um die Erneuerung des Beters und um einen beständigen bzw. willigen Geist steht also die Bitte darum, dass JHWH seinen heiligen Geist nicht vom Beter nehmen möge. Dadurch, dass der heilige Geist JHWHs hier im Zentrum des Abschnittes über die Neuschöpfung des Menschen steht, wird deutlich, dass alle Veränderung des menschlichen Geistes und seine gesamte Neuausrichtung keinen Wert haben, wenn nicht auch Gottes Geist bei dem Beter ist. Dass hier an einer der wenigen Stellen des Alten Testaments neben Jes 63,10–11 vom heiligen Geist die Rede ist, liegt zum einen daran, dass die רוח, die der Angelpunkt aller menschlichen Erneuerung ist, eindeutig als Gottes רוחdargestellt werden soll. Dies geschieht durch die Verwendung des Zusatzes קדשך, damit unmissverständlich deutlich wird, dass alle Erneuerung des Menschen letztlich von Gott und seinem Geist ausgeht und getragen wird. Durch den Zusatz des Gedankens der Heiligkeit wird aber nicht nur die Provenienz der רוחals von JHWH her kommend beschrieben, sondern die רוח wird in die größtmögliche Beziehung zu JHWH gesetzt, indem sie Anteil an JHWHs Heiligkeit gewinnt. Gleichzeitig wird so natürlich eine Parallele zu Jes 63,10–11 hergestellt. Es ist davon auszugehen, dass Ps 51 den Text Jes 63,7–19 kennt und weiß, welche Wendung es nehmen kann, wenn Gottes heiliger Geist betrübt wird und er nicht mehr bei den Menschen ist.108 Die Rede von einem willigen Geist ( )רוח נדיבהin Ps 51,14 weist nun wiederum auf den in Ex 35,5.22 und 2 Chr 29,31 präsenten Gedanken hin, dass die von JHWH erbetenen Opfer willig bzw. freiwillig dargebracht werden sollen. Damit weist dieser Vers auf die folgenden Verse voraus, in denen es in Ps 51,18.19 auch um das Darbringen von Opfern geht. Die Neuschöpfung des Menschen beinhaltet zusammengefasst also Folgendes: Der Mensch wird reinen Herzens und damit rein von Sünden. Er wird neu geschaffen, gleichzeitig wird aber an seine Beziehung zu JHWH angeknüpft. Diese Beziehung ist es überhaupt, die die Grundlage und das Zentrum seiner Neubestimmung ist. Die Neuausrichtung des Menschen hat das Ziel, dass der Mensch freiwillig und willig und in Ausrichtung auf JHWH ein in Lehre, Gerechtigkeit und Opferkult JHWH entsprechendes Leben führen kann. Indem der Geist der Heiligkeit, der zugleich auch JHWHs Geist der Heiligkeit ist, auf dem Menschen ruht, gewinnt der Mensch ebenfalls Anteil an der Heiligkeit Gottes und entspricht in seinem Handeln und Denken ganz dem Denken und Handeln JHWHs.109 108 Spieckermann sieht die Abhängigkeit von Ps 51 und Jes 63 in umgekehrter Reihenfolge. Vgl. SPIECKERMANN/FELDMEIER 2011, 214. 109 Die Heiligkeit JHWHs, die auch eine JHWH entsprechende Heiligkeit des Menschen fordert (Lev 19,2), hat eine längere Entwicklungsgeschichte, die hier nicht in aller Aus-
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4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
4.5.4 Die רוחund der Prophet in Ez 11,5 Die Untersuchung der Belege zu רוחim Ezechielbuch, in denen es eindeutig um die רוחJHWHs geht, ist mit den obenstehenden Ausführungen so gut wie abgeschlossen. Lediglich zwei Belegstellen für רוח יהוהsind noch offen, von denen eine die Formulierung in Ez 11,5 ist: ותפל עלי רוח יהוה ויאמר אלי אמר „ כה־אמר יהוהund der Geist JHWHs fiel auf mich, und er sprach zu mir: Sprich: So spricht JHWH …“. Während die רוחin den übrigen Kapiteln des Ezechielbuches entweder eine den Propheten zusammen mit dem כבדbewegende Größe ist oder eine anthropologische Komponente, so ist sie hier der Auslöser für die Rede des Propheten. Ähnliche Formulierungen finden sich häufig in den erzählenden Büchern, in denen oft die Rede davon ist, dass Gottes Geist die Menschen zu bestimmtem Handeln oder Reden befähigt bzw. bewegt (Ri 3,10; 6,34; 11; 14,6; 1 Sam 10; 11,5; 16,13; 1 Chr 12,19; 2 Chr 15,1; 20,14 u.ö.). In den prophetischen Büchern des Alten Testaments finden sich derartige Formulierungen nicht, außer hier in Ez 11,5 und ähnlich in Ez 37,1. Im Ezechielbuch ist Ez 11,5 allerdings auch nicht als eine übliche Einleitung in die Rede des Propheten anzusehen. Weitaus geläufiger ist hier die Wortereignisformel ויהי ( דבר־יהוה אלי לאמרEz 3,16; 6,1; 7,1; 11,14; 12,1.17.21.26 u.ö.). Ungewöhnlich ist in Ez 11,5 auch die Formulierung mit dem Verb נפל. Dies ist der einzige Beleg im Alten Testament, in dem die Tatsache, dass Gottes Geist eine Person ergreift, mit diesem Verb ausgedrückt wird. Eher üblich sind ansonsten Formulierungen mit Formen von ( היה1 Sam 16,23; 19,9.20.23; 2 Chr 15,1; 20,14) oder mit Formen von ( צלחRi 14,6; 15,14; 1 Sam 10,6.10; 11,6; 18,10 u.ö.). An dieser Stelle kann und soll keine ausführliche Analyse des Wachstums von Ez 11 erfolgen. Da der Textabschnitt Ez 11,1–21 andere Schwerpunkte setzt als in den vorausgehenden Kapiteln Ez 8–10, wird meist angenommen, dass Ez 11,1–21 eine nachträgliche Erweiterung ist.110 Ez 11,5 ist Teil dieser sekundären Erweiterung. Offensichtlich soll hier neben weiteren inhaltlichen Ergänzungen auch eine weitere Charakterisierung des Propheten Ezechiel in den Text eingetragen werden, die ihn als einen Propheten beschreibt, der urplötzlich vom Geist JHWHs befallen wird und in diesem Zustand prophetisch redet. Diese Charakterisierung folgt den Aussagen über den Propheten, die in Ez 2,2 und in 3,24 gemacht werden, wo es nämlich heißt, dass die רוחin den führlichkeit thematisiert werden kann. Der Gedanke der Heiligkeit Gottes verlangt dem Menschen verschiedene Verhaltensweisen ab. Der Mensch ist dazu angehalten, JHWH zu loben (Jes 6,3), die Heiligkeit Gottes kann zum Maßstab des eigenen Handelns werden (Hi 6,10), und sie verpflichtet den Menschen, dieser Heiligkeit zu entsprechen (Lev 19,2). Diesen Gedanken kennt auch das Ezechielbuch, wenn in Ez 11,16 davon die Rede ist, dass das Volk JHWH nur wenig zum Heiligtum geworden ist. Vgl. dazu H.-P. MÜLLER 1976. 110 Vgl. SEDLMEIER 2002, 154.
4.5 Neukonstituierung, Wiederbelebung und zukünftiges Heil
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Propheten kommt und ihn auf die Füße stellt. Während in Ez 11,5 aber deutlich von der רוח יהוהdie Rede ist, ist die רוחin Ez 2,2 und 3,24 indeterminiert, so dass es hier also nicht um ein Gott und Mensch verbindendes Handeln geht, sondern eher um den allgemeinen Gedanken, dass Leben in den Propheten kommt. 4.5.5 Geistausgießung in Ez 39,29 Der letzte Beleg für רוח יהוהim Ezechielbuch, zumindest in der Reihenfolge des Masoretischen Textes, findet sich in Ez 39,29. Dieser Vers und die in ihm angekündigte Ausgießung der רוחauf das Haus Israel beendet die Perikope über Gog aus Magog in Ez 38–39. In der Textreihenfolge des Masoretischen Textes leitet die Geistausgießung zu den Heilskapiteln in Ez 40–48 über. Auf der Ebene von P 967 ist mit Ez 39,29 der Auftakt für das Wirken des Geistes im Zusammenhang mit der Belebung der Totengebeine in Ez 37 gegeben. Musste die Frage, welche Textreihenfolge älter ist, zuvor noch offenbleiben, spricht nun, nach der Analyse von Ez 37, vieles dafür, dass die Kapitel Ez 38–39 erst nach Ez 37 entstanden sind und ihren ursprünglichen Ort auch erst im Anschluss an Ez 37 haben. Ez 37 hat in seiner Grundschicht eine metaphorische Wiederherstellung Israels im Blick und ist erst im Rahmen späterer Überarbeitungen zu einem Text geworden, der auch im Sinne einer tatsächlichen Wiederherstellung der Erschlagenen gelesen werden kann. Dort aber, wo Ez 39 und insbesondere Ez 39,27 Ez 37 vorausgeht, entfällt die Möglichkeit, Ez 37 auf der metaphorischen Ebene zu lesen und zu verstehen, von vornherein. Insofern erscheint es mir eher wahrscheinlich, dass der Masoretische Text die ältere Reihenfolge der Texte bietet. Unabhängig davon, wie man das Alter dieser Texte bewertet, bringen Ez 37 und 39,29 jedoch einen ähnlichen Gedanken zum Ausdruck. In Ez 37,14 gibt JHWH seine רוח, damit Israel wieder leben und ins Land zurückkehren kann. Auch in Ez 39,28–29 geht es um die Sammlung Israels im Land. Sprachlich folgt Ez 39,29 allerdings nicht Ez 37, wo es darum geht, dass die רוחin die Menschen gegeben wird, was auf einer Ebene mit dem Nachdenken über die Neubestimmung des Menschen, wie es sich auch in Ez 18 und 11,19–21 findet, zu verstehen ist, sondern Ez 39,29 spricht von einer Ausgießung der )שפך( רוח, wie sie sich auch in anderen prophetischen Texten findet (Joel 3,1; Jes 32,15; 44,3). Auch wenn das Ziel, das mit der Gabe der רוחin den Menschen bzw. mit der Ausgießung der רוחverfolgt wird, ein ähnliches ist, so sind es doch unterschiedliche Vorgänge. Die Gabe der רוחin die Menschen erweckt das Bild, dass JHWH an jedem einzelnen Menschen handelt und dass jeder Einzelne eine neue Ausrichtung erfährt. Und auch wenn durch die Neuausrichtung dieser Einzelnen eine Wiederherstellung des Volkes Israel erreicht werden soll, erscheint das Volk als eine Gruppe von Individuen. Bei der Ausgießung der רוח, wie sie in Ez 39,29
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4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
beschrieben wird, ist der Einzelne nicht im Blick. Die רוחJHWHs wird über das Haus Israel ausgegossen. Der Vorgang ist damit von vornherein auf eine breite Wirkung ausgerichtet, ohne dass von einer Hinwendung zu jedem Einzelnen ausgegangen werden muss.
4.6 Zusammenfassung: Gottes Geist im Ezechielbuch 4.6 Zusammenfassung: Gottes Geist im Ezechielbuch
Wie fügen sich nun diese verschiedenen Vorstellungen der רוחin ein gemeinsames Bild? Oder anders gefragt: Lassen sie sich überhaupt in ein gemeinsames Bild bringen? Der Durchgang durch die Belege für רוחim Ezechielbuch hat gezeigt, dass רוחzunächst einmal in zwei sehr unterschiedlichen Bedeutungszusammenhängen begegnet. So ist רוחin den Visionstexten mehr als alles andere ein bewegendes Element, das den Propheten an unterschiedliche Orte versetzt (Ez 3,12.14; 8,3; 11,1.24; 43,5). Als dieses bewegende Element tritt die רוח in den Visionstexten immer im Zusammenhang mit der Bewegung des כבדin Erscheinung. Gleichzeitig zeigen sich durch die Verwendung des Verbs נשא terminologische Bezüge zu 2 Kön 2,16. Da auch der Thronwagen von einer רוחfortbewegt wird (Ez 1,12.20), רוחin diesen beiden Versen determiniert gebraucht wird ( )הרוחund auf den in Ez 1,4 erwähnten Sturmwind ()סערה verweist, und da auch in 2 Kön 2,11 der Prophet Elia von einem mit סערה bezeichneten Sturmwind entrückt wurde, der später in 2 Kön 2,16 dann als רוח יהוהbezeichnet wird, ist davon auszugehen, dass auch dort, wo der Prophet gemeinsam mit der כבדbewegt wird, mit der רוחder den Thronwagen und dann eben auch den Propheten antreibende Wind gemeint ist. Neben diesen Belegen, in denen die רוחim Ezechielbuch ein den Propheten dynamisierender Wind ist, begegnet die רוחansonsten vor allem als eine anthropologische Größe. Als solche ist sie zum einen dafür verantwortlich, das Handeln des Menschen zu beeinflussen. Dieser Gedanke steht hinter Ez 13,3, wo es darum geht, dass die Propheten nur ihrem eigenen Geist folgen. Er steht aber auch hinter den Texten, in denen es um eine Neuausrichtung des Menschen durch eine Neubestimmung von Herz ( )לבund Geist ( )רוחgeht (Ez 11,19–20; 18,31–32; 36,26–28). Gleichzeitig kann die רוח auch das den Menschen belebende Element sein. Diese Vorstellung prägt vor allem das Kapitel Ez 37, wo mehrfach gesagt wird, dass JHWH den Gebeinen רוחgeben will, damit sie wieder lebendig werden (Vers 5.14). Auf der Ebene der Grundschicht von Ez 37 (Vers 1–5.7.11–13) sind die Knochen eine Metapher für das Haus Israel. Indem sie רוחbekommen, werden sie wieder lebendig, allerdings im metaphorischen Sinne. Das Verständnis, das hinter dieser Grundschicht steht, ist dies, dass ein Leben ohne JHWH gleichbedeutend mit dem Tod ist, während ein Leben im richtigen Geist und mit JHWH das Leben bedeutet. Gedanklich steht die Grundschicht von Ez 37 auf einer Ebene mit
4.6 Zusammenfassung: Gottes Geist im Ezechielbuch
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Ez 18, wo der neue Geist ( )רוח חדשהund das neue Herz ( )לב חדשfür eine Neuausrichtung der Menschen stehen, das Handeln der Menschen aber gleichzeitig über Leben und Tod der Menschen entscheidet. Genau genommen geht es aber bei der Neubestimmung von Herz und Geist nicht nur um das Handeln des Menschen, sondern um eine Neuausrichtung auf JHWH hin. Dieser Gedanke wird in Ez 11,19–20 und 36,26–28 noch unterstrichen, indem durch die Neuausrichtung von Herz und Geist der Bund zwischen JHWH und seinem Volk erneuert wird. Die Verbindung von einer Neuausrichtung des Herzens mit dem Bundesgedanken entstammt dem Jeremiabuch. Im Ezechielbuch tritt die Erneuerung des Geistes hinzu, wahrscheinlich weil sie bereits in Ez 18 und 37 der Inbegriff für die Neuausrichtung des Menschen auf JHWH hin war, ohne dass der Bundesgedanke hier eine Rolle spielte. Der Gedanke, dass neues Herz und neuer Geist eine Ausrichtung auf JHWH verheißen, der Ez 18 und 37 im Rahmen der Grundschicht geprägt hat, hat auf einer späteren Ebene in Ez 37 zur Erweiterung der Vorstellung von einer metaphorischen hin zu einer tatsächlichen Wiederbelebung durch den Geist geführt (Ez 37,6.8–10). Im Rahmen dieser Fortschreibung wird die רוחzu einem Lebensodem ähnlich der נשמהaus Gen 2,7. Außerdem wird der רוחim Rahmen dieser Fortschreibung eine Unverfügbarkeit gegeben, indem sie erst von den vier Winden herbeigerufen werden muss. Gleichzeitig bleibt sie aber an JHWHs Wort gebunden. Aus diesen beiden großen Bereichen des Redens über die רוחim Ezechielbuch fallen Ez 11,5 und 39,29 heraus. Ez 11,5 liegt eher auf einer Linie mit dem Vorstellungshintergrund, der sich in den erzählenden Büchern des Alten Testaments in Bezug auf die רוחfindet, dass nämlich die רוחJHWHs auf einzelne Menschen kommt und diese zu bestimmtem Verhalten oder Reden befähigt. Dieser Gedanke findet sich in prophetischen Texten ansonsten nicht. Ez 39,29 wiederum hat zwar ein ähnliches Ziel wie die Texte Ez 11,19–20 und 36,26–28, nämlich die Sammlung des Hauses Israel im Lande, enthält aber nicht den Bundesgedanken, der Ez 11,19–20 und 36,26–28 prägt, und zeigt auch ein anderes Geistverständnis. Die רוחist hier keine anthropologische Größe, die den Menschen prägt und auf JHWH ausrichtet, sondern sie ist bei JHWH und wird von ihm auf das gesamte Haus Israel ausgegossen. Sie ist damit also eine Größe, die von außen auf die Menschen kommt, und keine Größe, die zu einer innerlichen Neuausrichtung führt. Damit verlässt sie das bei allen Nuancierungen ansonsten relativ konsistente Reden über die רוח, das Ez 11,19–20, Ez 18, Ez 36,26–28 und auch Ez 37 prägt. Gleichzeitig liegt Ez 39,29 damit in größerer Nähe zu anderen prophetischen Texten wie z.B. zum Jesajabuch (Jes 32,15; 44,3; Joel 3,1). Diese von den übrigen Geisttexten des Ezechielbuches deutlich verschiedene Vorstellung ist meines Erachtens ein weiterer Hinweis darauf, dass Ez 39 seinen ursprünglichen Ort nach Ez 37 hat und dass dementsprechend die Reihenfolge des Masoretischen Textes die ursprünglichere ist. Nach Einfügung der Gog-Kapitel greift Ez
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4. Kapitel: Gottes Geist im Ezechielbuch
39,29 noch einmal den Gedanken auf, dass es für die Sammlung des Hauses Israel und für den heilvollen Neuanfang, auf den dann die Kapitel 40–48 blicken, der רוחbedarf. Es wird aber, weil hier besonders stark das Kollektiv im Blick ist, nicht von einer Gabe des Geistes in den Menschen, sondern von einer Ausgießung des Geistes gesprochen. Dies würde dann gleichzeitig bedeuten, dass P 967 die Reihenfolge des Masoretischen Textes geändert hat, möglicherweise um für Ez 37 die Leseanweisung zu geben, diesen Text im Sinne einer tatsächlichen Wiederbelebung aller zu verstehen. Dieser Möglichkeit hat dann wiederum der Masoretische Text durch die späte Einfügung von Ez 36,23bβ–38 und damit auch durch die Einfügung von Ez 36,26–28 Einhalt geboten.
5. Kapitel
Gottes Geist im Joelbuch 5.1 Einführung 5.1 Einführung
Das Joelbuch ist Teil des Dodekaprophetons und steht dort zwischen den Büchern der Propheten Hosea und Amos, weswegen es von der älteren Forschung mitunter in das 8. Jahrhundert v. Chr. eingeordnet wurde. Da es aber eine Vielzahl von Bezügen zu anderen Prophetenbüchern aufweist und diese teilweise auch direkt zitiert, wird es heute zumeist in die Zeit ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. eingeordnet.1 Für diese Datierung in nachexilische Zeit spricht auch die Darstellung des Gemeindelebens, in dem Priester eine bedeutende Rolle spielen (Joel 1,9.13), Speis- und Trankopfer stattfinden können sollten (Joel 2,14) und Jerusalem von Mauern umgeben ist (Joel 2,9).2 Nicht unumstritten sind die Fragen nach der Gliederung und der Einheitlichkeit des Joelbuches. Nachdem es in der älteren Forschung zunächst in die beiden Teile Joel 1–2 und 3–4 gegliedert worden war, die als ein eher auf historischen Erfahrungen basierender erster Teil (Joel 1–2) und als ein eschatologischer zweiter Teil (Joel 3–4) verstanden wurden, ging man eine Zeitlang davon aus, dass das Joelbuch als ganzes nach dem Vorbild der zweiteiligen Klageliturgie eines Fasttages gestaltet sei und die beiden Hauptteile des Buches dementsprechend in Joel 1,2–2,17 und 2,19–4,21 vorlägen. Der erste Teil in Joel 1,2–2,17 beinhaltete einen wiederum zweigeteilten Aufruf zur Klage (Joel 1,5–20 und 2,1–17) und Joel 2,19–4,21 die ebenfalls zweigeteilte Gottesrede als Antwort auf die Klage (Joel 2,19–27 und 3,1–4,17). Die Mitte der Komposition bildete Joel 2,18.3 Diese Gliederung des Joelbuches wurde zuletzt noch von E. Zenger vertreten.4 Mit dieser Entscheidung, das Joelbuch in seiner Gesamtheit als eine planvoll gestaltete Liturgie zu verstehen, war
1
Auf die Bezugnahmen auf andere Texte des Alten Testaments wird im Folgenden noch näher einzugehen sein. Ein recht ausführlicher Überblick findet sich in einer Tabelle bei ZENGER 2016, 646–647. Diese Tabelle unterscheidet auch zwischen direkten Zitaten und bloßen Anspielungen. 2 Vgl. ebd., 647; JEREMIAS 2007, 2; DAHMEN/FLEISCHER 2001, 30–31. 3 Vgl. WOLFF 1975, 6–7; JEREMIAS 1988, 91–97. Jeremias hat seine Meinung in seinem ATD-Kommentar später revidiert. 4 Vgl. ZENGER 2016, 644.
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5. Kapitel: Gottes Geist im Joelbuch
gleichzeitig die Annahme verbunden, das Joelbuch für einheitlich zu halten.5 Zuvor war die Auffassung vertreten worden, dass der geschichtliche Teil (Joel 1–2) und der eschatologische Teil (Joel 3–4) auf verschiedene Verfasserkreise zurückgeführt werden müssten.6 Zu dieser Aufteilung in einen geschichtlichen Teil in Joel 1–2 und einen eschatologischen Teil in Joel 3–4, die auch literarkritisch voneinander zu unterscheiden sind, sind die meisten neueren Arbeiten mit Modifikationen zurückgekehrt.7 Dass dies seine Berechtigung hat, soll der folgende inhaltliche Durchgang durch das Joelbuch und die Darstellung seiner literarischen Spannungen zeigen: Das Joelbuch beginnt mit der Schilderung einer Heuschreckenplage und der damit verbundenen Hungersnot, die als ein Anzeichen des nahen Tages JHWHs interpretiert wird (Joel 1,15). Darauf folgt in Joel 2,1–11 eine Schilderung des Tages JHWHs, der als ein kriegerisches Szenario beschrieben wird, in dem das Land von einem großen, mächtigen Volk überrannt wird. Sowohl die Schilderung der Heuschreckenplage in Joel 1 als auch die Schilderung des Tages JHWHs in Joel 2 wird mit einem Aufruf zur Umkehr abgeschlossen. In Joel 1,14 findet sich der Aufruf קדשו־צום קראו עצרה „heiligt ein Fasten, ruft einen Fastentag aus“. Derselbe Ausruf findet sich mit dem Zusatz „blast das Schofar“ außerdem in Joel 2,15 ( תקעו שופר בציון )קדשו־צום קראו עצרה. Joel 2,15 geht allerdings bereits eine anders ausgerichtete Ermahnung zur Umkehr in Joel 2,12–14 voraus. Es wird dazu aufgefordert, sich nicht nur durch Fasten, Weinen und Klagen, also nicht nur äußerlich, sondern mit dem ganzen Herzen zu JHWH zu bekehren ( וגם־עתה „ נאם־יהוה שבו עדי בכל־לבבכם ובצום ובבכי ובמספדund auch jetzt, Spruch JHWHs, kehrt um zu mir mit euren ganzen Herzen und mit Fasten, mit Weinen und mit Klagen!“, Joel 2,12). In Joel 2,18–27 folgt auf die vorausgegangenen Schilderungen der Heuschreckenplage und des Tages JHWHs eine Antwort JHWHs, die auch als JHWH-Rede formuliert ist, die allerdings mit Ausnahme von Vers 20 aus5 Vgl. WOLFF 1975, 6; JEREMIAS 1988, 91–97; PRINSLOO 1985; SWEENEY 2003, 133– 154. Allerdings wurde in Joel 4,4–8 auch bei Vertretern der Einheitlichkeit oft mit einem sekundären Zusatz gerechnet. Vgl. DEISSLER 1992, 66. 6 Vgl. H.-P. MÜLLER 1965/66. 7 Vgl. JEREMIAS 2007, 3–4; BECK 2005, 141; ROTH 2005, 57–60; A. K. MÜLLER 2008, 19–22. Auch Dahmen und Fleischer wenden sich gegen eine Zäsur in Joel 2,18 und plädieren für die Zweiteilung in Joel 1–2 und 3–4. Allerdings sehen sie das Joelbuch, abgesehen von einzelnen Zusätzen in Joel 4, als eine literarische Einheit an. Vgl. DAHMEN/FLEISCHER 2001, 22–27. Neben diesen Arbeiten, die sich unmittelbar mit dem literarischen Wachstum des Joelbuches beschäftigen, gibt es eine Reihe von Arbeiten, die das Joelbuch in Hypothesen zur Entstehung des Zwölfprophetenbuches einzuordnen versuchen. Zu nennen sind hier vor allem BERGLER 1988; SCHART 1998; NOGALSKI 1993; BOSSHARD -NEPUSTIL 1997. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen findet sich bei ROTH 2005, 88–93.
5.1 Einführung
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schließlich auf die im Zusammenhang mit der Heuschreckenplage erwähnte Hungersnot Bezug nimmt. Joel 3,1 bietet mit der Formulierung והיה אחרי־כןeinen Neueinsatz. Zugleich sind die Verse Joel 3,1–3 wie die vorausgegangenen Verse Joel 2,19– 17 weiterhin als JHWH-Rede gestaltet und somit in der 1. Person Singular formuliert, während Joel 3,4.5 wieder in die 3. Person Singular wechselt. In Joel 4,1 zeigt die Formulierung „ כי הנה בימים ההמה ובעת ההיאdenn siehe, in diesen Tagen und zu dieser Zeit“ einen weiteren Neueinsatz an. Inhaltlich geht es in Joel 4 um die Sammlung der Heiden ( )הגויםim Tal Josaphat und um das Gericht an ihnen, während Israel gerettet werden und vom Zion das Heil ausgehen soll. Dieser Unterscheidung in das Volk Israel und die Heiden scheint die Ankündigung in Joel 3,1 entgegenzustehen, nach der JHWH seinen Geist auf alles Fleisch ( )כל־בשרausgießen will. Dieser kurze inhaltliche Überblick zeigt deutlich, dass das Joelbuch kaum als eine einheitliche Komposition verstanden werden kann. Es wird aber ebenso deutlich, dass es mit einer literarkritischen Scheidung in einen ersten, geschichtlichen Teil in Joel 1–2 und in einen zweiten, eschatologischen Teil in Joel 3–4 nicht getan ist. In Joel 1–2 fällt vor allem auf, dass die Heilsaussage, die in Joel 2,18ff auf die Unheilsschilderungen in Joel 1,1–2,17 folgt, mit Ausnahme von Joel 2,20 nur auf den ersten Teil der Unheilsschilderung, nämlich auf die Heuschreckenplage, um die es in Joel 1 geht, Bezug nimmt. Weiterhin sind der doppelte Ausruf, dass es Speis- und Trankopfer nicht mehr gibt, in Joel 1,9 und 1,13 (הכרת מנחה ונסך מבית יהוה, Joel 1,9/ כי נמנע מבית אלהיכם מנחה ונסך, Joel 1,13) und die jeweils unterschiedliche Gottesbezeichnung ( יהוהin Joel 1,9 und אלהיםin 1,13) auffällig. Dies gilt ebenso für die dreifache Aufforderung zum Fasten, die in Joel 1,14 und mit wörtlicher Aufnahme in Joel 2,15b ( )קדשו־צום קראו עצרהund in der an eine Bekehrung des Herzens gebundenen Aufforderung in Joel 2,12–13 vorliegt. Eine weitere Spannung ist in der doppelten Erwähnung des Verdorrens des Weinstockes in Joel 1,7 und 1,12 zu sehen. Dies alles wirkt nicht so, als könnte in Joel 1–2 tatsächlich eine einheitliche Komposition vorliegen, die zwei verschiedene Aspekte des Tages JHWHs illustrieren sollte, auch wenn dies auf der Ebene des Endtextes sicherlich intendiert ist.8 Vielmehr scheint es doch so zu sein, dass hier zwei ursprünglich getrennt voneinander vorliegende literarische Stücke zu der nun vorliegenden Komposition durch die Einfügung sekundärer Querverweise miteinander verbunden wurden.9 Vorstellbar ist, dass in Joel 1,2–5.10–18.19–20 die 8
Gegen Jeremias, der die beiden Kapitel für eine „unlösliche sachliche Einheit“ hält. Vgl. JEREMIAS 2007, 3. Wie Jeremias auch DAHMEN/FLEISCHER 2001, 21–22. 9 Die These, dass verschiedene schriftlich bereits vorliegende Traditionen zu einem neuen Szenario zusammengeführt wurden, vertritt auch ROTH 2005, 102, er kommt aber zu anderen Ergebnissen.
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5. Kapitel: Gottes Geist im Joelbuch
Schilderung einer Heuschreckenplage und einer mit dieser verbundenen Hungersnot vorlag, die als ein Anzeichen für das Nahen des Tages JHWHs verstanden wurde (Joel 1,15). Als eine Lösung dieser Situation wurde der Aufruf zum Fasten verstanden, der sich in Joel 1,14 findet. Ab Joel 2,19 bis 2,27 findet sich die Antwort JHWHs auf die Schilderung der Not und auf das Schreien zu JHWH. Mit diesem Szenario wurde eine Schilderung des Tages JHWHs, die sich in Joel 2,1–11 findet, wo der Tag JHWHs als ein kriegerisches Szenario beschrieben ist, verbunden. Die Verbindung beider Stücke geschieht durch den Eintrag von Joel 2,15–17, der den Aufruf zum Fasten aus Joel 1,14 wieder aufnimmt, und durch den Eintrag von Joel 1,6–9, durch den in die Schilderung der Heuschreckenplage der Gedanke der Bedrohung durch ein Volk mächtig an Zahl ( )כי־גוי עלה על־ארצי עצום ואין מספרeingetragen wird, so dass die Heuschrecken nun als Metapher für das kriegerische Volk aus Joel 2,1–11 gelesen werden können. In einem noch späteren Stadium werden in die Komposition aus Joel 1 und 2 die Verse Joel 2,12–14 eingetragen worden sein, die betonen sollen, dass wahre Umkehr nicht nur durch äußerliches Fasten, sondern auch durch eine innerliche Neuausrichtung des Menschen erreicht werden kann.10 Joel 3 und 4 verlassen das Gefüge in Joel 1 und 2 und weisen keine direkten Verbindungen zu den vorausgegangenen Kapiteln auf, abgesehen davon, dass es immer noch um das Szenario eines Tages JHWHs geht. Joel 4 scheint noch eher an Joel 2 anzuschließen als Joel 3. Auf die Aussage in Joel 2,27, dass JHWH mitten unter seinem Volk sei und dass es durch nichts zuschanden werden könne ( וידעתם כי בקרב ישראל אני ואני יהוה אלהיכם ואין עוד )ולא־יבשו עמי לעולם, schließt sich Joel 4 gut an. Joel 2,19–21 schildert, wie JHWH das zuvor beklagte Geschick des Volkes wendet, Joel 4 beschreibt weiterhin, was nach dieser Wende geschehen wird ( כי הנה בימים ההמה ובעת ההיא אשר אשוב את־שבות יהודה וירושלם, Joel 4,1), nämlich ein Gericht an den Heiden und eine Herstellung paradiesischer Zustände, die vom Berg Zion ausgehen (Joel 4,18).11 Die Darstellung hebt sich dabei deutlich von der in Joel 1 und 2 vorherrschenden Metaphorik ab. Auch ist die Heilswende nicht mehr nur eine Wiederherstellung der mehr oder weniger normalen innerweltlichen Verhältnisse, wie es noch in Joel 2,19–27 der Fall ist, sondern sie ist deutlich über diese hinausgehend.12 10
Ältere redaktionskritische Hypothesen zu Joel 1–2 finden sich bei HÖLSCHER 1914, 430ff und bei DUHM 1904. Neuere redaktionskritische Ansätze bieten LORETZ 1986, 140– 144 und PLÖGER 1962, 117–128. 11 Zur Verbindung von Joel 2 und 4 vgl. auch JEREMIAS 2007, 4. 12 Dass Joel 4 zunächst an Joel 2,27 anschloss, wird auch von Roth vertreten, der den Textbestand in Joel 4 zunächst in Vers 1–3 und Vers 4–7 vorliegen sah. Vgl. ROTH 2005, 102. Da die literarische Schichtung von Joel 4 für die Frage nach Gottes Geist innerhalb des Joelbuches nicht relevant ist, soll sie hier nicht detailliert erhoben werden. Weitere
5.1 Einführung
233
Bleibt die Frage zu klären, wie Joel 3 in die Abfolge von Joel 1–2 und 4 eingeordnet werden kann. Joel 3 wird in Vers 1 mit der Formulierung והיה אחרי־כןeingeleitet, und es stellt sich die Frage, worauf sich diese zeitliche Einordnung bezieht. Es kann kaum die Wiederherstellung in Joel 2,19–27 gemeint sein. Eher ist Joel 3 als eine Klärung der Frage zu lesen, wer zu denen gehören kann, die in dem in Joel 4 beschriebenen Szenario gerettet werden. Mit der Betonung, dass der Tag JHWHs groß und schrecklich sein werde (יום יהוה הגדול והנורא, Joel 3,4), wird die Bedeutung dieser Frage gleichzeitig noch unterstrichen. Während es in Joel 4 in gewisser Weise eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint, dass das Gericht den Heiden gilt und das Volk JHWHs gerettet werden wird (Joel 4,16), scheinen diese Automatismen in Joel 3 aufgehoben zu sein. Am Ende werden diejenigen gerettet, die infolge der Geistausgießung auf alles Fleisch ( )כל־בשרJHWH anrufen und auf Zion Rettung finden (Joel 3,5). Dadurch, dass Joel 3 noch einmal über die vorausgegangenen Schilderungen hinausgeht, wird auch die Bedeutung von והיה אחרי־כןdeutlich. Es geht nicht um eine Anküpfung an die Ausführungen aus Joel 1 oder 2, sondern es geht um ein Ereignis, das erst auf alle erwartbaren Szenarien folgt und das daher als eschatologisch zu begreifen ist.13 Eingang in den bestehenden Textzusammenhang hat Joel 3 daher ganz offenkundig auch erst nach Joel 4 gefunden, um dem Nachdenken über den Tag JHWHs und der Frage, wer an diesem Tag bestehen kann, eine neue Ausrichtung zu geben.14 Joel 3,1–5 ist damit der jüngste Text in einer ohnehin recht jungen Prophetenschrift.15
Überlegungen zu einer literarischen Schichtung von Joel 4 finden sich bei DEISSLER 1992, 67. Er hält Joel 4,4–8 und 4,21 für literarische Nachträge und erwägt dies auch für Joel 4,18–20. Dahmen und Fleischer sehen die Nachträge in Joel 4,4–8 und 4,18–21. Vgl. DAHMEN/FLEISCHER 2001, 27. 13 So auch NOGALSKI 2003, 202. 14 Die These, dass es sich bei Joel 3 um den jüngsten Text des Joelbuches handelt, findet sich ebenfalls vertreten bei JEREMIAS 2007, 4; ROTH 2005, 102; BECK 2005, 201. Vgl. außerdem A. K. MÜLLER 2008, 204–209 und WÖHRLE 2006, 427. 15 Da in Joel 4,4–8 Sidon erwähnt wird, das im Jahr 343 v. Chr. durch den Perserkönig Artaxerxes zerstört wurde, wird dieses Jahr mitunter als terminus ante quem für die Entstehung des Joelbuches betrachtet. Vgl. DEISSLER 1992, 67. Da die Verse Joel 4,4–8 allerdings auch in dem Wissen um die Zerstörung der Stadt eingefügt worden sein können, scheint diese Argumentation nicht stichhaltig zu sein. Jeremias hält dieses Argument ebenfalls für nicht zwingend, vgl. JEREMIAS 2007, 2.
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5. Kapitel: Gottes Geist im Joelbuch
5.2 Joel 3 und seine innerbiblischen Bezüge 5.2 Joel 3 und seine innerbiblischen Bezüge
Das Joelbuch weist eine Vielzahl von Bezügen zu anderen Prophetenschriften und auch zu anderen alttestamentlichen Schriften auf.16 Die meisten dieser Verbindungen rühren daher, dass das Joelbuch mit seiner Darstellung des Tages JHWHs in einer Reihe mit anderen Texten steht, die ebenfalls über diesen Tag nachdenken.17 Zu nennen sind hier vor allem Jes 13 und 34, Ez 30 sowie 38–39, Jer 4–6, Am 5,18–20, das Obadjabuch, Zef 1,14–18, Sach 14 und Mal 3. Gleichzeitig zeigt das Joelbuch durch das Motiv der Heuschreckenplage in Joel 1 Verbindungen in das Exodusbuch, insbesondere zu den Plagen in Ex 10, und zu Nah 3,15–17, wo die Heuschrecken ebenfalls als Metapher für eine feindliche Invasion dienen.18 Darüber hinaus ist vor allem Joel 3 ebenfalls im Zusammenhang der Texte zu verstehen, die in ähnlicher Weise von einer Ausgießung des Geistes Gottes reden (Jes 29,10; 32,15; 44,3; Ez 39,29; Sach 12,10; Num 11,29). Zwischen dem Joelbuch und den Texten des Alten Testaments, die sich mit der Vorstellung von einem Tag JHWHs beschäftigen, finden sich Übereinstimmungen vor allem darin, dass ähnliche Motive zur Schilderung dieses Tages verwendet werden. Da das Joelbuch in seiner Gesamtheit ganz verschiedene Aspekte des Tages JHWHs beleuchtet, finden sich dementsprechend, vom Endtext ausgehend, auch Bezüge zu einer Vielzahl von anderen Texten. So teilt das Joelbuch (Joel 2,10) mit Am 5,18.20, Sach 14,7, Jes 13, Ez 30,3 und Zef 1,15 die mit dem Tag JHWHs verbundene Lichtmetaphorik bzw. den Gedanken, dass dieser Tag eben nicht licht, sondern ein Tag der Finsternis ist. Ebenso zeigen sich vor allem in Joel 1 und 2 (1,9.13; 2,14–16) Bezüge zum Kult, wie sie sich auch in Jes 34,6, Jer 46,10 und Zef 1,7 finden sowie in der unmittelbar auf die Ankündigung des Tages JHWHs folgenden Kultkritik in Am 5,18–20.19 Gleichzeitig zeigt vor allem Joel 2,7–9 eine Nähe zu Texten, in denen der Tag JHWHs in erster Linie als ein kriegerisches Szenario dargestellt wird (Jes 2,15; 13,15ff; 22,1–14; Ez 7,14; Zef 1,14–16). In Joel 2,1.14 gehört das Blasen des Schofars in diesen kriegerischen Zusammenhang. Dieses Blasen des Schofars ist außerdem ein wichtiges Motiv in den Gerichtstexten in Jer 4–6 (4,5.19.21; 6,1.17) und findet sich auch in Hos 5,8, Am 2,2 und 3,6 und in Zeph 1,16.20 Mit dem Jeremiabuch teilt das Joelbuch 16 Eine Tabelle, die die wichtigsten intertextuellen Bezüge des Joelbuches auflistet, findet sich bei ZENGER 2016, 646. 17 Ein Überblick über die theologische Entwicklung des Redens vom Tag JHWHs findet sich bei SPIECKERMANN 1989 (II). 18 Vgl. BERGLER 1988, 247–333. 19 Allerdings geht es in Joel 1,9.13 und 2,14–16 um Speise- und Trankopfer ( מנחה )ונסך, während sich in Jer 46,10 und Zef 1,7 der Begriff „Schlachtopfer“ ( )זבחfindet. 20 In Ez 7,14 wird nicht in das Schofar, sondern in ein anderes Blasinstrument geblasen ()תקעו בתקוע.
5.2 Joel 3 und seine innerbiblischen Bezüge
235
ebenfalls den Gedanken, dass eine Erneuerung des Herzens notwendig ist, um in dem angekündigten Gerichtsszenario bestehen zu können (Joel 2,13: וקרעו „ לבבכם ואל־בגדיכםzerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider“; Jer 4,4: „ המלו ליהוה והסרו ערלות לבבכםbeschneidet euch für JHWH und entfernt die Vorhaut eures Herzens“). Und schließlich findet sich in Joel 4 der Gedanke eines Völkerkampfes und der Bewahrung Zions, wie er sich innerhalb des Zwölfprophetenbuches auch in Sach 14 und in Obd 17–21 findet. Ziel dieser Arbeit kann es nun nicht sein, diesem Beziehungsgeflecht nachzugehen und eine chronologische Reihenfolge der literarischen Abhängigkeiten zu erstellen. Ohnehin ist in Anbetracht der Vielfalt der Aufnahme von Motiven davon auszugehen, dass die meisten Texte dem Joelbuch bereits vorlagen und in die Gesamtkomposition des Buches eingeflossen sind.21 Besonderes Augenmerk verdienen an dieser Stelle allerdings diejenigen Prophetentexte, an die das Joelbuch vor allem im Hinblick auf Joel 3 und 4 am dichtesten angelehnt zu sein scheint. Dies ist zum einen das Amosbuch, mit dem das Joelbuch nicht nur einzelne, sondern gleich mehrere Aspekte, die mit dem Tag JHWHs in Verbindung stehen, teilt, und zum anderen sind dies Ez 38–39.40–48 sowie Sach 12–14, die vor allem im Hinblick auf die Komposition der in ihnen enthaltenen Texte eine große Nähe zu Joel 3 und 4 zeigen. Mit dem Amosbuch, das in Am 5,18–20 den vermutlich ältesten Text zum Tag JHWHs im Alten Testament aufweist, teil das Joelbuch das Motiv des Schofars (Am 2,2), das der Finsternis (Am 5,18), die Verbindung zum Kult (Am 5,21ff; Joel 1,9.14; 2,14–15), das Motiv der Heuschrecken (Am 7,1) sowie die Vorstellung paradiesischer zukünftiger Zustände (Am 9,13–15; Joel 4,18–21), so dass anzunehmen ist, dass die Auswahl und die Anordnung der Stoffe in Joel 1–4 bewusst auf das – auf das Joelbuch folgende – Amosbuch hin gestaltet ist.22 Gerade im Hinblick auf den Gedanken der Geistausgießung, wie sie in Joel 3,1 angekündigt wird, sind aber Ez 38–39.40–48 sowie Sach 12–14 interessant. In Ez 39,29 und in Sach 12,10 finden sich die einzigen Texte des Alten Testaments, in denen abgesehen von Joel 3,1 von einer Ausgießung des Geistes JHWHs mit dem Verb שפךgesprochen wird. Zwar gibt es auch im Jesajabuch drei Texte, in denen es um das Ausgießen des Geistes geht (Jes 29,10; 32,15; 44,3), allerdings mit anderen Verben als שפך.23 21
Vgl. DEISSLER 1992, 66. Zu den Beziehungen zwischen dem Joel- und dem Amosbuch vgl. auch DAHMEN/ FLEISCHER 2001, 16–19. Außerdem NOGALSKI 2003. 23 Jes 44,3: ;יצק32,15: ;ערה29,10: נסך. In den Zusammenhang einer Geistübertragung auf die Vielen gehört auch Num 11,29, hat aber, wie noch zu zeigen sein wird, eine andere Perspektive als die Texte aus den Prophetenbüchern. Zu den Paralleltexten vgl. auch DEISSLER 1992, 80–82. Außerdem BECK 2005, 182–184. 22
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5. Kapitel: Gottes Geist im Joelbuch
Ez 39,29 gehört zu den hinteren Kapiteln des Ezechielbuches und bildet in der vom Masoretischen Text bezeugten Kapitelreihenfolge den Auftakt für die Beschreibung der heilvollen Zustände, die sich in Ez 40–48 findet. Der Geistausgießung in Ez 39,29 geht eine Darstellung des Gerichts an Gog voraus. Sowohl innerhalb dieser Gerichtsschilderung als auch innerhalb der Darstellung der heilvollen Zustände in Ez 40–48 finden sich Anklänge an Joel 4. Sowohl in Joel 4 als auch in Ez 38 und 39 werden die Heiden zu einem Gerichtsszenario nach Jerusalem geführt, und in beiden Texten findet das endgültige Szenario in einem der Täler Jerusalems statt, in Joel 4 im Tal Josaphat (עמק יהושפט, Joel 4,2), das später in das Tal der Entscheidung ( עמק החרוץ, Joel 4,14) umbenannt wird, und in Ez 39,11 im „Tal der Heerhaufen des Gog“ ()גיא המון גוג. Beide Ereignisse dienen zudem dazu, das Schicksal Jakobs (Ez 39,25) bzw. Judas und Jerusalems (Joel 4,1) zu wenden (Ez 39,25: ;עתה אשיב את־שבית יעקב ורחמתי כל־בית ישראלJoel 4,1: אשיב את־שבות )יהודה וירושלם. Ein Unterschied zwischen Ez 38.39 und Joel 4 besteht allerdings darin, dass in Ez 38.39 wiederholt zum Ausdruck gebracht wird, dass die Heiden erkennen sollen, dass JHWH Gott ist (Ez 38,16.23; 39,7), während in Joel 4,17 das Volk Israel erfahren soll, dass JHWH der Gott seines Volkes ist und auf dem Berg Zion wohnt. Dem Joel- und dem Ezechielbuch gemein ist dann wiederum die Vorstellung, dass in der heilvollen Zukunft vom Tempel JHWHs in Jerusalem eine Quelle ausgehen wird (Joel 4,18; Ez 47,1).24 Zusätzlich zu diesen alles in allem recht deutlichen Parallelen zwischen dem Ezechiel- und dem Joelbuch gibt es einen weiteren interessanten Berührungspunkt, der allerdings weniger offenkundig ist. Wie die Untersuchungen zum Ezechielbuch gezeigt haben, geht es den Texten, die Ez 39,29 vorausgehen (Ez 11,19–20; 18; 36,26–28), um eine Neuausrichtung bzw. um eine neue Konstituierung des menschlichen Herzens und Geistes. In Ez 11,19–20 ging es zuerst sogar nur in Anlehnung an das Jeremiabuch und in Aufnahme des verstockten Herzens aus Ez 2,4 und 3,7 um die Neuausrichtung des Herzens (Ez 11,19), während die Erneuerung des Geistes erst später im Rückgriff auf Ez 36,26 in den Text eingetragen wurde.25 Das Ezechielbuch ist also sehr stark an einer Neubestimmung des Menschen interessiert, die sich vor allem auch in einer Änderung des Herzens manifestiert. Der Vorgang der Erneuerung des Menschen ist damit ein Prozess, der sich im Inneren des Menschen vollzieht, während die in Ez 39,29 und Joel 3,1 angekündigte Geistausgießung von außen über den Menschen kommt. Auch das Joelbuch geht in Joel 2,13 davon aus, dass es auf die Änderung des menschlichen Herzens ankommt und nicht nur auf die Änderung des Verhaltens. Joel 2,12–13 zeigt eine Möglichkeit auf, dem zuvor geschilderten Tag JHWHs zu entgehen. 24 25
Vgl. auch DEISSLER 1992, 86. Vgl. A. KLEIN 2008, 96; OHNESORGE 1991, 47.
5.2 Joel 3 und seine innerbiblischen Bezüge
237
Auch hier spielt das menschliche Herz eine wichtige Rolle. Die Menschen sollen sich von ganzem Herzen zu JHWH bekehren (שבו עדי בכל־לבבכם, Joel 2,12), und sie sollen in ihrer Klage ihre Herzen und nicht ihre Kleider zerreißen (וקרעו לבבכם ואל־בגדיכם, Joel 2,13). Sowohl das Ezechiel- als auch das Joelbuch verbinden mit der Neuorientierung des Herzens dann natürlich auch eine Änderung des äußerlichen Verhaltens (Ez 18; 36,27). Ebenso haben beide die Vorstellung gemeinsam, dass JHWH sich am Ende als gnädig erweist. Im Joelbuch wird dies mit der wohl aus dem Exodusbuch übernommenen Formel „denn er ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte“ zum Ausdruck gebracht (Joel 2,13b: )כי־חנון ורחום הוא ארך אפים ורב־חסד, während das Ezechielbuch den Wunsch JHWHs, dass die Menschen zu ihm umkehren, durch den Hinweis zum Ausdruck bringt, dass JHWH keinen Gefallen am Tod der Lebenden habe (Ez 18,23.31; 33,11). Zu guter Letzt ist dem Ezechiel- und dem Joelbuch dann außerdem gemein, dass der Gedanke von der Ausgießung des Geistes erst sehr spät in die Texte hineingekommen ist bzw. erst spät seinen festen Platz in der Kapitelreihenfolge gefunden hat. Für das Ezechielbuch spiegelt die unterschiedliche Reihenfolge von Masoretischem Text und P 967 das Ringen darum, wo die Geistausgießung zu verorten ist, wider: vor Ez 37 als Auftakt der Wiederherstellung Israels oder vor den Heilskapiteln in Ez 40–48. In das Joelbuch ist die Vorstellung von der Geistausgießung in Joel 3,1–5 als jüngster Text hineingekommen als Auftakt der Gerichtsschilderung in Joel 4. Die Texte von der Geistausgießung in Joel 3,1 und in Ez 39,29 finden sich also beide in einem Kontext, in dem ein Gerichtsszenario beschrieben wird, das in eine Heilsschilderung mündet, in der von Jerusalem eine Quelle ausgeht, die paradiesische Gegebenheiten herbeiführt, und beide Texte finden sich in einem Prophetenbuch, das neben der Vorstellung der Geistausgießung auch den Gedanken einer inwendigen Neukonstituierung des Menschen kennt. Beide Texte haben ebenfalls nicht schon immer ihren festen Platz im Gesamtzusammenhang gehabt, sondern sind erst spät dorthin eingetragen oder dort an einer bestimmten Stelle verortet worden. Um Joel 3,1 und Ez 39,29 zueinander in ein Verhältnis zu setzen, ist Folgendes zu bedenken: Aufgrund der Tatsache, dass das Ezechielbuch das Gericht an Gog unter anderem auch als den Beginn der Rückführung Israels ins Land und damit als ein Ereignis innerhalb historischer und so doch innerweltlicher Vorgänge schildert (Ez 39,27.28), und aufgrund der Tatsache, dass sich die Darstellung in Ez 38–39 und 40–48 über mehrere Kapitel erstreckt, die zunächst auch unabhängig voneinander bestanden haben können, während sich der Gedanke des Gerichts an den Heiden und die Vorstellung von der Existenz der Tempelquelle in Joel 4 innerhalb nur eines Kapitels finden, scheint das Joelbuch sich auf das Ezechielbuch zu beziehen. Joel 3,1–5 wäre dann als eine erneute Aufnahme aus dem Ezechielbuch zu verstehen, die in dem Bewusstsein der
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5. Kapitel: Gottes Geist im Joelbuch
Nähe von Joel 4 zu Ez 38–39.40–48 den Gedanken der Geistausgießung nachträglich Joel 4 vorangestellt hat, um so einerseits der Tatsache Rechnung zu tragen, dass das Anbrechen der Zukunft mit der Gabe des Geistes verbunden ist, und um andererseits die heidenkritische Sicht von Joel 4 zurückzunehmen und die heilvolle Zukunft auch für diejenigen zu öffnen, die nach der Ausgießung des Geistes Gottes beginnen, JHWH anzurufen.26 Während Ez 39,29 nun am Ende des Gerichtsszenarios über Gog aus Magog steht und den Auftakt zu der Schilderung einer heilvollen Zukunft in Ez 40–48 bildet, legt der Kontext der Geistausgießung in Joel 3,1–5 nahe, dass sie erfolgt, bevor der große und schreckliche Tag JHWHs kommt ( יום יהוה הגדול והנורא, Joel 3,4). Da sich das Szenario in Joel 4 dann aber als ein Gerichtshandeln vor allem an den Heiden und eine Errettung Israels auf Zion erweist, ist die Ausgießung des Geistes vor diesem so dargestellten Tag JHWHs kein Widerspruch. Mit der Ausgießung des Geistes ist auch innerhalb des Joelbuches der Gedanke verbunden, dass mit ihr eine heilvolle Zukunft beginnt. So ist er auch kein Merkmal des Tages JHWHs, sondern in der Ausgießung des Geistes auf alles Fleisch (Joel 3,1) liegt die Möglichkeit begründet, am Tag JHWHs zu bestehen und zu denen zu gehören, die auf dem Berg Zion Rettung erfahren werden (Joel 3,5). Der dritte Text, in dem die Ausgießung der רוחmit dem Verb שפךbeschrieben wird, findet sich in Sach 12,10. Auch er steht in einem erweiterten Szenario, das vereinzelt Berührungspunkte mit Joel 3 und 4 aufweist. So folgt in Sach 14 eine Darstellung des Tages JHWHs (Sach 14,7), und in Sach 14,8 wird wie in Ez 47,1 und Joel 4,18 die von Jerusalem ausgehende Quelle beschrieben. Gleichzeitig weist der Gesamtzusammenhang in Sach 12–14 deutliche Unterschiede zu Joel 3.4 auf. Dies fängt bereits bei der Ausgießung der רוחan, die nicht mehr רוח יהוהist, sondern ( רוח חן ותחנוניםGeist der Gnade und des Gebetes), und die nicht auf alles Fleisch ( )כל־בשרwie in Joel 3,1, sondern auf das Haus Davids und die Einwohner Jerusalems ( על־בית דויד ועל )יושב ירושלםausgegossen wird. Das in Sach 14 beschriebene Szenario ist dann außerdem weniger stringent als Joel 4. Sach 14,2 zufolge kommt es nicht zu einer Rettung aller auf Zion, sondern die Hälfte der Stadt wird gefangen weggeführt werden. Sach 14,8–10 erweckt dann aber den Eindruck einer heilvollen Zukunft für das gesamte Land, und ab Sach 14,12 sind die Heiden keine einheitliche gegnerische Größe mehr, sondern es wird aus den Heiden das Geschlecht der Ägypter (משפחת מצרים, Sach 14,18) noch gesondert herausgehoben. Dies alles scheint eher darauf hinzudeuten, dass Sach 12–14 einzelne Motive aus dem Joel- und dem Ezechielbuch kannte und eventuell 26 Davon, dass das Joelbuch Ex 39,23–29 voraussetzt, geht auch Roth aus. Vgl. ROTH 2005, 67. Dass Joel 3,1–5 nachträglich in den bestehenden Text eingetragen ist, um die heidenkritische Sicht von Joel 4 zurückzunehmen, ist auch die These Wöhrles. Vgl. WÖHRLE 2006, 427.
5.3 Die Geistausgießung in Joel 3 und ihre Folgen
239
von dort übernommen hat, dass es diese aber in einen vollkommen neuen Zusammenhang gestellt hat.27
5.3 Die Geistausgießung in Joel 3 und ihre Folgen 5.3 Die Geistausgießung in Joel 3 und ihre Folgen
Wie die vorausgehenden Analysen gezeigt haben, liegt in Joel 3 also einer der jüngsten Texte des Joelbuches vor, der als Auftakt für das in Joel 4 beschriebene Heil und im Rückgriff auf das Ezechielbuch den Gedanken einer Ausgießung des Geistes auf alles Fleisch ( )כל־בשרin den bestehenden Zusammenhang einträgt.28 Die Ausgießung des Geistes auf alles Fleisch ist als eine universale Ausgießung des Geistes zu verstehen;29 denn in diesem Sinne wird die Wendung כל־בשרim Alten Testament häufig gebraucht. Bei Jesaja, Jeremia und Ezechiel begegnet sie in Formulierungen, die den Absolutheitsanspruch JHWHs zum Ausdruck bringen sollen (Jes 40,5; 49,26; Jer 32,27; Ez 21,4.10). Universalistisch ausgerichtet ist die Formulierung כל־בשרauch in der Sintfluterzählung, in der wiederholt davon die Rede ist, dass alles Fleisch verdorben ist und daher vernichtet werden soll, und in der Gott am Ende einen Bund zwischen sich und allem Fleisch schließt (Gen 6,12.13.17; 9,11.15.17).30 Die Zielgruppe „ “כל־בשרwird im Folgenden dann noch präziser gefasst, indem ihre Teile aufgelistet werden. Es werden Söhne ( )בניםund Töchter ()בנות genannt, Alte ( )זקניםund junge Männer ( )בחוריםund auch Knechte ()עבדים und Mägde ()שפחות.31 Ihnen werden jeweils unterschiedliche Gaben zugewiesen, prophetisches Reden ( נבשim Nifal), das Träumen von Träumen ()חלמות, der Empfang von Visionen ()חזינות. Diese Zuweisungen sind allerdings weniger als eine verbindliche Auflistung zu verstehen denn vielmehr als eine Explikation dessen, was die Ausgießung des Geistes auf alles Fleisch insgesamt bedeutet. So ist die Auflistung der Zielgruppe der Geistausgießung eine Illustration der Formulierung „“כל־בשר, und die Liste der Fähigkeiten, die mit der Geistausgießung erworben werden, ist eine Beschreibung der Auswirkung, die der Empfang des Geistes auf die Beteiligten hat. Vor allem die Vokabeln נבא 27 Vgl. auch FELDMEIER/SPIECKERMANN 2011, 471. Außerdem BECK 2005, 184; ROTH 2005, 67. Ähnlich auch BIBERGER 2010, 358. 28 Joel 3 wird hier als ein mit Ausnahme von Vers 5c einheitlicher Text verstanden. Mit DEISSLER 1992; JEREMIAS 2007; DAHMEN/FLEISCHER 2001; BECK 2005, 177. Gegen LORETZ 1986, 113. 29 Mit NOGALSKI 2003, 202. Gegen DAHMEN/FLEISCHER 2001, 80. 30 Vgl. auch JEREMIAS 2007, 42. 31 Deissler versteht die Angabe כל־בשרdahin gehend, dass „jedermann in Israel“ gemeint sei, sieht allerdings in der Erwähnung der Knechte eine Ausweitung auf alle Völker (Lev 25,44). DEISSLER 1992, 81. So auch ROTH 2005, 67.
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5. Kapitel: Gottes Geist im Joelbuch
„prophetisch reden“ und „ חלוםTraum“ stehen für das Wissen um den Willen JHWHs und das diesem Willen entsprechende Reden und Handeln. נבאim Nifal ist innerhalb des prophetischen Schrifttums, vor allem im Ezechiel- und im Amosbuch, eine Vokabel, durch die das Reden der Propheten Ezechiel (Ez 4,7; 6,2; 11,4.13; 35,2; 36,1; 37,4.7; 39,1 u.ö.) und Amos (Am 7,12.13.15.16) charakterisiert wird. Auch im Jeremiabuch steht נבאim Nifal für das Reden des Propheten Jeremia (Jer 19,4; 28,6), viel häufiger wird es allerdings in negativem Sinne für das Reden der falschen Propheten gebraucht (Jer 2,8; 5,31; 11,21; 14,14; 29,31 u.ö.). In Zusammenhang mit der Gabe der רוחbegegnet נבאim Nifal ansonsten nur noch in 1 Sam 10,11 und 19,20. Die Auswirkung des Geistes wird in den Saul-und-David-Überlieferungen und in Num 11 häufiger mit נבאim Hitpael beschrieben (Num 11,25– 27; 1 Sam 10,5.6.10.13; 18,10; 19,20–24). Wenn in Joel 3,1 in Zusammenhang mit der Gabe des Geistes נבאim Nifal steht, so ist deutlich, dass es nicht um ein ekstatisches Vom-Geist-ergriffen-Sein geht, sondern um den Gedanken, in Namen JHWHs das Richtige zu reden. Träume ( )חלמותbegegnen im Alten Testament besonders im Buch Genesis, und hier wiederum besonders in der Josefserzählung (Gen 40,9.16; 41,7.11; 42,9 u.ö.), sowie prominent im Danielbuch (Dan 2,1.2.3). Vor allem in den beiden letztgenannten Textsammlungen ist das Verstehen von Träumen ein Merkmal dafür, dass der Traumdeuter den Willen JHWHs kennt und versteht. Dies trifft auch auf andere Träume im Alten Testament zu wie z.B. auf Ri 7,15. Der Terminus חזיוןbegegnet im Alten Testament eher selten (2 Sam 7,17; Jes 22,1; Sach 13,4; Hi 4,13; 7,14; 20,8; 33,15). Im Hiobbuch wird er durchweg parallel zu dem Begriff חלוםgebraucht. Insgesamt wird durch die Verwendung dieser Termini in Joel 3,1 zum Ausdruck gebracht, dass diejenigen, über die der Geist ausgegossen wird, Einsicht in Gottes Willen haben und in der Lage sind, in Einklang mit diesem Willen zu handeln.32 Die in Joel 3,3.4 angekündigten Zeichen am Himmel sind zunächst einmal nicht im Zusammenhang mit der Ausgießung des Geistes zu sehen. Es geht nicht darum, dass die Gabe des Geistes zum Verständnis dieser Zeichen befähigt. Die Ausgießung des Geistes und das Setzen der Zeichen an den Himmel sind vielmehr zwei parallele Handlungen, die JHWH ausführt und die beide je für sich zur Erkenntnis der Situation führen sollen.33 Die Gabe des Geistes führt zu richtigem, mit JHWHs Willen in Einklang stehendem Handeln. Das Setzen der Zeichen an den Himmel verdeutlicht das Nahen des Tages JHWHs. Der Begriff מופתbegegnet besonders im Buch Deutero32
Ähnlich auch JEREMIAS 2007, 42 und DEISSLER 1992, 81. Auch Jeremias sieht in den kosmischen Zeichen „eine zweite versichernde Gabe“. Vgl. JEREMIAS 2007, 43. 33
5.3 Die Geistausgießung in Joel 3 und ihre Folgen
241
nomium, aber auch im Psalter und steht hier wie dort für den Beweis für Gottes Heilshandeln (Dtn 4,34; 7,19; 26,8; 28,46; 29,2; 34,11; Ps 78,43; 105,27 u.ö.). Auch wenn der Begriff auch im Sinne von Warnzeichen (Ex 7,3; 11,9; Ez 12,6.11; 24,24.27) verwendet werden kann, steht er hier doch weniger als Ankündigung der Bedrohung durch den nahenden Tag JHWHs als vielmehr als Zeichen der Gegenwart und des Rettungswillens JHWHs. Joel 3,5 führt dann aus, dass diejenigen, die sich aufgrund des Geistbesitzes oder aufgrund der Deutung der Zeichen dazu entschließen, JHWH anzurufen, auf dem Berg Zion Rettung erfahren werden. Eine ähnliche Aussage findet sich in Obd 17. Vermutlich wird sie in Joel 3,5 aufgegriffen und zitiert.34 Problematisch ist der Schluss von Joel 3,5 ()ובשרידים אשר יהוה קרא. Die Tatsache, dass JHWH Entronnene beruft, scheint der Aussage zuwiderzulaufen, dass diejenigen gerettet werden, die den Namen JHWHs anrufen. Zumindest scheint es zwei Gruppen Geretteter zu geben, diejenigen, die JHWH anrufen, und die von JHWH berufenen Entronnenen. Joel 3,5c wurde deshalb häufig als sekundärer Zusatz gewertet.35 Jeremias hat zuletzt für die Einheitlichkeit von Joel 3,5 plädiert. Er sieht in Joel 3,5c eine kreative Aufnahme von Obd 18, wo festgestellt wird, dass es keinen Erretteten ( )שרידin Edom gibt, und gleichzeitig einen Vorverweis auf Joel 4, in dem es inhaltlich auch darum geht, wer dem angekündigten Gericht entkommt.36 Es erscheint jedoch plausibler, dass die Auseinandersetzung mit Obd 18 und die Bezugnahme auf Joel 4 die Intention für eine spätere Ergänzung von Joel 3,5c war. Der ursprüngliche Gedankengang zielte darauf ab, dass diejenigen, auf die der Geist ausgegossen wurde, gerettet werden, wenn sie aus der durch den Geist geschaffenen Verbindung zu JHWH heraus sich dazu entschließen, JHWH anzurufen.37 Joel 3 rechnet also mit einer universalen Ausgießung des Geistes Gottes als einem eschatologischen Ereignis. Die Geistausgießung auf alles Fleisch ohne Ansehen von Geschlecht, Stand und Herkunft bringt jedem die Möglichkeit, JHWHs Willen zu erkennen. Ganz offensichtlich rechnet Joel 3 aber nicht damit, dass am Ende auch alle dieser neuen Kenntnis und neuen Qualität entsprechend handeln; denn gerettet werden nicht alle, auf die der Geist ausgegossen wurde, sondern nur die, die JHWH anrufen. Der Ort der Errettung ist der Berg Zion. Auch wenn die Möglichkeit, am Tag JHWHs gerettet zu werden, also jedem gegeben ist, erfährt Rettung nur derjenige, der sich zum Gott Israels und zum Ort von dessen Verehrung, zum Zion, hinwendet. 34
So auch DEISSLER 1992, 82; JEREMIAS 2007, 44. Vgl. DEISSLER 1992, 82. 36 Vgl. JEREMIAS 2007, 44. Auch Dahmen und Fleischer sehen in Joel 3,5c eine Aufnahme von Obd 18. Vgl. DAHMEN /FLEISCHER 2001, 20. 37 Gegen Dahmen und Fleischer, die davon ausgehen, dass das Joelbuch sich in dieser Frage nicht festlegen wollte. Vgl. DAHMEN/FLEISCHER 2001, 86. 35
242
5. Kapitel: Gottes Geist im Joelbuch
5.4 Zusammenfassung: Gottes Geist im Joelbuch 5.4 Zusammenfassung: Gottes Geist im Joelbuch
Der Text über die Geistausgießung in Joel 3,1 findet sich innerhalb des jüngsten Teils (Joel 3,1–5) einer ohnehin relativ jungen Prophetenschrift, die sich vielfältiger Motive aus weiteren Prophetenschriften, aber auch aus anderen Schriften des Alten Testaments bedient. Joel 3,1–5 ist der Schilderung über den Tag JHWHs als einem Gericht an den Heiden im Tal Josaphat, wie sie in Joel 4 vorliegt, vorangestellt worden. Joel 4 beschreibt ein Gerichtsszenario, das das Geschick Judas und Jerusalems wenden soll (Joel 4,1). Im Tal Josaphat will JHWH über die Heiden zu Gericht sitzen (Joel 4,12), für sein Volk aber wird es eine Zuflucht geben. Joel 4 endet mit der Schilderung einer heilvollen Zukunft für Jerusalem und Juda in Vers 17–21. Joel 3 ist diesem Gerichtsszenario aus verschiedenen Gründen nachträglich vorangestellt worden. Zum einen hat Joel 4 sich zu weit von dem Gedanken entfernt, dass es für die Bewahrung im Gericht und am Tag JHWHs einer innerlichen Neuausrichtung bedarf, der in Joel 2,12–13 zum Ausdruck gebracht worden ist. Diesen Gedanken, dass der Mensch sein Innerstes ändern muss, um zu JHWH umzukehren und infolgedessen im Gericht zu bestehen, teilt das Joelbuch mit dem Jeremia- und dem Ezechielbuch. Vor allem auf Letzteres greifen Joel 3 und 4 in ihrer Darstellung zurück. Während es in Joel 2,12–13 aber um eine Änderung des Herzens geht, wird in Joel 3,1 die Ausgießung des Geistes zu dem Ermöglichungsgrund, im Gericht zu bestehen. Während es in Joel 2,12– 13 um eine innere Neubestimmung geht, die der Mensch an sich selbst vorzunehmen hat, wird ihm der Geist in Joel 3,1 von außen, von JHWH, gegeben. Dass zu der Vorstellung von einer inneren Neuausrichtung der Gedanke einer Geistausgießung hinzutreten kann, zeigt sich im Ezechielbuch, in dem sich in Ez 39,29 eben diese Vorstellung findet, nachdem es zuvor in Ez 11,18 und Ez 36 um eine Neuausrichtung von Herz und Geist ging. Joel 3,1 ist dann auch aus Ez 39,29 übernommen.38 Bereits Joel 4 zeigt vor allem in Vers 1 und 18 eine Nähe zu den hinteren Kapiteln des Ezechielbuches Ez 38.39.40–48. Der Nachtrag in Joel 3,1–5 greift ebenfalls auf das Ezechielbuch zurück. Er trägt einerseits die Vorstellung in den Text des Joelbuches ein, dass es einer Veränderung des Menschen bedarf, die ihn in die Lage versetzt, sich so zu verhalten, dass er im Gericht bestehen kann. Gleichzeitig mildert Joel 3,1–5 mit dem Gedanken, dass die רוחauf alles Fleisch ( )כל־בשרausgegossen wird, die heidenkritische Sicht von Joel 4 und kehrt auch dadurch wieder stärker zur Vorlage des Ezechielbuches zurück, in der die Ereignisse in Ez 38.39 gerade auch dazu dienen, dass die Heiden erkennen, dass JHWH Gott ist.
38
So auch JEREMIAS 2007, 41.
5.4 Zusammenfassung: Gottes Geist im Joelbuch
243
Während Joel 3,1 als eine universale Geistausgießung, die keine Unterschiede macht, zu lesen ist,39 schränken die folgenden Verse in Joel 3,2–5 diesen Universalismus wieder ein, indem sie darauf verweisen, dass die Geistausgießung bestimmte Verhaltensweisen nach sich ziehen muss, damit ein Mensch am Ende gerettet werden kann. Offensichtlich besteht kein Automatismus zwischen Geistausgießung und Gottes Willen entsprechendem Verhalten.40 Die Geistausgießung versetzt die Menschen dazu in die Lage, ob sie aber auch dementsprechend handeln, steht auf einem anderen Blatt, so dass Joel 3,5 am Ende feststellt: Wer den Namen JHWHs anruft, der soll errettet werden ()ובשרידים אשר יהוה קרא. Dadurch, dass es am Ende in der Verantwortung jedes Einzelnen liegt, ob er aufgrund der Gabe des Geistes und aufgrund der damit verbundenen Fähigkeit, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten, sich zu Gott hält, wird allerdings nicht nur die Möglichkeit, am Ende auf Zion am Heil Anteil zu haben, auch für die Heiden eröffnet, sondern es wird gleichzeitig der Automatismus aufgehoben, dass die Zugehörigkeit zum Volk JHWHs auch eine Rettung am Ende bedeutet. Genauso wie auch Heiden am Ende aufgrund der Geistausgießung zu denjenigen gehören könnten, die auf dem Zion JHWH anrufen, können auch Angehörige des Volkes JHWHs, die sich trotz der Geistausgießung nicht zu JHWH halten, vom Heil ausgeschlossen bleiben.41
39 Gegen Deissler, der die Wendung „über alles Fleisch“ im Rahmen des Kontextes auf „jedermann in Israel“ bezieht. Vgl. DEISSLER 1992, 81. 40 Vgl. auch JEREMIAS 2007, 43. 41 So auch ebd., 43.
6. Kapitel
Exkurs: Der Geist Gottes in den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia Bevor im Folgenden die Aussagen zur רוחin den Prophetenschriften Haggai und Sacharja in den Blick genommen werden können, müssen wir uns in einem Exkurs der Verwendung von רוחin den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia zuwenden. Dass dies an dieser Stelle vor der Untersuchung der Prophetenschriften Haggai und Sacharja und nicht im Zusammenhang mit der Untersuchung der Verwendung des Begriffes רוחin den erzählenden Büchern erfolgt, hat den Grund, dass die Art, wie im Haggai-, aber auch im Sacharjabuch über Gottes Geist gesprochen und nachgedacht wird, nur vor dem Hintergrund der Geistaussagen, wie sie sich in den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia finden, erklären lässt.
6.1 Einführung 6.1 Einführung
Die Entstehung der Chronikbücher und ihr Verhältnis zu den Büchern Esra und Nehemia ist Gegenstand kontroverser Diskussionen, so dass es unmöglich ist, einen Forschungskonsens in dieser Frage auszumachen. Galten die vier Bücher seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, spätestens aber seit Martin Noth als Teile eines Chronistischen Geschichtswerkes,1 so ist diese Grundannahme heute umstritten. Vor allem für das Verhältnis von Erster und Zweiter Chronik zu Esra und Nehemia muss davon ausgegangen werden, dass es sich bei Letzteren um ursprünglich eigenständige Werke mit einer eigenen Entstehungsgeschichte handelt, die durch verschiedene redaktionelle Prozesse mit den Chronikbüchern verbunden worden sind.2 Für beide Buchkomplexe gibt es verschiedene Entstehungsmodelle, die jeweils unterschiedliche Akzente setzen.3
1
Zunächst ZUNZ 1832. Dann NOTH 1943. Vgl. KRATZ 2000, 94; STEINS 1995. Zur Problematik eines Chronistischen Geschichtswerkes vgl. LABAHN 2007 (II). 3 Für die Chronikbücher vgl. NOTH 1943; RUDOLPH 1955; GALLING 1954; WILLI 1972; WILLIAMSON 1987; KRATZ 2000; STEINS 1995. Eine Übersicht über die gesamten Ansätze findet sich bei LABAHN 2007 (I). 2
246
6. Kapitel: Gottes Geist in den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia
6.1.1 Erwägungen zur Entstehung der Chronikbücher R. Kratz hatte in seinen Untersuchungen zu den Chronikbüchern festgestellt, dass gerade erst das sekundär ergänzte Sondergut das in den Text einträgt, „was gemeinhin als typisch chronistisch gilt und sich teilweise auch in EsraNehemia wiederfindet, nämlich Tempel und Kult als Zentrum des judäischen Königtums“.4 Als kleinsten gemeinsamen Nenner aller Entstehungsmodelle zu den Chronikbüchern lässt sich feststellen, dass mit Fortschreibungen am ehesten in den Texten gerechnet wird, die sich mit Fragen des Kultes sowie mit der Rolle von Priestern und Leviten beschäftigen.5 Die Entstehung der Chronikbücher muss in einem Zeitrahmen zwischen dem Ende des Exils bzw. dem Wiederaufbau des Tempels und der Zeit um etwa 200 v. Chr. verortet werden.6 Dort, wo von einer mehrstufigen Entstehung der Chronikbücher ausgegangen wird, wird zumeist mit einer noch aus der Perserzeit stammenden Grundschicht gerechnet, die Zusätze werden in die hellenistische Zeit datiert.7 Die Chronikbücher wollen einerseits die Geschehnisse der Vergangenheit erzählen, diese aber so erklären, dass die Identität der gegenwärtigen Leser gestärkt wird. Im Zentrum der erzählten Geschichte steht der Tempel, und das Verhalten der jeweils in der Geschichte handelnden Personen wird an ihrem Verhältnis zu ihm gemessen. So werden auch die Könige David und Salomo, als Vorbereiter und als Durchführer des Tempelbaus, in den Chronikbüchern durchgehend positiv bewertet. In der Geschichtsdarstellung der Chronikbücher spielen auch Propheten eine herausragende Rolle. Die Chronikbücher nennen eine Reihe von Propheten mit Namen. Neben Jesaja (2 Chr 26,22; 32,20), Gad und Nathan (2 Chr 29,25), Samuel (2 Chr 35,18) und Micha ben Jimla (2 Chr 18,7) begegnen auch weniger bekannte Einzelgestalten wie Schemaja (2 Chr 12,5), Iddo (2 Chr 13,22), Asarja (2 Chr 15,11) oder Oded (2 Chr 28,9). Die Prophetie insgesamt wird auf die Autorität Moses zurückgeführt (1 Chr 23,14), der in den Chronikbüchern den Titel איש־האלהים „Gottesmann“ trägt.8 Die Propheten teilen in den Chronikbüchern den göttlichen Willen mit und weisen den Menschen den von JHWH für sie vorgesehenen Weg (2 Chr 12,5; 15,2–7; 20,15–17; 36,15–16). Aufgrund dieser 4
KRATZ 2000, 38. Zur Unterscheidung der Grundschicht, des Sondergutes sowie des sekundären Sondergutes vgl. vor allem die Übersicht ebd., 52–53. 5 Vgl. LABAHN 2007 (I). 6 Die Tempelrolle aus Qumran (um 200 v. Chr.) und das Buch Jesus Sirach (um 190 v. Chr.) setzen die Existenz der Chronikbücher voraus. Vgl. LABAHN 2007. 7 Die genaue zeitliche Einordnung kann variieren. Willi rechnet mit Zusätzen bis etwa 200 v. Chr., Williamson sieht den Abstand zwischen Grundschicht und Fortschreibungen insgesamt dichter in der Zeit von 350 bis etwa 300 v. Chr. Kratz rechnet mit Zusätzen noch in der Makkabäerzeit. Vgl. WILLI 1972, 190–193; WILLIAMSON 1987, 16–17; KRATZ 2000, 52. 8 Vgl. LABAHN 2007 (I).
6.1 Einführung
247
Aufgaben sind sie innerhalb der Gesamtkonzeption der Chronikbücher diejenigen, die die Geschichte deuten.9 6.1.2 Erwägungen zur Entstehung von Esra und Nehemia In der hebräischen Bibel werden die Bücher Esra und Nehemia als ein Buch überliefert, die Zweiteilung, die aus der Überschrift in Neh 1,1 דברי נחמיה „ בן־חכליהWorte Nehemias, des Sohnes Hachaljas“ resultiert, geht erst auf Origenes zurück.10 Wie oben dargestellt, wurden sie zeitweilig im Zusammenhang mit den Chronikbüchern als Teile eines „Chronistischen Geschichtswerkes“ interpretiert. Mittlerweile wird allerdings davon ausgegangen, dass sowohl die Chronikbücher als auch Esra und Nehemia „getrennt, aber nicht völlig unabhängig voneinander entstanden“ sind.11 Im Sinne einer Grobgliederung besteht die Esra-Nehemia-Komposition aus zwei Teilen: aus den Kapiteln Esra 1–6, in denen es um die Rückkehr aus dem Exil und den Wiederaufbau des Tempels unter Serubbabel und Jeschua geht, und aus den Kapiteln Esra 7–Neh 13, in denen die innere und äußere Konsolidierung unter Artaxerxes I. im Mittelpunkt steht und in denen nicht mehr Jeschua und Serubbabel, sondern Esra und Nehemia die maßgeblich handelnden Personen sind.12 Die Kapitel Esra 7–Neh 13 lassen sich dann wiederum in verschiedene Unterabschnitte gliedern, wie z.B. in Esr 7–10: Einsetzung des Gesetzes für Juda unter Esra; Neh 1–7: Wiederaubau der Jerusalemer Stadtmauer unter Nehemia; Neh 8–12: Die Verpflichtung auf das Gesetz unter Esra und Nehemia; Neh 13,1–31: Durchsetzung dieser Verpflichtung unter Nehemia.13 In dieser Gliederung zeigen sich gleichzeitig die wichtigen Themen, mit denen sich die Esra-Nehemia-Komposition beschäftigt, nämlich mit dem Wiederaufbau des Tempels sowie mit der Einsetzung und Durchsetzung der Tora. Versuche, die Entstehung der Esra-Nehemia-Komposition zu erklären, müssen verschiedenen Problemen Rechnung tragen: So kommt es innerhalb der Gesamtkomposition zu einem Wechsel der Sprache von hebräisch zu aramäisch (Esr 4,8–6,18 und 7,12–26), aber auch zu einem Wechsel der Erzählperspektive von der 3. in die 1. Person Singular (Esr 7,27–28; 8,15–9,5; Neh 1,1–7,5; 12,31–13,31). Ebenso wechseln die Handlungsträger: In Esr 1–6 stehen Jeschua und Serubbabel im Vordergrund, die in der Zeit der Perserkönige Kyros II. (559/558–530 v. Chr.) und Dareios I. (522–486 v. Chr.) wirken. In Esra 7–10 und Neh 8 ist Esra die entscheidende handelnde Person, und in Neh 1,1–7,5 und 12,31–13,31 nimmt Nehemia diese Rolle ein. Der 9
Vgl. SCHNEIDEWIND 1995. Vgl. STEINS 2016, 333. 11 Ebd., 336. 12 Vgl. HIEKE 2005. 13 Vgl. WITTE 2016 (III), 515. Eine andere Feingliederung findet sich bei STEINS 2016, 335. 10
248
6. Kapitel: Gottes Geist in den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia
zeitliche Hintergrund des Handelns von Esra und Nehemia ist auch nicht mehr die Regierungszeit der Perserkönige Kyros II. und Dareios I., sondern ihr Handeln wird in die Regierungszeit Artaxerxes’ I. datiert. Zu berücksichtigen sind auch die vielfach verwendeten Listen (Esr 1,9–11; 8,1–14; 10,18– 43; Neh 3,1–32; 10,2–29; 11,3–26; 12,1–26), Briefe (Esr 4,7–16.17–22; 5,6– 17) und königlichen Erlasse (Esr 1,2–4; 6,3–12; 7,11–26) sowie die in Esra 2 und Neh 7 doppelt überlieferte Heimkehrerliste.14 Unter den verschiedenen Ansätzen, die Entstehung der Esra-Nehemia-Komposition zu erklären, hat eine Kombination aus einem Block- und einem Redaktionsmodell die größte Plausibilität.15 Ein derart kombiniertes Entstehungsmodell wird von M. Witte und von R. Kratz vertreten, mit jeweils unterschiedlicher Einschätzung des Umfangs der Quellen, die der Esra-Nehemia-Komposition vorgelegen haben. Witte geht von drei Quellen aus: einer Tempelbauchronik in Esr 4–6, einer Esra-Überlieferung in Esr 7*.8–10 und einer Nehemia-Denkschrift in Neh 1– 7* und 11–13*, die dann durch die Einfügung redaktioneller Bildungen der Esra-Nehemia-Komposition in Esr 1–3* und 7*.8–10* und in Neh 7* und 8– 10* miteinander und im Rahmen einer Endredaktion durch redaktionelle Angleichungen mit den Chronikbüchern verbunden worden sind.16 In dem von Kratz vertretenen Entstehungmodell sind die Quellen in ihrem Umfang kürzer,17 außerdem schlüsselt er die Nachträge in die Esra-Nehemia-Komposition dezidiert auf und misst ihnen einen größeren Umfang zu, als dies bei Witte der Fall ist.18 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit können diese beiden Thesen nicht ausführlich gegeneinander abgewogen werden. Für die Frage nach den Aussagen zu Gottes Geist in der Esra-Nehemia-Komposition (Esr 1,1.5; Neh 9,20.30) ist jedoch wichtig festzustellen, dass keine von ihnen zu den Quellen, die der Esra-Nehemia-Komposition vorausgegangen sind, gehört, sondern dass es sich jeweils um spätere Fortschreibungen handelt, die insbesondere für die Verbindung der Esra-Nehemia-Komposition mit den Chronikbüchern von Bedeutung sind.
14
Vgl. WITTE 2016 (III), 518; HIEKE 2005. Ein Blockmodell wird vertreten vor allem von WRIGHT 2004 und von PAKKALA 2004. Außerdem WILLIAMSON 2004. 16 Vgl. WITTE 2016 (III), 521. 17 Kratz sieht die Tempelbauchronik in Esr (4,24;) 5,1–6,15, die Esra-Überlieferung, wenn überhaupt, in Esr 7,21 und die Nehemia-Denkschrift in Neh 1,1a; 2,1–6.11–18; 3,(1– 32.)38; 4,4.6a.9b; 6,15 und Neh 12,(27.)31–32.37–40.43 vorliegen. Vgl. KRATZ 2000, 91. 18 Kratz sieht diese Nachträge im Esrabuch in Esr 3,1–7.8b.9.10b.11; 4,6–23(.24); 6,19– 22; 7,7–10.11b.14–20.23–26; 8,1–14.15b–20; 9–10 und im Nehemiabuch in Neh (7.)8; 9– 10; 11,(1–2.)16.21–22; 12,1–26.27–30.33–36.41–42.44–47; 13,1–3. 15
6.2 Gottes Geist in den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia
249
6.2 Gottes Geist in den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia 6.2 Gottes Geist in den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia
6.2.1 Reden im Geist Gottes Geist begegnet in den Chronikbüchern in verschiedenen Zusammenhängen. Am häufigsten ist davon die Rede, dass die רוחzu den Menschen kommt und diese infolge des Geistbesitzes beginnen, das der Situation Angemessene und Richtige zu reden. Dies ist in 1 Chr 5,26 und 12,19, in 2 Chr 15,1, 20,14 sowie 24,20 der Fall. Innerhalb dieser Textgruppe lassen sich wiederum zwei möglicherweise zusammenhängende Textgruppen unterscheiden. In 1 Chr 12,19 sowie in 2 Chr 24,20 wird zur Beschreibung des Ereignisses, dass die רוחzu Amasai (1 Chr 12,19) bzw. zu Secharja (2 Chr 24,20) kommt, das Verb לבשverwendet, das im Alten Testament zusammen mit der רוחansonsten nur noch in Ri 6,34 begegnet. In den Chronikbüchern begegnet die Vorstellung, dass Personen mit einer metaphorischen Größe bekleidet sind, außerdem in 2 Chr 6,41, wo es heißt, dass die Priester sich mit Heil ( )תשועהbekleiden sollen.19 In 2 Chr 15,1 und 20,14 wird der Geistbesitz mit dem Verb היהausgedrückt.20 Aufgrund der Verwendung der verschiedenen Verben, לבשin 1 Chr 12,19 und 2 Chr 24,20 und היהin 2 Chr 15,1 und 20,14, stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang dieser Textstellen. Es ist zumindest deutlich, dass die Geistaussagen nicht auf eine durchlaufende Redaktionsschicht in den Chronikbüchern zurückzuführen sind. R. Kratz rechnet 2 Chr 24,20 zur Grundschicht der Chronikbücher, die drei weiteren Texte zählt er zum sekundären Sondergut.21 Selbst wenn dies zutreffen sollte,22 ist damit aber noch nicht das Verhältnis von 1 Chr 12,19 zu 2 Chr 15,1 und 20,14 geklärt. Auch ein Blick auf die Dialoge in den Chronikbüchern kann letztlich keinen Aufschluss darüber geben, warum das Reden gerade an diesen Stellen
19 Von einem Bekleidetsein mit metaphorischen Größen oder mit bestimmten Eigenschaften sprechen ansonsten noch das Jesajabuch (Jes 49,18; 51,9; 52,1; 59,17; 61,10), der Psalter (Ps 35,26; 65,14; 93,1; 104,1; 109,18) und das Hiobbuch (Hi 8,22; 29,14; 40,10). Solche metaphorischen Größen können die Gerechtigkeit sein (צדקה, Jes 59,17; Ps 132,9; Hi 29,14) oder JHWHs Majestät und Herrlichkeit (חוד וחדר, Ps 104,1; Hi 40,10). 20 Im Imperfekt 3. Person Femininum Singular begegnet das Verb היהin Zusammenhang mit רוחin einer Reihe von weiteren Stellen des Alten Testaments (Ri 3,10; 11,29; 1 Sam 19,9.20; 2 Sam 23,2; Num 24,2). Im Perfekt Qal 3. Person Femininum Singular begegnet es außer in 2 Chr 15,1 und 20,14 nur noch in Num 14,24. 21 Vgl. KRATZ 2000, 52. 22 Die Zuweisung zu den verschiedenen Schichten kann auch anders vorgenommen werden, vgl. z.B. STEINS 2005, der die Texte zur Grundschicht der Chronikbücher zählt.
250
6. Kapitel: Gottes Geist in den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia
auf das Wirken der רוחJHWHs zurückgeführt wird.23 Gottes Wille und Interesse können auf ganz verschiedene Weise zum Ausdruck gebracht werden: Gott kann selbst reden (1 Chr 14,14; 2 Chr 7,12), Gottes Wort kann zu einem Propheten kommen, wie z.B. zu Nathan in 1 Chr 17,1 oder zu Schemaja in 2 Chr 11,2 oder zu David wie in 1 Chr 22,8. Es kann der Engel JHWHs auftreten (1 Chr 21,18), oder Gott kann einen Propheten senden (2 Chr 25,15; 28,9). Die Tatsache, dass Menschen mit Gottes Geist bekleidet werden oder Gottes Geist zu ihnen kommt und sie dann das Richtige reden, ist also nur eine Möglichkeit unter vielen, um zum Ausdruck zu bringen, dass das, was gesprochen wird, Gottes Willen entspricht. 6.2.2 Erweckung zum Handeln durch Gottes Geist Neben diesen Texten, in denen es jeweils darum geht, dass diejenigen, die in den Besitz der רוחgelangt sind, in richtiger Weise Gottes Willen vertreten, ist in den Chronikbüchern wiederholt davon die Rede, dass JHWH die רוח einzelner Personen, und zwar immer die רוחvon Herrschern über andere Völker oder von anderen Völkern, erweckt ()יער. Dies ist in 1 Chr 5,25 für Tiglat-Pileser der Fall, in 2 Chr 21,16 für die Philister und in 2 Chr 36,22 für Kyros. Der Text 2 Chr 36,22 hat eine Parallele in Esra 1,1, allerdings steht das Verb יערin Esr 1,1 und in 2 Chr 36,22 nicht wie in 1 Chr 5,25 und in 2 Chr 21,16 im Imperfekt Hifil 3. Person Maskulinum Singular, sondern im Perfekt Hifil 3. Person Maskulinum Singular ()העיר. Der Gedanke, dass JHWH die רוח, die in einzelnen Personen zu schlafen scheint, erweckt ()יער, findet sich unabhängig von den genannten Stellen außerdem noch in Esr 1,5 und in Hag 1,14 und dort jeweils für die am Tempelbau beteiligten Personen. Esr 1,1 und 1,5 sind vermutlich eine Wiederaufnahme aus 2 Chr 36,22.24 In der Formulierung, dass JHWH den Geist der handelnden Personen erweckt, werden mehrere mit dem Begriff רוחverbundene Aspekte zusammengeführt. Zum einen steht sicherlich der Gedanke im Hintergrund, dass das Leben und die Vitalität des Menschen mit dem Besitz der רוחverbunden sind.25 Zunächst sind die Menschen offensichtlich nicht in der Lage zu handeln. In dem Bild, das in den betreffenden Texten erzeugt wird, scheint die רוחder Personen, von denen ein Handeln erwartet wird, zu schlafen. In dem 23 In den Chronikbüchern wird viel gesprochen, und dies von ganz unterschiedlichen Personen und Personengruppen. Es reden die Könige (David: 1 Chr 11,17.19; 13,2; 15,2; Salomo: 2 Chr 1,2; 6,1; Abija: 2 Chr 13,4; Asa: 2 Chr 16,2.3; Amazja: 2 Chr 25,9 u.a.), das Volk (1 Chr 11,1), verschiedene Propheten (Nathan: 1 Chr 17,15; Gad: 1 Chr 21,11; Schemaja: 2 Chr 11,2.7; ein Mann Gottes: 2 Chr 25,7; Oded: 2 Chr 28,9 u.a.), Gott selbst (1 Chr 14,14; 2 Chr 7,12). 24 Ähnlich auch KRATZ 2000, 93. 25 Diese Vorstellung findet sich im Alten Testament unter anderem auch in Ps 142,4; 143,4.7; 146,4; Prov 17,22; Ez 37,14.
6.2 Gottes Geist in den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia
251
Moment, wo JHWH ihre רוחerweckt, gewinnen die Personen ihre Vitalität und Handlungsbereitschaft zurück, und sie werden aktiv. Gleichzeitig ist die רוח, wie schon angedeutet, der Teil des Menschen, der eine Verbindung zwischen Gott und Mensch möglich macht. Dieser Gedanke steht auch im Hintergrund des Ezechielbuches, in dem es wiederholt darum geht, dass Gott den Menschen einen neuen Geist geben wird (Ez 11,19; 18,31; 36,26–27). Und schließlich steht die Vorstellung, dass JHWH den Geist der Menschen erweckt, zumindest auf der Motivebene in einer Nähe zu den Texten, die im Alten Testament so häufig begegnen und in denen JHWH den Menschen seinen Geist gibt, um sie zu einem bestimmten Handeln zu ermächtigen.26 Hier wie dort handelt JHWH an den Menschen, indem er entweder seinen Geist gibt oder den Geist der Menschen erweckt, und bringt sie so zu neuem Handeln. Unter den genannten Texten begegnet die Formulierung zuerst in 2 Chr 36,22 für Kyros. Sie ist besonders geeignet, um zum Ausdruck zu bringen, weshalb Kyros plötzlich zu einer erwarteten Heilsgestalt wird. Die Texte Esr 1,1 und 1,5 sind in Anlehnung an 2 Chr 36,22 gestaltet, ebenso wie 1 Chr 5,26 und 2 Chr 21,16, die für andere fremde Herrscher oder fremde Völker geltend machen, dass sie von JHWH beauftragt sind. Um diesen ersten Überblick über die Geisttexte in den Chronikbüchern abzuschließen, sei noch auf zwei letzte Texte hingewiesen. 2 Chr 18 ist ein Paralleltext zu 1 Kön 22, und die רוחbegegnet in 2 Chr 18 in gleicher Weise wie ebendort.27 6.2.3 Handeln im Geist in 1 Chr 28,12 In 1 Chr 28,12 geht es darum, dass David seinem Sohn Salomo Entwürfe für den Tempelbau, für die Ausstattung des Tempels und für die Durchführung des Tempeldienstes übergibt. Von diesen Entwürfen und Plänen wird in 1 Chr 28,12 gesagt, dass sie durch den Geist ( )ברוחzu David gekommen sind. רוח ist hier mit dem bestimmten Artikel determiniert. In ähnlicher Weise mit dem bestimmten Artikel versehen begegnet רוחansonsten nur noch in Ez 37,9.10. Hier wie dort ist davon auszugehen, dass die Vorstellung von der רוחsich in diesen Texten schon so weit entwickelt hat, dass die רוח, auch ohne dass sie dezidiert als רוחJHWHs angesprochen wird, als eine von Gott kommende Größe verstanden werden kann, die aber auch eigenständig und vordergründig von Gott unabhängig operierend in den Menschen das richtige Denken und Handeln wirkt. Die Unabhängigkeit besteht darin, dass die רוחselbst in den Menschen etwas wirkt und nicht gesagt werden muss, dass JHWH es ist,
26
Ex 28,3; 31,3; 35,31; Num 11,17; 24,2; Ri 3,10; Ri 6,34; 11,29; 1 Sam 10,6; 16,13; 1 Chr 12,19; Jes 61,1 u.ö. 27 Vgl. dazu Kapitel 2.5 dieser Arbeit.
252
6. Kapitel: Gottes Geist in den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia
der durch seine רוחauf die Menschen Einfluss nimmt. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass die רוח, mit dem bestimmten Artikel versehen, die רוח JHWHs ist, von dem sie kommt und in dessen Sinne sie vorgeht. 6.2.4 Der rationale Gebrauch des Begriffes רוח Fast ebenso interessant wie die Zusammenhänge, in denen die Chronikbücher von Gottes Geist reden, ist die Frage, wo sie es nicht tun. Die Aufnahme von 1 Kön 22 in 2 Chr 18 zeigt, dass Texte aus den der Chronik vorausgegangenen erzählenden Büchern mitsamt den in ihnen getroffenen Geistaussagen übernommen werden konnten. Umso auffälliger ist es, dass in den Chronikbüchern weder für Saul noch für David, abgesehen von 1 Chr 28,11, davon die Rede ist, dass der Geist Gottes über sie kommt, obwohl dies in den Samuelbüchern breit belegt ist (1 Sam 10,6.10; 11,6; 16,13; 19,20.23; 2 Sam 23,2). Die Chronikbücher scheinen in Bezug auf den Geistbesitz offensichtlich also andere Akzente zu setzen, als dies in den Samuel- und den Königebüchern der Fall ist. Das Schweigen über den Geistbesitz Sauls und Davids, vor allem Sauls, kann den Grund haben, dass der Geist in der Vorstellung der Chronikbücher etwas anderes bewirkt. Während in den Samuelbüchern Gottes Geist vor allem die Ekstase Sauls bewirkt (1 Sam 10,6.10; 19,20) oder letztlich das doch irgendwie wilde Zerhacken eines Rindes in 1 Sam 11,6, geht es den Chronikbüchern ja deutlich darum, dass durch den Besitz von Gottes Geist das richtige Reden und das richtige Verstehen bewirkt wird. Die Wirkung des Geistbesitzes liegt hier also weniger auf einer charismatischen, den gesamten Menschen ergreifenden und in Ekstase versetzenden Ebene, sondern ist deutlich auf das Denken und den Verstand der Menschen bezogen. Es kann aber auch zunächst schlicht dem Wunsch entsprungen sein, Saul und David als durchweg positiv beurteilte Könige darzustellen und ihnen alles, was irgendwie merkwürdig anmutet, zu nehmen.
6.3 Zusammenfassung 6.3 Zusammenfassung
In den Chronikbüchern sind es also nicht mehr die charismatischen ersten Könige Saul und David, die in den Besitz von Gottes Geist kommen, sondern es sind verschiedene einzelne Personen, von denen gesagt wird, dass Gottes Geist zu ihnen kommt. So wird Amasai, einer von dreißig Männern, die aus Juda und Benjamin zu David nach Ziklag kommen, mit Gottes Geist bekleidet (1 Chr 12,19), ebenso wie Secharja, ein Sohn des Priesters Jojada (2 Chr 24,20). Auch auf den Propheten Asarja (2 Chr 15,1) und auf Jahasiël, einen Angehörigen einer Familie von Leviten (2 Chr 20,14), kommt der Geist Gottes.
6.3 Zusammenfassung
253
Mit dem Geistbesitz dieser Personen ist nicht mehr charismatisches, spontanes Handeln oder Ekstase verbunden, wie es beispielsweise in den Saulund-David-Überlieferungen der Fall ist, sondern der Geist Gottes beeinflusst das Reden und damit wohl auch das Denken der Menschen. Diejenigen, die im Besitz von Gottes Geist sind, äußern der betreffenden Sache Angemessenes und gleichzeitig auch das, was Gottes Willen entspricht (2 Chr 20,15; 24,20). Gleichzeitig ist es so, dass der Besitz von Gottes Geist nicht mehr herausgehobenen Personen wie den Königen vorbehalten ist, sondern dass er gerade diejenigen zum Reden in Gottes Sinne ermächtigt, von denen man es ansonsten wohl eher nicht erwartet hätte. Auf der Ebene des Endtextes ist es dann auch so, dass mit Secharja, dem Sohn des Priesters Jojada, und mit Jahasiël, dem Angehörigen einer Levitenfamilie, auch Mitglieder des in den Chronikbüchern wichtigen Kultpersonals mit Gottes Geist versehen sein konnten. Aber auch sie, die Priester und Leviten, agieren durch den Geistbesitz dann wiederum so, wie man es ansonsten von Propheten erwartet. Das, was sie reden, ist durch Gottes Geist gewirkte prophetische Rede. Sowohl in 2 Chr 20,14 als auch in 2 Chr 24,20 findet sich innerhalb der Rede Jahasiëls bzw. Secharjas, der Hinweis „ כה־אמר יהוה לכםso spricht JHWH zu euch“ (2 Chr 20,15) bzw. „ כה־אמר האליםso spricht Gott“ (2 Chr 24,20). Secharja wird zugleich auch durch den Kontext zu einem Propheten gemacht, indem ihm das gelingt, was den in 2 Chr 24,19 zuvor erwähnten Propheten nicht gelungen ist. Dass der Geist Gottes Menschen zu Propheten werden lässt, ist eine relativ späte Entwicklung. Viele der Schriftpropheten kommen ganz ohne Hinweise auf Gottes Geist aus, und auch im Jesaja- und im Ezechielbuch geht es zunächst eher um den Geistbesitz erwarteter Heilsträger (Jes 11; 42; 61), um den Geistbesitz aller (Jes 32; 44; Ez 39) oder um den Geist als Ort im Menschen, der den Menschen in besonderer Weise mit Gott verbindet (Ez 11; 18; 36), und weniger darum, dass die hinter dem Jesaja- und dem Ezechielbuch stehende Prophetengestalt im Besitz von Gottes Geist in bestimmter Weise redet. Es ist der Gedanke aus Num 11, der in der Frage „Wollte Gott, dass alle im Volk JHWHs Propheten wären?“ (Num 11,29) zum Ausdruck gebracht wird, der hier in den Chronikbüchern entfaltet wird. In diesem Zusammenhang sind auch die beiden Geistaussagen in Neh 9,20 und 9,30 zu verstehen, die vermutlich durch die Chronikbücher geprägt sind und die ebenfalls Geist und Prophetentum miteinander verbinden Auch der Ausdruck, dass die Pläne für den Tempelbau in dem Geist ()ברוח zu David gekommen sind (1 Chr 28,12), spiegelt ein spätes Phänomen wider, indem von Gottes Geist als dem Geist geredet werden kann und unmissverständlich klar ist, dass es sich gleichwohl um den Geist JHWHs handelt.
7. Kapitel
Gottes Geist im Haggaibuch 7.1 Einführung 7.1 Einführung
Das Haggaibuch gehört zusammen mit dem Sacharja- und dem Maleachibuch zu den letzten Büchern des Dodekapropheton. In ihnen findet sich durchgehend nachexilische Prophetie. Das Haggaibuch besteht im Wesentlichen aus einer Aneinanderreihung von prophetischen Gottessprüchen, um die sekundär ein erzählerischer Rahmen (Hag 1,1–3.12–15; 2,1–2.20–21a) gelegt wurde.1 Dieser erzählerische Rahmen enthält u.a. Datierungen, die sich auf die Regierungszeit Dareios’ I. beziehen (Hag 1,1.15a.b; 2,10.20)2 und die in Sach 1,7 mit dem Sacharjabuch korrespondieren,3 so dass davon auszugehen ist, dass Teile des Rahmens des Haggaibuches auf einen Redaktor zurückgehen, der das Haggai- und das Sacharjabuch miteinander verbunden hat (Hag 1–2 und Sach *1,7–6,15).4 Dieses Zweiprophetenbuch hatte den Tempelbau zum Inhalt, wobei Haggai sich vorrangig auf die diesseitigen Probleme, die das Projekt des Tempelbaus mit sich brachte, bezieht, während Sacharja eine demgegenüber transzendente Sichtweise einnimmt. Der Redaktion, die die Haggai-Worte mit dem erzählerischen Rahmen versehen hat, lag vermutlich bereits eine Niederschrift der Aussprüche des Propheten vor, die die einzelnen Gottessprüche mit Anmerkungen zu ihrer Wirkungs- und Vorgeschichte versehen hatte (Hag 1,12b–13; 2,11–13).5 Während hinter den prophetischen Gottessprüchen zumeist tatsächlich noch eine authentische Prophetengestalt vermutet wird,6 wird dennoch die Annah-
1
Ein Entstehungsmodell, dem zufolge eine Grundschicht von einem „Chronisten“ erweitert worden ist, wird mit jeweils unterschiedlicher Akzentsetzung von Beuken, Wolff und Wöhrle vertreten. Vgl. BEUKEN 1967; WOLFF 1987; WÖHRLE 2006, 285–287. 2 REVENTLOW 1993, 5. 3 Wobei die Datierungen in Sach 1,1.7 anderen Prinzipien folgen. Vgl. ZENGER 2016, 695. 4 Vgl. WILLI-P LEIN 2007, 19. Umfangreicher ist die Redaktion, die für Verbindungen mit Sach 1–8 sorgt, vgl. WÖHRLE 2006. 5 Vgl. ZENGER 2016, 695. 6 Zumeist wird angenommen, dass Haggai während des babylonischen Exils in Jerusalem bzw. Juda verblieben war. Vgl. WILLI-PLEIN 2007, 19.
256
7. Kapitel: Gottes Geist im Haggaibuch
me vertreten, dass der Grundbestand des Haggaibuches auf Schüler Haggais zurückgeht und dementsprechend als Tradentenprophetie anzusehen ist.7 Durch den erzählerischen Rahmen wird das Haggaibuch in vier Abschnitte geteilt (Hag 1,1–15a; 1,15b–2,9; 2,10–19; 2,20–23). Inhaltlich setzt sich der erste Abschnitt (Hag 1,1–15a) mit den Widerständen gegen den Tempelbau auseinander, der zweite (Hag 1,15b–2,9) spricht den angesichts der begrenzten Möglichkeiten des Bauvorhabens Resignierenden Mut zu. Der dritte Abschnitt interpretiert die Grundsteinlegung des Tempels als das Ende der Unreinheit des Volkes (Hag 2,10–19), und der vierte beinhaltet eine messianische Weissagung an Serubbabel (Hag 2,20–23).8 Eine Datierung des Haggaibuches ist nicht unproblematisch. Da das Buch vorgibt, von der Fertigstellung des Tempels nichts zu wissen, wird es gemeinhin in die Zeit zwischen 520 und 515 v. Chr. datiert. Da in letzter Zeit allerdings Zweifel an der Historizität der Wiedereinweihung des Tempels im Jahr 515 v. Chr. aufgekommen sind, ohne dass stichhaltige Alternativen für dieses Datum gefunden worden wären, müsste auch die Datierung des Haggaibuches in diesen Zeitraum infrage gestellt werden.9 Gleichzeitig wird aber zumeist noch am Mitwirken Haggais, Sacharjas, Serubbabels und Jeschuas am Wiederaufbau des Tempels festgehalten und zumindest für Serubbabel und Jeschua angenommen, dass sie zu einer Gruppe von Rückkehrern aus dem Exil gehörten. Diese Verbindungen wären nicht möglich, wenn das Datum zur Wiedereinweihung des Tempels sehr viel später als 515 v. Chr. gelegen hätte. Die vorliegende Arbeit wird diese Problematik nicht lösen können. In Anbetracht der Tatsache, dass die Mitwirkung der Rückkehrer Serubbabel und Jeschua am Wiederaufbau des Tempels nicht plausibel wäre, wenn dieser erst viel später als in den Jahren 520–515 v. Chr. erfolgt wäre, was selbst dann der Fall wäre, wenn es sich bei Serubbabel und Jeschua lediglich um literarische Figuren handelte, sollte dennoch an der bisher angenommenen Zeitspanne von 520–515 v. Chr. festgehalten werden. Da das Haggaibuch vorgibt, von einem fertigen Tempel nichts zu wissen, und da die messianische Verheißung an Serubbabel in Hag 2,20–23 als eine literarische Rückprojektion unverständlich wäre, ist davon auszugehen, dass die Gottessprüche ohne den erzählerischen Rahmen (Hag 1,1–3.12–15; 2,1–2.20–21a) noch vor der Einweihung des Tempels im Jahr 515 v. Chr. schriftlich vorgelegen haben.10
7 Dies wird vor allem durch die Verwendung der 3. Person Singular für den Propheten Haggai deutlich. Vgl. REVENTLOW 1993, 5. Vgl. auch WOLFF 1987. 8 Vgl. ZENGER 2016, 695. 9 Zur Problematik der Datierung des Tempelbaus vgl. FREVEL 2016, 309. Infrage gestellt wird das Datum vor allem von EDELMAN 2005. 10 Vgl. K. SCHMID 2016, 406; DEISSLER 1988, 253; WILLI-PLEIN 2007, 19; REVENTLOW 1993, 5.
7.2 Gottes Geist in Hag 1,14 und 2,5
257
7.2 Gottes Geist in Hag 1,14 und 2,5 7.2 Gottes Geist in Hag 1,14 und 2,5
Im Haggaibuch ist an zwei Stellen vom Geist (רוח, Hag 1,14) bzw. von Gottes Geist ( רוחmit dem auf JHWH bezogenen Suffix 1. Person Maskulinum Singular, Hag 2,5) die Rede. In Hag 1,14 geht es darum, dass JHWH den Geist Serubbabels, den Geist Jeschuas und den Geist aller, die am Tempel arbeiten, erweckt ()יער.11 In Hag 2,5 findet sich der Geist in einem Gottesspruch, in dem den am Tempelbau Beteiligten der göttliche Beistand zugesprochen werden soll. Dort heißt es: „ ורוחי עמדת בתוככם אל־תיראוmein Geist soll in eurer Mitte bleiben: Fürchtet euch nicht!“. 7.2.1 Die Erweckung der Geister in Hag 1,14 Für eine Untersuchung, die auf die Frage nach der Gabe des Geistes Gottes ausgerichtet ist, erscheint der Text Hag 1,14 weniger von Belang zu sein, da es hier nicht um die Gabe des Geistes Gottes geht, sondern um das Erwecken des Geistes, der den beteiligten Personen zu eigen ist.12 Diese Annahme ist jedoch nur auf den ersten Blick zutreffend. Zunächst ist festzuhalten, dass Hag 1,14 in den erzählerischen Rahmen gehört, der um die Gottessprüche des Haggaibuches gelegt ist.13 Im Reden über den Geist und in der Verwendung des Verbs יערzeigt er Parallelen zu den Geisttexten der Chronikbücher und zum Esrabuch (2 Chr 36,22; Esr 1,1.5).14 Auch dort ist wiederholt davon die Rede, dass JHWH die רוח einzelner Personen erweckt ()יער. Da das Verb יערin Verbindung mit Gottes Geist ansonsten nicht begegnet, liegt die Vermutung nahe, dass zwischen dem Text Hag 1,14 und den Chronikbüchern bzw. dem Esrabuch eine redaktionelle Verbindung besteht. Am dichtesten ist die Parallele zu Esr 1,5. Auch dort geht es wie in Hag 1,14 darum, dass die רוחderjenigen erweckt werden soll, die am Bau des Tempels mitwirken. Die Texte unterscheiden sich lediglich durch das verwendete Tempus (Imperfekt in Hag 1,14; Perfekt in Esr 1,5) und durch die Aufzählung der beteiligten Personen. Da Esr 1,5 in unmittelbarer Folge von Esr 1,1 steht und Esr 1,1 als Anschluss an 2 Chr 36,22.23 gestaltet ist und da in allen drei Texten יערim Perfekt steht, scheinen die Texte Esr 1,1 und 1,5 von 2 Chr 36,22.23 abhängig zu sein. Vermutlich ist Hag 1,14 in Anlehnung an diese Texte gestaltet, um eine Verbindung in die Chronikbücher 11 ויער יהוה את־רוח זרבבל בן־שלתיאל פחת יהודה ואת־רוח יהושע בן־יהוצדק הכהן הגדול ואת־רוח כל שארית העם ויבאו ויעשו מלאכה בבית־יהוה צבאות אלהיהם, Hag 1,14. 12
Von einer „dezidiert anthropologischen Geist-Konzeption“ spricht unzutreffend Leuenberger. Vgl. LEUENBERGER 2015, 141. 13 Vgl. HOSSFELD 2016, 605. 14 Außerdem 1 Chr 5,26; 2 Chr 24,20. Vgl. das vorige Kapitel zu Gottes Geist in den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia.
258
7. Kapitel: Gottes Geist im Haggaibuch
herzustellen.15 Die רוחist hier in Hag 1,14 wie auch in mehreren der Chroniktexte eine dem Menschen innewohnende Größe, die aber nicht bloß ein Teil des Menschen ist, sondern die den Ort beschreibt, über den Gott auf den Menschen zugreifen und das Handeln der Menschen beeinflussen kann. Hag 1,14 ist also als ein Text zu verstehen, in dem die רוחzwar eine dem Menschen innewohnende Größe ist, die aber gleichzeitig die Möglichkeit zu einer Verbindung zwischen JHWH und den Menschen ermöglicht. Durch das Zugreifen JHWHs auf die menschliche רוחwerden die Menschen dazu geführt, nach Gottes Willen zu handeln. 7.2.2 Beistand durch Gottes Geist in Hag 2,5 Hag 2,5 gehört zu den im Haggaibuch überlieferten Gottessprüchen. Es steht in einem größeren Zusammenhang von Hag 2,1–9, wo es darum geht, dass JHWH die Herrlichkeit des Tempels wiederherstellen will (Hag 2,9). Die am Wiederaufbau des Tempels Beteiligten hegen offensichtlich Zweifel, dass dies jemals wieder möglich sein wird (Hag 2,3). Hag 2,4–5 ist in diesem Zusammenhang eine Ermutigung aller Beteiligter, mit den Arbeiten am Tempel fortzufahren. Die eigentliche Ermutigung findet sich bereits in Hag 2,4, wo Serubbabel, Jeschua und alles Volk im Lande ( )כל־עם הארץjeweils einzeln dazu aufgerufen werden, stark zu sein ( )חזקund zu arbeiten ( עשהim Imperativ). Begründet wird dieser Aufruf mit der Hag 2,4 abschließenden Formulierung „ כי־אני אתכם נאם יהוה צבאותdenn ich bin mit euch, Spruch JHWH Zebaoths“. Hag 2,5 schließt daran etwas holperig mit der Formulierung an את־הדבר אשר־כרתי אתכם בצאתכם ממצרים, die im Text der Septuaginta fehlt. Vermutlich handelt es sich um eine sekundäre Ergänzung, mit der der Gedanke des Bundesschlusses Gottes mit den Menschen in den Text eingetragen wird und der den Beistand Gottes mit den Menschen als Ausdruck seines Bundesversprechens interpretiert.16 Mitunter wird auch die Geistaussage in Hag 2,5b als sekundärer Zusatz angesehen.17 Allerdings dürfte Hag 2,5abβ schon immer zu Hag 2,4 gehört und erläutert haben, in welcher Weise JHWH mit seinem Volk ist. Störend ist allein der Halbvers Hag 2,5a, der auch in der Septuaginta fehlt.18 Hag 2,5abβ sind eine sinnvolle Entfaltung von Hag 2,4 und fügen sich auch im Stil an Hag 2,4 an, während Hag 2,5aα diesen durchbricht.19 Die Verwendung des Verbs עמדerinnert Reventlow an die Wolken15
Als Fortschreibung innerhalb des Abschnittes Hag 1,1–15a interpretiert auch Leuenberger die Verse 14–15. Vgl. LEUENBERGER 2015, 103. Auch Wöhrle rechnet Hag 1,14 zu den sekundären Rahmenerzählungen. Vgl. WÖHRLE 2006, 291. 16 Vgl. Ex 34,27; Dtn 31,16; 2 Chr 7,18; Jer 11,10; 31,32; 34,13; 2 Kön 17,38 u.ö. 17 Vgl. WILLI-PLEIN 2007, 33; LEUENBERGER 2015, 152. 18 Zum Grundbestand rechnet Hag 2,5a.b auch WÖHRLE 2006, 309. 19 Es besteht des Weiteren kein Anlass, das Ermutigungswort in Hag 2,4.5* in Gänze als sekundär auszuscheiden. Gegen HALLASCHKA 2011, 75.
7.3 Zusammenfassung
259
säule von Ex 33,9.20 Es ist allerdings zweifelhaft, dass Hag 2,5ab gerade hierauf anspielen will. Das Verb עמדwird im Alten Testament überaus häufig verwendet. Auch scheint es wenig wahrscheinlich zu sein, dass עמדin Bezug auf die רוחin Hag 2,5 tatsächlich mit „stehen bleiben“ zu übersetzen ist. Hier sind Parallelen eher in den Psalmen zu suchen, wo es in Bezug auf die Gerechtigkeit ( )צדקהoder den Lobpreis ( )תהלהheißen kann, dass sie für ewig Bestand haben (mit ;עמדPs 111,3.10; 112,3.9). In all diesen Fällen ist aufgrund des gleichen Geschlechts der Bezuggröße auch die verwendete Verbform identisch ()עמדת. Die Formulierung „in eurer Mitte“ ()בתוככם begegnet meistens in Verbindung mit dem Wohnen von Fremden unter dem Volk (Ex 12,4.9; Lev 16,29; 17,12; 18,26; 20,14; Num 15,14; Ez 47,22). In Lev 26,11–12 wird sie aber auch in Bezug auf JHWH verwendet, der in der Mitte seines Volkes Wohnung nehmen und unter ihnen wandeln möchte. Dass das Mitsein JHWHs mit seinem Volk in Hag 2,5 so ausgedrückt wird, dass der Geist JHWHs für immer, also dauerhaft, inmitten des Volkes bleiben will, ist ungewöhnlich. Offensichtlich zeigt sich auch hier die Tendenz, dass der Geist sich zunehmend von JHWH löst und zu einer Größe wird, die stellvertretend für JHWH JHWHs Gegenwart zum Ausdruck bringen kann. Dieser Gedanke mag dem Redaktor, der Hag 2,5aα eingefügt hat, so ungewöhnlich vorgekommen sein, dass er den etwas holperigen Verweis auf den Bund JHWHs mit seinem Volk eingefügt hat.
7.3 Zusammenfassung 7.3 Zusammenfassung
Im Haggaibuch ist also an zwei Stellen von der רוחdie Rede. Der Beleg in Hag 1,14 geht auf das Konto einer Redaktion, die den erzählenden Rahmen zu den Gottessprüchen des Haggaibuches hinzugefügt und dadurch Verbindungen zum Sacharjabuch und, wie die Verwendung der רוחin Hag 1,14 zeigt, in die Chronikbücher hergestellt hat. Die Vorstellung, dass JHWH die רוחbestimmter Menschen erweckt ()יער, um sie zu besonderem Handeln zu bewegen, findet sich im Alten Testament, abgesehen von Hag 1,14, ausschließlich in den Chronikbüchern (1 Chr 5,26; 2 Chr 21,16; 36,22) und bei Esra (Esr 1,15). In dem Bild der Erweckung des in den Menschen schlafenden Geistes sind verschiedene Vorstellungen, die mit der רוחverbunden sind, zusammengeführt. Die רוחist einerseits eine dem Menschen innewohnende Größe, die ihn belebt und aktiv werden lässt. Sie ist gleichzeitig auch der Ort im Menschen, über den Gott eine Verbindung zu den Menschen herstellen kann. Außerdem variiert der Gedanke der Erweckung des Geistes die ansonsten verbreitete Vorstellung, dass Gott den Menschen seinen eigenen Geist gibt, um sie zu bestimmtem Verhalten zu befähigen. 20
Vgl. REVENTLOW 1993, 21.
260
7. Kapitel: Gottes Geist im Haggaibuch
Der Text über den Geist in Hag 2,5 findet sich in einem der Gottessprüche und gehört als solcher zum Grundbestand des Haggaibuches. In Bezug auf die רוחund auf JHWH findet sich hier eine Aussage, die im Alten Testament ansonsten selten ist. JHWH sagt den am Tempelbau Beteiligten seinen Beistand zu. Dieser Beistand wird in Hag 2,5 so beschrieben, dass JHWHs רוח dauerhaft unter den Menschen, in ihrer Mitte, bleiben wird. Gottes Geist ist hier mehr als ein Gott und Mensch verbindendes Element, sondern er ist ein Bild für die dauerhafte Gegenwart eines nicht sichtbaren Gottes unter den Menschen.
8. Kapitel
Gottes Geist im Sacharjabuch 8.1 Einführung 8.1 Einführung
Das Sacharjabuch wird zumeist in drei unterschiedliche Teile gegliedert. Der erste in den Kapiteln 1–8 zeichnet sich durch eine die Kapitel strukturierende Überschriftentechnik aus, die auch das vorausgehende Buch Haggai auszeichnet. So finden sich in Sach 1,1, 1,7 und 7,1 drei Überschriften, die Datierungen enthalten, die sich auf die Regierungszeit des Perserkönigs Dareios I. beziehen und auf die eine Wortereignisformel folgt. Die Kapitel 9–11 und 12–14 weisen dieses Überschriftensystem nicht auf. Sie werden jeweils durch das Stichwort „ משאAusspruch“ eingeleitet (Sach 9,1; 12,1). Es folgen jeweils unmittelbar Formulierungen über das Wort JHWHs ()דבר־יהוה.1 Aber auch im Stil unterscheiden sich die drei Buchteile Sach 1–8, 9–11 und 12–14 voneinander. Während Sach 1–8 und 12–14 in Prosa abgefasst sind, sind die Kapitel 9–11 in poetischer Sprache gestaltet.2 Außerdem unterscheiden sich die Verhältnisse, die hinter den einzelnen Teilen des Sacharjabuches stehen. Während Sach 1–8 auf den Wiederaufbau des Tempels vorausblicken, ist der Tempel in Sach 11,13 und 14,20 längst gebaut. Weiterhin scheint Sach 9,1–8 auf den Alexanderfeldzug nach dem Fall von Tyros bis nach Gaza im Jahr 332 v. Chr. anzuspielen.3 Auch die beiden Teile Sach 9–11 und 12–14 unterscheiden sich nicht nur durch ihren Stil, sondern auch durch ihre inhaltliche Ausrichtung. Während Sach 9–11 eine Wiederherstellung Gesamtisraels erwartet (Sach 9–10), zeigen Sach 12 und 14 eine unterschiedliche Sichtweise auf ein nahendes Völkergericht.4 Außerdem fehlt in Sach 12–14 die messianische Gestalt aus Sach 9,9–10.5 Aufgrund dieser Spannungen wird zumeist davon ausgegangen, dass Sach 1–8, 9–11 und 12–14 kein einheitliches Prophetenbuch bilden, sondern dass sie nacheinander entstanden sind. Sach 1–8 gilt dabei als der ursprüngliche Teil des Sacharjabuches, während in Sach 9–11 und 12–14
1
Vgl. ZENGER 2016, 698. K. SCHMID 2016, 408. 3 Vgl. ebd., 408; ZENGER 2016, 703; DEISSLER 1988, 267. 4 Vgl. K. SCHMID 2016, 408. 5 Vgl. ZENGER 2016, 703. 2
262
8. Kapitel: Gottes Geist im Sacharjabuch
nachträgliche Erklärungsversuche vorliegen, wie Gottes Wort unter veränderten Gegebenheiten Gültigkeit haben kann.6 Auch innerhalb der Teile Sach 1–8, 9–11 und 12–14 ist von redaktionellen Ergänzungen bzw. von einem gestuften Wachstum (Sach 9–14) auszugehen. So finden sich innerhalb des ersten Teils in Sach 1–8 verschiedene kommentierende Erklärungen.7 Zudem ist die Vision in Sach 3,1–7 vermutlich erst nachträglich in die Reihe der Visionen eingetragen worden, da sie sich in Form und Inhalt von den anderen Visionen unterscheidet.8 Auch die Überschriften mit den Datierungen (Sach 1,1.7; 7,1) gehen möglicherweise auf das Konto einer Endredaktion, die das Sacharjabuch mit dem Haggaibuch verbunden hat.9 Ob zwischen Sach 9–11 und 12–14 zu unterscheiden10 oder von einem zweiten Teil in Sach 9–14 auszugehen ist, der ein mehrstufiges Wachstum aufweist,11 ist umstritten. Es spricht viel dafür, dass in Sach 9–14 schriftgelehrte Tradentenprophetie vorliegt, die sich auf Sach 1–8 bezieht und dieses schrittweise aktualisiert, die aber gleichzeitig Verbindungen in das weitere Zwölfprophetenbuch und besonders in das Maleachibuch herstellt. Die Kapitel 9–14 sind in jedem Fall erst in die hellenistische Zeit zu datieren.12
8.2 Entwicklungen im Nachdenken über Gottes Geist im Sacharjabuch 8.2 Entwicklungen im Nachdenken über Gottes Geist im Sacharjabuch
Im Sacharjabuch ist an verschiedenen Stellen und in sehr verschiedener Weise von Gottes Geist die Rede. Auffällig ist, dass Geistaussagen in den Kapiteln 9–11 fehlen, während sie im ersten Teil des Buches, in den Kapiteln 1–8, und in seinen letzten Kapiteln, in Sach 12–14, vorliegen (Sach 4,6; 6,8; 7,12; 12,1.10). Diese Texte sind in ihrer Aussageabsicht sehr verschieden. So begegnet רוחin Sach 12,1 als eine dem Menschen innewohnende Größe, in Sach 4,6 und 6,8 scheint sie eine Eigenständigkeit in ihrem Wirken zu besitzen, und in Sach 12,10 geht es um eine Ausgießung des Geistes. So verschieden diese Texte in ihrer Art und Weise, wie sie über רוחreden, sind, so haben 6
SWEENEY 2000, 574. In der englischsprachigen Forschung wird gleichwohl oft für die Einheitlichkeit des Gesamtsacharjabuches plädiert. Eine Übersicht über die verschiedenen Forschungsansätze findet sich bei REDDITT 2014, 13–15. 7 Vermutlich in Sach 1,16–17; 2,10–17; 3,6–10; 4,6b–10a; 6,9–15. Vgl. K. SCHMID 2016, 408. Manche dieser Zwischentexte sind möglicherweise älter als die Visionen, die sie kommentieren. Vgl. WILLI-PLEIN 2007, 51. 8 Vgl. REVENTLOW 1993, 33. 9 Vgl. ebd., 33. 10 So z.B. DEISSLER 1988, 268. 11 So eher WILLI-PLEIN 2007, 151. 12 Vgl. K. SCHMID 2016, 409; WILLI-PLEIN 2007, 152; DEISSLER 1988, 268.
8.2 Entwicklungen im Nachdenken über Gottes Geist im Sacharjabuch
263
sie doch miteinander gemein, dass die Geistaussagen jeweils in einer längeren Tradition des Nachdenkens über Gottes רוחstehen. 8.2.1 Sach 4,6 So liest sich der Text in Sach 4,6b „ לא בחיל ולא בכח כי אם־ברוחיnicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern allein durch meinen Geist“ zwar kurz und prägnant, aber dennoch schwingen in dieser knappen Aussage die vielen Texte mit, in denen im Alten Testament den Menschen Gottes Geist verliehen wird und sie aufgrund dieses Geistbesitzes das Richtige tun oder reden. Ebenso steht im Hintergrund dieses Textes die Vorstellung, dass Gottes Geist nicht mehr im Zusammenhang mit besonderen Macht- und Krafterweisen steht, wie es in weiten Teilen der erzählenden Bücher der Fall ist,13 sondern dass er eher Auswirkungen auf das richtige Denken und auf die richtige Einstellung hat. Diese Entwicklung hat sich auch innerhalb der Chronikbücher abgezeichnet. Gleichzeitig steht Sach 4,6 in einer Nähe zu Texten wie Jes 11 oder 42, in denen von erwarteten Heilsbringern ausgesagt wird, dass sie im Besitz von Gottes Geist sind. Auch Sach 4,6 steht im Zusammenhang mit Aussagen über eine erwartete Heilsgestalt. In Sach 4 sind in die Vision vom Leuchter und von den beiden Ölbäumen in Sach 4,6–10a zwei Orakel an Serubbabel (Vers 6b–7 und 8–10) sekundär eingefügt worden.14 Serubbabel wird hier also durch das Wort von Gottes Geist auch in einen Zusammenhang mit anderen Geistträgern gestellt, von denen ebenfalls erwartet wurde, dass ihr Wirken sich nicht durch Machtindizien, sondern vor allem eben durch den Geist auszeichnete.15 Gleichzeitig zeigt sich in Sach 4,6b eine Tendenz, die Arbeit am Heiligtum bzw. am Tempel mit Gottes Geist in Verbindung zu bringen. Dies ist in 1 Chr 28,12 der Fall, wo zum Ausdruck gebracht wurde, dass David die Pläne für den Tempelbau durch den Geist ( )ברוחempfangen hatte. Diese Tendenz zeigt sich ebenso in den Texten über die Arbeit am Zeltheiligtum in Ex 28,3, 31,3 und 35,21, wo diejenigen, die dort als Arbeitende namentlich genannt werden, mit Gottes Geist erfüllt werden.16 Alle diese Texte stehen im Hintergrund des Wortes in Sach 4,6b: לא בחיל „ ולא בכח כי אם־ברוחיnicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern allein durch meinen Geist“. Und vor dem Hintergrund all dieser Texte muss Auch in Mi 3,8 stehen רוחund כחnoch gleichberechtigt nebeneinander: ואולם אנכי „ מלאתי כח את־רוח יהוהich bin aber erfüllt von Kraft durch den Geist JHWHs“. 13
14 Vgl. REVENTLOW 1993, 60–62; WILLI-PLEIN 2007, 96–97; DEISSLER 1988, 280; HALLASCHKA 2011, 238. Wöhrle geht davon aus, dass die beiden Orakel schon vor ihrer Einfügung in den Kontext des Sacharjabuches zusammengehörten. Vgl. WÖHRLE 2005, 340. 15 Vgl. zu diesem Zusammenhang auch FELDMEIER/SPIECKERMANN 2011, 220. 16 Zu der Verbindung von Tempelbau und Geist vgl. auch POLA 2003, 114.
264
8. Kapitel: Gottes Geist im Sacharjabuch
dieses Wort verstanden werden. Gottes Geist ist nicht mehr der Ausweis von Krafttaten, sondern eher die Befähigung, das Richtige zu denken und zu tun. Gottes Geist ist außerdem Merkmal und Auszeichnung heilbringender Gestalten, und der Tempelbau geschieht im Zeichen von Gottes Geist. 8.2.2 Sach 7,12 Innerhalb des ersten Teils des Sacharjabuches findet sich ein weiterer Text zu Gottes Geist in Sach 7,12. In Sach 7 geht es um die Frage, ob die Fasttage, die nach der Zerstörung Jerusalems üblich waren, noch eingehalten werden müssen. Die eigentliche Frage in Sach 7,2–6 und 8,18–19 wurde dabei redaktionell ergänzt. In den Zusammenhang dieser Ergänzungen gehört auch die Geistaussage in Sach 7,12.17 Auch dieser Text ist deutlich vor dem Hintergrund weiterer alttestamentlicher Texte zu verstehen und besonders vor dem Hintergrund der Chronikbücher und des Nehemiabuches. Sach 7,12 bringt zusammen mit dem vorausgegangenen Vers 11 zum Ausdruck, dass die Tora und die Worte, die JHWH durch seinen Geist durch die früheren Propheten gesandt hat, kein Gehör finden: Sach 7,11–12
וימאנו להקשיב ויתנו כתף סררת ואזניהם הכבידו משמוע ולבם שמו שמיר משמוע את־התורה ואת־הדברים אשר שלח יהוה צבאות ברוחו ביד הנביאים הראשנים ויהי קצף גדול מאת יהוה צבאות
Sach 7,11–12 11 Aber sie wollten nicht aufmerken und kehrten mir den Rücken zu und verstockten ihre Ohren, um nicht zu hören, 12 und machten ihre Herzen hart wie Diamant, damit sie nicht hörten das Gesetz und die Worte, die der Herr Zebaoth durch seinen Geist sandte durch die früheren Propheten. Daher ist so großer Zorn vom Herrn Zebaoth gekommen.
Der Gedanke, dass die Menschen durch den Geistbesitz vor allem als Propheten agieren, bereitet sich, wie oben dargestellt, in den Chronikbüchern vor und findet sich dann auch in Neh 9,20 und 9,30. Sach 7,12 steht deutlich in diesem gedanklichen Zusammenhang.18
17
Wöhrle rechnet in Sach 7,7.9–14 mit einer Wort-Redaktion, auf die er auch Sach 1,1– 7 zurückführt. Vgl. WÖHRLE 2005, 351. Auch Willi-Plein führt Sach 7,11–12 auf das Wirken einer Redaktion zurück. Vgl. WILLI-P LEIN 2007, 125. Vgl. auch DEISSLER 1988, 288. Außerdem HALLASCHKA 2011, 311. 18 Den Bezug zum Nehemiabuch sieht auch DEISSLER 1988, 288.
8.2 Entwicklungen im Nachdenken über Gottes Geist im Sacharjabuch
265
8.2.3 Sach 6,8 Ein auf den ersten Blick in Bezug auf den Geist merkwürdiger Text findet sich in Sach 6. Die Geistaussage dort, in Vers 8, steht im Zusammenhang des siebten Nachtgesichtes in Sach 6,1–8. Der Prophet schaut in diesem Nachtgesicht vier Wagen ()מרכבות, die zwischen zwei Bergen aus Kupfer ( הרים )נחשתhervorkommen und – von verschiedenenfarbigen Pferden gezogen – das Land durchstreifen. Ein Engel ( )מלאךdeutet diese von Pferden gezogenen Wagen als die vier Himmelswinde (ארבע רחות השמים, Sach 6,5), die ausziehen, nachdem sie vor dem Herrn über das Land ( )אדון כל־הארץgestanden haben. Während die Pferde in alle Himmelsrichtungen ziehen, wird der Prophet von dem Engel aufgefordert, besonders auf diejenigen zu achten, die nach Norden ziehen, weil diese die רוחim Land des Nordens zur Ruhe bringen ()נוח. In Sach 6,8 heißt es: ראה היוצאים אל־ארץ צפון הניחי את־רוחי בארץ „ צפוןsiehe, die nach Norden ausziehen, sie bringen meinen Geist im Land des Nordens zur Ruhe“. Streng genommen müsste sich die Formulierung רוחי „mein Geist“ auf denjenigen beziehen, der in Sach 6,8 redet, und dies ist ganz offensichtlich der in Sach 6,5 redende Engel ()מלאך. Warum nun aber der Geist dieses Engels im Norden zur Ruhe gebracht werden sollte, wäre vollkommen unverständlich. Die Herausgeber der Biblia Hebraica Stuttgartensia schlagen deshalb vor, an dieser Stelle רוח יהוהzu lesen. Die Septuaginta übersetzt an dieser Stelle vollkommen anders, nämlich mit θυµός µου. Sie interpretiert רוחhier offensichtlich als Ausdruck des göttlichen Zornes, behält aber die 1. Person Singular bei. Die New Revised Standard Version folgt in ihrer Übersetzung mit „wrath“ der Septuaginta, ansonsten wird einhellig mit „Geist“ übersetzt.19 Die Septuaginta ist in ihrer Interpretation von רוחals θυµός sicherlich durch das erste Nachtgesicht in Sach 1,8–14 geprägt, in dem der göttliche Zorn (קצף, in der Septuaginta ὀργή) thematisiert wird. Allerdings passt diese Interpretation nicht zu dem Gedanken, dass die רוחim Norden zur Ruhe gebracht werden soll ( נוחim Hifil).20 Problematisch bleibt auch die Nähe des Begriffes רוחzu den zuvor erwähnten vier Winden ()ארבע רחות, die eindeutig kosmische Größen sind.21 Eine ähnliche Problematik findet sich auch in Ez 37,9, wo der Prophet Ezechiel dem Geist ( )הרוחweissagen soll, dass er von den vier Winden ( )מארבע רחותherbeikommen soll. Dass es sich in Ez 37,9 um den Geist und nicht um einen der vier Winde handelt, wird 19
Vgl. die Übersetzung der Bibel nach Martin Luther, die Elberfelder Bibel, die Zürcher Bibel, die Einheitsübersetzung sowie die Übersetzungen in den Kommentaren von REVENTLOW 1993, 67, DEISSLER 1988, 285 und WILLI-PLEIN 2007, 112. 20 Die mit נוחbezeichnete Ruhe wird zudem meistens als Ausdruck eines heilvollen Zustandes verstanden. Vgl. PREUẞ 1986, 300–302. Gegen die Übersetzung von רוחmit „Zorn“ argumentiert auch LUX 2009, 221. 21 Die vier Winde als Gerichtswinde finden sich auch in Jer 49,36. In Ps 10,4 und 148,8 sind die Winde die Boten JHWHs. Vgl. auch DEISSLER 1988, 285.
266
8. Kapitel: Gottes Geist im Sacharjabuch
durch die Verwendung des bestimmten Artikels für רוחdeutlich gemacht.22 Eine ähnliche Situation wie in Ez 37,9 kann nun auch für Sach 6,8 vorausgesetzt werden. Es gibt offensichtlich die vier Winde und daneben den Geist Gottes. Dass es sich hier um den Geist Gottes handeln muss, legt der Kontext nahe,23 möglicherweise ist auch ein וals יgelesen worden, so dass aus רוחו die Form רוחיwurde. Sach 6,1–8 korrespondiert nun also mit dem ersten Nachtgesicht in Sach 1,8–14, in dem die Pferde die Welt auskundschaften und eine Ruhe festgestellt wird, die offensichtlich nicht als ein positiver Zustand verstanden, sondern dafür verantwortlich gemacht wird, dass sich für Israel und Jerusalem noch nichts zum Positiven gewendet hat. Wenn nun in Sach 6,1–8 diese Ruhe durch das Ausgehen der vier Himmelswinde aufgestört wird, dann wird in die stagnierende Lage Bewegung gebracht, und es wird der Eindruck erweckt, dass sich Veränderungen ankündigen. Gleichzeitig wird durch die Aussage in Sach 6,8, dass der Geist Gottes im Norden zur Ruhe gebracht wird, dem Gedanken entgegengetreten, dass die bevorstehenden Veränderungen in ein Chaos münden. Der Geist Gottes ist durch sein Ruhen im Norden innerhalb der bevorstehenden Geschehnisse der ruhende Pol. Der Norden ist in diesem Szenario der Ort, von dem her alles Unheil für Jerusalem gekommen ist und an dem sich möglicherweise auch immer noch Exulanten aus Jerusalem befinden. Wenn nun Gottes Geist an diesem Ort zur Ruhe kommt und sich dort auf Dauer niederlässt, wird zum Ausdruck gebracht, dass dieser Ort in Zukunft unter dem Einfluss JHWHs steht und dass alles, was von dort kommt, im Interesse des Handelns JHWHs ist.24 Wenn der Geist Gottes in Sach 6,8 im Norden zur Ruhe gebracht wird, dann wird auch hier, noch mehr als in Sach 4,6, deutlich, dass der Geist als eine eigenständige Wirkweise betrachtet werden kann, die losgelöst von JHWH an einem Ort JHWHs Gegenwart zum Ausdruck bringen kann. 8.2.4 Sach 12 Mit Sach 12 beginnt mit der Einleitung „ משא דבר־יהוה על־ישראלAusspruch. Das Wort JHWHs über Israel“ ein neuer Abschnitt des Sacharjabuches. Während die Kapitel 9–11 eher in poetischer Sprache gehalten waren, findet sich in Sach 12–14 wieder durchgehend Prosa. In dem mit Sach 12,1 eingeleiteten Sinnabschnitt geht es um die Möglichkeit der Rettung Jerusalems in den 22
Vgl. oben Kapitel 4.5.1. So auch WILLI-PLEIN 2007, 114. 24 Sach 6,8 entzieht sich einer festen Deutung dessen, was der Geist im Norden genau wirkt. Es geht darum, den Norden nicht mehr als feindliche Sphäre, sondern als unter dem Einfluss JHWHs stehend zu begreifen. Dass damit besondere Umstände wie die Rückkehr aus dem Exil verbunden sind, lässt sich nicht sagen. Gegen DELKURT 2000, 313. 23
8.2 Entwicklungen im Nachdenken über Gottes Geist im Sacharjabuch
267
Tagen eines Endgerichtes, das dann in Sach 14 als ein Szenario des Tages JHWHs entfaltet wird. In den Ausführungen in Sach 12,1–13,1 sind die Aussagen über Juda in Sach 12,2b.3b.4b und 12,6.7 wahrscheinlich sekundär ergänzt worden, so dass es dem ursprünglichen Text um die Bewahrung Jerusalems ging.25 In Sach 12 begegnet רוחin Vers 1 und 10. Für die Frage nach Gottes Geist ist Vers 1 von untergeordneter Bedeutung. Dort ist die רוחeine dem Menschen eigene und innewohnende Größe, auf die JHWH nicht nur Zugriff hat, sondern die JHWH auch als Schöpfer von Anfang an im Inneren des Menschen bildet ()נטה שמים ויסד ארץ ויצר רוח־אדם בקרבו. Der Gedanke, dass JHWH der uranfängliche Schöpfer des Geistes im Menschen ist, findet sich in den Schriften des Alten Testaments nur hier, greift aber auf Texte zurück, in denen JHWH ebenfalls auf die רוחim Menschen Einfluss nimmt (Hi 32,8; Ps 51,12–14; Ez 18,31; 36,26–27). Sach 12,1 ist also einmal mehr ein Beispiel dafür, dass die Aussagen zur רוחim Sacharjabuch vor dem Hintergrund des Nachdenkens über Gottes Geist in den dem Sacharjabuch vorausgegangenen Schriften des Alten Testaments stehen. In Sach 12,10 ist von der Ausgießung des Geistes des Mitleids und des Flehens ( )רוח חן ותחנוניםdie Rede. Aufgrund der Verwendung des Verbs שפךsteht dieser Text in Verbindung zu Joel 3 und Ez 39,29 und setzt diese beiden Texte, wie oben bereits dargestellt wurde, voraus.26 Alle drei Texte stehen außerdem im Kontext später Gerichtstexte, in denen mit der Ausgießung des Geistes die Möglichkeit einer Bewahrung in den heraufziehenden Gerichtsszenarien verbunden ist. Im Ezechielbuch wird der Geist auf das Haus Israel ausgegossen (Ez 39,29), im Joelbuch sogar auf alles Fleisch (כל־בשר, Joel 3,1), so dass mindestens im Joelbuch die Möglichkeit zur Errettung in universalistischer Perspektive gedacht ist. Aber auch das Ezechielbuch zeigt in Ez 39 für die Heiden die Möglichkeit auf zu erkennen, dass JHWH heilig ist (Ez 39,27). Eine weitere Parallele zwischen dem Sacharjabuch und dem Ezechiel- und dem Joelbuch ergibt sich auch durch die Erwähnung einer Tempelquelle in den auf das Gerichtsszenario folgenden Darstellungen des Heils (Joel 4,18; Ez 47,1; Sach 14,8). Die Vorstellung von der Ausgießung des Geistes ist in allen drei Texten außerdem mit dem Gedanken einer Neukonstituierung des Menschen verbunden. Im Ezechiel- und im Joelbuch verhielt es sich so, dass beide Schriften sich auf der Textebene, die der Erweiterung durch die Vorstellung von der Geistausgießung vorausging, mit dem Gedanken einer Neubestimmung des Menschen beschäftigten, die vor allem durch eine Erneuerung des menschlichen Herzens ( )לבgeprägt war (Ez 11; 18; 36,26–28; Joel 2,12–13). 25
Vgl. DEISSLER 1988, 304. Anders als in Jes 44,3, 32,15 und 29,10, wo es ebenfalls um eine Ausgießung des Geistes geht, aber andere Verben verwendet werden. 26
268
8. Kapitel: Gottes Geist im Sacharjabuch
In Sach 12,10 ist nun – anders als in Joel 3,1 – die Ausgießung des Geistes auf das Haus Davids und die Einwohner Jerusalems beschränkt. Außerdem fallen nun Ausgießung des Geistes und Neubestimmung des Menschen in nur einem Wort zusammen, indem der Geist, der ausgegossen wird, als ein Geist der Gnade ( )חןund des Flehens ( )תחנוןbeschrieben wird. Da mit der Ausgießung des Geistes oder mit dem Geistbesitz immer das Erlangen besonderer Kenntnisse oder Fähigkeiten verbunden ist, ist klar, dass Gnade und Flehen zu Eigenschaften oder zu Fähigkeiten derjenigen werden, auf die der Geist ausgegossen wird. Gleichzeitig ist klar, dass dieser Geist der Gnade und des Flehens von Gott kommt, da er ja auch derjenige ist, der ihn ausgießen wird. So wird also allein durch die Aussage der Geistausgießung die Wirkung des Geistbesitzes ausgedrückt. Die Menschen werden eine Wesens- und Verhaltensänderung erfahren. חןkann im Alten Testament die Gnade bezeichnen, die Menschen vor JHWH erfahren (Gen 6,8; 18,3; 30,27 u.ö.), gleichzeitig aber auch Gnade im menschlichen Miteinander beschreiben (Gen 32,6; Ruth 2,2.10.13 u.ö.).27 Mit תחנוןwird das Flehen zu Gott bzw. das flehende Gebet beschrieben (2 Chr 6,21; Dan 9,17.18.23;, Ps 143,1). In den Psalmen ist תחנון fast immer Teil der Wendung „ קול תחנוניStimme meines Flehens“, auf die Gott hören soll.28 In Sach 12,10 wird dann weiterhin beschrieben, was der Besitz dieses Geistes der Gnade und des Flehens bedeutet: והביטו אלי את „ אשר־דקרו וספדו עליו כמספד על־היחיד והמר עליו כהמר על־הבכורund sie werden mich ansehen, den sie durchbohrt haben, und sie werden um ihn klagen, wie man klagt um ein einziges Kind, und sie werden um ihn trauern, wie man trauert um den Erstgeborenen“. Es ist hier ein Wechsel von der 1. Person Singular, die in והביטו אליverwendet wird, zur 3. Person Singular, die in וספדו עליוund den folgenden Formulierungen vorliegt, festzustellen. Aufgrund der Verwendung der 3. Person Singular scheint es jemand anderer zu sein als Gott, der betrauert wird. Der Kontext legt nahe, dass es sich bei dieser Person um den Durchbohrten handelt. Vermutlich ist es so, dass die Menschen im Besitz des Geistes der Gnade und des Flehens zu Gott blicken und natürlich zu ihm flehen, gleichzeitig aber den Durchbohrten betrauern und im Geist der Gnade offensichtlich ihr Vergehen an dieser Gestalt erkennen.29 Wer sich hinter dieser Gestalt des Durchbohrten verbirgt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.30 Offensichtlich ist es in Sach 12 also so, dass die 27 Der Begriff kann ebenso die Schönheit von Menschen und Dingen zum Ausdruck bringen (Nah 3,4; Prov 1,9; 4,9; 5,19; 11,6; 17,8; Ps 45,3). 28 Ps 28,2.6; 31,23; 86,6; 116,1; 130,2; 140,7; 143,1. 29 Vgl. auch WILLI-PLEIN 2007, 200–201; REDDITT 2014, 124. 30 Für die Vorstellung, dass es sich hier um eine messianische Gestalt handelt, bietet der Text eigentlich nicht genug Anhaltspunkte. So aber DEISSLER 1988, 307, der den Durchbohrten mit dem Gottesknecht aus Jes 53 in Verbindung bringt. Zurückhaltend bei der Deutung als messianische Gestalt ist auch WILLI-P LEIN 2007, 201. Ebenfalls zurückhaltend REDDITT 2014, 125.
8.3 Zusammenfassung
269
Einwohner Jerusalems erst einer Wesensänderung bedürfen und von ihrer Schuld befreit werden müssen (Sach 13,1), bevor sie innerhalb des Gerichts gerettet werden können. Die Geistaussage in Sach 12,10 steht damit in Zusammenhang mit ähnlichen Aussagen in Joel 3,1 und Ez 39,29, wobei nicht nur die Tatsache, dass der Geist ausgegossen wird, sondern das gesamte Szenario, das entworfen wird, Parallelen zu diesen Texten zeigt. Gleichzeitig ist aber die Ausgießung des Geistes in Sach 12,10 auf eine fest umrissene Gruppe, das Haus Davids und die Einwohner Jerusalems, beschränkt, und der Geist wird zwar als ein von Gott kommender Geist verstanden, ist aber mit bestimmten Eigenschaften versehen, so dass die Vorstellung konkreter ist als in Joel 3,1 und Ez 39,29. Zugleich scheint der Text Sach 12,10 aufgrund der Klage über den Durchbohrten stärker in tatsächlichen Zusammenhängen, die Jerusalem betreffen, verhaftet zu sein, als dies für Ez 39,29 und Joel 3,1 der Fall ist, die deutlich über innerweltliche Zusammenhänge hinausgehen. In jedem Fall ist auch die Geistaussage in Sach 12,10 vor dem Hintergrund anderer alttestamentlicher Texte zu verstehen und zeigt, dass das Sacharjabuch Geistaussagen aus anderen alttestamentlichen Texten kennt und voraussetzt.
8.3 Zusammenfassung 8.3 Zusammenfassung
Im Sacharjabuch begegnet Gottes Geist also in verschiedenen Zusammenhängen. Zum einen kann Gottes רוחals eine nahezu eigenständige Größe auftreten wie in Sach 4,6 oder 6,8. Sie kann außerdem eine dem Menschen innewohnende Größe sein wie in Sach 12,1, und sie kann im Rahmen einer innerhalb eines Gerichtsszenarios erwarteten Geistausgießung begegnen wie in Sach 12,10. Bereits diese Verwendungsweisen des Begriffes רוחzeigen deutlich, dass das Sacharjabuch zahlreiche Schriften des Alten Testaments und die in ihnen vollzogene Entwicklung im Nachdenken über Gottes Geist voraussetzt. So gehört die Vorstellung von Gottes Geist als einer eigenständigen Größe, die auch unabhängig von der Verbindung Gott-Mensch die Gegenwart und die Interessen Gottes zum Ausdruck bringen kann, zu einem späten Stadium innerhalb des Nachdenkens über Gottes Geist (Jes 40,12; Gen 1,2; Hag 2,5). Gleiches gilt für die Vorstellung von einer Geistausgießung auf viele, die sich nur in relativ späten Texten findet (Jes 32; 44,3; Num 11; Joel 3,1; Ez 39,29). Unabhängig davon setzt das Sacharjabuch auch andere Entwicklungen voraus. Dies ist z.B. in Sach 7,12 der Fall, wo der Geist als ein Merkmal der Prophetie verstanden wird, eine Vorstellung, die sich erst in den Chronikbüchern und in der Esra-Nehemia-Komposition entwickelt und die in Neh 9,20 in ähnlicher Weise wie in Sach 7,12 auf den Punkt gebracht wird. Und dies gilt auch für die Abkehr von der Vorstellung, dass mit dem Geistbesitz besondere Macht- und Krafttaten verbunden wurden, wie dies in den
270
8. Kapitel: Gottes Geist im Sacharjabuch
erzählenden Büchern der Fall war. An diese Stelle tritt in den Chronikbüchern und bei Esra und Nehemia der Gedanke, dass Gottes Geist richtiges Denken und Reden bewirkt. In Sach 4,6 kommt es dann zu einem EntwederOder, wenn gesagt wird, dass der Tempelbau nicht durch Kraft ()כח, sondern durch Gottes Geist bewirkt werden kann.
9. Kapitel
Ausblick auf das deuterokanonische Schrifttum und die Texte von Qumran Das Anliegen der vorliegenden Arbeit war es, die Entwicklung im Nachdenken über Gottes Geist innerhalb der kanonisch gewordenen Schriften des Alten Testaments nachzuzeichnen und darzustellen. Gerade in den letzten Jahrhunderten vor der Zeitenwende existieren mit den Schriften aus Qumran und den Schriften aus der jüdisch-hellenistischen Umwelt weitere Texte, die in teilweise enger Verbindung mit den biblischen Schriften stehen und, auch wenn sie außerhalb des heute vorliegenden Kanons stehen, ein Ringen mit ähnlichen theologischen Fragen widerspiegeln. Sie stehen somit für den Nahkontext, in dem sich das Nachdenken über Gottes Geist, wie es sich in den biblischen Schriften finden lässt, zumindest auf der spätesten Textebene verorten lässt. Sie stehen außerdem an der Schnittstelle zwischen Altem und Neuem Testament. Diese Arbeit will nun nicht der Frage nach Gottes Geist im hellenistischen Judentum bzw. in den Qumranschriften in aller Ausführlichkeit nachgehen.1 Dennoch soll im Sinne eines Ausblicks auf die Schnittstelle zwischen Altem und Neuem Testament bzw. im Sinne eines Seitenblicks ein kurzer Überblick über Gottes Geist in den Qumranschriften sowie in der Sapientia Salomonis, einem Text, der das hellenistische Diasporajudentum repräsentiert, gegeben werden.
9.1 Mehrere Geister und der heilige Geist in den Schriften von Qumran 9.1 Mehrere Geister und der heilige Geist in den Schriften von Qumran
Ein Überblick über den Geist Gottes in den Schriften vom Toten Meer ist in aller Kürze kaum zu leisten, da mit den Qumranrollen ein breites Spektrum sehr verschiedener Texte, von Bibelhandschriften und -kommentaren über die Gemeinderegel bis hin zu den Hodajot, vorliegt, die in sehr unterschiedlicher Qualität überliefert sind, in verschiedene Zeiten datiert werden müssen und die teilweise einen längeren Entstehungsprozess durchlaufen haben. Eine methodisch sinnvolle und gründliche Untersuchung der Verwendung des Begriffes רוחin den Qumranschriften müsste die unterschiedlichen Texte in 1
Dies ist auch an anderer Stelle bereits geschehen. Vgl. LEVISON 1997; SEKKI 1989.
272
9. Kapitel: Das deuterokanonische Schrifttum und die Schriften von Qumran
ihrem Bedeutungs- und Entstehungszusammenhang je für sich in den Blick nehmen. Dies kann an dieser Stelle nicht geleistet werden, und eine vergleichbare Untersuchung im Hinblick auf den Geist liegt auch ansonsten noch nicht vor. Es kann daher an dieser Stelle nur ein kurzer, allgemeiner Überblick über die Verwendung des Terminus רוחin den Qumranschriften überhaupt erfolgen. Auf diese Weise kann zumindest ein Eindruck gewonnen werden, wo innerhalb der Qumranschriften besondere Akzente in der Verwendung des Begriffes רוחliegen. Im Anschluss an diesen ersten Überblick sollen die Gemeinderegel und die Hodajot als zwei exemplarische Textgruppen etwas genauer in Bezug auf den in ihnen feststellbaren Gebrauch des Begriffes רוח in den Blick genommen werden. Der Begriff רוחist in den Qumranschriften breit bezeugt.2 Dabei kann רוח, wie auch in den Texten des Alten Testaments, in der profanen Bedeutung für Wind oder Windrichtung begegnen (1QHa XXI,26; 4Q381 46a+b,6; 4Q418 34,2; CD 19,25 u.ö.)3 oder im Sinne des menschlichen Atems (1QSb 5,24; 4Q525 8,2; 4Q381 29,3).4 Des Weiteren ist die רוחin einer Vielzahl von Texten eine Größe im Menschen, in der seine Emotionen, Neigungen und Regungen lokalisiert werden. Dementsprechend kann die רוחals „ רוח זנותGeist der Unzucht“ (1QS 5,26), als „ רוח רשעGeist des Frevels“ (1QS 5,26), „ רוח עורף קשהstörrischer Geist“ (1QHa VIII,16), „ רוח גבהüberheblicher Geist“ (4QHa VII,8), רוח שקר „Lügengeist“ (4Q435 2 i 5) und als „ רוח באישהschlechter Geist“ (4Q538 1– 2.4) bezeichnet werden.5 Daneben begegnen auch positive Wendungen wie „ רוח ענוהGeist der Demut“ (CD 13,18; 1QS 4,3). Eine weitere größere Gruppe von Texten geht in ihrer Verwendung des Begriffes רוחdeutlich über die in den Texten des Alten Testaments hinaus. In ihnen wird רוחim Plural zur Bezeichnung von „Geistern“ oder „Engeln“ verwendet. In einigen Texten erscheinen die רוחותim Zusammenspiel mit Naturphänomenen. So begegnen in 4QBer die „Boten des Feuers und die Geister der Wolken“. In 4Q185 1–2 i 8–9 erscheinen die רוחותin Zusammenhang mit Feuerflammen, in 1QHa IX,10–22 zusammen mit Himmelslichtern, Sternen, Sternschnuppen und Blitzen.6 Gleichzeitig können die רוחותauch in Zusammenhang mit Engeln erwähnt werden (1QM 12,9; 1QHa XVI,12–16). In 4Q381 76–77,13 gehören die רוחותzu Gottes Gefolge, wenn er zu Gericht sitzt.7 Am häufigsten ist von den רוחותin den Sabbatopferliedern die Rede. 2
Ungefähr 610 Mal, davon 108 Mal in biblischen Handschriften. Vgl. TIGCHELAAR 2016, 621. 3 Weitere Belege ebd., 623. Fabry war noch davon ausgegangen, dass es רוחin der Bedeutung für „Wind“ in den Qumrantexten fast nicht gibt. Vgl. FABRY 1993, 419. 4 Vgl. TIGCHELAAR 2016, 623. 5 Vgl. ebd., 629; FABRY 1993, 419. 6 Vgl. TIGCHELAAR 2016, 624. 7 Ebd.
9.1 Mehrere Geister und der heilige Geist in den Schriften von Qumran
273
Dort gehören sie zusammen mit anderen Personen oder Wesen wie Engeln ()מלאכים, Heiligen ()קדשים, Priestern ()כוהנים, Dienern ()משרתים, Fürsten ( )נשיאיםund Häuptern ( )ראשיםzu den Akteuren der himmlischen Liturgie, die Gott im Angesicht seiner כבודden Lobpreis darbringen (4Q403 1,I,38– 45; 1,II,7; 4Q405 23,II,9).8 Dennoch scheinen die Sabbatopferlieder nicht auf ein bestimmtes Verständnis dieser רוחותfestgelegt zu sein. Zwar machen die רוחותals Teilnehmer der himmlischen Liturgie den Eindruck, engelsähnliche Wesen zu sein, gleichzeitig begegnen sie aber in einer Reihe von ConstructusVerbindungen, in denen sie verschiedene Titel oder Eigenschaften erhalten, wie „Erleuchtete“ ( מאיריםin 4Q405 19,5), „wunderbar“ (פלא, 4Q403 1,II,10), „gerecht“ (צדק, 4Q403 1,I,38), „glänzend“ (הדר, 4Q405 14–15,I,6) oder auch „allerheiligst“ (קודש קודשים, 4Q403 1,I,44; 4Q405 20,II–22,11).9 Teilweise wird durch entsprechende Verbindungen ihre Nähe zu Weisheit und Erkenntnis zum Ausdruck gebracht (רוחי בין, 4Q403 1,I,37; oder רוחי דעת ובינה, 4Q405 17,3).10 Die Sabbatopferlieder zeigen damit, wie auch andere Qumranschriften, einen flexiblen Umgang mit dem Begriff רוח, so dass mit den רוחותgleichzeitig himmlische Geistwesen sowie ein symbolhafter Ausdruck für Erkenntnis und Verstehen gemeint sein kann.11 Die רוחותkönnen ebenso wie Engel in verschiedenen Qumranschriften auch negativ qualifiziert werden.12 Eine weitere Besonderheit im Gebrauch des Begriffes רוחin den Qumranschriften ist darin zu sehen, dass sie von רוח יהוהoder von רוח אלהיםaußerhalb der biblischen Schriften nicht sprechen.13 Auch indirekt begegnet Gottes Geist inmitten des ansonsten sehr ausgeprägten Nachdenkens über רוחin anderen Bedeutungszusammenhängen äußerst selten. Neben vereinzelten Belegen in 4Q381 (4Q381 33; 35,4; 69,4), in CD 2,12 und 1QS 8,16 begegnet Gottes Geist vor allem in der Formulierung „dein heiliger Geist“ in den Hodajot.14 Allerdings scheint auch überall dort, wo ansonsten von der רוחdie Rede ist, die Vorstellung zugrunde zu liegen, dass eine jede רוחauf Gott zurückzuführen ist und dass Gott jeden Geist geschaffen und in den Menschen gelegt hat.15 Da vor allem die Hodajot von Gottes Geist reden und da er auch in der Gemeinderegel begegnet, sollen diese beiden Texte im Folgenden als Beispiel 8
FABRY 1993, 421. Zu weiteren Eigenschaften und Titulaturen vgl. TIGCHELAAR 2016, 625. 10 FABRY 1993, 421. 11 Zu der Schwierigkeit, den Begriff רוחותinnerhalb der Sabbatopferlieder auf eine Deutung zurückzuführen, vgl. auch TIGCHELAAR 2016, 625 und FABRY 1993, 421. 12 Vgl. dazu auch TIGCHELAAR 2016, 625. 13 Vgl. ebd., 626. 14 Vgl. FABRY 1993, 422 und TIGCHELAAR 2016, 627. 15 Vgl. TIGCHELAAR 2016, 628. 9
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9. Kapitel: Das deuterokanonische Schrifttum und die Schriften von Qumran
für das vielschichtige Reden von רוחin den Qumranschriften etwas genauer in den Blick genommen werden. Gleichzeitig handelt es sich sowohl bei der Gemeinderegel als auch bei den Hodajot um Texte, die bei aller Vorsicht, mit der dieser Begriff gebraucht werden muss, als „echte“ Qumranschriften bezeichnet werden können. 9.1.1 רוחin den Hodajot Bei den Hodajot handelt es sich um eine Sammlung von Lob- bzw. Preisliedern, die in mehreren Kopien in den Höhlen 1 und 4 gefunden wurden und die sich in das 1. Jahrhundert v. Chr. datieren lassen.16 Als Entstehungszeit zumindest eines Teils der Hymnen wird jedoch die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. angenommen.17 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf eine Handschrift aus Höhle 1 (1QHa), die ursprünglich 35 Hymnen umfasste.18 Innerhalb der Hymnen muss zwischen Hymnen eines Einzelnen19 und Hymnen der Gemeindeglieder unterschieden werden. In einem Großteil der Hodajot ist von der רוחoder auch von den רוחותdie Rede. Auch wenn die einzelnen Loblieder jeweils für sich stehen können und auch jeweils eigene thematische Akzentsetzungen aufweisen, können sie in Bezug auf ihr Reden von der רוחals eine Sammlung betrachtet werden, da viele Vorstellungen sich mehr oder weniger abgewandelt in mehreren der Lieder wiederfinden. Ein erster Überblick zeigt, dass sich in den Hodajot fast alle Facetten des Nachdenkens über die רוחfinden, die sich auch sonst in den Qumranschriften finden lassen. An einzelnen Stellen findet sich die Vorstellung der רוחותals himmlischer Wesen, die sich in unmittelbarer Nähe zu Gott befinden (V,3.14; XIX,13) und die als Gottes Geschöpfe angesehen werden (IX,10.11). Außerdem zieht sich durch fast alle Lieder die Vorstellung, dass das Denken und Handeln des Menschen durch einen oder mehrere Geister geprägt ist. In diesem Zusammenhang wird der Begriff רוחoft auch negativ konnotiert, als רוח „( נערהpervertierter, verkehrter Geist“, V,21; XI,21), als „( רוח בשרfleischlicher Geist“, V,19), als „( רוח התועה ונעוה בלא בינהGeist des Fehlers, verkehrt, ohne Einsicht“, IX,22) oder als „( רוח הוותGeist des Verderbens“, XV,11). Mitunter ist aber auch einfach nur vom Geist im Menschen die Rede als einer Größe, die das Wesen und Leben des Menschen bestimmt (IX,32; XII,36; XIII,36; XVI,28.29). Ganz offensichtlich ist die Art des Geistes der Menschen ausschlaggebend für seine Einschätzung und für die Art seines 16
PUECH 2000, 366. Vgl. STEUDEL 2009; PUECH 2000, 368. 18 PARRY/TOV 2005. 19 Dieser Einzelne wird oft mit dem „Lehrer der Gerechtigkeit“ identifiziert. Diese Bezeichnung findet sich in den Hodajot selbst allerdings nicht. Vgl. STEUDEL 2009. Außerdem PUECH 2000. 17
9.1 Mehrere Geister und der heilige Geist in den Schriften von Qumran
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Lebenswandels. 1QHa VI,11–12 stellt in diesem Zusammenhang fest: כי לפי „ רוחות תבדילם בין טוב לרשעdenn durch ihre Geister unterscheidest du zwischen gut und gottlos“. Gleichzeitig steht aber auch unzweifelhaft fest, dass es Gott ist, der die Geister oder den Geist des Menschen bestimmt. So wird mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass Gott dem Beter20 die רוחgegeben hat (IV,17.26; V,25; VIII,20; XVIII,22; Frg. 2 Col. I,13). Darüber hinaus wird an mehreren Stellen betont, dass Gott damit den Lebenswandel des Menschen vorbestimmt hat, so z.B. in 1QHa VII,22: אתה יצרתה רוח ופעולתה הכינותה „ ומאתך דרך כול חיdu hast den Geist geschaffen, und seine Tätigkeit hast du festgelegt, und von dir ist der Weg allen Lebens (bestimmt)“. Ebenso heißt es in 1QHa XII,31:„ ודרך אנוש לא תכון כי אם ברוח יצר אל לוund der Weg des Menschen besteht nicht, außer in dem Geist, den du für ihn geschaffen hast“. Die Vorstellung, dass Gott der Schöpfer ( )יצרjeden Geistes ist, findet sich außerdem noch in 1QHa IX,8/9: יצרתה כול רוחsowie in 1QHa XVIII,22. Neben diesen die Menschen qualifizierenden Geistern, auf die Gott gleichwohl Zugriff hat und deren Schöpfer er selbst ist, tritt der von Gott selbst ausgehende, zumeist als heilig ( )קדשnäher beschriebene Geist, den Gott den Menschen gibt (IV,26; V,25; VI,13; VIII,16; XIII,21; XV,6–7; XVII,32; XX,11/12). Diese Gabe oder auch Ausgießung (ורוח קודשכה הניפותה, IV,26; XV,6–7; Frg. 2 Col. I,13) des heiligen Geistes stabilisiert den Beter in seinem Lebenswandel (VIII,16) und führt ihn zur Kenntnis Gottes. Dies kann sowohl für den Betenden an sich (VI,13.25)21 als auch für die hinter einzelnen Hymnen stehende Leitfigur ausgesagt werden (XX,11.12).22 Außerdem kann der heilige Geist den Beter erfreuen (XVII,32), und er kann reinigende Wirkung haben (לטהרני ברוח קודשך, VIII,21), die dazu führt, dass der Beter Gott näher kommt (VIII,21). Der Gedanke, dass Gott reinigend in den Menschen eingreift, findet sich außerdem in 1QHa XI,21, wo davon die Rede ist, dass Gott den verkehrten Geist im Menschen von großer Sünde reinigt ( ורוח נערה )טהרתה מפשע רב. Zusammenfassend lässt sich über die Vorstellung von der רוחin den Hodajot sagen, dass sie von dem Gedanken geprägt sind, dass der Ort im Menschen, durch den sein Verhältnis zu Gott und damit sein Lebenswandel bestimmt wird, sein Geist bzw. verschiedene Geister sind.23 Diese Geister sind allerdings offensichtlich auch dann, wenn sie negativ konnotiert sind, von Gott geschaffen und den Menschen von Gott gegeben. Auf den Geist des Der Beter wird zumeist als Gottes Knecht näher beschrieben (עבד, 1QHa IV,26; V,24; VI,25; VIII,21; XVIII,22). 21 „ רוח קודשך וכן הגישני לבינתךDein heiliger Geist und du bringt mich zu Einsicht in dich“. 20
22
ואני משכיל ידעתיכה אלי ברוח אשר נתתה בי ונאמנה שמעתי לסוד פלאכה ברוח קדשכה
„Und ich, der Lehrer, erkannte dich, mein Gott, durch den Geist, den du mir gegeben hast, und ich habe aufmerksam auf deinen wunderbaren Rat gehört durch deinen heiligen Geist“. 23 So auch NEWSOM 2012, 344.
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9. Kapitel: Das deuterokanonische Schrifttum und die Schriften von Qumran
Menschen wirkt Gott auch selbst ein, in dem er ihn stärkt (XII,36; XVII,12) oder reinigt (XI,21). Neben diesem den Menschen innewohnenden, aber dennoch die Beziehung zu Gott konstituierenden Geist wird der heilige Geist als eine von Gott ausgehende Größe genannt, die Gott den Menschen gibt oder in sie hineingießt, so dass sie zu richtiger Gotteserkenntnis geführt werden.24 Damit zeigen die Hodajot einen Vorstellungshintergrund des Begriffes רוח, der sich in ähnlicher Weise, wie sich zeigen wird, in der Gemeinderegel findet und der teilweise mit dem Gedanken, dass Gott einerseits auf den Geist im Menschen Einfluss nimmt, andererseits aber seinen eigenen Geist den Menschen gibt, dem Vorstellungshintergrund vor allem des Ezechielbuches, aber auch Psalm 51, ähnelt. 9.1.2 רוחin der Gemeinderegel Die Gemeinderegel aus Qumran ist mit elf Kolumnen fast unversehrt erhalten und enthält in ihrem Kern Regeln für die Ordnung in der Gemeinde sowie einen Strafkodex (V,1–IX,25). Ihre Bezeichnung hat sie durch die auf der Rückseite der Rolle überlieferte Überschrift סרך היחד. Ihr Text ist aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt: In I,1–III,12 finden sich Anweisungen für die Aufnahme derjenigen, die willens sind, in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden, sowie für das Fest der Bundeserneuerung. In III,13– IV,26 folgt ein Teil, der zumeist als „Zwei-Geister-Lehre“ bezeichnet wird. Daran schließen sich die bereits erwähnten Regeln für die Ordnung der Gemeinde an (V,1–IX,25). Den Abschluss bilden Gebetsanweisungen und ein Psalm (IX,26–XI,1).25 Mit ihren verschiedenen Teilen ist die Gemeinderegel das Ergebnis eines längeren Entstehungsprozesses, über dessen Verlauf allerdings noch kein Forschungskonsens besteht.26 Der älteste Kern der Gemeinderegel scheint in V–IX vorzuliegen.27 Insgesamt lässt sich 1QS in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. datieren.28 Der Begriff רוחbegegnet in der Gemeinderegel in verschiedener Weise. In den hinteren Teilen (V,1–IX,25/IX,26–X,22) ist die רוחvor allem eine dem Menschen innewohnende Größe, die über seinen Lebenswandel (V,21) und seine Zugehörigkeit zur Gemeinschaft entscheidet (VII,18.23). In VIII,3 und XI,1 findet sich zweimal die Formulierung „ רוח נשברהzerbrochener Geist“, in 24
Vgl. auch ebd., 344.349. Zu dieser Gliederung vgl. LOHSE 1986, 1. Eine Gliederung in sechs Teile (I,1–III,12; III,13–IV,26; V,1–VI,23; VI,24–VII,25; VIII,1–X,8; X,9–XI,2,2) favorisiert A. KLEIN 2009, 177 in Anlehnung an GUILBERT 1958/59, 323ff. 26 Ein Überblick in die Forschungsdiskussion findet sich bei METSO 1997, 1–11. 27 Vgl. METSO 1997, 143. Vorher auch MILIK 1972, 135. Hierfür spricht auch die in Höhle 4 gefundene Variante der Gemeinderegel (4QSd/4Q258), die erst mit Kol. V einsetzt. Vgl. ALEXANDER/VERMES 1998, 1–206. 28 KNIBB 2000, 796. 25
9.1 Mehrere Geister und der heilige Geist in den Schriften von Qumran
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VIII,3 in Zusammenhang mit der Vorstellung, Schuld zu sühnen ()לרצת עוון, in XI,1 als Selbstbeschreibung des Betenden.29 Neben der רוחals einer den Menschen innewohnenden Größe begegnet in X,18 die רוחals eine negative Größe, nämlich als „ רוח רשעהGeist der Gottlosigkeit“, von der der Betende sich fernhalten will. Außerdem ist in VIII,16 vom heiligen Geist ()רוח קדשו die Rede, durch den die Propheten das Gesetz ( )תורהenthüllt haben. Der Gebrauch der Wendung רוח קדשוin VIII unterscheidet sich sehr von dem Gebrauch in III,7 und IV,20, wo der heilige Geist eine reinigende Wirkung hat. In III,7 begegnet der heilige Geist ( )רוח קדושהim Zusammenhang der Bestimmungen über die Aufnahme in die Gemeinschaft ()יחד, die hier in mehreren Schritten beschrieben wird. Drei Geister werden wirksam, um den Menschen so vorzubereiten, dass er als letztes durch das Wasser der Reinheit geheiligt wird (ולהתקדש במי דוכי, III,9). Zunächst werden seine Wege durch den Geist des wahrhaftigen Rates Gottes entsühnt ( ברוח עצת אמת אל דרכי איש יכופרו, III,6), danach wird er durch den heiligen Geist von allen seinen Sünden gereinigt (ברוח קדושה ליחד באמתו יטהר מכול עוונותו, III,7) und durch den Geist der Rechtschaffenheit und der Demut wird seine Sünde gesühnt ()וברוח ישר וענוה תכופר חטתו. Schließlich muss der Beitrittswillige seine Seele unter die Weisungen Gottes demütigen (ובענות נפשו לכול חוקי אל יטהר, III,8). Erst dann kann die Reinigung mit dem Wasser der Reinheit erfolgen. Der heilige Geist ist unter all den erwähnten Geistern als derjenige herausgehoben, der der Gemeinschaft in seiner Wahrheit gegeben ist ( רוח קדושה ליחד באמתו, III,7). Das eigentliche Reinigungsritual liegt hier in dem Wirken der beschriebenen Geister. Sie sind es, die den Menschen von seiner Sündhaftigkeit befreien. Die abschließende Waschung scheint das Gesamtritual eher im Sinne eines Aufnahmezeichens in die Gemeinschaft zu beenden.30 In der „Zwei-Geister-Lehre“, die in III,13–IV,26 vorliegt, wird nun erneut der Akt einer Reinigung durch den heiligen Geist beschrieben (IV,21).31 Dieses Szenario ist von der Schilderung in III,6–9 dadurch unterschieden, dass der heilige Geist hier als einziger Geist erwähnt wird und dass Gott derjenige ist, der einige Menschen durch den heiligen Geist reinigt (IV,21), während in III,6–9 die Geister aus sich heraus im Zusammenspiel mit der Absicht des Menschen, sich zu entsündigen, aktiv werden. Ein entscheidender Unterschied liegt auch in der Verortung der Szenarien. Ist III,6–9 ein innerweltliches Ritual zum Eintritt in die Gemeinschaft, beschreibt IV,15–26 ein eschatologisches Ereignis in der letzten Zeit (עד קץ, IV,16), dessen Ziel es 29
XI,1 ist dabei als eine Wiederaufnahme von VIII,3 zu verstehen. Vgl. A. KLEIN 2009,
180. 30 Anders A. Klein, die dem Wasser größere Bedeutung beimisst, indem sie argumentiert, dass die im Rahmen der Zwei-Geister-Lehre beschriebene Waschung ohne Wasser auskommt. Vgl. A. KLEIN 2009, 182. 31 Zu diesen beiden Szenarien vgl. auch FELDMEIER/SPIECKERMANN 2011, 223–225.
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9. Kapitel: Das deuterokanonische Schrifttum und die Schriften von Qumran
ist, dass kein Frevel mehr ist (ואין עולה יהיה, IV,23) und eine neue Schöpfung (עשות חדשה, IV,25) beginnt.32 Der gesamten Schilderung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass zwei Geister von Gott in den Menschen gelegt sind, die seinen Lebenswandel bis zum Ende bzw. bis zur Heimsuchung ( )פקודהbestimmen (IV,17–19), nämlich die Geister der Wahrheit und des Frevels ( רוחות האמת )והעול. Diesen beiden Geistern, die den Lebenswandel des Menschen bestimmen, entsprechen auf einer kosmischen Ebene der Fürst des Lichtes ( שר אורים, III,20) und der Engel der Finsternis (מלאך חושך, III,20.21), die miteinander um die Vorherrschaft ringen. Während sich die Passage in III,17–25 eher so liest, dass die Menschen einer der beiden Seiten angehören, scheint es in IV,23 so zu sein, als wenn der Streit zwischen Wahrheit und Frevel ein Streit ist, der sich für immer im Herzen des Menschen vollzieht.33 Alle diese Beobachtungen bestätigen den Eindruck, dass die Gemeinderegel ein literarisch gewachsenes Werk ist. Im Hinblick auf die Verwendung des Begriffes רוחist es so, dass die hinteren Teile (V,1–IX,25; IX,26–X,22) von der reinigenden Kraft des heiligen Geistes, von der in III,9 und IV,20 die Rede ist, nichts wissen. Zwar geht es auch hier bereits um die Änderung des menschlichen, zerbrochenen Geistes ()רוח נשברה, um die eigene Schuld zu sühnen (VIII,3), allerdings ist an diesem Änderungsprozess kein neuer, heiliger Geist wie in III,9 oder IV,20 beteiligt. Der heilige Geist ist schlicht ein Merkmal der Prophetie (VIII,16). Da XI,1 die Formulierung רוח נשברה aus VIII,3 aufnimmt, bestätigt sich im Hinblick auf die רוחdie These, dass IX,26–X,22 sekundär zu V,1–IX,25 hinzugetreten sind. Da das in III,9 beschriebene Reinigungsszenario eine Reinigung unter anderem durch den heiligen Geist zum Eintritt in die Gemeinschaft vorsieht und weder von der im Folgenden beschriebenen „Zwei-Geister-Lehre“ noch von einer erneuten eschatologischen Reinigung etwas zu wissen scheint, bestätigt sich ebenfalls die These, dass in der „Zwei-Geister-Lehre“ ein weiterer, späterer Eintrag in die Gemeinderegel vorliegt.34 Weiterhin muss davon ausgegangen werden, dass die „Zwei-Geister-Lehre“ in III,13–IV,26 in sich Fortschreibungen erfahren hat. Als ein deutlicher Einschub erweist sich III,20–24. Der Grundbestand in III,13–IV,26 ist von der Vorstellung geprägt, dass es zwei von Gott geschaffene Geister gibt, die das Leben des Menschens bestimmen, nämlich die Geister der Wahrheit und des Frevels (רוחות האמת והעול, III,18.19; IV,23), die wiederum dem Licht und der Finsternis zugeordnet werden (III,19). Diese beiden Geister bestimmen das Leben der Menschen, je nachdem, welchen Anteil ein jeder an diesen Geistern hat (IV,15–16). Im 32
Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Passagen in III,6–9 und in IV,21–26 vgl. außerdem A. KLEIN 2009, 182. 33 Diesen Widerspruch hat auch Stegemann beschrieben. Vgl. STEGEMANN 1988, 116– 119. 34 Vgl. auch A. KLEIN 2009, 182.
9.1 Mehrere Geister und der heilige Geist in den Schriften von Qumran
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Inneren des Menschen vollzieht sich die Entscheidung, ob der Anteil des Geistes des Frevels oder der des Geistes der Wahrheit überwiegt. Erst auf einer eschatologischen Ebene werden die Menschen von dem Geist des Frevels in ihrem Inneren befreit (IV,20). Aufgrund der in III,9 als Aufnahmeszenario beschriebenen Reinigung mit dem heiligen Geist, der gleichzeitig der Gemeinschaft eigen ist, kann sich das Mitglied der Gemeinschaft auch innerhalb der in III,13–IV,25 folgenden „Zwei-Geister-Lehre“ als ein Mensch verstehen, in dessen Inneren der Anteil des Geistes der Wahrheit überwiegt. Dennoch steht dieses Verhältnis bis zur Zeit der Heimsuchung (פקודה, IV,26) immer unter einem Vorbehalt. Diese Spannung zwischen dem Wissen um die Existenz auch eines bösen Geistes, der gleichwohl von Gott gegeben ist, und dem Vertrauen darauf, dass man selbst mit dem heiligen Geist ausgestattet ist, der einen zu rechtem Lebenswandel und zu Erkenntnis des Richtigen führt, findet sich ebenfalls in den Hodajot. Dort steht in zahlreichen Gebeten die Rede von einem fleischlichen Geist (רוח בשר, 1QHa IV,25; V,19), einem gottlosen Geist (רוח רשעה, 1QHa IV,23; VI,11) oder einem verkehrten Geist (רוח נעוה, 1QHa V,21) neben der Zuversicht des Beters, aller Existenz anderer Geister zum Trotz selbst mit dem heiligen Geist ausgestattet zu sein (1QHa IV,26; V,25; VI,13; VIII,16).35 In diese Ausführungen über die Existenz der zwei Geister, wie sie in der Gemeinderegel in III,13–IV,26 vorliegen und wie sie sich ähnlich auch in den Hodajot finden, ist in III,20–24 nachträglich der Gedanke eingetragen worden, dass die Bestimmung des Menschen und seine Zugehörigkeit zum Geist der Wahrheit oder des Frevels mit der Zugehörigkeit zu den Söhnen der Gerechtigkeit ( )בני צדקoder den Söhnen des Frevels ( )בני עולimmer schon festgelegt sind (IV,20–21).36 Dies widerspricht der Vorstellung des Grundtextes der Zwei-Geister-Lehre, in dem bis zum Ende offenbleibt, welcher Anteil an welchem Geist im Inneren des Menschen überwiegt. Auch der Gedanke eines Kampfes zwischen einem Fürsten des Lichts ( )שר אוריםund einem Engel der Finsternis ( )מלאך חושךfindet sich innerhalb der ZweiGeister-Lehre nur hier. Offensichtlich ist hier also in einem späteren Stadium der Gemeinderegel der Vorbehalt, unter dem die Zugehörigkeit zum Geist der Wahrheit im Grundtext der „Zwei-Geister-Lehre“ in III,13–IV,26 stand, zurückgenommen worden, um stattdessen die Zugehörigkeit zur „richtigen“ Gruppe festzulegen. Die Entscheidung über den Sieg des Geistes der Wahrheit über den Geist des Frevels ist nun auch keine Entscheidung mehr, die 35 Der Gedanke, dass der Mensch sich von einem schlechten Geist fernhalten soll, findet sich mit der Terminologie „Geist des Fleisches“ ( )רוח בשרauch in 4Q418,81, 4Q416,1 und 4Q417,2 I. Vgl. FREY 1999, 61–63. 36 Stegemann hat den Widerspruch zwischen dem Ringen der Geister im Menschen und der schon immer festgelegten Zuschreibung zu einer Gruppe durch den Vorschlag gelöst, dass der Anteil, der im Menschen überwiegt, immer schon festgelegt war. Vgl. STEGEMANN 1988, 119.
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9. Kapitel: Das deuterokanonische Schrifttum und die Schriften von Qumran
sich im Inneren des Menschen vollzieht, sondern eine Entscheidung, die sich in einem Kampf zweier übergeordneter, kosmischer Größen, im Kampf des Fürsten des Lichts mit dem Engel der Finsternis, vollzieht.37 9.1.3 Zusammenfassung Insgesamt lässt sich über die Verwendung des Begriffes רוחin den hier näher untersuchten qumranischen Schriften, der Gemeinderegel und den Hodajot, sagen, dass das Leben, Wesen und Denken des Menschen durch verschiedene רוחותbestimmt wird, die alle von Gott geschaffen sind.38 Die Mitglieder der Gemeinschaft, die hinter den Schriften steht, verstehen sich als Menschen, die mit der Gabe des heiligen Geistes bzw. des heiligen Geistes der Wahrheit ausgerüstet sind und die deshalb im Ringen der verschiedenen Geister miteinander gute Chancen haben, sich für den richtigen Lebenswandel zu entscheiden. Während die Hodajot und ein früheres Stadium der Gemeinderegel sich diesem Ringen ausgesetzt sehen, auch wenn das Vertrauen auf das Wirken des heiligen Geistes zum Ausdruck kommt, liegt in der Gemeinderegel in III,20–24 ein Einschub vor, der dieses Ringen um den richtigen Lebensentwurf auf eine andere Ebene hebt. Im Vergleich zu den im Alten Testament vorliegenden Schriften fällt auf, dass in den Qumranschriften die Rede von Gottes Geist insgesamt zurückgetreten ist. Demgegenüber hat die Vorstellung von der רוחals einer dem Menschen innewohnenden Größe an Bedeutung gewonnen. Stärker geworden ist auch der Gedanke, dass es mehrere Geister ( )רוחותsein können, die das Wesen des Menschen bestimmen. Auch im Alten Testament konnten Eigenschaften auf einen bestimmten Geist zurückgeführt werden (z.B. die רוח קנאה „Geist der Eifersucht“ in Num 5,14.30), in den Qumranschriften ist dieser Umgang jedoch in weit größerem Umfang zu finden. Neu gegenüber den alttestamentlichen Schriften ist auch das Ringen von zwei Geistern im Menschen miteinander, wie es sich in der Gemeinderegel und in den Hodajot findet. Dass aber alle Geister, die im Menschen für dessen Lebenswandel verantwortlich sind, auf Gott zurückgeführt werden, ist als Weiterentwicklung der Vorstellung aus dem Ezechielbuch und aus Ps 51 zu sehen, dass der Geist die Größe im Menschen ist, über die Gott auf den Menschen zugreifen und ihn zu einem anderen Sein verändern kann. Die Vorstellung, dass der heilige Geist, der als ein Geist, der von Gott kommt, verstanden wird, in den Beter der Hodajot gelegt oder den Mitgliedern der Gemeinschaft, die hinter der Gemeinderegel steht, gegeben ist, steht ebenfalls in einer Entwicklungslinie mit der Vorstellung von der Gabe des Geistes Gottes, wie sie sich in den Schriften des Alten Testaments findet. Neu 37
Zur Verbindung von der Bestimmung des Menschen mit einem Dualismus auf kosmischer Ebene vgl. auch PRYKE 1964, 350. 38 Vgl. auch KALVAAG 1998, 179.
9.2 Die Sapientia Salomonis
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ist allerdings der Vorbehalt, unter dem die Gabe des heiligen Geistes in den Hodajot und in der Gemeinderegel steht. Während im Alten Testament die Gabe des Geistes Gottes durchgehend eine positive Veränderung im Menschen und an seinen Lebensumständen bewirkt, gibt der heilige Geist in den Hodajot und in der Gemeinderegel zwar das bestmögliche Rüstzeug, der Mensch muss sich aber dennoch im Ringen der ihm ebenfalls gegebenen Geister bewähren.
9.2 Die Sapientia Salomonis 9.2 Die Sapientia Salomonis
Mit der Untersuchung der Vorstellung von Gottes Geist in der Sapientia Salomonis wird nun ein Seitenblick auf eine Schrift des griechichsprachigen Diasporajudentums getan. 9.2.1 Einführung Die Sapientia Salomonis39 ist eine in griechischer Sprache abgefasste Schrift, die sich auf literarischer Ebene an die „Herrschenden der Erde“ (οἱ κρίνοντες τὴν γῆν, Sap 1,1) wendet. Tatsächlich ist sie aber eine Werbeschrift für die Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) und den mit diesem Begriff zum Ausdruck gebrachten Glauben an den jüdischen Gott, die zum einen der Selbstvergewisserung der Glaubenden dient, die sich aber zum anderen – vor allem in ihren ersten Teilen – auch durch eine Offenheit gegenüber der hellenistischen Umwelt auszeichnet, so dass der Adressatenkreis keineswegs nur auf die Herrschenden der Erde begrenzt bleibt. Die Sapientia Salomonis lässt sich in drei Teile gliedern, in einen Aufruf zur Liebe zur Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) in Sap 1,1–6,21, in ein Loblied auf die Weisheit (σοφία) in Sap 6,22–11,1 und in einen dritten Teil in Sap 11,2– 19,22, der sieben Gegenüberstellungen enthält, die an Gottes gerechtes Handeln im Exodusgeschehen erinnern. Diese Gegenüberstellungen werden in Sap 11,15–15,19 durch zwei Exkurse unterbrochen, die sich mit der Frage nach der Milde Gottes (Sap 11,15–12,27) und mit der Problematik des Götzendienstes (Sap 13,1–15,19) befassen.40 Die drei Teile der Sapientia Salomonis haben jeweils eine unterschiedliche inhaltliche und thematische Ausrichtung. Während sich der erste und der dritte Teil der Schrift (Sap 1,1–6,21; 11,2–19,22) mit dem Gegensatz zwischen Gerechten und Gottlosen beschäftigen, spielt die Frage nach der Gerechtigkeit innerhalb des zweiten Teils (Sap 39
Nach der in vielen griechischen Bibelhandschriften überlieferten Überschrift σοφία σαλωµώνος. 40 Niebuhr hat zuletzt für eine Zweiteilung der Schrift in Sap 1–8 und 9–19 votiert. Diese Gliederung widerspricht aber vollkommen der inhaltlichen Ausrichtung des Textes. Vgl. NIEBUHR 2015 (I), 20–21.
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9. Kapitel: Das deuterokanonische Schrifttum und die Schriften von Qumran
6,22–11,1) überhaupt keine Rolle. In Sap 6,22–11,1 steht stattdessen die Weisheit im Vordergrund, die wiederum im ersten und dritten Teil nur am Rande erscheint. Auffällig ist auch, dass der zweite Teil eine autobiographische Ausrichtung auf König Salomo hin besitzt, die dem ersten und dem dritten Teil vollkommen fehlt. Spannungen bestehen auch in der Ausrichtung der verschiedenen Teile. Während der erste in Sap 1,1–6,21 mit seinem Aufruf zur Liebe zur Gerechtigkeit eine universale Perspektive hat, zieht der dritte Teil mit der Götzenpolemik in Sap 13,1–15,19, aber auch in der übrigen Darstellung eine deutliche Grenze zwischen dem Volk Israel und seiner heidnischen und als gottlos bezeichneten Umwelt. Diese Unterschiede verlieren auch dann nicht an Gewicht, wenn die Sapientia Salomonis als Ganzes der Gattung des Logos protreptikos zugeordnet wird.41 Man muss daher davon ausgehen, dass die drei Teile der Sapientia Salomonis sukzessive entstanden sind und dass sie das Ringen um die Frage nach der Plausibilität des jüdischen Glaubens in einem hellenistischen Kontext unter unterschiedlichen Voraussetzungen widerspiegeln. Vor allem der dritte Teil und die in ihn eingeschalteten Exkurse sind als eine Reaktion auf die zunehmend problematische Situation der jüdischen Gemeinde in Alexandria zu verstehen.42 Dementsprechend muss für die Entstehung der Schrift auch nicht von einem bestimmten Zeitpunkt, sondern von einem Zeitraum ausgegangen werden. Dieser ist höchstwahrscheinlich in die Zeit zwischen 30 v. Chr. und den Jahren 38/39 n. Chr. anzusetzen.43 Vor allem der dritte Teil scheint in zeitlicher Nähe zur Regierungszeit Caligulas und zu den Pogromen in Alexandria in den Jahren 38/39 n. Chr. entstanden zu sein. Dass mit einer Entstehung der Sapientia Salomonis nicht vor dem 1. Jahrhundert v. Chr. zu 41
Der Logos protreptikos ist der Gattung der Protreptik zugeordnet und versucht, seine Leser vom Wert des dargestellten Gebietes zu überzeugen. Da er verschiedene Literatursorten verwenden kann, um den Leser für sein Anliegen zu gewinnen, werden die Spannungen, die in der Sapientia Salomonis vorliegen, häufig als Zeichen der Gattung der Protreptik gewertet, so dass die Zuordnung zur Gattung des Logos protreptikos als Begründung für die Einheitlichkeit der Sapientia Salomonis dient. Ausführlich dargelegt hat dies erstmals REESE 1970. Zur Gattung der Protreptik vgl. GÖRGEMANNS 2001, 468–471. 42 Für eine ausführliche Darstellung der Entstehung der Sapientia Salomonis vgl. BLISCHKE 2007, 25–44. Alternative Entstehungsmodelle finden sich bei GEORGI 1980, 393, bei LARCHER 1982, 115 sowie bei SPIECKERMANN 2002, 346. Die Einheitlichkeit der Sapientia Salomonis wird mit Verweis auf die Gattung des Logos protreptikos vertreten unter anderen von ENGEL 1998, HÜBNER 1999 und WINSTON 1979. Außerdem NIEBUHR 2015 (I), 24–30. 43 Zum einen spricht die Verwendung bestimmter Termini, die sich bereits innerhalb des ersten Teils der Schrift finden, für eine Entstehung der Sapientia Salomonis erst in den Jahren nach der Einnahme Alexandrias durch Augustus im Jahr 30 v. Chr. Dies hat vor allem Scarpat nachgewiesen. Vgl. SCARPAT 1989, 16. Zum anderen finden sich für den dritten Teil der Sapientia Salomonis sprachliche Indizien, die in die Regierungszeit Caligulas weisen. Vgl. DIHLE 2000.
9.2 Die Sapientia Salomonis
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rechnen ist, ist auch darin begründet, dass sie die meisten alttestamentlichen Schriften in griechischer Sprache kennt und über sie verfügt.44 Die Verortung der Sapientia Salomonis in Alexandria ist anders als ihre Entstehung im Wesentlichen unumstritten. Begründet wird dies vor allem mit der Bedeutung, die Ägypten innerhalb des dritten Buchteils zukommt. Die aggressive Polemik auch gegen die ägyptische Religion lässt sich nur in einem direkten Bezug zum ägyptischen Diasporajudentum verstehen.45 In ihrem Anliegen, für die Liebe zur Gerechtigkeit und damit für ein Leben nach dem Ratschluss des jüdischen Gottes zu werben, zeigt die Sapientia Salomonis einerseits eine feste Verwurzelung in ihrem hellenistischen Umfeld. Sie ist in griechischer Sprache abgefasst, und hellenistische Bildung ist für sie selbstverständlich. Auf der anderen Seite ist sie aber in all ihren Aussagen, die sie über Gott und den Menschen und über das Verhältnis von Gott und Mensch macht, eng an die Schriften des Alten Testaments gebunden, auf die sie nahezu ständig anspielt.46 Ihr Anliegen ist es, den jüdischen Glauben gegebenenfalls mit den sprachlichen und stilistischen Mitteln und mit der Metaphorik der hellenistischen Umwelt zu plausibilisieren, ohne aber eine Synthese ihrer Glaubensvorstellungen mit denen der Umwelt einzugehen.47 Gleichwohl kommt es über das Anliegen der Plausibilisierung des jüdischen Glaubens in vielerlei Hinsicht auch zu einer Profilierung desselben. Dies zeigt sich beispielsweise für den Bereich eschatologischer Aussagen, die weit über den alttestamentlichen Horizont hinausgehen. Dass dies auch für das Nachdenken über den Geist Gottes der Fall ist, soll im Folgenden gezeigt werden. 9.2.2 πνεῦµα in der Sapientia Salomonis. Ein Überblick Die Sapientia Salomonis verwendet den Begriff πνεῦµα nicht nur für den Geist Gottes, sondern innerhalb eines breiteren Bedeutungsspektrums, das mit der Verwendung des Begriffes רוחin den hebräischen Schriften des Alten Testaments übereinstimmt. So kann πνεῦµα in der Sapientia Salomonis zur Bezeichnung des Windes oder der Luftbewegung verwendet werden (Sap 5,23; 11,20; 13,2; 17,17).48 Gleichzeitig ist das πνεῦµα das den Menschen 44 Zur Verwendung der alttestamentlichen Schriften innerhalb der Sapientia Salomonis vgl. BLISCHKE 2007, 191–202. 45 Zur Verortung der Sapientia Salomonis in Ägypten vgl. BLISCHKE 2007, 46–47; ENGEL 1998, 32; SCARPAT 1989, 29. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Lokalisation der Sapientia Salomonis findet sich bei GÖRG 1991. Für die Verortung der Sapientia Salomonis in Alexandria dürften auch die zahlreichen Parallelen ihres Wortschatzes mit dem Philos sprechen. Vgl. NESSELRATH 2015, 142–144. 46 Vgl. BLISCHKE 2007, 191–202. 47 Vgl. auch GILBERT 1984, 312; REESE 1970, 159. Ebenfalls KEPPER 1999, 204. 48 In Sap 5,23 übersetzt die Lutherbibel πνεῦµα δυνἀµεως mit „Geist göttlicher Kraft“, die Einheitsübersetzung mit „Atem des Allmächtigen“. In Anbetracht der Tatsache, dass in Sap 5,21–23 durchweg von Naturgewalten die Rede ist, die als Gottes Schöpfung für Gott
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9. Kapitel: Das deuterokanonische Schrifttum und die Schriften von Qumran
belebende Element. In Sap 15,11 erscheint πνεῦµα neben der Seele (ψυχή) als die Größe im Menschen, die aus ihm ein lebendes Wesen macht. Sowohl Seele als auch das πνεῦµα ζωτικόν sind dem Menschen von Gott gegeben. Wenn die Menschen sterben, dann verlieren sie Seele und Geist (Sap 16,14). Im Zusammenhang mit der Vergänglichkeit des Menschen spricht auch Sap 2,3 vom Verlust des πνεῦµα. Sap 16,14 und 2,3 beschreiben allerdings jeweils nicht die Vorstellung, die die Sapientia Salomonis selbst vom Sterben der Menschen und vom Ende des Lebens hat. In Sap 2,3 werden die Gedanken der Gottlosen über Leben und Sterben zum Ausdruck gebracht, in Sap 16,14 geht es darum, dass Menschen, wenn sie jemanden töten, Seele und Geist nicht zurückholen können, sondern dass Gott der Herr über Leben und Tod ist (Sap 16,13). Die Sapientia Salomonis verspricht den Menschen, die sich die Gerechtigkeit in Liebe zu eigen machen und das Gesetz (νόµος) halten, Unsterblichkeit (ἀθανασία) und Unvergänglichkeit (ἀφθαρσία, Sap 1,15 und 6,18–20). Daher kann sie auch in dem Exkurs über die Milde Gottes, der in Sap 11,15–12,27 vorliegt und der einen Rückbezug zum ersten Teil der Sapientia Salomonis herstellt, davon sprechen, dass Gottes unvergänglicher Geist in allem sei (τὸ γὰρ ἄφθαρτόν σου πνεῦµά ἐστιν ἐν πᾶσιν).49 In dieser Aussage gipfelt ein Argumentationsgang, der in Sap 11,15 beginnt und der Gott als den Schöpfer aller Dinge beschreibt, der Gefallen an all seinen Schöpfungen hat und diese deshalb bewahren will. Nicht als lebensspendendes Element, sondern als eine Größe im Menschen, die sein Gefühlsleben prägt, wird πνεῦµα in Sap 5,3 erwähnt. Neben den hier beschriebenen Zusammenhängen begegnet der Begriff πνεῦµα in zwei weiteren Bedeutungkontexten, die über die Verwendung des Begriffes רוחin den hebräischen Schriften des Alten Testaments hinausgehen. Dies trifft zum einen auf die Verwendung des Begriffes πνεῦµα in Zusammenhang mit Aussagen über die Weisheit (σοφία) zu (Sap 1,5; 7,7.22; 9,17), zum anderen für die Vorstellung, dass der Geist des Herrn (πνεῦµα κυρίου) den Erdkreis durchwaltet (Sap 1,7). Diese beiden Bereiche sollen im Folgenden etwas genauer in den Blick genommen werden. 9.2.3 Geist und Weisheit in Sap 7–9 Πνεῦµα und σοφία werden zum einen gleich in Sap 1,5 zu Beginn der Schrift miteinander in Verbindung gebracht, danach geraten beide Größen wieder in Sap 7 und 9 in den Blick, also innerhalb des zweiten Teils der Sapientia Salomonis in Sap 6,22–11,1, in dem sich ein Loblied auf die Weisheit findet. Mit kämpfen, scheint eine Übersetzung mit „Wind“ hier jedoch angemessener zu sein. Vgl. auch HÜBNER 1999, 75. 49 Zum Zusammenhang von Gerechtigkeit, Gesetz, Unvergänglichkeit und Unsterblichkeit vgl. BLISCHKE 2007, 263–266; DIES. 2009, 193–195; DIES. 2015, 159–162. Zum Charakter von Sap 11,15–12,27 als redaktionellem Rückbezug vgl. DIES. 2007, 42.
9.2 Die Sapientia Salomonis
285
diesem zweiten Teil innerhalb der Sapientia Salomonis wechselt die Perspektive, so dass ab Sap 7,1 der weise König Salomo spricht. Über die Unterschiede zum ersten und zum dritten Teil der Sapientia Salomonis wurde oben bereits geschrieben. Abgesehen von diesen Spannungen zu den anderen Teilen weist der zweite Teil der Sapientia Salomonis auch eine Reihe von Brüchen innerhalb des unmittelbaren Nahkontextes auf. Bevor die Belege zu Geist (πνεῦµα) und Weisheit (σοφία) genauer in den Blick genommen werden können, muss daher zunächst in gebotener Kürze auf das literarische Wachstum des zweiten Teils eingegangen werden. So bieten die Verse Sap 6,12‒16 bereits eine Beschreibung der Weisheit, während Sap 6,22 davon auszugehen scheint, dass über die Weisheit noch nichts gesagt wurde, so dass dort mit τί δέ ἐστιν σοφία καὶ πῶς ἐγένετο, ἀπαγγελῶ zu ersten Ausführungen über die Weisheit angehoben wird. Gleichzeitig wird sowohl in Sap 7,7‒14 als auch in Sap 8,2‒8 Salomos Verhältnis zur Weisheit beschrieben, und sowohl in Sap 7,15‒21 als auch in Sap 8,9‒9,6 wird die Frage behandelt, wie Weisheit zu erlangen sei. Ebenso wird in Sap 7,22‒8,1 und 9,13‒17 gleich zweimal der Wert der Weisheit ermessen und dargestellt. Insgesamt bietet der zweite Teil eine Konkretisierung und Weiterführung von Aussagen, die sich innerhalb des ersten Teils der Sapientia Salomonis finden. Er reagiert auf die relativ offene Darstellung der Weisheit in Sap 6, indem er eine umfassende Beschreibung ihrer Eigenschaften, ihres Wesens und ihres Wirkens bietet. Mit dem weisen König Salomo wird eine beispielhafte Figur gewählt, die sich um den Besitz von Weisheit bemüht und die den in Sap 1,1 und 6,1 genannten Adressaten der Schrift, den Herrschenden über die Erde und den Königen, ebenbürtig ist. Um die Bedeutung der Weisheit in diesem Zusammenhang stärker hervorzuheben, wird Sap 6,12‒16 in das bestehende Kapitel 6 eingetragen worden sein. Aus dem gleichen Impuls heraus ist der erste Teil dann um den zweiten erweitert worden, wobei diese Erweiterung aller Wahrscheinlichkeit nach sukzessive erfolgte. Es ist anzunehmen, dass zunächst Sap 6,22‒27, 8,2‒21 und Sap 9–10* angefügt wurden. Diese Schicht erhielt dann in Sap 7 mehrere Ergänzungen, die zum Ziel hatten, die Figur des weisen Königs Salomo stärker hervortreten zu lassen und das Handeln Gottes gegenüber dem Handeln der Weisheit stärker zu betonen (Sap 7,15‒21). Des Weiteren tritt durch die Vorschaltung von Sap 7, vor allem von Sap 7,22–8,1, vor Sap 8,2ff die Darstellung der Weisheit mit den Attributen einer Frau in den Hintergrund. Während die Weisheit in Sap 8 mit weiblichen Titeln wie µύστις, αἱρετίς (Sap 8,4) oder als Handwerkerin (τεχνῖτις, Sap 8,6) beschrieben wird, ist Sap 7,22–8,1 durch stoisches Gedankengut geprägt.50 Sap 10 war ursprünglich das 50 Zum stoischen Einfluss in Sap 7,22–8,1 vgl. BLENKINSOPP 1995, 170–173. Zur Darstellung der Weisheit in der Sapientia Salomonis vgl. BLISCHKE 2015, 168–170.
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9. Kapitel: Das deuterokanonische Schrifttum und die Schriften von Qumran
Schlusskapitel dieser beiden Teile. In ihm wurde die Figur des Gerechten aus Sap 1‒6 wieder aufgegriffen und die Bewahrung des Gerechten in der Geschichte durch die Weisheit beschrieben. Dieses Kapitel lieferte sodann den Anlass, die Gegenüberstellungen des dritten Teils anzufügen.51 Sap 9,13–18 ist dann wiederum ein sekundärer Eintrag, der erst nach der Erweiterung des zweiten Teils der Sapientia Salomonis durch den dritten Teil in den Text eingetragen worden ist. Hier wird mit der Betonung der Sterblichkeit und Vergänglichkeit des Menschen (Sap 9,15) auf die Exkurse innerhalb des dritten Teils vorausgeblickt sowie gleichzeitig der bis dahin sehr profilierte Umgang mit der Weisheit und dem heiligen Geist zurückgenommen. Dies entspricht der Tendenz der Sapientia Salomonis insgesamt, dass sie innerhalb ihres ersten Teils offen gegenüber dem hellenistischen Umfeld ist und den jüdischen Glauben stark profiliert, während vor allem der dritte Teil eher konservativ ist. Die Aussagen über den Geist (πνεῦµα) und die Weisheit (σοφία) finden sich innerhalb des zweiten Teils ausschließlich in redaktionellen Stücken, die einerseits für die Verbindungen zwischen dem zweiten Teil und den anderen Buchteilen zuständig sind (Sap 7,7 und 9,17) und andererseits die Vorstellung der Weisheit neu thematisieren und akzentuieren (Sap 7,22). Der Begriff πνεῦµα findet sich also in den Kapiteln 7 und 9 in verschiedenen Zusammenhängen, die auf verschiedenen literarischen Ebenen liegen, und wird daher in unterschiedlicher Akzentsetzung gebraucht. In Sap 7,7 ist von einem Geist der Weisheit (πνεῦµα σοφίας) die Rede. Die Verbindung von Weisheit und Geist findet sich bereits in Sap 1,6. Dort heißt es, dass die Weisheit ein menschenfreundlicher Geist sei (φιλάνθρωπον γὰρ πνεῦµα σοφία). Sap 7,7 gehört in eine Beschreibung des Ansinnens Salomos, Gott um Einsicht zu bitten, die dem ursprünglichen Gebet Salomos in Sap 9 vorangestellt ist. Der Zusammenhang in Sap 7,1–7 ist der, dass Salomo sich als einen sterblichen Menschen wie alle anderen beschreibt, der sich seiner eigenen Unzulänglichkeit bewusst ist und Gott deshalb um Einsicht (φρόνησις) bittet. Gott entspricht dieser Bitte, indem der Geist der Weisheit (πνεῦµα σοφίας) zu Salomo kommt. Diese Aussage ist Teil des Bestrebens, der Weisheit ihre Attribute als Frau und als eine eigenständige Größe zu nehmen und sie eher als eine Größe darzustellen, die dem Menschen Einsicht bringt. Zugleich wird zumindet terminologisch eine Verbindung zum ersten Kapitel der Sapientia Salomonis hergestellt. Sap 7,22 beschreibt nun keinen von Gott kommenden Geist mehr. Πνεῦµα ist hier eine Größe innerhalb der Weisheit, an der sich ihre Eigenschaften manifestieren. Dieser der Weisheit innewohnende Geist und damit die Weisheit selbst wird mit einer Vielzahl von Attributen verbunden, die teilweise 51 Vgl. auch BLISCHKE 2015, 157–158. Zum literarischen Wachstum des zweiten Teils der Sapientia Salomonis vgl. auch E. HAAG 1991.
9.2 Die Sapientia Salomonis
287
bereits auf früheren Textebenen mit der Weisheit in Verbindung gebracht wurden (φιλάνθρωπον), die größtenteils aber gänzlich neu sind.52 In Sap 9,17 werden Weisheit (σοφία) und heiliger Geist (ἅγιον πνεῦµα) parallel zueinander gebraucht. Heiliger Geist und Weisheit sind hier jeweils von Gott gegeben, und beide sind Gaben, ohne die Einsicht in das Handeln Gottes nicht möglich wäre. So heißt es: βουλὴν δέ σου τίς ἔγνω, εἰ µὴ σὺ ἔδωκας σοφίαν / καὶ ἔπεµψας τὸ ἅγιόν σου πνεῦµα ἀπὸ ὑψίστων „und wer hat deinen Willen erkannt, wenn du nicht Weisheit gegeben und deinen heiligen Geist aus der Höhe gesandt hast“. Die Aussage, die hier über den von Gott kommenden Geist gemacht wird, entspricht ganz alttestamentlichem Denken, in dem die Gabe des Geistes zu richtigem Denken und Handeln führt. Dass hier von Gottes heiligem Geist die Rede ist, entspricht der Tendenz später alttestamentlicher Texte, von Gottes Geist als heiligem Geist zu reden (Jes 63,10.11; Ps 51,13). Da die Aussage in Sap 9,17 in einem der Scharnierstücke der Sapientia Salomonis steht, die sekundär die einzelnen Buchteile miteinander verbinden, scheint Sap 9,17 auf die Aussagen über Geist und Weisheit in Sap 7 zurückzuweisen. In Bezug auf die Weisheit macht Sap 9,17 deutlich, dass sie eine Gabe von Gott ist, die zu Einsicht in Gottes Willen führt. 9.2.4 Die Weisheit, der heilige Geist und der Geist des Herrn in Sap 1 In Sap 1 findet sich ein Aufruf zur Liebe zur Gerechtigkeit (δικαιοσύνη). Die Gerechtigkeit zu lieben, bedeutet, über Gott nachzudenken und „ihn in Lauterkeit des Herzens zu suchen“ (ἐν ἁπλότητι καρδίας ζητήσατε αὐτόν, Sap 1,1). Der Lohn für die Liebe zur Gerechtigkeit liegt, wie die folgenden Kapitel der Sapientia Salomonis zeigen, im Erwerb der Unsterblichkeit, da die Gerechtigkeit selbst unsterblich ist (δικαιοσύνη γὰρ ἀθάνατός ἐστιν, Sap 1,15). Verkehrtes Denken wiederum hindert die Menschen an der Liebe zur Gerechtigkeit und hält sie von Gott fern (Sap 1,3). Sap 1,4–10 macht in diesem Zusammenhang deutlich, dass die Gesinnung des Menschen vor Gott nicht verborgen bleiben kann. In diesen Versen begegnen die Weisheit (σοφία, 1,4), der heilige Geist der Erziehung (ἅγιον πνεῦµα παιδείας, 1,5), die Weisheit als ein menschenfreundlicher Geist (φιλάνθρωπον γὰρ πνεῦµα σοφία, 1,6) und der Geist des Herrn (πνεῦµα κυρίου, 1,7). Der Redegang läuft in Sap 1,4–7 auf die Aussage zu, dass der Geist des Herrn den Erdkreis erfüllt (πνεῦµα κυρίου πεπλήρωκεν τὴν οἰκουµένην). Weil dies so ist, kann kein unrechtes Wort vor Gott verborgen bleiben, und es bleibt Gott nichts verborgen (Sap 1,8.10). Dadurch, dass Sap 1,7 die Ausführungen zur Weisheit und zum heiligen Geist der Erziehung mit der Feststellung abschließt, dass Gottes Geist den Erdkreis erfüllt, wird gleichzeitig deutlich, dass die Weisheit und der heilige Geist der Erziehung in Verbindung mit diesem alles durchwalten52
Zu Sap 7,22–8,1 vgl. auch NIEBUHR 2015 (II), 253. Außerdem ENGEL 1998, 132–133.
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9. Kapitel: Das deuterokanonische Schrifttum und die Schriften von Qumran
den Geist des Herrn stehen. Sowohl die Weisheit als auch der heilige Geist der Erziehung erscheinen hier als Größen, die den Menschen zugewandt sind und ihn durch Erziehung auf den richtigen Weg zurückbringen. Durch die Zuordnung zu dem den Erdkreis durchwaltenden Geist des Herrn ist aber deutlich, dass sie keine unabhängigen Instanzen sind, sondern dass sie von Gott ausgehen.53 Neu gegenüber den alttestamentlichen Vorstellungen ist hier der Gedanke, dass der heilige Geist die Menschen erzieht. Ebenfalls neu ist die Vorstellung, dass Gottes Geist den Erdkreis durchzieht und dass Gott damit durch seinen Geist über alle Vorgänge in seiner Schöpfung informiert ist.54 Gleichwohl steht diese Aussage in Verbindung mit den wenigen alttestamentlichen Texten, in denen Gottes Geist unabhängig von Gott die göttliche Präsenz manifestieren kann (Gen 1; Ps 139,7; Hag 2,5; Jes 40,13). Die Sapientia Salomonis schreibt damit dem jüdischen Gott, für den sie wirbt, Einfluss auf die gesamte Welt zu. Er ist es, der überall anwesend ist und vor dem sich sowohl Heiden als auch Gottlose verantworten müssen. Und von diesem jüdischen Gott gehen die Weisheit und der heilige Geist der Erziehung aus, die in der Lage sind, die Menschen auf den richtigen Weg zu führen. 9.2.5 Zusammenfassung Die Sapientia Salomonis bewegt sich mit ihren Aussagen zum Geist weitgehend vor dem Hintergrund des Alten Testaments. Dies ist für die Aussagen der Fall, in denen der Begriff πνεῦµα für Wind (Sap 5,23; 17,17) oder für die Lebenskraft des Menschen verwendet wird (Sap 2,3; 12,1; 15,11; 16,14). Gleichzeitig ist Gottes Geist, der als heiliger Geist bezeichnet wird (Sap 1,5; 9,17), in der Vorstellung der Sapientia Salomonis mit der Weisheit verbunden. Sowohl in Sap 1 als auch in Sap 9,17 sind Weisheit und heiliger Geist einander zugeordnet. Beide sind Größen, die dem Menschen von Gott gegeben werden, die ihn auf den richtigen Lebensweg führen (Sap 1,4–7) und ihm – damit verbunden – Kenntnis von Gott vermitteln (Sap 9,17). Gott erscheint in der Sapientia Salomonis als ein durch seinen den Erdkreis durchwaltenden Geist omnipräsenter Gott (Sap 1,7), vor dem nichts verborgen bleibt. Auch diese Aussagen zu Weisheit und Geist und zur Gegenwart Gottes in der Welt durch die Gegenwart seines Geistes bewegen sich vor dem Hintergrund der alttestamentlichen Vorstellungen. Sie werden in der Sapientia Salomonis allerdings prägnanter formuliert und verwendet, um für den Glauben an den jüdischen Gott, der überall gegenwärtig ist, zu werben.
53
Zur Bezogenheit von Geist und Weisheit auf Gott vgl. auch ENGEL 1998, 54. Aufgrund dieser Profilierung des Geistes hat Spieckermann die Sapientia Salomonis als „prototrinitarisch“ bezeichnet. Vgl. SPIECKERMANN 2004, 109. 54
10. Kapitel
Zusammenführung Die in dieser Arbeit vorgenommenen Analysen der Texte, die sich mit der Gabe von Gottes Geist ( )רוחan die Menschen beschäftigen, haben nun verschiedene Entwicklungen im Nachdenken über Gottes Geist hervortreten lassen. Einige dieser Entwicklungslinien betreffen zunächst nur einzelne Bücher, wie beispielsweise das Erste Samuelbuch, das Jesajabuch oder das Ezechielbuch. Darüber hinaus ließen sich aber auch weitere Entwicklungslinien, die verschiedene Schriften des Alten Testaments umfassen, feststellen, wie z.B. der Einfluss der Geisttexte im Ersten Samuelbuch auf einzelne Texte des Richterbuches. Neben diesen buchübergreifenden Entwicklungen, die auf direkten literarischen Abhängigkeiten beruhen, lassen sich schließlich auch allgemeine Entwicklungsbögen feststellen, die sich nicht in direkten literarischen Abhängigkeiten widerspiegeln, die aber dennoch eine Verschiebung im Nachdenken über die רוחzeigen. In der nun folgenden Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Arbeit sollen diese Entwicklungsbögen noch einmal nachgezeichnet werden. Dabei führt der Weg vom Kleinen ins Große, also aus einzelnen kleineren Textzusammenhängen hinaus zu größeren Bögen.
10.1 Buchimmanente Entwicklungen in der Rede von Gottes Geist 10.1 Buchimmanente Entwicklungen in der Rede von Gottes Geist
10.1.1 Spontane Ekstase und Amtscharisma in den Saul-und-David-Überlieferungen Im Ersten Samuelbuch begegnet רוחbereits in einem frühen Textstadium in verschiedenen Facetten. In 1 Sam 11,6 entbrennt Saul parallel dazu, dass er von der רוחGottes ergriffen wird ()צלח, im Zorn, zerhackt ein Rind und wird so zu einem erfolgreichen Heerführer gegen die Ammoniter. In 1 Sam 10,6a und 19,23 führt das Vom-Geist-ergriffen-Werden ( )צלחdazu, dass Saul in Ekstase gerät. Im weiteren Verlauf der Saul-und-David-Überlieferung wird die רוחin 1 Sam 16,13 zu einer sich dauerhaft auf David niederlassenden Gabe. Indem die רוחin dem Moment, wo Samuel David zum König salbt, auf David kommt und von diesem Tag an weiterhin bei ihm bleibt ( מהיום ההוא )ומעלה, entwickelt sie sich von einer den König Saul punktuell umtreibenden Größe zu einem Amtscharisma des Königs David.
290
10. Kapitel: Zusammenführung
Gleichzeitig mit dieser Entwicklung zu einem Amtscharisma Davids setzt eine Entwicklung ein, die die רוח, die Saul ergreift und die sich ohnehin etwas zweifelhaft in Raserei und Ekstase äußert, in ein zunehmend schlechteres Licht rückt. In dem Moment, wo David Gottes רוחals dauerhafte Gabe erhält, weicht sie von Saul, der fortan von einem bösen Geist von Gott geängstigt wird (רוח־רעה מאת יהוה, 1 Sam 16,14). David wiederum kann diesen bösen Geist beeinflussen, so dass Saul seinem Gegenspieler in doppelter Hinsicht unterlegen ist: Der Geist Gottes hat ihn nicht nur verlassen und ist als dauerhafte Gabe auf David übergegangen, sondern Saul ist außerdem David als demjenigen, der durch sein Saitenspiel auf den bösen Geist einwirken kann, ausgeliefert. Erst spät wird die רוח, die Saul in 1 Sam 10,6 als Beglaubigungszeichen seines Königtums erhalten hat, theologisch aufgewertet, so dass der Geistbesitz in der Erzählung darüber, wie Saul das Königtum erlangt, als etwas Positives erscheint. Diese Aufwertung geschieht durch den Eintrag der Vorstellung in 1 Sam 10,6b.9, dass Saul in dem Moment, wo er vom Geist ergriffen wird, in einen anderen Menschen ( )איש אחרverwandelt wird und gleichzeitig ein anderes Herz bekommt ()לב אחר. Innerhalb der Saul-und-David-Überlieferung haben wir es also mit drei Entwicklungen zu tun: zum einen mit der Entwicklung von der Vorstellung von einem spontanen Ergriffenwerden durch den Geist Gottes hin zu einem dauerhaften Geistbesitz im Sinne eines Amtscharismas, zum anderen mit der abwertenden Darstellung des Geistbesitzes Sauls infolge der Salbung und des dauerhaften Geistbesitzes Davids und schließlich mit einer theologischen Aufwertung und einer Theologisierung des Geistbesitzes in 1 Sam 10,6b.9, die an die Geistvorstellung des Ezechielbuches erinnert. 10.1.2 Vom Geist des ersten Königs Saul zum Geist der Richter Innerhalb der Saul-und-David-Überlieferung wird mit Ausnahme von 1 Sam 19 durchgehend das Verb צלחverwendet, um den Gedanken des Vom-GeistGottes-ergriffen-Werdens zum Ausdruck zu bringen (1 Sam 10,6.10; 11,6; 16,13; 18,10). Das Verb wird in Zusammenhang mit Gottes Geist ansonsten nur noch im Richterbuch, und dort in der Simson-Überlieferung (Ri 14,6.19; 15,14), verwendet. Während die Formulierungen in den Saul-und-DavidÜberlieferungen variantenreicher sind, so dass beispielsweise die Verbform von צלחvariieren kann (1 Sam 10,6) oder die רוחals ( רוח יהוה1 Sam 10,6) oder als ( רוח אלהים1 Sam 10,10; 11,6; 16,13) näher bestimmt ist, kann man in der Simson-Überlieferung von einer stereotypen Formulierung sprechen. Hier begegnet an allen drei genannten Stellen die Wendung ותצלח עליו רוח יהוה. Innerhalb der Kapitel Ri 14–15 sind dies gleichzeitig auch die einzigen Belege für Gottes רוח, die in der Simson-Überlieferung insgesamt ansonsten auch nur noch in Ri 13,25 begegnet, wo es als Abschluss der Geburtsbeschreibung Simsons heißt: „ ותחל רוח־יהוה לפעמו במחנה־דןund der Geist
10.1 Buchimmanente Entwicklungen in der Rede von Gottes Geist
291
JHWHs begann ihn umherzutreiben im Lager Dans“. In Ri 14–15 dient Gottes Geist dazu, die Taten Simsons, die sich allen alternativen Erklärungsmöglichkeiten, wie z.B. einem Vergeltungsrecht, entziehen, als von Gottes Geist legitimiert zu beschreiben. Der in Ekstase und Raserei geratende König Saul bot hier den geeigneten Anknüpfungspunkt, um auch Simson den Geistbesitz, der Saul zu auffälligen Verhaltensweisen drängt, zuzuschreiben. Dies entspricht ohnehin dem literarischen Charakter Simsons, der im Zuge der Textentwicklung immer mehr zu einer Brückengestalt zwischen dem Richterbuch und den Anfängen des Königtums geworden ist. Vermutlich hat der bei Simson eingetragene Geistbesitz dann auch dazu geführt, den Richtern Otniël, Gideon und Jeftah den Besitz von Gottes Geist zuzuschreiben, wobei die bei Simson verwendete stereotype Formulierung vermieden wurde, da diese zu sehr in einen Zusammenhang mit dessen besonderen Taten gerückt war. 10.1.3 Gottes Geist in Schlüsseltexten des Pentateuchs Während Gottes Geist schon immer in die Saul-und-David-Überlieferung gehört hat, so ist er in die Texte des Pentateuchs durchweg erst sekundär eingetragen worden. Dabei lassen sich verschiedene Phänomene beobachten. Zum einen sind die in den Bestimmungen für den Bau des Zeltheiligtums erwähnten bzw. die dann auch an dessem Bau beteiligten Handwerker und Kunstschneider (Ex 28,3) nachträglich mit Gottes Geist (רוח אלהים, Ex 31,3; 35,31) bzw. mit einem Geist der Weisheit (רוח חכמה, Ex 28,3) versehen worden. Alle diese Texte verwenden das Verb מלא, das abgesehen von Dtn 34,9 in Zusammenhang mit dem Begriff רוחansonsten nicht begegnet, so dass von einer Verbindung zwischen diesen Texten ausgegangen werden muss. Die Hinweise darauf, dass in Ex 28,3 die Kunstschneider, in Ex 31,3 und 35,1 Bezalel und Oholiab und in Dtn 34,9 Josua mit der רוחerfüllt werden, sind in allen vier Texten sekundär. In Ex 31,3 und 35,31 ist es eine רוח אלהים, die außerdem mit Weisheit ()חכמה, Verstand ()תבונה, Erkenntnis ( )דעתund Kunstfertigkeit ( )מלאכהverbunden ist, in Ex 28,3 und Dtn 34,9 ist es eine רוח חכמה. Die רוחwurde vermutlich zuerst in Ex 31,3 und in Ex 35,31 in den Text eingetragen, in Ex 28,3 ist die רוח חכמהdann eine Zusammenfassung aus den in Ex 31,3 und 35,31 mit der רוחkombinierten Eigenschaften. Dtn 34,9 wiederum ist vermutlich ein Rückgriff auf Ex 28,3. Ganz offensichtlich wurde der Geist in den Texten um den Bau des Zeltheiligtums zunächst ergänzt, weil dieser Bau ohne Beteiligung des Geistes nicht mehr vorstellbar war. Wiederum sekundär erhielt auch Josua in Dtn 34,9 diesen Geist der Weisheit ()רוח חכמה, vielleicht um den Geist auch am Ende des Pentateuchs bzw. beim Auftakt zur Einnahme des verheißenen Landes wirken zu lassen. Auch in Gen 1,2 ist die רוח אלהיםerst sekundär in den Text eingetragen worden, um Gottes Gegenwart bereits zu Anbeginn über der Urflut ()תהום
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10. Kapitel: Zusammenführung
deutlich zu machen. Somit ist an zentralen Stellen des Pentateuchs, am Anfang, am Ende und im Rahmen des Baus des Zeltheiligtums Gottes Geist in die Texte eingetragen worden. Gleichzeitig hat Gottes Geist damit auch Eingang in für den Erzählverlauf des Pentateuchs entscheidende Begebenheiten gefunden, in das Schöpfungsgeschehen, in den Bau des Zeltheiligtums und in den Abschluss der Wüstenwanderung und den Beginn der Landnahme. 10.1.4 Die Profilierung der Vorstellung von רוחinnerhalb des Jesajabuches Im Gesamtjesajabuch begegnet der Begriff רוחin einer großen Bedeutungsvielfalt. Das in den erzählenden Büchern vorherrschende Phänomen, dass einzelne Personen von Gottes Geist ergriffen oder erfüllt werden, steht hier zwar deutlich im Hintergrund einzelner Vorstellungen (Jes 11; 44,3; 61,1), wird aber anders zum Ausdruck gebracht und auch mit neuen theologischen Inhalten gefüllt. Es ist daher zutreffend, von einer Profilierung der Vorstellung von der רוחim Jesajabuch zu sprechen. Die Verwendung des Begriffes רוח lässt sich für das Proto- und das Deuterojesajabuch jeweils getrennt beschreiben, es muss aber auch davon ausgegangen werden, dass die Bücher sich gegenseitig beeinflusst haben. Im Protojesajabuch begegnet die רוחbesonders häufig in Jes 28–35 (Jes 28,6; 29,10; 30,1; 32,15; 34,16). Daneben finden sich zwei Belege in Jes 1– 12 (Jes 11 und 4,4). In Jes 13–23 und 36–39 ist von der רוחnicht die Rede. Ihren ursprünglichen Ort hat die רוחin Jes 30,1, wo mit ihr der Gedanke verbunden ist, dass die Menschen in der Lage sind, die richtigen politischen Entscheidungen zu treffen. Von diesem Qualitätsmerkmal menschlichen Handelns wird die רוחJHWHs in Jes 4,4 und von dort in Jes 28,6 zu einem Merkmal des Gerichtes, das für die Verwirklichung von משפטin dem beschriebenen Gerichtsgeschehen sorgt. In wiederum späteren Texten ist die רוחJHWHs nicht mehr Teil des Gerichtsgeschehens, sondern Merkmal des für die Zukunft erwarteten Heils. Dieses Heil wird im Jesajabuch auf verschiedene Weise geschildert, die רוח gehört zu den verschiedenen Varianten jeweils dazu. In Jes 11 wird ein Spross aus dem Stamm Isais als zukünftige, das Heil aufrichtende Gestalt erwartet, die mit der רוחJHWHs und mit verschiedenen anderen Varianten der רוחversehen ist („ רוח חכמהGeist der Weisheit“, „ רוח תבונהGeist des Verstandes“, „ רוח עצה וגבורהGeist des Rates und der Stärke“ und רוח דעת „ ויראת יהוהGeist der Erkenntnis und der Furcht JHWHs“). Die Darstellung dieser Gestalt nimmt Bezug auf die anderen Geisttexte des Protojesajabuches und zieht in der Darstellung dieses Heilsbringers die Summe aus allem, was in anderen Texten über den Geist und über Herrschaft gesagt ist. Der in Jes 11 beschriebene Heilsbringer überbietet einerseits jede Form von Herrschaft, andererseits verfügt er über eine רוחJHWHs, die alle Qualitäten, mit denen ideale Herrschaft ausgezeichnet sein sollte, aufweist.
10.1 Buchimmanente Entwicklungen in der Rede von Gottes Geist
293
In Jes 32,15 ist die רוחTeil eines anderen Heilsszenarios. Die heilvolle Zukunft wird hier nicht mit einer heilsbringenden Gestalt in Verbindung gebracht, sondern sie setzt mit einer Ausgießung des Geistes aus der Höhe ( )רוח ממרוםein. Die רוחmuss hier nicht als eine רוחGottes oder JHWHs definiert werden. Es versteht sich offensichtlich von selbst, dass der Geist aus der Höhe der Geist Gottes ist. Gleichzeitig kennt Jes 32,15 aller Wahrscheinlichkeit nach bereits weitere Texte über die Ausgießung des Geistes auf viele (Jes 44,3), so dass diese Metapher hier nicht näher entfaltet werden muss. Eine Besonderheit liegt auch darin, dass der Geist hier nicht auf Personen oder Personengruppen, sondern einfach über das Land ausgegossen wird, um so den Boden für das zukünftige Heil zu bereiten. Im Protojesajabuch entwickelt sich die Vorstellung von der רוחalso von einem Merkmal gegenwärtigen menschlichen Handelns zunächst zu einem Merkmal des göttlichen Gerichtes und dann zu einem Merkmal zukünftigen Heils. Im Deuterojesajabuch ist die רוחdurchgängig Bestandteil der Heilsbotschaft. In Jes 44,1–5 ist die Ausgießung der רוחauf die Nachkommen ()זרע des Knechtes Jakob Teil der Grundschicht des Deuterojesajabuches. Die Metapher von der Ausgießung des Geistes wird hier in einer Parallele zum Ausgießen von Wasser auf das Durstige ( )צמאund das Trockene ()יבשה kunstvoll und ausdrucksstark entfaltet. Gleichzeitig bleibt die רוחeiner bestimmten Personengruppe vorbehalten, nämlich den Nachkommen Jakobs. Da die Ausgießung des Geistes hier schon zur Grundschicht des Deuterojesajabuches gehört, müssen sich alle weiteren mit der Heilsbotschaft in Verbindung gebrachten Personen an dieser Vorgabe messen lassen. So ist auch der sekundär in die Grundschicht des Deuterojesajabuches eingetragene, in Jes 42,1–9 beschriebene Knecht Träger der רוחsowie auch das in Jes 48,16, 59,21 und 61,1 redende prophetische Ich. In Jes 44,3, aber auch in Jes 59,21, zeigt sich zudem, dass die רוחnunmehr als eine dauerhafte Gabe verstanden wird, die den Menschen über Generationen hinweg Gottes Beistand bringt. In Jes 40,13 begegnet die רוחaußerdem in einem Zusammenhang, in dem die Unvergleichlichkeit JHWHs beschrieben wird. So wie JHWH und sein Tun allen anderen Zusammenhängen gegenüber unvergleichlich sind, so entzieht sich auch die רוחallem menschlichen Messen und Verstehen. 10.1.5 רוחund neues Leben im Ezechielbuch Das Ezechielbuch zeigt in Ez 11,5 und 39,29 eine Nähe zum Reden von Gottes Geist, wie es sich auch in anderen Texten des Alten Testaments findet. In Ez 11,5 kommt die רוחauf den Propheten Ezechiel und sagt ihm, was er verkündigen soll. In Ez 39,29 wiederum kommt es unmittelbar vor der in Ez 40– 48 beschriebenen heilvollen Zukunft (MT) zu einer Ausgießung des Geistes
294
10. Kapitel: Zusammenführung
auf das Haus Israel. In den weiteren Texten über die רוחin Ez 11,19–20, 18,31–32 und 36,26–28 geht das Ezechielbuch deutlich über den Vorstellungshintergrund, dass JHWH einzelnen Menschen oder auch ganzen Personengruppen seinen Geist gibt, hinaus. In diesen drei Texten ist die רוחkeine von außen über den Menschen kommende oder diesen ergreifende Größe, sondern sie ist Teil des Menschen. Gleichzeitig ist die רוחaber zusammen mit dem Herzen ( )לבder Ort im Menschen, der seine Beziehung und seine Stellung zu Gott hin definiert. In Ez 18,31–32 werden die Menschen dazu aufgefordert, sich ein neues Herz und einen neuen Geist zu machen, um ihr Gottesverhältnis auf eine neue Ebene, die frei von Übertretungen ist, zu bringen, was in letzter Konsequenz eine Entscheidung für das Leben mit JHWH und gegen den Tod des Gottlosen bedeutet. In Ez 11,19–20 und 36,26–28 greift JHWH selbst in die Menschen ein, um ihnen ein anderes Herz (לב אחר, Ez 11,19) bzw. ein neues Herz (לב חדש, Ez 36,26) und einen neuen Geist ()רוח חדשה zu geben. Ez 36,27 ist der jüngste Text unter diesen dreien. Er betont wieder die Herkunft dieses neuen Geistes von Gott. So wie in Ez 18 ist die Veränderung des Herzens und des Geistes auch in Ez 11 und 36 für das Verhältnis des Menschen zu Gott relevant. Hier geht es um die Bestätigung des Bundes (Ez 11,20; 36,28) und darum, dass die Menschen Gottes Gebote halten. Die Vorstellung, dass die richtige Ausrichtung der רוחeine Entscheidung für das Leben bedeutet, wie sie sich in Ez 18 findet, liegt auch der Grundschicht von Ez 37 zugrunde (Vers 1–5.7.11–13), in der es um eine metaphorische Wiederbelebung Israels geht, indem JHWH dem vertrocknet daliegenden Volk רוחgibt (Ez 37,5). Eine spätere Bearbeitungsschicht hat diese metaphorische Wiederbelebung im Sinne einer tatsächlichen Auferweckung von den Toten interpretiert (Ez 37,6.8–10), so dass die רוחin einem späteren Fortschreibungsstadium zu einer belebenden Größe in Zusammenhang mit einer Auferweckung von den Toten geworden ist.
10.2 Bücherübergreifende Entwicklungslinien 10.2 Bücherübergreifende Entwicklungslinien
Nachdem die Entwicklung im Nachdenken über Gottes רוחnun zunächst innerhalb einzelner Schriften des Alten Testaments dargestellt worden ist, sollen nun allgemeinere Entwicklungszusammenhänge in den Blick genommen werden. 10.2.1 Vom Geist irdischer Herrscher zum Geistbesitz zukünftiger Heilsträger Die רוחwar, wie oben dargestellt, ein Persönlichkeitsmerkmal des Königs Saul und wurde in den Auseinandersetzungen um die Königswürde Sauls und Davids zu einem Merkmal des Königtums Davids im Sinne eines Amtscharismas. Von den Saul-und-David-Überlieferungen abhängig wurde auch
10.2 Bücherübergreifende Entwicklungslinien
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Simson als eine charismatische Figur durch den Geistbesitz ausgezeichnet und sekundär auch die Richter Otniël, Gideon und Jeftah. Im Zuge der Eintragung der רוח-Texte in den Pentateuch wurden auch Josua und Mose zu geistbegabten Führungsgestalten. Vor allem im Jesajabuch entwickelt sich dann die Vorstellung dahin, dass nicht das gegenwärtige Führungspersonal im Besitz von Gottes רוחist, sondern dass die רוחdie für die Zukunft erwarteten Heilsbringer auszeichnet, nämlich den Spross aus dem Stamm Isais in Jes 11, den Knecht in Jes 42,1 sowie das in Jes 61 redende Ich, das gesandt ist, um heilvolle, frohe Botschaft zu bringen. Da vor allem die in Jes 11 erwartete Gestalt, aber auch der Knecht in Jes 42, in Zusammenhang mit für die Zukunft erwarteter gerechter Herrschaft stehen, kann man diese Texte als eine Weiterentwicklung innerhalb der Vorstellung von רוחin Zusammenhang mit menschlicher Herrschaft lesen. 10.2.2 Vom Geist für den Einzelnen zum Geist für die Vielen Auch wenn die meisten Belege für Gottes Geist in einem Zusammenhang stehen, in dem er einzelnen Menschen von Gott gegeben ist, um sie zu bestimmtem Handeln oder Reden zu bewegen, ist doch eine Entwicklung dahin deutlich, dass diese Gabe des Geistes nicht nur für einzelne Personen, sondern für ganze Personengruppen erwartet wurde. Diese Erwartung des Geistbesitzes für größere Personengruppen wird mit Ausnahme von Num 11 immer als eine Ausgießung des Geistes verstanden. Dabei werden verschiedene Vokabeln verwendet. Im Jesajabuch ist an drei Stellen von einer Ausgießung des Geistes die Rede, und dieses Phänomen wird jeweils mit unterschiedlichen Verben beschrieben, in Jes 29,10 mit נסך, in Jes 32,15 mit ערהund in Jes 44,3 mit יצק. Die übrigen drei Texte, die im Alten Testament eine Ausgießung des Geistes zum Inhalt haben, verwenden alle das Verb ( שפךEz 39,29; Joel 3,1; Sach 12,10). Anders als diese drei Texte ist das Jesajabuch in seiner Terminologie für die Ausgießung des Geistes ganz offensichtlich nicht festgelegt. Die drei Texte des Jesajabuches sind darüber hinaus variantenreicher als die Texte in Ez 39,29, Joel 3,1 und Sach 12,10. In Jes 29,10 geht es nicht um die Ausgießung von Gottes Geist, sondern um die Ausgießung eines Geistes eines tiefen Schlafes ()רוח תרדמה. In Jes 44,3 wird im Zusammenhang von Jes 44,1–5 die Vorstellung von der Ausgießung des Geistes sehr detailliert entfaltet. Die Aussage, dass die רוח über die Nachkommen des Knechtes Jakob ausgegossen wird, steht im Zusammenhang einer Metapher über das Ausgießen von Wasser (ebenfalls mit )יצקauf das Durstige ( )צמאund Trockene ()יבשה. Durch diese Parallelsetzung wird die Vorstellung von einer Ausgießung der רוחgedeutet. Alle übrigen Texte benötigen diese Darstellung nicht mehr. Sie können von einer Ausgießung der רוחsprechen und davon ausgehen, dass dieses Bild verstanden wird.
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10. Kapitel: Zusammenführung
Jes 32,15 verlässt die Vorstellung, dass der Geist Gottes auf bestimmte Personengruppen ausgegossen wird, und beschreibt eine Ausgießung des Geistes über das Land, das durch diese Ausgießung fruchtbar wird und das Aufwachsen von Recht ( )משפטund Gerechtigkeit ( )צדקהermöglicht. Mit dieser von Personen völlig losgelösten Ausgießung des Geistes ist Jes 32,15 im Alten Testament ein einzigartiger Text. Den verschiedenen Varianten von der Ausgießung des Geistes im Jesajabuch stehen die Texte aus Ez 39,29, Joel 3,1 und Sach 12,10 gegenüber, die alle das Verb שפךverwenden. Diese Texte stehen einerseits nicht nur durch die gemeinsame Verwendung des Verbs שפךin einer Verbindung zueinander. Ihnen ist darüber hinaus gemeinsam, dass die Ausgießung des Geistes der Bewahrung in einem erwarteten Gerichtsszenario dient, wobei die Bewahrung nicht unmittelbar aufgrund der Ausgießung des Geistes erfolgt. Vielmehr ist es so, dass die Ausgießung des Geistes zur Gotteserkenntnis (Ez 39,29), zur Erkenntnis der eigenen Vergehen (Sach 12,10) oder zu besonderen Fähigkeiten (Joel 3,1) führt, die dann wiederum bewirken, dass Gott angerufen wird. Alle drei Texte zeigen außerdem über die Ausgießung des Geistes hinausgehende Parallelen in der Entfaltung dieses Gerichtsszenarios und in der Anordnung der Texte. Ez 39,29 ist vermutlich der älteste dieser drei Texte, Sach 12,10 der jüngste. Trotz aller Gemeinsamkeiten haben Ez 39,29; Joel 3,1 und Sach 12,10 dann aber doch verschiedene Personengruppen im Blick und erwarten von der Ausgießung des Geistes verschiedene Konsequenzen. In Ez 39,29 wird die Ausgießung des Geistes über das Haus Israel ( )בית ישראלerwartet, in Joel 3,1 öffnet sich der Horizont zu einer Ausgießung des Geistes auf alles Fleisch ()כל־בשר, Sach 12,10 nimmt diese Öffnung wieder zurück und beschränkt die Ausgießung des Geistes auch gegenüber dem Ezechielbuch auf eine Ausgießung auf das Haus Davids und die Einwohner Jerusalems (בית דיוד/ )יושב ירושלם. Num 11 teilt mit all diesen beschriebenen Texten den Gedanken, dass die רוחauch für viele gegeben werden kann, verbindet die Geistbegabung der Vielen aber nicht mit einem Gerichtsszenario, sondern verwendet sie mit der Einsetzung der siebzig Ältesten als Gehilfen für Mose. In diesem Zusammenhang kann dann auch nicht von einer Ausgießung des Geistes gesprochen werden, sondern von seiner Übertragung. Es lässt sich also eine Entwicklung dahin beobachten, dass der Geist nicht nur Einzelnen, sondern auch vielen gegeben werden kann, wobei in den meisten Texten in diesem Zusammenhang von einer Ausgießung des Geistes, wenn auch mit unterschiedlichem Vokabular, die Rede ist. In Jes 44,3 und 32,15 ist mit der Ausgießung des Geistes eine Heilsbotschaft verknüpft, in Ez 39,29, Joel 3,1 und Sach 12,10 ist die Ausgießung des Geistes zunächst Teil einer Gerichtsankündigung, bietet dann aber die Möglichkeit zur Bewahrung in dem angekündigten Gericht.
10.2 Bücherübergreifende Entwicklungslinien
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10.2.3 Von richtigem Handeln zu prophetischem Reden Eine weitere Entwicklung in der Vorstellung von der Gabe von Gottes Geist vollzieht sich innerhalb der Konsequenzen, die diese Gabe für die Menschen hat. In der Überlieferung über Saul und auch noch in der von der SaulÜberlieferung abhängigen Darstellung Simsons bewirkt der Geist das Außergewöhnliche: das Entbrennen im Zorn und das Zerhacken des Rindes in 1 Sam 11,6, das in Ekstase-versetzt-Werden (1 Sam 10,6; 19,20) sowie die sich aller Erklärung entziehenden Krafttaten Simsons (Ri 14,6.19; 15,14). In Ri 3,10, 6,34 und 11,29 versetzt der Geist die Richter Otniël, Gideon und Jeftah in Bewegung, damit sie sich gegen die Feinde Israels erheben. In späteren Texten geht es dann nicht mehr darum, aufgrund des Vom-Geistergriffen-Werdens etwas Besonderes zu tun, sondern darum, aufgrund der Gabe der רוחüber besondere Fähigkeiten zu verfügen, wie es bei den Kunstschneidern und den am Bau des Zeltheiligtums beteiligten Handwerkern Bezalel und Oholiab (Ex 28,3; 31,3; 35,31) der Fall ist. Dafür, dass jemand zu Besonderem fähig ist, genügt dann auch einfach der Hinweis, dass in dem Betreffenden der Geist sei (איש אשר רוח אלהים בו, Gen 41,38/ איש אשר רוח בו, Num 27,18). In den Chronikbüchern geht es dann nicht mehr um richtiges Handeln, sondern vorrangig darum, aufgrund des Geistbesitzes das Richtige zu reden (1 Chr 12,19; 2 Chr 15,1; 20,14; 24,20). Dieses richtige Reden ist dann zum Teil auch prophetische Rede (2 Chr 20,14–15; 24,20), in der das, was von den Geistträgern gesagt wird, mit der Botenspruchformel eingeleitet wird. Als Endpunkt dieser Entwicklung kann dann das Nehemiabuch in Neh 9,30 רוח und Prophetie explizit miteinander in Verbindung bringen, indem es von Gottes Geist in Gottes Propheten spricht ()ותער בם ברוחך ביד־נביאיך. Und auch Num 11 bringt schließlich Gottes Geist und Prophetie miteinander in Verbindung (Num 11,29: ומי יתן כל־עם יהוה נביאים כי־יתן יהוה את־רוחו עליהם „wollte Gott, dass alle im Volk JHWHs Propheten wären und dass JHWH seinen Geist über sie kommen ließe“). 10.2.4 Von einem offenen zu einem fest umrissenen Gebrauch des Begriffes רוח Die meisten Texte, in denen die רוחden Menschen als eine רוח אלהיםbzw. als eine רוח יהוהgegeben wird, kommen ohne eine nähere Definition des Begriffes רוחaus. In einigen, innerhalb der Entwicklung vom Reden über die רוחspäten Texten zeigt sich dennoch das Bestreben, den Begriff רוחdeutlicher zu definieren. Dies ist vor allem in Ex 28,3, 31,3, 35,1, Dtn 34,9 und in Sach 12,10 der Fall, aber auch in Jes 11. In Ex 28,3, 31,3, 35,1 und Dtn 34,9 wird die רוחmit Weisheit ( )חכמהund mit Eigenschaften, die mit der Weisheit verbunden sind, wie „ תבונהVerstand“ und „ דעתErkenntnis“, in Verbindung gebracht.
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10. Kapitel: Zusammenführung
In Sach 12,10 wird die רוח, die ausgegossen werden soll, als eine רוח חן „ ותחנוניםein Geist der Gnade und des Gebets“ näher definiert. 10.2.5 Die רוחals Gabe und als eigenständige Größe In den meisten Texten, in denen die רוח יהוהoder die רוח אלהיםbegegnet, ist sie deutlich Teil eines Beziehungsgeschehens zwischen Gott und Mensch. Während in den Texten über die Geistausgießung deutlich wird, dass Gott derjenige ist, der seinen Geist ausgießt, sagen die Texte des Ersten Samuelbuches, des Richterbuches, aber auch des Exodusbuches oder der Chronikbücher allerdings nichts darüber, wer den Geist eigentlich dazu veranlasst, Saul, Simson, David oder andere Personen zu ergreifen. Die רוחist in vielen dieser Texte also offenkundig bereits immer selbst wirksam, indem sie ergreift, umkleidet oder auf den Menschen kommt. Die Texte über die Ausgießung der רוחin Jes 44,3, Ez 39,29, Joel 3,1 und Sach 12,10 zeigen demgegenüber das Bestreben, die רוחstärker an Gott zurückzubinden. Indem sie nicht mehr aus sich heraus von Menschen Besitz ergreift, sondern von Gott ausgegossen wird, verliert sie einen Teil ihrer Eigenständigkeit. Andere Texte des Alten Testaments wiederum bringen die Selbstwirksamkeit der רוחnoch deutlicher zum Ausdruck, und der Verwendungshorizont in einem Gott und Mensch verbindenden Geschehen wird teilweise verlassen. So wird die רוחin Jes 32,15 nicht auf eine bestimmte Menschengruppe, sondern ganz offensichtlich über das Land ausgegossen. In Sach 6,8 wird die רוחGottes im Norden des Landes zur Ruhe kommen ()נוח, in Hag 2,5 wird Gottes רוחfür eine längere Zeitdauer, die nicht näher eingegrenzt ist, bei den Menschen bleiben, und in Gen 1,2 schwebt Gottes Geist zu Beginn vor dem Einsetzen des Schöpfungsgeschehens über den Wassern. In Jes 40,13 ist die רוחTeil von Unvergleichlichkeitsaussagen über JHWH und wird als eine nicht messbare Größe beschrieben. In Ez 37,9 zeigt sich die Eigenständigkeit der רוחdarin, dass sie angeredet und von den vier Winden ( )רוחותherbeigerufen werden muss. All diese Texte haben den sonst üblichen Sprachgebrauch, dass die רוחauf eine bestimmte Person kommt und sie zu bestimmtem Handeln oder Reden ermächtigt, verlassen. Dennoch ist auch in ihnen die רוחdas Zeichen der Gegenwart Gottes. Anders ist lediglich, dass die רוחnicht bestimmten Personen gegeben wird, sondern dass sie sich losgelöst von dem Gedanken der Gabe an die Menschen irgendwo aufhält und so Gottes Gegenwart zum Ausdruck bringt. So eignet der רוח יהוהbzw. der רוח אלהיםimmer schon eine Eigenständigkeit, die in einzelnen Texten, wie in Sach 6,8, Jes 40,13 oder Gen 1,2, noch dadurch hervorgehoben wird, dass der Geist auch losgelöst von dem Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch erscheint, die in anderen Texten, wie in Jes 44,3, Ez 39,29, Joel 3,1 oder Sach 12,10, aber eingeschränkt wird, indem nun deutlich betont wird, dass Gott derjenige ist, der die רוחausgießt.
11. Kapitel
Ertrag Gottes Geist: Beziehungsstifter zwischen Gott und Mensch Gottes Geist: Beziehungsstifter zwischen Gott und Mensch
Die Darstellung dieser verschiedenen Entwicklungslinien im Nachdenken über die רוחsowie die Analysen dieser Arbeit überhaupt zeigen nun Folgendes: Die רוחist immer schon eine Größe, die als רוח יהוהoder als רוח אלהים eine gewisse Eigenständigkeit aufweist. Im Nachdenken über die רוחverliert sie in einzelnen Texten diese Eigenständigkeit, indem sie stärker als eine von Gott herkommende Gabe in den Blick genommen wird (Ez 39,29; Joel 3,1; Jes 44,3; Sach 12,10). In einzelnen anderen Texten wiederum gewinnt sie an Unabhängigkeit, indem sie unabhängig von einem Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch erscheint und vom Menschen losgelöst Gottes Gegenwart zum Ausdruck bringt (Jes 32,15; Gen 1,2; Sach 6,8). Die deutliche Mehrheit der Belege zeigen die רוחallerdings als eine Größe, die Gott und Mensch miteinander verbindet, die auf die Menschen kommt und sie zu richtigem oder besonderem Handeln (Ri 3,10; 6,34; 11,29; 14,6.19; 15,14; 1 Sam 10,6; 11,6; 16,13 u.ö.) oder zu richtigem, prophetischem Reden befähigt (1 Chr 12,19; 2 Chr 15,1; 20,14; 24,20). Während die רוחzunächst einzelne Personen zu besonderem Tun und Reden ermächtigt, rückt vor allem in den Prophetenschriften der Gedanke einer Ausgießung der רוחüber ganze Personengruppen in den Vordergrund (Jes 44,3; Ez 39,29; Joel 3,1; Sach 12,10). Zumeist ist diese Ausgießung der רוחTeil eines erwarteten Gerichtsgeschehens (Ez 39,29; Joel 3,1; Sach 12,10). Im Jesajabuch und insbesondere bei Deuterojesaja kann die רוחdann aber auch zu einem Merkmal zukünftigen Heils werden (Jes 11; 32,15; 42,1; 44,3; 61,1). So unterschiedlich wie diese hier noch einmal skizzierten verschiedenen Zusammenhänge, in denen die רוחbegegnet, so unterschiedlich sind auch die Formulierungen, mit denen das Ausgießen oder Zuteilwerden der רוחzum Ausdruck gebracht wird: In den erzählenden Büchern überwiegt der Sprachgebrauch, dass die רוחauf einzelne Menschen kommt und sie zu besonderem Tun, Denken und Reden befähigt. Verwendet werden hier vor allem die Verben היהund צלח. Die Prophetenschriften folgen dem Sprachgebrauch, dass die רוחbestimmte Personen ergreift, im Grunde nicht. Lediglich in Ez 11,5 findet sich ein Reflex dieses Vorstellungshintergrundes. Dennoch entwickeln sie gerade
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11. Kapitel: Ertrag
diese Vorstellung mit dem Gedanken einer Geistausgießung auf die Vielen weiter (Jes 32,15; 44,3; Joel 3; Ez 39), und der Besitz des Geistes wird im Jesajabuch zu einem Merkmal der für die Zukunft erwarteten Heilsboten bzw. Heilsbringer (Jes 11; 42,1; 61,1), ohne dass aber der Prozess der Geistübertragung von Gott auf diese Gestalten sprachlich näher beschrieben wird. Einen ganz eigenen Weg in seinem Gebrauch des Begriffes רוחbeschreitet das Ezechielbuch. In ihm steht die Vorstellung im Vordergrund, dass die רוח eine dem Menschen innewohnenden Größe ist. Sie wird ihm, abgesehen von Ez 39, also nicht von Gott gegeben, sondern sie ist eine Größe im Menschen, die aber dennoch verantwortlich für die Beziehung zwischen Gott und Mensch ist, indem Gott auf sie Zugriff hat (Ez 11,19–20; 36,26–28). Bei allen Unterschieden ist den Texten also letztlich gemein, dass die רוח eine Größe ist, die das Verhältnis von Gott und Mensch prägt und definiert und diesem eine besondere Qualität verleiht, sei es dadurch, dass die רוחauf einzelne Menschen kommt und zu besonderem Handeln befähigt, sei es dadurch, dass ganze Menschengruppen durch die Geistausgießung am zukünftigen Heil Anteil haben können, oder sei es dadurch, dass Gott wie in Ez 36 seine רוחin den Menschen legt und ihn und sein Gottesverhältnis auf diese Weise von innen heraus erneuert. Diese Vorstellung, dass der Geist das Verhältnis zwischen Mensch und Gott entscheidend prägt, findet sich auch in den Schriften aus Qumran und in der Sapientia Salomonis. In der Gemeinderegel aus Qumran und in den Hodajot ist der von Gott kommende heilige Geist in die Menschen gelegt, der es ihnen ermöglicht, sich im Widerstreit verschiedenster Geister für den richtigen Lebensweg zu entscheiden. In der Sapientia Salomonis ist der von Gott kommende heilige Geist im Zusammenspiel mit der Weisheit ebenfalls für den richtigen Lebenswandel der Menschen verantwortlich (Sap 1,5; 9,17), auch wenn hier gleichzeitig, ähnlich wie in Jes 40,13, Wert auf die Unverfügbarkeit, die Weite des Geistes Gottes gelegt wird (Sap 1,7). Die Vorstellung, dass der Geist für die Beziehung zwischen Gott und Mensch verantwortlich ist, setzt sich dann auch im Neuen Testament fort. Zum einen wird die Gottessohnschaft Jesu auf den Geist zurückgeführt. Die besondere Verbindung zwischen Jesus und Gott wird also durch das Wirken des Geistes zum Ausdruck gebracht (Röm 1,4; Mk 1,11; Mt 3,16; Lk 3,22; Joh 1,32).1 Zum anderen konstituiert der Geist die Gemeinschaft der Glaubenden (Röm 8). Gottes Geist ist in den Glaubenden (1 Kor 3,16) und bewegt ihr Leben zum Guten (Röm 8,14).2 Aus dem Neuen Testament und von der durch den Geist geprägten Gottessohnschaft Jesu her führt die Entwicklung schließlich zu den Bemühungen 1 2
Vgl. auch FELDMEIER/SPIECKERMANN 2011, 228. Ebd.
Gottes Geist: Beziehungsstifter zwischen Gott und Mensch
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Tertullians (Adv. Prax. 11,7–10),3 Origenes’ (De Princ. I,3)4 und Augustins5 um die Beschreibung der Trinität und zur Stellung, die der Geist heute im christlichen Glauben hat. Und auch heute noch ist Gottes Geist, unabhängig von der Trinitätslehre, eine Größe, mit der sich die Beziehung zwischen Gott und Mensch beschreiben lässt.6 Der Anfangspunkt dieser Entwicklung liegt in den in diesem Buch dargestellten Texten.
3
Vgl. BENDER 1961. Vgl. HAMMERSTAEDT 1991. 5 Zu Augustin vgl. GEMEINHARDT 1999. 6 So z.B. ROSENAU 2000, 561: „Damit ist Geist eindeutig als Geist Gottes (…) und nicht als Wesens- oder Qualitätsbestimmung des Menschen in den Blick genommen. (…) Als Geist Gottes (…) ist Geist im Sinne der ursprünglichen Wortbedeutung von Wind, Hauch oder Atem eine unverfügbare Schöpfer- und Lebenskraft, die als solche nicht dinghaft-substantiell, sondern als rationales Geschehen zu beschreiben ist.“ 4
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Stellenregister Altes Testament Genesis 1,2
2,7 6,3 7,15 7,22 37,21 41,8 41,38 Exodus 4,19 28,3
31,3 35,31
Leviticus 24,17 Numeri 5,14 11
11,1–3 11,11–15 11,25 11,26–29 11,28
5, 7, 9, 69, 71–75, 81, 92, 107, 157, 211, 269, 291, 298– 299 3, 210–211, 227 2, 7 7 3, 210 3 3 9–10, 73, 297
3 7, 9–10, 22, 63–67, 91–92, 252, 263, 291, 297 7, 9, 22, 63, 65–67, 75, 291 7, 22, 63–66, 69, 75, 291
11,29 22–24 22 22,31 24,2 27,15–23 27,18
Deuteronomium 20,16 34,9
Josua 10,40 11,14 Richter 3,10
3
3, 280 5, 7, 9–10, 43–52, 60, 68, 73, 90–91, 187, 240, 253, 269, 295–297 43–47 45, 47 9 51 68
6–8 6 6,34 7–8 7 11 11,29 13–16 13 13,5 13,25
234–235, 253, 297 43–44, 52–53, 55– 58, 62–63 52–59 57, 59, 62 4, 9, 54, 57, 59, 73, 91, 249 68 5, 9, 68, 83, 90–91, 297
3 5, 7, 9–10, 52, 64, 67–69, 73, 75, 91– 92, 291, 297
3 3
4–5, 7, 9, 15, 24, 32, 35–36, 42–43, 90, 249, 251, 297, 299 42 28, 36–39, 43 5, 15, 24, 38–40, 249, 251 39 36–39, 240 40–43 5, 24, 41–43, 90 5, 25–26, 42 25–28, 33–34 26–27, 29, 33 24, 28–29, 34, 42, 290
322 14–15 14 14,6
14,19 15,14 15,18 16 16,1–3 16,3 16,17 1 Samuel 8–11 8–10 8 9,1–10,16 10 10,6
10,10–13 10,10 10,17–27 10,18–19 11 11,6 16,13–14 16,13 16,14 16,15–23 16,23 17 18,10 19,9.10 19,18–24 19,20 19,23 2 Samuel 22,16 23,2
Stellenregister 25, 29, 34, 290–291 25, 29–34, 290–291 4–5, 14–15, 24–25, 28–29, 31–32, 34, 224, 290, 297 4–5, 14–15, 24, 28, 31–32, 34, 290, 297 26, 29, 32 2 25–28, 32, 34 25, 31, 33 30, 32 26–27, 33–34
18, 89 11–13 11–13 12–13, 18–19, 23 16–19 4, 7, 9–10, 14–18, 23–24, 31, 50, 89, 224, 251–252, 289– 290, 297, 299 17–19 4, 15–19, 31–32 11–12 11–12 11–15, 18 4, 10, 14–17, 23, 32, 89, 252, 289, 297 4, 21 5, 10, 13, 22–23, 31, 90, 144 10, 19–20, 22, 90 21–23, 249 20, 90 21–22 10, 15, 20–22, 32 20 13, 17–19 4, 50 17, 18, 22
2 4, 7, 9, 20, 82, 249, 252
1 Könige 18,12 22 22,19–23
4 9, 76–82, 92, 251– 252 78–82
2 Könige 2,16
196–198, 226
Jesaja 1,14 4,4 7,14 9,5–6 10,12–13 11
11,1–9 11,1–5 11,2
11,11–16 11,12 13–23 13 26,9 27,8 28,6
29,10
29,24 30,1
31,3 32,15
3 93, 101, 107–111, 122, 140, 144, 292 122, 133–135 134 137 5, 7, 23, 110, 133– 143, 151, 181, 183– 184, 292, 295, 297, 299–300 141–142 134, 183 64, 67, 92–93, 107, 115, 121, 127, 133– 142, 145 135–136 128, 130 95–96, 98, 100, 152, 292 125, 128–129, 132, 234 4, 93–94, 101 2 101, 103, 107, 109, 111, 122, 139–140, 144–145, 292 94, 115–116, 118– 120, 140, 143, 145, 234–235, 295 93, 114–115, 117, 138, 140, 143–144 93, 104, 112–117, 139–140, 143–144, 292 94 5, 94, 115–117, 119– 120, 122, 225, 227, 293, 295–296, 298– 300
323
Stellenregister 34 34,6 34,16 40,1–11 40,12–31 40,12 40,13
40,24 41,8–13 41,8 41,11 42,1–9 42,1–6 42,1–4
42,1
42,5 42,6 42,7 42,10–13 43,5 43,19 44,1–5 44,1–4 44,1–2 44,1 44,3
44,13 48,16 49,1–6 52,13–53,12 55,11
123–132 129, 234 93, 126–132 149, 151–152 151–155, 160–162, 167, 170, 188 156, 269 7, 138, 140, 142, 149, 152, 155–159, 162, 188, 211, 288, 293, 298, 300 136–137, 143 162–166 165–166, 172, 176, 189 164 165, 170–172, 174– 175, 183, 188–189 162 146, 149, 170–173, 175–178, 182–183, 188–189 5, 23, 141, 149–150, 162, 170–174, 176– 178, 181–182, 295 2, 176, 178, 183, 210 129, 141, 171–178, 181–183 141, 172, 175, 178, 181–182 147 128, 163 168–169 5, 157, 162–167, 170, 176, 293, 295 164–166, 169, 184– 189 165, 167–168 164, 168 4–5, 119, 122–123, 149–150, 162, 164, 168, 169, 184, 235, 267, 293, 295–296, 298–299 107 149, 162, 293 171–172, 175, 189 141, 189 185
57,13 57,15 57,16 59,19 59,21 60,20 61,1 61,2 61,6 61,8 61,10 63,7–64,11 63,10–11
Jeremia 4,30 5,9.29 6,8 9,8 15,1 26,11 31 31,31–34 Ezechiel 1–3 1,4 1,12.20 2,2 3,12 3,13 3,14 7 8,3 11,1 11,5 11,19–20 11,19
11,24 13,3
2 93 2, 93 4 93, 150, 183–186, 188–189, 293 179 93, 141, 150, 179– 183, 251 129, 174, 176, 182 5, 173 181–183 93, 142, 179 186–188, 223 93, 150, 187–188, 221–223, 287
3 3 3 3 3 3 151, 218–220 218, 220
191–192, 194, 198 2, 199, 226 194–196, 198–199, 211, 226 194–195, 224–225 194, 196–199, 226 194, 198 194, 196–199, 226 192, 234 194, 197, 198 107, 194, 198 4, 82, 195–196, 224– 225, 227, 293, 299 205, 216–220, 226– 227, 236, 294, 300 3, 17, 194, 205, 214– 220, 222, 226–227, 236, 251, 294, 300 194, 197–198 192, 194–195, 219, 226
324 13,11 18
18,31–32 18,31 23,18 34 36,23bβ–38 36,26–28 36,26 36,27 36,28 37
37,1–14 37,1 37,9 37,14 37,15–28 38–39 39,29
40–48
43,5 47,1 Hosea 4,12 5,4 Joel 1,9 3–4 3
Stellenregister 2 205, 209, 211–212, 218, 219, 225, 227, 237, 294 217–219, 294 205, 214–215, 217– 219, 267, 294 3 201, 203–206 200–206, 212, 214, 219, 228 212–215, 219, 220, 227, 228 214, 217, 236, 294 3–4, 7, 195–196, 200, 212, 215, 294 215 73, 194, 200–211, 222, 224–228, 237, 294 202–204, 206, 208 194, 207, 224 210–211, 251, 265– 266, 298 195–196, 212, 225, 250 202–204 192, 202, 204, 225, 235–238, 242 5, 119, 196, 202, 204–205, 225, 227, 234–238, 242, 267, 269, 293, 295–296, 298–299 191–193, 200, 204– 206, 225, 236–238, 293 198 236, 238, 267
3 3
229, 231, 235 229–230, 231 7, 50, 90, 232–241, 267, 300
3,1–5 3,1–2 3,1
4,18
7, 233, 237–238, 242 5, 119, 123, 231 51, 123, 169, 225, 227, 231, 235–238, 240, 242–243, 267– 269, 295–299 231, 233, 238 233, 238, 241, 243 231–233, 235–239, 241–242 232, 236, 238, 267
Amos 5,18–20
234–235
Jona 1,4
2
3,4 3,5 4
Haggai 1,14 2,4 2,5
Sacharja 1–8 4,6
250, 257–259 258 7, 257–260, 269, 288, 298
14 14,8
261–262 262–263, 266, 269, 270 7–8, 157, 265–266, 298–299 4, 82, 264, 269 261–262 3 235, 238, 261–262, 266 262, 266–269 7, 123, 234–235, 238, 262, 267–269, 295–299 234–235, 238, 267 238, 267
Psalmen 18,16 22,21 31,6 32,2 33,20 42,2–3
2 3 7 7 4 4
6,8 7,12 9–11 11,8 12–14 12,1 12,10
325
Stellenregister 51 51,12 51,12–14 55,9 72 77,7 78,8 84,3 104 104,2 116,4.8 119,20 123,2 139 142,4 143,4 146,4
212, 214, 220–223, 280 221 3, 220, 222, 267 2 134 3, 7 7 4 6 155 4 4 164, 168 157–160, 288 3, 7 7 2, 7
Hiob 1,19 4,9 6,4 9,18 12,10 17,1 20,3 26,4 32,8 33,4 34,14
2 2, 7 7 2, 7 2, 7 7 7 7 2 2 2
Proverbien 1,23 20,27 29,11
7 7 3
Kohelet 7,8 12,7
3, 7 2, 7
Daniel 2–7 4 4,5–6.15 5,11–12 5,12 5,14
82–84 84–89 4, 84, 86–89, 91 4, 87–88 74, 84, 86–89 4, 84, 86, 88
Esra 1,1 1,15
248, 250–251, 257 248, 259
Nehemia 9,20 9,30 1 Chronik 5,26 12,19 28,12 2 Chronik 15,1 18 20,14 24,20 29,31 36,22
144, 248, 253, 264, 269 265, 297
249, 251, 259 9, 40, 82, 224, 249– 252, 297, 299 251–253, 263
4, 9, 224, 249, 252, 297, 299 246, 251–252 4, 82, 144, 252–253, 297 249, 252–253, 257 221, 223 250–251, 257
Deuterokanonische Schriften Sapientia Salomonis 1,5 5, 41, 284, 288, 300 1,7 5, 81, 157, 159–160, 284, 287–288, 300 9,17 5, 287–288, 300 12,1 5
Judith 16,14
5
Jesus Sirach 34,14 39,6 48,12
5 5 5
326
Stellenregister
Qumran 1QHa IV,17,26 IV,25 V,19 V,21 V,25 VI,11–12 VI,13 VII,22 VIII,16 VIII,22 IX,8 XI,21 XII,32 XII,36 XIII,21 XV,6–7
275 279 279 279 275, 279 275 279 275 275, 279 275 275 276 275 276 275 275
XVII,12 XVII,32
276 275
1QS III,6–9 III,7 III,9 IV,15–26 IV,20 V,21 VII,3 VII,18 VII,23 VIII,16 X,18 XI,1
5, 277 277 278–279 288 278 276 276–277 276 276 277–278 277 277
Autorenregister Achenbach, R.…43–44, 47–49, 51–52, 57–58, 200 Ackroyd, P. R.…100 Albani, M.…160–161 Albertz, R.…1–2, 4, 6, 82 Alexander, P. S.…276 Allen, L. C.…194, 213, 215, 218 Aurelius, E.…46–47, 49 Bartelmus, R.…60, 208 Bartelt, A. H.…100 Barth, H.…96–97 Barthel, J.…101–102, 104–105, 112, 114 Bauks, M.…72–73 Baumgärtel, F.…6 Beck, M.…230, 233, 235, 239 Becker, U.…36–39, 41, 94, 97–99, 103– 104, 106, 112–114, 116–117 Begrich, J.…153, 162 Bender, W.…301 Berges, U.…97–99, 101–106, 112, 114, 116–119, 121–122, 124–126, 128– 129, 131, 136, 142, 146–148, 151– 152, 155, 162–163, 166–167, 169, 176–177, 184, 186 Bergler, S.…230, 234 Berlejung, A.…167 Beuken, W. M A.…94, 99–100, 106– 108, 110–111, 115, 122, 124, 126– 127, 130, 132, 134–136, 142, 177, 255 Beyerlin, W.…160 Bezzel, H.…14–17 Biberger, B.…202, 204, 239 Blenkinsopp, J.…172, 175, 285 Blischke, M.…4, 282–286 Block, D. I.…192, 200, 208, 217–218 Blum, E.…61–62, 76, 95 Bodenheimer, F. S.…126
Bogaert, P.-M.…200 Bosshard-Népustil, E.…230 Budd, Ph. J.…59 Bührer, W.…72 Buysch, Chr.…158 Carr, D. M.…151 Cartledge, T.…27 Cazelles, H.…4–5, 8 Childs, B. S.…1 Clements, R. E.…96 Conroy, C.…149 Cross, F. M.…76 Dafni, E. G.…81 Dahmen, U.…229–231, 233–235, 239, 241 Deissler, A.…230, 233, 235–236, 239– 241, 243, 256, 261–265, 267–268 De Jong, M. J.…116 Delkurt, H.…266 De Moor, J. C.…152 Dietrich, W.…18, 21 Dihle, A.…282 Dijkstra, M.…209 Donner, H.…124, 126–127 Dreytza, M.…6 Duhm, B.…95–96, 98, 103, 170, 232 Edelman, D. V.…256 Elliger, K.…124 Emmendörffer, M.…186 Engel, H.…282–283, 287–288 Fabry, H.-J.…272–273 Feldmeier, R.…1–3, 6, 20, 70, 160, 210, 222–223, 239, 263, 277, 300 Fleischer, G.…229–231, 233–235, 239, 241
328
Autorenregister
Fischer, G.…74 Fischer, I.…186 Fohrer, G.…95 Frankel, D.…48 Franken, H. J.…61 Freedy, K. S.…191 Frevel, Chr.…256 Frey, J.…279 Friedman, R. E.…76 Fritz, V.…18, 46–47, 56, 76, 79, 197 Fuhs, H. F.…191, 193, 198, 208–211, 219, 222 Galling, K.…245 Garscha, J.…209 Gaß, E.…25 Gemeinhardt, P.…301 Georgi, D.…282 Gerleman, G.…185 Gertz, J. Chr.…44, 50 Gilbert, M.…283 Goldenstein, J.…186 Görg, M.…28–29, 35, 283 Görgemanns, H.…282 Gosse, B.…124–125, 129 Graffy, A.…154 Grätz, S.…49 Graupner, A.…55–56 Greenberg, M.…192, 194, 199–200, 208 Groß, W.…27, 33–34, 36, 38–39, 41, 56 Guilbert, P.…276 Haag, E.…83–84, 86, 149, 222, 286 Haag, H.…171 Hallaschka, M.…258, 263–264 Hammerstaedt, J.…301 Han, S.…6 Hentschel, G.…14, 18–19, 24, 76–77, 79 Hermisson, H.-J.…154, 179, 183 Hieke, Th.…247–248 Hirth, V.…81 Hoftijzer, J.…61–62 Hölscher, G.…232 Hoppe. L. J.…192 Hossfeld, F.-L.…158, 194, 200, 213, 216, 220–222, 257 Hubmann, F.…208 Hübner, H.…282, 284
Ibrahim, M.…61 Jacob, B.…74 Jahn, L. G.…200–201 Janowski, B.…64, 69, 74–75 Jenni, E.…40 Jeremias, J.…229–231, 233, 239–243 Johnson, A. C.…201 Joyce, P. M.…200 Jüngling, H.-W.…94, 102 Kaiser, O.…1, 95–96, 99, 103, 110, 112, 114, 124–125, 136 Kalvaag, R. W.…280 Keel, O.…70–71, 199 Keller, C. A.…169 Kenyon, F. G.…201 Kepper, M.…283 Kilian, R.…94, 96, 106, 109–110, 113– 114, 124, 126, 128–129, 132, 135 Klein, A.…193, 202–203, 208–209, 212– 213, 215–219, 221–222, 236, 276– 278 Klein, J.…16 Knauf, E.-A.…28, 31, 36, 39 Knibb, M. A.…276 Koch, K.…82, 86 Koch, R.…6 Köckert, M.…74 Koenen, K.…186 Köhlmoos, M.…2 Konkel, M.…192, 202–204 Kratz, R. G.…12, 14–15, 19, 22, 24–25, 28–30, 33–34, 36–39, 41, 70–72, 75– 76, 83, 86, 103–104, 106, 112, 114– 118, 146–148, 151, 155, 160, 162– 163, 166–167, 171–172, 175–176, 245–246, 248–250 Kühlewein, J.…139 Kutsch, E.…191 Labahn, A.…245–246 Labouvie, S.…180 Lang, B.…196 Larcher, Ch.…282 Lau, W.…186 Lauber, S.…154 Lehmann, G.…30 Lehnart, B.…17, 19
Autorenregister Lemaire, A.…62 Lescow, T.…208 Leuenberger, M.…169, 257–258 Levin, Chr.…56, 72, 213, 216–217 Levison, J. R.…271 Lohse, E.…276 Loretz, O.…232, 239 Lust, J.…201–203, 212 Lux, R.…265 Lys, D.…6 Ma, W.…6–7, 134 Markl, D.…74 McKenzie, S. L.…76 Merendino, R.…146, 148, 163, 173 Metso, S.…276 Mettinger, T. N. D.…171, 175 Meurer, Th.…34 Milik, J. T.…276 Mosis, R.…202, 208 Müller, A. K.…230, 233 Müller, H.-P.…224, 230 Münger, S.…18 Neef, H.-D.…83 Nentel, J.…76 Nesselrath, H.-G.…283 Newsom, C.…275 Niebuhr, K.-W.…281–282, 287 Nielsen, K.…100 Niemann, H. M.…29–30 Nitsche, St. A.…19 Nogalski, J. D.…230, 233, 235, 239 Noth, M.…47–48, 76, 245 Ohnesorge, S.…209, 213, 215–217, 236 Pakkala, J.…248 Parente, F.…27 Parry, D. W.…274 Perlitt, L.…75 Pfeiffer, H.…212, 220–221 Plöger, O.…232 Pohlmann, K.-F.…191, 193, 196, 199, 209, 215, 217 Pola, T.…74, 263 Pope, M.…125 Preuß, H. D.…265 Prinsloo, W.…230
329
Pryke, J.…280 Puech, E.…274 Rad, G. von…75, 95 Ranke, E.…200 Redditt, P. L.…262, 268 Redford, D. B.…191 Reese, M.…282–283 Rendtorff, R.…1 Reventlow, H. Graf…255–256, 258–259, 262–263, 265 Richter, W.…38–39, 41 Römheld, K. F. D.…27–28 Rösel, M.…56, 108 Rosenau, H.…301 Roth, M.…230–233, 238–239 Rudnig, T. A.…193, 202 Rudolph, W.…245 Ruppert, L.…160–162 Sæbø, M.…138 Sauerwein, R.…77, 197 Scarpat, G.…282–283 Scharbert, J.…48, 56, 59 Schart, A.…47, 49–50, 230 Schenker, A.…218 Scherer, A.…24–25, 39, 41 Schmid, H. H.…138, 155 Schmid, K.…70–71, 149, 256, 261–262 Schmidt, L.…17, 44, 46–48, 51, 55–56, 74 Schmidt, W. H.…6, 71 Schmitt, H. C.…50, 55, 57–59 Schmitz, B.…79 Schneidewind, W. M.…247 Schnocks, J.…209, 211 Schöpflin, K.…191–192 Schottroff, W.…139, 155 Schroer, S.…12–13, 17, 19, 21, 70–71, 153 Schüle, A.…72–73 Schüngel-Straumann, H.…6 Schwagmeier, P.…202 Sedlmeier, F.…191–192, 194, 199, 203– 206, 208, 210, 212, 217–218, 224 Seebass, H.…47, 55–56, 134 Seitz, Chr.…125, 134 Sekki, A. E.…271 Seybold, K.…158
330
Autorenregister
Smend, R. (sen.)…192 Smend, R. (jun.)…76 Soisalon-Sininen, I.…33 Spieckermann, H.…1–3, 6, 20, 70–71, 104, 155, 160, 210, 220, 222, 234, 239, 263, 277, 282, 288, 300 Stähli, H.-P.…139, 155–156 Stegemann, H.…278–279 Steins, G.…64, 245, 247, 249 Steudel, A.…274 Stipp, H.-J.…27, 34 Stolz, F.…12, 14, 17 Sweeney, M. A.…148, 230, 262 Talmon, S.…201 Tengström, S.…2, 4 Tigchelaar, E. J. C.…272–273 Timm, S.…58 Tov, E.…274 Utzschneider, H.…74 Van der Kooj, G.…61–62 Van der Meer, M. N.…200 Van der Woude, A. S.…159 Van Oorschot, J.…4, 146, 148, 151–152, 154, 163, 166–167, 171, 176 Van Seters, J.…56–57 Vawter, B.…192 Vermeylen, J.…21, 86, 96–97, 107, 124– 125 Vogt, E.…104 Wagner, A.…3 Wagner, D.…6, 15, 17–18, 22 Wagner, V.…49 Wahl, H. M.…87, 208
Waschke, E.…43, 133–135, 180 Webb, B. G.…29 Wehmeier, G.…169 Weimar, P.…64, 74–75 Weippert, H.…62 Weippert, M.…171 Welker, M.…6 Wellhausen, J.…34, 75 Wenning, R.…34–35, 61–62 Werlitz, J.…76–77, 79, 146–147, 163, 167, 171–172, 175–176 Werner, W.…96, 114, 134–135, 142 Westermann, C.…1–4, 6, 168 Wildberger, H.…95, 109, 126, 136 Willi, Th.…245–246 Willi-Plein, I.…19, 255–256, 258, 262– 266, 268 Williamson, H. G. M.…124, 133, 146, 245–246, 248 Winston, D.…282 Witte, M.…27, 30, 34, 57–58, 83, 86, 247–248 Wöhrle, J.…233, 238, 255, 258, 263–264 Wolff, H. W.…2–3, 229–230, 255–256 Wright, J.…248 Würthwein, E.…197 Veijola, T.…76 Zapff, B. M.…125, 128, 152–153, 163, 167, 175, 179, 181–184, 186 Zenger, E.…34–35, 61–62, 64, 74, 134– 135, 142, 158, 220–222, 229, 234, 255–256, 261 Zimmerli, W.…193, 198–201, 208, 211, 213, 216, 218 Zunz, L.…245
Sachregister Amt…18, 49, 51, 68 Amtscharisma…5, 18, 20, 22–24, 289– 290; siehe auch charismatisch anthropologisch…3–4, 93–94, 101, 195, 212, 217, 221, 224, 226–227, 257 Atem…1–2, 73, 272, 283, 301; siehe auch Lebensatem, Odem Berufung…35–37, 97, 193 Berufungsvision…97, 192 Bund…105, 150, 174, 177–178, 181–182, 184–185, 204, 218, 227, 239, 259 charismatisch…23, 43, 252–253, 289–290, 294–295; siehe auch Amtscharisma David…5–6, 9–24, 28, 30, 31–34, 39, 42–43, 50, 82, 90, 167, 179, 195, 204, 220, 246, 250–253, 263, 289–291, 294, 298 Denken – richtiges ~…3–4, 223, 251–253, 263– 264, 270, 274, 280, 287, 299 Ekstase…4, 10, 18–20, 23, 50–51, 89, 91, 252–253, 289–291, 297; siehe auch Raserei ekstatisch…15, 17, 19, 23, 32, 240 Entrückung…196 Erwählung…164–166, 169–170, 173– 174, 177, 189 eschatologisch…53, 55, 229–231, 233, 241, 277–279, 283 Geist – Ausgießung…7, 18, 51, 90, 119, 123, 165, 205, 225, 233, 235–243, 267– 269, 298, 300 – Begabung…67, 87, 135, 145, 187, 189, 296
– böser ~…10, 18–23, 90, 279, 290 – ~ der heiligen Götter…82–88 – heiliger ~…187–188, 190, 220–223, 271, 273, 275–281, 286–288, 300 – Übertragung…20, 22, 45–48, 50–52, 235, 300 Geister…257, 271–281, 300 Gottesknecht…141, 149–150, 152, 162– 178, 181–184, 188–189, 293, 295 Handeln – richtiges ~…3–4, 11, 115, 145, 218, 223–227, 240, 243, 251, 258–259, 274, 295, 297–300 Heil…95, 102, 106, 108, 116, 121, 130– 133, 136, 149, 153–154, 163–169, 173, 178, 182–183, 189, 201, 204– 209, 231, 239, 243, 249, 292–293, 300 Herz…17, 64–65, 195, 212–215, 219– 222, 226–227, 242 – anderes ~…17, 214, 290, 294 – ~ aus Fleisch…212, 216 – ~ aus Stein…212, 214 – neues ~…212, 218, 227, 242, 294 Josua…5, 9, 23, 51–52, 64, 67–69, 73– 74, 90–91, 291, 295 Königtum…10–13, 18, 22–23, 31, 89– 90, 121, 134, 290 Lebensatem…2–3, 211, 227; siehe auch Atem, Odem Lebenswandel…275–280 Messias…97 messianisch…96, 142, 256, 261 Monotheismus…160, 162, 190
332
Sachregister
Mose…5, 9, 23, 43, 45–52, 60, 64, 66– 69, 73–74, 90–91, 150, 167, 187, 295–296 Odem…107; siehe auch Atem, Lebensatem Priesterschrift…74 priesterschriftlich…70, 72, 74–75, 92 Prophetie…5, 9, 78, 80–81, 91, 192, 246, 255, 269, 278, 297 – Unheils~…62 – Tradenten~…256, 262 prophetisch…4, 135 – Einzeltexte…81, 93, 97, 105, 151, 220, 225, 227 – Gaben…123 – Gestalt…183, 189, 293 – Literatur…185, 224, 240 – Reden…60, 81, 82, 91, 224, 239–240, 253, 297, 299 – Spruch…255 Raserei…10, 20–21, 31–32, 36, 290– 291; siehe auch Ekstase Richter…5, 9, 11, 15, 23–24, 29–30, 32, 35–36, 40–43. 49, 290, 295, 297 Richterzeit…15, 46 Saul…5, 9–24, 28–36, 39, 42–43, 50, 89–90. 179, 195, 240, 252, 289–291, 294, 297–298 Schöpfung…5, 71–75, 92, 153, 155, 164, 188–190, 211, 278, 288 Seele…121, 170, 174, 179, 277, 284
Segen…54, 57, 59–60, 71, 123, 149, 164, 169–170, 186 Simson…2, 5, 9–10, 14–15, 24–36, 42– 43, 90, 290–291, 295, 298 Tempel…198, 206, 246, 256–258, 261, 263 – neuer ~…200–201, 206, 236 Tod und Leben…206, 209, 210, 217, 226–227, 284, 294 Trinität…301 Tun-Ergehen-Zusammenhang…218–219 Weisheit…9–10, 63–69, 87, 91, 93, 133, 137–140, 142, 153, 161, 273, 281– 288, 291–292, 297, 300 weisheitlich – Attribute…142, 145, 155 – Denken…111, 137, 139, 155, 159, 161 – Reden…139 – Terminologie…140, 145, 155–156 Wiederbelebung…194, 205–211, 227– 228, 294 Wiederherstellung – ~ Israels…202, 205, 207–210, 225, 237, 261 – ~ Jerusalems…181–182 Wind…1–4, 8, 16, 46–47, 73, 107, 110, 196–199, 211, 217, 219, 226, 272, 284, 288, 301 Wüstenwanderung…44–45, 49–51, 187, 292 Zeltheiligtum…9, 51, 65, 221, 263 Zwei-Geister-Lehre…278–280