Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug: Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 4. Mai 1983 9783110896916, 9783110098761


195 10 4MB

German Pages 41 [52] Year 1983

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
I. Einleitende Bemerkungen
II. Der Normzweck des §203 StGB n.F.
III. Weitere Lösungsansätze im Normbereich des §203 StGB
IV. „Befugte” Durchbrechungen der ärztlichen Schweigepflicht nach allgemeinen Regeln
V. Vollzugsbedingte „befugte" Durchbrechungen?
VI. Schlußwort
Recommend Papers

Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug: Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 4. Mai 1983
 9783110896916, 9783110098761

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Klaus Geppert Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug

Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin Heft 81

w DE

_G 1983

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug Von Klaus Geppert

Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 4. Mai 1983

wDE G

1983

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Dr. jur. Klaus Geppert Ord. Professor für Strafrecht, Strafverfahrensrecht und Strafvollzug an der Freien Universität Berlin und Richter am Kammergericht

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Geppert, Klaus: Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug; Vortrag gehalten vor d. Jur. Ges. z. Berlin am 4. Mai 1983 / von Klaus Geppert. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1983. (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin ; H. 81) ISBN 3-11-009876-8 NE: Juristische Gesellschaft (Berlin, West): Schriftenreihe der Juristischen...

© Copyright 1983 by Walter de Gruyter & Co., vormals G.J. Göschen'scne Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlaees reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany Satz und Druck: Saladruck, Berlin 36 Bindearbeiten: Verlagsbuchbinderei Dieter Mikolai, Berlin 10

I. Einleitende Bemerkungen* Mein Thema ist „die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug". Klarzustellen ist zunächst, ob die ärztliche Schweigepflicht - wie sie jahrhundertealter ärztlicher Berufsüberzeugung entspricht und im übrigen seit langem strafbewehrt ist (§ 203 Abs. 1 StGB n. F.) - auch den beamteten/ angestellten Arzt im Zwangssystem des Strafvollzugs1 zur Verschwiegenheit verpflichtet. Angesichts der behördlich-hierarchischen Struktur der Institution Strafvollzug ist weiter zu fragen, ob oder gegebenenfalls in welchem Umfang die Schweigepflicht den Arzt auch innerdienstlich gegenüber Anstaltsleitung und vorgeordneter Aufsichtsbehörde bindet. Gerade in diesem Punkt wurden seit einiger Zeit deutlich Meinungsver-

Das Manuskript für diesen Vortrag wurde am 15. März 1983 fertiggestellt. Der Beitrag von Marx im April-Heft von Goltdammer's Archiv für Strafrecht (GA 1983, S. 160 ff.: „Schweigepflicht und Schweigerecht der Angehörigen des Behandlungsstabs im Straf- und Maßregelvollzug") konnte daher nur noch in den Fußnoten berücksichtigt werden. 1 Im folgenden wird das Thema entwickelt für den (erwachsenen) Strafgefangenen, weil der Vollzug der Freiheitsstrafe in den Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) spezialgesetzlich geregelt ist. Auch der Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung richtet sich grundsätzlich nach diesen Vorschriften (siehe insofern für die Unterbringung in der sozialtherapeutischen Anstalt und für die Sicherungsverwahrung die §§124 und 130 StVollzG; beachte aber die Ausnahmevorschrift des § 125 Abs. 2 StVollzG). Der Vollzug der sog. „medizinischen" Maßregeln (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt) richtet sich nach (Unterbringungs-)Landesrecht (vgl. § 138 StVollzG); darauf wird im folgenden nicht eingegangen. Für den Vollzug der U-Haft, für die bislang ein Gesetz fehlt (siehe insofern aber die Untersuchungshaftvollzugsordnung - UVollzO - in der Fassung vom 15. Dezember 1976: von den Ländern bundeseinheitlich erlassene Verwaltungsordnung), gilt im wesentlichen gleiches; insbesondere die §§94 bis 101 StVollzG gelten direkt auch für den Vollzug der U-Haft (§178 Abs.l StVollzG). An die Stelle der Vollzugsbehörde tritt hier freilich der Haftrichter (vgl. § 178 Abs. 2 StVollzG mit §119 Abs. 5 StPO). Zur Entscheidungszuständigkeit der Vollzugsbehörde bzw. des Haftrichters siehe insbesondere Nöldeke-Weichbrodt NStZ 1981, S.284.

6

schiedenheiten erkennbar. Diese haben - das weiß in Berlin jeder Zeitungsleser - anläßlich der im Frühjahr 1981 bundesweit durchgeführten Hungerstreikaktion von Straf- und Untersuchungsgefangenen aus dem Bereich terroristischer Gewaltkriminalität vereinzelt zu tiefgreifenden Auseinandersetzungen zwischen Ärzten und den zuständigen Vollzugs-/ Justizbehörden geführt. Gegenstand der Kontroverse war dabei insbesondere die Frage, ob die zur ärztlichen Betreuung der Nahrungsverweigerer tätigen Arzte ihre dabei gewonnenen Kenntnisse ihrem Dienstvorgesetzten und der Vollzugsbehörde/dem Haftrichter mitzuteilen haben. Zu dieser vollzugsrechtlich und gefängnis-„ atmosphärisch" bedeutsamen Frage finden sich in der einschlägigen Kommentar- und Lehrbuchliteratur kaum deutlich Stellungnahmen2. Um so mehr liegt es im Interesse aller Beteiligten, in diesem heiklen Dreieck zwischen gefangenem Patienten, behandelndem Arzt und vorgesetzter Dienstbehörde im Hinblick auf Geltung und Grenzen ärztlicher Schweigepflicht rechtliche Klarheit zu gewinnen. Dies ist nicht zuletzt deshalb erforderlich, weil in jüngster Zeit aus juristischer Sicht dezidiert die Rechtsansicht vertreten wird, auch „der Anstaltsarzt (unterliege) wie jeder andere Arzt der Schweigepflicht und (könne) sich insbesondere gegenüber Anstaltsleitung und Dienstherren auf sein Schweigerecht berufen"'. Die rechtliche Schwierigkeit meines Themas beruht zunächst einmal

2 Weitgehend „Fehlanzeige" insofern in den Strafvollzugs-Lehrbüchern von Kaiser-Kerner-Schöch (3. Aufl. 1982), Böhm (1979) und Calliess (2. Aufl. 1981) sowie in den StVollzG-Kommentaren von Calliess/Müller-Dietz (3. Aufl. 1983; vgl. § 56 Rdn. 5) und dem sog. Altemativ-Kommentar zum StVollzG (2. Aufl. 1982: vgl. Rdn. 2 a vor §56 sowie §156 Rdn. 2). Etwas ausführlicher äußert sich Grunau (Grunau-Tiesler, StVollzG, 2. Aufl. 1982: §158 Rdn.2): zwar gelte auch für den beamteten/angestellten Arzt im Vollzug die ärztliche Schweigepflicht; doch sei eine Offenbarung u. a. „zwecks Erfüllung von Berufspflichten" oder zwecks Aufrechterhaltung der Sicherheit bzw. der Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung ausnahmsweise befugt. Viel weitgehender Grunau insofern noch bei seiner Kommentierung der UVollzO (2. Aufl. 1972: Vorbem. zu Nr. 56): der Anstaltsarzt verletze im innerdienstlichen Verkehr die Schweigepflicht nicht, da auch die Vorgesetzten ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtet seien. 3 So Zieger, „Zur Schweigepflicht des Anstaltsarztes", in: Zur Zwangsernährung verpflichtet? (Berlin 1981), S. 59; siehe auch Zieger Strafverteidiger 1981, S. 559 ff. So zumindest für den behandelnden Arzt neuerdings auch Marx GA 1983, S. 172. Marx sieht zwar, daß durch derartige „konsequent beobachtete Verschwiegenheit . . . für bedeutsame Vollzugsentscheidungen", die ohne den vom Arzt zu liefernden Befund nicht getroffen werden können, „wichtige Informationen verloren gehen" ; doch will er diesbezüglich allenfalls „de lege ferenda" Abhilfemöglichkeiten erwägen.

7 schlicht auf der Tatsache, daß eine eindeutige spezialgesetzliche Grundlage nicht vorhanden ist. Die im täglichen Vollzugsleben daraus resultierenden Schwierigkeiten beruhen darüber hinaus gelegentlich vielleicht doch noch auf der (wenn auch nur unterschwelligen) Vorstellung, daß ein Gefangener auch im Hinblick auf seinen „Patienten-Status" einem Sonderrechtsverhältnis unterworfen ist. Um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Das BVerfG hat in seiner bekannten Entscheidung vom 14. März 1972* nachdrücklich klargestellt, daß auch gegenüber einem Strafgefangenen Rechtsbeschränkungen, die über die Freiheitsentziehung als solche hinausgehen, einer besonderen rechtlichen Grundlage bedürfen und die Rechtskonstruktion jenes sog. „Besonderen Gewaltverhältnisses" der Vergangenheit anzugehören hat. Insofern kann ich einleitend auch im Hinblick auf die ärztliche Schweigepflicht im Vollzug nur wiederholen, was ich für den Bereich ärztlicher Behandlung im Vollzug schlechthin bereits früher gesagt habe 5 : Es gilt nach den Besonderheiten zu suchen, weshalb oder in welchem Umfang Patienten in der Unfreiheit des Strafvollzugs anders als Patienten in der Freiheit sich nicht auf die sonst selbstverständliche Verschwiegenheit des behandelnden Arztes sollen verlassen dürfen. Bei dieser Suche nach Besonderheiten und den sie tragenden gesetzlichen Grundlagen ist der aus den Zeiten des „Besonderen Gewaltverhältnisses" noch gut bekannte Fehlschluß zu vermeiden, allzu schnell von einer staatlichen Fürsorgtpflicht dem Gefangenen gegenüber auf behördliche Eingriffs rechte bzw. auf Einschränkungen sonst selbstverständlicher Freiheiten zu schließen. Sofern die für Ärzte schlechthin geltende Strafnorm des §203 StGB (hier: Bruch des ärztlichen Berufsgeheimnisses nach Maßgabe von Abs. 1 N r . 1) auch für den (beamteten/angestellten) Arzt im Strafvollzug gültig ist, wird zu untersuchen sein, ob sich Lockerungen der umfassenden Schweigepflicht möglicherweise schon in §203 StGB selbst oder gegebenenfalls im Gesamtgefüge der im StVollzG normierten Sondervorschriften finden lassen. Der im Vollzug tätige Arzt erfüllt quasi in „Personalunion" die Funktion eines Arztes und zugleich die eines in den vollzuglichen Behördenapparat eingegliederten Amtsträgers. Folglich sind auch die entsprechenden beamten- und dienstrechtlichen Vorschriften' in unse-

4

BVerfGE 33, S. 1 ff. Vgl. Geppert, Freiheit und Zwang im Strafvollzug. Gedanken zur ärztlichen Zwangsbehandlung von Strafgefangenen (1976), S. 5 ff. ' Siehe vor allem die beamten- oder dienstrechtlichen Gehorsamspflichten: vgl. §§ 37 des Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG) und 21 des Berliner Landesbeamtengesetzes (Beri. LBG) sowie §8 Abs. 2 des Bundesangestellten-Tarifvertrages (BAT). 5

8 re Überlegungen miteinzubeziehen; zu klären ist in diesem Zusammenhang insbesondere die „Konkurrenz" des neuen § 2 0 3 Abs. 2 N r . 1 (Verletzung von Privatgeheimnissen durch Amtsträger) gegenüber Abs. 1 N r . 1 dieser Vorschrift. Im Hinblick auf den Beruf als Arzt werden die so gefundenen Ergebnisse schließlich an den Anforderungen des ärztlichen Berufsstandesrechtes zu überprüfen sein 7 . Weil das berufsethische Schweigegebot des Arztes allenthalben auf den bekannten „Eid des Hippokrates" zurückgeführt wird, bereits einleitend ein Wort dazu: Speziell für unser Thema - nochmals: die Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht vor allem im innerdienstlichen Verkehr - sollte man von diesem „Eid" als der zentralen Richtschnur ärztlicher Berufsethik nicht allzuviel erhoffen. Denn wenn man jenen Eid im griechischen Urtext liest8 und wörtlich übersetzt', kann man erkennen, daß das ärztliche Schweigegebot schon von den alten Griechen relativiert wurde. N u r hinsichtlich der Dinge des menschlichen Lebens, die der Arzt „bei oder außerhalb der Behandlung gesehen oder gehört" hat und die „nach außen" keinesfalls „ausgeplappert" werden dürfen ( „ ε ξ ω " = nach außen!, „έκ-λαλέω" = ausplaudern, ausplappern!), sollte Stillschweigen bewahrt werden! Mit diesem Hinweis soll nun fürwahr nicht Jahrhunderte später ein heikles Rechtsproblem von heute vorschnell gelöst werden; immerhin aber wollte angedeutet werden, daß man zumindest innerdienstliche Mitteilungen nicht ohne weiteres unter den Begriff „nach außen ausplappern" ziehen sollte. Jedenfalls ist unser Konflikt in jenem Eid aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. ebensowenig eindeutig geklärt wie heute! N o c h zwei Bemerkungen vorweg: 1. Jenes heikle Dreieck

„Patient-Arzt-Dienstvorgesetzter/Aufsichts-

7 Siehe in diesem Zusammenhang vor allem die „Berufsordnung für die deutschen Arzte" (nach den Beschlüssen des 79. Deutschen Ärztetages vom 10. bis 15. Mai 1976 in Düsseldorf - Fundstelle im Deutschen Ärzteblatt 1976, S. 1543 ff. oder bei Etmer-Lundt-Schiwy, Kommentar zur Bundesärzteordnung (Stand: 15. Oktober 1981), Bd. 1/Anhang A 2) sowie die „Berufsordnung der Ärztekammer Berlin" vom 2.Februar 1978 (Amtsblatt für Berlin 1978, S.527ff.). ' Nach Edelstein, Der Hippokratische Eid (1969), S. 5: „Ä δ'άν έν θεραπείη ή ΐδω ή άκονσω ή και δνευ θεραπείης κατά βίον άνθρώπων ά μή χρη ποτε έκλαλέεσθαι Ιξω, σιγησομαι άρρηντα ήγεύμενος είναι τά τοιαΐιτα." ' In eigener wörtlicher Übersetzung: „Was ich bei oder außerhalb der Behandlung über das Leben von Menschen sehe oder höre und was nicht irgendwie nach außen ausgeplappert werden darf, darüber werde ich schweigen in der Überzeugung, daß derartiges ungesagt zu bleiben hat."

9 behörde" 10 ist im Hinblick auf die ärztliche Schweigepflicht bislang zwar kaum für den Bereich des Strafvollzugs", wohl aber für andere Konstellationen schon häufig Gegenstand literarischer und höchstrichterlicher Äußerungen gewesen. Gemeint sind - um hierfür nur einige Fallgruppen zu nennen - die Amts- und Vertrauensärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes12, Truppen- oder Betriebsärzte 13 , Ärzte als gerichtlich bestellte Sachverständige1,1 und neuerdings auch Ärzte öffentlicher Krankenhäuser15. Ich will mich bemühen, aus der dort geführten Diskussion auch für unser Thema Anregungen zu gewinnen. 2 . Zum anderen möchte ich darauf hinweisen, daß die unser Thema zentral beherrschende Strafvorschrift des §203 StGB durch das „Einführungsgesetz zum StGB (EGStGB)" 1 ' mit Wirkung zum 1. Januar 1975 neugefaßt und erweitert, man darf insgesamt sagen: verschärft wurde. Von hier aus erhalten die einschlägigen Gesetzesmaterialien (einschließlich früherer Reformvorschläge) im Hinblick auf die Auslegung des neuen 10 Siehe hierzu mit umfangreichem Material (wenngleich zu § 300 StGB a. F. = dem Vorläufer des heutigen § 203 StGB n. F.) die verdienstvolle Freiburger Dissertation von Goedel, „Pflichten und Berechtigungen des Arztes zur Anzeige und Auskunft gegenüber Dritten als Rechtfertigungsgründe des §300 StGB" (1970). 11 Neben Zieger (obige Anm.3) siehe Haß SchlHA 1973, S.42f. sowie früher Goedel (Anm. 10) S. 286 ff. - Neuerdings siehe nun vor allem noch Marx GA 1983, S. 160 ff. 12 Siehe hierzu (statt vieler) vor allem Kierski, „Ärztliche Schweigepflicht und öffentlicher Gesundheitsdienst", in: Mergen, Die juristische Problematik in der Medizin Band II (1971), S. 126ff. (mit wichtiger klarstellender Einschränkung dann in Med. Klinik 1977, S. 773) sowie Ciszenski Das öff. Gesundheitswesen 1968, S. 495 ff., Claus Müller NJW 1966, S. 1152 ff. und Kühne NJW 1977, S. 1478 ff. (zur innerbehördlichen Schweigepflicht von Psychologen des öff. Gesundheitsdienstes). Siehe erst jüngst Jakobs J R 1982, S. 359 ff. und Johann Peter Vogel Berliner Ärztekammer 1981, S.311 ff. Siehe hier vor allem auch BGHZ 40, 288 ff. 15 Siehe hierzu vor allem Bundesdisziplinarhof (BDH) NJW 1963, S.409 ( = JZ 1963, S. 413 mit Anm. Eh. Schmidt JZ 1963, S.414f.) sowie BVerwGE 33, 120 ff. Vgl. auch Narr, Ärztliches Berufsrecht (2. Auflage: Stand vom Juni 1981), Rdn. 748 f. und Kierski Betriebsberater 1976, S. 842 ff. 14 Siehe hierzu vor allem (jeweils mit weiterführenden Nachweisen) Goedel (Anm. 10) S. 247 ff., Klaus Müller, „Schweigepflicht und Schweigerecht des Arztes", in: Mergen (Anm. 12), S. 77 £f. und neuerdings Kühne JZ 1981, S. 647 ff. 15 Siehe hierzu insbesondere Kreuzer NJW 1975, S. 2232 ff. und Med. Klinik 1976, S. 1396ff./S. 1467ff./S. 1520 ff. mit abschließender Stellungnahme in Med. Klinik 1977, S. 776ff. Vgl. hier vor allem auch OVG Lüneburg NJW 1975, S. 2263 f. sowie früher Kleinewefers-Wilts NJW 1964, S. 428 ff. - Zu den „Schweigerechten und Informationspflichten des Lehrers, am Beispiel von Drogenproblemen in der Schule betrachtet" siehe den Aufsatz von Konrad Engler RDJB 1979, S. 62 ff. und S. 130 ff. " Siehe Art. 19 Nr. 85 des EG StGB vom 2. März 1974 (BGBl. I/S. 469 ff.).

10

Gesetzes ihr besonderes Gewicht". Eben wegen dieser neuen Gesetzeskonzeption ist im übrigen gegenüber literarischen und höchstrichterlichen Äußerungen, soweit sie den alten §300 StGB zum Gegenstand haben, eine gewisse Vorsicht angebracht".

II. Der Normzweck des §203 StGB n.F. Zentraler Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist nach alledem § 203 StGB und hier zunächst die Frage nach dem Normzweck dieser Strafvorschrift. Daß es sich dabei nicht um ein Glasperlenspiel der Wissenschaft, sondern um eine Frage mit weitreichenden praktischen Auswirkungen handelt, belegt besonders eindrucksvoll eben unsere Frage nach den Grenzen ärztlicher Schweigepflicht im Bereich des Strafvollzugs und hier speziell im innerdienstlichen Verkehr. Denn käme man zum Ergebnis, daß §203 StGB vorrangig das Vertrauensverhältnis des Patienten zu seinem frei gewählten Arzt schützen will, wäre schon im Ausgangspunkt fraglich, ob bei unfreiwillig begründeten Arzt-Patienten-Verhältnissen der Normbefehl des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB überhaupt seine Wirkung entfaltet. Oder: Sollte diese Vorschrift dem Gemeinschaftsinteresse an wirksamer Gesundheitspflege vor dem individuellen Geheimnisschutz den Vorrang einräumen, könnten - so jedenfalls hat man (wenngleich in etwas anderem als dem vorliegenden Zusammenhang) gelegentlich argumentiert" - entgegenstehende öffentliche Interessen (hier: Vollzugsinteressen) zumindest im innerdienstlichen Verkehr zu einer Auflockerung der ärztlichen Schweigepflicht führen; denn in diesem Fall würde es sich ja nicht um eine Kollision zwischen Allgemein- und Individualinteresse, sondern um eine Interessenabwägung auf derselben Ebene handeln.

17 Siehe vor allem die Amtliche Begründung des EG StGB: Bundestagsdrucksache 7/550 (zu §203 StGB n.F.: a.a.O. S.235ff.) sowie die Amtliche Begründung zu den einschlägigen §§ 185,186 und vor allem 186 a des StGB Entwurfes von 1962 (Begründung a. a. O. S. 326 ff.). - Zu aktuellen Problemen und ungelösten Fragen des neuen § 203 StGB, in dem Rogali ein „Musterbeispiel der extensiven Gesetzesinterpretation durch Rechtsprechung und Lehre gegen die Vorstellungen und den historischen Willen des Gesetzgebers" sieht (a.a.O. S. 1), siehe dessen Beitrag in NStZ 1983, S. 1 ff. 18 Siehe insofern die aufschlußreiche Einschränkung von Kierski Med. Klinik 1977, S.773 gegenüber eigenen früheren Ausführungen (in: Mergen [nach Anm. 12] S. 126 ff.). " Zu dieser Argumentation siehe (diese ablehnend) Kreuzer Med. Klinik 1976, S. 1398 (mit Anm. 7).

11 Ü b e r das Rechtsgut des § 203 Abs. 1 N r . 1 StGB besteht nach wie vor Uneinigkeit 20 : 1. Uneinigkeit herrscht insbesondere darüber, ob §203 StGB in erster Linie das Individualinteresse des Einzelnen oder vorrangig das Gemeinschaftsinteresse oder beide Werte gleichrangig schützt 21 . Gewiß wird niemand bestreiten wollen, daß im Fall der ärztlichen Schweigepflicht beide Güter nicht isoliert im strengen Sinn eines „entweder-oder" zu begreifen sind; doch welchem dieser beiden Schutzwerte im Konfliktfall der Vorrang einzuräumen ist, darüber sind die Meinungsverschiedenheiten noch immer nicht ausgeräumt. a) So stellen die einen vorrangig auf den Schutz der Volksgesundheit ab u n d weisen dem Individualschutz nur sekundäre Bedeutung zu, begreifen diesen quasi nur als willkommenen „Reflex" jenes vorgeordneten Allgemeininteresses 22 : Schutzgut sei in erster Linie das allgemeine Vertrauen in die Verschwiegenheit des Arztes, weil ohne vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arzt und Patient eine im Interesse des Gemeinwesens liegende funktionsfähige ärztliche Gesundheitspflege nicht möglich sei. O h n e das Vertrauen auf die ärztliche Verschwiegenheit könnten einzelne Kranke davon abgehalten werden, den Arzt aufzusuchen und sich helfen zu lassen, und ohne Garantie ärztlicher Diskretion könne sich selbst dort, w o der Kranke zwar von sich aus den Arzt aufgesucht habe, jenes vertrauensvolle Verhältnis nicht entwickeln, das letztlich überhaupt erst die Grundlage eines Heilerfolges darstellt. Den Vorrang des Allgemeinv o r Individualinteressen halten die Anhänger dieser „Gemeinschaftsschutzlehre" vor allem deshalb f ü r gegeben, weil das Gesetz den strafrechtlichen Schutz von Privatgeheimnissen nicht funktional (d.h. vom jeweils zu schützenden Geheimnis aus) abgrenzt, sondern von bestimmten (staatlichen anerkannten) Berufsbildern abhängig macht 23 .

20 Anerkanntermaßen dient §203 Abs. 1 Nr. 1 freilich nicht dem Schutz berufsständischer Interessen des Arztes und nicht dazu, daß dieser ungestört seinem Arztberuf nachgehen kann: vgl. Grömig NJW 1970, S. 1210 und Vogel Berliner Ärztekammer 1981, S. 314; siehe insofern auch Goedel (Anm. 10) S. 29 mit Anm. 1. 21 Für gleichrangigen Schutz vor allem Blei, Strafrecht Besonderer Teil (11. Aufl. 1978), S. 113 („nicht minder ein öffentliches Interesse") und Goedel (Anm. 10) S. 32. 22 Siehe als Anhänger dieser sog. „Gemeinschaftsschutzlehre" schon vor Neufassung des §203 StGB Eh. Schmidt NJW 1962, S. 1747 f. und Bockelmann, Strafrecht des Arztes (1968), S. 34. So auch heute noch Schönke-Schröder-Lenckner, StGB (21. Aufl. 1982), §203 Rdn.3, Becker MDR 1974, S.891, Schlund JR 1977, S.269, Bockelmann, Strafrecht Besonderer Teil/Band 2 (1977), S. 174 f. und Rudolphi, Schaffstein-Festschrift (1975), S.443f. 23 So vor allem Schönke-Schröder-Lenckner, §203 Rdn.3; dagegen freilich Schünemann ZStW 90 (1978), S.53ff.

12

b) Demgegenüber gab es bereits vor Neufassung des §203 StGB zahlreiche Stimmen, die dem Geheimhaltungsinteresse des Einzelnen die vorrangige Bedeutung beigemessen haben24. Die Anhänger dieser „Individualscbutzlehre"25 fühlen sich denn auch - ich meine: völlig zu Recht durch den Gesetzgeber bestätigt, der den früheren § 300 unter Einbeziehung weiterer Berufsgruppen als §203 StGB n. F. in einen neuen „15. Abschnitt: Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs" eingefügt hat. Geschütztes Rechtsgut ist demnach in erster Linie der vom Geheimhaltungswillen des betroffenen Einzelnen getragene persönliche Lebens- und Geheimbereich als Individualrechtsgut. Dafür spricht nicht nur die systematische Stellung des § 203 StGB im neuen Abschnitt über die Indiskretionsdelikte; diese hat der Gesetzgeber ganz bewußt in einem eigenen Abschnitt zusammengefaßt, um damit die hervorragende Bedeutung zu unterstreichen, die in heutiger Zeit einer ungefährdeten Intimund Geheimsphäre des Menschen zukommt. Die amtlichen GesetzesMaterialien berufen sich dabei ausdrücklich auf die Art. 1 und 2 Abs. 1 G G und damit auf einen Verfassungsauftrag zum Schutz der Privatsphäre26. Daß es sich bei § 203 StGB vorrangig um ein Individualdelikt handelt, beweist zudem das Strafantragserfordernis des §205 und beweist nicht zuletzt der neue Abs. 2 von §203, wonach auch die Geheimnisverletzung durch Amtsträger - früher allein durch § 353 b StGB a. F. strafnormiert und damals tatbestandlich zusätzlich von der „Gefährdung wichtiger öffendicher Interessen" abhängig - strafbar ist, doch ebenfalls nur auf Antrag des verletzten Geheimnisinhabers verfolgbar sein soll. Ganz abgesehen davon, daß die Gesetzesmaterialien diesen neuen §203 Abs. 2 expressis verbis als Schutznorm der individuellen Privatsphäre rechtfertigen", spricht auch und vor allem hier die gesetzessystematische Stellung 24 So beispielsweise Schönke-Schröder, StGB (17. Aufl. 1974), §300 Rdn. 1 und Maurach, Strafrecht Besonderer Teil (5. Aufl. 1969), S. 169. 25 Siehe u.a. Uckner, StGB (14.Aufl. 1981), §203 Anm. 1, Dreher-Tröndle, StGB (41. Aufl. 1983), §203 Rdn.l, Samson, Systematischer Kommentar, §203 Rdn. 4, Arzt-Weber, Strafrecht Besonderer Teil: Lehrheft 1 (2. Aufl. 1981), S. 184 f., Maurach-Schroeder, Strafrecht Besonderer Teil/Teilband 1 (6. Aufl. 1977), S. 241, Schmidhäuser, Strafrecht Besonderer Teil (1980), S.64 sowie vor allem Kreuzer Med. Klinik 1976, S. 1397 ff. und Schünemann ZStW 90 (1978), S. 51 ff. (mit der Besonderheit, daß nur das Individualinteresse geschützt sei). - So neuerdings nachdrücklich auch Rogali NStZ 1983, S. 3 ff. sowie erkennbar Marx GA 1983, S. 160 ff. 24 Vgl. BT-Drucksache 7/550, S.235 und ebenso schon StGB-Entwurf 1962 (Begründung S. 326). Siehe insofern auch den „ Alternativ-Entwurf" : AE-Straftaten gegen die Person/2. Halbband (1971): Begründung § 149, S.43f. 27 BT-Drucksache 7/550, S.240.

13

bei den Indiskretionsdelikten deutlich für Individualrechtsschutz. Wenn hier vorrangig das Vertrauen der Allgemeinheit in die Verschwiegenheit von Amtsträgern hätte geschützt werden sollen, wäre - insofern ähnlich wie bei den Bestechungsdelikten, wo ja auch das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unbestechlichkeit von Amtsträgern Schutzgegenstand ist2' — eine Eingruppierung bei den Amtsdelikten angebracht gewesen". Gleichwohl: §203 Abs. 1 Nr. 1 StGB dient mittelbar auch dem Allgemeininteresse an funktionstüchtiger Gesundheitspflege. Wörtlich insofern das BVerfG30: „Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, muß und darf erwarten, daß alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unbefugter gelangt. Nur so kann zwischen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvoraussetzungen ärzdichen Wirkens zählt, weil es die Chancen der Heilung vergrößert und damit - im ganzen gesehen - der Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge dient."

In diesem Sinn hat auch der Hinweis von LenckneiJI auf den eingeschränkten Täterkreis des §203 StGB seine Berechtigung. Der Katalog der dort aufgeführten Berufe spiegelt die besondere soziale Bedeutung wieder, die die aufgezählten Berufe für das Wohl der Allgemeinheit haben. Freilich vermag ich zwischen dem individuellen Vertrauensschutz des Einzelnen einerseits und dem Interesse der Allgemeinheit an einer leistungsfähigen Gesundheitspflege andererseits keinen Zielkonflikt zu sehen. Beide Interessen laufen in die gleiche Schutzrichtung. Die Allgemeinheit erhofft sich dadurch eine gut funktionierende ärztliche Versorgung der Bürger, daß jeder einzelne Patient vom Vertrauen zu seinem Arzt getragen ist; mit anderen Worten: das Vertrauen der Allgemeinheit zur Ärzteschaft schlechthin ist gewissermaßen die Summe aller individuellen Vertrauensbeziehungen einzelner Kranker zu jeweils ihrem Arzt52. 2. Unabhängig davon ist zumindest im Ausgangspunkt heute weitgehend außer Streit, daß § 203 Abs. 1 Nr. 1 nicht unbedingt ein bestehendes Vertrauensverhältnis voraussetzt. Folglich findet das strafbewehrte ärztliche Schweigegebot grundsätzlich auch bei unfreiwillig begründeten ArztPatienten-Verhältnissen Anwendung. Zwar wurden schon zu Zeiten, als § 300 StGB in seiner ursprünglichen Fassung lediglich von (dem Arzt) „anvertrauten" Geheimnissen sprach, 28

Siehe BGHSt 15, 88 (96 f.) und seither ständige Rechtsprechung. So zu Recht auch Schünemann ZStW 90 (1978), S.56 (diesbezüglich gegen Schönke-Schröder-Letickner, §203 Rdn.3 am Ende). 30 BVerfG E 32, 373 (380). Siehe insofern auch BGH NJW 1968, 2288 (2290). 31 Schönke-Schröder-Lenckner, §203 Rdn.3. 32 So auch Kreuzer Med. Klinik 1976, S. 1397/98. 29

14

als „anvertraut" alle jene geheimhaltungsbedürftigen Geheimnisse verstanden, die dem Arzt bei seiner Behandlung irgendwie „bekanntgeworden" sind33. Man hat freilich ganz überwiegend den Anwendungsbereich des damaligen §300 mangels Vertrauensbeziehung in allen jenen Fällen ausgeschlossen, in denen der Arzt nicht unmittelbar im Interesse des Kranken, sondern auf Grund gerichtlichen/behördlichen Auftrags34 oder aber als Amtsperson35 tätig wurde; daran hat man mehrheitlich auch dann noch festgehalten, als der Gesetzgeber den damaligen § 300 StGB korrigiert und ihm ein „oder sonst bekannt geworden" hinzugefügt hat36. Mit diesem Hinweis auf das fehlende Vertrauensverhältnis oder auf das unfreiwillige Zustandekommen einer Arzt-Patienten-Beziehung lassen sich die Probleme der ärztlichen Schweigepflicht heute nicht mehr lösen. Nach allem, was soeben zu Normzweck und Rechtsgut des § 203 StGB gesagt wurde, wäre es eine unzulässige Verkürzung, sähe man den Sinn der ärztlichen Schweigepflicht nur im Schutz bestehender (freiwilliger) Vertrauensverhältnisse. §203 StGB schützt nicht die freie Arztwahl37. Geschützt wird die personale Beziehung eines Patienten zu seinem behandelnden (!) Arzt.. und zwar ohne Rücksicht darauf, ob dieses Verhältnis freiwillig begründet wurde oder nicht, und insbesondere auch ohne Rücksicht darauf, ob dieses Vertrauensverhältnis schon besteht oder erst noch angestrebt wird. Ziel der ärztlichen Schweigepflicht ist eben auch, dieses Vertrauensverhältnis als notwendige Grundlage für Heilerfolge durch Garantie ärztlicher Verschwiegenheit ggf. erst noch zu schaffen. Was der Bundesgerichtshof schon im Jahre 1963 - damals bezogen auf den Amtsarzt - sagte, gilt für den ärztlichen Geheimnisschutz schlechthin und angesichts des § 203 StGB, der in seiner Neufassung verstärkt dem Schutz menschlichen Intimbereiches dienen soll, heute noch mehr als damals38: „Der . . . gesetzgeberische Zweck - Schutz der „Intimsphäre" des Patienten erfordert es, den Begriff der „anvertrauten Tatsachen" weit zu fassen und darunter alles das zu begreifen, was der Arzt in dieser Eigenschaft wahrgenom-

33 Siehe schon Bohne-Sax, „Der strafrechtliche Schutz des Berufsgeheimnisses im deutschen Recht", in: Deutsche Landesreferate zum Dritten Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung (1950), S. 947 f. 34 Beispiele: gerichtlich bestellter medizinischer Sachverständiger, Truppenarzt. 35 Beispiel: amtsärztlicher Vertrauensarzt. 34 Zum damaligen Streitstand siehe neben Bohne-Sax (Anm. 33) S. 948 vor allem Goedel (Anm. 10) S. 56 ff. 37 So auch H aß SchlHA 1973, S. 42. 38 BGH2 40, 288 (293f.). Siehe insofern früher schon RGZ 54, 1 ff.; vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 1960, 1392. Zum Truppenarzt siehe BDH NJW 1963, 409 f. und BVerwGE 33, 120 ff.

15 men hat, gleichgültig, ob die Wahrnehmungsmöglichkeit auf einem besonderen Vertrauensakt beruht oder nicht . . . gleichviel, ob ihm die Gelegenheit dazu freiwillig vom Patienten gewährt oder auf Grund gesetzlicher Vorschrift zwangsweise verschafft worden ist; entscheidend ist nur, daß der Arzt Kenntnis von der geheimhaltungsbedürftigen Tatsache in der seine Verpflichtung zur Verschwiegenheit bedingenden Eigenschaft und Tätigkeit (sc. als Arzt) erlangt hat. Es ist deshalb für die Schweigepflicht unerheblich, ob der Patient freiwillig dem Arzt die Untersuchung gestattet oder ob er sich nur dem gesetzlichen Zwang unterworfen hat; es ist ebenso unbeachtlich, ob der Patient die Untersuchung hätte verweigern können, . . . jedoch von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht hat." Nach alledem ist heute weitestgehend 3 ' anerkannt, daß die Anwendung von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht auf die Fälle des freiwillig gewählten Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient beschränkt ist™. Folgerichtig hierzu wird dies auch für den beamteten/angestellten Arzt im Strafvollzug grundsätzlich anerkannt". Eine teleologische Reduktion von § 2 0 3 StGB auf freiwillig begründete Vertrauensverhältnisse ist nach alledem ausgeschlossen.

III. Weitere Lösungsansätze im Normbereich des §203 StGB Mit dieser Erkenntnis ist zunächst freilich nur die Feststellung verbunden, daß unter den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 0 3 Abs. 1 N r . 1 StGB die hier strafsanktionierte ärztliche Schweigepflicht grundsätzlich - gemeint: im Verhältnis nach außen, d.h. gegenüber unbeteiligten Außenstehenden 42 - auch den im Strafvollzug tätigen Arzt trifft. Speziell für die Durchbrechung ärztlicher Verschwiegenheit im Innenverhältnis zu Anstaltsleitung oder vorausgesetzter Aufsichtsbehörde ergeben sich Einschränkungen jedoch möglicherweise aus dem sonstigen Normgefüge des § 2 0 3 StGB. 1. Daß die ärztliche Schweigepflicht auch bei unfreiwillig begründeten Arzt-Patienten-Verhältnissen bindend ist, wird allenthalben nur unter der Voraussetzung anerkannt, daß es sich funktional um ärztliche Tätigkeit M Nur Meyer (in: Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., §53 Rdn.30) schränkt für den im Vollzug tätigen Arzt ein: „wenn und soweit sich . . . ein persönlicher, durch das ärztliche Berufsgeheimnis abgeschirmter Vertrauenskreis gebildet hat". 40 Siehe statt vieler: Dreher-Tröndle, §203 Rdn. 8, Kreuzer Med. Klinik 1976, S. 1467 f. und Kierski Med. Klinik 1977, S. 773 f. 41 Siehe zusätzlich zu den in obiger Anm. 11 genannten Autoren noch Kleinknecht, StPO (35. Aufl. 1981), §53 Rdn. 16, KMR-Paulus, StPO (7. Aufl. 1980), §53 Rdn. 15 sowie Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht (1979), S. 16 f. 42 „Unbeteiligte Dritte" in diesem Sinn sind alle nicht in das konkrete Behandlungsgeschehen eingebundenen Personen, soweit sie außerhalb jenes Dreiecks „Patient-Arzt-Anstaltsleitung/Aufsichtsbehörde" stehen.

16

handelt, mit anderen Worten: nur für den „behandelnden" Arzt. Denn eben das Behandlungsgeschehen - darin eingeschlossen Diagnose ebenso wie Therapie - ist unbestreitbar der Bezugsrahmen, innerhalb dessen das ärztliche Schweigegebot seinen individual- und allgemeintherapeutischen Sinn zu entfalten hat13. Sieht man daraufhin das StVollzG und die dazu erlassenen (bundeseinheitlichen) Verwaltungsvorschriften durch, so ergeben sich für den Anstaltsarzt folgende Tätigkeitsbereiche: a) Der Staat schuldet dem Gefangenen zunächst einmal die allgemeine medizinische Versorgung, für die der Patient in Freiheit prinzipiell selbst verantwortlich ist. Diese (Fürsorge-)Pflicht obliegt dem Anstaltsleiter im Rahmen seiner Gesamtverantwortung (§156 Abs. 2 StVollzG); der Anstaltsleiter hat diese Pflicht durch (haupt- oder nebenamtliche oder vertraglich verpflichtete) Arzte wahrnehmen zu lassen (§158 Abs. 1 StVollzG). Die Landesjustizverwaltungen ihrerseits haben im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht (§151 StVollzG) überwachend zu garantieren, daß die ärztliche Versorgung in den einzelnen Vollzugsanstalten gewährleistet ist. Daß dieser Zentralbereich medizinischer Versorgung (= sog. „Rehabilitation")44 ureigene „Behandlung" ist, versteht sich. Besonders zu betonen ist hingegen, daß dem Gefangenen aus dieser staatlichen Fürsorgepflicht grundsätzlich nur Leistungsansprüche, nicht aber Duldungsverpflichtungen erwachsen. Die Fürsorgepflicht des Staates dem Gefangenen gegenüber ist lediglich Ausgleich dafür, daß dieser in der äußeren Unfreiheit des Vollzugs nicht selbst für sich sorgen kann45. Mit dieser staatlichen Fürsorgepflicht korrespondiert zwar die Verpflichtung des Gefangenen, „die notwendigen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu unterstützen" (§56 Abs. 2 StVollzG). Doch ist damit, wie die amtlichen Gesetzesmaterialien belegen46, nicht etwa eine Pflicht des Gefangenen konstatiert, sich notfalls gegen seinen Willen behandeln zu lassen. §56 Abs. 2 spricht nicht umfassend von 41

Hier liegt denn auch der zentrale Unterschied zwischen dem im Vollzug tätigen Arzt (= unser Problem) und jenen anderen Konstellationen, bei denen der Behandlungs&\iitti% des Arztes allenfalls peripherer Natur ist; siehe diesbezüglich die Diskussion um den gerichtlich bestellten medizinischen Sachverständigen (Nachweise in obiger Anm. 14; vgl. auch Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 37 f.) und den Arzt des öffentlichen Gesundheitsdienstes, soweit dieser nicht in „behandelnder" Funktion tätig wird (Nachweis in obiger Anm. 12). Der Therapieund Behandlungszweck ist denn auch der maßgebende Aspekt, von dem aus Marx (GA 1983, S. 160 ff.) seine Gedanken entwickelt. In diesem zentralen Ausgangspunkt stimme ich Marx nachdrücklich zu. 44 Geregelt in den §§ 56 bis 62 sowie in § 76 Abs. 2 StVollzG (ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft). 45 Weiterführend Geppert (Anm. 5) S.14ff. « Vgl. BT-Drucksache 7/550, S. 72.

17

„Gesundheitsfürsorge", sondern von „Gesundheitsschutz und Hygiene" und will dadurch deutlich machen, daß in der besonderen Situation des Vollzugs, in dem viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, die körperliche Reinhaltung jedes einzelnen Gefangenen, die Sauberkeit der Räume und vorbeugende (Reihen-)Untersuchungen ihre besondere Bedeutung haben. Nur in diesem (engen) Sinn bildet § 56 Abs. 2 die Gesetzesgrundlage für entsprechende Anordnungen der Anstaltsleitung im Wege der Hausordnung oder per Einzelanweisung; eine darüber hinausgehende Pflicht des Gefangenen, sich notfalls gegen den eigenen Willen behandeln zu lassen, und ein entsprechendes Eingriffsrecht der Vollzugsbehörde sind dieser Vorschrift nicht zu entnehmen. Dies folgt im übrigen unmißverständlich auch aus § 56 Abs. 1 Satz 2 StVollzG. Der dortige Hinweis auf § 101 besagt zwar, daß jene Pflicht der Vollzugsverwaltung gegebenenfalls auch die Anwendung unmittelbaren Zwangs erfordern kann, stellt aber zugleich klar, daß Eingriffsbefugnisse und -Verpflichtungen des Staates sich dann nach den engen Voraussetzungen des § 101 bestimmen". b) Nach §63 StVollzG soll die Vollzugsbehörde dem Gefangenen ärztliche Behandlung anbieten, die seiner „sozialen Eingliederung" in die Gesellschaft für die Zeit nach der Entlassung dient. Gedacht ist hier vor allem an kosmetische Operationen zur Beseitigung körperlicher Mißbildungen u. ä. Auch dieser Bereich ärztlicher Tätigkeit ist natürlich echte „Behandlung". c) Die Tätigkeit des Anstaltsarztes ist freilich nicht allein auf die „normale" medizinische Versorgung beschränkt. Darüber hinaus ist der Anstaltsarzt an einer Vielzahl (an sich nicht-medizinischer) vollzuglicher Entscheidungen und Maßnahmen beteiligt, die ärztliche Erkenntnisse und Befunde zur Grundlage haben. So wird jeder Gefangene zunächst einmal nach seiner Aufnahme ärztlich untersucht (§5 Abs. 3 StVollzG)4®. Bei möglicherweise erheblich suchtgefährdeten Gefangenen ist vor der Entscheidung über die Unterbringung im offenen oder geschlossenen Vollzug (§ 10) sowie überhaupt bei Vollzugslockerungen (§§ 11 ff.) die ärztliche Stellungnahme unverzichtbar 4 '. Auf ärztliche Anordnung hin wird besondere Verpflegung gewährt (§21 Satz 2). Der Arzt hat bei der Besuchserlaubnis kranker

47

Vgl. Calliess/Miiller-Dietz, StVollzG, §56 Rdn.l (mit Hinweis auf BTDrucksache 7/3998, S.25). 4 " Siehe dazu auch W Nr. 1 zu §5 StVollzG. 45 Siehe insofern auch W Nr. 2 (1 a) zu § 10, W Nr. 6 (2 a) und Nr. 7 (2 a) zu § 11 sowie W Nr. 4 (2 b) zu § 13 StVollzG.

18 Gefangener ein Wort mitzureden50; auch Einkauf sowie Paketempfang können nach ärztlicher Weisung eingeschränkt werden (§§22 Abs. 2 und 33 Abs. 1). Nicht zuletzt aber kommt der ärztlichen Überwachung bei Anordnung/Vollziehung besonderer Sicherungsmaßnahmen (§§91 Abs. 2 und 92), bei Anwendung unmittelbaren Zwanges51 und vor/bei Vollstrekkung disziplinaren Arrests (§ 107) besondere Bedeutung zu. In all diesen Fällen handelt der Anstaltsarzt im Interesse der Gesundheit des Gefangenen, tritt funktional also auch hier eindeutig als „behandelnder" Arzt auf. d) Nach § 93 Abs. 1 StVollzG ist der Gefangene zum Ersatz von Aufwendungen bei Selbstverletzung oder Verletzung von Mitgefangenen verpflichtet; bei „Zweifeln an der Verantwortlichkeit des Gefangenen" ist eine Stellungnahme des Anstaltsarztes einzuholen ( W Nr. 1 zu §93). Allein in diesem Fall tritt der Anstaltsarzt nicht als „behandelnder Arzt" auf; die Parallele zum gerichtlich bestellten medizinischen Sachverständigen liegt insofern auf der Hand. Gleichwohl wäre es vorschnell, den insoweit als Gutachter auftretenden Anstaltsarzt ebenso wie den gerichtlich bestellten ärztlichen Sachverständigen — also: ohnehin nur im Rahmen des Gutachterauftrages und selbstverständlich nur gegenüber seinem Auftraggeber! - von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden. Denn auch für den medizinischen Gerichtssachverständigen ist von der Begründung her umstritten, weshalb und in welchem Umfang diesem Befreiung vom ärztlichen Schweigegebot zugestanden ist52. Mehrheitlich wird auf den gesetzlichen Gutachterauftrag und auf die für den Probanden damit verbundene gesetzliche Duldungsverpflichtung abgestellt53. Eben daran fehlt es jedoch im Fall des § 93 StVollzG. 2. Ein zweiter Ansatzpunkt, mögliche Einschränkungen ärztlicher Schweigepflicht bereits aus dem Normbereich des § 203 StGB zu entwikkeln, findet sich möglicherweise im Tatbestandsmerkmal „Geheimnis". Als „Geheimnis" werden üblicherweise alle jene Tatsachen definiert, die (1) nur einem beschränkten Personenkreis bekannt sind und (2) an deren Geheimhaltung derjenige, den sie betreffen, ein von seinem Standpunkt aus sachlich begründetes Interesse hat54. Unter diesen beiden Vorausset-

Siehe dazu W Nr. 4 zu §24 StVollzG. Siehe vor allem § 101 StVollzG sowie W Nr. 1 zu §94 StVollzG. 52 Siehe neuerdings vor allem Kühne JZ 1981, S. 647 ff. Siehe im übrigen die in obiger Anm. 14 genannten Autoren. 53 Siehe früher schon Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 37 ff. Weiterführend heute Kleinknecht, StPO, §53 Rdn. 18 und Löwe-Rosenberg-Meyer, StPO, §53 Rdn. 31. 54 Siehe statt vieler Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 34 ff. Schönke-Schröder-Lenckner, §203 Rdn. 5 ff. und Klaus Müller (Anm. 14) S.70ff.; vgl. früher schon Bohne-Sax (Anm. 33) S. 944 sowie neuerdings Rogali NStZ 1983, S. 5 f. 50 51

19 Zungen, die hier nicht im einzelnen vertieft werden müssen, ist der A r z t z u r Verschwiegenheit verpflichtet nicht nur bezüglicher aller Daten, die den Gesundheitszustand des Patienten betreffen ( = Diagnose, Therapie und P r o g n o s e einschließlich aller dabei entstandener Arztunterlagen, Röntgenaufnahme, L a b o r b e f u n d e usw.) 55 , sondern umfassend hinsichtlich aller Lebensbereiche (Privat- und Berufsleben), k u r z : hinsichtlich allem, w a s der A r z t bei seiner Tätigkeit in bezug auf den Geheimnisträger an „geheimen" und „geheimhaltungsbedürftigen" Tatsachen erfährt. A u f die Verhältnisse im Vollzug und hier auf die „medizinischen" Geheimnisse b e z o g e n : D e r Streit erscheint müßig, o b bereits die Tatsache, daß jemand krank ist und z u m Arzt geht 56 , im Verhältnis z u m Kreis der ins Vollzugsgeschehen eingegliederten Personen als geheimhaltungsw ü r d i g e Tatsache zu werten ist. D i e Krankmeldung als solche macht jedoch der Praxis des Vollzugs im Hinblick auf § 203 S t G B gewiß keine Schwierigkeiten. Feststeht jedenfalls, daß die D i a g n o s e als solche „geheimhaltungsbedürftig" und als allenfalls dem Kreis des Behandlungsteams (§203 A b s . 3 S t G B ) zugänglich auch „geheim" ist. 3. Erfolgversprechender erscheint demgegenüber der Versuch, die G r e n z e n ärztlicher Schweigepflicht insbesondere bei innerdienstlichen Mitteilungen mit Hilfe des tatbestandlichen „Offenbarem" enger zu ziehen: Ein Geheimnis ist „ o f f e n b a r t " , wenn die geheime und geheimhaltungsbedürftige Tatsache sowie identifizierbar hierzu die Person des jeweiligen Geheimnisträgers einem anderen, dem das Geheimnis bisher zumindest nicht sicher bekannt war, mitgeteilt werden 5 7 . Eine „ O f f e n b a rung " wird üblicherweise verneint, wenn die Mitteilung im Kreis der z u m Wissen berufenen Personen bleibt 58 ; gemeint sind damit die ins konkrete Behandlungsgeschehen eingebundenen Berufshelfer des Arztes (§203 A b s . 3 Satz 1). Freilich gilt dies - was gerne übersehen wird - nur im R a h m e n dessen, was der Berufshelfer (nach pflichtgemäßer Beurteilung durch den behandelnden A r z t ) zur Erfüllung seiner A u f g a b e wissen

55 Vgl. Schlund J R 1977, S.265 und Kierski Med. Klinik 1977, S.773; siehe in diesem Zusammenhang auch OVG Lüneburg NJW 1975, 2263. 56 Schon allein dies kann beim Patienten in Freiheit nach Sachlage ein „Geheimnis" sein: vgl. Schlund J R 1977, S. 266, Narr, Ärztliches Berufsrecht, Rdn. 747 und LG Köln NJW 1959, 1598. 57 Statt vieler: Schönke-Schröder-Lenckner, §203 Rdn. 19 sowie Dreher-Tröndle, §203 Rdn. 26. 58 So schon RGSt 74, 110 (111). Vgl. auch Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 38, Lenckner, Arzt und Recht (1966), S.176 und Kreuzer Med. Klinik 1976, 1469.

20 muß59. Was der Arzt als Vertrauensperson darüber hinaus erfährt (ζ. B. aus dem Privatleben des Patienten), hat er - auch seinem Berufshelfer gegenüber - für sich zu behalten. 4. Von hier aus kommen wir zu § 203 Abs. 3 Satz 1 StGB und damit zu einem weiteren Ansatz, mit dessen Hilfe in der Literatur gelegentlich versucht wird, die Schweigepflicht des Anstaltsarztes im Innenverhältnis zu seinem Vorgesetzten/seiner vorgesetzten Aufsichtsbehörde einzuschränken. So hat insbesondere Middelhauve60 die Ansicht vertreten, daß ein dem Arzt gegenüber weisungsberechtigter Vorgesetzter als Arzt„Gehilfe" im Sinn von § 203 Abs. 3 Satz 1 anzusehen sei - mit der Folge, daß eine dienstlich verlangte Mitteilung an den Vorgesetzten nicht unter den Normbereich dieser Strafvorschrift falle. Solcher Argumentation ist im Schrifttum nachdrücklich widersprochen worden"; aus gutem Grund: Nach Sinn und Zweck des strafrechtlich geschützten ärztlichen Berufsgeheimnisses ist äußerste Grenze in diesem Zusammenhang die Einbindung des Hilfspersonals in das jeweilige Behandlungsgeschehen. Vorgesetzte des Arztes, die nicht in die ärztliche Tätigkeit eingebunden sind, dürfen nicht über den Umweg des §203 Abs. 3 Satz 1 in das Arzt-Patienten-Verhältnis eingeschmuggelt werden. Dies gilt wie für jeden Arzt im öffentlichen Dienst zweifelsfrei auch für den im Strafvollzug tätigen. 5. Damit sind wir freilich nicht der Antwort auf die Frage enthoben, ob der Anstaltsarzt als im öffentlichen Dienst stehend nicht beamtenoder dienstrechtlich verpflichtet ist, auf Verlangen seine Vorgesetzten auch in Angelegenheiten seiner ärztlichen Berufstätigkeit umfassend zu informieren62. Um den Anstaltsarzt im innerdienstlichen Verkehr von seiner (nach außen unbestrittenen) ärztlichen Schweigepflicht zu entbin-

5 ' So zu Recht einschränkend Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 39, Kreuzer Med. Klinik 1976, S. 1469 und Schönke-Schröder-Lenckner, §203 Rdn.19 mit Rdn.27. 60 Med. Klinik 1977, S. 776 (für den Arzt öffentlicher Krankenhäuser). Ähnlich bedenklich insofern Kleinewefers-Wilts NJW 1964, S. 430 f. " Vgl. Kreuzer Med. Klinik 1976, S. 1469 und 1977, S. 776, Vogel Berliner Ärztekammer 1981, S.314f., Lackner, §203 Anm.2a/bb und Schönke-SchröderLenckner, § 203 Rdn. 64. Siehe früher schon Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 36. - Zur Zugehörigkeit zum Kreis verschwiegenheitsberechtigter und - verpflichteter ärzdicher Berufshelfer siehe neuerdings OLG Oldenburg NJW 1982, 2615 f. 62 Als Beamter oder Angestellter des öffentlichen Dienstes ist auch der Anstaltsarzt nach den Vorschriften des einschlägigen Beamten- oder öffentlichen Dienstrechtes im Rahmen weisungsgebundener Pflichterfüllung seinen Vorgesetzten gegenüber auskunftspflichtig. Siehe im wesentlichen gleichlautend die §37 BRRG und 21 Berliner LBG; vgl. auch §8 Abs. 2 BAT.

21 den, wird neuerdings auf dem Hintergrund speziell von § 203 Abs. 2 in seinem Verhältnis zu § 203 Abs. 1 StGB vereinzelt wie folgt argumentiert": D e r Anstaltsarzt sei nicht nur Arzt, sondern zugleich auch „Amtsträger" (§11 Abs. 1 N r . 2 StGB) und als solcher wie jeder Amtsträger zu amtlicher Verschwiegenheit verpflichtet 44 . Diese Pflicht sei neuerdings durch § 203 Abs. 2 N r . 1 StGB - und zwar in weiterem Umfang als bislang in § 353 b StGB a. F. - für strafbar erklärt. Seit jeher sei allgemein anerkannt, daß Amtsträger zur Amtsverschwiegenheit immer nur nach außen, doch selbstverständlich nicht im Innenverhältnis zu ihren Vorgesetzten und deren Aufsichtsbehörden verpflichtet seien; dies nicht zuletzt deshalb, weil die Vorgesetzten ihrerseits über § 203 Abs. 2 N r . 1 StGB ja ebenfalls unter Strafandrohung zur Verschwiegenheit verpflichtet seien. Folglich sei der Arzt, wenn er zugleich „Amtsträger" sei, im Innenverhältnis zu seinem Vorgesetzten und deren Aufsichtsbehörde nur nach Maßgabe von § 203 Abs. 2 zur Verschwiegenheit verpflichtet. a) Eine solche Beweisführung ist nur für das Verhältnis allein von Amtsträgern zueinander zutreffend. Die in §203 Abs. 2 strafbewehrte Amtsverschwiegenheit läßt die innerdienstliche Pflicht zur Auskunft in der Tat unberührt. Was der einzelne Amtsträger (ergänze: als unselbständiger Teil der Behörde) in seiner Eigenschaft als Behördenvertreter an Geheimnissen erfahren hat, wird zugleich auch z u m Geheimnis der Behörde. Insoweit wird zu Recht allenthalben anerkannt (und entspricht im übrigen den einschlägigen Beamtengesetzen' 5 ), daß das Amtsgeheimnis allein durch die innerbetriebliche Weitergabe an vorgesetzte Amtsträger nicht in strafbarer Weise verletzt wird". b) Der im Vollzug tätige Arzt unterliegt freilich einem doppelten Schweigegebot - einmal der allgemeinen ärztlichen (§203 Abs. 1) und z u m anderen der behördlichen Schweigepflicht (Abs. 2). Ist der Amtsträger aber zugleich Träger eines Berufsgeheimnisses, so ist - um das Ergebnis vorwegzunehmen - die Schlußfolgerung schlicht falsch, ihn 63 So etwa schon früher Granau, UVollzO, Vorbem. zu Nr. 56. So aber erst jüngst (für die Tätigkeit amtsärztlicher Dienstkräfte im Verhältnis zu den für die öffentliche Gesundheitspflege zuständigen Bezirks-Gesundheitsstadträten) der Berliner Senator für Gesundheit und Umweltschutz in seinem an die Bezirksämter gerichteten Rundschreiben vom 5. Februar 1981 (Geschäftszeichen GB). 64 Siehe insofern gleichlautend die §§39 Abs. 1 Satz 1 BRRG und 26 Abs. 1 Satz 1 BerlLBG; vgl. auch §9 Abs. 1 BAT (Dienstverschwiegenheitspflicht). 65 Siehe gleichlautend die §§39 Abs. 1 Satz 2 BRRG und 26 Abs.l Satz 2 BerlLBG. 64 Siehe statt vieler Schönke-Schröder-Lenckner, § 203 Rdn. 45 (mit dem Hinweis, hier läge schon tatbestandlich kein „Offenbaren" vor) und Dreher-Tröndle, §203 Rdn. 32.

22

zwar nach außen uneingeschränkt der strengen beruflich-ärztlichen Schweigepflicht zu unterwerfen (Abs. 1), ihn aber im innerdienstlichen Verkehr nur den Anforderungen des Abs. 2 von § 203 zu unterstellen mit der Folge innerdienstlicher Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht 47 . Damit wäre § 203 Abs. 2 partiell - nämlich: soweit das Innenverhältnis des Arztes zu seinen Vorgesetzten angesprochen ist - gegenüber Abs. 1 als Spezialnorm verstanden. Dem ist aus mehreren Gründen zu widersprechen 68 : (1) N u r mit großer Vorsicht sollte man das Argument benutzen, der Adressat der Mitteilung sei ja ebenfalls unter Strafandrohung zur Geheimhaltung verpflichtet. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß ein schweigepflichtiger Arzt - mögen die Arzte in ihrer täglichen Arbeit diesbezüglich auch oft „großzügig" verfahren - nicht allein schon deshalb von der Schweigepflicht befreit wird, weil er das schutzwürdige Geheimnis an einen schweigepflichtigen anderen Kollegen weitergibt". Sein Tun kann in diesem Fall nur über Einwilligung/mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein; wäre dies nicht so, hätte der B G H in seiner bekannten Entscheidung zur Übernahme einer Arzt-Praxis (einschließlich der Übernahme der Patienten-Kartei) nicht auf eben die „Einwilligungs"-Konstruktion zurückgreifen müssen70. Gilt diese Strenge aber schon für das Verhältnis schweigepflichtiger Arzte untereinander, so ist sie „erst recht" f ü r das Verhältnis „Arzt-Nichtarzt" angebracht. (2) Dieses „erst recht" ist vor allem auch deshalb begründet, weil die ärztliche Schweigepflicht (§203 Abs. 1) gerade auf dem (schon vorhandenen oder noch herzustellenden) Vertrauen gegenüber einer Person beruht, d . h . personaler Natur ist, während die Amtsverschwiegenheit (Abs.2) auf die Integrität eines weitgehend anonymen Behördenapparates ausge-

" So aber wohl Kierski (Anm. 12) S. 126 ff. und wohl auch Middelhauve Med. Klinik 1977, S. 775 f. " Widerspruch insofern (jeweils bezogen auf Amtsarzt oder Arzte in öffentlichen Krankenhäusern) auch von Kreuzer Med. Klinik 1976, S. 1468 f. und 1977, S.776 und Vogel Berliner Ärztekammer 1981, S.314f. Siehe auch Kühne N J W 1977, S. 1478 ff. (zur innerbehördlichen Mitteilungspflicht von Psychologen) sowie Rogali NStZ 1983, S. 7 f. - Berechtigter Widerspruch nunmehr auch, speziell für unseren Fall, von Marx GA 1983, S. 172 ff. " Siehe insofern schon Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 39; vgl. auch Grömig N J W 1970, S. 1209 ff., Schlund J R 1977, S.267 und Narr, Ärztliches Berufsrecht, Rdn. 775. Zustimmend auch Lackner, § 203 Anm. 5, Dreher-Tröndle, §203 Rdn. 26, Schönke-Schröder-Lenckner, §203 Rdn. 19 und Samson, SK, §203 Rdn. 35. 70 N J W 1974, 602 f.

23

richtet ist71. Teleologisch vom geschütztem Rechtsgut und nicht zuletzt aus der Erwartungshaltung des schutzinteressierten Geheimnisinhabers her ist Abs. 1 also die speziellere und damit dem Abs. 2 vorrangige Norm und nicht umgekehrt. Soweit es um eine berufsspezifische und als solche nicht auf die Behörde übertragbare Vertrauensbeziehung geht, sind beide Geheimnissphären und ihre jeweiligen Schweigepflichten nicht deckungsgleich und somit nicht gegenseitig austauschbar72. (3) Dies wird im übrigen durch die Entstehungsgeschichte des neuen § 203 StGB nachdrücklich bestätigt. Wie sich aus der amtlichen Begründung ergibt73, sollten die Tatbestände zum Schutz der Privatsphäre erweitert werden. Neu war insbesondere Abs. 2 von §203, mit dem der Gesetzgeber im Interesse des jeweiligen Geheimnisinhabers den Schutz der Privatsphäre auch gegenüber Amtsträgern expressis verbis ausdehnen wollte; anders als nach Maßgabe des bis dahin geltenden § 353 b StGB a. F. sollte die Verletzung von Privatgeheimnissen durch Amtsträger tatbestandlich nicht mehr zusätzlich von der „Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen" und anders als damals auch nicht von einem Strafantrag der vorgesetzten Behörde abhängig sein. Dann aber wäre es geradezu sinnwidrig, wollte man zwar einerseits im Interesse des intimschutzbedürftigen Individuums den Kreis der Schweigepflichtigen auf alle Amtsträger ausweiten (Abs. 2), die ärztliche Schweigepflicht (Abs. 1) aber andererseits innerbehördlich zu Lasten des Einzelnen einschränken. Damit wäre der individuelle Intimschutz - nur darum geht es auch im Fall von § 203 Abs. 2 - gegenüber dem früheren Rechtszustand unverkennbar eingeschränkt und das erklärte Ziel des Gesetzgebers, ohne daß dies vom Wortlaut der Vorschrift zwingend geboten wäre, damit geradezu in sein Gegenteil verkehrt. 6. Nach alledem (Zwischen-Ergebnis): Die ärztliche Schweigepflicht, wie sie in § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafrechtlich geschützt ist und wie sie kongruent hierzu den Vorschriften des einschlägigen ärztlichen Berufsrechts zugrundeliegt74, gilt grundsätz-

71 Vgl. insofern auch Kreuzer Med. Klinik 1976, S. 1469 und Vogel Berliner Ärztekammer 1981, S.315. 72 So auch ausdrücklich Schönke-Schröder-Lenckner, §203 Rdn. 45; vgl. in diesem Zusammenhang auch OVG Lüneburg NJW 1975, 2263 f. sowie früher schon Eb. Schmidt, Brennende Fragen des ärztlichen Berufsgeheimnisses (1951), S. 13. 73 Vgl. BT-Drucksache 7/550, S.235 und S.240 und zuvor schon Amtliche Begründung zu §186 StGB-Entwurf 1962, S.338f. 74 Siehe insofern § 2 Abs. 1 der Berufsordnung für deutsche Arzte sowie gleichlautend hierzu §2 Abs. 1 der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin (Fundstellen nach Anm. 7).

24 lieh auch f ü r den (beamteten/angestellten) Arzt im Strafvollzug; das ärztliche Schweigegebot ist nicht auf freiwillig begründete Arzt-Patienten-Verhältnisse beschränkt. Die ärztliche Schweigepflicht f ü r den behandelnden Arzt gilt im Grundsatz nach außen gegenüber unbeteiligten Dritten ebenso wie im innerbetrieblichen Verkehr gegenüber Vorgesetzten und deren vorgeordneter Aufsichtsbehörde. Beamten- oder dienstrechtliche Gehorsams- und Informationspflichten ändern daran im G r u n d s a t z nichts, gelten sie doch selbstverständlich nur im Rahmen des § 203 StGB. Sie berechtigen jedenfalls nicht zum Eingriff in schutzwürdige (hier sogar: strafbewehrte) Rechtspositionen Dritter 75 .

IV. „Befugte" Durchbrechungen der ärztlichen Schweigepflicht nach allgemeinen Regeln §203 StGB weist in Abs. 1 und 2 eigens darauf hin, daß nur ein „unbefugtes" Offenbaren fremder Geheimnisse zur Strafbarkeit führen kann. D a ß jedenfalls die beamten- oder dienstrechtliche Gehorsamspflicht f ü r sich allein - das sei vorweg klargestellt - auch eine Rechtfertigung nicht trägt, liegt auf der H a n d " . Eine gehorsamsgebundene Dienstpflicht entfällt überall dort, wo die Befolgung ihrerseits einen Straftatbestand verwirklichen würde 77 . 1. Ausnahmsweise „befugt" und damit rechtmäßig ist die tatbestandliche Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht, wenn sie allein schon nach allgemeinen Rechtfertigungsgründen erlaubt ist. Dies gilt f ü r § 203 StGB übrigens gleichermaßen wie f ü r die standesrechtliche Beurteilung 78 . a) Als allgemeiner Rechtfertigungsgrund kommt natürlich zunächst die (ausdrückliche oder konkludent erklärte) Einwilligung des jeweiligen 75 So zu Recht auch Kreuzer NJW 1975, S.2235 und Med. Klinik 1977, S. 776, Kühne NJW 1977, S.1480 und Schönke-Schröder-Lenckner, §203 Rdn.53. Siehe zusammenfassend schon Goedel (nach Anm. 10) S. 108 ff. So neuerdings auch Rogali NStZ 1983, S. 8 und Marx GA 1983, S. 171 f. 76 Siehe schon die Nachweise in obiger Anm. 75. 77 Siehe insofern die §§38 Abs. 2 Satz 2 BRRG und 22 Abs. 2 S.5 Beri. LBG; vgl. auch §8 Abs. 2 S.3 BAT. 78 Auch § 2 Abs. 4 der Berufsordnung für die deutschen Ärzte (nach Anm. 7) hält den Arzt für „zur Offenbarung befugt . . s o w e i t er von der Schweigepflicht entbunden worden ist oder soweit die Offenbarung zum Schutze höheren Rechtsgutes erforderlich ist". Siehe insofern auch §2 Abs. 4 der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin (nach Anm. 7): „Soweit der Arzt von der Schweigepflicht entbunden worden ist oder der Schutz eines höheren Rechtsgutes dies erfordert, ist der Arzt zur Offenbarung befugt, aber - vorbehaltlich besonderer gesetzlicher Bestimmungen - nicht verpflichtet." Zur „befugten" Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht aus standesrechtlicher Sicht siehe vor allem Narr, Arztliches Berufsrecht, Rdn. 757 ff.

25

Geheimnisträgers und dort, wo diese nach Lage des Einzelfalles nicht eingeholt werden kann, (unter den anerkannten einschränkenden Voraussetzungen) die mutmaßliche Einwilligung in Betracht™. Selbstverständlich wird es auch im täglichen Vollzugsleben zahlreiche Fälle geben, in denen der Patient der Unfreiheit seinen Arzt ausdrücklich oder konkludent von der Verschwiegenheit - nach Lage des Einzelfalles zu prüfen: auch gegenüber der Anstaltsleitung und/oder deren vorgesetzter Aufsichtsbehörde? - entbindet80. Da der Patient im Vollzug seinen Arzt freilich nicht selbst gewählt und in den Fällen, wo der Anstaltsarzt bei nicht-medizinischen Folgeentscheidungen fürsorgerisch eingeschaltet wird, nicht einmal freiwillig aufgesucht hat, ist im Hinblick auf eine konkludent erklärte oder gar eine mutmaßliche Einwilligung besondere Zurückhaltung angebracht. b) Wie jeder Arzt ist auch der Anstaltsarzt in bestimmten Fällen nach Maßgabe spezialgesetzlicher Vorschriften anzeige- und auskunftspflichtig und zur Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht befugt, soweit die Erfüllung der Anzeige- oder Auskunftspflicht die Preisgabe ärztlich erfahrener Berufsgeheimnisse impliziert". Beispielhaft seien hier genannt die Anzeigepflichten nach §§12 und 13 des Geschlechtskrankheitengesetzes, nach §4 des Bundesseuchengesetzes oder nach §13 Abs. 3 des (neuen) Betäubungsmittelgesetzes i.V. mit § 6 Abs. 1 der (neuen) Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung82. Unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 139 Abs. 3 Satz 2 ist der Arzt im Hinblick auf die in § 138 StGB enumerativ aufgezählten drohenden (!) schweren Straftaten zur Anzeige und insoweit zur Offenbarung damit zusammenhängender Arztgeheimnisse verpflichtet. Was für jeden Arzt gilt, verpflichtet insoweit selbstverständlich auch den Anstaltsarzt - und zwar auch im Verhältnis zu seiner Behörde83. c) Wo nicht schon das Gesetz mit spezial-gesetzlichen Offenbarungspflichten eine verbindliche Güter- und Pflichtenabwägung getroffen hat, kann die Preisgabe ärztlicher Berufsgeheimnisse schließlich im Einzelfall

Weiterführend siehe vor allem Goedel (Anm. 10) S. 121 ff. Dies wird meist ζ. B. im Fall des § 63 oder - da im finanziellen Interesse des Gefangenen liegend - des § 93 StVollzG angenommen werden können. 81 Weiterführend siehe insbesondere: Narr, Ärztliches Berufsrecht, Rdn.778ff. und Goedel (Anm. 10) S. 135 ff. 82 Siehe „Gesetz zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts" vom 28. Juli 1981 (BGBl. I/S. 681 und S. 1187) sowie die „Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln" vom 16. Dezember 1981 (BGBl. I/S. 1427). 83 Siehe insofern § 4 Abs. 1 mit Nr. 1 und Nr. 5 sowie § 4 Abs. 3 des Bundesseuchengesetzes. 79 80

26

nach den Regeln des rechtfertigenden Notstandes (§34 StGB) „befugt" sein. Die Voraussetzungen dieses Erlaubnissatzes sind vom Gesetz erkennbar eng gesteckt. Es muß sich um eine konkret-„gegenwärtige" und um eine „nicht anders abwendbare Gefahr" (Prinzip des geringstmöglichen Mittels!) handeln, und - besonders wichtig! - das schutzwürdige Recht/die schutzwürdige Pflicht muß „wesentlich" überwiegen. Auf dieser Grundlage wird eine Rechtfertigung üblicherweise bejaht, wenn der behandelnde Arzt der Verkehrsbehörde Mitteilung über eine zur Fahruntüchtigkeit führende schwere Erkrankung des Patienten macht", wenn nahe Angehörige über eine (sie selbst oder den Patienten in Gefahr bringende) Krankheit des Patienten aufgeklärt werden®5 oder wenn - im einzelnen freilich nicht unbestritten - im Hinblick auf begangene (!) schwere Straftaten Wiederholungsgefahr droht". In solchen oder ähnlichen Ausnahmesituationen kann natürlich auch der Anstaltsarzt zur Durchbrechung der Arztverschwiegenheit befugt sein. Die Voraussetzungen des § 34 StGB sind vom Gesetz freilich so eng gezogen, daß man dem Informationsinteresse der Vollzugsbehörde, die wegen ihrer Gesamtverantwortung für jeden einzelnen Gefangenen und für alle Gefangenen auch auf medizinische Daten angewiesen ist, gegenüber den individuellen Geheimhaltungsinteressen des einzelnen Gefangenen jedenfalls generell kein „wesentliches" Uberwiegen zusprechen kann. Dem in § 34 StGB verankerten Erfordernis einer am verfassungsrechtlichen Ubermaßverbot ausgerichteten Einzelfallentscheidung genügt nicht das „Universalinteresse der Behörde"®7, über den Gesundheitszustand der ihr anvertrauten Gefangenen unterrichtet zu sein. d) Bleibt für den durchschnittlichen „Regelfall" schließlich der Aspekt rechtfertigender „Wahrnehmung berechtigter Interessen". Ob diese Inter-

84 Vgl. insofern BGH NJW 1968, 2280. Im Schrifttum überwiegend zustimmend zur Kenntnis genommen: vgl. Händel NJW 1969, S. 555, Schönke-SchröderLenckner, §203 Rdn.31, Samson, SK, §203 Rdn.43 und Klaus Müller (Anm.14 und 12), S. 80 mit dortiger Anm. 56; anderer Ansicht insofern aber Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S.41. 85 Vgl. Schönke-Schröder-Lenckner, §203 Rdn.31 (mit Hinweis auf RGSt 38, 62) und Dreher-Tröndle, §203 Rdn.31. 86 Siehe Schönke-Schröder-Lenckner, § 203 Rdn. 32 und Mösl, Leipz. Kommentar (9. Aufl.), §300 StGB a.F. Rdn. 14; einschränkend aber Samson, SK, §203 Rdn. 45. 87 Kreuzer Med. Klinik 1976, S. 1522 (für den Arzt öffentlicher Krankenhäuser im Verhältnis zur Krankenhausleitung).

27 essen nur solche des behandelnden Arztes' 8 sind oder aber auch Interessen der Allgemeinheit (vorliegend: Vollzugsinteressen der Behörde) u n d w a n n sie dem individuellen Geheimnisschutz als „berechtigt" vorgehen, ist - ganz allgemein und nicht beschränkt auf die Sonderproblematik des Vollzugs - heftig umstritten. Während die einen die „Wahrnehmung berechtigter Interessen" dem Gesetz folgend (§193 StGB!) nur im Rahm e n der §§185 ff. StGB anerkennen und für diesen Bereich - auch insofern dem Gesetz folgend - keine Güterabwägung nach dem strengen Maßstab des § 34 StGB verlangen", erweitern andere zwar ihren A n w e n dungsbereich über die Beleidigungsdelikte hinaus, legen dann aber an die „Wahrnehmung berechtigter Interessen" als einem Spezialfall rechtfertigenden Notstandes den strengen Maßstab des §34 StGB an90. Wieder andere versuchen neuerdings, den § 193 StGB mit aller Vorsicht auf weitere Tatbetände mit besonders „gemeinschaftsbezogenen" Rechtsgütern zu erstrecken und zugleich vom strengen Erfordernis erheblicher Wertdifferenz, wie es dem §34 zugrundeliegt, zu befreien": Insbesondere der in den Indiskretionsdelikten geschützte menschliche Privatbereich weise - insofern ähnlich wie die in den §§ 185 ff. StGB geschützte Ehre einen „besonders starken Sozialbezug" auf, auf G r u n d dessen der Individualschutz durch die angrenzenden und (an sich) ebenfalls die Billigung der Rechtsgemeinschaft genießenden Interessen der Allgemeinheit/anderer zwangsläufig „relativiert" werde. Natürlich verdiene der Intimschutz v o r allem im „innersten unantastbaren Intimkern" besonderen Schutz; dieser Schutz verringere sich jedoch, je mehr das Individuum in die Gemeinschaft mit anderen hineinwirke. Selbstverständlich plädieren auch

88

Anerkanntermaßen Beispiel eines „berechtigten" Interesses insofern: der Arzt darf das Berufsgeheimnis brechen, soweit dies in einem gegen ihn gerichteten Strafoder Disziplinarverfahren zur eigenen Verteidigung erforderlich ist (BGHSt 1, 366). Allein ein durch Androhung künftigen disziplinarischen Vorgehens unterstütztes dienstliches Auskunftsverlangen reicht selbstverständlich nicht (ebenso Kreuzer Med. Klinik 1976, S. 1521). m So beispielsweise Lackner, § 193 Anm. 1 b, Schönke-Schröder-Lenckner, § 193 Rdn.5 und Jescheck, Strafrecht Allgemeiner Teil (3. Aufl. 1978), S.324f. w Nachweise bei Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen als allgemeiner Rechtfertigungsgrund (1969), S. lOff. Vgl. auch Samson, SK, Rdn. 8 vor §201. 91 So im Anschluß an Schröder (StGB, 17. Aufl., Rdn. 62 a vor §51 und §298 Rdn. 36) vor allem Eser, „Wahrnehmung berechtigter Interessen als allgemeiner Rechtfertigungsgrund" (1969). In dieser Richtung wohl auch Noll ZStW 77 (1965), S. 31 ff., Tiedemann JZ 1969, S.721 und Dreher-Tröndle, §203 Rdn. 31.-Dagegen freilich nachdrücklich Schönke-Schröder-Lenckner, Rdn. 80 vor § 32, Samson, SK, Rdn. 7 f. vor §201 und vor allem Suppert, Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage" (1973), S. 223 ff.

28 diese Autoren' 2 für (strafrechtlichen) Intimschutz — „doch nicht um jeden Preis und nicht in jeder Hinsicht, sondern nur gegenüber grundlosen' Angriffen, d. h. solchen, die nicht ihrerseits von berechtigten Interessen getragen sind" (Eser a.a.O. S.51). Daher sei es bei „ohnehin stark sozialverflochtenen Schutztatbeständen notwendig und gerechtfertigt, so weit wie möglich Raum zu geben für die Geltendmachung etwaiger legitimer Gegeninteressen" (S. 55) . . . mit der Folge, daß ein Täter auch dann gerechtfertigt sei, „wenn sein vordergründiges Handlungsinteresse als solches das betroffene Rechtsgut nicht nachweislich überwiegt" (S. 58). Ich möchte nicht verschweigen, daß sich diese soeben referierte Ansicht literarisch noch nicht entscheidend durchgesetzt hat. Bislang befürchtet man überwiegend, ein derart verselbständigter neuer Rechtfertigungsgrund sei im Ansatz noch zu konturenlos, relativiere den durch §203 StGB angestrebten Schutz allzusehr und laufe vor allem den Intentionen des Gesetzgebers erkennbar zuwider. Ich bitte um Verständnis, daß ich diesen noch lange nicht ausgetragenen Streit um Umfang und Geltungsbereich der „Wahrnehmung berechtigter Interessen" im Rahmen dieses Vortrages nicht umfassend weiterverfolgen kann. Gleichwohl: In diesem Streit erkennen wir unschwer exakt das Problem wieder, vor dem wir auch bei der Frage nach „befugten" Durchbrechungen ärztlicher Schweigepflicht im innerdienstlichen Verkehr stehen. Wir erkennen die Frage, ob die Vollzugsnotwendigkeiten, die hinter dem Informationsbedürfnis der Behörde stehen, in diesem Sinne „berechtigt" sind und folglich den Anstaltsarzt im Innenverhältnis zur Durchbrechung seiner ärztlichen Verschwiegenheit berechtigen. 2. Bleiben wir zunächst einmal bei dem Vorwurf, durch einen Rechtfertigungsgrund der „Wahrnehmung berechtigter Interessen bei gemeinschaftsbezogenen Rechtsgütem" werde der individuelle Intimschutz den Intentionen des Gesetzgebers zuwider abgewertet. Dabei werden wir sehr schnell feststellen können, daß eben diese Frage den Gesetzgeber seit langem intensiv beschäftigt hat: a) Weitgehend übereinstimmend zum späteren § 203 StGB hat bereits der StGB-Entwurf des Jahres 1962 in seinem §185 Abs. 1 Nr. 1 die Verletzung der ärztlichen Verschwiegenheit und in §186 Abs. 1 Nr. 1/2 den Bruch von Privatgeheimnissen durch Amtsträger für strafbar erklärt. Nach §186a (Uberschrift: „Wahrnehmung berechtigter Interessen"!) sollte der Bruch von Privatgeheimnissen nicht strafbar sein,

92

So vor allem Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen, S. 46 ff.

29

„soweit der Täter das Geheimnis 1. zur Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht offenbart oder 2. zur Wahrnehmung eines berechtigten öffentlichen oder privaten Interesses offenbart und die Tat unter Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen und der dem Täter nach den Umständen obliegenden Prüfungspflicht ein angemessenes Mittel ist, den angestrebten Zweck zu erreichen". I m StGB-Entwurf

1960

war dieser § 1 8 6 a n o c h nicht

vorgesehen

gewesen. Z u n ä c h s t hatte der Gesetzgeber die L ö s u n g solcher Konflikte allein unter d e m Gesichtspunkt rechtfertigenden N o t s t a n d e s für genügend erachtet' 5 . D e m g e g e n ü b e r glaubte der S t G B - E n t w u r f 1 9 6 2 , auf eine s o l c h e Spezialvorschrift nicht verzichten zu sollen. Wörtlich'": „Andererseits zeigt die praktische Erfahrung, daß die Fälle, in denen die Privatsphäre durch das Offenbaren von Privatgeheimnissen verletzt wird (§§186, 185 ff.) immer wieder vorkommen und dann eine Ähnlichkeit mit den Fällen der Wahrnehmung berechtigter Interessen durch Ehrverletzung haben. Die Rechtsprechung hat sich daher schon bisher veranlaßt gesehen, im Wege einer stillschweigenden oder ausdrücklichen analogen Anwendung der Grundsätze des §193 StGB die Fälle einer Offenbarung zum Zwecke der Interessenwahrnehmung zu ordnen ( z . B . B G H S t . 1, 366, 368; 9, 61; B G H J R 1956, 430). Sie würde auch künftig, wenn der Entwurf nicht die Regelung des § 1 8 6 a brächte, sich zu einer analogen Anwendung des § 178 (gemeint: Wahrnehmung berechtigter Interessen bei Ehrvcrlet/tingi auf die Fälle der §§ 185, 186 gedrängt sehen, da die § § 3 9 und 40 (gemeint: Notstand) wegen ihrer engen Fassung für die Lösung der Fälle nicht ausreichen. Unter diesen Umständen hält der Entwurf die auf die §§ 185, 186 beschränkte Sonderregelung des § 186 a für geboten. E r nimmt damit einen in allen Entwürfen seit 1911 enthaltenen Gedanken auf (vgl. z . B . E 1 9 1 1 §291, E 1927 § 3 2 5 ) und gestaltet diesen in Anlehnung an die Fassung des § 178 aus. Ebenso wie dort wird auch hier die Fallgruppe Nr. 1, in welcher der Täter zur Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht, z . B . einer Anzeigepflicht, handelt, von der Fallgruppe N r . 2 geschieden, in welcher mit der Offenbarung, ohne daß hierzu eine gesetzliche Pflicht besteht, die Wahrnehmung eines berechtigten Interesses bezweckt wird." S c h o n damals w u r d e v o m Gesetzgeber nicht übersehen, „daß es sich b e i m Täterkreis der § § 1 8 5 und 1 8 6 u m Personen mit einer besonderen Pflichtenstellung handelt". E s sollte aber expressis verbis Rechtsprechung u n d L e h r e überlassen bleiben zu prüfen, „wieweit die Straffreiheit nach § 1 8 6 a von der W a h r u n g eines gegenüber d e m Geheimhaltungsinteresse überwiegenden Interesses abhängig z u m a c h e n ist". b ) D a s EG-StGB

von 1974,

das den heutigen § 2 0 3 ab 1. Januar 1 9 7 5

z u m G e s e t z m a c h t e , hat auf eine Vorschrift nach d e m Vorbild des eben e r w ä h n t e n § 1 8 6 a E 1 9 6 2 dann aber d o c h verzichtet. Verzichtet w u r d e

" Vgl. Amtliche Begründung zum E 1 9 6 0 , S. 306 und S. 315. 5 4 Amtliche Begründung zu §186 a StGB-Entwurf 1962, S.340.

30

übrigens auch darauf, den Zusatz „ohne Einwilligung" in den Gesetzestatbestand aufzunehmen. Die Begründung für diesen doppelten Verzicht ist sehr aufschlußreich' 5 : Der Verzicht auf das Merkmal „ohne Einwilligung" sollte dem Eindruck entgegenwirken, als sei Straflosigkeit lediglich bei einem Handeln mit Einwilligung gegeben. Insbesondere für die Fälle des § 203 StGB wies der Entwurf nachdrücklich darauf hin, daß hier „mögliche Interessenkonflikte eine nicht unerhebliche Rolle spielen können". Eine Vorschrift nach dem Vorbild des §186 a E1962 hielt der Gesetzgeber aber „für zu aufwendig und vor allem deshalb für bedenklich, weil die in § 186 a Nr. 2 E1962 vorgesehene Lösung zu §34 StGB sowie zu §193 StGB gewisse Spannungen hervorrufen und damit Auslegungsschwierigkeiten begründen würde". Offenbar um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, als würde einer Lösung allein nach dem strengen Maßstab rechtfertigenden Notstandes das Wort geredet, fährt die amtliche Begründung freilich fort: „Zudem ist die Regelung des § 186 a Nr. 2 E1962 auch deshalb nicht umfassend genug, weil sie z. B. nicht berücksichtigt, daß eine Weitergabe eines Geheimnisses auch unter dem Gesichtspunkt der dienstlichen Berichterstattung straflos sein kann, ohne daß die engen Voraussetzungen des §186 a Nr. 2 E1962 vorliegen."

Zum Aspekt der Straflosigkeit bei dienstlicher Berichterstattung hebt die amtliche Begründung besonders hervor, daß jedenfalls „die Mitteilung an eine andere Behörde nicht als dienstliche Berichterstattung anzusehen ist. Da die einem Amtsträger obliegende Pflicht zur Geheimhaltung grundsätzlich auch gegenüber anderen Behörden besteht, ist die Weitergabe eines Geheimnisses an eine andere Behörde nur zulässig, wenn sie nach besonderen Vorschriften oder allgemeinen Rechtfertigungsgründen erlaubt ist. Der Entwurf verwendet deshalb in den Vorschriften dieses Abschnittes durchgängig das umfassende Merkmal „unbefugt" als Hinweis darauf, daß nach einschlägigen gesetzlichen Regelungen und allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu prüfen ist, ob das im übrigen tatbestandsmäßige Verhalten straflos ist. Die Abgrenzung, unter welchen Voraussetzungen dies im einzelnen zu bejahen ist, wird - soweit besondere gesetzliche Regelungen fehlen - damit der Rechtsprechung überlassen".

Was folgt aus alledem für die Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht im innerbehördlichen Verkehr? Der Blick in die Gesetzesmaterialien dürfte zunächst einmal (nachträglich) meine These bestätigt haben, daß innerdienstliche Mitteilungen eines Amtsträgers, der zugleich Träger eines spezifischen Berufsgeheimnisses

95

BT-Drucksache 7/550, S.236.

31 ist, sehr wohl als tatbestandliche Verschwiegenheitsverletzung anzusehen sind und nur im Hinblick auf die dem Amtsträger obliegenden Dienstpflichten als ausnahmsweise „befugt" bewertet werden können. Zweitens d ü r f t e die Befürchtung widerlegt worden sein, durch Anerkennung eines Rechtfertigungsgrundes der „Wahrnehmung berechtigter Interessen" w ü r d e im Fall des § 203 StGB dessen Schutz der Intention des Gesetzgebers zuwider unangemessen eingeschränkt. Der Gesetzgeber hat in den Materialien (leider) ein klares Wort dazu unterlassen, wann ein dem individuellen Geheimnisschutz entgegenlaufendes öffentliches Interesse f ü r so gewichtig anzusehen ist, daß es zur Durchbrechung der ärztlichen/ amtlichen Verschwiegenheit berechtigt. Immerhin aber hat der Gesetzgeb e r in diesem Zusammenhang unübersehbar nicht den strengen Maßstab des § 34 StGB („wesentlich überwiegt") gefordert, sondern in aller Vorsicht eine Lösung im Spannungsfeld zwischen den herkömmlichen §§ 34 u n d 193 StGB angedeutet. Die Konkretisierung dieser Andeutungen mit Hilfe besonderer gesetzlicher Regelungen oder, wo diese fehlen, nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen wurden expressis verbis der Rechtsprechung (warum eigentlich nicht auch der Wissenschaft?!) überantwortet. Diese Bemühungen sind generell" und speziell für den im Strafvollzug tätigen Arzt' 7 bislang noch nicht sehr weit gediehen.

V. Vollzugsbedingte „befugte" Durchbrechungen? Zu klären ist daher abschließend, o b und unter welchen Voraussetzungen das Interesse der Vollzugsbehörde, im Hinblick auf ihre Gesamtverantwortung (§156 Abs. 2 StVollzG) auch über den Gesundheitszustand jedes einzelnen Gefangenen informiert zu sein, für so gewichtig anzusehen ist, daß es gegenüber dem individuellen Geheimnisschutz des einzelnen Gefangenen den Vorrang verdient. Soweit das Informationsinteresse der Vollzugsbehörde den Anstaltsarzt zur Durchbrechung seiner ärztlichen Verschwiegenheit „befugt", würde das an den ärztlichen Amtsträger gerichtete dienstliche Auskunftsverlangen zur verbindlichen „Pflicht" ; die % Die Wissenschaft gesteht ein, daß ihre Bemühungen um eine Konkretisierung der Unrechtsmaterie speziell im Bereich des §203 StGB noch nicht weit fortgeschritten sind (vgl. Lackner, §203 Anm. 6a/cc und Schönke-Schröder-Lenckner, § 203 Rdn. 54), und warnt diesbezüglich für den innerdienstlichen und den Verkehr von Behörde zu Behörde zur Vorsicht (vgl. auch Haft NJW 1979, S. 1194 ff.). 97 So ist insbesondere gegenüber Zieger (Anm. 3), der unserem Thema als erster vertieft nachgegangen ist, der Vorwurf zu erheben, daß er quasi auf halbem Weg stehenblieb und die Frage nach der Wahrnehmung vollzugsspezifischer Notwendigkeiten letztlich nicht gestellt hat. - Marx (GA 1983, S. 160 ff.) neuerdings hat diese Frage nunmehr gestellt, sie aber (nach meinem Dafürhalten) zu schnell verneint.

32

Erfüllung der Dienstpflicht würde insoweit ja nicht zur Strafbarkeit des Amtsträgers führen. 1. Für die Suche nach im innerdienstlichen Verkehr zulässigen Durchbrechungen der ärztlichen Schweigepflicht hat der Gesetzgeber - man wird sich erinnern - neben allgemeinen Rechtfertigungen/Rechtsgrundsätzen insbesondere auf „besondere gesetzliche Vorschriften" verwiesen. Von hier aus liegt es nahe, in den Vorschriften des StVollzG nach einer Offenbarungsbefugnis zu suchen. Eine solche Offenbarungsbefugnis muß nicht notwendig expressis verbis ausgesprochen sein; es genügt, wenn nach Sinn und Zweck des jeweiligen Gesetzes und aus dem Gesamtzusammenhang seiner Vorschriften ein (innerbetrieblicher) Informationsaustausch ohne Rücksicht auf den Geheimnischarakter der Mitteilungen zu erfolgen hat". Aus dem Gesamtzusammenhang aller Vorschriften, die im StVollzG die Gesundheitsfürsorge regeln, ergeben sich zwei zentrale Erkenntnisse: (1) Die Gesundheitsfürsorge für den einzelnen Gefangenen ist als Ausdruck staatlicher Fürsorge grundsätzlich nur ein Leistungs