Der gegenwärtige Krieg vor dem Forum des Völkerrechts: Vortrag unter dem Titel "Völkerrechtliche Streiflichter zum gegenwärtige Kriege" in der Aula der Königl. Sächs. Technischen Hochschule zu Dresden zugunsten der Rotes Kreuzes [Reprint 2015 ed.] 9783111542492, 9783111174358


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German Pages 27 [28] Year 1914

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Table of contents :
Einleitung
Völkerrecht und gegenwärtiger Krieg
Das Fortbestehen des Völkerrechts
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Der gegenwärtige Krieg vor dem Forum des Völkerrechts: Vortrag unter dem Titel "Völkerrechtliche Streiflichter zum gegenwärtige Kriege" in der Aula der Königl. Sächs. Technischen Hochschule zu Dresden zugunsten der Rotes Kreuzes [Reprint 2015 ed.]
 9783111542492, 9783111174358

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Der gegenwärtige Krieg vor dem Forum des Völkerrechts. V ortrag, unter dem Titel

„Völkerrechtliche Streiflichter zum gegenwärtigen Kriege" in der A ula der König!. Sächs. Technischen Lochschule zu Dresden zugunsten des R oten Kreuzes

gehalten von

Dr. jur. Herbert Kraus, Privatdozent für Völkerrecht an der Universität Leipzig.

Berlin 1914.

3. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. L.

M einen Brüdern, den Oberleutnants zur See Lans-Reinhard und Enno Kraus, die auf fernen Meeren für Deutschland fechten.

Einleitung. Allgemeines.

Königliche Hoheit, meine Damen und Herren! Wenn ich es heute abend unternehme, mit Ihnen abseits von Tageshast und Leidenschaft völkerrechtliche Erörterungen über den gegenwärtigen Krieg anzustellen, so mag es scheinen, als ob ein armer M ann vor Sie hinträte. Einer, dessen Taschen leer sind und der nichts zu geben hat, außer einem resignierten Rückblick und einem Nachruf nach toten Träumen. Die Völkerrechtswissenschaft, oder wenigstens ihre modernste Richtung, jene, die auch über den engeren Fachkreis hinaus sich hören ließ, von der man auch in weiteren Kreisen sprach, hat in den letzten Jahren gebaut und gebaut. Im m er kühner wurde das System, das sie entwickelte, und welches den Namen der „ O rg a n isa tio n der W elt" img. Im m er näher schien den Vertretern dieser Richtung das Ideal eines Weltstaatenbundes zu kommen, der die Mächte der Erde unter einem großen Rechts­ system einigen sollte. Man überlegte sich schon, ob man dieses Rechtssystem in einem allgemeinen Gesetzbuch zusammenfassen könne, man erörterte den Gedanken eines großen Staatengerichts­ hofes und seiner Verfassung. Noch kühner flogen die Wünsche: eine internationale Polizeitruppe sollte gegründet werden, ihr Sitz sollte ein neutralisiertes Gebiet sein; eine Art BundesExckutionsorgan sollte sie bilden, das widerspenstige Glieder des Bundes zum schuldigen Gehorsam zu zwingen hätte. Und die Träume eines Sully, des gesprächigen Abbe S t. Pierre oder eines Emmöric Crussee schienen zu greifbaren Wirklichkeiten werden zu wollen. Mit dem gegenwärtigen Kriege hat sich über alle diese Theorien ein dichter Nebel gebreitet, der von den Schlachtfeldern

Europas aufsteigt. Und keiner kann sagen, wann er sich wieder lüften wird, und was dann noch da sein wird. Sicher ist nur so viel: Wir werden nie wieder das alte Bild schauen, das die Welt der S taaten vor dem Kriege bot, weder in ihren politischen noch in ihren rechtlichen Beziehungen. W as aber wird dann zertrümmert sein, was noch stehen, und was wird neu sein, wenn der entsetzliche Fieberschauer, unter dem die ganze Welt in diesem Augenblicke zuckt, ausgetobt haben wird? W e rd e n w ir d a n n in s b e s o n d e re ü b e r h a u p t noch ein V ö lk errec h t h a b e n ? Wollte man der Tagesmeinung glauben, so müßte man diese Frage gegenwärtig wohl ohne weiteres verneinen. Denn immer größer wird die Schar derer, die es offen aussprechen, daß es kein Völkerrecht mehr gebe, und immer lauter ihr Ruf, daß das Völkerrecht bankrott gemacht habe.

Völkerrecht und gegenwärtiger Krieg. Um diese Behauptung gerecht würdigen zu können, muß man sich vor allem vor dem unaufhörlich begangenen Fehler hüten, von dem Völkerrecht zuviel zu verlangen.

Die Unfertigkeit des Bötterrechts. Wir dürfen nicht vergessen, daß es ein junger, in seinen feineren Verzweigungen noch unausgebildeter Sprößling des Rechts ist. Groß ist das noch unbeackerte Feld, die Sphäre des Dürfens für die einzelnen Staaten, innerhalb deren kein völkerrechtliches Gebot ihr Tun einengt. F re m d e n re c h t. Die Behandlung des Fremden, der dem Gebiete eines Kriegsteils aufhält, ängstigende Kapitel des Wohlergehens Feindesland, die Frage nach den Grenzen ihren Aufenthaltsbedingungen und ihren hört z. B . in großem Umfang hierher.

sich in Kriegszeiten auf insbesondere das uns unserer Landsleute in ihrer Bewegungsfreiheit, Abreisemöglichkeiten ge­

R ech t d e r u n te rs e e is c h e n T e le g ra p h e n k a b e l. Und

ähnlich

Telegraphenkabel.

steht

es

Hier

hat

m it

dem Recht

sich bis heute

der unterseeischen eigentlich nur

ein

wirklich wichtiger, aber anderseits auch selbstverständlicher Satz zum geltenden Recht herausgebildet, nämlich der, daß die die Gebiete neutraler S taaten verbindenden Kabel in Kriegszeiten von den krieg­ führenden Parteien nicht durchschnitten werden dürfen.

Wenn Eng­

land unsere Kabel nach Kriegsbeginn zerstört hat, so kann es sich demnach zu seiner Rechtfertigung auf das Schweigen des Völkerrechts über solches T u n berufen.

Völkerrecht und Moral. Z u m andern muß man sich aber auch besonders davor hüten, die Gebote des Völkerrechts m it denen der Völkermoral zu ver­ wechseln und aus diesem Ir rtu m e Folgerungen gegen das Völker­ recht abzuleiten. Ich glaube, daß man angesichts dessen, was

w ir

in

diesen

Zeiten erleben müssen, m it viel mehr Grund von einem Bankrott der Völkermoral reden könnte als von dem des Völkerrechts. F ü r unmoralisch würde ich es z. B . halten, wollte ein S ta a t, der ein internationales Abkommen ratifiziert hat, z. B . die Haager Konvention über die Beschränkung des Beuterechts zur See, worin die F reih eit der Briefe bestimmt ist, dessen Befolgung nur deshalb ablehnen, —

weil irgendeine belanglose Nebenpartei in

sagen w ir z. B

Montenegro oder Japan — ,

die

dem S tre it noch dazu

auf seiner Seite steht, die betreffende Genehmigung des Abkom­ mens nicht gegeben hat. K r ie g u n d B e ric h te r s ta ttu n g . U n m o ra lis c h ist b eson d ers d ie A r t ,

w ie g e g e n w ä r tig

d ie W a h r h e it p r o s tit u ie r t w ir d . D aß die Besiegten ihren Ländern über ihre Mißerfolge keinen teilten W ein

einschenken, ist dabei nicht tragisch zu nehmen und

eine Sache, die die betreffenden Regierungen schließlich m it ihren Regierten abzumachen haben. Auch daß die Anstifter dieses Krieges sich in die Brust werfen und

für

die Verteidiger

einer gerechten Sache erklären,

wiegt

verhältnismäßig leicht und ist ein altes, abgebrauchtes und harmloses S p ie l, ungefährlich, denn die Geschichte w ird ihnen nur zu bald die Maske vom Gesicht reißen. Neu aber und unerhört ist die A rt, wie jetzt durch unsere Gegner die internationale öffentliche M einung irregeleitet w ird. Das ist nicht S p ie l noch Pose, sondern ein auf seinen Erfolg m it raffinierter Meisterschaft berechnetes neues Kam pfm ittel.

Und w ir

müssen es gestehen, daß w ir gegenüber diesem ungleichen und unerwarteten F r a n k tir e u r k r ie g um die in t e r n a t io n a le ö ffe n tlic h e M e in u n g bisher den kürzeren gezogen haben. Unterschätzen w ir diese Erfolge nicht! Kriege werden nicht mehr allein m it den Waffen gewonnen.

Es ist ein großes D ing,

die internationale M einung gegen sich zu haben, diese namenlose Macht, die nirgends sichtbar und nirgends zu fassen, aber doch allgegenwärtig ist. S ie kann neue Feinde gebären, geschlossene Bündnisse zerstören und so auf den Ausgang eines Krieges einen bestimmenden Einfluß ausüben. K r ie g u n d S e e b e u te re c h t. Höchst unmoralisch ist ferner auch, was jetzt da draußen auf dem hohen Meere vor sich geht. Ich meine nicht die Wegnahme der sogenannten Kriegskonterbande, soweit dieser B e g riff nicht, wie das seitens Englands zu geschehen scheint, über Gebühr oder über selbst auferlegte Beschränkungen hinaus ausgedehnt w ird. Was ich meine, das ist, daß jetzt tagtäglich „feindliche" Handelsschifse aufgebracht und konfisziert oder zerstört werden.

Solche

Jagd auf das Eigentum von Einzelpersonen, durch die ungezählte M illion en an W ert vernichtet werden, widerspricht völlig den Grundanschauungen vom Wesen und von der Aufgabe des Krieges, wie sie sich in jahrhundertelanger, steter geschichtlicher Entwickelung zum festen Bestände unseres modernen Denkens herausgebildet haben. D e r K r ie g ist e in K a m p f zwischen S t a a t e n , a b e r n ich t gegen u n b e te ilig te E in z e lp e rs o n e n . I m Landkriegsrecht ist das schon längst zur Anerkennung gelangt. Ganz anders im Seekrieg!

D o rt

grundsätzlichen

g ilt noch das Recht des

S eeraubes und hat seine ausdrückliche Regelung durch das Völker­ recht erfahren: E in Geschenk der Königin der Meere an die S taatenw elt, Englands, das von einem solchen Zustande natürlich die meisten Vorteile Halen muß, und das bisher nie dazu gelangt ist, das Völkerrecht als das anzusehen, w as es in Wahrheit ist, ein K r o m p ro m iß e r z e u g n is zu d em Zw ecke, d a s frie d lic h e Z u s a m m e n le b e n zw ischen d e n M itg lie d e r n d e r V ö lk e r­ re c h tsg e m e in s c h a ft zu erm ö g lic h en . F ü r England ist das Völkerrecht nie mehr gewesen als ein M ittel, seinen S o n d er­ interessen zu d ien en ; ein Sklave für eine Herrennation dünkt es ihm, statt ein Herr über S taaten . — Ich spreche ohne Haß und Leidenschaft, von Dingen, die nicht erst gestern, nicht erst unter dem Eindrucke dieses Krieges erkannt oder erfunden worden sind, sondern die die alte, wohlbekannte Klage eines jeden bilden, der sich m it Völkerrecht beschäftigt. England hat bis jetzt stets auf das hartnäckigste der Ab­ schaffung des Beuterechts zur S ee wideistanden und es verhindert, was seit langem von anderen S ta a te n mit den Vereinigten S taaten und Deutschland an der Spitze eifrig erstrebt wurde. Und erst jüngst wieder hat es auf der Zweiten Haager Konferenz von 1907 gegen einen entsprechenden A ntrag gestimmt, in seinem Gefolge diesmal seine S atelliten von heute: Frankreich, Rußland und Ja p an , außer S taaten wie Mexiko, Kolumbia und P anam a. Angebliche Völkerrechtsverletzungen.

I n diesem Zusammenhange lassen S ie mich auf eine Reihe von M aßnahm en eingehen, die für Völkerrechtsbrüche erklärt worden sind, ohne es in W ahrheit zu sein. B ei Behauptungen wie denen, die Deutschen benutzten u n ­ erlaubte Explosivgeschosse, hätten flutende, unverankerte Kontakt­ minen gelegt, oder gar sie trieben eingeborene F rauen und Kinder vor ihren Schlachtreihen her, wollen wir uns dabei nicht erst lange aushalten. S ie sind aus der Luft gegriffen. Die V er­ breiter solcher Beschuldigungen haben noch nicht den leisesten Versuch gemacht, sie auch wirklich zu beweisen, und diese A n ­ schuldigungen erscheinen somit als haltlose Verleumdungen.

D as W erfen von B om ben au s Luftschiffen. Nur kurz brauchen wir wohl auch hervorzuheben, daß keine Völkerrechtsverletzung das von unsern Gegnern übrigens ebenfalls, und zwar vor uns, unternommene Werfen von Bomben aus Luft­ schiffen auf den Feind ist. Es ist kein Grund einzusehen, warum der Luftkrieg in seinen Mitteln beschränkter sein sollte als der Land- und Seekrieg. Insbesondere hat sich Deutschland in dieser Richtung in keiner Weise durch Verträge beschränkt. Der Versuch, die Staatengemeinschaft hier zu Abmachungen zu bringen, ist gescheitert. Die betreffende Erklärung ist von der Mehrzahl der Beteiligten dieses Krieges, darunter von Deutschland, nicht einmal unterzeichnet, geschweige denn ratifiziert worden. Ratifiziert haben es davon nur Belgien und England, unterzeichnet außerdem Österreich-Ungarn; Frankreich, Japan und Rußland befinden sich nicht unter den Signataren. S o g a r L ondon d ü rfte von u n s b o m b a rd iert w erden. Wir sind nur verpflichtet, u n v e rte id ig te Städte nicht anzugreifen oder zu beschießen. So sagen Artikel 25 der Haager Ordnung betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges sowie Artikel 1 des Haager Abkommens betreffend die Beschießung durch Seestreit­ kräfte in Kriegszeiten. Daß die angreifbare Stadt auch befestigt sein müsse, wie oft angenommen wird, befehlen diese Kon­ ventionen nicht. Und daß London unsern Zeppelinen zum Empfange die weiße Fahne entgegenwehen lassen wird, ist kaum wahrscheinlich und paßt schlecht zu den Berichten über die Vor­ bereitungen, die es zur Begrüßung unserer Luftflotte gemacht zu haben scheint. D ie W egnahm e von G eiseln. Ebenso ist selbstverständlich die Wegnahme von Geiseln eine völkerrechtlich durchaus zulässige, durch jahrhundertelange Übung sanktionierte Maßnahme, erlaubt sowohl, um die Beitreibung einer Kontribution als auch um die Wiederherstellung der Ordnung in einem besetzten Lande zu sichern. Diese Maßnahme wird erst zum völkerrechtlichen Unrecht, wenn sie zur Verschleppung von

Nichtkriegsteilnehmern aus vorübergehend besetztem Gebiete (z. B . Elsaß-Lothringen,

Ostpreußen),

in

dem der Feind sich nicht zu

halten vermag, ausartet. R e p re s s a lie n u n d K rie g s v e rb re c h e n . D a m it

kommen

wichtigen Punkt,

w ir

nämlich

ganz

von

auf

selbst auf einen

die Frage,

inwieweit

weiteren in

einem

Kriege die Vornahme von V e r g e ltu n g s m a ß n a h m e n zulässig ist. Hier

setzen

gegen uns ein.

die besonders

lauten V orw ü rfe unserer Gegner

S ie empören sich darüber, daß w ir Städte, aus

denen Einwohner fortgesetzt hinterrücks auf die darin befindlichen deutschen Truppen geschossen oder die bekannten Scheußlichkeiten an Verwundeten begangen hatten, bestraft, insbesondere

Löw en

zum T e il beschädigt haben — übrigens gar nicht so schlimm, wie es nach den ersten Meldungen aussah — ; daß für die Untaten der Franktireurs auch unmittelbar an den vorangegangenen Schänd­ lichkeiten Unbeteiligte haben m it leiden müssen. Ein

berühmter

französischer

Recht ist nach Ita lie n gegangen

Professor und hat

für

internationales

sich besonders bitter

darüber beklagt, daß w ir Unschuldige die Ausschreitungen Einzelner entgelten ließen. W enn es sich bei jenen Überfällen lediglich um

in Belgien nur wirklich

die Ausschreitungen Einzelner gehandelt hätte,

statt

um einen von allen Seiten erfolgenden, trotz ernstester W arnungen sich immerfort wiederholenden

und daher

von

der

ganzen B e­

völkerung zu vertretenden A ngriff, für den es im mer wahrschein­ licher wird,

daß

er

sogar

von

den betreffenden Ortsbehörden

planmäßig organisiert worden is t*)! Jenem ftanzösischen Gelehrten aber möchte ich noch entgegen­ halten, daß, wenn es im Kriege streng nach Schuld und Unschuld ginge, Kriege

nicht

zwischen Soldaten,

sondern

wohl meistens

zwischen D ip lo m a t e n ausgefochten werden müßten.

*) Von der Anwendung des Artikels 50 der Haager Landkriegsordnung kann nach Lage der Sache natürlich keine Rede sein.

Tatsächlich ist die Vornahme von Repressalien im Kriege natürlich durchaus zulässig. Sie sind ebenso berechtigt wie die Bestrafung von Kriegsverbrechen gleich Beraubung von Verwundeten und Gefallenen, Brunnenvergiftung, Spionage, Benutzung falscher Flaggen und dergleichen mehr am Schuldigen selbst. Solche Versuche, uns die völkerrechtliche Vergeltungsbefugnis zu ver­ kürzen, muten jeden, der eine auch nur oberflächliche Bekannt­ schaft mit dem Völkerrecht hat, höchst seltsam an. Die Geschichte des Völkerrechts ist voll von Belegen für eine zum Teil sehr scharfe Anwendung solcher Maßnahmen gerade durch unsere heutigen Gegner. M assenerhebungen. Hierbei möchte ich übrigens besonders vor einem Fehler warnen, nämlich davor, daß der völkerrechtliche Begriff der „Massenerhebung" auf dasjenige Verhalten der belgischen Be­ völkerung angewendet werde, das die deutsche Heeresleitung zur Anordnung der geübten Vergeltungsmaßnahmen veranlaßt hat. Das Völkerrecht räumt allerdings den Teilnehmern an einer „Levee en masse“ unter bestimmten Voraussetzungen die Stellung einer Kriegspartei ein, d. h. es befiehlt, daß sie wie reguläre Soldaten behandelt werden sollen, so daß ihr kriegerischer Wider­ stand weder als Kriegsverbrechen behandelt werden kann noch Repressalien rechtfertigt. Aber dies ist nur unter ganz bestimmten und begrenzten Bedingungen geschehen. Am weitesten geht dabei die Haager Landkriegsordnung von 1899. Diese sagt im Artikel II sich will dies wörtlich wieder­ geben, um diesen Punkt ganz klarzuhalten): „D ie B ev ö lk eru n g ein es nicht besetzten G eb iets, die beim H eran n ah en des F ein d es aus eigenem A n triebe zu den W affen g re ift, um die e in d rin g e n ­ den T ru p p e n zu bekäm pfen, ohne Z e it g ehabt zu h ab en , sich nach A rtikel I " (b. h. m indestens als M iliz -o d e rF re iw illig e n k o rp s)„ z u o rg a n isie re n , w ird als K rie g sp a rte i b etrachtet, sofern sie die Gesetze und Gebräuche des Krieges beobachtet".

Und die Haager Landkriegsordnung von 1907 hat als weiteres Erfordernis hinzugefügt, daß jene Leute „d ie W a ffe n offen fü h ren " müssen. Also: Ein W iderstand gegen den eindringenden, aber noch nicht drinnen befindlichen Feind wird verlangt, ein A n g riff, der zu schnell kam, um eine Organisation zu gestatten, und end­ lich die Anwendung der K rie g sre g e ln sowie offenes Waffenführen. Sicherlich war das Verhalten der belgischen Bevölkerung, das die deutschen Gegenmaßnahmen hervorrief, danach keine Massenerhebung im Sinne des Völkerrechts. Denn jene Bevöl­ kerung hat die Gebräuche und Regeln des Krieges in keiner Weise beobachtet, und außerdem hat sie sich nicht gegen den ein­ dringenden, sondern gegen den bereits aufgenommenen, ver­ pflegten Feind aufgelehnt. Ih r Verhalten ist nichts mehr als die Begehung verdammungswürdiger, organisierter Kriegsverbrechen, wogegen vorzugehen die Pflicht jeder Heeresverwaltung ist und die unsere Gegner — das zeigt ihr Verhalten in allen von ihnen bisher geführten Kriegen (ich könnte zahlreiche Beispiele z. B. aus dem Burenkriege oder dem Russisch-Japanischen Kriege mitteilen) — am allerletzten dulden würden. B eschädigung der K ath ed rale von R eim s. Unter dem Gesichtspunkte der Repressalie rechtfertigt sich übrigens auch die Beschädigung der K ath ed ra le von R eim s, die erfolgt ist, nachdem unter Mißbrauch der weißen Flagge ihr Turm als militärischer Beobachtungspunkt verwendet worden war. Diese Beschießung war übrigens auch abgesehen hiervon und in erster Linie schon deshalb völkerrechtlich durchaus zulässig, weil das Gebot der Schonung derartiger Bauwerke nach anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen in dem Augenblicke erlischt, wo der Feind sie zu militärischen Zwecken benutzt. Die Deutschen als Kunstbarbaren. Es wird jetzt so viel geredet und geschrien, besonders in den neutralen Ländern: Schutz den Kunstwerken, den Bildern und Museen, den Palästen und Kathedralen. Sogar wissen-

schaftliche Jnstttute

neutraler Länder

nehmen

sich die Freiheit,

ohne genügende Kenntnis der Sachlage ihre S tim m e zum Protest gegen eine derartige Barbarei zu erheben. G ew iß: D ie Beschädigung jedes solchen Kunstwerkes wie der Kathedrale von Reim s muß die ganze W elt auf

das

höchste be­

trüben, weil sie uns alle ärmer macht und ein ehrwürdiges, von den Geschlechtern vor uns überkommenes kommen uns

anvertrautes Erbe

und

darstellt,

für

unsere Nach­

ganz gleichgültig,

wo

es steht. W ir Deutschen, die w ir in bezug auf Kunstpflege und Kunst­ erforschung uns m it

jeder Nation der W elt messen können,

sind

über den V o rw u rf mangelnder Achtung vor den Wahrzeichen der Kunst unserer Voreltern erhaben.

Niemand wird über die statt­

gehabten Zerstörungen bekümmerter sein können als w ir, die w ir dadurch nicht weniger verlieren als Frankreich oder Belgien. Aber w ir beugen uns vor der harten, durch unsere Gegner geschaffenen Kriegsnotwendigkeit. W enn auch die Väter und Brüder dieser Schreier, wie unsere braven,

treuherzigen

Soldaten

von

den

von solchen S tä tte n

Geschossen

der

K ultur

hingemäht

würden,

welche

her dirigiert

werden,

ich bin sicher, jene Schreier würden die ersten sein, die

vor Begierde danach zitterten, den ersten Schuß auf diese K ult­ stätte

abzugeben,

jenes Geschrei,

mag

sie noch so alt und ehrwürdig sein, und

das widerwärtig in unsern Ohren

klingt,

würde

bald genug verstummen. D i e Besetzung L u x e m b u rg s u n d B e lg ie n s . D ie

wichtigste Frage

aber

uns am meisten am Herzen alle gepeinigt hat, E in m arsch

der

das ist die: deutschen

in

diesem Zusammenhange,

die

liegt und deren Beantwortung uns H a t D e u ts c h la n d

T ru p p e n

in

durch

den

L u x e m b u rg

und

B e lg ie n das V ö lk e rre c h t v e rle tz t o d er nicht?

Unser Reichs­

kanzler hat diese Frage bejaht und das deutsche Vorgehen für ein Unrecht erklärt. So

mannhaft

diese offene Erklärung

ist und

so stolz w ir

darauf sein können, daß der oberste Beamte des Deutschen Reiches

es verschmäht hat, anders zu reden als er dachte und in der heiligen Stunde, in der er Deutschlands Haltung vor der ganzen Welt rechtfertigte, seinen Mund mit einer Lüge zu beflecken, so müssen wir ihm doch mit derselben sachlichen Offenheit wider­ sprechen. Gewiß: Wir haben das Gebot des Völkerrechts, fremde Gebietshoheit nicht zu verletzen und gegebene Versprechungen zu halten, unbeachtet gelassen. Aber ein völkerrechtliches Unrecht haben wir damit trotzdem nicht begangen. Denn wir waren nach Lage der Sache, mit dem zum Einmarsch nach Belgien bereiten Frankreich vor uns, von Feinden nahezu eingekreist, die alle begierig sind, uns den Lebens­ faden abzuschneiden, rechtlich dazu gar nicht verpflichtet, diese all­ gemeinen Gebote zu achten. Kein Gebot der Welt könnte einer Nation solche selbst­ mörderischen Schranken auferlegen, uns die Zähne an dem riesigen französischen Panzergürtel an unserer Grenze auszubeißen und unterdessen unseren Gegnern die Gelegenheit zu lassen, in aller Gemächlichkeit ihren Feldzugsplan nach dem unseren durch unsere Durchbruchsversuche notwendigerweise enthüllten, einzurichten, statt eine schnelle P a ra d e gegen die einzige schwächere S te lle zu schlagen. Dies um so mehr, als wir von vornherein auf die Be­ teiligung des Dritten int Dreiverbände rechnen mußten, Englands, das uns die Zusicherung seiner Neutralität auch für den Fall der Achtung belgischer Neutralität verweigert hatte, das als ständige K rieg sd ro h u n g alle unsere Maßnahmen beengt haben und im günstigen Moment — niemand zweifelt daran — doch eingegriffen haben würde. So haben wir zur Verteidigung gegen den Überfall unserer Feinde nach Englands und Frankreichs Achillesferse gestoßen. Und der Stoß hat gesessen — dem Himmel sei Dank dafür. Eine Maßnahme der Selbsterhaltung war dies Vorgehen. An der Befugnis zur Selbsterhaltung enden die allgemeinen Gebote des Rechts. Das ist ein allgemeiner Grundsatz, der für alle seine Zweige gilt, für das Privat- wie für das öffentliche, für das nationale wie für das internationale Recht.

Niemand muß in

den Brotbeutel

verhungern, am Wege

wenn er sich durch einen G riff

retten

kann — D avid

nahm —

Professor Harnack hat in der schönen A n tw o rt an englische Geist­ liche darauf hingewiesen — in höchster N o t die Schaubrote vom Tische des Herrn und w ar dabei ganz im Recht; niemand muß dulden, daß der Funken

vom brennenden Nachbarhause

seine

Feime anstecke. E r kann den brennenden Nachbarbesitz nieder­ reißen; und liegt ihm dabei das Feld eines D ritte n dazwischen, muß er dazu die Ernte eines anderen zerstampfen, so kann er es tim , ohne sich dadurch einer Rechtswidrigkeit schuldig zu machen. Lassen S ie mich noch ein weiteres Beispiel, das zwar un­ gewöhnlich, bringen: weiß, In

aber

Ich

der

ungewöhnlichen

befinde mich meinem

S itu a tio n

angepaßt

ist,

Todfeinde gegenüber und

daß er sich im nächsten Augenblicke auf mich stürzen wird.

der Nähe liegt eine fremde Waffe.

Werde ich mich besinnen,

sie zu meiner Verteidigung zu benutzen, unbekümmert darum, ob ih r Eigentümer m ir das tausendmal verbietet? N ie und nim m er werde ich mich besinnen, und insbesondere dann nicht, wenn mein Gegner Anstalten dazu macht, seinerseits diese Waffe gegen mich aufzunehmen; und wenn er gar von ihrem Eigen­ tümer darin gestärkt oder unterstützt wird, wer w ird mich dann tadeln, wenn ich auch gleich m it ihm Abrechnung halte und auch gegen ihn vorgehe? S o ist es im nationalen Recht, und so ist es im Völkerrecht. D ie

Befugnis,

seine allgemeinen Gebote

zu übertreten,

wenn

dies zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr fü r einen S ta a t notwendig erscheint, gehört zu seinen gesichertsten Beständen.

F a ll der dänischen Flotte. Gerade England gegenüber ist diese in der Wissenschaft a ll­ gemein anerkannte Wahrheit am leichtesten zu verteidigen.

Denn

England hat den berühmtesten Anwendungsfall fü r das Selbst­ erhaltungsrecht geliefert. Das war nach dem Frieden von Tilsit. D am als verlangte

es, m it Frankreich im Kriege befindlich,

von

dem friedlichen Dänemark die Auslieferung der dänischen Flotte

„zur Aufbewahrung". E s tat dies, weil es fürchtete, Frankreich werde anderenfalls diese F lotte nehmen und gegen England ver­ wenden. Dänemark weigerte sich — gerade wie heute Belgien uns gegenüber — , diesem Verlangen nachzukommen, worauf England Kopenhagen beschoß und die dänische F lotte gewaltsam fortnahm. D er englischen und amerikanischen Diplom atie haben wir auch die klassische Form ulierung der Voraussetzungen dafür zu danken, wann derartige Selbsterhaltungsm aßnahm en zulässig sind. Caroline-Fall. D as hierfür maßgebende Ereignis fällt in das Ja h r 1837. W ährend eines Aufstandes in Kanada gegen England nämlich hatte eine G ruppe von Insurgenten die im Niagarafluß gelegene N avy­ insel besetzt und sie zur Operationsbasis gegen England gemacht. Die Aufständigen verwendeten dabei das Dam pfboot „Caroline". Als dieses am 29. Dezember 1837 auf amerikanischer S eite ankerte, und zwar im Hafen von Schlosser (S ta a t von Neuyork), wurde es von einem englischen Detachement dort angegriffen, genommen, angesteckt und brennend die Niagarafälle heruntergesandt. England beging also eine Verletzung amerikanischer Gebietshoheit. I n den diplomatischen Erörtem ngen, die sich an diesen F all anschlossen, erklärte nun der amerikanische Staatssekretär Webster der englischen Regierung gegenüber wörtlich folgendes: „ E s w ird d ie s e r R e g ie ru n g o b lie g e n , e in e N o t­ w e n d ig k e it z u r S e lb s tv e r te id ig u n g zu z e ig e n , d ie g e g e n w ä r tig u n d ü b e r w ä ltig e n d w a r, keine W a h l d e r M itte l u n d k e in e n A ugenblick z u r Ü b e rle g u n g lie ß ." Und der V ertreter der englischen Regierung, Lord Ashburton, nahm in seinem Antwortschreiben diese W endung Websters au s­ drücklich an, sie wörtlich wiederholend. S ie kann seitdem als eine A rt authentischer Bestimmung des Begriffes des Selbsterhaltungsrechts gelten. Klingt es nicht, als ob diese vor beinahe 100 Ja h ren geschriebene Definition geradezu auf den gegenwärtigen F all gemünzt w äre?

Was war es denn anderes, das uns zu unserem T u n zwang, als

eine Notwendigkeit

zur Selbstverteidigung, die gegenwärtig

und überwältigend war, keine W ahl der M itte l und keinen Augen­ blick zur Überlegung ließ?! Das Kom plott unserer Gegner.*) Und

hinzu tritt,

daß sich die Anzeichen dafür imm er mehr

und mehr zur festen Beweiskette fügen, daß zwischen Frankreich, England und Belgien ein völliges Einverständnis über ein gemein­ sames Vorgehen gegen Deutschland bestand. D ie im Brüsseler Archiv von uns vorgefundenen Urkunden, die in diesem Augenblicke von unserer Regierung bekanntgemacht werden,

tun es insbesondere dar,

daß schon im Jahre 1906 die

Entsendung eines englischen Hilfskorps nach Belgien fü r den F a ll eines deutsch-französischen Krieges in Aussicht genommen und sorgfältig ausgearbeitet worden war. F ü r die Tatsache, daß Frankreich im B e griff stand, in Belgien einzurücken — trotz der feierlichen Verneinung dieser Absicht — , haben w ir noch außer den bereits bekannten Anzeichen weitere, und zwar unumstößliche, Beweise zu erwarten. S ie befinden sich bereits in den Händen unserer Regierung. Und endlich w ird es auch im m er gewisser, daß sich französische Truppen — ja vielleicht sogar auch englische — zur Z eit des Kriegsausbruches schon in Belgien befanden. Is t dem aber so, so fä llt die Anklage unserer Gegner gegen uns ganz von selbst in sich zusammen. W ir waren natürlich nicht gebunden, eine bereits von unseren Gegnern verletzte N eutralität unsererseits zu achten und um das Gebiet eines Staates herum­ zugehen,

der

gegen uns im Kom plott war und bereits listigen

Überfall auf unser Gebiet sowie Hilfeleistung dazu zugesagt und geplant hatte. Und wäre nicht jenes M o rt des Reichskanzlers von Deutsch­ lands Unrecht an Belgien gefallen, ein W ort, das er nach den *) M an

lese hier

besonders die

Reichstagsabgeordnete E r z b e r g e r unter der Überschrift: „ B e lg ie n N e u t r a l i t ä t " gemacht hat.

im

überzeugenden Ausführungen, die der Roten T ag

v e rle tz te

vom

21.

w is s e n tlic h

Oktober seine

1914

e ig e n e

unterdessen ans Licht gekommenen Tatsachen gewiß nicht gesprochen haben würde, so brauchten w ir uns bei der Verteidigung des deutschen Tuns nicht erst aufzuhalten. W ir könnten uns vielmehr auf den A n g riff beschränken, darauf, m it W affen und W orten Rechenschaft von unseren Gegnern fü r ihr frevelhaftes T un zu fordern. S e i dem aber wie ihm sei. Selbsterhaltungsbefugnis zweifelhaft sein:

aus

Schon vom Gesichtspunkte der

kann

D e u ts c h la n d

es

nicht

einen

Augenblick

steht m it diesem E in m a rs c h

in B e lg ie n u n d L u x e m b u r g v o r dem F o r u m des V ö lk e r ­ rechts ohne S c h u ld da.

Die Bölkerrechtsbrüche. D e r K r ie g s b e g in n . So

viel von den angeblichen Völkerrechtsverletzungen.

Und

nun die Kehrseite, die tatsächlich vorgekommenen Brüche! A n ih r e r S p itz e steht die S t ö r u n g des W e ltfr ie d e n s durch unse re u n d Ö ste rre ic h s G e g n e r. Es w ird die Ansicht vertreten, der Kriegsbeginn könne nie ein völkerrechtliches

Verbrechen

eigenes Selbst einsetzen

darstellen.

wolle,

ein S ta a t

sein

so könne er jederzeit Krieg

Wenn

an­

fangen. V o r dem Kriege habe die Frage nach Schuld und Un­ schuld haltzumachen. Ich bin grundanderer M einung: M ü ß te n w i r n ich t den S t a a t m o ra lis c h e s U n g e h e u e r a nse he n, V e rk ö rp e ru n g

in

d er T a t

fü r

e in

w e n n e r, d e r u n s die

des R e ch tsg e d a n ke n s

ist, dem

a ls

seine

vo rn e h m ste A u fg a b e d ie B e w a h r u n g u n d B e w ä h ru n g des R ech ts a n v e r tr a u t ist, selbst je n s e its v o n G u t u n d B öse stü nd e, w e n n e r, d e r den M o r d s tr a ft, selbst S t r ö m e B l u t s in s B lu tm e e r w e rd e n zu kö nn en ?

le it e n

d a r f,

o hne

selbst sch uldig

Und schlimm wäre es um das Gewissen eines Volkes bestellt, das lässig in der Beantw ortung der Frage nach Schuld und U n ­ schuld an solch fürchterlichem

Geschehen wäre.

D ie

Reaktion

des Volksgewissens gegenüber Recht und Unrecht ist der feinste Gradmesser fü r den sittlichen Stand eines Volkes.

W ie o ft haben

w ir den moralischen V erfall der französischen Nation an ihren willkürlichen Geschworenensprüchen gezeigt! Und kurz vor dem Verbrechen an uns haben sie ihn m it denkbar schärfster Deutlichkeit durch jenen Freispruch einer schönen, einflußreichen M örderin, d e m F a l l d e r M a d a m e C a illa u x , wieder einm al bewiesen. Keinen Augenblick sollten w ir — meine ich — ruhen, die Schuldfrage an diesem Kriege zu stellen, bis w ir uns selbst ganz klar geworden sind. Und unaufhörlich sollten w ir dann die W ahrheit in alle W e lt Hinausrufen, bis w ir die internationale öffentliche M einung zu ih r bezwungen haben, die nackte Wahrheit und die fürchterliche Anklage, daß w ir g r u n d lo s ü b e r fa lle n

w o rd e n

s in d , d ie w i r nich ts suchten a ls den W o h ls ta n d in f r i e d ­ lic h e r

A r b e it,

bei

e h rlic h e m W e tts tr e it.

U nd

daß

e in

F ü rs te n m o rd das Zeichen zu denr g ro ß e n K e s s e ltre ib e n gegen u n s gegeben h a t, e in F ü r s te n m o r d , an denr a lle u n se re G e g n e r m its c h u ld ig g e w o rd e n s in d , d ie dem R ächer in den e rh o b e n e n A rm fie le n . S o ist es doch in der T a t: Das

Völkerrecht kennt nur

vier

berechtigte

Kriegsgründe,

nämlich einmal die S t r a f e f ü r e in b e g a n g e n e s V ö lk e rre c h ts V erbrechen. Er rechtfertigt Österreichs Vorgehen gegen Serbien. Ob die serbische Regierung an denr M orde von Scrajewo direkt beteiligt

war,

das

wissen w ir

nocht nicht. — Durch das

von

Österreich den Mächten überreichte M em orandum vom 23. J u li 1914 über Serbiens Schuld sowie den gegenwärtig schwebenden Prozeß gegen die Verschwörer ist jedoch so viel einwandfrei festgestellt, daß dieses Verbrechen auf dem Sumpfboden einer unter den Augen der serbischen Regierung betriebenen und von hohen ser­ bischen Staatsbeanrten geleiteten maßlosen serbischen Propaganda gegen die Habsburgische Doppelmonarchie geboren wurde. Ich kann es m ir nicht versagen, zur Kennzeichnung der völligen Zügellosigkeit dieses Treibens hier ein Gedicht im W o rt­ laut aus dem österreichisch-ungarischen M em orandum wiederzugeben, das in der serbischen Zeitung „P o litik a " am 18. August 1910 zum 80. Geburtstage des Kaisers Franz Josef erschienen ist. Die betreffende

Nummer

brachte

ein

großes

B ild

eines

gewissen

B ogdan Zerajic, eines jungen fanatischen serbischen S tu d en ten , der am 2. J u n i 1910 ein A ttentat gegen den Landesschef von B o snien und der H erzegow ina versucht hatte. D as A tten tat m iß­ glückte und der T äter schoß sich die letzte K ugel seines R evolvers durch den Kopf. D ie betreffende N um m er b rr „P olitika" verherrlicht nun den A tten täter m it den emphatischsten Ausdrücken, nennt ihn den tapferen und selbstbewußten Z erajic, der als edler Sprosse eines Volkes diese T a t begangen habe, das auf solch blutige Weise gegen die Frem denherrschaft protestieren wollte. D er Artikel versichert, daß Z erajics N am e im Volke w ie etw as H eiliges ge­ n an n t werden werde, und schließt m it dem folgenden — übrigens recht schlechten — G edicht: B osnien lebt, noch ist es nicht tot, Umsonst habt ihr seinen Leib begraben; Noch sprüht es Feuer, das gefesselte Opfer, Noch ist's nicht Zeit, das Grablied zu singen. M it S a ta n sh a n d scharrtet auf ihr die Grube, Aber der'lebende Tote will nicht in die Gruft; K a ise r , hörest du? I m B litzen d e s R e v o l v e r s S a u s e n d ie b l e i e r n e n K u g e l n g e g e n d e i n e n T h r o n ! D a s sind nicht Sklaven, das ist herrliche Freiheit, D ie aus der kühnen Hand des Unterjochten leuchtet! W a s zittert so dieses schreckliche G olgatha? Pe tr u s zog das Schwert, Christus zu schirmen, S e in e Hand sank, aber aus dem B lu te Werden tausende tapfere Hände sich erheben; D i e s e r S c h u ß w a r n u r d e r erste B o t e D e r g l o r r e i c h e n O s t e r n nach G o l g a t h a s P e i n e n .

Ich kann m ir eine wüstere Entgleisung ungezügelten nationalen F a n a tism u s nicht denken. Und trotzdem w urde dieses Machwerk nicht konfisziert! W enn m an hinzunim m t, daß S erbien bam it einem im Ja h re 1909 feierlich gegebenen Versprechen zur künftigen H inderung derartiger P ro p ag an d a zuw ider gehandelt h at, so scheint sein V er­ brechen so schwer, daß die von der österreichischen R egierung m it der befristeten N ote vom 23. J u li 1914 darauf gegebene A ntw ort zwar scharf, aber durchaus angemessen und m äßig w ar. Österreich w äre völkerrechtlich durchaus dazu berechtigt gewesen, sogleich viel

weiter zu gehen. ziehen,

m it

Es hätte Serbien unmittelbar m it Krieg über­

harter Faust

zum Gehorsam zwingen, ja von

der

Landkarte verschwinden lassen können, eine Absicht, die Österreich übrigens fortgesetzt verneint hat. D er

zweite Rechtsertigungsgrund

S e lb s te r h a ltu n g s b e fu g n is ;

fü r

einen Krieg

dieser Grund

nimm t,

ist die

wie

schon

ausgeführt, die Schuld von unserem Vorgehen gegen Belgien und Luxemburg. . D er dritte Grund ist die Z u rü c k w e is u n g von A n g r i f f e n , die in berechtigter Selbsterhaltung vorgenommen werden. G m nd

Dieser

macht Belgiens unklugen Widerstand gegen unseren E in ­

marsch zu einer völkerrechtlich unangreifbaren Maßnahme. Und

endlich

kennt

das Völkerrecht

Kriegsgrund die H ilfe le is tu n g

bei

als vierten berechtigten

e in e m

gerech ten K rie g e .

Hierin liegt die Rechtfertigung von Deutschlands Stellungnahme für Österreich in der serbischen Angelegenheit. Dieser gegenüber

Grund

würde

auch Englands Kriegserklärung

völkerrechtlich decken,

wirklich ernst darum gewesen dies der wahre und

wäre, Belgien

zu helfen.

W enn

einzige Grund für das englische Vorgehen

gegen uns gewesen wäre. nicht so ist.

uns

wenn es der englischen N ation

W ir wissen es aber

alle,

daß dem

M it Recht hat der Reichskanzler die Frage gestellt,

ob England sich heute wohl auf unserer S eite

befinden würde,

falls Frankreich in Belgien einmarschiert wäre.

D e r zusammen

m it B urns und Lord M o rley wegen des Krieges aus dem englischen Kabinett einem Und

ausgeschiedene

B rie f

an

Unterstaatssekretär T r e v e ly a n

seine

W ähler

unser Staatssekretär

von

diese

Jagow

einmal,

„daß S i r E d w a r d G r e y

lischen

U n te rh a u s

in

vo m 3. A ugust

d em

franzö sisch en

B o ts c h a fte r

des

v o rh e rg e h e n d e n

vo llste U n te rs tü tz u n g

Tages,

Frage hat

offen

hat

in

verneint.

darauf hingewiesen

s e in e r R e d e

im

eng­

e r k lä r t

er

h ab e

b e r e its also

h a t,

am

am

N a c h m itta g e

2. A u g u s t,

d e r englischen F l o t t e

d ie

f ü r d en F a l l

zu g esich ert, daß d ie deutsche F lo t t e g e g e n d ie französische Küste d er

o d e r d ie

N ach t

französische S c h if f a h r t v o rg e h e .

v o m 3. a u f

den 4. A u g u s t

aber

Erst in

e r f o lg t e

d ie

V erletzung der belgischen N e u tr a litä t durch deutsche T ru p p e n ." Und zum anderen darauf: „daß S i r E dw ard G rey in seiner U n terred u n g m it dem F ürsten Lichnowsky vom 1. August es ausdrücklich a b g e le h n t h a t, Deutschland die N e u tr a litä t E n g lan d s für den F a ll zuzusichern, daß D eutschland die N e u tra litä t B e lg ie n s respektiere". Ein glücklicher Zufall hat mir das Blaubuch in Hände die geführt, mit dem die englische Regierung ihre Haltung in der „europäischen Krisis" zu rechtfertigen versucht. Wenn man die in dieser sehr geschickten Zusammenstellung abgedruckten 159 Schriftstücke durchmustert, so tritt einem mit zwingender Anschaulichkeit der folgende Gesamteindruck entgegen: Die englische Diplomatie dreht und wendet sich während der diplomatischen Verhandlungen in unbehaglicher Zwiespältigkeit, weil bei einem Kriege zu dem Zwecke, Österreichs Vorgehen gegen das fürstenmörderische Serbien zu hemmen, die englische öffentliche Meinung.nicht mitgemacht haben würde. Englands Botschafter in Petersburg, S ir Buchanan, hat dies in einer Note vom 24. Juli 1914 an S ir Edward Grey auch ganz unverblümt ausgesprochen. Er berichtet da von einer Be­ sprechung, die er mit dem russischen Minister des Äußeren und dem französischen Botschafter in der französischen Botschaft zu Petersburg — ein bezeichnender Ort zu solcher Zeit — geführt habe. Dabei habe er erklärt: „D ie britischen In te re s s e n in S e rb ie n seien gleich N u ll, und ein Krieg im In te r e s s e dieses L andes w ürde n ie m a ls von der britischen öffentlichen M einung sa n k tio n ie rt w erden." Daß S ir Edward Grey gegen diese Erklärung etwas ein­ zuwenden gehabt hätte, davon enthält das Blaubuch nichts. Da kommt die Frage der belgischen Neutralität auf. Und nun fühlt man aus den Blättern dieser Sammlung förmlich, wie ein Aufatmen der Erleichterung durch die englische Diplomatie geht. Plötzlich kommt Entschlossenheit in sie. Der zureichende Kriegswahlspruch ist gefunden: Schützer der schwachen Staaten! England Helfer der Schwachen, das unersättliche Albion,

das ganze Länder aufgefressen hat, dessen Kolonialgeschichte die Geschichte der Vergewaltigung und der Vergewaltigungsversuche schwacher Staaten ist, das die Welt die Schande des O p iu m krieg es gegen China hat erleben lassen, das von der Türkei Z y p e rn erschlichen hat, das die B u re n re p u b lik geschluckt hat, das eben dabei ist, A fghanistan seinem Besitze zuzuschlagen und sich mit Rußland in P e rsie n zu teilen, das gerade Ä g y p ten ver­ gewaltigt, C h in a an Japan ausliefert, trotz der feierlich unter der Ägide der Vereinigten Staaten proklamierten Politik der offenen Tür in Ostasien, und das V en ezu ela stark beschnitten haben würde, wenn nicht die mächtige Faust jenes Staates dazwischen­ gefahren wäre, dem allein gegenüber die englische Diplomatie bisher fortwährende Schlappen erlebt hat, die Vereinigten Staaten. Aber trotzdem: England der Schützer der schwachen Staaten! Von Frankreich und von Deutschland werden Erklärungen über ihre Absichten in bezug auf Belgien gefordert. Frankreich, das längst zum Einmarsch in Belgien entschlossen ist, versichert, dessen Neutralität achten zu wollen. Deutschland weigert sich, eine solche Erklärung abzugeben. Der Einfall beginnt, und der erwünschte Vorwand ist da. Der Krieg gegen Deutschland kann anfangen, ein Krieg, der gefochten wird für politische Zwecke und nur diese, aus Neid über die natürliche Weiterentwickelung des tüchttgeren Nachbarn, zur Verwirklichung lang ersehnter Bergeltungspläne nach gerecht verlorenem Kriege und beschworenem Friedensschlüsse und um phantastische, imperialistische Träume zweier nur unvollkommen zivilisierter Nationen. Wir wissen es alle und können es als unsere heilige Über­ zeugung aussprechen: D a s V erbrechen, diesen W eltkrieg entfesselt zu haben, fä llt auf unsere G egner, die dam it schwerste und u n tilg b a re völkerrechtliche Schuld auf sich geladen haben. K leinere V ölkerrechtsbrüche. Hieran reiht sich die Kette der minder schweren Völkerrechts­ verletzungen, die wir ja alle kennen:

Die Mißachtungen des Roten Kreuzes. Das Morden und Brennen ohne zwingende Notwendigkeit. Die schändliche Benutzung der Dumdum-Geschosse, bezüglich deren jetzt nicht nur die planmäßige Herstellung, sondern auch die Benutzung durch unsere Gegner einwandfrei fest­ gestellt ist. Die Verletzung des Diplomatenrechts, insbesondere in Marokko, Ägypten und S t. Petersburg, wobei vor allem ein Beamter der deutschen Botschaft getötet wurde, eine Tat, der gegenüber die geringfügigen Ausschreitungen in Berlin vor der englischen Botschaft, auch wenn sie nicht heraus­ gefordert worden sind, zu bedauerlichen Kleinigkeiten herab­ sinken. Die Nichtachtung des Friedens neutraler Küstengewässer durch den Angriff auf den Hilfskreuzer Kaiser Wichelm den Großen bei Rio del Oro seitens des englischen Kreuzers Highflyer. Die Verletzung der Neutralitätsrechte der Schiffe nicht krieg­ führender Staaten durch die summarische Gefangennahme auch solcher Untertanen einer feindlichen Macht auf ihnen, die nicht zum feindlichen Heere gehören. Merdings bieten sich hier einige ungelöste völkerrechtliche Zweifelsfragen dar, die ich heute nicht behandeln kann. Die Verletzung des Konstantinopeler Vertrages vom 29. Oktober 1888 seitens Englands durch Vornahme feindlicher Handlungen gegen deutsche Schiffe im Bereiche des Suezkanals. Und endlich die Nichtachtung der türkischen Oberhoheitsrechte über Ägypten sowie der Ägypten verbliebenen völkerrecht­ lichen Rechte durch England. Ich bilde mir natürlich nicht ein, daß diese Zusammenstellung vollständig ist. Manches mag noch unbekannt sein, mancher Fall sich noch ereignen, einige habe ich übergangen, und mancher mag sich noch beftiedigend aufklären. Hoffentlich! Zwar sind wir es sowohl dem Völkerrechte wie den armen Opfern seiner Übertretungen schuldig, jedem Bruche nachzuspüren und Sühne dafür zu suchen oder zu geben. Aber

auf der anderen S eite sollten w ir auch über jeden F a ll, der sich befriedigend

aufklärt,

besondere jede tieft ja

ftoh

sein.

Jeder

Bölkerrechtsbruch,

ins­

in diesem Kriege vorkommende Grausamkeit ver­

den Abgrund,

der uns von dem vorgegaukelten K ultur­

ideal unserer Z e it trennt,

bringt mehr B itternis

in diese Hiobs­

tage, und macht den Schritt zum friedlichen Zusammenleben m it unseren Feinden von heute, der einmal getan werden muß, schwerer. Sicher aber bin ich, daß m it dieser Aufzählung die ernstesten Verletzungen sämtlich hervorgehoben sind.

Das Fortbestehen des Völkerrechts. D a m it

kehre

ich zu unserem

Ausgangspunkte

zurück

und

nähere mich dem Schlüsse meiner Ausführungen: S in d

sie wirklich in ihrer Gesamtheit schwer und zahlreich

genug, um ein fertigen,

so ernstes U rteil über das Völkerrecht zu recht­

wie dieses:

Es ist durch den gegenwärtigen Krieg

zer­

brochen? Übersehen

w ir

dabei

eins

nicht,

daß jenen Mißachtungen

auch in diesem Kriege eine so große Reihe von F ä lle n der B e ­ f o lg u n g

der

völkerrechtlichen Gebote gegenüberstehen, daß

die

Mißachtungen durchaus als Ausnahmen erscheinen. D ie Taten

einer Anzahl Lum pen,

die Verwundete quälen

oder berauben oder Dumdumgeschosse verwenden, jede Verletzung der Neutralitätsrechte und dgl., kurz, jeder Einzelfall eines Bölkerrechtsbruches geht durch alle Zeitungen. D aß aber Hunderttausende, ja M illio n en fortgesetzt die Genfer Konvention achten, sich einer anständigen Kriegführung befleißigen, daß die Staaten, dabei insbesondere die neutralen, bei ihren M a ß ­ nahmen in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle auf die Gebote des Kriegsrechts Rücksicht nehmen, davon wird nicht gesprochen, w eil es selbstverständliche Pflicht ist.

D as sollte bei der Beurteilung

des Völkerrechts nicht vergessen werden. Und übersehen w ir es ferner nicht, daß es nun einmal das Geschick des R e c h ts ist —

beinahe könnte man sagen, daß es

zu seinem Wesen gehört — m iß ach tet zu w e rd en . Ein Rechts­ befehl, der stets befolgt würde, würde als solcher verschwinden, denn er würde aus einem Befehle zu einer Selbstverständlichkeit werden. Auch das Recht des täglichen Lebens wird beständig über­ treten. Unaufhörlich wird geraubt, betrogen, gestohlen, gemordet. Und doch fällt es niemandem ein, das Bestehen der Landesrechte daraufhin zu verneinen. W arum also das Nichtbestehen deVölkerrechts aus seinen Verletzungen ableiten? Nein, wir haben bisher keinen Grund und kein Recht, das Fortbestehen des Völkerrechts im gegenwärtigen Augenblicke an­ zuzweifeln. Eine Feuerprobe ist diese Zeit, ein gewaltiger, erhabener Reinigungsprozeß: Was faul und morsch ist, wird verschwinden und ist zum Teil schon gefallen. W as dagegen gut, stark und lebenskräftig ist, wird geläutert und erprobt übrigbleiben. S o ist es m it allen Dingen unseres Gemeinschaftslebens, und so ist es auch mit dem Völkerrecht. Der Krieg ein Erzieher! W ir haben vor 14 Tagen darüber treffende Ausführungen von diesem P ulte aus gehört. Ein Erzieher von uns zum Völkerrecht! Er lehrt uns mit mächtiger, eindringlicher Sprache, daß wir ohne ein festes, strenges, gebieterisches Völkerrecht nicht auskommen können. Und ein Erzieher des Völkerrechts. Er wird ihm den Weg von verstaubten Theorien zu den Geboten des Lebens weisen. I n den Wirren des Dreißigjährigen Krieges entstand das Völkerrecht, dessen Ende war sein Anfang. Es war ein schwacher, problematischer und unbewährter Sprößling am Baume der Wissenschaft. Ein neues Völkerrecht steht vor der Tür, unangekränkelt von des Gedankens Blässe, befreit von der Sklaverei irgendeiner Einzel­ nation und erfüllt vom Geiste der Gerechtigkeit und der Stärke. Dieser Weltkrieg wird es g e b ä re n , der Sieg deutsch­ österreichischer Waffen wird es heraufführen. -

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