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German Pages 24 [52] Year 1992
Andreas Heldrich Das Interlokale Privatrecht Deutschlands nach dem Einigungsvertrag - Zivilrechtliche Vorfragen der Rückübertragungsansprüche nach dem Vermögensgesetz -
Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berhn Heft 127
w DE
G
1992
Walter de Gruyter • Berlin • New York
Das Interlokale Privatrecht Deutschlands nach dem Einigungsvertrag Zivilrechtliche Vorfragen der Rückübertragungsansprüche nach dem Vermögensgesetz Von Andreas Heldrich
Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 13. Mai 1992
w DE
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1992
Walter de Gruyter • Berlin • New York
Universitätsprofessor D r . Andreas
Heldrich,
Institut für Internationales Recht der Universität München - Rechtsvergleichung -
@ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme
Heldrich, Andreas: Das Interlokale Privatrecht Deutschlands nach dem Einigungsvertrag - Zivilrechtliche Vorfragen der Rückübertragungsansprüche nach dem Vermögensgesetz : Vonrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 13. Mai 1992 / von Andreas Heldrich. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1992 (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin ; H. 127) ISBN3-11-013804-2 N E : Juristische Gesellschaft (Berlin): Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e. V. Berlin
© Copyright 1992 by Walter de Gruyter & C o . , D - 1 0 0 0 Berlin 30 Dieses W e r k einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in G e m i a n y Satz und Druck: Saladruck, Berlin 36 Buchbinderische Verarbeitung; Dieter Mikolai, Berlin 10
1. Wiederherstellung der Rechtseinheit durch den Einigungsvertrag Die deutsche Vereinigung hat auch das Zivilrecht vor neue Aufgaben gestellt. Wer vor dem 9. November 1989 sein Hausgrundstück in der D D R für einen Spottpreis veräußert hat oder gar veräußern mußte, wird heute auf Mittel und Wege sinnen, sein Eigentum zurückzuerlangen. Wer seinerzeit leichten Herzens eine Erbschaft ausgeschlagen hat, in der sich vermeintlich wertloser Grundbesitz in Dresden oder Leipzig befand, wird nunmehr allen juristischen Scharfsinn aufbieten, um die Ausschlagungserklärung aus der Welt zu schaffen. Fälle dieser Art scheinen mittlerweile die deutschen Gerichte immer häufiger zu beschäftigen. Sie sind Teil einer Vergangenheitsbewältigung mit den Mitteln des Rechtsstaats, die auch dem Privatrecht heute abverlangt wird. Der Richter sieht sich dabei vor ein Dilemma gestellt: Seiner Entscheidung die tatsächlichen Rahmenbedingungen der Handlung im damaligen Zeitpunkt zugrunde zu legen, erscheint ebenso ungerecht, wie aus der Sicht einer Gegenwart zu urteilen, die seinerzeit niemand vorhersehen konnte. Die Teilung Deutschlands mit all ihren Begleiterscheinungen läßt sich eben nicht ungeschehen machen, auch wenn diese Einsicht heute manchmal in Vergessenheit zu geraten scheint. Nicht einfach auslöschen läßt sich deshalb selbstverständlich auch die Rechtsordnung der ehemaligen DDR. Der Einigungsvertrag sieht ihre Fortgeltung in vielerlei Zusammenhang vor. Sie wird uns in der gerichtlichen Praxis noch geraume Zeit beschäftigen. Inzwischen liegen bereits die ersten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu Vorschriften des Familiengesetzbuchs der D D R vor.' Allerdings sind im Gebiet der früheren D D R am 3.10.1990 gemäß Art. 8 des Einigungsvertrags mit dem übrigen Bundesrecht auch das BGB und dessen Einführungsgesetz in Kraft getreten. N u r ganz wenige Materien werden in Art. 230 Abs. 1 EGBGB n. F. von der Einführung des BGB in den neuen Ländern ausdrücklich ausgenommen.^ Hierher gehören Vorschriften über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen sowie über die Amtspflegschaft für nicht' BGH 11.12.1991 FamR2 1992, 537 = DtZ 1992, 149; BGH 15.1.1992 FamRZ 1992, 414; BGH 15.1.1992 FamRZ 1992, 421; BGH 22.1.1992 DtZ 1992, 149; BGH 29.1.1992 FamRZ 1992, 531. ^ Hinzu kommen einige weitere vom Inkrafttreten des Bundesrechts ausgenommene Bestimmungen (Vertragshilfegesetz, Regelunterhaltsverordnung), ferner die ausdrücklich aufrechterhaltenen Regelungen des Rechts der DDR (Staatshaftungsgesetz, Grundstücksverkehrsordnung, Verordnung über die Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche) und das im Zusammenhang mit dem Einigungsver-
eheliche Kinder. Insoweit gih also im sogenannten Beitrittsgebiet weiterhin ein besonderer Rechtszustand. Im Rahmen des gesamten Zivilrechts spielen diese Abweichungen jedoch nur eine ganz bescheidene Rolle. Sie machen zwar eine kollisionsrechtliche Vorprüfung erforderlich, ob im Einzelfall das BGB mit oder ohne diese Bestimmungen Anwendung findet. Die Antwort wird sich aber im allgemeinen problemlos aus dem Arbeitsort des betreffenden Arbeitnehmers oder aus dem gewöhnlichen Aufenthalt des betreffenden nichtehelichen Kindes ergeben.' Von den wenigen auch in Zukunft fortbestehenden Unterschieden des Privatrechts in den alten und neuen Ländern wird deshalb im folgenden nicht die Rede sein.
II. Kollisionsrechtliche Folgen der Spaltung des deutschen Privatrechts im Streit der Meinungen Weit tiefer geht die Rechtsspaltung innerhalb des geeinten Deutschlands aber bei der Beurteilung von Altfällen, die ihren Ursprung in der trag geschaffene Sonderrecht in den neuen Ländern (Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen, Gesetz über besondere Investitionen in der DDR). Vgl. dazu etwa PaUndt-Heinrichs, BGB, 51. Aufl. (1992) Art.230 EGBGB Rdn.2. - Eine Zwischenstellung besitzt die in Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB n. F. getroffene Sonderregelung für das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht nichtehehcher Kinder, die vor dem 3.10.1990 geboren sind. Sie knüpft zwar an einen Tatbestand aus der Zeit vor der deutschen Vereinigung an, erfaßt aber Erbfälle, die nach diesem Zeitpunkt eintreten. Insoweit handelt es sich also um ein fortgeltendes Partikularrecht der neuen Länder. Zur interlokalen Anknüpfung dieser Regelung vgl. Eberhardt/ Lühchen, Zum Erbrecht des nichtehelichen Kindes nach Art. 235 §111 EGBGB: DtZ 1992, 206 ff. (208) und - demnächst - Heldrich, Interlokales Privatrecht im vereinten Deutschland: Festschrift für P.Lerche 1993 sub V. ' Im Schrifttum wird deshalb bezweifelt, ob hierfür ein besonderes interlokales Privatrecht erforderlich ist. Stoll, Kollisionsprivatrechtliche Aspekte des Vertrages über die deutsche Einigung: Festschrift für Werner Lorenz (1991), 577ff. (592 ff.) will den Anwendungsbereich der für das Beitrittsgebiet geltenden privatrechtlichen Sonderregelungen ohne Zuhilfenahme selbständiger Verweisungsnormen unmittelbar im Wege der Auslegung den einschlägigen Bestimmungen selbst (als sog. selbstbegrenzten Sachnormen) entnehmen. Der besondere Rechtszustand in den fünf neuen Ländern besteht aber überwiegend darin, daß bestimmte Vorschriften des Bundesrechts von der Geltung ausgenommen sind. Die zu beantwortende Frage lautet also nicht, unter welchen Voraussetzungen eine Norm anzuwenden ist, sondern umgekehrt, wie weit die Zurücknahme ihres Geltungsanspruchs reicht, unter welchen Bedingungen also beispielsweise eine Amtspflegschaft für ein nichteheliches Kind nicht eintritt. Die Antwort hierauf läßt sich meines Erachtens auch im Wege der Auslegung den §§1706-1710 BGB nicht entnehmen. Stoll aaO 595 stellt daher hier auf „die im Einigungsvertrag zum Ausdruck kommende Wertschätzung des alleinigen Erziehungsrechts der Mutter" ab. Mit diesem Kriterium läßt sich aber eine präzise kollisionsrechtliche Abgrenzung des Geltungsbereichs der genannten Vorschriften kaum entwickeln.
Zeit vor dem 3.10.1990 haben. Das Inkrafttreten von BGB und EGBGB im Beitrittsgebiet erfolgt nämlich gemäß Art. 230 Abs. 2 EGBGB n. F. „nach Maßgabe der folgenden Übergangsvorschriften". Diese intertemporalen Bestimmungen in Artt. 231-236 EGBGB n.F. unterstellen die darin aufgeführten Rechtsverhältnisse in teilweise „minutiöser Detailregelung"'' dem bisher geltenden Recht. Daß es sich dabei um das Recht der DDR handelt, wird zum Teil ausdrücklich gesagt (vgl. z.B. Art.231 §6 Abs. 1 Satz 2, Art. 232 §1 und §4 Abs. 1), im übrigen aber nach einer rätselhaft bleibenden Systematik stillschweigend vorausgesetzt (vgl. z. B. Art. 233 §1 und §7 Abs. 1, Art. 234 §5, §10 und §11 Abs.l, sowie Art. 235 § 1 Abs. 1 und § 2, wo jeweils nur von der Weitergeltung des bisherigen Rechts gesprochen wird). Die danach vorgesehene Weiteranwendung des Rechts der DDR setzt jedoch selbstverständlich voraus, daß dieses Recht für den betreffenden Sachverhalt vor dem Beitritt am 3.10.1990 überhaupt maßgebend war. Ob dies der Fall ist, ist eine kollisionsrechtliche Frage. Insoweit spielen Regeln des innerdeutschen Kollisionsrechts für eine Übergangszeit weiterhin eine wichtige Rolle. Wie diese Regeln zu gewinnen sind, gehört zu den umstrittensten Folgeproblemen des Einigungsvertrages. Im wesentlichen werden hierzu folgende Ansichten vertreten: - In der gerichtlichen Praxis wird anscheinend nicht selten auf eine ausdrückliche kollisionsrechtliche Anknüpfung verzichtet. Daß auf den betreffenden Fall nach den Überleitungsregeln in Artt. 231-235 EGBGB n. F. das Recht der DDR Anwendung findet, wird in vielen Entscheidungen ohne weitere Begründung stillschweigend vorausgesetzt.' Vor allem bei Schuldverträgen, die vor dem 3.10.1990 abgeschlossen wurden, ist eine solche „unreflektierte" Anwendung von DDR-Recht aufgrund von Art. 232 § 1 EGBGB n. F. durchaus die Regel.' Soweit der Tatbestand der entschiedenen Fälle ausschließlich im Gebiet der früheren DDR wurzelt, " Stall (oben Fn. 3) 578.
^ Vgl. z.B. BGH 15.1.1992 NJW 1992, 821; BGH 15.1.1992 DtZ 1992, 120 und BGH 29.1.1992 FamRZ 1992, 531 (jeweils zu Art. 234 §4 Abs. 5 EGBGB); KG 24.6.1991 FamRZ 1991,1442 = DtZ 1992,24 (zu Art. 234 § 4 Abs. 1 EGBGB); KG 24.10.1991 FamRZ 1992, 563 (zu Art.234 §4 Abs.5 EGBGB) und KG 2.12.1991 FamRZ 1992, 329 = DtZ 1992, 86 (zu Art.234 §5 EGBGB); BezG Cottbus 29.11.1990 DtZ 1991, 442 (443) (zu Art.234 §4 EGBGB); LG Berlin 16.4.1991 DtZ 1991, 383 (zu Art. 230 Abs. 2 EGBGB). ' LG Berlin 24.5.1991 DtZ 1991, 411 und 19.8.1991 DtZ 1992, 27 (28); BezG Cottbus 18.7.1991 DtZ 1992, 24 (26); KG 17.9.1991 DtZ 1992, 59; KG 31.10.1991 DtZ 1992, 84; KG 30.1.1992 FamRZ 1992, 566 = NJ 1992, 217; BezG Leipzig 19.9.1991 DtZ 1992, 58; KreisG Gotha 26.9.1991 DtZ 1992, 90; BezG Dresden 9.10.1991 DtZ 1992, 189; BezG Dresden 21.11.1991 DtZ 1992, 51 (52); BezG Gera 4.12.1991 DtZ 1992, 122 (123).
d. h. keinerlei Bezüge zum Recht der alten Bundesrepublik aufweist, ist eine Erörterung der Rechtsanwendungsfrage auch nicht unbedingt erforderlich. Ein Beispiel bilden etwa Lieferverträge, die zwischen volkseigenen Betrieben vor der „Wende" in der DDR abgeschlossen wurden. Die Sachlage ist insofern mit der eines reinen Inlandsfalles vergleichbar, in welchem sich das anwendbare Recht von selbst versteht.^ Der Verzicht auf eine besondere kollisionsrechtliche Vorprüfung findet sich aber in der Praxis auch bei Vorliegen von Tatbestandskomponenten, die über das Beitrittsgebiet hinausweisen. Ein Beispiel liefert die Beurteilung von Kaufverträgen über Grundbesitz in der früheren DDR, die nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze vor West-Berliner oder westdeutschen Notaren abgeschlossen wurden. Das Bezirksgericht Leipzig hält einen derartigen Vertrag für nichtig, weil er gegen die in der DDR geltenden Formvorschriften verstößt.' Die Anwendbarkeit dieser Bestimmungen wird dabei ohne jede Begründung unterstellt. Dies ist um so erstaunlicher, als der Fall wegen des Abschlußortes in West-Berlin einen klaren Bezug zum Recht der „alten" Bundesrepublik besitzt. - Nach einer vor allem im Schrifttum verbreiteten Auffassung gelten in den alten und in den neuen Ländern der Bundesrepublik unterschiedliche Kollisionsnormen zur Bestimmung des anwendbaren deutschen Teilrechts. Das interlokale Privatrecht in Deutschland ist danach „räumlich gespalten". Während die Gerichte im Gebiet der früheren DDR bei Altfällen weiterhin die Verweisungsnormen des Rechtsanwendungsgesetzes vom 5.12.1975 zu befragen haben, sollen die Gerichte im Gebiet der „alten" Bundesrepublik die Regeln des innerdeutschen Kollisionsrechts befolgen, die hier in entsprechender Anwendung von Artt. 3 ff. EGBGB entwickelt wurden.' Begründet wird diese „Spaltungstheorie" vor allem mit einer Analogie zu Art. 236 § 1 EGBGB n. F. Danach bleibt auf vor dem 3.10.1990 abgeschlossene Vorgänge „das bisherige Internationale Privatrecht anwendbar". Der dieser Regelung zugrundeUegende Gedanke des Vertrauensschutzes gelte auch und gerade für die Beurteilung der interlokalen Rechtslage.'" ' Was freilich eine kollisionsrechtliche Subsumtion keineswegs ausschließt; vgl. dazu Kegel, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. (1987) §1111; Kropholler, Internationales Privatrecht (1990) § 1IV. ' BezG Leipzig 19.9.1991 D t Z 1992, 58; vgl. dazu ferner KreisG Leipzig-Stadt 19.2.1991 D t Z 1991, 306; Schafer-Gölz/Lange D t Z 1991, 292 und D t Z 1992, 44; Steiner D t Z 1991, 372; Schotten D N o t Z 1991, 771 ff. ' So vor allem Pirrung, Einigungsvertrag und Kollisionsrecht: RabelsZ 55 (1991) 211 ff. (235 ff.); weitere Nachweise dieser Auffassung bei Palandt-Heldrich, BGB, 51. Aufl. (1992) Art. 236 EGBGB Rdn.4; ferner Dömer, Das deutsche Interlokale Privatrecht nach dem Einigungsvertrag: Festschrift für Werner Lorenz (1991) 321 ff. (331 ff.). Vgl. dazu besonders eindringlich Dömer (oben Fn. 9) 327 ff.
- In scharfem Gegensatz zur „Spaltungstheorie" gehen nach anderer Auffassung die Anknüpfungsregeln der „alten" Bundesrepublik für das innerdeutsche Kollisionsrecht seit dem 3.10.1990 einheitlich in ganz Deutschland. Das Inkrafttreten von BGB und EGBGB beschränkt sich nach dieser Auffassung nicht auf den Wortlaut der gesetzlichen Vorschriften, sondern erfaßt auch deren analoge Anwendung auf die von ihnen nicht ausdrücklich geregelten Rechtsmaterien. Seit der deutschen Vereinigung sind daher die auf der Grundlage einer entsprechenden Heranziehung von Artt. 3 ff. EGBGB entwickelten Regeln des deutschen interlokalen Privatrechts auch in den neuen Ländern anzuwenden." Auch nach dieser „Einheitstheorie" sollen jedoch im Einzelfall ausnahmsweise die Anknüpfungsregeln der früheren DDR herangezogen werden, soweit dies unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes geboten erscheint.'^
III. Diskussion der verschiedenen Lösungen Welche der eben skizzierten Ansichten in der Rechtsprechung die Oberhand gewinnen wird, läßt sich gegenwärtig noch nicht abschätzen. Den Vorzug verdient jedoch die Einheitstheorie. Dies sei im folgenden näher begründet. 1. Daß der Verzicht auf jegliche kollisionsrechtliche Anknüpfung kein brauchbares Mittel zur Lösung der Rechtsanwendungsprobleme im vereinten Deutschland darstellt, versteht sich von selbst. Allein aus dem Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer der Uberleitungsregeln in Artt. 231-235 EGBGB n. F. läßt sich noch nicht der Schluß auf die Anwendbarkeit des Rechts der DDR ziehen. Der Tatbestand dieser Bestimmungen ist häufig so unspezifisch formuliert, daß seine Erfüllung - jedenfalls dem Wortlaut nach - keinerlei Bezug zum Beitrittsgebiet voraussetzt. Die Rede ist darin etwa von einem „Schuldverhältnis, " OLG Düsseldorf 11.12.1991 FamRZ 1992, 573. Ebenso Münchener Kommentar-Sonnenherger, Zivilrecht im Einigungsvertrag (1991) Rdn. 730; Drohnig, Innerdeutsches und interlokales Kollisionsrecht nach der Einigung Deutschlands; RabelsZ 55 (1991) 268 ff. (281); Palandt-Heldrich (oben Fn.9) Art. 236 EGBGB Rdn. 1 und 4 mit weiteren Literaturnachweisen; sowie aus dem neuesten Schrifttum Adlerstein/Desch, Das Erbrecht in den neuen Bundesländern: DtZ 1991, 193 ff. (195); Schurig, Ein Kollisionsrecht für das Kollisionsrecht im vereinigten Deutschland: Festschrift für Werner Lorenz (1991) 513 ff. (520); Wähler, Intertemporale, interlokale und materiellrechtliche Probleme des Erbrechts nach der Wiedervereinigung: ROW 1992, 103 ff. (106 f.); Märker, Restituierte Erbfälle bei Rückübertragung von enteignetem Vermögen? VIZ 1992, 174ff. (176); grundsätzlich auch StoU (oben Fn.3) 587. So vor allem StoU (oben Fn.3) 587ff., sowie Schurig (oben Fn. 11) 520f.
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das vor dem Wirksamwerden des Beitritts entstanden ist" (Art. 232 §1), von den am Tag des Wirksamwerdens des Beitritts bestehenden Arbeitsverhältnissen (Art. 232 §5), von einem an diesem Stichtag bestehenden Besitzverhältnis (Art. 233 §1) oder Eigentum (Art. 233 §2), von allen am Stichtag bestehenden familienrechtlichen Verhältnissen (Art. 234 §1), vom „Unterhaltsanspruch eines Ehegatten, dessen Ehe vor dem Wirksamwerden des Beitritts geschieden worden ist" (Art. 234 § 5) oder von den erbrechtlichen Verhältnissen, „wenn der Erblasser vor dem Wirksamwerden des Beitritts gestorben ist" (Art. 235 § 1 Abs. 1). Daß die betreffende Rechtsbeziehung irgendwie im Beitrittsgebiet „lokalisiert" sein muß, wird zumindest nicht ausdrücklich gesagt. Geht man davon aus, daß die Uberleitungsvorschriften jeweils nur bestimmen, unter welchen Voraussetzungen weiterhin das Recht der D D R anzuwenden ist, so wäre es also theoretisch nicht ausgeschlossen, die Erbfolge nach einem vor dem 3.10.1990 in München verstorbenen Erblasser, der zeitlebens aus Oberbayern nicht herausgekommen ist, gemäß Art. 235 § 1 Abs. 1 E G B G B n. F. nach dem ZGB der D D R zu beurteilen. Daß dies vom Einigungsvertrag nicht gewollt ist, liegt auf der Hand. Allein nach dem Wortlaut der betreffenden Vorschrift scheidet diese absurde Folgerung jedoch nicht von vornherein aus. Es bedarf vielmehr einer kollisionsrechtlichen Vorprüfung, ob das Recht der D D R in dem betreffenden Erbfall überhaupt zur Anwendung berufen war. Der Rückgriff auf Regeln des interlokalen Privatrechts ist daher unerläßlich. Er erübrigt sich auch nicht etwa deshalb, weil die Uberleitungsregeln in Artt. 231-235 E G B G B n. F. ohnehin nur von den Gerichten in den neuen Ländern anzuwenden wären und sich damit ein Bezug zum Beitrittsgebiet bereits aus der Befassung dieser Gerichte, d.h. aus der gerichtlichen Zuständigkeitsordnung ergäbe. Auch der durch den Einigungsvertrag neu eingefügte „Sechste Teil" des E G B G B ist Bestandteil eines in der ganzen Bundesrepublik geltenden Bundesgesetzes. Zwar trägt der betreffende Abschnitt die Überschrift „Inkrafttreten und Übergangsrecht aus Anlaß der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und dieses Einführungsgesetzes in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet". Es handelt sich also um eine Übergangsregelung anläßlich des Beitritts der DDR. Sie ist aber Teil des von allen deutschen Gerichten zu beachtenden Bundesrechts. Die Anwendbarkeit der betreffenden Vorschriften beschränkt sich also keineswegs auf die Gerichte der neuen Länder. Auch die Rechtsprechung im alten Bundesgebiet hat sich bereits in zahlreichen Entscheidungen mit ihnen beschäftigt.'' " Zur Anwendung durch Gerichte in den alten Ländern vgl. z. B. BayObLG 19.2.1991 NJW 1991, 1237f.; L G Berlin 6.12.1990 NJW 1991, 1238 (1239); K G
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2. Dem gleichen Einwand sieht sich auch die These eines räumlich gespaltenen interlokalen Privatrechts in Deutschland ausgesetzt. Danach sind in den alten und in den neuen Ländern unterschiedliche Kollisionsnormen bei der Bestimmung des maßgebenden deutschen Teilrechts anzuwenden. Gesetzestechnisch stützt sich diese „Spaltungstheorie" - wie schon erwähnt - vor allem auf Art. 236 § 1 EGBGB n. F., wonach auf abgeschlossene Vorgänge das bisherige Internationale Privatrecht anwendbar bleibt. Der territoriale Geltungsbereich gerade auch dieser Vorschrift wird dabei auf das Beitrittsgebiet beschränkt.'"* Indessen ist diese Einschränkung im Text der Bestimmung nicht zu finden. Sie ist vielmehr Bestandteil eines in ganz Deutschland geltenden Bundesgesetzes, das von den Gerichten im gesamten Bundesgebiet zu beachten ist.'^ Die in Artt. 231-236 EGBGB n.F. enthaltene Übergangsregelung ist nicht gebietsbezogen, sondern sachverhaltsbezogen (z.B. die vor dem 3.10.1990 entstandenen Schuldverhältnisse, die an diesem Tag bestehenden familienrechtlichen Verhältnisse oder die vor diesem Termin eingetretenen Erbfälle). Ostdeutsche Gerichte haben insofern keine anderen Vorschriften anzuwenden als westdeutsche Gerichte. Dies gilt auch für Art. 236 §1 EGBGB n.F.'^ Gegen ein gespaltenes innerdeutsches Kollisionsrecht sprechen aber vor allem die unerfreulichen Konsequenzen, zu denen diese Auffassung gelangt. Die Anknüpfungsregeln des interlokalen Privatrechts, die in der alten Bundesrepublik in Analogie zu Artt. 3 ff. EGBGB entwickelt wurden, führen durchaus nicht immer zu den gleichen Resultaten wie diejenigen des RAG vom 5.12.1975, die in der früheren DDR auch im innerdeutschen Kollisionsrecht unmittelbar angewandt wurden.'^ Bei einer räumlichen Spaltung des maßgebenden interlokalen Privatrechts müßten ostdeutsche Gerichte daher ein und denselben Sachverhalt gegebenenfalls nach einem anderen materiellen Recht beurteilen als westdeutsche Gerichte. Damit würde unter Umständen der Ausgang des Verfahrens von der Entscheidung des Klägers für einen von mehreren konkurrieren-
24.6.1991 DtZ 1992, 24; KG 25.11.1991 FamRZ 1992, 597 (598); KG 2.12.1991 DtZ 1992, 86; KG 14.1.1992 FamRZ 1992, 611 = DtZ 1992, 187; KG 3 0 . 1 . 1 9 9 2 NJ 1992, 217; O L G Celle 20.3.1991 DtZ 1992, 54; O L G Düsseldorf 11.12.1991 FamRZ 1992, 573.
" Vgl. Dömer (oben Fn.9) 331. " Ebenso Palandt-Heinrichs (oben F n . 2 ) Art. 230 EGBGB R d n . l ; Schurig (oben Fn. 11) 516. " Zu dessen Anwendung durch westdeutsche Gerichte vgl. etwa BayObLG 19.2.1991 NJW 1991, 1237f.; L G Berlin 6 . 1 2 . 1 9 9 0 NJW 1991, 1238 (1239). " Zu den Systemunterschieden der beiden deutschen Kollisionsrechte vgl. ersva Pirrung (oben Fn. 9) 214; Stall (oben Fn. 3) 579.
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den Gerichtsständen abhängen. Daß interessierte Parteien und geschickte Rechtsanwälte dies als Chance zu einem sogenannten forum Shopping mißbrauchen können, liegt auf der Hand.'® Ein Beispiel mag das Problem verdeutlichen. In der Zeit zwischen der Öffnung der innerdeutschen Grenze und der Vereinigung sind offenbar zahlreiche Verträge über Grundstücke im Gebiet der früheren D D R von West-Berliner oder westdeutschen Notaren beurkundet worden." Nachdem zunächst als selbstverständlich davon ausgegangen worden war, daß „Westnotare" solche Beurkundungen wirksam vornehmen konnten, sind inzwischen erhebliche Zweifel an deren Gültigkeit entstanden. Aus der Sicht des Kollisionsrechts der D D R war die Wirksamkeit derartiger Verträge nämlich ausschließlich nach ihrem Recht zu beurteilen. Das galt sowohl für die Form des Zustandekommens als auch für die materiellrechtUche Wirksamkeit.^" Nach dem Recht der D D R waren derartige Verträge aber aus mehrfachem Grund nichtig: Zum einen weil die in § 297 Abs. 1 ZGB vorgeschriebene Form der Beurkundung nur durch die Staatlichen Notariate und die zugelassenen Einzelnotare erfüllt werden konnte.^' Zum anderen, weil sie in der Regel nicht die unbedingte und unbefristete Erklärung über den Eigentumsübergang enthielten, die nach § 297 Abs. 1 ZGB für ihre materielle Gültigkeit erforderlich war.^^ Anders stellt sich die Rechtslage aus der Sicht des innerdeutschen Kollisionsrechts der „alten" Bundesrepublik dar. Für die Beurteilung der Formgültigkeit
" Ebenso Schurig (oben F n . l l ) 517; Stall (oben Fn.3) 579; Dömer (oben Fn. 9) 331 ff., der diese Gefahr jedoch auf eine „bewußte Entscheidung des Gesetzgebers" zurückführt, der notfalls mit der Arglisteinrede zu begegnen sei. " Vgl. Schotten DNotZ 1991, 771; Schäfer-Gölz/Lange DtZ 1991, 292. Nach § 1 2 Abs. 3 RAG war auf Verträge über das Eigentum und andere Rechte an Grundstücken in der D D R ausschließlich das Recht der D D R anzuwenden. Die Möglichkeit einer hiervon abweichenden Rechtswahl war nicht eröffnet; vgl. Ministerium der Justiz (Hrsg.), Internationales Privatrecht: Kommentar zum Rechtsanwendungsgesetz (1989) § 1 2 Anm. 3.2 (Strohbach); Schotten/Schmellenkamp DNotZ 1992, 206. Diese Regelung galt nicht nur für die materielle Wirksamkeit von Grundstücksverträgen, sondern auch für die Form ihres Zustandekommens; vgl. Ministerium der Justiz aaO § 1 2 Anm. 3.2 sowie § 1 6 Anm.O (Strohbach); Schäfer-Gölz/Lange DtZ 1991, 292; insoweit a.M. Schotten DNotZ 1991, 777 f., der § 1 6 RAG anwenden will, wonach die Einhaltung der Ortsform genügt. ' ' KreisG Leipzig-Stadt 19.2.1991 DtZ 1991, 306; BezG Leipzig 19.9.1991 DtZ 1992, 58; Schäfer-Gölz/Lange DtZ 1991, 292; a.M. Steiner DtZ 1991, 372; Schotten DNotZ 1991, 781 f. (für Substitution durch Westnotare). Zur Problematik vgl. auch Trunk MittBayNot 1990, 215 (218), der dem Staatsvertrag vom 18.5.1990 über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion eine Verpflichtung zur „einheitsfreundlichen" Auslegung des DDR-Rechts entnimmt. ^^ Vgl. dazu näher Schotten/Schmellenkamp DNotZ 1992, 211 ff.
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dieser Verträge gilt entsprechend Art. 11 Abs. 1 EGBGB alternativ grundsätzlich auch das Recht des Abschlußortes,dessen Formvorschriften fraglos eingehalten sind. In materiellrechtlicher Hinsicht ist entsprechend Art. 27 Abs. 1 EGBGB die Möglichkeit einer Rechtswahl eröffnet, von der die Parteien beim Abschluß der Verträge mitunter ausdrücklich, zumeist aber jedenfalls konkludent zugunsten des Rechts der Bundesrepublik Gebrauch gemacht haben.^'* Danach bestehen gegen die Wirksamkeit keine Bedenken. Die unterschiedlichen koilisionsrechtlichen Standpunkte der beiden Rechtsordnungen führen also zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Beurteilung der Rechtslage. Die Anwendung der Verweisungsregeln des EGBGB hat die Wirksamkeit, die Anwendung der Vorschriften des RAG dagegen die Unwirksamkeit dieser Verträge zur Folge. Geht man von der „Spaltungstheorie" aus, so wäre eine Klage auf Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung vor den Gerichten in den alten Ländern begründet, vor den Gerichten in den neuen Ländern dagegen unbegründet. Daß dies im Ergebnis ein unhaltbarer Zustand ist, bedarf keiner Begründung. Inzwischen hat sich auch der Bundesgesetzgeber der Problematik angenommen. Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vermögensgesetzes und anderer Vorschriften (2. VermRAndG), der am 3.4.1992 dem Bundesrat zugeleitet worden ist, enthält eine klarstellende Regelung, wonach Beurkundungen aus der Zeit vor der Vereinigung nicht deshalb unwirksam sind, weil sie von einem deutschen Notar vorgenommen wurden, der nicht im Beitrittsgebiet berufen oder bestellt war.^^ Damit werden jedoch nur die Zweifel an der Formgültigkeit derartiger Grundstücksverträge behoben. Die Bedenken gegen ihre materiellrechtliche Wirksamkeit bleiben unberührt.^' Insoweit besteht also weiterhin der
Vgl. etwa Palandt-Heldrich, BGB, 51. Auflage (1992) Art. 11 EGBGB Rdn. 1. In Betracht kommt allerdings eine analoge Anwendung der Ausnahmeregelung in A n . 11 Abs. 4 EGBGB im innerdeutschen Kollisionsrecht. Das Bedürfnis danach ist aber mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze und der sich abzeichnenden Vereinigung der beiden deutschen Staaten zumindest zweifelhaft geworden; vgl. dazu Steiner DtZ 1991, 372 und - in der Begründung abweichend Schotten D N o t Z 1991, 779. Vgl. dazu Schotten/Schmellenkamp D N o t Z 1992, 208 f. Vgl. Art. 7 N r . 1 des Entwurfs, der eine entsprechende Ergänzung von Art. 231 EGBGB durch den neu eingefügten §7 „Beurkundungen und Beglaubigungen" enthält. Vgl. die Begründung des Entwurfs Bundesrats-Drucksache 227/92 S.234: „Da eine Heilung grundsätzlich ein problematischer Eingriff in die Rechte der Vertragsparteien ist, wird eine über die vorgeschlagene Regelung hinausgehende Heilung, die auch materiellrechtliche Unwirksamkeitsgründe erfaßt, nicht vorgesehen."
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Anreiz zu unlauteren Machenschaften bei der Wahl eines von mehreren örtlich zuständigen deutschen Gerichten. 3. Dieser Gefahr kann nur mit Hilfe einheitlicher Rechtsanwendungsregeln für ganz Deutschland begegnet werden.^^ Die Grundlage dafür ergibt sich aus dem Einigungsvertrag selbst. Nach seinem Art. 8 ist im Gebiet der früheren DDR am 3.10.1990 Bundesrecht in Kraft getreten, „soweit durch diesen Vertrag, insbesondere dessen Anlage I, nichts anderes bestimmt wird". Die genannte Anlage I enthält „Besondere Bestimmungen zur Uberleitung von Bundesrecht", deren Gliederung der Geschäftsordnung der Bundesregierung entspricht. Kapitel III betrifft den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz, Sachgebiet B das „Bürgerliche Recht". Hier werden in Abschnitt I zunächst einzelne Vorschriften vom Inkrafttreten des Bundesrechts gemäß Art. 8 des Einigungsvertrages ausgenommen (Vertragshilfegesetz, Regelunterhaltsverordnung). Abschnitt II beginnt mit den Worten „Bundesrecht wird wie folgt geändert oder ergänzt", novelliert also das geltende Bundesrecht aus Anlaß des Beitritts. Von der Novellierung erfaßt wird in erster Linie das Privatrecht, in das der schon erwähnte „Sechste Teil" eingefügt wird. Er enthält in Artt. 230-236 das Übergangsrecht anläßhch des Inkrafttretens von BGB und EGBGB. Dieses erfolgt gemäß Art. 230 Abs. 2 EGBGB n. F. „nach Maßgabe der folgenden Übergangsvorschriften". Die Einführung von BGB und EGBGB im sogenannten Beitrittsgebiet muß sich also in zeitlicher Hinsicht die Abstriche gefallen lassen, die sich aus Artt. 231-236 EGBGB n.F. ergeben. Soweit in diesen Vorschriften eine Weiteranwendung des Rechts der DDR vorgesehen ist, ist die Anwendung des Bundesrechts ausgeschlossen. Umgekehrt formuliert: Gemäß Art. 8 des Einigungsvertrages i.V.m. Art.230 Abs.2 EGBGB n.F. sind BGB und EGBGB anzuwenden, soweit Artt. 231-236 EGBGB keine Ausnahmen enthalten. Das Inkrafttreten des Bundesrechts gemäß Art. 8 des Einigungsvertrages ist in einem umfassenden Sinn zu verstehen. Gemeint ist damit nicht nur der Text einschlägiger Gesetze, sondern auch deren fallweise Konkretisierung durch die bisherige Rechtsprechung und deren dogmatische Aufbereitung durch die Rechtswissenschaft. Die Einführung des BundesDafür OLG Düsseldorf 11.12.1991 FamRZ 1992, 573; Münchener Kommentar-Sonnenberger (oben Fn. 11) Rdn. 730; Drohnig (oben Fn. 11) 281; PalandtHeldrich (oben Fn. 9) Art. 236 EGBGB Rdn. 4 mit weiteren Literaturnachweisen; sowie aus dem neuesten Schrifttum Stall (oben Fn.3) 587; Schurig (oben Fn. 11) 518 ff.; Mansel, Intertemporales internationales Privatrecht des Einigungsvertrages - Zur Auslegung des Art. 236 EGBGB in: Jayme/Furtak (Hrsg.), Der Weg zur deutschen Rechtseinheit (1991) 141 ff. (148 ff.); Adlerstein/Desch (oben Fn. 11) 195; Wähler {oben F n . l l ) 106f.
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rechts erstreckt sich also auch auf seine Verdeudichung und Fortbildung in der Rechtspraxis und die zur Ausfüllung von Gesetzeslücken im Wege der Analogie entwickelten Grundsätze. Hieran besteht anscheinend kein Zweifel. Dies zeigt auch der bisherige Verlauf der Rezeption des Bundesrechts in den neuen Ländern. Die Regeln des innerdeutschen Kollisionsrechts wurden in der alten Bundesrepublik im wesentlichen durch eine modifizierte analoge Anwendung der internationalprivatrechtlichen Kollisionsnomien in Artt. 3 ff. EGBGB gewonnen. Die auf dieser Grundlage entwickelten Normen sind also am 3.10.1990 gemäß Art. 8 des Einigungsvertrages und Art. 230 Abs. 2 EGBGB n. F. auch im Gebiet der früheren DDR in Kraft getreten, soweit sich aus den Ubergangsvorschriften in Artt. 231-236 EGBGB n. F. nichts anderes ergibt.
IV. Anwendung von Art. 236 §1 EGBGB im deutschen Interlokalen Privatrecht? 1. Eine derartige Ausnahme könnte sich nur aus Art. 236 § 1 EGBGB herleiten lassen. Er sieht für vor dem 3.10.1990 abgeschlossene Vorgänge die Fortgeltung des „bisherigen Internationalen Privatrechts" vor. Gemeint ist damit das Rechtsanwendungsgesetz der DDR vom 5.12.1975. Es wurde in der DDR auch für die Bestimmung des maßgebenden Privatrechts im Verhältnis der beiden deutschen Staaten angewandt. Im Gegensatz zum herrschenden Rechtsstandpunkt der „alten" Bundesrepublik behandelte also die DDR das innerdeutsche Kollisionsrecht als einen normalen Anwendungsfall des internationalen Privatrechts. Wollte man Art. 236 § 1 EGBGB n. F. dieses Verständnis zugrunde legen, so wäre also bei der Anknüpfung abgeschlossener Vorgänge auch in den deutsch-deutschen Fällen weiterhin das RAG anzuwenden. Allerdings könnte dieses Gesetz die Regeln des innerdeutschen KoUisionsrechts der alten Bundesrepublik nicht zur Gänze verdrängen. Die beiden Rechtsanwendungssysteme müßten vielmehr in ihrem Anwendungsbereich voneinander abgegrenzt werden. Allein mit Hilfe der gerichtlichen Zuständigkeit ließe sich dafür ein tragfähiges Kriterium nicht entwickeln. Art. 236 § 1 EGBGB n. F. wendet sich - wie bereits ausgeführt - in gleicher Weise an die Gerichte in den alten wie in den neuen Ländern. Die Vorschrift muß daher auch überall den gleichen Sinn haben. Westdeutsche Gerichte können deshalb nicht etwa unter dem „bisherigen Internationalen Privatrecht" die analoge Anwendung von Artt. 3 ff. EGBGB verstehen, während ostdeutsche Gerichte darin eine Verweisung auf das RAG der DDR erblicken. Es wäre also nach einem ungeschriebenen Abgrenzungskriterium zu suchen, das
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eine Weichenstellung zum innerdeutschen Kollisionsrecht der „alten" Bundesrepublik bzw. der früheren DDR ermöglicht. Zu fragen wäre dabei etwa, ob der betreffende Fall seinen räumlichen Schwerpunkt im Gebiet der alten oder der neuen Länder hat.^^ Gegen eine Heranziehung von Art. 236 §1 EGBGB n. F. bei der Lösung von innerdeutschen Rechtskonflikten spricht jedoch bereits der klare Wortlaut der Bestimmung. Sie bezieht sich ausweislich ihrer Uberschrift und ihres Inhalts auf das „Internationale Privatrecht". Nach dem vorherrschenden Rechtsverständnis der „alten" Bundesrepublik war aber das innerdeutsche KolUsionsrecht mit dem Internationalen Privatrecht nicht identisch. Dessen Regeln waren vielmehr in den zwischendeutschen Rechtsbeziehungen nur entsprechend und mit zum Teil nicht unerheblichen Modifikationen anzuwenden. Deshalb wurde die Bestimmung des anwendbaren Rechts bei Sachverhalten mit Beziehungen zur früheren DDR bei der Novellierung unseres Internationalen Privatrechts durch das Gesetz vom 25.7.1986 ausdrücklich ausgeklammert.^' Dementsprechend beschränken sich die neugefaßten Kollisionsnormen auf Sachverhalte „mit einer Verbindung zum Recht eines ausländischen Staates" (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EGBGB). In der Begründung des Regierungsentwurfs wird allerdings der Erwartung Ausdruck verliehen, die gesetzliche Regelung könne im Rahmen von Analogieschlüssen auch auf den nicht direkt geregelten Bereich ausstrahlen.'" Nichts spricht dafür, daß dieser auf internationale Sachverhalte beschränkte Begriff des Internationalen Privatrechts bei der Ergänzung des EGBGB anläßlich der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands fallengelassen wurde. Es ist vielmehr im Gegenteil davon auszugehen, daß das Einführungsgesetz diesen Begriff durchwegs in einheitlichem Sinn verwendet und daß dem die bisherige Bedeutung zugrunde hegt. Gerade in der Stunde der Wiedervereinigung Deutschlands hat dieser Rechtsstandpunkt seine historische Bestätigung erfahren. Es wäre absurd anzunehmen, daß er ausgerechnet in diesem Augenblick zugunsten der überwundenen Rechtsauffassung der DDR preisgegeben worden sei.'' 2. Freilich schließt dies nicht aus, Art. 236 EGBGB n. F. ebenso wie Artt. 3 ff. EGBGB im innerdeutschen Kollisionsrecht entsprechend anzuFür eine solche „Schwerpunkt-Abgrenzung" insbesondere Mansel (oben Fn.27) 149 ff. " Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs Bundestags-Drucksache 10/504 S. 30. ^ Bundestags-Drucksache aaO. " So im Ergebnis auch Schurig (oben Fn. 11) 519; Wähler (oben Fn. 11) 105.
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wenden.'^ In der Tat erscheint es auf den ersten Blick widersinnig, die für das interlokale Privatrecht maßgebenden Anknüpfungsregeln weitgehend in Analogie zu den Kollisionsnormen des Internationalen Privatrechts in Artt. 3 ff. E G B G B zu gewinnen, mit diesem Analogieschluß aber vor Art. 236 E G B G B n . F . Halt zu machen. Indessen wird dabei übersehen, daß die Interessenlage bei der Frage der entsprechenden Anwendung von Artt. 3 ff. E G B G B einerseits und Art. 236 E G B G B n. F. andererseits grundverschieden ist: Bei der analogen Heranziehung der Artt. 3 ff. E G B G B handelt es sich darum, Anknüpfungsregeln des innerdeutschen Kollisionsrechts zu entwickeln, bei der entsprechenden Anwendung von Art. 236 E G B G B n. F. ginge es dagegen darum, jenes auf Analogie gestützte Normensystem teilweise auszuschalten und durch das des R A G zu verdrängen. Die Rechtsfolgen beider Analogieschlüsse sind also ganz verschieden: Die entsprechende Heranziehung von Artt. 3 ff. E G B G B hat - zumindest in der Vergangenheit - zu Rechtsklarheit geführt, die analoge Anwendung von Art. 236 § 1 E G B G B n. F. würde dagegen das Nebeneinander zweier verschiedener Anknüpfungssysteme und damit Rechtszersplitterung zur Folge haben. Dementsprechend ist auch das Bedürfnis nach einem Analogieschluß bei beiden Normengruppen ganz unterschiedlich zu beurteilen. Während es bei Artt. 3 ff. E G B G B im Grundsatz nicht zu bezweifeln ist, ist es bei Art. 236 § 1 E G B G B n . F . zu verneinen. Unterläßt man eine analoge Anwendung dieser Vorschrift, so entsteht nämlich keine ausfüllungsbedürftige Lücke. Es hat dann vielmehr gemäß Art. 8 des Einigungsvertrages in Verbindung mit Art. 230 Abs. 2 E G B G B n. F. bei der Anwendung der bisherigen innerdeutschen Kollisionsnormen der alten Bundesrepublik in ganz Deutschland sein Bewenden. Damit würde die einheitliche Beurteilung der Frage des anwendbaren deutschen Teilrechts vor allen deutschen Gerichten sichergestellt und die Gefahr eines „forum Shopping" vermieden. Vor diesem Hintergrund ist eine analoge Anwendung von Art. 236 § 1 E G B G B n. F. im deutschen interlokalen Privatrecht abzulehnen.^' Ein Widerspruch zur analogen Heranziehung der Artt. 3 ff. E G B G B liegt darin nicht.
Dafür z.B. BayObLG 19.2.1991 BayObLGZ 1991, 103 (107) = NJW 1991, 1237 (1238) = FamRZ 1991, 868 (869); LG Berlin 6.12.1990 NJW 1991, 1238 (1239); LG Berlin 10.6.1991 DtZ 1991, 444; LG Berlin 13.9.1991 DtZ 1992, 30; OLG Frankfurt a.M. 10.6.1991 OLGZ 92, 35 (38) = DtZ 1991, 300 (301); LG Bonn 9. 8.1991 DtZ 1992, 56 (57); Dörner (oben Fn. 9) 331; Pirrung (oben Fn. 9) 236; Stall (oben Fn.3) 585; Schotten/Schmellenkamp DNotZ 1992, 203. " Wie hier z.B. Schurig (oben Fn. 11) 520; Miinchener Kommentar-Sonnenberger (oben Fn.ll) Rdn.730; Palandt-Heldrich (oben Fn.9) Art.236 EGBGB Rdn. 4 m. w. N.
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V. Berücksichtigung der Anknüpfungsregeln des RAG im Interesse des Vertrauensschutzes 1. Die hier vertretene Ansicht läuft im Ergebnis auf die Verdrängung der Anknüpfungsregeln des RAG der D D R vom 5.12.1975 bei der Bestimmung des anwendbaren deutschen Teilrechts hinaus. Dies gilt auch und gerade bei der kollisionsrechtlichen Beurteilung von Altfällen, die sich vor dem Beitritt am 3.10.1990 ereignet haben. Auf den ersten Blick scheint dies mit dem Prinzip des Vertrauensschutzes unvereinbar, welches der gesamten Übergangsregelung in Artt. 231-236 EGBGB n. F. zugrunde hegt.''' Indessen stellt sich hier eine Problematik, die von derjenigen bei einer Änderung des maßgebenden materiellen Rechts grundverschieden ist. Die praktische Bedeutung der Kontroverse zwischen Spaltungstheorie und Einheitstheorie beschränkt sich auf Fälle, die über das Gebiet eines der beiden deutschen Staaten hinausgreifen. Soweit der zu beurteilende Sachverhalt nämlich ausschließlich Beziehungen zur früheren D D R oder zur „alten" Bundesrepublik aufweist, werden sowohl die Rechtsanwendungsvorschriften des RAG wie auch diejenigen des EGBGB in seiner analogen Anwendung regelmäßig jeweils zur Maßgeblichkeit des allein in Frage kommenden deutschen Teilrechts führen. Es handelt sich dann eben um Fälle, die sich nur im Bereich einer bestimmten Rechtsordnung abspielen. Bei diesen kann auch die Ersetzung des einen Anknüpfungssystems durch ein anderes das Vertrauen der Beteiligten in die Maßgeblichkeit eines der beiden deutschen Zivilrechte nicht enttäuschen.'^ Soweit sich die Frage nach der Anwendbarkeit eines deutschen Teilrechts in der Praxis überhaupt stellt, wird es sich also in der Regel um Sachverhalte handeln, die tatsächliche Verknüpfungen mit beiden Teilen Deutschlands aufweisen. Bei diesen ist aber das Vertrauen einer Partei in die alleinige Maßgeblichkeit der Verweisungsnormen des RAG der D D R nicht unbedingt schutzwürdig. Es ist durchaus denkbar, daß die andere Partei redlicherweise von der Anwendbarkeit der Kollisionsnormen des EGBGB in analoger Anwendung ausgehen konnte und ausgegangen ist.'^
" Vgl. dazu Dömer (oben Fn.9) 327ff.; Stoll (oben Fn.3) 587f.; Schurig (oben Fn. 11) 520f.; Drohnig (oben Fn. 11) 281. Vgl. dazu auch oben bei Fn. 7. ^ Vgl. dazu auch die ähnliche Argumentation von Schotten/Schmellenkamp D N o t Z 1992, 218: Ein Vertrauen in die Unwirksamkeit der vor der deutschen Vereinigung in den alten Ländern vorgenommenen Beurkundungen sei nicht schutzwürdig; eher gebe es umgekehrt ein schutzwürdiges Vertrauen der Vertragsparteien in die Wirksamkeit solcher Verträge und die Durchsetzbarkeit der sich daraus ergebenden Verpflichtungen.
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Ein Beispiel mag dies verdeutlichen. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 RAG richtet sich die Scheidung einer Ehe in erster Linie nach dem Heimatrecht der Ehegatten zur Zeit der Klageerhebung. Diese Regelung gilt - unwandelbar - auch für die Beurteilung der Scheidungsfolgen, insbesondere den nachehelichen Unterhalt.'^ Wurden deutsche Ehegatten, die ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in der früheren DDR hatten, von einem dortigen Gericht geschieden, so galt also aus dieser Sicht für die Unterhaltsansprüche der Ehefrau die relativ restriktive Regelung des Familiengesetzbuchs der DDR vom 20.12.1965. Im Gegensatz dazu ging das innerdeutsche Koüisionsrecht der alten Bundesrepublik von der Wandelbarkeit des Scheidungsfolgenstatuts aus.'® Seit dem Inkrafttreten des IPR-Neuregelungsgesetzes am 1.9.1986 genügte bereits die bloße Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsverpflichteten in die alte Bundesrepublik, um die großzügigere Regelung des BGB auf den nachehelichen Unterhaltsanspruch zur Anwendung zu bringen.^' In Fällen dieser Art können die Ehegatten durchaus unterschiedliche Erwartungen entwickelt haben. Der Ehemann mag etwa auf die Maßgeblichkeit des RAG und damit auch des Familiengesetzbuchs der DDR vertraut haben, die Ehefrau kann dagegen ihr Vertrauen in die analoge Heranziehung des EGBGB und damit auch in die Anwendbarkeit des BGB gesetzt haben. Es zeigt sich also, daß der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht notwendig die Weiteranwendung der Rechtsanwendungsregeln der früheren DDR rechtfertigt. Er läßt sich ebensogut für eine Heranziehung der innerdeutschen Kollisionsnormen der alten Bundesrepublik anführen.'*" Gewiß ist nur ein legitimes Vertrauen schutzwürdig. Aber auch Feststellungen hierüber sind nicht immer leicht zu
" Vgl. Internationales Privatrecht: Kommentar zum Rechtsanwendungsgesetz (Hrsg. Ministerium der Justiz) (1989) §20 RAG Anm. 1.4; Ramrath, Anknüpfungsmomente im Internationalen Privatrecht der DDR, Diss. Bielefeld (1984) 151. Vgl. BGH 22.9.1982 BGHZ 85, 16 ff. (25) zum Unterhaltsstatut. Das gleiche galt für die Durchführung eines Versorgungsausgleichs; vgl. BGH 16.5.1984 BGHZ 91, 186 (196f.); BGH 12.12.1990 FamR2 1991, 421 ff.; 4.12.1991 FamRZ 1992, 295. " Münchener Kommentar-Winkler v. Mohrenfels, BGB, Bd. 7: EGBGB, 2. Aufl. (1990) An. 17 EGBGB Rdn.304; Palandt-Heldrich (oben Fn.9) Art. 17 EGBGB Rdn.40. ^^ Dies gilt auch für das von Dömer (oben Fn.9) 329f. gebildete Beispiel: Der mittelständische Betrieb aus Hessen, der an der Erstellung einer Industrieanlage für ein Kombinat in Thüringen beteiligt war, mag durchaus von den interlokalen Anknüpfungsregeln der alten Bundesrepublik ausgegangen sein, die zum Recht der vertragscharakteristischen Leistung führen.
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treffen.'" Nicht selten wird sich erweisen, daß die unterschiedlichen Vorstellungen beider BeteiUgten in gleicher Weise Schutz verdienen. Freilich mag man einwenden, daß es bei der Einführung des Bundesrechts im Beitrittsgebiet primär um die Berücksichtigung der Interessen der Bürger in den neuen Ländern geht, die auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage vertraut haben."*^ Dieses Vertrauen muß sich aber keineswegs notwendig auf die Fortgeltung der Anknüpfungsregeln des RAG richten. Dies lehrt das Beispiel der in der früheren DDR zurückgebliebenen geschiedenen Ehefrau, die Unterhaltsansprüche gegen ihren ehemaligen Ehemann verfolgt, der vor dem 3.10.1990 in die alte Bundesrepublik übergesiedelt ist. Es wird dieser Frau kaum zu vermitteln sein, daß zum Schutz ihres Vertrauens in die Weiteranwendung des RAG ihre Ansprüche für alle Zukunft nunmehr nach dem Familiengesetzbuch der DDR zu beurteilen und eventuell zu verneinen seien, obgleich sie nach den Vorschriften des BGB wohlbegründet wären, die analog Art. 18 Abs. 5 EGBGB zur Anwendung berufen sind. Es ist sogar denkbar, daß die Betroffene sich schon vor dem Beitritt auf die ihr günstigere Rechtslage eingestellt hat und den Verlust ihrer Ansprüche als rückwirkenden Eingriff in bereits entstandene Rechte empfinden muß. 2. Allein aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes läßt sich daher ein System des interlokalen Privatrechts im vereinten Deutschland kaum entwickeln."*' Das bedeutet jedoch nicht, daß dieser Aspekt bei der Anknüpfung keinerlei Beachtung verdient. Die rückwirkende Ersetzung der Verweisungsregeln des RAG durch die Kollisionsnormen des EGBGB in ihrer analogen Anwendung darf jedenfalls nicht dazu führen, daß sich alle Beteiligten vor eine neue Rechtslage gestellt sehen. Soweit die Anknüpfungssysteme der beiden deutschen Rechtsordnungen schon vor der deutschen Vereinigung zu identischen Lösungen gelangt sind, müssen diese auch nach dem 3.10.1990 maßgebend bleiben. Ein Beispiel bildet das interlokale Erbrecht. Das am 1.1.1976 in Kraft getretene RAG der DDR unterstellt in §25 Abs. 1 die erbrechtlichen Verhältnisse dem Heimatrecht des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes. DDR-Bürger wurden daher nach dem Zivilgesetzbuch der DDR vom 19.6.1975 beerbt. Dies galt nach § 5 lit. b) RAG auch dann, wenn sie noch eine weitere Staatsangehörigkeit besaßen. Die erbrechtlichen Verhältnisse Einen beachtlichen Gesichtspunkt nennt Schurig (oben Fn. 11) 521, der auf die praktische Durchsetzharkeit eines der beiden Rechtsanwendungssysteme im konkreten Einzelfall abstellt; ähnlich Stall (oben Fn. 3) 588. Auch dieses Kriterium wird aber nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen führen. Unter Umständen werden sich für beide Rechtsstandpunkte Realisieningsmöglichkeiten ergeben. Vgl. dazu Dömer (oben Fn. 9) 328. " Anderer Meinung insoweit Stall (oben Fn. 3) 587 ff.
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bezüglich des Eigentums und anderer Rechte an einem in der DDR belegenen Grundstück unterlagen nach § 25 Abs. 2 RAG stets dem Recht der DDR. In der „alten" Bundesrepublik wurde die Rechtsnachfolge von Todes wegen in Analogie zu Art. 25 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich dem Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers unterstellt. Befand sich dieser im Bundesgebiet, so war die Erbfolge daher grundsätzlich nach dem BGB zu beurteilen, selbst wenn der Erblasser ein noch nicht ausgebürgerter „Republikflüchtling" aus der DDR war. Die beiden Anknüpfungssysteme führten insofern also zu verschiedenen Ergebnissen. Mit dem Inkrafttreten des EGBGB im Beitrittsgebiet gemäß Art. 8 des Einigungsvertrages i. V. m. Art. 230 Abs. 2 EGBGB n. F. ist diese Divergenz beseitigt. Fortan gilt auch bei der kollisionsrechtlichen Beurteilung von Erbfällen, die vor dem 3.10.1990 eingetreten sind, in ganz Deutschland einheidich das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers. Eine Ausnahme ist aber für Nachlaßgrundstücke zu machen, die in der früheren DDR belegen sind. Für sie galt analog Art. 3 Abs. 3 EGBGB i.V.m. §25 Abs. 2 RAG auch nach dem Rechtsstandpunkt in der „alten" Bundesrepublik das Recht des Lageortes, mithin das ZGB. Insoweit führten also schon vor dem Beitritt die beiden Anknüpfungssysteme zum gleichen Ergebnis. Hieran ist im Interesse des Vertrauensschutzes bei Erbfällen, die zwischen dem 1.1.1976 und dem 3.10.1990 eingetreten sind, festzuhalten. Dies entspricht im Ergebnis auch der nunmehr völlig herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft.'''' 3. Die eben skizzierten Regeln besitzen praktische Bedeutung auch für die Rückübertragung enteigneter Vermögenswerte nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.4.1991 (BGBl. 1991 I 957). Der Anspruch auf Rückübertragung steht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG dem Berechtigten zu. Berechtigte sind nach § 2 Abs. 1 VermG natürliche und juristische Personen sowie Personenhandelsgesellschaften, deren Vermögenswerte von Enteignungsmaß-
" Vgl. z.B. BayObLG 19.2.1991 BayObLGZ 1991, 103 (105) = NJW 1991, 1237 = FamRZ 1991, 868; LG Berlin 6.12.1990 NJW 1991, 1238 (1239); LG Bonn 9.8.1991 DtZ 1992, 56 (57); OLG Frankfurt 10.6.1991 OLGZ 1992, 35 (38) = DtZ 1991, 300 (301); KG 14.1.1992 DtZ 1992, 187 (188) = FamRZ 1992, 611; Notariat 1 Müllheim 14.1.1992 DtZ 1992, 157 ff. (158); Münchener Kommentar-Leipold, Zivilrecht im Einigungsvenrag (1991) Rdn.654 (zu Art. 235 EGBGB); PalandtHeldrich (oben Fn. 9) Art. 25 EGBGB Rdn. 23 m. w. N. (im Gegensatz zur Vorauflage). - Zu dieser Nachlaßspaltung kommt es nicht bei Erbfällen, die vor dem Inkrafttreten des RAG am 1.1.1976 eingetreten sind; vgl. dazu OLG Frankfurt a. M. 10.6.1991 OLGZ 1992, 35 (38) = DtZ 1991, 300 (301); LG Gießen 14.1.1992 FamRZ 1992, 603; BayObLG 19.3.1992 BayObLGZ 1992, 64ff.
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nahmen betroffen sind, sowie ihre Rechtsnachfolger. Da die in Frage kommenden Eingriffe in das Vermögen oft mehrere Jahrzehnte zurückliegen, waren die Betroffenen im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vermögensgesetzes am 29.9.1990'^^ nicht sehen bereits verstorben. Der Restitutionsanspruch ist dann nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG originär in der Person ihrer Rechtsnachfolger, d.h. ihrer Erben, entstanden.''^ Nach welchem der beiden deutschen Zivilrechte die Erbfolge zu beurteilen ist, entscheiden die Regeln des innerdeutschen Kollisionsrechts, die in Analogie zu Artt. 3 ff. E G B G B entwickelt wurden. Maßgebend ist also grundsätzlich das Erbrecht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers. Befand sich dieser in der „alten" Bundesrepublik, gilt für die Erbfolge das BGB. Dabei bleibt es auch dann, wenn es sich bei dem enteigneten Vermögensgegenstand um ein Grundstück oder Gebäude handelt. Die dingliche Wirksamkeit der Enteignungsmaßnahme wird durch den Einigungsvertrag und dessen Anlagen nicht in Frage gestellt. Aus diesem Grund hat der Berechtigte nach dem Vermögensgesetz auch nur einen obhgatorischen Rückübertragungsanspruch.''^ Auf diesen ist er in den von § 1 VermG geregelten Fällen auch beschränkt. Die Geltendmachung eines dinglichen Herausgabeanspruchs vor den Zivilgerichten ist durch das Vermögensgesetz ausgeschlossen.''^ Im Zeitpunkt des Erbfalls gehörte deshalb zum Nachlaß kein Grundstücks- oder Gebäudeeigentum i.S.v. §25 Abs. 2 RAG. Allenfalls könnte man davon sprechen, daß eine vage Chance bestand, daß die Enteignungsmaßnahme bei einer Änderung der politischen Verhältnisse wieder rückgängig gemacht werden könnte. Der Erbe tritt aber " ' V g l . dazu Einigungsvertrag vom 3 1 . 8 . 1 9 9 0 (BGBl.II 885) Anlage II Kapitel III Abschnitt IV Sachgebiet B: Bürgerliches Recht Nr. 5 sowie Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Einigungsvenrages vom 16.10.1990 (BGBl. II 1360); ferner Rädler/Raupach/Bezzenberger-Barkam, Vermögen in der ehemaligen DDR, Vorbemerkung Rdn.41; Fieherg/Rekhenbach, Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (1992) § 2 Rdn. 10. Vgl. Fieberg/Reichenbach (oben Fn.45) § 2 VermG Rdn. 10. " ' Z u r Rechtsnatur des Anspruchs vgl. KG 26.4.1991 DtZ 1991, 298ff. (299); BezG Dresden 17.4.1991 DtZ 1991, 302; BezG Frankfurt (Oder) 2 6 . 2 . 1 9 9 2 NJ 1992, 218; Kohler N J W 1991, 465ff. (466). Der Anspruch ist allerdings öffentlich-rechdich ausgestaltet; vgl. dazu B G H 3 . 4 . 1 9 9 2 N J W 1992, 1757; L G Berlin 16.7.1991 DtZ 1991, 412 (413); BezG Gera 19.11.1991 ZIP 1992, 137; KG 25.11.1991 ZIP 1992, 211 (212); Münchener Kommentar-Säcker/Hummert, Zivilrecht im Einigungsvertrag (Stand Juli 1991) Rdn. 1054; Fieberg/Reichenbach (oben Fn.45) § 3 VermG Rdn.2. B G H 3 . 4 . 1 9 9 2 N J W 1992, 1757 ff. (1759) (betr. Vertragsanfechtung wegen rechtswidriger Drohung). A . M . Rädler/Raupach/Bezzenberger-Barkam (oben Fn. 45) § 1 VermG Rdn. 39 ff., der auch die zivilrechtliche Anfechtung für statthaft häk.
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nach dem Prinzip der Universalsukzession auch in eine erst in der Entwicklung begriffene Rechtsbeziehung ein/' Eben darum handelt es sich jedoch beim Restitutionsanspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG nicht. Der Erbe hat diesen Anspruch nicht etwa vom Erblasser geerbt, er hat ihn vielmehr unmittelbar in seiner eigenen Person erworben. §25 Abs. 2 R A G muß deshalb bei der Ermittlung des Erbstatuts außer Betracht bleiben. Zwar hat das Zivilrecht der D D R bei der Übereignung von Grundstücken die Trennung zwischen Verpflichtungsgeschäft und Erfüllungsgeschäft aufgegeben, wie der schon mehrfach zitierte § 297 Abs. 1 ZGB zeigt.'° Vor diesem Hintergrund wäre es an sich nicht ausgeschlossen, auch den Rückübertragungsanspruch auf ein enteignetes Grundstück gemäß §3 Abs. 1 VermG als Recht an einem Grundstück i. S. v. § 25 Abs. 2 R A G zu verstehen.^' Entscheidend ist aber, daß dieser Anspruch überhaupt nicht in den Nachlaß fällt. Er bleibt deshalb bei der Bestimmung des anwendbaren Erbrechts ohne Einfluß." Die praktische Bedeutung dieser kollisionsrechtlichen Weichenstellung zum Erbrecht der alten Bundesrepublik einerseits und zum Erbrecht der früheren D D R andererseits ist keineswegs gering. Beide Rechtsordnungen weichen bei der Beurteilung erbrechdicher Fragen nicht unerheblich voneinander ab.^' Dies zeigt sich bereits an der ganz unterschiedlichen Regelungsdichte der beiden Kodifikationen. Während das BGB dem Erbrecht 463 Paragraphen gewidmet hat, sind es im Z G B nur deren 66. Bestimmte Rechtsinstitute wie Vor- und Nacherbschaft, Erbvertrag und
Vgl. z.B. Münchener Kommentar-Leipold, Bd.6: Erbrecht, 2.Aufl. (1989) §1922 Rdn.25; Palandt-Edenhofer, BGB, 51. Aufl. (1992) §1922 Rdn.26. ^ Vgl. dazu etwa Westen, Das neue Zivilrecht der D D R (1977) S. 88. " Für die Qualifikation des Begriffs ist das Recht maßgebend, dem dieser Begriff entstammt, vgl. z.B. Kropholler, Internationales Privatrecht (1990) §161 S.lOOf. " So im Ergebnis auch bereits Schotten/Johnen DtZ 1991, 257 ff. (260); Palandt-Heldrich (oben Fn. 9) An. 25 E G B G B Rdn. 23. - Insofern unterscheidet sich der Rückübertragungsanspruch nach §3 Abs. 1 VermG von den auf Grundstücke gerichteten Rückerstattungsansprüchen der Erben von Verfolgten des NaziRegimes nach den entsprechenden Rückerstattungsgesetzen der Militärregierungen in Deutschland. Sie wurden wegen ihrer dinglichen ex tunc-Wirkung bei der Anknüpfung des Erbstatuts als „unbeweglicher" NachlafS qualifiziert; vgl. O L G Frankfurt a. M. 2. 7.1953 RabelsZ 19 (1954) 554 (555) mit im Ergebnis zustimmender Anmerkung von Neuhaus; ebenso Raupe, Internationales Privatrecht, 4. Auflage (1955) S.391; a.M. Aubin J Z 1951, 511 (512), der von der dinglichen Wirksamkeit der Enteignung im Zeitpunkt des Erbfalls ausgeht und deshalb einen solchen Anspruch originär ex lege restitutionis in der Person des Erben entstehen läßt. Vgl. dazu auch B G H 5.6.1957 B G H Z 24, 352 (361 f.). " Vgl. dazu etsva E G B G B Rdn. 8 ff.
Palandt-Edenhofer,
BGB,
50. Aufl.
(1991)
Art. 235
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Erbverzicht kommen im ZGB nicht mehr vor. Auch auf dem Gebiet der gesetzlichen Erbfolge bestehen Systemunterschiede: Die Rechtsstellung des überlebenden Ehegatten ist nach dem ZGB wesentlich stärker als nach dem BGB, nichteheliche Kinder sind den ehelichen erbrechdich völlig gleichgestellt und das Erbrecht des Staates ist wegen des Abbruchs des Verwandtenerbrechts nach der dritten Ordnung gegenüber dem BGB erweitert. Unterschiedlich geregelt sind auch die Ausschlagung einer Erbschaft und ihre Anfechtung. Alle diese Fragen können aber bei der erbrechtlichen Legitimation zur Geltendmachung von Rückübertragungsansprüchen nach dem Vermögensgesetz eine Rolle spielen. VI. Ausblick Gerade vor dem Hintergrund solcher Rechtsunterschiede wird deutlich, daß kollisionsrechtliche Überlegungen kein Glasperlenspiel sind. Mit der Entscheidung für oder gegen die Anwendung einer der beiden deutschen Zivilrechtsordnungen wird unmittelbar in das Schicksal von Menschen eingegriffen. Eben deshalb darf man sich diese Entscheidung auch nicht leicht machen. Die hier vertretene Auffassung läuft in der Quintessenz darauf hinaus, die dafür maßgebenden Regeln in erster Linie dem innerdeutschen Kollisionsrecht der „alten" Bundesrepublik zu entnehmen. Nur so kann die Rechtseinheit auf dem Gebiet des Zivilrechts in den alten und in den neuen Ländern auch bei der Beurteilung von Altfällen verwirklicht werden. Dabei handelt es sich aber keineswegs um eine Verdrängung des materiellen Rechts der früheren DDR zugunsten des materiellen Rechts der alten Bundesrepublik. Zwar hat das Rechtsanwendungsgesetz der DDR in gewissem Umfang die Anwendung des eigenen Rechts gefördert.^"* Dieser überzogene Geltungsanspruch wird durch die Heranziehung des innerdeutschen Kollisionsrechts der alten Bundesrepublik blockiert. Auch dessen Regeln stellen aber die Anwendbarkeit des Zivilrechts der DDR sicher, wo immer das im konkreten Fall sachgerecht ist. Dieses Recht wird deshalb bei der Beurteilung von Altfällen seine Bedeutung behalten. In den kommenden Jahren werden wir also reichlich Gelegenheit haben, uns mit den Vorzügen und Schwächen des Familiengesetzbuchs und des Zivilgesetzbuchs der DDR zu beschäftigen. Auf diese Weise werden die beiden Kodifikationen möglicherweise auch Anregungen für die Weiterentwicklung des einheitlichen deutschen Privatrechts vermitteln.
" Vgl. dazu z. B. Pirrung (oben Fn. 9) 214; Stall (oben Fn. 3) 579.