Der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962: (Abt. B: Abhandlungen zur Deutschen Rechtsgeschichte) [1 ed.] 9783428549894, 9783428149896

Die Arbeit befasst sich mit einem Thema der neuesten deutschen Rechtsgeschichte: dem Versuch einer Neukodifikation des S

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German Pages 236 Year 2016

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Der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962: (Abt. B: Abhandlungen zur Deutschen Rechtsgeschichte) [1 ed.]
 9783428549894, 9783428149896

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Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 76 Abt. B: Abhandlungen zur Deutschen Rechtsgeschichte

Der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 Von

Alexander Timm

Duncker & Humblot · Berlin

ALEXANDER TIMM

Der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962

Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.

Neue Folge · Band 76 Abt. B: Abhandlungen zur Deutschen Rechtsgeschichte

Der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962

Von

Alexander Timm

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. hat diese Arbeit im Jahr 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: CPI buch.bücher.de, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 978-3-428-14989-6 (Print) ISBN 978-3-428-54989-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84989-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2015/2016 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung fand am 3. Februar 2016 statt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Frank L. Schäfer für seine vorbildliche Betreuung in sämtlichen Stadien dieses Projekts. Er hat zur Beschäftigung mit dem Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 den Anstoß gegeben und die Ausarbeitung stets fordernd und fördernd begleitet, insbesondere durch zahlreiche Doktorandenseminare. Herrn Prof. Dr. Wolfgang Kaiser danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Zu Dank verpflichtet bin ich außerdem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesarchivs an den Standorten Berlin-Lichterfelde und Koblenz, der Archive der sozialen Demokratie, des Liberalismus sowie für Christlich-Demokratische Politik, des Bayerischen und Hessischen Hauptstaatsarchivs, des Parlamentsarchivs des Deutschen Bundestages sowie des Landesarchivs Berlin, die mich bei der Quellenrecherche engagiert unterstützten. Stellvertretend seien hier genannt Frau Mirjam Sprau und Herr Andreas Grunwald (Bundesarchiv), Herr Holger Feldmann (Archiv der sozialen Demokratie), Frau Susanne Ackermann (Archiv des Liberalismus) sowie Herr Dr. Stefan Marx (Archiv für Christlich-Demokratische Politik). Des Weiteren danke ich der Freiburger Rechtshistorischen Gesellschaft für den großzügigen Druckkostenzuschuss. Gewidmet ist diese Arbeit meiner Familie, bei der ich mich herzlich für ihre vielfältige Unterstützung über den gesamten Dissertationszeitraum bedanken möchte, ganz besonders bei meinen Eltern Anja und Hermann Timm sowie bei meiner Schwester Nathalia Timm. Kiel, im März 2016

Alexander Timm

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 A. Geschichtliche Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 I. Die politisch-gesellschaftliche Lage um 1962 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 II. Die Vorgeschichte des Entwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Erste Schritte auf dem Weg zum Gesetzentwurf: Initiative, Ziele und Vorarbeiten 29 I. Die Initiative zum Entwurf eines neuen Strafgesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Die Ziele des Entwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Die Vorarbeiten zum Gesetzentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Die Gutachten der Strafrechtslehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Die rechtsvergleichenden Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 C. Die Einberufung der Großen Strafrechtskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Die Entscheidung zur Einberufung einer Expertenkommission . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Die Auswahl der Kommissionsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Die Mitglieder der Großen Strafrechtskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Matthias Hoogen (1904 – 1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Reinhold Rehs (1901 – 1971) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3. Ludwig Schneider (1898 – 1978) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 4. Fritz Czermak (1894 – 1966) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 5. Hans-Joachim von Merkatz (1905 – 1982) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 6. Paul Bockelmann (1908 – 1987) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 7. Wilhelm Gallas (1903 – 1989) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 8. Hans-Heinrich Jescheck (1915 – 2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 9. Richard Lange (1906 – 1995) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 10. Edmund Mezger (1883 – 1962) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 11. Eberhard Schmidt (1891 – 1977) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 12. Hans Welzel (1904 – 1977) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 13. Bruno Kant (1908 – 1963) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

10

Inhaltsverzeichnis 14. Herbert Krille (1903 – 1988) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 15. Walther Rösch (1903 – 1977) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 16. Alfred Resch (1890 – 1968) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 17. Hans Dahs (1904 – 1972) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 18. Paulheinz Baldus (1906 – 1971) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 19. Carl Wiechmann (1886 – 1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 20. Else Koffka (1901 – 1994) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 21. Emil Niethammer (1869 – 1956) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 22. Hans Richter (1885 – 1954) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 23. Karl Schäfer (1899 – 1993) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 24. Alfred Skott (1893 – 1958) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 IV. Zwischenfazit zur Kommissionszusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission . . . . . . . . . . . 80 I. Die Arbeitsweise der Kommission im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 II. Kontroverse Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Die Debatte über den Sinn und Zweck von Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Die Debatte über die Vorschriften zu Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . 89 3. Die Debatte über die erfolgsqualifizierten Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 4. Die Debatte über die Systematik des Besonderen Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5. Die Debatte über die gemeinschädlichen Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 III. Zwischenfazit zum Beratungsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 E. Der Einfluss der Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 I. Die Rolle der Bundesministerien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Das Bundesministerium der Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Die weiteren Bundesministerien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Das Bundesministerium der Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Das Bundesministerium der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 c) Das Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen . . . . . . . . . . . . . . 115 d) Das Bundesministerium des Innern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 3. Die Ressortchefs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 II. Die Rolle der Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Der Beratungsverlauf in der Länderkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Die Änderungsvorschläge der Länderkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Das Verhalten der Länder im Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

Inhaltsverzeichnis

11

III. Die Rolle der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Die Haltung der CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Die reformpolitischen Vorstellungen der CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Die Diskussion um eine Verschiebung des Reformvorhabens in der CDU/ CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 c) Die Befürwortung des E 1962 durch die CDU/CSU im Deutschen Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 d) Das Verhalten der CDU/CSU im weiteren Beratungsverlauf . . . . . . . . . . . 139 2. Die Haltung der FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Der Meinungsbildungsprozess zur Strafrechtserneuerung in der FDP . . . . 142 b) Die Positionierung der FDP zum E 1962 im Parlament . . . . . . . . . . . . . . . 146 c) Die Abkehr der FDP vom E 1962 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Die Haltung der SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Die Erwartungen der SPD an einen Neubeginn im deutschen Strafrecht

150

b) Die Kritik der SPD am E 1962 im Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) Die Verzögerungstaktik der SPD im weiteren Reformprozess . . . . . . . . . . 158 IV. Zwischenfazit zum Einfluss der Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 F. Der Einfluss der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 I. Die Beteiligung von Fachkreisen an der Reformdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Der Deutsche Richterbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Die Rechtsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Die Kriminalbeamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 4. Der Bund der Strafvollzugsbediensteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5. Einzelpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 II. Die Auseinandersetzung mit der Reform in der fachfremden Öffentlichkeit . . . . . 167 1. Berufs-, Wirtschafts- und Sozialverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Die Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Die katholische Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Die evangelische Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 3. Die Tagespresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4. Weitere Stimmen aus der Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 III. Zwischenfazit zum Einfluss der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

12

Inhaltsverzeichnis

G. Wissenschaftliche Kritik und Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 I. Der Entwurf in der Diskussion der zeitgenössischen Rechtswissenschaft . . . . . . . 180 1. Die kontroverse Bewertung des Entwurfs in der damaligen juristischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Exkurs: Die Initiative zu einem Alternativentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 3. Die Beurteilung des Entwurfs im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 II. Die Sicht der Rechtswissenschaft auf den Entwurf heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 H. Das Nachleben des Entwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 I. Der Weg einer Teil- statt einer Gesamtreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Die Teilverwirklichung des E 1962 in späteren Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Abschließende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I. Chronologie der Strafrechtsreform in der frühen Bundesrepublik Deutschland . . 206 II. Übersicht zu den während der Reformarbeiten amtierenden Bundesregierungen

207

III. Übersicht zu den während der Reformarbeiten amtierenden Bundesjustizministern 207 IV. Übersicht zur Beteiligung an den Beratungen der Großen Strafrechtskommission 208 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 I. Veröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 II. Unveröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 III. Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. D. a. F. a. M. Abs. Abt. ACDP ADL AdsD AE AG Anm. Art. ASJ Az. BArch BayHStA BayVBl. Bd. BDC Begr. BGBl. BGH BGHSt BMBR BMF BMFa BMI BMJ BMVt BMVtg BMW BR BRAO BT BT-Drucks. BVerfG BVerfGE bzw. CDU CSU

anderer Ansicht außer Dienst alte Fassung am Main Absatz Abteilung Archiv für Christlich-Demokratische Politik Archiv des Liberalismus Archiv der sozialen Demokratie Alternativ-Entwurf Amtsgericht Anmerkung Artikel Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen Aktenzeichen Bundesarchiv Bayerisches Hauptstaatsarchiv Bayerische Verwaltungsblätter Band Berlin Document Center Begründung Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bundesministerium für Angelegenheiten des Bundesrates Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte Bundesministerium der Verteidigung Bundesministerium für Wohnungsbau Bundesrat Bundesrechtsanwaltsordnung Bundestag Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich-Soziale Union

14 DBE DDR ders. Diss. DJD DJZ DP dpa Dr. DRiZ DStR DVBl. E e. V. ehem. Einl. f. FamRZ FDP Fn. FVP GA GB/BHE geb. gem. GenStA GG GmbH Hb. Hg. hg. HHStAW i. Br. i. d. F. v. IKV insb. iur. JA Jg. JR JuS JW JZ KG LArch Berlin LG m. E. Mat.

Abkürzungsverzeichnis Deutsche Biographische Enzyklopädie Deutsche Demokratische Republik derselbe Dissertation Deutsche Jungdemokraten Deutsche Juristen-Zeitung Deutsche Partei Deutsche Presse-Agentur Doktor Deutsche Richterzeitung Deutsches Strafrecht Deutsches Verwaltungsblatt Entwurf eingetragener Verein ehemals Einleitung folgende (die angegebene und die folgende Seite) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Freie Demokratische Partei Fußnote Freie Volkspartei Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten geboren gemäß Generalstaatsanwalt Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gesellschaft mit beschränkter Haftung Halbband Herausgeber herausgegeben Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden im Breisgau in der Fassung vom Internationale Kriminalistische Vereinigung insbesondere iuris/juristisch Juristische Arbeitsblätter Jahrgang Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift JuristenZeitung Kammergericht Landesarchiv Berlin Landgericht meines Erachtens Materialien

Abkürzungsverzeichnis MdB MdBR MDR NDB NJW Nr. NRW NS NSDAP OGHSt OLG OStA OWiG PA-DBT Prof. Prot. r Rep. RG RGSt RJM Rn. RStGB S. s. SA Sign. SJZ sog. Sp. SPD SS St. StA stenogr. StGB StPO StR StrÄndG StrRG u. US v v. VDA vergl. VfZ WP

15

Mitglied des Deutschen Bundestages Mitglied des Bundesrates Monatsschrift für Deutsches Recht Neue Deutsche Biographie Neue Juristische Wochenschrift Nummer Nordrhein-Westfalen Nationalsozialismus/nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Strafsachen Oberlandesgericht Oberstaatsanwalt Ordnungswidrigkeitengesetz Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages Professor Protokoll recto Republik Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Reichsjustizministerium Randnummer Reichsstrafgesetzbuch Seite/Satz siehe Sturmabteilung Signatur Süddeutsche Juristenzeitschrift sogenannte(r/s) Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Sankt Staatsanwaltschaft/Staatsanwalt stenografisch Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafrecht Strafrechtsänderungsgesetz Strafrechtsreformgesetz und United States (Vereinigte Staaten von Amerika) verso von Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts vergleiche Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Wahlperiode

16

Abkürzungsverzeichnis

z. B. ZAkDR ZRG GA ZStW

zum Beispiel Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Zu den Abkürzungen spezifischer Archivquellen siehe auch das Quellenverzeichnis.

Einleitung Vor gut fünfzig Jahren beriet der Vierte Deutsche Bundestag am Donnerstag, dem 28. März 1963, in erster Lesung über einen Kodifikationsvorschlag,1 welcher den Abgeordneten damals als „einer der bedeutungsvollsten Gesetzentwürfe […], die dem Bundestag vorgelegt wurden“2, angekündigt worden war: Es handelte sich um den Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962, kurz E 19623. Dieser stellte den ersten und bis heute letzten amtlichen Versuch dar, dem deutschen Strafrecht nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Unrechtsstaates am 8. Mai 1945 eine nicht nur novellierte, sondern komplett neue, demokratisch-rechtsstaatliche Grundlage zu verleihen. Für die Strafrechts-, Gesetzgebungs- und Gesellschaftsgeschichte der frühen Bundesrepublik Deutschland war er damit von herausragender Bedeutung. Dementsprechend sollte sich der Entwurf von 1962 alsbald auch zu einem der wahrscheinlich meistdiskutierten und umstrittensten strafrechtlichen Kodifikationsentwürfe der juristischen Zeitgeschichte4 entwickeln. Schon die zeitgenössische rechtswissenschaftliche Literatur zu ihm wurde binnen Kürze „beinahe unübersehbar“5. In einer sehr leidenschaftlich geführten fachwissenschaftlichen Diskussion sah sich die Gesetzesvorlage dabei nicht selten scharfer Kritik ausgesetzt, welche sowohl ihr Gesamtkonzept als auch zahlreiche Einzelnormen betraf6 und schließlich in dem viel zitierten Bonmot des Strafrechtsdenkers Jürgen Baumann (1922 – 2003) gipfelte, der E 1962 sei „verstaubt, kleinbürgerlich, moraltriefend, an vielen Stellen verlogen und das Rechtsgefühl zahlreicher Mitbürger mit Füßen tretend, voll kleinlicher Pedanterie und 1

Zur parlamentarischen Diskussion s. die 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3180 (D) bis 3224 (D). 2 MdB Diemer-Nicolaus in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3204 (A). 3 BT-Drucks. IV/650. 4 Erläuterungen zum Begriff, den methodischen Besonderheiten sowie dem zeitlichen und sachlichen Gegenstandsbereich der juristischen Zeitgeschichte liefert Vormbaum, in: Stolleis (Hg.), Juristische Zeitgeschichte – Ein neues Fach?, S. 69 (69 – 81). 5 Schultz, in: JZ 1966, S. 113 (113, Fn. 1a). 6 Aus der Vielzahl der kritischen zeitgenössischen Publikationen seien stellvertretend genannt Baumann, Kleine Streitschriften zur Strafrechtsreform; ders., Weitere Streitschriften zur Strafrechtsreform; Kaufmann, in: ZStW 76 (1964), S. 542 (542 – 581); von der Leye, Zur Reform des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, insb. S. 61 – 82 sowie 83 – 104; Mayer, Strafrechtsreform für heute und morgen, insb. S. 45 – 56; Müller-Emmert, in: NJW 1966, S. 711 (711 – 715); Peters, in: Peters/Lang-Hinrichsen, Grundfragen der Strafrechtsreform, S. 13 – 52; Stratenwerth, in: ZStW 76 (1964), S. 669 (669 – 706).

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Einleitung

voller Perfektionismus“7. Aber nicht nur während der emotionalen reformpolitischen Debatte der fünfziger und sechziger Jahre, sondern auch heute ist der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 noch oftmals Gegenstand rechtswissenschaftlicher Abhandlungen. Die neueren Publikationen unterziehen hierbei zum einen im Rahmen historisch-vergleichender Längsschnittanalysen einzelner Straftatbestände, wie zum Beispiel der Körperverletzungs-, Tötungs- oder Untreuedelikte, auch die entsprechenden Normen des E 1962 einer näheren Betrachtung und ordnen diese in die Entwicklung der jeweiligen Vorschriften ein.8 Zum anderen finden sich knappe retrospektive Abrisse allgemeiner Natur über das Kodifikationsprojekt in Gesamtdarstellungen zu den deutschen Strafrechtsreformen sowie in strafrechtsgeschichtlichen Lehrbüchern.9 Eine eigenständige, monographische Würdigung des Gesetzentwurfs der Bonner Republik aus rechtshistorischer Sicht, wie sie beispielsweise bereits zum Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1922 (Entwurf Radbruch) vorliegt,10 fehlt bislang jedoch in der Forschung. Eine solche umfassende rechtsgeschichtliche Untersuchung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 soll deshalb Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Ziel ist es hierbei, den Entstehungsprozess des Kodifikationsentwurfs zu historisieren sowie zentrale juristische und politische Einflussfaktoren auf das Reformwerk herauszuarbeiten. Um dieser Zwecksetzung gerecht zu werden, sollen auf Basis der bereits publizierten amtlichen Materialien zum Gesetzgebungsprozess sowie diverser bisher unveröffentlichter Dokumente aus dem Bundesarchiv, den Archiven der politischen Parteien und aus ausgewählten Landesarchiven zunächst einige in der Fachwelt besonders weit verbreitete, vermeintlich sichere Urteile über das Gesetzgebungsvorhaben auf ihre Belastbarkeit überprüft werden: Ging die Initiative zu einer Totalreform des Strafrechts nach 1945 wirklich von dem FDP-Politiker und ersten Bundesminister der Justiz Thomas Dehler (1897 – 1967) aus? Waren viele Mitglieder der Großen Strafrechtskommission, die offiziell mit der Aufgabe betraut waren, eine erste Fassung des neuen Strafgesetzbuchs auszuarbeiten, durch ihr Verhalten während der nationalsozialistischen Herrschaft vorbelastet? Entschied sich diese Kommission bei ihren Beratungen statt für fortschrittlich-zukunftsorientierte meist für traditionell-konservative Lösungen, sodass in dem von ihr verfassten Gesetzentwurf, wie insbesondere zahllose zeitgenössische Publikationen

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Baumann, Kleine Streitschriften zur Strafrechtsreform, S. 14 (29); biographisch zu Baumann Arzt, in: NJW 1992, S. 1608 (1608). 8 S. z. B. Gröning, Körperverletzungsdelikte, S. 47 – 103; Linka, Mord und Totschlag, S. 199 – 224; Rentrop, Untreue und Unterschlagung, S. 168 – 219. 9 Exemplarisch hierfür Busch, Strafrechtsreform, S. 40 – 45; Holtz, Strafrechtsreformen, S. 6 – 41 und 207 – 216; Scheffler, in: Vormbaum/Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 174 (176 – 187); Rüping/Jerouschek, Strafrechtsgeschichte, Teil 6 § 2 Rn. 318 f.; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 239 – 242. 10 Bei dem angesprochenen Werk handelt es sich um Goltsche, Der Entwurf Radbruch.

Einleitung

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suggerieren, überwiegend lediglich „alter Wein in neue Fässer“11 gegossen wurde? Damit ein tragfähiges sowie möglichst präzises historisches Bild des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 einschließlich des Verlaufs der Reformarbeiten in den fünfziger und sechziger Jahren gezeichnet werden kann, muss aber nicht nur der Wahrheitsgehalt dieser in der Wissenschaft häufig vorzufindenden Annahmen kritisch hinterfragt werden, sondern es bedarf darüber hinaus einer eingehenden Analyse der bisher allenfalls rudimentär erforschten rechtspolitischen Faktoren12, welche den Prozess zur Schaffung eines neuen Strafgesetzbuchs seinerzeit prägten: Welche Funktion kam dem Bundesministerium der Justiz bei den Bestrebungen um eine Gesamtreform des Strafrechts zu? Welchen Einfluss übten die anderen Ressorts und die Bundesländer auf den Gesetzentwurf aus? Welche Rolle spielten schließlich die politischen Parteien und die Gesellschaft bei den Bemühungen der zweiten deutschen Demokratie um eine umfassende Strafrechtserneuerung? Dass die hier aufgeworfenen Fragen im Rahmen der vorliegenden Studie nicht alle mit derselben Intensität diskutiert werden können, liegt angesichts des sehr umfangreichen Quellenmaterials zum Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 und des begrenzten Raumes einer wissenschaftlichen Arbeit auf der Hand. Einen ersten Schwerpunkt der Untersuchung sollen deshalb die Personen und Beratungen der Großen Strafrechtskommission darstellen, denn sie legten das wissenschaftliche Fundament für den Gesetzentwurf und gaben ihm dadurch im Großen und Ganzen sein Gesicht. Den zweiten Kernpunkt der Analyse bilden die strafrechtlichen Vorstellungen sowie die Haltung der politischen Parteien im Reformprozess, weil es ihren Vertreterinnen und Vertretern oblag, im Deutschen Bundestag über die Zukunft des Kodifikationsvorschlags zu entscheiden. Sie mussten letztendlich darüber beschließen, ob der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 tatsächlich in Gesetzeskraft erstarken oder ob die Bundesrepublik Deutschland auch in Zukunft weiter an ihrem alten Strafgesetzbuch festhalten sollte.

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BArch, B 141/17281, S. 144 (Brief des CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Karl Kanka an das BMJ vom 6. 1. 1962). 12 Knappe Ausführungen zu den rechtspolitischen Aspekten des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 liefert bisher nur Holtz, Strafrechtsreformen, S. 16 – 41.

A. Geschichtliche Grundlegung I. Die politisch-gesellschaftliche Lage um 1962 Als „Tragik“ des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 bezeichnete der Rechtswissenschaftler Friedrich-Christian Schroeder (geb. 1936) in einem Vortrag am 23. Mai 1969 an der Juristischen Fakultät der Karls-Universität in Prag, „daß er am Ende einer ganz bestimmten innenpolitischen Lage der Bundesrepublik stand, die durch eine weitgehende Homogenität der politischen Interessen gekennzeichnet war. Gerade seit Anfang der sechziger Jahre, seit dem Rücktritt Adenauers und der Spiegelaffäre, hat sich diese Szenerie aber gründlich gewandelt und ist das geistige Klima in der Bundesrepublik sehr viel lebhafter geworden, nicht zuletzt infolge der Tatsache, daß wegen der Kriegsverluste eine sehr junge Generation viele wichtige Posten übernommen hat.“1 Mit diesen Worten Friedrich-Christian Schroeders ist die historische Situation um das Jahr 1962 bereits in pointierter Form knapp umrissen. Der erste Abschnitt der bundesdeutschen Geschichte, welcher mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 seinen Anfang genommen hatte, war politisch besonders stark durch die Person des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer (1876 – 1967) geprägt und ist daher auch als Adenauer-Ära in das öffentliche Bewusstsein eingegangen.2 Während die Außenpolitik dieser Epoche, welche vor allem durch die zielstrebige Einbindung der Bonner Republik in das westliche Bündnissystem gekennzeichnet war,3 im Vergleich zur früheren deutschen Großmachtpolitik durchaus als innovativ und fortschrittlich gelten konnte,4 ließ sich die Innenpolitik bis Anfang der sechziger Jahre trotz einiger moderner Elemente dagegen eher mit dem Wahlkampfslogan der Unionsparteien „Keine Experimente“ überschreiben.5 1 Schroeder, in: JZ 1970, S. 393 (394); biographisch zu Schroeder Hoyer, in: Hoyer/Müller/ Pawlik/Wolter (Hg.), Festschrift für Schroeder, S. IX (IX–XIII). 2 Schwarz, Die Ära Adenauer, S. 357. Einen Überblick zum historischen Zeitgeschehen dieser Epoche liefern auch Bührer, Die Adenauer-Ära; Doering-Manteuffel, Die Bundesrepublik Deutschland in der Ära Adenauer und Sontheimer, Die Adenauer-Ära. Biographisch zu Adenauer s. statt vieler Recker, Konrad Adenauer. 3 Näher hierzu Hacke, Außenpolitik, S. 63 – 83. 4 So die heute überwiegende Einschätzung, s. Bührer, Die Adenauer-Ära, S. 16; Hacke, Außenpolitik, S. 75 – 83. 5 Die Bewertung der Innenpolitik der Adenauerzeit fällt in der Geschichtswissenschaft im Einzelnen unterschiedlich aus. So wie hier z. B. Borowsky, Deutschland 1945 – 1969, S. 192 f.; Bührer, Die Adenauer-Ära, S. 11 – 13; stärker die positiven Aspekte betonend Schwarz, Die Ära Adenauer, S. 358 f.

I. Die politisch-gesellschaftliche Lage um 1962

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Auf der einen Seite standen sehr beachtliche innenpolitische Leistungen. Besondere Hervorhebung verdient dabei, dass es unter Adenauers Kanzlerschaft gelang, das politische System des Grundgesetzes in der Verfassungswirklichkeit und dem Bewusstsein der Bevölkerung zu festigen.6 Die zweite deutsche Demokratie stand dadurch auf einem sicheren staatspolitischen Fundament. Darüber hinaus erwies sich die Entscheidung für die Soziale Marktwirtschaft als richtig, denn sie führte zu einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung.7 Hieraus resultierte ein steigender Lebensstandard, der sich äußerlich in neuen Eigenheimen, Autos und Reisen ausdrückte.8 Des Weiteren wurden in der Arbeits- und Sozialpolitik wichtige Neuerungen hervorgebracht, wie zum Beispiel die Einführung von betrieblichen Mitbestimmungsrechten durch das Betriebsverfassungsgesetz.9 Diese Erfolge dürfen jedoch nicht über einige aus heutiger Sicht recht fragwürdige innenpolitische Aspekte hinwegtäuschen. Kritisch zu beurteilen ist dabei in erster Linie, dass die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit unter Adenauer nur eine untergeordnete Rolle spielte.10 Geradezu ein Paradebeispiel hierfür, ebenso wie für die personelle Kontinuität in höheren Positionen, stellte der Staatssekretär im Bundeskanzleramt und enge Vertraute des Kanzlers Hans Globke (1898 – 1973) dar, welcher während der NS-Zeit Mitherausgeber eines Kommentars zu den Nürnberger Rassegesetzen gewesen war.11 Aber nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch in der bundesdeutschen Verwaltung, Justiz und Wirtschaft bekleideten immer wieder Personen mit zweifelhafter NS-Vergangenheit Führungsposten.12 Außerdem muss Adenauers politischer Stil im Inneren hinterfragt werden. Der Regierungschef bewegte sich mit seiner autoritären, auch als „Kanzlerdemokratie“ bezeichneten Amtsauffassung stets auf einem relativ schmalen Grat zwischen der ihm gem. Art. 65 S. 1 GG zustehenden Richtlinienkompetenz und den im Grundgesetz verankerten demokratischen Prinzipien.13 Dennoch traf Adenauer mit seiner Politik über viele Jahre hinweg den Nerv der Zeit. Fast eineinhalb Jahrzehnte stand er an der Spitze der Exekutive. Den Höhepunkt seiner Popularität erreichte er 1957, als CDU und CSU bei der Bundestagswahl mit

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Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, § 21 Rn. 743. Schwarz, Die Ära Adenauer, S. 360 f. 8 Epkenhans, Geschichte Deutschlands: Von 1648 bis heute, S. 125 f.; Sontheimer, Die Adenauer-Ära, S. 78 f. 9 Sontheimer, Die Adenauer-Ära, S. 94 f. 10 So auch Borowsky, Deutschland 1945 – 1969, S. 193; Schwarz, Die Ära Adenauer, S. 364 f. 11 Steininger, Deutsche Geschichte 1955 – 1974, S. 106. Dieses und weitere Beispiele finden sich bei Kittel, Die Legende von der „Zweiten Schuld“, S. 77 – 105. Biographisch zu Globke Bevers, Der Mann hinter Adenauer. 12 Ausführlich hierzu und mit zahlreichen Beispielen Brochhagen, Nach Nürnberg, S. 173 – 258; Kittel, Die Legende von der „Zweiten Schuld“, S. 170 – 182. 13 Bührer, Die Adenauer-Ära, S. 23 f. 7

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A. Geschichtliche Grundlegung

50,2 Prozent der Wählerstimmen die absolute Mehrheit erzielten.14 Zugleich drückte sich in diesem Ergebnis aber auch die damalige Stimmung vieler Bürgerinnen und Bürger aus: Sie wollten das Erreichte nicht aufs Spiel setzen und strebten weniger nach politischen Veränderungen als vielmehr nach Sicherheit und Wohlstand.15 Diese Haltung der deutschen Bevölkerung lieferte umgekehrt wiederum einen Grund für die vergleichsweise ruhige, gemäßigte Innenpolitik der Adenauerzeit, welche in der neueren Geschichtsforschung etwas überspitzt auch als „behäbige Schönwetterdemokratie“16 bezeichnet worden ist. Ab den späten fünfziger Jahren sollte in der Bonner Republik jedoch allmählich ein innerer Wandel einsetzen. Hierzu trugen sowohl eine Generation von jungen Menschen bei, die das restaurative innenpolitische Klima der „verknöcherte[n] Republik“17 überwinden wollte, als auch eine Reihe gewichtiger politischer Fehlentscheidungen des Bundeskanzlers Konrad Adenauer18. Ein erstes Anzeichen für diese politischen Veränderungen stellte die „Präsidentschaftskrise“ des Jahres 1959 dar. Nach Ablauf seiner zweiten Amtszeit konnte Theodor Heuss (1884 – 1963)19 gem. Art. 54 Abs. 2 S. 2 GG nicht erneut zum Bundespräsidenten gewählt werden. Als Kandidat für dessen Nachfolge brachte Adenauer seinen populären Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (1897 – 1977) ins Gespräch.20 Dem Grunde nach handelte es sich bei dieser Nominierung aber um ein taktisches Manöver des Kanzlers, mit dem er den Minister als seinen eigenen Nachfolger verhindern wollte.21 Als Erhard den Vorschlag Adenauers ablehnte, bewarb sich dieser anschließend selbst um das höchste Amt im Staat.22 Dabei hatte er sich anscheinend vorgestellt, als Bundespräsident die Wahl des Kanzlerkandidaten maßgeblich beeinflussen zu können.23 Die Entscheidungshoheit in dieser Frage lag aber bei der CDU/CSU-Fraktion, die zum großen Teil Erhard als Spitzenkandidaten

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Pötzsch, Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart, S. 133. Eine Aufstellung statistischer Daten zur Bundestagswahl 1957 liefert Fischer (Hg.), Wahlhandbuch für die Bundesrepublik Deutschland Hb. 1, S. 11 – 14. 15 Pötzsch, Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart, S. 128 f. 16 Schwarz, Die Ära Adenauer, S. 177. 17 Spörl/Janssen, in: Der Spiegel Nr. 38/2012, Sonderbeilage „50 Jahre Spiegel-Affäre“, S. 3 (3). 18 Pötzsch, Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart, S. 139; Schwarz, Die Ära Adenauer, S. 331. 19 Biographisch zu Heuss Merseburger, Theodor Heuss. 20 Schwarz, Die Ära Adenauer, S. 179 f.; biographisch zu Erhard Hentschel, Ludwig Erhard. 21 Lilge, Deutschland 1945 – 1963, S. 242; Steininger, Deutsche Geschichte 1955 – 1974, S. 91. Dies räumte später auch der Kanzler ein, s. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 3, S. 527. 22 Schwarz, Die Ära Adenauer, S. 179 f. 23 Lilge, Deutschland 1945 – 1963, S. 241. So auch Adenauer selbst in einem Schreiben an den Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dr. Heinrich Krone vom 4. 7. 1959, abgedruckt bei Adenauer, Erinnerungen, Bd. 3, S. 542 f.

I. Die politisch-gesellschaftliche Lage um 1962

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für die nächste Bundestagswahl favorisierte.24 Um dessen Kanzlerschaft doch noch zu verhindern, sah Adenauer jetzt nur die Möglichkeit, selbst Bundeskanzler zu bleiben, und zog deshalb seine Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten wieder zurück.25 Zum neuen Staatsoberhaupt wurde stattdessen der bisherige Landwirtschaftsminister Heinrich Lübke (1894 – 1972)26 gewählt. Mit diesem fortdauernden personellen Hin und Her bei der Besetzung staatlicher Führungspositionen hatte Konrad Adenauer jedoch seine eigene Autorität schwer beschädigt; er wurde zusehends ein Kanzler auf Abruf.27 Einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einem politischen Wandel markierte der Verfassungskonflikt um die Einführung eines zweiten Fernsehprogramms, der auch unter dem Schlagwort „Fernsehstreit“ bekannt geworden ist. Ausgehend von der in Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG niedergelegten Gesetzgebungskompetenz für das Post- und Fernmeldewesen28 wollte Konrad Adenauer ein Staatsfernsehen unter Aufsicht und Einfluss des Bundes errichten, die „Deutschland-Fernsehen GmbH“.29 Die Länder sahen hierin jedoch einen Eingriff in ihre Kompetenzen, insbesondere die Kulturhoheit, und riefen das Bundesverfassungsgericht an.30 In ihrem Urteil vom 28. Februar 1961 gaben die Karlsruher Richter den Bundesländern Recht und erklärten: „Der Bund hat durch die Gründung der Deutschland-Fernsehen-GmbH gegen Artikel 30 in Verbindung mit dem VIII. Abschnitt des Grundgesetzes sowie den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens und gegen Artikel 5 des Grundgesetzes verstoßen.“31 Im Fernsehstreit musste der amtierende Bundeskanzler damit eine sehr empfindliche politische sowie juristische Niederlage hinnehmen. Ein Jahr nach dieser Auseinandersetzung folgte eine weitere schwere innenpolitische Krise, die „Spiegel-Affäre“. In seiner Ausgabe vom 10. Oktober 1962 veröffentlichte das Hamburger Wochenmagazin „Der Spiegel“ einen Artikel, der sich mit der militärischen Situation der Bundesrepublik befasste.32 Obgleich das darauf24 Doering-Manteuffel, Die Bundesrepublik Deutschland in der Ära Adenauer, S. 227; Fürst, Die Bonner Republik, S. 118 f. 25 Adenauer, Erinnerungen, Bd. 3, S. 526; Steininger, Deutsche Geschichte 1955 – 1974, S. 92. 26 Biographisch zu Lübke Morsey, Heinrich Lübke. 27 Fürst, Die Bonner Republik, S. 120; Sontheimer, Die Adenauer-Ära, S. 59 f.; Steininger, Deutsche Geschichte 1955 – 1974, S. 92 f. 28 So der damalige Wortlaut der Norm. Durch ein verfassungsänderndes Gesetz vom 30. 8. 1994 wurde das Wort „Fernmeldewesen“ durch „Telekommunikation“ ersetzt, BGBl. 1994 II, Nr. 58, S. 2245. Eine sachliche Änderung war damit nicht beabsichtigt, s. Stettner, in: Dreier (Hg.), GG-Kommentar, Art. 73 Rn. 30. 29 Küppers, in: VfZ Jg. 35 (1987), Heft 4, S. 625 (630 f.). Zur rechtlichen Ausgestaltung des Senders s. die Dokumentation bei Zehner, Der Fernsehstreit, Bd. 1, S. 16 – 21. 30 Küppers, in: VfZ Jg. 35 (1987), Heft 4, S. 625 (630 – 655). 31 BVerfGE 12, 205 (207); mit Besprechung von Bettermann, in: DVBl. 1963, S. 41 (41 – 44). 32 Hierbei handelte es sich um den Artikel „Bedingt abwehrbereit“ von Ahlers, in: Der Spiegel Nr. 41/1962, S. 32 (32 – 53). Eine ausführliche Dokumentation zu den Ereignissen der

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A. Geschichtliche Grundlegung

hin von der Bundesanwaltschaft eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats als solches juristisch nicht zu beanstanden war,33 wurde es wegen des fragwürdigen Zusammenspiels der Justiz mit Regierungsmitgliedern in der Öffentlichkeit als Eingriff in die gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verbürgte Pressefreiheit verstanden.34 In der Folge bildete sich erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine breite gesellschaftliche Protestfront gegen die Bonner Regierung.35 Dies führte schließlich begleitet von Unstimmigkeiten im Kabinett selbst zu dessen Umbildung und zum Rücktritt Adenauers am 15. Oktober 1963.36 Neben dieser gesteigerten Politisierung, die „viele brave Bürger zu friedlichen Revoluzzern“37 werden ließ, setzten seit Anfang der sechziger Jahre aber noch weitere gesellschaftliche Veränderungen ein. So wurde etwa die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nunmehr als wichtiges Thema begriffen.38 Gesellschaftliche Organisationen sprachen die Untaten des NS-Regimes konkret an, die staatlichen Einrichtungen für politische Bildung befassten sich ebenfalls mit der Vergangenheitsbewältigung.39 Außerdem fand in den gesellschaftlichen Eliten ein Generationswechsel statt: Die im Obrigkeitsstaat aufgewachsene Generation wurde von jungen, freiheitsorientierten Menschen abgelöst.40 Auf diese Weise manifestierte sich die mentale Öffnung gegenüber der Demokratie auch zunehmend in den Führungsetagen.41 Zugleich vollzog sich ein gesellschaftlicher Wertewandel. Traditionelle Tugenden wie Fleiß und Disziplin rückten in den Hintergrund, „Bewegung“ und „Fortentwicklung“ wurden die Schlagwörter einer neuen Zeit.42

„Spiegel-Affäre“ aus Sicht des Magazins selbst liefern Spörl/Janssen, in: Der Spiegel Nr. 38/ 2012, Sonderbeilage „50 Jahre Spiegel-Affäre“. 33 Schwarz, Die Ära Adenauer, S. 269. S. hierzu auch die Entscheidungen des BVerfG über einen Eilantrag des „Spiegels“, BVerfGE 15, 77, und die Verfassungsbeschwerde, BVerfGE 20, 162; mit Besprechung von Wittig, in: BayVBl. 1967, S. 109 (109 – 114). 34 Doering-Manteuffel, Die Bundesrepublik Deutschland in der Ära Adenauer, S. 242; Sontheimer, Die Adenauer-Ära, S. 63 f. Hierbei ging es vor allem um das Verhalten des Ministers Franz Josef Strauß, s. dazu Seifert, in: Seifert (Hg.), Die Spiegel-Affäre, Bd. I, S. 48 – 55; sehr ausführlich Schöps (Hg.), Die SPIEGEL-Affäre des Franz Josef Strauß, S. 27 – 82. 35 Fürst, Die Bonner Republik, S. 122; besonders ausführlich hierzu auch Liebel, in: Seifert (Hg.), Die Spiegel-Affäre, Bd. II, S. 150 – 217. 36 Sontheimer, Die Adenauer-Ära, S. 64 f.; Steininger, Deutsche Geschichte 1955 – 1974, S. 103 f. 37 Augstein, in: Der Spiegel Nr. 38/2012, S. 74 (74). 38 Borowsky, Deutschland 1945 – 1969, S. 193; Fürst, Die Bonner Republik, S. 137. 39 Schwarz, Die Ära Adenauer, S. 207. 40 Frese/Paulus, in: Frese/Paulus/Teppe (Hg.), Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch, S. 1 (16 f.). 41 Frese/Paulus, in: Frese/Paulus/Teppe (Hg.), Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch, S. 1 (16 f.). 42 Epkenhans, Geschichte Deutschlands: Von 1648 bis heute, S. 126.

II. Die Vorgeschichte des Entwurfs

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Insgesamt lässt sich das Zeitgeschehen um 1962 somit als Scharnier zwischen dem Ende der Adenauerzeit und der einsetzenden Transformationsperiode der sechziger Jahre beschreiben. Die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse wandelten sich – vom Konservatismus zur Modernisierung, vom Beharren zur Fortschrittlichkeit.

II. Die Vorgeschichte des Entwurfs Im Strafrecht stellte man sich in der Bundesrepublik in dieser gesellschaftlichpolitischen Interimsphase eine gesetzgeberische Aufgabe, „die an Gewicht der Schaffung des Grundgesetzes kaum nachsteht“43 – die geltende Kodifikation sollte durch ein komplett neu gestaltetes, zeitgemäßes Strafgesetzbuch abgelöst werden. Aus Sicht der Rechtsgeschichte ist das Bestreben, das deutsche Strafrecht auf ein anderes Fundament stellen zu wollen, jedoch kein erstmaliges, spezifisches Phänomen der Ära Adenauer. Im Gegenteil, strafrechtshistorisch betrachtet reihten sich die damaligen Bemühungen in einen schon mehr als ein halbes Jahrhundert andauernden Reformprozess ein.44 Bereits gut zehn Jahre nach dem Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuchs von 1871, das im Wesentlichen auf dem Preußischen Strafgesetzbuch von 1851 beruhte,45 hatte der Strafrechtslehrer und Kriminologe Franz von Liszt (1851 – 1919)46 damit begonnen, dessen kriminalpolitisches Konzept entscheidend zu hinterfragen. Während er die Strafe als „Prävention durch Repression“47 definierte, also den Zweck des Strafens hauptsächlich in der Besserung, Abschreckung und Unschädlichmachung des Täters sah,48 war das Reichsstrafgesetzbuch ein Produkt des liberalen Rechtsstaats und fußte noch auf dem Vergeltungsgedanken49. Diese kriminalpolitische Kritik Franz von Liszts eröffnete nicht

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Jescheck, in: ZStW 75 (1963), S. 1 (1). Zur Geschichte der Strafrechtsreform s. auch Busch, Strafrechtsreform, S. 29 – 50; LKStGB/Weigend, Einl., Rn. 22 – 39; Peters/Lang-Hinrichsen, in: Peters/Lang-Hinrichsen, Strafrechtsreform, S. 8 – 12; Rentrop, in: Vormbaum/Rentrop (Hg.), Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XI (XI–XLII). 45 Schmidt, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 297 f.; Rüping/Jerouschek, Strafrechtsgeschichte, Teil 4 § 2 Rn. 232 – 233; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 85; ausführlich zum Reichsstrafgesetzbuch Roth, in: Vormbaum/Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 1 (1 – 37). 46 Biographisch zu Franz von Liszt aus der Sicht eines seiner Schüler Schmidt, in: ZStW 81 (1969), S. 545 (545 – 555). 47 von Liszt, in: ZStW 3 (1883), S. 1 (45). Zur Fortwirkung der lisztschen Gedanken in der weiteren Entwicklung des deutschen Strafrechts detailliert Stäcker, Die Franz von Liszt-Schule. 48 Stäcker, Die Franz von Liszt-Schule, S. 28. 49 Roth, in: Vormbaum/Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 1 (2). 44

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A. Geschichtliche Grundlegung

nur den Streit zwischen der klassischen und soziologischen Schule,50 sondern bildete zugleich den Ausgangspunkt für die Reformbewegung im deutschen Strafrecht.51 Mit der Jahrhundertwende, also etwa zwanzig Jahre nach den ersten kritischen Tönen aus der Wissenschaft, war die Notwendigkeit einer Strafrechtsmodernisierung dann allgemein in einem so hohen Maße anerkannt, dass nunmehr seitens des Staates gezielte Schritte eingeleitet wurden, um das alte Reichsstrafgesetzbuch durch eine neue Kodifikation zu ersetzen.52 Weil hierfür zunächst eine gewisse Arbeitsgrundlage geschaffen werden musste, beauftragte der Staatssekretär des Reichsjustizamts Rudolf Arnold Nieberding (1838 – 1912) am 16. Juli 1902 ein freies wissenschaftliches Komitee damit, im Wege der Rechtsvergleichung Ideen für das zukünftige deutsche Strafrecht zu entwickeln.53 Nach mehrjähriger Tätigkeit legte dieses mit der „Vergleichenden Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts“ in fünfzehn Bänden eine „erschöpfende Übersicht über die strafrechtlichen Grundsätze aller größeren Kulturstaaten“54 vor, die damals wie heute als ein „stolzes Zeugnis deutscher Wissenschaft und Gründlichkeit“55 gelten kann und folglich auch eine solide Basis für die angestrebte Erneuerung des Strafgesetzbuchs bildete. Auf diese Arbeiten des freien wissenschaftlichen Komitees folgten schon kurze Zeit später die ersten Kodifikationsentwürfe. In der Kaiserzeit erschien zunächst der „Vorentwurf“ zu einem Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich (1909).56 Mit ihm begannen die Reformbemühungen durchaus vielversprechend, denn neben einigen systematisch-dogmatischen Änderungen brachte er durch die Erweiterung des einspurigen Strafensystems um bessernde und sichernde Maßnahmen vor allem in sanktionsrechtlicher Hinsicht eine beachtliche Weiterentwicklung, zumindest im 50

Zum sog. „Schulenstreit“ aus der neueren Forschung Naucke, in: Herzog/Neumann (Hg.), Festschrift für Hassemer, S. 559 (559 – 572). Die Kontroverse um den Zweck von Strafe zwischen der klassischen und der soziologischen Schule wurde auch noch in der Großen Strafrechtskommission geführt, s. dazu die Diskussion in Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 29 – 48. 51 Busch, Strafrechtsreform, S. 29. 52 Schmidt, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 327. 53 Busch, Strafrechtsreform, S. 32; Schmidt, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 327. Die Mitglieder dieses Komitees waren Karl von Birkmeyer (München), Fritz von Calker (Straßburg), Reinhard Frank (Tübingen), Wilhelm Kahl (Berlin), Karl von Lilienthal (Heidelberg), Franz von Liszt (Berlin), Hermann Seuffert (Bonn), welcher bereits 1902 verstarb und in der Folge durch Robert von Hippel (Göttingen) ersetzt wurde, sowie Adolf Wach (Leipzig). 54 So die Aufgabenbeschreibung an das Komitee, zitiert nach Schubert (Hg.), Protokolle, Bd. 1, S. XVIII. 55 Bumke, in: DJZ 1921, Sp. 11 (12). 56 Zu den Entwürfen in der Kaiserzeit s. im Überblick Schmidt, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 327 – 330; Roth, in: Vormbaum/Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 1 (28 – 31). Kritisch zum E 1909 aus zeitgenössischer Sicht Aschrott/von Liszt (Hg.), Die Reform des Reichsstrafgesetzbuchs, Bd. I und II. Zum E 1911 aus Sicht der Verfasser Kahl, in: DJZ 1911, Sp. 501 (501 – 507). Die Entwürfe selbst sind abgedruckt bei Vormbaum/Rentrop (Hg.), Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 1 – 62 (E 1909), S. 63 – 125 (E 1911) und S. 273 – 346 (E 1913).

II. Die Vorgeschichte des Entwurfs

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Vergleich zur damals geltenden Gesetzeslage.57 Zwei Jahre nach seiner Veröffentlichung wurde dem „Vorentwurf“ alsdann ein privater „Gegenentwurf“ gegenübergestellt, welcher von den vier Strafrechtsdenkern James Goldschmidt (1874 – 1940), Wilhelm Kahl (1849 – 1932), Karl von Lilienthal (1858 – 1935) sowie Franz von Liszt (1851 – 1919) erarbeitet worden und noch stärker von den Gedanken der soziologischen Schule geprägt war. Unter Einarbeitung von Ideen aus diesen beiden Entwürfen wurde anschließend im Jahr 1913 der erste von einer großen Kommission beratene Gesetzentwurf hervorgebracht, der sogenannte „Kommissionsentwurf“. Da am 28. Juli 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, konnte dieser jedoch nicht mehr wie vom Reichsjustizamt erhofft im Reichstag behandelt werden. Nach der nun folgenden kriegsbedingten Unterbrechung der Reformarbeiten wurden diese anschließend in der Weimarer Republik mit dem Entwurf 1919 fortgesetzt,58 welcher inhaltlich im Kern noch auf den Beschlüssen der amtlichen Kommission aus dem Jahr 1913 beruhte59. An ihn schloss sich 1922 der „Entwurf Radbruch“ an, welcher aus heutiger Sicht von allen bis dahin entstandenen Kodifikationsentwürfen die größten Fortschritte enthielt, denn er verzichtete auf die Todesstrafe und trennte das bloße Verwaltungsunrecht vom Kriminalunrecht ab.60 Wenig später wurde im Jahr 1925 der erste von der Reichsregierung getragene, auch als „Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen deutschen Strafgesetzbuchs“ bezeichnete Kodifikationsvorschlag vorgelegt. Dieser behielt zwar in Anlehnung an seine Vorgänger die Zweispurigkeit der Verbrechensbekämpfung mit Strafen auf der einen sowie bessernden und sichernden Maßnahmen auf der anderen Seite bei, orientierte sich generell aber eher an herkömmlichen Ansichten.61 Seiner Grundausrichtung folgten der „Entwurf eines Allgemeinen deutschen Strafgesetzbuchs“ von 1927 und der „Entwurf eines Allgemeinen deutschen Strafgesetzbuchs“ von 1930 („Entwurf Kahl“), mit denen das Vorhaben einer neuen Strafrechtskodifikation erstmals seit Beginn der Reformbestrebungen den Weg in den Reichstag fand. Mit der Auflösung des Reichstags am 18. Juli 1930 und der zunehmenden politischen Radikalisierung des Parlaments in der Spätzeit der Weimarer Republik fanden die Bemühungen der ersten deutschen 57

Schmidt, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 328. Zu den Entwürfen in der Weimarer Republik s. im Überblick Rasehorn, in: Vormbaum/ Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 38 (38 – 52); Jelowik, Strafrechtsreform in der Weimarer Republik. Zum E 1919 aus zeitgenössischer Sicht Bumke, in: DJZ 1921, Sp. 11 (11 – 16). Zum E 1922 eingehend Goltsche, Der Entwurf Radbruch. Kritisch zum E 1925 aus zeitgenössischer Sicht Aschrott/Kohlrausch (Hg.), Reform des Strafrechts. Die Entwürfe selbst sind abgedruckt bei Vormbaum/Rentrop (Hg.), Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 347 – 418 (E 1919), Bd. 2, S. 1 – 58 (E 1922), S. 59 – 124 (E 1925), S. 125 – 196 (E 1927) und S. 197 – 263 (E 1930). Die Entwürfe von 1925, 1927 und 1930 wurden vom Bundesjustizministerium 1954 neu herausgegeben, da sie im Buchhandel kaum noch erhältlich waren, und der Großen Strafrechtskommission als Vergleichs- und Diskussionsgrundlage für ihre Arbeit zur Verfügung gestellt, s. Mat. StR-Reform, Bd. 3 – 5. 59 Bumke, in: DJZ 1921, Sp. 11 (16). 60 So in ihrem Resümee zum E 1922 Goltsche, Der Entwurf Radbruch, S. 378 – 382. 61 Busch, Strafrechtsreform, S. 34 f.; Schmidt, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 334. 58

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A. Geschichtliche Grundlegung

Demokratie um eine grundlegende Strafrechtserneuerung jedoch ein Ende, bevor ein neues Gesetzbuch verabschiedet werden konnte. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 erschien unter ihrer Herrschaft im Jahr 1936 dann der „Entwurf Gürtner“, welcher sich im Gegensatz zu seinen Vorgängern überwiegend von liberalen, rechtsstaatlichen Prinzipien löste.62 Genau wie alle vorherigen Entwürfe für ein neues Strafgesetzbuch erstarkte aber auch der nationalsozialistische Kodifikationsvorschlag anschließend nicht in Gesetzeswirklichkeit. Trotz der Vielzahl von Gesetzentwürfen in der Geschichte der deutschen Strafrechtsreform führte damit keiner zu einem erfolgreichen Abschluss der Modernisierungsbestrebungen. Es blieb bei einer „Kette mehr oder weniger interessanter Entwürfe“63, eine neue Kodifikation erschien hingegen nicht. Die Umgestaltung des Strafrechts vollzog sich stattdessen durch Novellen.64 Auf diese Weise wurden die durch politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Wandel notwendig gewordenen Veränderungen in das Gesetz eingefügt.65 Anders als im europäischen Ausland, wo die Bemühungen um eine Reform des Strafrechts auch neue Gesetzbücher hervorbrachten, wie beispielsweise den Codice Rocco 1930 in Italien,66 beschritt man in Deutschland also den Weg einer Teil- statt einer Gesamtreform.

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LK-StGB/Weigend, Einl., Rn. 31. Zum E 1936 im Einzelnen Gruchmann, Justiz im Dritten Reich, S. 753 – 822. 63 Schmidt, in: NJW 1967, S. 1929 (1929). 64 Peters/Lang-Hinrichsen, in: Peters/Lang-Hinrichsen, Strafrechtsreform, S. 11. 65 Peters/Lang-Hinrichsen, in: Peters/Lang-Hinrichsen, Strafrechtsreform, S. 11. 66 Einen kurzen Überblick zur Geschichte des italienischen Strafrechts liefert Maiwald, Einführung in das italienische Strafrecht, S. 24 – 28.

B. Erste Schritte auf dem Weg zum Gesetzentwurf: Initiative, Ziele und Vorarbeiten I. Die Initiative zum Entwurf eines neuen Strafgesetzbuchs Auf diesem langen, bis dahin erfolglosen Weg der Bemühungen, dem deutschen Strafrecht eine neue gesetzliche Grundlage zu geben, stand mit der Wiederaufnahme der Reformarbeiten in den fünfziger Jahren nun also eine weitere Etappe an. Doch wer gab in der jungen Bonner Republik die Anregung, die Arbeiten an einer neuen Strafrechtskodifikation wieder in Angriff zu nehmen? Anders als im 19. Jahrhundert, wo mit Franz von Liszt ein Strafrechtsprofessor den wegweisenden Impuls für die Bestrebungen um eine Erneuerung des Strafgesetzbuchs gesetzt hatte, ging in der Ära Adenauer die Initiative nicht von der Wissenschaft aus. Vielmehr stand diese einer großen Reform des materiellen Strafrechts zu diesem Zeitpunkt ähnlich wie auch die zeitgenössische Rechtsprechung mehrheitlich skeptisch gegenüber und mahnte, sich auf diesem Rechtsgebiet lieber weiterhin auf eine zurückhaltende, schrittweise Novellengesetzgebung zu beschränken.1 Der Anstoß zu einer umfassenden Strafrechtsmodernisierung kam stattdessen aus der Politik. Eine entscheidende Rolle spielte hierbei der erste Bundesminister der Justiz, der FDP-Politiker Thomas Dehler (1897 – 1967)2. Nur kurze Zeit nach der Gründung der Bundesrepublik plante er bereits umfangreiche juristische Reformen.3 Sein besonderes Augenmerk galt dabei dem Strafrecht.4 Diesbezüglich hatte sich der Minister sehr viel vorgenommen. Er selbst sah als seine „wesentliche Aufgabe […] die große

1

Deutlich etwa BArch, B 141/17229, S. 7 (Professor von Weber in einer Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). Ebenso die Professoren Baumann, in einem offenen Brief vom 28. 2. 1963 an das Bundesjustizministerium, abgedruckt bei Baumann, Streitschriften, S. 9 (12), und Schmidt, in: ZStW 69 (1957), S. 359 (367 f.), die eine Reform des Strafprozessrechts für wesentlich wichtiger hielten als eine grundlegende Erneuerung des materiellen Rechts. Zur distanzierten Haltung der Rechtsprechung in Bezug auf die Schaffung einer neuen Strafrechtskodifikation s. exemplarisch die ausgesprochen kritische Stellungnahme des Bundesrichters Hülle, in: NJW 1953, S. 1778 (1778 f.). 2 Biographisch zu Dehler Rilling, Thomas Dehler; Ott, Thomas Dehler. 3 Rilling, Thomas Dehler, S. 144. 4 Ott, Thomas Dehler, S. 131; Rilling, Thomas Dehler, S. 144.

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B. Erste Schritte auf dem Weg zum Gesetzentwurf

Strafrechtsreform“5. Deshalb kündigte er 1950 im Deutschen Bundestag an: „Auf dem Gebiete des Strafrechts ist der Ruf nach einer Reform schon etwa 50 Jahre alt. Sie vorzubereiten wird eine meiner schwierigsten, aber auch eine meiner vornehmsten Aufgaben sein.“6 Fortan plädierte Dehler immer wieder für eine grundlegende Erneuerung der geltenden Strafrechtskodifikation. Weil „die Welt, in der dieses Strafgesetzbuch entstanden ist, nicht mehr [besteht]“7, sollte sich an die Bereinigung des Gesetzbuchs von nationalsozialistischem Unrecht unbedingt eine allgemeine Reform des geltenden Strafrechts anschließen8. Für den Minister stand fest, dass „die Wandlungen des Lebens […] auch eine Anpassung der Rechtsordnung an die veränderten Verhältnisse [verlangen]“9 und darüber hinaus „eine Fülle von Problemen des Strafrechts neu durchdacht werden muß“10. Mit anderen Worten: Eine Totalreform des Strafrechts, eine neue Kodifikation, war das Ziel. Diese sollte nach den Vorstellungen Dehlers das „Strafrecht, das immerhin in seinen Grundlagen mehr als hundert Jahre alt ist, […] durch ein Strafrecht, das unserer Zeit gemäß ist, [ersetzen]“11. Sobald im Ministerium nach dem Abschluss des ersten und zweiten Strafrechtsänderungsgesetzes12 wieder Kapazitäten frei wären, wollte er deshalb zusammen mit den Mitarbeitern aus der Strafrechtsabteilung seines Hauses zeitnah mit diesem Projekt beginnen und sich dabei auf das reiche Material der früheren Reformarbeiten stützen.13 Wenige Jahre später ließ der Minister diesen Worten Taten folgen, denn er gab zur Vorbereitung der Arbeiten an einem neuen Strafgesetzbuch rechtsvergleichende Studien und Gutachten zu Kernfragen des Strafrechts in Auftrag.14 Damit leitete Thomas Dehler kurz vor dem Ende seiner Amtszeit noch den 5

Dehler, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 2, S. A 10 (A 13) (Begrüßungsansprache Dehlers auf dem 40. Deutschen Juristentag 1953 in Hamburg). 6 MdB Dehler in der 83. Sitzung des I. Deutschen Bundestages am 12. 9. 1950, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 5, S. 3105 (B). 7 MdB Dehler in der 83. Sitzung des I. Deutschen Bundestages am 12. 9. 1950, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 5, S. 3105 (B). 8 MdB Dehler in der 133. Sitzung des I. Deutschen Bundestages am 11. 4. 1951, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 7, S. 5129 (D). 9 MdB Dehler in der 83. Sitzung des I. Deutschen Bundestages am 12. 9. 1950, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 5, S. 3105 (B). 10 MdB Dehler in der 133. Sitzung des I. Deutschen Bundestages am 11. 4. 1951, BTStenogr. Berichte, Bd. 7, S. 5129 (D). 11 MdB Dehler, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 2, S. A 10 (A 13) (Begrüßungsansprache Dehlers auf dem 40. Deutschen Juristentag 1953 in Hamburg). 12 Erstes StrÄndG vom 30. 8. 1951, BGBl. 1951 I, Nr. 43, S. 739 – 747; Zweites StrÄndG vom 6. 3. 1953, BGBl. 1953 I, Nr. 8, S. 42. 13 MdB Dehler in der 133. Sitzung des I. Deutschen Bundestages am 11. 4. 1951, BTStenogr. Berichte, Bd. 7, S. 5129 (D). Die Leitung dieser Arbeiten sollte nach Dehlers Vorstellungen der Strafrechtsprofessor Eberhard Schmidt übernehmen, den er dafür als Ministerialdirektor ins BMJ holen wollte. Schmidt lehnte dieses Ansinnen jedoch ab, zu seinen Gründen s. Schmidt, in: NJW 1967, S. 1929 (1931). 14 Abgedruckt in: Mat. StR-Reform, Bd. 1 (Gutachten der Rechtslehrer) sowie Bd. 2.1 und Bd. 2.2 (Rechtsvergleichende Studien).

I. Die Initiative zum Entwurf eines neuen Strafgesetzbuchs

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entscheidenden ersten Schritt auf dem Weg zu einer neuen Kodifikation ein. Der erste Bundesjustizminister sorgte also schon früh für die notwendigen Voraussetzungen einer Totalreform des deutschen Strafgesetzbuchs. Seine Impulse bildeten den „Ausgangspunkt der gesamten Reformarbeit“15. Aber Thomas Dehler stand mit seiner Initiative zur Schaffung einer neuen Strafrechtskodifikation nicht allein. Gleichgesinnte fand der Minister nicht nur bei seinen Kollegen in der Regierungskoalition, sondern auch bei den Sozialdemokraten, also beim damaligen politischen Gegner. Aus den Reihen der Opposition kam bereits im Frühjahr 1951 ebenfalls ein entscheidender Vorstoß zur Modernisierung des Strafgesetzbuchs, denn genau wie der Minister war man auch in der SPD-Bundestagsfraktion mehrheitlich davon überzeugt, „daß alsbald die Reform des allgemeinen Strafrechts in Angriff genommen werden sollte“16. Um das Parlament bei dieser umfangreichen legislativen Aufgabe zu entlasten, beantragten die Sozialdemokraten mit einer Entschließung vom 7. April 1951, „zur Vorbereitung einer Reform des Strafrechts […] einen Arbeitsstab aus Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten und Hochschullehrern zu berufen“17. Nach Beendigung ihrer Tätigkeit sollte diese außerparlamentarische Arbeitsgruppe dann dem Bundestag und dem Bundesrat ihre Vorschläge präsentieren.18 Damit formulierte der Antrag der SPD sowohl einen konkreten Handlungsauftrag an den Justizminister als auch eine mögliche Vorgehensweise zur Schaffung eines neuen Strafgesetzbuchs. Der rechtspolitische Sprecher der Sozialdemokraten Adolf Arndt (1904 – 1974)19 verlieh diesem Anliegen seiner Fraktion zusätzlich Nachdruck, indem er im Bundestag nochmals besonders betonte, dass „die Größe und Dringlichkeit der Arbeit alsbald einen solchen Arbeitsstab erforderlich machen“20. Die Bedeutung der sozialdemokratischen Entschließung vom 7. April 1951 für den weiteren Weg der Reformbemühungen zeigte sich dann drei Jahre später – mit der Einberufung der Großen Strafrechtskommission im Jahr 1954 wurden die Vorstellungen der SPD Wirklichkeit. Obgleich sie in den Anfangsjahren der Bundesrepublik nicht in der Regierungsverantwortung stand, ging die Initiative zu einem neuen Strafgesetzbuch mithin auch zu einem erheblichen Teil von der SPD aus.

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Jescheck, in: ZStW 75 (1963), S. 1 (10). MdB Arndt in der 133. Sitzung des I. Deutschen Bundestages am 11. 4. 1951, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 7, S. 5137 (D). Zum Strafrechtsverständnis der SPD in den fünfziger Jahren näher Worm, SPD und Strafrechtsreform, S. 68 – 75. 17 PA-DBT, 3001 1. WP (Entschließung der Fraktion der SPD im I. Deutschen Bundestag vom 7. 4. 1951, Umdruck Nr. 130). 18 PA-DBT, 3001 1. WP (Entschließung der Fraktion der SPD im I. Deutschen Bundestag vom 7. 4. 1951, Umdruck Nr. 130). 19 Biographisch zu Arndt Gosewinkel, Adolf Arndt. 20 MdB Arndt in der 133. Sitzung des I. Deutschen Bundestages am 11. 4. 1951, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 7, S. 5137 (D). 16

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B. Erste Schritte auf dem Weg zum Gesetzentwurf

In den Bemühungen um eine große Strafrechtsreform befanden sich Bundesregierung und Opposition folglich in „erfreulicher Übereinstimmung“21. Beide gaben wichtige Anstöße zur Ausarbeitung einer neuen Strafrechtskodifikation. Deshalb sind im Ergebnis sowohl der Bundesjustizminister Thomas Dehler als auch die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion als Initiatoren des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 anzusehen. Es deutete sich also in der Strafrechtspolitik schon in den fünfziger Jahren an, was später nach der Bundestagswahl im September 1969 dann auch bundespolitische Realität wurde – eine Zusammenarbeit von Liberalen und Sozialdemokraten.

II. Die Ziele des Entwurfs Den Initiatoren wurde jedoch immer wieder vorgeworfen, dass sie mit der beabsichtigten Erneuerung des Strafgesetzbuchs hauptsächlich politische Anerkennung und kaum juristische Zwecke verfolgen würden. Insbesondere dem Justizminister unterstellte man ein starkes Streben nach persönlichem Erfolg; er habe in erster Linie das Ziel gehabt, „seinen Namen mit einem Werk zu verbinden, dessen Vollendung allen Mühen seit der Jahrhundertwende versagt geblieben ist“22. Eine derart verkürzte Sichtweise wird jedoch den Motiven der Reformarbeiten nicht gerecht und versperrt den Blick auf die vielfältigen sachlichen Veränderungsabsichten, die dem E 1962 zugrunde lagen. Erste konkrete Ziele, die mit der Neugestaltung des Strafrechts verfolgt werden sollten, wurden um den Jahreswechsel 1953/1954 im Bundesministerium der Justiz definiert. Unter kriminalpolitischen Aspekten sah die zuständige Abteilung II (Strafrecht und Verfahren) des Hauses die vordringliche Aufgabe der Modernisierungsbestrebungen darin, das Sanktionssystem des bisherigen Strafgesetzbuchs zu verbessern.23 Zum einen sollte die Geldstrafe sozialer ausgestaltet werden, etwa in Form des aus Skandinavien bekannten Tagesbußensystems.24 Zum anderen sollte das neue Strafgesetzbuch das System der bessernden und sichernden Maßregeln erweitern und verfeinern, um die Häufigkeit ihrer Anwendung zu steigern, denn in der

21

MdB Bucher in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3183 (B). Ähnlich die Bewertung aus der Retrospektive von Holtz, Strafrechtsreformen, S. 7 f. 22 Hülle, in: NJW 1953, S. 1778 (1778). Werner Hülle war Richter am Bundesgerichtshof und wandte sich wie viele Praktiker gegen eine umfassende Strafrechtsreform, da „die geradezu nervöse Sucht nach fortwährender Änderung […] der Praxis die Arbeit unnütz erschwert“, Hülle, in: NJW 1953, S. 1778 (1779). 23 BArch, B 141/17229, S. 73 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). Dieses Ziel ebenfalls besonders herausstellend Schwalm, in: MDR 1959, 797 (797). 24 BArch, B 141/17229, S. 52 (Anlage 4 zum Vermerk des BMJ zur Vorbereitung der großen Strafrechtsreform vom 5. 1. 1954).

II. Die Ziele des Entwurfs

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gerichtlichen Praxis war sich ihrer bisher relativ selten bedient worden.25 So hatte es im Jahr 1950 nur 1.084 Personen gegeben, für welche sie angeordnet worden waren, und auch in den nächsten Jahren waren die Zahlen für die Maßregeln der Besserung und Sicherung mit 957 Verurteilten (1951), 1.035 Verurteilten (1952) sowie 2.682 Verurteilten (1953) trotz einer insgesamt steigenden Kriminalitätsrate vergleichsweise gering geblieben.26 Ein weiteres kriminalpolitisches Ziel der Reformarbeiten war die Neuregelung der bis dahin im neunundzwanzigsten Abschnitt des Strafgesetzbuchs normierten Übertretungen.27 Anders als bisher sollte das Strafrecht nach den Vorstellungen der Bonner Ministerialbeamten zukünftig in jeder Hinsicht konsequent zwischen kriminellem und bloßem Verwaltungsunrecht trennen, also die sogenannten Übertretungen vollständig ausscheiden.28 Neben diesen zwei sanktionsrechtlichen galt es außerdem, mehrere dogmatische Fragen im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs einer zeitgerechten Lösung zuzuführen. Dabei dachte man in erster Linie an die in den fünfziger Jahren besonders intensiv erörterten Probleme der Schuld sowie der Strafbarkeit juristischer Personen.29 Diskussionswürdig war aus Sicht der Beamten aber auch eine etwaige Einführung von Sondervorschriften im Allgemeinen Teil für bestimmte Tätergruppen, wie beispielsweise Gewerbs- und Gewohnheitstäter oder psychisch Kranke.30 Für den Besonderen Teil wurden unterdessen generelle Veränderungen im Aufbau der Straftatbestände sowie modernere Formulierungen angestrebt.31 Darüber hinaus sollten zudem bei einigen Vorschriften in materiellrechtlicher Hinsicht tiefgreifende Änderungen vorgenommen werden. Als besonders reformbedürftig stufte die Strafrechtsabteilung des Bundesministeriums der Justiz hierbei die Tötungstatbestände, die Vorschriften über die Abtreibung, den strafrechtlichen Ehrenschutz, die Untreue und den Schutz des Völkerrechts ein.32 Des Weiteren beabsichtigte man mit einer neuen Strafrechtskodifikation einige bisher nicht bekannte Straftatbestände einzuführen, welche zur Bekämpfung neuer Erscheinungsbilder von Kriminalität notwendig geworden seien, um so auch zukünftig einen ausreichenden, effektiven Rechtsgüterschutz gewährleisten zu

25 BArch, B 141/17229, S. 52 f. (Anlage 4 zum Vermerk des BMJ zur Vorbereitung der großen Strafrechtsreform vom 5. 1. 1954); s. auch die Begr. zum E 1962, BT-Drucks. IV/650, S. 97. 26 Für die Jahre 1950 und 1951 s. Statistik der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 110, S. 14; für die Jahre 1952 und 1953 s. Statistik der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 129, S. 6. 27 BArch, B 141/17229, S. 73 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). 28 BArch, B 141/17229, S. 51 (Anlage 4 zum Vermerk des BMJ zur Vorbereitung der großen Strafrechtsreform vom 5. 1. 1954). 29 BArch, B 141/17229, S. 73 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). 30 BArch, B 141/17229, S. 52 (Anlage 4 zum Vermerk des BMJ zur Vorbereitung der großen Strafrechtsreform vom 5. 1. 1954). 31 BArch, B 141/17229, S. 51 (Anlage 4 zum Vermerk des BMJ zur Vorbereitung der großen Strafrechtsreform vom 5. 1. 1954); BArch, B 141/17229, S. 73 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). 32 BArch, B 141/17229, S. 73 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954).

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B. Erste Schritte auf dem Weg zum Gesetzentwurf

können.33 Gleichzeitig setzte sich das Justizministerium aber auch zum Ziel, im Rahmen der Reform nicht strafwürdiges Unrecht aus dem Deliktskatalog des Strafgesetzbuchs zu streichen.34 Spezielle Probleme, für die bei der Totalreform ein sachgerechtes Ergebnis gefunden werden sollte, stellten schließlich die Privatklagedelikte und die Sonderstrafen dar.35 Einen konkreten Lösungsvorschlag beziehungsweise eine genaue Zielvorgabe für die Reformarbeiten hatte man diesbezüglich seitens des Bundesministeriums der Justiz aber noch nicht erarbeitet.36 Sowohl in kriminalpolitischer als auch in dogmatischer und materiellrechtlicher Hinsicht hatte man sich also durchaus ehrgeizige Ziele für die Strafrechtsreform gesetzt. Wenn die zur Zeit der Modernisierungsbemühungen amtierenden Justizminister in der Öffentlichkeit über die Aufgaben der Strafrechtserneuerung sprachen, traten diese für den juristischen Laien eher wenig plastischen Absichten jedoch meist in den Hintergrund. Stattdessen wurden, vor allem bei der erstmaligen öffentlichen Präsentation des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 im Deutschen Bundestag am 28. März 1963, vorwiegend anschaulichere, mithin rechtspolitische und rechtsstaatliche Zielsetzungen hervorgehoben. Eine besonders starke Betonung erfuhr dabei der Wunsch nach mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.37 War das Strafgesetzbuch in der Fassung der Neubekanntmachung vom 25. August 195338 aufgrund der zahlreichen Änderungen, Streichungen und Hinzufügungen von Paragraphen, die im Laufe der Jahre vorgenommen worden waren, bereits Justizminister Thomas Dehler als „unheilvoll verwirrt und unübersichtlich“39 erschienen, so wirkte es auf seinen späteren Nachfolger Ewald Bucher (1914 – 1991) gar „äußerlich wie ein Schlachtfeld“40. Man könne es auch mit einem „alten Rock“ vergleichen, „dem man viele bunte Flicken aufgesetzt [hat]“41, so Bucher. Hinter diesen Worten verbarg sich dem Grunde nach eine einschneidende Kritik an dem bisher eingeschlagenen Weg der Strafrechtsmodernisierung mittels Gesetzesnovellen. Immer wieder seien „neue Rechtsgedanken einem auf ganz anderer Grundlage geschaffenen Gesetzeswerk [aufgepfropft]“42 worden. Das Gedankengut der soziologischen Schule Franz von Liszts habe man dem alten Strafgesetzbuch einfach übergestülpt, 33 34 35 36 37

(6). 38

BArch, B 141/17229, S. 73 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). BArch, B 141/17229, S. 73 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). BArch, B 141/17229, S. 73 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). BArch, B 141/17229, S. 73 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). Zu diesem Ziel auch Holtz, Strafrechtsreformen, S. 9; Jescheck, in: ZStW 75 (1963), S. 1

Vom 25. 8. 1953, BGBl. 1953 I, Nr. 55, S. 1083 – 1130. Dehler, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 2, S. A 10 (A 13) (Begrüßungsansprache Dehlers auf dem 40. Deutschen Juristentag 1953 in Hamburg). 40 MdB Bucher in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3182 (A). 41 MdB Bucher in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3182 (B). 42 Begr. zum E 1962, BT-Drucks. IV/650, S. 95. 39

II. Die Ziele des Entwurfs

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sodass in der Kodifikation die unterschiedlichsten Rechtsvorstellungen aus über fünfzig Jahren vorzufinden seien.43 Folglich fehle es ihm an einem klaren kriminalpolitischen Konzept, sodass man dem geltenden Gesetz nicht entnehmen könne, zu welcher Grundauffassung von Sinn und Zweck der Strafe es sich bekennt.44 Durch den Entwurf eines neuen Strafgesetzbuchs sollte deshalb wieder ein „Gesetz aus einem Guß“45 geschaffen werden, welches nicht nur die reformbedürftigen Vorschriften ändert, sondern sie auch in ein schlüssiges sanktionsrechtliches Gesamtkonzept einfügt und dadurch zu einem Plus an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit führt. Mit diesem Vorhaben stand ein zweites rechtsstaatliches beziehungsweise rechtspolitisches Ziel des E 1962, nämlich bestehende Gesetzeslücken zu schließen und so dem wachsenden Richterrecht Einhalt zu gebieten, in engem Zusammenhang. Um den rechtsstaatlichen Ansprüchen des am 23. Mai 1949 in Kraft getretenen Grundgesetzes46 zu genügen, müsse man die zunehmende Ausweitung der richterlichen Rechtsfortbildung auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts dringend begrenzen, so der damalige Bundesjustizminister Ewald Bucher.47 Diese sei nämlich nicht nur im Hinblick auf das Prinzip der Gewaltenteilung, sondern ebenso in Bezug auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht unbedenklich.48 Probleme bereitete hierbei aus damaliger Sicht insbesondere die Tatsache, dass das Rückwirkungsverbot, welches ein wesentliches Teilprinzip des Grundsatzes nulla poena sine lege darstellt, für rückwirkende Rechtsprechungsänderungen nicht galt.49 Deshalb sollten mit dem Entwurf eines neuen Strafgesetzbuchs die bis dahin oftmals durch Richterrecht geschlossenen Lücken nunmehr durch legislativ festgesetztes, geschriebenes Gesetzesrecht ausgefüllt werden.50

43 MdB Bucher in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3182 (B). 44 MdB Bucher in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3182 (C). 45 Begr. zum E 1962, BT-Drucks. IV/650, S. 95. 46 Vom 23. 5. 1949, BGBl. 1949 I, Nr. 1, S. 1 – 19. 47 MdB Bucher in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3183 (A). 48 MdB Bucher in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3183 (A). 49 MdB Bucher in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3183 (A). Zur Problematik des Rückwirkungsverbots bei Rechtsprechungsänderungen aus der neueren Forschung eingehend Neumann, in: ZStW 103 (1991), S. 331 (331 – 356). Beispiele für die Auffassung der Rechtsprechung, dass eine rückwirkende Änderung der Rechtsprechung nicht unter das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG falle, liefern die Entscheidungen BGHSt 37, 89 (93 – 95); BGHSt 41, 101 (111) sowie BVerfGE 18, 224 (240 f.); BVerfGE 32, 311 (319). 50 MdB Bucher in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3183 (A).

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B. Erste Schritte auf dem Weg zum Gesetzentwurf

Wenn auch manche sprachlichen Formulierungen infolge der parlamentsüblichen Rhetorik sicherlich bildhafter und schärfer als üblich ausfielen, lagen dem Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 somit auch ernsthafte rechtsstaatliche Zielsetzungen zugrunde. Zusammen mit den im Bundesministerium der Justiz erstellten kriminalpolitischen, dogmatischen sowie materiellrechtlichen Änderungsbegehren bildeten sie ein Bündel durchaus beachtenswerter Reformziele. Mit Recht kann man daher behaupten, dass, wie schon die Verantwortlichen der Strafrechtsabteilung des Bundesministeriums der Justiz in einer Besprechung am 1. Februar 1954 festhielten, der Sache nach „eine echte Reform, nicht nur […] eine umfassende Bereinigung“51 des bisherigen Strafgesetzbuchs gewollt war. Andererseits zielte die ganz überwiegende Menge dieser amtlichen Reformansätze inhaltlich lediglich auf eine sachgerechte Fortentwicklung des geltenden Rechts, welche sich durch die gewandelten gesellschaftlichen Erwartungen an das Strafrecht zumeist schon von selbst ergab.52 Fundamental neue oder gar alles Bisherige umstürzende Zielsetzungen wurden hingegen von offizieller Seite nicht ins Spiel gebracht.

III. Die Vorarbeiten zum Gesetzentwurf 1. Die Gutachten der Strafrechtslehrer Die Aufgabe, für die Bundesrepublik Deutschland ein gänzlich neues Strafgesetzbuch zu schaffen, das die genannten vielschichtigen Reformziele umsetzen konnte, bedurfte zunächst gründlicher Vorarbeiten. Als Erstes wurde deshalb die Strafrechtswissenschaft in den Dienst der Reformbemühungen gestellt. Im Auftrag des Bundesjustizministers Thomas Dehler erstellten siebzehn namhafte Professoren Gutachten zu Kernfragen des Strafrechts, wobei einige von ihnen gleich zu mehreren Fragestellungen Expertisen anfertigten.53 Der Themenkatalog war weit gespannt und reichte von der Frage, welche Strafzwecke man dem zukünftigen Gesetzbuch zugrunde legen sollte, über das Problem der unbestimmten Verurteilung bis hin zu denkbaren Neugestaltungsmöglichkeiten der Tötungsdelikte.54 Bei näherem Hinsehen fällt allerdings auf, dass die meisten der insgesamt einundzwanzig Gutachten zu dogmatischen Fragestellungen angefertigt wurden. Für eine Strafrechtsreform eigentlich besonders entscheidende kriminalpolitische Themen waren hingegen seltener vertreten; sie machten nur knapp ein 51

BArch, B 141/17229, S. 73 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). Ähnlich die Selbsteinschätzung durch den Bundesjustizminister Fritz Neumayer auf dem 41. Deutschen Juristentag, s. Neumayer, in: DRiZ 1955, S. 230 (231). 53 Zusammenfassend zu den Gutachten auch Rosenbaum, Die Arbeit der Großen Strafrechtskommission, S. 28; Busch, Strafrechtsreform, S. 40. Die Gutachten selbst sind abgedruckt in: Mat. StR-Reform, Bd. 1. 54 S. hierzu auch das Inhaltsverzeichnis zu den Gutachten der Strafrechtslehrer, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1. 52

III. Die Vorarbeiten zum Gesetzentwurf

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Drittel der Gutachten aus. Wichtig war dem Justizministerium nach eigener Aussage zudem nicht, möglichst viele Themen abzudecken, sondern zu bestimmten Fragen unterschiedliche Meinungen von Personen einzuholen, die auf dieses Gebiet spezialisiert waren.55 Inhaltlich waren die Gutachten zumeist so aufgebaut, dass am Anfang eine nähere Eingrenzung des behandelten Themas stand, sodann eine kurze rechtshistorische Darstellung folgte und anschließend eine umfassende Würdigung sowie Bewertung der derzeitigen gesetzlichen Regelungen stattfand. Am Schluss unterbreitete der Gutachter noch einen Vorschlag für eine mögliche neue Fassung im künftigen Strafrecht. Diese Vorschläge der Wissenschaftler könnten unterschiedlicher kaum sein. Einige fielen sehr traditionsbewusst und wenig evolutionär aus, andere wiederum waren hochgradig innovativ und modern. Für den Allgemeinen Teil lässt sich dies am deutlichsten bei der Frage nach den Strafzwecken ausmachen. Während Edmund Mezger (1883 – 1962) in seinem Gutachten dem Vergeltungsgedanken den Vorrang einräumte,56 plädierte Eberhard Schmidt (1891 – 1977) dafür, dem neuen Strafgesetzbuch die Gedanken der General- und Spezialprävention zugrunde zu legen57. In Bezug auf den Besonderen Teil traten die Unterschiede besonders klar bei der Frage, welche Systematik dieser Teil der Kodifikation erhalten soll, hervor. Karl Schneidewin (1887 – 1964) warb dafür, den bisherigen, traditionellen Aufbau im Wesentlichen unverändert zu lassen und weiterhin die Delikte gegen den Staat an den Beginn des Besonderen Teils zu stellen.58 Eine völlige Neuordnung schlug hingegen Reinhart Maurach (1902 – 1976) vor, der den Schutz des Individuums in den Vordergrund rücken und daher den Besonderen Teil mit den Delikten gegen den Einzelnen beginnen und erst danach die Straftaten gegen die Gesamtheit folgen lassen wollte.59 Einen ebenfalls grundlegend neuen Ansatz präsentierte Horst Schröder (1913 – 1973) für die Straftaten gegen das Leben, diese sollten eine veränderte Systematik sowie neue Tatbestandsmerkmale erhalten.60 Mit diesen Gutachten der Strafrechtslehrer entstand eine erste wissenschaftliche Basis für die weiteren Reformarbeiten. Darüber hinaus deutete sich bei der Einteilung dieser Arbeiten aber auch erstmals im Reformverlauf an, welch eine entscheidende Rolle dem Bundesministerium der Justiz zukam, denn bereits durch die Auswahl der Themen und die Beauftragung der jeweiligen akademischen Gutachter nahm es eine wichtige Steuerungs- und Lenkungsfunktion im Reformprozess wahr. 55

S. das Vorwort zu den Gutachten der Strafrechtslehrer, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1. Mezger, Strafzweck und Strafzumessungsregeln, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1, S. 1 (3). 57 Schmidt, Strafzweck und Strafzumessungsregeln in einem künftigen Strafgesetzbuch, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1, S. 9 (15 – 28). 58 Schneidewin, Die Systematik des Besonderen Teils eines neuen Strafgesetzbuchs, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1, S. 173 (179 f. und 214). 59 Maurach, Die Systematik des Besonderen Teils eines neuen Strafgesetzbuchs, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1, S. 231 (238 f.). 60 Schröder, Die künftige Gestaltung der Tötungsdelikte, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1, S. 283 (293). 56

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B. Erste Schritte auf dem Weg zum Gesetzentwurf

2. Die rechtsvergleichenden Arbeiten Als weitere Beratungsgrundlage für die Arbeiten an einem neuen Strafgesetzbuch ließ das Justizministerium zusätzlich zu diesen Gutachten der Strafrechtsprofessoren umfangreiche rechtsvergleichende Studien anfertigen, wie es auch bereits in der Vergangenheit bei den Reformbemühungen im Kaiserreich geschehen war. Im Oktober 1952 kam es zwecks dessen zu einem ersten Gespräch zwischen Repräsentanten des renommierten Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht der Universität Freiburg im Breisgau und des Bundesjustizministeriums. Gemeinsam legte man fest, welche Themenfelder unter rechtsvergleichenden Aspekten beleuchtet werden sollten.61 Daraufhin bearbeitete das Team des Instituts in den nächsten zwei Jahren vierundfünfzig Fragestellungen, von denen zweiundzwanzig den Allgemeinen Teil, dreißig den Besonderen Teil und zwei das Verfahrensrecht betrafen.62 Die Untersuchungen zum Allgemeinen Teil behandelten dabei grundlegende Probleme, wie zum Beispiel die Einteilung der strafbaren Handlungen, aber auch typische dogmatische Fragen des Allgemeinen Teils, wie Täterschaft und Teilnahme oder die Versuchsstrafbarkeit, und Probleme im Bereich der Rechtsfolgen einer Tat, wie beispielsweise die Rehabilitation und Resozialisierung. Auch die Arbeiten zum Besonderen Teil gerieten insgesamt sehr umfassend; es wurden nahezu sämtliche aus dem heutigen Strafgesetzbuch bekannten Delikte rechtsvergleichend analysiert. Dabei handelte jedes Gutachten zu seiner Fragestellung die gesetzlichen Regelungen in Österreich, England, Frankreich, Italien, den USA und der Schweiz ab.63 Teils sprachen die rechtsvergleichenden Arbeiten aber darüber hinaus noch weitere Länder an und bezogen immer wieder neben den jeweiligen Normen selbst auch die Rechtsprechung, die Lehre und vereinzelt sogar Gesetzentwürfe aus den Staaten in die Darstellungen mit ein.64 Manchmal wurden zusätzlich noch Gemeinsamkeiten innerhalb großer Rechtsfamilien und allgemeine Tendenzen in der ausländischen Rechtsentwicklung aufgezeigt.65 Zweck dieser umfassenden Studien war es, die bereits knapp fünfzig Jahre alte, noch aus dem Kaiserreich stammende vergleichende Darstellung des freien wissenschaftlichen Komitees zeitgemäß zu ergänzen, weiterzuentwickeln und allen an der Strafrechtsreform beteiligten Personen einen aktuellen Überblick über die ge61

Schafheutle, in: ZStW 76 (1964), S. 510 (510). Die rechtsvergleichenden Arbeiten sind abgedruckt in: Mat. StR-Reform, Bd. 2.1 (Allgemeiner Teil) und Bd. 2.2. (Besonderer Teil). Die hierin veröffentlichten Fassungen der Arbeiten wurden gegenüber den Originalversionen, die dem BMJ zugegangen waren, gekürzt, s. hierzu die Anm. von Lang-Hinrichsen im Vorwort zu den rechtsvergleichenden Arbeiten, in: Mat. StR-Reform, Bd. 2.1. 63 Zusammenfassend zum Aufbau der Gutachten auch Lang-Hinrichsen im Vorwort zu den rechtsvergleichenden Arbeiten, in: Mat. StR-Reform, Bd. 2.1. 64 S. auch Lang-Hinrichsen im Vorwort zu den rechtsvergleichenden Arbeiten, in: Mat. StR-Reform, Bd. 2.1. 65 S. auch Lang-Hinrichsen im Vorwort zu den rechtsvergleichenden Arbeiten, in: Mat. StR-Reform, Bd. 2.1. 62

III. Die Vorarbeiten zum Gesetzentwurf

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setzlichen Regelungen im Ausland zu verschaffen.66 Deshalb verzichteten die Arbeiten auf Anweisung des Bundesministeriums der Justiz auf kritische Auseinandersetzungen mit dem ausländischen Recht ebenso wie auf Ideen der Bearbeiter für mögliche neue Regelungen im deutschen Strafrecht.67 Folglich kam den rechtsvergleichenden Untersuchungen in erster Linie eine informatorisch-dienende Funktion zu,68 konkrete gesetzgeberische Vorschläge für das neue Strafrecht enthielten sie im Gegensatz zu den einundzwanzig Expertisen der Professoren nicht. Gerade in der Zusammenschau mit diesen stellten sie aber eine ausgesprochen sorgfältige sowie wissenschaftlich hochwertige juristisch-technische Vorbereitung für das Projekt einer neuen bundesdeutschen Strafrechtskodifikation dar.

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Schafheutle, in: ZStW 76 (1964), S. 510 (511). Lang-Hinrichsen im Vorwort zu den rechtsvergleichenden Arbeiten, in: Mat. StR-Reform, Bd. 2.1. 68 Ähnlich auch Lang-Hinrichsen im Vorwort zu den rechtsvergleichenden Arbeiten, in: Mat. StR-Reform, Bd. 2.1. 67

C. Die Einberufung der Großen Strafrechtskommission I. Die Entscheidung zur Einberufung einer Expertenkommission Als nächster Schritt auf dem Weg zu einem neuen Strafgesetzbuch stand die Schaffung eines ersten Gesetzentwurfs an. Im Bundesministerium der Justiz war man im Hinblick auf die Vorgehensweise anfangs noch der Auffassung, dass dieser Entwurf im eigenen Hause erarbeitet werden könne.1 Nur sofern es im Anschluss hieran erforderlich sein sollte, wollte man später eventuell eine unabhängige Expertenkommission einsetzen.2 Die SPDFraktion hatte hingegen, wie bereits erwähnt, schon im Jahr 1951 auf die sofortige Einberufung einer solchen Kommission gedrängt, um den Bundestag bei diesem umfangreichen Gesetzgebungsvorhaben zu entlasten und ein zügiges Voranschreiten der Reformarbeiten zu ermöglichen.3 Etwa zwei Jahre später begann sich dieser Vorschlag allmählich auch im Justizministerium durchzusetzen. In einer Besprechung am 19. Dezember 1953 plädierte der Ministerialdirektor Josef Schafheutle (1904 – 1973)4 als Leiter der zuständigen Abteilung II (Strafrecht und Verfahren) dafür, vor der Erstellung eines Referentenentwurfs zumindest zur Beratung einiger grundsätzlicher Fragen des Allgemeinen Teils des zukünftigen Strafgesetzbuchs als Erstes eine Große Kommission einzuberufen.5 Diese Meinung fand nicht nur unter den Teilnehmern der Besprechung, sondern generell unter den Verantwortlichen im Justizministerium starke Zustimmung, bis hin zum beamteten Staatssekretär Walter Strauß (1900 –

1 MdB Dehler in der 133. Sitzung des I. Deutschen Bundestages am 11. 4. 1951, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 7, S. 5129 (D). 2 MdB Dehler in der 133. Sitzung des I. Deutschen Bundestages am 11. 4. 1951, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 7, S. 5129 (D). 3 MdB Arndt in der 133. Sitzung des I. Deutschen Bundestages am 11. 4. 1951, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 7, S. 5137 (D); s. hierzu auch PA-DBT, 3001 1. WP (Entschließung der Fraktion der SPD im I. Deutschen Bundestag vom 7. 4. 1951, Umdruck Nr. 130). 4 Josef Schafheutle hatte vor 1945 im Reichsjustizministerium maßgeblich am Entwurf des politischen Sonderstrafrechts der Nationalsozialisten mitgearbeitet, näher hierzu Müller, Juristen, S. 213 f. 5 BArch, B 141/17229, S. 15 (Besprechung im BMJ am 19. 12. 1953).

II. Die Auswahl der Kommissionsmitglieder

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1976),6 dem „zentrale[n] Motor des Hauses“7. Kurz danach wurde schließlich auch von höchster Stelle die Einsetzung einer Kommission befürwortet: Mit seinem Schreiben vom 23. Januar 1954 an die Landesjustizverwaltungen und die Vertretungen der Länder beim Bund erklärte der zweite Bundesminister der Justiz Fritz Neumayer (1884 – 1973)8, welcher wie sein Vorgänger Thomas Dehler ebenfalls FDP-Mitglied war, dass es ihm vorzugswürdig erscheine, „mit der Klärung der grundsätzlichen Fragen durch die Kommission zu beginnen und den Entwurf unter Anpassung an die Entwicklung der Kommissionsarbeiten und deren Ergebnisse fortlaufend ausarbeiten zu lassen, und zwar zunächst den Allgemeinen Teil“9. Gewünscht war also eine Expertenkommission, die den Entwurf erarbeitet und dessen Ausfertigung durch die Mitarbeiter des Justizministeriums laufend begleitet wird. Klare Kompetenzgrenzen zwischen ihr und dem Ministerium sollte es hierbei nicht geben, vielmehr erhoffte sich der Justizminister ein „fruchtbares Miteinander- und Ineinanderarbeiten“10. Die Kommission sollte schnellstmöglich ihre Tätigkeit aufnehmen, am besten bereits im März 1954.11

II. Die Auswahl der Kommissionsmitglieder Nachdem damit das Verfahren, wie man bei der Erstellung des Gesetzentwurfs vorzugehen gedachte, feststand, stellte sich für den Bundesjustizminister als Nächstes die schwierige Aufgabe, über die genaue Zusammensetzung der Kommission zu entscheiden. Relativ einfach war es noch, die Anzahl an Mitgliedern festzulegen. Je größer diese Zahl war, desto höher war die Gefahr ausufernder Diskussionen und umso schwerer würde es auch werden, zu konsensfähigen Lösungen zu kommen. Damit die Arbeitsfähigkeit des Gremiums gewährleistet blieb, kamen daher in der Summe nicht wesentlich mehr als zwanzig Personen in Betracht.12 Deshalb war bereits frühzeitig klar, dass auf keinen Fall für jedes Bundesland die Möglichkeit bestehen würde,

6 BArch, B 141/17229, S. 19 (Besprechung im BMJ am 21. 12. 1953). Biographisch zu Strauß BArch, Pers 101/48135/Personalakte/Strauß, Walter; Utz, Walter Strauß. 7 Dreher, in: BMJ (Hg.), Der Geist der Rosenburg, S. 15 (23). 8 Dreher, in: BMJ (Hg.), Der Geist der Rosenburg, S. 15 (26 f.). 9 BArch, B 141/17229, S. 55 (Schreiben des Bundesjustizministers Neumayer an die Landesjustizverwaltungen und die Vertretungen der Länder beim Bund vom 23. 1. 1954). 10 Neumayer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 25. 11 BArch, B 141/17229, S. 19 (Besprechung im BMJ am 21. 12. 1953). 12 BArch, B 141/17229, S. 55 (Schreiben des Bundesjustizministers Neumayer an die Landesjustizverwaltungen und die Vertretungen der Länder beim Bund vom 23. 1. 1954). Mit demselben Ergebnis auch schon BArch, B 141/17229, S. 15 (Vorschlag des Ministerialdirektors Schafheutle in einer Besprechung im BMJ am 19. 12. 1953). Zu diesem Punkt auch Dreher, in: Vogler (Hg.), Festschrift für Jescheck, Bd. 1, S. 11 (11).

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C. Die Einberufung der Großen Strafrechtskommission

einen eigenen Vertreter zu entsenden, obwohl dies aus der Sicht des Ministers durchaus wünschenswert gewesen wäre.13 Wesentlich problematischer als bei der ungefähren Festlegung der Anzahl der Mitglieder wurde es hingegen bei der Frage, welche Personen im Einzelnen die Strafrechtskommission bilden könnten. Nach dem Willen des Ministeriums sollte die neue Kodifikation nicht von einer einzigen, auf dem Gebiet des Strafrechts überragenden Persönlichkeit, sondern von möglichst vielen Personen unterschiedlichster Kreise geprägt werden.14 Getragen von der Überzeugung, dass trotz verschiedener dogmatischer und kriminalpolitischer Standpunkte bei einem so grundlegenden Gesetzeswerk in den wesentlichen Fragen immer zu einem Konsens gefunden werden kann,15 sollte in der Kommission eine „Synthese aus theoretischer Fundierung und praktischer Erfahrung“16 entstehen. Aus diesen Gründen galt es, bei ihrer Ausgestaltung sicherzustellen, dass die vielschichtigen Interessen aus allen Bereichen des Rechtslebens in ihr vertreten waren. So kam man auf sieben Gruppierungen, die jeweils zumindest einen Repräsentanten in die Expertenrunde entsenden sollten: die Strafrechtslehrer, die Landesjustizverwaltungen, die Rechtspraxis, die Fraktionen des Bundestages, der Bundesgerichtshof, die Rechtsanwaltschaft und der Richterbund.17 Für jede dieser Gruppen mussten anschließend geeignete Vertreter ausgewählt werden. Dass die potenziellen Kommissionsmitglieder vom juristischen Fachwissen her besonders qualifiziert sein mussten, versteht sich dabei von selbst. Interessant ist es aber, einen Blick auf die weiteren Aspekte zu werfen, welche die Auswahl bestimmten. Zunächst war vor allem das Gesamtbild, welches die Reform erhalten sollte, das maßgebliche Kriterium. Exemplarisch lässt sich dies anhand einer Besprechung am 1. Februar 1954 zwischen führenden Ministerialbeamten und den Vorstandsmitgliedern der Vereinigung der deutschen Strafrechtslehrer Edmund Mezger (1883 – 1962) und Hellmuth von Weber (1893 – 1970) in Bonn zeigen. Alle an diesem Gespräch Beteiligten waren sich darüber einig, dass für die Wahl der Kandidaten die Gesichtszüge, welche die Reform kennzeichnen sollen, von herausragender Wichtigkeit sind.18 Ministerialdirektor Josef Schafheutle stellte in diesem Zusammenhang zum Charakter der Strafrechtsreform generell fest, dass „diese Reform mehr kon-

13 BArch, B 141/17229, S. 55 (Schreiben des Bundesjustizministers Neumayer an die Landesjustizverwaltungen und die Vertretungen der Länder beim Bund vom 23. 1. 1954). 14 Neumayer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 25; ebenso Dreher, in: Hassenpflug (Hg.), Festschrift für Schäfer, S. 5 (6); ähnlich auch im Rückblick Jescheck, in: ZStW 75 (1963), S. 1 (10). 15 So jedenfalls die zeitgenössische Einschätzung von Jescheck, in: ZStW 75 (1963), S. 1 (10). 16 Dreher, in: Hassenpflug (Hg.), Festschrift für Schäfer, S. 5 (7). 17 BArch, B 141/17229, S. 15 (Besprechung im BMJ am 19. 12. 1953). 18 BArch, B 141/17229, S. 73 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954).

II. Die Auswahl der Kommissionsmitglieder

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servative als revolutionäre Züge tragen [soll]“19. Diese Auffassung entsprach auch der des Ministers, welcher „keine radikale Reform“ betreiben wollte, sondern „eine Synthese […] aus dem, was uns am geltenden Recht und an den Ideen der früheren Entwürfe wertvoll erscheint, sowie aus dem, was unsere Zeit an Neuem fordert“20, anstrebte. Dementsprechend war also beabsichtigt, eine inhaltliche und somit in der Folge auch eine personelle Kontinuität zu den früheren Reformversuchen, insbesondere denen aus der Weimarer Zeit, herzustellen.21 Folglich sollten in erster Linie ältere und weniger junge Juristen in die Kommission berufen werden.22 Unterstrichen wurden diese Absichten nochmals durch die Äußerung Schafheutles, es sei „einer der wesentlichen Gründe für die Reform, daß die Kontinuität mit diesen früheren Arbeiten heute auch noch personell gewahrt werden kann, was in 10 Jahren vielleicht nicht mehr möglich [ist]“23. Diesen Willen zur Kontinuität betonte kurze Zeit nach der Besprechung auch der Bundesjustizminister mit den Worten: „Heute leben Gott sei Dank noch Männer, die mit den früheren Entwürfen groß geworden sind und vor allem selbst an der Ausarbeitung beteiligt waren“.24 Konkret legten er und sein Ressort bei der Erstellung eines Gesetzentwurfs auf die Mitarbeit des Reichsgerichtsrats a. D. Emil Niethammer (1869 – 1956), der Senatspräsidenten Hans Richter (1885 – 1954) und Karl Schäfer (1899 – 1993), des Kammergerichtspräsidenten Alfred Skott (1893 – 1958) sowie des Generalstaatsanwalts a. D. Karl Schneidewin (1887 – 1964) besonderen Wert.25 Aus der Wissenschaft wollte man gerne die Strafrechtslehrer Eberhard Schmidt (1891 – 1977) und Hans Welzel (1904 – 1977) berufen.26 Ebenso wurde Professor Mezger seitens des Ministeriums ausdrücklich darum gebeten, in der Strafrechtskommission mitzuwirken.27 Dieser erklärte sich sofort hierzu bereit und begrüßte auch die anderen Personalien.28 Sein Kollege Professor von Weber zeigte sich im Beratungsgespräch hingegen eher skeptisch und 19 BArch, B 141/17229, S. 73 (Ministerialdirektor Schafheutle in einer Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). 20 Neumayer, in: DRiZ 1955, S. 230 (231) (Ansprache Neumayers auf dem 41. Deutschen Juristentag). 21 BArch, B 141/17229, S. 73 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). So auch rückblickend die Bewertung von Schmidt, in: NJW 1967, S. 1929 (1931) und Treiber, in: Kriechbaum (Hg.), Festschrift für Gagnér, S. 229 (235 – 240). Die Tendenz zur inhaltlichen Kontinuität war sogar schon im Jahr 1952 bei Thomas Dehler zu erkennen, der die Vorschläge des Entwurfs Radbruch von 1922 als Anregungen und „wesentliche, vorbildliche Grundlage“ für die Strafrechtsreform verwenden wollte, s. Dehler, in: Radbruch, Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1922, S. VI (Geleitwort). 22 BArch, B 141/17229, S. 73 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). 23 BArch, B 141/17229, S. 73 (Ministerialdirektor Schafheutle in einer Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). 24 Neumayer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 24. 25 BArch, B 141/17229, S. 71 f. (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). 26 BArch, B 141/17229, S. 15 (Vermerk des BMJ vom 21. 12. 1953). 27 BArch, B 141/17229, S. 75 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). 28 BArch, B 141/17229, S. 72 (Professor Mezger in einer Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954).

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C. Die Einberufung der Großen Strafrechtskommission

sah sogar für die anstehende Strafrechtsmodernisierung „eine gewisse Gefahr […], wenn man zu viele Herren beteilige, die schon an der früheren Reformarbeit mitgewirkt hätten“29. Jedoch fanden diese Einwände von Webers kein Gehör, für das Bundesministerium der Justiz blieb es bei Tradition und Kontinuität als den entscheidenden Auswahlkriterien.30 Trotz des Bemühens um personelle Kontinuität sollte aber auch die erforderliche akademisch-wissenschaftliche Vielfalt in der Kommission nicht zu kurz kommen. Seitens des Justizministeriums war durchaus beabsichtigt, sich umfassend zu strafrechtsdogmatischen sowie kriminologischen Problemen zu informieren und diese in der Expertenrunde von verschiedenen Standpunkten und Denkrichtungen aus zu beleuchten.31 Daher war für die Wahl der Mitglieder, insbesondere der Professoren, neben der personellen Kontinuität zugleich von Bedeutung, „daß die innerhalb der Strafrechtslehre vorhandenen dogmatischen Richtungen […] ausgewogen vertreten [sind]“32. Dies galt vor allem für die in den fünfziger Jahren hochaktuelle wissenschaftliche Auseinandersetzung um die finale Handlungslehre.33 Damit Für- und Gegenrede bei dieser und anderen Debatten ausreichend repräsentiert waren, die Anzahl der Wissenschaftler in der Kommission aber gleichzeitig nicht zu groß wurde,34 überlegte man, für die Beratungen zum Allgemeinen und zum

29 BArch, B 141/17229, S. 75 (Professor von Weber in einer Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). 30 Zu einer ähnlichen Feststellung, jedoch mittels einer anderen wissenschaftlichen Methode (Clusteranalyse), kommt Treiber, in: Kriechbaum (Hg.), Festschrift für Gagnér, S. 229 (235 – 240). Er arbeitet auf der Grundlage dieses wissenschaftlichen Verfahrens ebenfalls das Ergebnis heraus, dass in der jungen Bundesrepublik die Herstellung von Kontinuität ein „wichtiger Programmpunkt der Reform“ gewesen ist, s. Treiber, in: Kriechbaum (Hg.), Festschrift für Gagnér, S. 229 (235). 31 So im Rückblick Jescheck, in: ZStW 75 (1963), S. 1 (10). 32 Dreher, in: Vogler (Hg.), Festschrift für Jescheck, Bd. 1, S. 11 (11); dazu auch Jescheck, in: ZStW 75 (1963), S. 1 (10). Weiter erschwert wurde diese Auswahl dadurch, dass einige Professoren der Großen Strafrechtskommission gar nicht angehören wollten, s. z. B. BArch, B 141/17229, S. 75 (Professor von Weber in einer Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). Zum ebenfalls schwierigen Verhältnis des BMJ zu Prof. Dr. Karl Engisch s. BArch, B 141/17229, S. 16 (Vermerk des BMJ vom 21. 12. 1953). 33 Eine Einführung in die wissenschaftliche Debatte um den finalen und den sozialen Handlungsbegriff liefert Bloy, in: ZStW 90 (1978), S. 609 (609–657). Zur Bedeutung dieses Streits für ein neues Strafgesetzbuch s. die Gutachten von Welzel, Wie würde sich die finalistische Lehre auf den Allgemeinen Teil eines neuen Strafgesetzbuchs auswirken?, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1, S. 45 (45 – 53); von Weber, Wie würde sich die finalistische Handlungslehre auf den Besonderen Teil eines neuen Strafgesetzbuchs auswirken?, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1, S. 279 (279 – 281). 34 BArch, B 141/17229, S. 72 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). Bei einer größeren Zahl von Strafrechtsprofessoren in der Kommission befürchtete man seitens des BMJ „zu weit führende theoretische Auseinandersetzungen“. Es sollten daher nicht wesentlich mehr als fünf Wissenschaftler mitwirken, s. BArch, B 141/17229, S. 72 f. (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954).

II. Die Auswahl der Kommissionsmitglieder

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Besonderen Teil jeweils verschiedene Professoren heranzuziehen.35 Dieser Gedanke wurde wenig später jedoch wieder verworfen, weil es den Strafrechtslehrern so stets an den erforderlichen Kenntnissen über einen Teil der Beratungen mangeln würde.36 Über diese sachlichen Gesichtspunkte hinaus waren bei der Zusammensetzung des Gremiums auch pragmatische Aspekte relevant. Im Mittelpunkt standen dabei die berufliche Belastung und die zeitliche Verfügbarkeit der jeweiligen Personen. Weil diesbezüglich insbesondere mit den Vertretern der Rechtspraxis Koordinationsprobleme zu erwarten waren, erfolgte hier die Benennung der Kandidaten nur nach Absprache. Der Bundesgerichtshof etwa sollte zunächst eine kleine, interne Strafrechtskommission bilden und aus deren Mitte einen Repräsentanten entsenden.37 Dieser wurde vom Ministerium gemeinsam mit dem damaligen Präsidenten des Gerichts Hermann Weinkauff (1894 – 1981)38 ausgesucht. Die Wahl fiel auf den Bundesrichter Paulheinz Baldus (1906 – 1971).39 Auf ähnlichem Weg verlief auch die Berufung eines Vertreters der Rechtsanwaltschaft. In enger Abstimmung mit dem Strafrechtsausschuss der Rechtsanwaltskammern einigte man sich auf dessen Vorsitzenden Hans Dahs (1904 – 1972).40 Doch man kam seitens des Ministeriums den Praktikern sogar noch mehr entgegen. Um dem BGH und der Anwaltschaft die Teilnahme an den Tagungen der Kommission weiter zu erleichtern, räumte das Ministerium diesen Gruppen zusätzlich zu der ohnehin bestehenden Möglichkeit, dass sich die Mitglieder bei terminlichen Schwierigkeiten vertreten lassen konnten, außerdem ein, den Repräsentanten im Laufe der Beratungen wechseln zu lassen.41 Zusätzlich erschwert wurde die Wahl der Vertreter der Rechtspraxis schließlich dadurch, dass bei ihnen die grundsätzliche Bereitschaft zur Mitarbeit an einem neuen Strafgesetzbuch höchst unterschiedlich ausfiel. Der Deutsche Richterbund legte beispielsweise großen Wert darauf, in der Strafrechtskommission vertreten zu sein, und trat dementsprechend recht fordernd auf.42 Da eine Beteiligung der Richterschaft auch seitens des Ministeriums sehr erwünscht war, wurde dieser Forderung gern entsprochen.43 Die Oberbundesanwaltschaft hingegen bat das Bundesministerium 35

BArch, B 141/17229, S. 73 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). BArch, B 141/17229, S. 75 (Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). 37 BArch, B 141/17229, S. 16 f. (Vermerk des BMJ vom 21. 12. 1953). Im Ergebnis bildete der Bundesgerichtshof ein kleines Beratungsgremium gemeinsam mit dem Oberbundesanwalt, s. dazu den Hinweis von Strauß, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 16. 38 Biographisch zu Weinkauff Herbe, Hermann Weinkauff. 39 BArch, B 141/17229, S. 17 (Vermerk des BMJ vom 21. 12. 1953). 40 BArch, B 141/17229, S. 17 (Vermerk des BMJ vom 21. 12. 1953). 41 BArch, B 141/17229, S. 16 f. (Vermerk des BMJ vom 21. 12. 1953). 42 BArch, B 141/17229, S. 17 (Vermerk des BMJ vom 21. 12. 1953). Dies ist auf den ersten Blick erstaunlich, weil der Richterbund im Allgemeinen der Strafrechtsreform eher ablehnend gegenüberstand, s. etwa DRiZ 1954, S. 90 (90). Das leitende Motiv, sich trotzdem an den Modernisierungsbemühungen zu beteiligen, könnte das „Gefühl von Einfluß“ gewesen sein, s. hierzu die Äußerungen des Vorsitzenden des Richterbundes in: DRiZ 1954, S. 90 (90). 43 S. die Anmerkung bei Neumayer, in: DRiZ 1954, S. 85 (85). 36

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C. Die Einberufung der Großen Strafrechtskommission

der Justiz ausdrücklich darum, im Hinblick auf die zu erwartende zusätzliche Arbeitsbelastung von einem Vertreter ihrer Behörde abzusehen; konnte sich hiermit aber letztendlich nicht durchsetzen.44 Neben diesen praxisorientierten Überlegungen spielten bei der Bildung der Großen Strafrechtskommission des Weiteren politisch-taktische Erwägungen eine Rolle. Anders als bei früheren Reformversuchen sollten von Beginn an die Parlamentarier, welche später im Bundestag über den Entwurf abstimmen würden, in die Arbeiten mit einbezogen werden.45 Geplant war, das gesamte politische Spektrum des Parlaments zu beteiligen, also dass sowohl die Regierungsparteien als auch die Opposition Vertreter in die Kommission entsenden.46 Durch dieses neuartige, innovative Vorgehen entstand einerseits für die Parteien die Möglichkeit, vor allem bei Straftatbeständen von besonderem politischem Interesse, gleich in der Kommission Einfluss nehmen zu können. Andererseits wollte sich das Ministerium auf diese Weise die notwendige parlamentarische Rückendeckung für das kommende Strafgesetzbuch bereits frühzeitig sichern und verhindern, dass „wir unseren Entwurf […] auf verfehlte Fundamente stellen“47. Obwohl man im Justizministerium zum Teil schon bestimmte Personen aus den Fraktionen als potenzielle Kommissionsmitglieder ins Auge gefasst hatte, wie zum Beispiel bei den Sozialdemokraten den Abgeordneten und Rechtsexperten seiner Fraktion Dr. Adolf Arndt (1904 – 1974), wurde es letztlich den Fraktionen des Deutschen Bundestages selbst überlassen, wen sie in den Expertenkreis entsandten.48 Schließlich beeinflussten, wenn auch in einem vergleichsweise geringen Maße, persönliche Verflechtungen und Beziehungen die Wahl der Mitglieder. Wie entscheidend gute Kontakte in das Bundesministerium der Justiz für die Bestellung in die Kommission sein konnten, illustriert besonders deutlich die Nominierung des Rechtswissenschaftlers Hans-Heinrich Jescheck: „Seine Berufung verdankte er nicht zuletzt dem Staatssekretär des Bundesjustizministeriums, Walter Strauß.“49 Des Weiteren verfügten auch der Strafrechtsprofessor Eberhard Schmidt, der Bundesrichter Paulheinz Baldus und der Senatspräsident des OLG Frankfurt am Main Karl Schäfer über enge Verbindungen zu den Entscheidungsträgern im Ministerium,

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BArch, B 141/17229, S. 17 (Vermerk des BMJ vom 21. 12. 1953). BArch, B 141/17229, S. 55 (Schreiben des Bundesjustizministers Neumayer an die Landesjustizverwaltungen und die Vertretungen der Länder beim Bund vom 23. 1. 1954). Dieser politische Schachzug wurde später als „besonders glücklich[er] […] Gedanke“ Neumayers gepriesen, s. MdB Bucher in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3183 (C). 46 BArch, B 141/17229, S. 16 (Vermerk des BMJ vom 21. 12. 1953). 47 Neumayer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 25. 48 BArch, B 141/17229, S. 15 (Vermerk des BMJ vom 21. 12. 1953). 49 Dreher, in: Vogler (Hg.), Festschrift für Jescheck, Bd. 1, S. 11 (11); ähnlich auch Jescheck selbst, in: Hilgendorf (Hg.), Selbstdarstellungen, S. 169 (182). 45

III. Die Mitglieder der Großen Strafrechtskommission

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die für ihre Einbeziehung in die Reformarbeiten für ein neues Strafgesetzbuch zumindest förderlich gewesen waren.50 Bei der Berufung der Kommissionsmitglieder waren also neben deren juristischen Fähigkeiten viele weitere, in erster Linie rechtspolitische Gesichtspunkte relevant. Besonders deutlich tritt das Streben nach personeller Kontinuität hervor und kann aus diesem Grund auch als Leitgedanke der Auswahl bezeichnet werden. Darüber hinaus zeigte sich in diesem Entscheidungsprozess, ähnlich wie schon bei der Einleitung der Vorarbeiten, dass das Bundesjustizministerium eine wesentliche Steuerungsfunktion bei den Reformarbeiten wahrnahm, denn ihm kam in den meisten Fällen die letzte Entscheidung über die Auswahl der jeweiligen Vertreter zu.

III. Die Mitglieder der Großen Strafrechtskommission Auf Grundlage dieser Auswahlkriterien sowie der bereits mit manchen Organisationen des Rechtslebens getroffenen Absprachen wurde anschließend das Personal der Großen Strafrechtskommission endgültig zusammengestellt. Bei seiner konstituierenden Sitzung, die am 6. April 1954 in den Räumlichkeiten des Justizministeriums in der Bonner Rosenburg stattfand,51 zählte das Expertengremium insgesamt vierundzwanzig ständige Mitglieder52. Im Einzelnen bestand dieser „Kreis ausgesprochener Persönlichkeiten der strafrechtlichen Sparte“53 aus fünf Bundestagsabgeordneten, sieben Strafrechtswissenschaftlern, drei Vertretern der Landesjustizverwaltungen, jeweils einem Repräsentanten des Deutschen Richterbundes, der Rechtsanwaltschaft, des Bundesgerichtshofs und der Oberbundesanwaltschaft (heute: Generalbundesanwaltschaft) sowie fünf Einzelmitgliedern, die ausschließlich für sich selbst standen und im Gegensatz zu den anderen Personen keine bestimmte Institution in der amtlichen Expertenkommission vertraten.

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Dreher, in: BMJ (Hg.), Der Geist der Rosenburg, S. 15 (19). Zum Inhalt dieser Sitzung s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 15 – 26. 52 S. hierzu die Liste der Kommissionsmitglieder in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, Anhang A Nr. 1, S. 324. 53 Dreher, in: Hassenpflug (Hg.), Festschrift für Schäfer, S. 5 (6). 51

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C. Die Einberufung der Großen Strafrechtskommission

1. Matthias Hoogen (1904 – 1985) Unter den fünf Repräsentanten des Deutschen Bundestages ist zunächst der Abgeordnete Matthias Hoogen als Vertreter der damals in der Regierungsverantwortung stehenden CDU/CSU-Fraktion zu nennen.54 Er wurde am 25. Juni 1904 als Sohn eines Holzkaufmanns in Straelen im Westen Nordrhein-Westfalens geboren.55 Nach dem Abitur nahm er ein Jurastudium auf, welches er 1928 mit dem Ersten Staatsexamen abschloss. Im Jahr 1932 folgte die Zweite Juristische Staatsprüfung am Berliner Kammergericht sowie die Zulassung zum Rechtsanwalt im Bezirk des Landgerichts Krefeld. Seine anwaltliche Tätigkeit war insbesondere auf das Immaterialgüterrecht ausgerichtet. Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft überschattete dann aber seine Anbindung an die neuen Machthaber Hoogens weiteren Lebensweg. Er wurde am 1. Mai 1933 unter der Nummer 1946050 Mitglied in Hitlers NSDAP.56 Weiter belastet wurde er durch die Tatsache, dass er während des Zweiten Weltkriegs als Militärrichter diente, zunächst als Reichskriegsrat, später als Oberstabsrichter der Luftwaffe. Nach der Zeit des Nationalsozialismus konnte Matthias Hoogen alsdann erfolgreich eine politische Karriere einschlagen. Er trat zunächst dem Zentrum bei, wechselte aber bereits im Laufe des Jahres 1949 zur CDU. Neben seiner achtjährigen Tätigkeit als Bürgermeister in Kempen gehörte er von 1949 bis 1964 als Vertreter des Wahlkreises Kempen-Krefeld dem Deutschen Bundestag an. In Bonn machte sich Matthias Hoogen als Leiter mehrerer Untersuchungsausschüsse und Vorsitzender des Rechtsauschusses bald einen Namen. Dabei sind seine erfolgreichen interfraktionellen Vermittlungen im Zuge der Notstandsgesetzgebung besonders hervorzuheben. Des Weiteren vertrat er das Parlament anwaltlich in mehreren Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Nach langjähriger Tätigkeit als Abgeordneter wurde er am 11. Dezember 1964 zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages gewählt. In dieser Funktion setzte er sich bis zu seinem Ausscheiden aus dem Amt im Jahr 1970 vor allem für eine bessere Ausbildung und eine stärkere Einbindung der Bundeswehr in die demokratische Gesellschaft der jungen Bundesrepublik ein. Matthias Hoogen schied am 13. Juli 1985 in Ehrenkirchen aus dem Leben.

54 Die hier gewählte Reihenfolge der Vertreter folgt der Liste der Kommissionsmitglieder in Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, Anhang A Nr. 1, S. 324. Sie ist daher insbesondere nicht als Aussage über die Bedeutung der einzelnen Mitglieder zu verstehen. 55 Zur Biographie Hoogens s. Vierhaus/Herbst/Jahn (Hg.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages, Bd. 1, S. 361; F. Sänger/S. Sänger (Hg.), Handbuch des Deutschen Bundestages, S. 247; Habel (Hg.), Wer ist wer?, Bd. 1, S. 632; Kosch/Kuri, Biographisches Staatshandbuch, Bd. 1, S. 567. 56 BArch (ehem. BDC), Ortskartei der NSDAP/Hoogen, Matthias, 25. 6. 1904.

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2. Reinhold Rehs (1901 – 1971) Die oppositionellen Sozialdemokraten waren in der amtlichen Expertenkommission durch Reinhold Rehs vertreten. Er kam am 12. Oktober 1901 in Klinthenen in Ostpreußen zur Welt.57 Sein Studium der Rechtswissenschaften verbrachte er in Königsberg und Heidelberg. Dieses schloss er 1923 mit der Ersten Staatsprüfung ab, das Assessorexamen folgte erst fünf Jahre später.58 Vor der Zulassung als Rechtsanwalt am Amts- und Landgericht Königsberg im Jahr 1928 war er einerseits als Hilfsrichter, andererseits journalistisch, als Schriftleiter der deutschnationalen „Ostpreußischen Zeitung“, tätig. Auch in Reinhold Rehs politischer Karriere zeigten sich fortan immer wieder starke nationalistische Tendenzen. Von 1932 bis 1933 gehörte er bereits dem paramilitärischen, republikfeindlichen Stahlhelm an.59 Gut vier Jahre nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde er dann am 1. Mai 1937 unter der Nummer 4861193 Mitglied in der NSDAP.60 Es folgten Mitgliedschaften in zahlreichen weiteren nationalsozialistischen Organisationen, wie etwa dem NSRechtswahrer- und Reichsluftschutzbund sowie der NS-Volkswohlfahrt.61 Seit 1935 war Rehs zudem SA-Mitglied,62 ab dem 8. November 1937 im Rang eines Oberscharführers63. Seine politische Haltung beurteilte man beim Landgericht Königsberg deshalb auch aus NS-Sicht als „einwandfrei“64. Hinsichtlich seiner beruflichen Fertigkeiten als Rechtsanwalt hielt ihn der Präsident des Landgerichts dagegen „nur für schwach befähigt“65. Bis 1945 war Reinhold Rehs also ein Mitläufer des NSRegimes.66 Danach trat er jedoch der SPD bei. Schon bald wurde er Mitglied des Kieler Bezirksvorstandes der Partei. Außerdem saß er für die Sozialdemokraten drei Jahre lang von 1950 bis 1953 im schleswig-holsteinischen Landtag und von 1953 bis 1969 im Deutschen Bundestag. Auf landes- wie bundespolitischer Ebene war er vor allem in den Ausschüssen für Heimatvertriebene und in Rechtsausschüssen beteiligt. Doch auch außerhalb seiner parlamentarischen Tätigkeit setzte er sich als Präsident des Bundes der Vertriebenen für die Heimatvertriebenen ein. Mit seinen politischen 57 Zur Biographie Rehs s. BArch, R 3001/71744/Personalakte RJM/Rehs, Reinhold; Vierhaus/Herbst/Jahn (Hg.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages, Bd. 2, S. 673; F. Sänger/S. Sänger (Hg.), Handbuch des Deutschen Bundestages, S. 295; Kosch/ Kuri, Biographisches Staatshandbuch, Bd. 2, S. 1020; Vierhaus (Hg.), DBE, Bd. 8, S. 253. 58 BArch, R 3001/71744/Personalakte RJM/Rehs, Reinhold (Personalbogen). 59 BArch, R 3001/71744/Personalakte RJM/Rehs, Reinhold (Personalbogen). 60 BArch, R 3001/71744/Personalakte RJM/Rehs, Reinhold (Personalbogen). 61 BArch, R 3001/71744/Personalakte RJM/Rehs, Reinhold (Personalbogen). 62 BArch, R 3001/71744/Personalakte RJM/Rehs, Reinhold (Personalbogen). 63 BArch, R 3001/71744/Personalakte RJM/Rehs, Reinhold (Personalbogen). 64 BArch, R 3001/71744/Personalakte RJM/Rehs, Reinhold (Beurteilung des Präsidenten des LG Königsberg vom 25. 1. 1944). 65 BArch, R 3001/71744/Personalakte RJM/Rehs, Reinhold (Beurteilung des Präsidenten des LG Königsberg vom 25. 1. 1944). 66 Schwartz, Funktionäre mit Vergangenheit, S. 412 f.

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C. Die Einberufung der Großen Strafrechtskommission

Anschauungen wurde Reinhold Rehs aber in der SPD, vor allem infolge der neuen Außenpolitik unter dem Bundeskanzler Willy Brandt (1913 – 1992)67, zusehends isoliert. Deshalb wechselte er die politischen Seiten und trat im Jahr 1969 zur CDU über. Reinhold Rehs verstarb am 4. Dezember 1971 in Kiel.

3. Ludwig Schneider (1898 – 1978) Die FDP-Bundestagsfraktion entsandte den Abgeordneten Dr. Ludwig Schneider in die Große Strafrechtskommission. Am 20. September 1898 in Erdhausen geboren, studierte er, nachdem er zuvor eine kaufmännische Lehre absolviert hatte, Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaften an der Universität zu Gießen.68 Seine Staatsexamina legte er 1925 und 1928 ab. Bereits im Jahr 1924 erlangte er mit einer wirtschaftswissenschaftlichen Arbeit über den Kapitalexport und die Kapitalakkumulation die Doktorwürde. Anschließend war er als Rechtsanwalt und Notar in Gießen tätig. Durch den Nationalsozialismus war Ludwig Schneider im Gegensatz zu Matthias Hoogen und Reinhold Rehs nicht vorbelastet, nach derzeitiger Aktenlage war er kein NSDAPMitglied. Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte er sich für die Freien Demokraten zunächst kommunalpolitisch und wurde Präsident des Kreistages Gießen. Von 1949 bis 1961 gehörte er dann dem Deutschen Bundestag an. Im Rahmen seiner parlamentarischen Tätigkeit war er unter anderem Mitglied im Ausschuss für Wahlprüfung sowie im Rechtsausschuss und vier Jahre lang Vizepräsident des Bundestages. Aus Protest gegen den Koalitionswechsel der FPD von der CDU zur SPD in Nordrhein-Westfalen verließ er gemeinsam mit anderen Abgeordneten, der sogenannten „Euler-Gruppe“, am 23. Februar 1956 die Freien Demokraten und rief die Freie Volkspartei (FVP) ins Leben. Gut fünf Jahre später wechselte er dann erneut das politische Lager, diesmal zur CDU/CSU-Fraktion. Es gelang ihm zwar nicht mehr, für die Christdemokraten ins Parlament einzuziehen, jedoch gründete er den Ortsverband Lollar, welchem er noch bis 1972 vorstand. Für seine fraktionsübergreifende Initiative zu einer Altersversorgung für Mandatsträger wurde er im Jahr 1959 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Dr. Ludwig Schneider schied am 23. April 1978 aus dem Leben.

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Biographisch zu Brandt statt vieler Lorenz, Willy Brandt; zur Außenpolitik unter Willy Brandt näher Hacke, Außenpolitik, S. 148 – 194. 68 Zur Biographie Schneiders s. Vierhaus/Herbst/Jahn (Hg.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages, Bd. 2, S. 770; F. Sänger/S. Sänger (Hg.), Handbuch des Deutschen Bundestages, S. 306; Kosch/Kuri, Biographisches Staatshandbuch, Bd. 2, S. 1085; Vierhaus (Hg.), DBE, Bd. 9, S. 105.

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4. Fritz Czermak (1894 – 1966) Die deutschnational gesinnte Interessenpartei „Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“, kurz GB/BHE, wurde in der Kommission durch Fritz Czermak repräsentiert. Sein Lebensweg begann am 24. März 1894 in Prijedor im Norden des heutigen Bosnien-Herzegowina.69 Das Studium der Rechtswissenschaften absolvierte er in Wien, musste es aber von 1914 bis 1918 unterbrechen, weil er zur österreichischen Armee eingezogen wurde. Nach der Promotion am 7. Mai 1920 durch die Juristische Fakultät der Universität Wien und dem juristischen Vorbereitungsdienst eröffnete er am 1. Januar 1925 in Mähren in der Stadt Olmütz eine Rechtsanwaltskanzlei. Bei Gericht wusste man nicht nur sein gutes Fachwissen, sondern insbesondere auch seine Schriftsätze zu schätzen, diese seien „gediegen kurz, mit gutem Stil und guter juristischer Würdigung“70. Mit der Besetzung Böhmens und Mährens durch die Nationalsozialisten begann jedoch ein Abschnitt im Leben von Fritz Czermak, der aus heutiger Sicht kritisch zu beurteilen ist. Von 1939 bis 1942 übte er im tschechischen Olmütz für die deutschen Besatzer das Amt des Bürgermeisters aus. Angeblich soll er dieses zwar „mit Korrektheit und Verständnis für die schwere Lage der Tschechen“71 geführt haben, jedoch war er den Nationalsozialisten politisch eng verbunden, denn er trat am 1. April 1939 unter der Nummer 7103318 der NSDAP bei, schloss sich dem NS-Reichskriegerbund sowie dem NS-Rechtswahrerbund an und wurde im Jahr 1940 zum SA-Obersturmbannführer ernannt.72 Nach 1945 bestritt Fritz Czermak hingegen Teile dieser Vergangenheit, insbesondere seine SA-Mitgliedschaft.73 Vielmehr behauptete er, als Strafverteidiger zahlreichen Deutschen und Tschechen bei den Sonder- und Volksgerichten das Leben gerettet zu haben.74 Daraufhin wurde er 1947 erst vom tschechischen Volksgericht in Olmütz, 1948 dann

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Zur Biographie Czermaks s. HHStAW, Abt. 505/Nr. 3000/Personalakte RJM/ Czermak, Fritz; Vierhaus/Herbst/Jahn (Hg.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages, Bd. 1, S. 12; Kosch/Kuri, Biographisches Staatshandbuch, Bd. 1, S. 219 f.; Lengemann, Das Hessen-Parlament, S. 231. 70 HHStAW, Abt. 505/Nr. 3000/Personalakte RJM/ Czermak, Fritz (Beurteilung des Landgerichtsdirektors in Olmütz vom 17. 1. 1944). 71 HHStAW, Abt. 505/Nr. 3000/Personalakte RJM/ Czermak, Fritz (Eidesstattliche Erklärung des Tschechen Arnost Horlik Hochwald aus dem Jahr 1948. Angesichts der zahlreichen nach 1945 ausgestellten „Persilscheine“ ist der Wahrheitsgehalt dieser Erklärung jedoch zumindest fraglich.). 72 HHStAW, Abt. 505/Nr. 3000/Personalakte RJM/ Czermak, Fritz (Personalbogen aus dem Jahr 1941). 73 HHStAW, Abt. 505/Nr. 3000/Personalakte RJM/ Czermak, Fritz (Schreiben Czermaks an den Hessischen Justizminister vom 10. 4. 1949). 74 HHStAW, Abt. 505/Nr. 3000/Personalakte RJM/ Czermak, Fritz (Lebenslauf vom 15. 4. 1949).

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C. Die Einberufung der Großen Strafrechtskommission

auch in Deutschland freigesprochen.75 Danach war er wieder in seinem Beruf als Rechtsanwalt tätig, zunächst in Büdingen, später in Frankfurt am Main. Für den GB/ BHE gehörte er von 1950 bis 1954 dem Hessischen Landtag an und führte in dieser Zeit den Fraktionsvorsitz. Über die Landesliste seiner Partei zog er am 6. Oktober 1953 in den Deutschen Bundestag ein. In seiner Funktion als Abgeordneter arbeitete er unter anderem im Rechtsausschuss sowie im Ausschuss für Heimatvertriebene mit. Ähnlich wie Reinhold Rehs engagierte sich auch Fritz Czermak zusätzlich außerparlamentarisch für die Vertriebenen, er war zweiter Landesvorsitzender des Landesverbandes der Heimatvertriebenen in Hessen. Mit der Spaltung des GB/BHE wegen interner Streitigkeiten ab Mitte der fünfziger Jahre wechselte er dann die Partei und trat am 14. Juli 1955 zur FDP über, für welche er noch bis Oktober 1957 dem Deutschen Bundestag angehörte. Am 9. April 1966 starb Fritz Czermak in seiner Studienstadt Wien.

5. Hans-Joachim von Merkatz (1905 – 1982) Der Vertreter der ebenfalls rechtsgerichteten Deutschen Partei (DP), Hans-Joachim von Merkatz, war der prominenteste Politiker in der Expertenrunde. Er kam am 7. Juli 1905 in Stargard in Pommern zur Welt.76 Von 1928 bis 1931 studierte er in Jena und München Rechtswissenschaften, Geschichte und Nationalökonomie. Nach Ablegung der juristischen Examina wurde er im Jahr 1934 zum Doktor der Rechte promoviert. Anschließend arbeitete er als Referent am KaiserWilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Berlin. Hinsichtlich seiner politischen Orientierung während der nationalsozialistischen Herrschaft ergibt sich währenddessen kein klares Bild. Zwar warf ihm die SPD nach 1945 vor, dass er Mitglied der NSDAP gewesen sei,77 dies lässt sich bei ihm im Gegensatz zu anderen Personen des Geschlechts von Merkatz jedoch auf Basis der derzeitigen Aktenlage nicht nachweisen78. Seine weitere Karriere beeinflussten diese 75

HHStAW, Abt. 505/Nr. 3000/Personalakte RJM/ Czermak, Fritz (Abschrift des Urteils des Volksgerichts Olmütz vom 14. 11. 1947; Urteil der Spruchkammer Büdingen II b vom 24. 6. 1948). 76 Zur Biographie von Merkatz s. Vierhaus/Herbst/Jahn (Hg.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages, Bd. 1, S. 555 f.; F. Sänger/S. Sänger (Hg.), Handbuch des Deutschen Bundestages, S. 278; Kosch/Kuri, Biographisches Staatshandbuch, Bd. 1, S. 844; Habel (Hg.), Wer ist wer?, Bd. 1, S. 1001; Vierhaus (Hg.), DBE, Bd. 7, S. 16 f.; Kroll, NDB, Bd. 17, S. 142 f.; Bosl/Franz/Hofmann (Hg.), Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte, Bd. 2, Sp. 1881 f.; Klee, Personenlexikon, S. 404; Strelow, in: Kraus (Hg.), Konservative Politiker in Deutschland, S. 315 – 334. 77 So MdB Heiland in der 39. Sitzung des I. Deutschen Bundestages am 16. 2. 1950, BTStenogr. Berichte, Bd. 2, S. 1304 (A). 78 BArch (ehem. BDC), Ortskartei der NSDAP sowie BArch (ehem. BDC), Zentralkartei der NSDAP liefern zu Hans-Joachim von Merkatz keinen Eintrag. Sein Verwandter, Friedrich

III. Die Mitglieder der Großen Strafrechtskommission

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Vorwürfe einer NS-Vergangenheit nicht. Im Jahr 1949 trat Hans-Joachim von Merkatz in die Deutsche Partei ein und stieg in ihr schnell in Führungspositionen auf. Darüber hinaus war er von 1949 bis 1969 Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Inhaltlich ist seine parlamentarische Arbeit allerdings nicht unumstritten. Einerseits ist positiv hervorzuheben, dass er die Abschaffung der Todesstrafe in Art. 102 GG mitinitiierte. Andererseits kennzeichneten zugleich betont restaurative Züge seine Haltung, denn er war nicht nur ein bekennender Monarchist, sondern wandte sich auch gegen die Entnazifizierung. Diese sei nichts anderes als ein „modernes Hexentreiben“79. Deshalb plädierte er im Parlament für eine politische Amnestie.80 Unterdessen machte Hans-Joachim von Merkatz in Bonn weiter Karriere. Im Jahr 1955 wurde er Minister für Angelegenheiten des Bundesrates und 1956 Bundesminister der Justiz. Nach seinem Übertritt von der DP zur CDU am 20. September 1960 übte er das Amt des Bundesministers für Vertriebene aus. Neben seiner politischen Tätigkeit wirkte er außerdem ab 1959 als Honorarprofessor an der Universität Bonn. Am 25. Februar 1982 verstarb Hans-Joachim von Merkatz.

6. Paul Bockelmann (1908 – 1987) Die zahlenmäßig größte Einzelgruppe in der Großen Strafrechtskommission stellten die Strafrechtswissenschaftler dar, die mit sieben Personen vertreten waren. Einer von ihnen war Paul Bockelmann. Er kam am 7. Dezember 1908 in Hannover zur Welt.81 Zuerst studierte er Germanistik, dann Rechtswissenschaften in Freiburg und Berlin, wo er der Schule um den Strafrechtler Eduard Kohlrausch (1874 – 1948) angehörte. Nach dem Referendarexamen 1931 und der Assessorprüfung 1936 war er zunächst beim Amtsgericht Charlottenburg sowie beim Landgericht Berlin tätig, schlug dann aber eine Dozentenlaufbahn ein. Seine erste Station war hierbei die Stelle eines Privatdozenten an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin. Während der nationalsozialistischen Herrschaft überschattete allerdings eine zumindest opportunistische Haltung gegenüber den braunen Machthabern seinen wissenschaftlichen Werdegang. Zwar übte er in seiner Habilitationsschrift noch zum Teil verdeckte Kritik am nationalsoziavon Merkatz, war hingegen nachweislich NSDAP-Mitglied, s. BArch (ehem. BDC), Ortskartei der NSDAP/Merkatz, Friedrich von, 3. 8. 1876. 79 MdB von Merkatz in der 40. Sitzung des I. Deutschen Bundestages am 23. 2. 1950, BTStenogr. Berichte, Bd. 2, S. 1337 (C). 80 MdB von Merkatz in der 40. Sitzung des I. Deutschen Bundestages am 23. 2. 1950, BTStenogr. Berichte, Bd. 2, S. 1336 (C). 81 Zur Biographie Bockelmanns s. BArch, R 3001/52039/Personalakte RJM/Bockelmann, Paul; Vierhaus (Hg.), DBE, Bd. 1, S. 745; Schuder (Hg.), Kürschners Gelehrten-Kalender, S. 378; Szabo, Göttinger Hochschullehrer im Schatten des NS, S. 297; Bemmann, in: JZ 1987, S. 1114 (1114 f.); Volk, in: NJW 1988, S. 881 (881 f.).

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listischen Strafrechtsverständnis, in einer Diskussion über die „Verordnung zum Schutze jugendlicher Schwerverbrecher“ plädierte er dann aber für den Vorrang „materieller Gerechtigkeit“ im Jugendstrafrecht, ganz im nationalsozialistischen Sinne.82 Auch sein Aufsatz aus dem Jahr 1942 mit dem Titel „Volksschädlingsverordnung und Tätertyp“ passte gut in den nationalsozialistischen Zeitgeist.83 Aber nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch passte er sich dem Regime an. So war er seit 1937 unter der Nummer 4158115 Mitglied in der NSDAP, in der NSV und im NS-Rechtswahrerbund, in welchem er sich als Teilabschnittsobmann betätigte.84 Bereits seit 1933 war er zudem Scharführer im NS-Kraftfahrerkorps; in dieser Funktion stand er „fest und einsatzbereit auf dem Boden des neuen Staates“85. Daher hielt 1939 auch die Berliner Gauleitung in einer politischen Beurteilung fest: „Gegen den Parteigenossen Dr. Bockelmann bestehen in politischer Hinsicht keinerlei Bedenken.“86 Infolgedessen ließ auch der weitere Karriereaufstieg nicht lange auf sich warten. Von 1940 bis 1945 lehrte Bockelmann an der Universität Königsberg, davon zwei Jahre als Dekan. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnte er ohne Bruch seine Hochschullehrtätigkeit fortsetzen, nunmehr an der Universität zu Göttingen. Im Jahr 1959 wechselte er dann nach Heidelberg und ab 1963 wirkte er in München. Inhaltlich beschäftigte er sich hauptsächlich mit medizin- und verkehrsstrafrechtlichen Themen. Seine juristische Denkweise war dabei von Regelstrenge und Positivismus geprägt; „sein Bestreben bei der Bewältigung der Gegenwartsprobleme ging dahin, das Bewährte zukunftsorientiert zu bewahren“87. Am 26. September 1987 schied Paul Bockelmann in Garmisch-Partenkirchen aus dem Leben.

7. Wilhelm Gallas (1903 – 1989) Ein weiterer Repräsentant der Wissenschaft war der wirkungsmächtige Strafrechtler und Rechtsphilosoph Wilhelm Gallas. 82 Bockelmann, in: ZStW 60 (1941), S. 351 (351). Näher zum Begriff der „materiellen Gerechtigkeit“ und seinem Verständnis im nationalsozialistischen Strafrechtsdenken Werle, Justiz-Strafrecht im Dritten Reich, S. 318 – 320 und 700 – 708. 83 Bockelmann, in: ZAkDR 1942, S. 293 (293 – 296). Zur Bewertung der wissenschaftlichen Arbeiten Bockelmanns aus der NS-Zeit s. auch Frommel, in: Mahlmann (Hg.), Festschrift für Rottleuthner, S. 458 (465). Ausschließlich positiv in der Beurteilung sein Schüler Bemmann, in: JZ 1987, S. 1114 (1115), welcher der Auffassung ist, dass Bockelmann „von dem, was er vor 1945 geschrieben hat, nichts zurücknehmen“ bräuchte. 84 BArch, R 3001/52039/Personalakte RJM/Bockelmann, Paul (Politische Beurteilung der Gauleitung Berlin vom 5. 6. 1939). 85 BArch, R 3001/52039/Personalakte RJM/Bockelmann, Paul (Beurteilung des Präsidenten des KG Berlin vom 22. 3. 1939). 86 BArch, R 3001/52039/Personalakte RJM/Bockelmann, Paul (Politische Beurteilung der Gauleitung Berlin vom 5. 6. 1939). 87 Bemmann, in: JZ 1987, S. 1114 (1115).

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Geboren am 22. Juli 1903 in St. Petersburg, studierte er in Berlin Jura und wurde dort genau wie Paul Bockelmann ein Schüler Eduard Kohlrauschs.88 Obgleich im Rechtsreferendariat „die Leistungen des anscheinend gut befähigten Referendars […] leider anfangs durch seine Tätigkeit als Fakultätsassistent beeinträchtigt worden [sind]“89, schloss Gallas auch das zweite Examen genau wie schon das erste mit „gutem“ Erfolg ab. Es folgten im Jahr 1931 die Promotion und bereits 1933 die Habilitation für die Fächer Strafrecht, Prozessrecht und Rechtsphilosophie. Ein Jahr später erhielt er, nachdem er den Nationalsozialisten versichert hatte, dass er arischer Abstammung war und keiner republikanischen Organisation angehörte,90 seinen ersten Lehrstuhl in Gießen. Im Jahr 1935 wechselte er dann nach Königsberg und 1940 wiederum nach Tübingen. Ähnlich wie viele seiner Kollegen war auch Wilhelm Gallas bestrebt, sich mit den Nationalsozialisten nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 gutzustellen. Dies zeigte sich etwa in seiner Antrittsvorlesung am 27. Februar 1933, in welcher er den „leidenschaftlichen Erneuerungswillen“91 des NS-Regimes pries, oder in einem Aufsatz zur „Tatstrafe und Täterstrafe im Kriegsstrafrecht“, in welchem er die harten Strafen des Kriegsstrafrechts guthieß, da sie die „Standfestigkeit der inneren Front“92 sichern würden. Über diese Belobigungen hinausgehende stärker ideologisch geprägte Schriften sind bei Gallas dagegen nicht zu finden. Ebenso ist nach derzeitiger Aktenlage keine Mitgliedschaft in der NSDAP feststellbar. Jedoch ließ er während seiner Zeit als Schriftleiter der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft in ihr immer wieder Beiträge bekannter NS-Juristen veröffentlichen.93 In der jungen Bundesrepublik setzte Wilhelm Gallas seine akademische Laufbahn sodann unvermittelt fort und prägte das deutsche Strafrecht der Nachkriegszeit entscheidend. Von 1948 bis 1954 kehrte er zunächst wieder auf seinen früheren Lehrstuhl an der Eberhard Karls Universität in Tübingen zurück. Danach arbeitete er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1971 in Heidelberg. Sein wissenschaftliches Interesse galt dabei insbesondere den allgemeinen Lehren des Strafrechts. Er begründete die personale Unrechtslehre, verhalf der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme über das Kriterium der Tatherrschaft mit zum wissenschaftlichen Durchbruch und behandelte des Weiteren noch Pro88 Zur Biographie Gallas’ s. BArch, R 3001/56807/Personalakte RJM/Gallas, Wilhelm; Vierhaus (Hg.), DBE, Bd. 3, S. 669; Maiwald, in: JZ 1990, S. 83 (83 f.); Lackner, in: NJW 1990, S. 371 (371); Jescheck, in: ZStW 95 (1983), S. 281 (281 – 286); Bockelmann, in: JZ 1973, S. 469 (469 f.); Küper (Hg.), In memoriam Wilhelm Gallas, S. 39 – 63; K.-P. Schroeder, Heidelberger Juristische Fakultät, S. 651 – 655. 89 BArch, R 3001/56807/Personalakte RJM/Gallas (Beurteilung des Präsidenten des KG Berlin vom 24. 11. 1928). 90 BArch, R 3001/56807/Personalakte RJM/Gallas (Dienstliche Versicherung von Gallas vom 28. 5. 1933). 91 Gallas, in: ZStW 53 (1934), S. 11 (11). 92 Gallas, in: ZStW 60 (1941), S. 374 (413). 93 Beispielsweise die Abhandlungen zu den Grundsätzen nationalsozialistischen Strafrechts der prominenten NS-Juristen Freisler, in: ZStW 55 (1936), S. 503 (503 – 532) und Schaffstein, in: ZStW 53 (1934), S. 603 (603 – 628).

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bleme des Unterlassungsdelikts. Sein vielfältiges wissenschaftliches Schaffen wurde durch Beiträge zur Kriminalpolitik, den Aussagedelikten und Seminare zu Immanuel Kants Rechtslehre abgerundet. In seiner Arbeit verstand sich Gallas hierbei stets „nicht als wissenschaftlicher Revolutionär, sondern als behutsamer Evolutionär“94. Am 5. November 1989 verstarb Wilhelm Gallas in Heidelberg.

8. Hans-Heinrich Jescheck (1915 – 2009) Das mit Abstand jüngste Mitglied in der amtlichen Expertenkommission war Hans-Heinrich Jescheck. Sein Lebensweg begann am 10. Januar 1915 in der schlesischen Stadt Liegnitz.95 Nach dem Studium der Rechtswissenschaften von 1934 bis 1936 in Freiburg im Breisgau, München und Göttingen promovierte er 1939 bei Eduard Kern (1887 – 1972) in Tübingen. Währenddessen bezog der junge Jescheck politisch alsbald Stellung zugunsten der Nationalsozialisten. In seinem 1944 eigenhändig verfassten Lebenslauf verkündete er stolz: „Am 1. Mai 1933 trat ich der NSDAP […] bei, am 30. Mai 1933 der SA.“96 Im Jahr 1937 folgte dann noch die berufstypische Mitgliedschaft im NS-Rechtswahrerbund.97 Als Soldat in der Wehrmacht dienend beförderte man ihn darüber hinaus während des Polenfeldzugs am 1. Oktober 1939 wegen „Tapferkeit vor dem Feinde“ zum Feldwebel.98 Nach Kriegsende gab sich der mit einer NSDAP- und SA-Mitgliedschaft vorbelastete Jescheck hingegen geläutert. Die Habilitation erfolgte im Jahr 1949 mit einer Studie zum Völkerstrafrecht, welche insbesondere auf die Nürnberger Prozesse ausgerichtet war und den Grundstein für seinen weiteren akademischen Werdegang legte. Zunächst arbeitete Jescheck aber im Justizdienst des Landes Baden als Richter in Zivil- und Strafsachen am Landgericht Freiburg sowie am Oberlandesgericht Karlsruhe. Ab 1952 war er zwischenzeitlich als Ministerialrat im Bundesministerium der Justiz tätig. Seine große wissenschaftliche Karriere begann dann im Jahr 1954 mit dem Ruf an die AlbertLudwigs-Universität Freiburg. Dort hatte er einen Lehrstuhl für Strafrecht, Inter94

Hirsch, in: Küper (Hg.), In memoriam Wilhelm Gallas, S. 39 (50). Zur Biographie Jeschecks s. BArch, R 3001/61994/Personalakte RJM/Jescheck, HansHeinrich; Schuder, Kürschners Gelehrten-Kalender, S. 2068; Habel (Hg.), Wer ist wer?, Bd. 1, S. 679; Sieber, in: NJW 2009, S. 3291 (3291); Leibinger, in: Vogler (Hg.), Festschrift für Jescheck, Bd. 1, S. 1 (1 – 10); Sieber, in: ZStW 121 (2009), S. 813 (813 – 828); Weigend, in: JZ 2009, S. 1111 (1111 f.); autobiographisch außerdem Jescheck, in: Hilgendorf (Hg.), Selbstdarstellungen, S. 169 (169 – 203), wobei der Schwerpunkt der Darstellung allerdings auf seinem Werdegang nach 1945 liegt. 96 BArch, R 3001/61994/Personalakte RJM/Jescheck, Hans-Heinrich (Lebenslauf vom 3. 1. 1944). 97 BArch, R 3001/61994/Personalakte RJM/Jescheck, Hans-Heinrich (Lebenslauf vom 3. 1. 1944). 98 BArch, R 3001/61994/Personalakte RJM/Jescheck, Hans-Heinrich (Lebenslauf vom 3. 1. 1944). 95

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nationales Strafrecht und Strafrechtsvergleichung sowie die Leitung des Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht inne. Dieses entwickelte sich unter ihm bald zu einer weltweit anerkannten Forschungseinrichtung für Strafrecht und Kriminologie. In seinem vielfältigen wissenschaftlichen Wirken mit insgesamt mehr als 600 Veröffentlichungen auf den verschiedensten strafrechtlichen Gebieten galt sein besonderes Augenmerk dem Völkerstrafrecht sowie der Strafrechtsvergleichung.99 In der Lehre legte er nicht nur auf Dogmatik Wert, sondern bemühte sich auch stets um eine enge Verbindung von Theorie und Praxis; so unternahm er beispielsweise mit seinen Studierenden regelmäßig Gefängnisbesuche. Obgleich viele seiner wissenschaftlichen Werke thematisch und methodisch visionär waren, kann die juristische Grundposition Jeschecks als „klassische liberal-konservative Haltung“100 charakterisiert werden, die sich kriminalpolitisch an den Lehren Franz von Liszts orientierte. Hans-Heinrich Jescheck starb in Freiburg im Breisgau am 27. September 2009.

9. Richard Lange (1906 – 1995) Als vierter Vertreter der Rechtswissenschaft gehörte der Strafrechtslehrer Richard Lange dem Gremium an. Er wurde am 29. April 1906 in Wittstock geboren.101 Sein Jurastudium verbrachte er gefördert durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes in Berlin, Freiburg im Breisgau und Kiel. Gemeinsam mit Bockelmann und Gallas gehörte er zu dem Schülerkreis von Eduard Kohlrausch und arbeitete nach den Examina zunächst als dessen Assistent. Die Promotion und Habilitation erfolgten 1935 und 1940 jeweils mit Schriften zur Beteiligungslehre. Seinen ersten Lehrstuhl erhielt er drei Jahre später an der Universität Jena, nachdem er zuvor bei der Staatsanwaltschaft Berlin gearbeitet hatte. Neben seiner Lehrtätigkeit wirkte er zudem in einem Zivilsenat des Oberlandesgerichts Jena. Die Tatsache, dass Richard Lange derart exponierte Stellungen während der NS-Zeit innehatte, wirft zwangsläufig die Frage auf, in welchem Umfang er durch den Nationalsozialismus belastet gewesen ist. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass Lange bei der Staatsanwaltschaft „als Sonderdezernent eine Reihe besonders schwieriger politischer Sachen [bearbeitete], die er mit grossem Takt und

99 Zum wissenschaftlichen Werk Jeschecks s. die Auswahl der Schriften bei Jescheck, in: Hilgendorf (Hg.), Selbstdarstellungen, S. 169 (204 – 207). 100 Sieber, in: ZStW 121 (2009), S. 813 (824). 101 Zur Biographie Langes s. BArch, R 3001/65746/Personalakte RJM/Lange, Richard; Habel (Hg.), Wer ist wer?, Bd. 1, S. 870; Schuder (Hg.), Kürschners Gelehrten-Kalender, S. 2632; Oehler, in: Warda/Waider/von Hippel/Meurer (Hg.), Festschrift für Lange, S. XV (XV–XIX) und S. 1043 (1043 f.); Jescheck, in: ZStW 108 (1996), S. 1 (1 – 8); von Hippel, in: JZ 1996, S. 565 (565 – 567); Meurer, in: NJW 1996, S. 369 (369).

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Geschick erledigte“102. Aber auch als Dozent „wurzelt[e] er fest in Volk und Staat“103; er war sogar nach Meinung des NS-Regimes „von seinen Pflichten gegen Volk und Staat […] freudig überzeugt“104. Diese Überzeugung spiegelte sich dann auch in seinen Werken wider. Nicht nur, dass er nationalsozialistisches Strafrechtsverständnis in seine Veröffentlichungen einfließen ließ, wie beispielsweise die Berufung auf das „gesunde Volksempfinden“ in einem Aufsatz zur Rauschtat belegt,105 sondern darüber hinaus kommentierte er auch das rassistische Blutschutz- und das ebenfalls stark ideologisch geprägte Heimtückegesetz.106 Eine dienstliche Beurteilung hebt überdies hervor, dass die NS-Machthaber „seine Verdienste, die er sich durch vortreffliche und klare Vorträge über das nationalsozialistische Recht […] erworben hat“107, sehr schätzten. Weil er zudem noch seit dem 1. Mai 1933 unter der Nummer 3171209 NSDAP-Mitglied und des Weiteren Blockwart im NS-Rechtswahrerbund war,108 kann er als ein dem Nationalsozialismus eng verbundener Wissenschaftler gelten109. Oder im damaligen Jargon ausgerückt: Seine politische Haltung war aus NS-Sicht „einwandfrei“.110 Doch trotz seiner Dienste im Zeichen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates konnte Lange seine Karriere später in der Bundesrepublik fortsetzen. Nachdem er zunächst weiter in Jena gelehrt hatte, nahm er 1949 einen Ruf an die Freie Universität Berlin an. Zwei Jahre später wechselte er dann nach Köln. Dort blieb er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1974. Die Schwerpunkte seiner Forschung bildeten die Kriminologie sowie der Allgemeine Teil des Strafrechts. Kriminalpolitisch vertrat er dabei „einen durchaus konservativen Standpunkt, der jedoch Offenheit gegenüber modernen Lösungen keineswegs ausschloss“111. 102 BArch, R 3001/65746/Personalakte RJM/Lange, Richard (Beurteilung des OStA Lautz vom 22. 12. 1936). 103 BArch, R 3001/65746/Personalakte RJM/Lange, Richard (Personalbogen). 104 BArch, R 3001/65746/Personalakte RJM/Lange, Richard (Personalbogen). 105 Lange, in: ZStW 59 (1940), S. 574 (599); zum Begriff des „gesunden Volksempfindens“ Werle, Justiz-Strafrecht im Dritten Reich, S. 160 – 164. 106 Dazu auch näher Hoßfeld/John/Lemuth/Stutz, „Kämpferische Wissenschaft“, S. 488 f.; rechtshistorisch zum Blutschutz- und zum Heimtückegesetz ausführlich Werle, Justiz-Strafrecht im Dritten Reich, S. 137 – 141 und 179 – 191. 107 BArch, R 3001/65746/Personalakte RJM/Lange, Richard (Beurteilung des OStA Lautz vom 22. 12. 1936). 108 BArch, R 3001/65746/Personalakte RJM/Lange, Richard (Personalbogen). Weil Richard Langes Parteiaufnahmeantrag im Krieg untergegangen war, wurde seine NSDAP-Mitgliedschaft noch lange Zeit geleugnet, s. beispielsweise Meurer, in: NJW 1996, S. 369 (369). BArch (ehem. BDC), Ortskartei der NSDAP/Lange, Richard, 29. 4. 1906 belegt jedoch seinen Parteibeitritt. Zu den allgemeinhistorischen Fakten im Rahmen des Streits um Langes NSDAPMitgliedschaft auch Hoßfeld/John/Lemuth/Stutz, „Kämpferische Wissenschaft“, S. 489 f. 109 Ähnlich in ihrer Einschätzung bezüglich der NS-Vergangenheit Langes Frommel, in: Mahlmann (Hg.), Festschrift für Rottleuthner, S. 458 (464). 110 BArch, R 3001/65746/Personalakte RJM/Lange, Richard (Beurteilung des GenStA in Berlin vom 3. 2. 1937). 111 Jescheck, in: ZStW 108 (1996), S. 1 (5).

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Richard Lange schied am 14. September 1955 aus dem Leben.

10. Edmund Mezger (1883 – 1962) Des Weiteren zählte auch der Strafrechtswissenschaftler und Kriminologe Edmund Mezger zu den Mitgliedern der Kommission. Er wurde am 15. Oktober 1883 in Basel geboren.112 Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen, Berlin und Leipzig wurde er im Jahr 1908 zum Doktor der Rechte promoviert. Die Habilitation erfolgte nach mehrjähriger Tätigkeit als Rechtsanwalt und Richter erst 1918. Anschließend lehrte er zunächst in Tübingen, später in Marburg und ab dem 1. Oktober 1932 in München Straf- und Strafprozessrecht. Dabei überschattete jedoch Mezgers Haltung zum Nationalsozialismus seinen Werdegang, denn er sollte sich schon bald als überzeugter Anhänger des Hitler-Regimes und nationalsozialistischen Strafrechtsdenkens erweisen. Seit dem 1. Mai 1937 war er unter der Nummer 5096022 Parteigenosse, neigte aber auch schon vor der Machtübernahme der NSDAP zu.113 Darüber hinaus brachte er sich in zahlreichen weiteren NS-Organisationen ein. Er gehörte dem Reichskolonial- sowie dem Reichsluftschutzbund an, schloss sich dem NS-Rechtswahrerbund an, wo er das Führungsamt eines Gaufachgruppenleiters bekleidete, und war sogar förderndes Mitglied der SS.114 In einer politischen Beurteilung aus dem Jahr 1939 hielt deshalb der Ortsgruppenleiter der Münchner NSDAP über ihn fest: „Der Genannte [ist] ein wertvolles Mitglied des 3. Reiches.“115 Dies stellte Edmund Mezger auch in seinem wissenschaftlichen Wirken unter Beweis. Er war nicht nur Mitglied der Akademie für Deutsches Recht und der Gürtner-Kommission zur Erarbeitung eines Entwurfs für ein neues Strafgesetzbuch, sondern bemühte sich auch in seinen staats- und rechtsphilosophischen Überlegungen, dem nationalsozialistischen Gedankengut eine wissenschaftliche Grundlage zu verschaffen.116 Sein Lehrbuch enthielt nach

112 Zur Biographie Mezgers s. BArch (ehem. BDC), PK/VBS 1/Nr. 1080012332/Mezger, Edmund; BArch (ehem. BDC), DS/VBS 307/ Nr. 8200002007/Mezger, Edmund; Lange, in: ZStW 74 (1962), vor S. 1; Jescheck, in: JZ 1963, S. 452 (452 f.); Klug, in: NJW 1962, S. 1336 (1336 f.); von Jan, in: Albers (Hg.), Festschrift zum 225-jährigen Jubiläum des Verlages C. H. Beck, S. 561 (561 – 571); Vierhaus (Hg.), DBE, Bd. 7, S. 79; Müller, Juristen, S. 87; Klee, Personenlexikon, S. 409 f. 113 BArch (ehem. BDC), PK/VBS 1/Nr. 1080012332/Mezger, Edmund (Politische Beurteilung des Ortsgruppenleiters der Münchener NSDAP vom 6. 5. 1939). 114 BArch (ehem. BDC), PK/VBS 1/Nr. 1080012332/Mezger, Edmund (Politische Beurteilung des Gaupersonalamtsleiters München-Oberbayern vom 25. 6. 1941). 115 BArch (ehem. BDC), PK/VBS 1/Nr. 1080012332/Mezger, Edmund (Politische Beurteilung des Ortsgruppenleiters der Münchener NSDAP vom 6. 5. 1939). 116 BArch (ehem. BDC), DS/VBS 307/ Nr. 8200002007/Mezger, Edmund (Schreiben an den SS-Hauptsturmführer Karl Gegenbach vom 8. 8. 1938).

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Meinung der Nationalsozialisten „wertvolle Bausteine für das neue Recht“117. Zudem verfasste er zahlreiche stark ideologisch geprägte Schriften. Bereits im Jahr 1936 definierte er in einem Aufsatz die Rechtswidrigkeit als „Handeln gegen die deutsche nationalsozialistische Weltanschauung“118. Kriminalpolitisch forderte er sogar „rassenhygienische Maßnahmen zur Ausrottung krimineller Stämme“119. Als treffliche Zusammenfassung der Haltung Mezgers kann deshalb die Beurteilung des Gaupersonalamtsleiters München-Oberbayern vom 25. Juni 1941 gelten, in der es hieß: „Das nationalsozialistische Gedankengut hat er [Mezger] zweifellos in sich aufgenommen. Es darf von ihm ohne weiteres gesagt werden, dass er sich auch in der Folgezeit rückhaltlos und aktiv für den nationalsozialistischen Staat einsetzen wird.“120 Seinen Lehrstuhl in München behielt Edmund Mezger trotz dieser schweren Vorbelastung durch sein Verhalten während des Nationalsozialismus jedoch auch nach 1945. Seine juristische Forschungstätigkeit war dabei insbesondere auf die Kriminologie sowie die Strafrechtsdogmatik ausgerichtet. Am 24. März 1962 erlag Edmund Mezger in Göppingen einer längeren Krankheit.

11. Eberhard Schmidt (1891 – 1977) Der Strafrechtler und Rechtshistoriker Eberhard Schmidt wurde ebenfalls in die Expertenrunde berufen. Geboren am 16. März 1891 in Jüterbog, studierte er in Berlin und Göttingen Jura.121 Nach dem Referendarexamen wurde er im Jahr 1913 zum Doktor der Rechte promoviert. Anschließend arbeitete er als Assistent bei Franz von Liszt an der Universität Berlin. Die Habilitation für Strafrecht, Strafprozessrecht und preußische Rechtsgeschichte erfolgte am 30. März 1920. Ein Jahr später erhielt er einen Ruf auf eine Professur an der Universität Breslau. Hierauf folgten Lehrtätigkeiten an den Universitäten zu Kiel, Hamburg und Leipzig. Obgleich er nach derzeitiger Aktenlage nicht in die NSDAP eintrat,122 ist Eberhard Schmidts Verhalten während der NS-Zeit 117 BArch (ehem. BDC), DS/VBS 307/ Nr. 8200002007/Mezger, Edmund (Schreiben an den SS-Hauptsturmführer Karl Gegenbach vom 8. 8. 1938). 118 Mezger, in: ZStW 55 (1936), S. 1 (9). 119 Mezger, Kriminalpolitik, S. 26. 120 BArch (ehem. BDC), PK/VBS 1/Nr. 1080012332/Mezger, Edmund (Politische Beurteilung des Gaupersonalamtsleiters München-Oberbayern vom 25. 6. 1941). 121 Zur Biographie Schmidts s. Hardenberg, Eberhard Schmidt; Vierhaus (Hg.), DBE, Bd. 9, S. 34; Habel (Hg.), Wer ist wer?, Bd. 1, S. 1366; Lange, in: ZStW 89 (1976), S. 871 (871 – 877); Laufs, in: ZRG GA, Bd. 95 (1978), S. 478 (478 f.); Lange, in: JZ 1978, S. 541 (541 – 544); Lackner, in: NJW 1977, S. 1512 (1512 f.); Müller, Juristen, S. 223; Köbler, Rechtshistoriker, S. 211; K.-P. Schroeder, Heidelberger Juristische Fakultät, S. 638 – 643. 122 BArch (ehem. BDC), Ortskartei der NSDAP/Schmidt, Eberhard, 16. 3. 1891 enthält nur einen Verweis auf eine Mitgliedschaft Schmidts im NS-Lehrerbund, nicht aber auf eine Parteimitgliedschaft.

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heute kritisch zu sehen, denn er war sowohl Mitglied im NS-Juristenbund als auch im NS-Lehrerbund sowie in der Akademie für Deutsches Recht. Darüber hinaus unterzeichnete er das „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“ vom 11. November 1933 und pries darüber hinaus die „vorzügliche[…] und intensive[…] Arbeit der amtlichen Strafrechtskommission“123. Fast im selben Atemzug sprach er sich aber auch für die Beibehaltung rechtsstaatlicher Grundsätze, wie zum Beispiel jener der Wahrheitsermittlung, im Strafprozess aus.124 Andererseits lehnte er nach Kriegsende jede kritische Auseinandersetzung mit dem Verhalten der Richterschaft während der nationalsozialistischen Herrschaft ab. Es war seiner Meinung nach sogar „wenig angemessen, heute ex post von einer positivistischen ,Verbildung‘ des Richterstandes vor 1945 zu sprechen“125. Seine universitäre Lehr- und Forschungstätigkeit setzte Eberhard Schmidt nach 1945 zunächst in Göttingen fort. Ab dem Jahr 1948 war er dann bis zu seiner Emeritierung an der Universität in Heidelberg tätig. Die enorme Fülle und Vielfältigkeit seines wissenschaftlichen Schaffens reichte von rechtshistorischen und kriminalpolitischen Themen über das Strafprozessrecht bis hin zu unterschiedlichsten Fragen des materiellen Rechts, wie beispielsweise der Notstandslehre und der Strafbarkeit ärztlicher Heileingriffe. In seinen juristischen Positionen stand er dabei zumeist ganz im Zeichen der Straftheorien seines akademischen Lehrers Franz von Liszt und setzte sich stark für eine Entkriminalisierung des Strafrechts ein. Am 17. Juni 1977 erlag Eberhard Schmidt einem plötzlichen Herzversagen.

12. Hans Welzel (1904 – 1977) Abgerundet wurde der Kreis der Wissenschaftler durch Hans Welzel. Sein Lebensweg begann am 25. März 1904 in Artern in Thüringen.126 Im Anschluss an sein Philosophie- und Jurastudium in Jena sowie kurzzeitig auch in Heidelberg wurde er 1928 mit einer rechtsphilosophischen Arbeit promoviert. Nach der Habilitation im Jahr 1935 erfolgte ein Jahr später zunächst die Berufung zum außerordentlichen und 1940 zum ordentlichen Professor an der Universität Göttingen. Im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit belastet Hans Welzel heute jedoch seine wissenschaftliche und politische Nähe zu den Nationalsozialisten. Für seine Berufung nach Göttingen setzte sich damals verstärkt der örtliche NS-Dozentenbund123

Schmidt, in: ZStW 55 (1936), S. 177 (177). Schmidt, in: ZStW 61 (1942), S. 429 (432). 125 Schmidt, Strafprozessordnung, Rn. 409, Fn. 293. 126 Zur Biographie Welzels s. BArch, R 3001/80039/Personalakte RJM/Welzel, Hans; BArch (ehem. BDC), PK/VBS 1/Nr. 1200003096/Welzel, Hans; Vierhaus (Hg.), DBE, Bd. 10, S. 538; Habel (Hg.), Wer ist wer?, Bd. 1, S. 1686; Stratenwerth, in: JZ 1977, S. 530 (530); Loos, in: JZ 2004, S. 1115 (1115 – 1119); Hirsch, in: ZStW 116 (2004), S. 1 (1 – 14); Jakobs, in: NJW 1977, S. 1186 (1186 f.); Klee, Personenlexikon, S. 667. 124

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führer ein, der wie folgt für Welzel warb: „W. wird kein lauter, aber ein zäher und tüchtiger Mitarbeiter in unseren Bestrebungen zum Aufbau der nationalsozialistischen Hochschule sein. Ich habe an seiner politischen Zuverlässigkeit keinen Zweifel. Ich würde es begrüßen, wenn es gelänge, ihn endgültig für Göttingen zu gewinnen.“127 Diese Einschätzung sollte sich schnell als richtig erweisen: Hans Welzel trat am 1. Mai 1937 unter der Nummer 4607502 in die NSDAP ein,128 besuchte deren politische Veranstaltungen jedoch nur unregelmäßig129. Dafür war er aber noch in weitere nationalsozialistische Organisationen eingebunden. Bereits seit 1933 gehörte er als Rechtsreferent der Hitlerjugend an, später trat er überdies dem NS-Dozentenbund, dem Reichsluftschutzbund und dem NS-Rechtswahrerbund bei. Darüber hinaus zeigte er sich in seinen Veröffentlichungen als starker Verfechter des nationalsozialistischen Rechtsdenkens. So vertrat er beispielsweise die These, dass für einen strafrechtlichen Ehrenschutz von Gemeinschaften „in erster Linie die beiden großen staatstragenden Gemeinschaften in Frage [kommen]: die staatstragende Bewegung mit ihren Gliederungen und die Wehrmacht“130. Des Weiteren sah er nicht den Rechtsgüterschutz, sondern „die Aktwerte rechtlicher Gesinnung: die Treue gegenüber Volk, Reich, Führung […]“131 als den materiellen Gehalt der Strafnormen an. Deshalb war er auch der Meinung, dass „Straftaten aus einer Gesinnung heraus, die den Zersetzungskeim für die geballte Volkseinheit enthält, […] mit der ganzen Schärfe des Strafrechts getroffen werden [sollten]“132. Daher konnte Hans Welzel als ein Hochschullehrer gelten, „der ehrlich zum Nationalsozialismus steht und der Bewegung zu dienen geeignet, willens und bestrebt ist“133. Selbst nach 1945 erklärte er zu der Frage, ob die gezielte Tötung von Geisteskranken während der NS-Zeit nicht offenkundig gegen naturrechtliche Grundsätze verstoßen habe, dass „in der Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Vernichtung lebensunwerten Lebens […] von einer solchen naturrechtlichen Evidenz keine Rede sein [kann]“134. Welzel war somit durch den Nationalsozialismus erheblich vorbelastet, seinen Lehrstuhl in Göttingen behielt er jedoch auch nach 1945. Die letzten Jahre seiner akademischen Laufbahn verbrachte er ab 1952 in Bonn. Als Schwerpunkt seines 127 BArch (ehem. BDC), PK/VBS 1/Nr. 1200003096/Welzel, Hans (Äußerung des Göttinger Dozentenbundführers vom 29. 6. 1936; ähnlich auch die Beurteilung in einem Schreiben des Kreispersonalamts an die Gauleitung der NSDAP Hannover vom 21. 1. 1937). 128 BArch (ehem. BDC), Ortskartei der NSDAP/Welzel, Hans, 25. 3. 1904; ferner auch BArch (ehem. BDC), PK/VBS 1/Nr. 1200003096/Welzel, Hans (Politische Beurteilung vom 19. 11. 1938). 129 BArch (ehem. BDC), PK/VBS 1/Nr. 1200003096/Welzel, Hans (Politische Beurteilung vom 19. 11. 1938). 130 Welzel, in: ZStW 57 (1938), S. 28 (42). 131 Welzel, in: Bockelmann (Hg.), Festschrift für Kohlrausch, S. 101 (109). 132 Welzel, in: ZStW 60 (1941), S. 428 (461, Fn. 61a). 133 BArch (ehem. BDC), PK/VBS 1/Nr. 1200003096/Welzel, Hans (Schreiben des Kreispersonalamts an die Gauleitung der NSDAP Hannover vom 21. 1. 1937). 134 Welzel, Anm. zum Urteil des OGH vom 5. 3. 1949, OGHSt 2, 117, in: MDR 1949, S. 373 (376).

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Wirkens trat die von ihm begründete finale Handlungslehre hervor. Seine Auffassung vom Vorsatz als Element des Tatbestands prägt bis in die heutige Zeit hinein die Lehre vom Verbrechensaufbau. Hans Welzel verstarb am 5. Mai 1977 in Andernach.

13. Bruno Kant (1908 – 1963) Mit insgesamt drei Repräsentanten waren die Landesjustizverwaltungen in der Großen Strafrechtskommission vertreten. Unter ihnen ist zunächst der Ministerialdirektor Dr. Bruno Kant aus Hessen zu nennen. Er kam am 3. März 1908 in Berlin zur Welt.135 Nach dem Besuch der HindenburgOberrealschule in Berlin-Wilmersdorf nahm er im Jahr 1927 ein Jurastudium an der Humboldt-Universität auf. Dieses schloss er im Mai 1933 mit der Ersten Juristischen Staatsprüfung ab, welche er mit „ausreichend“ bestand.136 Danach verfasste er zunächst seine Dissertation und wurde zum Doktor der Rechte promoviert. Anschließend trat Bruno Kant in Berlin in den juristischen Vorbereitungsdienst ein. Sein Zweites Staatsexamen legte er im Januar 1937 ab, ebenfalls mit der Note „ausreichend“.137 Fortan war er als amtlich bestellter Anwalts- und Notarvertreter tätig. Parallel übte er zudem das Amt eines juristischen Hilfsarbeiters bei der Wehrkreisverwaltung III in Berlin aus. Ab dem Jahr 1939 nahm er dann als Soldat der Wehrmacht am Zweiten Weltkrieg teilt. Eine engere politische Verbindung Bruno Kants zu den nationalsozialistischen Machthabern lässt sich unterdessen nicht feststellen; nach derzeitiger Aktenlage ist kein Beitritt zu Hitlers NSDAP oder einer ihrer Gliederungen ersichtlich.138 Eine belastende NS-Vergangenheit ist bei Kant derzeit somit nicht nachweisbar. Bereits kurze Zeit nach Kriegsende erfolgte dann am 9. Juni 1945 die Einstellung Bruno Kants in den deutschen Staatsdienst, zunächst als Amtsgerichtsrat am Amtsgericht Landau in der Pfalz.139 Später wechselte er an das dort ansässige Landgericht und stieg bis zum Landgerichtsdirektor auf. Im Januar des Jahres 1951 wurde er sodann unter dem sozialdemokratischen Justizminister Georg August Zinn (1901 – 1976) als Ministerialdirektor in das hessische Justiz135

Zur Biographie Kants s. LArch Berlin, Sign. B Rep. 068/Nr. 1347/Personalakte Kant, Bruno (Bd. I); LArch Berlin, Sign. B Rep. 068/Nr. 1348/Personalakte Kant, Bruno (Bd. II); LArch Berlin, Sign. B Rep. 068/Nr. 1349/Personalakte Kant, Bruno (Bd. III); LArch Berlin, Sign. B Rep. 068/Nr. 1350/Personalakte Kant, Bruno (Bd. IV). 136 LArch Berlin, Sign. B Rep. 068/Nr. 1348/Personalakte Kant, Bruno (Bd. II) (Personalbogen). 137 LArch Berlin, Sign. B Rep. 068/Nr. 1348/Personalakte Kant, Bruno (Bd. II) (Personalbogen). 138 LArch Berlin, Sign. B Rep. 068/Nr. 1348/Personalakte Kant, Bruno (Bd. II) (Personalbogen). 139 LArch Berlin, Sign. B Rep. 068/Nr. 1348/Personalakte Kant, Bruno (Bd. II) (Personalbogen).

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ministerium nach Wiesbaden berufen. Da sein Vorgesetzter zugleich das Amt des hessischen Ministerpräsidenten ausübte und infolgedessen dem Justizressort nur wenig Zeit widmen konnte, war Bruno Kant de facto Justizminister. Von langer Dauer war seine Karriere in der hessischen Ministerialverwaltung jedoch nicht. Nachdem er im stark alkoholisierten Zustand mit seinem Dienstwagen einen Unfall mit Personenschaden verursacht hatte, verurteilte ihn das Amtsgericht Landau am 26. Juni 1954 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer einmonatigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung.140 Aufgrund dieses Vorfalls wurde er noch vor Ablauf der Legislaturperiode am 1. Oktober 1954 seines Amtes enthoben. Anschließend wirkte Bruno Kant für einige Jahre im Justizministerium des Landes Rheinland-Pfalz, wo er jedoch nicht mehr als Beamter, sondern als Rechtsanwalt geführt wurde.141 Im Jahr 1959 erfolgte dann die Versetzung in den Ruhestand. Anschließend zog Bruno Kant wieder in seine Heimatstadt Berlin zurück und arbeitete dort seit dem 9. November 1962 als Rechtsanwalt im Bezirk des Amtsgerichts Charlottenburg. Knapp ein Jahr später verstarb Bruno Kant am 20. September 1963.

14. Herbert Krille (1903 – 1988) Als Vertreter der Landesjustizverwaltung Nordrhein-Westfalens gehörte Herbert Fritz Krille der Expertenrunde an. Sein Lebensweg begann am 2. Februar 1903 in der Residenzstadt Dresden.142 Im Anschluss an sein erfolgreich abgeschlossenes Jurastudium erfolgte im Jahr 1925 die Promotion zum Doktor der Rechte. Danach schlug er eine Karriere als Verwaltungsjurist ein und wirkte zunächst im sächsischen Justizdienst. Durch den Nationalsozialismus wurde Herbert Krille im Gegensatz zu vielen anderen Mitgliedern der Großen Strafrechtskommission nicht belastet, die Archivalien des Bundesarchivs bieten derzeit keine Hinweise auf eine NSDAP-Mitgliedschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er ab 1947 weiterhin als Verwaltungsjurist, nunmehr beim Hamburger Zentraljustizamt. Bereits wenige Jahre später wechselte er dann aber nach Nordrhein-Westfalen in das Landesjustizministerium. Hier führte er den Geschäftsbereich Strafrechtspflege und Strafvollzug. Zwischenzeitlich bereits vom Ministerialrat zum Ministerialdirigenten befördert, stieg Herbert Krille mit der Er140 LArch Berlin, Sign. B Rep. 068/Nr. 1348/Personalakte Kant, Bruno (Bd. II) (Urteil des AG Landau vom 26. 6. 1954, Az.: Es 37/62). 141 Schriftliche Auskunft des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz RheinlandPfalz an den Autor vom 17. 6. 2013 (Az.: II AR-1-2). 142 Zur Biographie Krilles s. Habel (Hg.), Wer ist wer?, Bd. 1, S. 825. Ein Gesuch des Autors auf Einsicht in die Personalakten Herbert Krilles wurde mit Schreiben des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 1. 7. 2013 (Az.: I K 6-Z (H)) unter Berufung auf § 9 Abs. 1 S. 1 Informationsfreiheitsgesetz NRW und § 87 Landesbeamtengesetz NRW abgelehnt.

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nennung zum Staatssekretär am 1. Mai 1956 schließlich zum höchsten Beamten des Ministeriums auf. In diesem Amt verblieb er für den außergewöhnlich langen Zeitraum von mehr als zehn Jahren und überdauerte in dieser Zeit fünf Minister. Erst im Zuge des Regierungswechsels in Nordrhein-Westfalen von der CDU zur SPD im Jahr 1967 musste er seinen Posten abgeben. Neben dieser beruflichen Tätigkeit beschäftigte er sich nicht nur als Mitglied der Großen Kommission, sondern auch als Vorsitzender der Länderkommission mit der großen Strafrechtsreform. In seinem langjährigen juristischen Schaffen wurde er von Zeitgenossen dabei als ein redegewandter, kritischer Denker charakterisiert.143 Herbert Krille schied am 15. Dezember 1988 aus dem Leben.

15. Walther Rösch (1903 – 1977) Für die bayerische Landesjustizverwaltung saß der Ministerialrat Walther Rösch in der amtlichen Expertenkommission. Geboren am 29. August 1903 in der schwäbischen Stadt Thannhausen, nahm er nach dem Besuch des humanistischen Sankt-Stephan-Gymnasiums in Augsburg zum Wintersemester 1922/1923 ein Studium der Rechtswissenschaften in München auf.144 Er legte am 8. Februar 1926 erfolgreich das Referendar- und am 2. April 1929 das Assessorexamen ab. Bereits 1927 promovierte er an der Universität Erlangen zum Doktor der Rechte; seine Dissertation mit dem Titel „Das Problem der Grundrechte in der Weimarer Verfassung“ wurde mit „magna cum laude“ bewertet.145 Seine berufliche Tätigkeit begann er am 1. Oktober 1929 bei der Staatsanwaltschaft München II. Kurze Zeit später wechselte er zur Staatsanwaltschaft nach Nürnberg. Von 1932 bis 1939 war er dann als Richter an den Amtsgerichten Schwabach, Bad Tölz und München tätig. Dort bearbeitete er sowohl Straf- als auch Zivilsachen. In seinem Verhältnis zu den nationalsozialistischen Machthabern zeigten sich in diesem Zeitraum hauptsächlich opportunistische Tendenzen. So stellte Walther Rösch im Sommer des Jahres 1939 einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP, um seine Karrierechancen zu verbessern.146 Dass dieser auch tatsächlich in eine Parteimitgliedschaft mündete, ist naheliegend, die Archivalien schweigen sich hierüber jedoch aus.147 Fest steht hingegen, dass Rösch in der NS-Volkswohlfahrt das Amt eines Blockhelfers bekleidete und seit 1933 Mitglied im NS-Rechtswahrerbund

143

Dreher, in: Vogler (Hg.), Festschrift für Jescheck, Bd. 1, S. 1 (12). Zur Biographie Röschs s. BayHStA, MJu 25954/Personalakte/Rösch, Walther. 145 BayHStA, MJu 25954/Personalakte/Rösch, Walther (Personalbogen). 146 BayHStA, MJu 25954/Personalakte/Rösch, Walther (Fragebogen der amerikanischen Militärregierung; s. auch die dienstliche Versicherung Röschs vom 24. 7. 1946). 147 S. BayHStA, MJu 25954/Personalakte/Rösch, Walther. 144

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C. Die Einberufung der Großen Strafrechtskommission

war, wo er ab dem 1. Oktober 1937 als Vertrauensmann fungierte.148 Bei der Gauleitung der NSDAP München-Oberbayern galt er daher als „politisch einwandfrei“149. Beruflich wurde ihm außerdem eine Bewerbung um das Amt eines Staatsanwalts beim Volksgerichtshof nahegelegt.150 Rösch selbst hingegen behauptete nach 1945, er habe „die Ideen, Ziele und Methoden des Nationalsozialismus, gerade auch auf dem Gebiet des Rechtswesens, schärfstens abgelehnt und aus dieser Ablehnung durch offene Kritik im engeren Kreise nie ein Hehl gemacht“151. Auch seine Position als Vertrauensmann im NS-Rechtswahrerbund versuchte er in einer dienstlichen Versicherung aus dem Jahr 1946 zu beschönigen, indem er sie rückblickend als eine „völlig unbedeutende Aufgabe“152 darstellte, um die er sich zudem „in keiner Weise beworben“153 habe. Aufgrund dieser Beteuerungen wurde wenig später auf Empfehlung des Vorprüfungsausschusses der Spruchkammer IIa beim Amtsgericht München das Entnazifizierungsverfahren gegen Walther Rösch offiziell eingestellt.154 Anschließend konnte er in seiner bayerischen Heimat wieder als Jurist arbeiten. Von 1947 bis 1962 wirkte er zunächst im bayerischen Justizministerium, wo er die Abteilung Strafrecht leitete. Danach wechselte er an das Bayerische Oberste Landesgericht, welchem er bis zu seiner Pensionierung am 31. August 1968 als Präsident vorstand. Walther Rösch starb am 19. Dezember 1977 in Dachau.

16. Alfred Resch (1890 – 1968) Den Deutschen Richterbund vertrat der Senatspräsident beim Bayerischen Obersten Landesgericht Alfred Resch.

148

BayHStA, MJu 25954/Personalakte/Rösch, Walther (Erklärung Röschs über die Mitgliedschaft in NS-Organisationen vom 1. 3. 1938; s. auch den Fragebogen der amerikanischen Militärregierung). 149 BayHStA, MJu 25954/Personalakte/Rösch, Walther (Politische Beurteilung der Gauleitung München-Oberbayern vom 6. 2. 1936). 150 BayHStA, MJu 25954/Personalakte/Rösch, Walther (Dienstliche Versicherung Röschs vom 24. 7. 1946). 151 BayHStA, MJu 25954/Personalakte/Rösch, Walther (Dienstliche Versicherung Röschs vom 24. 7. 1946). 152 BayHStA, MJu 25954/Personalakte/Rösch, Walther (Dienstliche Versicherung Röschs vom 24. 7. 1946). 153 BayHStA, MJu 25954/Personalakte/Rösch, Walther (Dienstliche Versicherung Röschs vom 24. 7. 1946). 154 BayHStA, MJu 25954/Personalakte/Rösch, Walther (Gutachten des Vorprüfungsausschusses beim AG München vom 30. 7. 1946).

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Er kam am 2. Juni 1890 als Sohn eines Kaufmanns zur Welt.155 Von 1910 bis 1914 studierte er Jura in München. Nach seiner Großen Staatsprüfung war er ab dem 1. April 1921 zunächst als ständiger Hilfsarbeiter im Bayerischen Staatsministerium der Justiz tätig. Mit einer kurzen Unterbrechung durch eine Station bei der Staatsanwaltschaft setzte Alfred Resch alsbald seine Karriere im Ministerium fort und stieg dort bis zum Oberregierungsrat auf. Während der nationalsozialistischen Herrschaft wurde er unter dem Justizminister und Kronjuristen der Nationalsozialisten Hans Frank (1900 – 1946)156 am 1. Februar 1934 sogar zum Ministerialrat befördert.157 Fortan zeigte sich Resch dem Nationalsozialismus eng verbunden. Im Jahr 1935 wechselte er als dienstaufsichtsführender Oberstaatsanwalt zur Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I. In dieser Funktion stellte er nicht nur mehrere Verfahren gegen Mitglieder der Hitlerjugend, die Sachbeschädigungen an Kirchen verübt hatten, „mangels Anhaltspunkte zur Ermittlung der Täter“158 ein,159 sondern war zugleich als Vorgesetzter der Anklagebehörde beim Sondergericht für politische Strafsachen in München zumindest indirekt auch an Verfahren gegen Regimekritiker beteiligt.160 Aber nicht nur sein beruflicher Werdegang seit 1933 ist aus heutiger Sicht kritisch zu beurteilen. Auch seine politische Haltung während der NS-Zeit belastet Alfred Resch, denn schon seit dem 27. September 1933 war er Mitglied im NSRechtswahrerbund, in welchem er zudem das Amt eines Unterabschnittsführers bekleidete.161 Nur ein Jahr später folgte die fördernde Mitgliedschaft in der SS.162 Auch der NSDAP trat er am 1. Mai 1937 unter der Nummer 5017360 bei.163 Dabei unterstützte er die Partei mit einem monatlichen Beitrag von fünf und die SS mit drei

155 Zur Biographie Reschs s. BArch, R 3001/Personalkartei/Resch, Alfred; BArch, R 3001/ 114857 (Dienstmappe des OStA Resch, Alfred); BayHStA, MJu 25921/Personalakte/Resch, Alfred. 156 Biographisch zu Frank statt vieler Schenk, Hans Frank. 157 BArch R, 3001/Personalkartei/Resch, Alfred. 158 BArch, R 3001/114857 (Mitteilung Alfred Reschs an den Reichsminister der Justiz vom 29. 6. 1935 über die Einstellung der Strafsache AVZ. XVIb 1238/35). 159 BArch, R 3001/114857 (Einstellungsmitteilung AVZ. XVIb 1238/35, unterzeichnet vom OStA Alfred Resch); BArch, R 3001/11933 (Einstellungsmitteilung AVZ. XVIb 1624/35, ebenfalls unterzeichnet vom OStA Alfred Resch). 160 BayHStA, MJu 25921/Personalakte/Resch, Alfred (Anklageschrift des öffentlichen Klägers bei der Spruchkammer München X vom 8. 2. 1947). Zur Rolle Alfred Reschs im Verfahren gegen den Jesuitenpater und katholischen Widerstandskämpfer Rupert Mayer (1876 – 1945) s. BayHStA, MJu 25921/Personalakte/Resch, Alfred (Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 14. 12. 1950, das allerdings die aus heutiger Sicht gebotene kritische Haltung vermissen lässt). 161 BayHStA, MJu 25921/Personalakte/Resch, Alfred (Personalbogen des RJM). 162 BayHStA, MJu 25921/Personalakte/Resch, Alfred (Personalbogen des RJM; s. auch die Anklageschrift des öffentlichen Klägers bei der Spruchkammer München X vom 8. 2. 1947). 163 BayHStA, MJu 25921/Personalakte/Resch, Alfred (Personalbogen des RJM; s. auch die Anklageschrift des öffentlichen Klägers bei der Spruchkammer München X vom 8. 2. 1947).

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Reichsmark.164 Außerdem gehörte er ab 1934 der NS-Volkswohlfahrt und seit 1935 auch dem Reichsluftschutzbund an.165 Unter der nationalsozialistischen Diktatur passte sich Alfred Resch also den politischen Gegebenheiten stark an. Nach 1945 versuchte er dann diese Anpassung an das Hitler-Regime zu relativieren, indem er etwa erklärte, er sei „in die Partei hineingedrängt“166 worden. Auch habe er sich „von Anfang an gegen die Übergriffe der Partei auf das Gebiet der Justiz [gewehrt]“167. Obwohl diese Behauptungen mit Blick auf seine Tätigkeiten während der NSDiktatur unglaubwürdig erscheinen mussten, wurde Alfred Resch im Entnazifizierungsverfahren dennoch als „Entlasteter“ eingestuft.168 Mit diesem Urteil konnte er seine juristische Laufbahn in der Bonner Republik nahtlos fortsetzen. Ab 1947 wirkte Resch zunächst am Landgericht München I. Ein Jahr später wurde er an das Bayerische Oberste Landesgericht berufen. Ihren Abschluss fand seine Karriere beim Oberlandesgericht München, dem von 1954 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand am 1. Juli 1956 als Präsident vorstand. Alfred Resch verstarb 1968 im Alter von 78 Jahren.

17. Hans Dahs (1904 – 1972) Die deutsche Rechtsanwaltschaft entsendete wie zuvor mit den Verantwortlichen des Bundesministeriums der Justiz besprochen den Vorsitzenden des Strafrechtsausschusses der Rechtsanwaltskammern, den Bonner Strafverteidiger Hans Dahs, in die Große Strafrechtskommission. Sein Lebensweg begann am 4. Februar 1904 in Bonn.169 Das Studium der Rechtsund Staatswissenschaft absolvierte er von 1922 bis 1925 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn. Dort erfolgte auch am 7. Dezember 1925 die Promotion zum Doktor der Rechte mit einer Arbeit über die Unterlassungsdelikte. Anschließend nahm er seine berufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt auf. Der Schwerpunkt seiner Arbeit lag dabei zunächst im Zivilrecht. Im Laufe der Zeit 164 BayHStA, MJu 25921/Personalakte/Resch, Alfred (Anklageschrift des öffentlichen Klägers bei der Spruchkammer München X vom 8. 2. 1947). 165 BayHStA, MJu 25921/Personalakte/Resch, Alfred (Personalbogen des RJM). 166 BayHStA, MJu 25921/Personalakte/Resch, Alfred (Schreiben Alfred Reschs an den Vorsitzenden der Spruchkammer München X vom 28. 3. 1947). 167 BayHStA, MJu 25921/Personalakte/Resch, Alfred (Schreiben Alfred Reschs an den Vorsitzenden der Spruchkammer München X vom 28. 3. 1947). 168 BayHStA, MJu 25921/Personalakte/Resch, Alfred (Urteil der Spruchkammer München X vom 17. 8. 1948). 169 Zur Biographie Dahs’ s. Vierhaus (Hg.), DBE, Bd. 2, S. 481 f.; Habel (Hg.), Wer ist wer?, Bd. 1, S. 226; Lewald, in: NJW 1973, S. 1265 (1265); Wenig (Hg.), Verzeichnis der Professoren der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, S. 50. Ein Gesuch des Autors auf Einsicht in die Personalakten von Hans Dahs wurde mit Schreiben der Rechtsanwaltskammer Köln vom 15. 8. 2013 unter Verweis auf § 76 BRAO abgelehnt.

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entwickelte sich Hans Dahs jedoch zu einem der bekanntesten deutschen Strafverteidiger. Durch den Nationalsozialismus nach derzeitiger Aktenlage nicht mit einer Mitgliedschaft in der NSDAP belastet, wirkte er auch nach dem Ende der NSHerrschaft und des Zweiten Weltkriegs weiterhin als Anwalt. Der Tätigkeitsschwerpunkt verlagerte sich nunmehr vom Straf- zum Verfassungs- und Verwaltungsrecht. Seine Sozietät betreute zahlreiche Mandate prominenter Politiker sowie führender Wirtschaftsunternehmen. Vor Gericht bestach Hans Dahs nach Meinung von Zeitgenossen neben seinem Fachwissen auch häufig durch seine starke Überzeugungskraft; kurz, er sei „ein überragender Anwalt“170 gewesen. Aber nicht nur in der Rechtspraxis, sondern auch in der Wissenschaft und Lehre machte Hans Dahs sich einen Namen. Am 12. Januar 1953 in Bonn zum Honorarprofessor ernannt, gab er dort Examensvorbereitungs- und Klausurenkurse im Zivilrecht. Darüber hinaus hatte er mehr als zwei Jahrzehnte den Vorsitz des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer inne. Im Jahr 1954 wurde er außerdem zum Mitherausgeber der wohl bedeutendsten juristischen Fachzeitschrift, der „Neuen Juristischen Wochenschrift“. Trotz dieser zahlreichen anderweitigen Verpflichtungen wollte er seine Tätigkeit in der amtlichen Strafrechtskommission nach eigener Aussage sehr ernst nehmen, weil sie eine Entscheidung über zahlreiche wichtige strafrechtliche Grundsatzfragen bedeutete.171 Hans Dahs schied am 1. Mai 1972 in Bonn aus dem Leben.

18. Paulheinz Baldus (1906 – 1971) Den Karlsruher Bundesgerichtshof repräsentierte in dem Expertenteam der Senatspräsident Paulheinz Baldus. Er wurde am 11. April 1906 in Rennerod im Westerwald geboren.172 Von 1925 bis 1929 studierte er in Freiburg, München und Marburg Mathematik und Jura. Die Promotion folgte sechs Jahre später mit der Note „cum laude“.173 Seine berufliche Tätigkeit begann er als Hilfsarbeiter in der Strafrechtsabteilung des Reichsjustizministeriums. Ab 1937 wirkte er dann als Richter in Würzburg, Wiesbaden und schließlich in Frankfurt am Main. Unter den Nationalsozialisten erwies sich Paulheinz Baldus dabei als williger Diener der Diktatur. Seit Juli 1936 war er Mitglied im NS-Rechtswahrerbund, seit Mai 1937 gehörte er unter der Nummer 5628271 der 170

Lewald, in: NJW 1973, S. 1265 (1265). Dahs, in: NJW 1958, S. 1161 (1162). 172 Zur Biographie Baldus’ s. BArch, Pers 101/39773/Personalakte BMJ/Baldus, Paulheinz; BArch, Pers 101/39774/Personalakte BMJ/Baldus, Paulheinz; BArch, Pers 101/39934/Personalakte RJM/Baldus, Paulheinz BArch, Pers 101/39935/Personalakte RJM/Baldus, Paulheinz; Müller, Juristen, S. 218 f.; Lackner, in: JZ 1971, S. 599 (599), Sarstedt, in: JR 1971, S. 287 (287); Engelmann, Die unsichtbare Tradition, S. 235 – 244; Klee, Personenlexikon, S. 25. 173 BArch, Pers 101/39773/Personalakte BMJ/Baldus, Paulheinz (Personalbogen). 171

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NSDAP an.174 Darüber hinaus war er von 1936 bis 1939 zwischenzeitlich immer wieder als juristischer Mitarbeiter für Verwaltungssachen in Hitlers Präsidialkanzlei tätig.175 Dennoch wurde er durch das Urteil der Berufungskammer Wiesbaden vom 19. November 1946 als „Entlasteter“ eingestuft.176 Er sei der NSDAP nur „unter schwerem seelischen Druck und unter Überwindung starker sittlicher Hemmungen“177 beigetreten, so die wenig überzeugende Begründung. Durch dieses Urteil konnte er aber seine Karriere im Nachkriegsdeutschland alsbald fortsetzen. Bereits 1947 kehrte er an das LG Wiesbaden zurück, der dortige Präsident empfahl dem hessischen Justizminister die Wiedereinstellung von Paulheinz Baldus gar „auf das Wärmste“178. Im Jahr 1951 erfolgte dann die Berufung zum Bundesrichter, 1956 die zum Senatspräsidenten. Die Urteile des von ihm geführten Strafsenats sorgten infolge der oft harten Auslegung von Normen jedoch wiederholt für Diskussionsstoff. Insbesondere die Entscheidung im „Läpple-Prozess“, eine friedliche Sitzblockade als gewaltsame Nötigung einzustufen,179 rief Irritationen hervor. Neben seiner richterlichen Tätigkeit prägte Baldus das Strafrecht in der Bonner Republik auch durch seine Beiträge im Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch. Am 21. Juni 1971 erlag Paulheinz Baldus einem plötzlichen Herzversagen.

19. Carl Wiechmann (1886 – 1967) Die Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof vertrat der Oberbundesanwalt Carl, auch Carlo genannt, Wiechmann. Sein Lebensweg begann am 5. März 1886 in Stettin.180 Nach der Reifeprüfung studierte er an den Universitäten zu Leipzig, Berlin und Göttingen Jura, Staatswissenschaften und Volkswirtschaftslehre. Mit einem versicherungsrechtlichen Thema wurde er im Jahr 1908 in Göttingen promoviert. Im Anschluss an die 1912 bestandene Assessorprüfung war er zunächst im preußischen Justizdienst an mehreren Amts- und Landgerichten beschäftigt. Dann ging er als Staatsanwalt nach Köln, 174 BArch (ehem. BDC), Ortskartei der NSDAP/Baldus, Paulheinz, 11. 4. 1906; ferner s. auch BArch, Pers 101/39934/Personalakte RJM/Baldus, Paulheinz (Fragebogen der amerikanischen Militärregierung). 175 BArch, Pers 101/39774/Personalakte BMJ/Baldus, Paulheinz (Besonderer Fragebogen der amerikanischen Militärregierung für Richter, Gerichtsbeamte, Staats- und Amtsanwälte). 176 BArch, Pers 101/39774/Personalakte BMJ/Baldus, Paulheinz (Urteil der Berufungskammer Wiesbaden vom 19. 11. 1946, Az.: W 1838). 177 BArch, Pers 101/39774/Personalakte BMJ/Baldus, Paulheinz (Urteil der Berufungskammer Wiesbaden vom 19. 11. 1946, Az.: W 1838). 178 BArch, Pers 101/39774/Personalakte BMJ/Baldus, Paulheinz (Schreiben des Präsidenten des LG Wiesbaden an den hessischen Justizminister vom 7. 12. 1946). 179 Hierbei handelte es sich um das Urteil BGHSt 23, 46 (57); mit kritischer Anm. von Schroeder, in: NJW 1985, S. 2392 (2392 f.). 180 Zur Biographie Wiechmanns s. Köhler/Pisoni, Europäische Profile, Bd. II, S. 412.

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kehrte jedoch nach zehn Jahren in seine preußische Heimat zurück, um Ministerialrat im Justizministerium zu werden. Ab 1931 führte er die Geschäfte des Generalstaatsanwalts am Berliner Kammergericht. Nach der Machtübernahme durch das Hitler-Regime im Jahr 1933 von dieser Aufgabe entbunden,181 übte Carl Wiechmann dennoch von 1933 bis 1945 wichtige Ämter in der Rechtsprechung aus, denn er hatte am Kammergericht Berlin den Vorsitz eines Zivil- und kurzzeitig den eines Strafsenats inne. Obgleich er unter den Nationalsozialisten als Richter diente, zeigt aber die Tatsache, dass er nach derzeitiger Aktenlage nicht der NSDAP beitrat182 und sogar zwischenzeitlich immer wieder aus politischen Gründen vom Richteramt suspendiert wurde183, dass er nicht als einer ihrer Anhänger einzustufen war. In der jungen Bundesrepublik arbeitete er anschließend zunächst weiter in Berlin. Wenige Jahre später wurde er zum Senatspräsidenten am Oberlandesgericht Celle ernannt. Ihren Höhepunkt sollte seine Karriere jedoch erst im Alter von 64 Jahren erreichen. Am 7. Oktober 1950 wurde er zum Oberbundesanwalt berufen. Damit war Carl Wiechmann der erste Leiter der obersten Strafverfolgungsbehörde der Bundesrepublik geworden. Im Bundesministerium der Justiz genoss er dabei allgemein ein so großes Vertrauen, dass seine ursprünglich bereits für 1951 geplante Pensionierung noch mehrmals hinausgeschoben wurde.184 Weil das von ihm eingenommene Amt nur sehr schwer neu zu besetzen und Wiechmann noch voll leistungsfähig sei,185 bekleidete er diese Position trotz seines fortgeschrittenen Alters noch bis zum 31. März 1956. Carl Wiechmann schied am 27. Mai 1967 aus dem Leben.

20. Else Koffka (1901 – 1994) Als erste Einzelvertreterin und zudem einzige Frau, die vom Anfang bis zum Schluss den Beratungen der Großen Strafrechtskommission beiwohnen sollte, wurde die Bundesrichterin Else Koffka berufen. Sie kam am 22. Juni 1901 in Wronke in Posen zur Welt.186 Von 1920 bis 1923 studierte sie Jura an den Fakultäten der Universitäten Berlin und Tübingen. Beide juristischen Staatsprüfungen bestand sie mit dem Prädikat „gut“; am 26. Mai 1925 181

Köhler/Pisoni, Europäische Profile, Bd. II, S. 412. BArch (ehem. BDC), Zentralkartei der NSDAP und BArch (ehem. BDC), Ortskartei der NSDAP liefern zu Carl Wiechmann jedenfalls keine Einträge. 183 S. den Hinweis bei Booms/Hüllbusch, Kabinettsprotokolle, Bd. 4, S. 141, Fn. 31. 184 S. die Personalentscheidung in der 109. Kabinettssitzung am 14. 12. 1955, abgedruckt bei Kahlenberg/Hollmann/Jena, Kabinettsprotokolle, Bd. 8, S. 735, Fn. 35. 185 Schröder in der 60. Kabinettssitzung am 24. 11. 1954, abgedruckt bei Kahlenberg/ Hüllbusch/Trumpp, Kabinettsprotokolle, Bd. 7, S. 526. 186 Zur Biographie Koffkas s. BArch, Pers 101/48845/Personalakte BMJ/Koffka, Else; BArch, Pers 101/48847/Personalakte/Koffka, Else; Habel (Hg.), Wer ist wer?, Bd. 1, S. 789. 182

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C. Die Einberufung der Großen Strafrechtskommission

wurde sie mit einer Arbeit zum Urheberrecht zum Dr. iur. promoviert.187 Beruflich betätigte sich Else Koffka anschließend sowohl in der Rechtspraxis als auch in der Lehre.188 Von 1925 bis 1929 war sie Assistentin bei dem Strafrechtslehrer Eduard Kohlrausch (1874 – 1948). Nach dieser universitären Tätigkeit wechselte Koffka anschließend in die Rechtspraxis und wirkte als Gerichtsassessorin an diversen Berliner Gerichten. Parallel hierzu führte sie aber weiterhin an der Humboldt-Universität als Lehrbeauftragte Übungen im Strafrecht durch. Anders als viele ihrer Kollegen in der Großen Strafrechtskommission ist Else Koffka durch ihr Verhalten während des Nationalsozialismus nicht vorbelastet gewesen. Zwar war sie seit 1933 Blockhelferin in der NS-Volkswohlfahrt, jedoch trat sie bereits 1935 wieder aus der NSV aus; Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen wurde sie nie.189 In ihren Publikationen, wie beispielsweise einem Aufsatz zum Prozessbetrug aus dem Jahr 1935,190 sind keinerlei Hinweise auf nationalsozialistisches Gedankengut zu finden. Ihre Absicht, sich zu habilitieren, gab sie nach eigenen Angaben sogar „mit Rücksicht auf die politischen Verhältnisse“191 nach der Machtübernahme 1933 auf. Aus dem Justizdienst musste sie im Jahr 1935 ausscheiden, da ihr Großvater Jude gewesen war.192 Dies geschah zwar formal auf eigenen Wunsch Koffkas, jedoch wollte sie hierdurch lediglich einer zwangsweisen Entlassung zuvorkommen.193 Fortan arbeitete sie in der Kanzlei ihres Bruders. Nach 1945 konnte sie wieder in den Berliner Justizdienst eintreten. Zum 1. Januar 1952 folgte dann die Berufung an den Bundesgerichtshof. Else Koffka verstarb am 7. Januar 1994.

21. Emil Niethammer (1869 – 1956) Ein weiteres der insgesamt fünf Einzelmitglieder in der Expertenkommission war der bei Beginn der Sitzungen im Frühjahr 1954 bereits hochbetagte Reichsgerichtsrat a. D. Prof. Dr. Emil Niethammer. Er wurde am 6. Mai 1869 in Stuttgart geboren.194 An sein Studium der Rechtswissenschaften von 1889 bis 1893 schlossen sich zunächst verschiedene Tätigkeiten 187

BArch, Pers 101/48845/Personalakte/Koffka, Else (Personalbogen). Zu den einzelnen Stationen Koffkas s. BArch, Pers 101/48847/Personalakte/Koffka, Else (Personalbogen). 189 BArch, Pers 101/48845/Personalakte/Koffka, Else (Personalbogen). 190 Koffka, in: ZStW 54 (1935), S. 45 (45 – 65). 191 BArch, Pers 101/48845/Personalakte/Koffka, Else (Lebenslauf vom 23. 9. 1949). 192 BArch, Pers 101/48845/Personalakte/Koffka, Else (Lebenslauf vom 23. 9. 1949). 193 BArch, Pers 101/48845/Personalakte/Koffka, Else (Lebenslauf vom 23. 9. 1949). 194 Zur Biographie Niethammers s. BArch, R 3002/PA 652/Personalakte Reichsgericht/ Niethammer, Emil; Vierhaus (Hg.), DBE, Bd. 7, S. 466; Weinkauff, in: JZ 1956, S. 230 (230); Kern, in: SJZ 1949, Sp. 441 (441 f.); Raberg, NDB, Bd. 19, S. 246 f. 188

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als Amts- und Landrichter im württembergischen Justizdienst an. Zu Beginn der Weimarer Republik wechselte er dann mit Wirkung zum 1. Januar 1921 an das Reichsgericht nach Leipzig.195 Dort sprach er als Mitglied des 6. Strafsenats und des Großen Senats für Strafsachen auch später unter den Nationalsozialisten Recht. Obgleich Niethammer nicht der NSDAP beitrat, ist sein Verhalten während des Nationalsozialismus dennoch aus heutiger Sicht kritisch zu beurteilen. Ab 1935 arbeitete er in der amtlichen Kommission zur Erneuerung des Strafrechts mit.196 Auch die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die damals stark ideologisch geprägte Kieler Rechtswissenschaftliche Fakultät im Jahr 1938 wirft kein gutes Licht auf ihn.197 Des Weiteren befürwortete er in seinen Veröffentlichungen wiederholt das nationalsozialistische Strafrechtsverständnis. So sah er beispielsweise in dem Grundsatz nulla poena sine lege nur eine nachteilige „Alleinherrschaft des Strafgesetzes“198, weshalb er es auch sehr begrüßte, dass „die nationalsozialistische Regierung […] jenen Grundsatz als ein unerträgliches Hindernis einer innerlich freien und gerechten Strafrechtspflege [beseitigte]“199. Außerdem sollte seiner Meinung nach das Reichsgericht im Nationalsozialismus als „Schrittmacher der Entwicklung des Strafverfahrens nach geltendem Recht“200 fungieren. Bereits gegen Kriegsende in seine württembergische Heimat zurückgekehrt, lehrte er ab 1946 Strafrecht in Tübingen und bald darauf war er als Präsident des dortigen Oberlandesgerichts auch wieder in der Rechtspraxis tätig. Kurzzeitig gehörte er zudem für die CDU dem württembergischen Landtag an und wirkte als Mitglied der Verfassungsgebenden Versammlung Süd-Württembergs entscheidend am ersten Entwurf der Landesverfassung mit. Emil Niethammer starb am 19. Februar 1956 in Tübingen.

22. Hans Richter (1885 – 1954) Ferner berief das Bundesjustizministerium den Senatspräsidenten beim Bundesgerichtshof a. D. Hans Richter in die Große Strafrechtskommission.

195 BArch, R 3002/PA 652/Personalakte Reichsgericht/Niethammer, Emil (Personalbogen, mit weiteren Angaben zu den einzelnen beruflichen Stationen Niethammers). 196 BArch, R 3002/PA 652/Personalakte Reichsgericht/Niethammer, Emil (Personalbogen). 197 BArch, R 3002/PA 652/Personalakte Reichsgericht/Niethammer, Emil (Glückwunschschreiben des Präsidenten des Reichsgerichts an Niethammer vom 28. 6. 1938). 198 Niethammer, in: ZStW 55 (1936), S. 745 (752). 199 Niethammer, in: von Olshausens Kommentar zum RStGB, § 2, S. 24. Bereits dieses Beispiel zeigt, dass die These Kerns, Niethammer sei „immer bestrebt [gewesen], eine unheilvolle Entwicklung unserer Gesetzgebung zu verhindern“, in: SJZ 1949, Sp. 441 (442) heute nicht mehr aufrechterhalten werden kann. 200 Niethammer, in: DStR 1937, S. 125 (125).

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C. Die Einberufung der Großen Strafrechtskommission

Sein Lebensweg begann am 29. April 1885 im schlesischen Glatz.201 Nach der Reifeprüfung nahm er im Jahr 1903 zunächst ein Architekturstudium auf, brach dieses aber später ab und studierte stattdessen Rechtswissenschaften an den Universitäten Breslau, Marburg und Berlin. 1908 legte er die Erste, 1913 die Zweite Juristische Staatsprüfung ab, jeweils mit den Noten „gut“ und „nahezu gut“.202 Danach war er mehrere Jahre als Staatsanwalt in Marburg, Kassel und Hanau tätig. 1922 wechselte er dann als Hilfsarbeiter der Reichsanwaltschaft an das Reichsgericht in Leipzig. Anschließend wirkte Hans Richter über zehn Jahre lang im Reichsjustizministerium. Politisch war er in der Weimarer Republik liberal orientiert; 1919 trat er der Deutschen Demokratischen Partei bei, bekleidete darin aber kein Amt.203 Während der nationalsozialistischen Diktatur arbeitete Hans Richter dann ab 1936 wieder am Reichsgericht, nunmehr als Reichsanwalt. Politisch hielt er sich in dieser Zeit eher bedeckt. Seit Juli 1933 war er zwar Mitglied im NSRechtswahrerbund und ab 1934 auch in der NS-Volkswohlfahrt, der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gehörte er jedoch nicht an.204 Nach eigener Aussage hatte er „die Meldung zum Beitritt [zur NSDAP] wiederholt und bis zuletzt ausdrücklich abgelehnt“205. Infolge dieser Beteuerung fiel das Ergebnis seiner politischen Überprüfung durch die Spruchkammer Frankfurt am Main im Jahr 1947 trotz seiner Mitgliedschaften in zwei NS-Organisationen entlastend aus. Hans Richter sei durch den Nationalsozialismus „überhaupt nicht belastet“206, so das Urteil. Parteipolitisch seit 1946 an die CDU gebunden, setzte er seine berufliche Karriere in der jungen Bundesrepublik sodann ab dem Jahr 1947 im Justizministerium des Landes Hessen in Wiesbaden fort und leitete dort die Strafrechtsabteilung. Zum 1. Oktober 1950 wurde er anschließend als Richter an den Karlsruher Bundesgerichtshof berufen. Dort führte er über einen Zeitraum von gut zwei Jahren den ersten Strafsenat. Kurz nach seiner Versetzung in den Ruhestand am 31. Dezember 1952 verstarb Hans Richter am 17. Mai des Jahres 1954, sodass er lediglich an der ersten Sitzung der amtlichen Expertenkommission teilnehmen konnte.

201 Zur Biographie Richters s. BArch, Pers 101/39859/Personalakte/Richter, Hans; BArch, Pers 101/39860/Personalakte RJM/Richter, Hans; BArch, Pers 101/40030/Personalakte BMJ/ Richter, Hans. 202 BArch, Pers 101/39860/Personalakte RJM/Richter, Hans (Personalbogen). 203 BArch, Pers 101/39860/Personalakte RJM/Richter, Hans (Personalbogen); BArch, Pers 101/39859/Personalakte/Richter, Hans (Lebenslauf vom 12. 9. 1946). 204 BArch, Pers 101/39860/Personalakte RJM/Richter, Hans (Personalbogen). 205 BArch, Pers 101/39859/Personalakte/Richter, Hans (Lebenslauf vom 12. 9. 1946). 206 BArch, Pers 101/40030/Personalakte BMJ/Richter, Hans (Urteil der Spruchkammer Frankfurt a. M. vom 21. 1. 1947, Az.: F 340878).

III. Die Mitglieder der Großen Strafrechtskommission

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23. Karl Schäfer (1899 – 1993) Als viertes Einzelmitglied gehörte der Senatspräsident beim Frankfurter Oberlandesgericht Karl Schäfer dem Beratungsgremium an. Geboren am 11. Dezember 1899 in Wetzlar, absolvierte er das juristische Studium und die Examina in Frankfurt am Main.207 Parallel zum Rechtsreferendariat fertigte er seine Dissertation an. Anschließend war er ab 1925 als Hilfsarbeiter im Referat für Straf- und Strafprozessrecht im preußischen Justizministerium tätig. Diese Arbeitsstelle behielt er auch, nachdem das Ministerium 1935 von den Nationalsozialisten mit dem Reichsjustizministerium zusammengelegt worden war. Gemeinsam mit zwei weiteren bekannten Juristen, die ebenfalls den Nachnamen Schäfer trugen, bildete er dort die sogenannte „Schäferei“. Als Ministerialbeamten fiel ihm unter dem Hitler-Regime dabei die Aufgabe zu, durch Urteilsanmerkungen die Gerichte darüber zu belehren, wie der § 2 des Strafgesetzbuchs im Sinne des nationalsozialistischen Gesetzgebers richtig anzuwenden sei.208 Des Weiteren gab er gemeinsam mit mehreren Kollegen aus dem Ministerium eine Sammlung strafrechtlicher Verwaltungsvorschriften heraus, deren Neugestaltung durch die Reichsjustizverwaltung er besonders lobte, weil sie „eine Handhabung des […] geltenden Rechts ermöglich[t], die den Bedürfnissen einer nationalsozialistischen Strafrechtspflege gerecht wird“209. Darüber hinaus vertrat Karl Schäfer in einer Zusammenstellung gnadenrechtlicher Vorschriften aus dem Jahr 1939 die Ansicht, dass „in Zeiten völkischen Umbruchs […] auch die veränderte Staats- und Rechtsauffassung und das Auftreten neuer Rechtsgedanken nicht selten Anlaß [gibt], vor dem Umbruch ergangene Entscheidungen durch Gnadenerlasse abzuändern“210. Aber nicht nur in publizistischer Form, sondern auch parteipolitisch positionierte er sich nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ganz auf Seiten der Diktatur und trat am 1. April des Jahres 1940 unter der Nummer 8015550 der NSDAP bei.211 Nach der NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg setzte Karl Schäfer seine juristische Karriere sodann im Dienst der hessischen Justiz fort. Zunächst wurde er Landgerichtsdirektor in Frankfurt am Main, dann Ministerialrat im hessischen Justizministerium und im Jahr 1951 Senatspräsident beim Oberlandesgericht Frankfurt. Aufgrund seines vielfältigen juristischen Schaffens in der Rechtspraxis und seiner Tätigkeit als

207

Zur Biographie Schäfers s. Rieß, in: JR 1993, S. 221 (221); Dreher, in: NJW 1974, S. 2315 (2315); Schuder, Kürschners Gelehrten-Kalender, S. 3932; Hassenpflug, in: Hassenpflug (Hg.), Festschrift für Schäfer, S. 1 (1 – 4). 208 Statt vieler s. beispielsweise Schäfer, Anm. zum Urteil des LG Amberg vom 11. 8. 1936, in: JW 1936, S. 3014 (3014); Anm. zum Urteil des AG Braunschweig vom 22. 4. 1936, in: JW 1936, S. 3014 (3014 f.); Anm. zum Urteil des AG Strausberg vom 15. 1. 1936, in: JW 1936, S. 1230 (1230). 209 Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. III. 210 Grau/Schäfer, Das deutsche Gnadenrecht, S. 8. 211 BArch (ehem. BDC), Zentralkartei der NSDAP/Schäfer, Karl Dr., 11. 12. 1899.

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C. Die Einberufung der Großen Strafrechtskommission

Mitautor in verschiedenen Kommentaren zum Straf- und Zivilrecht wurde Schäfer von seinen Weggefährten auch gern als „Allroundjurist“212 bezeichnet. Am 22. März 1993 schied Karl Schäfer im Alter von 94 Jahren aus dem Leben.

24. Alfred Skott (1893 – 1958) Komplettiert wurde die Große Strafrechtskommission schließlich durch Dr. Alfred Skott als Vertreter der Berliner Justiz. Er kam am 20. Mai 1893 im mecklenburgischen Schwerin als Sohn eines Kammervirtuosen zur Welt.213 Unterbrochen durch die Teilnahme als Soldat am Ersten Weltkrieg schloss er sein Jurastudium am 5. Oktober 1920 mit einer ausreichenden Ersten Staatsprüfung ab.214 Nach dem juristischen Vorbereitungsdienst im Bezirk des Landgerichts Rostock legte er 1924 die Zweite Staatsprüfung ab, ebenfalls mit der Note „ausreichend“.215 Seine berufliche Laufbahn begann er noch im selben Jahr als Gerichtsassessor beim Landgericht Güstrow. Es folgten Stationen an den Amtsgerichten Grevesmühlen und Grabow. Am 1. Oktober 1927 zum Amtsgerichtsrat befördert, wechselte er anschließend an das Landgericht Schwerin, wo er bis Ende April 1933 das Amt eines Staatsanwalts innehatte. In der Zeit des Nationalsozialismus diente Alfred Skott seit dem 1. Mai 1933 als Richter am Amtsgericht in Lübz.216 Im Nebenamt war er zudem stellvertretender Staatskommissar bei der Kommission für das Vereinswesen sowie Richter beim Grundbuchamt und Vormundschafts- und Nachlassgericht der Stadt Lübz.217 Über seine dienstlichen Leistungen urteilte der Präsident des Landgerichts Güstrow im Jahr 1942: „Dr. Skott ist zum Richter befriedigend befähigt. Er verfügt über gute theoretische Kenntnisse auf allen Gebieten, insbesondere im Strafrecht.“218 Die politische Haltung Alfred Skotts während der NS-Diktatur ist auf der Grundlage der vorhandenen Archivmaterialien rückblickend hingegen nicht so eindeutig zu bewerten. Einerseits wurde in einer dienstlichen Beurteilung des Oberlandesgerichts aus dem Jahr 1937 festgehalten, dass man aus Parteikreisen gehört habe, „dass er nicht für einen überzeugten Nationalsozialisten gehalten wird“219, andererseits wurde ihm nur kurze Zeit später seitens des Landgerichts Güstrow wiederum bescheinigt, dass „seine politi212

Dreher, in: NJW 1974, S. 2315 (2315). Zur Biographie Skotts s. BArch, R 3001/76637/Personalakte RJM/Skott, Alfred. 214 BArch, R 3001/76637/Personalakte RJM/Skott, Alfred (Personalbogen). 215 BArch, R 3001/76637/Personalakte RJM/Skott, Alfred (Personalbogen). 216 BArch, R 3001/76637/Personalakte RJM/Skott, Alfred (Personalbogen). 217 BArch, R 3001/76637/Personalakte RJM/Skott, Alfred (Personalbogen). 218 BArch, R 3001/76637/Personalakte RJM/Skott, Alfred (Dienstliche Beurteilung des Präsidenten des LG Güstrow vom 29. 12. 1942). 219 BArch, R 3001/76637/Personalakte RJM/Skott, Alfred (Dienstliche Beurteilung des Oberlandesgerichtspräsidenten vom 4. 1. 1937). 213

IV. Zwischenfazit zur Kommissionszusammensetzung

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sche Haltung […] zu Bedenken keinen Anlass [gibt]“220. Unter der Nr. 29194 war er zudem seit dem 15. November 1933 Mitglied im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen, dem Reichsbeamtenbund trat er ebenfalls bei.221 In weitere NSVerbände, Organisationen oder Hitlers Partei war er jedoch nicht eingebunden.222 Am trefflichsten formulierte es wohl deshalb der Präsident des Landgerichts Güstrow, der Ende des Jahres 1942 in einer dienstlichen Beurteilung über Skott schrieb: „Seine politische Haltung ist äusserlich einwandfrei, sie kommt mehr aus dem Verstand als aus dem Herzen.“223 Alfred Skotts weiterer beruflicher Werdegang während und ebenso nach der nationalsozialistischen Herrschaft blieb von dieser angepassten, opportunistischen politischen Grundhaltung jedoch offenbar unbeeinflusst. Im Jahr 1943 wurde er an das Kammergericht Berlin abgeordnet, diente währenddessen aber zwischenzeitlich immer wieder am Amtsgericht Oranienburg. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur konnte er bis zu seinem Ruhestand weiterhin im Dienst der Berliner Justiz verbleiben, sodann jedoch wieder am Kammergericht. Alfred Skott verstarb bereits im Jahr 1958, kurz bevor die amtliche Kommission ihre Arbeiten zum Kodifikationsentwurf abschließen konnte.

IV. Zwischenfazit zur Kommissionszusammensetzung Dieser 24-köpfige Kreis sollte also die anstehende gesetzgeberische Aufgabe, ein neues Strafgesetzbuch zu entwerfen, bewerkstelligen. Hierfür hatten sich besonders viele zentrale Figuren des damaligen strafrechtlichen Lebens zusammengefunden; bereits die bloße Namensliste der Vertreterinnen und Vertreter in der Großen Strafrechtskommission liest sich über weite Strecken wie das Who’s who der wichtigsten Strafrechtsdenker der jungen Bundesrepublik Deutschland. Kurzum: Das „bedeutendste strafrechtliche Seminar des 20. Jahrhunderts“224 war entstanden. Bilanziert man heute retrospektiv dessen Zusammensetzung, so bestätigt sich zunächst das allgemein kritische Urteil über die Expertenrunde. Dem Streben des Bundesjustizministeriums nach personeller Kontinuität entsprechend wurden in

220 BArch, R 3001/76637/Personalakte RJM/Skott, Alfred (Dienstliche Beurteilung des Präsidenten des LG Güstrow vom 25. 11. 1938). 221 BArch, R 3001/76637/Personalakte RJM/Skott, Alfred (Personalbogen). 222 BArch, R 3001/76637/Personalakte RJM/Skott, Alfred (Personalbogen). 223 BArch, R 3001/76637/Personalakte RJM/Skott, Alfred (Dienstliche Beurteilung des Präsidenten des LG Güstrow vom 29. 12. 1942). 224 Dreher, in: Vogler (Hg.), Festschrift für Jescheck, Bd. 1, S. 11 (34); ähnlich Dreher, in: Hassenpflug (Hg.), Festschrift für Schäfer, S. 5 (5).

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C. Die Einberufung der Großen Strafrechtskommission

erster Linie Personen einer älteren Generation in die Kommission berufen,225 die meist noch im Kaiserreich geboren waren und ihre juristische Karriere in der Weimarer Republik begonnen und im Nationalsozialismus fortgesetzt hatten. Zahlreiche Repräsentantinnen und Repräsentanten hatten also auch vor 1945 schon eine wichtige Rolle im Strafrecht gespielt. Die Kehrseite dieser Nominierungen bildete damit fast zwangsläufig die Tatsache, dass viele Mitglieder durch ihr Verhalten unter dem NS-Regime vorbelastet waren, wie die einzelnen Lebensläufe deutlich belegen. Hierbei ist jedoch zu differenzieren, denn der Grad der Belastung reichte von einem selbst nach heutigen Maßstäben noch relativ unkritischen Ausmaß, wie etwa der berufstypischen Zugehörigkeit zum NS-Rechtswahrerbund, bis hin zu Mitgliedschaften in der SA oder fördernden Mitgliedschaften in der SS; von primär opportunistisch eingestellten Mitläufern bis hin zu den Nationalsozialisten politisch enger verbundenen Personen und Verfechtern des nationalsozialistischen Strafrechtsdenkens. Der NSDAP waren zwölf von vierundzwanzig Kommissionsmitgliedern beigetreten; der Anteil ehemaliger Parteigänger lag also bei fünfzig Prozent. Diese Quote fügt sich absolut in den Rahmen anderer Forschungsergebnisse zur NSBelastung des Justizapparats ein; sie liegt allerdings eher im oberen Bereich.226 Für den Neuaufbau der Rechtsordnung wurden mithin vielfach ausgerechnet solche Personen berufen, deren Verhalten während der nationalsozialistischen Diktatur zu gewichtigen Bedenken Anlass gibt, da sie dem Zeitgeist zumindest äußerlich voll angepasst waren. Zwar ist hierbei einschränkend zu bemerken, dass eine gewisse NSAnpassung auch schlichtweg als zeittypisch anzusehen ist und selbst der Eintritt in Hitlers Partei nicht immer politisch motiviert war, sondern in einigen Fällen zu reinen Karrierezwecken erfolgte. Insbesondere die Kommissionsmitglieder aber, die über ihre Parteimitgliedschaft hinaus noch stark von nationalsozialistischer Rechtsauffassung geprägte Schriften publiziert oder bedenkliche Positionen im NS-Staat innegehabt hatten, zum Beispiel als Staatsanwalt, Militärrichter oder Führungsperson in parteinahen Organisationen, waren jedoch in einem so schweren Maße durch den Nationalsozialismus vorbelastet, dass sie vergangenheitspolitisch betrachtet für die Arbeit an einem neuen rechtsstaatlichen Strafgesetzbuch untragbar waren.227 Neben diesem besonders herausstechenden Merkmal der Belastung ihrer Mitglieder durch den Nationalsozialismus kennzeichneten außerdem noch zwei weitere Auffälligkeiten die Große Strafrechtskommission: Zum einen herrschten keine klaren Mehrheitsverhältnisse.228 Zwar bildeten die Wissenschaftler mit sieben Vertretern den zahlenmäßig größten Einzelblock, ihnen standen jedoch mehr als doppelt 225 Zu dieser Feststellung kommen auch bereits Treiber, in: Kriechbaum (Hg.), Festschrift für Gagnér, S. 229 (231); Scheffler, in: Vormbaum/Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 174 (185); Holtz, Strafrechtsreformen, S. 244. 226 Zum Vergleich s. etwa die Werte zur NS-Belastung des BMJ bei Rückert, in: Görtemaker/Safferling (Hg.), Die Rosenburg, S. 60 (65 – 67). 227 Ähnlich Rasehorn, in: Vormbaum/Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 38 (47). 228 Zu diesem Punkt auch Dreher, in: Hassenpflug (Hg.), Festschrift für Schäfer, S. 5 (6).

IV. Zwischenfazit zur Kommissionszusammensetzung

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so viele Personen aus anderen Berufsgruppen gegenüber. Ein homogenes Meinungsbild war in dem Expertenzirkel also nicht zu erwarten. Hierin unterschied er sich maßgeblich von seinen späteren Kritikern, den Alternativprofessoren, die ihren Gegenentwurf in einem reinen Kreis von Theoretikern erarbeiten sollten. Zum anderen fällt auf, dass die Kommission in personeller Hinsicht stark von Männern dominiert wurde. Frauen waren unterrepräsentiert und wirkten oftmals nur vorübergehend, beispielsweise als Sitzungsvertreterinnen, an den Beratungen zum neuen Strafgesetzbuch mit. Das einzige weibliche Mitglied, das vom Anfang bis zum Schluss den Sitzungen des Expertenteams beiwohnte, war die Bundesrichterin Else Koffka. Diese Merkmale sollten das Gesicht der Großen Strafrechtskommission dauerhaft prägen. Sie galten nicht nur für die Ursprungszusammensetzung, sondern blieben generell ebenso für spätere, leicht veränderte Formationen typisch.229 Obgleich die einzelnen Mitglieder teils wechselten, wirkte sich dies auf die grundsätzliche Zusammensetzung des Zirkels nicht entscheidend aus.

229 Zu den Änderungen im Einzelnen s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 29 (Hans Richter verstorben), 115 (Wechsel beim Vertreter des Richterbundes: Dr. Voll ersetzte Alfred Resch, welcher aber weiterhin an den Beratungen teilnahm; Prof. Dr. Emil Niethammer schied aus Altersgründen aus; Wechsel beim Vertreter der Rechtsanwaltschaft: Curt Ferdinand Freiherr von Stackelberg ersetzte Prof. Dr. Hans Dahs, welcher aber weiterhin an den Beratungen teilnahm), 217 (Prof. Dr. Rudolf Sieverts kam hinzu); Bd. 2, S. 5 (Wechsel beim Vertreter des Generalbundesanwalts: Wolfgang Fränkel ersetzte Dr. Carl Wiechmann), 115 (Wechsel beim Vertreter der CDU/CSU-Fraktion: Dr. Elisabeth Schwarzhaupt ersetzte Matthias Hoogen); Bd. 4, S. 243 (Dr. Joachim Wilkerling aus der Landesjustizverwaltung Niedersachsen trat hinzu; GenStA Dr. Hanns Dünnebier aus Bremen kam ebenfalls neu in die Kommission); Bd. 5, S. 27 (Wechsel beim Vertreter der FDP-Fraktion: Dr. Emmy DiemerNicolaus ersetzte Dr. Ludwig Schneider); Bd. 12, S. 16 (Alfred Skott verstorben).

D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission I. Die Arbeitsweise der Kommission im Allgemeinen Am 6. April 1954 trafen die Kommissionsmitglieder erstmals in den Räumen der Bonner Rosenburg zusammen. Unter der Leitung des Bundesjustizministers Fritz Neumayer, welcher die Teilnehmer mit „Liebenswürdigkeit und mit beeindruckendem Fingerspitzengefühl“1 durch die Besprechungen führte, wurde nun in 22 Arbeitstagungen, die insgesamt 143 Sitzungen umfassten, das neue Strafrecht entworfen. Als Tagungsdauer war inklusive eines An- und Abreisetages immer eine Woche bestimmt, sodass man sich in der Regel vier bis fünf Tage am Stück beriet.2 Zwischen den einzelnen Zusammenkünften lag hierbei üblicherweise ein Abstand von einem bis drei Monaten.3 Den Einstieg in jede Sitzung der Großen Strafrechtskommission bildete stets ein Referat, welches einer der Teilnehmer vor dem jeweiligen Termin ausarbeitete und dann im Plenum vortrug.4 Bei sehr wichtigen oder komplexen Themen legten anschließend noch eine oder zwei weitere Personen ihre Auffassung in Form eines Referats dar. Ansonsten folgte auf den ersten Vortrag bereits die eigentliche Diskussion in großer Runde, die nicht nur den Zeitraum einer Vor- und Nachmittagssitzung, sondern sogar von mehreren Tagen einnehmen konnte. Hierbei waren alle Anwesenden aufgefordert, ihre Meinung frei zu äußern; jedes Kommissionsmitglied sollte als „unabhängiger Sachverständiger“5 auftreten. War diese Debatte abgeschlossen, wurden in einer Unterkommission konkrete Gesetzesvorschläge oder 1 Dreher, in: BMJ (Hg.), Der Geist der Rosenburg, S. 15 (27). Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Ministeramt am 16. 10. 1956 führte Fritz Neumayer weiterhin den Vorsitz in der Kommission, s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 6, S. 14. 2 Strauß, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 16. 3 Nach den Planungen des BMJ sollte dieser Abstand eigentlich nur vier bis sechs Wochen betragen, s. Strauß, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 16. 4 Zur Arbeitsweise der Großen Strafrechtskommission s. die Sitzungsprotokolle in Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1 – 13. Eine kurze Zusammenfassung zur Arbeitsweise der Kommission liefern auch das Vorwort in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 5 sowie Rosenbaum, Die Arbeit der Großen Strafrechtskommission, S. 28 – 30; aus der Perspektive der Teilnehmer selbst Jescheck, in Hilgendorf (Hg.), Selbstdarstellungen, S. 169 (183). 5 Neumayer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 25.

I. Die Arbeitsweise der Kommission im Allgemeinen

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zumindest zusammenfassende Leitsätze formuliert.6 Gewöhnlich bestand eine solche Unterkommission aus ungefähr fünf Personen, deren Tätigkeit häufig erst nach dem Abendessen begann und oftmals bis spät in die Nachtstunden andauerte.7 Nach ihrer Fertigstellung gingen die Vorschläge der Unterkommission dann in die Gesamtkommission zurück. Dort wurden sie anschließend in namentlicher Abstimmung per Mehrheitsentscheid entweder verworfen oder als Kommissionsbeschlüsse angenommen.8 Auf diese Weise wurden zunächst die Fragen des Allgemeinen Teils abgehandelt. Die anschließenden Tagungen zum Besonderen Teil verliefen grundsätzlich genauso. Ein Unterschied bestand jedoch dahingehend, dass zu vielen Normen bereits vor der Debatte im Plenum in Unterkommissionen konkrete rechtliche Formulierungsvorschläge vorbereitet worden waren, die den Teilnehmern als Diskussionsgrundlage zur Verfügung standen.9 Nachdem auch diese Beratungen abgeschlossen waren, diskutierte die Expertenrunde in einer Sondersitzung am 17. Oktober 1958 über das Für und Wider der Todesstrafe.10 Ab der 115. Sitzung am 9. März 1959 befasste sie sich dann nochmals mit einigen Vorschriften in zweiter Lesung.11 Dieser zweite Durchgang diente dazu, den Kommissionsmitgliedern die Gelegenheit zu bieten, zu den bereits gefassten Beschlüssen sachliche Änderungswünsche vorzutragen, über welche sie dann erneut in großer Runde diskutierten und abstimmten.12 Begleitet wurden die Experten während dieser Arbeiten von zahlreichen Beamten des Bundesministeriums der Justiz. Neben dem Minister selbst sind hier vor allem der Staatssekretär Walter Strauß (1900 – 1976)13, der Ministerialdirektor und Leiter der Strafrechtsabteilung Josef Schafheutle (1904 – 1973)14 sowie der Ministerialrat und „Generalreferent für die Strafrechtsreform“15 Eduard Dreher (1907 – 1996)16 zu nennen. Wirft man einen kurzen Blick auf die Vergangenheit dieser Personen, so zeichnet sich ein ähnliches Bild ab wie bei zahlreichen Kommissionsmitgliedern: 6

Diese sind in den jeweiligen Bänden der Niederschriften der Strafrechtskommission im Anhang abgedruckt. 7 Dreher, in: BMJ (Hg.), Der Geist der Rosenburg, S. 15 (28). 8 Diese finden sich in den jeweiligen Bänden der Niederschriften der Strafrechtskommission im Anhang. 9 Die Vorschläge der Unterkommissionen zum Besonderen Teil sind abgedruckt in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, Anhang B, S. 263 – 325. 10 Zum Inhalt dieser Sitzung s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 11, S. 7 – 28. 11 S. hierzu Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 12 – 13. 12 Rosenbaum, Die Arbeit der Großen Strafrechtskommission, S. 30. Die Änderungsvorschläge selbst sind abgedruckt in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 12, Anhang A und Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 13, Anhang. 13 Biographisch zu Strauß BArch, Pers 101/48135/Personalakte/Strauß, Walter; Utz, Walter Strauß. 14 Biographisch zu Schafheutle Müller, Juristen, S. 231 f. 15 Lackner, in: NJW 1997, S. 36 (36). 16 Biographisch zu Dreher Lackner, in: NJW 1997, S. 36 (36).

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D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission

Überwiegend waren sie durch den Nationalsozialismus zumindest in irgendeiner Form vorbelastet.17 Eduard Dreher war als Staatsanwalt am Sondergericht für politische Strafsachen in Innsbruck tätig gewesen und am 1. Mai 1937 unter der Nr. 5343743 Mitglied der NSDAP geworden.18 Josef Schafheutle trat zwar nicht in Hitlers Partei ein, arbeitete aber im Reichsjustizministerium maßgeblich am Entwurf des politischen Sonderstrafrechts der Nationalsozialisten mit.19 Einzig Walter Strauß, welcher zwar protestantischen Glaubens, aber jüdischer Herkunft war, kann heute ohne weitere Einschränkung als unbelastet gelten.20 In den Beratungen der Großen Strafrechtskommission unterstützten diese und weitere, teils wechselnde Ministerialbeamte die Mitglieder nicht nur in organisatorischer Hinsicht, sondern nahmen auch inhaltlich rege am Geschehen teil. Zwar waren sie von den Abstimmungen über die Gesetzesvorschläge letztendlich ausgenommen, genau wie die Kommissionsmitglieder hielten sie aber Referate, beteiligten sich an den Diskussionen und wirkten in den Unterkommissionen mit. Auf diese Weise prägten die Beamten des Bundesjustizministeriums den Beratungsverlauf entscheidend. Insgesamt brachten sie es auf über 3.500 Wortmeldungen und verzeichneten damit in den Gesprächen der Expertenrunde bereits einen höheren Redeanteil als die Strafrechtsprofessoren. Hinzu kamen gut 400 ausführliche, referatsähnliche Stellungnahmen, die inhaltlich fast alle Bereiche des Strafrechts abdeckten, sowie 145 Leitsätze und konkrete Normierungsempfehlungen21 für das zukünftige Gesetzbuch. Schon deshalb kann das Bundesministerium der Justiz als Institution als ein zentraler juristischer Opinion-leader im Meinungsbildungsprozess der amtlichen Strafrechtskommission gelten. Sucht man hingegen nach einer Einzelperson, die den Beratungsprozess besonders dominiert hat, rückt der Bundesrichter Paulheinz Baldus in den Fokus.22 Er leistete von sämtlichen Mitgliedern sowohl zum Allgemeinen als auch zum Besonderen Teil des Kodifikationsentwurfs mit Abstand die meisten Diskussionsbeiträge, insgesamt über 800 an der Zahl. Damit wies er fast doppelt so viele Wortmeldungen auf wie die zweitaktivste Person in den Reihen der Praktiker, Else Koffka, und knapp 100 mehr als der engagierteste Theoretiker in der Kommission, Wilhelm Gallas. Zu den meisten anderen Professoren, beispielsweise Richard Lange oder Eberhard Schmidt, bestand sogar ein 17 Ausführlich zur NS-Vergangenheit des BMJ jetzt Görtemaker/Safferling (Hg.), Die Rosenburg. 18 BArch (ehem. BDC), Ortskartei der NSDAP/Dreher, Dr. Eduard, 23. 4. 1907; zur NSVergangenheit Drehers näher Rückert, in: Görtemaker/Safferling (Hg.), Die Rosenburg, S. 60 (79 – 83). 19 S. Rückert, in: Görtemaker/Safferling (Hg.), Die Rosenburg, S. 60 (67, Fn. 22). 20 Rückert, in: Görtemaker/Safferling (Hg.), Die Rosenburg, S. 60 (65). 21 S. hierzu auch das Verzeichnis der Leitsätze und Fassungsvorschläge der Sachbearbeiter des BMJ in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 14, S. 75 – 79 sowie im Einzelnen außerdem die kurze Tabelle im Anhang unter D. 22 Zur dominanten Rolle von Baldus s. auch Treiber, in: Kriechbaum (Hg.), Festschrift für Gagnér, S. 229 (240).

I. Die Arbeitsweise der Kommission im Allgemeinen

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ähnlicher Abstand wie zur Bundesrichterin Koffka. Im Allgemeinen war das Verhältnis zwischen dem Flügel der Strafrechtsprofessoren und den Vertretern der Rechtspraxis jedoch relativ ausgeglichen. Sie hielten fast dieselbe Anzahl an Referaten23 und unterbreiteten jeweils ähnlich viele Leitsätze beziehungsweise Normierungsvorschläge24 für die künftige Fassung des Strafgesetzbuchs. In den Debatten meldeten sich Theoretiker verstärkt bei dogmatisch-kategorial ausgerichteten Fragen des Allgemeinen Teils zu Wort; bei den Beratungen zu den einzelnen Tatbeständen des Besonderen Teils überwog hingegen der Redeanteil der Praktiker. Summa summarum kamen erstere dabei durchschnittlich auf etwa 24, letztere auf circa 27 Beiträge pro Sitzung. Ideen für das neue bundesdeutsche Strafrecht kamen mithin zu ungefähr gleichen Teilen aus der Rechtslehre und der Rechtspraxis. Der Wunsch des Justizministeriums, verschiedene Bereiche des Rechtslebens aktiv an der Totalreform des Strafrechts zu beteiligen,25 war also insoweit in Erfüllung gegangen. Der Plan, auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages verstärkt in die Reformarbeiten einzubinden,26 sollte hingegen weitgehend scheitern. Häufig blieben die Parlamentarier den Sitzungen der Kommission gänzlich fern, die regierende CDU/CSU-Fraktion zum Beispiel war gerade mal in 69 Sitzungen vertreten, das entsprach einer Quote von weniger als 50 Prozent27. Anders als die in die Große Strafrechtskommission berufenen Professoren und Praktiker zeigten sich die Akteure der politischen Parteien zudem in den Debatten der Expertenrunde im Allgemeinen eher wenig engagiert. Sie brachten sich weder mit Referaten noch mit Normierungsentwürfen28 in den Reformprozess ein. Und auch sonst übten sie sich meist in Zurückhaltung. Über die gesamte Beratungsdauer verteilt bestritten sie lediglich rund 250 Diskussionsbeiträge; das kam einem Durchschnittswert von weniger als zwei Wortmeldungen pro Sitzung gleich29. Interesse zeigten die Abgeordneten dabei vor allem an den Debatten zur sanktionsrechtlichen Ausrichtung des Gesetzentwurfs sowie an der Ausgestaltung der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte. Zu anderen strafrechtlichen Fragestellungen hatten sie dagegen kaum 23

Die Theoretiker hatten insgesamt 38, die Praktiker 36 Referate vorzuweisen, s. hierzu auch die Tabelle im Anhang unter D. 24 Auf Seiten der Theoretiker zählt man 75, auf Seiten der Praktiker 55 Leitsätze und Normierungsentwürfe, s. dazu das Verzeichnis der Leitsätze und Fassungsvorschläge der Referenten der Großen Strafrechtskommission in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 14, S. 69 – 74. 25 S. dazu BArch, B 141/17229, S. 15 (Besprechung im BMJ am 19. 12. 1953) und oben unter C. II. 26 S. hierzu BArch, B 141/17229, S. 55 (Schreiben des Bundesjustizministers Neumayer an die Landesjustizverwaltungen und die Vertretungen der Länder beim Bund vom 23. 1. 1954); BArch, B 141/17229, S. 16 (Vermerk des BMJ vom 21. 12. 1953); sowie oben unter C. II. 27 Zu dieser Feststellung hinsichtlich der Präsenz der CDU/CSU in der amtlichen Expertenkommission kommt auch bereits Barschel, Strafrechtspolitik, S. 69 f. 28 S. hierfür das Verzeichnis der Leitsätze und Fassungsvorschläge in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 14, S. 69 – 82. 29 Zum Vergleich: Die durchschnittliche Anzahl betrug bei den Theoretikern etwa 24, bei den Praktikern circa 27 und beim BMJ ungefähr 25 Wortmeldungen pro Sitzung.

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D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission

etwas beizutragen. Die Hauptideengeber für das Reformvorhaben blieben damit das Bundesministerium der Justiz sowie die von seiner Seite in die Große Strafrechtskommission berufenen Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft und der Rechtspraxis. Durch deren Input gewann der erste Entwurf für eine neue deutsche Strafrechtskodifikation über einen Tagungszeitraum von insgesamt knapp fünf Jahren mehr und mehr an Gestalt. Alle Personen, die an den Konferenzen der Expertenkommission beteiligt waren, beschrieben diese rückblickend als eine „mit Arbeit prall gefüllte Zeit“30, während derer aber auch jedes Mitglied in der „Hitzigkeit der Debatten […] wirklich lernen [konnte], was Strafrecht ist“31.

II. Kontroverse Einzelfragen Wie diese Diskussionen der Expertenrunde im Einzelnen verliefen, welche rechtlichen Positionen die Kommissionsmitglieder einnahmen, welcher Argumente sie sich bedienten und wie das Bundesministerium der Justiz auf die Beratungen einwirkte, lässt sich exemplarisch anhand der Debatten über fünf besonders stark umstrittene Fragen zeigen.

1. Die Debatte über den Sinn und Zweck von Strafe Um ein solches besonders kontroverses Thema ging es bereits in der zweiten Sitzung der Großen Strafrechtskommission am 29. Juni 1954: Sollte sich das zukünftige Strafgesetzbuch zu bestimmten Strafzwecken bekennen und welche Auswirkungen würden sich daraus ergeben, insbesondere für die Strafzumessung?32 Die Debatte hierüber bestimmten vor allem die Professoren Edmund Mezger und Eberhard Schmidt, die auch die Einstiegsreferate zu dieser Frage hielten. Letzterer nahm dabei einen sehr modernen Standpunkt ein, der klar von den bisherigen Vorstellungen eines primär am Vergeltungsgedanken orientierten Strafrechts abwich.33 30 Dreher, in: BMJ (Hg.), Der Geist der Rosenburg, S. 15 (27). Sehr ähnlich aus dem Blickwinkel der Kommissionsmitglieder selbst Jescheck, in: Hilgendorf (Hg.), Selbstdarstellungen, S. 169 (183). 31 Dreher, in: BMJ (Hg.), Der Geist der Rosenburg, S. 15 (27). 32 Zu dieser Debatte s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 27 – 48; eine knappe Zusammenfassung der Diskussion liefert der Bericht von Dreher, in: ZStW 66 (1954), S. 568 (568 – 572). Zur allgemeinen wissenschaftlichen Diskussion um die Strafzwecke in den fünfziger Jahren Kubink, Strafen und ihre Alternativen, S. 324 – 382. 33 Zu der geschichtlichen Entwicklung und den philosophischen Hintergründen der Straftheorien s. im Überblick MüKo-StGB/Joecks, Einl., Rn. 47 – 76; Maurach/Zipf, AT I, § 6; ausführlich Frommel, Präventionsmodelle, S. 42 – 114; Lesch, in: JA 1994, S. 510 (510 – 519: Teil 1) und 590 (590 – 599: Teil 2).

II. Kontroverse Einzelfragen

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Als Basis für das neue Gesetzbuch plädierte Eberhard Schmidt für ein Strafrechtsverständnis, das sein Augenmerk hauptsächlich auf die Spezialprävention richten sollte.34 Sein Vorschlag zur gesetzlichen Normierung der Strafzumessung lautete deshalb: „Bei der Bemessung der Strafe hat das Gericht zu erwägen, welche Mittel geeignet sind, um den Verurteilten zu einem gesetzmäßigen und geordneten Leben zu führen.“35 Mit einem solchen Bekenntnis hätte sich eine neue, rein von relativen Strafzwecken bestimmte Kodifikation in der Tat deutlich von den Grundgedanken des alten Reichsstrafgesetzbuchs absetzen und neue Wege beschreiten können. Ein absolutes Novum war diese Idee rechtshistorisch betrachtet aber auch nicht. Wenn Eberhard Schmidt „die sozialen Probleme im Auge haben [möchte], um die es beim staatlichen Strafen geht“36, stand er vielmehr ganz im Zeichen der von seinem akademischen Lehrer, Franz von Liszt, begründeten soziologischen Schule. Dass diese Auffassung gerade für die Erneuerung des Strafrechts nach dem politischen Neubeginn 1945 mehr Geltung denn je beanspruchen könne, begründete er damit, dass der Vergeltungsgedanke des Öfteren zu ungerechten Bestrafungen geführt habe und außerdem mit ihm „während des nationalsozialistischen Reiches […] grober Missbrauch getrieben wurde“37. Sein Gegenspieler wiederum verfocht eine eher traditionelle Position. Edmund Mezger wollte vom Schuldprinzip ausgehend dem neuen Strafgesetzbuch in erster Linie Sühne und Vergeltung als Strafzwecke zugrunde legen und die General- und Spezialprävention nur nachrangig anerkennen.38 Als gesetzliche Formulierung empfahl er dementsprechend: „Die Strafe soll in gerechter Weise der Schuld des Täters entsprechen. Auf dieser Grundlage dient sie der Verhütung von Straftaten, der Sicherung der Allgemeinheit vor gefährlichen Verbrechern und der Eingliederung des straffällig Gewordenen in die Gemeinschaft.“39 Mit diesem additiven Strafbegriff wollte der Verfasser nach eigener Aussage in Anlehnung an Art. 63 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs vom 21. Dezember 193740 das Trennende der verschie34

Schmidt, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 35 f.; so auch schon Schmidt in seinem Lehrbuch, S. 16 – 27 sowie in seinem Gutachten, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1, S. 9 (15 – 20). 35 Schmidt, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1, S. 9 (26). 36 Schmidt, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 35. Zur Fortwirkung der lisztschen Auffassungen in der weiteren Entwicklung des deutschen Strafrechts Stäcker, Die Franz von Liszt-Schule. 37 Schmidt, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 36. 38 Mezger, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 32 f. und 43; so auch schon Mezger in seinem Lehrbuch, S. 503 sowie in seinem Gutachten, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1, S. 1 (3). 39 Mezger, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1, S. 1 (7); genauso Mezger, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, Anhang B Nr. 4, S. 341. 40 Dieser lautet: „Der Richter misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu; er berücksichtigt die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen.“ Zur Anwendung und Auslegung dieser Norm s. Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Art. 63 Rn. 8.

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D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission

denen Straftheorien überwinden und stattdessen das Gemeinsame betonen.41 In der Tat erinnert der Wortlaut dieser Formel bereits sehr an die auch heute noch herrschende Vereinigungslehre.42 So formuliert beispielsweise das Bundesverfassungsgericht recht ähnlich wie Mezger, wenn es „Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung des Täters, Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht“43 als Kernpunkte einer verfassungsgemäßen Strafe ansieht. Dass Mezgers kombinatorischer Ansatz dennoch nicht so zukunftsorientiert war, wie es vielleicht auf den ersten Blick scheint, sondern rückwärtsgewandt war, zeigte dann aber in aller Deutlichkeit die Begründung, welche er für seinen Standpunkt wählte: Der Vorrang der Vergeltungsidee folge schon aus dem Prinzip der Bewährung der Rechtsordnung im Sinne der Hegelschen Lehre von der „Negation der Negation“.44 Damit griff Edmund Mezger auf Strafrechtsvorstellungen zurück, die bereits im vorigen Jahrhundert durch die Philosophie des deutschen Idealismus fundiert und damals in der Rechtslehre sowie in der Praxis des Reichsgerichts oft vertreten worden waren.45 Das räumte sogar der Referent selbst ein, indem er in Bezug auf seinen Entwurf klarstellte: „Dieser Vorschlag beschränkt sich, ohne viel Neues bieten zu wollen, auf die Gesichtspunkte, die im Laufe der Zeit […] hervorgetreten sind.“46 Wenig zeitgemäß war zudem auch das zweite Argument Mezgers, der Primat des Vergeltungsgedankens folge aus einer „Lebensführungsschuld“ des Täters.47 Nicht nur, dass dieser Begriff in den fünfziger Jahren stark in die Kritik geraten war,48 er war vielmehr bereits im Jahr 1938 von Mezger selbst im Zwielicht des Nationalsozialismus entwickelt worden49. Obgleich Edmund Mezger damit an dieser Stelle die aus heutiger Sicht gebotene kritische Reflexion eines Rechtsbegriffs vermissen ließ, welcher im Schatten der NS-Zeit entstanden war, wusste er dennoch genau wie sein Kontrahent das Negativbeispiel des nationalsozialistischen Unrechtssystems geschickt für die Untermauerung seiner Position zu nutzen, indem er behauptete: „Mit der reinen 41

Mezger, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1, S. 1 (6). Die Vereinigungslehre ist sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung gegenwärtig vorherherrschend. Siehe für die Literatur MüKo-StGB/Joecks, Einl., Rn. 70 – 76; LK-StGB/Weigend, Einl., Rn. 59 f.; Roxin, in: JuS 1966, S. 377 (381 – 387); für die Rechtsprechung s. BGHSt 7, 28 (32); BGHSt 20, 264 (266 f.); BGHSt 24, 40 (42). 43 BVerfGE 45, 187 (253 f.); ähnlich bereits BVerfGE 28, 264 (278) und BVerfGE 32, 98 (109). 44 Mezger, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 32. Zur Straftheorie Hegels ausführlich Klesczewski, Die Rolle der Strafe in Hegels Theorie. 45 Als Beispiel aus der Lehre, s. Meyer/Allfeld, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 11 f.; aus der Rechtsprechung s. RGSt 58, 106 (109). 46 Mezger, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 34. 47 Mezger, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 31. 48 Als Beispiele für die Kritik an dem Begriff einer „Lebensführungsschuld“ s. aus den fünfziger Jahren Heinitz, in: ZStW 63 (1951), S. 57 (76); zu Dohna, in: ZStW 66 (1954), S. 505 (506 – 514). In der heutigen Strafrechtslehre wird der Gedanke einer „Lebensführungsschuld“ einhellig ablehnt, s. statt aller Kaufmann, Schuldprinzip, S. 189 f. 49 Mezger, in: ZStW 57 (1938), S. 675 (688). 42

II. Kontroverse Einzelfragen

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Zweckstrafe kommen wir zum totalitären Strafrecht. […] Mag sie nun Ausdruck finden in dem Wort ,Recht ist, was dem Volke nützt‘ oder mag sie Ausdruck finden in einer einseitigen Spezialprävention.“50 Mit dieser ausführlichen und wortgewaltigen Argumentation konnte Edmund Mezger die Mehrheit der Anwesenden von seinem Standpunkt einer vergeltenden Vereinigungstheorie relativ schnell überzeugen. Als erster Diskussionsteilnehmer meldete sich dabei der Älteste in der Runde, Emil Niethammer, zu Wort und machte sofort deutlich, dass seiner Meinung nach gegen die Fassung, die Mezger vorgeschlagen hatte, nichts Wesentliches einzuwenden sei.51 Sehr ähnlich klangen dann auch die hierauf folgenden Stellungnahmen der meisten anderen Kommissionsmitglieder, wie zum Beispiel die von Hans Dahs,52 Wilhelm Gallas53 oder Paulheinz Baldus, der nochmal betonte, er trete dem Vorschlag Mezgers ohne Einschränkung bei, weil „es sich bei der Prävention nicht so sehr um ein Ziel der Strafe handelt, sondern um eine automatisch mit Sühne und Vergeltung verbundene Folge“54. Weitere Unterstützung kam zudem von Seiten der Politik. Hans-Joachim von Merkatz und Herbert Krille sprachen sich ebenfalls für eine vergeltende Vereinigungstheorie aus.55 Dies begründeten sie jedoch nicht philosophisch-rechtstheoretisch, sondern mit einem Blick auf das politische Tagesgeschehen: Um sich vom Strafrecht der kommunistischen Ostblockstaaten abzugrenzen, war es nach von Merkatz auch die Aufgabe der Kommission, „hier einen klaren Standpunkt zu beziehen im Sinne des freiheitlichen Strafrechts. […] Der Begriff der Sühne kann [hierbei] nicht draußen gelassen werden“56. Fast genauso formulierte es Herbert Krille: „Ich halte es auch für eine pädagogische Aufgabe des Strafrechts, daß es eindeutig zum Ausdruck bringt, daß die abendländische Kultur weiter Bestand hat. Zur abendländischen Kultur gehören allerdings Begriffe wie Schuld und Sühne.“57 Während Edmund Mezger somit Zuspruch aus allen in dem Expertenkreis vertretenen Interessengruppen erhielt, stand sein Gegenspieler Eberhard Schmidt weitgehend auf verlorenem Posten. Für seine Position ergriff kaum jemand Partei. Lediglich Reinhold Rehs, welcher den Sühne- und Vergeltungsgedanken ebenfalls für nicht mehr zeitgemäß hielt, pflichtete Eberhard Schmidt bei.58 Dass die Diskussion trotzdem noch nicht beendet war, lag unter anderem an den beiden Oberlandesgerichtspräsidenten Alfred Resch und Curt Staff, die auf eine schriftliche 50

Mezger, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 33. Niethammer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 35. 52 Dahs, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 39. 53 Gallas, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 41. 54 Baldus, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 38. 55 von Merkatz, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 38 f.; Krille, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 40. 56 von Merkatz, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 39. 57 Krille, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 40. 58 Rehs, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 42. 51

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D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission

Niederlegung der Strafzwecke in der neuen Kodifikation gänzlich verzichten wollten.59 Ersterer meinte, dass es unzweckmäßig sei, die Strafzwecke im Gesetz festzulegen,60 letzterer wollte sogar „dringend davor warnen, in einem Strafgesetzbuch zum Ausdruck zu bringen, welchen Zweck die Strafe verfolgt“61. Der Grund für diese Auffassung ist sehr schnell gefunden: Aus Sicht der Rechtspraxis stand zu befürchten, dass sich bei einer gesetzlichen Normierung der Strafzwecke Revisionen häufen würden, die sich auf eine fehlerhafte richterliche Anwendung dieser Strafzwecke berufen.62 Deshalb stand für Alfred Resch als Vertreter der Interessen der Richterschaft fest: „Je weniger wir schreiben, desto besser wird es wohl sein.“63 Hiergegen erhob sich jedoch sofort Widerspruch, vor allem seitens der Rechtsanwaltschaft und der Politik. So hielt es beispielsweise Hans Dahs aus der Sicht eines Strafverteidigers für „dringend notwendig, die Strafzwecke in das Gesetz aufzunehmen“, denn „es erscheint notwendig, dem Richter feste Richtlinien an die Hand zu geben“64. Und auch rechtspolitisch, wiederum um sich von einem totalitären Strafrecht abzugrenzen, war man der Meinung, dass es „höchst unzweckmäßig [wäre], wenn man dieser Frage dadurch auswiche, daß man überhaupt nichts sagte“65. Weil Alfred Resch und Curt Staff diesen Argumenten nichts mehr entgegensetzten, wurde anschließend weiter über die Normierungsvorschläge der Professoren Schmidt und Mezger diskutiert. Das Justizministerium, dessen 15 Vertreter sich bisher noch gar nicht an der Debatte beteiligt hatten, war jedoch nicht mehr gewillt, erneut in einen längeren Grundsatzstreit einzutreten, und wollte die Diskussion baldigst beenden. Eduard Dreher griff deshalb lenkend in das Geschehen ein und fragte, ob man nicht versuchen könne, „zu konkreten Ergebnissen zu kommen“66. Suggestiv fragte der Ministerialrat die Kommission sogleich weiter, „ob sie den von Herrn Professor Dr. Mezger entwickelten mehrdimensionalen Strafbegriff gutheißen will“67. Obwohl sich aus der amtlichen Expertenrunde durchaus Widerstand gegen 59

Resch, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 36; Staff, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 37. 60 Resch, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 36. 61 Staff, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 37. 62 Resch, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 36; genauso Staff, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 37. Gem. § 337 StPO wird eine Revision darauf gestützt, dass das ergangene gerichtliche Urteil auf einer Gesetzesverletzung beruht, s. dazu Meyer-Goßner/Cierniak, StPO § 337 Rn. 2 – 40. Wenn also die Strafzwecke gesetzlich normiert worden wären, wäre bei einer fehlerhaften Normanwendung immer ein Revisionsgrund gegeben gewesen. Dies hätte in der Folge zu einer erheblichen Mehrbelastung der Revisionsgerichte führen können. 63 Resch, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 36. 64 Dahs, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 39. 65 Rehs, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 42; in diesem Sinne auch von Merkatz, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 38. 66 Dreher, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 41. 67 Dreher, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 41.

II. Kontroverse Einzelfragen

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einen schnellen Abschluss der Debatte regte,68 verfehlte das Einschreiten Drehers seinen Zweck dennoch nicht – nach lediglich drei weiteren Wortbeiträgen fand die intensiv geführte Diskussion ihren Abschluss. Der anschließend in einer Unterkommission ausgearbeitete Leitsatz zu den Strafzwecken ähnelte dann stark dem Vorschlag Edmund Mezgers: „Die Strafe soll in gerechter Weise der Schuld des Täters entsprechen. In diesem Rahmen dient sie dazu, den Täter in die Gemeinschaft wieder einzugliedern, Straftaten zu verhüten und die Allgemeinheit vor gefährlichen Tätern zu schützen.“69 Dieser Fassung stimmte anschließend auch die Vollkommission zu. Angesichts der breiten Unterstützung für Mezgers Auffassung schon während der Diskussion ist dies zwar wenig verwunderlich, erstaunlich ist aber, dass dieser Beschluss trotz der sehr kontroversen Debatte einstimmig gefasst wurde. Selbst Eberhard Schmidt vermochte sich der Mehrheit anzuschließen. Mit diesem kompromisshaften Bekenntnis zu einer vergeltenden Vereinigungslehre bewegte sich die Große Strafrechtskommission ganz auf der Linie der damals herrschenden Meinung.70 Unmittelbar Gesetzestext wurde es dennoch nicht. Der Grund hierfür waren die bereits von Alfred Resch und Curt Staff vorgetragenen Bedenken im Revisionsrecht.71 Die vergeltende Vereinigungstheorie blieb dem Kodifikationsentwurf aber sehr wohl als Leitgedanke erhalten.72

2. Die Debatte über die Vorschriften zu Täterschaft und Teilnahme Doch kaum war mit dieser Entscheidung die Auseinandersetzung über den Zweck der Strafe beendet, so bahnte sich nur kurze Zeit später in der sechzehnten Sitzung der Großen Strafrechtskommission am 3. Februar 1955 bereits das nächste intensive Wortgefecht an, diesmal über ein seit jeher besonders lebhaft umstrittenes Thema des Allgemeinen Teils: Täterschaft und Teilnahme.73 Während dieser Arbeitstagung wurde zum einen energisch um diverse kleinere juristische Detailprobleme gestritten. So überlegten die Kommissionsmitglieder zum Beispiel, ob es aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zweckmäßig wäre, eine genaue Definition des Begriffs des mittelbaren Täters aufzunehmen, oder 68

S. z. B. Rehs, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 42. Abgedruckt in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, Anhang B Nr. 5, S. 342. 70 Für die damalige Literatur s. Fuhrmann/Schäfer, § 27b Rn. 6; Dreher/Maassen, vor § 13 Rn. 1 und § 27b Rn. 4; Kohlrausch/Lange, vor § 13, III.; für die Rechtsprechung BGHSt 1, 67 (70); BGHSt 3, 179 (179); BGHSt 10, 259 (265). 71 S. Begr. zum E 1962, BT-Drucks. IV/650, S. 96. 72 S. die Nachweise bei Kosloh, Das Sechste Strafrechtsreformgesetz, S. 18 f. 73 Zu dieser Debatte s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 65 – 101; eine knappe Zusammenfassung der Diskussion liefert der Bericht von Dreher, in: ZStW 67 (1955), S. 428 (446 – 457). 69

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D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission

ob dies in einem Gesetzbuch nicht angebracht sei, weil es sich dabei der Sache nach eigentlich um einen Gegenstand handle, der eher in ein Lehrbuch gehöre.74 Darüber hinaus ging es aber auch um eine ganz grundsätzliche Entscheidung. Die heute selbstverständlich erscheinende Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme, welche ihre Anfänge im römischen Recht nahm, im Mittelalter und der frühen Neuzeit wissenschaftlich weiterentwickelt wurde und schließlich in Form der heute bekannten Dreiteilung von Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe aus dem französischen Code pénal über das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 in das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 gelangte,75 wurde von mehreren Seiten in der Kommission kritisch hinterfragt. Am weitesten wagte sich diesbezüglich der nordrhein-westfälische Ministerialdirigent Herbert Krille vor, der auf diese „terminologischen Überkommenheiten“76 gänzlich verzichten wollte. Aber auch der Oberlandesgerichtsrat Dr. Georg Schwalm aus dem Bonner Bundesjustizministerium überlegte, „ob der Gesetzgeber nicht genötigt ist, […] sich vielleicht überhaupt grundsätzlich auf einen anderen Standpunkt zu stellen“77. Als radikales Gegenmodell brachten sie deshalb das sogenannte Einheitstätersystem ins Spiel. Bei diesem wird in seiner reinen Form auf eine Unterscheidung der Beteiligungsformen vollständig verzichtet, sodass jeder, der einen kausalen Beitrag zur Erfolgsherbeiführung geleistet hat, als Täter anzusehen ist.78 Rechtshistorisch betrachtet geht diese Idee auf Vorstellungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung um den Strafrechtsdenker Franz von Liszt zurück, der bereits im Jahr 1895 der Meinung gewesen war: „Die ganze Unterscheidung zwischen Thäterschaft, Beihilfe und Anstiftung kann, muss wegfallen.“79 In der Folgezeit hatte der Gedanke des Einheitstäters in der rechtswissenschaftlichen Literatur zwar mehrfach Anhänger gefunden,80 konnte sich 74 Baldus, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 120; zur Debatte hierüber in zweiter Lesung s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 12, S. 138 – 148. 75 Zur geschichtlichen Entwicklung der Beteiligungsformen s. im Überblick Maiwald, in: Kaufmann/Bemmann/Krauss/Volk (Hg.), Festschrift für Bockelmann, S. 343 (344 – 351); LKStGB/Schünemann, vor § 25 Rn. 1 – 4; ausführlich Maiwald, in: Hoyer/Müller/Pawlik/Wolter (Hg.), Festschrift für Schroeder, S. 283 (283 – 296); Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, S. 46 – 95; speziell zu den römischrechtlichen Ursprüngen näher Bock, Römischrechtliche Ausgangspunkte der strafrechtlichen Beteiligungslehre. 76 Krille, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 98. 77 Schwalm, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 90. 78 Näher zum Einheitstäterbegriff und seinen Erscheinungsformen Kienapfel, Einheitstäter, S. 25 – 37; Rotsch, Einheitstäterschaft, S. 131 – 150; Detzer, Einheitstäterlösung, S. 63 – 87. 79 von Liszt, in: Mitteilungen der IKV, Bd. 5, S. 513 (515); sehr ähnlich außerdem Högel, in: Mitteilungen der IKV, Bd. 5, S. 513 (517); Lentner, in: Mitteilungen der IKV, Bd. 5, S. 513 (521). Zur Geschichte sowie zur weiteren Entwicklung des Einheitstäterbegriffs s. die Ausführungen bei Kienapfel, Einheitstäter, S. 9 – 20; sehr ausführlich Rotsch, Einheitstäterschaft, S. 11 – 130. 80 So beispielsweise Hagerup, in: ZStW 29 (1909), S. 614 (634 – 636); Träger, in: JW 1922, S. 976 (978); Kitzinger, in: JW 1922, S. 979 (979). Aber auch NS-Rechtsdenker hingen diesem Gedanken nach und versuchten ihn für das nationalsozialistische „Willensstrafrecht“ fruchtbar zu machen, so beispielsweise Schmitt, Rechtswissenschaftliches Denken, S. 60.

II. Kontroverse Einzelfragen

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aber im Ergebnis nie durchsetzen81. Nun sollte er also im neuen Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland wieder zum Leben erweckt werden. Begründet wurde dieser Ansatz im Kreis der Großen Strafrechtskommission zunächst mit einem pragmatischen Argument: „Nachdem es bisher nicht gelungen ist, die liebgewordenen Institutionen der Anstiftung und Beihilfe wirklich brauchbar von der Täterschaft abzugrenzen, muß man sich wirklich fragen, ob diese Institutionen […] zu unterscheiden noch einen Wert hat.“82 Anders ausgedrückt: Man beabsichtigte, sich der oft schwierigen Abgrenzungsprobleme zwischen Täterschaft und Teilnahme im strafrechtlichen Alltag zu entledigen. Zugleich lässt sich aus dieser praxisorientierten Argumentation aber auch Kritik an der bisher in der Rechtsprechung allgemein üblichen Abgrenzung anhand subjektiver Kriterien83 und darüber hinaus sogar ein gewisses Maß an Resignation heraushören. Diese kritische Einstellung zur bisherigen Rechtslage wird umso deutlicher in einem weiteren Wortbeitrag von Herbert Krille, in welchem er entmutigt feststellte: „Die subjektive Theorie führt […] in vielen Fällen zu keiner befriedigenden Abgrenzung. Da ich fürchte, daß man niemals ein geeignetes Kriterium finden wird, glaube ich, man sollte überhaupt auf eine begriffliche Aufteilung verzichten.“84 Unterstützung für ihre Position erfuhren Schwalm und Krille einerseits von den in der Sitzung selbst nicht anwesenden Reinhold Rehs und Hans Dahs,85 andererseits durch die an der Debatte unmittelbar Beteiligten Eberhard Schmidt und Curt Ferdinand Freiherr von Stackelberg. Aus der Sicht des Strafverteidigers hielt letzterer das Prinzip des Einheitstäters für „ehrlicher“86, weil nach der bisherigen Rechtsauffassung Täter und Teilnehmer nahezu aus demselben Strafrahmen zu bestrafen waren87 und daher die in den Urteilen ausgesprochenen Strafen de facto einer Bestrafung nach dem Einheitstätersystem gleichkämen.88 Deshalb sei es für ihn ein 81

Rotsch, Einheitstäterschaft, S. 129; Kienapfel, Einheitstäter, S. 17. Schwalm, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 90. 83 Schon das Reichsgericht grenzte Täterschaft und Teilnahme subjektiv über den Willen zur Tat ab: Wer die Tat als eigene will (animus auctoris) ist Täter, wer die Tat als fremde will (animus socii) ist Teilnehmer, s. hierzu RGSt 2, 160 (163); RGSt 3, 181 (183); RGSt 39, 193 (196). Diese Rechtsprechung setzte sich zunächst auch beim BGH fort, s. BGHSt 2, 150 (156); BGHSt 8, 70 (73); BGHSt 18, 87 (89 f.). Danach verwendete der BGH jedoch zunehmend eine kombinierte Abgrenzungsformel mit subjektiven und objektiven Elementen, s. BGHSt 19, 135 (139 f.); BGHSt 27, 205 (206); BGHSt 40, 257 (267). 84 Krille, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 99. Ein brauchbares Abgrenzungskriterium lieferte im Grunde erst Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, mit dem Tatherrschaftsbegriff. 85 Beide hatten Curt Ferdinand Freiherr von Stackelberg damit beauftragt, ihre Auffassung in der Sitzung bekannt zu geben, s. Freiherr von Stackelberg, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 100. 86 Freiherr von Stackelberg, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 100. 87 S. dazu § 48 Abs. 2 u. § 49 Abs. 2 StGB i. d. F. v. 25. 8. 1953, BGBl. 1953 I, Nr. 55, S. 1083 (1090). 88 Freiherr von Stackelberg, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 100. 82

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D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission

„Fortschritt, wenn man Umwege der Konstruktion ausschalten kann, die für das Ergebnis gar nicht von Bedeutung sind“89. Diese sehr lebensnahe Begründung teilte auch Eberhard Schmidt.90 Jedoch wollte er „keine reine Einheitstätertheorie“ vertreten, sondern nur Täterschaft und Anstiftung zusammenfassen und die Beihilfe weiterhin gesondert behandeln.91 Trotz dieser Modifikation wird damit auch an dieser Stelle deutlich, dass Eberhard Schmidt bestrebt war, auf der Basis des Gedankenguts seines Mentors, Franz von Liszt, dem künftigen Gesetzbuch ein neues Gesicht zu geben, das sich klar von herkömmlich-traditionellen Rechtsvorstellungen unterschied. Aber die Vision einer völligen Neugestaltung der Beteiligungsvorschriften hatte im Kreis der Großen Strafrechtskommission einen schweren Stand. Nicht nur, dass es an einer fundierten, wissenschaftlichen Ausarbeitung für die Einheitstäterlösung in Form eines Einstiegsreferats fehlte, sondern es waren mit Wilhelm Gallas und Karl Schäfer zwei ihrer vehementesten Gegner mit der Erstattung der Referate beauftragt worden. Diese stellten während ihrer Vorträge und im weiteren Verlauf der Debatte in ebenso rhetorisch geschickten wie wortgewaltigen Ausführungen unmissverständlich klar, dass ihrer Auffassung zufolge „ein entscheidender kriminalpolitischer Anlaß zu einer durchgreifenden Reform der heute geltenden Teilnahmeregelung nicht besteht“92. Zwar ging beispielsweise Gallas bei seiner Stellungnahme zunächst rhetorisch-taktisch gekonnt auf seine Gegenspieler ein, indem er eine Systemvereinfachung durchaus als einen praktischen Vorzug der Einheitstäterlösung anerkennen wollte, jedoch wurde diesem Gesichtspunkt noch im selben Atemzug entgegengehalten, dass damit in der Folge auch eine außerordentliche Ausdehnung der Strafbarkeit eintreten würde, zu der man sich im Ergebnis kaum werde entschließen können.93 Neben diesem kriminalpolitischen Argument führte Gallas zudem zwei gängige, althergebrachte Bedenken gegen den Einheitstäterbegriff ins Feld: Erstens sei ein rein kausaler Täterbegriff ein Produkt des überholten naturalistischen Strafrechtsdenkens, zweitens würde dieser bei den eigenhändigen und Sonderdelikten versagen.94 Obwohl es sich hierbei um allgemein bekannte Standardargumente handelte,95 die in der Sache nicht wirklich etwas Neues brachten, konnten die Referenten unter den Anwesenden eine Mehrheit für ihre Position gewinnen. Viele Kommissionmitglieder 89

Freiherr von Stackelberg, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 100. Schmidt, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 94. 91 Schmidt, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 94 f. 92 Schäfer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 75; ähnlich auch Gallas, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 67. 93 Gallas, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 68. 94 Gallas, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 68. 95 So auch die treffliche Einschätzung von Rotsch, Einheitstäterschaft, S. 106. Näher zu diesen Einwänden gegen die Einheitstäterlösung und mit kritischer Auseinandersetzung zu ihnen Detzer, Einheitstäterlösung, S. 131 – 159. 90

II. Kontroverse Einzelfragen

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schlossen sich ihrer Meinung an.96 Wenngleich damit eigentlich schon eine Vorentscheidung zugunsten eines differenzierten Beteiligungsformensystems gefallen war, versuchte man dennoch, weitere Argumente für dessen Beibehaltung zu finden. Erstaunlich häufig wurde dabei auf eine konturlose, gefühlsorientierte Rechtfertigung zurückgegriffen, welche ihre Wurzeln in der NS-Zeit hatte, die „Volksüberzeugung“. So meinte Wilhelm Gallas etwa: „Ich [glaube] kaum, daß der Verzicht auf die besonderen Teilnahmeformen volkstümlich wäre.“97 Auch Karl Schäfer war der Auffassung, „daß es sich bei der Abhebung von Anstiftung und Beihilfe gegenüber der Täterschaft um die Anerkennung von Lebensvorgängen handel[t], mit denen die Anschauung des Volkes vertraut [ist] und über die sich der Gesetzgeber nicht hinwegsetzen [kann]“98. Gerade diese Worte Schäfers erinnern stark an die Argumentationsweise, die schon während der nationalsozialistischen Reformbestrebungen für die Ablehnung des Einheitstätersystems herangezogen worden war.99 Dieses unmittelbaren Rückgriffs auf einen Gedankengang aus der NS-Zeit war man sich zwar durchaus bewusst,100 dennoch wurde er in keiner Weise kritisch hinterfragt. Neben Karl Schäfer bezogen sich in diesem Zusammenhang außerdem Hans-Heinrich Jescheck, Josef Schafheutle sowie Edmund Mezger ohne jede kritische Reflexion auf Strafvorstellungen und Formulierungen aus dem Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 1936, die sie sogar teilweise unverändert in das neue Gesetz übernehmen wollten.101 Damit wird erkennbar, dass die Tagungsteilnehmer zumindest an diesem Punkt die bei der Erstellung einer neuen, rechtsstaatlichen Strafrechtskodifikation unbedingt gebotene Sensibilität hinsichtlich der nationalsozialistischen Vergangenheit vermissen ließen. Trotz ihrer nicht uneingeschränkt überzeugenden Argumentation konnten die Befürworter eines differenzierenden Beteiligungsformensystems auf einen wichtigen Beistand für ihre Ansicht zählen: das Bundesministerium der Justiz. Anders als noch bei der Debatte um die Strafzwecke brachten sich dessen leitende Beamte diesmal sehr stark mit Stellungnahmen und Vorschlägen in die fachliche Diskussion ein. Hierbei waren sie mit Ausnahme von Georg Schwalm geschlossen der Meinung,

96 S. die Stellungnahmen von Baldus, in: Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 94; Bockelmann, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 95; Lange, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 96; Mezger, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 97; Jescheck, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 98; Welzel, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 99; Skott, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 99. 97 Gallas, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 69. 98 S. Schäfer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 75. 99 S. Begr. zum E 1936, S. 11 f., abgedruckt bei Regge/Schubert (Hg.), Quellen Abt. II, Bd. 1.2. 100 Schäfer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 75. 101 S. Jescheck, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 98; Schafheutle, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 100 f.; Mezger, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 122.

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D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission

dass die Einheitstäterlösung für die neue Kodifikation nicht in Frage komme.102 Sie begründeten diese Haltung mit einem rechtsstaatlichen Argument, das zugleich ein rechtspolitisches war: Beim Einheitstätersystem müsse man „dem Richter ein größeres Ermessen einräum[en], als es ihm heute zusteht“103, um theoretische Schwierigkeiten im Bereich der Sonder- und eigenhändigen Delikte zu umgehen. Eine solche Machtfülle des Strafrichters könne man aber „nicht verantworten“104. Darüber hinaus verrichteten die Ministerialbeamten für die Anhänger des differenzierten Beteiligungssystems zentrale Vorarbeiten, denn sie legten einen bereits vollständig ausformulierten Gesetzesvorschlag vor.105 Mit diesem gaben sie nicht nur für die Entscheidungsfindung in der Kommission die Richtung vor, sondern lieferten zugleich ein Vorbild für das heutige Strafrecht. Dessen Fassung der Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe in den §§ 25 – 30 StGB entspricht in der Sache und im Wortlaut ganz überwiegend ihrem Entwurf.106 Aber nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in organisatorisch-lenkender Hinsicht übernahm das Bundesministerium der Justiz bei dieser Debatte eine führende Rolle. Ähnlich wie schon bei der Diskussion über die Strafzwecke wurde durch ein gezieltes Eingreifen des Ministeriums der allgemeine Meinungsaustausch beendet und eine Unterkommission eingesetzt.107 Auf deren Wunsch erstellten dann die Ministerialbeamten zwei Gesetzvorschläge: Erstens eine leicht überarbeitete Fassung ihres eigenen Entwurfs, zweitens eine Variante auf der Grundlage des Einheitstätersystems.108 Als diese Konzepte in der Gesamtkommission vorgestellt wurden, kam es sodann zu heftiger Entrüstung, weil sich die Vertreter der Einheitstäterlösung benachteiligt fühlten. Herbert Krille warf den Beamten der Strafrechtsabteilung bei der Gestaltung des hierzu unterbreiteten Vorschlags mangelndes Bemühen und Parteilichkeit vor; er war der Meinung, dass der Einheitstäter „eine etwas lieblose Behandlung“109 erfahren habe. Vergleichbar fiel auch das Urteil seines Kollegen Eberhard Schmidt aus, welcher meinte, dass die vorgeschlagene Lösung für das Einheitstätersystem „in der Tat nicht praktikabel“110 wäre. Deshalb stellten beide einen selbst ausgearbeiteten Gegenentwurf vor. Eine erneute Diskussion hierüber ließ der Bundesjustizminister jedoch gar nicht erst zu, sondern stellte abschließend 102 Das ergibt sich im Umkehrschluss aus den Äußerungen Schwalms, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 88 – 93; als Beispiel für die Position der Mehrheit der Beamten des BMJ s. Schafheutle, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 100. 103 Schwalm, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 116. 104 Schwalm, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 116. 105 Dieser ist abgedruckt in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, Anhang Nr. 16, S. 38 – 42. 106 So auch LK-StGB/Schünemann, vor § 25 Rn. 3. 107 S. Neumayer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 101. 108 Abgedruckt in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, Anhang Nr. 17, S. 42 – 45. 109 Krille, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 125. 110 Schmidt, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 122.

II. Kontroverse Einzelfragen

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fest: „Herr Professor Eberhard Schmidt hat die Frage aufgeworfen, ob wir nicht noch einmal die Einheitstätertheorie diskutieren sollten. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß die überwiegende Mehrheit der Kommission doch wohl auf dem Standpunkt steht, daß die Schwierigkeiten einer solchen Lösung zu groß sind.“111 Damit hatte der Minister ein Machtwort gesprochen. Herbert Krille stellte seinen Lösungsvorschlag danach schon gar nicht mehr vor, weil er „keine Aussicht für seine Verwirklichung“112 sah. Diese Einschätzung wurde später durch die Abstimmung bestätigt. Wie bei allen bisherigen deutschen Reformentwürfen seit dem Jahr 1909 entschied man sich im Ergebnis gegen die Einheitstäterlösung, sie wurde mit vierzehn zu zwei Stimmen abgelehnt.113 Zugleich gelangten die Normierungsempfehlungen des Ministeriums zu Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe mit geringfügigen Änderungen in die §§ 29 – 36 des Gesetzentwurfs.114 Mithin hatten sich erneut traditionelle Rechtsvorstellungen durchgesetzt, die mit denen des alten RStGB in einer kontinuierlichen Linie standen. Ein völliger Neuanfang in Form eines Einheitstätersystems, welches uns heute zum Beispiel in § 14 Abs. 1 S. 1 OWiG115 oder im italienischen Strafrecht116 begegnet, ist hingegen im Ergebnis „mit so überwältigender Mehrheit abgelehnt worden, als hätte er nie ernsthaft zur Debatte gestanden“117.

3. Die Debatte über die erfolgsqualifizierten Delikte Nachdem damit ein wichtiges dogmatisches Problemfeld des Allgemeinen Teils ausdiskutiert worden war, trat an der Schnittstelle zwischen Allgemeinem und Besonderem Teil ein weiterer Klassiker strafrechtlicher Kontroversen auf, der am 21. Juni 1955 im Plenum erörtert wurde: die erfolgsqualifizierten Delikte.118

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Neumayer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 125. Krille, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 125. 113 S. die Abstimmung am 4. 2. 1955, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 109. Ein solches Ergebnis hatte bereits ein Jahr zuvor der Strafrechtswissenschaftler Karl Engisch prophezeit, der es für „sehr unwahrscheinlich“ hielt, dass man sich bei den Beratungen für ein neues Strafgesetzbuch für die Einheitstäterlösung entscheiden würde, s. Engisch, in: ZStW 66 (1954), S. 339 (383). 114 S. BT-Drucks. IV/650, S. 15 f. 115 Zum Beteiligungsbegriff im Verwaltungsunrecht nach § 14 Abs. 1 S. 1 OWiG s. Bohnert, OWiG, § 14 Rn. 1; KK-OWiG/Rengier, § 14 Rn. 4 f. 116 Hierzu näher Maiwald, Einführung in das italienische Strafrecht, S. 134 – 147; ausführlich und mit differenzierter Analyse Detzer, Einheitstäterlösung, S. 112 – 130. 117 Kienapfel, Einheitstäter, S. 17 f.; ähnlich Rotsch, Einheitstäterschaft, S. 129. 118 Zu dieser Debatte s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 234 – 259; eine knappe Zusammenfassung der Diskussion liefert der Bericht von Dreher, in: ZStW 68 (1956), S. 71 (72 – 78). 112

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D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission

Heute denkt man hierbei vor allem an die Körperverletzung mit Todesfolge in § 227 StGB. Zugleich legt im Allgemeinen Teil § 18 StGB für alle erfolgsqualifizierten Delikte fest, dass die schwere Strafe aus einem solchen Delikt den Täter oder Teilnehmer nur dann trifft, wenn ihm hinsichtlich der Tatfolge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fällt.119 Diese allgemeine Vorschrift, die auch für die schwere Folge ein Verschulden voraussetzt, hat jedoch erst im Jahr 1953 mit dem § 56 StGB a. F.120 den Weg in das Gesetz gefunden. Aus Sicht der Rechtsgeschichte sind die erfolgsqualifizierten Delikte hingegen Rudimente der gemeinrechtlichen Erfolgshaftung.121 Ihr Werdegang begann im 13. Jahrhundert mit der kanonischen Lehre vom „versari in re illicita“, der zufolge der Täter bei einer unrechtmäßigen Handlung für die daraus entstehenden Folgen auch dann haftete, wenn er sie nicht verschuldet hatte.122 Dieser Gedanke wurde dann in das Strafrecht übertragen, jedoch mit der Einschränkung, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt der schweren Folge bestehen musste.123 Hieran anschließend entwickelte sich im 18. Jahrhundert die Lehre vom dolus indirectus, der zufolge im Willen zum Grunddelikt auch mittelbar der Wille zur schweren Folge liegt, wenn diese zumindest vorhersehbar ist.124 Vor diesem rechtsgeschichtlichen Hintergrund ist es durchaus nachvollziehbar, dass es wie schon bei den Regelungen zu Täterschaft und Teilnahme auch zu den erfolgsqualifizierten Delikten in der Kommission einen radikalen Vorschlag gab: Der Strafrechtswissenschaftler Hans-Heinrich Jescheck wollte auf diesen „Fremdkörper in unserem Strafrecht“125 vollständig verzichten. Seine Beweggründe für diesen Schritt waren breit gefächert, sie reichten von strafhistorischen über kriminalpolitische bis hin zu rechtsdogmatischen Gesichtspunkten. Zunächst handle es sich bei den erfolgsqualifizierten Delikten um Restbestände der Erfolgshaftung, die sich mit Ausnahme der Körperverletzung mit Todesfolge überlebt hätten. Kriminalpolitisch seien sie zudem schon deshalb überflüssig, weil die für die Herbeiführung der schweren Folge vorgesehenen erhöhten Strafrahmen von der Rechtsprechung ohnehin nicht ausgenutzt würden.126 Schließlich sei die dogmatische Konstruktion der Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination unnütz kompliziert und verursache im Bereich 119 Zur Dogmatik der erfolgsqualifizierten Delikte s. Bussmann, in: GA 1999, S. 21 (21 – 34); Hirsch, in: GA 1972, S. 65 (65 – 78). 120 Eingeführt durch das Dritte StrÄndG vom 4. 8. 1953, BGBl. 1953 I, Nr. 44, S. 735 – 750. 121 Zur geschichtlichen Entwicklung der erfolgsqualifizierten Delikte s. im Überblick Köhler, Körperverletzung mit Todesfolge, S. 6 – 12; Schubarth, in: ZStW 85 (1973), S. 754 (757 – 761); ausführlich Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte S. 8 – 75; Oehler, in: ZStW 69 (1957), S. 503 (504 – 511). 122 So auch Oehler, in: ZStW 69 (1957), S. 503 (504); Schubarth, in: ZStW 85 (1973), S. 754 (757); a. A. offenbar Köhler, Körperverletzung mit Todesfolge, S. 6. 123 Köhler, Körperverletzung mit Todesfolge, S. 7. 124 Oehler, in: ZStW 69 (1957), S. 503 (504 f.). 125 Jescheck, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 246; ähnlich Jescheck, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, Anhang Nr. 50, S. 141 f. 126 Jescheck, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 246 f.

II. Kontroverse Einzelfragen

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der Teilnahme und des Versuchs schwierige Probleme.127 Aber Jescheck gelang es nicht nur, diese stichhaltigen Argumente gegen die erfolgsqualifizierten Delikte vorzubringen, sondern er bot darüber hinaus zwei konstruktive Lösungsvorschläge an, wie man im künftigen Strafgesetzbuch ohne diese Rechtsfigur auskommen könnte: Erstens ließe sich jedes erfolgsqualifizierte Delikt in eine vorsätzliche und eine fahrlässige Straftat aufspalten, sodass ein sachgerechtes Ergebnis im Wege der Konkurrenzen gefunden werden könne.128 Zweitens könne man das in den erfolgsqualifizierten Delikten vertypte Unrecht auch in besonders schweren Fällen erfassen, indem man dort die schwere Tatfolge als Beispielsfall anführe, für den im Verhältnis zum Grunddelikt eine erhöhte Mindeststrafe angedroht wird.129 Demgemäß resümierte Hans-Heinrich Jescheck: „Jedenfalls lohnt es sich m. E. nicht, […] die erfolgsqualifizierten Delikte am Leben zu erhalten.“130 Mit dieser Ansicht befand er sich in guter Gesellschaft. Schon zu Zeiten des Reichsstrafgesetzbuchs war der Strafrechtsgelehrte Alexander Löffler (1866 – 1929)131 der Meinung gewesen, dass die erfolgsqualifizierten Delikte „ein empörendes Schandmal unserer Zeit“132 darstellen würden und daher aus dem Gesetz zu streichen seien. Während der ersten staatlichen Reformbemühungen um 1900 war es dann Gustav Radbruch (1878 – 1949)133, der ebenfalls Zweifel an dieser Rechtsfigur hegte.134 Und auch heute wird noch mit den verschiedensten Begründungen ihre Abschaffung gefordert.135 Im Kreis der Großen Strafrechtskommission fand Jescheck unterdessen in Richard Lange, Edmund Mezger, Hans Welzel und Curt Freiherr von Stackelberg Gleichgesinnte.136 Dabei fällt nicht nur auf, dass es sich bei den Befürwortern der Streichung der erfolgsqualifizierten Delikte fast ausschließlich um Wissenschaftler handelte, sondern auch, dass Hans-Heinrich Jescheck trotz seines vergleichsweise jungen Alters in dieser Gruppe der Wortführer war; im Vergleich zu seinen Ausführungen blieben die Argumentationslinien seiner Unterstützer eher blass. So beschränkte sich etwa der sonst sehr dominante Edmund 127

Jescheck, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 248. Jescheck, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 246. 129 Jescheck, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 247. 130 Jescheck, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 248; ähnlich Jescheck, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, Anhang Nr. 50, S. 141 f. 131 Biographisch zu Löffler Schubert im Vorwort zum Nachdruck von Löffler, Schuldformen, S. V f. 132 Löffler, Schuldformen, S. 278. 133 Biographisch zu Radbruch statt vieler Kaufmann, Gustav Radbruch. 134 Radbruch, in: VDA II, S. 227 (229 – 241). Hierbei griff Radbruch in erster Linie die fehlende Schuldbeziehung des Täters zum schweren Taterfolg an, während es Löffler und Jescheck vor allem um kriminalpolitische und dogmatische Aspekte ging. 135 S. z. B. Ambos, in: GA 2002, S. 455 (482), der rechtsvergleichende Gesichtspunkte anführt; Lorenzen, Rechtsnatur, S. 164 – 169, der verfassungsrechtliche Argumente nennt. 136 S. die Stellungnahmen von Mezger, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 255; Lange, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 255 f.; Welzel, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 258. 128

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D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission

Mezger in seinem Beitrag hauptsächlich darauf, Worte Jeschecks zu wiederholen und diesen für seinen „raffinierte[n] Vorschlag“137 zu loben, argumentativ brachte er hingegen nichts Neues. Aber auch die Wortmeldung von Richard Lange ging über die recht knappe Feststellung, dass „die eigentümliche Verquickung von Vorsatz und Fahrlässigkeit […] unserem System fremd [ist]“138, nicht nennenswert hinaus. Das Gegengewicht zu dieser Gruppe um Professor Jescheck bildeten in der Diskussionsrunde vor allem die Praktiker. Sie nahmen eine strafrechtlich konservative Haltung ein und wollten die erfolgsqualifizierten Delikte mit einer dem § 56 StGB a. F. entsprechenden allgemeinen Vorschrift beibehalten.139 An der Spitze dieser Fraktion stand die Bundesrichterin Else Koffka, die ein eingehendes, fast schon langatmiges Einstiegsreferat zu dem Themenkomplex der erfolgsqualifizierten Delikte hielt. Dennoch blieben ihre Ausführungen oftmals weitgehend unverständlich und ohne wirkliche argumentative Kraft. Als Begründung für die Beibehaltung der erfolgsqualifizierten Delikte verwies sie lediglich rechtsvergleichend darauf, dass dieser Deliktstyp auch im Ausland gebräuchlich sei und meinte mit Blick auf die Rechtsgeschichte, dass „die Lehre vom versari in re illicita einen richtigen Kern [hat]“140. Dabei zeigt dieses zweite Argument zugleich, dass Else Koffka in Bezug auf die erfolgsqualifizierten Delikte noch stark in früheren Strafrechtsvorstellungen verankert war, von denen sie sich nicht zu lösen vermochte. Diese Eigenschaft teilte sie mit vielen Kommissionsmitgliedern aus der Rechtspraxis und den Vertretern des Ministeriums. Im Vergleich zu Koffka bewiesen diese in ihren Stellungnahmen aber größeres argumentatives Geschick. So setzte beispielsweise Paulheinz Baldus einen scharfsinnigen Konter gegen Hans-Heinrich Jescheck, indem er ihm vorhielt, dass mit einer bloßen Umwandlung der erfolgsqualifizierten Delikte in besonders schwere Fälle kein wirklicher Verzicht auf die Erfolgsdelikte vorläge.141 Unterstützend führte Eduard Dreher ein rechtsstaatlichrechtspolitisches Argumentationsmuster ins Feld, welches die Beamten des Ministeriums der Sache nach schon gegen den Einheitstäterbegriff verwendet hatten: Eine Lösung über die Konkurrenzen habe den Nachteil, „daß sie den Richter nicht wirklich bindet; […] anstelle exakt beschriebener Tatbestände mit klar geschiedenem Strafrahmen würden Ermessensentscheidungen und fließende Strafrahmen treten“142. Damit wird an dieser Stelle erneut deutlich, dass es dem Bundesjustizministerium ein zentrales Anliegen war, im neuen Strafrecht möglichst viel durch 137

Mezger, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 255. Lange, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 255. 139 S. z. B. die Stellungnahmen von Koffka, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 234 – 246; Dreher, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 252 – 255; Baldus, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 256; sowie die Leitsätze von Koffka, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, Anhang Nr. 49, S. 136 – 140. 140 Koffka, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 241 f. 141 Baldus, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 256. 142 Dreher, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 252. 138

II. Kontroverse Einzelfragen

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den Gesetzgeber zu entscheiden, um dadurch den richterlichen Entscheidungsspielraum zu reduzieren. Nachdem beide Seiten ihre Argumente zur Genüge ausgetauscht hatten, schritt man zur Abstimmung. Für den Wegfall der erfolgsqualifizierten Delikte traten sechs, für ihre Beibehaltung zehn Kommissionsmitglieder ein.143 Somit vermochte sich die Expertenrunde auch bei dieser Rechtsfigur mehrheitlich nicht in eine Richtung zu bewegen, die sich von geläufigen Rechtsvorstellungen abwendet. Stattdessen beschränkte sich das Resultat der Beratungen schlussendlich auf eine behutsame Fortentwicklung des bisherigen § 56 StGB a. F. im § 22 des Gesetzentwurfs.

4. Die Debatte über die Systematik des Besonderen Teils Nicht so ausführlich, aber nicht minder kontrovers verlief die rechtliche Diskussion der Kommission am 1. November 1957, die sich mit einer zentralen Vorfrage zum Besonderen Teil beschäftigte: Welche Legalordnung sollte diesem Abschnitt im künftigen Strafgesetzesbuch zugrunde gelegt werden?144 Für eine am Bestehenden festhaltende Lösung traten hierbei zwei gewichtige Stimmen aus dem Kreis der Tagungsteilnehmer ein: Paul Bockelmann und Fritz Neumayer. Sie wollten die klassische Deliktsreihenfolge des RStGB von 1871 beibehalten und den Besonderen Teil weiterhin mit den Delikten gegen den Staat beginnen lassen.145 Begründet wurde diese Position mit strafrechtlich-philosophischen Vorstellungen, die ebenfalls noch aus dem vorigen Jahrhundert stammten. Weil der Schutz des Staates Vorrang vor dem Schutz des Individuums verdiene und es darüber hinaus „eine Aufgabe des Strafgesetzbuchs [… ist], das Gefühl für den Staat und für staatliche Werte, […] zu stärken“146, müssten die Staatsschutzdelikte im Besonderen Teil an erster Stelle stehen.147 Bei Bockelmann und Neumayer war also das preußisch-wilhelminische Strafrechtsverständnis, demzufolge es beim Strafen primär um den Schutz und die „Selbsterhaltung“ des Staates ging,148 immer noch ausgesprochen lebendig. Doch waren sie hierfür weder sensibilisiert, noch ver143 S. die Abstimmung am 24. 6. 1955, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 356. 144 Zu dieser Debatte s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 135 – 150. 145 Bockelmann, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 144 f.; Neumayer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 145; dafür auch schon Schneidewin in seinem Gutachten, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1, S. 173 (179 f.). Zur geschichtlichen Entwicklung der Staatsschutzdelikte ausführlich Schroeder, Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht. 146 Bockelmann, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 145. 147 Bockelmann, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 145; sehr ähnlich Neumayer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 145. 148 Als Beispiele für diese Auffassung s. aus der damaligen Literatur Meyer/Allfeld, Lehrbuch, S. 14 f.; Oetker, in: ZStW 17 (1897), S. 493 (529); Merkel, Lehrbuch, S. 178.

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D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission

mochten sie dessen Gültigkeit für das Strafrecht eines demokratischen Staates des 20. Jahrhunderts wie der Bundesrepublik Deutschland kritisch zu überdenken. Im Gegenteil, selbstgefällig meinte Bockelmann: „Ich glaube nicht, daß uns jemand, wenn wir bei der traditionellen Einteilung bleiben, den Vorwurf machen könnte, wir seien rückschrittlich.“149 Dies sahen jedoch viele Kommissionsmitglieder und auch die Mehrzahl der Beamten des Bundesjustizministeriums anders. Sie wollten einen völligen Neuanfang wagen und sich bei der Systematik des Besonderen Teils des zukünftigen Strafgesetzbuchs „endlich von der Tradition lösen“150. Als alternativen Weg schlugen sie daher vor, den Besonderen Teil fortan mit den Straftaten gegen die Person einzuleiten, der Schutz des Staates sollte dagegen erst ganz am Schluss stehen.151 Bekannt ist eine solche Reihenfolge damals wie heute aus dem Schweizerischen Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937, welches hierdurch zum Ausdruck bringen möchte, dass der Staat im Dienste des Individuums steht und nicht umgekehrt152. Nun sollte diese Systematik also auch in das deutsche Strafgesetzbuch Einzug halten. Ein Beispiel, wie sich dessen Besonderer Teil dann gliedern könnte, hatte bereits im Vorfeld der Kommissionsarbeiten der Strafrechtsprofessor Reinhard Maurach geliefert153. Aber auch die Ministerialbeamten konnten einen Gliederungsvorschlag vorweisen,154 der sich jedoch nicht wesentlich von dem Entwurf Maurachs unterschied. Aber nicht nur inhaltlich, sondern auch argumentativ gaben sich die Befürworter einer radikalen Neugliederung des Besonderen Teils wesentlich fortschrittlicher als ihre Gegner. Statt mit einen Blick auf die Vergangenheit rechtfertigten sie ihre Auffassung mit gegenwartsbezogenen Argumenten. Häufig wurde hierbei ein verfassungsrechtlicher Aspekt herangezogenen, welchen der Ministerialrat Schwalm aus dem Bundesministerium der Justiz wie folgt auf den Punkt brachte: „Der Aufbau des Grundgesetzes, das mit dem Schutz der Einzelperson beginnt, [spricht] dafür, unsere zweite Magna Charta, das Strafgesetzbuch, ebenso beginnen zu lassen.“155 149

Bockelmann, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 145. Schwalm, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 141. 151 S. die Stellungnahmen von Welzel, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 138 f.; Schwalm, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 139 f.; Skott, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 145; Fritz, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 146; Dünnebier, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 146; Schmidt, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 146; Baldus, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 147. 152 Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, vor Art. 111 Rn. 1. 153 Maurach, Die Systematik des Besonderen Teils eines neuen Strafgesetzbuchs, in: Mat. StR-Reform, Bd. 1, S. 231 (238 f.). 154 Abgedruckt in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, Anhang A Nr. 15, S. 259 f. 155 Schwalm, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 141; in diesem Sinne auch Welzel, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 138; Fritz, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 146; Schmidt, in: Niederschriften Strafrechtskom150

II. Kontroverse Einzelfragen

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Des Weiteren kehrte ein aus der Diskussion über den Sinn und Zweck von Strafe bereits bekanntes, politisches Argumentationsmuster wieder: Um sich vom Strafrecht der kommunistischen Ostblockstaaten abzugrenzen, sollte die Gliederung auch „ein Bekenntnis zur freiheitlichen Ordnung zum Ausdruck bringen und aus diesem Grunde die Delikte gegen die Person an den Anfang stellen“156. Des Weiteren wurde rechtsvergleichend auf das schweizerische Strafgesetzbuch hingewiesen.157 Als sich diese intensive Debatte ihrem Ende zuneigte, zeigte es sich wieder, wie vorteilhaft es für die Durchsetzung einer Position war, wenn man das Justizministerium auf seiner Seite hatte. Mit seinem abschließenden Plädoyer warb der Leiter der Strafrechtsabteilung Josef Schafheutle nochmals für eine Gliederung, die mit dem Schutz der Person beginnt.158 Damit es sich die Kommission auf keinen Fall anders überlegen konnte, gewährte er anschließend keine weitere Argumentationsoder Bedenkzeit, sondern drängte dazu, schnell „vorläufige Ergebnisse [zu] ermitteln“159. Dieser organisatorisch-psychologische Trick erwies sich als äußerst wirkungsvoll, denn in der sofort durchgeführten Abstimmung entschieden sich die Mitglieder bei nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung für die Lösung, den Besonderen Teil des künftigen Strafgesetzbuchs mit den Straftaten gegen den Einzelnen zu beginnen.160 Parallel zur Entwicklung im Verfassungsrecht, wo das Grundgesetz in Abkehr von der Weimarer Reichsverfassung die Grundrechte an den Anfang stellte, wurde damit nun auch im Strafrecht das Individuum in das Zentrum der gesetzlichen Betrachtungen gerückt.161 Anders als in den bisherigen Debatten gelang es bei den Beratungen bezüglich der Legalordnung des Besonderen Teils der neuen Kodifikation somit, innovative Ideen nicht nur anzudiskutieren, sondern diese anschließend auch in den Gesetzentwurf für das zukünftige Strafrecht eingehen zu lassen.

5. Die Debatte über die gemeinschädlichen Delikte Aber nicht nur über die Systematik, sondern auch über viele einzelne Tatbestände des Besonderen Teils der neuen Kodifikation wurde in der Großen Strafrechtskommission energisch diskutiert und gestritten. Als besonders kontrovers erwies sich dabei die Debatte am 17. und 18. Juni 1958, welche eine auf den ersten Blick eher mission, Bd. 5, S. 146 f.; Schafheutle, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 148. 156 Schafheutle, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 148. 157 S. Welzel, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 137 f. 158 Schafheutle, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 148. 159 Schafheutle, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 148. 160 S. die Abstimmung am 1. 11. 1957, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 5, S. 148. 161 Eine ähnliche Feststellung trifft auch bereits Holtz, Strafrechtsreformen, S. 14.

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D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission

unscheinbare Deliktsgruppe zum Gegenstand hatte: die gemeinschädlichen Straftaten, also die Bettelei, Landstreicherei und die gewerbsmäßige Unzucht.162 Im Vordergrund der Diskussion standen in der Expertenrunde dabei jedoch nicht, wie man vielleicht prima facie vermuten könnte, die Strafvorschriften zur Prostitution. Im Gegenteil, diese wurden vergleichsweise zügig und ohne größere Differenzen abgehandelt; lediglich einige juristische und sprachliche Feinheiten wurden näher erörtert.163 Stattdessen rückte die Frage nach der Strafbarkeit der Bettelei und Landstreicherei in den Mittelpunkt der Beratungen. Während es heute selbstverständlich erscheint, dass solche Verhaltensweisen kein strafbares Unrecht darstellen, zeigt bereits ein kurzer Blick auf die Geschichte des deutschen Strafrechts, dass dies keineswegs immer der Fall gewesen ist.164 So bestrafte beispielsweise das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 in § 117 und § 118 die Bettelei und Landstreicherei jeweils als Vergehen mit Gefängnis bis zu drei Monaten. Das Reichsstrafgesetzbuch aus dem Jahr 1871 stufte sie dann zwar in § 361 zu Übertretungen herab, die nur noch mit Haft bis zu sechs Wochen geahndet werden konnten, an der grundsätzlichen Strafbarkeit änderte dies jedoch nichts.165 Dieser Rechtszustand dauerte lange Zeit fort. Erst im Jahr 1973 wurden die Bettelei und Landstreicherei mit dem Inkrafttreten des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes166 entkriminalisiert. In der Großen Strafrechtskommission gab es aber auch schon Bestrebungen, diese Taten aus dem Deliktskatalog des Strafgesetzbuchs zu streichen. Die Initiative hierzu ging von einem Praktiker, dem Oberstaatsanwalt Fritz, aus. Er war der Meinung, dass es sich bei der Bettelei und Landstreicherei um „Bagatellsachen“ handle, die „keine kriminelle Strafe verdienen“167. Deshalb sollten sie seiner Meinung nach in der künftigen Strafrechtskodifikation ersatzlos gestrichen werden.168 Diese Sichtweise teilte er mit der Bundesrichterin Else Koffka, dem Strafrechtswissenschaftler Eberhard Schmidt und der Bundestagsabgeordneten der FDP-Fraktion Emmy Diemer-Nicolaus, die ihm geschlossen darin beipflichteten, „daß Betteln und Landstreichen keine kriminellen Taten darstellen“169. Mit dieser liberalen Positionierung 162

Zu dieser Debatte s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 328 – 357. S. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 353 – 357. 164 Zur geschichtlichen Entwicklung der Strafbarkeit von Bettelei und Landstreicherei im Überblick Bindzus/Lange, in: JuS 1996, S. 482 (483 – 486). 165 S. hierzu auch die damaligen Kommentierungen, z. B. von Olshausen in: von Olshausens Kommentar zum RStGB, § 361 Nr. 3 und 4; S. 1440 – 1443. Ausführlich zur Strafbarkeit von Bettelei und Landstreicherei aus zeitgenössischer Sicht von Hippel, Bettel, Landstreicherei und Arbeitsscheu. 166 Vom 4. 7. 1969, BGBl. 1969 I, Nr. 56, S. 717 – 742; hierzu aus zeitgenössischer Sicht Lackner, in: JR 1970, S. 1 (1 – 10). 167 Fritz, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 331. 168 Fritz, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 331. 169 Koffka, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 331. In diesem Sinn fielen auch die Stellungnahmen von Schmidt, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 331 und Diemer-Nicolaus, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 341 aus. 163

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setzten die vier Kommissionsmitglieder dabei einen Weg fort, der seinen Anfang bereits in den Reformbemühungen der Weimarer Republik genommen hatte, denn schon im E 1922 und E 1925 wurde bei der Bettelei und Landstreicherei erstmals auf eine Strafandrohung verzichtet und nur eine fakultative Anwendung der Maßregel der Unterbringung in einem Arbeitshaus normiert.170 Doch so fortschrittlich der Vorschlag, diese Taten zu entkriminalisieren, auch war, so sehr fehlte es ihm in der Arbeitstagung der Kommission an einer fundierten, juristischen Begründung. Stattdessen blieb der Argumentationsgang zumeist oberflächlich oder gefühlsorientiert. Else Koffka beispielsweise verwies lediglich darauf, dass sie Bettler und Landstreicher „aus christlichen Gründen“171 nicht bestrafen wolle; Eberhard Schmidt beschränkte sich auf den Hinweis, dass eine Strafandrohung auf diese Menschen ohnehin keinen Eindruck machen würde172. Die anderen Kommissionsmitglieder und die Beamten des Bundesministeriums der Justiz beharrten dagegen auf einem über bloßen Wertkonservatismus hinausgehenden, von stark restaurativen Verhalten gekennzeichneten Standpunkt. Sie wollten nicht nur an der Strafbarkeit des Bettelns und Landstreichens unverändert festhalten, sondern diese Taten außerdem wieder zu Vergehen aufwerten.173 Man beabsichtigte also, zu einem vergleichbaren Rechtszustand wie im Preußischen StGB von 1851 zurückzukehren; den Strafrahmen wollte man gegenüber den damaligen Regelungen sogar erheblich erhöhen.174 Ob ein solches Strafrechtsdenken für ein rechtsstaatliches Gesetzbuch des 20. Jahrhunderts noch zeitgemäß ist, wurde dabei in keiner Weise hinterfragt. Vielmehr zeigte man sich „erstaunt darüber, dass überhaupt die Meinung vertreten wird, Bettelei und Landstreicherei dürften nicht mehr im Strafgesetzbuch erfasst werden“175. Zugleich wurden die Vertreter, welche sich für die Entkriminalisierung dieser Verhaltensweisen einsetzten, in scharfer, oftmals polemisierender Form angegriffen, insbesondere von Professor Bockel170 S. § 370 und § 372 des E 1922 abgedruckt bei Vormbaum/Rentrop (Hg.), Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 5 (57); § 378 und § 379 des E 1925, abgedruckt bei Vormbaum/ Rentrop (Hg.), Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 63, (123 f.); zu dem Regelungsvorschlag im E 1922 aus der Retrospektive Goltsche, Der Entwurf Radbruch, S. 246 – 248; zu dem Regelungsvorschlag im E 1925 aus zeitgenössischer Sicht Aschrott/Kohlrausch (Hg.), Reform des Strafrechts, S. 399 – 404. 171 Koffka, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 331. 172 Schmidt, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 338. Sehr ähnlich lautete auch die Begründung im E 1925, s. Begr. zum E 1925, S. 187, abgedruckt in: Mat. StR-Reform, Bd. 3. 173 S. die Stellungnahmen von Tröndle, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 328; Schäfer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 331 f.; Dreher, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 332; Bockelmann, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 332 f.; Jescheck, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 334 f.; Voll, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 336 f.; Wilkerling, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 338. 174 S. die Fassungsvorschläge in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, Anhang Nr. 30, 31, 32, S. 611 – 616. 175 Voll, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 336.

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D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission

mann. Er warf ihnen vor, „asoziale Lebensweisen […] zu romantisieren“176. Aber nicht nur Paul Bockelmann, sondern auch die anderen Befürworter der Strafbarkeit der Bettelei und Landstreicherei verfochten unnachgiebig ihre Position. Auf die Vermittlungsversuche von Paulheinz Baldus und Rudolf Sieverts177 gingen sie gar nicht erst ein. Stattdessen gaben sie sich starken Moralisierungen hin. So brandmarkte etwa der Landgerichtsrat Dr. Tröndle aus dem Bundesjustizministerium schon in seinem Einstiegsreferat die Bettelei und Landstreicherei als „asoziale Betätigung“178 und „parasitäre[…] Verhaltensweisen“179. Aber auch die Kommissionsmitglieder Wilkerling und Krille waren der Meinung, dass es sich bei Bettlern und Landstreichern um „ausnahmslos wirklich asoziale Typen“180 beziehungsweise „asoziale Elemente“181 handle. Diese seien, auch ohne dass sie überhaupt deliktisch handeln, schon alleine wegen „ihrer Arbeitsscheu und ihrer Stellung außerhalb jeder sozialer Ordnung“182 sowie ihrer „parasitären Gesinnung“183 strafwürdig. Außerdem sei es „kaum zweifelhaft […], daß diese Typen kriminelles Unrecht begehen“184. Eine ganz ähnliche Perspektive nahm in den fünfziger Jahren auch der Bundesgerichtshof ein; dort mutmaßte man ebenfalls, dass Landstreicher und Bettler „der Versuchung zu Gelegenheitsstraftaten […] schnell unterlieg[en]“185. Näher belegt wurde diese Vermutung jedoch weder von den Karlsruher Richtern, noch im weiteren Verlauf der Diskussion. Stattdessen dramatisierte man in der Kommission die Landstreicherei und Bettelei pauschal zu einer „schwere[n] Gefahr für die Allgemeinheit“186. Als diese sehr emotional geführte Debatte nach zwei Sitzungstagen ihren Abschluss fand, wurde wie üblich durch das Justizministerium eine Unterkommission eingesetzt. Dabei fällt auf, dass das konservativ orientierte Ministerium in diese nicht einen Vertreter der liberalen Position berief.187 Somit verwundert es wenig, dass die Unterkommission anschließend einen Entwurf erarbeitete, welcher im Kern der

176

Bockelmann, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 352, ähnlich S. 332. S. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 337. 178 Tröndle, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 328. Zum Begriff der „Asozialität“ und dessen Entwicklung ausführlich Kürzinger, Asozialität und Kriminalität, S. 3 – 59. 179 Tröndle, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 329. 180 Wilkerling, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 338. 181 Krille, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 335. 182 Krille, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 335. 183 Tröndle, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 340. 184 Bockelmann, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 332. 185 BGHSt 4, 52 (53). Eine wissenschaftliche Analyse zum tatsächlichen Umfang der Kriminalität von Bettlern und Landstreichern liefert Kürzinger, Asozialität und Kriminalität, S. 144 – 147. 186 Tröndle, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 353. 187 S. hierfür Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, Anhang Nr. 31, S. 617. 177

III. Zwischenfazit zum Beratungsverlauf

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Sichtweise der Beamten entsprach.188 Diesem Vorschlag folgte dann auch die Gesamtkommission; mehrheitlich beschloss sie, das Betteln und Landstreichen weiterhin unter Strafe zu stellen.189 Anstelle eines fortschrittlichen schlug man in dieser Frage also wieder einen rückwärtsgerichteten Weg ein.

III. Zwischenfazit zum Beratungsverlauf In der Gesamtschau zeigt sich damit, dass die Mitglieder der Großen Strafrechtskommission bei umstrittenen, zentralen Punkten des zukünftigen Strafrechts meist für eine konservative Lösung votierten.190 Besonders deutliche Zeugnisse hiervon liefern die kriminalpolitische Grundausrichtung des Kodifikationsentwurfs in Form der vergeltenden Vereinigungstheorie und die Regelungen in zahlreichen Tatbeständen des Besonderen Teils des Entwurfs, etwa bei den gemeinschädlichen Delikten oder den Straftaten gegen die Sittenordnung.191 Statt dem Gesetzgeber grundlegende Neuerungen vorzuschlagen, orientierte man sich überwiegend am geltenden, in weiten Teilen noch auf dem Reichsstrafgesetzbuch basierenden Recht; statt eine andere, zukunftsgerichtete Zeitrechnung zu beginnen, zeigte man oft restaurative Tendenzen, die auf eine Renaissance des Strafrechtsdenkens des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts hinausliefen. Während einige dieser Entscheidungen des Expertengremiums noch als Ausdruck eines dem damaligen Zeitgeist entsprechenden, vergleichsweise moderaten Wertkonservatismus gelten können, wie etwa die Beibehaltung des differenzierten Beteiligungssystems oder der erfolgsqualifizierten Delikte, reichten manche Vorschläge der Kommission aber auch darüber hinaus, wie beispielsweise die Ausgestaltung der Sittlichkeitsdelikte oder der Betteleivorschriften. Die personellen Kontinuitäten des Beratungsgremiums hatten sich somit in sachlicher Hinsicht vielfach fortgesetzt. Trotzdem wäre es verfehlt, die Haltung des Expertenzirkels ausschließlich auf einen strafrechtlichen Konservatismus zu reduzieren, denn er traf zugleich an einigen Stellen des Meinungsbildungsprozesses für die damalige Zeit durchaus moderne, innovative Entscheidungen. Als solche können zum Beispiel die grundlegend neu gestaltete Systematik des Besonderen Teils, die Einführung des Tagesbußensys-

188

S. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, Anhang Nr. 31, S. 617. S. die Abstimmung am 21. 06. 1958, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 468 sowie die Beschlüsse der Gesamtkommission in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, Anhang Nr. 32, S. 618 f. 190 Zu diesem Ergebnis kommen auch Treiber, in: Kriechbaum (Hg.), Festschrift für Gagnér, S. 229 (231 – 235); Rosenbaum, Die Arbeit der Großen Strafrechtskommission, S. 31 – 33; Holtz, Strafrechtsreformen, S. 210 f. 191 In dieser Richtung auch Rosenbaum, Die Arbeit der Großen Strafrechtskommission, S. 32 f. und 226 f. Zur Diskussion über die Sittlichkeitsdelikte s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 168 – 252. 189

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D. Der Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission

tems192 sowie der Eintritt für die Straflosigkeit der männlichen Homosexualität und der Schwangerschaftsunterbrechung aus ethischer Indikation193 gelten. Das Bemühen, das alte Strafgesetzbuch zeitgerecht zu verbessern und dadurch eine allgemein tragfähige neue Rechtsgrundlage zu schaffen, kann der Kommission folglich nicht pauschal abgesprochen werden. Außerdem darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass in annähernd jeder Debatte der Großen Strafrechtskommission alternative Vorschläge zu den am Alten festhaltenden Lösungsansätzen zumindest angedacht und mitdiskutiert wurden. Dass diese dann jedoch nur selten eine Mehrheit fanden, lag zunächst an den Kommissionsmitgliedern selbst. Viele von ihnen hatten bereits über Jahrzehnte mit dem Reichsstrafgesetzbuch gearbeitet. Deshalb fiel es ihnen schwer, eine kritische Distanz zu entwickeln und sich von herkömmlichen Rechtsgedanken zu lösen; oft konnten sie die ihnen geläufigen Denkmuster nicht ausreichend hinterfragen.194 Dies erkannte bereits 1955 auch Herbert Krille, der in Bezug auf die Grundhaltung des Expertengremiums selbstkritisch diagnostizierte, „daß dieser Kreis weitgehend historisch eingestellt ist“195. Für fundamental Neues zeigte man sich mithin wenig offen. Nur selten fanden sich mehr als vier oder fünf Vertreter, meist Wissenschaftler, welche die fortschrittlichen Vorschläge unterstützten. Zur oft konservativen Grundeinstellung der einzelnen Personen trat dabei erschwerend hinzu, dass die liberalen Vertreter ihren Gegenspielern in Argumentationsvermögen und Rhetorik häufig unterlegen waren. Durch klassische juristische Rechtfertigungen, wie etwa das Abstellen auf Strafbarkeitslücken oder die Rechtssicherheit, aber auch durch politische und moralische Begründungen wurden die alternativen Diskussionsansätze immer wieder untergraben. Und schließlich trug auch das Bundesministerium der Justiz einen erheblichen Teil dazu bei, dass sich die Kommission relativ selten für strafrechtlich visionäre Lösungen entschied. Dessen Mitarbeiter griffen gern auf Altbewährtes zurück196 und verhalfen dieser Sichtweise über die ihnen zukommende Organisationsgewalt häufig zum Durchbruch, sei es durch einen vorformulierten Normierungsvorschlag oder eine baldige Sitzungsbeendigung. Hiergegen eine abweichende Position durchzusetzen war nahezu aussichtslos. Symptomatisch hierfür ist, dass sich die Kommission meist nur an den Stellen für eine neuartige Lösung entschied, an denen auch das Justizministerium eine solche befürwortet hatte, zum Beispiel bei der Systematik des Besonderen Teils und der Einführung des Tagesbußensystems.

192

Zur Diskussion hierüber s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 155 – 184. Zur Diskussion hierüber s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 7, S. 137 – 148 u. Bd. 8, S. 226 – 238. 194 In dieser Richtung auch bereits Holtz, Strafrechtsreformen, S. 210 f. 195 Krille, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 51. 196 S. auch die Clusteranalyse von Treiber, in: Kriechbaum (Hg.), Festschrift für Gagnér, S. 229 (239 – 243). 193

E. Der Einfluss der Politik Als die Große Strafrechtskommission nach der 143. Sitzung am 19. Juni 19591 ihre Beratungen abgeschlossen und mit dem E 1959 I einen ersten Gesetzentwurf vorgelegt hatte,2 war ein wesentlicher Schritt in Richtung einer neuen Strafrechtskodifikation gemacht. Der Weg der Reformarbeiten war hiermit jedoch noch lange nicht beendet. Vielmehr beschäftigte sich fortan der Bonner Politikbetrieb in wachsendem Maße mit der Neugestaltung des Strafrechts, denn diese war auch „eine eminent politische Aufgabe“3. Weil die Beschlüsse der Expertenkommission nicht bindend waren,4 konnten sich die verschiedenen politischen Akteure dabei nicht nur mit Stellungnahmen, sondern ebenso mit Änderungs- und Ergänzungsvorschlägen in den Reformprozess einbringen.

I. Die Rolle der Bundesministerien 1. Das Bundesministerium der Justiz Eine wichtige Rolle spielten hierbei unter anderem die Bundesministerien, allen voran das Bundesministerium der Justiz. Dieses Ressort hatte wie oben beschrieben schon seit Beginn der Reformbemühungen Anfang der fünfziger Jahre einen wesentlichen Einfluss auf deren Gang ausgeübt, sei es über die Auswahl der Professoren für die vorbereitenden wissenschaftlichen Gutachten zur Modernisierung des Strafrechts, die Nominierung der einzelnen Mitglieder der Großen Strafrechtskommission oder die gezielte Steuerung des Verlaufs der Kommissionsberatungen durch organisatorische Maßnahmen sowie inhaltliche Gestaltungsvorschläge. Aber auch nach Abschluss der Arbeiten des Expertenkreises nahm das Justizministerium, welches statt wie bisher von der FDP nunmehr von dem CSU-Politiker Fritz Schäffer (1888 – 1967) geführt wurde, weiterhin eine zentrale Steuerungs- und Lenkungsfunktion wahr.

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Zum Inhalt dieser Sitzung s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 13, S. 557 – 575. Der E 1959 I ist abgedruckt in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 12, Anhang B, S. 549 – 644. Vor dem E 1959 I war bereits der E 1958 erschienen. Hierbei handelte es sich aber um keinen Gesamtentwurf, sondern lediglich um eine Zusammenstellung der Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission zum Allgemeinen Teil nach der ersten Lesung. 3 von Merkatz, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 38. 4 S. Neumayer, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 1, S. 25. 2

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E. Der Einfluss der Politik

Im Rahmen der anstehenden Aufgaben galt es zunächst, die Arbeiten an einem neuen Strafgesetzbuch weiter voranzutreiben. Zwecks dessen holten die Mitarbeiter der Strafrechtsabteilung als Erstes im eigenen Haus Stellungnahmen ihrer Kollegen aus den Referaten für Zivil- und Öffentliches Recht zum E 1959 I ein.5 Außerdem führten sie Einzelgespräche mit Repräsentanten der anderen Bundesressorts über den Gesetzentwurf durch.6 Zum Abschluss der interministeriellen Beratungen initiierte man zudem ergänzend eine gemeinsame, geschäftsbereichsübergreifende Konferenz aller Bundesministerien zur Strafrechtsreform.7 In dieser bestand für sämtliche Ressorts nochmals die Möglichkeit, über die Normen des Kodifikationsvorschlags zu diskutieren und ihre Änderungswünsche zu den bisherigen Fassungen vorzutragen. Die Schwerpunkte dieser Debatte bildeten zum einen die Arten und Dauer der Freiheitsstrafen,8 zum anderen die Straftaten gegen die Sittlichkeit, vor allem die Unzuchtstatbestände sowie die Vorschriften gegen die Kuppelei,9 und die Straftaten gegen den öffentlichen Dienst, also die Bestechlichkeit und Bestechung10. Trotz überwiegend brauchbarer juristischer Argumentation im Beratungsverlauf konnten die weiteren Ministerien ihre Änderungsbegehren hierbei jedoch nur zum Teil durchsetzen. Bei insgesamt 42 rechtlichen Diskussionspunkten gelang es ihnen in 22 Fällen einen Erfolg zu erzielen, im Übrigen wurde der Rechtsauffassung des Justizressorts gefolgt.11 Genau wie bereits zuvor in den Sitzungen der Großen Strafrechtskommission übernahm das Bundesministerium der Justiz damit auch bei den verwaltungsinternen Beratungen eine inhaltliche Führungsrolle. Zugleich erwies es sich in organisatorischer Hinsicht als Garant für ein flüssiges Fortschreiten der Reform, indem es die anderen Geschäftsbereiche ermahnte, etwaige weitere mündliche oder schriftliche Änderungsvorschläge schnellstmöglich nach der gemeinsamen Ressortbesprechung einzureichen.12 Aber nicht nur im Bereich der Ministerialverwaltung, sondern auch sonst bemühte sich die Strafrechtsabteilung des Justizministeriums um ein zügiges Vorantreiben der Modernisierungsarbeiten. So machte sie den Kodifikationsentwurf zum Beispiel immer wieder in Unterredungen

5 BArch, B 141/17262, S. 46 – 52 (Stellungnahme des Referats I des BMJ zum Gesetzentwurf vom 8. 4. 1959); BArch, B 141/17262, S. 118 f. (Stellungnahme des Referats IV des BMJ zum Gesetzentwurf ohne Datum). 6 S. beispielsweise BArch, B 141/17286, S. 277 – 284 (Besprechung zwischen Vertreten des BMI und des BMJ am 25. 1. 1961). 7 BArch, B 141/17289, S. 14 – 47 (Ressortbesprechung im BMJ vom 27. bis 29. 3. 1962). 8 S. hierzu BArch, B 141/17289, S. 17 – 19 (Ressortbesprechung im BMJ vom 27. bis 29. 3. 1962). 9 S. hierzu BArch, B 141/17289, S. 29 – 35 (Ressortbesprechung im BMJ vom 27. bis 29. 3. 1962). 10 S. hierzu BArch, B 141/17289, S. 44 – 47 (Ressortbesprechung im BMJ vom 27. bis 29. 3. 1962). 11 S. BArch, B 141/17289, S. 14 – 47 (Ressortbesprechung im BMJ vom 27. bis 29. 3. 1962). 12 BArch, B 141/17289, S. 16 (Ressortbesprechung im BMJ vom 27. bis 29. 3. 1962).

I. Die Rolle der Bundesministerien

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mit Vertretern der Bundestagsfraktionen13 oder den Justizministerien der Länder14 zum Thema. Ferner holten die Beamten des Ministeriums zu solchen Vorschriften, bei denen über bloße juristische Gesichtspunkte hinaus auch andere Aspekte zu berücksichtigen waren, wie beispielsweise medizinische Fragestellungen bei den §§ 163 – 168 des Entwurfs 1959 I (Ärztliche Eingriffe und Heilbehandlung), den Rat externer Sachverständiger ein, welche klären sollten, ob die Normierungsvorschläge der Expertenkommission auch aus nichtjuristischer Perspektive überzeugen konnten oder ob hier noch Nachbesserungsbedarf bestand.15 Neben dieser weiteren Forcierung der Reformbestrebungen war es aber auch eine zentrale Aufgabe des Bundesministeriums der Justiz, den von der Großen Strafrechtskommission vorgelegten ersten Entwurf eines neuen Strafgesetzbuchs nochmals gründlich zu überarbeiten. Hierbei galt es zunächst einige Korrekturen in formeller Hinsicht durchzuführen, also kleinere Änderungen redaktioneller Art in der Gliederung oder im Sprachgebrauch vorzunehmen. So wurde beispielsweise im Allgemeinen Teil des E 1959 I in § 1 (Keine Strafe ohne Gesetz) das Adverb „dann“ gestrichen, um einen Gleichklang mit dem Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG zu erzielen.16 Außerdem ersetzten die Ministerialbeamten vor dem § 14 die Überschrift „Dritter Abschnitt“ durch „Zweiter Abschnitt“, weil der bisherige zweite Abschnitt mit dem ersten zusammengefasst worden war.17 Im Besonderen Teil wurde unterdessen zum Beispiel zur sprachlichen Verbesserung der Begriff „Schallaufnahme“ in mehreren Normen gegen „Tonträger“ ausgetauscht.18 Außerdem rückte der im § 217 des E 1959 I normierte Straftatbestand der Verführung auf Vorschlag des Ministerialrats Dr. Karl Lackner (1917 – 2011) hinter die in § 219 sanktionierte Unzucht vor Kindern.19 Des Weiteren wurde der Katalog der Tathandlungen in § 372 Abs. 2 des Entwurfs (Hochverräterische Werbung) zur Anpassung an die Formulierungen in § 226 (Unzüchtige Schriften und Sachen) sprachlich noch geringfügig modifiziert.20 Und schließlich wurde in sämtlichen Absätzen des § 315 des Strafgesetzentwurfs

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S. z. B. BArch, B 141/17281, S. 146 f. (Besprechung im BMJ mit Juristinnen und Juristen der FDP-Fraktion über den Entwurf eines Strafgesetzbuchs am 22. 1. 1962). 14 S. z. B. BArch, B 141/17156, S. 28 – 31 (Einladung des BMJ zu einer Besprechung über den Entwurf eines Strafgesetzbuchs an die Justizminister der Länder vom 18. 7. 1958). 15 S. z. B. BArch, B 141/17281, S. 148 – 152 (Beratungen der Sachverständigenkommission für juristisch-medizinische Fragen vom 13. bis 14. 7. 1961). 16 BArch, B 141/17262, S. 118 (Liste mit Änderungsvorschlägen der Abt. IV des BMJ zum E 1959 ohne Datum). 17 BArch, B 141/17251, S. 32 (Liste mit Änderungsvorschlägen der Abt. II des BMJ zum E 1959 vom 17. 8. 1959). 18 BArch, B 141/17251, S. 53 – 56 (Liste mit Änderungsvorschlägen der Abt. II des BMJ zum E 1959 vom 4. 9. 1959). 19 BArch, B 141/17251, S. 53 (Liste mit Änderungsvorschlägen der Abt. II des BMJ zum E 1959 vom 4. 9. 1959). 20 BArch, B 141/17251, S. 54 f. (Liste mit Änderungsvorschlägen der Abt. II des BMJ zum E 1959 vom 4. 9. 1959).

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E. Der Einfluss der Politik

1959 I (Unwahre Gesundheitszeugnisse) das Adjektiv „wissentlich“ in den Ausdruck „wider besseren Wissens“ abgeändert.21 Während diese kleineren Umgestaltungen des Gesetzestextes, welche in erster Linie zur Verbesserung des sprachlichen Ausdrucks oder der Gliederung dienten, überwiegend nur kosmetischer Natur waren, führte das Bundesministerium der Justiz aber auch einige Veränderungen durch, die den materiellrechtlichen Gehalt des Kodifikationsentwurfs betrafen. Im Allgemeinen Teil des Strafgesetzentwurfs von 1959 I fügte es beispielsweise in § 15 (Handeln für einen anderen) einen zweiten Absatz ein, der sicherstellte, dass kriminell handelnde Vertreter juristischer Personen für Delikte in Ausübung ihres Amtes auch dann bestraft werden können, wenn ihre Bestellung zum Vertreter zivilrechtlich unwirksam gewesen ist.22 Außerdem wurden in § 18 Abs. 1 (Fahrlässigkeit und Leichtfertigkeit) durch die Streichung der Worte „und fähig“ die Anforderungen an den Fahrlässigkeitsvorwurf im künftigen Strafrecht im Vergleich zur ersten, von der Großen Strafrechtskommission vorgeschlagenen Fassung herabgesetzt.23 Des Weiteren erhielt neben dem Allgemeinen auch der Besondere Teil des E 1959 I mehrere sachlich bedeutende Modifikationen: So formulierten die Ministerialbeamten zum Beispiel die Strafvorschrift des § 312 (Fälschung und Unterdrückung technischer Aufzeichnungen) grundlegend neu.24 Ferner wurde der Anwendungsbereich des § 227 (Mittel zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten oder der Empfängnis) durch das Ministerium nachträglich erweitert, indem es den dort beschriebenen Tathandlungen am Schluss einen relativ unbestimmten Auffangpassus beifügte, wonach derjenige bestraft werden sollte, welcher Verhütungsmittel an einem allgemein zugänglichen Ort zugänglich macht.25 Darüber hinaus fügten die Verantwortlichen der Strafrechtsabteilung des Bundesministeriums der Justiz dem Entwurf 1959 I auch einige völlig neue Strafnormen hinzu, welche die Große Strafrechtskommission ihrerseits noch gar nicht vorgesehen hatte, wie beispielsweise den § 316a (Grenzverrückung)26 oder den § 186b (Verwertung von Privatgeheimnissen)27. Die Vorschrift des § 313 (Anfertigung unrichtiger 21 BArch, B 141/17251, S. 74 (Liste mit Änderungsvorschlägen der Abt. II des BMJ zum E 1959 vom 9. 9. 1959). 22 BArch, B 141/17251, S. 32 (Liste mit Änderungsvorschlägen der Abt. II des BMJ zum E 1959 vom 17. 8. 1959); s. auch Begr. zum E 1962, BT-Drucks. IV/650, S. 128. 23 BArch, B 141/17251, S. 32 (Liste mit Änderungsvorschlägen der Abt. II des BMJ zum E 1959 vom 17. 8. 1959). Hierzu auch Schmitz-Esser, Der Allgemeine Teil des E 1962 als Quelle der Rechtsfindung, S. 72. Später erhielt die Norm auf Drängen der Bundesländer wieder die von der Kommission vorgeschlagene Fassung. 24 BArch, B 141/17251, S. 73 f. (Liste mit Änderungsvorschlägen der Abt. II des BMJ zum E 1959 vom 9. 9. 1959). 25 BArch, B 141/17251, S. 55 (Liste mit Änderungsvorschlägen der Abt. II des BMJ zum E 1959 vom 4. 9. 1959). 26 BArch, B 141/17251, S. 74 (Liste mit Änderungsvorschlägen der Abt. II des BMJ zum E 1959 vom 9. 9. 1959). 27 BArch, B 141/17287, S. 54 (Zusammenstellung des BMJ über wesentliche Änderungen im Gesetzentwurf).

I. Die Rolle der Bundesministerien

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technischer Aufzeichnungen) wurde dagegen ersatzlos gestrichen.28 Trotz dieses einen Gegenbeispiels wird damit in der Tendenz erkennbar, dass die vom Justizministerium vorgenommenen materiellrechtlich bedeutsameren Modifikationen im Gesetzentwurf ganz überwiegend auf eine Erweiterung der von der Expertenkommission vorgeschlagenen Strafnormen zielten. Im Mittelpunkt stand für das Ressort in erster Linie das Schließen von Strafbarkeitslücken; für den Gedanken, dass das Strafrecht eigentlich nur Ultima Ratio sein und deshalb möglichst behutsam eingesetzt werden sollte,29 zeigte es sich hingegen relativ wenig sensibilisiert. Nicht nur während der Beratungen der Großen Strafrechtskommission, sondern ebenfalls im weiteren Verlauf der Reformarbeiten nutzte das Bundesministerium der Justiz seine reformpolitische Schlüsselstellung als administrativer Organisator und zugleich aktiver Mitgestalter somit primär dazu, die Reformbemühungen im bundesdeutschen Strafrecht in eine konservative Richtung zu lenken.30 Diese Haltung des Justizministeriums spiegelte sich abseits der konkreten juristischen Veränderungen, die es im Gesetzestext vorgenommen hatte, schließlich auch in der Einschätzung des Fortgangs der Erneuerungsbemühungen im Strafrecht wider. Die Ministerialbeamten waren sich durchaus bewusst, dass einige Normen des Gesetzesvorhabens, insbesondere aus dem Besonderen Teil, aus weltanschaulicher beziehungsweise politischer Perspektive streitbar waren und später äußerst kontroverse Diskussionen hervorrufen würden. Bezüglich der Vorschriften zum Ehebruch, zur künstlichen Samenübertragung und zur Kuppelei sowie den Straftaten gegen den religiösen Frieden ging das Justizressort zum Beispiel davon aus, dass diese im weiteren Verlauf der Reformdiskussion „zu Erörterungen weltanschaulicher Art Anlaß geben“31 könnten.32 Bei vielen weiteren Sittlichkeitsdelikten, wie etwa der Unzucht mit Kindern oder Tieren, und bei diversen der im fünften Abschnitt geregelten Straftaten gegen den Staat und seine Einrichtungen, wie beispielsweise die hochverräterische Werbung oder die staatsgefährdende Agententätigkeit, rechnete man sogar damit, dass diese infolge ihrer bisherigen Ausgestaltung „politische[…] Schwierigkeiten“33 verursachen würden.34 Aus diesem Grund wurden sie in einem 28 BArch, B 141/17251, S. 74 (Liste mit Änderungsvorschlägen der Abt. II des BMJ zum E 1959 vom 9. 9. 1959). 29 Zu diesem Grundsatz s. BVerfGE 39, 1 (47); Frisch, in: Küper/Welp (Hg.), Festschrift für Stree und Wessels, S. 69 (70 f. und 96 – 106). 30 In dieser Richtung auch schon Holtz, Strafrechtsreformen, S. 211 f. 31 BArch, B 141/17281, S. 137 (Übersicht der Abt. II des BMJ zu den Vorschriften des Besonderen Teils vom 2. 1. 1962). 32 BArch, B 141/17281, S. 137 f. (Übersicht der Abt. II des BMJ zu den Vorschriften des Besonderen Teils vom 2. 1. 1962). 33 BArch, B 141/17281, S. 137 (Übersicht der Abt. II des BMJ zu den Vorschriften des Besonderen Teils vom 2. 1. 1962). 34 BArch, B 141/17281, S. 137 – 139 (Übersicht der Abt. II des BMJ zu den Vorschriften des Besonderen Teils vom 2. 1. 1962). Ausführlich zu den vielfach besonders kontrovers diskutierten Sittlichkeitsdelikten im Gesetzentwurf aus zeitgenössischer Sicht Sturm, Die Straftaten

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E. Der Einfluss der Politik

internen Papier des Referats R II 1 aus dem Jahr 1962 nochmals besonders gekennzeichnet und teils mit handschriftlichen Kommentaren versehen.35 Ob sich die Beamten der strafrechtlichen Abteilung des Justizministeriums dabei mit den im Raum stehenden Fassungen dieser Strafnormen des Entwurfs inhaltlich identifizierten und einverstanden erklärten, lässt sich den einschlägigen Archivalien nicht zweifelsfrei entnehmen.36 Dass sie aber keinerlei Anstrengungen unternahmen, für diese Vorschriften nach einer alternativen, fortschrittlicheren Lösung zu suchen, liefert nach den meist rückwärtsgewandten Änderungen des Bundesjustizministeriums in dem von der Großen Strafrechtskommission erarbeiteten Kodifikationsentwurf zumindest einen weiteren Hinweis dafür, dass dieses mit Hilfe seiner dominanten Stellung im Prozess der Strafrechtserneuerung eine Reform anstrebte, „die […] mehr konservative als revolutionäre Züge tragen“37 sollte. Ein ausschließlich sachorientierter, inhaltlich neutraler Fachwalter der Strafrechtsreform war das Bundesministerium der Justiz jedenfalls nicht.

2. Die weiteren Bundesministerien Aber nicht nur im Bundesministerium der Justiz, sondern auch in vielen weiteren Ressorts hatte man sich mit der Strafrechtsmodernisierung beschäftigt. Der Umfang sollte dabei je nach Geschäftsbereich allerdings höchst unterschiedlich ausfallen. Für einige Ministerien ergaben sich in ihrem administrativen Aufgabenkreis naturgemäß annähernd keine Berührungspunkte mit dem Strafrecht, dem Strafprozessrecht oder den strafrechtlichen Nebengebieten. Dies galt zum Beispiel für das Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, das Bundesministerium für Wohnungsbau sowie das Bundesministerium für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Strafrechtsreform war hier folglich eher fernliegend, denn es bestand diesbezüglich kaum eine sachliche Notwendigkeit. Dementsprechend beließen es diese Ministerien in ihren an den Bundesjustizminister gerichteten Positionspapieren bei der knappen und allgemein gehaltenen Feststellung, dass sie „Änderungswünsche weder zum Allgemeinen noch zum Besonderen Teil des

gegen die Sittlichkeit im E 1962; aus heutiger Sicht s. zu einigen Vorschriften im Überblick die Darstellung bei Hartmann, Prostitution, Kuppelei, Zuhälterei, S. 216 – 221. 35 BArch, B 141/17281, S. 137 (Übersicht der Abt. II des BMJ zu den Vorschriften des Besonderen Teils vom 2. 1. 1962). 36 BArch, B 141/17281, S. 137 f. (Übersicht der Abt. II des BMJ zu den Vorschriften des Besonderen Teils vom 2. 1. 1962). 37 BArch, B 141/17229, S. 73 (Ministerialdirektor Schafheutle in einer Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954).

I. Die Rolle der Bundesministerien

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künftigen Strafgesetzbuchs“38 vorzubringen hätten. Auf konkrete, einzelne rechtliche Gesichtspunkte des Kodifikationsvorhabens gingen sie gar nicht erst näher ein. Eine intensivere Beschäftigung mit dem Gesetzentwurf sollte dagegen im Bundesministerium der Finanzen, der Verteidigung, für Familien- und Jugendfragen sowie im Bundesministerium des Innern erfolgen. In inhaltlicher Hinsicht war hierbei für die Rolle dieser Ressorts unabhängig vom Sachgebiet praktisch unisono kennzeichnend, dass sie in Bezug auf das künftige deutsche Strafrecht ähnlich wie auch das Bundesministerium der Justiz vornehmlich traditionelle Vorstellungen hatten. Moderne, liberale Alternativvorschläge zur Grundkonzeption des Kommissionsentwurfs kamen daher von ihrer Seite nicht. Im Gegenteil, vielfach zielten ihre juristischen Änderungs- und Ergänzungsbegehren bezüglich verschiedenster Themengebiete sogar auf eine weitere Verschärfung des Konservatismus im Entwurf des neuen bundesdeutschen Strafgesetzbuchs ab. a) Das Bundesministerium der Finanzen Richtet man den Fokus zunächst auf das unionsgeführte Bundesministerium der Finanzen, so fällt auf, dass hier bei der Beschäftigung mit dem Gesetzentwurf ganz dem Sachgebiet entsprechend vor allem finanzpolitische Aspekte im Mittelpunkt standen. So regte das Ministerium etwa an, die Geldstrafe, anders als im Entwurf vorgesehen, nicht in der Höhe zu beschränken.39 Begründet wurde dieser Wunsch offiziell mit einem kriminalpolitischen Argument: Eine unbeschränkte Geldstrafe sei „im Hinblick auf die Zunahme der Intelligenzverbrechen sinnvoller“40. In Wirklichkeit dürfte es dem Finanzressort aber zumindest auch um höhere Einnahmen gegangen sein. Durchsetzen konnte sich diese Forderung jedoch nicht; es blieb im Ergebnis bei der beschränkten Geldstrafe. Ebenso scheiterte das Ministerium mit seinem Versuch, den im Ausland begangenen Bruch des Steuergeheimnisses nicht nur in bestimmten Einzelfällen, sondern ganz generell unter Strafe stellen zu lassen.41 Erfolgreich gelang es ihm hingegen, den § 115 (Verfall) des E 1959 I um einen neuen Absatz zu erweitern, der dem Staat die Abschöpfung des Zinsgewinns aus den finanziellen Vorteilen von Straftaten ermöglichte.42 Überdies brachte sich das Finanzressort aber auch mit einigen nicht sachgebietsspezifischen Stellungnahmen in den Reformprozess ein. Für den Allgemeinen Teil des künftigen Strafgesetzbuchs empfahl es beispielsweise, den in Art. 103 Abs. 3 GG enthaltenen Grundsatz, dass 38 BArch, B 141/17286, S. 446 (Schreiben des BMVt an das BMJ vom 15. 12. 1958); sehr ähnlich BArch, B 141/17286, S. 444 (Schreiben des BMW an das BMJ vom 12. 12. 1958); BArch, B 141/17286, S. 445 (Schreiben des BMW an das BMJ vom 23. 12. 1958); BArch, B 141/17286, S. 449 (Schreiben des BMBR an das BMJ vom 13. 12. 1958). 39 BArch, B 141/17286, S. 114 f. (Schreiben des BMF an das BMJ vom 13. 1. 1958). 40 BArch, B 141/17286, S. 114 (Schreiben des BMF an das BMJ vom 13. 1. 1958). 41 BArch, B 141/17289, S. 17 (Ressortbesprechung im BMJ vom 27. bis 29. 3. 1962). 42 BArch, B 141/17287, S. 49 (Zusammenstellung des BMJ über wesentliche Änderungen im Gesetzentwurf).

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E. Der Einfluss der Politik

niemand wegen derselben Tat mehrfach bestraft werden kann, hier nochmals zu erwähnen.43 Und im Besonderen Teil bezog es nicht nur zu den finanzpolitisch besonders relevanten Delikten der Geld- und Wertzeichenfälschung Stellung, sondern befasste sich darüber hinaus zum Beispiel ebenso mit dem Missbrauch von Tonaufnahmen, der Beweismittelfälschung und der Bandenbildung.44 b) Das Bundesministerium der Verteidigung Während sich das Bundesministerium der Finanzen also auch ein Stück weit über die Aspekte seines Geschäftsbereichs hinaus mit der Reform des Strafrechts befasste, konzentrierte sich das von dem CSU-Politiker Franz Josef Strauß (1915 – 1988) geleitete Bundesministerium der Verteidigung ausschließlich auf solche Gesichtspunkte, die für sein Zuständigkeitsgebiet erheblich waren. Dabei ging es vor allem um die Straftaten gegen die Landesverteidigung und die Völkergemeinschaft. Erstere betreffend setzte sich das Ressort insbesondere dafür ein, dass der Anwendungsbereich des § 415 (Verletzung von Geheimnissen) auf Gegenstände und Mitteilungen beschränkt blieb, und nicht, wie es etwa das Wirtschaftsministerium gefordert hatte, auf Erkenntnisse und Tatsachen ausgedehnt wurde.45 Damit wollte das Verteidigungsministerium sicherstellen, dass im Interesse der Landesverteidigung notwendige wissenschaftliche Arbeiten nicht unnütz erschwert werden.46 Bei den Straftaten gegen die Völkergemeinschaft standen ebenfalls verteidigungs- und militärpolitische Interessen im Mittelpunkt. Hauptziel des Ministeriums war es, dass in diesem Abschnitt des künftigen Strafgesetzbuchs möglichst wenig Strafnormen aufgestellt werden. Schon kurz bevor sich die amtliche Kommission hierüber beriet, warnten führende Beamte des Verteidigungsressorts in einem Schreiben an den Bundesjustizminister eindringlich davor, im Bereich der Völkerrechtsverletzungen ein „Übermaß von Straftatbeständen“47 zu schaffen, weil ihrer Meinung nach sonst „die Entschlussfreudigkeit des Soldaten beeinträchtig[t]“48 werden würde. Deshalb rieten sie dazu, Straftatbestände gegen die Völkergemeinschaft nur in dem Umfang in das neue Strafgesetzbuch aufzunehmen, in welchem die Bundesrepublik hierzu völkerrechtlich verpflichtet war.49 Hiermit bezog das Verteidigungsministerium einen eher fortschrittsfeindlichen Standpunkt, denn gerade nach den Erfahrungen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates und des Zweiten Weltkriegs wäre ein verstärktes Eintreten für das Völkerstrafrecht sowie einen umfassenden strafrechtlichen Schutz desselben angemessen gewesen. 43 44 45 46 47 48 49

BArch, B 141/17286, S. 114 – 116 (Schreiben des BMF an das BMJ vom 13. 1. 1958). BArch, B 141/17286, S. 114 – 116 (Schreiben des BMF an das BMJ vom 13. 1. 1958). BArch, B 141/17289, S. 42 f. (Ressortbesprechung im BMJ vom 27. bis 29. 3. 1962). BArch, B 141/17289, S. 43 (Ressortbesprechung im BMJ vom 27. bis 29. 3. 1962). BArch, B 141/17286, S. 413 (Schreiben des BMVtg an das BMJ vom 15. 7. 1957). BArch, B 141/17286, S. 413 (Schreiben des BMVtg an das BMJ vom 15. 7. 1957). BArch, B 141/17286, S. 413 (Schreiben des BMVtg an das BMJ vom 15. 7. 1957).

I. Die Rolle der Bundesministerien

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c) Das Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen Ebenfalls vergangenheitsorientiert positionierte sich das von der CDU geführte Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen, welches sich ausführlich mit den strafbaren Handlungen gegen die Ehe und Familie sowie den Straftaten gegen die Sittlichkeit beschäftigte. Am deutlichsten zeigte sich der Konservatismus dabei in der Haltung des Ministeriums zur Strafbarkeit des Ehebruchs und der Homosexualität. Den Ehebruch straflos zu stellen, wie es noch in der amtlichen Expertenkommission andiskutiert und im Ergebnis nur mit knapper Mehrheit verneint worden war,50 lehnte es strikt ab, weil „die eheliche Treuepflicht […] nach den unserer Rechtsordnung zugrunde liegenden ethischen Wertvorstellungen die Grundlage eines gesunden Ehe- und Familienlebens [ist]“51. Darüber hinaus hielt es sogar eine Erweiterung des bisherigen Strafrahmens bei diesem Straftatbestand für „begrüßenswert“52, da so „das Delikt aus dem Bereich der Bagatellsachen herausgehoben wird“53. Seinen nicht minder vehementen Eintritt für die Strafbarkeit der männlichen Homosexualität begründete das Familienministerium unterdessen damit, dass die Homosexualität im Allgemeinen eine „Ablehnung des in unserer Gesellschaft anerkannten Sittengesetzes“54 und „Verleugnung der natürlichen Geschlechtsordnung“55 darstellen würde. Im Gegensatz zur Großen Strafrechtskommission, die sich in fortschrittlicher Weise mehrheitlich gegen die Strafbarkeit der einfachen männlichen Homosexualität ausgesprochen hatte,56 nahm das Familienministerium also auch in diesem Punkt eine extrem traditionelle Haltung ein. Aber nicht nur in diesen besonders herausstechenden, sondern ebenso in zahlreichen weniger exponierten Fragen des Familien- und Sexualstrafrechts stellte sich das Ressort auf einen betont restaurativen Standpunkt. So setzte es sich beispielsweise „im Interesse einer Reinerhaltung des Familienlebens“57 dafür ein, den Beischlaf zwischen Verschwägerten im Anschluss an die Vorschrift des § 172 Abs. 2 S. 2 StGB a. F. auch im künftigen Recht unter Strafe zu stellen.58 Außerdem wollte es zur Kuppelei einen gänzlich neuen Straftatbestand einfügen, der so weit gefasst sein sollte, dass er auch Fälle erfasst, „bei denen erwachsene Personen junge Mädchen ihres Bekanntenkreises z. B. auf zweifelhaften Parties bedenkenlos verkuppeln“59. Sogar der im Jahr 50

Zur Diskussion um die Strafbarkeit des Ehebruchs in der Großen Strafrechtskommission s. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 364 – 368 sowie die unterschiedlichen Fassungsvorschläge der Unterkommission in Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, Anhang Nr. 34, S. 635 f. 51 BArch, B 141/17286, S. 49 (Schreiben des BMFa an das BMJ vom 21. 4. 1958). 52 BArch, B 141/17286, S. 49 (Schreiben des BMFa an das BMJ vom 21. 4. 1958). 53 BArch, B 141/17286, S. 49 (Schreiben des BMFa an das BMJ vom 21. 4. 1958). 54 BArch, B 141/17286, S. 100 (Schreiben des BMFa an das BMJ vom 26. 3. 1962). 55 BArch, B 141/17286, S. 100 (Schreiben des BMFa an das BMJ vom 26. 3. 1962). 56 S. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 8, S. 228. 57 BArch, B 141/17286, S. 48 (Schreiben des BMFa an das BMJ vom 21. 4. 1958). 58 BArch, B 141/17286, S. 48 (Schreiben des BMFa an das BMJ vom 21. 4. 1958). 59 BArch, B 141/17286, S. 105 (Schreiben des BMFa an das BMJ vom 26. 3. 1962).

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E. Der Einfluss der Politik

1943 von den Nationalsozialisten im Zeichen ihrer Rechtsideologie eingeführte, in der strafrechtlichen Praxis schlechthin nahezu bedeutungslose § 170a StGB a. F. (Verschleuderung von Familienhabe) sollte nach seinem Willen im künftigen bundesdeutschen Strafgesetzbuch beibehalten werden.60 Diese weiteren Vorschläge des Familienministeriums fanden jedoch, anders als die Strafbarkeit des Ehebruchs und der einfachen Homosexualität unter Männern, im Ergebnis keinen Eingang in den offiziellen Kodifikationsentwurf. Im Hinblick auf die Rolle des Bundesministeriums für Familien- und Jugendfragen im Reformprozess machen sie aber deutlich, dass dieses Ressort zu besonders starken Moralisierungen im Strafrecht neigte und dass es die Straftaten gegen die Ehe, Familie und Sittlichkeit insgesamt noch wesentlich konservativer ausgestalten wollte, als es im Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 1959 I ohnehin bereits der Fall war. d) Das Bundesministerium des Innern Die ausführlichste Beschäftigung mit der Strafrechtsreform erfolgte schließlich, abgesehen vom Justizressort, im Bundesministerium des Innern, welches ebenfalls von der CDU gelenkt wurde. Weil die Strafrechts- mit der Innen- und Sicherheitspolitik im engen Zusammenhang steht, unterzog dieses Ministerium diverse Vorschriften des Allgemeinen und des Besonderen Teils des E 1959 I einer eingehenden verwaltungsförmlichen Prüfung. Dies betraf insbesondere die Regelungen über die Ausweisung straffällig gewordener Ausländer,61 die Straftaten gegen die öffentliche Ordnung62 sowie die Straftaten gegen den Staat und seine Einrichtungen63. Darüber hinaus holte es zu den Straftaten gegen die Sittlichkeit und den Straftaten gegen den Staat und seine Ordnung externe Gutachten der Landeskriminalämter sowie des Bundeskriminalamts ein.64 Außerdem fanden zwischen dem Innen- und dem Justizministerium im weiteren Verlauf der Strafrechtsreform wiederholt gesonderte, intensive Besprechungen über Einzelfragen des Gesetzentwurfs statt.65 Während sich das Bundesministerium des Innern also hinsichtlich des Umfangs der Beteiligung an den Reformarbeiten von den anderen Ressorts absetzte, bewegte es sich inhaltlich dagegen auf einer ähnlichen Linie wie die meisten Ministerien. Vorwiegend vertrat es einen rückwärtsgewandten Standpunkt, welcher sich vor allem in der Forderung nach 60

BArch, B 141/17286, S. 52 (Schreiben des BMFa an das BMJ vom 21. 4. 1958). BArch, B 141/17286, S. 201r–204v (Schreiben des BMI an das BMJ vom 8. 11. 1958). 62 BArch, B 141/17286, S. 311 – 313 (Besprechung zwischen Vertreten des BMI und des BMJ am 28. 9. 1962). 63 BArch, B 141/17286, S. 311 – 313 (Besprechung zwischen Vertreten des BMI und des BMJ am 28. 9. 1962). 64 BArch, B 141/17286, S. 236 (Schreiben des BMI an das BMJ vom 24. 4. 1959; die Stellungnahmen sind dem Schreiben als Anlagen beigefügt). 65 BArch, B 141/17286, S. 277 – 284 (Besprechung zwischen Vertreten des BMI und des BMJ am 25. 1. 1961); BArch, B 141/17286, S. 311 – 313 (Besprechung zwischen Vertreten des BMI und des BMJ am 28. 9. 1962). 61

I. Die Rolle der Bundesministerien

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schärferen Strafen ausdrückte. So plädierte das Innenministerium beispielsweise dafür, im Allgemeinen Teil des Strafgesetzentwurfs 1959 I den Aberkennungszeitraum des Wahlrechts in § 48 (Nebenstrafen) von zwei bis fünf auf vier bis zehn Jahre zu erhöhen.66 Im Besonderen Teil erschien ihm etwa die in § 435 Abs. 1 (Verstoß gegen das Berufsverbot) festgesetzte Höchststrafe von einem Jahr Gefängnis als zu gering.67 Durchsetzen konnte es diese Änderungswünsche jedoch nicht. Erfolgreich warb das Innenressort hingegen für eine Änderung des Strafrahmens in § 308 (Mißbrauch von Titeln, Uniformen und Abzeichen). Auf sein Begehren hin wurde als Strafe nicht nur Strafhaft und Geldstrafe, sondern auch Gefängnis vorgesehen.68 Besonders deutlich äußerte sich der Konservatismus des Innenministeriums zudem in der Forderung, die Tatbestände der Bettelei und Landstreicherei noch weiter zu fassen, als dies von der Großen Strafrechtskommission vorgesehen war, „damit möglichst alle Bettler und Landstreicher strafrechtlich erfaßt werden“69 könnten. Und auch die Aufforderung an das Justizministerium, den § 1 (Keine Strafe ohne Gesetz) wieder aus dem Kodifikationsentwurf zu streichen, weil dieser „eine bloße Wiederholung des Artikels 103 Absatz 2 GG [darstellt, …] deren Aufnahme in das Strafgesetzbuch nicht zwingend notwendig erscheint“70, zeugt von eher altmodischen Strafrechtsvorstellungen. Die Verantwortlichen des Bundesministeriums des Innern zeigten sich mithin genau wie ihre Beamtenkollegen aus dem Verteidigungsund dem Familienressort insgesamt wenig modernisierungswillig; ein stärker zukunftsorientiertes, liberales Strafrechtsdenken war ihnen weitgehend fremd.

3. Die Ressortchefs Bei der Mitwirkung der Bundesministerien an der Strafrechtsreform fällt im Ergebnis nicht nur auf, dass deren Vorschläge für das neue Gesetzbuch in ihrer konkreten juristischen Ausgestaltung meist rechtsbewahrender und somit konservativer Art waren, sondern ebenfalls, dass diese fast ausschließlich von Ministerialbeamten stammten. Die politische Führungsriege der jeweiligen Ministerien, also die Bundesminister selbst, beschäftigte sich mit Ausnahme des fachlich verantwortlichen Justizministers dagegen nur in einem relativ geringen Umfang mit den Reformbestrebungen. Dies zeigte sich bereits daran, dass die Ressortchefs an der geschäftsbereichsübergreifenden Konferenz zum Kodifikationsentwurf im Justizministerium nicht

66

BArch, B 141/17286, S. 201 f. (Schreiben des BMI an das BMJ vom 8. 11. 1958). BArch, B 141/17286, S. 234 (Schreiben des BMI an das BMJ ohne Datum). 68 BArch, B 141/17286, S. 235 (Schreiben des BMI an das BMJ ohne Datum). 69 BArch, B 141/17286, S. 279 (Besprechung in den Räumen des BMJ zwischen Vertreten des BMI und des BMJ am 25. 1. 1961). 70 BArch, B 141/17286, S. 201 (Schreiben des BMI an das BMJ vom 8. 11. 1958). 67

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E. Der Einfluss der Politik

teilnahmen.71 Gesonderte Ministerbesprechungen über dessen Einzelheiten auf höchster politischer Ebene waren die Ausnahme; sie wurden im Verlauf der Reformarbeiten nur zu vergleichsweise wenigen Punkten durchgeführt.72 Obgleich den Bundesministerien bei den Reformbestrebungen generell eine gewichtige Rolle zukam, übten sich die ihnen vorstehenden Personen also in Zurückhaltung. Anders als ihre Beamten setzten sie sich nicht besonders intensiv mit dem Gesetzesvorhaben auseinander. Diese eher desinteressierte Haltung setzte sich sodann auch im Bundeskabinett fort. Dort berieten die Minister ebenfalls nur relativ selten über das Reformvorhaben, obwohl Bundeskanzler Konrad Adenauer in seiner Regierungserklärung vom 29. Oktober 1957 der großen Strafrechtsreform in der Rechtspolitik noch absolute Priorität eingeräumt hatte.73 Gegenstand der Kabinettsberatungen war hierbei zum einen der § 160 (Unterbrechung einer aufgezwungenen Schwangerschaft), welchen die Bundesminister wegen „sittliche[r] Bedenken“74 aus dem Entwurf strichen.75 Damit wurde der moderne, freiheitliche Ansatz der Großen Strafrechtskommission, den Schwangerschaftsabbruch bei Sittlichkeitsverbrechen straflos zu stellen, wieder rückgängig gemacht. Genau wie die ihnen unterstellten Ministerialbeamten nahmen also auch die Ressortchefs selbst an der Gesetzesvorlage Korrekturen in restaurativer Richtung vor. Neben dem § 160 widmeten sich die Bundesminister im Kabinett zudem noch kurz den Bestechungsdelikten.76 Hierzu hatte auch das Bundesministerium der Justiz ausdrücklich geraten.77 Der Bitte des Justizressorts, außerdem noch über einige weitere politisch bedeutungsvolle Normen des offiziellen Kodifikationsvorschlags direkt auf höchster Ebene im Kabinett zu beraten, etwa im Bereich der vorbeugenden Verwahrung, bei den Regelungen zur Störung der Religionsausübung oder der Sanktionierung der landesverräterischen

71

BArch, B 141/17289, S. 14 f. (Ressortbesprechung im BMJ vom 27. bis 29. 3. 1962). BArch, B 141/17286, S. 313 (Vermerk des BMJ vom 28. 9. 1962); BArch, B 141/17289, S. 6 (Einladung des BMJ zur Chefbesprechung am 11. 4. 1962). 73 MdB Adenauer in der 3. Sitzung des III. Deutschen Bundestages am 29. 10. 1957, BTStenogr. Berichte, Bd. 39, S. 21 (A). 74 Begr. zum E 1962, BT-Drucks. IV/650, S. 293. 75 BArch, B 141/17281, S. 137 (Übersicht der Abt. II des BMJ zu den Vorschriften des Besonderen Teils vom 2. 1. 1962). S. hierzu auch die Beschlüsse der 107. Kabinettssitzung am 18. 5. 1960, abgedruckt bei Weber/Behrendt/Seemann, Kabinettsprotokolle, Bd. 13, S. 206 sowie der 120. Kabinettssitzung am 8. 9. 1960, abgedruckt bei Weber/Behrendt/Seemann, Kabinettsprotokolle, Bd. 13, S. 312. Aus zeitgenössischer Sicht kritisch zum § 160 des Entwurfs Blei, in: FamRZ 1962, S. 403 (403 – 411). 76 S. hierzu den Beschluss der 120. Kabinettssitzung am 8. 9. 1960, abgedruckt bei Weber/ Behrendt/Seemann, Kabinettsprotokolle, Bd. 13, S. 312. Anlass für die rechtspolitische Diskussion über die Bestechungsdelikte im Bundeskabinett war seinerzeit das Urteil BGH NJW 1960, S. 830 (830 f.); mit Anm. Schmidt, in: NJW 1960, S. 802 (802 – 804) gewesen, welches in Regierungskreisen vielfach extrem starkes Unverständnis hervorgerufen hatte. 77 BArch, B 141/17309, S. 72 f. (Schreiben des BMJ an die Bundesregierung mit der Bitte, zum Entwurf eines Strafgesetzbuchs Stellung zu nehmen, vom 19. 9. 1962). 72

II. Die Rolle der Bundesländer

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Ausspähung, kam man dann jedoch nicht mehr nach.78 Auch eine Diskussion über die sanktionsrechtlichen Grundlagen des Kodifikationsentwurfs blieb seitens des Bundeskabinetts aus.

II. Die Rolle der Bundesländer Als weiterer politischer Akteur brachten sich neben den Bundesministerien auch die Bundesländer in die Bemühungen um eine grundlegende Strafrechtsmodernisierung ein. Zunächst berieten sie in einer eigenen Kommission über den bisherigen Entwurf eines neuen Strafgesetzbuchs, welcher nach Einarbeitung der Änderungswünsche der Ministerien und der im E 1959 I noch nicht berücksichtigten Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission in zweiter Lesung nunmehr als E 1959 II bezeichnet wurde.79 Später debattierten die Länder dann nochmal im Bundesrat über das Kodifikationsvorhaben.

1. Der Beratungsverlauf in der Länderkommission Für den Bundesjustizminister Thomas Dehler stand schon im Jahr 1953 fest, dass „das Werk der Reform […] nur gelingen [kann], wenn es auch von den Ländern, vor allem den Landesjustizverwaltungen, verständnisvoll und tatkräftig unterstützt wird“80. Deshalb wurde nur kurze Zeit nachdem die Große Strafrechtskommission am 19. Juni 1959 ihre Tätigkeit beendet hatte, eine Länderkommission zur Strafrechtsreform einberufen, die den bisherigen Kodifikationsvorschlag kritisch überprüfen sollte. In diese konnte jedes der zehn Bundesländer einen Repräsentanten entsenden. Auch West-Berlin war mit einem Delegierten vertreten. Dadurch bestand nunmehr für alle, insbesondere die in dem amtlichen Expertenkreis des Bundesjustizministeriums seinerzeit nicht repräsentierten Länder, die Möglichkeit, auf die Erneuerung des deutschen Strafrechts sachlichen Einfluss zu nehmen.

78 BArch, B 141/17309, S. 69 – 73 (Schreiben des BMJ an die Bundesregierung mit der Bitte, zum Entwurf eines Strafgesetzbuchs Stellung zu nehmen, vom 19. 9. 1962). 79 Einen ausführlichen Bericht zu den Grundgedanken und einzelnen Normen des E 1959 II aus Sicht des BMJ liefert Schwalm, in: MDR 1959, S. 797 (797 – 801), 884 (884 – 887), 965 (965 – 969), MDR 1960, S. 6 (6 – 9). 80 BArch, B 141/17156, S. 10 f. (Schreiben Dehlers an die Landesjustizverwaltungen vom 21. 7. 1953).

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E. Der Einfluss der Politik

Am 29. September 1959 trat die Länderkommission erstmals in Rhöndorf in der Nähe von Bonn zusammen.81 Den Vorsitz führte der Staatssekretär Herbert Krille (1903 – 1988) aus dem Justizministerium Nordrhein-Westfalens, der bereits in der Großen Strafrechtskommission mitgewirkt hatte.82 Seine Stellvertreter waren Joachim Wilkerling (1900 – 1967) aus Niedersachsen, Walther Rösch (1903 – 1977) aus Bayern und Hanns Dünnebier (1907 – 1995) aus Bremen.83 Über einen Zeitraum von gut zwei Jahren diskutierte die Kommission dann in insgesamt 17 Tagungen mit 85 Sitzungen über Änderungen und Ergänzungen zur bisherigen Fassung des Gesetzentwurfs. Die einzelnen Zusammenkünfte umfassten in der Regel etwa fünf Tage und fanden an verschiedenen Orten der Bundesrepublik statt. Als Grundlage für ihre Beratungen wurden den Repräsentanten der Länder dabei stets ein aktueller Text des Entwurfs sowie die Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission zur Verfügung gestellt.84 Darüber hinaus konnten sie auch auf die Gutachten der Strafrechtslehrer, einige Stellungnahmen zum Entwurf und eine umfangreiche Handbücherei mit zeitgenössischen Kommentaren und Lehrbüchern zurückgreifen.85 Der Ablauf der Konferenzen in der Länderkommission ähnelte währenddessen in weiten Teilen den Beratungen der Großen Strafrechtskommission.86 Den Einstieg in jede Sitzung bildete auch hier üblicher Weise ein Referat, welches von einem der Ländervertreter vor dem jeweiligen Termin ausgearbeitet und dann im Plenum vorgetragen wurde. Die Referatsthemen waren dafür wie folgt unter den Bundesländern aufgeteilt worden: Baden-Württemberg war für die §§ 23 – 25, 43 – 59, 183 – 191, 276 – 290 und 303 – 319 des Gesetzentwurfs zuständig, Bayern für die §§ 1 – 12, 71 – 80, 291 – 302 sowie 320 – 341, Berlin für die §§ 60 – 70, 361 – 368, 383 – 394 sowie 418 – 430 und Bremen für die §§ 13 – 22, 163 – 172, 265 – 275 und 342 – 350.87 Hamburg befasste sich mit den §§ 395 – 417, Hessen mit den §§ 91 – 102, 106 – 108, 173 – 182 und 369 – 382, Niedersachsen mit den §§ 26 – 36 sowie 431 – 459 und Nordrhein-Westfalen mit den §§ 81 – 90, 103 – 105 sowie 134 – 162.88 RheinlandPfalz bereitete die §§ 109 – 120 und 192 – 234 vor, das Saarland die §§ 37 – 42, 351 – 360 sowie 460 – 484 und Schleswig-Holstein übernahm die §§ 121 – 133 und 235 – 81

BArch, B 141/17157, S. 5 (Vermerk des BMJ vom 3. 10. 1959). Zum Verlauf dieser Tagung im Einzelnen s. Niederschriften Länderkommission, Bd. 1 (enthalten in BArch, B 141/ 17157, S. 6 – 45). 82 BArch, B 141/17157, S. 5 (Vermerk des BMJ vom 3. 10. 1959). 83 BArch, B 141/17157, S. 5 (Vermerk des BMJ vom 3. 10. 1959). 84 BArch, B 141/17157, S. 3 f. (Vermerk des BMJ vom 28. 9. 1959). 85 BArch, B 141/17157, S. 3 f. (Vermerk des BMJ vom 28. 9. 1959). 86 Zur Arbeitsweise der Länderkommission s. die Sitzungsprotokolle in Niederschriften Länderkommission, Bd. 1 – 17. Diese Protokolle sind in Bibliotheken nur noch vereinzelt vorhanden. Vollständig sind sie nur in den Beständen des Bundesarchivs unter den Signaturen BArch, B 141/17157 bis BArch, B 141/17180 einsehbar. 87 BArch, B 141/17289, S. 10 (Liste der Referenten der Länderkommission). 88 BArch, B 141/17289, S. 10 (Liste der Referenten der Länderkommission).

II. Die Rolle der Bundesländer

121

264.89 Bei besonders wichtigen oder kontroversen Themen folgte auf das Einstiegsreferat anschließend noch ein Vortrag eines weiteren Kommissionsmitglieds. Ansonsten begann das Gremium nach dem ersten Vortrag bereits mit der eigentlichen Diskussion in großer Runde. Ausgehend von der ersten Entwurfsvorlage der Großen Strafrechtskommission debattierte man hierbei über verschiedenste Änderungs- und Ergänzungsanträge aus den Bundesländern. Im Regelfall bezog sich der Meinungsaustausch dabei auf einzelne Paragraphen, teils wurden aber auch mehrere Vorschriften eines Abschnitts des Entwurfs en bloc behandelt. Höchst unterschiedlich fiel zudem die Dauer und Intensität aus, mit welcher man sich den einzelnen Normen zuwandte. Kaum Zeit wurde beispielsweise den Vorschriften des § 34 (Selbständige Strafbarkeit der Beteiligten), des § 310 (Mißbrauch von Ausweisen) sowie des § 448 (Strafvereitelung im Amt) gewidmet, ohne jegliche Diskussion nahm sie die Kommission lediglich zustimmend zur Kenntnis.90 Über die rechtliche Ausgestaltung des § 14 (Handeln für einen anderen) und des § 182 (Öffentliche Erörterung fremder Privatangelegenheiten) sowie die im vierten Titel des vierten Abschnitts des Besonderen Teils geregelten Verkehrsstraftaten debattierte man hingegen zum Beispiel sehr ausführlich und kontrovers.91 Nachdem der Meinungsaustausch in der Vollkommission abgeschlossen war, wurde bisweilen noch eine Unterkommission eingesetzt, die aus ungefähr fünf Personen bestand und konkrete Normierungsvorschläge ausarbeiten sollte. Meistens schritt man aber sofort zur Abstimmung. Per Mehrheitsvotum sprach sich die Kommission der Bundesländer dann entweder für oder gegen die Aufnahme der diskutierten Umgestaltungswünsche in den offiziellen Kodifikationsentwurf aus. Während dieser Arbeiten wurden die elf Länderrepräsentanten genau wie zuvor die Mitglieder der Großen Strafrechtskommission von mehreren Beamten aus dem Bundesministerium der Justiz begleitet. Normalerweise waren in den Sitzungen ungefähr fünf Mitarbeiter der Strafrechtsabteilung anwesend. Hierbei handelte es sich zumeist um den Ministerialdirektor Josef Schafheutle (1904 – 1973), die Ministerialräte Eduard Dreher (1907 – 1996) und Karl Lackner (1917 – 2011) sowie den Oberlandesgerichtsrat Herbert Tröndle (geb. 1919).92 Diese brachten sich mit zahlreichen Wortbeiträgen, durchschnittlich über 100 im Verlauf einer Tagung, in die Diskussionen ein. Darüber hinaus wirkten sie auch in den Unterkommissionen mit und manchmal legten sie der Gesamtkommission sogar bereits vollständig ausformulierte Vorschläge für die Neufassung von Paragraphen vor. Im Meinungsbildungsprozess der Länderkommission kam dem Justizministerium damit wieder eine tragende Rolle zu. Aber auch die elf Länderrepräsentanten nahmen 89

BArch, B 141/17289, S. 10 (Liste der Referenten der Länderkommission). S. Niederschriften Länderkommission, Bd. 1, S. 28. (enthalten in BArch, B 141/17157, S. 25); Bd. 12, S. 36; Bd. 15, S. 63 f. 91 S. Niederschriften Länderkommission, Bd. 3, S. 9 – 14 (enthalten in BArch, B 141/ 17158, S. 15 – 20); Bd. 11, S. 20 – 42; Bd. 16, S. 48 – 55. 92 S. auch BArch, B 141/17157, S. 5 (Vermerk des BMJ vom 3. 10. 1959). 90

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E. Der Einfluss der Politik

engagiert an den Beratungen über den Entwurf eines neuen Strafgesetzbuchs teil, denn die meisten Bundesländer waren „gern bereit, sich an diesen gesetzgeberischen Arbeiten intensiv zu beteiligen“93. Besonders stark prägten den Diskussionsverlauf dabei Nordrhein-Westfalen und Bremen. Sie setzen sich mit mehr als 60 beziehungsweise mehr als 40 Wortmeldungen pro Besprechung klar von den anderen Ländern ab, die im Mittel auf knapp 30 Beiträge pro Debatte kamen. Am wenigsten hatten dagegen Hamburg, Rheinland-Pfalz und das Saarland vorzuweisen, sie brachten es im Schnitt nur auf gut zehn Anmerkungen pro Konferenz.

2. Die Änderungsvorschläge der Länderkommission Als Ergebnis dieser Arbeiten legte die Länderkommission diverse Änderungsempfehlungen zum Allgemeinen wie auch zum Besonderen Teil des Entwurfs vor, die verschiedenste Aspekte des Gesetzesvorhabens betrafen. Zunächst regte die Kommission einige sprachliche Verbesserungen an, wie es zuvor auch bereits die Sachbearbeiter der Strafrechtsrechtsabteilung des Bundesministeriums der Justiz getan hatten. Diesbezüglich setzte sie sich beispielsweise erfolgreich dafür ein, dass es im Katalog des § 5 (Geltung für Auslandsstraftaten unabhängig vom Recht des Tatorts) des Kodifikationsentwurfs unter Nr. 2 anstelle von „Menschen- und Sklavenhandel“ nunmehr „Menschenhandel (§ 229) und Sklavenhandel“ und unter Nr. 6 statt „gewöhnlicher Aufenthaltsort“ fortan „gewöhnlicher Aufenthalt“ hieß.94 Ferner wurde in § 7 (Zeit der Tat) des Gesetzentwurfs zur sprachlichen Optimierung hinter der Konjunktion „oder“ der Artikel „der“ wiederholt.95 Des Weiteren formulierten die Länderrepräsentanten die Vorschriften des § 173 Abs. 1 (Üble Nachrede) und des § 174 (Verleumdung) um, indem sie das Verb „verbreitet“ gegen die Worte „an einen Dritten gelangen lässt“ austauschten.96 Außerdem änderte man zum Beispiel in § 292 Abs. 1 (Aufforderung zu Straftaten) den Ausdruck „einer Straftat“ in „einem Verbrechen oder einem Vergehen“ ab97 und in § 470 Abs. 1 (Unerlaubte Hilfe bei Prüfungen) des E 1959 II wurde auf Empfehlung der Länderkommission das Wort „teilweise“ durch „zum Teil“ ersetzt98. Während diese Anregungen lediglich den Sprachgebrauch im Entwurf berührten, also vorwiegend kosmetischer Natur waren, plädierten die Kommissionsmitglieder 93 BArch, B 141/17156, S. 13 (Schreiben des Berliner Justizsenators an das BMJ vom 1. 8. 1953). 94 Niederschriften Länderkommission, Bd. 1, S. 12 f. (enthalten in BArch, B 141/17157, S. 9 f.). 95 Niederschriften Länderkommission, Bd. 1, S. 15 f. (enthalten in BArch, B 141/17157, S. 12 f.). 96 Niederschriften Länderkommission, Bd. 11, S. 41. 97 Niederschriften Länderkommission, Bd. 12, S. 146. 98 Niederschriften Länderkommission, Bd. 16, S. 6 f.

II. Die Rolle der Bundesländer

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darüber hinaus aber auch für einige sachlich bedeutsamere Modifikationen. Inhaltlich erwiesen sich diese in mancher Hinsicht durchaus als fortschrittlich. So drängte die Länderkommission beispielsweise darauf, beim Fährlässigkeitsvorwurf in § 18 Abs. 1 und 2 (Fahrlässigkeit und Leichtfertigkeit) nicht nur auf die Pflichtwidrigkeit des Handelns, sondern auch auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters abzustellen.99 Zwecks dessen sollten die vom Bundesjustizministerium zuvor gestrichenen Worte „und fähig“ wieder in den Gesetzestext eingefügt werden.100 Überdies zeigte sich die Kommission an einigen Stellen dazu bereit, gemäß dem liberalen Ultima-Ratio-Gedanken Strafbarkeitslücken in Kauf zu nehmen und einzelne Normen aus dem E 1959 II wieder zu streichen. Dies galt etwa für die Tatbestände des § 451 (Unterdrückung von Beweismitteln)101 und des § 475 (Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst)102. Positiv ist ferner zu bewerten, dass sich die Delegierten der Bundesländer bei ihren Beratungen zu § 354 (Bettelei) für eine Senkung der Strafdrohung von Gefängnis und Strafhaft auf bloße Strafhaft entschieden.103 Und auch in § 457 Abs. 1 (Vollstreckung gegen Unschuldige) votierten sie für eine Absenkung der Mindeststrafe von sechs auf drei Monate Gefängnis.104 Im Sinne eines modernen, freiheitlichen Strafrechts stellten die Vorschläge der Länderkommission zu diesen rechtlichen Gesichtspunkten also Verbesserungen gegenüber der bisherigen Fassung des Kodifikationsentwurfs dar. Diese mitunter anzutreffenden liberalen Ansätze dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Repräsentanten der Länderkommission zum überwiegenden Teil ähnliche Vorstellungen von der Strafrechtsreform hatten, wie ihre Kollegen des amtlichen Expertenkreises. Generell sahen sie keinen Anlass von traditionellen Rechtsgedanken und dem bisher in den Gesetzgebungsarbeiten eingeschlagenen Weg einer überwiegenden Orientierung am geltenden, in weiten Teilen noch auf dem Reichsstrafgesetzbuch basierenden Recht abzuweichen. Die zentralen Punkte des Grundkonzepts des Gesetzentwurfs wurden daher nicht in Frage gestellt. Vielmehr war man auch in der Kommission der Bundesländer allgemein davon überzeugt, dass „eine Vorschrift, die sich in der Praxis bewährt [hat], nicht ohne Not geändert werden [sollte]“105. Im Hinblick auf diese wertkonservative Grundhaltung ähnelten sich die beiden Expertengremien mithin stark. Darüber hinaus äußerte sich der Konservatismus der Länderkommission in verschiedensten Änderungsbegehren zum Allgemeinen und Besonderen Teil des Ko99

Niederschriften Länderkommission, Bd. 3, S. 20 – 25 (enthalten in BArch, B 141/17158, S. 26 – 31). 100 Niederschriften Länderkommission, Bd. 3, S. 20 – 25 (enthalten in BArch, B 141/17158, S. 26 – 31). 101 Niederschriften Länderkommission, Bd. 11, S. 182. 102 Niederschriften Länderkommission, Bd. 16, S. 9. 103 Niederschriften Länderkommission, Bd. 12, S. 182. 104 Niederschriften Länderkommission, Bd. 15, S. 121. 105 Niederschriften Länderkommission, Bd. 1, S. 31 (enthalten in BArch, B 141/17157, S. 28).

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E. Der Einfluss der Politik

difikationsentwurfs. So wollte man im Allgemeinen Teil beispielsweise die in § 33 (Besondere persönliche Merkmale) des E 1959 II vorgesehene obligatorische Strafmilderung für die Teilnehmer einer Straftat zu einer bloß fakultativen Strafmilderung herabsetzten.106 Mit dieser Forderung verharrten die Ländervertreter dabei in Reformgedanken aus der Zeit der Weimarer Republik, als man sich im E 1930 ebenfalls für eine lediglich fakultative Strafmilderung entschied.107 Statt den moderneren Weg einer gesetzlich vorgeschriebenen Strafmilderung zu unterstützen, orientierte man sich in diesem Punkt also lieber an älteren Strafrechtsvorstellungen. Bezüglich des Besonderen Teils drückte sich diese Einstellung der Länder währenddessen zum Beispiel in dem vielfach vorgetragenen Wunsch aus, Tatbestände zu erweitern. Hinsichtlich der Regelbeispiele in § 424 (Schwere Meuterei) des E 1959 II sprach sich die Mehrheit der Repräsentanten etwa dafür aus, dessen Katalog um weitere Beispiele zu ergänzen.108 Ebenso plädierten sie dafür, den Strafbarkeitsbereich des § 444 (Falsche Verdächtigung) und der Bestechungsdelikte auszudehnen.109 Ferner empfahlen sie auch bei § 469 Abs. 1 (Erschleichen einer Bestellung oder Zulassung) eine Ausweitung des Tatbestands.110 Nicht nur eine Tatbestandserweiterung, sondern eine gänzlich neue Strafnorm schlugen die Kommissionsmitglieder zudem für Straftaten gegen die Sittenordnung vor. Um „gegen unzüchtige Vorführungen in Revue-, Kabarett- und Varietéveranstaltungen strafrechtlich einschreiten [zu können]“111, fügten sie dem Gesetzentwurf den § 220a (Unzüchtige Schaustellungen) hinzu, der den öffentlichen Striptease unter Strafe stellte. Auf dem Gebiet der Sexualmoral neigte die Länderkommission somit zu sehr ausgeprägten, nicht mehr zeitgemäßen Moralisierungen. Neben dieser gestrigen Sichtweise in Bezug auf das Sexualstrafrecht äußerte sich der Konservatismus der Länderrepräsentanten außerdem in der wiederholten Forderung nach schärferen Strafen: „Wir sind bemüht, den Strafschutz zu erhöhen“, verkündete der Kommissionsvorsitzende Herbert Krille am 16. Dezember 1960 vor der Presse.112 Ganz im Sinne dieses Credos traten die Mitglieder der Länderkommission beispielsweise dafür ein, die Strafobergrenze im § 299 (Verängstigung der Bevölkerung) des Kodifikationsentwurfs von zwei auf drei Jahre Gefängnis heraufzusetzten.113 Überdies sollte in § 302 Abs. 1 (Mißbrauch von Titeln, Uniformen und Abzeichen) als weitere Strafform neben der Strafhaft auch Gefängnis vorgesehen werden.114 Des Weiteren 106 Niederschriften Länderkommission, Bd. 1, S. 27 f. (enthalten in BArch, B 141/17157, S. 24 f.). 107 § 32 Abs. 1 E 1930, s. Vormbaum/Rentrop (Hg.), Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 197 (205). 108 Niederschriften Länderkommission, Bd. 12, S. 122 f. 109 Niederschriften Länderkommission, Bd. 15, S. 38 und S. 160. 110 Niederschriften Länderkommission, Bd. 16, S. 2 f. 111 Begr. zum E 1962, BT-Drucks. IV/650, S. 384. 112 ACDP, Pressearchiv, Alt 0/002-I, Strafrechtsreform (dpa-Mitteilung vom 16. 12. 1960). 113 Niederschriften Länderkommission, Bd. 12, S. 158. 114 Niederschriften Länderkommission, Bd. 12, S. 171.

II. Die Rolle der Bundesländer

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regten die Delegierten zum Beispiel an, die in § 351 Abs. 1 (Vollrausch) festgelegte Strafdrohung von Strafhaft beziehungsweise Geldstrafe auf Gefängnis bis zu einem Jahr, Strafhaft oder Geldstrafe zu erhöhen.115 Mehrheitlich zielten die Umgestaltungsvorhaben der Länderkommission damit ebenso wie die der Bundesministerien auf eine Verschiebung des Entwurfs hin zum Konservatismus. Von einem parteipolitischen Standpunkt aus betrachtet fällt dabei auf, dass speziell diese Änderungs- und Ergänzungswünsche in den Kommissionsberatungen in der Regel von einer großen Mehrheit der sechs unionsgeführten Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Schleswig-Holstein getragen wurden.116 Nur in Einzelfällen versagten manche dieser Länder ihre Unterstützung.117 Aus den Reihen der damals sozialdemokratisch regierten Länder Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und Niedersachsen erhob sich hingegen prozentual gesehen häufiger Widerstand gegen die Ausweitung von Tatbeständen und Erhöhung von Strafrahmen.118 Insbesondere seitens des hessischen Justizministeriums setzte man sich für ein stärker an freiheitlichen Gedanken ausgerichtetes Strafrecht ein. Gleichzeitig unterstützten die Vertreter sozialdemokratisch geführter Bundesländer aber auch vielfach die konservativen Änderungsbegehren der anderen Länder.119 Ein klares parteipolitisch geprägtes Verhaltensmuster der Gestalt, dass sich die von der SPD gelenkten Bundesländer immer auf einen liberalen und die von der CDU gelenkten durchweg auf einen entgegengesetzten Standpunkt stellten, ergab sich damit in der Kommission nicht. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass sich die Delegierten sozialdemokratischer Landesregierungen in den Beratungen tendenziell zumindest etwas fortschrittsfreundlicher zeigten als ihre Kollegen aus den unionsgeführten Ländern. Wenn ein Änderungsvorschlag unter diesen politischen Gegebenheiten in der Kommission eine Mehrheit gefunden hatte, bedeutete dies aber noch nicht zwingend, dass er auch tatsächlich Eingang in den Gesetzentwurf fand, denn die Beschlüsse der Länderkommission waren genau wie die der Großen Strafrechtskommission nicht bindend. Während etwa bei den Diebstahlvorschriften, den Konkursstraftaten oder der Wertpapierfälschung sowie hinsichtlich der sprachlichen Gestaltung viele Empfehlungen der Bundesländer angenommen wurden,120 fanden beispielsweise ihre Anregungen zu den Normen der Bettelei und Landstreicherei oder der Gestaltung der Strafrahmen mehrheitlich entweder gar keine Berücksichtigung oder 115 116

S. 38. 117 118

S. 38. 119

Niederschriften Länderkommission, Bd. 11, S. 188. S. z. B. Niederschriften Länderkommission, Bd. 11, S. 188 f.; Bd. 12, S. 171; Bd. 15, S. z. B. Niederschriften Länderkommission, Bd. 11, S. 188 f.; Bd. 16, S. 3. S. z. B. Niederschriften Länderkommission, Bd. 11, S. 188 f.; Bd. 12, S. 171; Bd. 15,

S. z. B. Niederschriften Länderkommission, Bd. 12, S. 123 und S. 158; Bd. 15, S. 160. S. BArch, B 141/17287, S. 47 – 70 (Zusammenstellung des BMJ über wesentliche Änderungen im Gesetzentwurf). 120

126

E. Der Einfluss der Politik

wurden einer Kompromisslösung zugeführt121. Insgesamt zeigte sich die Länderkommission jedoch relativ durchsetzungsfähig, anteilig betrachtet wurden von ihren Vorschlägen mehr umgesetzt als von manchen Bundesministerien.122 Aber nicht nur juristische Aspekte betreffend konnten die Ländervertreter ihre Interessen meist erfolgreich durchsetzen, sondern auch in der für sie bedeutsamen Frage der Finanzierung des Reformvorhabens. Als Ausgleich für die zu erwartenden finanziellen Mehrbelastungen der Bundesländer, insbesondere durch die Einrichtung neuer Institutionen im Bereich der bessernden und sichernden Maßregeln, sagte ihnen das Bundesministerium der Justiz im Rahmen der Neuverteilung der Einnahmen aus der Geldstrafe und des Verfalls signifikante Mehreinnahmen zu.123 Im Reformprozess erwiesen sich die Länder mithin bereits aufgrund der erfolgreichen Tätigkeit ihrer eigenen Kommission als ein besonders durchsetzungsfähiger politischer Akteur.

3. Das Verhalten der Länder im Bundesrat Über die Arbeiten in der Kommission hinaus bot sich den Bundesländern im weiteren Verlauf der Reformbestrebungen zudem im Bundesrat die Möglichkeit, das künftige Strafrecht mitzugestalten. Dort stand der Entwurf eines neuen Strafgesetzbuchs, welcher nach der Einarbeitung einiger vorläufiger Beratungsergebnisse der Länderkommission nunmehr E 1960 genannt wurde,124 erstmals in der 224. Sitzung am 28. Oktober 1960 auf der Tagesordnung.125 Eine intensive Auseinandersetzung mit ihm erfolgte an diesem Tag jedoch nicht. Nachdem der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens Dr. Otto Flehinghaus (1904 – 1987) und der amtierende Bundesjustizminister Fritz Schäffer (1888 – 1967) einige kurze, allgemeine Feststellungen über die Bedeutung des Kodifikationsvorhabens und dessen rechtliche Grundgedanken getroffen hatten, ließ der Bundesrat den Entwurf ohne weitere Stellungnahme passieren.126 Der Grund für 121 S. BArch, B 141/17287, S. 60 f. (Zusammenstellung des BMJ über wesentliche Änderungen im Gesetzentwurf). 122 S. zu diesem Punkt Holtz, Strafrechtsreformen, S. 9 f., der für den Allgemeinen Teil eine Umsetzungsquote von circa 66 Prozent ermittelt; a. A. offenbar Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 241. 123 Niederschriften Länderkommission, Bd. 3, S. 2 – 5 (enthalten in BArch, B 141/17158, S. 8 – 11). Zu den erwarteten Mehrkosten für die Bundesländer infolge der Strafrechtsreform s. ausführlich BArch, B 141/83247 (Mehrkosten der Länder). 124 BR-Drucks. 270/60. 125 S. die 224. Sitzung des Bundesrats am 28. 10. 1960, BR-Prot. 224. Sitzung, S. 490 (B) bis 494 (B); zusammenfassend zu dieser Sitzung des Bundesrats auch Holtz, Strafrechtsreformen, S. 10 f. 126 S. die 224. Sitzung des Bundesrats am 28. 10. 1960, BR-Prot. 224. Sitzung, S. 490 (B) bis 494 (B).

II. Die Rolle der Bundesländer

127

diese Zurückhaltung war aber nicht etwa mangelndes Interesse der Länder an einer Beratung, sondern lag vielmehr in poltisch-taktischen Erwägungen: Erstens drängte die Bundesregierung den Bundesrat zu einer schnellen Weiterleitung des E 1960 an das Parlament, um ihn dort noch vor Ablauf der dritten Legislaturperiode, die im Herbst 1961 endete, der Öffentlichkeit vorstellen zu können.127 Bei einer sofortigen Beschäftigung mit dem Gesetzentwurf hätte man sich ihm deshalb voraussichtlich nicht in der gebotenen Ausführlichkeit widmen können, vielmehr hätte „die Hetzpeitsche geschwungen“128 werden müssen. Zweitens wollte der Bundesrat mit einer ausführlichen Debatte noch so lange warten, bis die Länderkommission ihre Beratungen zum künftigen bundesdeutschen Strafrecht vollständig abgeschlossen hatte.129 Da diese noch einige Zeit in Anspruch nehmen würden, verzichtete er in der Sitzung am 28. Oktober 1960 vorerst auf eine Stellungnahme zur Gesetzesvorlage und behielt sich diese für einen späteren Zeitpunkt vor.130 Nachdem die inhaltlichen Arbeiten an der Strafrechtsreform gegen Ende der dritten Wahlperiode somit zunächst zurückgestellt worden waren, nahm der Bundesrat diese nur kurze Zeit nach Beginn der vierten Legislaturperiode schon Anfang des Jahres 1962 wieder auf. Noch bevor der Entwurf der neuen Strafrechtskodifikation, welcher zur Unterscheidung vom E 1960 jetzt die Bezeichnung E 1962 erhalten hatte,131 von der Bundesregierung offiziell zugestellt worden war, leitete das Bundesministerium der Justiz dem Bundesrat bereits eine aktualisierte Fassung zu.132 Dadurch sollte ihm „schon frühzeitig die Gelegenheit zur Prüfung des Entwurfs […] gegeben“133 werden. Von dieser Möglichkeit machte der Bundesrat auch alsbald Gebrauch, indem er sich in mehreren Ausschüssen mit dem Gesetzesvorhaben beschäftigte. Erstmals wurde der Entwurf dabei in der 247. Sitzung des Rechtsausschusses am 8. März 1962 aufgegriffen. In ihr berieten die Ausschussmitglieder gemeinsam mit Vertretern des Bundesjustizministeriums zunächst über dessen

127 Vergl. hierzu die Äußerungen von Justizminister Schäffer in der 224. Sitzung des Bundesrats am 28. 10. 1960, BR-Prot. 224. Sitzung, S. 492 (C) sowie Schäffer in der 120. Kabinettssitzung der Bundesregierung am 8. 9. 1960, abgedruckt bei Weber/Behrendt/Seemann, Kabinettsprotokolle, Bd. 13, S. 311. 128 Schwarz, in: NJW 1958, S. 1571 (1572), der sich mit diesem Argument wie viele Praktiker gegen die Durchführung der Strafrechtsreform wandte. 129 MdBR Flehinghaus in der 224. Sitzung des Bundesrats am 28. 10. 1960, BRProt. 224. Sitzung, S. 492 (B). 130 S. die 224. Sitzung des Bundesrats am 28. 10. 1960, BR-Prot. 224. Sitzung, S. 494 (B). 131 BR-Drucks. 200/62; zugleich BT-Drucks. IV/650. Zu den Änderungen im E 1962 im Vergleich zum E 1960 s. ausführlich BArch, B 141/17287, S. 47 – 70 (Zusammenstellung des BMJ über wesentliche Änderungen im Gesetzentwurf). 132 BArch, B 141/17298, S. 8r (Niederschrift über die 247. Sitzung des Rechtsausschusses am 8. 3. 1962). 133 BArch, B 141/17298, S. 8r (Niederschrift über die 247. Sitzung des Rechtsausschusses am 8. 3. 1962).

128

E. Der Einfluss der Politik

weitere verfahrensmäßige Behandlung.134 Um den Gesetzesvorschlag in der gebotenen Ausführlichkeit behandeln zu können, einigte man sich darauf, dass der Rechtsausschuss einen Unterausschuss für die große Strafrechtsreform einsetzen sollte.135 In diesen konnten jedes der zehn Bundesländer sowie West-Berlin einen Vertreter entsenden.136 Am Dienstag, dem 17. April 1962, kam dieser Unterausschuss zu seiner ersten Sitzung im Zimmer 320 N des Bonner Bundeshauses zusammen.137 Sachlich setzten sich in dieser und den folgenden Besprechungen hauptsächlich die Linien fort, welche bereits bei den Konferenzen der Länderkommission zu erkennen gewesen waren. Im Allgemeinen nahmen die Repräsentanten der Länder eine wertkonservative Haltung ein, statt radikaler Reformen befürworteten sie eher eine „Beibehaltung des geltenden Rechts“138. An den tragenden Prinzipien des Gesetzentwurfs wollten sie deshalb auch nichts ändern, das Protokoll vermerkt hierzu knapp: „Ein Antrag, eine Generaldebatte über die allgemeinen Grundsätze des Entwurfs durchzuführen, wurde nicht gestellt.“139 Stattdessen beschränkte man sich darauf, Änderungsvorschläge zu einzelnen Normen zu unterbreiten. Ihrem Inhalt nach fielen diese wie schon die Mehrzahl der Anregungen der Länderkommission vorwiegend konservativ aus. So wurde zum Beispiel im Unterausschuss des Rechtsausschusses von den Vertretern Bayerns, Berlins, Niedersachsens und von Rheinland-Pfalz erneut beantragt, die in § 33 Abs. 1 (Besondere persönliche Merkmale) des E 1962 vorgesehene obligatorische Strafmilderung für Tatteilnehmer zu einer bloß fakultativen Strafmilderung herabzustufen.140 Der Vorschlag, die Norm des § 59 (Voraussetzungen der Wiederverleihung von Fähigkeiten und Rechten) wieder aus dem Entwurf zu streichen und über die Wiederverleihung der Amtsfähigkeit sowie des Wahlrechts weiterhin nur im Gnadenweg zu entscheiden,141 zeugt ebenfalls von eher rückwärtsgewandten Strafrechtsvorstellungen. Fortschrittliche Gedanken, wie sie etwa in der Kritik der Ländervertreter am automatischen Eintritt der Sicherungsaufsicht in § 97 (Sicherungsaufsicht bei

134

BArch, B 141/17298, S. 8r–10v (Niederschrift über die 247. Sitzung des Rechtsausschusses am 8. 3. 1962). 135 BArch, B 141/17298, S. 10r (Niederschrift über die 247. Sitzung des Rechtsausschusses am 8. 3. 1962). 136 BArch, B 141/17298, S. 10r (Niederschrift über die 247. Sitzung des Rechtsausschusses am 8. 3. 1962). 137 BArch, B 141/17298, S. 39r (Niederschrift über die erste Sitzung des Unterausschusses für die große Strafrechtsreform vom 17. bis 18. 4. 1962). 138 BArch, B 141/17298, S. 42v (Niederschrift über die erste Sitzung des Unterausschusses für die große Strafrechtsreform vom 17. bis 18. 4. 1962). 139 BArch, B 141/17298, S. 39v (Niederschrift über die erste Sitzung des Unterausschusses für die große Strafrechtsreform vom 17. bis 18. 4. 1962). 140 BArch, B 141/17298, S. 41r (Niederschrift über die erste Sitzung des Unterausschusses für die große Strafrechtsreform vom 17. bis 18. 4. 1962). 141 BArch, B 141/17298, S. 42v (Niederschrift über die erste Sitzung des Unterausschusses für die große Strafrechtsreform vom 17. bis 18. 4. 1962).

II. Die Rolle der Bundesländer

129

Nichtaussetzung des Strafrestes) anklangen,142 sind dementsprechend relativ selten zu finden. In den Ausschussberatungen positionierten sich die Länder der Sache nach damit ähnlich wie in ihrer Kommission; grundlegende Kritik an der bisherigen Fassung der Strafrechtskodifikation übten sie nicht. Diese Haltung setzte sich zumindest bei den CDU-geführten Bundesländern auch im Plenum des Bundesrates fort, als dort am 13. Juli 1962 über den Regierungsentwurf abgestimmt wurde.143 Der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens Dr. Otto Flehinghaus (1904 – 1987) beispielsweise lobte den Kodifikationsentwurf als ein „gutes und in sich geschlossenes Gesetzgebungswerk“144, das es „in seiner Grundkonzeption wert ist, den Schlußstein einer langen Reformarbeit zu bilden“145. Auch die Vertreter weiterer unionsgeführter Länder begrüßten im Allgemeinen den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzesvorschlag.146 Bei den sozialdemokratisch gelenkten Bundesländern ergab sich hingegen keine einheitliche Positionierung. Während man etwa in Niedersachsen der Meinung war, dass es sich um „einen durchaus brauchbaren Entwurf“147 handle, welcher in der juristischen Notenskala ausgedrückt das Prädikat „vollbefriedigend“ verdiene,148 wurden vom hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn (1901 – 1976) hingegen schwerwiegende Einwände erhoben: Die Gesetzesvorlage müsse in Anlehnung an die Strafgesetze anderer europäischer Staaten mehr auf den Gedanken der Spezialprävention ausgerichtet werden.149 Darüber hinaus orientiere sie sich zu sehr an der gegenwärtigen Rechtsprechung und lasse sprachliche Klarheit vermissen.150 Trotz dieser scharfen Missbilligung stimmten die Vertreter Hessens im Bundesrat in der Schlussabstimmung jedoch erstaunlicherweise nicht gegen den Entwurf, sondern gaben sich der vagen Hoffnung hin, „daß im weiteren Gesetzgebungsverfahren die von uns ver142 BArch, B 141/17298, S. 45v f. (Niederschrift über die erste Sitzung des Unterausschusses für die große Strafrechtsreform vom 17. bis 18. 4. 1962). 143 S. die 248. Sitzung des Bundesrats am 13. 7. 1962, BR-Prot. 248. Sitzung, S. 137 (A) bis 159 (D); zusammenfassend zu dieser Sitzung des Bundesrats auch Holtz, Strafrechtsreformen, S. 16 – 18. 144 MdBR Flehinghaus in der 248. Sitzung des Bundesrats am 13. 7. 1962, BRProt. 248. Sitzung, S. 138 (A). 145 MdBR Flehinghaus in der 248. Sitzung des Bundesrats am 13. 7. 1962, BRProt. 248. Sitzung, S. 138 (B). 146 S. z. B. MdBR Haas in der 248. Sitzung des Bundesrats am 13. 7. 1962, BRProt. 248. Sitzung, S. 146 (B). Zu den wenigen umstrittenen Einzelpunkten in der Bundesratsdebatte s. Holtz, Strafrechtsreformen, S. 16 – 18. 147 MdBR Nottbeck in der 248. Sitzung des Bundesrats am 13. 7. 1962, BR-Prot. 248. Sitzung, S. 154 (A). 148 MdBR Nottbeck in der 248. Sitzung des Bundesrats am 13. 7. 1962, BR-Prot. 248. Sitzung, S. 154 (A). 149 MdBR Zinn in der 248. Sitzung des Bundesrats am 13. 7. 1962, BR-Prot. 248. Sitzung, S. 151 (C). 150 MdBR Zinn in der 248. Sitzung des Bundesrats am 13. 7. 1962, BR-Prot. 248. Sitzung, S. 151 (B) und (C).

130

E. Der Einfluss der Politik

tretenen Auffassungen nicht völlig unberücksichtigt bleiben“151. Aus den Reihen der sozialdemokratischen Landesregierungen wurde somit zwar verschiedentlich in Einzelpunkten scharfe Kritik am Kodifikationsvorhaben der schwarz-gelben Bundesregierung vorgetragen, eine eindeutige Ablehnung der Gesetzesvorlage in der Ländervertretung, etwa in Form von Gegenstimmen, erfolgte aber nicht. Das Verhalten der Länder im Bundesrat blieb somit in weiten Teilen ein Spiegelbild ihrer Positionierung in der Länderkommission. Die Grundausrichtung des Gesetzentwurfs wurde mehrheitlich nicht kritisiert, dessen allgemein konservative Ausgestaltung also befürwortet oder zumindest gebilligt. Die zahlreichen Änderungsanträge, welche die Repräsentanten der Bundesländer in beiden Gremien erarbeiteten, fielen in der Folge dann auch meist so aus, dass an einem freiheitlichen Strafrechtsverständnis ausgerichtete Alternativvorschläge eher die Ausnahme bildeten. Getragen wurde diese Strafrechtsauffassung zwar nicht immer, aber doch zu einem großen Teil sowohl von den unions- als auch von den sozialdemokratisch geführten Bundesländern; das Meinungsbild war diesbezüglich also relativ homogen. Das einzig stärker hervortretende liberale Gegengewicht aus den Reihen der SPD-regierten Länder bildete Hessen. Auffällig ist darüber hinaus, dass sich die Länder mit ihren Änderungsbegehren sehr häufig durchsetzen konnten, obwohl diese in einigen Bundesministerien, unter anderem im Innen- und Justizressort, nicht immer Anklang fanden152. Im Prozess der Bemühungen um die Verabschiedung eines neuen Strafgesetzbuchs stellten die Bundesländer deshalb eine sehr einflussreiche konservative politische Kraft dar.

III. Die Rolle der Parteien Weil die von ihnen geführten Bundesministerien und Bundesländer stark in die Arbeiten an dem Entwurf einer neuen Strafrechtskodifikation eingebunden waren, beschäftigten sich natürlich auch die politischen Parteien der Bonner Republik mit dem Reformvorhaben. Die jeweiligen Vorstellungen von CDU/CSU, FDP und SPD hinsichtlich einer grundlegenden Strafrechtsmodernisierung sowie die Art und Weise, auf welche sich die politischen Kontrahenten im Rahmen der ihnen gemäß Artikel 21 Abs. 1 S. 1 GG zustehenden Mitwirkungsrechte in den Reformprozess einbrachten, sollten jedoch stark voneinander abweichen.

151

MdBR Zinn in der 248. Sitzung des Bundesrats am 13. 7. 1962, BR-Prot. 248. Sitzung, S. 153 (A). 152 Zur Positionierung des Innen- und des Justizministeriums zu den Änderungsvorschlägen der Bundesländer s. im Detail BArch, B 141/17309, S. 69 – 73 (Stellungnahme des BMI zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates vom 19. 9. 1962); BArch, B 141/17309, S. 80 – 82 (Vermerk des BMJ vom 28. 9. 1962).

III. Die Rolle der Parteien

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1. Die Haltung der CDU/CSU Dies mag zunächst ein näherer Blick auf die Haltung der Unionsparteien CDU und CSU klären, die damals sowohl im Bund als auch in den meisten Ländern die Regierung stellten. a) Die reformpolitischen Vorstellungen der CDU/CSU Durch diese politische Vormachtstellung bot sich den Christdemokraten und Christsozialen grundsätzlich die Möglichkeit, die Strafrechtsreform maßgeblich mit zu beeinflussen und das künftige Recht in ihrem Sinne zu prägen. Vor allem zu Beginn der Reformbemühungen in den frühen fünfziger Jahren wurde diese Chance jedoch kaum genutzt. Da CDU und CSU keine systematische Strafrechtspolitik betrieben,153 war folglich auch die Strafrechtserneuerung für sie kein besonders zentrales rechtspolitisches Anliegen, wie bereits die verhältnismäßig geringe Präsenz der Vertreter der beiden Schwesterparteien in der amtlichen Expertenkommission erkennen ließ. Aber auch die Partei- und Fraktionsorgane befassten sich zunächst nur in sehr geringem Umfang mit der Totalrevision des Strafrechts. So wurden etwa auf den Bundesparteitagen, im Bundesauschuss und im Bundesvorstand der CDU in den fünfziger Jahren keinerlei strafrechtspolitische Beschlüsse gefasst.154 Ein ähnliches Bild zeichnete sich zu dieser Zeit auch in der Bundestagsfraktion ab. Der für Allgemeine und Rechtsfragen zuständige Arbeitskreis I der CDU/CSU-Fraktion zeigte in den Jahren 1954 und 1955 auffällig wenig Interesse an der Strafrechtsreform, stattdessen konzentrierte er sich insbesondere auf Probleme des Minderheiten-, Steuer- und des Aktienrechts.155 Lediglich die bereits in der Großen Strafrechtskommission sehr kontrovers diskutierte Frage nach der Wiedereinführung der Todesstrafe unter der Geltung des Art. 102 GG156 wurde im Arbeitskreis ausführlich beraten.157 Ebenfalls zurückhaltend verhielt sich der Vorstand der Fraktion. Auch hier stand die Strafrechtsreform relativ selten auf der Tagesordnung, die Debatten beschränkten sich in der Regel auf organisatorische Ge-

153

Näher hierzu Barschel, Strafrechtspolitik, S. 60 – 66. Kurze Hinweise zum allgemeinen rechtspolitischen Programm der Union in den fünfziger und sechziger Jahren liefert Kleinmann, Geschichte der CDU, S. 80 f. 154 Barschel, Strafrechtspolitik, S. 60 f. 155 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-001-332/1 (Tätigkeitsbericht des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen für die Zeit vom 11. 11. 1954 bis 19. 1. 1955). 156 S. Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 11, S. 3 – 28; näher zur Debatte über die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Bonner Republik Flemming, Wiedereinführung der Todesstrafe in Deutschland?, S. 46 – 50. 157 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/1 (Bericht über die Sitzung des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen am 22. 9. 1954).

132

E. Der Einfluss der Politik

sichtspunkte des Vorhabens.158 Anfänglich engagierten sich CDU und CSU im Reformprozess also vergleichsweise wenig; an einer frühzeitigen Auseinandersetzung mit dem Projekt eines neuen Strafgesetzbuchs fehlte es. Der eigentliche innerparteiliche Meinungsbildungsprozess zur Totalreform des deutschen Strafrechts setzte in der Union folglich relativ spät ein. Erst ab Herbst des Jahres 1958 wandte man sich vermehrt der inhaltlichen Gestaltung der künftigen Kodifikation zu. Die Bundestagsfraktion bildete auf Vorschlag des Fraktionsvorstands einen gesonderten Ausschuss für die Strafrechtsreform;159 verschiedenste Repräsentanten aus der Bundes- und Landespolitik nahmen nun zu den Reformvorschlägen Stellung. Grundsätzlich sah man sich dabei mit dem Gesetzentwurf in seiner bisherigen Fassung auf dem richtigen Weg. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Marie Elisabeth Klee (geb. 1922) zum Beispiel lobte ihn als ein „gutes und geschlossenes Reformwerk“160, welches „[…] unserem heutigen Rechtsempfinden […] entspricht“161. Auch ihre Parlamentskollegin, die spätere Bundesministerin für das Gesundheitswesen Elisabeth Schwarzhaupt (1901 – 1986), beurteilte die Gesetzesvorlage im Wesentlichen positiv.162 Und der christdemokratische niedersächsische Justizminister Werner Hofmeister (1902 – 1984) war ebenfalls der Auffassung, dass der Entwurf eine „durchaus brauchbare Grundlage einer Reform […]“163 darstelle. Außerordentlich zufrieden war man in CDU-Kreisen vor allem damit, „daß es der Kommission gelungen ist, die bewährten Grundlagen des geltenden Rechts zu bewahren und mit unerprobten Neuerungen sparsam zu sein“164. Darüber hinaus deckte sich auch das sanktionsrechtliche Konzept des Entwurfs vollumfänglich mit den Vorstellungen der Christdemokraten, denn genau wie die Mehrheit der Mitglieder der Großen Strafrechtskommission bekannten sie sich uneingeschränkt zum Schuldprinzip und sahen den Zweck des Strafens vornehmlich in der Sühne für begangenes

158

S. z. B. ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-001-1503/1 (Sitzungsprotokoll des CDU/CSU-Fraktionsvorstands vom 26. 11. 1957); ACDP, CDU/CSUFraktion im Deutschen Bundestag, 08-001-1503/1 (Sitzungsprotokoll des CDU/CSU-Fraktionsvorstands vom 3. 12. 1957). 159 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-001-1503/1 (Sitzungsprotokoll des CDU/CSU-Fraktionsvorstands vom 6. 10. 1958). 160 ACDP, Nachlass Marie Elisabeth Klee, 01-654-16/2 (Schreiben Marie Elisabeth Klees zur Strafrechtsreform vom 1. 11. 1962, S. 1). 161 ACDP, Nachlass Marie Elisabeth Klee, 01-654-16/2 (Schreiben Marie Elisabeth Klees zur Strafrechtsreform vom 1. 11. 1962, S. 1). 162 ACDP, Nachlass Elisabeth Schwarzhaupt, 01-048-014/1 (Manuskript Elisabeth Schwarzhaupts für eine Rede über die Strafrechtsreform in Würzburg am 9. 5. 1961, insb. S. 4 f.). 163 ACDP, Nachlass Werner Hofmeister, 01-395-093/4 (Schreiben Werner Hofmeisters an dem Bundesminister der Justiz vom 11. 12. 1958). 164 ACDP, Nachlass Werner Hofmeister, 01-395-093/4 (Schreiben Werner Hofmeisters an dem Bundesminister der Justiz vom 11. 12. 1958).

III. Die Rolle der Parteien

133

Unrecht.165 Folglich begrüßten es CDU und CSU sehr, dass der E 1962 diesbezüglich „Mut […] zu klaren Wertmaßstäben“166 zeigte. Bereits in einem relativ frühen Stadium der Willensbildung wird somit deutlich, dass die Unionsparteien im Hinblick auf die tragenden Grundsätze des zukünftigen Strafrechts eine traditionellkonservative Ausrichtung befürworteten. Eine radikale Abkehr vom geltenden Recht oder revolutionäre Erneuerung der strafrechtlichen Grundprinzipien war hingegen nicht gewünscht. Trotz dieser am alten Recht ausgerichteten Grundvorstellungen wäre es aber verfehlt, die Haltung von CDU und CSU ausschließlich auf einen strafrechtlichen Konservatismus zu reduzieren. Denn obgleich in Bezug auf den generellen Charakter, der die Strafrechtsreform kennzeichnen sollte, weitgehend Einigkeit herrschte, waren mehrere Einzelnormen des Vorhabens innerhalb der Union stark umstritten. Hierbei handelte es sich zum einen um die in den §§ 187 – 191 des E 1962 kodifizierten Straftaten gegen den religiösen Frieden, zum anderen um die Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch sowie diverse Tatbestände aus dem Bereich der Sittlichkeitsdelikte, wie beispielsweise den § 193 (Ehebruch), den § 203 (Künstliche Samenübertragung), den § 216 (Unzucht zwischen Männern) oder den § 220 (Unzüchtige Schriften und Sachen) des Gesetzentwurfs.167 Weil die Positionierung zu diesen Straftatbeständen für die beiden Schwesterparteien und ihre Anhänger vor dem Hintergrund des christlich-bürgerlichen Selbstverständnisses von CDU und CSU168 von besonderer politischer Bedeutung war, berief der für Allgemeine und Rechtsfragen zuständige Arbeitskreis I der gemeinsamen Bundestagsfraktion eine Sondertagung zur Strafrechtsreform ein, auf welcher diese kontroversen Fragen im einem intrafraktionellen Meinungsaustausch ausführlich beraten werden sollten. Die Konferenz fand vom 24. bis 26. September 1962 statt und wurde wegen ihres Tagungsortes auch unter der Bezeichnung „Eichholzer Tagung“ bekannt. In einem relativ kleinen Kreis von insgesamt acht Bundestagsabgeordneten, einigen Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums sowie jeweils einem Vertreter der katholischen und der evangelischen Kirche sollte während dieser Tagung ver-

165 S. z. B. ACDP, Nachlass Marie Elisabeth Klee, 01-654-16/2 (Schreiben Marie Elisabeth Klees zur Strafrechtsreform vom 1. 11. 1962, S. 2); ACDP, Nachlass Elisabeth Schwarzhaupt, 01-048-014/1 (Manuskript Elisabeth Schwarzhaupts für eine Rede über die Strafrechtsreform in Würzburg am 9. 5. 1961, S. 4 f.). Zur kriminalpolitischen Haltung der Union auch Barschel, Strafrechtspolitik, S. 11 – 23. 166 ACDP, Nachlass Marie Elisabeth Klee, 01-654-16/2 (Schreiben Marie Elisabeth Klees zur Strafrechtsreform vom 1. 11. 1962, S. 2). 167 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962). 168 Ausführlich zur inhaltlich-programmatischen Gesamtausrichtung der Union in den fünfziger und sechziger Jahren Kleinmann, Geschichte der CDU, S. 79 – 96; Bösch, Die Geschichte der CDU, S. 12 – 33.

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E. Der Einfluss der Politik

sucht werden, bezüglich der umstrittenen Paragraphen des Entwurfs innerhalb des bürgerlichen Lagers zu einer einheitlichen Stellungnahme zu kommen.169 Während dies etwa bei dem § 203 (Künstliche Samenübertragung) und dem § 220 (Unzüchtige Schriften und Sachen) des E 1962 erfolgreich gelang,170 standen sich bei zahlreichen anderen Normen weiterhin höchst unterschiedliche rechtspolitische und weltanschauliche Ansichten gegenüber. Hiervon vermittelt bereits die erste Sitzung, welche am Nachmittag des 24. 9. 1962 begann und die Religionsdelikte zum Gegenstand hatte, einen Eindruck. Einerseits gab es in der CDU und in der CSU eine große Zahl an klerikal ausgerichteten Stimmen, die zum Beispiel in Anlehnung an Vorschläge seitens der katholischen Kirche den Tatbestand des § 187 (Gotteslästerung) weiter ausdehnen wollten.171 Ohne einen umfassenden Schutz der Ehre Gottes sei „die Gefahr groß, daß das religiöse Empfinden weiter Kreise verletzt werde“172, so die Begründung. Mehr liberal orientierte Personen in der Union waren dagegen der Auffassung, dass sich der Staat beim Schutz kirchlicher Werte aus verfassungsrechtlichen Gründen auf ein Minimum zu beschränken habe.173 Diese Kontroverse zwischen Hartlinern und eher gemäßigten Kräften setzte sich auch am nächsten Tag bei der hoch umstrittenen Frage, ob ein Schwangerschaftsabbruch straflos gestellt werden sollte, wenn die die Schwangerschaft auf einer Vergewaltigung oder einem anderen Sittlichkeitsverbrechen beruhte, fort. Die Vertreter der rechten Parteiflügel beharrten auf dem Standpunkt der katholischen Moraltheologie und lehnten es strikt ab, den Schwangerschaftsabbruch in diesen Fällen zu legalisieren.174 Auch wenn sich die vergewaltigten Frauen in einer schwierigen Situation befänden, gelte hier unverändert „der Grundsatz, daß Leben nicht getötet werden darf“175. Andere Politiker der Union, wie zum Beispiel die Abgeordneten Elisabeth Schwarzhaupt (1901 – 1986) und Max Güde (1902 – 1984), waren dagegen der Meinung, dass bei einer Abtreibung nach einem Sittlichkeitsverbrechen „Straffreiheit […] denkbar und aus der sittlichen Verantwortung des Gesetzgebers zu überlegen [ist]“176. Als Mittelweg 169 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 1). 170 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 68 – 70 und S. 18 – 23). 171 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 4 – 14). 172 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 8). 173 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 7 f.). 174 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 53 – 62). 175 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 63). 176 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 62); Schwarzhaupt, in: Niederschriften Strafrechtskommission, Bd. 7, S. 145.

III. Die Rolle der Parteien

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zwischen diesen beiden entgegengesetzten Positionen wurde schließlich ein fakultativer Strafverzicht vorgeschlagen.177 Trotzdem blieb die Fraktion in dieser Frage nach wie vor gespalten; kirchliche und moderate Kräfte standen sich immer noch diametral gegenüber.178 Hinsichtlich des Problems, ob der Ehebruch im neuen Recht weiterhin unter Strafe gestellt werden sollte, konnte man ebenfalls nur begrenzt zu einer einheitlichen Sichtweise gelangen. Die traditionsbewussten Vertreter waren diesbezüglich genau wie die evangelische und katholische Kirche der Auffassung, „daß […] aus der Sicht der CDU/CSU eine Streichung nicht in Betracht komm[t]“179. Ein Verzicht auf den § 193 (Ehebruch) des E 1962 bedeute eine „Preisgabe zur Zügellosigkeit und Sittenverfall“180 und würde „einen Einbruch in die Wertvorstellungen hervorrufen“181, so die zentrale Argumentation der Befürworter dieses Tatbestands. Gleichzeitig hinterließ die Vorschrift des § 193 aber bei anderen Unionspolitikern „ein unbehagliches Gefühl […], daß sie der Wirklichkeit nicht mehr adäquat [ist]“182. Im kleinen Kreis der Eichholzer Tagung konnte sich schließlich zwar die katholisch-religiöse Sichtweise durchsetzen,183 ein einheitliches Abstimmungsverhalten der CDU/CSU-Fraktion bei einer Bundestagsberatung über den E 1962 war in der Frage der Strafbarkeit des Ehebruchs aber alles andere als gewiss184. Schließlich blieb auch bei der Diskussion über Strafbarkeit der Homosexualität, die ganz zum Schluss der Tagung stattfand, das Meinungsbild in der Union uneinheitlich. Die rechten Flügel von CDU und CSU weigerten sich auch in dieser Frage vom bisherigen Rechtszustand abzuweichen und eine Liberalisierung des Strafrechts mitzutragen. Sie waren vielmehr davon überzeugt, dass die Homosexualität strafbar bleiben müsse, aus der Sicht vieler Unionspolitiker stand dieses sogar „außer Diskussion“185. Den Grund für die Strafwürdigkeit der gleichgeschlechtlichen sexuellen Orientierung sahen sie dabei hauptsächlich in der „Un177 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 63 – 67). 178 S. hierzu ACDP, Pressearchiv, Alt 0/068/16, Strafrechtsreform (Bericht über die Sitzung des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen am 9. 10. 1962). 179 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 74). 180 ACDP, Nachlass Marie Elisabeth Klee, 01-654-16/2 (Schreiben Marie Elisabeth Klees zur Strafrechtsreform vom 1. 11. 1962, S. 4). 181 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 73). 182 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 73). 183 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 76). 184 S. ACDP, Pressearchiv, Alt 0/068/16, Strafrechtsreform (Bericht über die Sitzung des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen am 9. 10. 1962). Zu dieser Schlussfolgerung kommt auch bereits Holtz, Strafrechtsreformen, S. 20. 185 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 76).

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E. Der Einfluss der Politik

verträglichkeit in Bezug auf das Gemeinwohl“186. Andere Stimmen in der Union hingegen befanden die Strafbarkeit der Homosexualität für sehr problematisch, da aus ihrer Sicht ebenso gewichtige Gründe für eine Straflosigkeit sprachen.187 Auch nach Abschluss der Eichholzer Tagung am 26. September 1962 blieben damit einige Normen des Besonderen Teils des E 1962 parteiintern umstritten. Dennoch waren nunmehr die wesentlichen Eckpunkte der Haltung von CDU und CSU zur Erneuerung des Strafrechts endgültig abgesteckt. Grundsätzlich befürworteten sie eine behutsame Reform, die an Bestehendes anknüpft. Vor allem in kriminalpolitischer Hinsicht lehnten sie einen radikalen Umbau des Strafrechts ab. Bei den einzelnen Tatbeständen, gerade im Bereich der Sittlichkeitsdelikte, wird zudem erkennbar, dass in weiten Teilen von CDU und CSU betont konservative, im Grunde genommen schon klerikale Ansichten vertreten wurden.188 Diesbezüglich musste sich die Union daher mit Recht den Vorwurf gefallen lassen, eine kirchliche, insbesondere katholische, Interessenpartei zu sein.189 Zugleich zeigt sich an diesen Stellen des Meinungsbildungsprozesses aber auch die ganze Bandbreite einer Volkspartei, denn den konfessionell geprägten Sichtweisen standen immer wieder strafrechtspolitisch gemäßigte, liberalere Anschauungen gegenüber. b) Die Diskussion um eine Verschiebung des Reformvorhabens in der CDU/CSU Da bei mehreren Vorschriften des E 1962 somit unverändert erhebliche innerparteiliche Meinungsverschiedenheiten bestanden, mehrten sich in CDU und CSU ab Herbst 1962 Stimmen, die das gesamte Reformprojekt verschieben wollten. Während man sich in der Union Anfang des Jahres noch dahingehend einig gewesen war, dass die Strafrechtsreform baldmöglichst im Bundestag beraten werden sollte,190 wurde nunmehr von einigen christdemokratischen und christsozialen Politikern ihre zumindest vorübergehende Absetzung von der parlamentarischen Behandlung vorgeschlagen191. Weil einige der kontroversen Gesichtspunkte, wie zum 186 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 87). 187 ACDP, Nachlass Marie Elisabeth Klee, 01-654-16/2 (Schreiben Marie Elisabeth Klees zur Strafrechtsreform vom 1. 11. 1962, S. 4 f.). 188 Zum Umfang kirchlicher Positionen in der Politik von CDU und CSU im Allgemeinen Buchhaas, Programmatische Entwicklung der CDU, S. 205 – 221. 189 S. hierzu auch ACDP, Nachlass Elisabeth Schwarzhaupt, 01-048-015/2 (Programmschrift: Um was geht es in der aktuellen Phase der Strafrechtsreform?, S. 9). 190 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-001-40/1 (Bericht über die Sitzung des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen am 15. 5. 1962). 191 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-001-40/1 (Kurzbericht über die Sitzung des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen am 9. 10. 1962); ACDP, Pressearchiv, Alt 0/068/16, Strafrechtsreform (Bericht über die Sitzung des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen am 9. 10. 1962).

III. Die Rolle der Parteien

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Beispiel die Strafbarkeit des Ehebruchs, geradezu „Sprengpulver für die CDU/ CSU“192 seien, hielten es manche Unionspolitiker für politisch klüger, sich im Strafrecht zunächst weiter auf eine Novellengesetzgebung zu beschränken und den Entwurf einer neuen Kodifikation zumindest vorerst zurückzustellen, um eine juristisch-ideologische Spaltung von Partei und Fraktion zu vermeiden.193 Beim damaligen Koalitionspartner FPD mutmaßte man ebenfalls bereits, dass die Union angesichts einiger stark umstrittener Rechtsfragen durch Zögern „der parlamentarischen Behandlung dieser schwierigen Fragen vor den nächsten Wahlen ausweichen [will]“194. Zugleich wurde aber auch von einigen Unionspolitikern die Ansicht vertreten, dass es die kontroversen Einzelprobleme „in keiner Weise rechtfertigen, das ganze Projekt zurückzustellen“195. Denn durch eine baldige parlamentarische Debatte über den E 1962 böte sich den beiden Schwesterparteien CDU und CSU auch die Möglichkeit, ihren Standpunkt zum künftigen Strafrecht klar herauszustellen und dadurch „in der Öffentlichkeit stark an Profil [zu] gewinnen“196. Das Projekt der großen Strafrechtsreform sollte deshalb im Bundestag fortgesetzt werden. c) Die Befürwortung des E 1962 durch die CDU/CSU im Deutschen Bundestag Als am 28. März 1963 die erste Lesung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 auf der Tagesordnung des bundesdeutschen Parlaments stand, übernahmen es stellvertretend für die Fraktionsgemeinschaft der CDU/CSU ihr rechtspolitischer Sprecher Max Güde (1902 – 1984) sowie der CSU-Abgeordnete Friedrich Winter (1902 – 1982) zu diesem Gesetzesvorhaben Stellung zu beziehen. Wie schon im innerparteilichen Meinungsbildungsprozess signalisierten die Vertreter der Unionsparteien dabei grundsätzlich ihre Zustimmung zu dem von der eigenen Bundesregierung eingebrachten Kodifikationsvorschlag. Max Güde lobte ihn in seinem Redebeitrag als „ein echtes Stück Rechtserneuerung, geeignet, die Irrwege von sechs bis acht Jahrzehnten zu klären und dem deutschen Strafrechtsleben

192 ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 76). 193 ACDP, Pressearchiv, Alt 0/068/16, Strafrechtsreform (Bericht über die Sitzung des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen am 9. 10. 1962); zu dieser Feststellung kommt auch bereits Holtz, Strafrechtsreformen, S. 20. 194 ADL, Bestand Erich Mende, A 31-117 (Schreiben des FDP-Landesverbands Hamburg an den FPD-Bundesvorsitzenden Erich Mende vom 16. 1. 1963). 195 ACDP, Pressearchiv, Alt 0/068/16, Strafrechtsreform (Bericht über die Sitzung des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen am 9. 10. 1962). 196 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-001-1009/2 (Sitzungsprotokoll des CDU/CSU-Fraktionsvorstands vom 26. 3. 1963).

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E. Der Einfluss der Politik

eine solide Grundlage zu geben“197. Hierfür bedürfe es keinesfalls einer Kodifikation, die sich vollständig vom bisherigen Rechtszustand abwendet und etwas revolutionär Neues bringt, vielmehr sei „eine Synthese zwischen dem alten Strafrecht und den modernen Gedanken“198 erstrebenswert.199 Der vom E 1962 eingeschlagene Weg einer evolutionären Weiterentwicklung des geltenden Strafrechts sei aus Sicht der Christdemokraten daher genau der richtige.200 Mit diesen Worten bekannten sich CDU und CSU nunmehr also auch öffentlich zu einer Strafrechtsreform, die an bewährten Rechtsvorstellungen festhält. Statt eines radikalen Umbaus sollte das bestehende Recht behutsam verbessert werden. Im weiteren Verlauf der Bundestagsdebatte nahm dieses strafrechtspolitische Profil der Union dann noch konkretere Konturen an. Kriminalpolitisch erwiesen sich sowohl Max Güde als auch Friedrich Winter als überzeugte Verfechter des Konzepts der Regierungsvorlage, welche auf dem Schuldstrafrecht und einer vergeltenden Vereinigungstheorie basierte.201 Einem stärker am Gedanken der Spezialprävention ausgerichteten Strafrecht wurde hingegen eine klare Absage erteilt.202 Über diese sanktionsrechtliche Grundsatzentscheidung hinaus standen die Vorstellungen der beiden christlichen Parteien und der Entwurf von 1962 auch dahingehend in Einklang, dass im Bereich der Freiheitsstrafen weiterhin zwischen drei verschiedenen Strafarten differenziert werden sollte203 und dass ein strenges, mitunter religiös-weltanschaulich geprägtes Sittenstrafrecht nach wie vor seine Daseinsberechtigung habe204. Im Plenum des Deutschen Bundestages gaben CDU und CSU somit ein generelles Bekenntnis zum Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 und seinen tragenden Prinzipien ab. Kritische Stimmen zum Gesetzesvorhaben kamen während der parlamentarischen Debatte aus ihren Reihen nicht. Auf ein vorbehaltloses, uneingeschränktes „Ja“ zu jeder einzelnen Rechtsnorm des Entwurfs von 1962 wollte man sich seitens der Christdemokraten dennoch nicht festlegen.205 Und auch die 197 MdB Güde in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3195 (A). 198 MdB Güde in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3195 (B). 199 MdB Güde in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3195 (A) bis 3195 (B). 200 MdB Güde in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3195 (B). 201 MdB Güde und MdB Winter in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3193 (D) bis 3196 (D) und S. 3216 (B). 202 MdB Güde in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3193 (D) bis 3196 (D). 203 MdB Winter in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3216 (B) bis 3216 (C). 204 MdB Güde in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3223 (D) bis 3224 (D). 205 MdB Güde in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3195 (D).

III. Die Rolle der Parteien

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Christsozialen betonten, dass sie „nicht hinter jedem Einzelvorschlag der Regierung zementiert stehen und ihn mit Feuer und Schwert verteidigen“206. Die beiden Schwesterparteien ließen sich somit im Hinblick auf die immer noch bestehenden, nicht unerheblichen innerparteilichen Meinungsunterschiede alle Handlungsoptionen offen. Zugleich signalisierte man auf diese Weise auch in Richtung der anderen politischen Parteien eine gewisse Kompromissbereitschaft. Grundsätzlich wollten CDU und CSU aber nicht vom Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 als Ausgangspunkt für die bundesdeutsche Strafrechtsreform abrücken.207 d) Das Verhalten der CDU/CSU im weiteren Beratungsverlauf Auch nach der öffentlichen parlamentarischen Debatte im Bundestag hielten die beiden christlichen Parteien im weiteren politischen Beratungsprozess zur Totalreform des deutschen Strafrechts dementsprechend generell am Konzept des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 fest. Deutlich belegt dies zum Beispiel ein Beschluss des Arbeitskreises I (Allgemeine und Rechtsfragen) der gemeinsamen CDU/ CSU-Bundestagsfraktion vom 19. Juni 1963, welcher wie folgt lautete: „Es soll geprüft werden, ob eine Einigung über die ungeklärten Probleme möglich ist, anderenfalls bei der Regierungsvorlage bleiben.“208 Bis auf Weiteres strebten die Christdemokraten und Christsozialen also im Allgemeinen unverändert eine Erneuerung des Strafrechts an, welche ausgehend vom E 1962 an bewährten Regelungen festhalten und in sanktionsrechtlicher Hinsicht vornehmlich klassisch konzipiert sein, also dem Sühnegedanken beim staatlichen Strafen weiterhin eine zentrale Rolle einräumen sollte.209 Anderweitige Kritik an dieser Einstellung hielt man in den beiden Schwesterparteien für „oberflächliches Gerede“210. Erst nach und nach wurden im Laufe der Jahre manche Positionen zum Inhalt des Kodifikationsentwurfs in den Unionsparteien selbstkritisch überdacht. Dies betraf insbesondere den Besonderen Teil und hier wiederum vor allem die Sittlichkeitsdelikte, bei denen viele Christdemokraten und Christsoziale ab Mitte der sechziger Jahre verstärkt die gesellschafts- sowie rechtspolitische Notwendigkeit sahen, dass

206 MdB Winter in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3215 (D). 207 S. hierzu auch ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-001-040/1 (Kurzbericht über die Sitzung des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen am 19. 6. 1963). 208 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-001-040/1 (Kurzbericht über die Sitzung des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen am 19. 6. 1963). 209 ACDP, Nachlass Elisabeth Schwarzhaupt, 01-048-015/2 (Positionspapier der CDU/CSU „Strafrechtsreform in Europa – Um was geht es in der aktuellen Phase?“ ohne Datum). 210 ACDP, Nachlass Elisabeth Schwarzhaupt, 01-048-015/2 (Positionspapier der CDU/CSU „Strafrechtsreform in Europa – Um was geht es in der aktuellen Phase?“ ohne Datum).

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E. Der Einfluss der Politik

sich hier „unsere Partei den Erfordernissen der Zeit öffnet“211. Weil die kirchlich orientierten Kreise der Union einen solchen Schritt naturgemäß nicht unterstützen konnten, kam es zwar zu erneuten, ausgesprochen heftigen innerparteilichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den rechten und linken Flügeln.212 Anders als zuvor konnten sich in CDU und CSU die gemäßigt-liberalen Anschauungen nun jedoch besser durchsetzen; unter anderem wohl auch deshalb, weil sich die Traditionalisten in den späten sechziger Jahren in der Verteidigung ihrer sittlich-juristischen Positionen offenbar zunehmend von den kirchlichen Moraltheologen im Stich gelassen fühlten213. Während Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre beispielsweise noch zahlreiche Politiker der beiden Schwesterparteien der Auffassung gewesen waren, dass der Gesetzentwurf zu Recht den Ehebruch in § 193 unter Strafe stellte, war es nunmehr aus Sicht vieler „offenkundig, daß die Strafbestimmung nicht zu halten […] und mit kriminalpolitischen Gründen nicht zu verteidigen [ist]“214. Auch in der höchst umstrittenen Frage, ob ein Schwangerschaftsabbruch straflos gestellt werden sollte, wenn die die Schwangerschaft auf einer Vergewaltigung oder einem anderen Sittlichkeitsverbrechen beruhte, spielte man in den Reihen der Union jetzt verstärkt mit dem liberalen, fortschrittlichen Gedanken „eine Entscheidung für die Straflosigkeit hin[zu]nehmen“215. Schrittweise begannen die beiden Schwesterparteien CDU und CSU somit, sich von ihrer bisherigen, klerikal geprägten Haltung zum Sittenstrafrecht zu distanzieren. In der Folge rückten sie zumindest von einigen Regelungen des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 auf diesem Gebiet ab und trugen auf diese Weise der allgemein toleranteren Sexualmoral im Kontext der einsetzenden gesellschaftlichen Veränderungen hin zur Bewegung von 1968 strafrechtspolitisch Rechnung. Einen totalen, ausnahmslosen „Kahlschlag sittlicher Vorstellungen“216 im neuen Strafrecht sollte es mit den Unionsparteien dennoch nicht geben. Vielmehr sei es gerade vor dem politischen Selbstverständnis der CDU/CSU in Abgrenzung zu den anderen Parteien der Bonner Republik geboten, dass man sich wenigstens für ein Mindestmaß an strafrechtlicher Sanktionierung auch von eigentlich bloß nach sitt211 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Publikationsorgan der Union „Stichwort der Woche“ vom 29. 9. 1968, S. 7). Näher zu dem gewandelten Sexualverständnis seit den sechziger Jahren aus der neueren Forschung Bänziger/Beljan/Eder/Eitler (Hg.), Sexuelle Revolution?. 212 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Schreiben Bert Evens an den Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Rainer Barzel vom 21. 6. 1968). 213 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/1 (Schreiben des MdB Max Güde an den Vorsitzenden der Arbeitskreises für Allgemeine und Rechtsfragen der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag Dr. Bert Even vom 20. 6. 1968). 214 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/1 (Positionspapier Max Güdes zu einzelnen Tatbeständen vom 22. 10. 1968). 215 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/1 (Positionspapier Max Güdes zu einzelnen Tatbeständen vom 22. 10. 1968). 216 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Publikationsorgan der Union „Stichwort der Woche“ vom 29. 9. 1968, S. 7).

III. Die Rolle der Parteien

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lichen oder kirchlichen Maßstäben anstößigen Verhalten einsetze.217 Oder anders formuliert: „Wenn auch Andersdenkende die ,sittenprägende Kraft des Strafrechts‘ verneinen mögen, wir meinen jedenfalls, dass dieser Gesichtspunkt nicht außer Betracht bleiben kann.“218 Gänzlich aufgeben wollte man ein religiös fundiertes Strafrechtsdenken im Bereich der Sittlichkeitsdelikte also doch nicht. Dies könne man seitens der Union auch weder den eigenen Wählerinnen und Wählern noch der bundesdeutschen Bevölkerung im Ganzen zumuten, so die Erklärung und eingehende Beteuerung der Bundespartei.219 Deshalb versprachen CDU/CSU im weiteren parlamentarischen Meinungsbildungsprozess zur Strafrechtsreform intensiv und soweit erforderlich auch gegen den Willen der anderen im Bundestag vertretenen Parteien dafür zu werben, jedenfalls nicht alle der eigentlich fragwürdigen Sittlichkeitstatbestände des im Raum stehenden Kodifikationsentwurfs zu streichen.220 Nach wie vor aufrechterhalten werden sollten nach Meinung der beiden Schwesterparteien daher zum Beispiel der § 192 (Blutschande), der § 218 (Unzucht mit Tieren) sowie der § 230 (Zuhälterei) des E 1962.221 Schwierig und mühevoll gestaltete sich also der unionsinterne Prozess zu einer verstärkten Selbstkritik und Gesprächsbereitschaft hinsichtlich der Gestaltung der Sittlichkeitsstraftaten. Mit diesem Weg der vorsichtigen Kompromissbereitschaft erhofften sich CDU und CSU in politisch-taktischer Hinsicht einen stärkeren strafrechtlichen Konsens mit der SPD herbeizuführen.222 Dann könne man, so die Erwartung, gemeinsam mit den Sozialdemokraten die Reformarbeiten letztendlich mit einer Kodifikation beschließen, die „noch verhältnismäßig konservativ[…]“223 ausfällt, zugleich aber auch „den zeitgenössischen Trend einigermaßen auf [fängt]“224, also trotz gewisser Kompromisse den Vorstellungen der beiden Uni-

217 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Publikationsorgan der Union „Stichwort der Woche“ vom 29. 9. 1968, S. 7). 218 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Publikationsorgan der Union „Stichwort der Woche“ vom 29. 9. 1968, S. 7). 219 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Publikationsorgan der Union „Stichwort der Woche“ vom 29. 9. 1968, S. 7). 220 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Publikationsorgan der Union „Stichwort der Woche“ vom 29. 9. 1968, S. 7). 221 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Publikationsorgan der Union „Stichwort der Woche“ vom 29. 9. 1968, S. 7). 222 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Schreiben Max Güdes an den Vorsitzenden des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen Bert Even vom 20. 6. 1968). 223 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Schreiben Max Güdes an den Vorsitzenden des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen Bert Even vom 20. 6. 1968). 224 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Schreiben Max Güdes an den Vorsitzenden des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen Bert Even vom 20. 6. 1968).

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E. Der Einfluss der Politik

onsparteien von einer allgemein eher restriktiven, behutsamen Reform des deutschen Strafrechts noch ausreichend Rechnung trägt.

2. Die Haltung der FDP Da die Rechtspolitik einen klassischen Schwerpunkt ihrer programmatischen Arbeit bildet,225 beschäftigte die Gestaltung des zukünftigen Strafrechts natürlich auch den langjährigen Regierungspartner der Union, die FDP. a) Der Meinungsbildungsprozess zur Strafrechtserneuerung in der FDP Weil mit dem ersten Bundesjustizminister Thomas Dehler (1897 – 1967) ein Liberaler die Bemühungen um die Schaffung eines neuen Strafgesetzbuchs maßgeblich mitinitiiert hatte und das Justizressort in den fünfziger und sechziger Jahren zumeist von FDP-Politikern geführt wurde, war die Partei zudem auch personell stets besonders eng mit den Reformarbeiten verbunden. Daher ist es wenig verwunderlich, dass sich die Freien Demokraten sehr intensiv mit der Totalreform des deutschen Strafrechts auseinandersetzten. So erarbeiteten nicht nur die Bundesparteileitung und die Bundestagsfraktion, sondern auch einzelne FDP-Landesverbände sowie die rechtsliberale Nachwuchsorganisation der FDP, die Deutschen Jungdemokraten (DJD), Vorschläge zur Gestaltung eines neuen Strafgesetzbuchs.226 Darüber hinaus wurde auf gesonderten Arbeitstagungen ausführlich über solche Aspekte der Strafrechtsmodernisierung diskutiert, welche für die Freien Demokraten und ihre Anhänger traditionell von besonderem Interesse waren, wie beispielsweise die Grenzen des staatlichen Strafanspruchs, die Delikte gegen den Staat und seine Ordnung sowie der Schutz der Persönlichkeit im Strafrecht.227 Um auch die Parteibasis an diesem Meinungsbildungsprozess teilhaben zu lassen, war die Strafrechtserneuerung überdies seit Anfang der sechziger Jahre auf den FDP-Bun-

225 Ausführlich zur inhaltlich-programmatischen Gesamtausrichtung der FDP in den fünfziger und sechziger Jahren Dittberner, Die FDP, S. 277 – 296; Kaack, Zur Geschichte und Programmatik der Freien Demokratischen Partei, S. 11 – 28. 226 S. z. B. ADL, Bestand Erich Mende, A 31-117 (Schreiben des FDP-Landesverbands Hamburg an den FPD-Bundesvorsitzenden Erich Mende vom 16. 1. 1963); ADL, Bestand Erich Mende, A 31-140 (Entschließungen der Landesversammlung der Deutschen Jungdemokraten vom 27. 1. 1963). 227 S. hierzu ADL, Bestand Paul Luchtenberg, N 113-10 (Schreiben Werner Stephans an Walter Erbe zur Arbeitstagung „Probleme der Strafrechtsreform“ in Bad Kreuznach vom 18. 12. 1961); ADL, Bestand Walter Erbe, N 4-6 (Rede Walter Erbes auf der Arbeitstagung „Probleme der Strafrechtsreform“ in Bergisch Gladbach am 24. 10. 1962).

III. Die Rolle der Parteien

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desparteitagen öfters ein Thema.228 Im Hinblick auf die juristisch-inhaltliche Ausrichtung der zukünftigen Kodifikationen zum Straf- und Strafprozessrecht vertrat man dabei generell die Meinung, dass es eine besondere Pflicht der FDP sei, „diese grossen Reformwerke […] aus liberalem Geiste zu fördern und damit einen wesentlichen Beitrag zur Liberalisierung des öffentlichen Lebens zu leisten“229. Diese Absichtserklärung des Düsseldorfer Bundesparteitags stimmte mit der tatsächlichen Haltung der Freien Demokraten zur Strafrechtsmodernisierung jedoch nur eingeschränkt überein. Gerade zu Beginn des Reformprozesses Mitte der fünfziger Jahre prägten eher herkömmlich-gemäßigte als liberal-progressive Vorstellungen die Strafrechtspolitik der FDP. Ein besonders anschauliches Beispiel hierfür liefert die Positionierung Thomas Dehlers zur kriminalpolitischen Grundausrichtung der Strafrechtsreform vom 30. Januar 1954. Für ihn war nicht ein radikal freiheitsorientiertes Resozialisierungsstrafrecht das Ziel, sondern seiner Meinung nach galt es vielmehr „eine Synthese zwischen Extremen zu finden, nämlich an dem Schuldgedanken festzuhalten, der den Menschen als ethisches Wesen bildet und trägt, auf der anderen Seite aber der Resozialisierungs- und Sicherungsfunktion der Strafe hinreichenden Spielraum zu geben“230. Die richtungsweisende Frage, welche Strafzwecke dem neuen Gesetzbuch zu Grunde gelegt werden sollten, beantwortete die Freie Demokratische Partei somit genau wie CDU und CSU eher traditionell als revolutionär. Statt auf einen völligen kriminalpolitischen Neuanfang setzte man auch bei den Liberalen vorwiegend auf eine evolutionäre Fortentwicklung des bisherigen Rechtszustands.231 Parallel hierzu entwickelten sich im innerparteilichen Meinungsbildungsprozess aber auch sehr fortschrittliche Positionen. Vor allem hinsichtlich der einzelnen Straftatbestände des Besonderen Teils erwiesen sich die Freien Demokraten als Verfechter typisch liberaler Ideen. So strebte die Bundesparteileitung der FDP zum Beispiel an, die Vorschriften des politischen Strafrechts, insbesondere die Bestimmungen zum Hoch-, Landes-, und Geheimnisverrat, in eine präzisere Fassung zu bringen, die einem demokratischen Rechtsstaat angemessen ist.232 Ein modernes Rechtsverständnis zeigte sich zudem in der Absicht, verfassungsrechtlich garantierte Grundfreiheiten, wie etwa die Vereinigungs- oder Wahlfreiheit, zukünftig durch das

228 ADL, Bestand Bundesparteitag, A 1-195 (FDP-Bundesparteitag vom 23. bis 25. 5. 1962 in Düsseldorf); ADL, Bestand Bundesparteitag, A 1-213 (FDP-Bundesparteitag vom 1. bis 3. 7. 1963 in München). 229 ADL, Bestand FDP-Bundesparteitag, A 1-195 (Rede Erich Mendes auf dem FDPBundesparteitag vom 23. bis 25. 5. 1962 in Düsseldorf, Blatt 31). 230 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-1362 (Schreiben Thomas Dehlers an Heribert Stögmayer vom 30. 1. 1954). 231 S. hierzu auch ADL, Bestand Schnelldienst, D 2-1305 (Pressedienst der FDP-Bundesgeschäftsstelle Nr. 12/63 vom 10. 4. 1963, S. 2). 232 ADL, Bestand FDP-Arbeitskreis Innenpolitik, 767 (Schreiben der FDP-Bundesparteileitung Referat Innenpolitik an die Mitglieder des Arbeitskreises IV vom 26. 2. 1958).

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E. Der Einfluss der Politik

Strafrecht schützen zu lassen.233 Und mit dem Wunsch, die Vorschriften des § 175 (Kundgabe von Missachtung) sowie des § 182 (Öffentliche Erörterung fremder Privatangelegenheiten) des E 1962 unbedingt noch „zu Gunsten der Pressefreiheit […] präzisieren“234 zu wollen, markierte man ebenfalls einen klassisch liberalen Standpunkt. Durchaus fortschrittsorientiert gaben sich die Freien Demokraten des Weiteren in der viel diskutierten Frage, ob ein Schwangerschaftsabbruch straflos gestellt werden sollte, wenn die Schwangerschaft auf einer Vergewaltigung oder einem anderen Sittlichkeitsverbrechen beruhte – diesbezüglich traten sie mit Nachdruck für die Straflosigkeit ein.235 In diese Reihe liberaler Forderungen für die Strafrechtserneuerung fügte sich schließlich auch die Haltung der FDP zu den streng ausgestalteten Sittlichkeitsdelikten des E 1962 ein. Viele Freie Demokraten kritisierten die hierzu unterbreiteten, kirchlich geprägten Normierungsvorschläge und zeigten sich „beunruhigt über […] die Gleichsetzung konfessioneller Grundsätze mit sittlichen Überzeugungen“236. Sie forderten deshalb starke Nachbesserungen im Kodifikationsentwurf, beispielsweise sollte der Straftatbestand des § 203 (Künstliche Samenübertragung) des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 „im Sinne rechtsstaatlicher und liberaler Grundsätze abgeändert oder aufgehoben“237 werden. Inhaltlich bewegte man sich im innerparteilichen Meinungsbildungsprozess also zwischen einerseits am Alten festhaltenden Vorstellungen in Bezug auf die sanktionsrechtlichen Grundsätze und andererseits durchaus fortschrittsorientierten Ansichten hinsichtlich der einzelnen Tatbestände des Entwurfs. Anders als in den Unionsparteien wurden diese Positionen nahezu immer von der gesamten FDP getragen. Anzeichen für grundlegende Meinungsverschieden oder stark voneinander abweichende Rechtsauffassungen innerhalb der Freien Demokratischen Partei finden sich auf Basis der derzeitigen Aktenlage nicht. Einig war man sich bei den Liberalen außerdem darüber, dass die Reformbemühungen möglichst bald zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden sollten. Die FDPBundestagsfraktion zum Beispiel warb in der Regierungskoalition daher eindringlich für eine rasche Fortführung der Reformarbeiten in den politischen Gremien; die

233 ADL, Bestand Schnelldienst, D 2-1305 (Pressedienst der FDP-Bundesgeschäftsstelle Nr. 7/62 vom 25. 10. 1962, S. 5 – 7); BArch, B 141/17281, S. 146 (Besprechung im BMJ mit Juristinnen und Juristen der FDP-Fraktion über den Entwurf eines Strafgesetzbuchs am 22. 1. 1962); ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267 (Vorschlag für eine Ergänzung des § 402 des E 1962 ohne Datum). 234 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267 (Schreiben Erich Küchenhoffs an den Bremer Justizsenator Ulrich Graf vom 14. 10. 1962). 235 BArch, B 141/17281, S. 146 (Besprechung im BMJ mit Juristinnen und Juristen der FDP-Fraktion über den Entwurf eines Strafgesetzbuchs am 22. 1. 1962). 236 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-1865 (Schreiben Hans Steeges an Thomas Dehler vom 11. 10. 1962). 237 ADL, Bestand Erich Mende, A 31-140 (Entschließungen der Landesversammlung der Deutschen Jungdemokraten vom 27. 1. 1963).

III. Die Rolle der Parteien

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Fraktionsmitglieder zeigten sich hierbei zu jeder Unterstützung bereit.238 Und auch Thomas Dehler als Mitinitiator der Reformbewegung erinnerte nochmals daran, dass es „eine geschichtliche Leistung [wäre], wenn der vierte Deutsche Bundestag den von der Großen Strafrechtskommission ausgearbeiteten Entwurf eines neuen Strafgesetzbuchs beraten und verabschieden könnte“239. Mit Sorge betrachtete man folglich in den Reihen der Liberalen, dass es beim damaligen Koalitionspartner CDU/CSU gewichtige Stimmen gab, die „[…] bisher wenig Neigung zeigen, mit der Beratung eines solchen Gesetzentwurfs zu beginnen“240. Neben dem ehemaligen Bundesjustizminister Thomas Dehler drängten deshalb seit Anfang der sechziger Jahre noch weitere politische Führungskräfte der Freien Demokraten, wie beispielsweise der von 1961 bis 1962 amtierende Bundesminister der Justiz Wolfgang Stammberger (1920 – 1982), zu einer zeitnahen Auseinandersetzung mit dem Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 in den Gremien von Bundesrat und Bundestag und wandten sich in dieser Angelegenheit sogar direkt an Bundeskanzler Adenauer.241 Darüber hinaus setzte sich auch die FDP-Bundesfraktion weiterhin mit außerordentlichem Nachdruck für eine baldige parlamentarische Beratung des Kodifikationsvorhabens ein.242 In Sachen Strafrechtsreform entwickelten sich die Freien Demokraten infolgedessen immer mehr zur treibenden politischen Kraft unter den Parteien der Bonner Republik. Das Hauptmotiv für dieses starke Vorantreiben des politischen Entscheidungsprozesses zur Strafrechtsmodernisierung lag vermutlich darin, dass sich die FDP in ihrer Position als Regierungspartner der CDU/CSU erhoffte, „einen besonderen Einfluß auf die Ausgestaltung der Vorlage“243 nehmen zu können, zumal sie in der vierten Legislaturperiode wieder das Bundesministerium der Justiz führte244. Ob diese für die Durchsetzung der rechtspolitischen Interessen der Liberalen günstige politische Konstellation auch nach der Wahl zum fünften Deutschen Bundestag fortbestehen würde, war ungewiss. Deshalb war es für die Freie Demokratische 238

ADL, Bestand Erich Mende, A 31-140 (Schreiben Erich Mendes an den Landesvorsitzenden der Deutschen Jungdemokraten Wolf Erich Kellner vom 7. 2. 1963); ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-1902 (Schreiben der Bundestagsabgeordneten Emilie Kiep-Altenloh an Thomas Dehler vom 23. 2. 1963). 239 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267 (Pressetext Thomas Dehlers zur Strafrechtsreform vom 9. 4. 1962 für die Ausgabe der Münchener „Abendzeitung“ am 4. 5. 1962). 240 ADL, Bestand Erich Mende, A 31-117 (Schreiben des FDP-Landesverbands Hamburg an den FPD-Bundesvorsitzenden Erich Mende vom 16. 1. 1963). 241 ADL, Bestand Erich Mende, A 31-47 (Schreiben Wolfgang Stammbergers an den Bundeskanzler Konrad Adenauer vom 29. 5. 1962). 242 ADL, Bestand Erich Mende, A 31-117 (Schreiben des Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion Erich Mende an den Vorsitzenden der Hamburger FDP-Bürgerschaftsfraktion Alfred Frankenfeld vom 24. 1. 1963). 243 ADL, Bestand Erich Mende, A 31-47 (Schreiben Wolfgang Stammbergers an den FDPBundesvorsitzenden Erich Mende vom 29. 5. 1962). 244 S. hierzu auch ADL, Bestand Erich Mende, A 31-140 (Schreiben Erich Mendes an den Landesvorsitzenden der Deutschen Jungdemokraten Wolf Erich Kellner vom 7. 2. 1963).

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E. Der Einfluss der Politik

Partei wichtig, ihre Vorstellungen vom künftigen Strafrecht möglichst schnell Gesetzeswirklichkeit werden zu lassen. Trotz dieser Vorzeichen zögerte die FDP zugleich aber etwas, sich mit Macht für ihre konkreten strafrechtlichen Ideen einzusetzen. Dies betraf insbesondere die an einem freiheitlichen Strafrechtsverständnis ausgerichteten Positionen zum Abtreibungsrecht sowie zum strafrechtlichen Schutz von Grundfreiheiten. Statt mit politischem Druck hier auf die sofortige Aufnahme der eigenen Vorschläge in den Regierungsentwurf hinzuwirken, hielten die Freien Demokraten diese aus nicht näher benannten taktischen Gründen zunächst zurück.245 Obgleich sich parteiintern bereits klare Positionen zur Strafrechtserneuerung herausgebildet hatten und die künftige Machtposition ungewiss war, gab sich die FDP bezüglich ihrer einzelnen inhaltlichen Forderungen zum Gesetzesvorhaben somit erstaunlich wenig offensiv. b) Die Positionierung der FDP zum E 1962 im Parlament Der Öffentlichkeit stellte die Freie Demokratische Partei ihre Ansichten zur Modernisierung des Strafrechts dann am 28. März 1963 vor, als der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 Diskussionsgegenstand im Deutschen Bundestag war. In Übereinstimmung mit dem damaligen Koalitionspartner CDU/CSU bewerteten die Abgeordneten der FDP-Fraktion den E 1962 generell als geeignete Grundlage für eine neue Kodifikation des deutschen Strafrechts.246 Er könne für sich in Anspruch nehmen „eine wirkliche Erneuerung zu bringen“247 ohne hierbei zu vernachlässigen, dass „neue Gesetze […] auf den alten aufbauen [sollen]“248. Besonders begrüßten die Freien Demokraten dabei das kriminalpolitische Konzept des Entwurfs, welches auf dem Schuldstrafrecht und einer vergeltenden Vereinigungstheorie fußte, denn eine solche Grundausrichtung entspreche in hohem Maße ihren Vorstellungen von einem Strafrecht, das die Verantwortung des Einzelnen in den Mittelpunkt stellt.249 Darüber hinaus fand die FDP auch für die Beibehaltung drei verschiedener Formen der Freiheitsstrafe und die hiermit verbundene Ablehnung einer einheitlichen Gefängnisstrafe durch den Gesetzentwurf lobende Worte.250 An ihrem sanktionsrechtlich klassischen Kurs, welcher bereits im Prozess der innerparteilichen Meinungsbildung 245 BArch, B 141/17281, S. 146 (Besprechung im BMJ mit Juristinnen und Juristen der FDP-Fraktion über den Entwurf eines Strafgesetzbuchs am 22. 1. 1962). 246 MdB Diemer-Nicolaus in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3206 (C). 247 MdB Bucher in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3184 (D). 248 MdB Bucher in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3184 (D). 249 MdB Diemer-Nicolaus in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3205 (A). 250 MdB Diemer-Nicolaus in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3206 (A).

III. Die Rolle der Parteien

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deutlich zu erkennen gewesen war, hielten die Freien Demokraten somit auch in der parlamentarischen Debatte zur Strafrechtsreform fest. Obwohl sich die FDP damit grundsätzlich zum Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 und einer auf ihm basierenden Reform des deutschen Strafrechts bekannt hatte, übte sie gleichzeitig aber auch Kritik an der Regierungsvorlage. Anstoß nahmen ihre Repräsentanten dabei zum einen an den Regelungen zum Hochverrat und zur Staatsgefährdung. Aus liberaler Sicht hielten sie es gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse in der „Spiegel-Affäre“251 für erforderlich, „diese Bestimmungen neu zu überprüfen, neu zu gestalten, anders, als es in dem Entwurf gestaltet ist“252. Hierzu gehöre vor allem, die Tatbestände der §§ 361 – 368 des E 1962 so abzufassen, dass sie sich nur noch auf das zwingend notwendige Minimum des Staatsschutzes beschränken.253 Aber nicht nur in diesem Punkt, sondern auch in Bezug auf die Normen zum Sittenstrafrecht erwies sich die Freie Demokratische Partei als überzeugte Verfechterin liberaler Strafrechtsvorstellungen. Neben dem generellen Einwand, dass der Entwurf in den einzelnen Tatbeständen der §§ 187 – 234 allzu stark moralisiere,254 kritisierte sie vor allem, dass die Abtreibung auch in den Fällen strafbar sein sollte, in denen die Schwangerschaft auf einem Sittlichkeitsverbrechen beruhte255. Dies sei nach ihrem Rechts- und Moralverständnis nicht mehr zeitgemäß und zeige stellvertretend für viele Normen des Sittlichkeitsstrafrechts, „daß zwischen dem, was […] strafbar gemacht werden soll, und dem, was in dem Rechtsempfinden des Volkes verwurzelt ist, eine tiefe Kluft besteht“256. Im Plenum des Deutschen Bundestages warb die FDP deshalb nochmals besonders eindringlich für eine insgesamt tolerantere Ausgestaltung der Sittlichkeitsdelikte im zukünftigen Strafrecht, denn ihrer Meinung nach sollten „Tatbestände, von denen fraglich ist, ob sie von der Rechtsüberzeugung der Gesamtheit getragen oder überhaupt anerkannt werden, nicht zum Gegenstand einer Normierung gemacht werden“257. Die Positionierung der Freien Demokraten zum Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 im Bonner Parlament spiegelte somit in weiten Teilen das Meinungsbild 251 Ausführlich zur „Spiegel-Affäre“ Grosser/Seifert, Die Spiegel-Affäre, Bd. I und II; Schöps (Hg.), Die SPIEGEL-Affäre des Franz Josef Strauß. 252 MdB Diemer-Nicolaus in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3207 (B). 253 MdB Diemer-Nicolaus in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3207 (C). 254 MdB Diemer-Nicolaus in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3208 (D). 255 MdB Diemer-Nicolaus in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3208 (D). 256 MdB Diemer-Nicolaus in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3208 (C). 257 MdB Aschoff in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3214 (D).

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E. Der Einfluss der Politik

aus dem vorausgegangenen innerparteilichen und intrafraktionellen Willensbildungsprozess wider. Hinsichtlich der kriminalpolitischen Grundorientierung einer neuen Kodifikation befürworteten sie eine weitgehend konservative Reform, die sich an klassischen Vorstellungen anlehnt, im Besonderen Teil des künftigen Strafrechts wollte man bei den einzelnen Delikten hingegen verstärkt liberale Akzente setzen. c) Die Abkehr der FDP vom E 1962 Bereits einige Jahre nach der Debatte über den Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 im Deutschen Bundestag begann sich die Haltung der FDP zur Großen Strafrechtsreform jedoch zu wandeln. Zwar waren Partei und Fraktion weiterhin um eine zügige parlamentarische Behandlung und einen baldigen Abschluss des Gesetzesvorhabens bemüht,258 zugleich betonten sie jetzt aber, dass dieser Einsatz für eine rasche Beendigung der Reformarbeiten anders als bisher für sie „keine Identifikation mit dem Inhalt des Entwurfs“259 mehr bedeute. Während man im Bundestag die von der eigenen Bundesregierung eingebrachte Konzeption noch grundsätzlich begrüßt und nur Einzelregelungen beanstandet hatte, wurde nach 1963 die Kritik aus den Reihen der FDP zusehends schärfer. Sogar Thomas Dehler hielt den von ihm als Justizminister einst mitinitiierten Gesetzesvorschlag in nicht unerheblichem Umfang noch für verbesserungsbedürftig.260 Aus Sicht der Freien Demokraten galt es dabei in erster Linie Folgendes zu ändern: Im Allgemeinen Teil wollte man die umfangreiche, detaillierte Irrtumskasuistik der §§ 19 – 21 des E 1962 reduzieren, die Zuchthausstrafe sollte in ihrem Anwendungsbereich stark begrenzt und die Sicherungsverwahrung sogar gänzlich abgeschafft werden.261 Des Weiteren beabsichtigte man die Vorschriften zu den Nebenstrafen zu modifizieren und die Sicherungsaufsicht humaner auszugestalten.262 Aber nicht nur für den Allgemeinen, sondern auch für den Besonderen Teil des künftigen Strafgesetzbuchs forderte die FDP jetzt verstärkt die Umsetzung liberaler Strafrechtsvorstellungen. So plädierte sie beispielweise für eine Einschränkung des Kuppelleistrafrechts und der Delikte gegen den Staat und seine Einrichtungen sowie für eine erhebliche Reduzierung der Anzahl der im Kodifikationsentwurf normierten

258 ADL, Bestand FDP-Bundesparteitag, A 1-252 (FDP-Bundesparteitag vom 1. bis 3. 6. 1964 in Duisburg); sehr ähnlich auch ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-2520 (Protokoll der Sitzung des Arbeitskreises IV der FDP-Bundestagsfraktion vom 9. 11. 1965, S. 2). 259 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-2520 (Protokoll der Sitzung des Arbeitskreises IV der FDP-Bundestagsfraktion vom 9. 11. 1965, S. 2). 260 ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A 40-782 (Kurzprotokoll der Sitzung der FDPBundestagsfraktion vom 20. 6. 1967). 261 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267 (Positionspapier zum E 1962 ohne Datum). 262 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267 (Positionspapier zum E 1962 ohne Datum).

III. Die Rolle der Parteien

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besonders schweren Fälle.263 Zudem erneuerte die Freie Demokratische Partei ihre aus dem innerparteilichen Meinungsbildungsprozess und der Bundestagsdebatte bereits bekannten Forderungen bezüglich der Gestaltung der Sittlichkeitsdelikte. Hier kam es ihr nach wie vor sehr stark darauf an, diese wertneutraler zu fassen und sich auf die Pönalisierung des ethischen Minimums zu beschränken.264 Deshalb sollten insbesondere die Straftatbestände des § 187 (Gotteslästerung), des § 193 (Ehebruch), des § 203 (Künstliche Samenübertragung) sowie des § 216 (Unzucht zwischen Männern) aus dem Entwurf von 1962 gestrichen werden.265 Und auch bezüglich des in der Freien Demokratischen Partei seit langem gehegten Wunsches, den Schwangerschaftsabbruch im Fall einer Notzuchtindikation straflos zu stellen, drängte man jetzt unmissverständlich auf eine Positivierung in der Gesetzesvorlage.266 Mitte der sechziger Jahre stellte die FDP den von ihr mitinitiierten E 1962 also mehr und mehr in Frage. Nicht nur bei einzelnen Tatbeständen des Besonderen Teils, sondern auch hinsichtlich des Allgemeinen Teils und der kriminalpolitischen Ausrichtung favorisierte man in weiten Kreisen der Freien Demokraten mittlerweile andere, liberalere Lösungen als sie der Gesetzentwurf vorsah. Über die Gründe für diesen radikalen Meinungswechsel schweigen sich die Archivalien weitgehend aus; ob also etwa politisch-taktische Erwägungen oder der allgemeine gesellschaftliche Wandel hierbei eine Rolle spielten, bleibt somit spekulativ. Fest steht lediglich, dass in der Folge die Unterstützung für den Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 in der FDP immer weiter zurückging. Nur wenige Liberale waren der Meinung, dass sich unter Berücksichtigung der Kritikpunkte ihrer Partei noch ein modernes Strafrecht auf dessen Grundlage schaffen ließe.267 Die große Mehrheit vertrat hingegen ab 1967 die Ansicht, es sei „falsch, diesen Weg weiterzugehen“268. Alternativ beschäftigte sich die Bundestagsfraktion deshalb mit dem von Wissenschaftlern entwickelten Gegenvorschlag zum E 1962, dem „Alternativ-Entwurf“. Die Fraktionsmitglieder kamen hierbei zu der Überzeugung, dass dessen Gedankeninhalt mit in die weiteren parlamentarischen Beratungen zur Modernisierung des Strafrechts einfließen sollte,269 und brachten ihn daher in den Bundestag ein270. Damit war die 263

ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267 (Positionspapier zum E 1962 ohne Datum). ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3274 (Leitartikel der FDP-Bundestagsabgeordneten Emmy Diemer-Nicolaus mit dem Titel „Aufgabe und Chance der Grossen Strafrechtsreform“ für den Pressedienst für Frauenfragen vom 22. 7. 1966). 265 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267 (Positionspapier zum E 1962 ohne Datum). 266 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3274 (Leitartikel der FDP-Bundestagsabgeordneten Emmy Diemer-Nicolaus mit dem Titel „Aufgabe und Chance der Grossen Strafrechtsreform“ für den Pressedienst für Frauenfragen vom 22. 7. 1966). 267 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267 (Positionspapier zum E 1962 ohne Datum). 268 ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A 40-782 (Kurzprotokoll der Sitzung der FDPBundestagsfraktion vom 20. 6. 1967); ähnlich auch ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-1891 (Schreiben des FDP-Mitglieds Alexander Griebel an Thomas Dehler vom 4. 6. 1963). 269 ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A 40-782 (Kurzprotokoll der Sitzung der FDPBundestagsfraktion vom 20. 6. 1967). 264

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E. Der Einfluss der Politik

FDP endgültig von ihrer früheren Haltung abgerückt. Eine Reform auf Basis des Entwurfs von 1962 genügte ihr nicht mehr, stattdessen forderte sie nunmehr verstärkt grundlegende kriminalpolitische und materiellrechtliche Neuerungen im Strafrecht.

3. Die Haltung der SPD Nicht nur die Unionsparteien und die FDP, sondern auch die Sozialdemokraten stellten in den fünfziger und sechziger Jahren Überlegungen an, wie eine neue Strafrechtskodifikation aussehen könnte. a) Die Erwartungen der SPD an einen Neubeginn im deutschen Strafrecht Der diesbezügliche innerparteiliche Meinungsbildungsprozess setzte, obwohl die SPD in den Anfangsjahren der Bundesrepublik zunächst nicht an der Regierung in Bonn beteiligt war und ihre programmatischen Schwerpunkte generell mehr in der Arbeits- und Sozial- als in der Rechtspolitik lagen271, schon relativ früh ein. Während sich CDU und CSU erst ab 1958 verstärkt den Reformarbeiten zuwandten, hatte der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bereits im Sommer des Jahres 1953 an die Genossen appelliert, sich „rechtzeitig und eingehend mit dem infrage stehenden Problem im Ganzen und seinen Einzelfragen [zu] befassen“272. Dieser Aufforderung kam man alsbald in den verschiedensten Parteigremien nach. Auf dem sechsten Bundesparteitag vom 20. bis 24. Juli 1954 in Berlin beschäftigte sich zunächst die SPD-Basis mit Fragen der Strafrechtsmodernisierung.273 Nur kurze Zeit später war sie dann auch in den Sitzungen des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand wiederholt Diskussionsgegenstand.274 Neben diesen zwei Parteiorganen brachten sich außerdem die Arbeitsgemeinschaften sozialdemokratischer Juristen (ASJ) frühzeitig in den Beratungsprozess ein, wodurch die SPD gegenüber der CDU/CSU und der FPD schon in organisatorischer Hinsicht einen gewissen Vorsprung hatte. Am 13. September 1953 stand die Straf-

270 BT-Drucks. V/2285; zur Einbringung des Alternativ-Entwurfs durch die FDP-Bundestagsfraktion s. auch ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3274 (Pressemitteilung der FDP zur Einbringung des Alternativ-Entwurfs in den Deutschen Bundestag). 271 Ausführlich zur inhaltlich-programmatischen Gesamtausrichtung der SPD in den fünfziger und sechziger Jahren Klotzbach, Der Weg zur Staatspartei, S. 237 – 255. 272 AdsD, SPD-Parteivorstand, Signatur 2/PVCG000002 (Schreiben des SPD-Parteivorstands an die Mitglieder des Rechtspolitischen Ausschusses vom 8. 8. 1953). 273 AdsD, SPD-Parteivorstand, Signatur 2/PVCG000002 (Vorschläge der ASJ zum Aktionsprogramm der SPD zum Berliner Bundesparteitag vom 20. bis 24. 7. 1954). 274 S. z. B. AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 2. Wahlperiode, Signatur 125 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 11. bis 12. 12. 1954).

III. Die Rolle der Parteien

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rechtserneuerung im erweiterten Bundesvorstand der ASJ auf der Tagesordnung275 und vom 22. bis 24. Oktober 1954 auf der ersten Bundestagung der Arbeitsgemeinschaften in Hannover276. Später sollten die Ergebnisse der amtlichen Reformbemühungen noch zusätzlich in den jeweiligen örtlichen Gruppierungen der ASJ, den Bezirks-Arbeitsgemeinschaften, intensiv thematisiert werden.277 Ab Mitte der fünfziger Jahre beriet zudem ein vom Rechtspolitischen Ausschuss beim Parteivorstand eingesetzter neunköpfiger Unterausschuss „Strafrechtsreform“ unter der Leitung des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer (1903 – 1968) ausführlich über die Arbeitsergebnisse der Großen Strafrechtskommission.278 Obgleich die SPD von der Oppositionsbank aus letztendlich über weniger politische Einflussmöglichkeiten auf die konkrete sachliche Gestaltung des Kodifikationsentwurfs verfügte als die Regierungskoalition des bürgerlichen Lagers, nahm sie also keinesfalls eine desinteressierte oder resignierende Haltung zu den Reformbestrebungen ein. Im Gegenteil, ihre Mitglieder zeigten von Anfang an einen ernsthaften Willen zur Mitarbeit an der Strafrechtsmodernisierung; meinten doch viele Genossen, dass „die Partei [… eine] rechtspolitische Konzeption entwickeln [muss], auch wenn sie damit nicht durchdringen kann“279. Wie dieses strafrechtspolitische Konzept im Einzelnen und die hiermit verbundene Positionierung der SPD zur Strafrechtsreform insgesamt aussehen würde, war zu Beginn des parteiinternen Meinungsbildungsprozesses Anfang der fünfziger Jahre jedoch noch völlig offen, denn in den Reihen der Sozialdemokraten wurden höchst unterschiedliche rechtspolitische Ansätze vertreten. Einerseits gab es unter ihnen radikale Linke, welche ihre politische Vereinigung nach wie vor nicht in der Rolle einer Volks- sondern einer Klassenkampfpartei280 sahen, deren Intention es sein müsse, das Strafrecht als Ausfluss der bürgerlichen Wertordnung am besten restlos zu beseitigen.281 Andererseits gab es zugleich einige entgegengesetzt orientierte Mit275 AdsD, SPD-Parteivorstand, Signatur 2/PVCG000002 (Protokoll der Sitzung des erweiterten Vorstands der ASJ vom 13. 9. 1953). 276 AdsD, SPD-Parteivorstand, Signatur 2/PVCG000003 (Protokoll der ersten Bundestagung der ASJ in Hannover vom 22. bis 24. 10. 1954). 277 AdsD, SPD-Parteivorstand, Signatur 2/PVCG000002 (Protokoll der Sitzung des erweiterten Vorstands der ASJ vom 13. 9. 1953). 278 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 25. bis 26. 10. 1958, S. 3); zur Arbeit des Unterausschusses „Strafrechtsreform“ s. AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Protokolle der 1. bis 6. Sitzung des Unterausschusses „Strafrechtsreform“ des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand 1958 bis 1960). Biographisch zu Bauer statt vieler Steinke, Fritz Bauer. 279 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 2. Wahlperiode, Signatur 125 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 11. bis 12. 12. 1954, S. 3). 280 Näher zum Wandel der SPD von einer Klassenkampf- zur Volkspartei Schönhoven, in: Kruke/Woyke (Hg.), Deutsche Sozialdemokratie, S. 222 (222 – 229); Walter, Die SPD, S. 117 – 148; Klotzbach, Der Weg zur Staatspartei, S. 301 – 307. 281 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 2. Wahlperiode, Signatur 125 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 11. bis 12. 12. 1954, S. 4 f.).

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E. Der Einfluss der Politik

glieder, die im Einklang mit weiten Kreisen der bürgerlichen Parteien beabsichtigten, an herkömmlichen Strafrechtsvorstellungen festzuhalten und das zukünftige Gesetzbuch insbesondere bezüglich seiner sanktionsrechtlichen Grundlagen traditionell auszugestalten.282 Die Mehrheit der Sozialdemokraten wollte jedoch keinen dieser konträren Wege beschreiten. Sie wünschte sich weder eine vollständige Abschaffung des Strafrechts, noch wollte sie den bisherigen Rechtszustand in seinem Kern unverändert lassen. Ihr reformpolitisches Ziel war vielmehr die „Schaffung eines elastischen Gesetzentwurfes, der eine Entwicklung des Strafrechts ermöglich[t], und eines toleranten Entwurfs, der verschiedenen wissenschaftlichen Auffassungen Raum [gibt]“283. Klingt in dieser knappen Absichtsbekundung bereits an, dass die SPD als parlamentarische Opposition gänzlich andere Vorstellungen sowohl hinsichtlich der Art als auch hinsichtlich des Umfangs der Modernisierung des Strafrechts hatte als die Regierungskoalition, so wird dies bei einem näheren Blick auf die einzelnen Pläne und Ideen der Genossen zur inhaltlichen Ausgestaltung der neuen Kodifikation noch wesentlich deutlicher. Schon bei der kriminalpolitischen Grundausrichtung des künftigen Gesetzbuchs wollte die SPD ausgehend von ihren programmatischen Beschlüssen auf dem Bundesparteitag 1954 in Berlin284 alternative Wege beschreiten und „ein kriminologisch fundiertes Strafrecht [schaffen], das den kausalen Voraussetzungen und damit der Erkenntnis Rechnung [trägt], dass jede […] Handlung von psychischen, physischen und sozialen Voraussetzungen bestimmt wird“285. Aus diesem kriminologischen Verständnis heraus befürworteten sie im Gegensatz zur Großen Strafrechtskommission und zur Bundesregierung ein reines Resozialisierungsstrafrecht, welches die Strafe als pädagogische Maßnahme versteht286 und damit in erster Linie die Aufgabe hat, „den gemeinschaftsunfähig gewordenen Täter gemeinschaftsfähig zu machen“287. Nur sofern dies nicht möglich ist, dürfe „der Zweck des Kriminalrechts in der Sicherung der Gesellschaft [liegen]“288. Mit diesen Vorstellungen 282

AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 2. Wahlperiode, Signatur 125 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 11. bis 12. 12. 1954, S. 3). 283 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 2. bis 3. 5. 1959, S. 10 f.). 284 S. hierzu AdsD, SPD-Parteivorstand, Signatur 2/PVCG000002 (Vorschläge der ASJ zum Aktionsprogramm der SPD zum Berliner Bundesparteitag vom 20. bis 24. 7. 1954). 285 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Entwurf einer sozialdemokratischen Stellungnahme zur Strafrechtsreform ohne Datum). 286 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 9). Zur kriminalpolitischen Position der SPD auch Worm, SPD und Strafrechtsreform S. 94 – 104. 287 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Entwurf einer sozialdemokratischen Stellungnahme zur Strafrechtsreform ohne Datum). 288 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Entwurf einer sozialdemokratischen Stellungnahme zur Strafrechtsreform ohne Datum).

III. Die Rolle der Parteien

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knüpfte die Sozialdemokratische Partei an ihre reformpolitischen Grundsätze an, welche sie bereits zu Zeiten der Weimarer Republik entwickelt hatte. Im Entwurf ihres Görlitzer Programms von 1921 sowie im Heidelberger Programm des Jahres 1925 hatte sie ebenfalls für ein ausschließliches Erziehungs- und Schutzstrafrecht plädiert.289 Diese Forderung nach einer Ersetzung des Vergeltungs- durch ein Resozialisierungsstrafrecht erachtete man auch nach dem Zweiten Weltkrieg unverändert für richtig, für viele Sozialdemokraten war sie sogar von „bestürzender Aktualität“290. Einher ging mit diesem Bedürfnis nach einer grundlegenden sanktionsrechtlichen Neuausrichtung, die sich vollständig vom Vergeltungsgedanken lösen sollte, konsequenter Weise das Ansinnen, das bisher gebräuchliche zweispurige System von Strafen einerseits und Maßregeln der Besserung und Sicherung andererseits abzuschaffen und dieses durch ein einspuriges System mit einem Katalog strafender, pädagogischer und sichernder Maßnahmen zu ersetzten.291 Eine zentrale Aufgabe der Strafrechtsreform hätte es nach Ansicht der Sozialdemokraten deshalb sein müssen, „diesen Katalog zusammen[zu]stellen und dadurch das Strafrecht elastischer [zu] machen“292. Der Wunsch der Sozialdemokraten nach tiefgreifenden Umgestaltungen erstreckte sich jedoch nicht nur auf das kriminalpolitische Konzept des künftigen Strafgesetzbuchs, sondern auch auf die einzelnen Tatbestände des Besonderen Teils. Zwar fielen hier die Änderungsbegehren nicht ganz so radikal aus, die SPD erhoffte sich aber sehr wohl entscheidende Veränderungen. Vor allem wollte man, um die Autorität des Strafrechts zu stärken, die Anzahl der Straftatbestände insgesamt erheblich reduzieren und die Kriminalstrafe auf besonders schweres Unrecht beschränken.293 Auf eine detaillierte Kasuistik, wie beispielweise die Unterscheidung von einfachem und schwerem Diebstahl, plante man sogar gänzlich zu verzichten294. Freiheitliche Tendenzen sollten nach dem Willen der Sozialdemokraten also auch das Gesicht des Besonderen Teils der neuen Strafrechtskodifikation prägen; „so wenig Strafrecht wie möglich“295 lautete die Maxime. 289 Zur Position der SPD zur Strafrechtsreform in der Weimarer Republik s. AdsD, SPDBundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 222 (Protokoll der 1. Sitzung des Unterausschusses „Strafrechtsreform“ des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 6. bis 7. 12. 1958, S. 1). 290 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 2. bis 3. 5. 1959, S. 11). 291 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Entwurf einer sozialdemokratischen Stellungnahme zur Strafrechtsreform ohne Datum). 292 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Entwurf einer sozialdemokratischen Stellungnahme zur Strafrechtsreform ohne Datum). 293 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 2. bis 3. 5. 1959, S. 12). 294 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Entwurf einer sozialdemokratischen Stellungnahme zur Strafrechtsreform ohne Datum). 295 MdB Wittrock in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3199 (C).

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E. Der Einfluss der Politik

Keine bloße Weiterentwicklung und Verbesserung des bisherigen Rechtszustands, sondern nicht weniger als einen konsequenten Neubeginn im bundesrepublikanischen Strafrecht stellte sich die Sozialdemokratische Partei also unter einer Totalreform vor. Das geltende Strafgesetzbuch, welches noch auf dem alten Reichsstrafgesetzbuch fußte, sollte durch ein neuartiges, zukunftsorientiertes Schutz- und Erziehungsstrafrecht abgelöst werden. Flankieren wollte die SPD diese radikale Wende im deutschen Strafrecht durch eine Reihe weiterer Gesetzesänderungen und justizpolitischer Maßnahmen. So beabsichtigten die Sozialdemokraten zum Beispiel, künftig den Gedanken der strafbefreienden Wiedergutmachung stärker in den Vordergrund zu rücken und zu diesem Zweck über die bestehende Möglichkeit des Adhäsionsverfahrens hinaus das Straf- wieder enger mit dem Zivilrecht zu verknüpfen.296 Außerdem sollten im Rahmen der Reform das Strafprozess- sowie das Strafvollzugsrecht dem neuen Strafgesetz angepasst werden.297 Selbst die Juristenausbildung planten die Genossen zeitnah umfassend zu verändern mit dem Ziel, einen neuen Richtertyp hervorzubringen, der nicht nur über besonders gute Rechtskenntnisse verfügt, sondern darüber hinaus auch in den Natur- und Sozialwissenschaften umfassend gebildet sein sollte.298 Vor dem Hintergrund dieser generellen Positionen zur Strafrechtsmodernisierung verwundert es wenig, dass die im Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 gebündelten Ergebnisse der offiziellen Reformbemühungen im parteiinternen Diskurs der SPD vorwiegend auf Ablehnung stießen. Zwar bewerteten die Genossen einzelne Regelungen des amtlichen Kodifikationsvorschlags durchaus positiv, wie zum Beispiel die neue Ausgestaltung der Geldstrafe in Form des skandinavischen Tagesbußensystems, die Strafaussetzung zur Bewährung oder die Sicherungsaufsicht.299 Auch das politische Strafrecht des E 1962 konnte trotz kleinerer Änderungsbegehren grundsätzlich das Einverständnis der Sozialdemokraten finden.300 Dieser vereinzelten Zustimmung standen auf der anderen Seite jedoch zahlreiche gewichtige Kritikpunkte am Gesetzesvorhaben gegenüber. Im Allgemeinen Teil des Entwurfs wandte sich die SPD beispielsweise in Anlehnung an ihre Vorstellungen von einem liberalen Resozialisierungsstrafrecht gegen die in § 43 festgesetzte Dreiteilung der Freiheitsstrafe in Zuchthaus, Gefängnis und Strafhaft, weil diese die gesellschaftliche Wiedereingliederung des Täters nur erschwere, und sprach sich 296

AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 9). 297 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 8 f.). 298 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 8). 299 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 222 (Protokoll der 1. Sitzung des Unterausschusses „Strafrechtsreform“ des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 6. bis 7. 12. 1958, S. 2). 300 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 222 (Protokoll der 1. Sitzung des Unterausschusses „Strafrechtsreform“ des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 6. bis 7. 12. 1958, S. 2).

III. Die Rolle der Parteien

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stattdessen für die Einführung einer Einheitsstrafe aus.301 Für kriminalpolitisch verfehlt hielt man in sozialdemokratischen Kreisen außerdem den § 56 (Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts) des E 1962, welcher deshalb aus der Kodifikation gestrichten werden sollte.302 Und auch die in § 86 (Vorbeugende Verwahrung) vorgesehene Möglichkeit zur sichernden Verwahrung von Jungtätern lehnten die Sozialdemokraten strikt ab.303 Die Kritik der SPD beschränkte sich aber nicht nur auf den Allgemeinen, sondern betraf ebenso den Besonderen Teil des Entwurfs für ein neues Strafgesetzbuch. Anstoß nahmen die Genossen insbesondere an dem illiberalen Sittenstrafrecht des Entwurfs von 1962. Genau wie die Kollegen der Freien Demokraten wollten sie diesen Abschnitt der Kodifikation weltanschaulich neutraler fassen und deshalb zahlreiche Straftatbestände, wie zum Beispiel den § 212 (Unzucht vor Kindern und Schutzbefohlenen), den § 218 (Unzucht mit Tieren), den § 221 (Mittel zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten oder der Empfängnis), § 222 (Werbung für unzüchtigen Verkehr) oder den § 224 (Anlocken zur Unzucht), ersatzlos streichen.304 Desgleichen sollte die in § 216 (Unzucht zwischen Männern) normierte Strafbarkeit der einfachen Homosexualität entfallen.305 Ihre Grenze fand diese tolerante Haltung zum Sexualstrafrecht jedoch bei den Vorschriften zur Notzucht sowie zur Unzucht mit Kindern, diesbezüglich plädierte auch die SPD für scharfe Strafen.306 Neben den Sittlichkeitsdelikten missfiel den Sozialdemokraten im Besonderen Teil des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 überdies die von der Großen Strafrechtskommission vorgeschlagene Fassung der Straftaten gegen das menschliche Leben. Hier störten sich die Parteimitglieder an der am geltenden Recht orientierten Gliederung der Tötungsdelikte in Totschlag, Mord, Tötung auf Verlangen und fahrlässige Tötung, weil eine solche Differenzie-

301 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Protokoll der 2. Sitzung des Unterausschusses „Strafrechtsreform“ des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 22. bis 23. 1. 1959, S. 3 f.). 302 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Protokoll der 2. Sitzung des Unterausschusses „Strafrechtsreform“ des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 22. bis 23. 1. 1959, S. 4). 303 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Protokoll der 3. Sitzung des Unterausschusses „Strafrechtsreform“ des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 11. bis 12. 2. 1959, S. 1 f.). 304 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Protokoll der 4. Sitzung des Unterausschusses „Strafrechtsreform“ des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 1. 5. 1959, S. 2 f.). 305 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Protokoll der 4. Sitzung des Unterausschusses „Strafrechtsreform“ des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 1. 5. 1959, S. 3); zur Haltung der SPD zur Strafbarkeit der Homosexualität auch Worm, SPD und Strafrechtsreform, S. 143 – 145. 306 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Protokoll der 4. Sitzung des Unterausschusses „Strafrechtsreform“ des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 1. 5. 1959, S. 2); zur Haltung der SPD zur Notzucht und Unzucht mit Kindern auch Worm, SPD und Strafrechtsreform, S. 146.

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E. Der Einfluss der Politik

rung nicht mehr zeitgemäß sei; eine simple Unterteilung in einen vorsätzlichen und einen fahrlässigen Tötungstatbestand genüge.307 In Anbetracht dieses aus ihrer Sicht erheblichen Verbesserungsbedarfs im amtlichen Kodifikationsentwurf sowie ihrer grundsätzlich anderen Erwartungen an ein neues, zeitgemäßes Strafrecht kam die SPD daher zu dem Schluss, „daß der Regierungsentwurf keine geeignete Grundlage für eine Gesamtreform des Strafrechts ist“308. Die große Mehrheit der Mitglieder sowie der politisch Verantwortlichen in der sozialdemokratischen Partei hielt ihn zumindest in Teilen für unvereinbar mit den programmatischen Grundsätzen und der strafrechtlichen Tradition ihrer Partei.309 Manch ein besonders scharfer Kritiker befand den Entwurf von 1962 in seinen sanktionsrechtlichen Grundlagen sogar für grundgesetzwidrig.310 Am Schluss des Prozesses der innerparteilichen Meinungsbildung stand für die SPD deshalb fest, dass der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 noch nicht das Endergebnis der langjährigen Reformbemühungen sein konnte.311 b) Die Kritik der SPD am E 1962 im Bundestag Diese ablehnende Haltung zu den Reformvorschlägen der CDU-geführten Bundesregierung setzte sich anschließend in der Bundestagsdebatte über den E 1962 am 28. März 1963 in unverminderter Form fort. Wenn auch die SPD der Parlamentsvorlage nicht absprechen wollte, dass sie „in einigen Punkten das geltende Strafrecht verbessert“312, konnten diese wenigen Verbesserungen ihrer Meinung nach jedoch „nicht der ganze Inhalt dessen sein […], was man in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts als die ,Große Strafrechtsreform‘ bezeichnen darf“313. Vom reformpolitischen Erwartungshorizont der Sozialdemo307 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Protokoll der 5. Sitzung des Unterausschusses „Strafrechtsreform“ des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 20. 8. 1960, S. 6 f.). 308 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 12); ähnlich auch AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 314 (Aufsatz Fritz Bauers „Gedanken zur Strafrechtsreform“ für „Die neue Gesellschaft“ Heft 4/1959, S. 281 (286)). 309 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 2. bis 3. 5. 1959, S. 11); in dieser Richtung auch AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 10). 310 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 314 (Aufsatz Fritz Bauers „Gedanken zur Strafrechtsreform“ für „Die neue Gesellschaft“ Heft 4/1959, S. 281 (286)). 311 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 12). 312 MdB Wittrock in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3198 (C). 313 MdB Wittrock in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3198 (D).

III. Die Rolle der Parteien

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kraten aus betrachtet sei der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 nichts weiter als „eine Art Bestandsaufnahme auf dem Gebiet des Strafrechts“314, eine bloße „Neubearbeitung des geltenden Strafrechts, ergänzt durch einige Verbesserungen, verschlechtert durch einige Veränderungen und – wenigstens in einigen Teilen – belastet durch einen eifernden Perfektionismus, der […] ein befremdliches Ausmaß erreicht“315. Über diese allgemeine Kritik hinaus bemängelte die sozialdemokratische Opposition in der Plenaröffentlichkeit des Deutschen Bundestages wie bereits zuvor im parteiinternen Beratungsprozess zudem besonders stark die kriminalpolitischen Leitlinien des Entwurfs. Hier ignoriere man die in anderen europäischen Staaten erzielten Fortschritte; vor allem müsse dem Gedanken der Resozialisierung ein wesentlich stärkeres Gewicht gegeben werden, als es bisher im Kodifikationsvorschlag der Fall sei,316 denn eine „gelungene Resozialisierung [ist] der beste Schutz der Gemeinschaft und des einzelnen vor künftiger Kriminalität“317. Das zukünftige Strafrecht sollte sich deshalb klar zur Resozialisierung als „vornehmste Aufgabe [des] Freiheitsentzug[s]“318 bekennen. Neben der sanktionsrechtlichen Konzeption beanstandete die SPD ferner in Übereinstimmung mit der FDP den Abschnitt über die Straftaten gegen die Sittenordnung im E 1962. In diesem Teil würden zahlreiche Lebenssachverhalte unter Strafe gestellt, die gar nicht strafwürdig seien;319 das widerspräche den Vorstellungen der Sozialdemokraten von einem „strafgesetzlichen Minimalprogramm“320. Insbesondere gelte es, den Ehebruch und die einfache Homosexualität zu entkriminalisieren, aber auch die im Entwurf neu vorgesehene Strafbarkeit der künstlichen Samenübertragung sei aus Sicht der Sozialdemokraten äußerst fragwürdig.321 Ausgehend von ihren strafrechtspolitischen Prinzipien brachte die SPD dem Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 somit auch im Bundestag scharfe Kritik entgegen. Dennoch versprach sie ihren politischen Gegnern gleichzeitig, sich im

314

MdB Wittrock in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3198 (B). 315 MdB Wittrock in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3198 (D). 316 MdB Wittrock in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3201 (B) bis 3203 (D). 317 MdB Wittrock in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3201 (C). 318 MdB Wittrock in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3201 (B). 319 MdB Müller-Emmert in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3212 (C) bis 3212 (D). 320 MdB Wittrock in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3199 (D). 321 MdB Müller-Emmert in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3211 (B) bis 3212 (C).

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E. Der Einfluss der Politik

weiteren Reformverlauf nicht nur ablehnend-passiv zu verhalten, sondern sich auch fortan „positiv und gestaltend“322 in den Gedankenaustausch einzubringen. c) Die Verzögerungstaktik der SPD im weiteren Reformprozess In Wirklichkeit hatte sich die politische Führungsriege der Sozialdemokratischen Partei jedoch bereits eine andere Strategie für die weiteren parlamentarischen Beratungen zur Strafrechtserneuerung überlegt. Weil man in der SPD sehr wohl erkannt hatte, dass „sich die Konzeption eines sozialen Schutzrechts im derzeitigen Bundestag nicht durchsetzen läßt“323, strebten die Genossen an, die Totalreform des deutschen Strafrechts zunächst zu verschieben und diese erst später, wenn sich die politischen Vorzeichen geändert haben, durchzuführen324. Mit den Bundestagswahlen im September 1965, so hofften die Sozialdemokraten, würden sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament zu ihren Gunsten ändern und damit die Chancen auf die Verabschiedung eines liberalen, am Resozialisierungsgedanken orientierten Strafgesetzbuchs, wie sie es sich vorstellten, steigen.325 Bis dahin könnte man vorerst den auf dem Gebiet des Strafrechts bisher eingeschlagenen Weg der Novellengesetzgebung fortsetzen und nur einzelne Änderungen im Gesetzbuch vornehmen, die sich auf politisch wie weltanschaulich neutralem Terrain bewegten und von allen Seiten Zuspruch fanden, wie zum Beispiel die Einführung eines Tagesbußensystems bei der Geldstrafe.326 Diese Rückkehr zur Novellengesetzgebung ließe sich mühelos „mit der Schwierigkeit der Problematik begründen“327, zudem werde sie sich im weiteren Verlauf der parlamentarischen Diskussion ohnehin von selbst ergeben,328 da für die anstehenden Beratungen bis zur nächsten Bundestagswahl nur ein Zeitraum von ungefähr zwei Jahren zur Verfügung stand. An einem schnellen Voranschreiten der Arbeiten an der Gesamtreform und einer zügigen Behandlung des E 1962 in den Gremien des Bundestages war die SPD somit nicht interessiert. Im Gegenteil, sie bremste den Entwurf, denn je größere 322 MdB Müller-Emmert in der 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3209 (D). 323 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 9). 324 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 9). 325 Müller-Emmert, in: Madlener/Papenfuss/Schöne (Hg.), Strafrecht und Strafrechtsreform, S. 21 (22). 326 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 9 f. und 12). 327 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 11). 328 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 12).

IV. Zwischenfazit zum Einfluss der Politik

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Fortschritte die Beratungen zur Gesamtreform machten, desto mehr stand aus ihrer Sicht zu befürchten, dass sich die kriminalpolitischen Grundgedanken des E 1962 weiter verfestigten.329 Folglich bestand das primäre politische Interesse der Sozialdemokraten darin, den Abschluss der Reformarbeiten zeitlich zu verzögern.330 Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsprozesses übten sich die Genossen deshalb in Zurückhaltung. Zwar beteiligten sie sich weiterhin pflichtgemäß an Beratungen zur Schaffung einer neuen Strafrechtskodifikation, jedoch nicht mehr als nötig.331 Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zog also letztendlich die Aussicht auf eine spätere Umsetzung ihrer Vorschläge zur Erneuerung des Strafrechts der baldigen Verabschiedung einer auf Grundlage des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 reformierten Kodifikation vor.332 Nach einem Wechsel in der Regierungsverantwortlichkeit, so hoffte die SPD, werde die Zeit reif sein für ihre Idee eines reinen Resozialisierungsstrafrechts.333 Der E 1962 jedenfalls konnte für sie noch nicht den Schlussstein der Reformarbeiten bilden.334

IV. Zwischenfazit zum Einfluss der Politik Überblickt man die Einflussnahme der politischen Akteure auf die Bemühungen der jungen Bundesrepublik zur Schaffung eines neuen Strafgesetzbuchs, lässt sich im Ergebnis festhalten, dass sowohl die Bundesministerien und die Bundesländer als auch die politischen Parteien den Reformprozess entscheidend prägten. Kennzeichnend für die Rolle der Bundesministerien war hierbei, dass die verschiedenen Ressorts ihren Einfluss hauptsächlich dahingehend ausübten, die Vorschläge der Großen Strafrechtskommission für das zukünftige deutsche Strafrecht in konservativer Richtung zu verschärfen. Dies äußerte sich zunächst darin, dass die Ministerien einige fortschrittliche Reformansätze der Kommission, wie zum Beispiel die Entscheidungen, die einfache Homosexualität und den Schwangerschaftsabbruch aus ethischer Indikation straflos zu stellen, wieder zurücknahmen. Überdies wurden auf Verlangen der Ministerialverwaltungen in der von dem Ex329 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 11). 330 Müller-Emmert, in: Madlener/Papenfuss/Schöne (Hg.), Strafrecht und Strafrechtsreform, S. 21 (22); kritisch zur Verzögerungstaktik der SPD aus Sicht der FDP s. ADL, Bestand Erich Mende, A 31-117 (Schreiben des FDP-Landesverbands Hamburg an den FPD-Bundesvorsitzenden Erich Mende vom 16. 1. 1963). 331 Vergl. hierzu AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 360 (Protokoll der Sitzung des Arbeitskreises Rechtswesen der SPD-Bundestagsfraktion vom 15. 10. 1963). 332 In dieser Richtung auch bereits Holtz, Strafrechtsreformen, S. 214. 333 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 9). 334 AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413 (Protokoll der Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses beim Parteivorstand vom 16. bis 17. 2. 1962, S. 12).

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E. Der Einfluss der Politik

pertenkreis ausgearbeiteten Fassung des Kodifikationsentwurfs Tatbestände ausgeweitet, neue Strafnormen hinzugefügt und die Strafrahmen vieler Delikte erhöht. Vorangetrieben wurde diese starke Hinwendung zum Konservatismus hauptsächlich durch die Ressorts der Justiz, des Innern sowie für Familien- und Jugendfragen, welche sich mit ihren Standpunkten meist besonders gut durchsetzen konnten.335 Ein ähnliches Szenario ergab sich auch bei den Bundesländern. Diese hatten genau wie die Bundesministerien überwiegend homogene, rechtsbewahrende Vorstellungen von der Erneuerung des Strafrechts. Generell bestand für sie deshalb kein Anlass, ihre umfangreichen Mitwirkungsmöglichkeiten an der Reform in der Länderkommission und im Bundesrat für grundlegende Änderungen am Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 zu nutzen. Vielmehr erklärten sich die Länder unabhängig von ihrer politischen Couleur mit dessen im Kern traditioneller strafrechtlicher Konzeption überwiegend einverstanden. Die dennoch von ihnen eingebrachten Änderungsanträge zielten ebenso wie die der Ministerien größtenteils lediglich auf eine weitere Verschiebung des E 1962 hin zum Konservatismus; Straftatbestände sollten erweitert, Strafrahmen verschärft werden. Aus heutiger Sicht erstrebenswerte liberale Impulse hatten dagegen auch bei den Bundesländern Seltenheitswert. Während die Ministerien und die Länder die Reformbemühungen also durch ihre weitgehend einheitliche, wenig fortschrittliche Haltung prägten und unter dieser Maßgabe auch konkrete sachliche Änderungen im Gesetzentwurf bewirkten, war der Einfluss der politischen Parteien auf das Reformvorhaben dagegen durch inhaltliche Zerrissenheit, Grabenkämpfe sowie taktisches Kalkül gekennzeichnet. Zwar konnten CDU/CSU, SPD und FDP mit Recht von sich behaupten, dass sie sich in ihren internen Meinungsbildungsprozessen „sehr intensiv“336 mit der Modernisierung des Strafrechts befasst hatten, denn die Gremien der Parteien und Bundestagsfraktionen hatten eingehend über die Gestaltung der neuen Kodifikation diskutiert, oft waren hierfür sogar Sonderausschüsse eingesetzt oder spezielle Tagungen abgehalten worden. Doch typische parteipolitische Gesetzmäßigkeiten behinderten den politischen Entscheidungsprozess zur Strafrechtserneuerung erheblich. So gestaltete sich etwa die für einen erfolgreichen Abschluss des Projekts notwendige interfraktionelle Konsensbildung aufgrund der sehr verschiedenen reformpolitischen Positionen der regierenden bürgerlichen Parteien und der oppositionellen Sozialdemokraten höchst schwierig.337 Als traditionsbewusste Parteien befürworteten CDU und CSU eine behutsame Reform, die an Bestehendes anknüpft; bezüglich mancher Delikte traten sie sogar als katholisch-konservative Interessenparteien auf. Die SPD hingegen plädierte für einen radikalen Neuanfang in Form eines liberalen, sozialwissenschaftlich fundierten Resozialisierungsstrafrechts, das sich auf ein Minimum an 335

Zur Durchsetzungsfähigkeit der einzelnen Bundesministerien s. auch BArch, B 141/ 17289, S. 14 – 47 (Ressortbesprechung im BMJ vom 27. bis 29. 3. 1962). 336 ADL, Bestand FDP-Bundesparteitag, A 1-252 (Rede von Emmy Diemer-Nicolaus zur Strafrechtsreform auf dem FDP-Bundesparteitag vom 1. bis 3. 6. 1964 in Duisburg, Blatt 58). 337 In dieser Richtung auch Holtz, Strafrechtsreformen, S. 207 und 212.

IV. Zwischenfazit zum Einfluss der Politik

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Strafe beschränken sollte. Weil sie für dieses alternative Konzept im damaligen Bundestag jedoch keine Mehrheit finden konnte, wollte sie die Reform so lange hinauszögern, bis sich die bundespolitische Konstellation zu ihren Gunsten geändert hat. Diese Tendenz, die Reform zu verschieben, trat angesichts starker parteiinterner Kontroversen, die vor allem die Sittlichkeitsdelikte betrafen, auch in der Union auf. Die zwei großen Volksparteien hatten also beide treffliche, wenn auch andersgeartete taktische Gründe, sich im Reformverlauf eher zögerlich-abwartend zu verhalten. Es mangelte ihnen daher an konkreter Entschlussfreude in Sachen E 1962. Mithin verblieb einzig die FDP, die einen stärkeren politischen Handlungswillen zeigte. Ihr fehlte es aber an einer konsequenten inhaltlichen Linie. Von einem zunächst noch recht konservativen wandelte sie sich mehr und mehr zu einem liberalen Akteur, der sich mit dem Wechsel in die Opposition im Jahr 1966 zunehmend vom E 1962 distanzierte.

F. Der Einfluss der Gesellschaft Weil die Schaffung einer neuen Strafrechtskodifikation „für die Gestaltung unseres Staatswesens schlechthin von grundlegender Bedeutung [ist]“1 und somit auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt, sollten sich nach dem Willen der Politik nicht nur die an dem Gesetzgebungsprozess zwangsläufig beteiligten Personen und Institutionen, sondern ebenso die Allgemeinheit, Juristen genau wie Nichtjuristen, mit den Reformarbeiten auseinandersetzen.2

I. Die Beteiligung von Fachkreisen an der Reformdiskussion In welchem Umfang die deutsche Nachkriegsgesellschaft der fünfziger und sechziger Jahre3 hierzu aber überhaupt bereit war und welche reformpolitischen Vorstellungen sie im Einzelnen hatte, davon vermittelt bereits das Engagement solcher gesellschaftlicher Gruppen einen ersten Eindruck, die aufgrund ihres Berufsstands in besonderer Weise mit dem Strafrecht in Berührung kamen.

1. Der Deutsche Richterbund Diese Fachkreise befassten sich auffällig frühzeitig mit den Modernisierungsbestrebungen, bot sich für viele von ihnen über ihre Vertreter in der amtlichen Expertenkommission doch schon in der Anfangsphase der Reformarbeiten die Gelegenheit, auf das zukünftige Recht einzuwirken. Seitens des Deutschen Richterbundes gab es sogar, obwohl dieser einer Totalreform grundsätzlich skeptisch gegenüber-

1 ADL, Bestand Erich Mende, A 31-117 (Schreiben des FDP-Landesverbands Hamburg an den FPD-Bundesvorsitzenden Erich Mende vom 16. 1. 1963). 2 S. Schäffer in der 224. Sitzung des Bundesrats am 28. 10. 1960, BR-Prot. 224. Sitzung, S. 492 (C); ähnlich Schäffer in der 120. Kabinettssitzung am 8. 9. 1960, abgedruckt bei Weber/ Behrendt/Seemann, Kabinettsprotokolle, Bd. 13, S. 311. 3 Zur Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 ausführlich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 5; Seegers/Reulecke (Hg.), Die „Generation der Kriegskinder“.

I. Die Beteiligung von Fachkreisen an der Reformdiskussion

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stand und eine behutsame Teilnovellierung des Strafgesetzbuchs generell vorzog,4 schon Anfang des Jahres 1954, also noch vor Beginn der Beratungen der Großen Kommission, erste Stellungnahmen zur Strafrechtserneuerung5. In diese ließ der Richterbund dabei auch die Stimmen aus seinen Landes- und Bezirksvereinen sowie einzelner Mitglieder einfließen,6 sodass sie insgesamt ein repräsentatives Meinungsbild zu den Rechtsauffassungen der Richterschaft ergaben. Im Hinblick auf die inhaltlichen Erwartungen an das zukünftige Strafrecht wird hierbei deutlich, dass sich die große Mehrheit der Richter eine rechtsbewahrende Reform wünschte. Das bisher im Strafgesetzbuch gebräuchliche System des Tatstrafrechts sollte nicht angetastet werden.7 Ebenso wollte man das herkömmliche kriminalpolitische Konzept der vergeltenden Vereinigungstheorie aus dem Reichsstrafgesetzbuch beibehalten.8 Einer stärkeren Betonung des Strafzwecks der Resozialisierung wurde damit zugleich eine klare Absage erteilt, die Erziehung des Täters zur Rechtstreue und seine Wiedereingliederung in die Gemeinschaft blieben für die Rechtsprechung auch in den fünfziger Jahren weiterhin lediglich Nebenzwecke des Strafens.9 Aus Sicht der Richterschaft konnte man deshalb in der Folge mit der an traditionellen Ideen anknüpfenden sanktionsrechtlichen Grundausrichtung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 durchaus zufrieden sein.

2. Die Rechtsanwaltschaft Während sich der Richterbund damit klar als konservativer Akteur positionierte, ergab sich in der Rechtsanwaltschaft hingegen ein differenziertes Bild. Seit Ende des Jahres 1953 hatte diese sich im Strafrechtsausschuss der Rechtsanwaltskammern zunehmend mit der Großen Strafrechtsreform befasst und dabei in der Sache durchaus verschiedene Positionen bekleidet.10 So sah man einerseits den Zweck des 4

ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3466 (Schreiben des Deutschen Richterbundes an den Bundesminister der Justiz vom 22. 2. 1954); zur Position der Richterschaft s. exemplarisch die Position des Bundesrichters Hülle, in: NJW 1953, S. 1778 (1178 f.). 5 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3466 (Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zu Kernfragen der Strafrechtsreform vom 22. 2. 1954). 6 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3466 (Schreiben des Deutschen Richterbundes an den Bundesminister der Justiz vom 22. 2. 1954). 7 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3466 (Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zu Kernfragen der Strafrechtsreform vom 22. 2. 1954). 8 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3466 (Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zu Kernfragen der Strafrechtsreform vom 22. 2. 1954). 9 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3466 (Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zu Kernfragen der Strafrechtsreform vom 22. 2. 1954). Zur ganz überwiegenden Auffassung zum Sinn und Zweck des Strafens in der deutschen Rechtsprechung während der fünfziger Jahre s. auch die Urteile BGHSt 1, 67 (70); BGHSt 3, 179 (179). 10 S. hierzu die Protokolle über die Tagungen des Strafrechtsausschusses der deutschen Rechtsanwaltskammern, Bd. 1 – 5, insbesondere ab Bd. 1, S. 139.

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F. Der Einfluss der Gesellschaft

Strafens ähnlich wie die Rechtsprechung vorrangig noch in der Vergeltung für begangenes Unrecht.11 Auch wollte man die seit langer Zeit übliche Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen der Freiheitsstrafe nicht zugunsten einer einheitlichen Freiheitsstrafe aufgeben.12 Als freiheitlich und fortschrittsorientiert ist es andererseits zu bewerten, dass sich der Strafrechtsausschuss der Rechtsanwaltskammern im Namen der deutschen Rechtsanwaltschaft beispielsweise für die Einführung eines sozialgerechten Tagesbußensystems bei der Geldstrafe nach dem Vorbild skandinavischer Länder13 und die Straflosigkeit der einfachen männlichen Homosexualität im zukünftigen Recht aussprach14.

3. Die Kriminalbeamten Einem unverkennbar rückwärtsgewandten Strafrechtsverständnis folgten wiederum die Beamten des Bundes- und der Landeskriminalämter. Dies sollte seinen Niederschlag zunächst in der Forderung nach strengen Strafen und Strafrahmen finden. In diesem Zusammenhang bemängelten die Vertreter der Strafverfolgungsbehörden vor allem, dass im amtlichen Gesetzentwurf die angedrohten Strafen im Allgemeinen niedriger ausfielen als im geltenden Recht.15 Seine Tendenz, in Anlehnung an die Praxis der Rechtsprechung die selten angewandten Strafmaßspitzen zu reduzieren, sei „aus Gründen der Generalprävention bedenklich […] und […] daher vom kriminalpolitischen Standpunkt aus nicht zu begrüßen“16. Gerade im Bereich der intellektuellen Delikte, etwa im Hinblick auf die wachsende Wirtschaftskriminalität, seien vielmehr härtere Strafdrohungen notwendig.17 Gleiches gelte auch für einige Tatbestände auf dem Gebiet der Sittlichkeitsdelikte, hier wollte man beispielsweise im § 210 (Unzucht mit Kindern) der Kodifikationsvorlage statt der vorgesehenen Gefängnis- die Zuchthausstrafe zur Regelstrafe machen, genau wie 11 Protokolle über die Tagungen des Strafrechtsausschusses der deutschen Rechtsanwaltskammern, Bd. 1, S. 153 f. (Protokoll über die Tagung vom 14. bis 15. 4. 1954 in Ansbach). 12 Protokolle über die Tagungen des Strafrechtsausschusses der deutschen Rechtsanwaltskammern, Bd. 2, S. 4 (Protokoll über die Tagung vom 17. bis 18. 7. 1954 in Düsseldorf). 13 Protokolle über die Tagungen des Strafrechtsausschusses der deutschen Rechtsanwaltskammern, Bd. 2, S. 5 f. (Protokoll über die Tagung vom 17. bis 18. 7. 1954 in Düsseldorf). 14 Protokolle über die Tagungen des Strafrechtsausschusses der deutschen Rechtsanwaltskammern, Bd. 2, S. 40 – 43 (Protokoll über die Tagung vom 15. bis 16. 7. 1954 in Wimpfen). 15 BArch, B 141/17286, S. 250 (Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt zum Entwurf eines Strafgesetzbuchs aus dem Jahr 1959). 16 BArch, B 141/17286, S. 250 (Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt zum Entwurf eines Strafgesetzbuchs aus dem Jahr 1959). 17 BArch, B 141/17286, S. 250 (Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt zum Entwurf eines Strafgesetzbuchs aus dem Jahr 1959).

I. Die Beteiligung von Fachkreisen an der Reformdiskussion

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bei einigen weiteren Straftatbeständen in diesem Abschnitt des Besonderen Teils.18 Das ohnehin bereits sehr strenge, nur wenig zeitgemäße Sittenstrafrecht des E 1962 sollte also hinsichtlich seiner Strafformen noch weiter verschärft werden. Hierüber hinaus zeigte sich der Konservatismus der führenden Kriminalbeamten des Bundes und der Länder in dem Ansinnen, möglichst alle Varianten sozialschädlichen Verhaltens strafrechtlich zu erfassen. Statt in erster Linie dem Gedanken des fragmentarischen Charakters des Strafrechts Raum zu geben, wurde zum Beispiel bei den Staatsschutzdelikten „die Ausweitung einiger Vorschriften, durch die Gesetzeslücken geschlossen werden, […] besonders begrüßt“19. Und bei einigen Straftaten gegen die Sittenordnung wollte man die Tatbestände in der Weise erweitern, dass erheblich mehr Tathandlungen unter sie fallen, etwa beim § 218 (Unzucht mit Tieren) oder § 226 (Eigennützige Kuppelei) des Entwurfs.20 Passend zu diesen strafrechtlichen Vorstellungen war es schließlich auch, dass das Bundes- und die Landeskriminalämter sich gegen die Straflosigkeit der einfachen männlichen Homosexualität im künftigen Recht aussprachen, ein solcher Schritt sollte ihnen zufolge „gründlich überlegt“21 sein.

4. Der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutlich liberalere Reformansätze, insbesondere die kriminalpolitische Grundausrichtung des zukünftigen Strafgesetzbuchs betreffend, entwickelte damals indes der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands. Auch wenn dieser in seiner Denkschrift zur Modernisierung des Strafrechts aus dem Jahr 1962 zunächst genauso wie der Richterbund das im Kodifikationsentwurf niederlegte Schuldprinzip guthieß, forderte er jedoch zugleich, dass „der Resozialisierungsgedanke im Gesetzbuch stärker herausgestellt werden [sollte]“22. Ein gerechtes Strafurteil dürfe nicht nur die Vergeltung des geschehenen Unrechts zum Ziel haben, sondern müsse auch im besonderen Maße spezialpräventive Aspekte berücksichtigen, so die Gewerkschaft 18

BArch, B 141/17286, S. 239 (Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt zum Entwurf eines Strafgesetzbuchs vom 8. 4. 1959). 19 BArch, B 141/17286, S. 245 (Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt zum Entwurf eines Strafgesetzbuchs vom 2. 4. 1959). 20 BArch, B 141/17286, S. 241 sowie 243 f. (Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt zum Entwurf eines Strafgesetzbuchs vom 8. 4. 1959). 21 BArch, B 141/17286, S. 241 (Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt zum Entwurf eines Strafgesetzbuchs vom 8. 4. 1959). 22 ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A 24-18 (Denkschrift des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands zur Reform des Strafrechts und des Strafvollzugs vom 18. 7. 1962).

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F. Der Einfluss der Gesellschaft

der Vollzugsbeamten.23 Die Hauptaufgabe des Strafvollzugs sei es daher, „auf die Gefangenen so einzuwirken, daß sie in der Haftzeit moralisch gefestigt werden und sozial tüchtiger die Anstalten verlassen“24. Aus diesem Strafrechtsverständnis heraus sprach sich die Fachgewerkschaft der Bediensteten des Justizvollzugs überdies gegen die in dem § 43 des Entwurfs von 1962 normierte Dreiteilung der Freiheitsstrafe in Zuchthaus, Gefängnis und Strafhaft aus, weil sie die gesellschaftliche Wiedereingliederung des Täters nur erschwere, und plädierte stattdessen für die Einführung einer Einheitsstrafe.25 Neben diesen sanktionsrechtlichen Anliegen machte die Vereinigung außerdem wiederholt geltend, dass ihrer Ansicht nach mit der Erneuerung des Strafrechts gleichzeitig eine Reform des Strafprozess- und Strafvollzugsrechts einhergehen müsse, da alle drei Materien in engstem Zusammenhang stünden.26 Durchsetzen konnte man sich mit diesen kritischen Anmerkungen zur Strafrechtserneuerung vorerst allerdings nicht; die Verantwortlichen der strafrechtlichen Abteilung des Bundesministeriums der Justiz versuchten die Gewerkschaft insofern auf später zu vertrösten27. Dennoch zeigt sich anhand dieser Vorstöße der Interessenvertretung der Beamten des Justizvollzugs, dass aus strafrechtlichen Fachkreisen nicht nur Zustimmung, sondern auch Kritik für den eingeschlagenen Weg einer mit radikalen Neuerungen vorsichtigen Reform des Strafrechts kam. Gerade in kriminalpolitischer Hinsicht hatte man auf größere Veränderungen im zukünftigen Recht gehofft.

5. Einzelpersonen Kritische Positionierungen zu den bisherigen Fassungsvorschlägen für das neue Gesetzbuch kamen nicht nur von verschiedenen Interessenvereinigungen des strafrechtlichen Lebens, sondern ebenso von juristisch gebildeten Privatpersonen, wenn auch in verhältnismäßig geringer Zahl. So griff zum Beispiel der Jurist, Schriftsteller 23 ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A 24-18 (Denkschrift des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands zur Reform des Strafrechts und des Strafvollzugs vom 18. 7. 1962). 24 ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A 24-18 (Denkschrift des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands zur Reform des Strafrechts und des Strafvollzugs vom 18. 7. 1962). 25 ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A 24-18 (Denkschrift des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands zur Reform des Strafrechts und des Strafvollzugs vom 18. 7. 1962). 26 ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A 24-18 (Denkschrift des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands zur Reform des Strafrechts und des Strafvollzugs vom 18. 7. 1962); BArch, B 141/17309, S. 140 f. (Schreiben des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands an den Präsidenten des Bundestages, die Mitglieder des Rechtsausschusses des Bundestages sowie die Fraktionen des Bundestages vom 31. 3. 1963). 27 BArch, B 141/17309, S. 142 (Schreiben des BMJ an den Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands vom 16. 7. 1963 unter Bezugnahme auf dessen Schreiben vom 31. 3. 1963).

II. Die Auseinandersetzung mit der Reform in der fachfremden Öffentlichkeit

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und Drehbuchautor Erich Ebermayer (1900 – 1970) in einem Brief an das Bundesministerium der Justiz vom 16. April 1962 das strenge Sittlichkeitsstrafrecht des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 an, in welchem sich seiner Auffassung zufolge „einige […] längst überfällige Paragraphen finden, sogar in der erweiterten Fassung aus der Nazi-Zeit“28. Überhaupt erschienen ihm viele „in dieser Gegend liegende Strafbestimmungen […] angesichts der nun einmal nicht zu leugnenden geschlechtlichen Frühreife der neuen Generation nicht mehr recht am Platze“29. Mit dieser Sichtweise stand Erich Ebermayer nicht allein. Neben ihm sorgte sich etwa auch der spätere Strafrechtsprofessor Dr. Herbert Jäger (geb. 1928) aus Hamburg angesichts des sehr klerikal ausgestalteten Sexual- und Abtreibungsstrafrechts um die gesellschaftliche Akzeptanz des neuen Strafgesetzes. In diesem Zusammenhang wollte er von den zuständigen Beamten der Strafrechtsabteilung des Bundesjustizministeriums daher beispielsweise wissen, aus welchen Gründen im Kodifikationsentwurf im Nachhinein von den fortschrittlichen Vorschlägen der Strafrechtskommission, den Schwangerschaftsabbruch aus ethischer Indikation sowie die Homosexualität straflos zu stellen, abgewichen worden war und ob noch weitere Änderungen in ähnlicher Richtung zu erwarten seien.30 Das Antwortschreiben des Justizministeriums hierauf blieb jedoch relativ oberflächlich, nähere Informationen zu den Hintergründen dieser Verschiebungen in der Gesetzesvorlage wollte die Ministerialverwaltung Herbert Jäger offenbar nicht geben.31

II. Die Auseinandersetzung mit der Reform in der fachfremden Öffentlichkeit Auch die nichtjuristische Öffentlichkeit verhielt sich damals, anders als es bisher in der strafrechtshistorischen Forschung allgemein behauptet wird,32 nicht völlig passiv, sondern beteiligte sich ebenfalls mit Stellungnahmen und Änderungswünschen in einem relativ beachtenswerten Umfang an den Bemühungen zur Schaffung eines neuen Strafgesetzbuchs.

28 BArch, B 141/17289, S. 105 (Vermerk des BMJ vom 26. 4. 1962 zum Brief Erich Ebermayers vom 16. 4. 1962 mit einer Teilabschrift dieses Briefes). 29 BArch, B 141/17289, S. 105 (Vermerk des BMJ vom 26. 4. 1962 zum Brief Erich Ebermayers vom 16. 4. 1962 mit einer Teilabschrift dieses Briefes). 30 BArch, B 141/17289, S. 122 (Schreiben Herbert Jägers an das BMJ vom 5. 5. 1962). 31 BArch, B 141/17289, S. 125 (Antwortschreiben des BMJ an Herbert Jäger vom 15. 5. 1962 unter Bezugnahme auf dessen Brief vom 5. 5. 1962). 32 S. etwa Holtz, Strafrechtsreformen, S. 214 – 216, welcher der fachfremden Öffentlichkeit höchstens eine ansatzweise Beschäftigung mit der Strafrechtsreform zugestehen will.

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F. Der Einfluss der Gesellschaft

1. Berufs-, Wirtschafts- und Sozialverbände So versuchten unter anderem verschiedene Berufs-, Wirtschafts- und Sozialverbände ihre individuellen Belange und hieraus resultierende Normierungsbegehren in die Reformarbeiten einfließen zu lassen. Verglichen mit anderen Akteuren setzte die Beteiligung dieser Vereinigungen allerdings erst relativ spät ein. Mit Ausnahme der Arbeiterwohlfahrt, welche sich bereits im Frühjahr 1959 mit einigen Fragen der Strafrechtsmodernisierung beschäftigt hatte,33 bezogen die meisten Interessenvertretungen erst ab dem Jahr 1962, also gegen Ende des Beratungsprozesses, zur Totalreform des Strafrechts Stellung.34 Anders als beispielsweise der Richterbund oder die Rechtsanwaltskammern befassten sich diese Verbände zudem weniger mit allgemeinen, sondern praktisch ausschließlich mit speziellen Fragen des künftigen Rechts, welche sie und ihre Klientel besonders berührten. Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft beispielsweise setzte sich eindringlich für die Berücksichtigung der spezifischen Interessen der deutschen Versicherungsunternehmen im Gesetzentwurf ein. Er bat insbesondere „dringend“35 darum, die beiden Strafvorschriften des § 253 Ziffer 5 (Betrug durch Vortäuschen eines Versicherungsfalls) sowie des § 256 (Versicherungsmißbrauch) im Entwurf von 1962 beizubehalten und nicht, wie von den Ländervertretern im Bundesrat erwogen, zu streichen.36 Geschickt begründete der Verband diesen Wunsch nach einem besonderen strafrechtlichen Schutz der Versicherungswirtschaft nicht nur mit dem Eigeninteresse der Versicherer, sondern auch mit der treuhänderischen Funktion der Versicherungen für die Allgemeinheit.37 Ein guter Schutz der Rechtsgüter der Versicherer diene nämlich ebenso „der Verhütung eines allgemeinen sozialen Schadens, der in der mißbräuchlichen Inanspruchnahme der Versicherung liegt“38. Eine Ar33 S. hierzu AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 222 (Schreiben des Hauptausschusses der Arbeiterwohlfahrt e. V. an Otto Fichtner vom 4. 3. 1959). 34 S. BArch, B 141/17309, S. 64 (Auszugsweise Abschrift der Stellungnahme des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft e. V. zum E 1962 vom 12. 9. 1962); BArch, B 141/ 17309, S. 76 (Auszug aus der Erklärung des Deutschen Kinderschutzbundes e. V. zum E 1962 aus dem September 1962); BArch, B 141/17309, S. 86 (Auszug aus der Äußerung des Rechtsausschusses des Zentralausschusses der Deutschen Binnenschifffahrt e. V. zu verkehrsstrafrechtlichen Fragen des Entwurfs vom 20. 12. 1962); BArch, B 141/17309, S. 95 (Stellungnahme der Vereinigung der Berufsverbände der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zum § 226 des E 1962 vom 4. 1. 1963). 35 BArch, B 141/17309, S. 66 (Auszugsweise Abschrift der Stellungnahme des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft e. V. zum E 1962 vom 12. 9. 1962). 36 BArch, B 141/17309, S. 64 – 66 (Auszugsweise Abschrift der Stellungnahme des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft e. V. zum E 1962 vom 12. 9. 1962). 37 BArch, B 141/17309, S. 64 f. (Auszugsweise Abschrift der Stellungnahme des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft e. V. zum E 1962 vom 12. 9. 1962). 38 BArch, B 141/17309, S. 64 (Auszugsweise Abschrift der Stellungnahme des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft e. V. zum E 1962 vom 12. 9. 1962).

II. Die Auseinandersetzung mit der Reform in der fachfremden Öffentlichkeit

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gumentation, die ihren Zweck offenbar nicht verfehlte, denn die beiden relevanten Strafnormen des § 253 Ziffer 5 und des § 256 verblieben in der Kodifikationsvorlage, genau wie von der Versicherungswirtschaft gewünscht. Als weniger durchsetzungsfähig erwies sich dagegen der Deutsche Kinderschutzbund, dem der § 154 (Mißhandlung Wehrloser oder Abhängiger) sowie der § 155 (Überanstrengung von Kindern, Jugendlichen oder Schwangeren) aus dem ersten Abschnitt des Besonderen Teils des Entwurfs von 1962 ein besonderes Anliegen waren. Um im künftigen Strafrecht einen wirksamen Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen zu erzielen, forderte er eine deutliche Verschärfung dieser zwei Strafnormen.39 Die Mindeststrafe wollte man in beiden Vorschriften von drei auf neun Monate Gefängnis angehoben wissen und ferner jedem Tatbestand einen weiteren Absatz hinzufügen, der denjenigen bestraft, welcher es unterlässt, solche Taten zu verhindern oder zur Anzeige zu bringen, obgleich er von ihnen Kenntnis hat.40 Damit die besondere Schutzbedürftigkeit der Kinder zudem auch sprachlich deutlich werde, schlug der Kinderschutzbund ferner vor, die Überschrift des § 154 von „Mißhandlung Wehrloser und Abhängiger“ in „Kindesmißhandlung“ abzuändern.41 Eine Berücksichtigung im Gesetzentwurf sollten diese Ergänzungsbegehren des Deutschen Kinderschutzbundes jedoch nicht erfahren. Keine Verschärfung, sondern eine Einschränkung von Strafnormen zugunsten einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe stellte sich indes der Zentralausschuss der Deutschen Binnenschifffahrt vor, welcher sich mit einigen verkehrsstrafrechtlichen Problemen des Kodifikationsentwurfs auseinandergesetzt hatte. Das Hauptaugenmerk des Vereins lag dabei auf dem Tatbestand des § 347 (Verkehrsflucht) des E 1962. Die Binnenschiffer, so seine Auffassung, müssten von dieser Strafvorschrift ausdrücklich ausgenommen werden.42 Im Schiffsverkehr blieben kleinere Kollisionen häufig unbemerkt; das Fehlen des subjektiven Tatbestands der Verkehrsflucht sei für die Schiffer im Strafprozess aber nur schwer zu beweisen.43 Um diesen Umständen Rechnung zu tragen, sei eine Sonderbehandlung dieser Berufsgruppe im Rahmen des § 347 zwingend geboten.44 Letztendlich vermochte dieser Wunsch nach 39 BArch, B 141/17309, S. 76 (Auszug aus der Erklärung des Deutschen Kinderschutzbundes e. V. zum E 1962 aus dem September 1962). 40 BArch, B 141/17309, S. 76 (Auszug aus der Erklärung des Deutschen Kinderschutzbundes e. V. zum E 1962 aus dem September 1962). 41 BArch, B 141/17309, S. 76 (Auszug aus der Erklärung des Deutschen Kinderschutzbundes e. V. zum E 1962 aus dem September 1962). 42 BArch, B 141/17309, S. 86 (Auszug aus der Äußerung des Rechtsausschusses des Zentralausschusses der Deutschen Binnenschifffahrt e. V. zu verkehrsstrafrechtlichen Fragen des Entwurfs vom 20. 12. 1962). 43 BArch, B 141/17309, S. 86 (Auszug aus der Äußerung des Rechtsausschusses des Zentralausschusses der Deutschen Binnenschifffahrt e. V. zu verkehrsstrafrechtlichen Fragen des Entwurfs vom 20. 12. 1962). 44 BArch, B 141/17309, S. 86 (Auszug aus der Äußerung des Rechtsausschusses des Zentralausschusses der Deutschen Binnenschifffahrt e. V. zu verkehrsstrafrechtlichen Fragen des Entwurfs vom 20. 12. 1962).

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F. Der Einfluss der Gesellschaft

einer strafrechtlichen Privilegierung der Schifffahrt in der weiteren Reformdiskussion jedoch kein Gehör mehr finden. Während beim Zentralausschuss der Binnenschifffahrt die Verkehrsdelikte im Mittelpunkt standen, richtete sich der Blick der Vereinigung der Berufsverbände der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter unterdessen auf den § 226 (Eigennützige Kuppelei) des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962. Geprägt war ihre Stellungnahme zu dieser Norm und die hiermit verknüpften rechtlichen Forderungen von ausgesprochen konservativen Strafrechts- und Moralvorstellungen. Sie wollte die ohnehin fragwürdige Vorschrift des § 226 noch weiter ausdehnen.45 Deren bisherige Fassung sei vor allem insofern kritikwürdig, als dass im vierten Absatz „der straffreien Kuppelei ein so weites Feld eingeräumt [wird], daß es unverantwortlich erscheint, 18jährige diesem Zustand auszusetzen“46. Die bisherige Altersgrenze des § 226 Abs. 4 sollte deshalb von 18 auf 21 Jahre erhöht werden.47 Entgegen dem allgemeinen gesellschaftlichen Trend einer zunehmend liberalen Sexualmoral wünschte sich die Vereinigung der Berufsverbände der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter damit für die Zukunft sogar ein noch strengeres Kuppeleistrafrecht als im seinerzeit geltenden Strafgesetzbuch der frühen Bonner Republik.

2. Die Kirchen Als einflussreiche gesellschaftliche Institutionen mit guten politischen Beziehungen begleiteten neben den verschiedenen Berufs-, Wirtschafts- und Sozialverbänden auch die zwei großen christlichen Religionsgemeinschaften der Bundesrepublik, die katholische und die evangelische Kirche, die Bestrebungen zur Modernisierung des Strafrechts.48

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BArch, B 141/17309, S. 95 (Stellungnahme der Vereinigung der Berufsverbände der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zum § 226 des E 1962 vom 4. 1. 1963). 46 BArch, B 141/17309, S. 95 (Stellungnahme der Vereinigung der Berufsverbände der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zum § 226 des E 1962 vom 4. 1. 1963). 47 BArch, B 141/17309, S. 95 (Stellungnahme der Vereinigung der Berufsverbände der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zum § 226 des E 1962 vom 4. 1. 1963). 48 Generell zur Wechselbezüglichkeit von Religion und Strafecht ausführlich Müller, Religion und Strafrecht; Wiesnet, Die verratene Versöhnung; Peters, in: Heinitz/Würtenberger/ Peters (Hg.), Gedanken zur Strafrechtsreform, S. 39 (39 – 56). Bei der nachfolgenden Analyse zur Haltung der christlichen Kirchen erfolgte hinsichtlich der zu untersuchenden Quellen eine Konzentration auf Akten aus dem Bundesarchiv und den Parteiarchiven.

II. Die Auseinandersetzung mit der Reform in der fachfremden Öffentlichkeit

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a) Die katholische Kirche „Überzeugt von [… der] Mitverantwortung für eine klare Rechtsordnung im staatlichen Raum“49 befasste man sich von katholischer Seite aus bereits seit Mitte der fünfziger Jahre in mehreren kirchlichen Gremien mit der Erneuerung des deutschen Strafgesetzbuchs; es wurde sogar genau wie in den politischen Parteien ein gesonderter Arbeitskreis für Fragen der Strafrechtsreform gegründet.50 Ausgehend von den Beratungen und Beschlussfassungen dieser Ausschüsse versuchte die katholische Kirche ihre auf religiös-moralischen Überzeugungen basierenden rechtlichen Vorstellungen in den Reformprozess einfließen zu lassen. Im Mittelpunkt des Interesses standen hierbei vor allem Normen aus dem Bereich des Sittenstrafrechts.51 So erwartete man beispielsweise, dass gemäß der katholischen Theologie der Schwangerschaftsabbruch im künftigen Recht auch dann strafbar bleiben würde, wenn die Schwangerschaft auf einem Sittlichkeitsverbrechen beruhte.52 Denn nach christlicher Überzeugung sei das Recht des Ungeboren auf Leben „das höchste Menschenrecht, dem sich das Recht auf Freiheit unterordnen muß“53. Die von der Großen Strafrechtskommission vorgeschlagene Regelung des § 160 (Unterbrechung einer aufgezwungenen Schwangerschaft) des Entwurfs von 1962, welche die Abtreibung in derartigen Fällen zuließ, sei daher auf das Schärfste zu kritisieren und dürfe sich in der Endfassung des Gesetzes nicht wiederfinden.54 Die Streichung dieses Paragraphen durch das Kabinett Adenauer55 entsprach demnach vollumfänglich dem Begehren der katholischen Kirche, deren klare Positionierung für die Kabinettsentscheidung zumindest mitursächlich gewesen war56. Neben der Entfernung des § 160 aus dem Entwurf kam des Weiteren auch die Beibehaltung der Strafbarkeit der Homosexualität im § 216 (Unzucht zwischen Männern) des E 1962 den katholischen Rechts- und Moralvorstellungen entgegen, denen zufolge das 49 BArch, B 141/17309, S. 132 (Auszug aus den Beschlüssen der Arbeitsgemeinschaft der katholischen deutschen Frauen zur Strafrechtsreform vom 30. 1. 1963). 50 Zu den Arbeitsergebnissen dieser verschiedenen Gremien s. etwa BArch, B 141/17309, S. 132 – 139 (Auszug aus den Beschlüssen der Arbeitsgemeinschaft der katholischen deutschen Frauen zur Strafrechtsreform vom 30. 1. 1963); BArch, B 141/82158, S. 111a–111q (Arbeitsergebnisse der Beratungen des Katholischen Arbeitskreises für Fragen der Strafrechtsreform: Gutachten zum Thema §§ 175 und 175a a. F. StGB). 51 Allgemein zum Verhältnis zwischen der katholischen Moraltheologie und dem Strafrecht aus Sicht eines Theologen Böckle, in: Giese (Hg.), Zur Strafrechtsreform, S. 5 (5 – 24). 52 BArch, B 141/17309, S. 133 (Auszug aus den Beschlüssen der Arbeitsgemeinschaft der katholischen deutschen Frauen zur Strafrechtsreform vom 30. 1. 1963). 53 BArch, B 141/17309, S. 133 (Auszug aus den Beschlüssen der Arbeitsgemeinschaft der katholischen deutschen Frauen zur Strafrechtsreform vom 30. 1. 1963). 54 BArch, B 141/17309, S. 133 (Auszug aus den Beschlüssen der Arbeitsgemeinschaft der katholischen deutschen Frauen zur Strafrechtsreform vom 30. 1. 1963). 55 BArch, B 141/17281, S. 137 (Übersicht der Abt. II des BMJ zu den Vorschriften des Besonderen Teils vom 2. 1. 1962). 56 S. die detaillierte Dokumentation zum kirchlichen Einfluss auf diese Kabinettsentscheidung bei Anselm, Jüngstes Gericht und irdische Gerechtigkeit, S. 140 f.

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F. Der Einfluss der Gesellschaft

homosexuelle Verhalten auch Mitte des 20. Jahrhunderts seinen strafwürdigen Charakter noch nicht verloren hatte.57 Gerade mit Blick auf sozialethische Aspekte und das traditionelle Sittengesetz müsse der Geschlechtsverkehr unter Männern weiterhin strafrechtlich sanktioniert werden, so der Katholische Arbeitskreis für Fragen der Strafrechtsreform.58 Deshalb konnte es ihm nur recht sein, dass die Bundesministerien entgegen des Ratschlags der Mehrheit der amtlichen Expertenkommission einen entsprechenden Tatbestand in die Gesetzesvorlage aufnahmen. Nachweise katholischen Rechtsdenkens sind im Besonderen Teil des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 jedoch nicht nur bei verschiedenen Sittlichkeits-, sondern ebenso bei den Religionsdelikten zu finden. Hier wurden mehrere Tatbestände, insbesondere der § 187 (Gotteslästerung), im Vergleich zu den bisherigen Vorschriften im alten Strafgesetzbuch erheblich weiter gefasst, wie man es von Seiten der katholischen Kirche aus insbesondere gegenüber den ihr zugetanen Unionsparteien CDU und CSU mit Nachdruck gefordert hatte.59 Im Prozess der Reformbemühungen agierte die katholische Kirche somit als ausgesprochen rückwärtsgewandter Akteur. Vor allem auf dem Gebiet der Straftaten gegen die Sittlichkeit versuchte sie durch ihre institutionelle Einflussnahme sowie ihre guten Verbindungen zu CDU und CSU auf strenge, an ihrer Moraltheologie ausgerichtete Regelungen hinzuwirken. Da sie hiermit durchaus Erfolg hatte und viele der katholischen Normierungsvorstellungen Eingang in die Gesetzesvorlage fanden, zeigten sich bereits während der Reformdebatte freiheitsorientierte Stimmen „beunruhigt über den Einfluß konfessioneller Gruppen auf die Strafrechtsreform“60. Mit Recht, denn ohne die Intervention der katholischen Kirche hätte man im E 1962 möglicherweise zu einem liberaleren Sittenstrafrecht finden können.

57 BArch, B 141/82158, S. 111 f (Arbeitsergebnisse der Beratungen des Katholischen Arbeitskreises für Fragen der Strafrechtsreform: Gutachten zum Thema §§ 175 und 175a a. F. StGB). 58 BArch, B 141/82158, S. 111 f (Arbeitsergebnisse der Beratungen des Katholischen Arbeitskreises für Fragen der Strafrechtsreform: Gutachten zum Thema §§ 175 und 175a a. F. StGB). 59 S. die Forderungen der katholischen Kirche auf der Eichholzer Tagung der CDU/CSU zur Strafrechtsreform in ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1 (Niederschrift über die Eichholzer Tagung vom 24. bis 26. 9. 1962, S. 3 – 6); näher zum katholischen Standpunkt zur Strafbarkeit der Gotteslästerung aus zeitgenössischer Sicht Simon, Katholisierung des Rechtes?, S. 47 – 49. 60 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-1865 (Schreiben des FDP-Mitglieds Hans Steege an Thomas Dehler vom 11. 10. 1962).

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b) Die evangelische Kirche Ebenso wie die katholische Kirche fühlten sich auch die evangelischen Landeskirchen „verpflichtet, […] ihren Beitrag zu der Beantwortung einiger der schwierigsten Einzelfragen des künftigen Strafrechts zu leisten“61. Neben dem strafrechtlichen Schutz der Religionsgemeinschaften62 interessierte sich auch die zweite große christliche Glaubensgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland in diesem Zusammenhang hauptsächlich für die gesetzlichen Regelungen auf dem Gebiet der Straftaten gegen die Sittenordnung. Im Vergleich zur katholischen zeigte sich die evangelische Kirche diesbezüglich jedoch allgemein gemäßigter und damit offener für liberale Lösungen in einem neuen Strafgesetzbuch. So sprach man sich seitens der Hamburgischen Landeskirche und der Evangelischen Kirche im Rheinland zum Beispiel gegen die Strafbarkeit des Ehebruchs aus und plädierte dementsprechend dafür, die Vorschrift des § 193 (Ehebruch) aus dem Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 zu streichen.63 Zum einen sei dieser Tatbestand kriminalpolitisch überflüssig, zum anderen könne auch aus dem religiösen, alttestamentarischen Verbot des Ehebruchs kein Pönalisierungsgebot abgeleitet werden,64 sodass „aus theologischer Sicht […] kein Grund [besteht], sich für die Bekämpfung des Ehebruchs mit dem groben und unzulänglichen Mittel staatlichen Strafens einzusetzen“65. Vielmehr bliebe der Ehebruch ausschließlich eine sittliche Verfehlung, über die zu urteilen die Aufgabe Gottes und nicht die des Strafrichters sei.66 Deshalb wollte man dem Problem des Ehebruchs von evangelischer Seite aus statt mit dem Strafrecht lieber mit einer seelsorgerlichen Beratung der betroffenen Eheleute begegnen.67 Für ein tolerantes Sittenstrafrecht warb die evangelische Kirche aber nicht nur beim § 193 (Ehebruch), sondern ebenfalls bezüglich des § 220 (Unzüchtige Schriften und Sachen) des Entwurfs von 1962. Ob eine solche Norm, die sich unter anderem insbesondere gegen reizsteigernde Präservative richtete, Mitte 61 BArch, B 141/17284, S. 19 (Schreiben der Evangelischen Akademie der Hamburgischen Landeskirche an das BMJ zu Einzelfragen der Neugestaltung des Strafrechts vom 21. 7. 1960). 62 S. hierzu BArch, B 141/17309, S. 83 (Stellungnahme der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen zum Schutz der Religionsgemeinschaften vom 8. 11. 1962). 63 BArch, B 141/17284, S. 20 – 22 (Schreiben der Evangelischen Akademie der Hamburgischen Landeskirche an das BMJ zu Einzelfragen der Neugestaltung des Strafrechts vom 21. 7. 1960); genauso ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Stellungnahme der Evangelischen Kirche im Rheinland zum Ehebruch in der Strafrechtsreform ohne Datum, S. 6). 64 BArch, B 141/17284, S. 20 – 22 (Schreiben der Evangelischen Akademie der Hamburgischen Landeskirche an das BMJ zu Einzelfragen der Neugestaltung des Strafrechts vom 21. 7. 1960). 65 BArch, B 141/17284, S. 21 (Schreiben der Evangelischen Akademie der Hamburgischen Landeskirche an das BMJ zu Einzelfragen der Neugestaltung des Strafrechts vom 21. 7. 1960). 66 BArch, B 141/17284, S. 21 (Schreiben der Evangelischen Akademie der Hamburgischen Landeskirche an das BMJ zu Einzelfragen der Neugestaltung des Strafrechts vom 21. 7. 1960). 67 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Stellungnahme der Evangelischen Kirche im Rheinland zum Ehebruch in der Strafrechtsreform ohne Datum, S. 6).

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des 20. Jahrhunderts überhaupt noch in ein Strafgesetzbuch gehöre, war aus ihrer Sicht äußerst fragwürdig.68 Die Begründung des Gesetzentwurfs, dass „solche Mittel […] die sittliche Haltung des Volkes aufs schwerste [bedrohen]“69, vermochte in Kreisen der evangelischen Kirche jedenfalls nicht zu überzeugen, vielmehr hielt man diese Argumentation für sprachlich missglückt und sachlich unzutreffend.70 Die Gestaltung des Sexuallebens sei grundsätzlich ausschließlich eine Aufgabe der Menschen selbst, der Gesetzgeber dürfe sich hier nicht zu stark einmischen.71 Vor diesem Hintergrund sah man überdies auch den § 221 (Mittel zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten oder der Empfängnis) in der Fassung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 überwiegend kritisch. Zwar sei es prinzipiell richtig, die Werbung und Verbreitung von empfängnisverhütenden Mitteln in gewissem Umfang gesetzlich zu regulieren, entsprechende Vorschriften gehörten aber allenfalls in das Gesundheits- oder Wettbewerbsrecht und nicht in das Strafrecht.72 In einigen zentralen Punkten des Sexual- und Sittenstrafrechts wäre die evangelische Kirche also durchaus dazu bereit gewesen, ein liberales Strafgesetz mitzutragen. Im Vergleich zur katholischen Seite konnte sie gewisse Differenzen zwischen kirchlichen Moralkategorien und positivem Recht eher akzeptieren. Deshalb war es für sie nicht notwendig, dass alle Handlungsgrundsätze, welche die religiöse Ethik vorschrieb, auch in Paragraphen kodifiziert wurden. Ihre Grenzen fand diese tolerante Haltung jedoch im Abtreibungsrecht und bei der Frage nach der Strafbarkeit der Homosexualität. Letztere betreffend befürworte trotz ausgesprochen kontroverser interner Debatten die Mehrheit der protestantischen Theologen, dass sexuelle Handlungen zwischen Männern im zukünftigen Recht weiterhin unter Strafe gestellt werden sollten, zumindest in besonders schweren Fällen, wie etwa bei der Vornahme solcher Handlungen in der Öffentlichkeit oder wenn die Befriedigung des Geschlechtstriebs unter Ausnutzung eines Arbeitsverhältnisses erfolgte, weil die Homosexualität in diesen Konstellationen zur Sünde werde.73 Ebenso gelang es nach 68 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Stellungnahme der Evangelischen Kirche im Rheinland zu den strafrechtlichen Vorschriften über empfängnisverhütende Mittel ohne Datum, S. 3). 69 Begr. zum E 1962, BT-Drucks. IV/650, S. 384. 70 S. die Kritik in ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Stellungnahme der Evangelischen Kirche im Rheinland zu den strafrechtlichen Vorschriften über empfängnisverhütende Mittel ohne Datum, S. 3). 71 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Stellungnahme der Evangelischen Kirche im Rheinland zu den strafrechtlichen Vorschriften über empfängnisverhütende Mittel ohne Datum, S. 3). 72 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Stellungnahme der Evangelischen Kirche im Rheinland zu den strafrechtlichen Vorschriften über empfängnisverhütende Mittel ohne Datum, S. 2). 73 BArch, B 141/17284, S. 19 f. (Schreiben der Evangelischen Akademie der Hamburgischen Landeskirche an das BMJ zu Einzelfragen der Neugestaltung des Strafrechts vom 21. 7. 1960); zur Diskussion um die Strafbarkeit der Homosexualität in der evangelischen Kirche s. auch Anselm, Jüngstes Gericht und irdische Gerechtigkeit, S. 202 – 204 sowie die Darstellung der Evangelischen Kirche im Rheinland (Hg.), in: Kirche und Sexualstrafrecht, S. 65 – 87.

II. Die Auseinandersetzung mit der Reform in der fachfremden Öffentlichkeit

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schweren Differenzen innerhalb der evangelischen Glaubensgemeinschaft der Bundesrepublik nicht, sich im Abtreibungsrecht gemeinsam auf einen modernen, freiheitsorientierten Kurs zu verständigen und sich hier gemäß des Vorschlags der Großen Strafrechtskommission für die Zulässigkeit der Notzuchtindikation auszusprechen.74 Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland nahm diesbezüglich genau wie viele Katholiken stattdessen noch die von religiösem Denken geprägte Haltung ein, dass aufgrund des biblischen Gebots der Unantastbarkeit menschlichen Lebens „der Frau ein freies Verfügungsrecht über das Leben des Kindes, das sie trägt, unter keinen Umständen eingeräumt werden [kann]“75. Eine vollumfängliche, zeitgemäße Liberalisierung des Abtreibungs- und Sexualstrafrechts in der neuen Kodifikation wollte man somit auch seitens der evangelischen Landeskirchen nicht zulassen.

3. Die Tagespresse Anders als die beiden aktiv agierenden christlichen Kirchen trat die deutsche Tagespresse im Prozess der Strafrechtserneuerung hingegen überwiegend zurückhaltend beziehungsweise unpolitisch auf.76 Trotz relativ guter Informationsmöglichkeiten für interessierte Bonner Reporter durch vom Pressereferat des Bundesministeriums der Justiz angebotene Pressegespräche77 übte die Schaffung einer neuen Strafrechtskodifikation als ein insgesamt stark juristisch-theoretisch geprägtes innenpolitisches Thema auf journalistische Kreise offenbar keinen besonderen Reiz aus.78 Die bundesweite Tagespresse bot der Totalreform des deutschen Strafrechts und Anmerkungen zu ihr zwar schon ein gewisses Forum, den Eifer, durch eine kritisch-wertende Berichterstattung den öffentlichen Diskurs zur Reform zu beleben und die Arbeiten zur Modernisierung des

74 ACDP, Nachlass Elisabeth Schwarzhaupt, 01-048-015/2 (Stellungnahme der Familienrechtskommission der Evangelischen Kirche Deutschland zur Notzuchtsindikation vom 2. 11. 1963); zu den unterschiedlichen Positionen in der evangelischen Kirche zur strafrechtlichen Behandlung des Schwangerschaftsabbruchs infolge eines Sittlichkeitsdelikts ausführlich Anselm, Jüngstes Gericht und irdische Gerechtigkeit, S. 211 – 225. 75 ACDP, Nachlass Elisabeth Schwarzhaupt, 01-048-015/2 (Stellungnahme der Familienrechtskommission der Evangelischen Kirche Deutschland zur Notzuchtsindikation vom 2. 11. 1963). 76 Die nachfolgende Analyse zur Haltung der Tagespresse zur Strafrechtsreform beruht hauptsächlich auf einer repräsentativen Auswahl von Zeitungsartikeln, die in ADCP, Pressearchiv, Alt 0/068/16, Strafrechtsreform zusammengestellt worden sind. 77 S. hierzu BArch, B 141/83264, ohne Seitenzählung (Pressereferat des BMJ: Abschrift eines Schreibens an Ministerialdirigent Dallinger zum Pressegespräch am 27. 3. 1963 vom 21. 3. 1963). 78 Zu einer ähnlichen Feststellung, jedoch ohne nähere Belege, kommt Holtz, Strafrechtsreformen, S. 215.

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F. Der Einfluss der Gesellschaft

Strafgesetzbuchs in eine bestimmte Richtung zu lenken, entwickelte man in den Zeitungsredaktionen jedoch kaum. Viele Artikel, die zur Strafrechtsreform verfasst wurden, waren in erster Linie deskriptiver Natur und beschrieben entweder nur den äußeren Ablauf des Gesetzesvorhabens oder beschränkten sich darauf, den Lesern in einem knappen Portrait einzelne inhaltliche Regelungen des Kodifikationsentwurfs in einer relativ neutralen Darstellungsform überblicksartig vorzustellen.79 Stärker wertende Abhandlungen zur Strafrechtserneuerung veröffentlichte die überregionale Tagespresse Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre dagegen vergleichsweise selten. Entsprechend dem generell eher zurückhaltenden Ton der frühen westdeutschen Medienwelt,80 erfolgte auch in Sachen Strafrechtsreform größtenteils nur punktuelle Kritik. Wenn aber ein solcher Beitrag publiziert wurde, dann betraf dieser meist gleich die Grundfragen des Gesetzesvorschlags der Bundesregierung, nicht selten dabei auch in etwas polemischer Form. Die als bürgerlich-konservativ bekannte Frankfurter Allgemeine Zeitung zum Beispiel stellte in ihrer Ausgabe vom 5. Dezember 1963 unter dem Titel „Reformbedürftige Strafrechtsreform“ in einem Bericht ausführlich die ablehnende Haltung des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer (1903 – 1968) zur sanktionsrechtlichen Konzeption des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 dar.81 Und die als sozialliberal geltende Frankfurter Rundschau veröffentlichte unter der Rubrik „Die Gefährdung des Rechtsstaates“ einen offenen Brief des Strafrechtsprofessors und scharfen Kritikers der bisherigen Ergebnisse der Reformbemühungen Jürgen Baumann (1922 – 2003) an den damals amtierenden Bundesjustizminister Ewald Bucher (1914 – 1991), in welchem jener hauptsächlich das Strafensystem des Kodifikationsentwurfs anprangerte.82 Neben solchen generellen kriminalpolitischen Aspekten war darüber hinaus das Abtreibungs- und Sittenstrafrecht des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 öfters Gegenstand von Kritik in der Presse. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung etwa bemängelte in einem Beitrag vom 27. Oktober 1962 die Streichung des fortschrittlichen § 160 (Ethische Indikation) aus dem Gesetzentwurf.83 Und die linksliberale Wochenzeitung „Die Zeit“ kritisierte in einem mit den Worten „Pedantisch, verstaubt und etwas verlogen“ überschriebenen Artikel den § 193 (Ehebruch) des Kodifikationsvorschlags als nicht mehr

79 S. die Artikel verschiedener Tageszeitungen in ACDP, Pressearchiv, Alt 0/068/16, Strafrechtsreform (etwa Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. 4. 1960; Bonner Rundschau vom 13. 1. 1962; Deutsche Zeitung vom 15. 6. 1962 sowie die dpa-Mitteilung vom 20. 3. 1963). 80 Hierzu Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 5, S. 270. 81 ACDP, Pressearchiv, Alt 0/068/16, Strafrechtsreform (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. 12. 1963, Artikel „Reformbedürftige Strafrechtsreform“); vergleichbar auch der reformkritische Beitrag von Woesner, in: Der Spiegel Nr. 16/1967, S. 52 (52 – 60). 82 ACDP, Pressearchiv, Alt 0/068/16, Strafrechtsreform (Frankfurter Rundschau vom 28. 2. 1963, Artikel „So schlecht ist unser Strafrecht gar nicht“). 83 S. hierzu ACDP, Pressearchiv, Alt 0/068/16, Strafrechtsreform (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. 10. 1962).

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zeitgemäß.84 Ihrer Meinung nach handelte es sich hierbei um einen inhaltlich überkommenden Tatbestand, der folglich in einem neuen Strafgesetzbuch überflüssig sei.85 Wenn die Presse also die Strafrechtsreform zum Diskussionsgegenstand machte, konzentrierte sie sich meist auf die emotional aufgeladenen und damit journalistisch gut aufzubereitenden Fragen der Strafzwecke und der Sittlichkeitsdelikte. Für den juristischen Alltag wesentlich bedeutsamere Vorschriften des Gesetzentwurfs, etwa aus dem Allgemeinen Teil oder aus dem Bereich der Straftaten gegen das Vermögen, fanden dagegen keine Beachtung. Und nach der ersten Beratung des E 1962 im Deutschen Bundestag am 28. März 1963 sollte das mediale Interesse an der Reform schließlich nahezu vollständig abflachen.86

4. Weitere Stimmen aus der Bevölkerung Mangels größerer Medienpräsenz gab es seit Anfang des Jahres 1963 folglich auch aus der allgemeinen Bevölkerung nur noch in einem recht begrenzten Umfang weitere Stimmen zur Strafrechtserneuerung. Abseits der teils noch in diesen Zeitraum fallenden Stellungnahmen der oben erwähnten Berufs-, Wirtschafts-, und Sozialverbände87 sowie der evangelischen und katholischen Kirche88 finden sich bei der Durchsicht von Archivalien zur Strafrechtsmodernisierung Anregungen der fachfremden Öffentlichkeit aus der Spätzeit der Reformarbeiten lediglich in geringer Zahl. Hierunter fällt zum Beispiel ein Antrag an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages aus der homosexuellen Szene, in welchem sich die Antragessteller gegen die Beibehaltung der Strafbarkeit der Homosexualität in § 216 (Unzucht zwischen Männern) des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 wandten.89 Das Festhalten einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft an einer solchen Strafnorm erschien ihnen in einem hohen Maße

84 S. http://www.zeit.de/1962/40/pedantisch-verstaubt-und-etwas-verlogen, Abruf vom 20. 6. 2014. 85 S. http://www.zeit.de/1962/40/pedantisch-verstaubt-und-etwas-verlogen, Abruf vom 20. 6. 2014. 86 Im Pressearchiv des ACDP etwa findet sich aus der Zeit nach dem 28. 3. 1963 lediglich ein weiterer Artikel zur Strafrechtsreform. Hierbei handelt es sich um ACDP, Pressearchiv, Alt 0/ 068/16, Strafrechtsreform (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. 12. 1963, Artikel „Reformbedürftige Strafrechtsreform“). Zu diesem Punkt auch bereits Holtz, Strafrechtsreformen, S. 215 f. 87 S. hierzu die Ausführungen unter F. II. 1. 88 S. hierzu die Ausführungen unter F. II. 2. 89 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Antrag an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages aus dem Mai 1963).

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F. Der Einfluss der Gesellschaft

„befremdlich und bedenklich“90. Sofern hierüber hinaus noch weitere Stellungnahmen von Einzelpersonen in den einschlägigen Akten dokumentiert sind, befassten sich diese ebenfalls meist ausschließlich mit Tatbeständen auf dem Gebiet der weltanschaulich geprägten Sittlichkeitsdelikte.91 Andere Normen des Gesetzentwurfs wurden dagegen praktisch gar nicht mehr diskutiert, obgleich sie im strafrechtlichen Leben eigentlich eine große Rolle spielen, wie etwa die Körperverletzungs- oder Straßenverkehrsdelikte.

III. Zwischenfazit zum Einfluss der Gesellschaft Summa summarum bleibt damit festzuhalten, dass die deutsche Nachkriegsgesellschaft bei der Reform des Strafgesetzbuchs nicht so passiv war wie gemeinhin angenommen. Zwar stellte dessen Erneuerung vielleicht keine allgegenwärtige, besonders populäre Diskussionsmaterie dar. Schwierige dogmatische Fragen des Allgemeinen und komplexere Tatbestände des Besonderen Teils wurden gerade seitens der Nichtjuristen meist ausgeblendet, diesbezüglich blieb die Reform vorwiegend ein Thema für Experten. Besonders die sanktionsrechtliche Grundausrichtung sowie diverse Tatbestände des Sittenstrafrechts betreffend waren Vereine, Interessenverbände und andere gesellschaftliche Organisationen aus sowohl juristischen als auch fachfremden Disziplinen aber durchaus bereit, sich intensiver mit dem Reformprojekt auseinanderzusetzen. Hierbei brachten sie sich mit Denkanstößen und Stellungnahmen in den Modernisierungsprozess ein; teilweise wurden von ihnen sogar alternative Normierungsvorschläge für die neue Kodifikation entwickelt. In inhaltlicher Hinsicht lassen sich dabei im Wesentlichen zwei unterschiedliche Grundströmungen ausmachen, die sich in ihrer juristischen Ausrichtung diametral gegenüberstanden. Einerseits gab es entsprechend dem generellen Bild der Adenauer-Gesellschaft in den fünfziger Jahren92 einen großen konservativ eingestellten Block. Zu diesem sind insbesondere der Deutsche Richterbund, die Verantwortlichen in den Kriminalämtern, die Vereinigung der Berufsverbände der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sowie die katholische Kirche zu zählen. Sie alle vertraten in mehr oder minder starker Ausprägung restaurative Rechtsansichten. Diese drückten sich beim Richterbund hauptsächlich in der Ablehnung des Resozialisierungsgedankens, beim Bundes- und den Landeskriminalämtern sowie den Berufsverbänden der Sozialarbeiterinnen und 90 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2 (Antrag an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages aus dem Mai 1963). 91 S. z. B. BArch, B 141/17289, S. 122 (Schreiben Herbert Jägers an das BMJ vom 5. 5. 1962); BArch, B 141/17289, S. 105 (Vermerk des BMJ vom 26. 4. 1962 zu einem Brief Erich Ebermayers vom 16. 4. 1962 mit einer Teilabschrift dieses Briefes). 92 Allgemein zum Konservatismus der Adenauer-Gesellschaft Pötzsch, Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart, S. 128 f.; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 5, insb. S. 15 f.

III. Zwischenfazit zum Einfluss der Gesellschaft

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Sozialarbeiter hingegen in der Forderung nach weit gefassten Tatbeständen und scharfen Strafen aus. Der katholischen Kirche war es unterdessen ein zentrales Anliegen, auf eine an ihrem moralisch-theologischen Rechtsdenken ausgerichtete Gestaltung des Abtreibungs- und Sexualstrafrechts hinzuwirken. Nicht in vollem Umfang, aber in einigen zentralen Punkten erhielt sie hierbei trotz innerprotestantisch teilweise abweichender Auffassungen auch Unterstützung von der evangelischen Seite. Im Rahmen dessen trugen die beiden Religionsgemeinschaften durch ihre institutionelle Autorität und ihre engen politischen Verbindungen zu den Unionsparteien zumindest mit dazu bei, dass beispielsweise der Schwangerschaftsabbruch nicht liberalisiert und die Strafbarkeit der männlichen Homosexualität beibehalten wurde. Die wenig zeitgemäßen, rückwärtsgerichteten Normen des Abtreibungs- und Sittenstrafrechts des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 sind daher jedenfalls zu einem nicht unerheblichen Teil auch als ein Werk der beiden christlichen Kirchen, vor allem der katholischen, aufzufassen. Zu diesem Flügel gab es in der Gesellschaft aber auch einen Gegenpol, der einem liberaleren Strafrechtsverständnis folgte. Zu ihm muss beispielsweise der Bund der Strafvollzugsbediensteten gerechnet werden, welcher mit Vehemenz für ein stärker am Resozialisierungsgedanken orientiertes Strafrecht warb. Ferner sind hierzu die Tagespresse, Teile der Rechtsanwaltschaft sowie mehrere Einzelpersonen zu zählen, denen insbesondere die an religiösen Wertmaßstäben angelehnten Sittlichkeitsdelikte des E 1962 missfielen, welche sie in oft emotionaler Weise als extrem rückschrittlich attackierten, gerade vor dem Hintergrund der sich ab den sechziger Jahren stark wandelnden Sexualmoral93. Aus der Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft wurden damit ähnliche Kritikpunkte laut wie seitens der SPD, die sich ebenfalls gegen die sanktionsrechtlich traditionelle Grundhaltung des Entwurfs in Gestalt der vergeltenden Vereinigungstheorie und das illiberale Sittenstrafrecht gewandt hatte94. Genau wie bei den Sozialdemokraten wünschte man sich auch in einigen Teilen der Bevölkerung eine progressivere sowie tiefgreifendere Reform des Strafrechts, als sie der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 vorsah. Insgesamt waren diese fortschrittlichen Stimmen aber noch zu schwach, um im weiteren Verlauf der Diskussion über das neue Strafgesetzbuch ein ausschlaggebendes Gegengewicht zu den vielen konservativ eingestellten Akteuren der Gesellschaft zu bilden. Konkrete Einflüsse auf die rechtliche Gestaltung des Entwurfs, zum Beispiel in Form von Normenänderungen oder Normenstreichungen, konnten sie trotz ihrer sachlich nachvollziehbaren Kritik infolgedessen nicht ausüben.

93 Näher zu dem gewandelten Sexualverständnis seit den sechziger Jahren aus der neueren Forschung Bänziger/Beljan/Eder/Eitler (Hg.), Sexuelle Revolution?. 94 Zur Haltung der SPD im Einzelnen s. unter E. III. 3.

G. Wissenschaftliche Kritik und Rezeption Parallel zum Meinungsaustausch über den Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 in Politik und Gesellschaft der Bonner Republik hatte bereits auch die wissenschaftliche Rezeption des Kodifikationsvorschlags eingesetzt.

I. Der Entwurf in der Diskussion der zeitgenössischen Rechtswissenschaft 1. Die kontroverse Bewertung des Entwurfs in der damaligen juristischen Literatur Nur kurze Zeit nach dem Erscheinen des E 1958 als erster Vorläufer des Entwurfs von 1962 begannen sich die fachwissenschaftlichen Abhandlungen zur Strafrechtsreform rasch zu mehren. Allein in der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft wurden während der Reformdebatte von Ende der fünfziger bis Anfang der sechziger Jahre über dreißig Aufsätze zur Modernisierung des bisherigen Strafgesetzbuchs publiziert.1 Aber nicht nur in Zeitschriftenbeiträgen, sondern ebenfalls in diversen juristischen Monographien ging man auf verschiedenste Aspekte des Reformvorhabens ein.2 Damit erreichte die zeitgenössische rechtswissenschaftliche Literatur zur Strafrechtserneuerung schließlich ein solches Ausmaß, dass sie, wie eingangs bereits erwähnt, „beinahe unübersehbar“3 wurde. In Einklang mit dem rein zahlmäßig beträchtlichen Umfang wissenschaftlicher Veröffentlichungen war auch deren inhaltliches Spektrum sehr weit gespannt und reichte von Fragen der Kriminologie oder der Gesetzestechnik über typische Probleme des Allgemeinen Teils, wie beispielsweise die Irrtumsregelungen, bis hin zu unterschiedlichen Tatbeständen des Besonderen Teils, etwa den Urkunds-, Bestechungsoder Sexualdelikten. Die Schwerpunkte dieser wissenschaftlichen Rezeption bildeten vergleichbar dem Bild in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion wiederum die kriminalpolitische Grundausrichtung des Gesetzentwurfs sowie die Straftaten

1 S. hierfür die zahlreichen fachwissenschaftlichen Beiträge zur bundesdeutschen Strafrechtsreform während der Adenauer-Ära in: ZStW 70 (1958) bis 77 (1965). 2 S. z. B. Bauer, Das Verbrechen und die Gesellschaft, S. 246 – 256; von der Leye, Zur Reform des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, S. 61 – 104; Mayer, Strafrechtsreform für heute und morgen, S. 45 – 56. 3 Schultz, in: JZ 1966, S. 113 (113, Fn. 1a).

I. Der Entwurf in der Diskussion der zeitgenössischen Rechtswissenschaft

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gegen die Sittenordnung; hierzu sollten im Laufe der Zeit insgesamt die meisten Stellungnahmen veröffentlicht werden. Die sachliche Bewertung des Kodifikationsvorhabens fiel währenddessen sowohl positiv als auch negativ aus. Der Entwurf spaltete und polarisierte, zu Recht betitelte ihn deshalb der Strafrechtsdenker Jürgen Baumann (1922 – 2003) schon in den sechziger Jahren als ein rechtliches „Chamäleon“, dessen Einschätzung je nach juristisch-politischem Standpunkt des Betrachters stark schwankte4. Und in der Tat führte die Rechtswissenschaft der frühen Bundesrepublik eine sehr lebhafte, kontroverse Generaldebatte über den E 1962. Während er von mancher Seite als ein „geschlossenes, abgerundetes und mit großem juristischen Scharfsinn erstelltes Werk“5 gepriesen und als ein „Buch der Rechtsstaatlichkeit“6 oder „Synthese aus konservativen und fortschrittlichen Bestrebungen in betont rechtsstaatlicher Ausgestaltung“7 gelobt wurde, bewerteten ihn andere Juristen lediglich als „eine sehr ordentlich und sauber gearbeitete Bestandsaufnahme des geltenden Rechtszustandes […, die] aber zu wenig echte Reformgedanken enthält“8 und in der man vergebens „nach schöpferisch in der Tiefe einsetzenden Reformen eines trotz vieler partieller Änderungen mit dem Kalk von fast hundert Jahren bedeckten Gesetzes“9 suche. Dieser ausgesprochen differenziert-gespaltene Blick der zeitgenössischen Fachwelt auf das Gesetzgebungsprojekt der christlich-liberalen Bundesregierung sollte seine Fortsetzung sodann auch in der Detailbewertung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 erfahren. Weitgehende Einigkeit in der Einschätzung der Kodifikation herrschte nur bezüglich der systematischen Folgerichtigkeit, der gänzlich neu gestalteten, an die wissenschaftliche Systematik anknüpfenden Rechtsgüterordnung des Besonderen Teils sowie der Vorschriften zu den Beleidigungs- und den Bestechungsdelikten – hier war man selbst in kritisch eingestellten Kreisen praktisch unisono dazu bereit, den E 1962 als Fortschritt gegenüber dem geltenden Recht anzuerkennen.10 Schon über die kriminalpolitischen Grundzüge des Vorhabens in Gestalt der vergeltenden Vereinigungstheorie sowie des zweispurigen Sanktionensystems aus Strafen und Maßregeln diskutierte man in der Rechtswissenschaft hingegen wieder extrem kontrovers. Einerseits gab es, anders als auch in 4

Baumann, Kleine Streitschriften zur Strafrechtsreform, S. 198 (216). Sturm, in: JZ 1970, S. 81 (81). 6 Jescheck, Menschenbild und Strafrechtsreform, S. 37. 7 Schwalm, in: MDR 1959, S. 797 (801). 8 Müller-Emmert, in: NJW 1966, S. 711 (711). 9 Simson, in: JZ 1970, S. 568 (569). 10 Für die systematische Folgerichtigkeit s. stellvertretend Noll, in: JZ 1963, S. 297 (301 f.); Dahs, in: NJW 1958, S. 1161 (1165 f.); Simson, in: JZ 1970, S. 568 (568). Zur Systematik des Besonderen Teils s. Spendel, in: NJW 1960, S. 1700 (1703). Exemplarisch für die Beleidigungsdelikte Hartung, in: ZStW 71 (1959), S. 385 (insb. 386 f.); von der Leye, Zur Reform des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, S. 87. Für die Bestechungstatbestände s. Schmitt, in: ZStW 73 (1961), S. 414 (insb. 417 – 419); von der Leye, Zur Reform des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, S. 103. 5

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G. Wissenschaftliche Kritik und Rezeption

der neueren Forschung noch behauptet wird,11 durchaus einige fachwissenschaftliche Stimmen aus am Bestehenden festhaltenden Kreisen, welche in grundsätzlicher Übereinstimmung mit den kriminalpolitischen Vorstellungen der damals vorherrschenden juristischen Lehre sowie der höchstrichterlichen Rechtsprechung12 das im Kern kompromisshaft-traditionell ausgestaltete Konzept des Gesetzentwurfs vorwiegend positiv sahen. So meinte etwa der Berliner Strafrechtsprofessor Ernst Heinitz (1902 – 1998), es sei „sehr begrüßenswert und erfreulich, daß sich die Kommission […] zum Sühnegedanken bekannt hat“13. Und sein renommierter Kollege aus Freiburg im Breisgau Hans-Heinrich Jescheck (1915 – 2009) hob unterstützend hervor, dass der amtliche Gesetzentwurf in dieser Hinsicht „die Sphäre des Irrationalen vermeidet und auf einer Ebene verbleibt, die kriminologischer Erfahrung und methodischem Denken zugänglich ist“14. In dieselbe inhaltliche Richtung zielten des Weiteren auch die Aufsätze einiger anderer sanktionsrechtlich konservativ eingestellter Autoren, wie beispielsweise die des Bremer Strafrechtlers und Generalstaatsanwalts Hanns Dünnebier (1907 – 1995) oder des Berliner Kriminologen Hermann Mannheim (1889 – 1974) aus den Jahren 1959 und 1960, welche ebenfalls die vorwiegend rechtsbewahrenden kriminalpolitischen Zielsetzungen des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 als sachlich klar und praktisch sinnvoll bewerteten, insbesondere im Hinblick auf die Beibehaltung des noch aus dem Reichsstrafgesetzbuch bekannten zweispurigen Sanktionensystems.15 Andererseits bildeten die kriminalpolitischen Grundlagen des Gesetzesvorhabens zugleich auch den Ausgangs- und einen absoluten Schwerpunkt der vielstimmigen Kritik am E 1962. In nicht selten äußerst bissig formulierten Anmerkungen wurde dem Kodifikationsprojekt dabei zum Beispiel vorgeworfen, durch den Rückgriff auf den altbekannten Sühnegedanken und die vergeltende Vereinigungstheorie „schon am Tage [seines] Inkrafttretens veraltet“16 oder gar „ein Gesetz von gestern“17 zu sein. Sein Festhalten an dem herkömmlichen Strafrechtsverständnis sei höchst bedauerlich;18 manch ein besonders scharfer Kritiker, wie beispielsweise der hessische 11

S. Stäcker, Die Franz von Liszt-Schule, S. 191 f., welche meint, dass sich eine positive Reaktion auf das kriminalpolitische Konzept des E 1962 kaum finden ließe, die genannten Publikationen aber außer Acht lässt. 12 Für die zeitgenössische Literatur s. Fuhrmann/Schäfer, § 27b Rn. 6; Dreher/Maassen, vor § 13 Rn. 1 und § 27b Rn. 4; Kohlrausch/Lange, vor § 13, III.; für die Rechtsprechung BGHSt 1, 67 (70); BGHSt 3, 179 (179); BGHSt 10, 259 (265). 13 Heinitz, in: ZStW 70 (1958), S. 1 (3). 14 Jescheck, in: ZStW 75 (1963), S. 1 (3); deutlich auch Jescheck, Menschenbild und Strafrechtsreform, S. 23. 15 Dünnebier, in: ZStW 72 (1960), S. 32 (insb. 39); Mannheim, in: ZStW 71 (1959), S. 181 (186). Zwar auch mit einzelnen kritischen Anmerkungen, aber in ihrer allgemeinen Beurteilung des kriminalpolitischen Konzepts des E 1962 ebenfalls grundsätzlich positiv Bruns, in: ZStW 71 (1959), S. 210 (251); Ehrhardt, in: ZStW 76 (1964), S. 216 (217). 16 Woesner, in: NJW 1965, S. 1249 (1251). 17 Baumann, Kleine Streitschriften zur Strafrechtsreform, S. 198 (199). 18 Schultz, in: JZ 1966, S. 113 (115).

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Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903 – 1968) oder der Tübinger Professor Jürgen Baumann (1922 – 2003), hielt dies mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit des Gesetzes sogar für „selbstmörderisch“19 beziehungsweise „lächerlich“20. Sie wünschten sich stattdessen ein Strafgesetzbuch, das sich stärker an die Gedanken der soziologischen Schule Franz von Liszts anlehnt, also statt Schuld und Sühne die Spezialprävention mehr in den Vordergrund rückt.21 Einer Kodifikation auf Basis des amtlichen Vorschlags, die den Vergeltungsgedanken zum vorrangigen Zweck der Strafe erklärt, trauten sie jedenfalls keinen dauerhaften Bestand zu.22 Über diesen sanktionsrechtlichen Hauptanklagepunkt hinaus erstreckte sich der Tadel der Wissenschaft am Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 ebenso auf dessen vermeintliche Vorzüge in Gestalt der akkuraten Dogmatik und Gesetzestechnik des Allgemeinen Teils. Hier missfielen der Rechtswissenschaft zunächst die zahlreichen Legaldefinitionen, etwa zum Vorsatz in § 16 oder zum Versuch in § 26 Abs. 1 des Entwurfs, weil diese mehr Verwirrung als Klarheit stiften würden und weder notwendig noch zweckmäßig seien.23 Zudem entferne sich der E 1962 hiermit in unzulässiger Weise von den Aufgaben eines Gesetzes hinein in den Bereich eines Kommentars oder Lehrbuchs.24 Auf einer sehr ähnlichen Linie bewegte sich dann auch die Kritik an der strafrechtlichen Behandlung des Irrtums in den §§ 19 – 21 der Kodifikationsvorlage, einem Herzstück des neuen Allgemeinen Teils. Hier habe der Gesetzgeber ebenfalls die ihm eigentlich auferlegte Zurückhaltung vermissen lassen und zu viel selbst geregelt, statt es dem Fluss der Lehre und Rechtspraxis zu überlassen, wodurch nach Meinung der großen Mehrzahl zeitgenössischer Wissenschaftler einige dogmatisch noch ungeklärte beziehungsweise umstrittene Fragen im Bereich der Irrtumsproblematik vorschnell legislativ entschieden worden waren.25 Lediglich der Bonner Strafrechtsprofessor Hans Welzel verteidigte die von ihm einst selbst in den Sitzungen der Großen Strafrechtskommission maßgeblich mitgeprägten 19

Bauer, Das Verbrechen und die Gesellschaft, S. 250. Baumann, Kleine Streitschriften zur Strafrechtsreform, S. 198 (199). 21 S. Bauer, Das Verbrechen und die Gesellschaft, S. 253 f.; Baumann, Kleine Streitschriften zur Strafrechtsreform, S. 135 (140 – 142); Schultz, in: JZ 1966, S. 113 (123). In dieselbe kriminalpolitische Richtung auch Kaiser, in: ZStW 78 (1966), S. 100 (129); Leferenz, in: ZStW 70 (1958), S. 25 (insb. 39); Simson, in: JZ 1970, S. 568 (568 f.). Ebenfalls sehr kritisch zum kriminalpolitischen Konzept des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs von 1962, hierbei jedoch stärker auf die in der Kodifikationsvorlage angelegte Ausweitung des Systems der bessernden und sichernden Maßnahmen abstellend Grünwald, in: ZStW 76 (1964), S. 633 (insb. 667 f.); Reigl, in: ZStW 73 (1961), S. 634 (insb. 637 und 645). 22 Baumann, Kleine Streitschriften zur Strafrechtsreform, S. 198 (199). 23 So z. B. Baumann, Kleine Streitschriften zur Strafrechtsreform, S. 198 (211 – 213); ausführlich Stratenwerth, in: ZStW 76 (1964), S. 669 (insb. 704 – 705). 24 Stratenwerth, in: ZStW 76 (1964), S. 669 (705 f.). 25 Deutlich etwa Engisch, in: ZStW 70 (1958), S. 566 (609); Kaufmann, in: ZStW 76 (1964), S. 543 (insb. 544); Roxin, in: ZStW 76 (1964), S. 582 (insb. 583). Zur ebenfalls sehr intensiven Diskussion über die Gestaltung der Irrtumsvorschriften in der Großen Strafrechtskommission aus der neueren Forschung näher Rosenbaum, Die Arbeit der Großen Strafrechtskommission, vor allem S. 51 – 196. 20

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Irrtumsvorschriften des Kodifikationsentwurfs als die derzeit bestmögliche Lösung auf diesem Gebiet.26 Neben der Dogmatik des Allgemeinen Teils des Strafgesetzentwurfs von 1962 störte sich die Rechtswissenschaft der frühen Bundesrepublik des Weiteren unter verschiedensten Gesichtspunkten auch immer wieder an den diversen Regelungen des Besonderen Teils der Kodifikation. Generell beklagten Kritiker hier eine regelrechte „Strafrechtshypertrophie“27 oder „quantitative Aufblähung des Strafrechts“28, die zu einer Sanktionierung sämtlichen sozialschädlichen Verhaltens führe und sich folglich nicht genügend auf den Ultima-Ratio-Charakter des Kriminalunrechts beschränke.29 Im Einzelnen missbilligte man hierbei zum Beispiel den § 270 (Unlautere Einflußnahme auf Versteigerungen und Vergaben) des Gesetzentwurfs, der zumindest nach Auffassung des Münchener Strafrechtslehrers Karl Engisch (1899 – 1990) in weiten Bereichen Handlungen unter Strafe stellte, die allenfalls ordnungsrechtlich strafbar sein sollten.30 Außerdem wurde vorgeschlagen, bei der Strafbarkeit ärztlicher Heileingriffe den § 161 (Heilbehandlung) des E 1962 sowie bei den Urkundenstraftaten den § 313 (Anfertigung unrichtiger technischer Aufzeichnungen) seines Vorläufers, des E 1959, zu streichen.31 Und die zahlreichen im fünften Abschnitt des Besonderen Teils (Straftaten gegen den Staat und seine Einrichtungen) geregelten Staatsschutzdelikte befand manch ein zeitgenössischer Jurist sogar in weiten Teilen für unvereinbar mit dem Grundgesetz.32 Der Schwerpunkt der Vorwürfe gegen den Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 lag im Besonderen Teil von wissenschaftlicher Seite aus jedoch ähnlich wie bei der Diskussion in Politik und Gesellschaft im Bereich der Sittlichkeitsdelikte. Vor dem Hintergrund einer insbesondere seit Beginn der sechziger Jahre zunehmend liberaleren Sexualmoral33 lassen sich in der juristischen Literatur zu diesen oft schon klerikal ausgestalteten Strafnormen praktisch gar keine positiven Bewertungen finden. Allenfalls wollte man unter technischen Aspekten anerkennen, dass sich der Entwurf um möglichst viele Differenzierungen bemüht hatte.34 In inhaltlicher Hinsicht wurde dagegen ausschließlich Kritik geäußert. Insbesondere die Strafbarkeit des Ehebruchs, der einfachen männlichen Homosexualität und sogenannter unzüchtiger Schaustellungen stufte man entweder als rückständig oder gleich als gänzlich überflüssig ein, da 26

Welzel, in: ZStW 76 (1964), S. 619 (632). Baumann, Kleine Streitschriften zur Strafrechtsreform, S. 198 (206). 28 Mayer, Strafrechtsreform für heute und morgen, S. 48. 29 Baumann, Kleine Streitschriften zur Strafrechtsreform, S. 198 (206 f.); Mayer, Strafrechtsreform für heute und morgen, S. 48 f. 30 Engisch, in: ZStW 76 (1964), S. 177 (177). 31 Für den § 161 des E 1962 s. Schröder, in: NJW 1960, S. 951 (955); für den § 313 des E 1959 s. Kaufmann, in: ZStW 71 (1959), S. 409 (428). 32 S. etwa Hamann, in: NJW 1962, S. 1845 (insb. 1846 und 1849). 33 Näher zu dem gewandelten Sexualverständnis seit den sechziger Jahren aus der neueren Forschung Bänziger/Beljan/Eder/Eitler (Hg.), Sexuelle Revolution?. 34 So etwa Hanack, in: ZStW 77 (1965), S. 398 (399). 27

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es generell nicht Aufgabe des Strafrechts sei, sittliche oder religiöse Gebote gesellschaftlich durchzusetzen.35 Aber auch den anderen Straftatbeständen auf dem Gebiet der Sexualität attestierte man in der Wissenschaft vor allem „große Strenge und besondere Engmaschigkeit“36, sie seien Ausdruck einer gestrigen und intoleranten „kleinbürgerlichen Vorstellungswelt“37. Außerdem fehle es in dem gesamten Abschnitt dieses Teils des neuen Gesetzbuchs schließlich im starken Maße an der Verwertung moderner kriminologischer und sexualwissenschaftlicher Erkenntnisse.38 In der juristischen Fachwelt blickte man deshalb mit „bange[r] Sorge“39 auf die harten, klerikalen Sittlichkeitstatbestände des Kodifikationsentwurfs, denn schließlich erwartete man von einem rechtsstaatlichen Strafgesetzgeber des 20. Jahrhunderts „keine moralischen Mahnmale, sondern eine nüchterne und zweckmäßige Regelung, die den Belangen der modernen Industriegesellschaft und dem berechtigten Sehnen des einzelnen nach Freiheit gerecht wird“40. Oder sachlicher formuliert: Das Strafrecht sollte sich nach Meinung der Kritiker des E 1962 darauf beschränken, elementare Rechtsgüter zu schützen.

2. Exkurs: Die Initiative zu einem Alternativentwurf Angesichts der zahlreichen konkret zu beanstandenden kriminalpolitischen Entscheidungen und Normierungsvorschläge des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 nahmen einige seiner vielen Kritiker aus der zeitgenössischen Rechtswissenschaft schließlich die Haltung ein: „Strafrechtsreform? Grundsätzlich ja! Eine Strafrechtsreform nach dem Muster des E 62? Um keinen Preis!“41 Sie beabsichtigten daher, ähnlich wie es seitens der Wissenschaft auch einst während der Reformbemühungen des Kaiserreichs im Jahr 1911 als Reaktion auf den „Vorentwurf“ zu einem Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich (1909) geschehen war, einen privaten Gegenentwurf zum offiziellen Kodifikationsvorschlag zu erstellen.42 Dieser sollte in erster Linie ein sanktionsrechtliches Alternativkonzept zur 35 S. z. B. Leferenz, in: ZStW 77 (1965), S. 379 (386 – 397); von der Leye, Zur Reform des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, S. 61 – 82; Simson, in: ZStW 75 (1963), S. 682 (insb. 704 – 706); Woesner, in: NJW 1965, S. 1249 (1253 f.). 36 Simson, in: ZStW 75 (1963), S. 682 (705). 37 Simson, in: JZ 1970, S. 568 (568); sehr ähnlich auch die Äußerungen verschiedener Strafrechtsprofessoren auf der Tagung der deutschen Strafrechtslehrer vom 9. bis 12. 6. 1965 in Freiburg im Breisgau, s. hierzu den Bericht von Weber, in: JZ 1965, S. 503 (505). 38 Hanack, in: ZStW 77 (1965), S. 398 (401). 39 Hanack, in: ZStW 77 (1965), S. 398 (399). 40 Woesner, in: NJW 1965, S. 1249 (1254). 41 Baumann, Kleine Streitschriften zur Strafrechtsreform, S. 198 (221). 42 Zur Geschichte des Alternativ-Entwurfs und seinen inhaltlichen Grundlagen s. überblicksartig Busch, Strafrechtsreform, S. 45 – 49; ausführlicher Scheffler, in: Vormbaum/Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 174 (192 – 204).

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amtlichen Gesetzesvorlage bieten und dabei „modernen, zeitgemäßen kriminalpolitischen Anschauungen verpflichtet“43 sein. Um dieses Ziel zu verwirklichen, formierte sich im Anschluss an die Tagung deutscher Strafrechtslehrer 1965 in Freiburg im Breisgau um den Tübinger Strafrechtswissenschaftler Jürgen Baumann (1922 – 2003), den Protagonisten und „Motor“44 dieser Bewegung, eine Gruppe von insgesamt vierzehn juristisch links-liberal eingestellten Strafrechtsprofessorinnen sowie -professoren aus der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz, die überwiegend aus einer jüngeren Juristengeneration stammten als die etablierten Mitglieder der Großen Strafrechtskommission. Namentlich handelte es sich hierbei um Anne-Eva Brauneck (1910 – 2007) aus Gießen, Ernst-Walter Hanack (geb. 1929) von der Universität Heidelberg, Arthur Kaufmann (1923 – 2001) aus Saarbrücken, Ulrich Klug (1913 – 1993) von der Kölner Universität, Ernst-Joachim Lampe (geb. 1933) von der Universität Mainz, Theodor Lenckner (1928 – 2006) aus Münster, Werner Maihofer (1918 – 2009) aus Saarbrücken, Peter Noll (1926 – 1982) von der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität, Claus Roxin (geb. 1931) von der Georg-AugustUniversität zu Göttingen, Rudolf Schmitt (geb. 1922) aus Freiburg im Breisgau, Hans Schultz (1912 – 2003) von der Universität Bern in der Schweiz, Günter Stratenwerth (1924 – 2015) aus Basel sowie Walter Stree (geb. 1923) aus Münster.45 Nur kurze Zeit nachdem dieser ausschließlich aus Rechtslehrern bestehende Kreis seine Arbeit aufgenommen hatte, gelang es ihm bereits im Oktober des Jahres 1966, einen Alternativ-Entwurf (AE) zum Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs vorzulegen und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Diesem sollten alsbald weitere Entwürfe zu verschiedenen Tatbeständen des Besonderen Teils folgen. Zuerst erschienen im Jahr 1968 Vorschläge zum Politischen Strafrecht, zu den Sexualdelikten, den Straftaten gegen Ehe, Familie und Personenstand sowie zu den Straftaten gegen den religiösen Frieden und die Totenruhe. Zwei Jahre später wurden schließlich die alternativen Empfehlungen der Wissenschaftler für das zukünftige deutsche Strafrecht mit neuen Ideen zu den Straftaten gegen die Person abgerundet. In rechtlicher Hinsicht machte es sich der Alternativ-Entwurf der Strafrechtslehrer dabei vor allem zur Aufgabe, ein „neues kriminalpolitisches Konzept“46 zu liefern, hierin lag der absolute Schwerpunkt des Gegenvorschlags zum E 1962. Anstelle von Sühne und Vergeltung sah er den Zweck der Strafe vornehmlich im Rechtsgüterschutz sowie in der Resozialisierung des Täters. Dazu heißt es in § 2 Abs. 1 des AE: „Strafen und Maßregeln dienen dem Schutz der Rechtsgüter und der

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Schultz, in: Baumann (Hg.), Programm für ein neues Strafgesetzbuch, S. 9 (13). Fezer, in: JZ 2002, S. 601 (602); biographisch zu Baumann auch Arzt, in: NJW 1922, S. 1608 (1608). 45 Für kurze biographische Hinweise zu den vierzehn „Alternativ-Professoren“ s. die jeweiligen Einträge unter http://www.koeblergerhard.de/weristwer.htm und http://www.koebler gerhard.de/werwarwer.htm, Abruf jeweils vom 5. 6. 2015. 46 Baumann, in: Baumann, Programm für ein neues Strafgesetzbuch, S. 14 (16). 44

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Wiedereingliederung des Täters in die Rechtsgemeinschaft.“47 Im Bereich der Rechtsfolgen strafbarer Handlungen erfuhr deshalb die Geld- gegenüber der Freiheitsstrafe im AE eine starke Aufwertung; außerdem wurden die Neben- ebenso wie die Ehrenstrafen gänzlich abgeschafft und darüber hinaus die geläufige Dreiteilung der Freiheitsstrafen in Zuchthaus, Gefängnis und Strafhaft zugunsten einer sogenannten Einheitsstrafe aufgegeben.48 Und schließlich sollten speziell auf dem Gebiet der statistisch besonders häufig begangenen Straßenverkehrsdelikte kurze Freiheitsstrafen durch ein Fahrverbot ersetzt werden.49 Hinsichtlich der Ausformung des Rechtsfolgensystems ist der Alternativ-Entwurf damit in der Summe als wesentlich freiheitsorientierter und fortschrittlicher einzustufen als der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962, wenngleich im Hinblick auf die Beibehaltung des Schuldprinzips und der Zweispurigkeit auch Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Entwürfen bestanden.50 Abseits dieses radikalen Umbruchs im Sanktionssystem brachte der AE währenddessen bei den Strafbarkeitsvoraussetzungen des Allgemeinen Teils gegenüber dem Regierungsentwurf nur relativ wenig Neues. Vielmehr beschränkte er sich hier weitgehend darauf, die Vorschläge der amtlichen Strafrechtskommission für ein neues Strafgesetzbuch zu optimieren, indem er beispielsweise die Anzahl der Legaldefinitionen reduzierte sowie die Definitionen sprachlich modifizierte, ferner zum Beispiel beim Geltungsbereich des neuen Strafgesetzbuchs das Territorialitätsprinzip stärker herausarbeitete, die Irrtumsregelungen vereinfachte und beim Versuch der Beteiligung an einer Straftat den Bereich des Strafbaren reduzierte.51 Im Besonderen Teil wich der Alternativ-Entwurf sodann wiederum stärker vom amtlichen Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 ab. Entsprechend der Kritik vieler seiner Verfasser am E 1962 verwehrte sich der AE dagegen, lediglich sittlich-moralisch beziehungsweise religiös missbilligte Verhaltensformen unter Strafe zu stellen. Stattdessen beschränkte er sich auf dem Gebiet der Sittlichkeits- und Sexualdelikte, ähnlich wie es auch in der reformpolitischen Diskussion seitens der Sozialdemokraten sowie der Freien Demokraten immer wieder gefordert worden war, auf eine Bestrafung solcher Rechtsgutsangriffe, die entweder gegen die per-

47 Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuchs, Allgemeiner Teil, S. 7; s. hierzu aus Sicht der Verfasser auch Baumann, in: Baumann (Hg.), Programm für ein neues Strafgesetzbuch, S. 14 (21 – 27). 48 Erläuternd hierzu Baumann, in: Baumann (Hg.), Programm für ein neues Strafgesetzbuch, S. 14 (29 f.); Schultz, in: Baumann, Programm für ein neues Strafgesetzbuch, S. 9 (10 – 12); speziell zur Einführung einer Einheitsstrafe auch Bemmann, in: GA 1967, S. 129 (insb. 140 – 144). 49 Zu den Gründen der Verfasser näher Baumann, in: Baumann (Hg.), Programm für ein neues Strafgesetzbuch, S. 14 (29 f.); näher zum Rechtsfolgensystem des AE aus heutiger Sicht Stäcker, Die Franz von Liszt-Schule, S. 214 – 217. 50 Ähnlich in seiner Bewertung auch Holtz, Strafrechtsreformen, S. 226. 51 S. Baumann, in: Baumann (Hg.), Programm für ein neues Strafgesetzbuch, S. 14 (27 f.); Kaufmann, in: ZStW 80 (1968), S. 34 (insb. 52 f.).

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sönliche Freiheit oder gegen die Jugend gerichtet waren.52 Damit befanden sich die Alternativ-Professoren generell im Einklang mit internationalen Reformvorstellungen im Bereich des Sitten- und Sexualstrafrechts, wie sie beispielsweise auf dem IX. Internationalen Strafrechtskongress in Den Haag am 29. August des Jahres 1964 beschlossen worden waren.53 Über diesen stark diskutierten, besonders umstrittenen Abschnitt der Sittlichkeitsdelikte hinaus unterbreitete der AE schließlich noch neue Normierungsvorschläge für das Abtreibungs- und das Politische Strafrecht sowie eine andere Gliederung und richtungsweisende sachliche Modifikationen für die Gestaltung der Körperverletzungsdelikte.54 Im Besonderen Teil erwies sich der Alternativ-Entwurf der Strafrechtswissenschaftler damit genau wie hinsichtlich des Sanktionssystems im Vergleich zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 insgesamt als der liberalere sowie reformfreudigere und mutigere Vorschlag für das zukünftige Strafrecht. Für den weiteren Verlauf der strafrechtlichen Reformdebatte ab Ende der sechziger Jahre stellte der Alternativ-Entwurf daher ein belebendes Element im heraufziehenden Zeitgeist der sozialliberalen Koalition und der Bewegung von 1968 dar. Anklang fand hierbei insbesondere dessen grundlegend neu gestaltetes Strafensystem und die damit verbundene stärkere Betonung des Resozialisierungsgedankens; selbst ein Mitglied der Großen Strafrechtskommission wie der Strafrechtslehrer Eberhard Schmidt kam nicht umhin, den AE in diesem Zusammenhang für seine „begrüßenswerte[…] kriminalpolitische[…] Leitlinie“55 zu loben. Aber ebenso in der Bundespolitik wurde der Gegenentwurf aus der Wissenschaft zunehmend als eine wichtige Bereicherung für die Reformdiskussion im Strafrecht empfunden, wenn auch nicht parteiübergreifend. Während insbesondere CDU und CSU das private Konkurrenzprojekt noch eher skeptisch sahen, kam man vor allem in den Reihen der Freien Demokraten, die einst selbst dessen Gegenstück, den E 1962, maßgeblich mitinitiiert hatten, gegen Ende der sechziger Jahre vermehrt zu der Überzeugung, dass der Gedankeninhalt des Alternativ-Entwurfs unbedingt mit in die weiteren parlamentarischen Beratungen zur Modernisierung des bundesdeutschen Strafrechts einfließen sollte.56 Deshalb brachte die Bundestagesfraktion der FDP 52 Deutlich an dieser Stelle der Kommentar zum Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuchs, Besonderer Teil (Sexualdelikte), S. 9; zu den diesbezüglichen reformpolitischen Vorstellungen von SPD und FDP s. im Einzelnen unter E. III. 1. und 3. 53 Zum IX. Internationalen Strafrechtskongress s. die Zusammenfassung der Beschlüsse in: ZStW 77 (1965), S. 680 (insb. 682 f.). 54 S. zum Abtreibungsrecht Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuchs, Besonderer Teil (Straftaten gegen die Person, 1. Halbband), S. 25 – 43; zum Politischen Strafrecht s. AlternativEntwurf eines Strafgesetzbuchs, Besonderer Teil (Politisches Strafrecht); zu den Körperverletzungsdelikten s. Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuchs, Besonderer Teil (Straftaten gegen die Person, 1. Halbband), S. 44 – 61. 55 Schmidt, in: NJW 1967, S. 1929 (1940); kritischer noch Schmidt, in: MDR 1963, S. 629 (insb. 629 f.). 56 ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A 40-782 (Kurzprotokoll der Sitzung der FDPBundestagsfraktion vom 20. 6. 1967).

I. Der Entwurf in der Diskussion der zeitgenössischen Rechtswissenschaft

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alsdann die Kodifikationsempfehlungen der Strafrechtsprofessorinnen und -professoren am 17. November 1967 inhaltlich unverändert als offiziellen Gesetzentwurf in den Fünften Deutschen Bundestag ein.57 In der Folge trat der Alternativ-Entwurf damit endgültig aus der Rolle eines inoffiziellen, rein privaten Gesetzgebungsvorschlags einiger junger deutscher und schweizerischer Strafrechtslehrer heraus und konnte nunmehr auch formal gleichwertig als sachliche Ergänzung zum Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 vom Parlament beraten werden.

3. Die Beurteilung des Entwurfs im Ausland Der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 löste seinerzeit jedoch nicht nur in seinem Entstehungsland zahlreiche Reaktionen aus, sondern wurde ebenso über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus rezipiert. Äußerst kritisch, ideologisch-propagandistisch blickte dabei der Rechtsausschuss der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik auf das Gesetzesvorhaben der Adenauer-Regierung. Zwar beschäftigte er sich weniger mit einzelnen Rechtsfragen und Normierungsvorschlägen, dafür aber umso mehr mit dem politischen Gehalt beziehungsweise den allgemeinpolitischen Dimensionen des E 1962. In diesem Zusammenhang missfiel der DDR-Führung insbesondere, dass das neue Strafgesetz der Bundesrepublik korrespondierend mit dem Alleinvertretungsanspruch der Bonner Regierung auch einen Geltungsanspruch auf dem Staatsgebiet Ostdeutschlands erhob;58 dies kennzeichne den Entwurf als ein „offen aggressive[s] und annexionistische[s] Gesetz[…]“59. Eine solche Haltung sei in einem hohen Grad anmaßend und erschwere folglich die friedliche politische Verständigung zwischen den beiden deutschen Staaten erheblich.60 Auf starken Widerspruch stießen des Weiteren auch die in den §§ 361 – 382 des Entwurfs von 1962 normierten Bestimmungen zum Hochverrat sowie zur Staatsgefährdung. Diese würden ausschließlich zur Strafverfolgung linksgerichteter, regierungsfeindlicher Kräfte dienen und demzufolge die verfassungsrechtlich verbürgten Freiheitsrechte konterkarieren.61 57 BT-Drucks. V/2285; näher zur Einbringung des Alternativ-Entwurfs durch die FDPBundestagsfraktion und zu ihren Beweggründen für diesen Schritt s. ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3274 (Pressemitteilung der FDP zur Einbringung des Alternativ-Entwurfs in den Deutschen Bundestag). 58 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267 (Stellungnahme des Rechtsausschusses der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zum E 1962 vom 20. 3. 1963). Zum Geltungsbereich des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962, der in der Tat auch die DDR umfassen sollte, s. die Ausführungen in der Begr. zum E 1962, BT-Drucks. IV/650, S. 106. 59 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267 (Stellungnahme des Rechtsausschusses der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zum E 1962 vom 20. 3. 1963). 60 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267 (Stellungnahme des Rechtsausschusses der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zum E 1962 vom 20. 3. 1963). 61 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267 (Stellungnahme des Rechtsausschusses der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zum E 1962 vom 20. 3. 1963).

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G. Wissenschaftliche Kritik und Rezeption

Aufgrund seines staatsrechtlichen Grundtenors stand der Entwurf eines Strafgesetzbuchs aus Sicht der politisch Verantwortlichen der Deutschen Demokratischen Republik daher „im völligen Widerspruch zum Grundgesetz“62. Die strafrechtliche Gesamtausrichtung des bundesdeutschen Kodifikationsvorhabens würde im Ergebnis sogar zu einem „System[…] der Ungerechtigkeit“63 führen, sofern der amtliche Gesetzentwurf das Bonner Parlament ohne wesentliche Änderungen passieren sollte. Mit seiner vorwiegend konservativen Ausrichtung stellte der Strafgesetzentwurf von 1962 nach Meinung der DDR-Regierung also geradezu ein Paradebeispiel für eine ihrer Auffassung zufolge gänzlich verfehlte Rechtspolitik des Westens dar. Er eignete sich somit für die Sozialisten bestens als politisch-ideologisches Angriffsobjekt. Nicht so propagandistisch, sondern wesentlich sachlich-nüchterner sah man dagegen mit einigem geographischen Abstand im angloamerikanischen Rechtsraum, genauer gesagt seitens der US-amerikanischen Strafrechtslehre, auf den bundesdeutschen Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 1962. Im Großen und Ganzen wurde hier die Initiative zu einer Reform des deutschen Strafrechts überhaupt und ebenso der Kodifikationsvorschlag des amtlichen Expertenkreises im Einzelnen vergleichsweise positiv bewertet.64 Zwar merkte man auch von amerikanischer Seite aus genauso wie seitens der deutschen Strafrechtswissenschaft kritisch an, dass hinsichtlich des Strafensystems im E 1962 unter kriminologischen Aspekten noch Verbesserungen möglich und nach derzeitigem wissenschaftlichem Kenntnisstand in der Kriminologie auch notwendig seien.65 Insgesamt könne man aber „der von den Deutschen geleisteten Arbeit nur zustimmen“66. Vor allem die in Anlehnung an das wissenschaftliche System ausgerichtete, komplett neu gestaltete Systematik des Besonderen Teils wusste zu überzeugen, sei es doch hierbei „besonders zufriedenstellend, dass dem Menschen als solchem die erste Stelle innerhalb der geschützten

62 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267 (Stellungnahme des Rechtsausschusses der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zum E 1962 vom 20. 3. 1963). 63 ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267 (Stellungnahme des Rechtsausschusses der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zum E 1962 vom 20. 3. 1963). 64 BArch, B 141/17284, S. 45 – 65 (Auf Deutsch verfasstes Positionspapier der New York University-School of Law, law professor Gerhard Mueller, zur deutschen und amerikanischen Strafrechtsreform vom 10. 1. 1961). 65 BArch, B 141/17284, S. 45 (Auf Deutsch verfasstes Positionspapier der New York University-School of Law, law professor Gerhard Mueller, zur deutschen und amerikanischen Strafrechtsreform vom 10. 1. 1961). Ergänzend zu den hier auf Basis von Archivalien aus dem BArch behandelten kriminalpolitischen und systematischen Aspekten liefert Honig, in: ZStW 70 (1958), S. 616 (617 – 631) einen umfassenden Vergleich zwischen den dogmatischen Grundsätzen des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 und amerikanischen Strafrechtsgrundsätzen. 66 BArch, B 141/17284, S. 64 (Auf Deutsch verfasstes Positionspapier der New York University-School of Law, law professor Gerhard Mueller, zur deutschen und amerikanischen Strafrechtsreform vom 10. 1. 1961).

II. Die Sicht der Rechtswissenschaft auf den Entwurf heute

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Güter zugewiesen wurde“67. Darin zeige sich ein geradezu revolutionärer, besonders zu begrüßender Wertewandel im deutschen Strafrechtsdenken, welches bisher stets nur den Staat und die öffentliche Ordnung in den Mittelpunkt gerückt hatte.68 Mit der nunmehr sehr starken Konzentration im zukünftigen Strafrecht auf das menschliche Individuum könne die Bundesrepublik Deutschland sogar als Vorbild für andere Länder im angloamerikanischen sowie europäischen Rechtsraum und deren Strafgesetzbücher dienen.69 Vom US-amerikanischen Standpunkt aus betrachtet hatten die umfangreichen strafrechtlichen Reformbemühungen der Bonner Republik im Vergleich zum vorherigen Rechtszustand im alten Reichsstrafgesetzbuch von 1871 also durchaus auch einen achtbaren Fortschritt gebracht.

II. Die Sicht der Rechtswissenschaft auf den Entwurf heute Die gerade seit Anfang der sechziger Jahre vermehrt kritische Sicht vieler bundesdeutscher und ausländischer Juristen auf den Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 1962 setzt sich in der Rechtswissenschaft größtenteils bis heute fort, wenn auch in weit weniger emotionaler, sachlicherer Form. Insbesondere dem Vorwurf des Konservatismus und der Antiquiertheit sieht sich der Entwurf heutzutage unverändert stark ausgesetzt. Gerade im Hinblick auf seine kriminalpolitische Konzeption sei dieser mit der Zugrundelegung einer vergeltenden Vereinigungstheorie, die anstatt des Resozialisierungsgedankens hauptsächlich das Sühneprinzip betonte, sowie der Beibehaltung verschiedener Strafarten klar hinter den Anforderungen einer modernen Kriminalpolitik zurückgeblieben, so die immer noch einhellige Meinung in neueren Gesamtdarstellungen zur Strafrechtsreform sowie in strafrechtlichen Standardkommentaren und strafrechtshistorischen Lehrbüchern.70 Diesbezüglich habe der E 1962, anstelle radikales Neuland zu betreten,

67

BArch, B 141/17284, S. 64 (Auf Deutsch verfasstes Positionspapier der New York University-School of Law, law professor Gerhard Mueller, zur deutschen und amerikanischen Strafrechtsreform vom 10. 1. 1961). 68 BArch, B 141/17284, S. 64 (Auf Deutsch verfasstes Positionspapier der New York University-School of Law, law professor Gerhard Mueller, zur deutschen und amerikanischen Strafrechtsreform vom 10. 1. 1961). 69 BArch, B 141/17284, S. 64 (Auf Deutsch verfasstes Positionspapier der New York University-School of Law, law professor Gerhard Mueller, zur deutschen und amerikanischen Strafrechtsreform vom 10. 1. 1961). 70 S. etwa Holtz, Strafrechtsreformen, S. 207 – 212; Rosenbaum, Die Arbeit der Großen Strafrechtskommission, S. 31 – 33 und 226 f.; Scheffler, in: Vormbaum/Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 174 (184 f.); KK-StGB/Fischer, Einl., Rn. 5; LKStGB/Weigend, Einl., Rn. 34; MüKo-StGB/Joecks, Einl., Rn. 84; Schönke/Schröder/Eser/ Hecker, Einf., Rn. 2; Rüping/Jerouschek, Strafrechtsgeschichte, Teil 6 § 2 Rn. 318.

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G. Wissenschaftliche Kritik und Rezeption

viel zu sehr am „Altbewährten“ festgehalten;71 statt zukunftsorientiert zu denken, habe man sich in erster Linie auf strafrechtstheoretische, rechtsstaatliche Vorstellungen aus der Zeit vor der nationalsozialistischen Diktatur zurückbesonnen.72 Mangelnde kriminalpolitische Fortschrittlichkeit wird dem Kodifikationsvorschlag seitens der Rechtswissenschaft also auch heute noch immer wieder vorgehalten. Im Übrigen habe sich der Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 1962 lediglich darauf beschränkt, „Lücken des alten StGB zu füllen, Missdeutungen zu klären und gewachsenes Richterrecht in Gesetzesform zu bringen“73. Genau wie während der leidenschaftlichen strafrechtspolitischen Debatte der fünfziger und sechziger Jahre erhebt sich somit aus der Strafrechtswissenschaft weiterhin der Tadel, dem amtlichen Gesetzgebungsprojekt habe es generell an durchgreifenden, innovativen Reformgedanken gefehlt; „einschneidende oder gar grundlegende Änderungen“74 habe es nicht gebracht. Und ebenfalls in Übereinstimmung mit der damaligen Sichtweise werden in einigen Darstellungen sowie Kommentierungen neueren Datums die stets sehr kontrovers diskutierten Tatbestände zum Ehebruch, zur männlichen Homosexualität und zur Kuppelei im Besonderen Teil des E 1962 erneut zum Gegenstand von Kritik erhoben, weil sie über den notwendigen Schutz elementarer Rechtsgüter hinaus zu Unrecht auch sittliches Fehlverhalten kriminalisieren würden.75 Vor allem hinsichtlich seiner kriminalpolitischen Grundlagen und der Sittlichkeitsdelikte wird der Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 1962 also nach wie vor sehr kritisch beurteilt. Lobende Worte für das Gesetzgebungsprojekt der jungen Bundesrepublik Deutschland finden sich dagegen nur punktuell. So attestiert die moderne Rechtswissenschaft dem E 1962 selbst über fünfzig Jahre nach seiner Entstehung und trotz hiermit einhergehender strafrechtlicher Weiterentwicklung zum Beispiel auch heute noch, dass sich dieser „durch Vollständigkeit und Exaktheit in der Ausformulierung der allgemeinen Strafbarkeitsvoraussetzungen wie auch in der Präzision seiner Tatbestandsumschreibungen [ausgezeichnet]“76 habe. Ebenso findet die einst von US-amerikanischer Seite aus besonders gelobte Neugliederung des Besonderen Teils, die den Schutz des menschlichen Individuums an die Spitze stellte, in der neueren juristischen Fachwelt unvermindert Anklang.77 Und schließlich könnte sich in Zukunft zumindest für manch einzelnen Deliktstatbestand, wie bei71

Holtz, Strafrechtsreformen, S. 212. LK-StGB/Weigend, Einl., Rn. 34; KK-StGB/Fischer, Einl., Rn. 5. 73 Schönke/Schröder/Eser/Hecker, Einf., Rn. 2; sehr ähnlich Holtz, Strafrechtsreformen, S. 211. 74 Holtz, Strafrechtsreformen, insb. S. 211. 75 Sehr deutlich etwa Scheffler, in: Vormbaum/Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 174 (184 f.); MüKo-StGB/Joecks, Einl., Rn. 84; Rüping/Jerouschek Strafrechtsgeschichte, Teil 6 § 2 Rn. 318. 76 Schönke/Schröder/Eser/Hecker, Einl., Rn. 2; so auch sinngemäß KK-StGB/Fischer, Einl., Rn. 5; Scheffler, in: Vormbaum/Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 174 (184). 77 S. z. B. Schroeder, in: JZ 1970, S. 393 (394). 72

II. Die Sicht der Rechtswissenschaft auf den Entwurf heute

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spielsweise den § 263 (Untreue) des amtlichen Kodifikationsvorhabens, im strafrechtshistorischen Meinungsaustausch zunehmend eine sachgerechte, differenzierende Betrachtungsweise durchsetzen, wie sie bereits jetzt vereinzelt proklamiert wird.78 Insgesamt fällt die juristische Einschätzung des Gesetzgebungsvorhabens der Ära Adenauer damit heute jedoch nicht wesentlich anders aus als während der fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Eine positive Bewertung erfahren nur Einzelaspekte, im Großen und Ganzen wird der Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 1962 dagegen als ein „totgeborenes Kind“79 angesehen, der in seinem Gesamtkonzept schon damals überholt gewesen sei.

78 Eine differenzierte Bewertung des § 263 des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 nimmt Rentrop, Untreue und Unterschlagung, S. 222 f. vor; ebenfalls differenzierend in der Beurteilung zu den Tötungsdelikten Linka, Mord und Totschlag, S. 199 – 224. 79 Scheffler, in: Vormbaum/Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 174 (187).

H. Das Nachleben des Entwurfs Die endgültige Entscheidung darüber, ob ein seinerzeit so vielkritisierter Kodifikationsvorschlag schließlich noch in Gesetzeskraft erstarken sollte oder nicht, lag dann wiederum bei den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, also den demokratisch gewählten Vertreterinnen und Vertretern der politischen Parteien.

I. Der Weg einer Teil- statt einer Gesamtreform Nach der ersten Lesung des Entwurfs am Donnerstag, dem 28. März 1963,1 überwies ihn das Bonner Parlament zur weiteren Beratung an den Rechtsausschuss, der zunächst am 3. Mai 1963 einen Unterausschuss „Strafrecht“ einsetzte.2 Weil es sich bei diesem Unterausschuss parlamentsrechtlich betrachtet um eine unselbstständige Untergliederung handelte, welche die Entscheidung über wesentliche Gesichtspunkte des Reformprojekts dem Rechtsausschuss überlassen musste, befürchtete man im Bundesministerium der Justiz schon, dass an dem Kodifikationsvorhaben fortan „nicht besonders intensiv gearbeitet werden wird“3. Mit einer gewissen Resignation stellten die Verantwortlichen daher fest: „Wir müssen halt sehen, was sich aus der Sache herausholen läßt.“4 In dieser Einschätzung des Justizministeriums sollte sich bereits das Resultat des Fortgangs der Strafrechtsreform in den folgenden Jahren sinngemäß widerspiegeln. Zwar wurde der Unterausschuss zum 4. Dezember 1963 in einen kompetenzrechtlich selbstständigen Sonderausschuss „Strafrecht“ umgewandelt,5 die parteipolitischen Rahmenbedingungen gestalteten sich für einen zügigen, erfolgreichen Abschluss der Modernisierungsbestrebungen auf Basis des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs von 1 Zu dieser Lesung s. die 70. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 28. 3. 1963, BTStenogr. Berichte, Bd. 52, S. 3180 (D) bis 3224 (D). 2 Einen kurzen Überblick zum weiteren Schicksal des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 nach dessen erster parlamentarischer Beratung am 28. 3. 1963 bietet auch Scheffler, in: Vormbaum/Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 174 (180 – 183); vor allem auf die politischen Aspekte abstellend Holtz, Strafrechtsreformen, S. 27 – 98. 3 BArch, B 141/83264, ohne Seitenzählung (Schreiben des BMJ an den Bundesjustizminister a. D. Fritz Neumayer vom 5. 4. 1963). 4 BArch, B 141/83264, ohne Seitenzählung (Schreiben des BMJ an den Bundesjustizminister a. D. Fritz Neumayer vom 5. 4. 1963). 5 Zur Arbeit des Ausschusses s. den Bericht des Sonderausschusses „Strafrecht“ über die Beratungen des Entwurfs eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962, BT-Drucks. IV/650; Holtz, Strafrechtsreformen, S. 27 – 33.

I. Der Weg einer Teil- statt einer Gesamtreform

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1962 jedoch nach wie vor äußerst unvorteilhaft. Da wie schon erwähnt sowohl die CDU/CSU, welche noch mit parteiinternen Kontroversen um die Grenzen staatlichen Strafens im Bereich der Sittlichkeitsdelikte zu kämpfen hatte, als auch die SPD, welche auf einen Machtwechsel und damit verbunden auf die spätere Durchsetzung eines mit der unionsgeführten Bundesregierung nicht realisierbaren radikalen Resozialisierungsstrafrechts hoffte, wenig Interesse an einer schnellen, zeitnahen Verabschiedung eines neuen Strafgesetzbuchs auf Grundlage des E 1962 hatten,6 kamen die Beratungen im Sonderausschuss mithin nur langsam voran. Manch ein Bonner Politiker bezeichnete das gesamte Unterfangen angesichts dieser im Raum stehenden inner- und intraparteipolitischen Differenzen deshalb schon als „aussichtslos“7, andere hatten zumindest den Eindruck, „daß die Strafrechtsreform im Bundestag schliefe“8. Weil es zudem zwischen den Parteien noch personelle Querelen um den Vorsitz im Sonderausschuss gab,9 konnte dieser bis zur Wahl zum Deutschen Bundestag am 19. September 1965 schlussendlich nur noch den Allgemeinen Teil des Strafrechts durchberaten.10 Danach wurde mit Beginn der fünften Legislaturperiode, die in der Regierungsverantwortlichkeit der Koalition aus CDU/ CSU und FDP vorerst keinen Wechsel brachte, der parlamentarische Gedankenaustausch zur Totalerneuerung des Strafgesetzbuchs im Sonderausschuss zunächst mit weiteren Diskussionen zum Allgemeinen und später dann auch zum Besonderen Teil fortgeführt.11 Dabei bemühten sich die politischen Kontrahenten zwar in der Sache nunmehr stärker als bisher um eine „allgemeine Kompromißbereitschaft“12, der gerade mit Bildung der Großen Koalition im Dezember des Jahres 1966 allseits erhoffte „Durchbruch [in] der strafrechtlichen Reformbewegung“13 im Sinne einer baldigen Verabschiedung einer neuen Kodifikation für die Bundesrepublik Deutschland erfolgte aber nicht. 6

S. hierzu bereits näher unter E. III. 1. und 3. ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-2706 (Stellungnahme Thomas Dehlers zum Fortgang der Strafrechtsreform in der Presse vom 1. 6. 1963). 8 ADL, Bestand FDP-Bundesparteitag, A 1-252 (Diskussion zur Strafrechtsreform auf dem FDP-Bundesparteitag vom 1. bis 3. 6. 1964 in Duisburg). 9 Zu Einzelheiten diesbezüglich vergl. auch den Briefwechsel zwischen den Bundesjustizministern Thomas Dehler und Fritz Schäffer in ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-1698 (Schreiben Fritz Schäffers an Thomas Dehler mit Antwortschreiben Thomas Dehlers ohne Datum). 10 S. den Bericht des Sonderausschusses „Strafrecht“ über die Beratungen des Entwurfs eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962, BT-Drucks. IV/650, S. 4 f.; zur Arbeit des Sonderausschusses in der IV. Wahlperiode aus politologischer Sicht Holtz, Strafrechtsreformen, S. 27 – 33. 11 Zu den Beratungen im Einzelnen s. die Protokolle des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode (1966 – 1968); aus der Retrospektive zudem Holtz, Strafrechtsreformen, S. 41 – 45 und 72 – 92. 12 MdB Müller-Emmert in der 4. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform am 20. 1. 1966, Protokolle des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, S. 33. 13 Müller-Emmert/Friedrich, in: JZ 1969, S. 245 (245). 7

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H. Das Nachleben des Entwurfs

Vielmehr fand angesichts der ausgesprochen langwierigen und umfangreichen Beratungen zur Schaffung eines neuen bundesdeutschen Strafgesetzbuchs unter den Vertreterinnen und Vertretern der politischen Parteien der Gedanke, statt der zunächst geplanten Total- etappenweise eine Teilreform des geltenden Strafrechts durchzuführen, immer mehr Anklang. Vor allem seitens der Union, in der man schon früher insbesondere in konservativen Kreisen vermehrt mit dem Gedanken einer Fortführung der bisher üblichen Novellengesetzgebung geliebäugelt hatte,14 zeigte man sich gegen Ende der sechziger Jahre zunehmend von der politischen Vorstellung geleitet, dass „die […] Reform in Novellen fortgesetzt werden kann und daß so die Belastung künftiger Legislaturperioden mit einer übergroßen Reformaufgabe vermieden wird“15. Mit einer im Gesamtumfang deutlich reduzierten, schrittweisen Teilreform des geltenden Strafgesetzbuchs, die nach rechtspolitischer Dringlichkeit abgestuft erfolgen sollte, konnte sich außerdem auch der sozialdemokratische Regierungspartner einverstanden erklären.16 Und selbst der engagierteste Verfechter einer Gesamtreform im Parlament, die nunmehr oppositionelle Freie Demokratische Partei, signalisierte mit fortschreitender Beratungsdauer im wachsenden Maße Bereitschaft, dass man zumindest „einzelne, […] dringliche Reformen vorwegnimmt“17, obgleich die FDP eigentlich von allen Parteien noch am wenigsten wollte, dass man durch eine solche Vorgehensweise von dem „großen Wurf“18 eines gänzlich neuen Strafgesetzbuchs abrückte, denn die einzelnen Beschlüsse des Sonderausschusses kamen nach eigenem Bekunden den strafrechtlichen Vorstellungen der Freien Demokraten durchaus entgegen19. Kurzum: Ab Ende der sechziger Jahre war den politischen Parteien der Bonner Republik nicht mehr daran gelegen, die Strafrechtsreform mit einem komplett neuen, auf dem E 1962 basierenden Strafgesetzbuch abzuschließen. Inner- und intraparteiliche strafrechtspolitische Meinungsverschiedenheiten hatten die notwendige politische Entschlussfreude in Sachen Totalreform zu sehr behindert. Erschwerend kam hinzu, dass die Beratungen von CDU/CSU, FDP und SPD im Sonderausschuss des Bundestages sehr viel Zeit in Anspruch nahmen und man sich im internen Meinungsbildungsprozess dieses Ausschusses inhaltlich mehr und mehr von den 14 ACDP, Pressearchiv, Alt 0/068/16, Strafrechtsreform (Bericht über die Sitzung des Arbeitskreises I für Allgemeine und Rechtsfragen am 9. 10. 1962) und oben unter E. III. 1. b). 15 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/1 (Schreiben des MdB Max Güde an den Vorsitzenden des Arbeitskreises für Allgemeine und Rechtsfragen der CDU/ CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag Dr. Bert Even vom 20. 6. 1968). 16 ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/1 (Auszugsweise Abschrift eines Schreibens der SPD-Parteiführung an den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag Dr. Rainer Barzel vom 21. 6. 1968). 17 ADL, Bestand FDP-Bundesparteitag, A 1-252 (Diskussion zur Strafrechtsreform auf dem FDP-Bundesparteitag vom 1. bis 3. 6. 1964 in Duisburg). 18 ADL, Bestand FDP-Bundesparteitag, A 1-252 (Diskussion zur Strafrechtsreform auf dem FDP-Bundesparteitag vom 1. bis 3. 6. 1964 in Duisburg). 19 ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A 40-788 (Kurzprotokoll der Sitzung der FDPBundestagesfraktion vom 12. 11. 1968).

II. Die Teilverwirklichung des E 1962 in späteren Reformen

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rechtlichen Vorschlägen des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs von 1962 gelöst hatte.20 Dieser hatte damit in der Bundesrepublik Deutschland keine politische Zukunft mehr. Mangels einer Realisierungschance des E 1962 erhielt daher das seit Beginn der Großen Koalition SPD-geführte Bundesministerium der Justiz von den politischen Parteien den Auftrag, den parlamentarischen Sonderausschuss in Zukunft bei der Erarbeitung konkreter Lösungsmöglichkeiten für eine sach- und zeitgerechte Teilreform des geltenden Strafgesetzbuchs zu unterstützen.21 Das Ergebnis waren insgesamt sechs Gesetze zur Reform des Strafrechts, die über mehrere Legislaturperioden verteilt entstanden und mit dem Ersten Strafrechtsreformgesetz vom 25. Juni 196922 ihren Anfang nahmen. Der Versuch, nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Unrechtsstaates und der Befreiung Deutschlands vom HitlerRegime im neuen, demokratischen Staat das alte Strafgesetzbuch durch eine komplett erneuerte Kodifikation abzulösen, war hiermit endgültig gescheitert. Wie einst die Reformentwürfe aus der Kaiserzeit und der Weimarer Republik sollte auch der Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 1962 niemals Gesetzeswirklichkeit werden.

II. Die Teilverwirklichung des E 1962 in späteren Reformen Dieses primär politisch bedingte Scheitern des E 1962 als Gesamtkonzept bedeutete jedoch nicht, dass dieser überhaupt keine Auswirkungen auf die weiteren strafrechtlichen Reformarbeiten gehabt hätte. So konnten sich etwa in den weiteren Beratungen des parlamentarischen Sonderausschusses zur Strafrechtsreform in dogmatischer Hinsicht einige Regelungen des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs von 1962 erfolgreich durchsetzen;23 beispielsweise gelangten mit dem Zweiten Strafrechtsreformgesetz24 die Normierungsvorschläge des E 1962 zu Täterschaft und Teilnahme in nahezu unveränderter Form in das heutige Strafgesetzbuch und auch die geltenden Irrtumsvorschriften sind jenem fast wörtlich entnommen. Hinsichtlich zahlreicher kriminalpolitischer Aspekte, zum Beispiel bei der Einführung einer einheitlichen Freiheitsstrafe und bei der Ausweitung der Geldstrafe, sowie die Entkriminalisierung des Sexualstrafrechts 20 S. hierzu auch den Vermerk in ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A 40-788 (Kurzprotokoll der Sitzung der FDP-Bundestagesfraktion vom 12. 11. 1968) sowie Holtz, Strafrechtsreformen, S. 72 – 92. 21 S. hierzu ADL, Bestand Emmy Diemer-Nicolaus, N 72-7 (Vorschläge des BMJ zur Fortführung der Strafrechtsreform vom 22. 9. 1967). 22 Erstes StrRG vom 25. 6. 1969, BGBl. 1969 I, Nr. 52, S. 645 – 682; näher zu diesem Gesetz aus zeitgenössischer Sicht Kunert, in: NJW 1970, S. 537 (537 – 545). 23 So auch schon pauschal LK-StGB/Weigend, Einl., Rn. 36; Scheffler, in: Vormbaum/Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 174 (211). 24 Zweites StrRG vom 4. 7. 1969, BGBl. 1969 I, Nr. 56, S. 717 – 742; näher zu diesem Gesetz aus zeitgenössischer Sicht Lackner, in: JR 1970, S. 1 (1 – 10).

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H. Das Nachleben des Entwurfs

betreffend ging aus den weiteren Verhandlungen zur Strafrechtserneuerung jedoch der Alternativ-Entwurf der Wissenschaftler als „Punktsieger“25 hervor. Mit einigem zeitlichen Abstand sollte aber im Jahr 1998 nochmals eine etwas stärkere Rückbesinnung des bundesdeutschen Gesetzgebers auf den zu diesem Zeitpunkt schon über 35 Jahre alten Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 1962 einsetzen, und zwar mit dem Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts, welches am 1. April 1998 in Kraft trat und vorwiegend zu Änderungen im Besonderen Teil führte26. Die sachlich und praktisch bedeutungsvollste Bezugnahme erfolgte dabei im Rahmen der Eigentumsdelikte, also vor allem beim Diebstahls-, Unterschlagungs- und beim Raubtatbestand, die gemäß den Vorschlägen der Großen Strafrechtskommission aus den fünfziger Jahren jeweils um die Variante der Drittzueignung erweitert wurden.27 Der Unterschlagungstatbestand sollte zudem nach dem Vorbild des Entwurfs von 1962 im Hinblick auf die Tathandlung weiter gefasst werden, indem das Besitz- und Gewahrsamserfordernis des § 246 StGB a. F. in der Neuregelung dieser Norm vollständig aufgegeben wurde.28 Weitgehend unreflektiert übernahm man aus dem Kodifikationsentwurf der Adenauer-Zeit im Rahmen des Sechsten Strafrechtsreformgesetzes darüber hinaus die Fassungsvorschläge für den neuen § 265 (Versicherungsmißbrauch), welche im objektiven und subjektiven Tatbestand eine erhebliche Erweiterung und infolgedessen eine deutliche Vorverlagerung der Strafbarkeit gegenüber dem bisherigen § 265 StGB a. F. (Versicherungsbetrug) brachten.29 Neben diesen Änderungen bei den Vermögensdelikten im weiteren Sinne erfolgte im Zuge der Reformgesetzgebung aber auch noch bei einigen anderen Tatbeständen des Besonderen Teils ein Rückgriff auf den Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 1962: Eine Anlehnung an dessen Ideen stellte etwa die grundlegende Neufassung des § 221 StGB (Aussetzung) durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts dar, die bezüglich ihrer Gliederung sowie der inhaltlichen Gestaltung des Grundtatbestands zu großen Teilen ein Abbild der entsprechenden Regelung des § 139 (Aussetzung) des E 1962 war.30 Der Sache nach ebenfalls am Entwurf von 25 So die Bewertung durch Scheffler, in: Vormbaum/Welp (Hg.), Das Strafgesetzbuch, Supplementband 1, S. 174 (211). 26 Sechstes StrRG vom 1. 4. 1998, BGBl. 1998 I, Nr. 6, S. 164 – 188; zu diesem sehr umstrittenen, oft kritisch beurteilten Gesetz Arzt, in: ZStW 111 (1999), S. 757 (insb. 779 – 784); Freund, in: ZStW 109 (1997), S. 455 (455 – 489); Kreß, in: NJW 1998, S. 633 (633 – 644). Ausführlich zum Rückgriff des Gesetzgebers auf den E 1962 im Sechsten StrRG Kosloh, Das Sechste Strafrechtsreformgesetz. 27 Hierzu auch Kosloh, Das Sechste Strafrechtsreformgesetz, S. 71 – 98; näher zu den Änderungen im Rahmen der Vermögensdelikte aus zeitgenössischer Sicht zudem Mitsch, in: ZStW 111 (1999), S. 65 (67 – 111). 28 Kosloh, Das Sechste Strafrechtsreformgesetz, S. 99 – 123; s. außerdem zu Einzelheiten den Beitrag von Duttge/Fahnenschmidt, in: ZStW 110 (1998), S. 884 (insb. 888 – 894). 29 Näher hierzu und mit kritischer Bewertung Kosloh, Das Sechste Strafrechtsreformgesetz, S. 125 – 161. 30 Eingehend Kosloh, Das Sechste Strafrechtsreformgesetz, S. 42 – 70; ebenfalls ausführlich zum geänderten Grundtatbestand des § 221 StGB Küper, in: ZStW 111 (1999), S. 30 (insb. 35 – 59).

II. Die Teilverwirklichung des E 1962 in späteren Reformen

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1962 orientiert war unterdessen die Tatbestandserweiterung des neu formulierten § 168 StGB (Störung der Totenruhe), und zwar in der Form, dass dieser Paragraph des Strafgesetzbuchs fortan neben der Zerstörung oder Beschädigung von Beisetzungs- auch Aufbahrungs- und öffentliche Totengedenkstätten erfassen sollte.31 Und schließlich stand der mehr als dreißig Jahre alte Gesetzentwurf aus der Ära Adenauer nochmals bei der Umarbeitung des § 316a StGB (Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer) durch das Sechste Strafrechtsreformgesetz Pate, indem seinem Muster zufolge im Grundtatbestand dieser Vorschrift die Worte „einen Angriff unternehmen“ durch „einen Angriff verüben“ ersetzt wurden.32 Diese an den E 1962 angelehnten Gesetzesänderungen durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts haben noch bis heute Bestand. Bis in unser geltendes Strafgesetzbuch sowie die aktuelle Strafrechtspraxis wirkt der Entwurf von 1962 also in mancher Hinsicht noch immer hinein. Im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung muss man angesichts der Tatsache, dass abseits der hier genannten einzelnen Anleihen des Reformgesetzgebers beim Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 1962 auch zahlreiche seiner Vorschläge, wie zum Beispiel die fortschrittliche Neugliederung des Besonderen Teils, nicht verwirklicht wurden, jedoch mit der neueren strafrechtlichen Kommentarliteratur letztendlich wohl konstatieren, dass „sein tatsächlicher Einfluss auf die Reformgesetzgebung […] bescheiden [blieb]“33.

31

Detailliert hierzu Kosloh, Das Sechste Strafrechtsreformgesetz, S. 163 – 178. Kosloh, Das Sechste Strafrechtsreformgesetz, S. 178 – 189; zur Geschichte und Reform des § 316a StGB auch näher Fischer, in: Jura 2000, S. 433 (433 – 442); kritisch zudem Jesse, in: JZ 2008, S. 1083 (1083 – 1092). 33 KK-StGB/Fischer, Einl., Rn. 5. 32

Abschließende Würdigung Versucht man eine rechtshistorische Bilanz der Bemühungen der frühen Bundesrepublik Deutschland um eine Gesamtreform des Strafrechts und ihres Endergebnisses, des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962, zu ziehen, so ergibt sich in der Summe ein vielschichtiges Bild: Während bislang in der Fachwelt über diesem Gesetzgebungsprojekt hauptsächlich der Eindruck steht, „mehr die Ernte aus den vorausgegangenen Jahrzehnten als neuer Weg“1 gewesen zu sein, zeichnet sich in der näheren Auseinandersetzung mit den verschiedenen juristischen, politischen sowie gesellschaftlichen Faktoren, welche den Kodifikationsentwurf prägten, ein facettenreiches Porträt ab; bisher unveröffentlichte Dokumente aus dem Bundesarchiv und den Archiven der politischen Parteien werfen auf manche Aspekte der strafrechtlichen Modernisierungsarbeiten der Ära Adenauer ein anderes Licht. Wie stellt sich also die Geschichte des Entwurfs aus heutiger Perspektive dar? Eine neue Akzentuierung ergibt sich bereits im Vorfeld der Reformarbeiten bezüglich der Initiative zum E 1962. Hier wird üblicherweise ausschließlich der FDPPolitiker und erste Bundesminister der Justiz Thomas Dehler (1897 – 1967) als Ideengeber genannt, welcher als Grundlage für weitere Beratungen wissenschaftliche Expertisen und rechtsvergleichende Gutachten zu zentralen strafrechtlichen Fragen in Auftrag gab. Unterschlagen wird dementsprechend meistens, dass auch die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag mit einem parlamentarischen Antrag zur Einberufung einer Expertenkommission aus dem Jahr 1951 schon frühzeitig wichtige Impulse zur Erneuerung des bundesdeutschen Strafgesetzbuchs setzte. Die Initiative zur Totalreform ging folglich sowohl von der mitregierenden FDP als auch von der oppositionellen SPD aus; die Strafrechtspolitik war in dieser Hinsicht gewissermaßen ein Präludium der späteren sozialliberalen Koalition im Bund. Richtet man den Fokus von der politischen Inangriffnahme als Nächstes auf die personelle Zusammenstellung der Großen Strafrechtskommission, so ist zu konstatieren, dass das Gremium aus gegenwärtiger Sicht höchst unvorteilhaft besetzt war. Infolge des Strebens des Justizministeriums nach Kontinuität zu früheren Reformen entstammten die meisten Repräsentantinnen und Repräsentanten einer älteren Generation, die nicht selten durch ihr Verhalten im Nationalsozialismus vorbelastet war. Hiermit verbunden stellt sich retrospektiv die Frage, welche der in dem Zirkel vertretenen Personen überhaupt für die Anfertigung des neuen Strafgesetz1 Zitat nach MdB Güde in der 230. Sitzung des V. Deutschen Bundestages am 7. 5. 1969, BT-Stenogr. Berichte, Bd. 70, S. 12717 (B). Stellvertretend für diese wissenschaftliche These Busch, Strafrechtsreform, S. 41 – 43; Holtz, Strafrechtsreformen, S. 210 – 212; Rüping/Jerouschek, Strafrechtsgeschichte, Teil 6 § 2 Rn. 318 f.

Abschließende Würdigung

201

buchs hätten nominiert werden dürfen. Ein formal klares Abgrenzungskriterium hierfür könnte die Zugehörigkeit zu Hitlers NSDAP sein, deren Anteil in der Strafrechtskommission nach derzeitiger Aktenlage bei fünfzig Prozent lag. Weil aber nicht jeder Parteigänger ein überzeugter Nationalsozialist war, wäre es in der Bewertung zu kurz gegriffen, sich ausschließlich auf dieses Merkmal zu stützen.2 Vielfach erfolgte die Mitgliedschaft in der NSDAP auch zu reinen Karrierezwecken; für die Bekleidung höherer Positionen in der Justiz oder Wissenschaft war sie oftmals schlichtweg Conditio sine qua non. Dies ändert freilich nichts an der moralischen Vorwerfbarkeit eines Beitritts zur Nationalsozialistischen Partei, es zeigt aber, dass dieser kein sicheres Kriterium für die tatsächliche politische Einstellung der jeweiligen Personen ist. Gleiches gilt sinngemäß auch für dienstliche Zeugnisse aus der NS-Zeit, die den Beurteilten eine „einwandfreie politische Haltung“ zum Führerstaat bescheinigten, denn sie finden sich in vergleichsweise vielen Akten und geben somit über die wahre Gesinnung des Einzelnen nur bedingt Auskunft. Ob ein Mitglied der Kommission über den zeitüblichen Umfang hinaus in einer besonders kritischen Weise durch den Nationalsozialismus vorbelastet und dadurch für die Beteiligung an den Reformarbeiten nach 1945 eigentlich disqualifiziert war, lässt sich deshalb nur durch eine wertende Gesamtbetrachtung klären. Diese führt zu dem Schluss, dass man vor allem die Personen, die zusätzlich zu ihrer bestehenden NSDAP-Mitgliedschaft noch führende Ämter in weiteren NS-Organisationen bekleidet oder stark ideologisch geprägte Schriften publiziert hatten, nicht in den Expertenkreis hätte berufen dürfen. Namentlich zu nennen sind hier insbesondere Fritz Czermak (1894 – 1966), Richard Lange (1906 – 1995), Edmund Mezger (1883 – 1962), Hans Welzel (1904 – 1977) und Alfred Resch (1890 – 1968). Zwar finden sich keinerlei Anzeichen dafür, dass diese Männer bei ihrer Arbeit in der Großen Strafrechtskommission über einen zuweilen distanzlosen Umgang mit der NS-Zeit hinaus dezidiert antidemokratische Rechtsansichten vertreten hätten,3 unbestreitbar ist jedoch, dass ein Verzicht auf diese stärker NS-belasteten Personen trotz generell begrenzter personeller Alternativen gerade bei der Reform eines für den jungen bundesdeutschen Rechtsstaat so essenziellen Gesetzbuchs wie des StGB vergangenheitspolitisch angemessen gewesen wäre. Einer gewissen Relativierung der bisherigen Einschätzung bedarf es sodann hinsichtlich des ersten juristischen Arbeitsergebnisses des Reformprozesses in Gestalt der Gesetzesvorschläge der Großen Strafrechtskommission. Im Großen und Ganzen ist es richtig, dass die Vertreterinnen und Vertreter in ihrem Entwurf vornehmlich zu einer behutsamen, konservativen Reform des Strafrechts tendierten, die häufig in einer kontinuierlichen Linie mit dem alten Reichsstrafgesetzbuch stand und 2

Ähnlich in ihren Bewertungen der NSDAP-Mitgliedschaft für die Personen des BMJ beziehungsweise der sog. „Kieler Schule“ auch schon Rückert, in: Görtemaker/Safferling (Hg.), Die Rosenburg, S. 60 (82); Wiener, Kieler Fakultät und „Kieler Schule“, S. 292 f. 3 Zu einem vergleichbaren Ergebnis hinsichtlich des Rechtsverständnisses der Beamten des BMJ in den frühen Jahren der Bundesrepublik kommt Rückert, in: Görtemaker/Safferling (Hg.), Die Rosenburg, S. 60 (86).

202

Abschließende Würdigung

von einem gemäßigten Wertkonservatismus, wie er sich etwa in der Dogmatik des Allgemeinen Teils wiederfand, bis hin zu verstärkt rückwärtsgewandten Ansichten reichte, wie sie beispielsweise in den illiberal gestalteten gemeinschädlichen Delikten zum Ausdruck kamen. Gesagt werden muss in diesem Zusammenhang jedoch auch, dass sich die Kommission mit ihrer Haltung nicht selten im Fluss des allgemeinen Rechtsdenkens der fünfziger Jahre bewegte; paradigmatisch hierfür ist die kriminalpolitische Entscheidung zugunsten der primär vergeltenden Vereinigungstheorie als strafrechtliches Abbild einer damals generell aktuellen Naturrechtsrenaissance4. Und ebenfalls nicht unerwähnt bleiben darf schließlich, dass sich die Mitglieder des Expertenzirkels daneben in einigen Punkten für einen durchaus innovativen juristischen Weg entschieden, zum Beispiel bei der Einführung des Tagesbußensystems im Rahmen der Geldstrafe, der Liberalisierung des Abtreibungsrechts sowie der völligen Neugliederung des Besonderen Teils. Letztere wird sogar bis heute als wesentlicher Fortschritt des E 1962 gegenüber dem geltenden Strafgesetzbuch anerkannt. In der Gesamtschau ist der Gesetzentwurf in seiner Fassung durch die Große Strafrechtskommission deshalb am ehesten als eine Vereinigung von grundsätzlicher Restauration und punktueller Modernisierung anzusehen. Als typisches Produkt der politisch-juristischen Interimsphase der Ära Adenauer5 machte er neben einem generellen strafrechtlichen Blick zurück zugleich einige vorsichtige Schritte nach vorn. Für die in der juristischen Forschung bislang meist völlig vernachlässigten rechtspolitischen Faktoren ist unterdessen als Erstes festzustellen, dass die verschiedenen Bundesministerien und die zehn westdeutschen Bundesländer den in der Rechtswissenschaft vielfach kritisierten Konservatismus des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 zu einem entscheidenden Prozentsatz mitzuverantworten haben. Denn abseits vereinzelter Gegenbeispiele befürworteten sie im Allgemeinen ein restaurativ beziehungsweise streng gestaltetes neues Strafgesetzbuch und nutzten ihre vielen Mitwirkungsmöglichkeiten im Gesetzgebungsverfahren größtenteils dafür, die Kodifikationsvorschläge der amtlichen Strafrechtskommission in dieser Richtung sogar noch weiter zu verschärfen. Federführend war hierbei in erster Linie das Bundesministerium der Justiz, welches aus seiner Schlüsselstellung als technischer Organisator und zugleich aktiver, einflussreicher Mitgestalter des Verlaufs der

4 Allgemein zur Rechtsentwicklung in den frühen Jahren der Bundesrepublik s. Diestelkamp, in: Herbst (Hg.), Westdeutschland 1945 – 1955, S. 85 (85 – 105); speziell zur Naturrechtsrenaissance zeitgenössisch Wieacker, in: JZ 1961, S. 337 (337 – 345); zur Naturrechtsrenaissance in der höchstrichterlichen Rechtspraxis prägend Weinkauff, in: NJW 1960, S. 1689 (1689 – 1696). 5 Zu der Einschätzung, dass man in den frühen Jahren der Bundesrepublik Deutschland zwischen Restauration und Neubeginn stand, kommt für das BMJ auch Safferling, in: Görtemaker/Safferling, Die Rosenburg, S. 169 (169 f.); ähnlich für die Juristische Germanistik als Wissenschaft vom einheimischen Privatrecht außerdem F. Schäfer, Juristische Germanistik, S. 672 – 677.

Abschließende Würdigung

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gesetzlichen Erneuerungsbemühungen heraus besonders intensiv auf eine Reform hinarbeitete, „die […] mehr konservative als revolutionäre Züge tragen“6 sollte. Eine im Grundsatz ähnlich zu bewertende rechtliche Interessenlage ergab sich außerdem in weiten Kreisen der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Viele Gruppen aus der juristischen und der fachfremden Öffentlichkeit hatten zum Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre vornehmlich autoritär-traditionelle Strafrechtsvorstellungen, die sich insbesondere in der wiederkehrenden Forderung nach scharfen Strafen ausdrückten. Nochmals gesondert unter jenen hervorzuheben ist die katholische Kirche, welche sehr machtbewusst auf ein religiös fundiertes Abtreibungs- und Sittenstrafrecht hindrängte, sodass die intoleranten Regelungen des E 1962 auf diesem Gebiet zu einem guten Teil als ihr Werk angesehen werden müssen. Einige Gegenstimmen aus der deutschen Bevölkerung, die diesen strafrechtlichen Kurs gerade angesichts einer in der Gesellschaft zunehmend liberaleren Sexualmoral nachdrücklich kritisierten, gab es zwar ebenso, sie waren damals jedoch insgesamt noch zu schwach, um die Bestrebungen zur Schaffung eines neuen Strafgesetzbuchs in einem nennenswerten Umfang zu beeinflussen und ihnen dadurch eine stärker freiheitsorientierte Wendung zu geben, die aus heutiger Perspektive wünschenswert gewesen wäre. Fragt man weiter nach dem Einfluss der politischen Parteien auf den Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962, so ist diesbezüglich festzuhalten, dass die typischen Gesetzmäßigkeiten des Politikbetriebs ähnlich wie Zentrifugalkräfte auf den Entscheidungsprozess zur Strafrechtserneuerung wirkten und ihn dadurch wesentlich hemmten. Sehr weit auseinanderliegende, geradezu diametrale rechtliche Auffassungen machten eine interparteiliche beziehungsweise interfraktionelle Konsensbildung in hohem Maße schwierig.7 Während CDU und CSU mehrheitlich für ein strenges, konservatives und durchaus auch religiös fundiertes Strafrecht in der Tradition des Reichsstrafgesetzbuchs standen, wünschte sich die SPD hingegen ein revolutionär neues, natur- sowie sozialwissenschaftlich begründetes Resozialisierungsstrafrecht, welches sich zudem auf einen möglichst knappen Deliktskatalog beschränken sollte. Die FDP als dritter politischer Akteur positionierte sich unterdessen mit der Befürwortung einer primär vergeltenden Vereinigungstheorie kriminalpolitisch-straftheoretisch auf Seiten der CDU/CSU, hinsichtlich des Besonderen Teils folgte sie aber eher der Forderung der SPD nach einem freiheitlichen strafrechtlichen Minimalprogramm. Um diese Meinungsunterschiede zu überwinden, hätte es über die Parteigrenzen hinweg eines starken politischen Handlungswillens in Sachen Strafrechtsreform bedurft. Diesen wies jedoch keine der beiden großen Volksparteien auf. Christdemokraten sowie Christsoziale hatten parteiintern immer wieder Differenzen über ihren strafrechtlichen Kurs, sodass es ihnen an der 6

BArch, B 141/17229, S. 73 (Ministerialdirektor Schafheutle in einer Besprechung im BMJ am 1. 2. 1954). 7 S. zum Ganzen auch die überblicksartigen politikwissenschaftlichen Ausführungen bei Holtz, Strafrechtsreformen, S. 212 – 214.

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Abschließende Würdigung

erforderlichen Geschlossenheit bezüglich des Gesetzgebungsvorhabens fehlte. Die Sozialdemokraten fürchteten dagegen, ihre radikal liberalen Rechtsansichten von der Oppositionsbank aus nicht wirklich durchsetzen zu können. Und die Freien Demokraten sollten mit fortlaufender Beratungsdauer immer mehr von dem einst von ihnen selbst maßgeblich mitinitiierten Kodifikationsentwurf Abstand nehmen. Um zügig zu einer Verabschiedung eines neuen Strafgesetzbuchs auf Grundlage des E 1962 zu kommen, gab es mithin keine ausreichende politische Basis. Stattdessen ging der Wille der im Bundestag vertretenen Parteien im Laufe der Zeit verstärkt dahin, dieses Projekt zu verschieben. Im Ergebnis blieb es deshalb bei dem Weg einer Teil- statt einer Gesamtreform des deutschen Strafrechts. Für die Geschichte des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 muss man damit insgesamt konstatieren, dass diese gut fünfzig Jahre nach dessen Erscheinen zwar nicht gänzlich umgeschrieben zu werden braucht, sie bedarf jedoch an einigen Stellen einer gewissen Korrektur, einer näheren Präzisierung oder einer Ergänzung um neue rechtshistorische Einsichten. Ist folglich retrospektiv auch eine veränderte Sicht auf das Scheitern dieses Gesetzgebungsvorhabens der frühen Bonner Republik geboten? Erkennbar ist diesbezüglich zumindest, dass der ausgebliebene Erfolg der strafrechtlichen Modernisierungsbestrebungen der Adenauerzeit nicht monokausal mit der rechtlichen Gestaltung des Gesetzentwurfs durch die Große Strafrechtskommission begründet werden kann, denn der Richtung nach entsprach seine Konzeption durchaus den Vorstellungen, welche auch weite Teile der deutschen Politik und Gesellschaft während der fünfziger Jahre von einer rechtsstaatlichen Strafrechtskodifikation hatten. Problematisch für das weitere Schicksal des E 1962 ist vielmehr gewesen, dass ihn CDU/CSU, FDP und SPD aus taktischen Gründen so lange in die politische Warteschleife rückten, bis er schließlich in der veränderten gesellschaftlich-politischen Atmosphäre um den Jahrzehntwechsel 1960/1970 keine Realisierungschance mehr hatte. Seit sich Anfang der sechziger Jahre erste Veränderungen in der Gesellschaftsordnung hin zur Bewegung von 1968 und hin zur sozialliberalen Koalition gezeigt hatten, stellten diese den unter einem eher konservativen Zeitgeist entstandenen Entwurf zunehmend infrage; mit den wachsenden modern-liberalen Strömungen fehlte es an der nötigen „Übereinstimmung von Sein und Gesetz“8, besonders im Bereich des Sexualstrafrechts. Rechtshistorisch betrachtet fügt sich dieser Befund gut in das geschichtswissenschaftliche Konzept der „langen 1960er“ ein, welches die Wendejahre 1968/1969 in einen längeren Prozess sozialen Wandels eingebettet sieht.9 Mit Blick auf den Kodifikationsvorschlag selbst 8

Hohler, in: NJW 1969, S. 1225 (1225); ähnlich auch Schroeder, in: JZ 1970, S. 393 (394). Zum Begriff der „langen 1960er“ kulturhistorisch Schmidt-Gernig, in: Gerhardt (Hg.), Zeitperspektiven: Studien zur Kultur und Gesellschaft, S. 305 (311); zur Bedeutung dieses Konzepts für die Privatrechtsgeschichte nach 1945 F. Schäfer, Playground of Ideologists? Family Law in West Germany after 1968, in: Janicka (Hg.), Tagungsband VIII. Rechtshistorikertag im Ostseeraum, 3. bis 6. September 2015, im Druck; allgemeinhistorisch zum sozialen 9

Abschließende Würdigung

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bleibt indes festzuhalten, dass dieser hiermit seine Legitimationsgrundlage verlor. Aus heutiger Perspektive war es daher vorzugswürdig, den Plan einer Totalreform auf Basis des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 zu verwerfen und stattdessen eine zeitgemäße Modernisierung des bundesdeutschen Strafrechts durch Novellen anzustreben.

Wandel in den 1960ern ausführlich Schildt/Siegfried/Lammers (Hg.), Dynamische Zeiten: Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften.

Anhang I. Chronologie der Strafrechtsreform in der frühen Bundesrepublik Deutschland 1950: Der Bundesjustizminister Thomas Dehler kündigte im Deutschen Bundestag erstmals eine Totalreform des bundesdeutschen Strafrechts an. 1951: Die SPD-Bundestagsfraktion stellte einen parlamentarischen Antrag zur Einberufung einer Expertenkommission. 1953 – 1954: Als Vorbereitung zu einem Gesetzentwurf wurden wissenschaftliche Gutachten zu zentralen strafrechtlichen Fragen sowie rechtsvergleichende Expertisen angefertigt. 1954 – 1959: Die Große Strafrechtskommission beriet in 22 Arbeitstagungen über die rechtliche Gestaltung des zukünftigen Strafgesetzbuchs. 1958: Es erschien der E 1958 als Zusammenstellung der Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission zum Allgemeinen Teil nach erster Lesung. 1959: Basierend auf den Beschlüssen der Großen Strafrechtskommission in erster Lesung wurde der E 1959 I als erster Gesamtentwurf eines neuen Strafgesetzbuchs erstellt. 1959: Unter Berücksichtigung der Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission in zweiter Lesung sowie der Änderungsbegehren der verschiedenen Bundesministerien entstand der modifizierte E 1959 II. 1959 – 1962: In einer eigenen Kommission berieten die Bundesländer über Änderungen und Ergänzungen zu den bisherigen Gesetzesvorschlägen. 1960: Unter Einarbeitung der vorläufigen Beratungsergebnisse der Länderkommission wurde der E 1960 zusammengestellt und der Bundesregierung vorgelegt. 1960: Der E 1960 war am 28. Oktober erstmals Beratungsgegenstand im Bundesrat, der ihn zunächst ohne weitere Stellungnahme passieren ließ. 1962: Nach den Bundestagswahlen im August 1961 griff die neu gebildete Bundesregierung den E 1960 wieder auf, welcher fortan als E 1962 bezeichnet wurde. 1962: Der Bundesrat diskutierte am 13. Juli nunmehr ausführlich über den Entwurf für ein neues Strafgesetzbuch und ließ ihn ohne Gegenstimmen passieren. 1963: Der Deutsche Bundestag beriet am 28. März in erster Lesung über den E 1962 und überwies ihn an den Rechtsausschuss, welcher zunächst einen Unter- und später einen Sonderausschuss zur Strafrechtsreform bildete. 1963 – 1965: Der Sonderausschuss des Bundestages nahm seine Beratungen auf; hierbei wurde zunächst der Allgemeine Teil des Strafrechts behandelt.

II. Übersicht zu den amtierenden Bundesregierungen

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1966: Nach der Bundestagswahl im September 1965 wurde der sachlich unveränderte E 1962 am 13. Januar vom Deutschen Bundestag verabschiedet und wieder an den Sonderausschuss für die Strafrechtsreform überwiesen. 1966: Der Alternativ-Entwurf (AE) der Strafrechtsprofessorinnen und Strafrechtsprofessoren wurde veröffentlicht. 1966 – 1969: Der Sonderausschuss des Deutschen Bundestages setzte seine Beratungen zur Strafrechtsreform unter Berücksichtigung des E 1962 sowie des AE fort. 1969: Am 25. Juni erschien als Ergebnis der Beratungen im Sonderausschuss das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts, dem in den nächsten Legislaturperioden weitere vier Strafrechtsreformgesetze folgen sollten.

II. Übersicht zu den während der Reformarbeiten amtierenden Bundesregierungen 1949 – 1953: Regierungskoalition aus CDU/CSU, FDP und DP. 1953 – 1957: Regierungskoalition aus CDU/CSU, FDP, DP und GB/BHE. 1957 – 1961: Regierungskoalition aus CDU/CSU, DP; ab 1960 Alleinregierung der CDU/CSU. 1961 – 1965: Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP. 1965 – 1966: Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP. 1966 – 1969: Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD.

III. Übersicht zu den während der Reformarbeiten amtierenden Bundesjustizministern 1949 – 1953: Thomas Dehler (1897 – 1967), FDP. 1953 – 1956: Fritz Neumayer (1884 – 1973), FDP. 1956 – 1957: Hans-Joachim von Merkatz (1905 – 1982), DP. 1957 – 1961: Fritz Schäffer (1888 – 1967), CSU. 1961 – 1962: Wolfgang Stammberger (1920 – 1982), FDP. 1962 – 1965: Ewald Bucher (1914 – 1991), FDP. 1965 – 1965: Karl Weber (1898 – 1985), CDU. 1965 – 1966: Richard Jaeger (1913 – 1998), CSU. 1966 – 1969: Gustav Heinemann (1899 – 1976), SPD.

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Anhang

IV. Übersicht zur Beteiligung an den Beratungen der Großen Strafrechtskommission1 Professoren

Praktiker

BMJ

MdB

Anzahl der Wortbeiträge zum Allgemein Teil

1025

836

768

51

Anzahl der Wortbeiträge zum Besonderen Teil

1599

2138

1998

140

Anzahl der Wortbeiträge zur zweiten Lesung

768

925

779

60

Anzahl der Wortbeiträge insgesamt

3392

3899

3545

251

Anzahl der Referate bzw. Stellungnahmen

38

36

410

0

1

Die folgenden Angaben beruhen auf einer Auszählung des Autors zu den Diskussionsbeiträgen der einzelnen Mitglieder in den Beratungen der Großen Strafrechtskommission. Als Quelle dienten hierfür die Niederschriften der Strafrechtskommission, Bd. 1 – 14. Geringfügige Abweichungen der tatsächlichen Werte von den hier ermittelten Gesamtwerten sind dabei nicht gänzlich auszuschließen.

Quellenverzeichnis I. Veröffentlichte Quellen Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuchs (AE), Tübingen 1966 – 1970, zugleich BT-Drucks. V/2285. Bericht des Sonderausschusses „Strafrecht“ über die Beratung des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs (StGB) E 1962, Bonn 1965, zugleich BT-Drucks. IV/650. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd. 4 (1951), Bd. 7 (1954) und Bd. 8 (1955), hg. von Friedrich Kahlenberg / Hans Booms, Boppard 1988 – 1997. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd. 13 (1960), hg. von Hartmut Weber, München 2003. Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1959 (E 1959 I), Bonn 1959. Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1959 (E 1959 II), Bonn 1959. Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1960 (E 1960), Bonn 1960, zugleich BT-Drucks. III/2150. Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 (E 1962), Bonn 1962, zugleich BT-Drucks. IV/650. Kurzprotokolle der Tagungen des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer, Bd. 1 – 5, hg. von der Bundesrechtsanwaltskammer, Bonn 1947 – 1969. Materialien zur Strafrechtsreform, Bd. 1 – 5, hg. von der Bundesrepublik Deutschland, Bundesminister der Justiz, Bonn 1954 – 1955. Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 1 – 14, hg. von der Bundesrepublik Deutschland, Große Strafrechtskommission, Bonn 1956 – 1960. Niederschriften über die Tagungen der Länderkommission für die Große Strafrechtsreform, Bd. 1 – 17, hg. von der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1959 – 1962. Protokolle der Kommission für die Reform des Strafgesetzbuchs (1911 – 1913), Bd. 1 – 4, hg. von Werner Schubert, Frankfurt am Main 1990. Protokolle des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform V. Wahlperiode, erstellt vom Stenographischen Dienst des Deutschen Bundestages, Bonn 1966 – 1968. Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts II. Abteilung: NS-Zeit (1933 – 1939), Bd. 1.2, hg. von Jürgen Regge / Werner Schubert, Berlin 1990. Reform des Strafgesetzbuchs, Sammlung der Reformentwürfe, Bd. 1 (1909 – 1919) und Bd. 2 (1922 – 1939), hg. von Thomas Vormbaum / Kathrin Rentrop, Berlin 2008. Statistik der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 110 (Die Kriminalität in den Jahren 1950 und 1951), hg. vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden, Stuttgart/Köln 1955.

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Quellenverzeichnis

Statistik der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 129 (Die Kriminalität in den Jahren 1952 und 1953), hg. vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden, Stuttgart/Köln 1955.

II. Unveröffentlichte Quellen 1. Archiv der sozialen Demokratie (Bonn) AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 2. Wahlperiode, Signatur 125. AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 220. AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 222. AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 3. Wahlperiode, Signatur 314. AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 360. AdsD, SPD-Bundestagsfraktion 4. Wahlperiode, Signatur 413. AdsD, SPD-Parteivorstand, Signatur 2/PVCG000002. AdsD, SPD-Parteivorstand, Signatur 2/PVCG000003. 2. Archiv des Liberalismus (Gummersbach) ADL, Bestand Emmy Diemer-Nicolaus, N 72-7. ADL, Bestand Erich Mende, A 31-117. ADL, Bestand Erich Mende, A 31-140. ADL, Bestand Erich Mende, A 31-47. ADL, Bestand FDP-Arbeitskreis Innenpolitik, 767. ADL, Bestand FDP-Bundesparteitag, A 1-195. ADL, Bestand FDP-Bundesparteitag, A 1-213. ADL, Bestand FDP-Bundesparteitag, A 1-252. ADL, Bestand Paul Luchtenberg, N 113-10. ADL, Bestand Schnelldienst, D 2-1305. ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-1362. ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-1698. ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-1865. ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-1891. ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-1902. ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-2520. ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-2706. ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267. ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3267.

II. Unveröffentlichte Quellen ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3274. ADL, Bestand Thomas Dehler, N 1-3466. ADL, Bestand Walter Erbe, N 4-6. ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A 24-18. ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A 40-782. ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A 40-788. 3. Archiv für Christlich-Demokratische Politik (St. Augustin) ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-001-040/1. ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-001-332/1. ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-001-1009/2. ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-001-1503/1. ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/1. ACDP, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 08-002-047/2. ACDP, Nachlass Elisabeth Schwarzhaupt, 01-048-014/1. ACDP, Nachlass Elisabeth Schwarzhaupt, 01-048-015/2. ACDP, Nachlass Marie Elisabeth Klee, 01-654-16/2. ACDP, Nachlass Werner Hofmeister, 01-395-093/4. ACDP, Pressearchiv, Alt 0/002-I, Strafrechtsreform. ACDP, Pressearchiv, Alt 0/068/16, Strafrechtsreform. ACDP, Teilnachlass Richard Jaeger, 01-108-007/1. 4. Bayerisches Hauptstaatsarchiv (München) BayHStA, MJu 25921. BayHStA, MJu 25954. 5. Bundesarchiv (Berlin-Lichterfelde) BArch (ehem. BDC), DS/VBS 307/Nr. 8200002007. BArch (ehem. BDC), Ortskartei der NSDAP. BArch (ehem. BDC), PK/VBS 1/Nr. 1080012332. BArch (ehem. BDC), PK/VBS 1/Nr. 1200003096. BArch (ehem. BDC), Zentralkartei der NSDAP. BArch, R 3001/114857. BArch, R 3001/11933. BArch, R 3001/52039. BArch, R 3001/56807. BArch, R 3001/61994.

211

212

Quellenverzeichnis

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II. Unveröffentlichte Quellen

213

BArch, B 141/17262. BArch, B 141/17281. BArch, B 141/17284. BArch, B 141/17286. BArch, B 141/17287. BArch, B 141/17289. BArch, B 141/17298. BArch, B 141/17309. BArch, B 141/82158. BArch, B 141/83247. BArch, B 141/83264. BArch, Pers 101/39773. BArch, Pers 101/39774. BArch, Pers 101/39859. BArch, Pers 101/39860. BArch, Pers 101/39934. BArch, Pers 101/39935. BArch, Pers 101/40030. BArch, Pers 101/48135. BArch, Pers 101/48845. BArch, Pers 101/48847. 7. Hessisches Hauptstaatsarchiv (Wiesbaden) HHStAW, Abt. 505/Nr. 3000. 8. Landesarchiv Berlin (Berlin-Reinickendorf) LArch Berlin, Sign. B Rep. 068/Nr. 1347. LArch Berlin, Sign. B Rep. 068/Nr. 1348. LArch Berlin, Sign. B Rep. 068/Nr. 1349. LArch Berlin, Sign. B Rep. 068/Nr. 1350. 9. Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages (Berlin-Tiergarten) PA-DBT, 3001 1. WP, Entschließung der SPD-Bundestagsfraktion im I. Deutschen Bundestag vom 7. 4. 1951, Umdruck Nr. 130.

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Quellenverzeichnis 10. Schreiben an den Autor

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III. Internetquellen http://www.koeblergerhard.de/weristwer.htm, Abruf vom 5. 6. 2015. http://www.koeblergerhard.de/werwarwer.htm, Abruf vom 5. 6. 2015. http://www.zeit.de/1962/40/pedantisch-verstaubt-und-etwas-verlogen, Abruf vom 20. 6. 2014.

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Personenverzeichnis Adenauer, Konrad 20, 22 f., 118 Arndt, Adolf 31, 46 Baldus, Paulheinz 45 f., 69 f., 82, 87, 98, 104 Bauer, Fritz 151, 176, 183 Baumann, Jürgen 17, 176, 181, 183, 186 Birkmeyer, Karl von 26 Bockelmann, Paul 53 – 55, 99, 104 Brauneck, Anne-Eva 186 Bucher, Ewald 34 f., 176 Calker, Fritz von 26 Czermak, Fritz 51 f., 201 Dahs, Hans 45, 68 f., 79, 87 f., 91 Dehler, Thomas 18, 29 – 32, 34, 36, 41, 119, 142, 145, 148, 200 Diemer-Nicolaus, Emmy 79, 102 Dreher, Eduard 81 f., 88, 98, 121 Dünnebier, Hanns 79, 120, 182 Ebermayer, Erich 167 Erhard, Ludwig 22 Flehinghaus, Otto 126, 129 Frank, Hans 67 Frank, Reinhard 26 Fränkel, Wolfgang 79 Gallas, Wilhelm 54 – 56, 82, 87, 92 f. Globke, Hans 21 Goldschmidt, James 27 Güde, Max 134, 137 f. Hanack, Ernst-Walter 186 Heuss, Theodor 22 Hippel, Robert von 26 Hofmeister, Werner 132 Hoogen, Matthias 48, 50, 79

Jäger, Herbert 167 Jescheck, Hans-Heinrich 98, 182

46, 56 f., 93, 96 –

Kahl, Wilhelm 26 f. Kant, Bruno 63 f. Kaufmann, Arthur 186 Klee, Marie Elisabeth 132 Klug, Ulrich 186 Koffka, Else 71 f., 79, 82, 98, 102 f. Kohlrausch, Eduard 53, 57, 72 Krille, Herbert 64 f., 87, 90 f., 94 f., 106, 120, 124 Lackner, Karl 109, 121 Lampe, Ernst-Joachim 186 Lange, Richard 57, 59, 82, 97 f., 201 Lenckner, Theodor 186 Lilienthal, Karl von 26 f. Liszt, Franz von 25, 27, 29, 60 f., 85, 90, 92 Löffler, Alexander 97 Lübke, Heinrich 23 Maihofer, Werner 186 Mannheim, Hermann 182 Maurach, Reinhart 37 Mayer, Rupert 67 Merkatz, Hans-Joachim von 52 f., 87 Mezger, Edmund 37, 42, 59 f., 84 – 87, 93, 97 f., 201 Neumayer, Fritz 41, 80, 99 Nieberding, Rudolf Arnold 26 Niethammer, Emil 43, 72 f., 79, 87 Noll, Peter 186 Radbruch, Gustav 97 Rehs, Reinhold 49 f., 52, 87, 91 Resch, Alfred 66 – 68, 87 – 89, 201 Richter, Hans 43, 73 f., 79

Personenverzeichnis Rösch, Walther 65 f., 120 Roxin, Claus 186 Schäfer, Karl 43, 46, 75 f., 92 f. Schäffer, Fritz 107, 126 Schafheutle, Josef 40, 42, 81 f., 93, 101, 121 Schmidt, Eberhard 30, 37, 43, 46, 60 f., 82, 84 f., 87, 89, 91 f., 94 f., 102 f., 188 Schmitt, Rudolf 186 Schneider, Ludwig 50, 79 Schneidewin, Karl 37, 43 Schröder, Horst 37 Schroeder, Friedrich-Christian 20 Schultz, Hans 186 Schwalm, Georg 90, 93 Schwarzhaupt, Elisabeth 79, 132, 134 Seuffert, Hermann 26 Sieverts, Rudolf 79, 104 Skott, Alfred 43, 76 f., 79

233

Stackelberg, Curt Ferdinand Freiherr von 79, 91 Staff, Curt 87 – 89 Stammberger, Wolfgang 145 Stratenwerth, Günter 186 Strauß, Franz Josef 24, 114 Strauß, Walter 40, 46, 81 f. Stree, Walter 186 Tröndle, Herbert

121

Wach, Adolf 26 Weber, Hellmuth von 42 Weinkauff, Hermann 45 Welzel, Hans 43, 61 – 63, 97, 183, 201 Wiechmann, Carl 70 f., 79 Wilkerling, Joachim 79, 120 Winter, Friedrich 137 f. Zinn, Georg August

63, 129

Sachwortverzeichnis Alternativ-Entwurf 149, 186 – 189, 198 Arbeiterwohlfahrt 168 Arbeitsgemeinschaften sozialdemokratischer Juristen 150 Bettelei 102 – 104, 117, 123, 125 Bund der Strafvollzugsbediensteten 165, 179 Bundeskabinett 118 Bundesländer 19, 119, 121 – 123, 125 f., 128, 130, 159, 202 Bundesministerium der Finanzen 113 f. Bundesministerium der Justiz 19, 32, 36 f., 40, 44, 46, 56, 71, 82, 84, 93 f., 100, 106 – 108, 110 – 113, 118, 121, 126 f., 145, 167, 194, 197, 202 Bundesministerium der Verteidigung 114 Bundesministerium des Innern 113, 116 Bundesministerium für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder 112 Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen 115 Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte 112 Bundesministerium für Wohnungsbau 112 Bundesrat 31, 119, 126 f., 129 f., 145, 160, 168 Bundesrepublik 17, 19 f., 23 – 25, 29, 31, 36, 48, 55, 58, 71, 74, 77, 91, 100, 114, 120, 150, 159, 170, 173, 175, 181, 184, 186, 189, 191 f., 195, 197, 200 Bundestag 17, 19, 30 f., 34, 40, 46, 48 – 50, 52 f., 136 f., 139, 141, 145 f., 148 f., 157 f., 161, 177, 189, 195, 200, 204 CDU/CSU 22, 48, 50, 83, 130 f., 135 – 137, 139 – 141, 145 f., 150, 160, 195 f., 203 f. DDR 189 f. DP 52 f.

Ehebruch 111, 115, 133, 135, 140, 149, 157, 173, 176, 192 Eichholzer Tagung 133 – 137, 172 Einheitsstrafe 155, 166, 187 Einheitstätersystem 90 f., 94 Entwurf Gürtner 28 Entwurf Kahl 27 Entwurf Radbruch 18, 27, 103 Erfolgsqualifizierte Delikte 95 – 99, 105 Evangelische Kirche 170, 173 f. FDP 18, 29, 41, 50, 52, 79, 102, 107, 109, 130, 137, 142 – 150, 157, 159 f., 162, 172, 188 f., 195 – 197, 200, 203 f. Fernsehstreit 23 GB/BHE 51 f. Gesamtverband der Versicherungswirtschaft 168 Grundgesetz 21, 101, 184, 190 Gutachten der Strafrechtslehrer 36 f., 120 Homosexualität 106, 115 f., 135 f., 155, 157, 159, 164 f., 167, 171, 174, 177, 179, 184, 192 Katholische Kirche 135, 171 – 173, 178, 203 Kriminalbeamte 164 f. Kuppelei 108, 111 f., 115, 165, 170, 192 Länderkommission 65, 119 – 128, 130, 160 Landstreicherei 102 – 104, 117, 125 Maßregeln

32 f., 126, 153, 181, 186

Novellengesetzgebung 29, 137, 158, 196 NSDAP 48 – 52, 54 – 56, 58 – 60, 62 – 67, 69 – 75, 78, 82, 201

Sachwortverzeichnis Präsidentschaftskrise 22 Preußisches Strafgesetzbuch Prostitution 102, 112

90, 102

Rechtsanwaltschaft 42, 45, 47, 68, 79, 88, 163 f., 179 Rechtssicherheit 34 f., 89, 106 Rechtsvergleichende Arbeiten 38 f. Reichsjustizamt 27 Reichsstrafgesetzbuch 25 f., 90, 102, 105 f., 123, 154, 163, 182, 191, 201 Reichstag 27 Resozialisierungsstrafrecht 143, 152 – 154, 203 Richterbund 42, 45, 66, 162 f., 165, 168, 178 SA 49, 51, 56, 78 Sanktionssystem 32, 187 Schuldprinzip 85 f., 132, 165 Schutz- und Erziehungsstrafrecht 154 Schwangerschaftsabbruch 118, 133 f., 140, 144, 149, 159, 167, 171, 179 Sechstes StrRG 198 Sittlichkeitsdelikte 105, 133, 136, 139, 141, 147, 149, 161, 164, 177 – 179, 184, 188, 192, 195 Sonderausschuss 194 – 197 SPD 31 f., 40, 49 f., 52, 65, 125, 130, 141, 150 – 160, 168, 179, 188, 195 – 197, 200, 203 f. Spiegel-Affäre 22 – 24, 147 SS 59 f., 67, 78 Strafrechtsausschuss der Rechtsanwaltskammern 45, 163 f.

235

Strafrechtskommission 18 f., 26 f., 31, 36, 40 – 48, 50, 53, 61, 63 f., 68 f., 71 – 73, 76 – 110, 112, 115, 117 – 121, 125, 131 f., 134, 145, 151 f., 155, 159, 167, 171, 175, 183, 186 – 188, 191, 198, 200 – 202, 204, 208 Sühne 85 – 87, 132, 183, 186 Systematik des Besonderen Teils 37, 99 f., 105 f., 181, 190 Tagespresse 175 f., 179 Täterschaft und Teilnahme 96, 197 Übertretungen 33, 102 Unzüchtige Schaustellungen

38, 55, 89 – 91,

124

Vereinigung der Berufsverbände der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter 168, 170, 178 Vereinigungstheorie 87, 89, 105, 138, 146, 163, 179, 181 f., 191, 202 f. Vergeltungsgedanke 25, 37, 84, 87, 153, 183 Verzögerungstaktik 158 f. Weimarer Republik 153, 197

27, 73 f., 78, 103, 124,

Zentralausschuss der Deutschen Binnenschifffahrt 169 Zuchthausstrafe 148, 164 Zweispurigkeit 27, 187 Zweites StrRG 197