Aus der Werkstatt römischer Juristen: Vorträge der Europäisch-Ostasiatischen Tagung 2013 in Fukuoka. (Abt. A: Abhandlungen zum Römischen Recht und zur Antiken Rechtsgeschichte) [1 ed.] 9783428543984, 9783428143986

Im März 2013 fand in Fukuoka, Japan, das internationale Kolloquium »Interpretation und Umfeld historischer Quellen des r

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Aus der Werkstatt römischer Juristen: Vorträge der Europäisch-Ostasiatischen Tagung 2013 in Fukuoka. (Abt. A: Abhandlungen zum Römischen Recht und zur Antiken Rechtsgeschichte) [1 ed.]
 9783428543984, 9783428143986

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Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 75 Abt. A: Abhandlungen zum Römischen Recht und zur Antiken Rechtsgeschichte

Aus der Werkstatt römischer Juristen Vorträge der Europäisch-Ostasiatischen Tagung 2013 in Fukuoka Herausgegeben von Ulrich Manthe Shigeo Nishimura Mariko Igimi

Duncker & Humblot · Berlin

Aus der Werkstatt römischer Juristen

Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.

Neue Folge · Band 75 Abt. A: Abhandlungen zum Römischen Recht und zur Antiken Rechtsgeschichte

Aus der Werkstatt römischer Juristen Vorträge der Europäisch-Ostasiatischen Tagung 2013 in Fukuoka

Herausgegeben von Ulrich Manthe Shigeo Nishimura Mariko Igimi

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 978-3-428-14398-6 (Print) ISBN 978-3-428-54398-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84398-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Den Römern ist es mit ihrem Recht gelungen, die grundlegenden Regeln für das Zusammenleben der Menschen zu schaffen. Die Tagung „Römisch­ rechtliches Kolloquium – Interpretation und Umfeld historischer Quellen des römischen Rechts“ fand vom 25. bis 27. März 2013 in den Räumen der Technischen Universität Fukuoka (Fukuoka Institute of Technology – Fu­ kuoka Kogyo Daigaku) statt und verfolgte den Zweck, durch vertiefende und auf mehreren Ebenen durchgeführte Exegesen der römischen Quellen­ texte das Besondere des römischen Rechtes weiter zu ergründen. Da römisches Recht die Grundlage des modernen Zivilrechts in mehreren Staaten sowohl in Mitteleuropa als auch in Ostasien bildet, schlugen die Vorträge eine Brücke zwischen römischem Recht und modernem Zivilrecht. Shigeo Nishimura hatte Romanisten aus drei ostasiatischen und sieben euro­ päischen Ländern versammelt; so entstand eine zweite Brücke zwischen Ostasien und Europa. An der Tagung nahmen jüngere und ältere Wissen­ schaftler teil – dies war die dritte Brücke zwischen Jung und Alt. Dieser Band enthält die Vorträge in deutscher oder englischer Sprache. Die sprachliche Fassung wurde, wenn überhaupt erforderlich, von Ulrich Manthe angepasst, wobei ihn die europäischen Kollegen – nicht nur die Teilnehmer der Tagung, sondern auch manche andere – bereitwillig unter­ stützten; hierfür sei allen herzlich gedankt! Mariko Igimi stellte das Quel­ lenregister her. Unser herzlicher Dank gilt dem Herausgeber der Freiburger Rechts­ geschichtlichen Abhandlungen, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Kaiser, und dem großzügigen Verleger, Herrn Dr. Florian Simon, für die Aufnahme in diese Reihe. Die Autoren hoffen, mit diesem Band einen bescheidenen Beitrag zur Erkenntnis der Bedeutung der Wissenschaft vom römischen Recht als Grundlage jeder Rechtswissenschaft in Ost und West geleistet zu haben. Februar 2016

Ulrich Manthe, Passau Shigeo Nishimura, Fukuoka Mariko Igimi, Fukuoka

Inhaltsverzeichnis Frits Brandsma Gab es eine Form der Ehescheidung bei den Römern seit der lex Iulia de adul­teriis? Einige Bemerkungen zu D. 24,2,9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Byoung Jo Choe Zur Debatte um den Rutiliana-Fall (Paul. D. 4,4,38 pr.). Wie soll man einen Text lesen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Thomas Finkenauer Das entgeltliche Mandat im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Seiji Fukuda Der Inhalt des Bürgschaftsauftrags: eine Meinungsverschie­ denheit über D. 17,1,38 Marcell. 1 resp. im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Jean-Fran­çois Gerkens Fernand De Visscher als Archäologe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Tomoyoshi Hayashi “I ask and he gave his opinion” (quaero, respondit)  – Some Reflections on the Forms of Legal Questions and Re­sponses in D. 17,1,59 and on their Back­ground . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Mariko Igimi Occupatio im Alltag der Römer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Makoto Ishikawa Minpo § 719 und das römische Recht. Eine Anwendungsmöglichkeit auf den Nebentäterfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Sebastian Lohsse Vertragliche Haftungsverschärfung beim deposi­tum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Ulrich Manthe Die Collatio: Inhalt, Textkritik und Verfasserfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Carla Masi Doria Der Redner Albucius Silus und ein „merkwürdiger“ Prozess wegen Mor­ des . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Wataru Miyasaka D. 23,3,67 Proculus 7 epistulae: Ein angemessener Lehrstoff in Bezug auf die Übertragung des Eigentums im römischen Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

8 Inhaltsverzeichnis Hikaru Mori D. 30,86,4: Ursprung der superficies als ius in re aliena? . . . . . . . . . . . . . . 277 Shigeo Nishimura Eine raffinierte Falllösung zur condictio indebiti: Scaev. D.12,6,67,4 . . . . . . 291 Martin Pennitz Die rechtliche Funktion von Asylstätten in Rom zur Zeit der Republik und des frühen Prinzipats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Pascal Pichonnaz Die Begrenzung des Schadens: „circa ipsam rem“ und D. 19,1,21,3: Einige diachronische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Daisuke Shinomori Testamentum porcelli: Ein von Sklaven errichtetes Testament? . . . . . . . . . . 353 Boudewijn Sirks Zum Schadensersatzanspruch bei der Lex Aquilia anhand von D. 9,2,54 und 55 und eine Bemer­kung zu D. 9,2,56 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Akira Sugao Usurae ultra alterum tantum: Welche Zinsen sind zum duplum des Kapitals gerechnet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Yoshihiro Tabata Sachmängelhaftung und Nichterfüllungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Minoru Tanaka Semel heres sem­per heres: Kommentare der Humanisten zu D. 4,4,7,10 und D. 28,5,89 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Norio Tanaka Zum Verzicht auf das Widerrufsrecht bei der Schenkung von Todes wegen 447 Kazunori Uemura Zur Normstruktur des Edictum aedilium curulium. Exegese von D. 21,1,14,9 und D. 21,1,28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 Shiro Yanata The Burden on the Share of Common Property after Dividing Common Property . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 Lihong Zhang Studies on Actio in Factum Civilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

Gab es eine Form der Ehescheidung bei den Römern seit der lex Iulia de adulteriis? Einige Bemerkungen zu D. 24,2,9 Von Frits Brandsma I. Die freie römische Ehe war nach herrschender Meinung eine völlig form­ freie Angelegenheit. Sie wurde geschlossen durch Konsens und ge­ schieden durch Dissens; so lautet es in den Hand- und Lehr­büchern. Sie war eine fakti­sche Angelegenheit, mit der das Recht zwar nur eine Rechtsfolge verbunden habe, aber deren Zustandekommen und Beendigung freie Sache der Ehepart­ner sei. Zur Ehescheidung brauchte man nur zu sagen: „Packe deine Sachen und ver­schwinde“, und die Ehe war getrennt. Schulz sagt zur Ehescheidung in sei­ nen Prinzipien zum Beispiel: „Ein moderner Ehe­ scheidungsprozeß würde [dem Römer] schamlos dünken … So wenig als mög­lich Recht! lautet auf diesem Gebiet seine Parole.“1 Das war alles ganz an­ders bei der manus-Ehe. Dort gab es Formen im Überfluss. Der confarreatio folgte die diffarreatio und der co­emptio folgte die remancipatio. War es aber keine manus-Ehe, dann war Frei­ heit die Parole und keine Form vorgeschrieben, so jedenfalls die herr­schende Meinung.2 Dennoch gibt es einen Text, der für die Ehescheidung eine Form vorsieht.3 Diese Form wird aber von den meisten Autoren, die Levy fol­gen, auf die manus-Ehe bezo­ gen, so zum Beispiel auch in der neuen deut­schen Übersetzung des Corpus Iuris.4 Neuerdings gibt es aber auch eine an­dere Mei­nung. Sie wurde 2006 von Astolfi in seinem Werk über das mat­rimo­nium im klassischen römi­ schen Recht vertreten.5 Er nimmt den Text, welcher sogleich folgt, ernst. 1  Fritz

Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, Berlin 1934, 15. Max Kaser / Rolf Knütel, Römisches Privatrecht, München 201420, § 58.46– 48; Gabriela Eisenring, Die römische Ehe als Rechtsverhältnis, Wien 2002, 182; Heinrich Honsell / Theo Mayer-Maly / Walter Selb, Römisches Recht, Berlin 1987, § 144 IV; Max Kaser, Das römische Privatrecht I, München 19712, § 77 III 3. 3  D. 24,2,9. 4  Ernst Levy, Der Hergang der römischen Ehescheidung, Weimar 1925; Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung IV, Rolf Knütel u. a., Heidelberg 2005, Fn. 2 ad D. 24,1,35. 5  Riccardo Astolfi, Il matrimonio nel diritto romano classico, Padova 2006, § 54. Siehe dazu die Anzeige von Jakob Fortunat Stagl in SZ 125 (2008) 897 ff., 900. Vgl. jedoch auch schon Josef Huber, Der Ehekonsens im römischen Recht, Rom 2  Z. B.

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Frits Brandsma

Was er dabei nicht beachtet, sind die byzantinischen Zeugnisse.6 Das bedeu­ tet, dass es nun Zeit ist, den Text und die byzantinischen Zeugnisse zu diesem Text einmal anzuschauen. II. Der Text ist einem Werke Paulus’ über die Lex Iulia de adulteriis ent­nom­men: D. 24,2,9 Paul. 2 de adulteriis Nullum divortium ratum est nisi septem civibus Romanis puberi­ bus adhibitis praeter libertum eius qui divortium fa­ ciet. Libertum ac­ cipie­ mus etiam eum, qui a patre avo proavo et ce­teris susum ver­sum ma­nu­missus sit.

Eine Scheidung ist nur wirksam, wenn sieben mündige römische Bürger hinzu­ gezogen wurden, ausgenommen Frei­ gelas­sene desje­nigen, der die Schei­dung erklärt. Unter einem Freigelassenen ver­stehen wir auch denjeni­gen, der vom Vater, Großva­ter, Urgroßvater oder von den übrigen Ver­ wand­ ten in aufstei­ gender Linie freige­lassen wur­de.

Es heißt nullum divortium „keine Scheidung“. Divortium geschah durch re­pudium7 und repudium verlangte sieben Zeugen. Die Byzantiner bestätigen das Bestehen eines Formbedürfnisses, jeden­ falls für das justinianische Recht. Dorotheos, zum Beispiel, übersetzt wie folgt: Schol. 1 ad Bas. 28,7,15 (D. 24,2,9), BS 1878,15–18 Toà aÙtoà. OÙd7 8n þepoÚdion œrrw­ Desselben. Eine bloße Verstoßung ist tai m¾ par¦ ˜pt¦ martÚ­ rwn Øpo­ nicht gültig, wenn sie nicht von sieben grafÒmenon poli­tîn `Rw­ma…­wn kaˆ Zeugen un­terschrieben ist, die römische ™f»bwn Ôntwn cwrˆv ¢peleuqšrou Bürger und mündig und nicht Freigelas­ toà pšm­ pon­ tov tÕ þepoÚdion, e‡te sene desje­ni­gen sind, der die Verstoßung aÙtÕv aÙtÕn ºleuqšrwsen e‡te Ð schickt, sei es dass er selbst ihn frei­ pat¾r aÙtoà À p£ppov À prÒ­pappov gelassen hat, sei es sein Vater oder À ›terÒv tiv tîn ¢n­ iÒntwn aÙtoà À Groß­ vater oder Ur­ großva­ ter oder ein katiÒntwn. anderer seiner Vorfahren oder Ab­kömm­ linge.

Nach Levy, Der Hergang der römischen Ehescheidung (1925), nimmt die herr­schende Meinung jedoch an, Paulus habe nicht das gesagt, was Justi­nian ihn sagen lässt. 1977, 152 ff., 158 f. Siehe vor Levy z. B. Rudolf Leonhard, Divortium, in: RE Band V,1 (1903) 1244, mit Lit. 6  Auch nicht in Riccardo Astolfi, Studi sul matrimonio nel diritto romano postclas­ sico e giustinianeo, Napoli 2012. 7  Vgl. die bei Olis Robleda, Il divorzio in Roma prima di Costantino, in: ANRW II 14, Berlin 1982, 347–390, 349 genannten Autoren. Anders Lucien Claes, La terminolo­gie du divorce dans les textes juridiques latins et les constitutions grecques de Justi­nien, in: Scri­nium Lovaniense 1961 (Mélanges historiques Étienne van Cau­ wenbergh) 167 ff., 175 ff.



Gab es eine Form der Ehescheidung bei den Römern?11

III. Levy meint, die Worte am Anfang „Nullum divortium ratum est“ seien inter­poliert worden, und er will stattdessen lesen: Uxorem coemptione in ma­ num receptam neque remancipatam maritus ex lege non dimittit.8 Also nicht: „Eine Scheidung ist nur wirksam …“, sondern „Eine Ehefrau, die durch Braut­kauf in die Ehegewalt aufgenommen und nicht wieder man­ zipiert wor­den ist, entlässt der Ehemann dem Gesetz überein­stimmend nur …“. Dass ist etwas ganz anderes. Es gehe im Paulus-Text ursprünglich nicht um eine allge­ meine Form der Ehescheidung. Die Lex Iulia de adulteriis habe eine beson­dere Form nur für den Fall eingeführt, dass eine Entlassung aus der Ehegewalt durch remancipatio nicht gelingen konnte, weil die durch coemptio geheira­tete Ehe­frau durch ihre Abwesenheit sich dieser remancipatio entzog. Diese beson­dere Form sei not­wendig gewesen, um dem Ehe­ mann die Möglichkeit zu geben, seine ehebreche­rische Frau aus der manus zu entlassen und so die Ehe zu beenden, in welchem Falle er nicht wegen Kuppelei (lenocinium) beschul­digt werden konnte. Spätere Autoren haben, auch wenn sie dieser Ansicht nicht im allgemei­ nen folgen wollten und den Text an sich für paulinisch hielten, doch jeden­ falls diese Form auf die strafrechtlichen Konsequenzen der Lex Iulia de adulteriis be­schrän­ken wollen.9 Ist es aber wahrscheinlich, dass Justinian auf diese Weise eine Form der Ehe­scheidung einführte? Denn das wäre die Folge, wenn Levy recht hätte. Viel­leicht lohnt sich die Mühe, diesen schon viel erörterten Text noch ein­ mal zu besprechen. Der Text bereitet uns verschiedene Schwierigkeiten. Hauptfrage ist selbst­ ver­ständlich, ob der Text nur justinianisches Recht wiedergibt oder bereits von Paulus herrührt. Eine andere Frage ist, was praeter libertum zu bedeu­ ten hat und was wir mit diesem Freigelassenen anfangen: gehört er zu den Zeugen oder nicht? IV. Beginnen wir mit der Hauptfrage. Der Text ist der einzige, der uns die Forma­litäten der Eheschei­dung nach klassischem römischem Recht mit­ teilt. Levy betont dies neben den Umstand, dass das Paulus-Fragment sei­ nem Buch über Ehebruch entnommen ist.10 Der Text soll daher auf irgend­ eine Weise mit der Lex Iulia de adulteriis in Verbindung stehen und keine allgemeine Form der Ehescheidung betreffen. Der Paulus-Text ist aber nicht 8  Levy

(o. Fn. 4) 46. Schirmer, Die formlose Scheidung nach der lex Julia de adulteriis, in: Zeit­ schrift für Rechtsgeschichte 11 (1873) 355 ff., 369, und die bei Robleda (o. Fn. 7) 380 genannten Autoren; z. B. Percy Ellwood Corbett, The Roman Law of Marriage, Oxford 1930, 233 f. R. Yaron, Divortium inter absentes, TR 31 (1963) 54 ff., 59, fügt zwi­schen nullum und divortium ein: . 10  Levy (o. Fn. 4) 25 ff.; 31 ff. 9  Vgl.

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Frits Brandsma

der einzige, der von Formalitäten spricht. Es gibt auch noch andere Texte die das Bestehen von Formalitäten voraussetzen. Es sind die Folgenden. Erstens gibt es einen Gaius-Text:11 D. 48,5,44 Gai. 3 ad leg. duodec. tab. S i e x l e g e r e p u d i u m m i s s­u m n o n s i t e t i d c i r c o m u l­i e r a d h u c nupta esse vid ­ e ­a t u r, tamen si quis eam uxorem duxerit, adulter non erit.

We n n e i n e Ve r s t o ß u n g n i c h t nach dem Gesetz versandt wor­ den ist und daher die Frau als noch v e r­h e i r a t e t b e­t r a c h t e t w i r d , ist jemand, wenn er sie zur Frau nimmt, dennoch kein Ehebrecher.

Dieser Text erledigt sich für Levy, weil er, laut Inskription, nur das Zwölf­tafel­ge­setz betroffen habe.12 Wäre es aber doch denkbar, dass Gaius in seinem Buch über das Zwölftafelgesetz nicht nur die Bestim­ mungen dieses Gesetzes behandelt, sondern auch spätere Entwicklungen besprochen hat, die diese Be­stimmungen betreffen, wie die Lex Iulia de adulteriis? Dorotheos jedenfalls hat den Text mit der Form des Paulus-Fragments in Verbin­dung gebracht: Schol. 1 ad Bas. 60,37,43 (D. 48,5,44), BS 3719,26–3720,1 Wenn der Mann eine Verstoßung sendet, ’E¦n pšmy6 m7n þepoÚdion Ð ¢n»r, aber diese nicht nach dem Gesetz sendet m¾ kat¦ tÕn nÒmon d7 pšmy6 (tucÕn (denn beispielsweise unter­zeichnen kei­ g¦r oÙc Øp­šgra­yan z /  m£rturev) kaˆ di¦ toàto œti tù nÒm0 nom…zetai ne sieben Zeugen) und deswe­gen diesel­ Ûpandrov e1nai ¹ gun¾ aÛth ka… tiv be Frau noch als mit dem Mann verhei­ ›te­ rov gamet¾n taÚthn ¢g£gh­ tai, ratet zu sein betrachtet wird und jemand oÙk œstin oátov moi­cÒv. anderes sie zur Ehefrau nimmt, ist dieser [Mann] kein Ehe­brecher.

Das sagt zwar, wie ich weiß, nichts über die Klassizität der Form aus; wenn man aber aus anderen Gründen an­ nehmen dürfte, dass die sieben Zeugen nicht auf Geheiß Justinians interpoliert worden sind, gibt dann die­ ser Text doch einen Hinweis darauf, dass es diese Form gab? V. Zwei weitere Texte sind Ulpian entnommen. Der erste nennt sogar die Lex Iulia de adulteriis: D. 38,11,1,1 Ulp. 47 ad ed. Item Iulia de adulteriis, n i s i c e r t o m o d o d i v o r t i u m f a c t­u m s i t , pro infecto habet.

Ebenso hält die [Lex] Iulia über Ehe­ bruch eine Ehescheidung für nichtig, wenn sie nicht in einer be­ stimmten Form vollzogen wor­ den ist.

11  Vgl. zu diesem Text z. B. Carlo Venturini, Divorzio informale e ‚crimen adul­ terii‘ (Per una riconsiderazione di D. 48.5.44[43]), IVRA 41 (1990) 25 ff. 12  Levy (o. Fn. 4) 19 ff.



Gab es eine Form der Ehescheidung bei den Römern?13

Er ist vielleicht die deutlichste Anweisung für das Bestehen einer Bestim­ mung in der Lex Iulia de adulteriis, die eine Form der Ehescheidung vor­ schrieb. Levy hat diesen Text, von dem ich hier nur den letzten Teil wiederge­ geben habe, aus sprachlichen und sachlichen Gründe kritisiert und fast voll­ständig zu einer nachulpianischen Paraphrase erklärt. Zu diesem letzten Satz des Frag­ments bemerkt er, dass „das notwen­dige Objekt“ fehle; dass „habere pro im Aktiv einzig an dieser Stelle vorkommt“ und dass infectus im Sinne von „‚end­gültig ungeschehen, nichtig‘ in der Rechtssprache nach­ klassisch ist“.13 Das Letztere sagt er, nachdem er die übrigen vier Digesten­ texte, die infec­tus im Sinne von „nichtig“ haben, allesamt für interpo­liert erklärt und das Gleiche mit vier Codex-Stellen gemacht hat. Auch hier gebe ich die byzantinischen Zeugnisse, ohne behaupten zu wollen, dass sie die Klassizität des Textes beweisen. Erstens gibt es die Übersetzung des Dorotheos: Schol. 1 ad Bas. 45,5,1 (D. 38,11,1), BS 2724,19–21 'All¦ kaˆ Ð 'IoÚliov deadulter­nis Aber auch die Lex Iulia de adulteriis nÒmov dÁlon trÒpon þe­ ­ poud…wn hat eine deutliche Art und Weise von ßungen erdacht; und wenn die ™penÒhsen: kaˆ ™¦n par¦ tÕ eƒrh­ Versto­ mšnon tù nÒm0 pemfqÍ tÕ þe­poÚdion, Verstoßung gegen das im Gesetz Ge­ oÙk œrrwtai mšn, ¢ll’ Ð g£mov sagte versandt wurde, ist sie nicht gül­ sunšsthken …  tig, sondern die Ehe bleibt bestehen…

Dorotheos drückt sich etwas genauer als Ulpian aus. Er sagt, dass gerade die Lex Iulia de adulteriis eine Form der Scheidungserklärung erdacht hat, und zwar eine deutliche Form. Das brauchte er so nicht zu sagen. Hätte er es auf diese Weise formuliert, wenn er wusste, dass er log? Er war ja einer der Mit­arbeiter Justinians, oder besser gesagt Tribonians, bei der Zusam­ menstellung der Digesten.14 Hätte Justinian unseren Haupttext verfälschen lassen, dann wäre es Dorotheos bekannt gewesen. Wozu sollte er denn hier ohne Not – denn der Digesten-Text sagt nicht ausdrücklich, dass die Form aus der Lex Iulia entlehnt ist – diese Mitteilung machen, wenn sie nicht wahr wäre. Neben Dorotheos gibt es auch noch den sogenannten jüngeren Anony­ mos – so genannt, weil wir nicht wissen, wer er ist – oder Enantiophanes der sich zu Wort meldet.15 Er verweist einmal auf das Paulus-Fragment, D. 24,2,9, das die Form enthält, und einmal auf das Gaius-Fragment, D. 48,5,44 – oder 43 wie er sagt –, das wir soeben besprochen haben. 13  Levy 14  Vgl.

(o. Fn. 4) 22. z. B. Frits Brandsma, Dorotheus and his Digest translation, Groningen

1996, 3 ff. 15  Vgl. z. B. Nico van der Wal / Jan H. A. Lokin, Historiae iuris graeco-romani delinea­tio, Groningen 1985, 63 ff.

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Frits Brandsma

Schol. 5 ad Bas. 45,5,1 (D. 38,11,1), BS 2725,1–2 5. Desselben. Wie Versto­ßung wirksam 5. Toà aÙtoà. Pîv g…netai ™r­rwmšnwv geschieht, lernst du in Buch 24, Titel 2, þepoÚdion, œgnwv bib. kd / . tit. b / . dig. lex 9. q / . Schol. 6 ad Bas. 45,5,1 (D. 38,11,1), BS 2725,3–4 6. Toà aÙtoà. Kaˆ ™n tù mg / . dig. toà 6. Desselben. Und in der 43. lex des e  /  . tit. toà mh  /  . bib. fhs…n, Óti ™¦n 5. Titels des 48. Buchs sagt man, dass par¦ tÕn nÒmon pemfqÍ þepoÚdion, wenn eine Verstoßung gegen das Gesetz oÙ dia­lÚe­tai m7n Ð g£mov … versandt wird, die Ehe nicht aufgelöst wird …

Levy sagt, dass die Byzantiner selbstverständlich die Fragmente der justini­ anischen Gesetze systematisch auslegen mussten. Das stimmt, aber bedeutet noch nicht, dass diese Verweisungen nicht auch historisch korrekt sein kön­nen. Wenn man einmal überzeugt ist, dass Justinian die Form in das Paulus-Frag­ment hineininterpoliert hat, dann stimmen all diese Argumente. Wenn man aber nicht davon überzeugt ist, dann sagen sie nichts. VI. Der letzte Text aus den Digesten, in welchem auf eine Form der Ehe­schei­dung verwiesen wird, ist auch von Ulpian. Es ist: D. 24,1,35 Ulp. 34 ad ed. Si non secundum legitimam ob­ s e r­v a t i o­n e m d i v o r t i u m f a c t u m s i t , donationes post tale divortium fac­ tae nullius mo­ menti sunt, cum n o n v i d e a t u r s o­l u t u m m a t r i m o­n i u m .

Ist die Scheidung nicht gemäß d e r g e­s e t z­l i c h e n B e s t i m m u n g 16 er­ f o l g t , so sind Schenkungen nach einer solchen Scheidung nichtig, weil d i e E h e e r ­s i c h t l­ i c h n i c h t a u f g ­ e­ l ö s t w o r ­d e n i s t .

Hier tadelt Levy insbesondere die Verwendung von observatio im Sinne der zu befolgenden Vorschrift und spricht dem Ulpian den Tatbestand des Frag­ments ab.17 16

VII. Neben diesen Digestentexten gibt es eine literarische Verweisung, die auf die Form deuten könnte. Es ist ein Text von Sueton, der erzählt, dass Augus­tus divortiis modum imposuit.18 Dennoch wird modum eher auf Beschrän­kung oder Beschränkungen deuten. Die Übersetzung von Stahr und Krenkel zum Beispiel gibt: „er schränkte die Ehescheidungen ein“19, und an­dere Über­set­zungen oder Kommentare gehen auch von dieser Bedeutung 16  Die neue deutsche Übersetzung der Digesten hat hier eine Fußnote, die auf D. 24,2,9 (und D. 48,5,44) verweist und sagt, dass hiermit wohl die manus-Ehe ge­meint ist: „vermut­lich zur Manusehe“. 17  Levy (o. Fn. 4) 23 ff. 18  Suet. Aug. 34,2. 19  Adolf Stahr / Werner Krenkel, Sueton: Werke, Berlin u. Weimar 1985, 81.



Gab es eine Form der Ehescheidung bei den Römern?15

aus.20 Mo­dum kann auch auf die Form hindeuten, aber dann würde man viel­leicht etwas über die Form dazu erwarten. Wie einige Kommentatoren sagen, ist es merkwürdig, dass Augustus mit seinem Gesetz fast kaum die Eheschei­dungen beschränkt hat – es sei denn die Ehe zwischen einem Pat­ ron und sei­ner frei­gelassenen Sklavin – und sie in einigen Fällen gerade beförderte.21 Das sagt aber nichts über die Bedeutung, in der Sueton das Wort gebrauchte, und einige an­dere Stellen Sue­tons weisen doch eher auf die Bedeutung von Be­schränkun­gen hin.22 VIII. Es gibt jedoch auch einen Text im Corpus Iuris, der dem Bestehen die­ser Form der Ehescheidung zu widersprechen scheint. Es ist C. 5,17,6 (Dio­kletian und Maximian 294): Licet repudii libellus non fuerit traditus vel cognitus marito, dis­solvitur matrimo­ nium.

Auch wenn ein Scheidebrief nicht dem Ehe­ mann übergeben oder bekannt ge­ macht wor­den ist, wird die Ehe aufge­ löst.

Hier ist keine Rede von Zeugen. Nur der Scheidebrief wird erwähnt. Den­noch ist die Ehe geschieden. Das könnte heißen, dass die Übergabe oder Be­kanntma­chung eines Scheidebriefes für die Ehescheidung nicht wesent­ lich ist. Was aber ist dann entscheidend? Die Erstellung des Briefes viel­ leicht oder doch die Er­klärung der Scheidung vor sieben Zeugen? Jedenfalls erklärt Dio­kletian hier, dass die Ehescheidung, wie sie auch stattfinde, nicht zur Kenntnis des Ehepart­ ners gebracht werden musste, um wirksam zu sein.23 Was aber auf eine bestimmte Form hinweist, ist, dass der Scheidebrief dem Ehepartner – wenn ich das so generell lesen darf – nicht zur Kenntnis ge­ bracht werden musste. Das Eintreten der Ehescheidung muss also die Folge von et­was anderes gewesen sein. Kann das nicht die Erklärung, das repudium, vor sieben Zeugen gewesen sein? Es wird Sie nicht überraschen, dass Levy den Text für unecht hält. Er hat dazu sprachliche und sachliche Gründe. Was die sprachlichen Gründe anbe­ 20  Vgl. z.  B. die kommentierte Ausgabe von Evelyn S. Shuckburg, Cambridge 1896 (Ndr. New York 1979), 79; Susan Treggiari, Roman marriage: „iusti coniuges“ from the time of Cicero to the time of Ulpian, Oxford 1991, 453 Fn. 81; die Über­ setzung von Donna W. Hurley, The Caesars, Indianapolis 2011, 71 (‚and limited divorce‘). 21  Vgl. Jane F. Gardner, Women in Roman law & society, Bloomington 1986, 85; Treg­giari (o. Fn. 19) 453; Levy (o. Fn. 4) 48 f. 22  Suet. Aug. 27,2; 35,1; 40,3. Vgl. auch Liv. 21,44,5; 42,62,4. 23  Vgl. D. 24,2,4 und Pietro Bonfante, Corso di diritto romano I, Roma 1925, 246.

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langt, beanstandet er insbesondere den Satzteil cognitus marito.24 Das hätte „in ge­nauer Sprache“, wie z. B. die von Cicero, marito traditus vel ab eo cognitus oder vel cognitus factus marito sein sollen. Die Formulierung mit dem Dativ neben dem participium perfecti an Stelle des Ablativs mit a gibt es zwar, so gesteht er, in der nichtjuristischen Literatur – er nennt neun Tacitus-Stellen –, aber in der juristischen Literatur finde man sie nicht bis auf Justi­nian, so Levy. Einige vorjustinianische Stellen hält er darum für verfälscht. Aber ist Tacitus denn wirklich ein schlechterer Beleg als Cicero, und ist die Tatsache, wenn es tatsächlich eine ist, dass die vorjustinianischen juristischen Quellen diese For­mulierung nicht verwenden, schlüssig, wenn es literarische Belege gibt? Sachlich findet Levy diesen Satz „ebenso bedenklich wie unrömisch“.25 Er postu­liert die Empfangsbedürftigkeit der Scheidungserklärung. Er wollte in diesem Text nichts von einer Form wissen, die nicht zur Kenntnis des Ehe­part­ners gebracht werden brauchte. Denn das hätte in Diokletians Zeit­ alter nur auf eine Ehe ohne manus bezogen werden können, und das kam ihm nicht recht gelegen. So solle es um etwas anderes gehen, d. h. nach Streichung der Kennt­nis des Ehemannes gehe es nur um die Frage, ob ein Scheidebrief vor­ handen (und übergeben) sein solle. Diokletian habe also bestimmen wollen, dass die schrift­ liche Scheidung nicht erforderlich sei, und erscheine „wie­derum als der Ver­fechter des Römerrechtes“. „Wiederum hat er Anlass, einer (hier durch den Griechen Phoebus geltend gemachten) hellenistischen An­schauung ent­gegen­zu­treten, die ohne libellus repudii eine Scheidung nicht anerkennen will. Wie­ de­ rum sieht sich das Reichsrecht durch das Volksrecht bedroht, aber das Reichs­recht selbst tritt noch einmal klar in Erscheinung: Der Scheidebrief ist weder ein essentiale noch auch nur ein naturale divor­tii.“26 Den Byzantiner können wir hier leider nicht das Wort geben, denn dieser Co­dex-Text ist nicht in die Basiliken übernommen worden. Es gibt nur ei­ nen Ver­weis auf diesen Text bei Stephanus.27 Der Digesten-Text, den Ste­ phanus kom­ mentiert, betrifft die Ehe zwischen einem Patron und seiner freigelasse­nen Skla­vin. Diese Ehe konnte nicht durch die liberta geschieden worden. Stepha­nus erklärt das wie folgt:

24  Levy

(o. Fn. 4) 63 ff. (o. Fn. 4) 63 ff. 26  Levy (o. Fn. 4) 65. 27  Vgl. zu Stephanus z. B. Van der Wal / Lokin (o. Fn. 15) 41 f.; Hylkje de Jong, Stepha­nus en zijn Digestenonderwijs, Groningen 2008. 25  Levy



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Schol. 6 ad Bas. 28,4,21 (D. 23,2,45), BS Toàto „dikÒn ™sti pronÒmion toà p£trwnov: ™pˆ g¦r tîn m¾ prÕv tÕn p£trwna g£mwn aÙt¾ mÒnh toà þe­ poud…ou ¹ pomp¾ lÚei tÕn g£mon, k¨n m»pw dš­ xhtai tÕ ¸epoÚdion ™ke‹nov ú kaˆ ™pšmfqh, æv ¢n»nektai sa­ fîv ™n tù e  /  . bib. toà Kwd. ØpÕ tÕn iz / . toà bib. tit. diat. v / .

1826,6–9 (ad D. 23,2,45,5) Das ist ein spezielles Vorrecht des Pat­ rons; denn in den Ehen, [die] nicht mit dem Patron [geschlossen sind], löst al­ lein die Absendung selbst der Versto­ ßung die Ehe auf, auch wenn derje­nige, an den die Ver­ stoßung gesandt wurde, sie noch nicht emp­fangen hat, wie deut­ lich berichtet wird in dem 5. Buch des Codex, in dem 17. Titel des Bu­ ches, constitutio 6.

Stephanus also hat den Text so verstanden, wie Levy ihn nicht haben will. Ist der Text aber, so wie er lautet, so verrückt? Kann es sein, dass die Ehe­schei­dung von einer Formalität abhängig ist, die einseitig erfüllt werden kann? Das wäre der Fall, wenn die Verstoßung, das repudium, an eine Form gebun­ den ist, die verwirklicht werden kann, ohne dass der andere Ehe­ partner dabei anwesend sein muss. Gerade so eine Form gibt es in unserem Paulus-Text. Es sind die sieben Zeugen, vor denen die Scheidungserklärung abgelegt werden soll. Aber was ist es denn mit dem Scheidebrief, den Diokletian nennt, oder den Unterzeichnung durch die sieben Zeugen, die Dorotheos nennt? Diok­ letian, das müssen wir Levy gestehen, sagt nirgends, dass das Abfassen eines Schei­ debrie­ fes ein Erfordernis für eine Ehescheidung ist. Kann es daher doch sein, dass er nur als Beweis einer erfolgten Verstoßung gebraucht wird? Das gleiche gilt vielleicht für die Unterzeichnung durch die sieben Zeugen. Sieben Zeugen sind ja schön, aber eine schriftliche Erklärung von sieben Zeu­gen ist in der Praxis nützlicher, oder etwa nicht? Wird also nicht der Scheidebrief von Dio­kletian die Erklärung von sieben Zeugen enthalten haben, dass ein repudium erfolgt ist? In dieser Hinsicht sei auch noch hingewiesen auf C. 5,17,8 pr., worin Theo­dodius II. und Valentinian III. im Jahre 449 n. Chr. bestimmen: matrimonia … contracta non nisi misso repudio dissolvi, dass geschlossene Ehen nur durch eine abgesandte Scheidungserklärung aufgelöst werden können.28 Levy u. a. erblicken hierin die Einführung des Scheidebriefes als notwendi­ ge Form.29 Hier heißt es übrigens nicht libellus repudii wie bei Diokletian,30 aber die Ab­ sen­ dung einer Erklärung wird man wohl als in schriftlicher Form auffassen müssen, obwohl es möglich bleibt, dass das Absenden einer 28  =

Nov. Theod. 12 pr. Vgl. hierzu z. B. Huber (o. Fn. 5) 152 ff., 159 f. (o. Fn. 4) 104 ff. Vgl. z. B. Honsell / Mayer-Maly / Selb (o. Fn. 2) 400

29  Levy

Fn. 18. 30  Die einzige Stelle im gesamten Corpus Iuris mit libellus repudii, laut Levy (o. Fn. 4) 129.

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Scheidungs­erklä­rung mittels Bo­ten gemeint ist, d. h. mittels eines Freigelas­ senen. Sehr klar ist die An­ord­nung nicht.31 Jedenfalls benutzte die Praxis im Osten die Schrift­form, wie Levy gezeigt hat,32 und diese könnte kraft Ge­ wohnheit33 oder Anord­nung dispositiv statt deklaratorisch geworden sein: von Beweis zu not­wendiger Form. Wird man Dorotheos nicht so verstehen müssen, dass die Erklärung vor sie­ ben Zeugen in seiner Zeit praktisch gesehen fast immer schriftlich festge­ legt wurde oder immer schriftlich festgelegt werden musste, selbstverständ­ lich mit den Unterzeichnungen der sieben Zeugen? Darin kann man auch einen Hin­ weis für die Echtheit des Paulus-Textes sehen; denn würde darin von Jus­tinian eine neue Form hineingelegt, dann wäre das doch die richtige? Er hätte dann doch die schriftliche Form interpo­ liert, die offenbar notwendig oder laut sei­nen Zeit­genossen in der Praxis üblich war. Ich kann mir also vorstellen, dass in Justi­nians Zeit das Recht ein von sieben Zeugen unterzeichnetes Do­kument ver­langte, während das nicht in dem Paulus-Text stand und auch nicht in der Lex Iulia de adulteriis. Was ich mir nicht vorstellen kann, ist, dass Justinian eine neue Form in den Text hineingelegt hat, aber die Schriftform vergessen wurde, oder dass einer der Beteiligten an der Kodifikationsarbeit die völlig neue Bestim­mung falsch verstanden hat. IX. Noch allgemeiner verstehe ich nicht, wozu ein Kaiser, wenn er ein Ge­setz eines Vorgängers abschaffen oder ändern wollte, dass nicht tun wür­ de, wie es in seiner Befugnis lag, nämlich durch kaiserliches Gesetz – und was ein Kaiser wie Justinian nicht selten getan hat34 –, sondern zu diesem Zweck den Text des Geset­ zes, oder die Wiedergabe desselben, fälschen ließe?35 Denn das ist es, was Justinian hätte tun lassen, wenn Levy mit seiner Interpolations-Vermutung recht hätte. Wenn an dem Text gerüttelt wurde, dann vielleicht vor Justinian, aber nicht von Justinian, so denke ich. Man hat zu wählen. Keines lässt sich genau beweisen. Levy war sehr findig und hat ein gut begründetes Buch geschrieben. Man kann aber auch, wie ich meine, an dem Text festhalten. Was soll man dann bevorzugen? 31  Die Empfangsbedürftigkeit der Erklärung kann man m. E. aus dieser Anord­ nung nicht folgern. 32  Levy (o. Fn. 4) 113 f., 127 f. (zu den Byzantinern). 33  Levy (o. Fn. 4) 117 f. 34  Vgl. zur Ehescheidung Nov. 22 [536], 117 [542] und 134 [556]. Zu alldem Nico van der Wal, Manuale Novellarum Justiniani: aperçu systématique du contenu des Novel­les de Justinien, Groningen 19982, no. 546 ff. 35  Vgl. Jan H. A. Lokin, The End of an Epoch: Epilegomena to a Century of Interpola­tion Criticism, in: Collatio Iuris Romani. Études dédiées à Hans Ankum I, Hrsg. R. Feenstra u. a., Amsterdam 1995, 261 ff.



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Meiner Meinung nach gab es diese Form, und das Bestehen der Form soll man bei Lesung anderer Texte als bekannt erachten. X. Wenn wir vorläufig von dem Bestehen eines Formerfordernisses im Pau­lus-Text ausgehen dürfen, dann müssen wir noch einmal hinsehen, wel­ che Form genau der Text für eine Ehescheidung verlangt. Es heißt in dem Text: „praeter libertum eius qui divortium faciet.“

Wie soll man das praeter verstehen? Es gibt hier zwei Möglichkeiten. Ent­we­der heißt praeter, dass neben den sieben Zeugen noch ein Freigelas­ sener des sich Scheidenden hinzutreten soll,36 oder es heißt, dass von den sieben Zeugen ein Freigelassener des sich Scheidenden ausgeschlossen sein soll.37 Beide Mög­lichkeiten haben im Laufe der Zeit ihre Bevorzuger ge­ habt. Die Deutung, nach der am Geschehen ein Freigelassener des sich Scheidenden beteiligt sein soll, ist zum Beispiel verwendet worden, um diesen einen Schei­debrief über­bringen zu lassen und so den Paulus-Text in Übereinstimmung mit Dio­kletians Be­stim­mung zu bringen.38 Dennoch er­ scheint diese Deutung et­was we­niger auf der Hand zu liegen als die exklu­ sive Deutung. Einleuchtend ist, dass hier die neue Übersetzungen der Digesten verschie­ dene Wege gehen. Die niederländische Übersetzung von Spruit u. a. beteiligt den Freigelassenen am Geschehen:39 „Geen scheiding is geldig, tenzij ten overstaan van zeven volwassen Romeinse bur­gers, e n d a a r e n b o v e n n o g e e n v r i j g e l a t e n e v a n d e g e n e d i e w i l s c h e i­d e n .“

Das heißt auf deutsch „und außerdem noch von einem Freigelassenen desje­nigen, der scheiden will“. Die englische Übersetzung von Watson u. a. macht das Gleiche: 36  Vgl. in diesem Sinne Rudolf Leonhard, Institutionen des Römischen Rechts: ein Lehr­buch, Leipzig 1894, 206 Fn. 6. 37  Vgl. z. B. Rudolf Schlesinger, Ueber die Form der Ehescheidung bei den Rö­ mern seit der lex Julia de adulteriis, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte Bd V (1866) 193 ff., 198, und die bei Leonhard (o. Fn. 36) genannten Autoren. Adolf Friedrich Rudorff, Römische Rechtsgeschichte I, Leipzig 1857, § 36 Fn. 16, spricht nur von „7 römischen Bürgern als Zeugen“. 38  Karl Wächter, Ueber Ehescheidungen bei den Römern, Stuttgart 1822, 161, ließ Augustus vorschreiben, „der Scheidende müsse durch einen Freigelassenen dem An­dern seine Absicht, sich zu scheiden, erklären lassen, und zwar in Gegenwart von sieben Zeu­gen“. Vgl. auch Georg Friedrich Puchta / Paul Krüger, Cursus der Institu­ tionen 2, Leipzig 189310, § 291. 39  Jop E. Spruit / Robert Feenstra / Karel E.M. Bongenaar (Herausg.), Cor­pus Iuris Civilis, Tekst en Vertaling III, Zutphen 1996.

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„A divorce is invalid unless it takes place in the presence of seven Roman citizens of full age a s w e l l a s t h e f r e e d m a n o f t h e p e r s o n s s e e k i n g d i ­ v o r c e .“

Hier ist es „der“ Freigelassene geworden, und man spricht im Plural von Per­ so­ nen, die sich scheiden lassen wollen. Ich glaube nicht, dass diese Über­setzung sehr genau ist.40 Die neue deutsche Übersetzung geht den anderen Weg: „Eine Scheidung ist nur wirksam, wenn sieben mündige römische Bürger hinzugezo­gen wurden, ausgenommen Freigelassene desjenigen, der die Scheidung er­klärt.“

Man hat sogar „die“ Freigelassenen generell ausgenommen, was im Lateini­schen sehr gut mit dem Singular ausgedrückt werden kann. Die deut­ sche Über­set­zung verweist auf einen Text aus der Pauli sententiae (5,15,3). Es heißt dort, dass Freigelassene keine guten Zeugen sind in Sachen, die ihre Patrone und deren Familienmitglieder betreffen – so wird man wohl lesen dürfen – und als solche ausgeschlossen werden sollen.41 Adversus se invicem parentes et liberi, itemque liberti nec volentes ad testimo­ nium admittendi sunt …

Eltern und Kinder dürfen, selbst wenn sie wollen, nicht zugelassen werden, gegen einander Zeugnis abzulegen, und Frei­gelas­sene ebensowenig …

Ich halte mich also an die deutsche Übersetzung, muss ich gestehen. Hier sind weiterhin die byzantinischen Zeugnisse wieder nützlich. Erstens gibt es Dorotheos, dessen Text wir schon gelesen haben, aber nochmals lesen wer­den. Schol. 1 ad Bas. 28,7,15 (D. 24,2,9), BS 1878,15–18 Toà aÙtoà. OÙd7 8n þepoÚdion œrrw­ Desselben. Eine bloße Verstoßung ist tai m¾ par¦ ˜pt¦ mar­ tÚ­ rwn nicht gültig, wenn sie nicht von sieben ØpografÒ­menon poli­tîn `Rw­ma…wn Zeugen un­terschrieben ist, die römische kaˆ ™f»bwn Ôntwn cwrˆv ¢peleuqšrou Bürger und mündig und nicht Freigelas­ toà pšm­ pontov tÕ þepoÚdion, e‡te sene desje­ni­gen sind, der die Verstoßung aÙtÕv aÙtÕn ºleuqšrwsen e‡te Ð schickt, sei es dass er selbst ihn frei­ pa­t¾r aÙtoà À p£ppov À prÒ­pap­pov gelassen hat, sei es sein Vater oder À ›terÒv tiv tîn ¢n­ iÒntwn aÙtoà À Groß­ vater oder Ur­ großva­ ter oder ein katiÒntwn. anderer seiner Vorfahren oder Ab­kömm­ linge.

Er übersetzt mit cwrˆv, was eher noch als praeter exklusive Bedeutung zu ha­ben scheint. Diese Deutung wird durch das Weglassen des Artikels 40  Alan Watson (Hrsg.), The Digest of Justinian, Philadelphia 1985. Übrigens ist „other rela­tive“ auch keine sehr genaue Übersetzung von ceteris susum versum am Ende des Fragments. 41  Vgl. auch noch Paul. Sent. 1,12,3.



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beim Freigelas­ senen unterstützt. Es heißt also generell „ohne einen Freigelasse­nen“. Es scheint, dass Dorotheos den generellen Ausschluss von Freigelasse­nen noch betonen wollte, und zwar dadurch, dass er den Kreis derer, deren Frei­gelassene ausgeschlossen sein sollen, durch die Deszenden­ ten ver­brei­terte. Er schloss also alle Freigelassenen von Verwand­ten aus. Ob er hier das Richtige getroffen hat, wage ich zu bezwei­feln.42 Neben Dorotheos gibt es noch den Basilikentext des älteren Anonymos.43 Die­ser ist sogar noch deutlicher: Bas. 28,7,15 (D. 24,2,9), BT 1369,10–13 OÙk œrrwtai diazÚgion, e„ m¾ pros­ lhf­ qîsin ˜pt¦ m£rturev `Rwma‹oi œfh­ boi, ™n oŒv oÙk œstin ¢p­ eleÚ­ qe­ rov toà poioàn­ tov tÒ diazÚgion À toà p£­ trov aÙ­ toà À toà p£ppou À pro­p£ppou À tîn ¥l­lwn ¢n­iÒntwn À kat­iÒntwn ¢peleÚ­qe­rov.44

Nicht gültig ist eine Ehescheidung, wenn nicht sieben mündige Römer als Zeugen dazu genommen sind, w o r u n ­ ter kein Freig ­ e l a s s e n e r i s t desje­ nigen, der die Ehe­ scheidung betreibt, oder ein Freige­ lasse­ ner seines Vaters oder Großvaters oder Ur­groß­vaters oder von anderen As­ zenden­ ten oder De­ szendenten.

Damit ist nicht gesagt, dass derjenige, der sich scheiden lassen will, kei­ nen seiner Freigelassenen gebrauchen dürfte, um seine Erklärung an den anderen Ehepartner überbringen zu lassen, zum Beispiel mit einem von den Zeugen unterzeichneten Scheidebrief.45 Der Freigelassene soll nur nicht Zeuge sein.46 44

Es gibt auch noch ein interlineares Scholion, das sehr deutlich ist: Schol. 2 ad Bas. 28,7,15 (D. 24,2,9), BS 1878,19 M£rturev dhlonÒti: oÙc Øpo­ gr£­ fei Offenbar Zeugen; denn ein Freigelasse­ g¦r ¢peleÚqerov. ner unterzeichnet nicht.

Das Scholion ist im Manuskript über ™n o1v (BT 1369,11) geschrieben wor­den. Ob es aber zu dem Basilikentext geschrieben worden ist, bezweif­ aber Watson u. a. (o. Fn. 40). zu ihm Van der Wal / Lokin (o. Fn. 15) 47 f. 44  Die Deszendenten kehren hier zurück: also (wie bei Dorotheos) kein Freigelasse­ner von Verwandten. Vgl. zum Einfluß von Dorotheos auf dem älteren Anonymos, Van der Wal / Lokin (o. Fn. 15) 48. 45  Vgl. Percy Ellwood Corbett, The Augustan Divorce, in: Law Quarterly Review 45 (1929) 178 ff., 185. 46  Vgl. in diesem Sinne auch Corbett (o. Fn. 45) 179. So schon Accursius, gl. liber­tum, der m. E. aber von Barnabas Brissonius, Ad legem Iuliam de adulteriis liber sin­gularis, in: Selectarum ex iure civili antiquitatum libri IV, Paris 1594, 282, und Dio­nysius Gothofredus ad D. 24,2,9, in: Corpus Juris Civilis Romani t. 2, z. B. Neapel 1828, 336, falsch verstanden wird und deshalb zu Unrecht gelobt (Gothofredus) oder getadelt (Brisssonius) wird. 42  Vgl. 43  Vgl.

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le ich. Im Basili­kentext heißt es schon ‚Zeugen‘, und es ist schon klar, dass ein Frei­ge­las­sener nicht dazu gehört, also wozu sollte man das dann noch einmal er­klären? So bleibt nichts anderes übrig, als anzunehmen, dass das Scholion ursprüng­lich den Digestentext erklärte. Es könnte also ein Scho­ lion zu prae­ter sein und auch dem sechsten Jahrhundert entstammen.47 Ich glaube also, wie gesagt, dass es diese Form gab, dass Augustus sie ein­ge­führt hat und dass Paulus sie in seinem Werk über die Lex Iulia de adulte­riis beschrieben hat.

47  Ein anderes, etwas späteres, Zeugnis der Form gibt Isidor von Sevilla, Etymolo­ giae 9,7,24 (ed. W. M. Lindsay, Oxford 1911): Repudium est quod sub testimonio testium vel praesenti vel absenti mittitur. („Eine Verstossung ist, was unter Zeugnis von Zeugen einem Anwesenden oder einem Abwesenden zugesandt wird.“).

Zur Debatte um den Rutiliana-Fall (Paul. D. 4,4,38 pr.). Wie soll man einen Text lesen?* Von Byoung Jo Choe I. Vorbemerkungen Es gibt in den Digesten, welche die Meinungen der römischen Juristen am bes­ ten hor­ ten, keine Stelle, die eine schöne Frau oder ein hübsches Mädchen in einer Weise erwähnt, die für eine rechtliche Entscheidung be­ deutsam wäre. Das lateini­sche Wort, das typisch für die Schönheit steht, nämlich pulcher, ist, so­weit ich es überblicke, nur ein einziges Mal benutzt worden, um die oratio pro Quinto Ligario Ciceros zu loben.1 Sonst wurde in diesem Bedeutungsfeld ve­nu­stas verwendet, und zwar auch nur ein Mal. Aber dieses Wort bezieht sich nicht direkt auf eine Frau, sondern auf die Schmuckstücke der Frau, die zur Ver­schö­nerung der Frauen bestimmt sind.2 Wie dem auch sei, viele Studenten des römi­schen Rechts kennen die Ge­ schichte von Dornrö­schen, der „sleeping beauty“, im Zusammen­hang mit der Besitzergreifung. Diese Ge­schichte, die zweifellos nach dem berühm­ten Mär­chen modelliert ist (bloß ohne auf­wecken­de Küsse), stellt na­türlich in der farb­losen juristi­schen Vorlesung ein Hilfs­mittel dar, das die Aufmerk­ samkeit der Studenten auf sich zie­hen soll. Dieses Hilfsmittel deu­tet ‚dormiens‘, die schla­fende Person, im römischen Original3 mit gutem Willen in ‚eine schlafende schöne Frau‘ um.4 Die durch­ weg arme ästheti­ sche Be­ *  Dieser Aufsatz ist die verbesserte deutsche Fassung meines ursprünglich in korea­ni­scher Sprache publizierten Aufsatzes „Is the Emperor touched and moved by her beauty? – An Exegesis: Paul. D.4.4.38.pr –“, in: Korean Journal of Legal His­ tory, No. 45 (October, 2010) 5–48. Die Referenzliteratur, die in der Bibliographie aufge­führt ist, wird in den Fußnoten nur mit dem Verfassernamen zitiert. Für die sprachli­che Verbesse­rung wie für manche sachliche Klärung bin ich Herrn Professor Dr. Ulrich Manthe zu tiefstem Dank verpflichtet. 1  D. 1,2,2,46 Pomp. sing. enchir.: … exstat eius (sc. Ciceronis) oratio satis pulcher­rima, quae inscribitur pro Quinto Ligario. … 2  D. 34,2,26 Paul. 11 ad Sab.: … Similiter ornamentorum esse constat, quibus uti mulie­res venustatis et ornatus causa coeperunt, … 3  D. 41,2,1,3 Paul. 54 ad ed.: … Furiosus, et pupillus sine tutoris auctoritate, non po­test incipere possidere, quia affectionem tenendi non habent, licet maxime corpore suo rem contingant, sicuti si quis dormienti aliquid in manu ponat. …

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stands­auf­nahme geht wohl darauf zurück, dass die Juristen, vor allem die römischen Juristen als Ur­typ der Juris­ten, vom Habitus her alle Er­schei­ nungen auf ihre elementarsten Kerne reduzie­ren.5 Dessen un­ge­achtet ist in der lan­ gen Tradition der Jurispru­ denz ab und zu von einer Schönen die Re­de, die Genera­tio­nen der Juristen be­glei­tet hat. In den späten 70er Jahren ha­ben zwei renom­mierte deut­sche Roma­nisten, Detlef Liebs und Berthold Ku­pisch, über die Schönheit einer Frau ge­stritten.6 Den Anlass gaben die Anmer­kungen der Glossato­ren. Wie war es denn eigent­lich? Hier will ich u. a. die De­batte beider Ro­manisten Revue passie­ren lassen, und zwar unter besonderer Be­rück­sichti­gung der Auslegungs­methode. 4

II. Die Digestenstelle D. 4,4,38 pr. Paul. 1 decr.  Aemilius Larianus ab Ovinio fun­ dum Rutilianum lege commis­ soria emerat data parte pecuniae, ita ut si intra duos menses ab emp­tione reliqui pretii partem di­midiam non solvisset, inemptus es­ set, item si intra alios duos men­ ses reliquum pretium non nu­me­rasset, similiter esset in­emptus.

[Sachverhalt] [Vertragsinhalt]  Aemilianus Larianus (L) hatte von Ovi­ nius (O) das rutilianische Grundstück un­ter Auflösungsvorbehalt [für den Ver­käu­fer] und Zahlung eines Teils des Kauf­preises mit der Maßgabe gekauft, dass, wenn er inner­ halb von zwei Monaten nach Kauf­abschluss die [erste] Hälfte des restli­chen Kauf­preises nicht zahlen würde, das Grund­ stück als nicht gekauft angesehen werden sollte; dass ferner, wenn er inner­halb von zwei weiteren Monaten den rest­ li­ chen Kauf­ preis nicht zahlen würde, das Grund­ stück gleichfalls als nicht ge­kauft an­gese­hen werden sollte. [Verlauf nach dem Vertrag]

4  Die sehr interessante Arbeit von Peter, die sich der Frage nach dem Gebrauch von genus masculinum und femininum in römischen Rechtstexten widmet (853 ff.), behan­delt aber das Partizip Präsens in D. 41,2,1,3 nicht. 5  Vgl. dazu Radbruch Nr. 599 (S. 123): „Der juristische Stil ist richtiges Weglas­ sen des Unwesentlichen.“ Mit anderen Worten Radbruch Nr. 584 (S. 120 f.): „Die Juris­pru­denz sieht die individuellen Menschen in ihren konkreten Schicksalen nur durch die Brille des gesetzlichen Allgemeinbegriffs, nur wie durch einen dicken Schleier, der le­diglich die gröbsten Umrisse zu sehen gestattet – durch die Binde der Themis.“ Und Radbruch Nr. 586 (S. 121): „Das rechtliche Denken verlangt, daß man sich mit dem konkretesten Leben und doch wiederum nur mit seinen abstrak­ testen Umrissen be­ schäf­ tige.“ Folglich Radbruch Nr. 553 (S. 116): „Es mag dem Juristen widerfahren, daß er sich eines Tages bewußt wird, das reiche Farbenspiel der Welt für die dürftige Sieben­zahl der Grundfarben dahingegeben zu haben.“ 6  Detlef Liebs, Der Sieg der schönen Rutiliana. Lex commissoria displicebat, in: Fest­schrift für Max Kaser zum 70. Geburtstag (1976) 373–389 und Berthold Kupisch, Ru­tiliana pupilla – schön oder energisch? (Paul. D. 4,4,38 pr.), ZRG RA 94 (1977) 247–266.



Zur Debatte um den Rutiliana-Fall (Paul. D. 4,4,38 pr.)25

 intra priores duos menses La­riano defuncto Rutiliana pupil­ laris aetatis successerat, cuius tu­tores in solutione cessaverunt.  ven­ ditor denuntiatio­ nibus tuto­ ri­ bus saepe datis post an­ num ean­ dem possessionem Claudio Tele­ma­cho vendiderat.

 pupilla in integrum restitui deside­ rabat: victa tam apud prae­torem quam apud praefectum urbi provocaverat.

 putabam bene iudicatum, quod pater eius, non ipsa contraxerat:

 imperator autem motus est, quod dies committendi in tempus pupillae incidisset eaque effecis­set, ne parere­ tur legi venditionis.

 dicebam posse magis ea rati­ one restitui eam, quod venditor de­ nuntiando post diem, quo pla­ cue­ rat esse commissum, et pre­tium petendo recessisse a lege sua videretur:  non me moveri quod dies postea tran­ sisset, non magis quam si creditor pignus distraxis­ set, post mortem de­ bitoris die so­lutionis finita.

 Innerhalb der ersten beiden Monate folg­te dem ver­storbenen Larianus (L) die un­ mündige Rutiliana (R) als Erbin nach; deren Vormünder unterließen die Zahlung.  Nach einem Jahr verkaufte der Ver­käu­ fer (O), der die Vormünder oft gemahnt hat­ te, dasselbe Grundstück an Claudius Te­le­machus (T). [Prozessverlauf]  Das Mündel (R) verlangte, in den vori­ gen Stand wiedereingesetzt zu werden. Nachdem Rutiliana (R) vor dem Prätor wie vor dem Stadtpräfekten verloren hatte, leg­ te sie [beim Kaiser] Berufung ein. [Rechtliche Ansichten] «Paulus»  Ich war der Meinung, es sei richtig ent­ schieden worden, weil ihr Vater (L), nicht sie selbst (R) den Kaufvertrag abge­schlos­ sen hatte. «Der Kaiser»  Den Kaiser [Caracalla]7 bewog jedoch, dass der Verfallstag in die Zeit [nach dem Erbschaftserwerb] des Mündels gefallen war und dass es, als sie (R) unter der Vor­ mundschaft stand, dazu gekommen war, dass der Verkaufsabrede deswegen nicht Folge geleistet wurde. «Paulus»  Ich sagte, Rutiliana (R) könne eher mit der Begründung wiedereingesetzt werden, dass der Verkäufer (O) dadurch, dass er noch nach dem Tag, an dem der Grund­ stückskauf verabredungsgemäß aufgelöst werden sollte, [die Vormünder] gemahnt und den [restlichen] Kaufpreis verlangt hatte, ersichtlich von der zu seinen Guns­ ten vereinbarten Vertragsabrede [des Auf­ lö­sungs­vorbehalts] abgegangen sei.  In die­ser Ansicht mache mich nicht wan­kend, dass die [Zahlungs-]Frist erst später [nach dem Tode des Käufers] abgelaufen sei,

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7  Wer dieser Kaiser war, darüber divergieren die Meinungen. Für Caracalla wie hier Kupisch 249 Fn. 8; Cuiacius ad h. l., p. 1030 B; hingegen für Septimius ­Severus Liebs 373, 376. Auch Kupisch schließt diese Möglichkeit nicht aus.

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 quia tamen lex commissoria displice­ bat ei, pronuntiavit in integrum restitu­ endam.  movit etiam illud imperato­ rem, quod priores tutores, qui non resti­ tui desiderassent, suspecti pronuntiati erant.

eben­sowenig wie in dem Fall, dass der Gläubiger ein Pfand verkauft hatte, ob­ wohl die Zahlungsfrist erst nach dem Tode des Schuldners abgelaufen war. «Der Kaiser»  Weil jedoch der Kaiser den Auflö­ sungs­ vorbehalt missbilligte, entschied er, Ru­ ti­ lia­ na (R) sei in den vorigen Stand wie­der­einzusetzen.  Den Kaiser hat auch der Umstand bewogen, dass die früheren Vor­münder für vertrauens­ unwürdig erklärt wor­den waren, weil sie keine Wieder­ein­setzung verlangt hat­ ten.8

III. Die Auslegung der Stelle 1. War Rutiliana schön? Die Behauptung, dass das Mädchen Rutiliana schön gewesen sei, stammt von einem Bo­logneser Juristen Odofredus († 1265) aus dem 13. Jahrhun­ dert. Später über­lieferte sein Schüler Vivianus Tuscus diesen Hinweis weiter in seiner Glosse zu dieser Stelle (u. IV.). Ist es wahr, dass es schön war? 8

2. Der Sachverhalt Liebs und Kupisch unterscheiden sich vor allem in der Antwort auf die Fra­ ge, was Rutili­ ana (R) als Erbin9 des Larianus (L) durch die Wieder­ einset­zung in den vorigen Stand bezweckt habe. Zu dieser Frage hat man u. a. drei Alter­nati­ven in Betracht gezogen:10 – gegen Ovinius (O) a) die Befreiung vom Kaufvertrag (vertreten von Kupisch); 8  Die Übersetzung folgt im Großen und Ganzen der von Okko Behrends et al. ge­ mein­ schaftlich übersetzten und herausgegebenen neuen deutschen Digesten­ überset­zung, Corpus Iuris Civilis, Band II (1995) 402. Auch für die anderen Diges­ tenstellen habe ich mich derselben gemeinschaftlichen Übersetzung ohne weitere Angaben be­dient. 9  Hulot ad h. l. (p. 303) bietet am Seitenrande eine Überschrift „Si adversus so­ lu­tio­nem ex contractu defuncti omissam, an filiusfamilias minor post emancipatio­ nem re­sti­tuatur“. Es ist doch klar, dass ‚emancipatio‘ hier fehl am Platz ist. 10  Peters 79. Liebs 377 f. prüft außerdem, ob R gegenüber O einen Schadensersatz we­gen Nichterfüllung geltend gemacht hätte, und verneint zu Recht. Diese Alterna­ tive braucht man von vornherein nicht eigens zu berücksichtigen.



Zur Debatte um den Rutiliana-Fall (Paul. D. 4,4,38 pr.)27

b) die Beseitigung der Versäumung der Preiszahlung, um den Kauf­ver­ trag er­füllen zu können (vertreten von Liebs); – gegen Telemachus (T) c) die Restitution des Eigentums an dem Grundstück. (1) Zu c): Für diese Hypothese muss man voraussetzen, dass die Vormünder der R frei­wil­lig das Eigentum an T, sei es über O oder direkt, übertragen haben. Da es sich beim Auflösungsvorbehalt praktisch um einen Eigentumsvorbe­ halt han­delt,11 hat R anscheinend kein Eigentum an dem Grundstück, das sie an T über­tra­gen könnte. Ferner ist ex silentio nicht davon auszugehen. Es ist auch unwahr­scheinlich, dass sie, die trotz der wiederholten Mahnungen (de­nun­tia­tionibus tutoribus saepe datis) nicht gezahlt haben, nach dem Kauf­vertrag zwi­schen O und T freiwillig das Eigentum an T übertragen und wieder ver­langen, es an R zu restituieren.12 Natürlich kommt alles auf die jeweiligen Tatumstände an; nur haben wir kei­ne gute Chance, sie zu erkennen. Wenn wir uns eine Fallkonstellation, in der der Besitz von O an L und dann von R als Erbin des L an O oder T über­ geht, leich­ ter vorstellen wollten, könnte beispielsweise eine Fallkon­ stellation, in der O an L ein precarium gewährt hat,13 oder eine Fallkons­ tellation, in der O und L außer­dem eine locatio conductio abgeschlossen haben,14 in Frage.15 Es ist doch ausgeschlossen, dass Paulus dem Fall einen solchen Umstand von großer Be­deu­tung schweigend zugrunde legte. 11  Kunkel / Honsell 320 f.; bereits Stryk, 293 f. In der älteren Literatur gab es An­ sich­ ten, die die fragliche lex commissoria zu Unrecht wie eine in diem addictio be­handel­ten und damit meinten, dass der Käufer mit der Besitzübergabe stets auch das Eigen­tum erwerbe (z. B. Leyser 503). 12  So aber Burdese, Festschrift Schulz I 82 Anm. 1 (zit. nach Peters 79 f.). 13  D. 43,26,20 Ulp. 2 resp.: Ea, quae distracta sunt, ut precario penes emptorem es­sent, quoad pretium universum persolveretur: si per emptorem stetit, quo minus per­solvere­tur, venditorem posse consequi. C. 4,54,3 Imp. Alexander Severus: Qui ea lege praedium vendidit, ut, nisi reliquum pretium intra certum tempus restitutum esset, ad se reverteretur, si non precariam pos­sessionem tradidit, rei vindicationem non habet, sed actionem ex venditio. 14  D. 19,2,20,2 Paul. 34 ad ed: Interdum locator non obligatur, conductor obligatur, veluti cum emptor fundum conducit, donec pretium ei solvat. D. 19,2,21 Iav 11 epist.: Cum venderem fundum, convenit, ut, donec pecunia omnis persolveretur, certa mercede emptor fundum conductum haberet: an soluta pecunia merces accepta fieri debeat? Respondit: bona fides exigit, ut quod convenit fiat: sed non amplius praestat is venditori, quam pro portione eius temporis, quo pecunia nu­me­rata non esset. D. 19,2,22 pr. Paul. 34 ad ed.: Item si pretio non soluto inempta res facta sit, tunc ex locato erit actio. 15  Vgl. Kunkel / Honsell 320 Fn. 11.

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Dagegen spricht ferner, dass gegen T, von dessen Gutgläubigkeit auszuge­ hen ist, wenn an­dere Hinweise fehlen, keine restitutio in integrum durchge­ setzt wer­den darf, wenn er auch das Grundstück besitzt.16 Liebs geht ohne Begrün­dung von der Bösgläubigkeit des T aus17 und ist doch der Ansicht, es scheine ausge­schlos­sen zu sein, dass R das Gut noch zurückverlangen kann, wenn T es ein­mal erworben hat. Liebs zitiert manche Stellen für die Aus­nahme von der Regel, dass die in integrum restitutio sich gegen den Ge­schäfts­part­ner des Minder­jährigen richtet,18 prüft doch nicht, ob es sich bei un­serem Fall um eine sol­che Ausnahme handelt oder nicht. (2) Zu a) und b). Die Ansicht, dass der Restitutionsgegner O sei, ist deshalb wohl zwingend, weil sowohl Paulus () als auch der Kaiser (, ) nichts anderes als die lex commissoria in Betracht ziehen.19 Aber die Ansicht a), die von Kupisch vertre­ten ist, meint, dass R sich von dem Kaufvertrag überhaupt lösen wolle, wäh­rend die Ansicht b), für die sich Liebs einsetzt, meint, R wolle sich seine Stel­lung als Käufer absichern. Der Hauptgrund, aus dem Kupisch eine sol­che An­sicht ver­tritt, liegt darin, dass der bereits bezahlte Preisteil aufgrund der lex commissoria dem Verkäufer verfallen sei (s. u.). Allein mir scheint, dass seine An­sicht nicht einer natürlichen Lesung des Texts entspricht,20 denn der Re­sti­tu­ti­onsgegner O wollte auch vom Kaufvertrag loskommen, und daher muss R nicht über die In­stanzen auf der Restitution bestehen. Seine Deu­tung beruht auf lebensfrem­den Voraussetzungen und ist daher sehr künst­lich.21 In der Tat ist diese Ansicht bis­her allein von ihm vertre­ten worden. 16  D. 4,4,13,1 Ulp. 11 ad ed.: Interdum autem restitutio et in rem datur minori, id est adversus rei eius possessorem, licet cum eo non sit contractum. Ut puta rem a minore emisti et alii vendidisti: potest desiderare interdum adversus possessorem restitui, ne rem suam perdat vel re sua careat, et hoc vel cognitione praetoria vel rescissa aliena­tione dato in rem iudicio. Pomponius quoque libro vicensimo octavo scribit Labeonem existimasse, si minor viginti quinque annis fundum vendidit et tradidit, si emptor rur­sus eum alienavit, si quidem emptor sequens scit rem ita gestam, restitutionem adver­sus eum faciendam: si ignoravit et prior emptor solvendo esset, non esse facien­dam: sin vero non esset solvendo, aequius esse minori succurri etiam adversus ignoran­tem, quamvis bona fide emptor est. D. 4,4,14 Paul. 11 ad ed.: Plane quamdiu is qui a minore rem accepit aut heres eius idoneus sit, nihil novi constituendum est in eum, qui rem bona fide emerit, idque et Pom­ponius scribit. 17  Liebs 378: „T wußte ja wohl Bescheid über das vorige Schicksal des Land­ guts.“ 18  Liebs 377 Fn. 13. 19  So auch Liebs 377 Fn. 14; Peters 79 f. 20  So bereits Cuiacius ad h. l., p. 1029 D: „ut liceat sibi post diem oblato pretio sol­vere potestatem legis commissoriae“; Peters 80. Nach Peters sind auch Beseler, Sanfi­lippo, Cervenca und Wieacker derselben Meinung.



Zur Debatte um den Rutiliana-Fall (Paul. D. 4,4,38 pr.)29

a) Der Inhalt des Kaufvertrags zwischen O – L O hat L, dem Vater der R, das Rutilianische Grundstück (fundus Rutilia­ nus),22 dessen erster Eigentümer Rutilius hieß, verkauft. Die Preiszahlung sollte in drei Raten erfolgen. Beim Vertragsabschluss ist ein Teil davon sofort, dann die Hälfte des restlichen Preises in zwei Monaten und die zweite Hälfte in vier Monaten zu zahlen. Dabei ist vereinbart worden, im Falle, dass eine ter­minge­rechte Ratenzahlung unterbleibe, den Kaufgegen­ stand als inemptus anzuse­hen (Auflösungsvorbehalt). Dass diese lex commissoria nicht als auflö­sende Bedin­gung, die beim Bedingungseintritt auto­ matisch auflösend wirkt, beab­sichtigt worden ist, zeigt das Verhalten des Vertragspartners O nach der Ver­säumung der Preiszahlung. Die Verabredung ist nicht als condicio ge­meint, sondern als conventio,23 die erst dann wirk­ sam wird, wenn der Verkäu­fer es will ().24 Aufgrund des weiteren Verhal­ tens der Parteien (besonders der ohne Weiteres durchgeführte Verkauf an T erst nach einem Jahr) und aus dem Schweigen des Schreibers über die er­ heblichen Einzelheiten darf man natürlicherweise anneh­ men, dass Besitz und Eigentum des an L verkauften Grundstücks auch nach dem Verkauf beim Verkäufer O geblieben sind.25 Dann handelt es sich bei die­sem Auflö­ sungsvorbehalt wortwörtlich um eine lex contrac­tus, nach der der Verkauf 21

21  Peters

79: „in der Literatur nicht vertreten.“ Darstellung Kupischs von dem Landgut (253 Fn. 26), der einerseits aus der Tatsa­che, dass das Grundstück den gleichen Namen wie Rutiliana trägt, ein Affek­ tionsinteresse des Vaters L vermutet, andererseits aus der (von Kupisch wahr­genom­ menen) nüchternen Haltung der R gegenüber diesem fundus vermu­ tet, ist nicht beson­ders hilfreich. Nach Liebs 374 u. Fn. 5 gehört das Land­gut zur Ge­gend des heutigen Ruti­gliano südlich Bari. 23  D. 41,4,2,3 Paul. 54 ad ed.: Sabinus, si sic empta sit, ut, nisi pecunia intra diem cer­tum soluta esset, inempta res fieret, non usucapturum nisi persoluta pecunia. Sed vi­dea­mus, utrum condicio sit hoc an conventio: si conventio est, magis resolvetur quam im­plebitur. Choe 629. 24  D. 18,3,6 pr. Scaev. 2 resp.: De lege commissoria interrogatus ita respondit, si per emptorem factum sit, quo minus legi pareretur, et ea lege uti venditor velit, fundos in­emptos fore … D. 18,5,10,1 Scaev. 7 dig.: … postea venditor eam legem inseruit, ut, si ex die pecu­nia omnis soluta non esset et venditor ea praedia venisse nollet, invendita essent: … Choe 621; 630. Insofern ist die Inkonsequenz der von Haruki 476  f. hergestellten japani­ schen Über­set­zung derselben Klausel, zum einen 解除約款 („Auflösungs­vorbe­halt“), zum ande­ren 解除條件附賣買 („Verkauf unter einer auflösen­ den Bedingung“), sehr prob­le­ma­tisch. 25  Wieacker, Lex commissoria 61 soll hier einen Manzipationsverbehalt angenom­ men haben (zit. nach Flume 157 Fn. 127). Flume 157 u. Fn. 124 versteht die lex com­misso­ria dahingehend, dass auch bei einer beweglichen Sache mit der Besitzüber­ gabe kein Eigen­tums­übergang erfolgt. 22  Die

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als Schuldverhältnis, wenn es der Ver­käufer beim Ausbleiben der Zah­lung des restlichen Preises will, von Anfang an als nicht abgeschlossen gilt. Die Prob­leme, die erst nach der traditio der Sache von O an R zum Tragen kommen können, wie die der Fruchtziehung26 oder der sonstigen accessiones,27 stellen sich daher auch nicht. Verfällt die erste Preisteilzahlung beim Wirksamwerden der lex commisso­ ria dem Verkäufer, wie Kupisch meint? Es hängt von der Vereinbarung der Par­ teien ab. Wenn die Zahlung etwa als arrha gemeint sein sollte, fragt sich, ob sie verfällt. Allein ex silentio ist davon nicht auszugehen, denn arrha ist kein na­türli­ches, sondern ein akzidentales Element eines Rechts­ geschäfts.28 Dafür spre­chen auch die dreiteiligen Raten, die allem Anschein nach gleich­mäßig zu sein scheinen.29 Wenn es ein Arrhalgeschäft gegeben hätte, hätte O davon Ge­brauch machen und leichter vom Vertrag loskom­ men können und nicht mehr nach vier Monaten noch weitere acht Monate mahnend zu verbrin­ gen ge­ braucht. Es ist denn auch ratsam, ex silentio keine positive Aussage von einer arrha zu ent­nehmen. Dann ist bei unserem Fall davon auszugehen, dass der Käufer L seine erste Zahlung zurückbe­ kommen soll,30 also besser gestellt ist als derjenige, der sich unter einer Verfallsabrede verpflichtet hat (lex com­missoria), der zufolge der Verkäufer 26  Vgl. D. 18,3,5 Ner. 5 membr.: Lege fundo vendito dicta, ut, si intra certum tempus pretium solutum non sit, res inempta sit, de fructibus, quos interim emptor percepisset, hoc agi intellegendum est, ut emptor interim eos sibi suo quoque iure perciperet: sed si fun­dus revenisset, Aristo existimabat venditori de his iudicium in emptorem dandum esse, quia nihil penes eum residere oporteret ex re, in qua fidem fefellisset. 27  Vgl. D. 18,3,6 pr.-1 Scaev. 2 resp. De lege commissoria interrogatus ita respon­dit, si per emptorem factum sit, quo minus legi pareretur, et ea lege uti venditor velit, fun­dos inemptos fore et id, quod arrae vel alio nomine datum esset, apud venditorem re­mansu­rum. (1) Idem respondit, si ex lege inempti sint fundi, nec id, quod accessurum dictum est, emptori deberi. 28  Wenn es um eine arrha geht, dann wird ausdrücklich davon gesprochen; z. B. D. 18,3,8 Scaev. 7 dig.: Mulier fundos Gaio Seio vendidit et acceptis arrae nomine certis pecuniis statuta sunt tempora solutioni reliquae pecuniae: quibus si non paruis­set emptor, pactus est, ut arram perderet et inemptae villae essententiarum die statuto emptor testatus est se pecuniam omnem reliquam paratum fuisse exsolvere (et saccu­lum cum pecunia signatorum signis obsignavit), defuisse autem venditricem, posteriore autem die nomine fisci testato conventum emptorem, ne ante mulieri pecuniam exsolve­ret, quam fisco satisfaceret. Quaesitum est, an fundi non sint in ea causa, ut a vendi­ tri­ ce vindicari debeant ex conventione venditoris. Respondit secundum ea quae pro­po­ne­rentur non commisisse in legem venditionis emptorem. 29  Eine Zahlung in drei Raten scheint in Rom beim Grundstücksverkehr durchaus üb­lich gewesen zu sein. Vgl. D. 18,1,6,1; D. 13,7,8,3; D. 30,19 pr.; D. 30,30 pr.; D. 30,49,1 u. 3; D. 33,1,3 pr. u. 5; D. 35,3,54 pr.; D. 35,2,32,3; D. 40,7,3,13–14; D. 45,1,140,1; UE 6,1; C. 5,13,1,7–7a (a. 530); auch D. 23,4,19. 30  So auch Liebs 386 u. Fn. 47.



Zur Debatte um den Rutiliana-Fall (Paul. D. 4,4,38 pr.)31

die Teilzahlung bei sich behält. Man muss beim Wortge­brauch vorsichtig sein, weil diese auch lex commissoria hieß. Diese Vertragsklausel, die vor dem Zahlungstermin vereinbart worden ist, wird, wenn auch in der Klas­sik erlaubt,31 seit Konstantin verboten.32 Ku­ pisch verkennt diese Tatsache.33 Seine dies­bezüglichen Erklärungen basieren auf falschen Vor­aus­setzun­gen und helfen daher nicht weiter. Solche falschen Deutungen führen zur An­ nahme, R wollte eine Beseitigung der Versäumung der Preiszah­lung (s. o.). Sein sonder­bares Verständnis um die Verantwortung der Vor­mün­der der R geht auch auf diese Annahme zurück (s. u.). b) Der Sachverlauf nach dem Vertrag Vor dem zweiten Zahlungstermin verstarb L und hinterließ R als Allein­ erbin. Zur Zahlung des Kaufpreises, die R als Erbin zu erfüllen hat, mahn­ te O ihre Vormünder,34 die als auctores der sui iuris gewordenen unmündi­ gen R fungie­ren sollten, wiederholt (saepe). Eine Mahnung nicht gegenüber R, son­dern gegen­über den Tutoren ist sachgerecht, weil die pupilla allein dazu nicht fähig ist.35 Aber eine Mahnung ist eigentlich nicht nötig, weil es genügt, die Zahlung nicht termingerecht anzubieten.36 O versuchte trotzdem mehrfach, den Vertrag aufrechtzuerhalten, aber vergebens. Darauf verkaufte O nach einem Jahr das Grundstück an einen Dritten T und löste sich damit von dem Ver­trag mit R ().37 In diesem Fall kann der Verkäufer vom ers­ ten Käufer die Diffe­renz der beiden Kaufpreise verlangen. D. 18,3,4,3 Ulp. 32 ad ed. In commissoriam etiam hoc solet conve­ nire, ut, si venditor eundem fundum venderet, quanto minoris vendiderit, id a priore emptore exigat: erit itaque adver­ sus eum ex vendito actio.

31  Kaser

Bei einem Auflösungsvorbehalt pflegt auch vereinbart zu werden, dass der Verkäufer bei einem späteren Verkauf desselben Land­ guts den Mindererlös von dem frühe­ ren Käufer verlangen könne. Und daher ist gegen diesen die Klage aus dem Kaufver­trag gegeben.

I 470 u. Fn. 6–7. = C. Th. 3,2,1 (a. 326); Kaser II 320 u. Fn. 11–12. 33  Kupisch 253 f; 260 ff.; 263 f.; kritisch dazu auch Liebs (a) 492 Fn. 53. 34  Liebs 375 sagt, sie seien zwei. Aber die genaue Zahl lässt sich nicht feststellen. So auch Kupisch 248 Fn. 5. 35  Solazzi 543 u. Fn. 123. 36  D.18,3,4,4 Ulp. 32 ad ed.: Marcellus libro vicensimo dubitat, commissoria utrum tunc locum habet, si interpellatus non solvat, an vero si non optulerit. Et magis arbi­tror offerre eum debere, si vult se legis commissoriae potestate solvere: quod si non habet cui offerat, posse esse securum. 37  Cuiacius ad h. l., p. 1029: „quasi lege commissoria“. 32  C. 8,34,3

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Es lässt sich nicht feststellen, ob dieser Umstand für den Schutz der R eine Rolle gespielt hat. Aus dem Schweigen ist es eher zu verneinen. Die tutores der R haben auch gegen den zweiten Verkauf nichts getan. c) Der Verlauf der Prozesse Nun stellte R, die sowohl zur Zeit der Klagerhebung () wie auch zur Zeit des kaiserlichen Urteils () immer noch unter Vormundschaft stand,38 An­trä­ ge auf in integrum restitutio bei den zuständigen Amtspersonen.39 Der praetor ur­banus in der ersten Instanz40 und auch der praefectus urbi in der zwei­ ten In­stanz41 wiesen die Anträge ab.42 Der Grund wird nicht angegeben, ist aber von der zustimmenden Erklärung des Paulus () prob­lem­los festzustel­ len: R hat zwar als Erbin alle Rechte und Pflichten aus dem Kaufver­trag auf sich zu neh­men, hat aber dennoch, da sie keine Vertragspartei ist, keine Legi­ timation, einen Antrag auf die in integrum restitutio betreffs des Kaufver­trags zu stellen (s. u.). Aber R, die ihre Stellung als Käuferin wieder­herstellen wollte, legte beim Kai­ser Berufung ein (). Der Bericht am Ende der Stelle (), dass die früheren Vormünder für vertrauens­unwürdig (suspecti) erklärt wor­den waren, teilt nicht mit, aus welchem Grund diese Erklärung er­folgt ist. Daher wissen wir nicht, ob sie wegen der fraglichen Zahlungsversäu­mung oder der abgewie­senen Prozess­füh­rungen oder anderer Verfehlungen aus der Vormund­schaft beseitigt worden sind.43 Es scheint doch plausibler zu sein, dass der zweite Grund eher tragend ist, wenn man bedenkt, dass der Kaiser auch diesen Grund mitberücksich­tigt hat. 3. Die Debatte beim Kaiser Der Fall wurde nun dem consilium principis44 vorlegt.45 Paulus, der auch zum consilium gehörte,46 berichtet über den Fall in seinem Buch über die 38  Vgl. ‚priores tutores‘ (). Da gibt es im Übrigen keinen Hinweis auf eine tutela mulieris. Im Übrigen konnte die in integrum restitutio im klassischen römi­ schen Recht bis zu einem annus utilis (‚legitimum tempus‘) nach der Volljährigkeit beantragt wer­den (D. 4,4,19 Ulp. 13 ad ed.). 39  Die Anträge sind rechtmäßig, so auch Liebs 378 f. 40  Kaser / Hackl 465 Fn. 44; 505 Fn. 25. 41  Kaser / Hackl 465 Fn. 42. 42  Zum Instanzenzug s. Coriat 286 f.; 305 u. Fn. 58. 43  Vgl. zum tutor suspectus Inst. Iust. 1,26; Kaser I 363 f.; Kunkel / Honsell 422 f. 44  Vgl. Wieacker 65 f.; Mousourakis 247 f.; Schulz 118; Kaser / Hackl 449 u. Fn. 33–34; Litewski 91 u. Fn. 298–299. 45  Coriat 330 f.; 434 u. Fn. 482–487. 46  Kunkel 244 Fn. 503; Maschi 675; Coriat 213.



Zur Debatte um den Rutiliana-Fall (Paul. D. 4,4,38 pr.)33

Dek­rete;47 wie üblich, zog er die Meinungen anderer Juristen nicht hinzu,48 son­dern setzte sich, da­mals a cognitionibus,49 nur mit dem Kaiser auseinan­ der. a) Die ursprüngliche Stellungnahme des Paulus Paulus sagt apodiktisch, die Unterinstanzen hätten richtig entschieden (). Seine Argumentation geht dahin: Was den Kaufvertrag anbetrifft, hat R zwar die Rechte und Pflichten von L geerbt; R ist dennoch nicht selbst die Vertrags­partei (non ipsa contraxerat), so dass es an den Voraussetzun­ gen der durch das prätorische Edikt gewährleisteten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand man­gelt. Dies kann man hieran erkennen: Ed. X. De in integrum restitutionibus § 4150 De minoribus viginti quinque an­ nis: Über die Mündigen, die jünger als fünf­ und­ zwanzig Jahre sind: Wenn vorge­ Quod cum minore quam vi­ginti quinque annis natu ges ­ tum esse dicetur, uti tra­gen wird, dass mit einem Mündigen, quaeque res erit, animadv ­ ertam. der jün­ger als fünfundzwanzig Jahre ist, ein Geschäft vorgenommen worden ist, werde ich prüfen, wie sich die Sa­ che jew ­ eils verhält.

Zur Erlangung der in integrum restitutio brauchte man zu beweisen: a) dass mit dem An­ tragsteller ein Rechtsgeschäft vorgenommen worden ist (quod … gestum esse dicetur); b) dass er bei der Geschäftsvornahme min­ derjährig war (cum minore quam viginti quinque annis natu); c) dass ein Schaden, sei es dam­num emer­gens oder lucrum cessans, entstanden ist; und d) dass die Be­nachteili­gung offensichtlich (manifesta circumscriptio) ist.51 D. h. die Restitu­tion wird im Fall von Nachstellungen infolge der Übervor­ 47  Maschi

677 f.; Liebs (b) § 423 W.79 (S. 172) m. w. Lit. z. B. D. 29,2,97 Paul. 3 decr.; D. 49,14,50 Paul. 3 decr. Es gibt im Übri­ gen auch Fälle, wo der Kaiser selbst die von ihm herangezogenen Juristen einzeln oder pauschal nennt: z .B. D. 37,14,17 pr. Ulp. 11 ad leg. Iul. et Pap. (Proculus, Volusius Maecianus, alii amici nostri iuris periti, plures iuris auctores, Salvius Iulianus). 49  Honoré 19 u. Fn. 129. 50  D. 4,4,1,1 Ulp. 11 ad ed.; Riccobono (ed.) 345. 51  D. 4,4,24,1 Paul. 1 sent.: Non semper autem ea, quae cum minoribus geruntur, rescin­denda sunt, sed ad bonum et aequum redigenda sunt. Ne magno incommodo huius aetatis homines adficiantur nemine cum his contrahente et quodammodo com­ mer­cio eis interdicetur. Itaque nisi aut manifesta circumscriptio sit aut tam neglegen­ ter in ea causa versati sunt, praetor interponere se non debet. D. 4,4,1 pr. Ulp. 11 ad ed.: Hoc edictum praetor naturalem aequitatem secutus pro­po­suit, quo tutelam minorum suscepit. Nam cum inter omnes constet fragile esse et infirmum huiusmodi aetatium consilium et multis captionibus suppositum, multo48  Vgl.

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teilungen wegen un­be­dachten Leichtsinns (inconsulta facilitas) oder Unbe­ dachtsamkeit des Al­ ters (aetatis lubricum) ge­ währt, nicht jedoch im Fall von schicksalhaften Zufäl­ len (fatum, casus).52 Der Erbfall gehört zu den letzte­ren.53 Daher ist die An­sicht, dass es an Voraussetzungen mangelt, die überzeu­gendste, die deswe­gen auch von den Unterinstanzen geteilt wurde (s. o.). Sie war denn auch die h. M. Das zeigt deut­lich der Reichsjurist C. Cervidius Scae­vola in D. 18,5,10 pr., die bis­her außer Acht gelassen worden ist. 54

D. 18,5,10 pr. Scaev. 7 dig. Seius a Lucio Titio emit fundum lege dicta, ut, si ad diem pecu­ni­am non sol­ visset, res inempta fieret. Seius parte pretii praesenti die soluta, defuncto venditore, fi­liis eius pupillaris aetatis et ipse tutor cum aliis datus, neque con­ tutori­ bus pretium secundum legem nu­ meravit nec rationibus tutelae ret­ tulit: quaesitum est, an irrita emp­tio facta es­ set. respondit se­cun­dum ea quae propo­ nerentur in­emptam54 videri.

Seius hat von Lucius Titius ein Grund­ stück mit der Bestimmung gekauft, dass dann, wenn der Kaufpreis nicht termin­ gerecht gezahlt werde, ‚die Sache nicht gekauft sein solle‘. Nachdem Seius ei­ nen Teil des Kauf­preises sofort gezahlt hatte und der Verkäu­fer gestorben war, wurde für die Söhne des Verkäufers, die sich im Mün­delalter befan­den, mit ande­ ren auch Seius selbst zum Vormund bestellt; Seius zahlte aber weder den

rum insidiis expositum: auxilium eis praetor hoc edicto pollicitus est et adversus captiones opitulationem. 52  D. 4,4,11,4–5 Ulp. 11 ad ed.: (4) Item non restituetur, qui sobrie rem suam ad­mi­nis­trans occasione damni non inconsulte accidentis, sed fato velit restitui: nec enim even­tus damni restitutionem indulget, sed inconsulta facilitas. Et ita Pomponius libro vicen­simo octavo scripsit. Unde Marcellus apud Iulianum notat, si minor sibi servum neces­ sa­ rium comparaverit, mox decesserit, non debere eum restitui: neque enim captus est emendo sibi rem pernecessariam, licet mortalem. (5) Si locupleti heres exti­tit et su­bito hereditas lapsa sit (puta praedia fuerunt quae chasmate perierunt, insulae exu­ stae sunt, servi fugerunt aut decesserunt): Iulianus quidem libro quadragen­simo sexto sic loqui­tur, quasi possit minor in integrum restitui. Marcellus autem apud Iulianum notat ces­ sare in integrum restitutionem: neque enim aetatis lubrico captus est adeundo lo­cu­pletem hereditatem, et quod fato contingit, cuivis patri familias quamvis diligen­tis­simo pos­sit contingere. Sed haec res adferre potest restitu­tio­nem minori, si adiit heredita­tem, in qua res erant multae mortales vel praedia ur­bana, aes autem alienum grave, quod non prospexit posse evenire, ut demoriantur mancipia, praedia ruant, vel quod non cito distraxerit haec, quae multis casibus obno­xia sunt. 53  So auch Glück 551 und Fn. 5; Voet ad h. l. Fn. 30 (S. 209): „Sed ratio suffici­ ens nulla est, cur aliud hoc, quam praecedenti in casu definiendum foret: nisi in eo se lae­sum minor docuerit, quod inconsulta aetatis facilitate pacta talia conventioni suae ap­poni passus sit, quae majorennis alius, firmatiore per aetatem judicio usus, non fuisset eo modo admissurus.“ 54  5  Behrends et al. III 500 Fn. 1 schlägt mit Mommsen statt inemptam ‚inemptum‘ vor. Dabei wird wohl an fundum gedacht. Aber das Wort kann sich ohne Wei­ teres auf res beziehen.



Zur Debatte um den Rutiliana-Fall (Paul. D. 4,4,38 pr.)35 Mitvormündern den Kauf­ preis entspre­ chend der Vertragsbestim­ mung noch trug er den Betrag [als Schuld­posten] in die von ihm geführte Vormundschafts­ abrechnung ein. Es wurde die Frage gestellt, ob der Kauf unwirksam gewor­ den sei. Ich habe gutachtlich entschie­ den, nach dem, was vorgetragen wurde, müsse das Grundstück als ‚nicht ge­ kauft‘ angesehen werden.

Der Käufer Seius ist zum Vormund der Miterben des Verkäufers Lucius Ti­tius bestellt worden. Das impliziert eine Situation eines Interessenkonflik­ tes, aber Scaevola geht doch anscheinend davon aus, dass man durch die Mit­vor­mund­schaft die Situation bereinigen kann. Der Fall gleicht unse­rem Fall. Hier sind die Mündel anders als R nicht Schuldner, son­dern Gläubi­ger, die aber wie R durch einen der Mitvormünder benachtei­ligt werden. Dass Seius als Käufer (und Schuldner) die Zahlung versäumte, bedeutet zu­gleich, dass er als Vor­mund der Miterben (und Gläubiger) die Zah­lung nicht for­ dern wollte. Da die Söhne des Lucius Titius die Gläubigerstel­lung durch den Erb­ fall er­ worben und nicht selbst den Vertrag abgeschlossen haben, steht Scaevola zufolge, obwohl sie infolge des Verhal­ tens des Seius offenkun­ dig benachteiligt worden sind, eine in integrum restitu­ tio als Rechtsmittel nicht zur Verfügung. Darauf deutet auch die klare Äuße­rung in Bas. 19,5,10 pr. (Scheltema BT II 933,2–3 = Heimbach II p. 279) hin: ¢nagÒraston g…netai tÕ pr©gma (in­empta fit res). Das ist sehr bemer­ kenswert, weil in diesem Fall, in dem Seius nicht nur ein tutor, sondern auch zur selben Zeit selbst debitor ist, der Schuld­ner selbst die Erfüllung des Vertrags verhindert hat, so dass die pupilli umso mehr schüt­zenswert erschei­nen. Mithin vertreten die Unterinstan­zen und Paulus die da­mals h. M. b) Die Position des Kaisers Die Logik des Kaisers ist ganz anders.55 Er sieht Probleme nicht so sehr in den rechtlichen Voraussetzungen des Edictum de in integrum restitutionibus oder in der erbrechtlichen Logik56 als vielmehr in der lex commissoria selbst (). Er hält ferner die Tatsache für erwägenswert, dass R, die als impubes stets zu schützen ist, erst nach dem Erbfall zur Schuldnerin gewor­ 55  Überliefert sind noch weitere Fälle, wo die Meinungen des Paulus und des Kai­sers unterschiedlich sind, z. B. D. 14,5,8; D. 29,2,97; D. 32,27,1; D. 36,1,76,1; Coriat 562 f. 56  Es ist nicht annehmbar, aus diesem Grund die Teile quia tamen ~ rel. ( und ) zu tilgen (so z. B. Sanfilippo, Pauli decretorum libri tres, 1938, 22 f., 29; zit. nach Pe­ters). Dagegen richtig Peters 79 u. Fn. 25.

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den und die Nach­ teile ihr erst dann entstanden sind ().57 Dafür sind schließlich die Vor­ mün­ der verant­ wortlich, die die Zahlung des restlichen Preises versäumt haben () und den zweiten Verkauf an T haben geschehen lassen (). Wenn sie des­ we­ gen verurteilt worden wären (vgl. ), wäre ihre Verantwortung umso klarer. Der Kaiser geht allem Anschein nach von Anfang an davon aus, R sei die Restitu­tion zu gewähren. Diese Ansicht berücksichtigt nicht alle Bezie­hun­gen der betroffe­nen Parteien gebührend, sondern dem Kaiser liegen einseitig die Schutzwür­digkeit des Mündels und die Verantwortung der in die Pflicht zu nehmenden Vormünder im Sinn.58 Daran könnte man vielleicht eine lai­en­hafte Einstellung erkennen. In diesem Zusammenhang bietet Kupisch eine ganz andere Interpretation an.59 Nach ihm bedeutet eaque effecisset, ne pareretur legi venditoris (), dass R bewirkt habe, dass die Tutoren nicht gezahlt hätten. R habe die in in­tegrum restitutio beantragt, um sich von dem väterlichen Vertrag zu be­ freien. R habe versucht, soweit es ihr möglich gewesen sei, sozusagen auf eigene Faust die in integrum restitutio zu verwirklichen, indem sie die Zahlung des restli­chen Kaufprei­ses verhindert habe. Auf den Kaiser habe die Tatkraft des Mäd­chens, das noch keine zwölf Jahre alt gewesen sei, als es den Tutoren sei­ nen Willen aufgezwungen habe, ihren Eindruck nicht verfehlt. Obwohl eine sol­che Behaup­tung, die freilich entgegen den bishe­ rigen Auslegungen, die ohne eine Klarstel­lung von ea nur den Gesamtsinn des Satzes paraphrasiert haben, zwar eine rich­tige Deutung von ea (ea = R) enthält, ist sie jedoch durch­aus unverständlich, weil sie die öffentliche De­ batte im kaiserlichen Rat ad absur­dum führt. Warum hätte denn R durch die Instanzen hindurch nach der in integrum restitutio trach­ ten sollen, wenn schon die Nichtzah­lung des Kaufprei­ses genügte, um vom Vertrag loszukom­ men? Wie kann man die Ver­urtei­lung der Tutoren wegen des unterlassenen Antrages auf die in in­tegrum re­stitutio erklären, wenn es wirklich dem Willen der R entspro­chen hätte, die Kaufpreiszahlung zu verhin­dern? Ange­ sichts aller Um­ stände, beson­ ders in Anbe­ tracht der Tatsa­ che, dass das Grundstück an T übertra­gen worden ist, ist es natürlich zu un­terstellen, dass R bei aller Versäu­mung der Preiszah­lung dennoch an dem Erwerb nach wie vor interessiert war und daher die in in­tegrum restitutio beantragt hat, und zwar im vollen Bewusst­sein ihrer Min­der­jäh­rigkeit und mit der Absicht, sie 57  Brunnemann ad h. l. Fn. 2 (p. 221): „quia dies committendi incidit in tempora mino­ren­nis“. 58  D. 26,1,1 pr.-1 Paul. 38 ad ed. = Inst. Iust. 1,13,1–2: Tutela est, ut Servius definit, vis ac potestas in capite libero ad tuendum eum, qui propter aetatem sua sponte se de­fendere nequit, iure civili data ac permissa. (1) Tutores autem sunt qui eam vim ac po­testatem habent, exque re ipsa nomen ceperunt: itaque appellantur tutores quasi tui­to­res atque defensores, sicut aeditui dicuntur qui aedes tuentur. 59  Kupisch 258 f.



Zur Debatte um den Rutiliana-Fall (Paul. D. 4,4,38 pr.)37

zu ihren Gunsten zu nutzen. Dann besagt der Passus ea­que effecisset, ne parere­ tur legi venditionis, dass die Nichtbei­ behaltung der vertraglichen Bestimmung auf ‚ea = R‘ zurückgeht. Des­halb habe ich über­setzt: „dass es, als sie (R) unter der Vor­mund­schaft stand, dazu gekommen war, dass der Verkaufsabrede des­wegen nicht Folge geleistet wur­de“.60 Denn es ist nicht sie selbst, die entschie­ den hat, sondern die Tutoren ha­ ben nicht ge­ zahlt, obwohl sie dazu verpflichtet wa­ren. Diese Unterlas­sung ist wohl der Grund für deren Verurteilung gewesen. Ku­pisch deutet den letz­ten Satz  auch sehr künstlich.61 Die Tuto­ren hätten pflicht­wid­rig gehandelt, ent­we­der weil sie für R den Restitutions­prozess ge­führt hätten oder weil sie die Klage des Mündels genehmigt hätten. Solche Handlun­gen als pflichtwidrig zu anzuse­ hen, ist nur schwer zu verste­hen. So­dann sieht er den Grund der Amts­enthe­ bung in­folge der pflichtwidri­gen Füh­rung der Vor­mund­schaft darin, dass sie in zwei Instanzen unterlegen hätten. Dann wider­spricht Kupisch mit seiner frü­heren Deutung. Denn das Unterlie­gen ist auf R’s Veranlassung geschehen und stellt daher kein pupillum frau­dare dar.62 Wie ist dann die kaiserliche Entscheidung, die, Kupisch zufolge, das Unter­lie­gen in Betracht ziehend die in integrum restitutio gewährt habe, zu ver­ste­hen? Kupisch meint, dass die in integrum restitutio als Konsequenz die Reha­bi­litie­rung der Tutoren, die im Zusammenhang mit dem von dem Kaiser miss­billigten Ver­trag in Verruf geraten seien, haben musste.63 Ku­ pisch denkt, der Kaiser sei gegen Paulus, eben weil der Jurist nicht daran gedacht habe.64 Die Tatsache, dass Paulus gerade davon nichts sagt, besagt das Gegen­teil. Die Aus­le­gung Kupischs ist zweifelhaft. c) Die Reaktion von Paulus aa) Die nachträgliche Rechtfertigung der kaiserlichen Entscheidung Interessant ist die Reaktion des Paulus auf die starke kaiserliche Position. Er äußert sich in der Weise, die das kaiserliche decretum zwar widerwillig, aber doch in letzter Minute rechtfertigend begründet.65 Er sei der Meinung, auch Peters 78. Er paraphrasiert den Fall mit dem Worten „nur deshalb“. 261 f. 62  Cicero pro Q. Roscio comoedo 6,16: Si qua sunt privata iudicia sum­ mae exi­ sti­matio­nis, et paene dicam capitis, tria haec sunt, fiduciae, tutelae, societa­tis. Aeque enim perfidiosum et nefarium est, fidem frangere, quae continet vitam: et pupil­ lum fraudare, qui in tutelam pervenit: et socium fallere, qui se in nego­tio coniunxit. 63  Schon dagegen Brunnemann, ad. h. l. Fn. 2 (p. 221): „fraus tutorum, qui remo­ ti sunt“. 64  Kupisch 264. 65  Cannata 147 u. Fn. 9. 60  So

61  Kupisch

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die kaiserli­ che Begründung trage die Entscheidung nicht. Den triftigen Grund habe man woanders zu suchen.66 Wenn schon, dann müsse man sich erst recht (ea ratione … quod ~) darauf beziehen, dass O noch nach dem Zah­lungster­min Mah­nungen auf die Preiszahlung wiederholte. Ein solches Ver­halten ist als Verzicht auf die lex commissoria zu deuten ().67 Diese Argu­mentation des Paulus als Jurist, der die lex contractus als vollgültig beibehal­ ten will, ge­ fällt dem Kai­ ser, der geradezu die Argumentation in Frage stellt, nicht. Dice­bam deutet wohl auf die Hart­näckigkeit des Paulus hin,68 dem der Fall ver­mut­lich als ein Machtspruch erscheint. Dies will aber nicht besagen, dass es sich um einen Willkürspruch handelt. In der Regel unterstützt der Gedanke der aequitas bzw. humanitas eine solche Entschei­ dung, die erst nach der Kon­sul­ta­tion der Juristen gefällt wird. Von Severus Alexander etwa heißt es, er habe zur Beschlussfas­sung über die Konstituti­ onen nie weniger als zwan­zig Juristen und fünfzig an­dere Mit­glieder zuge­ zogen. Die Abstimmung führte nicht zu einem bindenden Vo­tum der Mehr­ heit, sondern der Kaiser entschied allein auch gegen die An­sicht des consilium.69 Anders hätte es Mark Aurel gehand­habt, der so verfahren wäre, eher der Mehrheitsmeinung zu folgen, als die Mehr­heit seiner einzigen Mei­nung folgen zu lassen.70 Das consilium selbst schließt in aller Regel die Mög­ lichkeit der Willkürentscheidung aus. Es ist aber aufschlussreich, dass die Basiliken diese Stelle zusammenfassend nur mit der Ansicht des Paulus wie­dergeben.71 Bas. 10,4,38 pr. Scheltema BT II 558,6–14 = Heimbach I 512 f.) ’Agor£sav ØpÕ ™mprÒqesmon Óron ™ndayileuomšnou toà crÒ­ nou ™te­ leÚthsa ™pˆ ¢n»b0 klh­ ronÒm0, kaˆ m¾ katab£l­ lontov aÙtoà tÕ loipÕn toà ti­ m»­ matov met¦ t¾n proqes­ m…an dia­mar­tur…aiv Ð pr£thv ™cr»­sa­to prÕv tÕn ™p…tropon kaˆ m¾ kata­ ba­ lÒn­tov aÙtoà dia­pš­pra­ken ˜tš­r0 tÕ pr©gma. Ka­ lîv Ð ¥nhbov ¢pokaq…-

Nachdem ich ein Grundstück unter Auf­ lö­sungs­vor­behalt gekauft hatte, war ich vor dem Auflösungstermin gestorben und hatte einen unmündigen Erben hin­ terlassen. Und weil der Mündel den restlichen Preis nicht zahl­te, mahnte der Ver­ käufer nach dem ab­ gelaufenen Ter­ min dessen Tutor unter Hin­ zuziehung von Zeugen zur Zah­ lung, und weil er

66  Archi 1853 meint auch, dass die kaiserliche Entscheidung der geltenden Rechts­lo­gik widerspricht. 67  Brunnemann ad h. l. Fn. 2 (p. 221): „Recessum a commissoria lege videtur, per petitionem pretii.“ 68  Vgl. Rubenbauer et al. 243 f. (§ 212). 69  Krüger 117 u. Fn. 108. 70  Krüger 117 Fn. 109 (SHA vita Marci 22,4: aequius est, ut ego tot talium amico­rum consi­lium sequar, quam ut tot tales amici meam unius voluntatem sequantur.). 71  In dem Punkt folgt Brunnemann ad h. l. Fn. 3 ff. (p. 221) kurioserweise durch­ weg der Ansicht des Kaisers.



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sta­tai: dia­mar­tu­rÒme­nov g¦r met¦ t¾n pro­ qesm…an Ð pr£thv ¢p­ e‹pe tÍ pro­ qesm…*: e„ g¦r m¾ toàto œpra­ xe, kalîv ¨n aÙtÍ ™kš­ crh­ to, ésper Ð danei­ st¾v ka­ lîv tÕ ™nšcuron pi­ pr£s­ kei tÁv pro­ qesm…av tÁv ka­ tabolÁv me­t¦ q£naton toà cre­èstou plh­rou­mšnhv.

dann auch nicht zahlte, verkaufte er ei­ nem an­ deren die Sache. Der Mündel wird zu Recht re­stituiert. Weil nämlich der Ver­ käufer nach dem abge­ laufenen Termin ge­mahnt hat, hat er auf den Auf­ lö­sungs­vor­be­halt verzichtet. Denn wenn er dies nicht getan hätte, hätte er von dieser Ver­trags­be­stimmung zu Recht Ge­ brauch ma­ chen kön­ nen, wie der Gäubi­ger auch zu Recht das Pfand ver­ äußert, wenn der Zah­ lungstermin nach dem Tod des Schuldners abgelaufen ist.

Auf der anderen Seite folgt Harmenopulos im Hinblick auf das pignus (t¦ ™nšcura) der gleichen Ansicht wie die Basiliken. Hexabiblos 1,12,40 Heimbach 148 ’Apokaq…stantai oƒ ¼ttonev tîn ke´. ™tîn kat¦ tîn pra­ qšn­ twn aÙtîn ™necÚrwn par¦ tîn „d…wn daneistîn, e„ m¾ ¥ra Ð toÚtwn pat¾r t¦ ™nšcura to‹v daneista‹v œdwke, kaˆ oÙk aÙto….

Die Mündigen, die jünger als fünfund­ zwan­zig Jahre sind, werden in ihren von den Gläubigern veräußerten Pfändern restitu­ iert, es sei denn dass der Vater, nicht sie selbst den Gäubigern die Pfän­ der gege­ben hat.

Das zeigt auch, dass das byzantinische Recht nicht der kaiserlichen Autori­tät, sondern eher der Rechtslehre der Juristen folgt. In diesem Zusammenhang behauptet Kupisch, der Satz posse magis ea rati­one restitui eam sei im Hinblick auf die Diskrepanz der Grundkonzep­ tionen des Paulus und des Kaisers als „R kann vielmehr auf diese Weise restituiert werden etc.“ zu verstehen. „So gesehen hält Paulus durchaus an seiner Ableh­nung der in integrum restitutio fest.“ Auch die darauffolgende Bemerkung Ku­pischs ist sonderbar: „Was er vorbringt, ist in Wirklichkeit der Vorschlag einer anderen Möglichkeit der Restitution; restituere muss ja hier nicht tech­nisch, im Sinne der in integrum restitutio gebraucht sein.“72 Jedoch ist dieser Auslegung nicht zu folgen. Ferner sagt Kupisch, es sei unsinnig anzunehmen, dass R Schutz gegen Frist­ ver­ säumnis wegen Minderjährigkeit suche, weil dann das zuvor von Pau­lus vorgebrachte Argument, dass L und nicht R kontrahiert habe, für die In­ terpreta­ tion ganz fallen zu lassen sei. Er möchte eher den Akzent bei Paulus auf postea legen. Paulus bleibe so seinem Ausgangsargument, nicht R habe den Vertrag geschlossen, treu.73

72  Kupisch 73  Kupisch

251 f. 256 f.

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Allerdings ist diese Auslegung von Kupisch doch sehr verwickelt und ver­fah­ren. Denn Paulus hat nie sein erstes Argument aufgegeben. Daher hat er eben­so­we­nig behauptet, der R sei die in integrum restitutio als Schutz gegen Frist­ versäumnis wegen Minderjährigkeit zu gewähren. Außerdem bezieht sich po­stea nicht auf das erste Argument (‚keine Legitimation‘), sondern auf das zweite (‚Fristablauf‘). Kupisch hat auch dann eingeräumt: „Riskante Rechtsla­gen, die ein Minderjähriger erbt, sind als solche von der in integrum restitutio propter aetatem ausgeschlossen. Das ist, wenn ich mich nicht irre, die Auffas­sung (nicht nur) des Paulus.“ Um sie drehe sich die Kontroverse zwischen ihm und dem Kaiser. Es ist aber fraglich, ob die hiesige Rechtslage als eine ris­kan­te zu quali­fizie­ren ist. Dass es sich bei der Erbin um eine impubes handelt, rechtfer­tigt eine solche Annahme nicht von selbst (s. o.). bb) W  ie ist das Verhalten des O, nach der Zahlungsfrist oft zu mahnen, zu verste­hen? (1)  Die Argumentation des Paulus stellt einige Probleme, wenn wir auch vom Verzicht des O auf die lex commissoria durch konkludente Handlun­ gen74 aus­ge­hen. Ist der Verzicht vorerst nicht endgültig, dann kann er durch gegen­tei­lige Handlungen (in unserem Fall durch den Verkauf an T) wider­ rufen (va­ria­re) werden. Dann verliert die Argumentation des Paulus ihre Kraft. Ist sie end­ gül­ tig, dann wird die Stellung des Käufers fest, und R braucht rein lo­gisch ge­sehen keine Restitution.75 Vielmehr hat R den Ver­ trag zu erfüllen. Die Be­haup­tung, wegen des Verzichts sei die Restitution zu gewähren, ist also frag­würdig. Aber nach der h. M. in der spätklassischen Zeit um Paulus muss man beim Verfall der lex commissoria sofort76 zwi­ schen dem Verfall und der Preis­zahlung entschei­den; die Wahl ist endgültig und nicht widerrufbar.77 Eine An­nahme von Teil­zahlun­gen78 oder ein Ver­

74  So auch Peters 78 („konkludent“); bereits Fehius ad h. l. casus (Vivianus), col. 534: „tacite“. 75  Kupisch 250. 76  D. 18,3,4,2 Ulp. 32 ad ed.: Eleganter Papinianus libro tertio responsorum scribit, statim atque commissa lex est statuere venditorem debere, utrum commissoriam velit exercere an potius pretium petere, … 77  D. 18,3,4,2 Ulp. 32 ad ed.: Eleganter Papinianus libro tertio responsorum scribit, … nec posse, si commissoriam elegit, postea variare. 78  D. 18,3,6,2 Scaev. 2 resp.: Post diem lege commissoria comprehensum venditor par­tem reliquae pecuniae accepit. Respondit, si post statutum diem reliquae pecuniae venditor legem dictam non exercuisset et partem reliqui debiti accepisset, videri reces­sum a commissoria.



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langen danach79 gilt als Ver­zicht auf die lex commis­soria. Ein außergericht­ liches Verlangen genügt wohl, weil der Grund für die Unwiderrufbarkeit der Wahl im Schutz des beim Käu­ fer durch die Wahl ge­ bildeten Vertrauens liegt. Für unseren Fall, in dem O Mahnun­gen auf Preis­zah­lung wiederholte, ist vernünftigerweise vom Verzicht auf die lex commissoria auszugehen. Dann argumentiert Paulus an­ scheinend nach der gel­ ten­ den Rechts­ lehre. Demgegenüber hält Cuiacius ein klagweises Verlangen von Zahlungen für notwendig und meint, Paulus, der ohne Klage einen Ver­ zicht annimmt, biete nicht den richtigen (idonea), sondern nur noch einen scheinbar plausible­ren Grund an.80 Fürs Erste könnte er sich u. a. auf Fr. Vat. 3: Venditor, qui legem commissoriam exercere noluit, ob residuum pre­tium iudicio uenditi recte agit, quo secuto legi renuntiatum uidetur (vgl. D. 18,3,7) be­ rufen. Allein es kann dieser Stelle, die iudicio agere dann als Ver­zicht auf die lex commis­soria deu­tet, nicht entnommen werden, dass erst nach dem iudi­cio agere der Verzicht auf die lex commissoria als geschehen ange­sehen wird. Ferner ist der Kreditwürdig­keit der vermutlich aus der zwei­ten Hälfte des 4. Jahrhunderts stammenden Fragmenta Vaticana für die Klas­sik Rech­ nung zu tragen.81 Hätte Paulus ferner die kaiserliche Entscheidung im Ergeb­nis doch ernsthaft stützen wollen, so hätte er nicht derart unangemes­ sen argu­mentieren müssen. Mir scheint, dass der juristi­sche Humanist aus dem 16. Jahr­hundert die Ansicht des Paulus verfehlt. Die Frage ist nun also: Wie kann man den Fall verstehen, wenn man vom Ver­zicht auf die lex commissoria ausgeht? Peters meint, es sei legitim und ge­be der Stellungnahme des Paulus einen vernünftigen Sinn, wenn man an­ neh­me, dass – vermutlich durch ein Abschreiberversehen – vor restitui ein non ausge­fal­len sei,82 dass nämlich Paulus mit dem Hinweis auf die Mah­ nungen des Ver­ käu­ fers, also für eine Abweisung des Antrags, plädierte. Paulus sei ent­ gegen dem Kaiser der Ansicht, dass die Restitution nicht vonnöten sei. Jedoch scheint auch diese Auslegung des Peters mit seinen folgenden, sicher richtigen Deutun­gen von der Argumentation des Paulus nicht zusammenzupassen. Pe­ters prüft noch, ob eine Ergänzung des Frag­ ments in dem Sinne, dass Mah­nun­gen nach dem Zahlungstermin zwar ge­ meinhin als Verzicht auf den Rück­tritt gewertet würden, aber dass dieser 79  D. 18,3,7 Herm. 2 iur. ep.: Post diem commissoriae legi praestitutum si venditor pretium petat, legi commissoriae renuntiatum videtur, nec variare et ad hanc redire po­test. C. 4,54,4 Imp. Alexander Severus: Commissoriae venditionis legem exercere non po­test, qui post praestitutum pretii solvendi diem non vindicationem rei eligere, sed usu­ra­rum pretii petitionem sequi maluit. 80  Cuiacius ad h. l., p.1030 E: „nam si petiit extra iudicium, ei licuit variare“. 81  Wenger 543 f. 82  Peters 80 f.

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Grundsatz hier wegen der Länge der verstrichenen Zeit den Verkäufer un­ billig belasten würde und deshalb nicht an­zuwenden sei, sinn­voll und daher gleichfalls vertretbar erscheine. Bei einer derartigen Ergänzung wäre jeden­ falls eine in integrum restitutio noch denk­bar. Allein er neigt dazu, dies zu verneinen („weniger sinnvoll“)83, und zwar inso­ fern auch richtig, zumal dies dem römischen Recht widerspricht, wie be­ reits geprüft worden ist. Diese Überlegung ist allerdings entgegen dem Frühe­ren ein Versuch, den Text ohne eine Emendation durch ein hineinzulesen­ des non aufzufassen. Seine Vorge­hensweise aber, in der Text­arbeit bei der Fest­stellung der Text­ unterlage nicht konsequent, sondern je nach der Absicht in utramque partem, einmal mit und ein andermal ohne ein hinzuzufü­gendes non, zu argu­ mentieren, ist in methodo­logischer Hinsicht eine un­erwünschte. Peters begeht ferner einen logischen Fehler dadurch, dass er die Tatvor­ gän­ ge nicht in der Zeitfolge, sondern in einer umgekehrten Reihenfolge be­trach­tet. Er prüft nämlich zuerst die Reaktion des Paulus auf den Kaiser und erst danach die eigentliche Ansicht des Paulus als „eine Alternativität der Begrün­dung“.84 In diesen Fehler gerät ein Gelehrter, der sich mit dem Text nur als mit einer in der räumlichen Dimension als Ganzes wahrnehm­ bare Größe be­ fasst, wenn er dar­ über die Zeitdimension der sprachlichen Durchfüh­rung in der Lebenswelt ver­gisst. Peters zeigt schließlich mit seiner abschließen­ den Be­ mer­ kung für den Kaiser Verständnis, dass nämlich der Kaiser es angesichts der besonderen Um­stände des Falles vor­ziehe, R einen sicheren Schutz durch die restitutio in in­tegrum zu gewähren.85 Er sagt aber nicht, worum es sich in concreto bei die­sen besonderen Umständen handelt. (2) Es bleibt daher zu klären, aus welchem Grund Paulus bei der Annah­ me eines Verzichts auf die lex commissoria durch O doch die Restitution für R be­jaht. Liebs zufolge befinden sich die Restitutionsparteien ja noch – wenn auch in oberster Instanz – im Prozessstadium in iure, in dem die Gewährung pas­sen­der Rechtsbehelfe, je nachdem actio oder exceptio, nach Billigkeits­prü­fung ge­schieht.86 Paulus, der zwar seine Entscheidung entspre­ chend dem kaiserli­chen Dekret geändert hat, aber doch auf seiner Rechtslo­ gik, der Schutz der R könne sich nicht auf ihre Minderjährigkeit stützen, besteht, weiß denn auch genau, was er sagt. In diesem Zusammenhang meint Kupisch, obwohl er die Position des Paulus richtig aufgefasst hat, dass die Auslegung des Paulus der R die actio empti ver­schaffe, mit der R, so Kupisch, nichts anzufangen wisse, da sie 83  Peters

81 Fn. 30. 81. 85  Peters 82. 86  Liebs 380 f. wie die heute h. L. (Kaser / Hackl 423 u. Fn. 10–11). 84  Peters



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doch vom gan­zen Kauf nichts wissen und die Anzahlung zurückhaben wol­ le. Er meint an­derer­seits, die actio empti könne nur zur schlichten Liquida­ tion des Ver­ trags verhelfen, mit anderen Worten: zur litis aestimatio in Höhe der von R’s Vater erbrachten Anzahlung.87 Diese Auslegung, die, wie bereits oben er­wähnt, auf einer fal­schen Voraussetzung hinsichtlich R ba­ siert, ist auch nicht anzunehmen. 4. Der Status des Kaisers a) Die Stellungnahme des Paulus Der Kaiser zeigt sich für die juristische Logik nicht interessiert.88 Die juristi­schen Fachmänner folgern typischerweise vom Tatbestand (input) zur Rechts­folge (output). Bei der Prüfung des Tatbestands nehmen die Juristen einzelne Voraussetzungen unter die Lupe. Umgekehrt verfährt der Kaiser als juristi­scher Laie. Die Argumen,tation des Paulus, der nach der Debatte mit dem Kai­ser des­sen Entscheidung zu folgen und sie dazu noch ungewollt zu begrün­den hat, zeigt auch eine solche abduktive Vorgehensweise. Die Ent­ scheidung steht bis auf Weiteres vorab fest, dann folgt die rechtfertigende Be­gründung. In diesem Zusammenhang ist es ratsam, einen Blick auf den Status des Kai­sers als souveräner Rechtssetzer zu werfen. Bekanntlich ist er der Setzer und Ausleger des Rechts in einem.89 Wenn seine Stellung auch sehr stark ist, wie der Fall der Heirat des Claudius mit Agrippina (49 n. Chr.) zeigt,90 so ist es aber in der Realität für ihn nicht leicht, sich von der Tradition willkürlich ab­zukehren. In unserem Fall gibt Paulus, der sich bewusst getreu seiner Rechts­lo­gik einsetzt, schließlich doch der Autorität des Kaisers nach. Paulus bringt aber entschie­ den zur Sprache, dass das kaiserliche Dekret 87  Kupisch

259 f. ist diese Haltung nicht unbedingt eine typische. Ein Gegenbeispiel bietet Inst. Iust. 2,25 pr. an: Ante Augusti tempora constat ius codicillorum non fuisse, sed primus Lucius Lentulus, ex cuius persona etiam fideicommissa coeperunt, codicillos introduxit. … dicitur Augustus convocasse prudentes, inter quos Trebatium quoque, cuius tunc auctoritas maxima erat, et quaesisse, an possit hoc recipi nec absonans a iuris ratione codicillorum usus esset: et Trebatium suasisse Augusto, … Allgemein zur Problematik Cannata 145 ff. 89  Pabst, bes. 98 f. 90  Lebendiger ist die Darstellung eines literarischen Schriftstellers (Suet. Clau­dius 26,3; bes. lesenswert Tacit. ann. 12,5 f.) als die nüchterne Darstellung des Juristen (Kun­kel / Honsell 389 u. Fn. 18): Gai. 1.62: Fratris filiam uxorem ducere licet: idque primum in usum uenit, cum diuus Claudius Agrippinam, fratris sui filiam, uxorem du­ xisset: sororis uero filiam uxorem ducere non licet. et haec ita principalibus constitu­tio­nibus significantur. 88  Freilich

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nicht der allgemei­nen Rechtslo­gik entspricht, und stellt damit seine Profes­ sionalität unter Be­weis.91 Der Gegenmeinung gegen seine neue Konstruktion als Verzicht auf den Rück­ tritt entgegnet er weiterführend. Die Gegenansicht meint, in diesem Fall sei der Zahlungstermin erst nach dem Tod des Käufers, d. h. erst nach dem Erbfall gekommen (). Die weitere Argumentation läuft wohl wie folgt: An­ders als in dem Fall, in dem der Zahlungstermin bereits vor dem Tod des Käu­fers gekom­men und die lex commissoria wegen der Nichtzah­ lung (vor dem Erbfall) schon wirksam geworden sei, sei es hier nötig, die Erbin in An­spruch zu nehmen, d. h. sie zu mahnen und von ihr die Zahlung zu fordern. Es sei da­her falsch, die Mahnun­gen von O schlicht als Verzicht auf einen Rücktritt zu fingie­ren. Auf der anderen Seite sei R dabei als Ge­ genpartei minderjährig. Alles in allem: Sie sei in ihrem Antrag auf die in integrum restitutio zu schüt­zen. Die Antwort des Paulus folgt dem typischen Modus der Argumentation der römischen Juristen, indem ein leichter verständlicher Vergleichsfall herange­zogen wird („wenn schon ~, erst dann ~“; Schluss a fortiori). Der Ver­gleichs­fall lautet: Der Gläubiger verkauft ein Pfand, weil die Zahlungs­ frist nach dem Tode des Schuldners abgelaufen ist (),92 ohne dass der erbende pupillus er­füllt. Das Gemeinsame beider Fälle ist die Tatsache, dass nach dem Ablauf des Zah­lungster­mins ohne Erfüllung durch den pupillus als Erbe ihm ein Nach­teil aus einer aufgrund des Vertrags zwischen dem Erblasser und dem Gläubiger vom Gläubiger getroffenen Verfügung ent­ steht. Paulus stellt damit klar, dass sich die in integrum restitutio als Schutz­ mittel für den pupillus nur auf die captio, die den von ihm selbst abge­ schlossenen Vertrag betrifft, be­ zieht,93 nicht auf eine Nichterfüllung der Schuld, die er unabhängig davon aus einem anderen Grund wie ex hereditate wie hier und dort schuldet (). Erst dann prüft der Prätor nach dem Edikt zum Schutz der Minderjähri­ gen:94 uti quae­ que res erit (s. o.). Das berücksichtigen die römi­schen Juristen nach dem Maß­stab von bonum et aequum, damit den Personen dieses Alters nicht da­durch, dass nie­mand mit ihnen Geschäfte macht, erhebli­ che Nachteile entste­ hen und ihnen der Rechts­ verkehr nicht gewissermaßen untersagt ist. Wenn deshalb die 91  Zur Tatsache, dass die Juristen in der Severerzeit den Kaisern „in un rapporto quasi paritetico“ assistierten, während die sich mit der Bürokratisierung einsetzende Tendenz seit Diokletian die Struktur der römischen Jurisprudenz fundamental änder­ te, vgl. Bre­tone 42 u. Fn. 103. 92  So C. 2,28,2 pr. Impp. Diocletianus et Maximianus (a. 294): Rem, quam a patre vestro quondam creditor eius obligatam sibi distraxit, per aetatem vestram postulan­tium revocari desiderium non habet rationem. 93  Wacke 212. 94  Selb 261 ff.



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Benachteili­gung nicht offensichtlich ist oder die Minderjähri­gen sich in der betreffenden Sache nicht sehr nachlässig verhal­ten haben, darf der Prätor nicht einschreiten.95 Sie verstehen ihn dahinge­ hend, dass der Prätor nur nach Vor­unter­suchung (causa cognita) be­urteilt.96 O, der mit R beim Vertrags­schluss überhaupt nichts zu tun gehabt hat, kommt für diese Überle­ gung nicht in Frage. Es ist auch nicht ver­ nünftig, wenn der Erb­ fall auf Seiten des L dem O irgendwie schadet. Vielmehr ist davon auszuge­hen, dass die lex commisso­ria geradezu für einen solchen Fall vorgesehen ist, um das eventuell durch nachfol­gende Änderun­gen der Verhält­nisse entste­hende Ri­ siko zu vermei­den. b) Das kaiserliche decretum Der Kaiser denkt, gerade diese lex commissoria dürfe dem pupillus nicht zum Nachteil gereichen.97 Seine Entscheidung, die in der ordentlichen Urteils­form des decretum gefällt worden ist,98 beinhaltet eine starke rechts­ politische Zweck­absicht, dem pupillus einen stärkeren Schutz zu gewähren. Man streitet aber darüber, ob der Kaiser die lex commissoria als solche allgemein in Frage ge­stellt oder nur dann, wenn sie gerade wie in diesem Fall in einer Fallkon­stella­tion in Frage kommt, in der nach seiner Meinung eine rechtspolitische Zweck­mäßig­keit, die éine Partei, die minderjährig ist, eben deswegen zu schüt­zen, zur Geltung kommen soll. Peters ist für die erstere Ansicht,99 indem er gegen Sanfilippo, der für die letztere Ansicht 95  D. 4,4,24,1 Paul. 1 sent.: Non semper autem ea, quae cum minoribus geruntur, rescin­denda sunt, sed ad bonum et aequum redigenda sunt. Ne magno incommodo huius aetatis homines adficiantur nemine cum his contrahente et quodammodo com­ mer­cio eis interdicetur. Itaque nisi aut manifesta circumscriptio sit aut tam neglegen­ ter in ea causa versati sunt, praetor interponere se non debet. 96  D. 4,4,11,3 Ulp. 11 ad ed.: Sciendum est autem non passim minoribus subveniri, sed causa cognita, si capti esse proponantur. D. 4,4,44 Ulp. 5 op.: Non omnia, quae minores annis viginti quinque gerunt, irrita sunt, sed ea tantum, quae causa cognita eiusmodi deprehensa sunt, vel ab aliis circum­venti vel sua facilitate decepti aut quod habuerunt amiserunt, aut quod adquirere emo­lu­mentum potuerunt omiserint, aut se oneri quod non suscipere licuit obligaverunt. C. 2,21,3 Impp. Diocletianus et Maximianus (a.293): Si curatorem habens minor quin­que et viginti annis post pupillarem aetatem res venum dedisti, hunc contractum servari non oportet, cum non absimilis ei habeatur minor curatorem habens, cui a prae­tore curatore dato bonis interdictum est. Si vero sine curatore constitutus con­ tractum fecisti, implorare in integrum restitutionem, si necdum tempora praefinita excesse­rint, causa cognita non prohiberis. 97  Brunnemann, ad h. l. Fn. 2 (p. 221): „durities legis commissoriae in proposito“. 98  Kaser / Hackl 449 Fn. 35. 99  Peters 79 u. Fn. 23.

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ist,100 spricht. Allein das dürf­te zu weit zu gehen.101 Denn die lex commissoria ist gerade von den fragli­chen Kai­sern ohne Weiteres anerkannt, wenn kein Minderjähriger an dem betref­fen­den Rechtsge­schäft beteiligt ist: 102 103

D. 18,3,4 pr. Ulp. 32 ad ed. Si fundus lege commissoria venie­ rit, hoc est ut, nisi intra certum diem preti­ um sit exsolutum, inem­ptus fieret, vide­ amus, quem­ad­modum venditor agat tam de fun­ do quam de his, quae ex fundo per­cepta sint, itemque si deterior fundus effectus sit facto emptoris. Et quidem finita est emptio: sed iam decisa quaes­ tio est ex vendito actionem competere, ut rescriptis imperatoris Antonini et divi Se­veri declaratur.

Wird ein Grundstück unter Auf­lösungs­ vor­behalt verkauft, das heißt, dass dann, wenn der Kaufpreis nicht innerhalb der be­stimm­ten Frist gezahlt worden ist, das Grund­ stück nicht gekauft sein soll, so müssen wir prü­fen, mit welchen Klagen der Ver­ käufer hinsichtlich des Grund­ stücks selbst wie auch hinsichtlich der Früchte, die aus dem Grundstück gewon­nen worden sind, vorge­hen kann sowie in dem Fall, dass das Grund­stück durch eine Handlung des Käu­ fers ver­ schlechtert wor­ den ist. Und der Kauf [als Austauschver­ hältnis] besteht zwar nicht mehr. Aber die Streitfrage ist schon dahin entschieden worden, dass dem Ver­ käu­ fer gleichwohl die Klage aus Ver­kauf zusteht,102 wie in Reskrip­ ten des Kai­ sers Antoninus [Cara­ calla] und des vergött­lichten Kaisers Sep­timius Severus darge­legt ist.103

Es kommt nicht von ungefähr, dass das kaiserliche decretum dem gelten­ den Recht nicht entspricht.104 Das hat Cuiacius sehr deutlich ausgedrückt: „A Prin­cipe posse“.105 Im Übrigen weist Liebs darauf hin, dass Septi­mius Severus von seiner Krönung an eine solche Schutzpolitik getrieben hat.106 In der Tat hat er in seiner im Jahre 195 im Senat gehaltenen oratio zum Schutz des pupillus den Tutoren und Kuratoren verboten, ländliche und stadtnahe Grundstücke zu ver­ äußern.107 Im Fall der R geht es nicht um 100  Sanfilippo,

Pauli decretorum libri tres, 1938, 28 (zit. nach Peters). bereits Cuiacius, ad h. l., p. 1030 C, der jedoch meint, Paulus verstehe den Kai­ser als die erstere Ansicht vertretend, also gegen den Auflösungsvorbehalt „in uni­ver­sum“. 102  Vgl. D. 18,1,6,1; C. 4,54,3 sowie D. 19,5,12; C. 4,54,2 (a. 222). 103  Vgl. D. 18,2,16. 104  Cuiacius ad h. l., p. 1030 C: „contra rationem iuris“; p. 1030 E: „nec enim id iu­ris ratio patitur“. 105  Cuiacius ad h. l., p. 1030 E. 106  Liebs 385. 107  D. 27,9,1 pr.-2 Ulp. 35 ad ed.: (pr.) Imperatoris Severi oratione prohibiti sunt tuto­res et curatores praedia rustica vel suburbana distrahere. (1) Quae oratio in se­natu recitata est Tertullo et Clemente consulibus idibus Iuniis (13. 6. 195 n. Chr.) 101  So



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einen Verkauf, sondern um einen Kauf, aber der Kaiser sieht für beide Fäl­ le anscheinend ‚besonders riskante Ver­träge‘ vor sich (s. o.) und sanktioniert im gleichen Geist dementsprechend. Al­lerdings ist seine Sanktion für unse­ ren Fall nicht frei vom Verdacht einer über­mäßi­gen clementia, zumal R sich ihre Stellung als Schuldnerin und Gläu­bige­rin durch Erbfall erworben hat. Kupisch meint einerseits, wie bereits erwähnt, die Restitution beinhalte den Rücktritt des Kaufvertrags. Er betont andererseits, sie sei keine in integrum restitutio im strikt technischen Sinne.108 Dazu ist bereits kritisch Stellung ge­nom­men worden (s. o.). IV. Schlussbemerkungen Es ist ausgemacht, dass die Römer über die Schönheit der R kein Wort ver­lieren. Vielmehr sprechen davon nach einem Millenium mittelalterliche Ita­lie­ner. Ihr Verständnis dieser Stelle steht gleichwohl, wie bei Liebs und hier, auf der langen Auslegungstradition, anders die sonderbare Auslegung Ku­pischs.109 Wie sind die italienischen Rechtslehrer denn plötzlich dazu gekom­men, von der ‚Schönen‘ zu sprechen? Dazu hatten vermutlich folgen­ de Über­ le­ gun­ gen ver­ anlasst: Die kaiserliche Entscheidung, die entgegen dem gelten­den Recht er­ging, müsse einen besonderen Grund gehabt haben. Es lasse sich doch anschei­nend kein juristisch triftiger Grund finden; aber trotzdem sei der Kai­ser dazu bewogen worden. Wenn es etwas gebe, das den princeps, einen Mann, zu be­wegen imstande sei, so sei dies sehr wahr­ scheinlich die Schönheit der Frau. Ergo: R müsse schön gewesen sein. Gerade das sagt Odofre­dus:110 Odofredus, Interpretatio in undecim primos pandectarum libros, Lugduni 1550, fol. 180 v.111 Sed si boninus (= Ovinius) pre­tium non petiit: quaeritur quis me­lius dicebat ut-

Aber wenn O den Preis nicht gefordert hat: Es lässt sich fragen, wer besser

et sunt verba eius huiusmodi: (2) „Praeterea, patres conscripti, interdicam tutoribus et cu­ra­tori­bus, ne praedia rustica vel suburbana distrahant, nisi ut id fieret, parentes testa­mento vel codicilllis caverint. Quod si forte aes alienum tantum erit, ut ex rebus ceteris non possit exsolvi, tunc praetor urbanus vir clarissimus adeatur, qui pro sua religione aestimet, quae possunt alienari obligarive debeant, manente pupillo actione, si postea potuerit probari obreptum esse praetori. Si communis res erit et socius ad divisionem provocet, aut si creditor, qui pignori agrum a parente pupilli acceperit, ius exsequetur, nihil novandum censeo.“ 108  Kupisch 260. 109  Kupisch 264 stellt dies auch fest. 110  Er ist Schüler von Jacobus Balduini, als advocatus tätig und als Professor be­rühmt und reich geworden (gestorben am 3. 12. 1265); vgl. zu ihm Savigny 356 ff. 111  Zit. nach Kupisch 265.

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rum Paulus vel im­ pe­ rator. et hoc casu melius dixit Paulus . . . sed imperator dicebat pupillam restituendam: quia pac­tum legis commissoriae est odio­sum. Item quod placuit forte impe­ratori: quia erat puella facie de­co­ra.

sprach, ob Paulus oder der Kaiser. Und in diesem Fall hat Paulus besser gespro­ chen. … Aber der Kai­ser sagte, die pupilla sei in den vorigen Stand wieder­ einzusetzen: weil der Auf­lö­sungs­vor­ behalt anstößig sei. Ebenso hat es dem Kaiser gefallen, dass das Mädchen an Ange­sicht schön war.

Der Text der von mir herangezogenen Edition der glossierten Digesten lau­tet:112 Fehius, ad h. l. casus (Vivianus113), col. 534 Imperator vidit puellam formo­sam, ideo Der Kaiser sah, dass das Mädchen valde fuit motus, & par­tem suam114 fo­ schön war, so dass er stark bewegt wur­ vebat, unde tres ra­tiones assignat quare de und dessen Seite be­günstigte. Er be­ ista puella sit re­ sti­ tuenda. Prima ratio stimmt daher drei Gründe, warum jenes talis est: quia tempus illud, in quo puel­ Mädchen in den vorigen Stand wieder­ la fuit laesa, cucurrit tempore minoris einzusetzen sei. Der erste Grund ist aetatis. Secunda ratio est: quia lex com­ folgender: weil der Zeit­ punkt, in wel­ missoria est odiosa: unde non debet huic chem dem Mädchen ge­ schadet worden puellae ob­ stare. Tertia ratio est: quia ist, während der Zeit der Min­ der­ isti tutores sunt su­specti, eo quod ita se jährigkeit lief. Der zweite Grund ist: male circa fac­tum istud habue­runt: unde weil der Auflö­sungsvor­behalt anstößig prae­ sumitur hoc facto eorum eos frau­ ist, so dass er diesem Mädchen nicht im dem commisisse. unde istis ratio­ nibus Wege stehen darf. Der dritte Grund ist: motus est im­ perator, ut eam re­ stituat. weil jene Vor­mün­der Vertrauensunwür­ plus ta­ men dicit Paulus: quia potissi­ dige sind, indem sie sich so schlecht mam rationem im­pe­ra­tor tradidit ob­li­vi­ ver­hal­ten haben, dass es vermutet wird, oni. Nam ex quo venditor post tem­pus dass sie durch dieses ihr Verhalten einen lap­sum pre­tium pe­tiit, videtur legi com­ Frevel be­ gangen haben. Daher wurde mis­ soriae renun­ tiasse. & sic quatuor der Kaiser mit jenen Grün­den dazu be­ ratio­nes sunt, quae facie­bant pro illa; & wogen, es in den vorigen Stand wieder­ quae­ dam quae non est in litera: forte einzusetzen. Doch sagt Paulus mehr: quia pulchra erat. & hoc dicit (scil. weil der Kaiser den stärks­ten Grund der Odofredus).115 Vergessenheit überant­ wortet hat. Denn daraus, dass der Verkäufer nach dem ver­stri­chenen Termin den Preis verlangt hat, scheint er auf den Auflösungs­vorbe­ halt verzichtet zu haben. Und so gibt es vier Gründe, die für das Mädchen wirk­114 115

112  Der Text der Lugduni publizierten Edition von 1552, die Kupisch 247 Fn. 1 u. 58 benutzt hat, ist gleich. 113  Das Hauptwerk des Vivianus Tuscus (vgl. zur Person Savigny 339 f.) bestand dar­in, das Corpus Iuris Civilis mit den casus zu versehen (vgl. dazu Savigny 344 ff.). 114  Suam statt eius zeigt mittelalterliche Latinität. Vgl. Habel / Gröbel, s. v. suus, S. 394. Liebs 373 u. Fn. 1 zitiert den Satz auch in gleicher Form. 115  Diese Ergänzung leitet Kupisch 266 zu Recht aus dem Lehrer-Schüler-Verhält­ nis zwischen ihm und Vivianus ab.



Zur Debatte um den Rutiliana-Fall (Paul. D. 4,4,38 pr.)49 ten. Und noch einen gewis­ sen Grund, der nicht in der Schrift enthal­ ten ist: vielleicht weil sie schön war. Und dies sagt er (scil. Odofre­dus).

Es ist ohne Zweifel Odofredus, der die ‚schöne Rutiliana‘ erfunden hat. Da­ zu Kupisch: „mittels derer [scil. dieser Erfindung] er gleichsam zwei Flie­gen mit einer Klappe zu schlagen trachtete: Phantasie und Aufmerksam­ keit seiner Hörer anzuregen und ihnen eine Erklärungshilfe besonders anschauli­cher Art zu bie­ten.“116 Es ist interessant, dass die Schönheit hier eben die Schön­heit des An­ge­sichts (facie decora) darstellt. Es ist auch aus­ gemacht, dass R, wenn sie nicht schon eine Herrin gegenüber ihren Vor­ mündern war, doch derart über Tat­ kraft verfügte, dass sie sich bis zur letzten Instanz vor dem Kaiser durch­ setzte. Die Bezeichnung ‚energisch‘ (Kupisch) ist nicht übertrieben, aber der wahre Grund für ihren Sieg ist anscheinend nicht ihre Tatkraft, sondern das Wohlwol­len des Kaisers gegen­ über der Minderjährigen. Dessen ungeachtet mündet die Geschichte in eine Sackgasse, die nie ad fon­tes führt. Da erinnere man sich an die sehr kritischen Bemerkungen Savignys zur Person des Odofredus, dessen blumiger Epitaph wie folgt lautet:117 Clauditur hic mundi sensus juris­ que profundi Lux, foedus pacis, Doctorum flos Odof­ redus, …

Begraben ist hier der Welt Intelligenz und des tiefen Rechts Licht, Bund des Friedens, der Doktoren Blume Odofredus, …

Allein Savigny bewertet seinen Stil fast vernichtend: Zum einen ist von „ei­ ner ganz besonders barbarischen Sprache“ die Rede;118 zum anderen werde im Ver­gleich zu Azo „eine so breite Erklärung über den Text ausge­ gossen, dass die Schüler für eigenes Denken keinen Raum behalten, den Text selbst aber ganz aus dem Gesichte verlieren“.119 „Hier scheint die Fülle der Worte blos dazu bestimmt, den Mangel an Gedanken, oder die Unfähigkeit zu ihrer ange­mes­senen Bezeichnung, zu ersetzen, und so geht selbst das Wenige, was darin von eigenen Ansichten der Verfasser noch etwa versteckt seyn mag, dem Le­ser fast immer verloren.“120 Es ist dann auch nicht sonderlich, dass sich von ein­ zelnen Schülern des Odofredus keine Nachricht erhalten hat.121 Es ist fast ein Parado­xon, dass er, wie Sa­ 116  Kupisch 117  Savigny 118  Savigny 119  Savigny

120  Savigny 121  Savigny

265. 356. 364. 355. 354. 360.

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vigny bemerkt, häufig die Langeweile, die aus sei­ner Art der Behandlung ihm selbst und den Zuhörern entstehen mochte, durch ein­ ge­ streute Ge­ schichten wie die der Rutiliana zu verhindern suchte, und dass diese der Arbeit selbst meist völlig fremden Geschichten das Einzige sind, was uns noch immer seine Schriften brauchbar, ja unentbehrlich macht.122 Dann scheint es, dass es Gründe genug gibt, Kupischs positivere Beurteilung ru­ hig noch kriti­scher zu bedenken. Gleichzeitig aber haben wir auch Gründe genug, uns erleichtert zu fühlen, wenn wir daran denken, dass sich die römischen Juristen – anders als die mit­telalter­lichen, die ohne Grund ihren Einbildungen freien Lauf ließen und auto­ ritätsgläubig Lehrmeinungen anderer ohne Kritik wiederholten – im Feld des Rechts verantwortungsbewusst getreu der Rechtslogik sachlich betätigten. Es ist eine fast banale Weisheit, dass man sich beim Judizieren angesichts einer Per­son vor einer Voreingenommenheit oder einem Vorur­ teil, sei es we­gen einer Machtstellung oder der Schönheit, die in aller Regel sexuelle Anzie­ hungs­ kraft impliziert, hüten muss. Das haben bereits bei­ spielsweise der chi­ ne­ si­ sche Alt­ meister Guanzi (nach der Tradition mit ­Guanzhong, gest. 645 v. Chr., identisch) wie auch das Alte Testament (Dt. 1,17; cf. 16,19) klar zum Ausdruck gebracht. 123

管子, 任法 美者以巧言令色 請其主,主因離 法而聽之,此所 謂美而淫之也。 治世則不然, 不 知親疏遠近貴賤 美惡, 以度量斷 之。

Guanzi Kap. 45,8: Renfa („Sich auf rechtliche Erwä­ gungen stützen“)123 Wenn eine schöne Frau mit schön­klingen­ den Worten und über­freund­lichem Gesicht um die Gunst des Herr­schers bittet und der Herrscher sich darum vom Recht abkehrt und ihren Bitten Gehör schenkt, so bedeu­ tet dies, mit Schönheit zu sitten­losem Verhalten zu ver­führen. In einer gut regier­ten Zeit verhält man sich aber nicht in die­ ser Weise; vielmehr nimmt der Herr­ scher den Unter­ schied zwischen Ver­trau­tem und Nicht­vertrau­tem, zwi­schen Fer­nem und Nahem, zwischen Wert­ vol­ lem und Wertlosem und zwi­ schen Schönem und Häss­li­chem gar nicht zur Kenntnis und entscheidet allein auf­grund recht­licher Erwägungen.

Deuteronomium 1,7 OÙk ™pignès6 prÒswpon ™n kr…sei. 審鞠之時 勿以貌取人。

122  Savigny

366.

123  李勉註譯,管子今註今譯

下冊 (臺灣商務印書館,中華民國79年9月2版) Li Mian zhuyi, Guanzi jinzhu jinyi, xiace (Taiwan Shangwuyinshuguan, Zhong­hua Min­guo 79 nian 9 yue 2 ban) [„Li Mian, Kom­mentator und Übersetzer, Guanzi neu kom­mentiert und neu übersetzt, Band II (Taiwan Commercial Press, 2. Aufl. Sept. 1990)“] S. 739.



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Vous n’aurez point égard à l’apparence des personnes dans vos jugements. Non guardate in faccia alle persone nel giudicare. Kennt vor Gericht kein Ansehen der Person! Ihr dürft beim Rechtsprechen die Person nicht ansehen. 審判的時候 不可看人的外貌。

Ein solches öffentliches Forum wie das consilium principis ist, wenn es auch nicht stets richtige Entscheidungen gewährleistet, doch imstande zu klä­ren, wer die Verantwortung für die eventuellen Verfehlungen zu tragen hat. Das gilt auch für unseren Fall.124 Bibliographie Archi, Gian Gualberto, Indirizzi e problemi del sistema contrattuale nella le­gis­la­ zione da Costantino a Giustiniano, in: Scritti di Diritto romano in onore di C. Ferrini (1943) = idem, Scritti di Diritto romano III (1981) 1779 ff. Behrends, Okko / Knütel, Rolf / Kupisch, Berthold / Seiler, Hans Hermann (Übers. /  Hrsg.), Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung II. Digesten 1–10, 1995; III. Dige­sten 11–20, 1999 Bretone, Mario, Techniche e Ideologie dei Giuristi Romani, 19822 Brunnemann, Johannes (1608–1672), Commentarius in Pandectas, Witteber­ gae & Bero­lini 17015 Cannata, C. A., Histoire de la jurisprudence européenne, I. La jurispru­ dence ro­ maine, 1989 124  Die benutzten Versionen sind in der Reihenfolge: Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX

interpretes, edidit Alfred Rahlfs, Duo volumina in uno, Deutsche Bibelgesellschaft: Stuttgart 1935, 1979, 285. 救主耶穌降世一千九百十二年,舊新約聖經,文理串珠 (上海大美國聖經會 1912). Jiaozhu Yesu jiangshi 1912 nian, Jiu Xin Yue Shengjing, Wenli Chuanzhu (Shang­hai Da Meiguo Shengjinghui 1912) [„1912tes Jahr des Erdenweges des Herrn Jesus, Hei­li­ge Schrift des Alten und Neuen Testamentes, Übersetzung in klassisches Chi­nesisch mit Verweisen zu Parallelstellen (Shanghai, Große Bibelgesellschaft von Ame­rika 1912)“] 155. Louis Segond (trad.), La Sainte Bible (édition revue avec références, Alliance Bib­li­que Universelle: Seoul 1986) 190. La Sacra Bibbia, traduzione dai testi originali, Edizioni Paoline, Pia Società San Pa­olo: Roma 1968, 203. Die Bibel. Altes und Neues Testament, Einheitsübersetzung, Katholische Bibelan­ stalt GmbH: Stuttgart 1980, 168. Hermann Menge (Übers.), Die heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments, Deut­sche Bibelgesellschaft: Stuttgart 1949 / 84 232. 聖經 Shengjing [„Bibel“] • Holy Bible, King James Ver­sion• 新標點和合本,香 港聖經公會: 香港 Xin biaodian heheben, Xianggang Sheng­jing Gonghui, Xiang­ gang [„Har­ moniebibel mit neuer Zeichensetzung, Hongkon­ ger Bi­ bel­ gesellschaft: Hong­kong“] 1992, Fourth Printing 1994, 275.

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Zur Debatte um den Rutiliana-Fall (Paul. D. 4,4,38 pr.)53

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Das entgeltliche Mandat im römischen Recht Von Thomas Finkenauer I. Die Entgeltlichkeit des Mandats in den neueren Rechtsordnungen Gerade der deutsche Jurist hat wegen § 662 BGB den Eindruck, dass das Man­ dat gewissermaßen wesensmäßig unentgeltlich sei. Dieser Eindruck ver­stärkt sich, wenn man in ein beliebiges Lehrwerk oder Handbuch zum römi­schen Recht blickt: man­datum nisi gratuitum nullum, wie Paulus es in D. 17,1,1,4 ausdrückt1. Dass das BGB in dieser Frage dem römischen Recht folgt, ist kein Zufall. Hatte § 586 des ersten Entwurfs dem Auftraggeber noch die Mög­ lichkeit ge­ geben, sich zu einer Vergütung zu verpflichten2, kehrte der zweite Entwurf aus systematischen Gründen zum römischen Vorbild und damit zum unentgeltli­chen Mandat zurück3. Der in der zweiten Kommis­ sion erfolgreiche Antragstel­ ler Jacubezky begründete diese Rück­ kehr da­ mit, dass es sich beim entgeltli­ chen Mandat in Wirklichkeit um einen Dienst- oder Werkvertrag handele und eine solche Einordnung entgegen vielfacher Kritik auch keine „Herabwürdi­gung der selbständigen Geistesar­ 1  Siehe etwa Henry John Roby, Roman Private Law, Bd. II, Cambridge 1902, 116 f.; Édou­ard Cuq, Manuel des institutions juridiques des Romains, Paris 1917, 490; Max Kaser, Das Römische Privatrecht. Erster Abschnitt: Das Altrömische, das Vorklassi­sche und Klassische Recht, München 19712, 577; Mario Talamanca, Istitu­ zioni di di­ritto romano, Milano 1990, 604; Jan Dirk Harke, Römisches Recht, 2008, § 9 Rn. 33; Giu­seppe Provera, Mandato (negozio giuridico) ED 25 (1975) 311–321, hier 314; aber auch Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations. Roman Foun­ dations of the Ci­vilian Tradition, Cape Town 1990 (ND Oxford 1996), 415, 418 („gratuitousness … a matter of form rather than of substance“). 2  Dazu die Motive der ersten Kommission in: Die gesamten Materialien zum Bürgerli­chen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Hrsg. Benno Mugdan, Bd. II, Ber­ lin 1899 (ND 1979), 294; Siegbert Lammel, in: Historisch-Kritischer Kom­mentar zum BGB, Schuldrecht, Besonderer Teil, Teilbd. 2, Tübingen 2013, §§ 662–675 Rn. 8, 10. 3  Horst Heinrich Jakobs / Werner Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetz­ buchs in systematischer Zusammenstellung, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, Ber­lin / New York 1983, 44.

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Thomas Finkenauer

beit“ bedeute4. Hintergrund die­ses Einwands war die soziale Höherbewer­ tung bestimmter Berufe, der sog. ope­rae liberales von Rechts­ anwälten, Ärzten, Lehrern etc., die sich dagegen verwahrten, als von den Weisungen eines Dienstberechtigten abhängig zu gelten5. Die Auf­recht­erhal­tung des Unentgeltlichkeitsprinzips in § 662 BGB erkaufte sich das BGB frei­ lich mit einer weiteren Bestimmung, nach der auf einen Dienst- und Werk­ver­ trag, der zugleich eine Geschäftsbesorgung zum Inhalt hat, die wich­tigsten Vor­schriften des Auftragsrechts Anwendung fin­den, insbesondere die Her­ ausgabepflicht des Beauf­ tragten sowie die Vor­ schuss- und Aufwen­ dungs­ ersatzpflicht des Auftrag­gebers (§ 675 Abs. 1 BGB). Einfacher machen es sich die meisten europäischen Rechtsordnungen. Schon die naturrechtlichen Kodifikationen kennen ein entgeltliches Man­ dat. Nach §§ 74 ff. I,13 ALR kann der Beauftragte („Bevollmächtigte“) eine nicht verein­barte „Belohnung“ fordern, wenn sie vom Gesetz vorge­ sehen ist oder das Ge­schäft zu seinem Gewerbe gehört. Ansonsten ist die Frage einer „Be­lohnung“ der Parteivereinbarung überlas­sen. Auch § 1004 ABGB kennt die ausdrückli­ che oder stillschweigende Vereinbarung einer „Belohnung“ für den Geschäfts­besor­ger. Nach Art. 1986 Code civil und in sei­nem Gefolge Artt. 1737, 1739 Codice civile 1865 ist das Mandat unent­ geltlich, es sei denn, Ent­geltlichkeit wäre ver­einbart. In diesem Sinne ent­ scheiden auch Art. 689 Dres­ dener Ent­ wurf, Art. 274 hessischer Entwurf, Art. 688 bayrischer Entwurf Theil II und Art. 394 Abs. 3 Schweizer Obli­ gationenrecht, aber etwa auch § 648 Abs. 2 jap. BGB6 oder Art. 7:405 Bur­ gerlijk Wetboek. § 1299 sächsi­sches BGB stellt eine widerleg­liche Vermu­ tung gegen das Vorliegen eines Auftrags auf, wenn eine Gebühr verlangt wird. Ausdrücklich heben Art. 688 bayr. Entwurf Theil II ebenso wie die Mo­ tive zum hessi­ schen Entwurf, zum Code civil7 und Kübels Vorentwurf zum BGB hervor, dass die Vereinbarung einer Vergütung nicht zu einer 4  Karl Jakubezky, Bemerkungen zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetz­ buches für das Deutsche Reich, München 1892, 135 zu § 559, 141 zu § 586 des ersten Ent­wurfs. Zu Jacubezky Thomas Finkenauer, Karl Jacubezky und das BGB, ZRG GA 130 (2014) 325–362. 5  Siehe nur Heinrich Dernburg, Pandekten, Bd. II, Berlin 1886, § 115 nach Note 9; Proto­kolle der 2. Kommission bei Mugdan II (o. Fn. 2) 897 f.; Reinhard Zimmermann, Der Auftrag im römisch-holländi­ schen Recht, in: Mélanges Felix Wubbe, Fribourg 1993, 587–611, hier 592 ff. 6  Dazu Toshio Hironaka, Das Recht des mandatum und sein Einfluss auf das gegen­wärtige Recht verschiedener Länder, in: Mandatum und Verwandtes, Hrsgg. Dieter Nörr / Shigeo Nishimura, Berlin u. a. 1993, 3–11, hier 10. 7  Dazu François Dumont, La gratuité du mandat en droit romain, in: Studi in onore di Arangio-Ruiz, Bd. II, Napoli 1953, 307–322, hier 322.



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht57

Wesensände­rung des Mandats führe, die Unentgeltlichkeit kein essentiale, sondern allen­falls ein naturale sei, nämlich dann, wenn es sich um einen Freundschafts­dienst han­dele8. Zumindest die gemein­rechtliche Praxis, aber auch „nicht we­nige Rechts­leh­rer“ kann Kübel für die Ableh­nung der Unent­ geltlichkeit als konstitu­tives Merkmal des Mandatsbegriffes anführen9. Am weitesten geht Art. 1709 Codice Civile 1942, der sogar die Vermutung der Ent­geltlichkeit aufstellt10. Dieser kurze Überblick zeigt, dass in neuerer Zeit die Zulässigkeit eines ent­geltlichen Auftrags oder wenigstens eines entsprechenden Rechtsinstituts wie der entgeltlichen Geschäftsbesorgung einhellig bejaht wird. Offenbar sollen es die Parteien in der Hand haben zu bestimmen, ob der Beauftragte neben einem Lohn, der ihm nach Dienst- oder Werkvertragsrecht zustehen würde, auch seine Aufwendungen ersetzt erhalten soll. Während nach Dienst- und Werk­ vertrags­ recht mit dem Lohn die Auf­ wendungen bereits abgegolten sind, lässt der ent­geltliche Auftrag die Kombination aus Lohn und Aufwendungsersatz zu. Soll­ ten solche Bedürfnisse in der römischen Klassik nicht bestanden oder die römi­schen Juristen sie gar unter dem eher doktrinä­ren Hinweis auf das We­sen des Mandats zurückgewiesen haben? War also wirklich in Rom „nichts zu sehen“ von einem entgeltlichen Man­ dat11?

8  Franz P. v. Kübel, in: Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldver­hältnisse, Hrsg. Werner Schubert, Bd. II, Berlin / New York 1980, 802, 805 m. w. Nachw. 9  v. Kübel (o. Fn. 8) 807, 809; Motive (o. Fn. 2) 294: Unentgeltlichkeit „kein we­sent­li­ches Requisit“. – Übrigens entscheidet auch das römisch-holländische Recht in die­sem Sinne, vgl. Zimmermann (o. Fn. 5) 594. 10  Dazu Giovanna Coppola, Dalla gratuità alla presunzione di onerosità. Con­ si­ de­ra­zioni sul contratto di mandato alla luce di recenti studi, in: Teoria e storia del diritto privato, Rivista internazionale online 3 (2010) 1–112, hier 91. Ähnlich auch Art. IV.D.-2:102 (I) DCFR und Art. 2:102 Abs. 1 PEL, wenn der Beauftragte ein Un­ter­nehmer ist. 11  So Alfons Bürge, Salarium und ähnliche Leistungsentgelte beim mandatum, in: Nörr / Nishimura (o. Fn. 6) 319–338, hier 337; zust. Andreas Wacke, Die Anerken­ nung der Medizin als ars liberalis und der Honoraranspruch des Arztes, ZRG RA 113 (1996) 382–421, hier 406 mit Fn. 112.

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Thomas Finkenauer

II. Mandatum nullum nisi gratuitum 1. Das Mandat hat seine Ursprünge in officium und amicitia, wie uns Paulus lehrt12: D. 17,1,1,4 Paul. 32 ad ed. Mandatum nisi gratuitum nullum est: nam originem ex officio atque amicitia trahit, contrarium ergo est officio mer­ ces: interveniente enim pe­ cunia res ad locationem et con­ductionem potius res­ picit.

Ein Auftrag, der nicht unentgeltlich ist, ist kein Auftrag; denn der Auftrag hat seinen Ursprung in Pflichtgefühl und Freund­schaft; mit Freund­schafts­pflicht aber ist Lohn unvereinbar. Kommt näm­ lich Geld ins Spiel, so stellt das Rechts­ verhältnis eher einen Dienst- oder Werkvertrag dar.

Auftragsverhältnisse stehen anfänglich, vom Gedanken der fides be­ herrscht, außer­halb des Rechts13. Der Verweis auf das officium deutet wohl in erster Linie auf das Verhältnis zwischen Freilasser und Freigelassenem14, der häufig als Prokurator und damit als Beauftragter des Freilassers auf­ tritt15. Mit amici­tia sind dagegen die vielfälti­gen Freundschaftsbeziehungen angesprochen, die gerade in der römischen Ober­schicht ein Netz von wech­ selseitigen „Ver­pflich­tungen“ und von Gaben und Gegen­gaben schufen16. Allerdings gab es durch­ aus auch Freundschaftsverhältnisse in den Unter­ schichten und amici inferio­res17. 2. Auf der Verachtung der Lohnarbeit beruht die Unterscheidung zwi­ schen operae liberales und operae illiberales, die bis in die Zeit der Verab­ 12  Siehe schon Cicero, S. Rosc. 111. Daneben kennen D. 3,5,30 pr.; 17,1,26,8; 18,1,35,3; 28,5,47 die Beauftragung eines Freundes oder durch einen Freund; das officium beto­ nen demgegenüber D. 17,1,27,2; eod. 36,2; eod. 56,2; C. 2,12,10 und 18. 13  Siehe auch Alfons Bürge, Römisches Privatrecht, Darmstadt 1999, 129. 14  Coppola (o. Fn. 10) 17; vgl. vor allem Pap. D. 3,5,30 pr. (liberto vel amico manda­vit). 15  Siehe dazu statt vieler Hermann Gottlieb Heumann / Emil Seckel, Heumanns Handlexi­kon zu den Quellen des römischen Rechts, Jena 19149, s. v. procurator a); zur Mandats­klage (wenigstens ab der Zeit Julians) Fabian Klinck, Zur Bedeutung des Wor­tes procurator in den Quellen des klassischen Rechts, ZRG RA 124 (2007) 25–52, hier 32 ff., 51. 16  Dieter Nörr, Mandatum, fides, amicitia, in: ders. / Nishimura (o. Fn. 6) 13–37, hier 13; Bürge (o. Fn. 11) 320. 17  Nörr (o. Fn. 16) 21; Giovanna Coppola Bisazza, Brevi riflessioni sulla gratuità del mandato, in: Studi in onore di Antonino Metro, Bd. I, Milano 2009, 483–510, hier 488; Thomas Schneeberger, Der Einfluss des Entgelts auf die rechtliche Stellung des Beauf­tragten, Bern 1992, 12 f. Informativ zu verschiedenen Erscheinungsformen der amicitia Tobias Rundel, Mandatum zwischen utilitas und amicitia. Perspektiven zur Man­datar­haftung im klassischen römischen Recht, Münster 2005, 164 ff.



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht59

schiedung des BGB wirkmächtig bleiben sollte. Entgeltliche Tätigkeit wird als Selbstver­sklavung verach­tet18, der wirklich freie Mann erbringt seine Dienste als bene­fi­cia19 und freut sich allen­falls über eine spätere Anerken­ nung in gleich wel­cher Form. Er wird (aus der Sicht des Auftraggebers) nur mea gratia, nicht um sei­netwillen tätig und verlangt da­her nur Ersatz seiner Aufwendungen, Gewinn möchte er aus seiner Tätigkeit nicht ziehen. Wer dagegen mit seiner Hände Arbeit seinen Lebensunterhalt verdienen muss, kann sich eine solch wohltä­tige Haltung nicht leisten. Er ist darauf angewie­ sen, sich gegen eine Entloh­ nung (merces) in einer locatio conductio in Form eines Dienst- oder Werkver­trags zu verdingen. 3. Die Unentgeltlichkeit eines Mandats wird in einigen Texten explizit an­ge­führt. Manche sprechen daher geradezu von einem „Unentgeltlichkeits­ axiom“20. Meist ge­schieht dies zur Abgrenzung von der locatio conductio: Gai. inst. 3,162 In summa sciendum (est, si faci­endum) aliquid gratis dederim, quo nomine si mercedem statuis­sem, locatio et conduc­ tio contra­heretur, mandati esse actionem, veluti si fulloni polienda curan­ dave vesti­menta dederim aut sar­cinatori sarci­ enda.

D. 19,5,22 Gai. 10 ad ed. provinc. Si tibi polienda sarciendave ve­sti­menta dederim, si quidem gratis hanc operam te suscipiente, man­dati est obligatio, si vero mercede data aut constituta, loca­ tionis con­ductionisque negotium geritur. quod si neque gratis hanc operam susce­ peris neque protinus aut data aut consti­ tuta sit merces, sed eo animo negotium gestum fuerit, ut postea tantum mercedis nomine daretur, quantum inter nos statu­ tum sit, placet quasi de novo ne­gotio in factum dandum esse iudi­ cium, id est praescriptis ver­bis.

Schließlich muss man wissen, dass eine Klage wegen Auftrags anwendbar ist, wenn ich irgend etwas umsonst (zu tun) vergeben habe, was, falls ich deswegen einen Lohn festgesetzt hätte, den Ab­ schluss eines Werk­ vertrags bedeutet hätte, zum Beispiel, wenn ich Klei­ dungsstücke einem Walker zum Stärken oder Reinigen (übergeben hätte) oder einem Schneider zum Fli­cken. Ich habe dir Kleidung zum Reinigen oder zum Ausbessern gegeben. Hast du diese Arbeit un­entgeltlich übernommen, so be­ steht eine Verpflichtung aus Auf­ trag. Ist aber eine Vergütung ge­ zahlt oder bestimmt worden, dann wurde ein werkvertragliches Rechtsgeschäft vorge­ nommen. Hast du jedoch diese Arbeit nicht unentgeltlich übernommen und ist auch nicht sogleich ein Entgelt gezahlt oder bestimmt, sondern das Geschäft in der Absicht vorgenommen worden, dass später so viel als Vergütung gezahlt werde, auf wieviel wir uns einigen wür-

etwa Cicero, off. 1,42,150 (merces auctoramentum servitutis). nat. 1,122; leg. 1,18,48; inv. 2,115, s. auch S. Rosc. 111; Seneca, benef. 4,1,2; 4,25,3. 20  Siehe nur Coppola (o. Fn. 10) 33; dies. (o. Fn. 17) 495; ähnlich Alan Watson, Con­tract of Mandate in Roman Law, Oxford 1961, 102. 18  Siehe

19  Cicero,

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Thomas Finkenauer den, so ist an­ erkanntermaßen wie bei einem neuartigen Geschäft eine auf den Sachverhalt abgestellte Klage, das heißt eine Klage mit vorgeschalteten Formel­ worten, zu gewähren.

Gaius macht ganz klar: Reinigen oder Flicken sind dann Gegenstand ei­ nes Werk­ver­trags, wenn von vornherein ein Entgelt bezahlt oder doch we­ nigstens der Höhe nach bestimmt wurde. War dagegen Unentgeltlichkeit vereinbart, kommt nur ein Auftrag in Betracht. War zwar Entgeltlichkeit ausgemacht, je­doch das Entgelt noch nicht in sei­ner Höhe bestimmt, gibt er eine actio in fac­tum21. Auch die Spätklassik behält die genannte Unterschei­ dung bei: Hatte je­ mand gegen Entgelt seine Dienste verdingt, etwa als Schiffskapitän, bestand ein Dienstvertrag; war Unentgeltlichkeit vereinbart, ein Auftrag22. Noch Justinian lehrt die Unterscheidung: Inst. 3,26,13 In summa sciendum est manda­tum, nisi gratuitum sit, in aliam for­ mam negotii cadere: nam mer­ cede con­ stituta incipit locatio et con­ductio esse et ut generali­ ter di­xe­ri­mus: quibus casibus sine mer­ ce­ de sus­ cepto officio mandati aut de­ positi contrahitur negotium, his ca­sibus interve­niente mercede lo­ca­tio et conduc­ tio contrahi in­tel­le­gi­tur. et ideo si fulloni po­lien­da cu­randave vestimenta de­de­ris aut sar­cinatori sarcienda nul­la mer­cede constituta neque pro­ missa, mandati competit actio.

Schließlich muss man wissen, dass ein Auf­trag, wenn er nicht unentgeltlich ist, un­ ter den Tat­ bestand eines anderen Rechts­ ge­ schäfts fällt. Denn durch Ver­ ein­barung eines Ent­gelts wird der Ver­ trag ein Dienst- oder Werk­vertrag. Oder um es allgemein zu sa­ gen: In allen Fällen, in denen durch die un­ ent­ gelt­ liche Übernahme einer Pflicht ein Auf­ trags- oder Verwah­rungsvertrag be­grün­ det wird, sieht man, wenn ein Entgelt vereinbart wird, einen Dienst- oder Werkver­trag zu­stande kom­men. Und deswegen ist eine Auf­ trags­ klage gege­ ben, wenn du Klei­ der ohne Ver­ ein­ ba­ rung oder Verspre­ chen eines Ent­ gelts einem Klei­derreiniger zum Stär­ken oder Reinigen oder einem Schnei­ der zum Aus­bessern gibst.

Da sich locatio conductio und mandatum nicht mehr in der Frage des mög­ li­ chen Ver­ tragsgegenstandes unterschieden, sondern das Mandat auch „nie­dere“ Dienste um­fassen konnte, bestand offenbar das Bedürfnis nach einem griffigen Unterschei­ dungskriterium zwischen den beiden Kon­ sen­ 21  Siehe auch Gai. 3,142 f. Die ebenfalls genannte actio praescriptis verbis hält Du­mont (o. Fn. 7) 312 für nachklassisch. 22  Siehe Ulp. D. 14,1,1,18; Paul. D. 14,1,5 pr.



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht61

sualverträ­gen; dieses lieferte die Unent­geltlichkeit23. Auch zur Abgrenzung zu Kauf und Gesell­schaft konnte das Kriterium beitragen, wie Ulpian / Juli­ an D. 19,5,13,1 zeigt: neque mandatum, quia non est gratuitum. Selbst das Bereicherungsver­bot stützt Ja­volen, unser ältester Text zur Problematik, auf den Unentgeltlich­keitsgrund­satz, wenn er meint, der Beauftragte dürfe sich keinen Vorteil ver­schaffen24. Zweifel am Unentgeltlichkeitsdogma kommen freilich mit folgendem Ul­ pian­text: D. 17,1,6 pr. Ulp. 31 ad ed. Si remunerandi gratia honor inter­venit, erit mandati actio.

Kommt es, um den Beauftragten zu beloh­nen, zu einer Ehrengabe, so bleibt es bei der Auf­tragsklage.

Man hat den Text, dessen Zusammenhang nicht mehr sicher zu rekonstruie­ ren ist, auf die actio mandati contraria bezogen25. Dann wäre er ein Beleg dafür, dass ein honorarium auf dem ordentlichen Klageweg einklagbar war26. Herr­schend ist dage­gen heute die Lesart, dass eine bereits gezahlte Belohnung An­sprüche aus dem Mandat nicht ausschließt27. Während man­ che dabei nur an die actio mandati directa denken28, lassen andere die Klagerichtung zu Recht offen und sehen, wie auch Ul­pian selbst, allgemein das iudicium man­dati ange­spro­chen29. Die herrschende Deu­tung verdankt sich dem Bestreben, ein Entgelt aus dem iudicium mandati möglichst her­ auszuhalten. Immerhin kann sie aber auf eine Vielzahl von Textbelegen verwei­sen, nach denen nur das außerordent­liche Verfahren für die Hono­ 23  Jean Macqueron, Le travail des hommes libres dans l’antiquité romaine, Aixen-Pro­vence 19582, 168; Schneeberger (o. Fn. 17) 32. 24  D. 17,1,36,1 Iav. 7 ex Cass. … sed nec lucrum tibi ex hac causa adquirere debes, cum mandatum gratuitum esse debet …; dazu Rundel (o. Fn. 17) 87; s. zudem Ulp. D. 19,5,13 pr.; Paul. D. 17,1,20 pr. 25  Károly Visky, Geistige Arbeit und die „artes liberales“ in den Quellen des römi­schen Rechts, Buda­pest 1977, 59 in Fn. 62; Sebastiano Tafaro, Regula e ius aequum in D.50.17.23, Bari 1984, 278. 26  Diese Deutung setzt zusätzlich voraus, dass intervenire hier nur das Verspre­ chen einer Belohnung meint, vgl. Dumont (o. Fn. 7) 319. 27  Watson (o. Fn. 20) 110  f.; Coppola (o. Fn. 10) 35; dies. (o. Fn. 17) 496; Rundel (o. Fn. 17) 103; Salvo Randazzo, Mandare. Radici della doverosità e percor­ si con­ sen­ sualistici nell’evoluzione del mandato romano, Milano 2005, 204. Für Über­arbeitung jedoch Vincenzo Arangio-Ruiz, Il mandato in diritto romano, ND Napoli 1965, 118. 28  So Walter Erdmann, Freie Berufe und Arbeitsverträge in Rom, ZRG RA 66 (1948) 567–571, hier 569; Dumont (o. Fn. 7) 319; Kaser I (o. Fn. 1) 577 in Fn. 3; Wacke (o. Fn. 11) 406 in Fn. 112. 29  Bürge (o. Fn. 11) 320.

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rarklage zuständig war30. Für den Erweis einer Entgeltlich­keit des Mandats und einer Entgeltklage im ordentli­ chen Verfahren ist der Text sicher zu undeutlich. Schwieriger liegt es mit dem schon zitierten Paulustext D. 17,1,1,4 in fine: interve­niente enim pecunia res ad locationem et conductionem potius respicit, ist Geld im Spiel, kommt „eher“ eine locatio conductio in Be­ tracht31. Die vor­sich­tige Ausdrucks­weise des Paulus steht in einem merk­ würdigen Gegen­satz zum Eingang des Texts, in welchem er ein entgeltliches Mandat glatt als in­existent erachtet. Dürfen wir die Eingangsworte nur als Grundsatz auffas­sen, von dem abzuweichen Paulus, je nach den beteiligten Interessen, dann erlaubt, wenn trotz Entgeltlichkeit eine locatio con­ductio ausnahmsweise unpassend ist? Der noch ausführlich zu besprechende Text D. 17,1,26,8 stammt aus dem­selben Buch wie D. 17,1,1,4 und behandelt ausdrück­ lich den Anspruch auf eine merces bei einem Mandat. Für den Moment genügt die Feststellung, dass Pau­lus mit dem Schluss des Texts den Geltungsanspruch des Textanfangs je­den­falls erheb­lich relativiert32. 4. Durch die „Verrechtlichung“ der Freundschaftsverhältnisse mit der actio mandati directa des Auftraggebers, mit der dieser auf Durchführung des Ge­schäfts und Her­ausgabe des aus der Auftragsdurchführung Erlangten klagen konnte, und mit der auf Aufwendungsersatz gerichteten actio mandati contra­ria des Beauftragten entsteht Rechtszwang. Nur die Übernahme eines Mandats ist noch Sache des freien Willens, danach aber besteht necessitas: voluntatis est enim suscipere mandatum, necessita­tis consummare (Paulus D. 13,6,17,3). Wo bisher die fides regierte, werden nun die gegen­ seitigen Rechte und Pflich­ten der Parteien nach der bona fides beurteilt33. 30  Siehe

unten S. 65 ff. Formulierung potius respicit ist nur hier anzutreffen. 32  So auch Dumont (o. Fn. 7) 309; Jaques Michel, La gratuité en droit romain, Bru­xelles 1962, 186 (der aber deshalb an einen späteren Bearbeiter glaubt). Dagegen meint Watson (o. Fn. 20) 106, mit potius habe Paulus seine Zweifel daran ausge­ drückt, ob im Falle der Entgeltlichkeit tatsächlich die locatio conductio Anwendung finde und nicht vielleicht auch eine actio in factum (ähnlich Roberto Fiori, La defini­zione della ‚locatio conductio‘, Napoli 1999, 265 in Fn. 15). Hiergegen spricht, dass eine sol­che Klage nicht genannt ist, sondern vielmehr das Mandat und Paulus dieses nur von der locatio con­duc­tio abgrenzt. – Ohne Beweiskraft für Entgeltlich­ keit sind dagegen die Worte in sum­ma in Gai. 3,162; denn es bedeutet nur „schließ­ lich“ und nicht etwa nur „grundsätz­lich“ (zutr. Watson, a. a. O.; Fiori, a. a. O., 263 in Fn. 11; anders aber Dumont, o. Fn. 7, 309). 33  Nörr (o. Fn. 16) 14; mit guten Gründen skeptisch gegenüber Nörrs Juridifizie­ rungsthese Rundel (o. Fn. 17) 188 ff., insoweit damit ein bewusster Transfer zwi­ schen Ethik und Recht, eine Institutionalisie­rung, angesprochen ist; dazu sogleich im Text. 31  Die



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht63

Wie­viel übrigens nach einem iudicium mandati noch von einer Freundschaft übrig war, kann man sich den­ken. 5. Nach Schaffung des iudicium mandati, das von der Erfüllung bloß sittli­cher Pflich­ten unabhängig ist, übernahmen nicht mehr nur Prokuratoren oder die Ausübenden der operae liberales – Ärzte, Architekten, Feldmesser oder etwa Advokaten – Auf­träge34, sondern auch Walker oder Schneider35, Schiffska­pi­täne36 oder Handwer­ker37. Auch operae illiberales konnten da­ mit Gegenstand eines Mandats sein, so dass es in klassischer Zeit von der Tätig­keit her keinen grundsätzlichen Unterschied mehr zur locatio conductio gab38. Eine weitere „Grenzverwischung“ folgte aus der zunehmenden Professionali­sierung der operae liberales39. Die meisten Ärzte, Architek­ten, Feldmesser und Rechts­anwälte waren darauf angewiesen, sich ihren Lebens­ unterhalt zu verdienen, zumal sie häufig Freigelassene waren und also kei­ neswegs den oberen Gesell­schaftsschichten angehörten40. Nannte man die Vergü­tung, um ihren freiwilli­gen Charakter zu verdeutlichen, auch honorarium41, so konnte dies kaum dar­über hinwegtäuschen, dass die genannten Vertragsverhältnisse we­nigstens in der Praxis entgeltlich waren. 34  Wacke (o. Fn. 11) 409 f., 412 f., ordnet den Arztvertrag freilich als Werkver­ trag ein. Wegen des von vornherein meist unbestimmten Honoraranspruchs habe man je­doch rechtliche Abhilfe mit einer Kla­gemöglichkeit extra ordinem geschaffen. Es habe also ein Dualismus von locatio conductio operis und dem Verfahren extra ordinem bestan­den. Für Mandat beim Arztvertrag: Karl-Heinz Below, Der Arzt im römischen Recht, München 1953, 96–98. 35  Gai. 3,162; Gai. D. 19,5,22. 36  Ulp. D. 14,1,1,18. 37  Paul. D. 17,1,26,8. 38  Erdmann (o. Fn. 28) 568; Hannu Tapani Klami, Mandatum and Labour in Roman Law, ZRG RA 106 (1989) 575–586, hier 585 f.; s. auch Nörr (o. Fn. 16) 24. 39  Dazu Inge Kroppenberg, Amicitia und römisches Delegations- und Auftrags­ recht, ZRG RA 126 (2009) 304; Zimmermann (o. Fn. 5) 589. 40  Zu den Ärzten: Below (Fn. 34), 7 (krit. aber Fridolf Kudlien, Die Stellung des Arz­tes in der römischen Gesellschaft, Stuttgart 1986, 91). – Zu den Feldmessern: Theodor Loewenfeld, Inästimabilität und Honorirung der artes liberales nach römi­ schem Recht, in: Festgabe zum Doktorjubiläum Dr. Johann Julius Wilhelm von Planck, München 1887 (ND Aalen 1982), 363–467, hier 451, 455; Heinrich Siber, Operae liberales, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts 88 (1939 / 40), 161–198, hier 176.  – Zu den Architekten: Ludwig Friedländer, Darstel­ lungen aus der Sitten­ge­schichte Roms, Bd. III, Leipzig 1923, 107; Visky (o. Fn. 25) 152. – Die Advoka­ten stammten aus allen Schichten, also auch aus ganz einfachen Verhält­nissen, bisweilen waren auch sie Freigelassene, vgl. Tacitus, dial. 6 und 8; ann. 11,7: „In der Toga arbei­tet sich das Volk empor“; s. auch Hans Wieling, Advo­ katen im spät­antiken Rom, in: Atti dell’Accademia Romanistica Costantiniana, XI Convegno In­ternazionale, Napoli 1996, 419–463, hier 435. 41  Dazu sogleich III.

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Ulpian D. 17,1,10,7 zeigt denn auch die Unterschiede zwischen Mandat und Freund­ schaftsverhältnis deutlich auf42: Derjenige, der nicht mit dem Willen aufgetreten ist, als Prokurator zu handeln, sondern „nur“ mit einer affectio amicalis, haftet nicht aus der actio mandati, sondern allenfalls mit der actio de dolo. In klassischer Zeit lassen sich also Mandats- und Freundschafts­pflich­ten keinesfalls identifizieren, der Ulpian­text zeigt viel­ mehr die Anglei­chung des Mandats an entgeltliche Dienstverhältnisse43. Es ist eher eine Ge­schmacks­frage, ob man wegen des Ulpiantexts meint, der Spät­ klassiker sei darum be­ müht ge­ wesen, der amicitia einen rechtsfreien Raum zurück­zuge­winnen44, oder ob man gerade wegen dieses Texts eine vorherige vollständige Juridifizie­rung der Freund­schaftspflichten als über­ schießend ablehnt45. Jeden­ falls zeigt Ulpian deutlich, dass wir in klassi­ scher Zeit nicht mit der amicitia als Tatbe­ stands­ merkmal eines Mandats rechnen dürfen; konstitutiv für ein Mandat ist allein der Konsens46. Mehr behauptet auch Paulus D. 17,1,1,4 mit seiner Re­minis­zenz an die Ursprünge des Mandats nicht. 6. Die Nachklassik verzichtet auf das Merkmal der Unentgeltlichkeit, wie so­wohl GE 2,9,18–20 als auch Isidor, etym. 5,24,20 zeigen47. Zweifelhaft ist es frei­ lich, wegen Inst. 3,26,13 von einer Rückkehr Justinians zum unentgeltli­chen klassischen Mandat zu sprechen48. Es handelt sich bei den Institutionen nur um ein (notgedrungen) holz­schnittartiges, weil einführen­ des Lehrbuch, das die differenzierte Kasuistik der Di­gesten keineswegs er­ setzen sollte.

42  D. 17,1,10,7 Ulp. 31 ad ed. Si quis ea, quae procurator suus et servi gerebant, ita demum rata esse mandavit, si interventu Sempronii gesta essent, et male pecunia cre­dita sit, Sempronium, qui nihil dolo fecit, non teneri. et est verum eum, qui non animo procuratoris intervenit, sed affectionem amicalem promisit in monendis procu­ratori­bus et actoribus et in regendis consilio, mandati non teneri, sed si quid dolo fecerit, non mandati, sed magis de dolo teneri. 43  Siehe dazu Nörr (o. Fn. 16) 23; ders., Ethik und Recht im Widerstreit? Be­ mer­kun­gen zu Paul. (29 ad ed.) D. 13,6,17,3; in: Ars boni et aequi. Festschrift für Wol­fgang Wald­stein zum 65.  Geburtstag, Hrsgg. Martin Josef Schermaier / Zoltán Végh, Stuttgart 1993, 267–284, hier 268, 281. 44  So Nörr (o. Fn. 43) 281. 45  So Rundel (o. Fn. 17) 188 ff., 193. 46  Richtig Rundel (o. Fn. 17) 201; Schneeberger (o. Fn. 17) 15. Daran ändert auch Paulus‘ Definition von Freundschaft in D. 50,16,223,1 nichts; anders Zimmermann (o. Fn. 5) 589. 47  Siehe auch Max Kaser, Das Römische Privatrecht. Zweiter Abschnitt: Die nachklassi­schen Entwicklun­gen, München 19752, 416. 48  So aber Kaser (o. Fn. 47) 406; Schneeberger (o. Fn. 17) 39.



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht65

III. Die Entwicklung von honorarium und salarium 1. Geldzahlungen an die Lehrer der artes liberales, die Ärzte, Architek­ ten, Gerichts­beistände und Feldmesser konnten auch mit einer locatio conductio vereinbart wer­den, was jedoch aus den genannten Gründen gegen das Her­ kom­ men verstieß und daher unüblich war. Man wurde in diesen „Künsten“49 viel­mehr meist aufgrund eines Mandats tätig, ließ sich jedoch eine „Ehren­ gabe“ (honor) oder Belohnung (remu­neratio50) versprechen51. Diese Art der Vergü­tung stand nicht wie die merces in einem Gegenseitig­ keitsverhältnis zur Ge­ schäftsbesorgung, sondern gehorchte der Idee einer spontanen, freiwilligen Zahlung52. Honorare an Gerichtsbeistände wurden schon in der Republik ge­ zahlt; man darf wegen der lex Cincia von 204 v. Chr. sogar davon ausgehen, dass bereits in dieser Zeit hohe Summen geleistet wurden53. Hatte der Auftraggeber eine Zahlung versprochen, so konnte der Beauf­ tragte das Geld nicht im ordentlichen Klageweg einklagen, sondern nur extra ordi­nem54. War die Höhe der Vergütung eines Rechtsbeistands nicht bestimmt wor­den, durfte der Richter innerhalb der bestehenden gesetzlichen Höchst­grenzen das Honorar festset­zen55. 2. Mit letzter Trennschärfe haben die Römer honorarium und das in den Di­ gesten viel häufigere salarium nicht unterschieden, bisweilen ist auch einfach nur von pecunia oder sogar merces die Rede56. Während offenbar 49  Cicero, off. 1,42,151, der zu ihnen die Tätigkeiten zählt, die prudentia maior oder non mediocris utilitas voraussetzen. 50  Pap. D. 17,1,7. 51  Zum Honoraranspruch der Ärzte s. aber auch Wacke (o. Fn. 34). 52  Bürge (o. Fn. 11) 330, 332, 336; Giovanna Coppola, Cultura e potere, Milano 1994, 243. 53  Tacitus, ann. 11,5–7; Schneeberger (o. Fn. 17) 30. Zur lex Cincia Marianne Els­ter, Die Gesetze der mittleren römischen Republik, Darmstadt 2003, 257 ff. Clau­ dius etab­liert sodann eine Höchstgrenze für Anwaltshonorare von 10.000 HS, welche noch genau den 100 aurei entsprechen, die Septimius Severus und Caracalla festset­ zen; dazu Rundel (o. Fn. 17) 114 f.; Wieling (o. Fn. 40) 440 ff. 54  Pap. D.  17,1,7; Ulp. D.  50,13,1 pr.; Sev. / Ant. C.  4,35,1. 55  Ulp. D. 50,13,1,10. Allerdings folgt kein Vergütungsanspruch aus einer incerta pollicitatio, wie Pap. D.  17,1,56,3 und Diocl. / Max. C.  4,35,17 zeigen; dazu Rundel (o. Fn. 17) 108 (hier habe es an einer Voraussetzung für eine wirksame und dann auch klagbare pollicitatio gefehlt, etwa an einer Anzah­lung). 56  Kaser I (o. Fn. 1) 569, gebraucht honorarium und salarium synonym. Zur Ver­wen­dung von merces anstelle von honorarium s. etwa D. 50,13,1; 11,6,1,1; dazu Run­del (o. Fn. 17) 96 ff. Ähnlich auch das Höchstpreisedikt für die Honorare von Anwäl­ten; dazu A. Bernard, La Rémunération des Professions Libérales en Droit Ro­ main Classique, Paris 1936, 94 f. Tacitus lässt einen Prozessvertreter pecunia,

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das Honorar eher für die operae liberales Verwendung fand, war das salarium wohl die in Geld ausgedrückte Unter­haltsleistung des Patrons gegen­ über seinem Freigelas­senen, der für ihn als Proku­rator und damit Mandatar tätig wurde57. Mit einem sa­larium wird daher in der Regel eine gewisse Dauerhaftigkeit ausgedrückt58. 3. Es lässt sich ohne weiteres vertreten, dass mit den Honorarzahlungen das Mandat letztlich in vielen Fällen entgeltlich wurde59. Wegen der verfahrens­ mä­ ßi­ gen Trennung zwischen den im ordentlichen Verfahren zu verfolgenden Man­ datsansprüchen und dem extra ordinem einzuklagenden Honoraranspruch ist aber wohl die Auffassung herrschend, das Mandat sei letztlich, wenn auch nur pro forma, „rein“ und unentgelt­lich geblieben60. Da dies weniger eine in­haltli­che als terminologische Frage ist, mag sie hier auf sich beruhen. 4. Interessant ist aber die häufig vernachlässigte Frage, warum die römi­ schen Juris­ten den Honoraranspruch in einem separaten Verfahren durchge­ setzt ha­ben. Man liest, auf diese Weise hätten die Römer das Herkommen be­wahren können61, in der genannten Funktionsteilung zeige sich die Intensi­tät ihres aktio­nenrechtlichen Den­kens62. Andere sprechen offen von „Pose“63 oder einem terminologischen Manöver64. Für die Vergütung ärzt­ licher Tätig­keit wird über­dies darauf abgehoben, dass das Verfahren extra pretium, praemium und dergl. verdienen (Tacitus, ann. 11,5–7; 13,5; 13,42). Von merces ist z. B. auch in D. 39,5,19,1 (Prozessvertreter), D. 9,3,7 (Arzt), D. 27,2,4 und 39,5,27 (Lehrer) die Rede. Zur Vergü­tung der Ärzte oben in Fn. 51. 57  Dumont (o. Fn. 7) 314; Arangio-Ruiz (o. Fn. 25), 115; Rundel (o. Fn. 17) 96. Nicht zu vergessen ist das salarium in der Kaiserzeit an Soldaten und Verwaltungs­ beamte, s. Bürge (o. Fn. 11) 333; Rundel (o. Fn. 17) 101. – Zur Eigenschaft des Pro­ku­ra­tors als Mandatar oben Fn. 15. 58  Rundel (o. Fn. 17) 96. Ebd. in Fn. 377 überzeugend gegen die These Bürges (Bür­ge, o. Fn. 11, 324, 327; ders., o. Fn. 13, 131 in Fn. 66), salarium habe jedem Rö­mer deutlich gemacht, dass es sich um eine Tätigkeit für eine staatliche Stelle, mit einer Nähe zu staatlichen Interessen oder unter staatli­cher Kontrolle gehandelt haben müsse. Mit Rundel halte ich die These wegen der Anwaltshonorare, die doch letztlich privat tätig waren, für kaum haltbar. 59  So Heinrich Siber, Römisches Recht in Grundzügen für die Vorlesung, Darm­ stadt 19282 (ND 1968), 190; Dumont (o. Fn. 7) 314; Hironaka (o. Fn. 6) 6; Randazzo (o. Fn. 27) 191 ff., 206 ff.; Rundel (o. Fn. 17) 114, 116. 60  So Paul Jörs / Wolfgang Kunkel, Römisches Recht, Berlin u.  a. 19493, 225; Mi­chel (o. Fn. 32) 197; Zimmermann (o. Fn. 5) 590. 61  Coppola (o. Fn. 17) 495; Schneeberger (o. Fn. 17) 33. 62  Rundel (o. Fn. 17) 87. 63  Zimmermann (o. Fn. 5) 590; Detlef Liebs, Römisches Recht, Göttingen 20046, 254: „Wahrung des Scheins“. 64  Bürge (o. Fn. 13) 131.



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht67

ordinem die im Zi­vilrecht bestehende Lücke geschlossen habe65. Schließlich wird die Notwen­ digkeit einer Klage im außerordentlichen Verfahren als Privilegierung der be­troffenen Be­rufsstände angesprochen66. Aber soll man wirklich glauben, dass die so praktisch denkenden römi­ schen Juristen nur aus Gründen der ihnen zugegebenermaßen wichtigen Tradition, um der Reinheit ihres aktionenrechtlichen Denkens willen oder gar nur termi­nolo­gischer Bedenken wegen eine Honorarklage im iudicium mandati ausge­schlos­sen haben? Sie hatten jedenfalls keine Schwierigkeiten, dem Beauftrag­ ten Er­ satz der durch die Geschäfts­ besorgung veranlassten Schäden als Auf­wendungs­ersatz zuzugestehen67, den wei­ ten Spielraum nutzend, den das bonae fi­dei iudicium gewährte. Warum sollte das bonae fidei iudicium nicht auch zur Schlie­ßung einer Lücke benutzt werden und einen für notwendig erachteten Honoraranspruch gewähren können? Die These der Privilegierungsabsicht er­scheint gleichfalls nicht besonders ein­ leuchtend; denn ge­hörten Architekten, Feldmesser und Ärzte doch, anders als heute, häufig als Freige­lassene, Solda­ten, Unteroffiziere und dergl. un­ teren Schichten an68. Es soll hier daher eine andere, handfestere Erklärung versucht werden. Be­kannt­lich ist das iudicium mandati eine auf eine Gesamtabrechnung zie­ lende Klage; Ansprü­che und Gegenansprüche werden saldiert, der Beklagte nur in den Saldo verurteilt69. Hätte der Honoraranspruch im ordentlichen Verfahren gel­tend gemacht werden kön­nen, wäre er zum Abzugsposten in einem Ge­samt­saldo geworden, wenn der Auf­traggeber aus der actio mandati directa gegen den Beauftragten vorgegangen wäre, auf ordnungsgemäße Durchfüh­rung des Ge­schäfts geklagt oder das durch die Ge­schäftsbesorgung Erlangte herausverlangt hätte. War die Honorarforderung höher als der klä­ gerische An­ spruch, hätte die Saldierung eine Verurteilung des Beklagten verhindert. Die Verurteilung aus der actio mandati directa hatte freilich infamierende Wir­kung70. Die ange­ strebte Infamie wäre daher in vielen Fällen ausgeblieben. Ein solches Ergebnis wurde durch die verfahrensmäßi­ ge Aufspaltung der Klagen verhin­dert. Diese diente, wenn unsere Erklärung nicht fehlgeht, dem Zweck, den mit der Infamie­ androhung verbundenen 65  Wacke (o. Fn. 11) 416 f.; Manfred Just, Der Honoraranspruch des „medicus inge­nuus“, in: Sodali­tas Guarino, Bd. VI, Napoli 1984, 3057–3075, hier 3061, 3063 f. 66  Okko Behrends, Die Rechtsformen des römischen Handwerks, in: Das Hand­ werk in vor- und frühge­ schichtlicher Zeit, Hrsgg. Herbert Jankuhn u. a., Teil 1, Göttingen 1981, 141–203, hier 151. 67  Paul. D. 17,1,26,6 f.; Kaser I (o. Fn. 1) 580. 68  Vgl. die Nachweise oben in Fn. 40. 69  Ulp. D. 17,1,10,9; Kaser I (o. Fn. 1) 579. 70  Vgl. Cicero, S. Rosc. 111, 113; Gai. 4,182; Iul. D. 3,2,1; Fritz Schwarz, Die Konträr­kla­gen, ZRG RA 71 (1954) 111–220, hier 209; Kaser I (o. Fn. 1) 579.

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Druck auf die in den artes libera­les Tätigen auf­recht­zuerhalten und so die ordnungsgemäße Durchfüh­ rung des ein­ mal über­ nomme­ nen Geschäfts si­ cherzustellen, eines Geschäfts, für das Ci­cero u. a. die allge­meine utilitas ins Felde führte71. IV. Paulus D. 17,1,26,8 Untersucht werden soll im Folgenden, ob uns Justinian nicht gerade mit D. 17,1,26,8 den Beleg für ein ausnahmsweise entgeltliches Mandat, und zwar schon für das klassische römische Recht, überliefert und uns damit einen Aus­weg aus dem als „Dilemma“ bezeichneten Unentgeltlichkeitsdog­ ma ge­wiesen hat72. In dem Text zitiert Paulus offenbar zustimmend73 den Zeitgenos­sen La­beos, Fabius Mela74. D. 17,1,26,8 Paul. 32 ad ed. Faber mandatu amici sui emit ser­ vum decem et fabricam docuit, de­inde vendi­ dit eum viginti, quos mandati iudicio coactus est sol­ ve­ re: mox quasi homo non erat sa­ nus, emptori damnatus est: Mela ait non praestaturum id ei man­da­ torem, nisi posteaquam emisset si­ ne dolo malo eius hoc vitium ha­ bere co­ eperit servus. sed si iussu man­ datoris eum docuerit, contra fore: tunc enim et merce­dem et ci­ba­ria consecuturum, nisi si ut gra­tis doceret rogatus sit.

Ein Handwerker hat einen Sklaven für zehn im Auftrag seines Freundes ge­ kauft und ihn sein Handwerk gelehrt. Dann hat er ihn für zwanzig verkauft, die er auf­grund einer von dem Freund erhobenen Auftragsklage her­ausgeben musste. Bald darauf ist er, weil der Sklave nicht gesund war, auf die Klage des Käufers hin [auf Rückzahlung] ver­ urteilt worden. Mela sagt, der Auftrag­ geber brauche ihm nicht dafür einzuste­ hen, es sei denn, dieser Man­gel sei dem Sklaven erst entstanden, nach­ dem der Beauftragte, ohne dass be­ wusste Treu­ widrigkeit von seiner Seite im Spiele war, ihn gekauft hatte. Habe er ihn aber auf Weisung des Auftrag­gebers hin aus­ ge­ bildet, so sei das Gegenteil rich­ tig. Dann werde er nämlich auch Lehr­ geld und Un­ter­halt erlangen, so­fern er nicht gebeten worden war, ihn kostenlos aus­ zubilden.

off. 1,42,151. die Formulierung von Dietmar Schanbacher, Zur Interpretation von Paul. 32 ad ed. D. 17,1,26,8, TR 65 (1997) 41–55, hier 54 in Fn. 83. 73  Dieter Nörr, Zur Klausel „neque pro socio aut fiduciae aut mandati quod dolo malo factum esse dica­tur“ in Lex Irnitana C. 84 IX B 9–10, in: Festschrift T. Hiro­ naka, Tokyo 2006, 114–92, hier 99. 74  Zu ihm Wolfgang Kunkel, Die Römischen Juristen, Köln u.  a. 19672 (ND 2001), 116. 71  Cicero, 72  So



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht69

1. Sachverhalt, Entscheidung und Problem Zumeist galt dem ersten Teil bis sed si das Hauptaugenmerk, seltener sei­nem zwei­ten. Faber – ein Schmied, Zimmermann, Maurer, Bauhandwer­ ker oder, wie für Mela in D. 13,6,5,7 belegt, Steinmetz75 – erhält von amicus den Auf­trag, einen Sklaven zu kaufen. Der Kaufpreis beträgt 10.000 HS, die ihm amicus entweder vorstreckt oder sofort begleicht76. Faber bil­ det den Sklaven sodann in seinem Handwerk aus und verkauft ihn anschlie­ ßend weiter für 20.000 HS. Diese Summe muss faber an ami­cus, der gegen ihn die actio man­dati erhoben hat, herausgeben. Zu einem Urteil kommt es in diesem Prozess jedoch nicht, vielmehr verhindert faber durch rechtzei­tige Erfüllung die aus einer solchen Verurteilung folgende Infamie77. Aufgrund eines Mangels des Sklaven wird faber zugunsten seines Abkäufers in einer nicht näher bezeich­neten Klage – wahrscheinlich ist dies wegen der Nen­ nung des Kaufpreises von 20.000 HS die actio redhibitoria78 – verurteilt. Nach Mela muss amicus die zurück­gezahlten 20.000 HS faber mit der actio mandati contraria nur dann prästieren, wenn der Sklave nach dem Kauf krank geworden ist und dies nicht auf dem dolus malus des faber beruhte79. 75  Ein faber arbeitet in hartem Material, Metall, Holz oder Stein, gelegentlich auch Glas; ohne näheren Zusatz ist meist ein Bauhandwerker gemeint, vgl. Kornemann, Art. fabri, RE VI, 2 (1909), Sp. 1888–1925, hier 1888, 1892; s. auch Behrends (o. Fn. 66) 142. 76  Für jenes Schanbacher (o. Fn. 72) 42, für dieses Michel (o. Fn. 32) 184. Dass der faber das Kauf­geld bereits erhalten hat, kann deshalb als gesichert angesehen werden, weil er anschließend die 20.000 HS, die er aus dem Weiterkauf erzielt, voll­ständig, ohne Abzug von 10.000 HS, an amicus herausgeben muss. Eine solche vom Text nicht er­wähnte Zahlung des Kaufgeldes ist plausibler als die von Franz Hay­mann, Zu l 26 § 8 D 17, 1, ZRG RA (1932) 342–351, hier 343, angenommene Text­störung. 77  Coactus est solvere ist nicht condemnatus est solvere, worauf Schanbacher (o. Fn. 72) 47, zu Recht hinweist; zustimmend Coppola (o. Fn. 10) 57 in Fn. 80; anders Watson (o. Fn. 20) 108. Die fehlende Verurteilung folgt aus dem Umstand, dass Mela im Fortgang des Fragments die Überlegung anstellt, ob faber den ihm aus der Ver­urtei­lung im Sachmängelprozess entstandenen Schaden ge­genüber amicus in An­ schlag brin­ gen kann. Wäre im Prozess mit amicus bereits eine (auf Gesamt­ abrechnung zie­lende) Verurteilung erfolgt, würde die Rechtskraft dieses Urteils eine actio mandati contraria des faber ausschließen, vgl. Schanbacher (o. Fn. 72) 47. 78  So auch Nörr (o. Fn. 73) 100; Schanbacher (o. Fn. 72) 45. Andere denken wegen der Erwähnung der Krankheit des Sklaven (non erat sanus) an eine Stipula­ tionsklage (Haymann, o. Fn. 76, 346; Hannu Tapani Klami, Teneor mandati, Turku 1976, 38; Geoffrey MacCormack, The liability of the mandatary, Labeo 18 (1972) 156–172, hier 166) oder auch an die actio quanti minoris (Michel, o. Fn. 32, 184). 79  Zur umstrittenen Frage des Haftungsmaßstabs Haymann (o. Fn. 76) 343  f.; Schan­ba­cher (o. Fn. 72) 49 ff.; Rundel (o. Fn. 17) 58, 62; Watson (o. Fn. 20) 108; Rolf Knütel, Rez. Leon Ter Beek, Do­ lus, Nijmegen 1999, ZRG RA 119 (2002) 651–653, hier 652.

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Hatte faber dagegen einen (womög­lich unerkannt) kran­ken Sklaven gekauft oder hatte er den Mangel selbst vor­sätzlich während der Aus­bil­dung herbei­ geführt, so erhält er von amicus keinen Er­satz80. Wegen eines anfängli­chen Fehlers kann faber bei seinem Verkäufer Regress nehmen, falls eine Sach­ mängelklage gegen ihn aufgrund der Länge der Handwerkslehre noch nicht verfristet ist. Im zweiten Teil des Fragments differenziert der Jurist erneut: Das „Gegen­ teil“ (contra fore) sei der Fall, wenn die Ausbildung auf Geheiß von amicus erfolgt sei. Dann er­halte faber nämlich et mercedem et cibaria, also eine Ent­ lohnung sowie Ersatz der Lebenshaltungskosten des Sklaven81, es sei denn, er hätte eine unentgeltliche Ausbil­dung zugesagt. Schon Cujaz bezieht contra fore entgegen dem ersten (unrichtigen) An­ schein nicht auf die von Mela unmittelbar zuvor diskutierte Haftungsfrage82: Denn dann hinge die Pflicht von amicus, faber die 20.000 HS zu erstatten, davon ab, ob dieser den Skla­ven im Auftrag von amicus ausgebildet hatte oder nicht83. Ein Lehrauftrag ändert je­doch nichts daran, dass amicus nur unter be­ stimmten, von Mela dargelegten Um­ ständen zur Erstattung der 20.000 HS ver­ pflichtet sein kann84. Die „gegenteilige“ Ent­ scheidung im zweiten Teil lässt sich daher entwe­der allgemein auf die Haftung von amicus beziehen85 – wel­che ja mit non prae­staturum im ersten Teil grundsätz­ lich abgelehnt wird – oder auf die im ersten Teil abgelehnte Verpflichtung des amicus zur Erstat­tung von merces et ci­ba­ria86. „Gegenteilig“ entscheidet der Jurist den zweiten Fall also deshalb, weil faber im zweiten Teil nicht zur Herausgabe der vollen 20.000 HS an amicus gezwungen ist, sondern seinerseits in der auf eine Ge­samtabrech­nung zielenden actio mandati (we­ nigstens) die beiden genannten Posten merces et cibaria abzie­ hen darf. Mela behandelt damit die Frage, ob faber über den im ersten Teil dis­ kutierten Schadensersatz hinaus Anspruch auf merces et cibaria zu gewäh­ 80  Ausführlich

49 ff.

und überzeugend zu dieser Differenzierung Schanbacher (o. Fn. 72)

81  So Erich Sachers, Zur Lehre von der Haftung des Mandatars im klassischen römi­schen Recht, ZRG RA 59 (1939) 432–497, hier 445 in Fn. 1. 82  Jaques Cujas, In librum 32 Pauli ad edictum, Opera omnia, Bd. V, Neapel 1758, 476 D; Schanba­cher (o. Fn. 72) 52 f.; Haymann (o. Fn. 76) 347. 83  Zutreffend spricht Salvatore Riccobono, Dal diritto romano classico al diritto mo­derno, in: Annali Palermo 3 / 4 (1917) 165–730, hier 345, von einer „assurdità patente“. 84  Richtig Schanbacher (o. Fn. 72) 53; Haymann (o. Fn. 76) 342; Klami (o. Fn. 78) 40. 85  So Schanbacher (o. Fn. 72) 53. 86  So Dumont (o. Fn. 7) 316. Ebd. in Fn. 31 die m. E. nicht notwendige Annahme eines Abschreibefeh­lers, durch den die Stellung der Sätze geändert worden sei.



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht71

ren ist, wenn ein Lehrauftrag bestand87. Ein Indiz in diese Richtung gibt et vor merces, wel­ches hier wie ein etiam verstan­den werden darf88. Man hat zudem aus dem zweiten Teil gefolgert, dass im ersten ein Ausbil­ dungsauf­ trag gerade nicht bestanden habe89. Dies erscheint freilich nicht zwin­gend. Für die Frage des Schadensersatzes ist der Ausbildungsauftrag nämlich gleichgültig, er wird erst relevant für den im zweiten Teil disku­ tierten Lohn und Aufwendungsersatz. Mela wird also mit seiner in dieser Hinsicht undeut­lichen Formulierung – mandatu amici sui emit servum decem et fabricam docuit – den Ausbildungsauftrag im ersten Teil be­wusst offen gelassen haben, weil seine Existenz wahrscheinlich nicht geklärt war und für den ersten Teil keine Rolle spielte90. Erklärungsbedürftig ist allein die Gewährung eines Vergütungsanspruchs, wenn fa­ber den Sklaven iussu mandatoris ausbildete91. Die vielfachen, 87  Unzutreffend ist die Annahme, faber müsse auch ohne Ausbildungsauftrag die ci­ba­ria ersetzt erhalten, da amicus die aus der Ausbildung folgende Wertsteigerung des Sklaven erhalte (Haymann, o. Fn. 76, 347; Riccobono, o. Fn. 83, 345; Michel, o. Fn. 32, 185). Wenn faber seinen Auftrag eigenmächtig über­schreitet, hat er sich dies selbst zuzuschreiben; zutr. Schanbacher (o. Fn. 72) 53: Der Sklave wäre dann her­aus­zu­geben, nicht auszubilden gewesen, weshalb man amicus kaum für verpflich­ tet halten konnte, die Vertragsverletzung auch noch zu finanzieren! 88  So auch Rundel (o. Fn. 17) 56. 89  Klami (o. Fn. 78) 40; Michel (o. Fn. 32) 184; Nörr (o. Fn. 73) 102; Randazzo (o. Fn. 27) 215; Run­del (o. Fn. 17) 55; Johannes Michael Rainer, Zur Bedeutung des Man­dates im Baurecht, in: Nörr / Nishimura (o. Fn. 6) 375–385, hier 379. Bei Hay­mann (o. Fn. 76) 350, die Annahme einer Interpola­tion, weil ein Handwerker, der nur einkau­fen, nicht aber ausbilden soll, ein „seltsamer Geselle“ sei, den er nur einem by­zantini­schen Schulmeister, nicht einem klassischen Praktiker zutraut (zust. Sa­chers, o. Fn. 81, 445 in Fn. 1). 90  So erklärt sich dann auch der Fortgang des Fragments mit sed si iussu; wie hier Schanbacher (o. Fn. 72) 43 f., 52. Für das Bestehen eines Ausbildungsauftrags auch im ersten Teil Wiesław Litewski, La responsabilité du mandataire, Index 12 (1983–84), 106–139, hier 108. – Ob schließlich auch ein Verkaufsauftrag vorgelegen hat, ist strei­tig. Die besseren Gründe sprechen dagegen: deinde trennt den Verkauf syntaktisch deutlich von Kauf und Ausbildung, und die Herausgabepflicht von faber be­züglich der 20.000 HS im Rahmen der actio mandati erklärt sich zwanglos damit, dass der Man­datar dem Man­danten Ersatz für den eigenmächtig verkauften Sklaven leisten muss, vgl. D. 17,1,8,10; eod. 20 pr.; Schanbacher (o. Fn. 72) 43; Heinrich Honsell, Quod interest im bonae-fidei iudicium, München 1969, 150; dagegen für einen Verkaufsauf­trag: Schol. 37 zu Bas. 14,1,26 (Scheltema B II, 753 = Heimbach II, 109, Nr. 16); Hay­mann (o. Fn. 76) 350; Michel (o. Fn. 32) 184; Bürge (o. Fn. 11) 320 in Fn. 7; Rainer (o. Fn. 89) 379; Sachers (o. Fn. 81) 445 in Fn. 1; Dumont (o. Fn. 7) 315; Litewski, a. a. O. 91  Max Kaser, Rez. A. Watson, Contract of mandate in Roman law, 1961, TR 30 (1962) 262–272, hier 267 in Fn. 23: „rätselhaft“. Bemerkenswerterweise wird unser Text häufig von den das „Unentgeltlich­ keitsdogma“ behandelnden Autoren

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sogar noch in neues­ter Zeit geäußerten Interpolationsvermutungen92 dürfen als Kapi­tulation vor dem Text verworfen werden93. Sie nehmen dem zwei­ ten Teil die Pointe; denn dass ein Auftrag­ geber zum Ersatz derjenigen Aufwendungen ver­pflichtet ist, die sein Auftrag veran­lasst (cibaria)94, ist selbstverständlich und bedarf nicht der Anführung eines Frühklassi­kers. Vor allem aber ist das Ziel einer Interpolation nicht zu erkennen, wo doch Jus­ tinians Kompilatoren nicht nur in den Digesten, sondern auch in Inst. 3,26,13 das mandatum gratu­itum überliefert haben95. Von vornherein wenig überzeugend ist der Versuch, merces in D. 17,1,26,8 als hono­rarium oder salarium zu deuten96. Auf diese Weise wäre der Stel­ le die Brisanz genom­ men, das ordentliche Verfahren nicht mit einer Entgeltforde­ rung belastet. Es ist ja auch durchaus festzustellen, dass die Römer die ver­schiede­nen Entgeltbe­zeichnungen weder in den juristischen noch in den litera­rischen Quel­len präzise aus­einanderhielten97. Hier muss es aber bei der von Varro be­zeugten Bedeutung von merces im Sinne eines misqÒv sein Bewen­den ha­ben98. Denn abgesehen davon, dass eine „Ehren­ gabe“ schwerlich mit der Hand­ wer­kertätig­keit zu vereinbaren ist, ist nir­ gends belegt, dass ein Hono­rar oder salarium auch im ordentlichen Verfah­ ren hätte eingeklagt werden kön­ nen, von dem in D. 17,1,26,8 aber die Rede ist99. übersehen, s. etwa Arangio-Ruiz (o. Fn. 25) 114 ff.; Provera (o. Fn. 1) 314 f.; auch Bürge (o. Fn. 11) 320 in Fn. 7, sortiert ihn vorweg als für seine Frage irrelevant aus. 92  Haymann (o. Fn. 76) 348 f. („Zumutung“); Gerhard v. Beseler, Romanistische Bau­steine, in: Studi Aldo Albertoni, Bd. I, Milano 1935, 437 f.: „unbefugt hinzuphan­ tasiert“; Henri Hulot, in: Hulot / Berthe­lot, Les cinquante livres du Digeste ou les Pan­dectes de l’Empereur Justinien, Metz / Paris 1804 (ND 1979), Bd. II, 479 („récom­pen­sé de ses soins (!) et des frais de nourritures“); Riccobono (o. Fn. 83) 344 f. mit Fn. 2; Sa­chers (o. Fn. 81) 445 in Fn. 1; Bernard (o. Fn. 56) 40 in Fn. 157 (41); Dieter Medi­cus, Rez. Watson, Contract of mandate in Roman law, 1961, Gno­ mon 35 (1963) 200–204, hier 202 in Fn. 4. Coppola (o. Fn. 17) 507 ff.; dies. (o. Fn. 10) 55, 61 f., erklärt die Stelle vor dem Hintergrund des Eindringens christlichen Gedankenguts in die jus­tinianische Gesetzgebung, welches die Lohn­arbeit im Ge­ gensatz zur früher herr­schen­den stoischen Lehre hochschätzt und die Entlohnung von Arbeit fordert. 93  Für echt halten den Anspruch auf die merces Dumont (o. Fn. 7) 318 mit Fn. 32; Wat­son (o. Fn. 20) 107; wohl auch Nörr (o. Fn. 73) 100. 94  Cibaria dürfen hier nicht als Einschränkung des Aufwendungsersatzanspruchs ver­standen werden, sondern als pars pro toto möglicher ersetzbarer Aufwendungen. 95  Ähnlich Watson (o. Fn. 20) 107. 96  Randazzo (o. Fn. 27) 214, liest salarium; anders zu Recht Leo v.  Petražycki, Die Lehre vom Einkom­men, Berlin 1893, Bd. II, 355. 97  Siehe S.  65 f.; Klami (o. Fn. 38) 580. 98  Varro, ling. 5,178: Si quid datum pro opera aut opere, merces, a merendo. 99  Richtig v.  Petražycki (o. Fn. 96) 356.



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht73

2. Merces als Ersatz des Ausbildungsaufwands? Könnte man den Anspruch auf die merces als Aufwendungsersatzanspruch des fa­ber interpretieren, stünde auch der letzte Teil des Fragments im Ein­ klang mit dem hergebrachten Mandatsrecht100. Es verwundert daher nicht, dass schon die Basiliken versucht haben, mit einem Hinweis auf den Aufwen­dungs­ersatz eine Erklärung zu geben101. Um welche anerkannte Art einer Aufwen­dung es sich bei einer Ausbildung handeln soll, erläutern sie jedoch nicht. Dies wäre jedoch erforderlich, bevor man die cibaria etwa als notwen­dige, die merces als nützliche Aufwendung klassifiziert, wie dies Riccobono tut102. Hier käme allein die Arbeitskraft des faber in Betracht, die er auf die Lehre „aufgewen­det“ hat, statt in derselben Zeit Werkverträge mit Dritten ab­zuschlie­ßen und daraus mer­cedes zu verdienen. Es handelt sich in dieser Sicht also um eine merces quae ei propter mandatum abest103. Diese Erklärung überzeugt aus mehreren Gründen nicht. Für die Qualifika­ tion der Arbeitskraft als Aufwendung müsste sie ein Vermögensgut mit Sub­stanz­wert sein. Sie hat aber keinen Substanzwert wie eine Sache, kann prinzi­piell wiederhergestellt werden, hat keinen Nutzungswert, und auch der Zeit­ verlust (Freizeit) kann nicht kommerzialisiert werden104. Man könnte die auf­ge­wendete Arbeitszeit auch unter dem Aspekt entgangenen Gewinns, als Ver­mö­gens­einbuße, begreifen wollen. Denn auch im Auftragsrecht kön­ nen ja be­kanntlich solche Schäden ersetzt werden, die die Erledigung des Geschäfts mit sich brachte105, und auch das lucrum cessans kann grundsätz­ 100  Von vornherein ausscheiden muss die Deutung der merces als das Kaufgeld, mit dem faber den Sklaven vor der Ausbildung gekauft hatte. Denn auch im ersten Teil des Fragments hat faber einen solchen Aufwendungsersatzanspruch (der übri­ gens schon befriedigt wurde, vgl. oben in Fn. 76), so dass seine Hervorhebung im zweiten Teil, der ja zu einem anderen Ergebnis gelangt, nicht plausibel wäre. 101  Schol. 15 zu Bas. 14,1,26 (Scheltema B II, 750 = Heimbach II, 109, Nr. 20): t¦ perˆ t¾n tšcnhn dapan»mata; Anonymos, Schol. 16 zu Bas. 14,1,26 (Scheltema B II, 750 = Heimbach II, 109, Nr. 21) verweist auf D. 13,7,25, wo von dem Ersatz für Aus­bildungsaufwand die Rede ist; Schol. 39 zu Bas. 14,1,26 (Scheltema B II, 753 = Heim­bach II, 109 f., Nr. 21): ¢diast…ktwv perˆ tîn dapanîn. Wie die Basiliken auch Riccobono (o. Fn. 83) 345; Rainer (o. Fn. 89) 380. 102  Mit der Folge, die merces aus dem Aufwendungsersatz als interpoliert auszu­ schei­den (Riccobono, o. Fn. 83, 345). Zu Recht kritisch Haymann (o. Fn. 76) 348 in Fn. 6. 103  So v.  Petražycki (o. Fn. 96) 357; Dumont (o. Fn. 7) 317 f.; dagegen Paul So­ ko­low­ski, Die Lehre von der Specification, ZRG RA 17 (1896) 252–311, hier 286 mit Fn. 2. 104  Treffend Florian Loyal, Die „entgeltliche“ Geschäftsführung ohne Auftrag, 2011, 94 ff. 105  Siehe die Nachw. in Fn. 67.

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lich verlangt wer­den106. Aber ganz abgesehen von der Frage des Beweises eines solchen ent­gan­ge­nen Geschäfts, spricht nichts für eine schadensrecht­ liche Betrach­tung: Kei­ne andere Quelle kennt eine Entschädigung für auf­ gewendete Ar­beitszeit107. Vor allem aber würde man durch den Ersatz sol­ cher Opportuni­ täts- oder Ver­ zichtskosten dem faber im Rahmen eines Mandats letztlich das­jenige Entgelt ge­währen, das er mit einem Werkvertrag erzielt hätte. Dass damit die Unter­schiede zur locatio conductio verwischt würden108, ist nur ein systemati­sches und darum vielleicht nicht stichhalti­ ges Argument. Dass aber auf diese Weise ein Entgeltanspruch ohne entspre­ chende Vereinbarung in jedes Mandat hin­eingelesen werden könnte109, zeigt, dass es sich hier um ein konstruktives, den Parteiinteressen nicht gerecht werdendes Manöver handelt. 3. Merces als Entlohnung des Sklavenlehrlings? Bürge erklärt, gestützt auf die gräko-ägyptische Vertragspraxis, den An­ spruch auf die merces in D. 17,1,26,8 ebenfalls als Teil eines ganz regulären Aufwen­dungsersatzes im Mandatsrecht. So wie faber dem Lehrling cibaria für seine Arbeitsleistung geleistet habe110, habe er ihm auch eine Vergütung ge­zahlt. Fa­ber könne daher von amicus für die vom Sklaven empfangenen ciba­ria et merces Aufwendungsersatz verlan­gen111. Die Deutung Bürges erfordert zu­nächst, auf die antiken Unterrichtsverträge näher einzugehen. a) Unterrichtsverträge wurden entweder von einem sui iuris für sich selbst112 oder vom Gewalthaber – Vater, Vormund oder dominus – mit dem 106  D. 46,8,13

116 ff.

pr.; Kaser I (o. Fn. 1) 501. Zum geltenden Recht Loyal (o. Fn. 104)

107  Man könnte an sie etwa auch bei der Tätigkeit eines Vormunds denken. Das sieht auch v.  Petražycki (o. Fn. 96) 359, der deshalb vom „embryonalen Zustand“ des von ihm vorgeschlagenen Impensenersatzes spricht. 108  So Watson (o. Fn. 20) 106. 109  Konsequent meint v.  Petražycki (o. Fn. 96) 358, faber erleide, wenn er sich zur un­entgeltlichen Lehre bereit erkläre (nisi-Satz), einen Verlust. 110  Dazu Alfons Bürge, Cibaria. Indiz für die Sonderstellung des römischen Arbeitneh­ mers?, in: Ars boni et aequi. Festschrift für Wolfgang Waldstein zum 65. Geburtstag, Hrsgg. Martin Josef Scher­maier / Zoltán Végh, Stuttgart 1993, 63–78, hier 70, 73. 111  Bürge (o. Fn. 11) 320; ders. (o. Fn. 110) 75; zust. Rundel (o. Fn. 17) 76; Ri­ chard Gamauf, Kindersklaven in klassischen römischen Rechtsquellen, in: Kin­der­ skla­ven – Sklavenkinder. Schicksale zwischen Zuneigung und Ausbeutung in der Antike und im interkulturellen Vergleich, Hrsg. Heinz Heinen, Stuttgart 2012, 232–260, hier 242. 112  Siehe etwa P. Oxy. Inv. [27] 3 B / 41 G (7–9); dazu Roger S. Bagnall, Three Pa­pyri From Oxyrhynchus, BASP 5 (1968) 135–150.



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht75

Lehrherrn abgeschlos­sen. Über die rechtliche Ausgestaltung dieser Verträge erfahren wir in den Digesten wenig. Wir wissen aber gerade von den gräkoägyptischen Ur­ kunden, dass die Aus­ bildungsverträge höchst vielgestaltig waren. b) Lehrverträge sind nach den Digesten Werkverträge, der Gewaltunter­ wor­fene wird zu seiner Ausbildung weggegeben wie ein Stein zu seinem Schliff113. Das zeigen einerseits die Texte D. 9,2,5,3 und D. 19,2,13,4, in de­nen Ulpian / Julian dem Vater des übermäßig gezüchtigten Schusterlehr­ lings eine Klage ex locato gewähren, ande­rerseits Ulp. D. 19,2,13,3, wo der Lehr­herr (conductor) den auszubildenden Sklaven ins Ausland mitnimmt, der dort Feinden in die Hände fällt und daher umkommt. Von einem Lehr­ geld, also einer Bezahlung des Lehrherrn, gehen Ulpian in D. 36,2,12,5 (merces dis­ciplinarum) und Pau­ lus in D. 19,1,43 und vor allem in D. 19,1,45,1 aus, wo der seinen Sklaven evinzie­ rende Eigentümer dem Besitzer zunächst mercedes et impensas zu er­setzen hat114. Dagegen sind Unterrichtsverträge sehr häufig Mandate. So erhal­ten die Lehrer der studia liberalia, Rhetoren oder Gramma­tiker z. B., ihre Vergütung extra ordinem, sie ist also keine aus einer locatio conductio fol­gen­de mer­ces115. Die An­ stellung eines Lehrers, etwa durch einen Privaten oder eine Gemeinde, er­ folgt im Wege eines Dienstvertrags116. c) Erheblich bunter wird das Bild, wenn man die zahlreichen gräkoägypti­schen Aus­bildungsverträge in den Blick nimmt117. Hier finden sich detaillierte und höchst unter­ schiedliche Regelungen zu Ausbildungslän­ 113  Fritz Sturm, Le contrat d’apprentissage dans l’Antiquité, in: Festschrift für Hu­bert Niederländer zum 70. Geburtstag, Hrsgg. Erik Jayme u. a., Heidelberg 1991, 127–139, 136 f.; Claude Alzon, Ré­flexions sur l’histoire de la locatio-conductio, RH 41 (1965) 553–591, hier 581; Kaser I (o. Fn. 1) 570, s. allerdings auch 569 mit Fn. 60, wo von einem Dienstvertrag ausgegangen wird; Bürge (o. Fn. 13) 148; Dieter Nörr, Zur sozia­len und rechtlichen Bewertung der freien Arbeit in Rom, ZRG RA 82 (1965) 67–105, hier 95. Für denkbar hält Francesco M. de Robertis, I rap­ porti di lavoro nel diritto ro­mano, Milano 1946, 197, neben einem Werk- auch einen Dienstvertrag, mit dem der Gewalthaber den Lehr­ling oder dieser sich selbst beim Lehrherrn verdingt; für einen Dienstvertrag in D. 19,2,13,3 auch Klaus Luig, in: Behrends / Knütel / Kupisch / Sei­ler, Corpus Iuris Civilis, Bd. III, Heidelberg 1999, 561. Für Interpolation der locatio con­ductio operis (anstelle einer mancipatio fiduciae causa) Stanislao Cugia, Profili del Tirocinio Industriale, Napoli 1922, 105, freilich ohne überzeugende Begrün­dung. 114  Zum Vorstehenden auch Bürge (o. Fn. 11) 320. 115  Vgl. nur Ulp. D. 50,13,1 pr., wo freilich merces synonym zu honorarium ge­braucht wird. 116  Siehe etwa Plinius d. J., ep. 4,13,3, wo der Lehrer ausdrücklich als locator bezeich­net wird; dazu Cop­pola (o. Fn. 52) 173. 117  Marco Bergamasco, Le didaskalika… nella ricerca attuale, Aegyptus 75 (1995) 95–167, hier 96 ff., 162 ff., zählt 42 Verträge.

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ge118, Aufenthalts­ort des Lehrlings wäh­rend der Lehre (beim Gewalthaber oder beim Lehr­herrn), Zahl der Arbeitsstunden incl. Feiertagen und Ernäh­ rung sowie Beklei­dung des Lehrlings und etwa Schadens­ersatz für Fehlta­ ge. Ein bestimmtes Al­ ter war für Lehrlinge nicht vorgeschrieben119; der Lehrerfolg wurde von einer Kommission überprüft, so dass ein Misserfolg dazu führen konnte, dass eine neue Lehre auf Kosten des Lehrherrn not­ wendig wurde120. Für die in unserem Zusammenhang wichtige Frage, ob der Lehrherr oder der Lehr­ling eine Vergütung erhielt, unterscheiden sich die ägyptischen Ver­ träge erheblich. Im Unterschied zu den Zeugnissen aus Babylon, nach denen weder eine Vergütung an den Lehrherrn noch an den Lehrling geflossen ist121, und zu denen des Mittelal­ters, die in aller Regel ein didactrum an den Lehr­ herrn vorse­ hen und bisweilen sogar einen Vergütungsanspruch des Lehrlings aus­drücklich verbieten122, hat man in Ägyp­ten offenbar die vom Lehrling geleis­tete Arbeit, von der der Lehrherr unmittelbaren Nutzen hatte, grund­sätz­lich höher bewertet als den Wert der Ausbildung. Jedenfalls sieht die Mehr­ zahl der Verträge eine Entlohnung des Lehrlings selbst123 oder seines Gewalt­habers124 vor. Sie kann in einem Pauschbetrag bestehen, in Raten zu zahlen oder auch, gestaffelt mit der fortschreitenden Unabhängig­ keit des Lehr­lings im Beruf, zunehmen125. Wenn freilich der Wert der Aus­ bildung höher als die Arbeitsleistung veranschlagt wurde, wie es etwa im Falle der Ausbildung im Flötenspiel oder auch in der Kurzschrift der Fall war, erhielt die Vergütung der Lehrherr126. Der privatautono­men Vereinba­ rung waren hier offenbar keine Grenzen gesetzt. 118  Die Lehre als Weber kann acht Monate, zwei Jahre (P. Oxy. Hels. 29), aber auch fünf Jahre dauern (dazu Joachim Hengstl, Private Arbeitsverhältnisse freier Personen in den hellenistischen Papyri bis Diokletian, Bonn 1972, 89 in Fn. 50 m. w. Nachw.); die Lehre zum Wollkämmer kann gleichfalls bis zu fünf Jahren dauern (P. Oxy. XLI 2977), die Ausbildung in der Tachygraphie erfordert dagegen nur zwei Jahre (P. Oxy. IV 724). 119  Sturm (o. Fn. 113) 130. 120  Johannes Herrmann, Vertragsinhalt und Rechtsnatur der DIDASKALIKAI, JJP 11–12 (1958, 119–139, hier 120 f.; Hengstl (o. Fn. 118) 91. 121  M. San Nicolò, Der neubabylonische Lehrvertrag in rechtsvergleichender Be­ trach­tung, München 1950; Sturm (o. Fn. 113) 131, 133. 122  Theo Mayer-Maly, Aus der Rechtsgeschichte des Lehrlingswesens, in: Fest­ schrift für Hans Schmitz zum 70. Geburtstag, Bd. I, Hrsgg. Theo Mayer-Maly u. a., Wien / München 1967, 161–177, hier 169, 171. 123  Siehe etwa P. Oxy. Inv. [27] 3 B / 41 G (7–9), wo der Lehrling ein sich selbst verdin­ gender Freier ist; PSI X 1110 verso, wo der Lehrling ebenfalls ein Freier (Sohn) ist; s. zudem die Nachw. in Fn. 130. 124  Z. B. P. Mich. inv. 5191a; P. Heid. IV 327; P. Mich. II 121 recto II, 8; P. Oxy. XXXI 2586. 125  Siehe zu den verschiedenen Gestaltungen Bergamasco (o. Fn. 117) 144 ff.



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d) So elegant sich Bürges Erklärung mit den Grundsätzen des Mandats­ rechts in Ein­klang bringen lässt und den „Stein des Anstoßes“ beseitigt, so wenig überzeu­ gend ist sie. Zunächst sollte man sich davor hüten, die Verhält­nisse in Ägypten ohne weiteres auf Rom zu übertragen127; womög­ lich handelte es sich bei den gräko-hellenistischen Verträgen nicht einmal um Konsensual­verträge128. Zudem zeigen ja gerade die Di­gesten, dass der Lehrherr ein Ent­gelt – eine merces wegen eines Werkvertrags129 – erhielt, von einer Entloh­nung des Lehr­lings ist nirgends die Rede. Vor allem aber ist die aus den Pa­pyri folgende Ent­lohnung des Lehrlings gar nicht so be­ weiskräftig, wie Bürge annimmt: Wenn eine Vergütung an Sklavenlehrlinge gezahlt wird, so kommt das Entgelt letzt­lich dem Eigentümer des Sklaven zugute; das zeigt der Wort­laut von P. Mich. inv. 5191a. Wo dies nicht aus­ drücklich geregelt ist, ist das zu vermu­ten130. Denn wieso sollte der Eigen­ tümer nicht jederzeit Zugriff auf das dem Lehrling be­zahlte Entgelt nehmen können? Überdies gibt es keinen einzigen Papyrus, nach dem der eigene (!) Sklave des Lehrherrn von diesem Geld er­halten würde. Ge­nau dies wäre aber in D. 17,1,26,8 der Fall. 126

Bürges Lösung begegnet aber auch konstruktiven Problemen. Erstens: Die Geld­zahlung an einen Lehrling zur Kompensation seines Arbeitseinsat­ zes ist nur sinnvoll, wenn das Geld letztlich an den (freien) Lehrling selbst oder einen dritten Eigentümer fließt. Eine Zahlung an den Sklaven im Fal­ le von D. 17,1,26,8 würde dagegen gar keine Veränderung der Eigentums­ lage mit sich bringen. Vielmehr würde faber als Eigentümer gewissermaßen nur den Verwah­rungsort seines eigenen Geldes verän­dern. Zweitens: Wenn faber dem Sklaven vor seinem Weiterverkauf das Geld wieder abnimmt, hätte er im Er­gebnis in dieser Hinsicht keine Aufwendungen. Wenn faber dagegen den Skla­ven mit dessen Lohn weiterverkauft, so muss auch der Kaufpreis entspre­ chend höher ausfallen; den erlangten Kaufpreis müsste faber aber amicus mit der actio mandati herausgeben und würde dagegen als Abzugsposten die ge­zahlte merces in Anschlag bringen. All dies wäre Oxy. IV 724; Herrmann (o. Fn. 120) 122 f.; Hengstl (o. Fn. 118) 85. auch Macqueron (o. Fn. 23) 209 f.; Herrmann (o. Fn. 120) 133. 128  Für einen Realvertrag: Sturm (o. Fn. 113) 137; Herrmann (o. Fn. 120) 134; für eine locatio conduc­tio rei (bei gewaltabhängigem Lehrling) und operarum (bei gewalt­ freiem Lehrling), wenn der Lehrling Geld verdient, sowie für eine locatio conductio operarum, wenn der Meister entlohnt wird, dagegen Adolf Berger, Die Strafklauseln in den Papyrusurkunden, 1911, 168 f.; für eine locatio con­ductio operis Cugia (o. Fn. 113) 22 ff.; für eine m…sqwsiv eigener Art Herrmann (o. Fn. 120) 136. Auch eine Pa­ramone wird diskutiert. 129  Oben S. 75. 130  Zweifelnd Schanbacher (o. Fn. 72) 55 in Fn. 86. Eine Entlohnung erhält der Sklave in P. Oxy. XLI 2977; P. Mich. V 346a und PSI III 241. In P. Oxy. XIV 1647 ist offen, ob die Sklavin oder die Eigentü­merin den Lohn erhält. 126  P.

127  Siehe

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höchst umständlich und wirtschaft­lich völ­lig sinnlos. Drittens: Bürges Deu­ tung führte in letzter Kon­sequenz dazu, dass faber von amicus Ersatz für gerade denjenigen Betrag ver­ langt, der ihm selbst durch die Auszahlung an seinen Sklaven „zugeflos­sen“ ist. Will man hier tatsächlich von einem solchen „Zufluss“ ausgehen (und nicht nur von einer Änderung des Verwahrungs­ortes des Geldes), dürfte ami­cus mit der actio mandati gerade diesen Zufluss ab­schöpfen, für einen auf Rück­zahlung gerich­teten Gegen­ anspruch des faber wäre dann aber kein Raum131. 4. Merces als Entgelt aus einer locatio conductio? Schon seit den Basiliken wurde verschiedentlich vorgeschlagen, die merces als re­guläres Entgelt aus einer locatio conductio anzusehen und so die Klage des letzten Teils von D. 17,1,26,8 von dem iudicium mandati zu entkoppeln132. So wurde die mer­ces als diejenige Vergütung erachtet, die der Lehrherr aus einer Vermietung des Lehrlings erzielt habe, der im Laufe seiner Lehrzeit zur vollwertigen Arbeitskraft ge­worden sei133. Das scheitert jedoch daran, dass con­sequi nicht „behalten“, sondern „erhalten“ bedeu­ tet134, faber hat die merces also noch gar nicht. Eine zweite Erklä­rung be­ stünde darin, die Klage auf die merces als gegen einen Dritten gerichtet zu begreifen, der den Sklaven ge­mie­tet hat (actio locati). Den so vorausgesetz­ ten Drit­ten kennt der Text indes nicht135. Schließlich hat man eine actio conducti des faber gegen amicus vor­ge­schla­gen136: Das Verlangen nach ei­ ner Ausbildung sei amicus erst später in den Sinn gekommen, mit dem iussum mandatoris sei daher mit dem Ein­ver­ständnis von faber ein separa­ ter Vertragsabschluss, eine locatio conductio, zustande ge­kom­men. Auch diese Vermutung entbehrt jeder Stütze im Text137. Es könnte zwar durchaus sein, dass amicus zugleich auch locator ist, der Kon­text ver­weist je­doch auch Schanbacher (o. Fn. 72) 54 f. NomofÚlax (Xiphilinos), Schol. 38 zu Bas. 14,1,26 (Scheltema B II, 753 = Heimbach II, 109, Nr. 21). 133  Klami (o. Fn. 78) 42 f. 134  Heumann / Seckel (o. Fn. 15) s. v. consequi 3); zutr. Schanbacher (o. Fn. 72) 54 in Fn. 83. 135  Rainer (o. Fn. 89) 380 in Fn. 15; Rundel (o. Fn. 17) 56. 136  So schon `O NomofÚlax (Xiphilinos), Schol. 38 zu Bas. 14,1,26 (Scheltema B II, 753 = Heim­bach II, 109, Nr. 21); möglicherweise auch Schol. 37 (Scheltema B II, 753 = Heimbach II, 108 f., Nr. 16): ™pˆ to‹v tÁv didaskal…av misqo‹v; Watson (o. Fn. 20) 108; Coppola (o. Fn. 17) 510; Fiori (o. Fn. 32) 269. 137  Zutr. Haymann (o. Fn. 76) 349; Medicus (o. Fn. 92) 202; Dumont, Iura 13 (1962) 344; Rundel (o. Fn. 17) 56. Gleiches gilt übrigens auch von der von Watson (o. Fn. 20) 108, ins Spiel gebrachten actio in factum, die zwar Gai. D. 19,5,22 kennt (oben S. 59 f.), nicht aber unser Text. 131  Kritisch 132  `O



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht79

eindeutig auf das iudicium mandati (vgl. contra fore, tunc enim). Vor allem aber spricht auch der nisi-rogatus-Satz gegen eine actio con­ducti: denn rogare wird im Zusammenhang mit einem Mandat verwen­det138, niemals aber mit einer loca­tio conductio. 5. Ein entgeltliches Ausbildungsmandat? a) Entgeltlichkeit aufgrund eines pactum adiectum? In der Vereinbarung eines Entgelts für den Lehrherrn muss man nach alle­dem ein pactum adiectum in continenti sehen. Im unmittelbaren zeitli­ chen Zusam­menhang mit dem vom zweiten Teil des Textes vorausgesetzten Ausbil­dungs­mandat (iussu man­datoris) haben also amicus und faber die Entgeltlich­keit der Lehre vereinbart139. Dass ein solches pactum (ausnahms­ weise) klagbar ist, folgt aus Ulpian D. 2,14,7,5. Tatsächlich lässt sich zur Erhärtung der These vom pactum adiectum Afri­kan / Ju­lian D.  17,1,34 pr. anführen, wo die Zulässigkeit eines Vereinba­ rungs­darlehens be­handelt wird. Ein Prokurator hatte eingetriebenes Geld als Darle­hen einbehalten und sich gegenüber dem Mandator mit einer Zinszah­ lung ein­verstan­den erklärt. Julian sieht den Prokurator aus der actio mandati als ver­pflichtet an, den vereinbarten Zins zu zahlen: usuras, de quibus conve­nerit … igitur dicendum actione mandati obliga­tum fore procuratorem. Die Zahlung eines vereinbarten Zinses ist etwas anderes als die mit der Mandats­klage übli­che Abschöpfung der Vorteile, die der beauftragte Pro­ kurator aus dem Geld zog. In Paulus D. 19,5,5,4 haben wir überdies einen Beleg dafür, dass ein Man­dat mit Hilfe eines pactum „seine Natur über­ schreiten“, von sei­ nen natür­ li­ chen Regeln abweichen kann140: et potest mandatum ex pacto etiam natu­ram suam excedere. Als Beispiele werden die Verschärfung des Haf­ tungs­ maßstabs des Beauftragten – Übernahme der custodia-Haftung – sowie die Begrenzung des möglichen Höchstaufwands des Beauftragten genannt141. Aus beiden Texten folgt, dass das Mandat, wie andere bonae fidei iudicia auch, Ne­benabreden zugänglich war, und zwar selbst solchen, die seine Natur änderten. Es ist daher bloßes Gerede, wenn man gegen die Möglichkeit eines 138  Vgl. z. B. D. 17,1,1,2; eod. 22,2; eod. 22,9; eod. 33. Zu Unrecht für eine Inter­pola­tion des nisi-Sat­zes Franz P. Bremer, Iurisprudentiae Antehadrianae quae super­sunt, Leipzig 1898, Bd. II / 1, 295. 139  So schon Schanbacher (o. Fn. 72) 54. 140  So die Übersetzung von Karlheinz Misera, in: Behrends / Knütel / Kupisch / Sei­ ler, Bd. III, Heidel­berg 1999, 598. 141  Siehe auch Paul. D. 17,1,5 pr.-1.

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entgeltlichen Man­dats die Vertragstypik ins Feld führt, die ein „einfaches“ pac­tum nicht habe antasten können142. Mit einem „einfachen“ pactum konnte man sehr viel erreichen, selbst eine dinglich wirkende Hypothek begründen! D. 17,1,26,8 sagt allerdings nichts von einem pactum, sondern führt nur ein iussum mandatoris an. Aber wie anders als mit Hilfe einer ausdrückli­ chen Ab­rede hätten die Parteien das Entgelt für die Lehre verabreden sol­ len? Ein still­schweigendes pactum wäre nur denkbar, wenn wir von einem zum Zeit­punkt des Vertragsabschlusses noch unbezifferten Entgelt ausgin­ gen. Da Paulus in­dessen nirgends die Frage der nach­träglichen Festsetzung der Ent­gelthöhe pro­blematisiert143, spricht dafür nichts. Dass der Jurist nur das iussum nennt, ge­schieht, um den Unterschied zum ersten Teil zu beto­ nen, wo der Lehr­ auftrag noch keine Rolle spielte. Sowohl für den nach diesem iussum zustande gekom­menen Auftrag wie auch für die begleitende Entgeltabspra­ che ist das Einver­ ständnis von faber vorausgesetzt144. Das pactum machte den Auf­trag entgelt­lich. Die Entgeltabrede war mit Gewiss­ heit ausdrücklich er­folgt; denn wenn man von der üblichen Unentgeltlich­ keit abweichen wollte, musste man dies sagen. Der letzte Halbsatz ab nisi macht deutlich, dass man selbst­ver­ständ­lich auch um unentgeltliche Lehre bitten konnte145. Zu erwarten war das natürlich nicht, regel­mäßig dürfte ein Handwerker eine Entlohnung ge­wünscht haben146. Unverständlich ist es allerdings, wieso Schanbacher das Unentgeltlichkeits­ prinzip durch eine solche Abrede nicht angetastet sieht147. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn die Frage der Entgeltlichkeit der Parteivereinbarung zugäng­ lich war, war die Unent­geltlichkeit für ein Mandat nicht mehr konstitutiv. Des­sen Natur wurde zwar, um mit Paulus zu sprechen, „überschritten“ – amici be­ sor­ gen Ge­ schäfte füreinander regel­ mäßig unentgeltlich –, an der Wirksam­keit einer sol­chen Abrede bestanden aber keine Zweifel. Bevor wir allerdings die Zuläs­sig­keit eines entgeltlichen Mandats auch im römischen Recht an­nehmen wollen, sind die Vorzüge und Nachteile einer solchen Ver­ tragswahl und die möglichen vertraglichen Alternativen zu betrachten und die Einwände ge­gen eine solche vermeintliche contradictio in adiecto zu prüfen. 142  Coppola

(o. Fn. 10) 61 in Fn. 85. Gegensatz etwa zu Gai. D. 19,5,22. 144  Schanbacher (o. Fn. 72) 54 in Fn. 75. 145  Ein sachlicher Grund für eine Interpolation besteht nicht (anders Fridolin Eisele (Bei­ träge zur Erkenntnis der Digesteninterpolationen, ZRG RA 10 (1889) 296–322, hier 306); zutr. Klami (o. Fn. 78) 43. 146  Schanbacher (o. Fn. 72) 55. Eine Beweislastverteilung wird mit dem Satz übri­gens nicht ausge­drückt, eher ein empirischer Befund. Wurde also ein Handwer­ ker um eine Ausbildung gebeten, musste er Entgeltlichkeit vereinbaren. 147  Schanbacher (o. Fn. 72) 54. 143  Im



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b) Der geeignete Vertragstypus aa) Die möglichen Parteiinteressen Grundsätzlich könnte man bei dem Vertrag zwischen faber und amicus – es handelt sich um einen praktischen Fall148 – an einen Werk- oder Dienstver­trag, aber auch an eine Gesellschaft oder an ein Mandat denken. Wie schon gezeigt, kam für einen Ausbildungsvertrag zumeist die locatio conductio in Form des Werkvertrags in Betracht. Einen Werkvertrag konn­ ten die Parteien hier indessen schon deshalb nicht abschließen, weil er stets vor­aussetzt, dass der Be­steller die Sache dem Unternehmer zum Zwecke der Her­stellung des Werks über­lässt149. Hier hatte faber den Sklaven nach sei­ nem Kauf übereignet erhalten; es spricht nichts dafür, dass amicus Eigentü­ mer wur­de. In Betracht kam deshalb ein Werklieferungsvertrag, bei dem der „Aus­gangsstoff“ des Werks dem Unternehmer gehört150 und der nach herr­ schender römischer Meinung entweder wie ein Kauf- oder Werkvertrag zu behandeln war151. Die Einordnung des Vertrags als Kauf scheitert hier dar­ an, dass auf­ grund des vorhe­ rigen Einkaufsmandats ohnehin schon eine Übereignungs­pflicht von faber an amicus im Wege der Herausgabe nach dem iudi­cium man­dati bestand und der „Ausgangsstoff“, also der Sklave, derselbe geblieben ist152. Daher wäre zu überle­ gen, ob den Parteien ein Werklieferungsvertrag mit An­wen­dung des Werkver­tragsrechts interessenge­ recht erscheinen konnte. Wollte faber sein Kalkulationsrisiko verringern, war er daran interessiert, ne­ben der vereinbarten merces auch Aufwendungsersatz für den Unterhalt des Sklaven zu er­ halten. Es konnten während der nicht kurzen Lehrzeit unvorher­ sehbare Aufwendun­ gen nötig werden, etwa Arztkosten anfallen. Ein Aufwen­ dungsersatzanspruch stellte sicher, dass er zumindest seine Auslagen würde ersetzt erhalten. War dagegen die merces zu niedrig kal­ kuliert, machte er ein schlechtes Geschäft. Wir haben jedoch keinen Beleg in den Quellen, dass ne­ben der bei einer locatio conductio vereinbarten merces ein Aufwendungs­ersatz gezahlt werden konnte. Für den Werkver­ trag besit­zen wir nur das Zeug­nis in Paulus D. 44,4,14, wonach der besit­ 148  Schanbacher (o. Fn. 72) 41. Es ist das einzige Mandat an einen faber in un­ seren Quellen. 149  Gai. 3,147; D. 18,1,20; 19,2,2,1; eod. 22,1; Kaser I (o. Fn. 1) 563; Behrends (o. Fn. 66) 193. 150  Theo Mayer-Maly, Locatio conductio, Wien 1956, 74 m. w. Nachw.; Kaser I (o. Fn. 1) 548. 151  D. 18,1,65; Kaser I (o. Fn. 1) 548. 152  Vgl. die Kriterien in D. 18,1,65.

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zende Werkunter­nehmer ge­genüber der rei vindicatio des Bestellers die exceptio doli geltend machen kann, um Ersatz zu erlangen. Das aber ist gerade kein vertraglicher An­spruch153 und wä­re in unse­rem Fall übrigens auch nicht zielführend, weil fa­ber selbst Eigen­ tü­ mer des Skla­ ven war. Auch neben einem Dienstvertrag ist ein eigenständi­ger Auf­wen­dungsersatz­ anspruch nicht überliefert154. Im Gegen­teil zeigt Paulus D. 19,2,22,2, dass ein Vertrag dann als Dienstvertrag einzu­ord­nen war, wenn der Unterneh­ mer für die Herstellung des Werks seine Auf­wendungen zunächst selbst zu tragen hatte. Nur beim Mandat kennen wir einen Beleg für die Kom­ bi­ nation aus Entgelt und Aufwen­dungsersatz: Ulpian D. 17,1,10,9. Hier­nach er­hielt ein salariarius zusätzlich seine Aufwendungen ersetzt, wenn nichts ande­res vereinbart war155. Gegen die Anwendung des Werkvertragsrechts könnte aber gerade bei einer Lehre die Notwendigkeit der Erreichung des vereinbarten Erfolgs ge­ sprochen haben156. Möglich war, dass der Sklave ungeschickter war, als faber bei sei­nem Einkauf vor­hersehen konnte, möglich war auch, dass die Lehre wegen Krank­heit oder Tod nicht erfolgreich beendet werden konnte. Denn selbst wenn amicus und faber Abschlags­zahlungen während der Leh­ re vereinbart hatten, wie wir sie aus den Papyri kennen, hätte faber bei einem Misserfolg das ge­samte bereits gezahlte Entgelt zurückzahlen müs­ sen157. Ein weiteres Interesse von faber konnte darin bestehen, die Haftung bei einer Flucht des Sklaven zu vermeiden. Den Werkunternehmer traf die 153  Wie hier auch Mayer-Maly (o. Fn. 150) 170 f. – In D. 19,2,55,1 und eod. 61 pr. wird zwar die actio conducti auf Impensenersatz gewährt, es handelt sich aber in bei­den Fällen um einen Pachtvertrag. 154  Man hat für eine dakische Urkunde über die Arbeit in einem Bergwerk gegen­ über dem in CIL III 2, 948, X (Karl Georg Bruns, Fontes Iuris Romani Antiqui, Tü­bingen 19097, Nr. 165, 1) überlieferten Wort­laut eine Besserlesung versucht, um so einen An­spruch auf merces sowie auf cibaria nachzuweisen (so etwa Macqueron, o. Fn. 23, 205). Allein, eine erneute Prüfung ergab, dass der überlieferte Wort­laut liberis­que (statt cibarisque) richtig ist; vgl. Kaser I (o. Fn. 1) 570; Robert Röhle, Das Prob­lem der Gefahr­tra­gung im Bereich des römischen Dienst- und Werkvertra­ ges, SD 34 (1968) 183–222, hier 188 ff. 155  … puto hos quoque sumptus reputare eum oportere, nisi si salariarius fuit et hoc convenit, ut sump­tus de suo faceret …, hoc est de salario; dazu Bürge (o. Fn. 11) 320; Susanne Heinemeyer, Der Frei­kauf des Sklaven mit eigenem Geld, Berlin 2013, 218. 156  Dazu Iav. D. 19,2,51,1; 50,16,5,1; Kaser I (o. Fn.  1) 570; Mayer-Maly (o. Fn. 150) 184; Wolfgang Ernst, periculum conductoris. Eine gleichlaufende Gefahrtra­gungsregel bei den Verträgen der locatio conductio, in: Festschrift für Her­ mann Lange zum 70. Geburtstag, Hrsgg. Dieter Medicus u. a., Stutt­gart u. a. 1992, 59–97, hier 83. 157  Iav. D. 19,2,51,1.



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht83

custo­dia-Haftung, einen Mandatar grundsätzlich nicht158. Bei Vereinbarung eines entgeltli­chen Mandats darf man jedoch vom Bestehen der custodiaHaftung ausgehen; denn hier war wegen des Entgelts das Eigeninteresse des Mandatars so groß, dass wir analog den über­lieferten Fällen seine custodiaHaftung beja­hen müssen159. Hierin dürfte sich das entgeltliche Mandat also kaum vom Werk­vertrag unterschieden haben. Grundsätzlich kam für unser Lehrverhältnis auch ein Dienstvertrag in Be­ tracht160. Faber hätte wenn nicht sich selbst, so doch seine Arbeitskraft ver­dingt (operas suas locare). Das hätte für ihn den Vorteil gehabt, dass er seine merces auch verdient hätte, wenn der Erfolg seiner Lehrtätigkeit aus­ geblieben wäre161. Wie schon darge­legt, hätte er aber bei einer Entgeltver­ einbarung das Kalkula­tionsrisiko wegen des Unterhalts des Sklaven getra­ gen. Entscheidend gegen einen Dienstvertrag, für den die wenigen quellen­ mäßigen Belege zum großen Teil diffamierte Berufe wie Gladia­ toren, Schauspieler und dergl. be­tref­fen162, spricht vor allem die Notwendigkeit für den Dienstverpflichteten, ganze Tag­ werke abzuleisten163, und dessen not­ wendige Eingliederung in die Arbeits- und Organisationssphäre des Dienst­ berechtigten164: Dieser hatte nicht nur ein Wei­sungsrecht (das, in geminder­ tem Umfang auch beim Mandat be­ stand), sondern auch ein Zeitbestim­ mungsrecht165. Die Abhängigkeit von ami­cus wäre für faber also größer 158  Ulp. D. 17,1,8,10: Haftung des Mandatars wegen Flucht nur bei dolus und culpa; Macqueron (o. Fn. 23) 168; Schanbacher (o. Fn. 72) 49; vgl. für den Werk­ vertrag Gai. 3,205; D. 19,2,13,3; Kaser I (o. Fn. 1) 571. 159  Vgl. zur custodia-Haftung bei Entgeltlichkeit: Gai. 3,205 (fullo, sarcinator), 3,206 (commodatarius); D. 4,9,5 pr. (nauta, caupo, stabularius); 19,2,60,6.9 (locator horrei); 18,6,1,1 (Verkäufer nach Ver­tragsschluss). Bei der Sklavenflucht unterschei­ det man danach, ob der Sklave überwachungsbedürftig erschien oder nicht, vgl. D. 6,1,21; 50,17,23; Max Kaser, Die actio furti des Verkäufers, ZRG RA 96 (1979) 89–128, hier 110; ohne diese Differenzierung D. 13,6,18 pr. Zu Recht überträgt Dieter Nörr, Die Entwicklung des Utilitätsgedankens im römischen Haftungsrecht, ZRG RA 73 (1956) 68–119, hier 73 in Fn. 19, die Notwendigkeit, für custodia einzustehen, auch auf das entgeltliche (!) depositum. 160  Auszuschließen ist hier aber eine Verdingung des Sklaven durch amicus. Denn dann hätte dieser, nicht faber, einen Entgeltanspruch erworben. Außerdem war faber Eigentümer des Sklaven, nicht amicus. 161  Dazu Kaser I (o. Fn. 1) 570; Ernst (o. Fn. 156) 84. 162  D. 3,1,1,6; 3,2,3; 7,1,26; 38,1,37 pr.; coll. 4,3,2; 9,2,2. – D. 19,2,19,9 betrifft die Dienste als Schrei­ber, D. 14,1,1,18 den Vertrag zwischen Reeder und Kapitän; Bruns (o. Fn. 154) Nr. 165, 1–3 die Anstel­lung von Bergleuten. Siehe auch Nörr (o. Fn. 113) 91; Bürge (o. Fn. 13) 144. 163  Wacke (o. Fn. 11) 409 f. m. w. Nachw. 164  Eine regelrechte Statusminderung wird damit wohl nicht verbunden gewesen sein, s. Nörr (o. Fn. 113) 101. 165  Behrends (o. Fn. 66) 194, 200.

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gewesen als bei einem Mandat. Für faber be­stand kein Grund, seine ganze Arbeitskraft zu verdingen, da er den Sklaven nebenher bei seiner (sonsti­ gen) Arbeit in seiner eigenen Werkstatt ausbilden konnte166. Die Arbeit in sei­nem eigenen Unternehmen stand seiner Eingliede­rung bei amicus entge­ gen. Faber und amicus hätten auch eine societas vereinbaren können. Dann hätte faber an der Wertsteigerung des Sklaven zwar grundsätzlich in glei­ cher Höhe wie amicus partizipiert167. Das wäre aber auch eine Erfolgsprä­ mie gewesen, keine vom Erfolg unabhängige Vergütung. Hierauf wollte sich faber offenbar nicht einlassen. Ein unentgeltliches Mandat hätte faber zwar sowohl die Erfolgshaftung als auch die custodia-Haftung genommen, er hätte dann aber seine Zeit auf den Sklaven unent­ geltlich aufgewendet, wie es der letzte Halbsatz von D. 17,1,26,8 voraussetzt. Abge­sehen davon, dass ein Handwerker wahrschein­ lich nicht die Gewohnheit hatte, für seine Tätigkeit kein Geld zu verlangen, hätte ein unent­ geltliches Mandat auch noch zu der unerfreulichen Folge ge­führt, dass faber an amicus alle Vorteile hätte heraus­geben müssen, die er aus der (zunehmend selb­ständigeren) Arbeit des Sklaven zog168. Halten wir fest: Ein entgeltliches Mandat, also die Kombination aus Vergü­tungs- und Aufwendungsersatzanspruch, konnte genau den Interessen von faber entsprechen, einerseits erfolgsunabhängig vergütet zu werden, anderer­seits das Kalkulationsrisiko möglichst gering zu halten und zudem seine be­rufliche Un­abhängigkeit zu wahren. bb) Systematische Einwände? Man könnte gegen das entgeltliche Mandat einwenden, es sei uns weder von Gaius noch von Justinian in seinen Institutionen überliefert169. Da es sich in beiden Fällen um ein Anfängerlehrbuch handelt, wird man darin aber nicht die letzten Feinheiten des Rechts erwarten wollen. Gerade der Um­ stand, dass uns Justinian die Entgelt­ lichkeit nicht in seinen Institutionen nennt, spricht gegen eine Interpolation von D. 17,1,26,8; eine Rechtsände­ rung ist hier nicht zu kon­statieren. In diesem Zusam­menhang wird auch das Argument geäußert, unser Text stamme aus demselben 32. Buch des Edikts­ letzteren Aspekt Behrends (o. Fn. 66) 151. etwa Paul. D. 17,2,71 pr., wo die Gesellschaft zum Zwecke des Unter­ richts ver­einbart wird. 168  Entgegen Klami (o. Fn. 78) 43, war es keineswegs selbstverständlich, dass faber diese Vorteile behalten durfte; im Grundsatz galt ja das Bereicherungsverbot für den Mandatar, s. oben S. 61. 169  Siehe etwa Coppola (o. Fn. 17) 501. 166  Zum

167  Siehe



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht85

kommentars wie D. 17,1,1,4, wo Paulus das „Unentgeltlichkeits­axiom“ ge­ äußert habe170. Das ist je­ doch zu kurz gegriffen: Es sind ja Justinians Kompi­latoren, die uns die schein­bar unver­einbaren Texte als aus demselben Buch stammend überliefern. Der „Wider­ spruch“ kann also von Justinian, aber auch von Paulus selbst stam­men. Be­denkt man überdies den vorsichtig formulierten Ausgang von D. 17,1,1,4, wo sich Paulus selbst von dem „Un­ entgeltlichkeitsaxiom“ distan­ziert, so kann man darin geradezu eine Öffnung des Juristen hin zu einer ge­genteiligen Entschei­dung sehen, die er uns in seinem bald folgenden Fragment D. 17,1,26,8 mit­teilt. Weitere Einwände könnte man aus dem Mandatsrecht selbst entwickeln. Ein Mandat muss, aus der Sicht des Auftraggebers, mea gratia vereinbart werden. Ein aus­schließlich tua gratia bestehendes Mandat ist ein unverbind­ licher Rat171. Beim entgeltli­chen Mandat haben jedoch beide Parteien ein Eigeninte­ resse, wenn auch dasjenige des Beauftragten untergeordnet sein dürfte, weil der Auf­traggeber schließ­lich alles aus der Geschäftsbesorgung Erlangte er­hält172. Auch aus Paulus D. 17,1,3 pr.173 lässt sich ein Gegenar­ gument nicht ableiten. Die einigermaßen dunkle Stelle behauptet, die Rechtslage des Auf­ traggebers könne durch den Auftrag niemals ver­ schlechtert werden. Das trifft evident dann nicht zu, wenn der Auftraggeber dem Be­auftragten Aufwendun­gen zu ersetzen hat, er aber wegen Untergangs der herauszu­ gebenden Sache nichts mehr erhalten kann. In D. 17,1,26,8 kommt hinzu, dass der Auftragge­ber den Kaufpreis erhält, der wegen der Ausbildung doppelt so hoch liegt wie sein ursprünglicher Einsatz. Ein nächstes Gegenargument könnte man der Verfahrensordnung entneh­ men wol­len. Es handelt sich bei D. 17,1,26,8 um den einzigen Text, der ein Entgelt vorsieht, das im iudicium mandati geltend zu machen ist; alle übrigen Texte gehen von einem Verfahren extra ordinem aus174. Diese ­ Funktionstei­lung – Mandatsklage für den Auf­wendungsersatz, außerordent­ liche Klage für das Ent­gelt – ist hier aufgehoben. Daran ist freilich kein Anstoß zu nehmen: Wenn unsere oben geäußerte Vermutung richtig ist, nämlich dass es handfeste Gründe gab, warum man bei bestimmten als für die Gesellschaft wichtig er­achteten Berufen das iudicium mandati nicht mit einer Ent­geltklage belasten wollte175, dann bestand kein Grund, eine solche 170  Coppola

(o. Fn. 17) 507. I (o. Fn. 1) 578. 172  Vgl. auch Randazzo (o. Fn. 27) 193, 197; Schneeberger (o. Fn. 17) 22. 173  D. 17,1,3 pr. Paul. 32 ad ed. Praeterea in causa mandati etiam illud vertitur, ut interim nec melior causa mandantis fieri possit, interdum melior, deterior vero num­quam. 174  Siehe oben S. 65. 175  Oben S.  67 f. 171  Kaser

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Entgeltklage vom Mandatspro­zess fern­zuhalten, wenn es sich lediglich um die Tätigkeit eines Hand­werkers handelte. Hier konnte eine uneingeschränk­ te Aufrechterhaltung der Infa­mie­folgen nicht beabsichtigt sein. Ein Hand­ werker erhielt ja auch im Rahmen der locatio con­ductio seinen Lohn, ohne dass er mit Infamie bedroht gewesen wä­re. Dass die Parteien wegen der Risikoverteilung hier ausnahms­weise ein Man­dat ver­einbart hatten, rechtfer­ tigte seine Schlechterstellung durch eine Verweisung in das Ver­fahren extra ordinem nicht. Bei Handwer­kern, artifices und opifices176, war die cognitio extra ordinem nicht statthaft177. Der letzte und gewichtigste Einwand ist das römische Obligationensystem selbst, das vom Prinzip der Typenbindung beherrscht war178. Dieses System ermöglichte es, die Vertragstypen untereinander abzugrenzen, wie wir es ge­ rade für das unentgeltliche Mandat beobachten konnten179. Allerdings bedeutet Ty­pen­gebundenheit ja lediglich, dass die Parteien keine Obligation schaffen durf­ten, für die es bisher keine actio gab. Gerade dies war aber bei einem ent­ geltli­ chen Mandat nicht der Fall. Vielmehr konnte die merces ohne weite­res mit der actio mandati contraria eingeklagt werden. Ihre Be­ rücksichtigung in einem bonae fidei iudicium kann genausowenig wunder nehmen wie die Be­ rücksichti­ gung von durch die Auftragsdurchführung verursachten Schäden des Be­auf­tragten als Aufwendungen180. Die Möglich­ keit leichterer Abgren­zung der Ver­tragstypen war zwar gerade für den ersten Zugriff auf die Lösung eines Falles ein schätzenswerter Vorteil, sie war aber kein Selbstzweck. Die Gefähr­lichkeit einer rein begrifflichen oder systema­ tischen Entscheidung war den römischen Juristen nur allzu bekannt181. Im Falle des Mandats konnten sie ohne weiteres ein Entgelt als geschul­ det ansehen, enthielt doch die Klagefor­mel keinen Hin­weis auf die Unentgelt­ lichkeit des Mandats182. Unsere Interessenbewertung (oben aa) zeigte, dass durchaus Fälle denkbar sind, in denen das unentgeltliche Mandat ebensowenig interessengerecht war wie die entgeltliche locatio conductio. Das galt in der Antike ebenso wie in Behrends (o. Fn. 66) 142. Ulp. D. 50,13,1,7 Ulp. 8 de omn. trib. Sed ceterarum artium opificibus sive artificibus, quae sunt extra litteras vel notas positae, nequaquam extra ordinem ius dicere praeses debebit. 178  Kaser I (o. Fn. 1) 484. 179  Siehe nur Gai. 3,162; Gai. D. 19,5,22; Paul. D. 17,1,1,4. Siehe auch Macqueron (o. Fn. 23) 166. 180  Siehe die Nachw. in Fn. 67. 181  Siehe nur Paul. D. 50,17,1 und Iav. D. 50,17,202. 182  Vgl. Otto Lenel, Das Edictum perpetuum. Ein Versuch zu seiner Wiederherstel­ lung, Leipzig 19273, 295 ff.; Kaser I (o. Fn. 1) 579. 176  Dazu 177  Vgl.



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht87

den mo­dernen Rechtsordnun­gen183. Es ist nicht zu erkennen, warum die römi­schen Juristen die Privatautonomie dort eingeschränkt haben sollten, wo die Gewäh­rung einer schon längst anerkannten Klage – der actio mandati contra­ria – den Parteiinteressen am ehesten gerecht wer­den konnte. Bemerkenswert ist schließlich, dass unser Text eine Parallele im Recht der Verwah­rung findet184. Das depositum war ebenfalls grundsätzlich unentgelt­ lich, und auch dieses haben die römischen Juristen mittels des Unentgeltlich­keits­kriteriums zum Werkvertrag abgegrenzt185. Aber auch hier existiert mit Ulpian D. 13,6,5,2 ein Text, der von einer entgeltlichen Ver­ wahrung ausgeht, die aller­dings zu einer verschärften Haftung des Verwah­ rers führt: D. 13,6,5,2 Ulp. 28 ad ed. … et quidem in contractibus in­ terdum dolum solum, interdum et culpam praes­ tamus: dolum in de­ posito: nam quia nulla utilitas eius versatur apud quem deponi­tur, merito dolus praestatur solus: nisi for­te et merces accessit (tunc enim, ut est et constitutum186, etiam culpa exhibetur) … 186

… Wir haften nämlich bei Verträgen bis­ weilen nur für Vorsatz, bisweilen auch für Fahrlässigkeit. Für Vorsatz bei der Ver­wahrung; denn weil der Verwah­ rer kei­ nerlei Nutzen hat, haftet er zu Recht nur für Vorsatz, falls nicht etwa ein Entgelt hinzu­kommt (dann nämlich ist, wie auch durch kaiserliche Konstitu­ tion bestimmt ist, Fahrläs­sigkeit zu ver­ treten) …

Der Text ist häufig verdächtigt worden, aus sprachlichen und inhaltlichen Grün­den187. Die sprachliche Kritik an der mangelnden Klassizität des nisi183  Zu

ihnen oben S. 55 ff. und Verwahrung sind strukturell vergleichbar, so zu Recht auch Coppola (o. Fn. 17) 489. 185  Ulp. D. 4,9,3,1; 16,3,1,8; Inst. 3,26,13. 186  Zu einer möglichen Konstitution aus der Severerzeit Nörr (o. Fn. 159) 73 in Fn. 20. 187  Siehe den Index itp. sowie etwa Carlo Alberto Maschi, La categoria dei con­ tratti re­ali, Milano 1973, 312, 315, 376; Antonino Metro, La plurisecolare vicenda del de­posito retribuito, in: Studi in onore di Remo Martini, Bd. II, Milano 2009, 789–808, hier 796; Kaser I (o. Fn. 1) 534 und 535 in Fn. 2; ders. II (o. Fn. 47) 372 in Fn. 28; mit vulgar­rechtlicher Überarbeitung rechnen Ernst Levy, Weströmisches Vulgarrecht. Das Obliga­tionenrecht, Weimar 1956, 173 ff.; Wiesław Litewski, Rez. Maschi, La catego­ria dei con­tratti reali, Milano 1973, SD 41 (1975) 433–444, hier 442; ders., Rez. Seba­stiano Tafaro, Regula e ius antiquum in D.50.17.23, Bari 1984, ZRG RA 105 (1988) 865–878, hier 873, und Carlo Augusto Cannata, Sul problema della responsa­bilità nel diritto privato romano, IURA 44 (1993) 1–83, hier 62; Matteo de Bernardi, A pro­posito della pretesa contrapposizione concettuale tra „dolus“ e „bona fides“ nel linguaggio dei giu­risti, in: Atti del seminario sulla problematica contrattuale in diritto romano, Bd. II, Milano 1990, 129–171, hier 152; ähnlich Maria Luisa Navarra, Note in tema di „utili­tas“: Modestino e coll. 10, 2, Labeo 50 184  Mandat

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Sat­zes ist heute keines Kommentars mehr würdig188, der sachliche Hinweis auf die sonst unmögliche Abgren­zung zur locatio conductio ebenso wie beim Mandat kein hinreichender Grund, Entgeltlichkeit zu verwerfen. Eine Inter­ polation ist zudem wegen des die Un­entgeltlichkeit der Verwahrung überlie­ fernden Texts Inst. 3,26,13 auszuschließen. Das von Ulpian angeführte Prin­ zip – Haftungsver­schärfung bei Entgeltlichkeit – ist allerdings so einleuch­ tend, dass es einem klassischen Juristen ohne weiteres zuzu­trauen ist189. Auch aus ande­ren Texten kennen wir Entgeltabreden bei der Verwah­rung190. Und wie schon beim Mandat besitzen wir auch für den Verwahrungsvertrag einen Text, nach wel­chem ein pactum adiectum, mit dem eine Haftungsverschär­ fung ver­einbart wird, nicht gegen die Rechtsnatur des Vertrags verstößt191. Für eine Um­deu­tung des in D. 13,6,5,2 genannten Verwahrungsvertrags in eine locatio conduc­tio ist daher kein Raum192. Im Ergebnis beweisen beide Texte, Paulus D. 17,1,26,8 und Ul­pian D. 13,6,5,2, wechselseitig die Echtheit einer Entgelt­abrede. Stich­haltige Gründe gegen die Zulässigkeit eines entgelt­ lichen Man­dats lassen sich daher nicht finden. Weil ein Interpolationsgrund nicht ange­geben werden kann193, ist von seiner Echtheit auszugehen. (2004) 84–134, hier 102 in Fn. 62 (103); unen­tschieden Hannu Tapani Klami, Mutua magis videtur quam deposita, Hel­ sinki 1969, 166; Ugo Brasiello, Rez. Giuseppe Gandolfi, Il deposito nella problematica della giuris­prudenza romana, Milano 1976, SD 43 (1977) 574–582, hier 580; Max Kaser, Be­sitz­pfand und ‚besitzloses‘ Pfand, SD 45 (1979) 1–92, hier 72 in Fn. 248. 188  Siehe etwa René Robaye, L’obligation de garde, Bruxelles 1987, 39 in Fn. 27, 44, der eine solche Konstruktion über 44 mal bei Ulpian zählt; Michel (o. Fn. 32) 64, fin­det nisi forte sogar 88 mal bei Ulpian; de Bernardi (o. Fn. 187) 149. 189  Siehe schon Nörr (o. Fn. 159) 73 in Fn. 19; wie hier für Echtheit Andreas Wacke, Rechts­ fragen der römischen Lagerhausvermietung, Labeo 26 (1980) 299– 324, hier 320 mit Fn. 92; Geoffrey MacCor­mack, Culpa, SDHI 38 (1972) 123–188, hier 164; Ric­cardo Cardilli, L’obbligazione di „praestare“ e la responsabilità cont­ rattuale in diritto romano, Milano 1995, 476; wohl auch Georg Klingenberg, „Con­ stitutum est“ in D. 47,2,14,4, RIDA 66 (1999) 243–314, hier 293. 190  Zinsabreden bei der Geldverwahrung: Scaev. D. 16,3,28; Pap. D. 16,3,24; zu ihrer Klassizität Ka­ser I (o. Fn. 1) 536. Von einem pretium depositionis non quasi merce­dem accepi ist in Ulp. D. 47,8,2,23 die Rede, welche Stelle selbst Fiori (o. Fn. 32) 275, für spätklassisch hält. Ebenfalls von einer eigennützigen Verwahrung und einer damit ein­hergehenden Haftungsverschärfung spricht Ul­pian D. 16,3,1,35 (si se quis deposito obtulit); dazu Lohsse in diesem Band S. 187 ff. 191  Ulp. / Pomp. D.  2,14,7,15 Ulp. 4 ad ed. …  pactionem valere nec quasi contra iu­ris formam factam non esse servandam. Zu Paul. D. 19,5,5,4 oben S. 79. 192  Anders Michel (o. Fn. 32) 64: locatio conductio operis, mit der Bewachung ge­schul­det sei; Giu­seppe Gandolfi, Il deposito nella problematica della giurispruden­ za romana, Milano 1976, 146–148; Fiori (o. Fn. 32) 275; dagegen zu Recht Metro (o. Fn. 187) 795, mit dem Hinweis, dass von der loca­tio conductio erst im letzten Satz die Rede ist. 193  Dazu schon oben S. 72.



Das entgeltliche Mandat im römischen Recht89

cc) Mela oder Paulus? Man wird mit letzter Sicherheit nicht klären können, ob der zweite Teil von dem Früh­klassiker Mela oder dem Spätklassiker Paulus stammt194. Für eine spätere Einord­nung spricht der Umstand, dass auch die klageweise Durchset­zung einer Honorar­forderung erst in spätklassischen Texten aner­ kannt wird195. An­dererseits gibt es keine Rechtfertigung, contra fore und consecuturum nicht auf Mela ait zu beziehen. Ohne Grund ist daher nicht von einer Textstörung auszugehen, sondern von einem (Mela zustimmen­ den) Referat des Paulus; schließ­ lich bestanden die Gründe für die Wahl eines entgeltlichen Mandats auch in der frühen Klassik. V. Schluss Wie die (früh-)neuzeitlichen Kodifikationen unterscheiden bereits die klassi­ schen rö­ mischen Juristen zwischen der Natur und dem Wesen des Mandats196: Seiner Natur nach ist es unentgeltlich, konstitutiv war die Un­ entgeltlichkeit aber nicht197. Das drü­cken sie so nicht aus, folgt aber aus einer Zusammen­schau der beiden Paulustexte D. 19,5,5,4 und D. 17,1,26,8. Das entgeltliche Mandat ist eine Entdeckung der Rö­mer. Am Beispiel von Paulus D. 17,1,1,4 und D. 17,1,26,8 lässt sich die Arbeits­ weise der römischen Juristen zeigen. Rechtsregeln haben eine mnemotechni­sche Funktion, sie erinnern den Rechtsanwender an bestimmte Problem- und Interes­senlagen und ihre Lösung. In unserem Fall ermöglicht die Rechtsregel man­da­tum nullum nisi gratui­tum198 namentlich die schema­ tische Abgrenzung zur eben­falls die Geschäftsbesor­gung für einen anderen umfassenden locatio con­ductio199. Dabei bleiben die Juristen jedoch nicht stehen. Vielmehr über­prüfen sie in einem zweiten Schritt, ob die gefun­dene Einordnung den Inte­res­sen der Parteien entspricht. Es versteht sich, dass nur besondere Gründe – in D. 17,1,26,8 der Wunsch, Aufwendungsersatz und erfolgs­unabhängiges Ent­gelt zu kombinieren – die Einordnung rückgängig machen können. Wenn man so will, erhöht eine Rechtsregel den Begrün­ 194  Für ersteres Schanbacher (o. Fn. 72) 52 in Fn. 67, für letzteres Dumont (o. Fn. 7) 316 in Fn. 31; Klami (o. Fn. 78) 43. 195  Siehe die Nachw. in Fn. 54. 196  Zu den Kodifikationen oben S. 55 ff. 197  Siehe bereits Loewenfeld (Fn. 40), 380. 198  Siehe etwa L. De Mauri, Regulae Juris, Milano 193611, 145; Detlef Liebs, La­tei­ni­sche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, München 19986, M 22. 199  Siehe für das Mandat die Nachw. oben in Fn. 179, für die Verwahrung oben in Fn. 185.

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dungsaufwand. Das Beson­ dere an den uns überlieferten klassischen Ent­ scheidungen liegt darin, dass nur sel­ ten diese Begründung genannt wird. Meist, und so auch in unserem Text, gehen die römi­ schen Juristen still­ schweigend von der Regel ab, wenn sie nicht passt200. Das quod actum genießt, zumal im bonae fidei iudicium, den Vorrang vor der star­ren Regel­ anwendung201.

200  Inwieweit dies auch den justinianischen Textkürzungen zu verdanken ist, ist Spe­kulation. 201  Vgl. auch D. 50,17,1.

Der Inhalt des Bürgschaftsauftrags: eine Meinungsverschie­denheit über D. 17,1,38 Marcell. 1 resp. im Mittelalter Von Seiji Fukuda I. Einführung 1. Zweck des Bürgschaftsauftrags: Kreditverschaffung Durch die Annahme eines Bürgschaftsauftrags verpflichtet der Bürge sich dazu, zugunsten des Hauptschuld­ ners den Bürgschaftsvertrag mit dem Gläubi­ger abzuschließen. Seine Verpflichtung dauert aber noch an. Nach­ dem er den Bürgschaftsvertrag abgeschlossen hat, muss er noch die Bürg­ schaftsschuld tragen. Wenn er also am Tage nach dem Bürgschaftsvertrag die Auftrags­beendi­gung ohne berechtigten Grund behaupten würde, könnte er aus seiner vertrags­ widrigen Behauptung keinen Anspruch gegen den Hauptschuldner erlangen. Der Zweck des Bürgschaftsauftrags besteht darin, dem Hauptschuld­ ner einen dauernden Kredit zu verschaffen. In diesem Punkt kann eine Ähn­ lichkeit zwi­ schen dem Bürgschafts­ auftrag und dem Darlehensvertrag gefunden werden. Hat der Bürge aber mit dem Hauptschuldner eine Bedingung für seinen Be­ freiungsanspruch vereinbart, so kann er seine Befreiung (oder seine Schadlos­haltung) vom Hauptschuldner dann verlangen, wenn die vereinbar­ te Bedin­gung eintritt. Denn der Bürge hat sich beim Auftrag dazu verpflich­ tet, den Kredit nur bis dahin zu verschaffen. Hier muss die Sonderabrede über den Befreiungs­anspruch die Kündigungs­abrede des Bürgschaftsauftrags enthalten. Sonst, wenn die Verpflichtung, die Bürgschaftsschuld zu tragen, noch gültig wäre, stünde ihm kein Befreiungsanspruch zu. Daher enthält die Gel­tend­machung des Be­freiungsanspruchs notwendigerweise die Ausübung der Kün­digung. Der Zweck dieses Anspruchs ist, die nach der Auftragsbeendi­ gung bleibende Bürg­schafts­schuld abzurechnen. Wenngleich beim Auftrag keine Sonderabrede getroffen worden ist, steht dem Bürgen der gesetzliche Befreiungs­anspruch zu, soweit seine Voraus­ setzun­ gen gegeben sind. Hier können wir die Frage stellen, ob der ge­ setzliche Mo­ment für den Befreiungsanspruch eine Art von Bedingung oder eine Zeit­be­stimmung ist. Nach deutschem Recht kann der Auftrag grund­

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sätzlich endlos dauern; um den Bürgschaftsauftrag abzubrechen, bedarf es des Eintritts einer Bedingung wie z. B. Verzug des Hauptschuld­ ners. Die andere Ansicht, dass die Kreditverschaffung immer eine Zeitbestimmung enthält, wurde im japani­ schen Recht zum Ausgang genommen. Woraus entsteht dann diese Verschie­ denheit? Wir können in der Dis­ kussion des 15. Jahrhundert einen Anlass da­für finden. Das ist unser Problem. 2. Bedingung oder Zeitbestimmung als der Beendigungsmoment des Auftrags Um die problematische Lage zu begreifen, überblicken wir zuerst die posi­tiv­rechtlichen Umstände. Eine Auslegungsregel im japanischen Recht1, das dem französischen Recht2 nachfolgt, verbindet den Beendigungsmo­ ment des Auf­trags mit der Fälligkeit der Schuld. Aufgrund dieser Regel ist es ange­ nom­ men, dass der Bürge beim Auftrag nur die Gefahr, dass der Hauptschuld­ner bei Fäl­ligkeit zahlungsunfähig sei, auf sich genommen hat; die Gefahr, dass der Haupt­ schuldner danach sein Vermögen ver­ liere, ist dagegen vom Bürgen nicht aufge­nommen.3 Daher kann der Bürge hoffen, den Bürg­ schafts­ auftrag irgendwann zu vollenden. Wir können hier eine Theorie erken­nen, nach wel­cher der Bürg­schaftsauftrag notwendigerweise die Zeit­bestim­mung enthält. Diese Regel stammt ursprünglich von Jean Domat4 (1625–1696), aber wir kön­nen die gleiche Regel auch im Allgemeinen Landrecht für die preußi­ schen Staaten5 (1794) finden. 1  Artikel 460 Nr. 2 und 3 des MINPO: „Hat sich der Bürge im Auftrag des Hauptschuldners verbürgt, so kann er in den fol­genden Fällen von diesem im Voraus die Schadloshaltung verlangen: … 2. wenn die Schuld fällig ist. Dabei kann keine Einrede aufgrund des Aufschubs, den der Gläu­biger nach dem Abschluss des Bürgschaftsvertrags dem Hauptschuldner ge­währt, sich dem Bürgen entgegenstellen; 3. wenn zehn Jahre seit dem Abschluss des Bürgschaftsvertrags abgelaufen sind, vor­aus­gesetzt, dass die Leistungs­zeit der Hauptschuld unbestimmt ist, und dass so­ gar die Leistungszeit festzusetzen unmöglich ist, falls diese Zeit die späteste ist.“ 2  Art. 2309 no 4 et no 5 des Code civil: „La caution, même avant d’avoir payé, peut agir contre le débiteur, pour être par lui indemnisée: … 4. Lorsque la dette est devenue exigible par l’échéance du terme sous lequel elle avait été contractée; 5. Au bout de dix années, lorsque l’obligation principale n’a point de terme fixe d’échéance, à moins que l’obligation principale, telle qu’une tutelle, ne soit pas de na­ture à pouvoir être éteinte avant un temps déterminé.“ 3  Philippe Simler, Cautionnement – Garanties autonomes – garanties indemni­ taires, Paris 20084 nº 627. 4  Siehe unten Fn. 56.



Der Inhalt des Bürgschaftsauftrags93

Doch schlägt das BGB6 einen anderen Weg ein. Wenngleich die Schuld schon fällig ist, hat der Bürge noch keinen Befreiungsanspruch; um seiner Be­freiung willen muss er abwarten, bis der Hauptschuldner mit der Erfül­ lung in Verzug gerät. Diese Voraussetzung für den Befreiungsanspruch, die gleichzei­tig ein Kündigungsgrund des Auftrags ist, hat nicht die Natur einer Zeit­ be­ stim­ mung, vielmehr diejenige einer Bedin­ gung. Denn der Verzug kann erst durch die Mah­nung des Gläubigers, welche für die beiden Partei­ en des Auf­trags ein un­gewis­ser Umstand ist, eintreten, es sei denn, dass die Fälligkeit der Schuld nach dem Kalender bestimmt sei. 5

Dahinter verbirgt sich ein Grundsatz, dass der Bürgschaftsauftrag endlos dau­ern kann. Wenn z. B. der Schuldner nach der Fälligkeit keine Mahnung vom Gläubiger erhält, kann der Bürge vom Hauptschuldner nichts verlan­ gen, und er muss die Schuld bis zu deren Erlöschen tragen. Oder wenn der Gläu­ biger vor der Fälligkeit stundet und die Stundung öfter wiederholt, gerät der Hauptschuld­ner nicht in Verzug; darum kann die Verpflichtung des Bür­gen endlos dauern. Hier gibt es keine Möglichkeit, durch ergän­zende Ver­trags­auslegung notwendi­gerweise irgendeine Vereinba­rung über die Zeitbestim­mung zu finden. Also können wir in rechtsvergleichender Hinsicht bemerken, dass der Ge­ setz­geber sich gleichzeitig sowohl über die Voraussetzung des Befreiungs­ anspruchs als auch über den Auftragsinhalt entscheidet. Im letzten wichtige­ ren Punkt ist die japanische Haltung eine ganz andere als die deutsche. Wenn­ gleich keine ausdrückliche Vereinbarung über die Zeitbestimmung getroffen ist, wird der Bürgschaftsauftrag darum noch immer als ein zeitlich einge­schränk­ter Ver­trag betrachtet, weil der Hauptschuldner den vom Bür­ gen ver­ schafften Kredit nur bis zur Fälligkeit genießen kann.7 Daher vollendet sich der Auftrag grundsätz­lich sofort, wenn die Schuld fällig ist. 5  § 356 des ALR (1794), I. Teil, Titel 14., 3. Abschnitt: „Nach verflossener Zahlungs­zeit kann der Bürge auf Befreiung von der Bürgschaft gegen den Haupt­ schuld­ner kla­gen.“ Dagegen fordert § 1470 sächsisches BGB (1863) als einen Moment des Befreiungs­ anspruchs den Verzug des Haupt­schuldners. 6  § 775 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BGB: „Hat sich der Bürge im Auftrag des Haupt­ schuld­ners verbürgt oder stehen ihm nach den Vorschriften über die Geschäftsfüh­ rung ohne Auf­trag wegen der Übernahme der Bürgschaft die Rechte eines Beauf­ tragten gegen den Hauptschuldner zu, so kann er von diesem Befreiung von der Bürgschaft verlangen: … 3. wenn der Hauptschuldner mit der Erfüllung seiner Verbindlichkeit im Verzug ist, 4. wenn der Gläubiger gegen den Bürgen ein vollstreckbares Urteil auf Erfüllung er­wirkt hat.“ 7  Die gesetzliche Vorschrift, welche bei Fälligkeit den Befreiungsanspruch ge­ währt, setzt die Lage voraus, dass beim Auftrag die Fälligkeit der Schuld noch nicht

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Außerdem hat der Hauptschuldner, der seine fällige Schuld nicht bezahlt, mehr oder weniger eine Schwierig­keit, und normalerweise steht ihm kein Geld zur Verfügung. Hier entsteht dem Bürgen ein rechtmäßiger Grund zur Be­ fürch­ tung, dass der Hauptschuldner sein Vermögen zukünftig verliere. Wenn der Bürge in seiner subjektiven Hinsicht die Befürchtung als wichtig ein­schätzt, hat er schon einen genügenden Grund, die Verlängerung der Kre­ ditver­schaf­fung zu verwei­gern. Wenn dagegen der Bürgschaftsauftrag nur eine Bedingung enthält, muss man einen anderen Faktor zum Kündigungsrecht als die Parteiabsicht be­ obach­ten. Denn es ist hier angenommen, dass der Auftrag endlos fort­dauert, soweit die Schuld noch bleibt. Um sich die Auftragsabbrechung vorzustel­ len, ist die be­son­dere Veränderung der beim Vertrag vorausgesetzten Um­ stände unent­behr­lich.8 „Nur unvorhergese­hene, ohne sein Zutun nachträg­ lich eingetre­tene Um­stände, die die Stellung des Bürgen gefährden, sollen dem Bürgen einen An­ spruch auf Entbindung von der auftragsgemäß übernomme­nen Verpflich­tung ge­ben.“9 Im deutschen Recht gibt es einen großen Unterschied zwischen der Stel­ lung des Bürgen und derjenigen des Darlehensgebers; während man festge­ legt hat, dass die im Darlehen vereinbarte Kreditverschaffung notwendiger­ weise ir­gend­wann endet, ist es beim Bürgschaftsauftrag anders. Es kommt hinzu, dass der Be­ freiungs­ anspruch noch tatsächlich fast unwirksam ist, weil dieser nur in den Fäl­len entsteht, wo der Haupt­schuldner nicht mehr zahlungsfähig ist. Aus wel­ chem rechtshistorischen Kontext stammt diese Theorie, die vom Bürgen aufge­nom­mene Verpflichtung als so lange dauernd zu betrachten?

ein­ge­treten ist. Daher kann man, wenn beim Auftrag die Hauptschuld schon fällig ist, den Umstand, dass die Fälligkeit gekommen ist, nicht als einen berechtigten Grund für den An­spruch ansehen. Sonst könnte der Hauptschuldner keinen vertrag­ lichen Vorteil genie­ßen. In diesem Fall ist die Vereinba­rung über eine andere Zeit­ bestimmung durch ergän­zende Vertragsauslegung zu entnehmen. 8  Nach der herrschenden Meinung im deutschen Recht ist die Regelung in § 775 Abs. 1 Nr. 4 (o. Fn. 6) einerseits auf die Fälle anwendbar, in denen der Bürge ent­weder durch einen Vollstreckungsbefehl oder durch einen vorläufig für vollstreck­ bar erklärten Schiedsspruch zur Zahlung gezwungen ist. Andererseits wird es abge­ lehnt, darüber hin­aus den Anwendungsbereich auszudehnen. Aus dem Grund, dass die Mit­wirkung des Bür­gen seine Schutzwürdigkeit verhin­dert, kann er keinen Be­ freiungs­anspruch erheben, wenngleich der Gläubiger den vollstreckbaren Titel, wie den Ver­gleich oder die voll­streckbare Urkunde, hat. Staudinger / Norbert Horn, Kom­ mentar zum BGB, Berlin 199713, § 775 Rn. 1; RGRK / Robert Fischer, Das Bürger­ liche Ge­setzbuch, Berlin 196011, § 775 Rn. 1. 9  RGRK / Fischer (o. Fn. 8) § 775 Rn. 1.



Der Inhalt des Bürgschaftsauftrags95

3. Hauptthema Man nehme an, mit Zustimmung des Bürgen sei eine notarielle Urkunde er­ richtet wor­ den, und er habe sich dazu ver­ pflichtet, sich der sofortigen Zwangs­voll­stre­ckung seitens des Gläubigers für den Fall der Nichterfül­lung der Schuld zu unterwer­fen. Steht ihm der Befreiungsanspruch sofort nach Fällig­keit zu? Baldus de Ubaldis (ca. 1327–1400) bejahte diese Frage, aber sein Schü­ler Pau­lus de Castro (ca. 1360–1441) verneinte sie. Wir können in dieser Mei­nungs­verschiedenheit einen Ursprung finden, der den Anlass für die­ jenige im moder­ nen Recht gegeben hat. Im Folgenden betrachten wir zuerst die grund­le­gende Lehre im Spätmittelalter, und dann behandeln wir unser Haupt­thema: die Mei­nungsver­schiedenheit in der Re­naissancezeit. II. Grundlage 1. Justinianische Quellen Wir haben verschiedene Fragmente, wo die Auftragsgegenklage dem noch nicht zahlenden Bürgen er­laubt ist.10 Darunter sind die wichtigen D. 17,1,38 und C. 4,35,10. D. 17,1,38 Marcell. 1 resp.11 Lucius Titius Publio Maevio filio naturali domum communem per­ misit non donatio­nis causa credi­tori filii obligare: postea Maevio de­ functo relicta pupilla tutores eius iudicem aduersus Titium ac­ceperunt et Titius de mutuis pe­ titionibus: quaero, an domus pars, quam Titius obligandam filio suo accommodauit, a r b i t r a t u i u d i c­ i s liberari debeat. Marcel­ lus re­ spondit, an et quando debeat li­berari, ex persona debito­ris item­ que ex eo quod inter contra­ hentes actum esset ac tempore, quo res de qua quaereretur obli­gata fu­ isset, i u d i c e m a e s t i­m a t u­r u m : est enim earum speci­erum iudi­cialis quaestio, per quam res ex­pe­dia­tur, (1) non absimilis illa, quae frequentis­sime agitari solet, fide­ius­10  Siehe

Lucius Titius hat Publius Maevius, sei­ nem leiblichen Sohn, ohne Schenkungs­ absicht gestattet, ein ihnen gemeinsam gehörendes Haus einem Gläubiger des Sohnes zu ver­ pfänden. Später, nachdem Maevius ver­stor­ ben war und eine unmün­ dige Toch­ ter hin­ terlassen hatte, ließen sich deren Vor­mün­der gegen Titius und ebenfalls Ti­ tius [ge­ gen die Tochter] we­gen der wech­sel­seitigen ­An­sprüche auf einen Pro­zess ein. Ich frage, ob der Anteil am Haus, den zu verpfänden Ti­ tius sei­ nem Sohn gestattet hatte, n a c h dem pflichtgem ­ äßen Erm ­ essen des R i c h t e r s [aufgrund der Auf­tragsgegen­ klage] von der Pfand­haftung befreit werden muss. Marcellus hat gut­achtlich entschie­den, ob und wann der Anteil zu befreien sei, m ü s s e d e r R i c h t­e r aus der Sicht des Schuldners b e ­u r ­t e i l e n und ferner nach dem, was von den Ver­tragsparteien verein­-

die unten in Fn. 13 angeführten Fragmente. nach Okko Behrends / Rolf Knütel / Bert­hold Kupisch / Hans Her­ mann Seiler, Corpus Iuris Civilis III, Heidelberg 1999, 387 f. 11  Übersetzung

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Seiji Fukuda

sor an et prius­ quam soluat age­ re possit, ut liberetur. n e c t a ­ men s e m p e r e x s p e c ­ta n d u m e s t , ut soluat aut iudi­ cio accepto con­ demnetur, si diu in solutione reus cessabit aut certe bona sua dis­ sipabit, praesertim si domi pecu­ niam fideiussor non habebit, qua nume rata creditori mandati actione reum conueniat.

bart wor­ den sei, sowie unter Berück­ sichtigung des Zeit­punkts, zu dem die frag­ liche Sache ver­ pfändet worden war: Für solche Fälle gibt es nämlich die richterliche Untersu­chung, durch die die Angelegenheit erle­digt wird, (1) nicht unähnlich jener An­ ge­legenheit, die man sehr häufig zu unter­su­ chen pflegt, ob nämlich der Bürge auch schon, ehe er zahlen muss, [gegen den Hauptschuldner] auf Befreiung von der Bürgschaft klagen kann. U n d e s i s t n i c h t e t w a i m m e r a b z­ u ­w a r t e n , bis er zahlt oder nach Einlassung auf die Klage verurteilt wird, beispiels­ weise wenn sich abzeichnet, dass der Schuldner mit der Er­ füllung lange säu­ mig bleibt und voraus­ sichtlich sein Ver­mögen ver­schleu­dert, zumal dann, wenn der Bürge zurzeit kein Geld im Hause hat, mit dem er den Gläu­ biger so­ gleich aus­zahlen könnte, um den Schuldner dann mit der Auftrags­klage [noch rechtzeitig auf Auf­ wendungs­ ersatz] belangen zu kön­ nen.

C. 4,35,10 Diocletianus et Maximianus AA. et CC. Aurelio Papio.12 [a. 293] Si pro ea contra quam supplicas fi­ deiussor seu mandator interces­ sisti et neque condem­natus es neque bo­ na eam dilapi­ dare postea coepisse comprobare possis, ut iustam metu­ endi causam praebeat, neque ab ini­ tio ita te obligationem susce­pisse, ut eam possis et ante solutionem con­ venire, nulla iuris ratione, antequam satis creditori pro ea feceris, eam ad solutionem urgueri certum est. fideiusso­ rem vero seu mandatorem exceptione munitum et iniuria iudi­ cis dam­natum et appellatione contra bo­ nam fidem minime usum non pos­ se mandati agere mani­ festum est.

Wenn du für die Frau, gegen welche deine Bittschrift gerichtet ist, als Bürge oder Auf­ traggeber eingetreten bist und weder ver­ urteilt worden bist noch beweisen kannst, dass sie später ihr Vermögen so zu ver­ schwenden begonnen hat, dass dir da­durch ein rechtmäßiger Grund zur Be­ fürch­ tung entstand, noch dass du von Anfang an die Verbindlich­ keit unter der Bestimmung, sie auch vor geleisteter Bezahlung belan­gen zu können, übernommen hast, so ist gewiss, dass sie aus keinem Rechtsgrunde zur Zah­ lung angehalten werden kann, bevor du den Gläubiger ihretwegen be­ friedigt hast. Ge­ wiss ist auch, dass ein Bürge oder Auf­trag­ geber, der durch eine Einrede geschützt ist und vom Richter rechtswidrig verurteilt worden ist, dage­ gen aber gegen Treu und Glauben keine Beru­fung eingelegt hat, nicht aus dem Auftrag klagen kann.

12  Die Übersetzung in die deutsche Sprache basiert grundsätzlich auf Carl Eduard Otto / Bruno Schilling / Carl Friedrich Ferdinand Sintenis, Das Corpus Juris Civilis V, Leipzig 1832, 626.



Der Inhalt des Bürgschaftsauftrags97

Unsere zwei Fragmente zeigen die Regel, dass es der Zahlung des Bürgen oder mindestens seiner Verurtei­lung13 bedarf, um seine Auftragsgegenklage zu er­heben; dass ihm aber unter Umständen die Klage zustehen kann, auch wenn es eine solche Zahlung oder Verurteilung nicht gibt. Als solche Fälle zählte Mar­cellus in § 1 auf: 1. wenn der Hauptschuldner mit der Erfüllung lange säu­mig bleibt; 2. wenn der Hauptschuldner voraussichtlich sein Ver­ mögen ver­schleu­dert hat. Die Kaiser Diocletianus und Maximia­nus fügten den weite­ren Fall an, den Mar­cellus in pr. nur auf die Teilungsklage be­ zieht14: 3. wenn der Bürge irgendeine Bedin­gung oder Zeitbestimmung für den Befreiungs­anspruch mit dem Haupt­schuld­ner vereinbart hat. In solchen Fällen kann der Bürge mit der Auftragsgegenklage nicht den Auf­wen­dungsersatz, sondern nur seine Befreiung von der Bürgschaftsschuld ver­langen, weil die Ausführung des Bürgschaftsauftrags ihm keine Aufwen­ dungen gebracht hat.15 Das Problem, ob und wann seine Klage als zulässig angesehen ist, ist dem Ermessen des Richters überlassen. In Bezug auf den Vorteil des Befreiungsanspruchs zeigte uns Marcellus et­was Wichtiges: Unter Umstän­den ist dieser Anspruch für den Bürgen vor­ teilhafter als der Rückgriffsanspruch. Wenn zwar das Vermögen des Bürgen zur Zahlung ausreicht, er aber kein Bargeld zur Verfügung hat, so kann er durch den Be­frei­ungsanspruch die Ver­fügung über sein Vermögen vermei­ den. Die mo­der­nen Ro­manisten betrachten diesen Umstand als eine selbst­ ständige Vor­ aus­ set­ zung zur Auftragsgegenklage, aber bezeichnen diesen Umstand dann als „läp­pi­sche“ Aus­nahme, weil die be­sondere Schutzwürdig­ keit des Bürgen sich nicht nur auf die­sen Umstand be­gründen kann.16 Doch 13  Es scheint, dass Marcellus die Verurteilung des Bürgen mit dessen Zahlung gleich­ stellt (vgl. dazu D. 17,1,11 Pomp. 3 ex Plaut.; D. 46,1,45 Scaev. 6 dig.; C. 4,35,6 Gordian.), es sei denn, dass der Bürge durch Widerrechtlich­keit des Rich­ ters ver­urteilt werde, vgl. D. 46,1,67 Paul. 3 ad Nerat. Aber Accursius unterscheidet nicht zwischen diesem Fall und den drei anderen, die im Text genannt sind. Außer­dem fügt er aufgrund von D. 17,1,56,1 Papin. 3 resp. einen weiteren Fall hinzu, bei dem der Bürge das dem Gläubiger angebo­tene Geld hinterlegt hat. Also zählt Accursius als Sonderfälle insgesamt fünf auf. Glossa in Di­gestum vetus, Lyon 1627, ad D. 17,1,38 Vb. Condemnetur. 14  Die Ausdrücke wie iudicium accipere und mutuis petitionis in D. 17,1,38 pr. deu­ten auf die actio communi divi­dundo hin. Carsten Zülch, Der liber singularis responso­rum des Ulpius Marcellus, Berlin 2001, 77. 15  Vgl. Shigeo Nishimura, Die Berücksichtigung der Basiliken durch Mommsen bei der Edition von D. 17,1 am Beispiel D. 17,1,38 (Marcellus l. sing. Resp.) in: Manda­tum und Verwandtes, Hrsg. Dieter Nörr / Nishimura, Berlin 1993, 102 Fn. 7. 16  Vgl. Zülch (o. Fn. 14) 82 f. und die dort zitierte Literatur. Zülch betont die in § 1 angeführten Fallgestaltungen, bei denen der Befreiungsanpruch nicht von der richterli­chen Untersuchung abhängt. Dagegen Detlef Liebs, Literatur, ZRG RA 120 (2003) 243–262, 250 f.

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weist der Satz – wie nec tamen sem­ per exspectandum est, ut …, si… – darauf hin, dass gleichzei­tig sowohl die in des­sen erster Hälfte er­wähnten Umstände des Haupt­schuld­ners als auch der zuletzt er­wähnte Umstand des Bürgen vom Rich­ter zu be­rück­sichtigen sind. Jeder einsei­tige Um­stand ist also nur ein Be­standteil, und die Auftragsgegen­klage kann sich nur auf die bei­derseitigen Umstände be­gründen. Der Umstand, dass es dem Bür­gen am Bar­geld zur Zahlung fehlt, wurde min­destens von den Kom­mentato­ren nicht als ein selbststän­diger Klage­moment betrachtet. 2. Grundsatz Baldus überliefert uns einen Gedanken, der damals breite Unterstützung17 ge­wann. Wir können seine Lehre in zwei Punkte einteilen: Grundsatz und Aus­nahmeregel. Erstens betrachtete Baldus den Bürgschafts­auftrag darum als end­los dauernd, weil er die Theorie übernahm, dass der Hauptschuldner beim Ver­trag dem Bürgen nicht nur den Abschluss des Bürgschaftsvertrags, son­ dern auch die dem Gläubiger zu leistende Zahlung aufgetragen habe. Die Voll­endung des Auftrags sei eine Voraussetzung für die Auftragsgegen­ klage; bevor der Bürge den Gläubiger befriedige, werde der Auftrag nicht vollendet. Diese herrschende Meinung war schon von Azo († ca. 1229) unterstützt wor­den.18 Aber eindrucksvoll schlugen die Franzosen (Rechtsschule von Or­léans) die Gegenmeinung vor19: Wenngleich die verpfändete Sache vom Gläubi­ ger verkauft worden ist, soll nach ihrer Fragestellung der Bürge gegen­ über dem Haupt­ schuldner nicht auf Schadensersatz wegen seiner Nicht­zah­lung haften. Würde man sich allerdings vorstellen, dass der Bürge beim Auf­trag die Ver­pflich­tung, die Schuld zu zahlen, übernommen hätte, so könnte ihm aufgrund dieses Auftrags die Schadensersatzpflicht auferlegt 17  Z. B. Paulus de Castro, Commentaria in primam Codicis partem, Venedig 1568, ad C. 4,35,10 num. 3 Vb. Item qui mandatum accepit. 18  Azo, Summa Codicis, Lyon 1596, ad C. 4,35 num. 27 Vb. Contraria autem actio. Accursius (ca. 1182–ca. 1263), der ihm folgte, stellte der mittelbaren Stellver­tre­ tung beim Grundstückskauf den Bürgschaftsauftrag gegenüber, und glaubte, dass bei jenem Fall der Auftragnehmer keinen Zahlungsauftrag erhält. Glossa in Codicem, Lyon 1627, ad C. 4,35,10 Vb. Feceris: „Item qui mandatum acce­pit de fideiubendo, videtur acci­pere & de soluendo: vt D. 12,6,47. At qui de emendo fundo mandatum acceperit, non videtur accipere de sol­uendo.“ 19  Jacobus de Ravanis (ca. 1230–ca. 1296), Lectura super Codice, Paris 1519 (Nach­druck Bologna 1967), ad C. 4,35,10 Vb. Fideiussor; Petrus de Bellapertica († 1308), Commentaria in Digestum nouum, Frankfurt 1571, ad D. 46,1,45 num. 3, 4 et 5.



Der Inhalt des Bürgschaftsauftrags99

werden20. Der Faktor, der dem Bürgschaftsauftrag die Eigentümlichkeit als lang dauern­der Vertrag bringt, soll nicht der Zahlungs­auftrag, sondern die Partei­absicht sein. Dagegen antwortete Baldus, dass der Bürge nicht auf Schadensersatz haftet. Denn der Scha­den, den der Hauptschuldner durch den Verkauf der verpfän­deten Sache erlitten hat, wurde vielmehr durch seine eigene grobe Fahrläs­sig­keit her­vor­gebracht.21 Baldus, ad C. 4,35,10 num. 4 Vb. Respondeo quia et num. 6Vb. Tu dic.22 [4.] Ich antworte, dass er [der Bürge] auf [4.] Respondeo quia ille non agit Grund des Vertrags nicht klagen kann, w e i l ex contractu, q u i a n o n d u m i m ­ er das aufgetragene Geschäft noch pleuit m a n d a­t u m , vt n i c h t v o l l e n d e t h a t , wie D.  19,1,13,8 [D. 19,1,13,8]. … quia recepit man­ sagt. … Weil [der Bürge] den Auftrag zur datum de fideiubendo, per conse­ Bürg­ schaft übernahm, scheint es, dass er quens videtur recepisse de sol­uendo, not­ wen­ digerweise [gleichzeitig auch] zur vt [D. 12,6,47 & C. 2,20,1]. ergo Zah­ lung beauftragt wurde, wie D. 12,6,47 ante­quam soluat sus­ceptum manda­ und ad C. 2,20,1 sagen. Also hat er, bevor tum non impleuit, vnde non agit. er [den Gläubiger] befriedigt, das auf sich F a l l i t i n c e r t i s c a s­i b u s , i n ge­nom­mene Geschäft nicht voll­endet; dar­um q u i b u s d i s p e n­s a t i u e a d­m i t t i ­ kann er nicht klagen. [Aber dieser Grund­ tur ad agend ­um propter na­ satz] w i r d nach der Glossa23 und Ja­co­bus t u­r a l e m a e q u i­t a t e m , ne gra­ uetur propter factum rei, secun­dum Bu­trigarius24 i n b e s t i m m t­e n F ä l ­ len gl. & Iac. But. … u n­w i r k s a m , w o e r i n A b w ä­g u n g d e r U m ­s t ä n ­d e z u r K l a g e z u ­g e l a s s e n 2324

20  Vgl. Petrus de Bellapertica (o. Fn. 19) num. 4: „Cavete, prima ratio falsa est, quia si mandat vt fideiubeat, non mandat vt soluat, quia sic, si non solueret, agere contra me ad interesse, & hoc non potest.“ 21  Die andere Begründung wurde von Bartholomaeus Salicetus (ca. 1330–1412) ge­zeigt. Nach ihm dehnt der Auftrag sich nicht darauf aus, dass der Bürge eher, bevor die ver­pfändete Sache verkauft wäre, zahlen sollte. Denn es scheint, der Haupt­schuld­ ner habe mit dem Gläubiger die Vereinbarung getroffen, dass dieser die verpfändete Sache ver­kaufen könne, ohne vom Bürgen seine Zahlung zu verlangen. Also be­ schränkte Sali­cetus hier den Anwendungs­bereich des Zahlungsauftrags. Darum soll sich der nicht zah­lende Bürge bis zum Zeitpunkt, in dem der Gläubiger seine Rechte ausübt, zur Kreditver­schaf­fung verpflichten. Siehe auch unten Fn. 44. Salicetus, Commentaria ad I. II. III. et IIII. lib. Codicis, Lyon 1560, ad C. 4,35,10 num. 8 Vb. Ad rationem: „Sed responsio quam supra dedi magis placet videlicet quod mandatum se non extendat ut prius soluat quam patiatur vendi pignora cum et ipse reus ta­cite videtur conuenisse cum creditore ut secundum legem pignora possit vendere non exacto fideiussore.“ 22  Baldus, Commentaria in IIII. et V. Codicis librum, Venedig 1615. 23  Siehe o. Fn. 18. 24  Jacobus Butrigarius (ca. 1273–ca. 1248), Lectura super Codice, Paris 1516 (Nach­druck Bologna 1973), ad C. 4,35,10 Vb. Nota primo.

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[6.] Tu dic quod mandatum de fide­ iubendo habet annexum taci­ tum manda­ tum de soluendo. hinc est quod si testator mandat fide­ iu­ beri per heredem, haeres sol­ uens non repetit vt [D. 7,5,8]. & t a­m e n cum hoc stat, quod si fidei­ ussor non soluit, non tene­ tur reo, quia reus est in pa­ ri, imo in maiori culpa, & n e g l i g e n t­ ia, dum ad eum p e r t i n e t p r i n­c i p a l i­t e r n e g o ­ tium.

wird, und zwar wegen der naturge­ m ä ß e n B i l l­i g k ­ e i t , sodass er durch die Hand­lung des Haupt­schuld­ners nicht belas­ tet wird. … [6.] Es ist so aufzufassen, dass der Bürg­ schafts­ auftrag den stillschweigend hin­ zugefügten Zahlungsauftrag zum Inhalt hat. Daher, wenn nun ein Testator [der einem Drit­ten einen Nießbrauch an Geld ver­macht, gleichzeitig] eine Bürg­schafts­leis­tung durch einen Erben in Auftrag gibt, [so dass das  Zurück­for­de­rungs­recht gegen den Vermächtnis­ neh­ mer für den anderen Mit­ erben gesichert ist], so hat jener Erbe kein Rück­griffs­recht [gegen den Ver­mächt­nis­ nehmer durch die Auftragsgegenklage], ob­ wohl er [seine Miterben] ausge­zahlt hat, wie D. 7,5,8 sagt. We n n e s a b e r d a n n f e s t s­ t e h t , d a s s d e r B ü r g e n u n n i c h t g e z a h l t h a t , s o h a f t e t e r g e g e n ­ü b e r d e m H a u p t s­c h u l d ­ ner nicht, weil der Haupt­ schuldner ihm gleich s t e h t , s o g a r i n g r ö ß e r­e r S c h u l d und Fahrlässigkeit, weil dieses G e s c h ä f t s i c h e i g e n t l­i c h a u f j e n e n b e­z i e h t .

3. Ausnahmefälle Nach Baldus kann der Bürge die Auftragsgegenklage ausnahmsweise erhe­ ben, wenngleich er noch nicht gezahlt hat.25 Die Ungewöhnlichkeit dieser Re­ gel lässt sich aus dem Grundsatz folgerichtig ableiten und war auch in der Glossa erklärt worden. Aber es gab im 13. Jh. und im 14. Jh. eine Mei­nungs­verschie­denheit darüber, inwieweit die Sonderfälle sich aus­ dehnen. Accursius hatte die Sonder­fälle der römischen Quellen nur übertra­ gen, ohne eine Ausdeh­nung der­selben zu versuchen.26 25  Baldus

(o. Fn. 22) ad C. 4,35,10 num. 4 (o. II 2). darin wich Accursius von den Quellen ab, indem er den ersten Fall so las: si fideiussor diu stetit in obligati­one (statt: reus diu cessavit). Girtanner bemerk­ te in dieser Umschreibung eine inhaltliche Veränderung. Das Gewicht liege, sagte er, also nicht mehr auf dem ungebührlichen Verzug des Hauptschuldners, sondern darauf, dass der Bürge schon sehr lange am Schuldverhältnis festgebunden sei, wenngleich die Schuld noch nicht fällig sei. Vgl. Wilhelm Girtanner, Die Bürgschaft nach gemeinem Civilrechte 1. Abt., 2. Buch, Jena 1850, 219. 26  Nur



Der Inhalt des Bürgschaftsauftrags101

Seit der zweiten Hälfte des 13. Jh. wurde dieses Hilfsmittel dem Bürgen in noch mehreren Fällen zugespro­ chen. So fügte Guilelmus Duranti (ca. 1230–1296) die folgenden zwei Fälle hinzu: wenn zwischen dem Hauptschuldner und dem Bürgen wegen des Hauptschuldners Feindschaft auf Leib und Leben ent­steht; und, wenn der Bürge zum Studium ins Aus­ land gehen will.27 Wir kön­ nen eine solche Ausdeh­ nungstendenz auch im Werk von Bartolus de Saxofer­rato (ca. 1313–1357) finden, wo ein weiterer Fall hinzugefügt wurde: wenn der Bürge die gerichtli­ che Verpflichtung versicherte.28 Baldus gab seine Stellungnahme zu dieser Tendenz an sich nicht ab29, aber seine positive Position war elastisch. Er legte den Grund zur unge­ wöhnlichen Klage auf die naturgemäße Billigkeit, sodass diese Klage nur unter Abwä­gung al­ler Umstände erlaubt wird.30 Nach seiner Ansicht steht einerseits diese Klage dem Bürgen nicht notwendigerweise zu, obwohl der Bürge gegenüber dem Gläubiger verurteilt wird. Diese Klage wird also nicht begründet, soweit die Berufung des Bürgen die Wirkung der Verurtei­ lung aufschiebt, es sei denn, dass diese Berufung offenbar täuschend ist.31 Wenn andererseits beim Schluss der mündlichen Verhandlung die künftige Aber die Veränderung ist nur scheinbar. Accursius, der insgesamt fünf Sonderfäl­ le aufzählte (o. Fn. 13), stellte nur das Subjekt des Satzes auf den Bürgen um, so­ dass er die ersten drei Fälle davon in Einklang brachte. Siehe Glossa (o. Fn. 13) ad D. 17,1,38 Vb. Condemnetur. Auch nach Baldus steht, wenn der Dritte den verkauften Gegenstand noch nicht mit der Vindikationsklage vom Käufer verlangt, die Auftragsgegenklage dem Bür­ gen, der dem Käufer die Gewährleistung des Rechtsmangels zugesi­chert hat, noch nicht zu, obwohl der Bürge sehr lange an das Schuldverhältnis festgebunden ist. Denn seine Schuld ist noch nicht wirksam, solange der Dritte vom Käufer nichts verlangt. Baldus, Commentaria in secundam Digesti veteris partem, Venedig 1615, ad D. 17,1,38 Additio num. a Vb. Pignus, & fideiussor sagte klar: „Et not. quod non dicitur fideiussor diu stetisse in obligatione, nisi prius obligati­one commissa: nam ante non potest dici in solutione cessatum.“ Vgl. auch Baldus (o. Fn. 22) ad C. 4,35,10 num. 8 Vb. Sed hic quaero numquid. So auch Paulus (o. Fn. 17) ad C. 4,35,10 num. 2 Vb. No. non posse. 27  Duranti, Speculum iudiciale, Venedig 1585, Pars 4 De iudiciis § 3 Specialia Vb.  Quid si fideiussor. 28  Bartolus, Commentaria in secundam Digesti veteris partem, Lyon 1581, ad D. 17,1,38, Vb. In fine gl. Zum Inhalt der Haftung vom gerichtlichen Bürgen im 12.–13. Jhdt., vgl. Harry Dondorp, Die Haftung des fideiussor iudicio sisti bei den Glossato­ren, RIDA 53 (2006) 221–236, 226 ff. 29  Baldus erlaubte von den Fällen der ausdehnenden Anwendung nur den gerichtli­chen Bürgen. Bal­dus (o. Fn. 22) ad C. 4,35,10 num. 7 Vb. Modo venio et (o. Fn. 26) ad D. 17,1,38 Nova Additio num. 5 Vb. Sed an condemnato. 30  Baldus (o. Fn. 22) ad C. 4,35,10 num. 4 (o. II 2). 31  Baldus (o. Fn. 22) ad C. 4,35,10 num. 14 Vb. Sexto quaero.

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Verurteilung bestimmt voraus­gese­hen werden kann, so steht die Klage auch dem noch nicht verur­teilten Bür­gen zu.32 Noch weiter ist es (bezüglich des Inhalts des Adverbs „diu“ im Marcel­lus-Frag­ment) nicht gerecht, die Frist beispielsweise auf 10 Jahre festzuset­ zen, son­ dern das Problem, ob der Hauptschuldner mit der Erfüllung schon lange säumig bleibe, ist nach dem Ermessen des Richters abzuschät­zen.33 Außerdem entnahm Baldus der naturgemäßen Billigkeit die stillschwei­ gende Vereinbarung über diese Klage zwischen dem Hauptschuldner und dem Bürgen in dem Fall, in dem dieser auch für die Vertrags­strafe haftet.34 Denn es ist we­gen des Schuldnerverzugs zu befürchten, dass die Summe der Vertrags­strafe sich vermehrt. Nach Baldus ist es unangemessen, dass der Bürge von der Hand­lung des Schuldners in eine höhere Befürchtung hinein­ gerät. Seine Ein­stel­lung war also genügend flexibel, sodass man hier eine Formulierung, die die ein­ zelnen Tatsachen außer Acht lässt, nicht finden kann. In die­sem Zu­sam­men­hang kann man seine positive Meinung für den notariellen Bürgen völlig ver­stehen. Paulus de Castro hinterließ keine genügenden Ausführungen, sodass wir sei­nen Standpunkt nicht klar erkennen können. Aber die Meinungen, denen er folgte, zeigten eine positive Haltung gegenüber der Ausdehnung. Sali­ cetus er­laubte dem ge­richtlichen Bürgen diese Klage.35 Johannes de Imo­ la36 (ca. 1367–1436) und Angelus Aretius de Gambilionibus37 († 1441) gewähr­ ten diese Kla­ ge noch weitergehend dem das Studium im Ausland planenden Bürgen und dem mit dem Hauptschuldner in Feindschaft liegen­ den Bürgen. Die Kommen­tatoren liebten die Tendenz, diese Klage auszu­ dehnen. 32  Baldus

(o. Fn. 22) ad C. 4,35,10 num. 14 Vb. Septimo quaero. (o. Fn. 22) ad C. 4,35,10 num. 18 Vb. Decimo quaero. 34  Baldus (o. Fn. 22) ad C. 4,35,10 num. 12 Vb. Quinto quaero et num. 13 Vb.  & di­cit hic [12.] „Quinto quaero, si non est condemnatus, nec quasi condemna­ tus, tamen est pe­riculum ratione dilationis, ne incurrat poenam, an interim agere poterit quod libere­tur. & videtur quod sic p r o p t e r n a t u r a l e m a e q u i t a t e m , ne facto rei incidat in maius pericu­lum, incideret enim pro certo in poenam, vt no. [D. 46,1,65]. quod verum credo, quia hoc ex bona fide inest, vnde t a c i t e v i d e t u r a c t u m i n t e r e u m , & f i d e i u s s o ­re m . [13.] & dicit hic Nico. de Mat. quod vbicumque in instrumento appo­nitur dies, statim post diem fideiussor potest agere, per [D. 17,1,45,3] quod non credo verum, nec est lege cautum.“ 35  Salicetus (o. Fn. 21) ad C. 4,35,10 num. 6 Vb. Oppo. tertio et num. 8 Vb. Ex prae­dic­tis. 36  De Imola, Commentaria in librum tertium Decretalium, Venedig 1500, ad X. 3,22,5 Vb. Sextum casum. 37  Angelus, Lectura super Institutionibus, Venedig 1499, ad Inst. 3,20,6 Vb. Septimus casus. 33  Baldus



Der Inhalt des Bürgschaftsauftrags103

Aber diese positive Haltung ist auch mit der negativen Meinung gegen den notariellen Bürgen verein­bar; denn sowohl der Plan zum Studium im Ausland als auch die Feindschaft zwischen dem Hauptschuldner und dem Bürgen sind die Tatsachen, welche erst nach dem Abschluss des Bürg­ schaftsvertrags ein­ tre­ ten. Auch im Fall der gerichtlichen Bürgschaft war der Hauptschuldner bei seiner Bürgschaftsbestellung noch nicht verurteilt worden, und es war nicht sicher, ob er nachher verurteilt würde. Daher kann die Gefahr, dass wegen der Verurtei­ lung des Hauptschuldners der Gläubiger sofort das Vollstre­ckungs­verfahren gegen den gerichtlichen Bür­ gen beantragen kann, als eine später ein­getretene Tatsa­che betrachtet wer­ den.38 Aber wie betrachteten die Kommentatoren unter dieser Ausdeh­ nungstendenz das neue Problem, dem die Juristen in der klassischen Zeit nicht gegenüber ge­stan­den hatten? III. Meinungsverschiedenheit zwischen Baldus und Paulus 1. Baldus Nach dem neuen Verfahren, das im Stadtrecht von Florenz in der ersten Hälfte des 13. Jh. eingeführt wurde, benötigte der Gläubiger kein Erkenntnis­ ver­ fahren, wenn er eine vollstreckbare Urkunde, instrumentum guaren­ tigiatum, hatte.39 Seitdem konnte dieser Gläubiger sofort nach der Fälligkeit das Vollstre­ckungsverfahren beantragen. Die Juristen in der Renais­sancezeit be­handelten das Problem, ob der Bürge, der gegenüber dem Gläubi­ger seine Bürgschaftser­klärung durch die vollstreckbare Urkunde bestätigt hatte, so­ fort nach der Fäl­ligkeit die Auftragsgegenklage erheben könnte. Bartolus40 und Baldus stellten den notariellen Bürgen mit dem Verurteil­ ten aus dem Grund gleich, dass die beiden Bürgen der sofortigen Vollstre­ ckung ausgesetzt sind. Nach Baldus kann die Klage sich schon auf diese zwingende Gefahr begründen. 38  Aber die Kommentatoren zeigten uns keine klare Theorie an, sondern sie deute­ ten nur auf die Begründung hin, den fideiussorem iudicii mit dem fideiussori contractus nicht gleichstellen zu können. Salicetus (o. Fn. 21) ad C. 4,35,10 num. 8 Vb. Ex praedictis. 39  Zur Entstehungsgeschichte siehe Hans Karl Briegleb, Ueber executorische Urkun­den und Executiv-Prozess, 2. Aufl. 1. Teil, Stuttgart 1845, 36 ff. 40  Bartolus, Commentaria in secundam Digesti noui partem, Lyon 1555, ad D. 46,1,45: „quando fideiussor obligat se per instrumentum confessionatum vel guarenti­ gi­ atum, quod habet paratam executionem sicut sententia ex forma statuti quod statim possit agere.“

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Baldus, ad C. 4,35,10 num. 11 Vb. Quarto quaero.41 Quarto quaero, dicitur hic de fideiussore In C. 4,35,10 wird über den verurteilten damnato, sed quod si sit talis casus, in Bürgen gesprochen, aber ich behandle quo non sit ne­cessaria condemnatio ex vier­tens nun den Fall, wo die Verurteilung forma statuti, vt quia est obligatus per für den Gläubiger deshalb aufgrund des instrumen­tum guarentigiae? Re­spondit Ge­setzes unnötig sei, z. B. weil der Bürge tunc p o s t m o d i c u m t e m p ­ u s agere sich durch eine vollstreckbare Urkunde poterit, quia ex­ ecu­ tio est parata. facit ver­pflichtet hat. Nach der Antwort kann quod no. Cy. in similis [ad C. 3,36,13]. er in solchem Fall n a c h g e r i n g e m Z e i t­a b­l a u f klagen, weil die Vollstre­ ckung ge­genüber ihm vorbereitet worden ist. Das be­merkt Cinus ad C. 3,36,1342.

2. Paulus de Castro Aber die zeitgenössischen Juristen, zu denen auch der Schüler des Baldus ge­hörte, übernahmen die Gegenmei­nung.43 Diese Meinung richtete sich auf den Auf­ tragsinhalt, und dadurch beschränkte sie den An­ wendungsbereich der Klage auf den Fall, in dem die Vollstreckung gegenüber dem notariellen Bür­gen wirk­lich begonnen hat.44 Nach dieser Meinung hat der Bürge die Vollstreck­barkeit der notari­ellen Urkunde völlig ver­standen, und unter die­ sem Umstand hat er beim Bürgschafts­ auftrag dem Hauptschuldner den Vorteil versprochen, den Kredit zu verschaf­fen. Aufgrund dieses Verspre­ chens soll es ihm ferner verbo­ten wer­den, den Schuldner zur Zahlung oder zur Suche eines anderen Bürgen zu zwin­gen, wäh­rend der Gläubiger sich in Schweigen hüllt. Wenn der Gläubiger noch nicht die Vollstreckung an ihm einleitet, so kann er die Auftragsgegen­klage nicht erhe­ben, ohne gegen sein Versprechen zu ver­stoßen. 42

41  o.

Fn. 22. behandelte die Gesellschaftsklage im Fall, bei dem der beklagte Gesell­ schaf­ter sich wegen des gesellschaftli­chen Handelsgeschäfts dem Dritten ver­pflichtet hat. Hier kann der Beklagte sich gegenüber dem Kläger das gesellschaftliche Vermö­gen vorbe­halten, um dem Drittgläubiger die Schuld zu zahlen, soweit der Beklagte wegen dieser Schuld schon verurteilt ist. Der Beklagte, der sich durch das instrumen­tum guarentigiatum verpflichtet hat, steht, nach Cinus, dem Verurteilten aus dem Grund gleich, dass dieses instrumentum vollstreckbar ist. Cinus de Pistoia (ca. 1270–1336), Commen­ taria in Codicem, Frankfurt a. M. 1578 (Nachdruck Torino 1964), ad C. 3,36,13 num. 2. 43  Salicetus (o. Fn. 21) ad C. 4,35,10 num. 8 Vb. Sed dubitari potest de octauo; Ange­lus (o. Fn. 37) Inst. 3,20,6 Vb. Octauum casum. 44  Salicetus (o. Fn. 43) Vb. Sed dubitari potest de octauo: „Ego dubito quia conside­rato modo in quod intercessio et confessio ac etiam praeceptum fuerit simul et quasi in instanti et voluntariae ex quadam tacita conuentione quod non sic post modicum tem­pus possit agere. alias fideiussio non videtur prodesse reo contra ea quae hic no. glo. et dixi in praece. contra. vnde videretur expectandum quod contra eum [fideiussorem] peteretur executio instrumenti cogitabis.“ 42  Cinus



Der Inhalt des Bürgschaftsauftrags105

Paulus, ad D. 46,1,4545 Fideiussor condemnatus etiam an­ tequam soluat, agere potest vt libe­ retur, vel indem­nis conserue­tur. hoc dicit. casus est iste. si autem non esset condemnatus, tunc antequam soluat agere non posset, nisi diu stetisset in obliga­tione: quod dic vt [D. 17,1,38 & C. 4,35,10]: quia videtur de­disse fidem de soluendo, vt [D. 12,6,47]. & sic antequam soluat non est functus officio suo. dicit tamen hic Bart. quod si esset obligatus per instrumentum, quod ex forma statuti haberet executio­ nem para­tam, sicut sententia, quod tunc esset idem quod hic. quod Ange. reprobat, & bene, quoniam a prin­ cipio sciebat posse in­ cipi ab executione, & nih ­ i­ l o ­m i n u s f i d e m d e d i t d e s o l ­ u e n d o : vnde deciperetur debi­ tor si statim ab eo posset mo­ le­ stari ipso adhuc a creditore non mo­ lestato: ideo dicit eum non posse agere, nisi diu steterit in tali ob­ ligatione.  46

Der verurteilte Bürge kann auch vor seiner Zahlung wegen seiner Befreiung oder Schad­ loshaltung klagen. Das sagt D. 46,1,45, wo dieser Fall behandelt wird: Wäre der Bürge dagegen nicht verurteilt wor­den, so könnte er vor seiner Zahlung nicht an­ders klagen, als wenn er an seine Ver­pflichtung schon lange gebunden wäre. Das ist anzunehmen, wie D. 17,1,38 und C. 4,35,10 sagen, weil es scheint, dass er seine Zahlung verspro­ chen hat, wie D. 12,6,47 sagt. Daher erfüllt er seine Pflicht noch nicht, bevor er [den Gläubi­ger] be­friedigt. Aber hier sagt Barto­ lus: Wenn sich nun der Bürge [gegenüber dem Gläubi­ ger] durch eine Urkunde ver­ pflich­ tet habe, die auf­ grund des Geset­ zes ebenso wie nach einer Verurteilung voll­ streckbar sei, so sei die­selbe Folgerung an­ wendbar. Angelus Are­tius46 missbilligt diese Mei­ nung mit Recht. Denn d e r B ü r g e kannte von Anfang an den Um­ s t a n d , d a s s d a s Vo l l­s t r e­c k u n g s ­ verfahren [ohne das Erk ­e n n t ­ nis­ verfahren] sofort eing ­e ­ leitet wer­ d e n k a n n ; n i c h t s­d e s t o­w e­n i­g e r v e r ­ s p r a c h e r d e m H a u p t s­ c h u l d ­n e r s e i n ­e Z a h l u n g . Wenn da­her der Haupt­schuldner vom Bürgen belastet werden könnte, ob­wohl der Bürge bis da­hin vom [toleranten] Gläu­ biger nicht be­ lastet wäre, so würde der Haupt­schuld­ner be­tro­gen. Da­her sagt man, dass er nicht anders kla­gen kann, als wenn er an seine Schuld lange ge­bunden ist.

3. Bemerkung Wenn man im modernen Recht die Position übernähme, den An­ wen­ dungs­be­reich der Auftragsgegen­klage zu erweitern, so könnte man dadurch die Er­ weite­ rungsmöglichkeit eröffnen, eine stillschweigende Vereinbarung über die Klage anzunehmen. Aber für die Juristen in der Renaissancezeit war eine sol­che Ver­tragsauslegung sowohl unpraktisch als auch unnötig, es sei denn, dass sie ir­gendeinen besonderen Anhalt in den konkreten Umstän­ 45  Paulus de Castro, Commentaria in secundam Digesti noui partem, Venedig 1568. 46  Siehe o. Fn. 43.

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den gefunden hat­ten.47 Der für sie handhabbare Begriff war vielmehr das Ermessen des Rich­ ters, dem Marcellus dieses Problem überlassen hatte; wenn sie darauf den Blick richte­ ten, so konn­ ten sie den Bereich dieser Klage erweitern. Bezüglich der notariellen Bürgschaft beschränkte Baldus mit dem Aus­ druck post modicum tempus die Klagemöglichkeit auf den Fall, in dem mindestens die Fälligkeit der Schuld schon bevorsteht.48 Sonst brauchte der Bürge nicht die Vollstreckung zu fürchten. Der konkrete Zeitpunkt, in wel­ chem der Bürge we­ gen sei­ ner Befreiung klagen kann, soll je nach den Umständen unter­schied­lich sein, aber die Klage steht ihm jedenfalls in ir­ gendeinem Zeitpunkt zu. Der Haupt­schuld­ner kann bis dahin den vertrag­ lichen Vorteil aufgrund des Auf­ trags erhalten. In diesem Punkt bedachte Baldus das Interesse des Haupt­schuld­ners genügend, des­halb konnte er an­ dererseits auch die danach mögli­che Befürch­tung des Bürgen beto­nen. Dagegen legte Paulus das Gewicht darauf, dass der Bürge schon bei der Bürg­schaft die Möglichkeit der sofortigen Vollstreckung verstanden hatte. Also stellte er als Parteiwillen fest, dass der Bürge sich zeitlich unbeschränkt dazu verpflichtet, dem Hauptschuldner den Kredit zu verschaffen; diese Ver­ trags­auslegung wurde theore­tisch vom Begriff des Zahlungsauftrages darge­ stellt. Hier verstand er den Zahlungsauftrag in anderem Sinn als Baldus. Das aufgetragene Geschäft wird allein durch den Abschluss des Bürgschafts­vertrags noch nicht vollendet, so­dass der Bürge die Bürgschafts­ schuld tragen muss. Das begründete sich damals mit der Theorie, dass der Bürge beim Auf­trag die Last auf sich genommen hat, nicht nur den Bürg­ schaftsvertrag abzu­schlie­ßen, son­dern auch den Gläubiger zu befriedigen. Diese Zahlungsauf­ tragstheo­ rie bedeutete ursprünglich die Dauerhaftigkeit des Bürgschaftsauf­trags.49 Dass Paulus darin die Endlosigkeit bemerkte, ist nicht anormal, viel­mehr glaubwür­dig.50 Dann, wenn man den Zahlungsauf­ trag in diesem Sinn zum Aus­gang nimmt, so kann man aus dem Auftrag folgern, dass nur ein unvorher­gesehener, nachträglich eingetretener Umstand diese Klage ohne Vertragsver­letzung ermöglicht. 47  Nicolaus Matarellus (ca. 1240–ca. 1310) hatte behauptet, dass, wenn die Fäl­ ligkeit der Hauptschuld in der nicht vollstreckbaren Vertragsurkunde der Bürg­schaft aufge­zeigt ist, der Bürge sofort nach dieser Fälligkeit die Auftrag­sgegenklage erhe­ ben konn­te. Da­gegen betrachtete Baldus diesen Umstand als unzureichend, um die still­schwei­gende Vereinbarung über die Klage zu erkennen. Siehe o. Fn. 34. 48  Aber Bartolus genehmigt die sofortige Klage des Bürgen und zeigt dort keine Be­schränkung. Bartolus (o. Fn. 40) ad D. 46,1,45. Siehe auch Baldus (o. Fn. 26) ad D. 17,1,38 Nova Additio num. 3 Vb. An iudex. 49  Siehe o. II 2. 50  Siehe o. Fn. 21.



Der Inhalt des Bürgschaftsauftrags107

Doch ist das nicht der einzige Weg. Wenn der Parteiwille nicht eindeutig festge­stellt werden kann, ist anzunehmen, dass der Bürge nur die geringere Last auf sich genommen hat, weil der Bürge vom Hauptschuld­ner meistens kein Ent­gelt erhalten hat. Dass der Bürge die Absicht gehabt hat, für das Kre­ditge­schäft des Hauptschuldners endlos zu sorgen, ist dazu auch bei ver­ nünfti­ger Ausle­gung nicht denkbar. Baldus hatte wahrscheinlich solche Ge­ danken, weil er den Grund dieser ungewöhnlichen Klage im natürli­ chen Rechtsgefühl fand (natu­ra­lis aequitas).51 Zwar stimmte Baldus bezüglich des Grundsatzes nicht der Ge­genmeinung aus Orléans zu, sondern der Zahlungsauftragstheorie. Aber er sagte nur, dass die Kritik aus Orléans an dieser herkömmlichen Theorie unrichtig sei.52 Er beschäf­tigte sich nicht mit dem Problem, ob diese Theorie der Gegenmei­ nung vorzuzie­hen sei, sondern nur mit dem Problem, ob diese Theorie ge­ nügende An­wend­barkeit habe. Daher behielt er sich die Möglichkeit vor, diese Theorie zurück­haltend anzuwenden. Also kann man die Einstellung des Baldus wie folgt be­ trachten: Während er einerseits die Zahlungsauf­ tragstheorie unter­stützte, hatte er anderer­seits einige Bedenken, diese Theo­ rie weiter auszudeh­nen. IV. Schlusswort Diese Meinungsverschiedenheit wurde noch von der nächsten Generation wieder­holt, in der die Mehrheit den Standpunkt des Baldus vertrat.53 Diese Mei­nung wurde in Frankreich weiterentwickelt. Anton Faber (1557–1624) stellte also den notariellen Bürgen mit dem Verurteilten gleich.54 Darüber hin­aus eröff­nete er die Klagemöglichkeit im Fall, bei dem es scheint, der Gläubi­ger nehme den Bürgen sofort in Anspruch. Dabei gestaltete Faber den Inhalt des Zahlungsauf­trags um, sodass der Bürge für ermächtigt gehal­ten wird, über das Vermögen des Hauptschuldners zur Zahlung zu verfügen. Er leitete aus dem Zahlungsauftrag nicht die Last des Bürgen ab, sondern die Schutz­pflicht des Hauptschuldners dafür, dass der Bürge keine Vollstreckung gegen sich zu be­fürchten braucht.55 51  Siehe

o. II 3. o. II 2. 53  Vgl.  Augustinus Barbosa (1590–1649), Collectanea doctorum, Lyon 1716, t. 2 lib. 2 tit. 22 cap. 5 (ad X. 3,22,5) num. 10. 54  Anton Faber, Codex Fabrianus, Genf 1628, lib. 4 tit. 26 def. 26. 55  Nach Faber scheint es, dass der Bürge den Zahlungsauftrag vom Schuldner erhal­ten hat, und dass er folgerichtig sowohl den Auftrag zu allen Handlungen, ohne welche er nicht zahlen kann, als auch den Auftrag, das Vermögen des Schuldners zu verkau­fen, er­halten hat, sodass der Erlös aus dem Verkauf nicht ihm, welchem bis dahin nichts wegge­nommen ist, sondern dem Gläubiger geleistet wird. 52  Siehe

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Hier hatte Faber die letzten Vorbereitungen dafür abgeschlossen, dass Jean Domat die Fälligkeit der Schuld als einen Klagemoment betrachten konnte. Nach Domat kann, obwohl der Gläubiger sich in Schwei­gen hüllt, der Bürge gegen den Hauptschuldner klagen, soweit die Schuld fällig ist.56 Diese neue Theorie ist in den Code civil aufgenommen worden. Wir können andererseits den Einfluss des Paulus de Castro auf das deut­ sche Recht fin­den. Die Zahlungsauftragstheo­rie blieb noch in der 1. Kommis­ sion zum I. Ent­wurf BGB übrig.57 Diese Theorie ist heutzutage zwar von der herr­schenden Meinung abgelehnt,58 aber deren herkömmlicher Rahmen ist noch nicht ge­sprengt. „D 17.1.38.1 Marcell sing resp war einer der maßgeb­ lichen Texte, dem die ge­meinrechtliche Pra­xis den Befreiungsanspruch des Bürgen und seine Voraussetzungen ent­nahm; ihr ist über § 944 des Dresdener Entwurfs die Regelung des BGB in § 775 Abs. 1 verpflichtet.“59 Unter dieser gesetzlichen Voraus­set­zung betrach­tet die herrschende Meinung den Bürg­ schaftsauftrag grundsätzlich als endlos dau­ernd;60 daher beschränkt sie den Faber (o. Fn. 54) def. 24 nota 4: „Quasi videatur fideiussor mandatum habere a debi­tore ad soluendum, & consequen­ter ad ea omnia facienda, sine quibus non pos­ sit sol­uere, ac proinde ad bona ipsius debitoris vendenda, vt ex pretio satisfiat non fideiussori ipsi, cui nihil adhuc abest, sed creditori.“ 56  Domat, Les loix civiles dans leur ordre naturel, Paris 1691, liv. 3 tit. 4 sect. 3 art. 3: „Si le principal obligé est en demeure de payer le créancier au terme, le Fide­ jusseur peut le poursuivre après le terme échû pour l’y obliger, quoy­ que le créancier ne de­man­der rien. Et si l’indemnité du Fidejusseur étoit en péril, il pour­ roit même agir avant le terme pour sa sûreté. Ainsi, lorsque le débiteur dissipe ses biens, ou qu’ils sont saisis, le Fidejusseur peut s’opposer, & faire les autres diligen­ ces que les cir­constances du péril rendront necessaires (D. 17,1,38,1).“ 57  Motive Bd. 2, 675 in: Die gesammten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, II, Hrsg. Benno Mug­dan, Berlin 1899 (Nachdruck: Stockstadt a. M. 2005), 377. Vgl. H. Hasenbalg, Die Bürgschaft des gemeinen Rechts, Düsseldorf 1870, 694 ff. 58  Vgl. Andreas von Tuhr, Actio de in rem verso, Freiburg i. Br. 1895 (Nach­ druck: Aalen 1970), 61; Rothenberg, Zur Lehre vom Regress des Bürgen gegen den Haupt­schuldner mit Rücksicht auf die §§ 676, 677 des Entwurfes eines BGB für das Deut­sche Reich nebst Ergänzungsvorschlägen, Gruchot 33 (1889) 364–383, 370 f.; Planck / Fr. Oegg, Kommentar zum BGB II. Bd. 2. Hälfte, Berlin 19284 (Nachdruck: Goldbach 2000), § 775 Anm. 1 a; Heinrich Kremer, Die Mitbürgschaft, Strassburg 1902, 115 Fn. 1 u. 4; Kurt Vogel, Das Recht auf Befreiung von der Bürgschaft nach § 775 BGB, Köln 1937, 15 f. Siehe schon Girtanner (o. Fn. 26) 2. Abt. 2. Buch, 529 ff. 59  Zülch (o. Fn. 14) 82 Fn. 170. 60  Wenn, zum Beispiel, die Dauer der zu leistenden Bürgschaft sich aus der Höhe des Darlehens und der periodi­schen Tilgungsraten errechnet werden kann, so kann man durch ergänzende Auslegung den Auftrag so betrachten, dass der Bürge sich nur für eine bestimmte, den ihm bekannt gegebenen Darlehensbedingungen entsprechende Zeit zur Bürgschaftsübernahme verpflichtet hat. Aber es bedarf ir­ gendeines Anhalts­punktes zwischen dem Hauptschuldner und dem Bürgen, um die



Der Inhalt des Bürgschaftsauftrags109

Anwendungs­bereich des Befreiungs­anspruchs auf den Fall, wo durch einen berechtig­ ten Sondergrund die Auf­ tragsbeendi­ gung gerechtfertigt werden kann.

stillschweigende Ver­einbarung anzunehmen. Vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27. Jan. 1970, WM 1970, 647; Viktor Stötter, Das Vertragsverhältnis zwischen dem Hauptschuldner und dem Auftragsbürgen, insbe­ sondere seine Beendigung durch Kündigung aus wichtigem Grunde, MDR 24 (1970) 545–549, 546 f. zu II 3; Soergel / Hans Peter Pecher, Bürger­liches Gesetzbuch 5 / 1, Stuttgart 200712, Rn. 17.

Fernand De Visscher als Archäologe Von Jean-Fran­çois Gerkens In seiner Einladung hat Professor Nishimura darauf hingewiesen, wie wich­tig die „Société Fernand De Visscher“ ist. Als Thema schlug er vor, dass wir uns auf nicht-juristische Quellen konzentrieren sollten, und so kam ich auf das Thema „Fernand De Visscher als Archäologe“. Natürlich war Fernand De Visscher zuerst ein großer Romanist, der in sei­nen Forschungen immer die verschiedensten Quellen nutzte:1 juristische Quel­len, literarische Quellen, epigrafische Quel­len, archivistische Quellen – aber auch archäologische Quellen. Fernand De Visscher hat auch seine romanistischen Kenntnisse dadurch ver­bes­sert, dass er zu einem leiden­schaftlichen Archäologen wurde! Diese – viel­leicht weniger bekannte – Seite des großen Wissen­schaftlers möchte ich zum Mittel­punkt dieses Beitrages machen. I. Fernand De Visscher 1. Einige Worte zur Person Fernand De Visscher wurde am 14.10.1885 in Gent, im flämischen Bel­ gien, in einer wohlhabenden Familie Intellektueller geboren.2 Sein um ein Jahr äl­ terer Bruder Charles3 machte ebenfalls eine brillante Karriere im Bereich des in­ter­nati­onalen Rechts. Sehr früh verloren Charles und Fernand ihre Mutter,4 als Fernand nur 17 Monate alt war, und ca. 10 Jahre später starb ihr Vater. Nach dem Tod der Eltern kümmerte sich ein Priester, Abbé 1  Siehe z. B. schon: Franz De Ruyt, L’initiative et les débuts des fouilles belges à Alba Fucens en 1949, in: ALBA FVCENS 1. Rapports et études, Hrsg. J. Mertens, Bruxelles-Rome 1969, 7. 2  René Dekkers, Discours prononcé par Monsieur René Dekkers au nom du Comité exécutif, in: Mélanges Fer­nand De Visscher IV (=RIDA 1950) 517–522. 3  Charles de Visscher wurde am 02.08.1884 in Gent geboren, und starb am 02.01.1973 in Brüssel. Siehe: Walter Ganshof van der Mersch, Notice sur Charles de Visscher, Membre de l’Académie, in: Annuaire de l’Académie Royale de Bel­ gique 1981, 114–166. 4  Augusta Fiévé starb am 17.04.1887. Siehe: Dekkers (o. Fn. 2) 517.

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Watté, um die zwei Wai­senkinder. Beide studierten mit größtem Erfolg Jura an der Uni­versi­tät Gent.5 1912 heiratete Fernand Lucie Jourdain und wurde im selben Jahr Rechts­ anwalt in Brüssel. 1914 erhielt er den Lehrstuhl für römisches Recht in Gent, aber der Erste Weltkrieg hinderte ihn leider daran, diesen Lehrstuhl effektiv zu über­nehmen. Einen Großteil des Krieges verbrachte er mit seiner Familie in Ox­ford, wo er seine Arbeiten über die Noxalität vertiefte. Bis 1930 blieb er Profes­sor für römisches Recht in Gent, wo er zwischen 1927 und 1929 eben­falls das Amt des Dekans bekleidete. Somit folgte er sei­nem Bruder Charles, der 1924 zum Dekan gewählt wurde. Wie man feststellt, waren sich beide Brüder sehr nahe in allem, was sie un­ter­nahmen. Der Paralle­lismus ihrer Karrieren – und Leben überhaupt – ist kaum zu glauben! Beide absolvierten das gleiche Studium mit ähnlichem Er­folg und wurden mit den gleichen Preisen ausgezeichnet. Beide teilten ihre Leidenschaft für internationales Recht und wurden sowohl Professor als auch Dekan an der Universi­tät Gent. Sie heirateten ungefähr zur selben Zeit und bekamen beide jeweils 5 Söhne und 3 Töch­ter.6 Nach ihrer Auswande­ rung nach Brüssel wohn­ten sie in derselben Straße und unterrichteten beide an der Universität Leuven – eine solche Ähnlichkeit ist schon sehr verblüf­ fend. Wahrscheinlich spielte die Tatsache, dass sie sehr früh Waisen wurden, eine große Rolle, aber ein derartiger Parallelismus verdient es, erwähnt zu werden, zumal viele gegenwärtige Juristen für den Nachnamen „De Vis­ scher“ nur einen Vornamen kennen – und dieser ist dann entweder Charles oder Fernand, je nachdem, ob man Romanist oder Internationalist ist. 1930 verließen Charles und Fernand die Universität Gent für die Univer­ sität Leuven.7 Da­ nach kam der Zweite Weltkrieg, und das Haus von Fernand De Visscher wurde zu einem Treffpunkt für Patrioten, wo sich die Professoren der ver­schiedenen Universitäten Belgiens gerne trafen. So wur­ 5  Beide haben für ihre Endarbeit im Zivilrecht einen Preis gewonnen. Charles ge­ wann den sehr wichtigen „Concours universitaire“ 1908 (Dekkers [o. Fn. 2] S. 518) und Fer­nand 1913 (Diese Endarbeit wurde später veröffentlicht: Fernand De Visscher, La vente des choses futures et la théorie du risque contractuel. Étude de droit romain, suivie d’un examen de la jurisprudence moderne, Bruxelles-BerlinParis 1914, 112 Seiten.). 6  Siehe Dekkers (o. Fn. 2) 519. 7  Fernand kam erst 1936 nach Leuven, nachdem er an den Katholischen Fakul­ täten von Lille unterrichtet hatte. Formell sind beide der Universität Gent verbunden geblie­ben, von der Charles 1954 und Fernand 1956 emeritiert wurden (Franz De Ruyt, Fer­nand De Visscher, in: Nouvelle biographie nationale 2, Académie Royale de Belgique, Bruxelles 1990, 133).



Fernand De Visscher als Archäologe113

de auch die „So­ ciété d’Histoire des Droits de l’Antiquité“ – die spätere SIHDA – während des Krie­ges geboren. 2. Die Ausgrabungen von Fernand De Visscher in Alba Fucens Kurz nach dem Krieg, 1946, wurde Fernand De Visscher zum Direktor der Academia Belgica in Rom (Belgische Akademie) ernannt. Dieses Insti­ tut, wel­ches die belgischen Forscher in Rom beher­bergt, wurde kurz vor dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Es war jedoch Fernand De Visscher, der es zu einem brillanten Gelehrsamkeitszentrum gemacht hat.8 Als er diesen Posten in Rom annahm, war es sicherlich nicht im Sinne einer persönlichen Urlaubszeit, son­dern viel eher, um sich neuen Herausforde­rungen zu stellen. Seine ausge­zeich­neten Beziehungen zu den italienischen Archäologen spiel­ ten hier eine wich­tige Rolle. Während die Vereinigten Staaten eine Konzes­ sion in Cosa beka­men und Frankreich eine in Bolsena, wurde Belgien und Fernand De Visscher das Recht zu Ausgrabungen in Alba Fucens zugewie­ sen. Damals war diese Stätte kaum bekannt, da außer der imposanten Stadt­ mauer nichts mehr sicht­bar war. Selbst für einen großen Wissenschaftler wie Fernand De Visscher war es nicht einfach, Archäologe zu werden. Als ihm die Stätte von Alba Fucens an­ vertraut wurde, wollte er sich nicht alleine an dieses Abenteuer wagen, son­ dern zog sofort hochangesehene Archäologen zu Rate.9 Am schwie­rigsten war es, in dieser Nachkriegszeit die nötige Finanzierung für die Ausgrabun­ gen zu finden. Ohne jegliche öffentliche Unterstützung musste Fernand De Visscher private Gönner suchen, worunter nicht zuletzt sein Schwager Paul Jour­dain10 war, der Direktor der Zeitung „La Libre Belgique“. Alba Fucens liegt in der Mitte der italienischen Halbinsel, im westlichen Teil der Abruzzen, 8 Ki­lometer von Avezzano entfernt auf 1000 Meter Hö­ he. Wäh­rend der Antike galt Alba Fucens mit seiner imposanten Stadtmau­ er als wich­tige Festung und wurde durch Cicero als uneinnehmbar, mächtig und von rom­treuen Einwohnern besiedelt beschrieben.11 8  Siehe Franz De Ruyt, Notice sur Fernand De Visscher, Membre de l’Académie, in: Annuaire de l’Académie royale de Belgique 1985, 109. 9  Siehe Sigfried De Laet, Préface, in: ALBA FVCENS 1. Rapports et études, Hrsg. J. Mertens, Bruxelles-Rome 1969, 5. 10  Franz De Ruyt, L’initiative (o. Fn. 1) 8. 11  Cic. Phil. III.15: Cumque legio Martia Albae constiterit, in municipio fidelissimo et fortissimo, seseque ad senatus auctoritatem populique Romani libertatem contulerit (…); Phil. IV.2: (…) Albae constiterunt, in urbe opportuna, munita, propinqua, fortis­simorum virorum, fidelissimorum civium atque optimorum. (…).

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Im XIX. Jahrhundert beschrieb Carlo Promis Alba Fucens als ein elendes klei­nes Dorf12 mit ho­hen Stadtmauern und einigen Monumenten in seiner Mitte. 1915 wurde die moderne Stadt Alba durch ein heftiges Erdbeben zer­ stört. Die Arbeiten für den Bau neuer Häuser brachten Überreste der alten Stadt ans Ta­ geslicht, darunter auch einige Mosaïke.13 Während des Zweiten Weltkrieges, 1943, nahm der Ort seine frühere strate­gische Rolle wieder für kurze Zeit ein, als der Generalfeldmarschall Albert Kesselring dort einen Kommandoposten instal­lierte.14 Aber was uns jetzt interessiert, ist, dass der Ort ab Anfang 1949 endlich von Archäologen systema­tisch ausgegraben wurde. Als Fernand De Visscher zum ersten Mal die Führung solcher Ausgrabun­ gen übernahm, war er schon 63 Jahre alt! Er schrieb sogar, dass er selber ein biss­chen verwirrt sei, in dieses archäologische Unternehmen miteinbezogen zu sein.15 Er entdeckte die Stätte am 26. Februar 1949 und war unmittelbar faszi­niert von dieser neuen Tätigkeit, die ihn erwartete. Die ersten Bohrungen be­gannen im April 1949, und die Leidenschaft Fernand De Visschers für die Aus­grabungen in Alba Fucens nahm während der 15 letzten Jahre seines Le­ bens nicht mehr ab. Es muss jedoch erwähnt werden, dass die Lebensbedin­ gungen am Fundort besonders unbequem waren, doch dafür war der Ort am Fuße des Monte Velino äußerst malerisch und bezaubernd. Die ersten Bohrungen waren vielversprechend, aber die Mannschaft von Fer­nand De Visscher wurde sehr schnell mit einem neuen Problem konfron­ tiert: Die Erlaubnis der italienischen Behörden galt nur für Bohrungen und sah vor, dass die Archäologen dem Bauern das Feld in seinem ursprüng­ lichen Zustand zurückgaben. Man musste dem Bauern schon eine ganze Maisernte abkaufen. In Wirk­ lichkeit war das Feld jedoch mit Erdhaufen bestreut. Ther­men, Tempel, Forum, Basilika usw. All diese Gebäude warte­ ten nur darauf aus­gegraben zu werden. Die italienischen Behörden waren wohl der­art po­sitiv beeindruckt, dass die Felder vergessen wurden und nur die archäologische Stätte übrig­blieb. Wenngleich der Enthusiasmus des Archäologen De Visscher niemals schwä­cher wurde, so muss man einräumen, dass sein römisches Abenteuer 12  Carlo Promis, Le antichità di Alba Fucense negli Equi misurate e illustrate dal­l’architetto C.P., Roma 1836, 83: „Ora Alba è ridotta ad un miserabile villaggio di circa 150 abitanti contadini e pastori“. 13  Franz De Ruyt, L’initiative (o. Fn. 1) 9; Adele Campanelli, La petite Rome des Abruz­ zes. 50 années de re­ cherche belgo-italiennes à Alba Fucens. Sulmona 2007, 16. 14  Franz De Ruyt, L’initiative (o. Fn. 1) 9: „un peu ahuri de (se) trouver lancé dans cette entreprise archéologique“. 15  Dies schrieb er an Franz De Ruyt [Franz De Ruyt, L’initiative (o. Fn. 1) 9].



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nicht ein­fach war; insbesondere als Direktor der Academia Belgica wurde er mit be­stimmten Problemen konfrontiert. In Wahrheit war Fernand De Visscher kein großer Manager. Er war ein von Grund auf ehrlicher Mensch und erwartete dasselbe Verhalten von sei­ nen Mit­arbeitern. Einige Angestellte der Academia Belgica begingen jedoch schwere Unterschlagungen, und als Fernand De Visscher sie daraufhin entlas­ sen woll­ te, wobei er seinen Posten als Direktor aufs Spiel setzte, nahm der Ver­wal­tungs­rat in Brüssel entgegen allen Erwartungen den Rück­ tritt Fernand De Visschers an. Leider wurde der Ernst der Lage erst viel später in Brüssel er­kannt, als es für eine andere Lösung schon zu spät war. Dieser peinliche Vor­ fall führte letztlich dazu, dass die Ausgrabungen in Alba Fucens von den Akti­vi­täten der Aca­demia Belgica getrennt wurden. Von nun an wurde die archäo­logische Stätte für Fer­nand De Visscher eine persönliche Angelegen­heit. 1949 war auch aus einem anderen Grund ein schwieriges Jahr für Fern­ and De Visscher: Fast hätte er durch eine Netzhautablösung die Sicht ver­ loren. Damals führte solch eine Diagnose meist zu voll­kommener Blindheit. Dank seiner in­ternationalen Kontakte konnte Fernand De Visscher jedoch ein Flug­zeug (1949!) nach Zürich nehmen, wo er durch einen der wenigen Chirurgen, die ihn operieren konnten, behandelt wurde und dadurch glück­ licherweise seine Seh­kraft wieder gewann. Im Dezember 1949 wurde entschieden, die Ausgrabungen in Alba Fucens weiter­zuführen. Jetzt, da die Bohrungen das hohe Potenzial der Stätte ge­ zeigt hatten, wurden sowohl die Mannschaft als auch die Mittel verstärkt. Fernand De Visscher blieb der Mentor der erweiterten archäologischen Mannschaft bis zu seinem Tode am 15. Dezember 1964. II. Alba Fucens 1. Die Geschichte Alba Fucens Die Gründung Alba Fucens geht auf die Periode der Geschichte Roms zu­ rück, in welcher Rom un­ bedingt das Zentrum Italiens erobern wollte. 304 v. Chr. schloss Rom einen Friedensvertrag mit den Samniten und un­ terwarf die Aequer, die Marser, die Marruciner und die Paeligner. Um Zentralitalien ab­zusichern, gründete Rom im Jahre 303 v. Chr. die militäri­ sche Kolonie Alba Fu­cens (unter dem Konsulat von L. Genucius und Ser. Cornelius). Diese Stadt war die wich­ tigste militärische Kolonie, die die römische Republik je gegrün­ det hat. Sie besaß den Status einer lateini­ schen Kolonie sowie eine eigene Staats­ bürger­ schaft. Sie hatte auch eine

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komplette Autonomie und bekam – an­fangs zumin­dest – das Recht, Mün­ zen zu prägen.16 Alba Fucens stand auf der Seite von Rom, insbesondere während der durch Rom geführten Kriege im 3. Jhdt. v. Chr., so zum Beispiel im Krieg gegen Sen­ tinum, der durch Rom und seine Bundesgenos­ sen 295 v. Chr. gewonnen wur­de. Die wichtigste militärische Episode um Alba Fucens spielte sich jedoch wäh­rend des zweiten Puni­schen Krieges ab. Während Hannibal die Stadt Rom mit seiner imposanten Elefantenarmee bedrohte, bat Rom seine Kolo­ nien um Hilfe. Alba Fucens war die einzige Kolonie, die dieser Bitte posi­ tiv nachkam und 2000 Männer nach Rom schickte. Diese Männer wurden von Rom gerüs­tet und verteidigten erfolg­reich die Stadtmauern, was dazu führte, dass Hanni­bal ver­zweifelte und sich Richtung Süden zurückzog. Rom war jedoch undankbar gegenüber seinen Kolonien und hat sie regel­ recht ausbluten lassen. Im 2. Jhdt. v. Chr. war Alba Fucens nur noch eine ehemalige Festung die einen Großteil ihres Nut­zens verloren hatte und gleichzeitig zu einer Art Ver­bannungsort für entthronte Könige, wie Syphax17 (König von Westnu­ midien), Perseus18 (König von Makedonien) und Bituitus19 (König der Arverner) gewor­den war. Im 1. Jhdt. v. Chr. rebellierten die Bundesgenossen gegen die Stadt Rom, die in dieser Zeit schwere Niederlagen erleiden muss­ te. Alba Fucens be­wies wiederum seine Treue zu Rom, musste jedoch nach einer langen Bela­gerung kapitulieren. Im Jahre 90 v. Chr. zeigten die Bun­ desgenossen erste Schwä­cheanzeichen und Rom konnte seine treue Kolonie wieder befreien. In den darauffolgenden Jahren gedieh Alba Fucens zu einer sehr wohl­ habenden Stadt und wurde zum municipium cum suffragio er­ hoben, wodurch die Ein­wohner Albas die römi­sche Staatsbürgerschaft und die Stadt eine große Auto­nomie erlangten. Alba Fucens hat während des­ Krieges sehr gelitten, und das Stadtzentrum bedurfte wichtiger Reno­ vierungsarbeiten. Die öffentlichen Plätze so­wie die privaten Häuser wurden jetzt reichlich mit elegan­ten Kunstwerken, Mosaiken und Fresken dekoriert. 16  Joseph Mertens, Etude topographique d’Alba Fucens, in: J. Mertens, ALBA FVCENS 1. Rapports et études. Bruxelles-Rome 1969, 37–38. 17  Im zweiten Punischen Krieg war Syphax zuerst ein Verbündeter Roms. Er wech­selte aber die Seite und wurde als Gefangener nach Rom gebracht. 18  Perseus, Sohn von Philipp V. aus Makedonien, wurde nach der Schlacht von Pyd­na (168 v. Chr.) zwischen Makedonien und Rom festgenommen. 19  Bituitus verlor 121 v. Chr. gegen Rom. Er wurde jedoch erst dann gefangen ge­nom­men, als er als Botschafter zum römi­schen Senat kam. Da die Römer nicht be­ son­ ders stolz über diese verräterische Tat waren, Bituitus jedoch gleichzeitig fürch­teten, wurde er in Alba Fucens in Gefangenschaft gehalten.



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Insbesondere fällt die Vielfalt der verschie­denen Mar­more auf, die gebraucht wurden. Der Niedergang Alba Fucens wird im 3. Jhdt. n. Chr. sichtbar. Die Anwe­ sen­heit von konstantini­schen Geldmünzen zeugte im 4. Jhdt. noch von ei­ nigen Ge­schäftstätigkeiten. Zur gleichen Zeit – oder kurz danach – scheint es jedoch auch, dass manche Viertel der Stadt schon verlassen wurden. Zum letzten Mal wird die antike Stadt Alba in den Chroniken bei Prokopios von Caesarea er­wähnt. Dieser schreibt, dass in Justinians Zeit eine der Kaiser­ lichen Armeen 573 in Alba Fucens überwintert habe. Während des Mittel­ alters blieb nur noch ein kleines Dorf namens Alba Vec­chia mit wenigen Häu­ sern übrig, die das Schloss Orsini umringten. Dieses Schloss wurde 1915 von einem Erdbeben kom­plett zerstört, und als Fernand De Visscher mit seiner Mannschaft nach Alba Fucens kam, waren nur noch einige not­ dürftige Häuser übriggeblieben. 2. Die Elefanten von Alba Fucens Wie bereits erwähnt, waren die Lebensbedingungen in Alba Fucens nicht be­sonders einfach: eine Lage in 1000 Meter Höhe und weder fließendes Was­ser noch Strom oder Sanitäranlagen! Nichtsdes­toweniger besagen alle Zeu­genaus­sagen, dass das Ehepaar De Visscher stets lächelnd und kommuni­ kativ enthu­si­as­tisch geblieben ist. Heutzutage steht außer Zweifel, dass die von Fernand De Visscher begonne­ nen Ausgrabungen in Alba Fucens ein großer Erfolg waren. Es wurden u. a. das Forum, eine Basilika, Thermen, elegante Villen, ein Thea­ ter, ein großes Am­phitheater sowie ein wichtiges Herakles-Heiligtum (mit der Statue des He­ra­kles Epitrapezios) ans Tageslicht gebracht. Diese Aus­ grabungen waren Ge­gen­stand zahlrei­cher Veröffentlichungen sowie mehre­ rer Ausstellungen in Rom und in Brüssel. Als Dank für seinen wichtigen Anteil an diesen Ausgra­bungen erhielt Fernand De Visscher 1964, einige Monate vor sei­nem Tod, die sel­tene Aus­zeichnung „cultore di Roma“. Zu den archäologischen Funden der Mannschaft von Fernand De Visscher in Alba Fucens gehören zwei große Kalksteine. Diese wurden 1951 ausgegra­ ben und, obwohl sie ziemlich weit voneinander entfernt lagen, gehörten sie zwei­fellos zueinander. Fernand De Visscher war der Meinung, dass sie die Seiten­stücke einer kleinen Bank gewesen sein könnten.20 Auf jedem dieser zwei Blö­cke findet man das Vorderteil eines Elefanten. Diese 20  Diese zwei Blöcke wurden auf 55 Meter Abstand, an den NW- und SW-Ecken der Basilika Alba Fucens ge­ funden. Siehe: Fernand De Visscher, Une histoire d’éléphants, in: L’Antiquité Classique 29 (1960) 51.

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Elefanten beein­ drucken zwar nicht durch ihre künstlerischen Qualitäten, aber brachten Fer­nand De Visscher dazu, darüber nachzudenken, wie solch eine frühe Darstel­lung von Elefanten (die Skulpturen stammen, laut Fernand De Visscher, aus dem 2. Jhdt. v. Chr.) in den Abruzzen mög­lich gewesen ist. Die Größe der Ohren zeigt eindeutig, dass es sich um afrikanische und nicht um asiatische Elefan­ten handelt. Daher stellte Fernand De Visscher sich die Frage, wo und wann die Siedler Albas zum ersten Mal diesen Ty­ pus Elefanten ge­sehen haben konnten.21 Gaius schreibt, dass die alten Römer die Existenz der Elefanten nicht kann­ten und dass sie sogar keinen Namen für diese Tiere hatten: Gaius 2,16 At ferae bestiae nec mancipi sunt, velut ursi leones, item ea animalia quae fere bestiarum numero sunt, velut elephanti et cameli. Et ideo ad rem non pertinet, quod haec animalia etiam collo dorsove do­ mari solent: n a m n e n o m e n quidem eorum animalium i l l o t e m p o r e f u i t , quo consti­ tuebatur quasdam res mancipi esse, quasdam nec mancipi.

Wilde Tiere sind aber Nicht-Manzipiumsa­ chen, wie zum Beispiel Bä­ren oder Löwen, ferner diejenigen Tiere, die im Großen und Ganzen zu den wilden Tieren zählen, wie zum Beispiel Elefanten und Kamele. Und daher tut es nichts zur Sache, dass diese Tiere üblicherweise auch zum Ziehen oder Tragen gezähmt werden, d e n n z u j e n e r Z e i t , als man festsetzte, dass manche Sa­ chen Manzipiumsachen und manche Sa­chen Nicht-Manzipium­ sachen seien, g a b e s nicht einmal einen Namen für diese Ti e r e . 22

Es stimmt natürlich, dass die Unterscheidung von res mancipi und res nec mancipi eine sehr alte ist. Für die Römer fand die erste Begegnung mit Ele­ fanten erst viel später statt, und zwar bei Hera­ kleia 280 v. Chr. Dort schlug Pyr­rhus, der König von Epirus, die Römer mit seiner mit Elefanten ver­stärkten Armee. Da sie nicht wussten, wie sie diese Dickhäuter nennen sollten, nannten die Römer sie lukanische Ochsen.23 Für Fernand De Vis­ 22

21  Idem, 52: „où et quand les colons d’Albe ont-ils vu les premiers spécimens de cette variété d’éléphants?“. 22  Übersetzung von Ulrich Manthe, Gaius Institutiones. Die Institutionen von Gaius. Herausgegeben, über­setzt und kommentiert von Ulrich Manthe, Darmstadt 2004, 119. 23  Diese Geschichte wird von Plinius dem Älteren erzählt, in seiner Naturge­ schichte (77 n. Chr.), 8,6,1: Elephantos Italia primum vidit Pyrrhi regis bello, et boves Lucas appellavit in Lucanis visos anno urbis CCCCLXXII, Roma autem in triumpho VII annis ad superiorem numerum additis, eadem plurimos anno DII victoria L. Metelli pontificis in Sicilia de Poenis captos. CXLII fuere aut, ut quidam, CXL, travecti rati­bus quas doliorum consertis ordinibus inposuerat. „Elefanten sah man in Italien zuerst wäh­rend des Krieges mit König Pyrrhus im 472. Jahr der Stadt [282 v. Chr.], und man nannte sie Lukanische Rinder, weil man sie zuerst in Luka­ nien gesehen hatte; man sah sie aber in Rom sieben Jahre später bei einem Triumph.



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scher besteht jedoch kein Zweifel, dass Pyrrhus’ Elefanten asiatische waren. Hierzu stützt er sich auf ein Elefantenbild, das sich in der Villa Giulia, in unmittelbarer Nähe der Aca­demia Belgica, in Rom befindet. Dieses wurde im 3. Jhdt. v. Chr. auf einen Teller gemalt: der sogenannte Capena-Teller.24 Auf diesem Teller befin­det sich ein Elefant der Pyrrhusarmee, dessen Ohren ziemlich klein sind. Die Zu­weisung zur Pyrrhusarmee beruht – laut Fer­nand De Visscher – darauf, dass der Elefant einen kleinen Turm mit Kriegern auf seinem Rücken trägt, den die Karthager nicht gebraucht haben.25 Er ist außerdem der Meinung, dass die hel­ lenistischen Führer ihre asiatischen Elefanten in Syrien gekauft haben.

Ebendort sah man im Jahre 502 [275 v. Chr.] ziemlich viele, die bei dem Sieg des Pontifex L. Metellus über die Karthager in Sizilien gefangen worden waren. Es waren 142 oder, wie einige sagen, 140, die auf Flößen herübergefahren waren, die man auf aneinandergefügte Fassreihen legte.“ 24  Zu diesem Teller, der sich im Museo Nazionale di Villa Giulia (inv. 23949) befin­det, zitiert Fernand De Visscher Giulio Quirino Giglioli, Corpus vasorum antiquorum, Italia, Museo nazionale di Villa Giulia in Roma, Fasc. 3, IV B q (Cerami­ ca di prove­nienza Etrusco-Laziale con decorazione sovrapposta; B. Piatti). Dieser schreibt: „Il piatto è vernicato di nero e ha una ricca decorazione all’interno. Sull’orlo linee, rosette gialle, foglie di vite, bianche con corimbi gialli, poi fascia rosso vilacea: tutto tra varie linee concentriche bianche e gialle. Nell’interno su una linea che rappresenta il terreno è la rappresentazione di un elefante di guerra, di color giallo con ritocchi bianchi, seguito da un piccolo. Sull’elefante, che è di tipo asiatico, è una torre di guerra posata su una gualdrappa rossa con sottogualdrappa bianca e tenuta ferma con tre cinghie bianche. Nella torre stessa, che appare di le­ gno e di color bianco ed è merlata e difesa da un grande scudo circolare giallo, che doveva esser metallico, sono due guerrieri di color bruno, armati di lancia e scudo e con elmo in capo. Sul collo dell’animale è il condu­cente, di color bruno, con elmo a berretto frigio e con il caratteristico pungolo ad ar­pione. La interessante rappre­ sentazione, che, dai particolari, specialmente quello del piccolo elefante, appare chiaramente colta dall’artista italico dal vero; si riferisce evi­dentemente alla guerra di Pirro in Italia (280–270); data che convienne perfettamente e conferma la crono­ logia di questa classe di ceramica. Nella parte superiore il piatto ha due fori per poterlo appendere. Diam. 0,295 alt. 0,57. Trovato negli scavi diretti da G.Q.Giglioli nel gennaio-febbraio 1913 a Capena, Necropoli delle Macchie nel Co­mune di Lep­ rignano, Tomba a camera n.CCXXXIII.“ Ähnlich auch: Ales­ sandro Della Seta, Museo di Villa Giulia, Rom 1918, 348–349, n. 23949. 25  Zu diesen Türmen, auf den Rücken der Elefanten, S.: Michael B. Charles, African Forest Elephants and Turrets in the Ancient World, in: Phoenix 62 / 3–4 (2008) 338–362; Arturo Sánchez Sanz, Los elefantes de guerra en los ejercitos de la Antigüedad, in: Arqueo UCA 1 (2011) 55–56. Für manche Autoren könnten jedoch auch Hannibals Elefanten solche Türme getragen haben: Philip Rance, Hannibal, Elephants and turrets in Suda Θ 438 [Polybius Fr. 162b] – an unindentified fragment of Diodorus, in: The Classical Quarterly 59 (2009) 91–110; Michael B. Charles, Carthage and the Indian Elephant, in: L’Antiquité Classique 83 (2014) 119.

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Abb. 1: Capena-Teller (G.Q.Giglioli, Corpus vasorum antiquorum)26

Ungefähr 30 Jahre später, während des 1. Punischen Krieges, kamen die Rö­mer zum ersten Mal mit afrikanischen Elefanten in Kontakt. Fernand De Vis­scher glaubt jedoch nicht, dass dieser Krieg einem Handwerker aus Alba ausrei­chend präzise Erinnerungen gelassen hat, um diese Skulpturen herzu­ stel­len. Eine weitere Hypothese könnte sein, dass die Römer im Amphitheater Ele­fan­ten für ihre Spiele – die venationes27 – einsetzten. Jedoch wurde das Am­phithe­ater in Alba Fucens erst viel später gebaut, und zwar in Erinne­ rung an Q. Naevius Macro.28 der Prätorianerpräfekt unter Tiberius war. Selbst wenn man da­von ausgeht, dass es schon vorher ein älteres Amphi­ theater gegeben haben könnte, ist die Wahr­scheinlichkeit doch eher gering, dass eine kleine Stadt wie Alba Fucens ein so teures Tier wie einen Elefan­ 26  Giulio Quirino Giglioli, Corpus vasorum antiquorum, Italia, Museo nazionale di Villa Giulia in Roma, Fasc. 3, IV B q (Tavola 5). 27  Fernand De Visscher hat eine Inschrift über die venationes legitimae im Amphi­thea­ter von Alba Fucens gefun­den: Siehe Fernand De Visscher (o. Fn. 20) 53 Fn. 6. 28  Eine Inschrift. die sich über den Nordeingang des Amphitheaters befindet, errinert daran, dass dieses Amphi­theater auf Grund des Testaments von Q. Naevius Macro er­baut wurde; so Fernand De Visscher (o. Fn. 20) 53 Fn. 7.



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ten für Spiele hätte opfern kön­nen. Die Graffiti, die man in Alba Fucens entdeckt hat, zeigen etwa einen Lö­wen und vielleicht einen Bären. Aber die sehr große Anzahl von Wildschwein­eckzäh­nen, die gefunden wurden, weist eher darauf hin, dass das Wildschwein das gewöhnliche Wild der Venationes war. Infolgedessen glaubte Fernand De Visscher, dass die Inspiration des Stein­hauers eher im 2. Puni­schen Krieg zu suchen sei. Als Hannibal mit seinen Ele­fanten durch Italien marschierte, waren dies mit Sicherheit afri­ kanische Elefan­ten. Karthagische Münzen aus dem Jahre 220 v. Chr. zeigen eindeutig, dass zu jener Zeit dieser Typus von Elefanten in Karthago einge­ setzt wurde. Man findet zur gleichen Zeit sowohl asiatische als auch afri­ kanische Elefan­ten; aber was für Fernand De Visscher in diesem Zusammen­ hang zählte, war die Anwesenheit afrikanischer Elefanten. Die Tatsache, dass die ersten afrikanischen Elefanten zusammen mit Hanni­ bals Armee italienischen Boden betreten haben, heißt jedoch noch nicht, dass unser Künstler aus Alba Fucens die Gelegenheit hatte, sie zu sehen. Fernand De Visscher war jedoch der Meinung, dass er sie wahrscheinlich wohl gesehen hat. Nach­dem die römische Armee am 2. August 216 in Can­ nae in Apulien eine bittere Niederlage erleiden musste, geriet Hannibals Armee lang­ sam in Schwierigkeiten. Die Karthager herrschten über den südli­chen Teil der italienischen Halbinsel, aber die Römer wollten Kampa­ nien zurückerobern und belager­ten die Stadt Capua. Hannibal wollte Capua wieder befreien, aber es gelang ihm nicht, und hier halfen ihm auch die Elefanten nicht. Nach die­ ser Niederlage beschloss Hannibal, gegen Rom anzurücken, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass die Römer die Belage­ rung von Capua aufgeben würden. Viel­leicht fühlte sich Hannibal aber auch zu sehr nach Süden gedrängt und wollte einfach eine Bresche in die römi­ sche Front schlagen. Auf keinen Fall aber wollte er sich im Süden einschlie­ ßen lassen und mar­schierte daher auf Rom zu – aber über welchen Weg? Hier verfügen wir über zwei Versionen, die von Titus Livius und die von Polybios. Titus Livius erzählt, dass Hannibals Armee versucht habe, den schnellsten Weg nach Rom zu neh­men, also die Via Latina. Zur gleichen Zeit soll die römi­sche Armee (unter Befehl von Q. Fulvius) versucht haben, sie über die Via Appia zu überholen.29 Die Wahl der Via Latina scheint jedoch voll­kom­ 29  Titus Livius 26,8,9–11: [9] Hoc senatus consulto Capuam perlato Q. Fulvius pro­con­sul, cui collega ex volnere aegro redeundum Romam erat, e tribus exercitibus mi­lite electo ad quindecim milia peditum mille equites Volturnum traducit. [10] Inde cum Hannibalem Latina via iturum satis comperisset, ipse per Appiae municipia quae­que propter eam viam sunt, Setiam, Coram, Lavinium praemisit, [11] ut com-

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men unrealistisch, denn die karthagische Armee hätte somit eine große An­ zahl rom­treuer Städte durchqueren müssen. In Polybios’ Version30 marschiert Hannibals Armee über Samnium, in Zent­ralitalien, nach Rom. Leider lässt Polybios dann plötzlich die Karthager im Norden Roms auftau­chen, ohne zu erklären, wie sie dort angekommen sind. Diese Lücke wird aber von Titus Li­vius selbst gefüllt,31 der auch die andere Version kannte. Als Han­ meatus para­tos et in urbibus haberent et ex agris deviis in viam proferrent, praesidiaque in ur­bes con­traherent ut sua cuique res publica in manu esset. „[9] Nachdem dieser Senatsbe­schluss nach Capua übermittelt worden war, wählte der Proconsul Q. Fulvius, der, da sein Kol­lege noch an einer Verwundung litt, nach Rom zurückkeh­ ren musste, aus drei Hee­ren ungefähr 15 000 Fußsoldaten und 1000 Reiter aus und führte sie über den Voltur­nus. [10] Von hier sandte er selbst, weil er schon mit ei­ niger Gewissheit er­ fah­ ren hatte, dass Hannibal über die Via Latina marschieren werde, Boten in die bei der Via Appia und in der Nähe dieser Straße gelegenen Ortschaften, nämlich nach Setia, Cora und Lavinium; [11] man sollte Verpflegung herbeischaffen und sowohl in den Städten be­ reithalten als auch aus abgelegenen Gegen­den Lebensmittel an die Straße schaffen, ferner in den Städten Mannschaften zusammenziehen, damit jedes Ge­mein­wesen die Lage fest in der Hand habe.“ 30  Polybios 9,5,7–9: ’Ann…bav d7 met¦ pšmpthn ¹mšran tÁv parous…av, deip­ no­ poihs£menov kaˆ katalipën t£ pu­ r£ kaiÒmena, toiaÚthn ™po…hse t¾n ¢nazug¾n éste mhdšna sune‹nai tîn polem…wn tÕ sum­ba‹non, crhs£menov d7 ta‹v po­ re…­ aiv di¦ tÁv Saun…tidov ™nergo‹v kaˆ sunecšsi kaˆ toÝv perˆ t¾n odÕn tÒpouv a„eˆ ta‹v propore…aiv ™xereunèmenov kaˆ prokatalamb£nwn, œti tîn ™n tÍ `Rè­m6 ta‹v dia­no…aiv perˆ t¾n KapÚhn kaˆ ta‹v ™keˆ pr£xeiv Ôntwn œlaqe diab¦v tÕn ’An…wna potamÕn kaˆ sunegg…sav, éste m¾ ple‹on tettar£konta stad…wn ¢po­ scën tÁv Rèmhv poi»­ sasqai t¾n parembol»n. „Nachdem Hannibal fünf Tage ver­weilt hatte, ließ er nach dem Abend­essen aufbre­ chen; er ließ die Feuer weiter­bren­nen und gestaltete den Abmarsch so, dass niemand von den Fein­den bemerkte, was geschah. In angestrengten und ununterbroche­nen Märschen durch­querte er das sam­nitische Ge­biet, indem er stets durch seine Vor­ huten die Gegenden entlang der Straße erkunden und besetzen ließ. Während die Leute in Rom in ihren Gedanken noch im­mer mit Capua und den dortigen Ereignis­ sen be­schäftigt waren, hatte er unbemerkt bereits den Anio über­quert und war so nahe ge­kommen, dass er nicht mehr als 40 Sta­dien von Rom entfernt sein Lager aufschlug.“ 31  Titus Livius 26,11,10–13: [10] Coelius Romam euntem ab Ereto deuertisse eo Hanni­ba­lem tradit, iterque eius ab Reate Cutiliisque et ab Amiterno orditur: [11] ex Campania in Samnium, inde in Paelignos peruenisse, praeterque oppidum Sulmonem in Marrucinos transisse; inde Albensi agro in Marsos, hinc Amiternum Forulosque uicum uenisse. [12] neque ibi error est quod tanti que exercitus uestigia intra tam breuis aeui memoriam potuerint confundi – isse enim ea constat –: [13] tantum id interest ueneritne eo itinere ad urbem an ab urbe in Campaniam redierit. „[10] Coelius berichtet, dass Hannibal auf seinem Weg nach Rom nach dort von Ere­tum seitwärts zog und sein Marsch habe in Reate, Cutiliae und Amiternum begonnen; [11] von Kampa­nien sei er nach Samnium, von dort ins Ge­ biet der Päligner gelangt und an der Stadt Sulmo vorbei zu den Marrucinern gezo­ gen; von dort sei er durch das Gebiet von Alba zu den Marsern, von hier nach Amiternum und zum Dorf Foruli ge­kommen. [12] Die Unge­wissheit rührt aber nicht



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nibal sich entschloss, Capua in Richtung Samnium zu verlassen, durchquer­ te er Regio­nen, die den Römern traditionell feindlich waren: die der Paeli­ gner (Paeligni) und der Marruciner (Marrucini). Dann kehrte er wieder zurück und durch­schritt den Ager Albensis der Marser (Marsi), bevor er in Richtung Norden, bis Amiternum bei Aquila, weitermarschierte. Anschlie­ ßend zog er wieder in Richtung Westen bis Rieti und dann nach Süden, durch das Tibertal, bis Ere­ tum. Das ist auch der Zeit­ punkt, in dem ein Teil von Han­nibals Armee das Heiligtum Lucus Feroniae plünderte. Dieser zweite – alles andere als gradlinige – Weg zeigt uns ganz deutlich, dass das Ziel der Kartha­ger nie ein Angriff auf Rom war, sondern viel eher die Römer dazu zwingen sollte, die Belagerung von Capua aufzugeben, indem sie ihre Armeen nach Rom zurückriefen. Aber die Belagerung von Capua wurde einfach fortgesetzt. Beide Geschichtsschreiber32 sind sich wieder in der Annahme einig, dass sich die römische und die karthagische Armee am Fluss Anio gegenüber daher, dass sich die Spuren eines so bedeutenden Ar­mee innerhalb so kurzer Zeit in der Erinnerung der Men­schen etwas verwischt hätten – dass er dort marschierte, steht nämlich fest. [13] Man ist sich nur darüber nicht einig, ob er auf diesem Weg zur Hauptstadt marschierte oder von der Haupt­ stadt Rom aus nach Kampanien zurück­kehrte.“ 32  Siehe auch: Appian, Hannibal 38–39, 162–169: Kaˆ Ð m7n oÛtw parabÒlwv di­esèzeto, ’Ann…bav d7 tÁv cre…av yeusqeˆv ™f’ ¿n ™v LeukanoÝv metekšklhto, ¢n­ šstrefen ™v KapÚhn, mšga poioÚmenov m¾ periide‹n pÒlin meg£lhn kaˆ eÜ­ kairon ØpÕ `Rwma…oiv genomšnhn. Prosbalën d7 tù periteic…smati kaˆ mhd7n dunhqe…v, mhd’ ™pinoîn Ópwv ¨n ™v t¾n pÒlin ™spšmyeien À s‹ton À strat…an, oÙdenÕv oÙd’ ¢p’ ™ke…nwn aÙtù sumbale‹n dunamšnou di¦ t¾n ™pite…cisin p£nt6 peri­ lam­ b£­ nousan, ™pˆ t¾n `Rèmhn ºpe…geto pantˆ tù stratù, punqanÒmenov m7n k¢­ke…nouv ØpÕ limoà pišzesqai, ™lp…zwn d7 toÝv strathgoÝv aÙtîn ¢pÕ Ka­ pÚhv ¢na­ st»­ sein, À aÙtÒv ti KapÚhv me‹zon ™rg£sesqai. SuntÒn0 dš spoudÍ dielqën œqnh pol­l¦ kaˆ polšmia, tîn m7n oÙ dunhqšntwn aÙtÕn ™pisce‹n, tîn d7 oÙd7 ™v pe‹ran ™lqe‹n Øpost£ntwn, ¢pÕ dÚo kaˆ tri£konta stad…wn tÁv `Rè­mhv ™stra­topšdeusen ™pˆ toà ’AniÁ­ nov potamoà. [39] Kaˆ ¹ pÒ­liv ™qorub»qh qÒrubon oŒon oÙ prÒteron, o„ke‹on m7n oÙd7n œcontev ƒkanÒn (Ö g¦r e1con, ™n Kam­pan…* tÒ­te Ãn), polem…ou d7 stratoà tosoàde sf…sin ™pist£ntov ¥fnw, kaˆ strathgoà di’ ¢re­ t¾n kaˆ eÙtuc…an ¢m£cou. “Omwv d7 ™k tîn parÒntwn oƒ m7n dun£menoi fš­rein Ópla t¦v pÚlav ™fÚlasson, oƒ d7 gšrontev ™v tÕ te‹cov ¢n­ep»­dwn, gÚnaia d7 kaˆ paid…a l…qouv kaˆ bšlh paršferon. Oƒ d7 ™k tîn ¢grîn sunšqeon ™v tÕ ¥stu drÒm0. BoÁv d7 pammigoàv kaˆ qr»nwn kaˆ eÙcîn kaˆ pa­rakeleÚsewn prÕv ¢ll»louv p£nta mest¦ Ãn. E„sˆ d’ aÙtîn o‰ t¾n gšfuran t¾n ™pˆ toà ’AniÁ­ nov ek­ dramÒntev œkopton. MikrÕn dš ti pol…cnion `Rwma‹o… pote ™pi­ teic… zontev A„ka­ no‹v ”Albhn ¢pÕ tÁv aØtîn mhtropÒlewv ™k£lesan: sÝn crÒ­ n0 d’ ™pi­ sÚ­ ron­ tev À dia­ fqe…rontev, À ™v t¾n ’Albanîn sÚgkrisin, ’Albhsšav aÙtoÝv kaloàsin. ToÚ­ twn tÒte tîn ’Albhsšwn ™v `Rèmhn disc…lioi drÒm0 di­ šqeon, toà kindÚnou meta­ sce‹n, kaˆ 9ma ¢fiknoànto kaˆ æpl…zonto kaˆ t¦v pÚ­ lav ™froÚroun. TosÍde pro­ qum…* bracÝ pol…cnion ™k tosînde ¢poi­

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stan­den: die Römer auf dem linken Ufer, die Karthager auf dem rechten. Die Rö­mer schütz­ten sich, indem sie die Brücke über dem Anio vernichte­ ten. Die La­ge der je­weiligen Armeen beweist, dass Hannibal unmöglich die Via Latina genommen haben kann, denn in diesem Fall hätte er auf dem anderen Ufer sein müssen. Die Folge davon ist also, dass die Elefantenarmee den Ager Albensis durch­quert hat. Dies wird allerdings auch von Titus Livius angenommen, nur zwei­felt er daran, ob es auf dem Hinweg nach oder auf dem Rückweg von Rom ge­schah.33 Für Fernand De Visscher wurde der Künstler der Elefantenskulptur aus Al­ba Fucens vom Durchmarsch der Karthagerarmee auf ihrem Weg nach Rom inspi­riert. kiîn ™cr»sato mÒnh, oŒÒn ti kaˆ ’Aqh­ na…oiv ™v Maraqîna mikr¦ pÒliv ¹ Pla­ taišwn œdrame toà tÒte kindÚnou me­ ta­ sce‹n. „[38] Von der Aufgabe ent­ täuscht, für die er nach Lukanien geru­fen worden war, rette­te sich Hannibal derart kühn; er wandte sich nach Capua und hielt es für sehr wichtig, eine so große und unter der römi­schen Herr­schaft so bedeutend gewordene Stadt nicht zu vernachläs­ sigen. Er griff die Stadt­ mauern an, vermochte aber nichts und fand auch keine Möglichkeit, Lebensmittel oder Sol­daten in die Stadt hinein­zubringen; und da nie­ mand mit ihm zusammentreffen konnte, da die Stadtmauer alles einschloss, mar­ schierte er mit seinem gesamten Heer nach Rom. Er hatte erfahren, dass jene vom Hunger gequält wurden, und hoffte, ihre Feldherren von Capua wegzuzie­hen oder selbst etwas Besseres als die Belagerung von Capua fertigzubringen. In ange­strengter Geschwindig­keit marschierte er durch das Ge­biet vieler feindlicher Völker, von de­ nen die einen ihn nicht aufhalten konnten, die an­deren es aber nicht wagten, es auf eine Schlacht ankommen zu lassen. 32 Stadien von Rom entfernt, schlug er sein Lager am Fluss Anio auf. [39] Die Stadt geriet in eine nie zuvor erfahrene Aufre­ gung. Sie hatten keine geeigneten Truppen, denn die, die sie hat­ten, standen damals in Kam­panien. Ihnen standen plötzlich ein so großes feindliches Heer und ein durch Fähigkeit und Glück unbesiegbarer Feldherr entgegen. Gleichwohl schützten dieje­ nigen der Anwe­senden, die Waffen tra­gen konnten, die Tore, die alten Männer klet­ terten auf die Mau­ ern, die Frauen und Kinder trugen Steine und Wurfge­ schosse herbei. Die Leute von den Feldern rannten in schnellem Lauf in die Stadt. Man hörte nur noch, dass alle durcheinander schrien, jammerten, beteten und sich gegen­ seitig Mut machten. Einige rannten heraus und zerstör­ten die Brücke über den Anio. Einst hatten die Römer bei den Aequern ein klei­nes Städtchen befestigt, welches sie nach ihrer einstigen Mutter­stadt Alba nannten; mit der Zeit nannten sich die Bewoh­ ner Al­benser – sei es aus Nach­lässig­keit der Aussprache oder infolge sprachlicher Ent­stel­lung, sei es, um sich von den Alba­nern zu unterschei­den. Von diesen Alben­ sern rann­ten damals 2000 in schnellem Lauf nach Rom, um die Gefahr zu teilen; sobald sie an­ka­men, be­waffneten sie sich und be­wachten die Tore. Eine kleine Stadt war die einzige von so vielen Kolo­nien, die solchen Mut zeigte, wie auch die klei­ ne Stadt Plataia den Athenern nach Marathon zu Hilfe geeilt war, um die Gefahr zu teilen.“ 33  Titus Livius 26,11,13: „tantum id interest ueneritne eo itinere ad urbem an ab urbe in Campaniam redierit.“



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Diese Skulpturen sind also zugleich ein weiteres Argument gegen die Via-La­tina-Hypothese des Titus Livius. Antonio Guarino34 reagierte sehr skeptisch gegen diesen Schluss. Er ist näm­lich der Mei­nung, dass die Elefanten des Pyrrhus nicht unbedingt asia­ tische waren. Die asiatischen Elefanten kommen nämlich aus dem entfernten Indien. Tat­sächlich hat Alexander der Große 200 indische Ele­fanten nach Ägypten importiert. Hat auch Pyrrhus seine Elefanten aus Indien mitge­ bracht? Oder wa­ren es Abkömmlinge der Elefanten Alexanders? Gua­rino glaubt nicht an diese Möglichkeiten. Er meint eher, da Pyrrhus enge Be­ ziehungen zu Ptole­mäus hatte, dass er afrikanische Elefanten aus Ägypten verwendet habe. Die Pharao­nen hatten tatsächlich Elefanten des afrikani­ schen Typus. Nach Gua­rino bestand Pyrrhus’ Armee sowohl aus afrikani­ schen als auch aus asia­ti­schen Elefanten. Den Ele­fanten des Capena-Tellers findet Gua­rino nicht rea­lis­tisch genug, um annehmen zu können, dass die Armee des Pyrrhus aus asia­tischen Elefanten bestand. Er meint, dass der abgebildete Elefant zwar kleine Ohren, aber zu lange Stoßzähne habe, um daraus defini­tive Schlüsse zu zie­hen. Guarino ist auch der Meinung, dass der Turm auf dem Rücken des Ele­fan­ten nichts be­deute. Was die Elefanten aus Alba Fucens angeht, meint Gua­rino, dass sie kei­nem lebendigen Modell entsprächen, son­ dern eher auf sum­ marischen Beschrei­ bun­ gen oder Geld­ münzen, auf denen afrikanische Ele­fan­ten abgebildet waren, beruhten. Fernand De Visscher beantwortet diesen Skeptizismus durch einen zwei­ ten Artikel.35 Er erklärt, dass Pyrrhus 281 v. Chr. in Taranto angelegt hat und dass das Elefantendressurzent­rum an den Ufern des Roten Meeres erst 280 v. Chr. in Ptolemais Theron gegründet wurde. Er be­streitet auch Guari­ nos Analyse des Capena-Tellers. Für ihn entsprechen die Stoßzähne denen eines asiati­schen Elefanten. Der „Turm“, der die Soldaten auf dem Rücken des Elefanten schützt, ist im Orient üblich. Man findet solche Türme zum Beispiel in der Armee des indischen Königs Poros in der Schlacht am Hy­ daspes 326 v. Chr. Auf dem karthagischen Elefanten hingegen sind solche „Türme“ nicht abge­bildet. Somit ist der Elefant auf dem Capena-Teller aller Wahr­scheinlichkeit nach ein Ele­fant der Pyrrhusarmee. Was die von Hannibal benutzten Elefanten angeht, so vergegenwärtigt De Visscher, dass es sich um eine Unterart afrikanischer Elefanten handelte: La­xodonta africana cyclotis oder Waldelefant. Diese Waldelefanten sind ein we­nig kleiner als die anderen afrikanischen Elefanten. Sie halten ihren Kopf tiefer und ihren Rüssel fast senkrecht in der Nähe ihrer Knie. 34  Antonio

Guarino, Letture, in: Labeo 7 (1961) 265–266. De Visscher, Encore les éléphants d’Annibal, in: L’Antiquité clas­ sique 31 (1962) 234–235. 35  Fernand

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Fernand De Visscher bekräftigt also seinen früheren Schluss, indem er ihn ver­schärft. Die durch den Künstler Albas geschnitzten Elefanten waren wahr­scheinlich Waldelefanten der Armee Hannibals, die den Ager Albensis 211 v. Chr. durchquert haben. Was könnte man heute dieser Diskussion zwischen De Visscher und Gua­ rino hinzufügen? Als Klassiker über die Elefanten im Alten Rom zählt heute noch das Buch von Howard Hayes Scullard: „The Elephant in the Greek and Roman World“ (1974). Für den Capena-Teller stimmt Scullard De Visscher zu: Der auf die­sem Teller gemalte Elefant gehört der Pyrrhusarmee an.36 Pyrrhus hat 280 v. Chr. das Adriatische Meer mit 25 000 Soldaten und 20 asiatischen Elefan­ten über­quert.37 Interessant ist auch, dass in der Antike der asiatische Elefant als der größere galt. Die damals be­kannten afrikanischen Elefanten waren nämlich Wald­ele­fanten und keine Steppenelefanten.38 Die Elefanten der Karthager waren solche Waldelefanten, die aus Maurita­ nien oder aus Numidien kamen. Hannibal hatte zwar auch einige wenige asia­ tische Elefanten, aber die große Mehrzahl seiner Herde bestand aus afrikani­schen Waldelefanten.39 Die Karthager waren in der Lage, diese Ele­ fanten mit Schiffen nach Sizilien zu bringen.40 Während des 1. Punischen Krieges hatten sie schon 50 Elefanten in Agrigentum eingesetzt.41 Die Rö­ mer haben zu dieser Ge­legen­heit auch einige dieser Elefanten in Beschlag nehmen können.42 Diese wurden dann von den Römern über den MessinaKanal verfrachtet. Wir wis­sen nicht genau, was aus diesen Elefanten gewor­ den ist.43 Fest steht jedoch, dass die Rö­mer schon zu dieser Zeit die Gele­ genheit hatten, einen Elefanten zu sehen. Als Hannibal seinen Marsch durch die Alpen für den 2. Punischen Krieg an­trat, nahm er anscheinend 37 Elefanten mit44 und keiner dieser Elefanten scheint vor der Ankunft in Italien verloren gegangen zu sein.45 Erst nach 36  Howard Hayes Scullard, The Elephant in the Greek and Roman World, Cam­ bridge 1974, 105. 37  Scullard (o. Fn. 36) 102–103. 38  Scullard (o. Fn. 36) 60–63. 39  Scullard (o. Fn. 36) 148; Charles, Carthage (o. Fn. 25). 40  Polybios, Geschichte 1,18. 41  Scullard (o. Fn. 36) 149. 42  Polybios, Geschichte 1,19; Diodor, Biblioteca historica 23,8. 43  Scullard (o. Fn. 36) 151–152. 44  So Polybios (Geschichte 3,342), der diese Anzahl im Kontext der RhoneÜberque­rung angibt. 45  Scullard (o. Fn. 36) 159.



Fernand De Visscher als Archäologe127

den ersten Schlachten verlor Hannibals Armee fast alle Elefanten. Aller­ dings schei­nen diese Verluste eher auf die Kälte zurückzuführen zu sein.46 Der ein­ zige überle­ bende Elefant wurde von Hannibal selbst geritten.47 Karthago schick­te jedoch Verstärkung und darunter auch eine unbekannte Anzahl Ele­ fanten, die Hannibal in der kalabrischen Hafenstadt Locri in Empfang nahm.48 Während der Belage­ rung von Capua, im Jahre 211 v. Chr., scheint Hannibal, laut Li­vius,49 über 33 Elefanten ver­fügt zu haben. Derselbe Livius50 schreibt jedoch ebenfalls von einer spanischen Kohorte mit nur 3 Elefanten. Wenn diese zwei Behauptungen nicht unbedingt im Widerspruch stehen, ist Scullard der Mei­nung, dass 33 Ele­fanten eine Über­ treibung darstellen.51 Über die Route, der Hannibals Armee nach Rom folgte, sind sich Scul­ lard und De Visscher einig: Sie durchquerte Alba Fucens.52 Ebenso glaubt Scullard De Visscher, wenn dieser schreibt, dass die in Alba Fucens gefun­ denen Ele­fanten ein Zeugnis dieser Durchquerung sind.53 Persönlich bin ich der Meinung, dass De Visscher und Scullard überzeugend gezeigt haben, dass Hannibals Armee den Ager Albensis mit afrikanischen Waldelefanten durchquert hat. Ob die zwei Elefantenstatuen wirklich eine Er­in­nerung daran sind, scheint mir weniger sicher, wenn auch nicht unmög­lich. Um eine persönliche Meinung zu gewinnen, unternahm ich eine Reise nach Alba Fucens. Die archäologische Stätte ist äußerst schön. Leider weiß zur Zeit offen­bar niemand, wo diese Skulpturen sich befinden. Die Archäologen von Alba Fucens wissen es auf jeden Fall nicht. Wir haben eine gute Anzahl Fotos dieser Elefanten. Wenn ich mich jedoch nicht irre, scheinen die jüngsten Fotos diese von Joseph Mertens zu sein. Sie stammen aus den Jahren 1971 und 1978 und befinden sich in Anhang zur Festschrift,54 die Joseph Mertens gewid­met wurde. Fernand De Visscher hat sie wie folgt beschrieben: „La sculpture est sommaire et d’une rudesse 46  Scullard

(o. Fn. 36) 161. Geschichte 3,379. 48  Titus Livius 23,41,10. Scullard (o. Fn. 36) 163 ist der Meinung, dass die Tat­ sa­ che wahrschein­ lich dadurch bekräftigt ist, dass zu dieser Zeit eine neue capu­ anische Silber­ münze geprägt wurde, auf der ein afrikanischer Elefant dargestellt wird. Der englische Autor sieht es als eine Bestätigung der Wichtig­keit dieser An­ kunft neuer Ele­fanten für die Karthagische Armee. 49  Titus Livius 26,5,3. 50  Titus Livius 26,5,11. 51  Scullard (o. Fn. 36) 162–163. 52  Scullard (o. Fn. 36) 163. 53  Scullard (o. Fn. 36) 163–164. 54  Jean-Charles Balty (Hrsg.), Belgica et Italica. Joseph Mertens: une vie pour l’archéologie. Alba in excelso locata saxo… Obscura incultis Herdonia ab agris. 47  Polybios,

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Abb. 2: Die Elefanten von Alba Fucens (Fotoarchiv von Joseph Mertens: Oben: Foto I-1247, Aug.1978; Unten: Foto I-1141, Aug.1971)

expressive, caractéristique de l’art archaïque. Mais le détail le plus frappant de ces curieuses représentations est dans l’énormité des oreilles qui ornent les têtes des deux pachydermes. Il n’est point nécessaire d’être natu­raliste pour savoir que c’est là un trait absolument distinctif de l’éléphant d’Afrique. Et dès lors, en supposant que l’on puisse attribuer à nos sculptures une date suffisamment ancienne, telle que le IIe s. avant notre ère, dès lors dis-je, se pose un curieux problème: où et quand les colons d’Albe ont-ils vu les premiers spécimens de cette variété d’éléphants?“ Atti del Convegno in memoria di Joseph Mertens. Academia Belgica, 4–6 dicembre 2008, Bruxelles-Roma 2012.



Fernand De Visscher als Archäologe129

Fernand De Visscher geht also von der Annahme aus, dass diese Skulp­ turen so summarisch sind, dass sie möglicherweise im 2. Jhdt. v. Chr. aus­ gehauen wur­den. Aber eigentlich ist dies nur eine un­überprüfbare Annahme. Diese Ele­ fanten sind einfach einzigartig und können mit keiner anderen ähnli­chen Skulp­tur verglichen werden. Somit sind sie auch nicht einfach zu datieren. Außerdem könnte man sich auch andere Inspirationsquellen als Hannibals Ele­fanten vorstel­len. So könnten zum Beispiel die Elefanten, die die Römer während des ers­ ten puni­ schen Krieges ge­ fangen haben, ein mögliches Modell gewesen sein.55 Eine weitere interessante Hypothese, die heute anscheinend unter den Ar­ chäo­lo­gen Alba Fucens56 bevor­ zugt wird, ist diejenige, die aus einer In­ schrift aus der naheliegenden Stadt Avezzano gezogen wird. Es handelt sich hier um eine Kalk­säule, die eine Widmung von afrikanischen Soldaten an Herkules trägt.57 Diese Solda­ten waren wahrscheinlich Veteranen des Quin­ tus Cecilius Metellus Pius, General von Sulla, von dem wir wissen, dass er afrikanische Soldaten rekrutierte. Sulla teilte seinen Veteranen auch in Alba Fucens ver­schiedene Grundstücke zu. So haben also aus Afrika stammende Soldaten in Alba Fucens gelebt. Möglicherweise ist auch dies der Zusam­ menhang zwi­schen Alba Fucens und den afrikanischen Waldelefanten. Generell muss man annehmen, dass, wenn diese Skulpturen nicht aus dem 2. Jhdt. v. Chr. stammen, sondern erst später ausgehauen wurden, die po­ten­ziel­len Inspirationsquellen mit der Zeit immer zahl­reicher werden. Zuletzt möchte ich noch kurz betonen, dass man heute einen wichtigen Un­ter­schied zwischen bei­den afrikanischen Elefantenarten macht. Wie oben schon mitgeteilt, meinte man in der Antike, dass der asiatische Elefant grösser als der afrikanische sei. Man kannte damals in Europa und in Asien nur den Wald­elefanten (Loxodonta cyclotis). Der Steppenelefant (Loxodonta 55  Siehe

o. Fn. 42. Hypothese wurde mir von den Archäologinnen Emanuela Ceccaroni und Claire De Ruyt vorgeschla­gen. Claire De Ruyt ist auch die Tochter von Franz De Ruyt, eines Archäologen, der in Alba Fucens zusammen mit Fernand De Vis­ scher und Joseph Mertens gearbeitet hat. Sie schrieb mir, dass diese Hypothese schon länger von ihrem Vater bevorzugt wurde. 57  CIL IX, 3907; I2, 1815. Cesare Letta, Schede delle epigrafi esposte, in: L’Aia dei musei. Le parole della pietra, Hrsg. Flavia de Sanctis, Rossella Del Monaco, Antonella Sa­ragosa, Daniela Villa, Avezzano 2012, 36: Herculei d(onum) [d(ederunt)] milites Africa[nis] [C]aecilianis. Mag(ister) curavit C(aius) Saltorius C(ai) f(ilius). 56  Diese

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africana) war für sie lange fremd. Man ist lange davon ausgegangen, dass die Wald­elefanten nur eine Unterart der afrikanischen Elefanten waren. In­ zwischen haben geneti­sche Untersuchungen aber gezeigt, dass die Waldele­ fanten sich genetisch we­sentlich von den Steppenelefanten absondern.58

58  Alfred L. Roca, Nicholas Georgiadis, Jill Pecon-Slattery, Stephen J. O’Brien, Ge­netic Evidence for Two Spe­cies of Elephant in Africa, in: Science 8 / 24 / 2001, Vol. 293, Is­sue 5534.

“I ask and he gave his opinion” (quaero, respondit) – Some Reflections on the Forms of Legal Questions and Re­sponses in D. 17,1,59 and on their Background By Tomoyoshi Hayashi I. Who is the “I” who asks? – D. 17,1,59 (Paulus libro quarto re­spon­sorum) as the starting point of enquiry 1. D. 17,1,59 – Text and translation I had a chance to analyze the following source in the course of my study on mandatum. In this article, I want to focus on the way the questions are pre­sented and responses are issued, while treating of the substance of the jurist’s ar­gument itself only briefly. It reads as follows. D. 17,1,59 Paul. 4 resp.1 Si mandatu Titii Calpurnius pecu­ niam quam Titius credebat stipu­ latus esset non donandi animo, man­dati iudicio eum ab herede Titii posse conueniri, ut actiones suas praestet: idem est et si exacta est a Calpurnio pecunia. (1) P a u l u s r e s p o n d i t fide­ ius­ sorem, qui rem pignoris iure ob­ ligatam a creditore emit, mandati iudicio conuentum ab herede debi­ toris oblato omni debito restituere cum fructibus cogendum neque ha­ ben­ dum similem extraneo emp­ tori, cum in omni contractu bonam fi­dem praestare debeat.

Should Calpurnius, on Titius’s mandate, have stipulated for money which Titius was lending with no intention of making a gift, [it is agreed that] he can be sued by Titius’s heir in an action on mandate to oblige him to assign his actions; and the position is the same if the money was exacted by Calpur­ nius. Paul gave the opinion that a verbal guaran­ tor, who bought from the creditor an article subject to a right of pledge, [if] he is sued in an action on mandate by the debtor’s heir, who has offered to repay all that is owed, must be compelled to restore it along with the fruits; nor ought he to be regarded as in the same position as a third-party buyer, since he must show good faith in the whole contract.

1  The text of Theodor Mommsen (ed.), Digesta Iustiniani Augusti (Editio maior) I–II, Berlin 1868–1870, is quoted as to Digesta.

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(2) P a u l u s r e s p o n d i t die ad­iec­to in mandato, intra quem prae­staturum se Lucius Titius scrip­ sit, non esse impedimento, quo minus etiam post eum diem con­ueniri man­dati iudicio possit. (3) P a u l u s r e s p o n d i t unum ex mandatoribus in solidum eligi posse, etiamsi non sit concessum in man­ dato: post condemnationem autem in duorum personam colla­tam nec­ essario ex causa iudicati singulos pro parte dimidia con­ueniri posse et debere. (4) Creditor pignus uendidit: q u a e ­ r o , an, si euicta sit possessio emp­ tori, regressum creditor ad man­ datorem habere possit et an in­tersit, creditoris iure uendiderit an com­ muni iure promiserit. P a u ­ lus re­ s p o n d i t , si creditor ex pre­ tio pignorum debitum con­ se­ cutus non sit, mandatorem libe­rum non ui­deri. ex hoc responso appa­ ret, si euic­ tionis no­ mine non tene­ atur, pro­ ficere eam rem ad libera­tionem. (5) ‘Ille illi salutem. Mando tibi, ut Blaesio Seuero adfini meo oc­toginta credas sub pignore illo et illo: in quam pecuniam et quid­quid usurar­ um nomine accesserit in­ demnem rationem tuam me esse ex causa mandati in eum diem, quoad uixerit Blaesius Seuerus, praestatu­ rum.’ postea saepe con­ uentus mandator non respondit: q u a e r o , an morte debitoris libe­ra­tus sit. P a u l u s ­r e s p o n d i t mandati ob­li­gationem perpetuam esse, licet in mandato adiectum ui­deatur in­dem­nem ratio­ nem tuam me esse ex causa man­ dati in eum diem, quoad uixerit Blaesius Se­uerus, prae­st­aturum. (6) P a u l u s r e s p o n d i t non ui­deri mandati condicioni paritum, cum in mandato adiectum sit, ut idonea cautio a debitore exigere­ tur, si neque fideiussor ne­que pi­gno­ra ac­ cepta sint. [spacing by the author]

Paul gave the opinion that the insertion in a mandate of a date within which Lucius Tit­ ius wrote that he would fulfill his prom­ise is not a bar to his being sued in an ac­tion on mandate even after that date. Paul gave the opinion that one of [several] mandators could be chosen [as liable] for the whole, even if this was not [specifical­ly] agreed in the mandate; however, after judg­ ment had been given against the per­sons of the two [mandators], it followed by reason of the judgment delivered that each could and should be sued for a half share. A creditor sold a pledge. If the buyer has been evicted from possession, can the credi­ tor have recourse to the mandator? And does it make any difference whether he sells by the right of a creditor or prom­ises it under the general law? Paul gave the opin­ion that if the creditor has failed to recover the [whole] debt from the sale price of the pledges, the mandator does not seem to be released. It is clear from this opinion that if he is not liable on account of the eviction, the article [sold off] can serve to release him. “ ‘A’ to ‘B’, greetings. I charge you to lend my relation Blaesius Severus eighty under such-and-such pledges; for which money, and anything which is added under the heading of interest, I shall be surety that your account is secure from loss by reason of the mandate for so long as Blaesius Severus shall live.” Subsequently, after be­ ing repeatedly summoned, the mandator failed to give a reply. Has he been released by the death of the debtor? Paul gave the opinion that the obligation of the mandate was perpetual, even though there may ap­ pear to be added in the mandate: “I shall be surety that your account is secure from loss for so long as Blaesius Severus shall live.” Paul gave the opinion that there did not ap­ pear to have been compliance with the terms of mandate if, when it was [specifical­ ly] added in the mandate that suitable security should be demanded of the debtor, neither a verbal guarantor nor pledges were taken.2



Legal Questions and Responses in D. 17,1,59133

2. The external character of the fragment Before proceeding to the main theme, I give a brief survey of the frag­ ment it­ self. It bears the rubrica “Paulus libro quarto responsorum” and Lenel con­jectures the title of the volume to be “Si certum petetur”.3 It is composed of 7 paragraphs (pr.-6). Paragraph 6 reports a general statement on the de­mand for real or personal surety by Paulus in the form of an opin­ ion of his. The others present concrete cases and introduce the opinions of Paulus to establish the rights and responsibilities attributable to the inter­ ested parties. The general theme of these paragraphs is, apparently, the rela­ tion between the contract of mandate and real surety or per­sonal surety in the form of a mandator or fide­iussor. This conjecture is supported by the general and conclusive statement in paragraph 6. 2

3. The interested parties and presupposed cases I shall deal here with the actual cases by showing the apparently inter­ ested par­ties and presupposing the unmentioned ones.4 (pr.) In this paragraph, Titius, Titius’ heir, and Calpurnius figure as in­ter­ ested parties; I would suppose further an unmentioned debtor (to be called hereafter “debtor”). Titius lent money to a debtor. Titius gave a mandate to Calpurnius to obligate the debtor to repay the lent money to Calpurnius in the form of stipula­tion, thus making Calpurnius stipu­lator. This mandate was not given with the intention of Titius to make the pay­ ment of the money by the debtor a gift to Calpurnius. Titius died and his heir can sue Calpurnius to assign his actiones acquired as stipulator to him. This scheme is identical to the case where Calpurnius really had collected the money from the debtor: then Calpurnius should hand it over to Titius’ heir. I think 2  Alan Watson, The Digest of Justinian – Revised English Language Edition, Phil­adel­phia 1998 (hereafter Watson 2nd ed.), II 38. 3  Otto Lenel, Palingenesia Iuris Civilis I–II, Leipzig 1889 (hereafter Lenel, Pal.), I 1227. 4  I abstain from quoting specifically, but I also consulted the following transla­ tions including their footnotes, the glosses, and especially the casus of the Glossa. In this paper I endeavoured to reconstruct in detail the cases at the expense of re­ dundancy, rather than present a literal translation of the texts. The interested parties are shown at the beginning of the transaction of each paragraph. Translations by Carl Eduard Otto u. a., Das Corpus Juris Civilis, Leipzig 1831 (hereafter Otto, CJC), II, 304–306; Okko Behrends u. a., Corpus Iuris Civilis Text und Übersetzung, Heidelberg 1999 (hereafter Behrends, CIC), III, 398 f.; Glossa: Corpus iuris civilis iustinianei / studio et opera Ioannis Fehi, 1627 (Repr. Osnabrück 1965) I, pp. 1651– 1653.

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that Calpurnius may have refused the demand of Titius’ heir, arguing that the mandate was dissolved by Titius’s death.5 But Paulus con­cludes that Calpurnius is obliged to as­sign the actiones, which had originally been ac­ quired by Calpurnius on the ground of mandate, to Titius’ heir. (§ 1) In the first case of this paragraph where the exercise of the credi­ tor’s right to the pledge is at question, the surety and buyer of the pledge, the cred­itor and seller of the pledge, and the heir to the debtor figure. The debtor re­mains unmentioned but should be supposed. In the second case where a nor­mal sale is assumed, a third-party uninvolved buyer figures in place of the surety. Paulus gave the following opinion. The surety bought from the creditor a pledge which had been offered by the debtor. The debt­ or’s heir offered to pay the entire debt to the creditor. If the sale had been done according to the cred­itor’s right as pignerati­cus creditor, the heir can force the buyer to return the pledge with revenues. How­ever, this scheme cannot be ap­plied to the case where the sale was with a third-party buyer. This is because good faith is to be observed in this contract. I think there is some room for con­jec­ture that man­date had intervened between the debt­ or and the fideiussor and the dissolution of the mandate by the death of the debtor in the first case. But Paulus con­cluded that the the heir’s claim for restoring the pledge at the hand of the fideiussor, an interested party for the creditor and the debtor’s heir, was justifi­able. (§ 2) In this paragraph, only Lucius Titius appears as a debtor who has to pay within a limited period. Whether he is a mandator or a mandatary is not speci­fied but either of them is possible. A creditor should be assumed. Paulus has as follows replied. A date, within which Lucius Titius wrote he himself should pay, has been inserted into to the mandate. Even after the passage of the date, it cannot be an obstacle to sue him according to the iudicium of the mandate. (§ 3) In this paragraph, several mandators of a so called mandatum qualifi­ca­tum figure. The creditor is not mentioned but should be sup­posed. Paulus re­plied as follows. There were several mandators. Even if it had not been spec­ified who among them was to pay the full amount, the unmen­ tioned cred­itor can choose from them the one who should pay the whole sum owed. On the other hand, after the sentence had been issued against two persons jointly, each of them can be and should be charged for just half the sum owed. In this case, the difference with the case of several fideiussores who were given the benefit of division by the epistula Divi Hadri­ani is pointed out in the modern transla­tions.6 5  I.

3,26,10. CJC II 305, n. 91; Behrends, CIC III 398, n. 3.

6  Otto,



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(§ 4) In this paragraph, the creditor and seller of the pledge, the buyer of this, and a man­dator regarding the mandatum qualificatum figure. The true owner of the pledge remains unmentioned but should be assumed. In this case, a creditor sold a pledge to a buyer, the true owner appeared and de­ prived the buyer of his possession. The creditor also had a mandator as quasi surety for the obligation underlying the pledge. Evidently, the creditor had given the loan in compliance with a mandate and furthermore he had required a pledge of the debtor. I ask whether the creditor could pursue the mandator due to the malfeasance as the result of the depriva­tion of posses­ sion. It was also asked whether it made a difference in case the creditor had sold it according to his right on pledge or had pro­mised according to the common law of sale, e. g. double payment in case of eviction.7 Paulus re­ plied as follows. If the creditor failed to recover the debt (for which the mandator was involved) from the price of the pledge, the man­dator was not considered to be free from his liability. From the response of Paulus it seems following that unless the creditor and seller is held responsible for the evic­tion, the pledge can provide for the release of the mandator from his liabil­ity. (§ 5) In this paragraph, the mandator concerning the mandatum quali­fica­ tum who wrote a letter, the creditor tu as addressee of the letter, Blaesius Severus as the principal debtor apparently appears. There is no need to as­ sume an unmentioned person. This case is introduced by the text of a letter address­ed to the money lender and creditor by the mandator as quasi sure­ ty. By writ­ing it, the mandator requests the lender to lend money to the amount of 80 to the debtor Blaesius Severus, his relative, and the mandator offers security for this. He takes on him to pay for the money and interest in case of Blaesius Severus’s failure to pay in order to maintain the account of the lender unim­paired. Ac­cording to the mandate as phrased in the letter this was as long as Blaesius Severus was alive. Having received this letter, the lender repeatedly requested the mandator to pay but the mandator would not respond to the re­quest until the day of Blaesius Severus’ death. It is asked if the mandator is freed from his liability by the death of the debtor, Blaesius Severus. Paulus replied as follows. The obliga­tion of mandate is perpetual despite the addition of the clause to as­sume the responsibility as mandator only until the last day when Blaesius Severus was alive. My considerations on the substance of the presupposed cases and the opin­ions of Paulus end so far. Now I turn to the mode of presenting cases and prob­lems as well as that of quoting responses of Roman jurists.

7  Otto,

CJC II 305, n. 93; Behrends, CIC III 399: „nach allgemeinem Kaufrecht“.

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4. The mode of presenting the question and giving the opinion in the frag­ment – who is ego? The principium of this fragment does not specify that the argu­ment con­ tained is Paulus, but the other 6 paragraphs evidently quote the opinions of Paulus with the expression Paulus respondit. What attracts my curi­osity is the way in which the questions are posed in the 4th and the 5th para­graph. Here, the expression “quaero” is used. Who is the ego who poses the ques­ tion when it is Paulus him­self, who gives the opinions in the writings of Paulus? No word­ing like quaeror (“I am asked”) or quaesitus sum is used. If this work is to be ulti­mately attrib­uted to Paulus, quaesitus sum (“I have been asked”) and respondi should be logically an appropriate pair to pose a ques­tion and case and to give a response. Using the third person instead of the first one in pre­ senting one’s authoritative answers or doctrines is easier to under­stand, even if it is the author himself who writes them as his own. In this case, it is Paulus, a ju­rist in charge of giving responses and not ego (“I”), who issued the answer. I shall later consider why the tense is perfect. Then, why quaero is repeatedly used to present a question and case? Who is ego? II. The original setting of giving responses – jurists, clients and pu­pils 1. Legal consultation and legal education in the republican and principate Rome I would like to present three logically possible persons who may be the sub­ject of quaero. But before examining these possibilities, I want to take a glance at the original settings in which juristic answers were given and at the people who were around the jurist. Since the days of the mid Republi­ can period, dat­ ing back for more than 400 years from the late classical period when Paulus worked, autho­ritative jurists had been giving responses to persons in need of legal knowl­edge, whether they were magistrates or citizens.8 For example, Mar­cus Tullius Cicero vividly illustrates the way jurists were consulted by citizens in the daily life of Rome in the late sec­ ond century B. C.9 Jurists would have given re­sponses to their clients prob­ ably orally in most cases ac­cording to Cicero. Were only ju­rists and clients present at the consulting scene? Probably also young jurists in spe would 8  Wolfgang Kunkel / Martin Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, Köln 200514 (hereafter Kunkel / Schermaier), 126–128. 9  For example Cicero de off. 2,65; de oratore 1,48,212.



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have been attending their teacher and would have watched and lis­tened how he worked by giving re­sponses to his clients.10 A jurist of the Princi­pate, Sextus Pomponius, gave the name audi­tores (hearers) to the pupils of Servi­ us Sulpicius Rufus, a leading jurist of late Republican Rome.11 This naming suggests a relationship with a teacher. They must have listened to his opin­ ions in the course of training. But we should also take note that we are facing the text of Paulus, who be­longs to the late classical period of Roman legal science and who worked in the early A. D. third century.12 By this period, the genre of Institutiones had been established in the A. D. second century as educational material and opin­ions of great jurists were often collected and written down in the form of liber respon­sorum or libri responsorum. So, the oral character of giving opin­ions may have decreased in Paulus’ times and young law stu­ dents may have studied their teacher’s doctrine, as well as that of other great prede­cessors, mainly through books. 2. Three possible subjects of “quaero” Having made a very sketchy overview on the responding activity and legal educa­tion, I would like to present three logical possibilities as to the subject of quaero. The first is the client in need of a legal opinion (hereafter I call this the “cli­ent hypothesis” for convenience). The second is his pupil (hereafter the “pupil hy­pothe­sis”). The question may have been directly posed to the jurist by his pu­pils and he may have answered it directly. Or, the dialogue be­ tween teacher and pupil may have been reconstructed in the posterior edito­ rial proc­ess. The third possibility is that the jurist himself constructed ques­ tion and reply (here­after the “jurist hypothesis”). The client hypothesis is the most probable considering the purpose and na­ture of the response activity. As to the pupil hypothesis, the dialogue be­ tween teacher and pupil, whether real or fictional, is a convenient way to de­velop a doctrine. I think that it is found regardless of disciplines, periods and places. Many philosophi­cal, religious, or other arguments were unfold­ ed in the form of ques­tion and answer and students would have found it 10  On the informal and personal character of Roman legal education in the Republi­can period and its possible continuity in the Principate period as well as on the atten­dance of young law pupils at their master’s professional activity, see Kathleen M. T. Atkin­son, The Education of the Lawyer in Ancient Rome, South African Law Journal 31 (1970) 37 f., 45–49, 52 et passim. 11  D. 1,2,2,44 Pomp. sing. enchir. 12  Kunkel / Schermaier 161 f.

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easy in this genre of writing to discern the issue. Referring to Plato and Confucius may lead us astray from our argumentation. But the like of the title of a book as 師弟問答 Shitei-Mondō “The Dia­logue between teacher and pupil” can be found in sev­eral cul­tural tradi­tions. The jurist hypothesis is also probable be­cause asking oneself is a very common way to develop one’s own argument. Many reflec­tions were formulated in the form of ask­ ing oneself. In Japanese, there is an expression 自問自答 (Jimon-Jitō), which means asking to oneself and re­plying to oneself. It is a con­venient way to sharpen and propel one’s ar­ gument and is found re­ gard­ less of ­periods, disciplines and places. So as to examine these three possibilities, I would like to make a survey in two steps. Both times the work was done primarily according to the quoted texts in Lenel’s re­construction of the authors.13 Firstly, I checked the frag­ments of Pauli libri responsorum with particular attention to the form in which ques­tions and answers were pre­sented and I also tried to find the gen­eral characters and tendencies. Sec­ondly, I browsed through the texts of all ten ju­ rists’ libri respon­sorum in Lenel to put the work of Paulus in chronological and com­parative context. III. The form and character of asking and giving responses in Pau­li libri responsorum – inquirer, tense, responder and addressee In this chapter, I want to analyze the way of questioning and responding. As focal points of analysis in this chapter and the next one, I paid par­ticular at­tention to four points. That is, subject (Who asked and who re­sponded?), tense (When was it asked and responded?), mode / form of expression (how was it asked and re­sponded?) and addressee (To whom was the question and the re­sponse given?). The classified results for this chapter are given in Table 1. Let us begin with the form of asking. As is evident from the Table 1, in the 154 frag­ments collected by Lenel, 54 contain at least one quaero form to make questions. 18 contain at least one qaesitum est (“it has been asked”) form and 3 contain one quaeritur (“he or it is asked”) form.14 As to quaesitum est, the sub­ject is clearly a question or a matter and not a jurist. But the expression quaeritur allows two interpretations. That is, “the jurist is asked” or “the ques­tion is asked”. Quaero is rather dominant in the work 13  Lenel,

Pal. can be found in Nr. 1446 (D. 50,1,21, Lenel, Pal. I 1224), Nr. 1458 (D. 5,1,49, Lenel, Pal. I 1226), Nr. 1594 (D. 48,5,41, Lenel, Pal. I 1250). 14  Quaeritur



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of Paulus compared with quaesitum est or quaeritur expressions. I would like you to wait for the moment for my final judgment on the connotation of quaero. At any late, the question is issued by ego and the process of dialogue appears to be going on with the pre­sent tense, active voice and the indicative mood. On the other hand, quaesitum est suggests an objective exis­tence of the question. It has already been put for­ward and exists now as a result. This would be the connota­tion of the use of passive voice, per­ fect tense and indicative mood. Again, the subject of quaeritur can be the jurist or a question. This expression also sug­gests the on­going process of dialogue but the questions and answers seem to exist objec­tively with some distance from the author who writes down the text.15 As to responding, 115 fragments contain at least one respondit, or Paulus re­spondit forms to introduce the response.16 12 fragments contain at least one respondi (“I have responded”) form. No other variations could be found in the work of Paulus. If I can make some observations on this re­ sult, I would say that responses of jurists are issued in an objective and absolute way. Whether the issuer is ego or is (he), they must come into existence abso­ lutely and go on existing objectively and unchanged with authorities. The fuzzy proc­ ess during the argumentation, if any, should have been settled previously to make them appear as fixed. The above may be the connotation of the use of the active, perfect tense and the indicative mood. Then I turn to the problem of the combination of forms of asking and re­spond­ing. quaero with (Paulus) respon­dit occurs 48 times and is the most fre­quent. Then quaesitum est with (Paulus) respon­dit occurs 14 times, quaero with respondi 7 times, quaesitum est with respondi twice, quaeritur with (Paulus) respondit occurs 3 times.17 The combination of quaero and respondi, that is, “I ask and answer” (Jimon-Jitō type), surely exists. Vari­ous combina­tions of ego, is and impersonal passive expression among the ques­ tioner and responder seems to be possible in his work. Indeed, a frequent switch among the subject of questions and an­swers is conspicuous as to some frag­ments. For exam­ple, the combination of quaero and respondi ap­ pears and re­spondit ex­pression without question is repeated twice, then the combination of quaero and respondi follows in Nr. 1547.18 I introduce just 15  No combination of quaeritur and respondi could be found in the work of Paulus. 16  Whether the jurist’s name was added or not is not considered in this article. As to the Nr. 1553 (D. 31,86 pr., Lenel, Pal. I 1242), I take the text literally as Paulus re­spondi. I refer to the notes given by Mommsen to the text. 17  An apparent discrepancy derives from the fact that Nr. 1594 (D. 48,5,41, Lenel, Pal. I 1250) con­tains both quaesitum est and quaeritur. 18  Lenel, Pal. I 1241, D. 29,1,40.

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one more example. The combina­tion of quaero and Paulus respondit ap­ pears once and a single re­spondi appears once, then the same combination of quaero and Paulus re­spon­dit is repeated twice in Nr. 1562.19 IV. The tradition of libri responsorum – the chronology of Pauli libri responsorum and a comparison with the other libri responsorum works In this chapter, I want to make a comparison of the work of Paulus with those works with the same title liber or libri responsorum (book(s) of respon­ses) and situate it in the chronological formation and development of this genre of works. Lenel reconstructs the books of 10 jurists.20 That is, Iulius Aquila (here­ after Aquila),21 M. Antistius Labeo (hereafter Labeo),22 Ulpius Marcellus (hereafter Marcellus),23 Herennius Modestinus (hereafter Modestinus),24 L. Neratius Pris­ cus (hereafter Neratius),25 Aemilius Papinianus (hereafter 26 Papinianus), Pau­lus,27 Masurius Sabinus (hereafter Sabinus),28 Q. Cervidi­ us Scaevola (here­after Scaevola),29 Domitius Ulpianus (hereafter Ulpianus).30 They can be arranged chronologically as follows:31 Labeo, Sabinus, Nera­ tius, Marcellus, Scaevola, Papinianus, Paulus, Ulpianus, Aquila, Modesti­ 19  Lenel,

Pal. I 1244 f., D. 31,87. order is as appears in Lenel. Though some other jurists are reported to have left responses (one even with the title of the collection), Lenel does not give independ­ent titles to the sources. e. g. Aulus Ofilius (Lenel, Pal. I 799 f.), Papirius Fronto (Le­nel, Pal. I 947 Papirius Fronto libro tertio responsorum ait, D. 50,16,220, Nr. 1 Call. 2 quaest.). The expression (the jurist) respondit can be found as early as the late re­publi­can period i. e. among the sources attributed to Servius Sulpicius Rufus (e. g. Lenel, Pal. II 324). But the expressions related to respondere (to answer) is not attested as to Quin­tus Mucius Scaevola Pontifex (Lenel, Pal. I 757–764), who is earlier than Servius Sulpicius Rufus. 21  Lenel, Pal. I. 501 f. 22  Lenel, Pal. I 536 f. 23  Lenel, Pal. I 634–638. 24  Lenel, Pal. I 740–755. 25  Lenel, Pal. I 775–777. 26  Lenel, Pal. I 881–946. 27  Lenel, Pal. I 1223–1251. 28  Lenel, Pal. II 189. 29  Lenel, Pal. II 287–316. 30  Lenel, Pal. II 1016–1019. 31  I follow Bretone’s chronological table (Mario Bretone, Manuali Laterza Storia del diritto romano, Bari, 20018, 428–434). 20  The



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nus. They cover the span roughly from the late first century B. C. to the mid A. D. third century. Paulus is a pupil of Scaevola and belongs to the late classical period jurists.32 So he belongs to the relatively late group. The classified result of the browsing of the texts is shown in Table 2.33 As to the works of Aquila, Labeo and Sabinus, less than 2 fragments are col­lected. As to the work of Neratius, only 10 extant fragments derive from his work in total. Respondit appears only twice among them and I could find few clues to its charac­ter. So, it is hard to deal with the work of these four jurists. Then, how about the other 6 works? I would like to begin by showing the general character of each work, which are sometimes very conspicuous. As to Marcellus, every fragment of Marcel­lus, 16 in total, has the combination of quaero and Marcellus re­ spondit, with­out any exception.34 So, the combination of ego and is is not the invention of Paulus. As to Papinianus, few idiomatical words to set questions are used de­spite the out­standing volume of the extant source.35 Mostly, the ques­tion is set by words of Papinianus himself in the form of a case and the answers are given as a mono­logue of his. 50 fragments show the insertion of re­spondi. There are 4 anoma­lous forms of expression of responding in Papinianus’s work, two of which are responsum est (“it has been responded”). The other two are euphe­mistic uses of the word respondere, i. e. respondendum est (“it should be re­sponded”) or re­spondendum erit (“it would have to be re­sponded”), which are found only with Papini­ anus.36 These exceptions are really few compared to all the works of all ju­rists; the strong tendency to give re­sponses with the ex­pres­sion respondi or respondit is thoroughly dominant. I must add that many frag­ments are kept in the form of indirect references to Papinianus’ work. In sum, the work of Pap­inianus occupies a unique place among the works of this genre. As to Ulpianus, the extant sources of his libri respon­sorum is im­pres­sively 32  Kunkel / Schermaier

161. to the volume of the texts, I had to confine the scope of research to the typical 4 forms of asking and responding. Accordingly, the classified sum is not shown as to their combinations. For precise limitations of the research, please refer to the notes given to Table 2. Important anomalous forms of expression are quoted individually for the subsequent argument. 34  Lenel, Pal. I 634–638. 35  Nr. 692 (Lenel, Pal. I 936 f., D. 10,2,35 = Vat. 258); Nr. 702 (Lenel, Pal. I 939, D. 39,6,42 pr.). 36  The anomalous expressions, i. e. those other than the respondi or respondit in the work of Papinianus are as follows: Out of four expressions, two have an eu­ pheministic connotation. respondendum erit (Nr. 599 Lenel, Pal. I 917, D. 31,77,1); respondendum est (Nr. 620 Lenel, Pal. I 925, D. 36,1,60,3) responsum est (Nr. 733 Lenel, Pal. I 943; Vat. 333; Nr. 571 Lenel, Pal. I 911, D. 31,76,2). 33  Due

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scanty considering the absolute great volume of all the works which he left behind. Addressees of the responses are often specified by name in his work.37 As to Modestinus, the combi­nation of quaero and (He­rennius Mode­ stinus) respondit is dominant throughout the source. But the passive or im­ personal asking, that is, quaeritur, quaerebatur could be found in 8 frag­ ments, as well as responses with re­spondi in 3 fragments.38 Switches of subject within a frag­ment did occur also. As to Scaevola, every form of asking and respond­ ing as well as all combination of form and switches between subjects can be found.39 There was also a consider­able number of anomalous and rare ex­pressions.40 To summarize my general ob­ser­va­tions, the quaero form of ex­pression is found among Marcellus, Mod­estinus, Pau­ lus and Scaevola, the combination of quaero and (the jurist) re­spondit among all four jurists, that of quaero and respondi among Paulus and Scaevola only. Switches between the subjects are seen with Scaevola, Pau­ lus and Modestinus. Then I would like to give my opinion as to who is the author of quaero. In do­ing so, I focus my attention on the above mentioned four points re­ garding the ques­tioning and responding (by whom, when, how, to whom), that is, the per­sonal, edu­cational and social context of asking and respond­ ing. Of the three hypotheses proposed as to the subject of quaero, I would like to sug­gest the “author hypothesis” as the most probable one. This is because I found one phrase consultus quaero (“having been consulted, I 37  9 fragments of Ulpianus show the addressee as follows: The titles are not speci­ fied except “Maximinus” and “Maxima” (Nr. 2388 Lenel, Pal. II 1016, D. 17,2,73), “Fes­ tus” (Nr. 2392 Lenel, Pal. II 1016, D. 22,3,30), “Iunianius” (Nr. 2398 Lenel, Pal. II 1017, D. 32,68), “Callippus” and “Fronto” (Nr. 2402 Lenel, Pal. II 1017, D. 46,3,45), “Valeri­anus” (Nr. 2403 Lenel, Pal. II 1017, D. 46,5,10), “Charidemus” (Nr. 2405 Lenel, Pal. II 1018, D. 50,12,5), “Mactorius Sabinus” (Nr. 2409 Lenel, Pal. II 1018, D. 22,3,31), “Aurelius Felix” (Nr. 2414 Lenel, Pal. 1018, Vat. 44), “Imperator Alexan­der” (Nr. 2420 Lenel, Pal. 1019, C. 8,37,4). 38  No expression quaesitum est could be found. For example, the passive form ques­ tion can be observed at the following source, a switch between the subject within a fragment can be found there as well. Nr. 295 (Lenel, Pal. I 743, D. 20,1,26). For the expression respondi, see Nr. 282 (Lenel, Pal. I 741, D. 50,1,36), Nr. 288 (Lenel, Pal. I 742, D. 3,5,26) and Nr. 291 (Lenel, Pal. I 743, D. 5,2,11). Quaerebant (“they were asking”) is a rare anomaly throughout all 10 jurists’ sources and sug­ gests that inter­ested parties, brothers and fiduciaries of the fideicommissum of the deceased, directly made questions (Nr. 331 Lenel, Pal. I 753, D. 22,3,15). 39  Just as an example, see the long passage of Nr. 258 (Lenel, Pal. II 297–300) for vari­ety and switch of subject. But only respondi can be found as an expression of re­sponding. 40  Quaesiit (“he has asked”) is rare and may be anomalous, see Nr. 221 (Lenel, Pal. II 289, D. 10,2,39). Interrogatus ita respondit (“having been inquired, he has answered as follows”) at Nr. 237 (Lenel, II, 293, D. 18,3,6) is unique.



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pose the following ques­tion”) in the work of Scaevola. Though this is noth­ ing but one evidence, it gives a support in settling my own conclusion. Naturally, it is possible to infer that ego in this source is Scaevola’s pupil who intervened the client and the jurist. But it is more probable that ego is the jurist himself con­sidering the fre­quent switch among the subject of ask­ ing in this fragment.41 D. 34,1,13,2 Scaev. 4 resp. Item c o n s u l t u s de tali scriptura ‘et tecum sint semper uolo’: q u a e ­ r o , cum manu­missi ab he­rede cum eo morati diu sint, sed ob grauiorem seruitutem ab eo discesserint, an alimenta his debe­ antur, quae negat se praestare, nisi uice seruitutis is uteretur. r e ­ spon­ d i t secundum ea quae pro­ponerentur deberi. [spacing by the author]

Likewise, being consulted about a phrase such as the following, “and I wish them to reside with you for all time,” I ask, when [slaves] manumitted by the heir have re­ mained with him for a long period but have left him on account of a rather oppressive servi­tude, whether there is owed to them the aliment that he refuses to provide unless he were to have the use of them in place of slaves. [Scaevola] has given it as his opin­ ion that according to the facts as alleged it is due to them.42

In most of the extant fragments of all jurists the names of the persons ques­ tion­ing are not mentioned. They may have been omitted at the time of draft­ ing or deleted in the course of the posterior editing process. But some have in any case survived and show that some questions were directly made by clients, that is, interested parties or magistrates. We can see it in the form of a dialogue or in the specification of the questioner. Addressees of the re­ sponses are also spec­ified by name or accompanied by a title in some cases. 42

Indeed, legal responses were not just abstract words on law and society meant to circulate only within the community of jurist teacher and pupils in the Roman legal tradition. They were definitively issued in response to consul­tations of clients in need of legal advice. The extant books of respons­ es seem not to be a mere accumulation of questions which arose in the daily adminis­ tra­ tion of offi­ cials, or in the daily life of citizens, as well as of ­answers, directly given to them to satisfy their direct needs. Again, direct enquiries from clients are definitively attestable in various forms, with the exception of the quaero form of expres­sion.43 I would like to make some sug­ 41  The combination of quaero and respondi precedes within the same fragment (D. 34,1,13 pr. Scaevola 4 quaest.). 42  Watson 2nd ed, III, p.144. 43  One of the responses by Papinianus was reported to be addressed to the prae­ tor Iunianius (Papinianus Nr. 499 Lenel, Pal. I 898, D. 23,4,2). An interested party, that is a buyer of an estate from the deceased person’s wife who was nominated as heir, ap­pears as a questioner (Scaevola Nr. 278 Lenel, Pal. I 307, D. 31,89,7). The expression Paulus respondit … postea consultus … respondit (“Paulus responded.

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gestions with regard to the pos­sible func­tion of the jurists in filtering or mod­ ifying, applied in at least some cases by the jurists to mere consultations by clients. My suggestion is that the expression quaero is used when the mere consultations were received by the jurist and then modified to form an ap­ propriate question, in order to lead to a legal response, while various prem­ ises were adjusted to form a good case for the case collec­tion.44 How about legal education? Was not ego a pupil? In the course of perus­ ing the texts, no indication of a jurist’s pupil as inquirer could be found in any work. But in a note of Paulus on the work of Scaevola Paulus is iden­ tified, specified by his name, and Scaevola’s responses were cited by Pau­ lus.45 First, this suggests that the work of Paulus’ master was carefully read and examined in a written form by him. Then, we must take note of the fact that Paulus was sup­posed to be beside his master and to have absorbed his art and skill through oral communication, which is attested by his affectionate and nostalgic men­ ­ tion of Scaevola’s legal opinions. That is, Scaevola noster aiebat (“our Scae­vola used to say that”), haec et Scaevolae nostro placuerunt (“our Scaevola also took these opin­ions”).46 So I have to modify the conjecture I presented above and I should emphasize the con­ siderable importance of an oral educa­tion and discus­sion in Paulus’ times, despite the increase of legal literature. But the col­ lections of responses themselves would not have been formulated as a dialogue between teacher and pupil. If they would have been made in such a way, traces of the pupils would have been left like in the notes by Paulus. So far as we can see in the extant texts of the libri responsorum, the responses of a jurist were is­ sued by himself as absolute and objective words, primarily di­rected to the client (please note that nine of Ulpianus’ fragments are ad­ dressed to individu­als), then collected and edited in a written form, and were shared by the jurists belonging to the later generations as such.47 Then he was consulted and replied as below”) suggests a dialogue between the client and the jurist during the consultation process (Nr. 1548 Lenel, Pal. II 1241, D. 28,2,25). 44  My conjecture may be strengthened by the repetition of the combination be­ tween quaero and Marcellus respondit without any exception (Lenel, Pal. I 634–638). 45  For instance Scaevola Nr. 257 (Lenel, Pal. II 297, D. 5,2,13); Nr. 265 (Lenel, Pal. II 301, D. 33,4,16). 46  For instance Nr. 318 (Lenel, Pal. II 317, D. 2,14,27,2), Nr. 318 (Lenel, Pal. II 317, D. 4,4,24,2) As to the works of Scaevola whose titles are not known, Lenel collects numerous sources and they are suggesting Paulus’ piety and affection to Scaevola, in­cluding the adverb eleganter (“beautifully”) (Lenel, Pal. II 317–322). 47  The anomalous expression, rescripsit (“he has written”) in Scaevola’s response sug­gests that some responses may have been given in a written form in Scaevola’s days (Scaevola, Nr. 295 Lenel, Pal. I 313, D. 42,1,44). As to this source, also see Momm­sen’s suggestion for correction respondit.



Legal Questions and Responses in D. 17,1,59145

V. Conclusion – the jurist as possible inquirer and responder On basis of the argument developed in this article, I may conclude as fol­lows. The subject of quaero is very probably the jurist himself who set the question basing his argument on the actual consultation. As to the word­ ing of the re­sponses, they were given mostly in an absolute and objective wording by the jurist himself, whether with the expression respondi (“I have responded”) or respondit (“he has responded”). One can also infer the original authority given to the legal re­sponses from this grammatical form. For the under­ stand­ ing of how legal arguments within the community of jurists were formed, further re­search on the other categories of works such as Digesta, Disputa­tiones, or ot her types of monographs is required. Also, the legal authority and effect of the jurists’ re­sponses have been left as a task for the future. Table 1 The forms of asking and responding in the book of responses of Paulus Types of dialogues or monologues

Nr.

Source

Lenel, Pal. I page

(1) quaero + (Paulus) respondit

1450

D. 3,2,21

1225

1453

D. 2,8,14

1225

1468

D. 8,3,37

1227

1470

D. 10,2,38

1227

1474

D. 16,3,26

1227 f.

1475

D. 22,1,12

1228

1476

D. 20,6,11

1228

1478

D. 44,7,29

1229

1480

D. 17,1,59 pr.-1

1229

1485

D. 19,2,54

1230 f.

1492

D. 21,1,58; 22,3,4

1232

1493

D. 21,2,11

1232

1494

D. 16,3,27

1232 f.

(To be continued on the next page)

146

Tomoyoshi Hayashi

Table 1 (Continued) Types of dialogues or monologues

Nr.

Source

Lenel, Pal. I page

1495

D. 21,2,73

1233

1498

D. 24,1,57

1233

1500

Vat. 94 = D. 24,3,49,1

1233 f.

1501

D. 33,4,11

1234

1503

Vat. 96

1234

1507

Vat. 100

1234

1509

Vat. 102

1234 f.

1513

Vat. 106

1235

1514

D. 23,3,72

1235

1518

Vat. 111

1235 f.

1522

Vat. 116

1236

1523

Vat. 117

1236

1528

D. 26,2,32

1237

1531

D. 26,7,46

1237 f.

1539

D. 46,3,100

1239 f.

1545

D. 37,10,13

1240

1546

D. 38,2,47

1240 f.

1547

D. 29,1,40,1–2

1241

1548

D. 28,2,25

1241 f.

1550

D. 28,6,45,1

1242

1553

D. 31,86,1

1242 f.

1555

D. 33,1,12

1243

1556

D. 33,2,28

1243

1562

D. 31,87 pr.

1244

1565

D. 34,2,35

1246



Legal Questions and Responses in D. 17,1,59147 Types of dialogues or monologues

(2) quaero + respondi

(3) quaesitum est + respondi

Nr.

Source

Lenel, Pal. I page

1572

D. 40,1,23

1247

1573

D. 40,12,38,3

1247

1574

D. 40,4,53

1247

1575

D. 40,5,40

1247 f.

1577

D. 45,1,134

1248

1580

D. 16,1,29

1248 f.

1581

D. 44,3,12

1249

1583

D. 29,5,22

1249

1587

D. 29,2,92

1249

1590

D. 41,7,8

1250

1533

D. 27,1,36,1

1238 f.

1547

D. 29,1,40 pr.; D. 29,1,40,2

1241

1550

D. 28,6,45 pr.

1242

1552

D. 28,6,46

1242

1553

D. 31,86 pr.

1242

1554

D. 32,92

1243

1562

D. 31,87,1

1244

1449

D. 2,4,16

1224 f.

1499

D. 24,3,49 pr.

1233

(To be continued on the next page)

148

Tomoyoshi Hayashi

Table 1 (Continued) (4) quaesitum est or quaeritur + (Paulus) respondit

(5) (Paulus) respondit only

1446

D. 50,1,21

1224

1452

D. 48,16,5

1225

1455

D. 5,2,21

1225

1458

D. 5,1,49

1226

1481

D, 20,1,29

1230

1482

D. 20,3,4

1230

1513

Vat. 107

1235

1520

Vat. 114

1236

1531

D. 26,7,46

1237 f.

1537

D. 26,1,12

1239

1557

Vat. 69

1243

1560

D. 22,1,14,1

1244

1564

D. 34,1,12

1245

1566

D. 35,1,84

1246

1573

D. 40,12,38,2

1247

1594

D. 48,5,41

1250

1447

D. 50,5,9

1224

1448

D. 50,7,9

1224

1456

D. 38,2,46

1226

1457

D. 3,3,69

1226

1460

D. 22,4,3

1226

1461

D. 48,10,16

1226

1462

D. 42,1,42

1226

1463

D. 49,8,2

1226

1464

D. 50,7,10

1226

1465

D. 44,2,31

1226



Legal Questions and Responses in D. 17,1,59149 1466

D. 44,4,14

1226

1479

D. 46,3,99

1229

1483

D. 20,6,12

1230

1484

D. 46,2,30

1230

1486

Coll. 10,9

1231

1488

D. 19,1,47

1231 f.

1497

D. 23,2,65

1233

1502

Vat. 95

1234

1504

Vat. 97

1234

1505

Vat. 98

1234

1506

Vat. 99

1234

1508

Vat. 101

1234

1510

Vat. 103

1235

1511

Vat. 104

1235

1512

Vat. 105

1235

1515

Vat. 108

1235

1516

Vat. 109

1235

1517

Vat. 110

1235

1519

Vat. 112

1236

1524

Vat. 118

1236

1527

D. 22,3,5

1237

1535

D. 27,7,8

1239

1536

D. 27,9,14

1239

1540

D. 50,16,221

1240

1541

D. 37,1,15

1240

1543

D. 37,6,11

1240

1549

D. 35,1,83

1242

1551

D. 29,2,90

1242

(To be continued on the next page)

150

Tomoyoshi Hayashi

Table 1 (Continued)

(6) respondi only

(7) indirect reference to the book with the title

1558

D. 33,7,19,1

1244

1559

D. 40,5,39

1243

1568

D. 35,2,24

1246

1569

D. 36,1,50

1246

1570

D, 36,1,63

1246

1576

D. 29,2,91

1248

1579

D. 46,3,101

1248

1582

D. 22,1,15

1249

1584

D. 34,9,19

1249

1585

D. 42,1,43

1249

1586

D. 49,8,3

1249

1588

D. 1,5,11

1250

1593

D. 34,5,4

1250

1467

D. 8,2,40

1227

1538

D. 26,6,3

1239

1558

D. 33,7,19 pr.

1244

1596

D. 34,2,37

1251

1530

D. 26,6,2,5

1237

Notes: * Every fragment was counted as one regardless of its size. The appearance of same expressions twice or more within a fragment was counted as only once. * When different types of expressions appeared within a fragment, they were re­ corded repeatedly. * When any expression of question appeared in a fragment and responses ap­pear in an apparently isolated or remote way, they are not recorded at (5) nor (6), regard­ less of the order of appearance. For convenience, answers are sup­ posed to be addressed to the questions given within the fragment. As to No. 1553, I understand the text “Paulus respondit” lit­erally despite the doubt noted by Mommsen.



Legal Questions and Responses in D. 17,1,59151 Table 2 An overview of the 10 works

Jurist’s name

number A: B: C: of quae­ro quae­si­tum respon­di frag­ est etc.※ ments

D: respon­dit ※※

A+D

A+C

Indirect quota­ tion

Aquila

  2

 0

 0

 0

  1

 0

 0

 0

Labeo

  1

 0

 0

 0

  0

 0

 0

 1

Marcellus

 16

16

 0

 0

 16

16

 0

 0

Modestinus

 66

37

 8

 3

 61

37

 0

 0

Neratius

 30

 0

 1

 0

  2

 0

 0

 9

Papinianus

363

 0

 2

50

  3

 0

 0

46

Paulus

154

54

20

15

114

48

 6

 1

Sabinus

  1

 0

 0

 0

  0

 0

 0

 1

Scaevola

102

45

53

35

 61

29

19

 5

Ulpianus

 34

 0

 0

 2

  8

 0

 0

 2

※ = Any passive form, e. g. quaesitum est, quaeritur, quaerebatur etc. is counted. ※※ = Both with and without the jurist’s name.

Occupatio im Alltag der Römer* Von Mariko Igimi I. Einleitung Hinter den Rechtsregeln verbirgt sich das Leben der Menschen. Das ist vor allem der Fall, wenn das Leben auf grundlegenden Instituten wie dem Eigen­tumserwerb beruht. Heute ist „Res nullius cedit primo occu­panti“ ei­ nes der bekanntesten juristischen Sprichwörter. Es begründet das Institut occupatio nicht nur in den Rechtsordnungen des Civil Law1, sondern auch im Common Law2. Aber war es auch für die Römer eine allgemeine und abstrakte Regel? Welches alltägliche Problem betraf diese Regel? In diesem Beitrag soll ver­sucht werden, die täglichen Erfahrungen der Römer hinter dem Rechtsinstitut occupatio darzustellen. II. Skizze der Digestenstellen zur occupatio 1. Occupatio wird als erste Art des Eigentumserwerbs nach dem ius gen­ tium erörtert. Man könnte annehmen, dass das Rechtsinstitut occupatio be­ reits von alters her existierte, weil es in D. 41,1,1 pr. ausdrücklich heißt, dass das ius gentium älter sei (als das ius civile), da es zugleich mit den Menschen entstan­den sei. D. 41,1,1 pr. Gai. 2 rer. cott. sive aur.3 An einigen Sachen erlangt man das Ei­gen­ Quarundam rerum dominium nan­ tum nach Völkerge­meinrecht, wel­ches kraft ciscimur iure gentium, quod ra­tione naturali inter omnes homi­ nes per­ natür­licher Vernunft bei allen Völ­kern  *  Bei Frau Prof. Dr. Ulrike Babusiaux, die mich immer so gut versteht, und ihren Mit­ arbeitern bedanke ich mich herzlich für die freundliche, sorgfältige und er­ staunlich schnelle Korrektur dieses Aufsatzes. Großen Dank schulde ich auch Frau Prof. Dr. Ti­zia­na J. Chiusi, bei der ich als Humboldt-Stipendiatin Frau Babu­siaux kennenlernen durfte. 1  Siehe nur BGB § 958; MINPO (jap. ZGB) § 239. 2  Bryan A Garner (ed. in Chief), Black’s Law Dictionary, St. Paul, Minn. 20099, 1184 bezieht sich allerdings auf wilde Tiere. 3  Übersetzungen in diesem Aufsatz nach Okko Behrends et al., Corpus Iuris Ci­ vilis, Text und Übersetzung, Heidelberg 1990 ff. Otto Lenel, Palingenesia iuris ciui­ lis I / II, Leipzig 1889 (Ndr. Aalen 2000), Gai. Nr. 491.

154

Mariko Igimi

aeque servatur, qua­ run­ dam iure ci­vili, id est iure proprio ci­vitatis nos­ trae. Et quia antiquius ius gen­tium cum ipso genere hu­mano pro­ditum est, opus est, ut de hoc prius referen­dum sit.

gleichmäßig be­obachtet wird; an andern nach bür­ gerli­ chem Recht, d. h. dem Sonder­ recht unseres Staates. Und weil das Völkergemein­ recht, als das ältere, mit dem mensch­lichen Geschlechte selbst entstan­den ist, so ist es not­wendig, von ihm zuerst zu handeln.

Danach spricht Gaius von der occupatio. Dabei ist es wichtig zu beach­ ten, was Objekt der occupatio sein kann. D. 41,1,1,1 Gai. 2 rer. cott. sive aur. Omnia igitur animalia, quae terra mari caelo capiuntur, id est ferae bestiae et volucres pisces, ca­ pien­ tium fiunt: D. 41,1,2 Flor. 6 Inst.4 vel quae ex his apud nos sunt edita.

Alle Tiere, welche auf dem Land, im Meer und in der Luft gefangen wer­den, d. h. die wil­ den Tiere, die Vögel und die Fi­ sche, werden Eigen­tum derer, die sie fangen; oder die von ihnen bei uns erzeugte Nach­ zucht.

Zunächst gilt das Prinzip der „res nullius“. Beim Erwerb des Eigentums ist es nicht wichtig, „wo etwas gefangen wurde“, sondern „wer etwas ge­ fangen hat“. D. 41,1,3 pr.-1 Gai. 2 rer. cott. sive aur. Quod enim nullius est, id ra­ tione Was nämlich niemandem ge­hört, wird kraft natu­rali occupanti con­ceditur. natür­licher Ver­nunft dem zugestan­den, der sich seiner be­mächtigt. Nec interest quod ad feras be­stias et Was die wilden Tiere und Vö­gel betrifft, so volucres, utrum in suo fundo quis­ ist es gleich, ob jemand sie auf seinem eige­ que capiat an in alieno. Plane qui in nen Grund­stück fängt oder auf einem frem­ alienum fundum ingreditur ve­nandi den. Frei­ lich kann jemand, der zum Jagen aucu­ pandive gratia, potest a domi­ oder Vogelstellen ein fremdes Grund­ stück betritt, von dessen Eigen­tümer, wenn dieser no, si is providerit, iure pro­hiberi ne Vor­ sorge getroffen hat, recht­ mä­ ßig am ingrederetur. Betre­ten gehindert wer­den.

Andererseits verliert man das Eigentum, wenn man die custodia an der ge­ fan­ genen Sache verloren hat, und die Sache wieder ein potenzieller Gegen­stand einer weiteren occupatio wird. D. 41,1,3,2 Gai. 2 rer. cott. sive aur. Quidquid autem eorum ceperi­ mus, eo usque nostrum esse intellegi­ tur, donec nostra custo­ dia coerce­ tur: cum vero evaserit custodiam nos­ tram et in natura­ lem libertatem se 4  Lenel

(o. Fn. 3), Flor. Nr. 6.

Was immer wir von diesen Tieren gefan­gen haben, wird so lange als uns gehö­ rend angese­ hen, als es sich in unserm Ge­ wahr­ sam befindet; so­ bald es sich aber unserm Gewahr­ sam entzogen und die natürli­ che



Occupatio im Alltag der Römer

receperit, nostrum esse desinit et rursus oc­cu­pantis fit:

155

Frei­ heit wiedergewonnen hat, hört es auf, uns zu gehören und fällt wiederum ins Ei­ gentum eines, der sich seiner bemäch­tigt.

Was bedeutet aber, custodia zu verlieren? D. 41,1,5 pr. beantwortet diese Frage. D. 41,1,5 pr. Gai. 2 rer. cott. sive aur. Naturalem autem libertatem reci­pere intellegitur, cum vel oculos nostros effugerit vel ita sit in con­ spectu nostro, ut diffi­cilis sit eius persecu­ tio.

Dass es die natürliche Freiheit wie­ der­ ge­ winne, wird dann ange­ nom­ men, wenn es aus unserem Ge­sichtsfeld entflohen ist oder sich derart noch im Gesichtsfeld befin­ det, dass seine Verfolgung schwie­rig ist.

D. 41,1,5,1 ist dagegen eher mit dem Erwerb des Eigentums verbunden; das Fragment stellt und beantwortet nämlich die Frage: Wird ein wildes Tier, das so schwer verwundet ist, dass es ohne weiteres gefangen werden kann, sofort uns gehören? D. 41,1,5,1 Gai. 2 rer. cott. sive aur. Illud quaesitum est, an fera bestia, quae ita vulnerata sit, ut capi pos­sit, statim nostra esse intelle­gatur. Tre­ batio placuit statim nostram esse et eo usque nostram videri, donec eam per­sequa­mur, quod si desieri­mus eam persequi, desinere no­stram esse et rursus fieri occu­pantis: ita­que si per hoc tem­pus, quo eam perse­qui­ mur, alius eam ceperit eo animo, ut ipse lucrifa­ceret, furtum videri nobis eum commisisse. Pleri­que non aliter putaverunt eam nost­ram esse, quam si eam ceperi­mus, quia multa acci­ de­re pos­sunt, ut eam non capiamus: quod verius est.

Dies wurde diskutiert, ob ein wildes Tier, das so verwundet ist, dass es ge­fangen wer­ den kann, sofort als uns gehö­rig be­trachtet werde? Tre­ batius nahm an, es werde so­ gleich unser Eigentum, und zwar werde es so lange als uns gehö­ rend be­ trach­ tet, wie wir es verfolgen; sobald wir aber seine Ver­ folgung aufgäben, höre es auf, uns zu gehö­ ren und falle wiede­rum ins Eigen­tum eines, der sich seiner bemäch­ tigt; wenn jemand anderes es, so­lange wir es verfol­gen, in der Ab­ sicht gefangen hat, den Ge­ winn selbst zu machen, nehme man daher an, uns ge­ genüber sei ein Diebstahl ge­ schehen. Die meisten haben aber als Regel ange­nom­men, dass es uns nur dann ge­höre, wenn wir es gefangen ha­ ben, weil noch viel geschehen kann, dass wir es nicht fan­gen; das ist rich­ tiger.

2. Dann behandelt D. 41,1,5,2–4 die occupatio von Bienen. D. 41,1,5,2 Gai. 2 rer. cott. sive aur.

156

Mariko Igimi

Apium quoque natura fera est: ita­ que quae in arbore nostra consede­ rint, ante­ quam a nobis alveo con­ cludantur, non magis nostrae esse intelleguntur quam volucres, quae in nostra arbore nidum fecerint. ideo si alius eas incluserit, earum dominus erit.

Auch die Bienen haben eine wilde Natur; diejeni­ gen, welche sich auf unserm Baum nieder­ gelassen haben, werden daher, bevor sie in einen Korb ein­schlos­sen worden sind, ebenso wenig als uns gehörend ange­se­hen, wie die Vögel, welche auf unserem Baume ein Nest ge­ baut haben. Schließt sie daher ein ande­rer ein, so wird er ihr Eigen­tümer sein.

Das Fragment geht davon aus, dass Bienen ihrer Natur nach wild seien. Des­halb gehörten sie niemandem, solange sie nicht in einem Korb einge­ schlos­sen worden seien. Das aber bedeute, dass jeder ein potenzieller Fänger der Bienen sein könne und aus diesem Grund ihr Eigentümer werden könne. Dasselbe gilt auch für die Honigwaben. D. 41,1,5,3 Gai. 2 rer. cott. sive aur. Favos quoque si quos hae fece­rint, sine furto quilibet possi­dere po­test: sed ut supra quoque di­ximus, qui in alienum fun­dum in­greditur, potest a do­mino, si is providerit, iure prohi­ beri ne in­gredere­tur.

Auch die Honigwaben, wenn die Bienen solche gemacht haben, kann jeder in Besitz nehmen, ohne einen Diebstahl zu begehen; aber derje­ni­ge, wel­cher frem­den Boden be­ tritt, kann, wie wir schon gesagt haben, vom Eigentümer, wenn dieser Vor­sorge getroffen hat, rechtmä­ßig am Betreten gehin­dert wer­ den.

Jeder kann aus fremden Bäumen Honigwaben herausnehmen, ohne einen Dieb­stahl zu begehen. Dies bedeutet, dass die Honigwabe Gegenstand der oc­cupatio sein kann, obwohl sie eigentlich kein wildes Tier, sondern ledig­ lich ein Produkt wilder Tiere ist. Das Recht auf das Land oder die Bäume spielt keine Rolle, solange der Eigentümer den Eintritt auf sein Land nicht aus­drück­lich verbietet. Zum Verlust des Eigentums über die Bienen schreibt Gaius: D. 41,1,5,4 Gai. 2 rer. cott. sive aur. Examen, quod ex alveo nostro evo­ laverit, eo usque nostrum esse in­tel­ legitur, donec in con­ spectu nostro est nec difficilis eius perse­cutio est: alioquin occupantis fit.

Der Schwarm, der aus unserm Stock aus­ fliegt, wird solange als uns gehö­rend ange­ sehen, wie er sich in un­ serm Ge­ sichts­ feld befindet und seine Verfol­gung nicht schwie­ rig ist; sonst fällt er in das Eigentum eines, der sich seiner bemäch­tigt.

Die Bienen bleiben im Eigentum des Okkupanten, solange er sie in seiner custodia behält. Wenn die Bienen einen Schwarm bilden und aus dem Stock herausfliegen, betrachtet man sie so lange noch als in custodia befindlich, wie ihr Eigentümer sie verfolgen kann. Wenn aber der Schwarm aus dem Blick­feld des Verfolgers entflieht oder wenn es dem Verfolger schwerfällt,



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ihn zu verfol­gen, dann gewinnen die Bienen ihre natürlichen Eigenschaften als wilde Tiere zurück. In D. 41,1,5,2–4 sehen wir mithin fast identische Regelungen wie für die oc­cupatio im Allgemeinen. Sowohl der Erwerb als auch der Verlust des Eigen­tums könnten bei Bienen möglicherweise den allgemeinen Regeln der occu­patio folgen. Es sieht hier so aus, als ob die Regeln bloß für diesen Fall wie­derholt worden wären. 3. Der Text des Gaius geht nun über zu den wilden Tieren, die „aus- und wie­der einzufliegen pflegen“. Dabei werden erneut die Bienen als Beispiel solcher Tiere genannt. D. 41,1,5,5 Gai. 2 rer. cott. sive aur. Pavonum et columbarum fera natura est nec ad rem pertinet, quod ex con­ suetu­ dine avolare et revolare solent: nam et apes idem faciunt, quarum constat feram esse naturam: cervos quoque ita qui­dam mansue­ tos ha­bent, ut in sil­vas eant et re­ deant, quorum et ip­ so­ rum feram esse natu­ ram nemo ne­ gat. In his autem ani­ malibus, quae con­ sue­ tudine abire et redire solent, talis regula com­pro­bata est, ut eo usque nostra esse in­tel­le­gan­tur, donec re­ vertendi ani­ mum ha­ beant, quod si desierint re­ver­tendi ani­mum ha­ bere, desi­ nant nostra esse et fiant occupan­ tium. Intelleguntur autem desisse re­ver­tendi ani­mum habere tunc, cum re­ver­tendi consuetudinem de­serue­rint.

Die Natur der Pfauen und Tau­ben ist wild; und es tut nichts zur Sache, dass sie nach ihrer Gewohn­ heit aus- und wieder einzu­ fliegen pflegen. Denn auch die Bienen tun dasselbe, bei denen ja fest­steht, dass sie von wilder Natur sind. Man hat ja auch so zah­ me Hirsche, dass sie in die Wälder gehen und zurückkeh­ren, de­ren Natur nie­mand als wild leug­ net. Bei denjenigen Tieren aber, wel­che ihrer Gewohnheit nach weg­zu­gehen und wiederzu­kommen pfle­gen, hat man aber die fol­ gende Re­ gel ange­ nom­ men, dass sie so­lange als uns gehö­rend betrachtet werden, wie sie den Willen zur Rück­kehr be­halten, dass sie aber aufhören, uns zu gehö­ren und in das Eigentum eines, der sich ihrer be­ mächtigt, fal­ len, wenn sie den Rück­ kehr­ willen ver­ lieren. Dass sie den Rück­ kehr­ willen verlie­ren, nimmt man dann an, wenn sie die Gewohn­heit dazu verloren ha­ben.

Pfauen und Tauben wurden in Rom allgemein gezüchtet.5 Dennoch hat die Zucht ihre angeborene Natur als wilde Tiere nicht geändert. Daraus, dass die Bienen in diesem Text als ein Topos solcher Tiere erwähnt werden, kann man annehmen, dass die Römer die Bienen ohne weiteres als „wild“ befunden ha­ben. Bienen, Pfaue, Tauben und gegebenenfalls auch Hirsche bleiben im Eigen­tum des ersten Okkupanten, solange sie die Gewohnheit, zurückzukeh­ ren, nicht verlieren. Somit sind sie keine res nullius, selbst wenn sie zeitweilig aus dem Blickfeld des Eigentümers verschwunden sind. Daher können sie nicht von einem weiteren Okkupanten in Besitz genom­ men werden. 5  H. Cancik / H. Schneider (Hrsg.), Der Neue Pauly – Enzyklopädie der Antike, Stut­tgart 1996–2003, Bd. 9, 689; Bd. 12 / 1, 45 f.

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Unter den Vögeln gibt es aber wilde und zahme. Die wilden Vögel sind zwar Gegenstand der occupatio, aber die zahmen verbleiben im Eigentum, so dass der Zugriff auf sie einen Diebstahl darstellt. D. 41,1,5,6 Gai. 2 rer. cott. sive aur. Gallinarum et anserum non est fera natura: palam est enim alias esse feras gallinas et alios feros an­seres. Itaque si quolibet modo anseres mei et gallinae meae tur­ bati turba­ taeve adeo longius evo­laverint, ut ignore­ mus ubi sint, tamen nihilo minus in nostro do­ minio te­ nentur. Qua de causa furti nobis tenebitur, qui quid eo­rum lu­crandi animo ad­pre­hen­de­ rit.

Die Natur der Gänse und Hüh­ner ist nicht wild, denn es ist allgemein bekannt, dass die wilden Hühner und Gänse an­dere Tiere sind. Wenn daher meine Gänse und Hüh­ner auf­ gestört auf belie­ bige Weise auch noch so­ weit geflogen sind, dass man gar nicht weiß, wo sie sind, so blei­ben sie dennoch in unse­ rem Eigen­tum. Wer daher eines von ihnen in habsüchtiger Absicht ergriffen hat, der haftet uns wegen Dieb­stahls.

Die Erörterung des Gaius leitet anschließend über zu den Sachen, die von Fein­ den weggenommen wurden, darunter auch Menschen, die von Natur aus frei sind, aber auch Objekte des Eigentums sein können, solange sie unter der custodia des Feindes sind. Letzteres soll an dieser Stelle aber außerhalb unse­rer Betrachtung bleiben. III. Das Bedürfnis der Theorie über occupatio aus dem Leben der Römer 1. Nach David Daube soll das Fragment D. 41,1,5,5, das sich mit Bienen, Tau­ben, Pfauen und Hirschen beschäftigt, eine historische Entwicklung be­ zeugen, der zufolge der Begriff des Besitzes bzw. der custodia des Eigen­ tü­mers allmählich erweitert wurde.6 Dabei erscheint dem Autor der Unter­ schied der Natur und der Gewohnheiten zwischen Tauben und Bienen ent­ scheidend. Die Bienen seien wild, während die Tauben „Haustiere“ seien, weil sie durch die Züchtung die Gewohnheit der Rückkehr gewönnen. Deshalb meine Pro­culus, dass zwar die fliegenden Tauben noch dem Eigen­ tümer ge­hörten, dass aber dagegen die Bienen res nullius seien. Erst nach Celsus seien auch die Tauben als wild anerkannt worden, wobei die Tiere mit der Gewohn­ heit, „hin- und herzugehen“ im Besitz des Eigentümers blieben, so lange sie „den Willen zur Rückkehr“ behielten. Hier sei, so Daube, wichtig, dass der Besitz des Eigen­tü­mers sich ausdehne, selbst wenn die Tiere einigermaßen frei seien. Die Fra­ge, wann ein Tier „in den wilden Zustand“ zurückkehre, sei sekundär. Gaius aber beschäf­tige sich noch wei­ ter mit der „sekundären“ Frage. 6  David Daube, Doves and Bees, in: Droit de L’Antiquité et Sociologie Juri­ dique. Mé­langes Henri Lévy-Bruhl, Paris 1959, 63 ff.



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Daube begründet den Meinungsunterschied zwischen Proculus und Celsus mit folgendem Text: Mos. et Rom. Legum Collatio 12,7,10 Item Cel­ sus libro XXVII digesto­ rum scribit: si, cum apes meae ad tuas advolas­ sent, tu eas exusse­ ris, quos­ dam negare conpe­ tere legis Aqui­ liae ac­ tionem, in­ ter quos et Procu­ lum, quasi apes domini mei non fuerint. sed id fal­sum esse Cel­ sus ait, cum apes re­venire so­le­ant et fructui mi­ hi sint. sed Pro­ culus eo move­ tur, quod nec man­ suetae nec ita clausae fue­rint. ipse autem Cel­ sus ait nihil inter has et co­ lum­ bas interesse, quae, si ma­num re­fu­giunt, domi tamen fugi­unt.

Ulp. 18 ad ed.7 Ebenso schreibt Celsus im 22. Buch seiner Digesten: Manche Juristen meinen, die Kla­ ge aus der Lex Aqui­ lia stehe in dem Fall nicht zu, dass du meine Bienen ver­ brannt hast, als sie zu deinen geflogen waren; zu diesen Juris­ten gehört auch Pro­culus, als ob die Bienen nicht in mei­nem Eigen­tum ge­we­ sen seien. Aber Celsus sagt, das sei falsch, da Bienen nach ihrer Ge­ wohnheit zurück­ kehren und mir zur Frucht­ ziehung dienen. Aber Proculus wird da­durch zu seiner An­ sicht ge­führt, dass sie weder ge­zähmt noch eingeschlossen waren. Sogar Celsus sagt aber, es gebe keinen Un­ter­schied zwi­schen diesen Bienen und den Tauben, welche dann, wenn sie aus der Hand fortfliegen, nach Hause fliehen.

Nach diesem Text vom Ende des 4. Jhdts. ist Proculus der Meinung, dass nur ein solches Tier dem Eigentümer gehöre, das gezähmt oder eingeschlos­ sen sei. Dagegen meint Celsus, dass auch die Tiere, die zurückkehren und dadurch den Menschen Gewinn bringen, im Eigentum stünden, und deshalb ihre Ver­bren­nung Haftung nach der actio Aquilia hervorbringe. Die gezähm­ ten Tiere könn­ten daher „Haustiere“ genannt werden, die eingeschlossenen dage­gen „er­jagte wilde Tiere“. Aber Celsus erkennt zwischen diesen beiden Kate­gorien eine dritte Kategorie der Tiere an, die sowohl Bienen auch als Tauben ein­schließe. 2. a) Wenn man als Vergleich die oben skizzierten Digestentexte aus der Per­spektive des Gegenstandes der occupatio betrachtet, beschäftigen sich die Texte D. 41,1,1,1 bis D. 41,1,5,1 mit den Jagdtieren, während D. 41,1,5,2 bis D. 41,1,5,5 die Tiere behandeln, die zwar wild sind, aber die Gewohnheit der Rückkehr haben. Schließlich handelt D. 41,1,5,6 von den Haustieren. Wenn ein Römer ein wildes Tier, einen Vogel oder einen Fisch, in Besitz nimmt, fängt er es vermutlich normalerweise zum Zweck des Jagens bzw. Fi­schens.8 Die Jagdtiere und die Fische werden gleich nach dem Fangen ge­ schlach­tet und gegessen oder es wird ihnen das Fell abgezogen. Das Überle­ ben des Jagdtieres bedeutet, dass der Jäger fehlerhaft gehandelt hat, so dass 7  Zur Mos. et Rom. Legum Collatio s. nur: Wolfgang Kunkel / Martin Schermaier, Rö­­mi­sche Rechtsgeschichte, Köln 200113, 192; Ulrich Manthe, in diesem Band  S.  197 ff. 8  Max Kaser, Occupatio, RE, Suppl. 7, 682. Siehe auch Plin. min. ep. 1,6.

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er kein Eigentümer werden kann. Der erste Teil von D. 41,1,3,2 „das Gefan­ gene wird so lange als unser betrachtet, als es sich in unserem Gewahrsam befindet“ kann nur verstanden werden, wenn man beispielsweise den Fall vor Augen hat, dass zunächst der Jäger ein wildes Tier gefangen hat, es aber dann dem Tier vor der Tötung gelungen ist, sich zu befreien. Die Frage, die in D. 41,1,5,1 gestellt wird, „an fera bestia, quae ita vulnerata sit, ut capi possit, sta­tim nostra esse intellegatur“, unterstellt eine Jagd, bei welcher das gefan­gene Tier regelmäßig getötet wird. Der Zeitraum, in dem die in Besitz ge­nommenen Tiere wieder okkupierbar werden können, also die Regel aus D. 41,1,3,2 „sobald es sich aber unserem Gewahrsam entzogen und die natür­ liche Freiheit wiedergewon­nen hat, hört es auf, unser zu sein, und wird wie­ der dem, der sich seiner be­mächtigt, zugehö­rig“ angewendet wird, beschränkt sich nur auf das Fangen bis zur Tö­tung. b) Hingegen gibt es solche wilden Tiere, die zwar wild sind, aber lebend ge­fangen wurden und dem Eigentümer gehören, dem sie einen Vorteil durch ihre lebendigen Tätigkeiten bringen. Auf solche Tiere soll ebenfalls die Okku­pa­tionsregel, das heißt, dass sie mit dem Verlassen des Blickfeldes des Eigen­tümers okkupations­fähig sind, angewendet werden (D. 41,1,5,2–4). Al­ lerdings wäre es unvernünftig, wenn sie gleich wieder Gegenstand einer wei­ teren Ok­kupation werden könnten, sobald sie nicht mehr im Blickfeld des Eigentümers sind, obwohl sie gegebenenfalls – wie die Bienen – noch mit Blumennektar zurückkehren können. Gerade deshalb bleiben die Tiere dieser Kategorie im Besitz der Eigentümer, solange sie den „animus revertendi“ bzw. die „con­suetudo revertendi“ beibehalten (D. 41,1,5,5). Die Bienen die­ nen als ein typi­sches Beispiel solcher Tiere. Daher trägt jener Okkupant kei­ ne Haf­ tung, der ein wildes Bienennest aus einem fremden Grundstück herausge­nom­men hat9 (D. 41,1,3,2: favos quoque si quos hae fecerint, sine furto quili­bet possidere potest), während ein Verbrennen der Bienen, die noch animus re­vertendi ha­ben, die aquilianische actio hervorbringt (D. 9,2,27,12: Si, cum apes meae ad tuas advolassent, tu eas exusseris, legis Aquiliae actionem com­petere Celsus ait.10). c) Andrerseits sind die Hühner und Gänse nicht wild. Tiere aus dieser Grup­ pe bleiben im dominium des Eigentümers, selbst wenn sie soweit wegge­flogen sind, dass der Eigentümer nicht mehr weiß, wo sie sind. Wenn deshalb ein Drit­ter die nicht wilden, aber vom Eigentümer weit entfernten Tiere fängt, haf­tet er wegen furtum (D. 41,1,5,6). d) Auch die Digestentexte erkennen mithin die dritte Kategorie des Cel­ sus an, nämlich die der „Tiere, die zurückkehren und dadurch den Menschen 9  Siehe

auch Paul. 9 ad Sab. D. 47,2,26 pr. (Lenel, o. Fn. 3, Paul. Nr. 1794). auch Ulp. 9 disp. D. 9,2,49 pr. (Lenel, o. Fn. 3, Ulp. Nr. 166).

10  Siehe

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Ge­winn bringen“. Unter den wilden Tieren erkennen sie also die auch nach der Besitz­ergreifung weiterlebenden Tiere neben denjenigen an, die gejagt werden und geringe Überlebungschancen haben. Andrerseits müssen die Jagdtiere, wie Proculus meint, eingeschlossen sein, um dem Eigentümer zu gehören. Der Zu­stand der Eingeschlossenheit endet, „wenn es aus unsern Augen entflohen, oder dergestalt sich befindet, dass seine Verfolgung schwer fällt (D. 41,1,5 pr.)“. Dasselbe gilt auch für die Bienenschwärme (D. 41,1,5,4). Die Erkennt­ nis des „animus revertendi“ durch Celsus und Gaius dürfte aus der Nutzung der wilden weiterlebenden Tiere hervorge­ bracht worden sein, bei denen die Eingeschlossenheit modifiziert werden musste. Dies zeigt wohl nicht eine allgemeine Verbreiterung des Besitzkreises des Eigen­tümers bei den wilden Tieren, sondern lediglich eine Anerkennung der „lebenden“ wilden Tiere. Man könnte, mit Daube, aus dem Meinungsstreit zwi­schen Proculus und Celsus auch eine theoretische Entwicklung der Fra­ ge der Erweite­rung des Besitzkreises von wilden Tieren ableiten. Allerdings muss für die Römer die Frage viel wichtiger gewesen sein, wann genau sie Besitz ergrei­ fen durften. In einer Gesellschaft, in der Jagd und Fischen wichtig wa­ren, muss es von großem Interesse sein, ob der Jäger bzw. Fi­ scher sogleich Eigentümer der gefangenen Tiere, Vögel und Fische, werden konnte oder wann er mit der actio Aquilia haftete. Für diejenigen wilden Tiere, welche die Gewohnheit ha­ben, zurückzukehren, bedarf es gerade zu dieser Frage einer Distinktion, weil diese Tiere nach dem Fangen weiterle­ ben. Die oben skiz­zierten Digestenstellen betrachten die Okkupation aus der Perspektive dieser Interessenlage der Rö­mer. 3. a) Die Digestenstellen zitieren hier hauptsächlich aus den res cottidia­ nae, die wahrscheinlich nachklassisch sind und nicht von Gaius stammen.11 Den­noch dürften diese Stellen grundsätzlich mit der Meinung von Gaius über­ein­stimmen, weil seine „Institutionen“ gleiche Regelungen wie jene in D. 41,1,1,1; 3 pr.; 3,2; 5 pr.; 5,5; 5,7 enthalten.12 Gai. inst. 2,66–69 66. Nec tamen ea tantum, quae tradi­ tione nostra fiunt, naturali no­ bis ratione adqui­ runtur, sed etiam quae occupando ideo ad­epti erimus, quia antea nullius essent, qualia sunt omnia, quae terra mari caelo capi­untur.

11  Kunkel 12  Daube

66. Doch erwerben wir nicht nur solche Sachen kraft natürlicher Ver­nunft, die durch Besitzüber­ tragung in unser Eigen­ tum über­ gehen, sondern auch solche, die wir deshalb durch Aneig­nung erlangen werden, weil sie vorher niemandem ge­ hörten, wie es alle sind, die auf der Erde, im Meer oder im Himmel gefangen wer­den.

(o. Fn. 7) 134. (o. Fn. 6) 65; Kaser (o. Fn. 8) 683.

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67. Itaque si feram bestiam aut vo­ lucrem aut piscem ceperimus, simul atque cap­tum fuerit hoc animal, sta­tim nostrum fit, et eo usque nos­ trum esse intellegitur, donec nostra custo­dia coercea­tur; cum vero cus­ todiam nostram evaserit et in natu­ ralem se li­ber­tatem receperit, rursus occu­ pan­ tis fit, quia nostrum esse desinit: na­turalem autem liber­tatem recipere videtur, cum aut oculos nostros eva­ serit, aut licet in cons­ pectu sit nostro, diffici­lis tamen eius per­secutio sit. 68. In iis autem animalibus, quae ex consuetudine abire et redire solent, veluti columbis et apibus, item cer­ vis, qui in silvas ire et redire solent, talem habe­mus regulam traditam, ut si revertendi animum habere desie­ rint, etiam nostra esse desinant et fiant oc­cupantium: revertendi autem animum videntur desinere habere, cum revertendi consue­tudinem de­se­ ruerint. 69. Ea quoque, quae ex hostibus capiun­tur, naturali ratione nostra fi­ unt.

67. Wenn wir also ein wildes Tier, einen Vogel oder einen Fisch gefan­gen haben, so gehört uns dieses Tier sofort, sobald es ge­ fangen ist, und bleibt be­greiflicher­weise so lan­ge unser Eigentum, wie es durch unsere Bewachung fest­ gehalten wird. So­ bald es freilich unserer Bewa­ chung ent­ flo­ hen ist und sich wieder in die natürli­ che Freiheit begeben hat, wird es wiederum Eigentum des­jenigen, der es sich aneignet, weil es aus unserem Eigen­ tum ausge­ schie­ den ist; und zwar nimmt man an, dass es die natürliche Frei­heit wie­dererlangt, so­bald es entwe­der un­seren Blicken ent­schwun­den ist oder zwar noch von uns gese­ hen wird, aber nur mit Schwie­rigkei­ten verfolgt werden kann. 68. Hinsichtlich solcher Tiere aber, wel­che regelmä­ ßig die Gewohnheit haben, wegzu­ gehen und zurück­zu­kehren (bei­spiels­weise Tauben und Bienen, ferner Hirsche, die gewöhn­lich in die Wälder gehen und zu­rück­ keh­ ren), haben wir folgende überlie­ ferte Rechtsregel: Wenn sie ihren Rück­kehr­willen verlo­ren haben, so scheiden sie auch aus un­ serem Eigen­tum aus und wer­den Eigentum derjenigen, die sich ihrer bemächti­gen; man nimmt an, dass sie dann ihren Rückkehrwil­ len verloren ha­ben, wenn sie die Gewohn­ heit, zu­rück­zukehren, auf­gegeben ha­ben. 69. Auch das, was den Feinden als Beute wegge­ nommen wird, geht kraft natürli­ cher Vernunft in unser Eigen­tum über.

In den institutiones beschäftigt sich Gaius ab inst. 2,67 mit den wilden Tie­ren, wobei er am Ende schreibt, dass die wilden Tiere ihre naturalis libertas wie­dergewinnen, wenn sie aus unserem Blickfeld weggeflogen sind oder es uns schwer geworden ist, ihnen zu folgen. Darauf folgt in Gai. inst. 2,68, dass die wilden Tiere, wie Tauben und Bienen, die nach Gewohnheit hin- und zu­rückge­hen, erst mit dem Verlust des animus revertendi aufhören, unser zu sein, und wieder ein Gegenstand der Okkupation werden; dies sei eine „re­gula tra­dita“. Hieraus wird erkennbar, dass Gaius eine Sonderkate­ gorie der wilden Tiere an­erkennt, deren Eigentum nicht mit dem Verlust der Sicht oder mit der Schwie­ rigkeit der Verfolgung, sondern erst mit dem Verlust des tierischen Willens, zurückzukehren, eintritt. b) Dagegen meint Daube, dass die „regula tradita“ eine alte Ansicht sei und nur bei den gezähmten Tieren gelte.13 Die Ansicht von Gaius mag aus 13  Daube,

(o. Fn. 6) 66.



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der Sicht Daubes als „alt“ empfunden worden sein, weil Gaius sich immer noch mit der Beendigung des Eigentums beschäftigt, obwohl Celsus, nach Daube, das domi­nium des Eigentümers bereits erarbeitet habe. Allerdings scheint Gaius kaum Interesse an einer allgemeinen theoretischen Ausdeh­ nung des Be­sitzbegriffes gehabt zu haben. Wenn ein Unterschied zwischen Celsus und Gaius bestehen sollte, so dürfte dies nicht eine Frage von alt oder neu, sondern eine Frage der Perspektive sein. Also betrachtet Gaius die Sonderkategorie der wil­ den Tiere aus der Perspektive der Praxis der Jagd und des Fischens und un­tersucht, wann das Eigentum wegfällt, wäh­ rend Celsus dagegen aus der Per­ spektive der Theo­ rie des Eigentums spricht. c) Es ist auch unverständlich, dass Daube behauptet, dass sich die Stelle nur auf die gezähmten Tiere beziehe. Ein typisches Beispiel seien Tauben, die durch die Zucht die Gewohnheit, zurückzukehren, gewön­ nen und gleichsam wie Schafe und Gänse unter dem Besitz der Menschen lebten. Allerdings wer­ den sie, weil sie Haustiere sind, niemals Gegenstand der Okkupation, selbst wenn sie die consuetudo revertendi verloren haben.14 Vielmehr mussten Bie­nen, Tau­ben und Hirsche im Kontext der Besitzergrei­ fung erwähnt werden, gerade weil sie wild sind. Ferner schreibt Daube, dass der Ausdruck animus revertendi nur bei den Tau­ben gelte und nicht bei den Bienen. Er schreibt: „Originally doves and pea­cocks accustomed to return are capable of being owned because they are tamed ani­mals, like geese; bees are not yet included. What the regula means to con­vey is that an animal of this kind becomes open to occupatio again if it loses its tame­ness – naively described as attachment to the place, animus re­vertendi. The criterion does not really suit bees at all. An individual bee does not, like a dove, adopt or give up animus revertendi. From birth to death it sticks to its hive.“15 Nun sehen wir, ob seine Betrachtung der Bienen der römischen Imkerei ent­spricht. IV. Bienenzucht und occupatio 1. a) Die Quellen der römischen Imkerei beschränken sich auf literari­ sche.16 14  Ulp. 19 ad ed. D. 41,1,44 (Lenel, o. Fn. 3, Ulp. Nr. 632) Zum Text s. Renzo Lam­bertini, „Erepta a bestiis“ e occupazione, Labeo 30 (1984) 191 f. 15  Daube (o. Fn. 6) 72. 16  Anders als in Ägypten bezeugt keine Zeichnung die Bienenzucht in Rom. Ein grie­chischer Bienenkorb, der oft aus Terracotta war, kann auch als archäologischer Fund überliefert werden, während der römische hauptsächlich aus Pflanzen gemacht

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Um ein Bienennest zu fangen, soll man nach Columella im Wald am Was­ser die Bienen beobachten, wie oft sie kommen und gehen, wodurch man eine Vermu­tung gewinnen soll, ob das Nest in der Nähe ist oder nicht. Dann soll man die einzelnen Bienen fangen, eine nach der anderen losflie­ gen lassen und ihnen folgen, bis das Nest gefunden worden ist. Wenn das Nest sich im Loch eines Baums befindet, dann soll man die oberen und unteren Teile abschnei­den und das Nest mit einem sauberen Stoff umwi­ ckeln; so entstehe ein neuer Bie­ nenkorb. Wenn aber das Nest in einer Höhle gebildet ist, dann soll man die Bienen mit Rauch austreiben, dadurch einen Schwarm bilden lassen, dass man auf Metall schlägt, und den Schwarm schließ­lich in einen Korb einschließen.17 Ein Bienenkorb wurde aus Korkeichen, Rindenstöcken, Steckenkraut, Wei­denkorb, Holz, Tongefäß, Mist oder Ziegeln hergestellt.18 Er wurde auch manch­mal aus durchsichtigem Stein oder Tierhorn eingerichtet.19 Die Auto­ ren müssen die Fälle nicht nur aus der Stadt Rom, sondern überall aus dem Groß­raum Roms zusammengestellt haben, weil es weniger wahrscheinlich ist, dass Bienenbehälter aus Ton, Korkeichen oder Steckenkraut in der Stadt Rom ver­wendet wurden.20 Honigwaben können wohl auch in dieser Weise gefunden werden und aus dem Bienennest gesammelt werden. b) Wenn die Bienenpopulation in einem Nest zu groß geworden ist, dann muss man einen Teile des Bienenvolks aus dem alten Nest aussiedeln. Beson­ders begrüßt Varro das Schwärmen und sagt „cum adnatae prospere sunt multae ac progenium ut coloniam emittere volunt“21. Dabei bilden die Bienen eine Traube, bis sie einen richtigen Ort für das neue Nest gefunden haben. Die Im­ker sollen bei dieser Gelegenheit den Schwarm fangen und in einen neuen Korb einschließen. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass der Schwarm weg­fliegt, wenn es dem Imker nicht gelungen ist, den Schwarm in einen neuen Korb einzuschließen; daher versuchten andere Autoren lie­ ber, einen Schwarm zu vermeiden.22 wurde und deshalb nicht haltbar war. Eva Crane, The Archaeology of Beekeeping (London 1983) 203. 17  Columella de re rust. 9,8. 18  Varro de re rust. 3,16,15; Vergil. geo. 4,33 ff.; Columella de re rust. 9,6,1; Pli­n. mai. nat. hist. 21,14(47),80. 19  Plin. mai. nat. hist. 11,16(16),49. 20  Eva Crane, The World History of Beekeeping and Honey Hunting, London 1999, 203. 21  Varro de re rust. 3,16,29. Siehe auch Vergil. geo. 4,21 ff.; 67 ff.; 185 ff. 22  Columella de re rust. 9,11,1–5; 9,14,2–5; Plin. mai. nat. hist. 11,17(17),54.

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c) Wenn man die oben geschilderte Imkerei vor Augen hat, dann macht die „Wiederholung“ der scheinbar bekannten Regeln über die occupatio doch Sinn: Anders nämlich als die wilden Tiere ist das Bienennest bzw. die Honig­wabe an sich kein wildes Tier, das dem Eigentümer im eigentlichen Sinne „ge­hören“ könnte. Diese Ansicht wurde in diesem Texte ausdrücklich ver­neint. Die occupatio kann erst eingreifen, wenn die Sache in custodia ge­nom­men wurde. Das bedeutet bei den Bienen, wie wir sahen, sie in einen Korb einzu­schließen. Wenn der Schwarm den occupans verlässt und nicht mehr verfolgt werden kann oder aus dem Blickfeld gerät, dann verliert dieser die custodia und gleichzeitig das Eigentum. Der Schwarm wird von diesem Mo­ment an wieder okkupations­bereit. 2. Unter den römischen Autoren warnt Varro, dass das Bienenvolk sein Nest verlasse, wenn der Imker sie falsch behandle.23 Dieses Verhalten ist den europäi­ schen Honigbienen allerdings fremd.24 Dagegen verlassen die Bienen, die im Süden leben, ihr Nest, nachdem sie den gespeicherten Ho­ nig, Eier und Larven gefressen haben, wenn sie nicht genug Honig in der Nähe sammeln können oder wenn das Nest ihnen wegen Hitze, Regen oder aus sonstigen Grün­den nicht mehr gefällt.25 Diese Eigenschaften von Bie­ nen müssen auch in den Augen der römischen Juristen so ausgesehen haben, als ob die Bienen ihren Willen, wiederzukehren, verloren hätten. Anders als bei den Jagdtieren profitieren die Menschen von Bienen, so lange sie unter der custodia des Eigentümers bleiben. Gerade deswegen musste der Jurist genau das Hin-und-Zurückgehen vom endgülti­ gen Ab­ schied unter­schei­den. Dazu diente der Begriff des Willens der Tiere. V. Fischerei und occupatio 1. Ein Beispiel der Anwendung der occupatio kann man auch in der plauti­nischen Komödie „Ru­dens“ sehen. Ein junger Mann hat sich in eine scheinbare Sklavin verliebt, weshalb er sie von ihrem Zuhälter kaufte. Allerdings entfloh der Zuhälter durchs Meer zu­ sammen mit seinen Sklavinnen, wobei sie sich aber alle von einem Schiff­ 23  Varro

de re rust. 3,16,21. 28. 33. japanische Honigbiene ist eine Honigbienenart, die mit diesem Verhalten am nördlichsten leben. Sie haben angeblich mehr Überlebungskraft, so dass sie sich trauen können, das alte Nest zu verlassen: Masami Sasaki, Nihon mitsu-bachi – hokugen’-no apis cerana („Japanische Honigbienen – apis cerana in der nördlichen Grenze“), Kaiyu-Sha 1999, 42. Siehe auch Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetz­ buches für das Deutsche Reich, amtliche Ausgabe, 1888, Ndr. 1893, Bd. 3, 373. 25  Eva Crane, Bees and Beekeeping: Science, Practice and World Resources, Ithaca 1990, 96. 24  Die

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bruch retten mussten. Die Liebhaberin, die in Cyrene zum Zuhälter zu gehören scheint, ist eigentlich ein freies Mädchen, also die Tochter eines alten Mannes, der am Meer lebt. Der Beweis dafür ist nun, zusammen mit dem Koffer des Zuhälters, auch im Meer untergegangen. Zufällig aber findet Gripus, ein Skla­ ve des Vaters, den Koffer in einem Fischernetz. Trachalio, ein Haussklave des jungen Mannes, sieht dies und beginnt, um den Koffer zu streiten. Plaut. Rudens 4,3,953–99726 (953) GRIPUS Do fidem tibi, fidus ero, quisquis es. TRA­CHA­LIO Audi.
 furtum ego vidi qui faciebat:
 (955) noram dominum, id cui fiebat. post ad furem egomet deve­nio
 feroque ei condicionem hoc pacto:
 (958a) „ego istuc furtum scio cui fac­tumst;
 (958b) nunc mihi si vis dare dimi­dium,
 (959a) indicium domino non fa­ciam.“
 (959b) is mihi nihil etiam respon­dit. (960a) quid inde aequom est dari mihi? dimidium
 (960b) volo ut dicas. GR. Immo hercle etiam amplius,
 (961a) nam nisi dat, domino dicun­dum
 (961b) censeo. TR. Tuo consi­lio fa­ciam.
 nunc advorte animum: namque hoc omne
attinet ad te. GR. Quid fac­tumst? TR. Vidulum istum cuiust novi ego hominem iam pridem. GR. Quid est? TR. Et quo pacto periit. GR. At ego, quo pacto inventust scio. (965) et qui invenit, hominem novi et dominus qui nunc est, scio. nihilo pol pluris tua hoc quam quanti illud refert mea: ego illum novi, cuius nunc est: tu illum, cuius antehac fuit. hunc homo feret a me nemo, ne tu te speres potis. TR. Non ferat, si dominus veniat? GR. Domi­nus huic, ne frustra sis,
 (970) nisi ego, nemo natust, hunc qui cepi in venatu meo.


GRIPUS Du hast mein Wort: Wer du auch bist, ich verrate nichts. TRACHALIO So höre denn: ich sah mit an, wie einer stahl; (955) Der Herr, den er bestahl, war mir be­kannt. Ich ging Drauf zu dem Dieb und schlug ihm die Bedin­gung vor: „Der Mann, den du bestohlen, ist mir wohlbe­ kannt; Gibst du die Hälfte mir, so zeig’ ich’s ihm nicht an.“ Er gab mir keine Antwort. (960) Was gebührt nun mir Davon? Die Hälfte, nicht wahr? GR. Wahrlich, noch viel mehr! Denn gibt er nichts, so zeigst du wohl dem Herrn es an. TR. Ganz wie du rätst, will ich es tun. Nun merke wohl: Das alles geht dich selber an. GR. Was ist denn geschehen? TR. Den Besitzer dieses Kof­fers kenne ich schon lange. GR. Was denn? TR. Und auch die Art, wie er verloren ging. GR. Doch ich weiß, wie er gefunden wurde. Ich kenn’ auch den, (965) Der ihn gefunden und jetzt im Besitze hat. Das geht fürwahr dich gerad so wenig an, Wie jenes mich. Ich kenne den, der jetzt ihn hat, Du den, der ihn zuvor gehabt. Kein Mensch be­kommt Von mir ihn jemals wieder; hoffe nicht zu früh! TR. Bekommt ihn nicht? Auch wenn der Herr kommt? GR. Einen Herrn, Bemüh’ dich nicht umsonst, gibt’s in der ganzen Welt

26  Text: T. Maccius Plautus, Rudens, Hrsg. Andreas Thierfelder, Heidelberg 19622. Übersetzung: Willhelm Binder, Stuttgart 1864 ff., neubearbeitet durch Walther Ludwig, in: Plautus / Terenz, Antike Komödien, 1969 (Ndr. Zürich 1974), 873–875.



Occupatio im Alltag der Römer

TR. Itane vero? GR. Ecquem esse dices in mari piscem meum?
 quos cum capio, siquidem cepi, mei sunt; habeo pro meis,
 nec manu adseruntur, neque illinc partem quisquam postu­lat.
 in foro palam omnes vendo pro meis venalibus.
 (975) mare quidem commune certost omnibus. TR. Adsentio: qui minus hunc communem, quaeso, mihi esse oportet vidu­lum?
 in mari inventust communi. GR. Esne impudenter impu­dens?
 nam si istuc ius sit quod memo­ras, piscatores perierint.
 quippe quom extemplo in macellum pisces prolati sient,
 (980) nemo emat, suam quisque par­tem piscium poscant sibi, dicant, in mari communi captos. TR. Quid ais, impudens?
 ausu’s etiam comparare vidulum cum piscibus?
 eadem tandem res videtur? GR. In manu non est mea:
 ubi demisi rete atque hamum, quid­quid haesit, extraho.
 (985) meum quod rete atque hami nancti sunt, meum potissi­mumst. TR. Immo hercle haud est, siquidem quod vas excepisti. GR. Philoso­phe.
 TR. Sed tu enumquam pisca­torem vidisti, venefice,
 vidulum piscem cepisse aut protu­lisse ullum in fo­rum?
 non enim tu hic quidem occu­pabis omnis quaestus quos voles:
 (990) et vitorem et piscatorem te esse, impure, postulas. vel te mihi monstrare oportet piscis qui sit vidulus,
 (992) vel quod in mari non natumst neque habet squamas, ne feras.

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(970) Dafür nicht, außer mir; mein ist er durch den Fang. TR. Meinst du? GR. Glaubst du, der Fisch, so­lang’ im Meer er schwimmt, Sei mein? Nur die ich fange – fang ich über­haupt  –, Gehören mir, die sind mein Eigen­tum. Kein Mensch Macht Anspruch darauf, nie­mand begehrt sein Teil davon; Auf offenem Markt verkaufe ich als meine Ware sie; (975) Das Meer ist allgemeines Gut. TR. Dem stimm’ ich bei; Und drum gehört nicht minder auch der Koffer mir Und dir gemein­sam, fand man ihn im Meere doch: Er ist Gemeingut! GR. Ha, du un­verschämter Kerl! Bestünde das, wie du mir’s hinge­stellt, zu Recht, Die Fischer gingen all zu­grund’; denn stünden sie Mit ihren Fischen auf dem Markt, da würde doch (980) Kein Mensch mehr kau­fen, jeder spräche seinen Teil  Von Fischen an: gefangen seien sie, sagte man, Im Meere, das Gemeingut ist. TR. Wie unver­schämt! Bist du so frech, den Koffer mit den Fischen zu Vergleichen? Scheint das eines und dasselbe dir? GR. Das ist nicht meine Sache. Wenn Netz und Angel ich Auswerfe, zieh ich dran heraus, was hän­gen­ bleibt; (985) Was Netz und Angel fangen, gehört mir ganz allein. TR. Nein, nein, wenn ein Gerät du fängst, so ist’s nicht dein. GR. Du Sophist! TR. Aber sahst du einen Fi­scher je, Du Galgenstrick, der einen Koffer fing als Fisch Und ihn zu Markte trug? Du kannst ja doch dich nicht Mit jedem Gewerbe befassen, wie du willst. (990) Du willst ein Fischer und zugleich ein Koffermacher sein. Entweder mußt du dartun, was ein Koffer für Ein Fisch ist, oder, was im Meer nicht geboren ist Und keine Schuppen hat, da liegenlassen!

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2. Die Altphilologen versuchen seit längerem, den langen Streit zwischen den beiden Sklaven zu erklären. Da der Fischer selbst sagt „neque ego istas vestras leges urbanas scio“, ist die herrschende Erklärung, dass er auf einen Unter­ schied der Rechtsvorstellungen zwischen einem städtischen Sklaven und einem ländlichen Sklaven anspielt.27 Man versuchte sogar, eine Paral­ lele zu „Moby Dick“ zu begründen.28 Allerdings könnte man den Streit gerade da­durch erklä­ren, dass man untersucht, welche Rechtskenntnis die beiden Skla­ven über occupatio hatten und warum der Streit gerade deshalb für die römi­schen Zu­schauer lustig war. 3. Wenn der Haussklave sagt, dass ihm bekannt sei, wer der Eigentümer des Koffers sei und wie er verlo­ ren ging, antwortet der Fischer Gripus: „Doch ich weiß, wie er gefunden wurde. Ich kenn’ auch den, der ihn ge­ funden und jetzt im Besitze hat. Das geht fürwahr dich gerad so wenig an, wie jenes mich. Ich kenne den, der jetzt ihn hat, du den, der ihn zuvor gehabt. Kein Mensch be­kommt von mir ihn jemals wieder; hoffe nicht zu früh!“. Dann auch „Einen Herrn gibt’s in der ganzen Welt dafür nicht, außer mir.“ Dies entspricht genau den Regeln in D. 41,1,1,1 und D. 41,1,3,2: Die Sa­ chen, die im Meer gefangen wor­ den sind, gehören dem Okkupanten. Wenn er aber den Besitz verliert, werden die Sachen wieder „okkupations­ fähig“, so dass der Nächste, der sie fängt, Eigentümer wird. Gripus begründet sein Eigentum durch seine Tätigkeit, also mit der Fische­rei. „Glaubst du, der Fisch, solang’ im Meer er schwimmt, sei mein? Nur die ich fange … gehören mir, sie sind mein Eigentum. Kein Mensch macht An­spruch darauf, niemand begehrt sein Teil davon; …“ Die Fischer fangen die Fische täglich und verkaufen sie als Eigentümer infolge occupatio auf dem Markt. 4. Das Lustige bei dieser Szene ist aber, dass der schlaue Haussklave eine ganz andere Vorstellung vom Eigentumserwerb hatte. Der Haussklave Trachalio nämlich wirft zuerst dem Fischer vor, dass er einen Diebstahl begehe. Wenn aber Gri­pus, wie oben, sich mit der occupatio zu recht­fertigen versucht, betont der Haussklave den Unterschied zwi­ schen dem Koffer und dem Fisch mit den Worten: „Wie unverschämt! Bist du so frech, den Koffer mit den Fischen zu vergleichen? Scheint das eines und das­selbe dir?“ Da der Fischer immer noch darauf fixiert ist, wie der nur Adele Scafuro, The Forensic Stage, Cambridge 1997, 191. Konstan, Roman Comedy, Ithaca / London 1983, 73 ff. Die einzige Gemein­samkeit zwischen den beiden literarischen Werken liegt darin, dass einer der beiden Hauptdarsteller ein Fischer ist. Es erklärt die Lustigkeit der Hauptszene von der Komö­die „Rudens“ sehr wenig. 27  Siehe

28  David

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Koffer gefan­gen worden ist, er­weitert der Haussklave sein Argument, indem er sagt: „Aber sahst du einen Fischer je, du Galgenstrick, der einen Koffer fing als Fisch und ihn zu Markte trug?“, dann: „Entweder musst du dartun, was ein Koffer für ein Fisch ist, oder, was im Meer nicht geboren ist und keine Schuppen hat, da lie­gen lassen!“ Der Gedanke hinter diesen Worten könnte man im oben bereits skizzier­ ten D. 41,1,5,6 sehen. Der Text zeigt deutlich, dass es auch unter den Vö­ geln Ty­ pen gibt, wie die Gänse und Hühner, die nicht Gegenstand der Okkupation werden können. Sie bleiben immer im Besitz des Eigentümers, selbst wenn sie „auch noch soweit geflogen sind, dass man gar nicht weiß, wo sie sind“. Sie sind die gezähmten „Haus“-Vögel, die nicht wild sind. Nur die wilden Vögel dürfen in Besitz genommen werden. 5. Wie unterscheidet man weiter die „wilden“ und „nicht wilden“ Tiere? Die Hühner waren bereits vor der Zeit in Südostasien gezähmt worden, zu der sie in den Mittelmeerraum gebracht wurden. Deshalb gab es in Rom keine „wil­ den“ Hühner im zoologischen Sinne. Allerdings be­ zeugt Varro „gallinae rusticae“, die ähnlich wie „afrikanische Hühner“ seien und in der Stadt kaum mehr zu finden seien.29 Das „afrikanische Huhn“ dürfte Gui­ nea-Geflügel gewe­ sen sein, das vollkommen anderes als ein gezähmtes „Haus“-Huhn aus­sieht.30 Auch Gänse wurden sehr früh gezähmt. Daneben existierten in Europa En­ten, Schneehühner und wilde Gänse, die „anseres ferae“ genannt wer­ den.31 Alle diese Vogelsorten sehen deutlich anders aus als „Haus“-Gänse. 6. Dagegen kann man die wilden Bienen und die „Hausbienen“ nicht unter­scheiden. Columella und Plinius maior beschreiben geeignete und un­ geeignete Sorten der Bienen für Imkerei; man kann aber über­haupt keine Einheit ziehen. Rund, lang, schwarz, goldfarben, mit dichtem oder weniger dichtem Haarkleid – sie konnten sowohl wild als auch im Eigentum des Imkers sein.32 Heute ist die am weitesten verbreitete Art der Honigbienen apis mellifera, die in Europa und in Afrika heimisch ist. Diese Art kann weiter je nach der Region in 24 Rassen untergliedert werden, wovon zehn Rassen im Raum des römischen Reichs hei­ misch sind.33 Sie haben ver­ 29  Varro

de re rust. 3,9,16. G. W. Glare (ed.), Oxford Latin Dictionary, Oxford 1982, 753. 31  Plin. mai. nat. hist. 10,22(29),56. S. J. Hanzàk, The Pictorial Encyclopedia of Birds, London 1967, 197 u. 200. 32  Columella de re rust. 9,3; Plin. mai. nat. hist. 11,18(19),59. Siehe auch Aris­ toteles hist. anim. 5,22. 33  Apis mellifera ligustica, apis mellifera carnica, apis mellifera cecropia, apis mel­li­fera caucasica, apis mellifera mellifera, apis mellifera iberica, apis mellifera 30  P.

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schiedene Größen und Farben. Das be­deu­tet, dass, wenn sie einmal entflo­ gen sind, der nächste Okkupant nicht wis­sen kann, ob die Bienen jemandem gehören oder nicht. 7. Also wollte Trachalio sagen, dass der Koffer „nicht wild“ ist, weil er vom wilden Fisch auf einen Blick unterschieden werden kann und deshalb nicht okkupierbar ist. Nicht nur bei den Sachen, die im Himmel gefangen werden, sondern auch bei denen, die im Meer gefangen werden, muss der Unterschied zwischen wilden und zahmen gelten. Wenn ein Koffer wild sein sollte, hätte Gripus ihn okkupiert und wäre sein Eigentümer geworden. Allerdings wusste Trachalio, dass dies nicht der Fall ist. Der Koffer ist kein Fisch und auch kein wildes Tier. Die Zuschauer des „Rudens“ konnten die Verwirrung von Gripus vom Standpunkt eines allwissenden Beobachters belachen, weil Gripus die feine Differenzierung des Gegenstandes der Ok­ kupation nicht verstanden hatte. VI. Zusammenfassung Aus den Digestenstellen von D. 41,1,1,1 bis D. 41,1,5,6, welche die occu­patio diskutieren, könnte man zwei Kategorien der Tiere, nämlich wil­ de und nicht wilde, herausarbeiten. Die wilden Tiere werden durch occupatio zum Eigentum, wenn sie gefangen worden sind, und bleiben es so lange, wie sie unter custodia des Eigentümers sind. Wenn sie aber aus der custodia des Eigen­tü­mers fliehen, werden sie zum Gegenstand einer nächs­ ten occupatio. Die „nicht wilden“ Tiere können dagegen niemals okkupiert werden, selbst wenn sie ganz aus dem Blickfeld des Eigentümers ver­ schwunden sind, so dass ein Frem­ der, wenn er sie fängt, wegen furtum haften muss. Der Unterschied zwischen den beiden Kategorien war beson­ ders wichtig für die Jäger und die Fischer. Unter den wilden Tieren gibt es aber noch Subkategorien. Die eine ist die der Jagdtiere und die andere die der Tiere mit der Gewohnheit der Rück­ kehr. Der Topos der letzten Subkategorie ist die Biene, deren occupatio ausführlich und der römischen Imkerei entsprechend geregelt worden ist. Die Tiere mit der Gewohnheit der Rückkehr werden wieder okkupierbar, wenn sie den ani­mus revertendi verloren haben. Den Willen der Bienen erkennt auch Varro an. Die Anerkennung dieser Subkategorie mag eine Erweiterung der custodia des Eigen­ tü­ mers bedeuten. Allerdings war den Römern wohl wichtiger, ab wel­chem Zeitpunkt die Bienen wieder okkupier­ bar werden. cypria, apis mellifera siciliana, apis mellifera lamarckii, apis mellifera intermissa. Crane (o. Fn. 25) 7 f.



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Der Streit zwischen einem Fischer und einem Haussklaven in der plautini­ schen Komödie „Rudens“ kann erst aus der Regelung der occupatio verstan­ den werden. Der Fischer wollte sein Eigentum damit begründen, dass er den Koffer aus dem Meer „gefangen“ habe. Allerdings wusste der Fischer nicht, dass es Sachen gibt, die nicht okkupiert werden können. Die Römer erklä­ ren die Tiere für wild, die sowohl in der freien Wildnis als auch in eingeschlosse­nem Zu­stand gleich aussehen (wie die Bienen), wohl weil man nicht wissen kann, ob sie je­mandem gehören oder nicht. Anderseits sind die Tiere, bei de­nen die wilden von den gezähmten leicht unterschieden werden können (wie die Hüh­ner und die Gänse), nicht Gegenstände der Okkupa­ tionen. Sie sind für im­mer „Haus­tiere“. „Res nullius occupanti cedit.“ Das Prinzip scheint nur eine übermäßige Ge­neralisierung zu sein. Das Rechtsinstitut wurde vielmehr für die Tätigkei­ ten des Jägers, Fischers und Imkers entwickelt.

Minpo § 719 und das römische Recht Eine Anwendungsmöglichkeit auf den Nebentäterfall Von Makoto Ishikawa I. Einleitung Am Anfang stellen wir einen Fall vor: Autofahrer A hat fahrlässig den Radfahrer C verletzt; C wurde daraufhin in ein Kran­ken­haus gebracht. Wenn ihn der Arzt B richtig behandelt hätte, dann wäre C wahr­scheinlich nicht ums Leben gekommen; aber C starb tatsächlich aufgrund der Fahr­läs­sig­keit des B.

Diese Abhandlung1 bezieht sich darauf, wie man diesen Fall beurteilen soll, insbesondere hinsichtlich der Haftung des ersten Täters A. II. Japanisches Recht Wir haben im Minpo (Japanisches Zivilgesetzbuch) die folgende Vor­ schrift als Grundsatznorm für die unerlaubte Handlung: § 709: Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Recht oder das rechtlich zu schützende In­te­resse2 eines anderen verletzt, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Scha­ dens ver­pflichtet.

Es gibt im Minpo auch die folgende Vorschrift über die durch mehrere ge­meinschaftlich begangene unerlaubte Handlung: § 719 Abs. 1: Haben mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Hand­lung bei einer anderen Person einen Schaden verursacht, so ist jeder für den Scha­den als Gesamtschuldner verantwortlich. Das Gleiche gilt, wenn sich nicht er­mit­teln lässt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden durch seine Handlung ver­ursacht hat. 1  Ich habe den Inhalt dieser Abhandlung schon auf Japanisch geschrieben: Makoto Ishikawa, Minpo 719 Jo No Rekishiteki Haikei To Ronrikozo („Der historische Hin­tergrund und die logische Struktur von Minpo § 719“), in: Doitsuho No Keiju To Gend ­ ai Nihonho („Die Rezeption des Deutschen Rechts und das Japanische Recht der Ge­genwart“), 2009, Nihon Hyoronsha, 583 ff. 2  Die Worte „das rechtlich zu schützende Interesse“ sind im Jahre 2004 nach der bis­he­ri­gen Rechtsprechung eingefügt worden. Sie ändern aber im Wesentlichen nichts am Sinne der Vorschrift.

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Einer der Gesetzesverfasser (es waren drei Personen) mei­nte, dass das Wort „gemeinschaftlich“ genau so ausgelegt werden solle wie bei der Mit­ täterschaft im Strafrecht.3 Danach kann Minpo § 719 Abs. 1 auf unse­ren Fall nicht ange­wendet werden. Möglicherweise ist diese Ansicht von der unten erwähn­ten Auslegung des § 830 Abs. 1 des BGB sehr stark be­einflusst wor­ den. Dagegen urteilte der JOG (Japanische Oberste Gerichtshof), dass die Hand­ lungen von A und B „gemeinschaftlich“, d. h. nicht im subjektiven, sondern im objektiven Sinn, den Todesschaden bei C verursacht haben und beide Hand­­ lun­ gen in adäquatem Kausalzusammenhang mit dem Schaden stehen, und wandte Minpo § 719 Abs. 1 auf unseren Fall an.4 Das Urteil befolgte nämlich nicht die Ansicht des Gesetzesverfassers (Ume), sondern die frühere Rechtsprechung,5 und zwar bei folgendem Fall: Eine staatli­che Fabrik A leitete Schmutzwasser in einen Fluss ein und verursachte mit anderem Ab­ wasser einer Stadt B einen Schaden für die Bauern C. Darauf­hin entschied der JOG, dass, wenn die Handlungen von A und B selbständig den Tatbestand des Minpo § 709 erfüllten, das Schmutz­ wasser von A einen adäqua­ ten Kausal­ zusammen­ hang mit dem Schaden habe. Die frühere Recht­spre­chung nahm also nach der damaligen herrschen­ den Lehre6 die so ge­ nannte Äquivalenz­ theo­ rie7 an und wandte Minpo § 719 Abs. 1 auf diesen Fall an. 3  Kenjiro Ume, Minpo Yogi („Lehrbuch des Zivilrechts“) III, 1908, Yuhikaku, 906. Hier zeigt er ein Beispiel, dass mehrere „gemeinschaftlich“, das heißt als „Mittä­ter“, ein Gebäude zerstören. Doch sagte der andere Gesetzesverfasser, Nobushige Hozumi, bei der Dis­kussion der Kompilation, dass ein Konspirationswille der mehreren Täter nicht notwen­dig sei. Houten Chosakai Giji Sokkiroku („Protokoll der Gesetzes­kom­ pi­la­tion“) V, 1984, Shoji Homu Kenkyūkai, 393. 4  JOG, 13. März 2001, Minshu 55, 2, 328. Der Fall war: Der 6-jährige C wur­ de durch den Autofahrer A so verletzt, dass er ums Leben gekommen wäre, wenn er lie­gen gelas­sen worden, aber wenn ihn der Arzt B richtig behandelt hätte, wäre sein Le­ben mit höherer Wahrscheinlichkeit gerettet worden. Doch ist C aufgrund von Fahr­lässig­keit des B ge­storben. Über die Problematik dieses Urteils siehe z. B. Kuni­hiko Yoshida, Hanrei Hyoron („Urteilsrezension“) 516, 2002, 158. 5  JOG, 23. April 1968, Minshu 22, 4, 964. Das ist ein Urteil, welches bei uns sehr be­rühmt als San-nogawa Jiken („Fall vom Fluss San-no“) ist. Aber es gibt auch noch frühere Präjudizien: Daishin-in (der oberste Gerichtshof vor dem 2. Weltkrieg), 24. Juli 1924, Minshu 3, 376 und Daishin-in, 20. Dezember 1935, Minshu 14, 2064. Hier ist im allgemeinen gezeigt werden, das Wort „gemeinschaftlich“ im § 719 Abs. 1 solle als eine objektive Mitwirkung der Täter verstanden werden und der sub­jektive Kon­spira­ti­onswille der Täter sei nicht notwendig. 6  Ichiro Kato, Fuhokoi („Deliktsrecht“), vermehrte Aufl. 1974, Yuhikaku, 208. 7  Daishin-in, 22. Mai 1926, Minshu 5, 386 ist auch bei uns sehr be­ rühmtes Urteil als Fukimaru Jiken („Fall vom Schiff Fukimaru“), das die Äquivalenztheorie annahm.

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In der Literatur sprachen sich einige Autoren, vor allem die Praktiker, für die Ansicht der Rechtsprechung, andere aber dagegen aus. Wer dem Urteil zu­stimmt, hält hauptsächlich aus einem praktischen Grund die Angemessen­ heit des Ergebnisses (Vorteil für das Opfer) für wichtig, während Autoren, die sich da­gegen aussprechen, einen theoreti­schen Grund für entscheidend ein­schät­zen:8 Dass es nämlich in diesem Fall nicht um die „gemeinschaftli­ che“ unerlaubte Handlung gehe, son­ dern allein um eine Konkurrenz der zwei unerlaub­ ten Hand­ lungen des A und des B. Nach der Meinung der Rechtspre­chung fehle die in Minpo § 719 Abs. 1 geforderte Identi­tät, denn wenn die Vorschrift nur dann anwendbar sei, wann die Handlungen von A und B „selb­stän­dig“ den Tat­be­stand des § 709 erfüllten, könnte § 719 Abs. 1 unnötig sein.9 Diese An­sicht, die sich gegen die Recht­sprechung wendet, wird heute von mehr Autoren unter­stützt. III. Deutsches Recht Das BGB hat die folgende Vorschrift, die das japanische Zivilgesetzbuch re­zipiert hat: BGB § 830 Abs. 1: Haben mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene uner­ laubte Handlung einen Schaden verursacht, so ist jeder für den Schaden verantwort­ lich. Das Gleiche gilt, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Betei­ ligten den Scha­den durch seine Handlung verursacht hat.

Ferner findet sich im BGB die folgende Vorschrift, die das japanische Zivil­gesetzbuch nicht aufgenommen hat: BGB § 840 Abs. 1: Sind für den aus einer unerlaubten Handlung entstehenden Scha­den mehrere nebeneinander verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner.

Im deutschen Recht kann zwar § 830 Abs. 1 auf unseren Fall nicht an­ge­ wen­det werden, denn das Wort „gemeinschaftlich“ ist im Sinne der straf­ recht­lichen „Mittäter“ zu verstehen. Aber § 840 Abs. 1 kann deshalb auf den Fall an­wend­bar sein, weil A und B als so genannte „Nebentäter“ angesehen werden kön­nen.10 Dass interessanterweise das japanische Zivilgesetzbuch keine Vorschrift wie BGB § 840 Abs. 1 hat, ist uns sehr wichtig. Darauf kommen wir noch einmal am Ende zurück. 8  Siehe Nobuhisa Segawa, Kyodohuhokoirontenkai No Jianruikei To Ronri („Der Falltypus und die Logik in der Entwicklung der Mittäterschaftstheorie“), in: Minpogak ­ uniokeru Ho To Seisaku („Das Recht und die Politik in der Zivil­rechts­ lehre“), 2007, Yuhikaku, 657 ff. Siehe auch Yoshida (o. Fn. 4). 9  Yoshio Hirai, Saiken Kakuron II Fuhokoi („Besonderer Teil des Schuldrechts II: Deliktsrecht“), 1992, Kobundo, 191 f. 10  Über BGB §§ 830 und 840 siehe z. B. Dieter Medicus, Bürgerliches Recht, 13. Aufl., Köln, Berlin, Bonn und München 1986, 474 ff. Rn. 789 ff.

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IV. Römisches Recht 1. Julians Meinung Zunächst betrachten wir die berühmte Stelle Julians. D. 9,2,51 (Iul. 86 dig.) Ita vulneratus est servus, ut eo ictu certum esset moriturum: medio de­ inde tempore heres institutus est et postea ab alio ictus decessit: quaero, an cum utroque de occiso lege Aquilia agi possit. respondit: occi­ disse dicitur vulgo quidem, qui mortis causam quolibet modo prae­ buit: sed lege Aquilia is de­mum te­ neri visus est, qui adhibita vi et quasi manu causam mortis prae­ buisset, tracta videlicet inter­ pretatione vocis a caedendo et a caede. rursus Aquilia lege teneri existimati sunt non solum qui ita vulnerassent, ut confestim vita pri­­ varent, sed etiam hi, qourum ex vulnere certum esset aliquem vita excessurum. igitur si quis servo mor­ tiferum vulnus inflixerit eun­ demque alius ex intervallo ita per­ cus­serit, ut maturius interfice­re­tur, quam ex priore vulnere mo­ ri­ tu­ rus fuerat, statuendum est utrum­ que eorum lege Aquilia te­ne­ri.

(1) Idque est consequens auctori­tati veterum, qui, cum a pluribus idem servus ita vulneratus esset, ut non appareret cuius ictu peris­set, omnes lege Aquilia teneri iudica­verunt. (2) Aestimatio autem perempti non eadem in utriusque persona fiet: nam qui prior vulneravit, tan­ tum praestabit, quanto in anno pro­ximo

Julian im 86. Buch seiner Digesten Ein Sklave wurde derart verletzt, dass si­cher war, er werde infolge des Schlages sterben. In der Zwischenzeit wurde er dann als Erbe eingesetzt, und später starb er in­ folge des Schlages eines Dritten. Ich frage an, ob ge­ gen beide nach der Lex Aquilia wegen Tö­ tung geklagt werden könne. Julian erteilte folgendes Gutachten: Zwar hat nach allge­ meinem Sprachver­ständnis ge­tötet, wer auf irgendeine belie­ bige Art die Todesursache gesetzt hat. Aber es ist an­erkannt, dass nach der Lex Aqui­ lia nur haf­ tet, wer unter [unmittelba­rer] Anwen­dung von Gewalt und sozusa­gen eigenhän­dig die Ursache für den Tod gesetzt hat, wo­bei offensichtlich diese Auslegung des Wortes occidere „töten“ von  caedere „er­schla­gen“ und caedes „Tot­ schlag“ herge­ leitet wurde. Anderseits hat man angenom­men, dass nach der Lex Aqui­ lia [wegen Tot­schlags] nicht nur haftet, wer in einer Weise verletzt hat, dass er das Opfer sofort ums Leben bringt, sondern auch wer je­ mandem eine Verwun­ dung zugefügt hat, an der dieser mit Si­ cherheit sterben wird. Hat daher jemand einem Sklaven eine töd­ liche Wunde bei­ gebracht und ein an­ derer densel­ ben nach einiger Zeit durch einen Schlag so ver­wundet, dass er früher gestor­ ben ist, als er infolge der ersten Ver­letzung gestorben wäre, so ist dahin zu entscheiden, dass jeder von beiden [wegen Todschlags] nach der Lex Aquilia haftet. 1. Dies entspricht auch der Lehrmeinung der alten Juristen, die in dem Fall, dass derselbe Sklave von mehreren derart ver­letzt wurde, dass nicht geklärt werden konnte, durch wessen Schlag er umge­ kommen war, ent­ schieden haben, dass alle [wegen Totschlags] nach der Lex Aquilia haften. 2. Aber die Schadensberechnung wegen des getöteten Sklaven wird für die beiden Per­ sonen nicht dieselbe sein. Denn wer als erster den Sklaven verletzt hat, hat den Be­-

Minpo § 719 und das römische Recht homo plurimi fuerit re­petitis ex die vulneris trecentum se­ xaginta quin­ que diebus, poste­rior in id tene­bitur, quanti homo plurimi venire poterit in anno pro­ximo, quo vita excessit, in quo pre­ tium quoque hereditatis erit. eiusdem ergo servi occisi no­ mine alius maiorem, alius minorem aesti­ ma­ tionem praestabit, nec mi­ rum, cum uterque eorum ex di­ver­sa causa et diversis tempori­ bus oc­ ci­ disse hominem intellega­tur. quod si quis absurde a nobis haec constitui putaverit, cogitet longe absurdius constitui neutrum lege Aquilia tene­ ri aut alterum potius, cum neque impunita male­ficia es­se oporteat nec facile con­ stitui pos­ sit, uter potius lege te­ne­atur. multa autem iure civi­ li contra ra­ tio­ nem disputandi pro utilitate com­ muni recepta esse innumera­ bi­ libus rebus probari po­ test: unum in­terim posuisse conten­ tus ero. cum plures trabem alienam fu­ran­di causa sustulerint, quam sin­ guli ferre non possent, furti ac­tio­ne om­­nes teneri existi­mantur, quam­vis subtili ratione dici possit ne­ minem eorum teneri, quia ne­mi­nem verum sit eam sustulisse.

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trag zu leisten, den der Sklave im letz­ten Jahr maximal wert war, wobei vom Tag der Ver­ letzung dreihundertfünfund­sechzig Ta­ge zu­ rückgerechnet werden. Der zweite hat den Betrag zu leisten, für den der Skla­ve im letz­ ten Jahr ― vom Todes­tage zu­rück­ge­rechnet ― maximal hätte verkauft werden können; darin ist auch der Wert der Erb­schaft enthal­ ten. Daher muss we­gen der Tötung desselben Sklaven der eine einen höheren, der andere einen gerin­geren Schätz­wert leisten. Dies ist auch nicht er­staunlich, sobald man er­kennt, dass jeder von beiden durch Setzung einer un­ter­schied­li­chen Todesursache und zu einer an­deren Zeit den Sklaven getötet hat. Soll­te dennoch jemand meinen, dies werde von uns in widersinniger Weise so ent­ schieden, so möge er überlegen, dass es noch weit wider­ sinniger wäre, wenn keiner von bei­den nach der Lex Aquilia haftet oder doch nur einer. Denn weder dürfen Übel­taten ungestraft blei­ ben noch kann leicht ent­ schieden werden, welcher von beiden eher nach der Lex Aqui­ lia haften soll. Und dass im Zivilrecht vieles gegen die Logik der rechtlichen Argumenta­ tion zu­ gunsten des allgemeinen Wohls an­ erkannt worden ist, kann anhand unzähli­ger Beispiele dar­getan werden. Ich be­gnüge mich vor­der­hand da­mit, einen (einzi­gen) Fall dar­ zulegen. Wenn meh­ rere zusam­ men einen fremden Balken, den sie einzeln nicht tragen konn­ten, in Diebstahlsabsicht fortgeschleppt haben, haf­ten sie, wie man annimmt, alle mit der Diebstahlsklage, ob­ wohl streng logisch behauptet werden könn­te, keiner von ihnen hafte, da es wahr ist, dass keiner den Bal­ken fortgeschleppt hat.11

11

2. Widersprüche in den Quellen Die Stelle scheint mit anderen Quellen im Widerspruch zu stehen, einer­ seits mit der Meinung von Celsus, anderseits mit der Meinung von Julian selbst. 11  Übersetzung nach Okko Behrends / Rolf Knütel / Berthold Ku­pisch / Hans Hermann Seiler, Corpus Juris Civilis, Text und Übersetzung II, Digesten 1–10, 1995, Heidelberg, 764 ff.; Ergänzung in runden Klammern vom Autor.

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Ulpian zitiert Celsus in der folgenden Stelle: D. 9,2,11,3 (Ulp. 18 ed.) Celsus scribit, si alius mortifero vulnere percusserit, alius postea ex­ animaverit, priorem quidem non te­ neri quasi occiderit, sed quasi vul­ neraverit, quia ex alio vulnere periit, posteriorem teneri, quia oc­ cidit. quod et Marcello videtur et est pro­ babilius.

Ulpian im 18. Buch zum Edikt Celsus schreibt: Hat der eine dem Sklaven eine tödliche Verletzung zugefügt, der an­ dere ihn darauf getötet, so haftet der erste zwar nicht, weil er getötet, sondern weil er verletzt hat, da der Sklave an der anderen Verletzung gestorben ist; der zweite aber haftet, weil er getötet hat. Dies scheint auch Marcellus richtig und ist auch ein­leuch­ten­ der.12

Ausdrücklich verneint Celsus hier die Haftung des ersten Täters wegen des Totschlags und bejaht nur die wegen der Verletzung. 12

Ulpian führt auch die Ansicht Julians in der folgenden Stelle an: D. 9,2,15,1 (Ulp. 18 ed.) Si servus vulneratus mortifere postea ruina vel naufragio vel alio ictu maturius perierit, de occiso agi non posse, sed quasi de vulne­ rato, sed si manumissus vel alie­natus ex vulnere periit, quasi de occiso agi posse Iulianus ait. haec ita tam va­ rie, quia verum est eum a te oc­ cisum tunc cum vulnerabas, quod mortuo eo demum apparuit: at in superiore non est passa ruina appa­ rere, an sit occisus. sed si vul­ neratum mortifere liberum et he­ redem esse iusseris, deinde de­ cesserit, heredem eius agere Aqui­lia non posse.

Ulpian im 18. Buch zum Edikt Ist ein tödlich verletzter Sklave später durch Gebäudeeinsturz, Schiffbruch oder irgend­ einen anderen Unglücksfall schnel­ ler zu Tode gekommen, so kann, wie Julian sagt, nicht wegen der Tötung des Sklaven, son­ dern nur wegen der Verletzung geklagt werden; ist er aber nach Freilassung oder Veräußerung an der Verletzung gestor­ben, so kann man wegen Tötung klagen. Diese [letzten] Fälle werden deswegen so ab­wei­ chend entschieden, weil es richtig ist, dass er von dir getötet wurde, indem du ihn da­ mals verletzt hast; dies klärte sich je­ doch erst durch seinen Tod. Im ersten Fall ver­ hinderte der Gebäudeeinsturz die Klä­ rung, ob [infolge der Tödlichkeit der Ver­letzung] eine Tötung vorlag. Hast du aber den töd­ lich verletzten Sklaven testa­men­tarisch frei­ gelassen und zu deinem Erben einge­ setzt und ist dieser hierauf [nach dem Erb­ fall] gestorben, so kann sein Erbe nicht nach der Lex Aquilia klagen.13

Hier sagt Julian sonderbarerweise, der erste Täter sollte wegen der Verlet­ zung haften, während er im fr. 51 wegen des Totschlags hafte. 13

12  Übersetzung 13  Übersetzung

nach Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler (o. Fn. 11) 739 f. nach Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler (o. Fn. 11) 741 f.

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3. Auflösung der Widersprüche Von alters her hat man versucht, den Widerspruch zwischen dem fr. 51 und dem fr. 11,3 oder dem fr. 15,1 aufzulösen.14 Accursius hatte im Kommentar zum fr. 51 folgendes gesagt:15 Nec est contra s. eo. l. huic. § si servus & l. idem Mela, § Celsus. vbi dicit primum vt de vulnerato teneri, licet esset vulnus mortife­ rum: quia non erat certum ex eo vulnere moriturum.

[Das fr. 51] steht mit dem fr. 15,1 und dem fr. 11,3 nicht im Wider­ spruch. Hier [in fr. 15,1 und in fr. 11,3] ist gesagt, der erste Töter sollte wegen der Verletzung haften, wenn auch [der Sklave] tödlich ge­schlagen worden wäre, weil es unsi­ cher war, dass [der Sklave] durch seinen Schlag starb.

Vivianus setzte die Ansicht des Accursius voraus und sagte Folgendes im „ca­sus“ zu fr. 11,3:16 Aliquis servum ad mortem vulne­ rauit: & incertum erat an mori de­ ­ beret, vel non: & alius eundem ser­uum interfecit. quaeritur quis te­ neatur? et resp. qui interfecit, te­ netur: prior non, nisi de vul­ne­re.

Jemand hat einen Sklaven tödlich verletzt. Es war unsicher, ob der Sklave ums Leben kam oder nicht. Der andere hat denselben Sklaven getötet. Frage: Wer haftet [wegen des Totschlags]? Antwort: Wer getötet hat, haftet. Der erste haftet nicht [wegen des Totschlags], sondern wegen der Ver­let­zung.

Die Glossatoren meinten nämlich, dass der erste Schlag in fr. 51 stärker sei als der in fr. 11,3. In der Zeit des Gemeinen Recht meinte dagegen z. B. von Vangerow, in fr. 11,3 führe der zweite Schlag selbständig zum Todes des Sklaven, wäh­ rend in fr. 51 der zweite Schlag nur deswegen tödlich sei, weil der erste Schlag be­reits den Sklaven tödlich geschwächt habe.17 Nach von Vangerow ist also der zweite Schlag in fr. 11,3 stärker als der in fr. 51. Diese Versuche, den Widerspruch zwischen fr. 51 und fr. 11,3 aufzuhe­ ben, sind zwar sehr interessant, aber wir können nicht zustimmen. Denn in den Quel­len ist nirgends gesagt worden, der erste Schlag sei in fr. 51 stärker 14  Über die Auslegungsgeschichte des Fr. 51 und die Versuche, den Wider­spruch auf­­zulö­sen, siehe Karl-Heinz Schindler, Ein Streit zwischen Julian und Celsus, Zum Prob­lem der überholenden Kausalität, ZRG RA 74, 1957, 205 ff. Und heute siehe auch Mar­tin Gebauer, Hypothetische Kausarität und Haftungsgrund, 2007, 17 ff. 15  Corpvs Ivris Civilis Ivstinianei Cum Commentariis Accursii, Tom I, 1627, Lug­duni (Ndr. 1965, Osnabrück), 1049. 16  Corpvs Ivris Civilis Ivstinianei (o. Fn. 15) 1022. 17  Karl Adolf von Vangerow, Lehrbuch der Pandekten III, 1869, 587 (§ 681, Fn. 2).

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als der in fr. 11,3 oder der zweite Schlag in fr. 11,3 sei stärker als der in fr. 51. Wir müs­sen die Versuche für nicht aus den Quellen herleitbar halten. Anderseits nahm die so genannte Interpolationsforschung im 20. Jahrhun­ dert an, dass fr. 51 im Wesentlichen interpoliert sei. Beseler z. B. behaupte­ te dabei die folgenden Interpolationen:18 Ita vulneratus est servus, ut eo ictu certum esset moriturum: medio deinde tempo­ re heres institutus est et postea ab alio ictus decessit: quaero, an cum utroque de occiso lege Aquilia agi possit. respondit: occidisse dicitur vulgo quidem, qui mortis causam quolibet modo praebuit: sed lege Aquilia is demum teneri visus est, qui adhibita vi et quasi manu causam mortis praebuisset, tracta videlicet interpre­ tatione vocis a cae­ dendo et a caede. rursus [Aquilia lege] teneri existimati sunt non solum qui ita vulnerassent, ut confestim vita privarent, sed etiam hi, quorum ex vulnere cer­tum esset aliquem vita excessurum. [igitur] si quis servo mortiferum vul­nus inflixerit eundemque alius ex intervallo ita per­ cusserit, ut maturius interficere­tur, quam ex priore vulnere moriturus fuerat, [statuendum est utrumque eorum lege Aquilia teneri. Idque est consequens auctoritati veterum, qui, cum a pluribus idem ser­ vus ita vulneratus esset, ut non appa­ reret cuius ictu perisset, omnes lege Aquilia teneri iudicaverunt]. Aesti­matio autem perempti non eadem in utriusque persona fiet: nam qui prior vulneravit, tantum prae­ stabit, [quanto in anno proximo] homo [plu­rimi] fuerit repetitis ex die vulneris [trecentum sexaginta quin­que] diebus, poste­rior in id tenebitur, quanti homo plurimi [venire poterit] in anno proximo, quo vita excessit, in quo pretium quoque hereditatis erit. [eius­dem ergo servi oc­ cisi nomine alius maiorem, alius minorem aestimationem praesta­bit, nec mirum, cum uterque eorum ex diversa causa et diversis temporibus occidisse homi­nem intellega­tur. quod si quis absurde a nobis haec constitui putave­rit, cogitet longe absurdius con­ stitui neu­ trum lege Aquilia teneri aut alterum potius, cum neque impu­nita maleficia esse oporteat nec facile constitui possit, uter potius lege tene­ atur.] multa autem iure civili contra rationem disputandi pro utilitate communi re­cepta esse innumerabi­libus re­bus probari potest: unum interim posuisse conten­ tus ero. cum plures trabem alienam fu­randi causa sustulerint, quam singuli ferre non pos­sent, furti actione omnes teneri exi­stimantur, quamvis [subtili ratione dici possit neminem eorum teneri, quia] neminem verum sit eam sustulisse.

Schindler meinte hingegen, fr. 51 sei echt.19 In der Interpolations­ for­ schung ist seine Meinung zwar nicht unterstützt worden.20 Aber heute kann 18  Gerhard

193 f.

19  Schindler

Beseler, Beiträge zur Kritik der römischen Rechtsquellen IV, 1920,

(o. Fn. 14) 209 ff. z. B. David Pugsley, Causation and Confessions in the Lex Aquilia, TR 38, 1970, 163 ff.; Ulrich von Lübtow, Untersuchungen zur lex Aquilia de damnno iniuria dato, 1971, 51 ff. 20  Siehe

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man nicht den Widerspruch in den Quellen auf die Kompilatoren abwäl­zen, und eine extreme Interpolationsbehauptung, wie die Beselers, wird abge­ lehnt. Vielmehr müssen wir uns nach Schindler21 vorstellen, dass es über die Haf­tung des ers­ten Täters eine Kontroverse zwi­schen Julian und Celsus gab: Julian be­jahte die Haftung wegen des Totschlags, aber Celsus verneint sie und bejahte nur die Haftung wegen der Verletzung.22 Wie soll man nun den Widerspruch zwischen dem fr. 51 und dem fr. 15,1 auflö­sen? Dazu hat Ankum in der letzten Zeit eine neue Auslegung des fr. 15,1 vorge­schlagen.23 Danach solle man unterscheiden, ob der Sklave entwe­der durch Gebäudeeinsturz oder ob durch Schiff­bruch oder irgendeinen anderen Un­glücks­fall gestorben sei (1), und er emendiert den Text dergestalt, dass [,] vor sed si manumissus vel aliena­tus durch auszuwechseln (2) und vor Iulianus ait einzufügen sei (3). Ankum versteht den Text nämlich so, dass der Satz de occiso agi non posse, sed quasi de vulnerato die Mei­ nung Ulpians selbst zeige und dass Julian nur sage, si manumissus vel ­alienatus ex vulnere periit, quasi de occiso agi posse. Während seine Auslegung der Stelle sehr scharfsinnig ist, dürf­ ten der erste und der dritte Vorschlag wahrscheinlich überflüssig sein.24 Denn die Stelle kann, wie unten gezeigt, gut verstanden wer­den, auch wenn man die textkri­tischen Vorschläge nicht annimmt. Aber dabei entsteht ein Problem: Ist es möglich, dass der Infinitiv-Satz de oc­ciso agi non posse, sed quasi de vulnerato die Meinung der Verfassers Ul­pian zeigt? Nach Ankum sind solche Beispiele nicht selten. Von diesen betrachten wir hier nur eine Stelle:25

21  Hans Ankum, Das Probleme der „überholenden Kausalität“ bei der Anwen­ dung der lex Aquilia im klassischen römischen Recht, in: De iustitia et iure, Fest­ gabe für Ulrich von Lübtow zum 80. Geburtstag, 1980, 331, hat die Ansicht Schind­ lers unter­stützt, das Fr. 51 sei echt. 22  Ankum (o. Fn. 21) 335, 337 f. und Dieter Nörr, Causa Mortis, Auf den Spuren einer Redeanwendung, 1986, 181 ff., haben selbstverständlich vorausgesetzt, dass es darüber eine Kontroverse zwischen Julian und Celsus gab. Schon Cujacius hat auch gesagt, dass man „sine calumnia“ den Widerspruch aufheben könne und dass Julian die Meinung seines Zeitgenossen Celsus gekannt habe und ahbe gegen ihn argumentie­ren wollen (Jacobii Cujacii Opera III, 1873, 1433). 23  Ankum (o. Fn. 21) 325 f. 24  Nörr (o. Fn. 22) 182, Fn. 95. 25  Über andere Beispiele siehe Ankum (o. Fn. 21) 353, Fn. 87, 88, 89.

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D. 9,2,27,30 (Ulp. 18 ed.) Si cum maritus uxori margaritas extricatas dedisset in usu eaque in­ vito vel inscio viro perforasset, ut pertusis in linea uteretur, teneri eam lege Aquilia, sive divertit si­ve nupta est adhuc.

Ulpian im 18. Buch zum Edikt Hat ein Ehemann seiner Frau noch unauf­ gereihte Naturperlen zum Gebrauch über­ lassen und ließ sie sie gegen den Willen oder ohne Wissen des Mannes durchboh­ren, um sie als Kette aufgefädelt zu benut­zen, so haftet sie nach der Lex Aquilia ohne Unter­ schied, ob sie geschieden oder noch verhei­ ratet ist.26

Daher können wir das fr. 15,1 im Folgenden verstehen und dadurch den Wi­derspruch zwischen fr. 51 und fr. 15,1 auflösen: 26

Ist ein tödlich verletzter Sklave später durch Gebäudeeinsturz, Schiffbruch oder ir­ gend­ einen anderen Unglücksfall schneller zu Tode gekommen, so kann nicht wegen der Tötung des Sklaven, sondern nur wegen der Verletzung ge­klagt wer­ den; ist er aber nach Freilassung oder Veräußerung an der Verlet­zung gestorben, w i e J u l i a n s a g t , so kann man wegen Tötung klagen. Diese [letzten] Fälle werden deswegen so ab­wei­chend entschieden, weil es richtig ist, dass er von dir getötet wurde, indem du ihn da­ mals verletzt hast; dies klärte sich jedoch erst durch seinen Tod. Im ersten Fall ver­hinderte der Gebäudeein­sturz die Klärung, ob [infolge der Tödlichkeit der Ver­let­zung] eine Tötung vorlag. Hast du aber den tödlich verletzten Sklaven testamenta­risch freigelas­sen und zu deinem Erben ein­ gesetzt und ist dieser hierauf [nach dem Erbfall] gestorben, so kann sein Erbe nicht nach der Lex Aquilia kla­gen.27

4. Sonstige Quellen Ferner findet man noch die folgenden Stellen über die Mittäter­ schaft, näm­lich über den Totschlag durch zwei Täter: 28

D. 9,2,11,1 (Ulp. 18 ed.) Si alius tenuit, alius interemit, is qui tenuit, quasi causam mortis prae­ buit, in factum actione tene­tur.

Ulpian im 18. Buch zum Edikt Hat der eine den Sklaven festgehalten und der andere ihn getötet, so haftet, wer fest­ gehalten hat, mit einer auf den Sachverhalt zugeschnittenen Klage, weil er die Ursache für den Tod gesetzt hat.28

26  Übersetzung nach Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler (o. Fn. 11) 751. Hier ist ge­ nau der Infinitiv-Satz teneri eam lege Aquilia als die Meinung des Verfassers (Ul­pian) auf Deutsch über­setzt. 27  Ich folge im Wesentlichen Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler (o. Fn. 11) 741 f., und ändere die Stelle „wie Julian sagt“. 28  Übersetzung nach Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler (o. Fn. 11) 739.

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Und über die nicht tödliche Verletzung durch den ersten Täter: D. 9,2,30,4 (Paul. 22 ed.) Si vulneratus fuerit servus non mor­ tifere, neglegentia autem per­ierit, de vulnerato actio erit, non de occiso.

PAULUS im 22. Buch zum Edikt Wurde ein Sklave nicht lebensgefährlich verletzt, ist er aber durch Nachlässigkeit gestorben, so ist die Klage wegen Verlet­ zung, nicht wegen Tötung gegeben.29

Über den Fall, wie in fr. 51,1, bei dem sich nicht ermitteln lässt, wer der Tä­ter ist: 29

D. 9,2,11,4 (Ulp. 18 ed.) Si plures trabem deiecerint et homi­ nem oppresserint, aeque ve­ te­ ribus placet omnes lege Aqui­lia te­neri.

ULPIAN im 18. Buch zum Edikt Haben mehrere einen Balken herunter­ geworfen und dadurch einen Sklaven er­ schlagen, so haften nach Meinung der alten Juristen ebenfalls alle nach der Lex Aqui­ lia.30

V. Schluss Zum Schluss stellen wir die Haftung des ersten Täters A zusammenfas­ send dar: 30

(1) Wenn A und B als „Mittäter“ angesehen werden, dann ist A für den aus dem Tod des C entstehenden Schaden nach jedem Recht verantwortlich, also nach dem japanischen Minpo § 719 Abs. 1 und nach BGB § 830 Abs. 1, ebenso wie im römischen Recht (fr. 11,1). Das ist klar. (2) Es ist auch klar, dass A und B nach Minpo § 719 Abs. 1 S. 2, nach BGB § 830 Abs. 1 S. 2 und nach römischem Recht (fr. 51,1 u. fr. 11,4) haf­ten, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von ihnen den Schaden durch seine Hand­lung verursacht hat. (3) Sind A und B so genannte „Nebentäter“, so ist A für den Schaden nach BGB § 840 Abs. 1 BGB verantwortlich. Nach römischem Recht ist A nicht für den Schaden de occiso verant­wort­ lich, wenn es sich um einen vulneratus non mortifere handelt, sondern nur de vulne­rato (fr. 30,4). Wenn es sich aber um mortifere handelt, dann gibt es eine Kont­roverse zwischen Julian und Celsus: Julian bejaht die Haftung de occiso (fr. 51 pr.) aber Celsus bejaht nur die Haftung de vulnerato, nicht de occiso (fr. 11,3). Dass Marcellus und Ulpian der Meinung des Celsus sind, wird aus­ drück­ lich mitge­ teilt (fr. 11,3). Dagegen folgt Paulus wahr­ 29  Übersetzung

30  Übersetzung

nach Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler (o. Fn. 11) 756. nach Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler (o. Fn. 11) 740.

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scheinlich der Mei­ nung Julians: In fr. 30,4 sagt er, si vulneratus fuerit servus non mortifere, negle­gentia (z. B. also vom Eigentümer des Sklaven) autem perierit, de vulne­rato actio erit, non de occiso. Aber si vulneratus fuerit servus mortifere, dann würde er um­ gekehrt sagen, de occiso actio erit, non de vulnerato.31 Das können wir also aus dem so genannten Argu­ mentum ex contrario erschließen. Ver­mutlich war die Meinung von Celsus die herrschende. Denn Celsus führt mit wenigen Argu­mentationen zu einer einfachen Lösung (fr. 11,3), aber Ju­lian diskutiert als Herausforderer mit sehr vielen Worten (fr. 51,1–2). Wie sollen wir nun bei uns urteilen? Wie schon gesehen, haben wir keine Vorschrift wie BGB § 840 Abs. 1. Der Meinung unseres Gesetzesverfassers (Ume) nach kann man Minpo § 719 dar­auf nicht an­wenden, weil A und B keine Mittäter sind. Anderseits hat die Recht­ spre­ chung die Vorschrift darauf angewendet. Ich glaube – wenn man die Mei­nung Juli­ans übernimmt –, dass Minpo § 719 anwendbar ist, aber nur auf den Fall mortifere. Wir schauen unseren Fall noch einmal an. Hier wäre C, wenn er richtig be­handelt worden wäre, wahrscheinlich nicht ums Leben gekommen. Das ist nicht der Fall mortifere, sondern non mortifere. Julian würde sagen, Minpo § 719 sollte auf unseren Fall nicht angewendet werden.

31  Ankum

(o. Fn. 21) 356.

Vertragliche Haftungsverschärfung beim deposi­tum Von Sebastian Lohsse I. Grundlagen und Fragestellung Der Verwahrer haftet regelmäßig nur für dolus. Belegt wird das schon durch die ältere, honorarrechtliche Klageformel der actio depositi, die in factum kon­zipiert ist und auf rem dolo malo redditam non esse abstellt; für die jün­gere, in ius konzipierte zivilrechtliche Version ergibt sich derselbe Haftungs­maßstab durch Auslegung1. In der Sache entspricht diese Beschrän­ kung der Haftung auf dolus dem Utilitätsprinzip2; sie rechtfertigt sich daraus, dass der Verwahrer grundsätzlich uneigennützig handelt. Das zieht zwangs­ läufig die Frage nach sich, inwieweit die Parteien einer abweichenden Inter­ essenlage durch vertragli­che Vereinbarung begegnen und die Haftung über dolus hinaus verschärfen konnten. Man möchte annehmen, dass die Juristen schon im Rah­men der hono­rarrechtlichen Klage Raum für die Berücksichti­ gung haf­tungs­verschärfender Abreden fanden3. Jedenfalls aber hat man sol­ chen Abre­den die Anerkennung im Rahmen der zivilrechtlichen Version der actio depo­siti nicht verweigert. Mit Einführung dieser Formel war die Haf­ tung des Ver­wahrers von ihrer ursprüng­lichen deliktischen Grundlage gelöst und konnte nunmehr ohne weiteres als vertragliche begriffen werden. Vor allem aber gab diese Formel dem Richter vor, sich bei seiner Entscheidung an der bona fides zu orientieren (quidquid dare facere oportet ex fide bona); damit bot sich ein idealer Anknüpfungspunkt, um haftungsverschärfenden Nebenabreden Rech­nung zu tragen. Zahlreiche Quellen erklären haftungsver­ schärfende Abreden dementsprechend ausdrück­lich für zulässig4, und auch in 1  Siehe zunächst Gai. 3,207; Ulp. 29 ad Sab. D. 50,17,23, Diocl. Coll. 10,5; ferner die in den folgenden Fn. genannten Quellen. 2  Vgl. Ulp. 28 ad ed. D. 13,6,5,2; Gai. 3,207 mit 206. – Zu den grundlegenden Zusam­men­hängen s. nur Dieter Nörr, Die Entwicklung des Utilitätsgedankens im rö­mischen Haftungsrecht, ZRG RA 73 (1956) 68–119, 75 ff. und 115. 3  Gegen die Anerkennung haftungsverschärfender Abreden insoweit aber Wiesław Litewski, Depositary’s Liability in Roman Law, AG 190 (2) (1976) 3–78, 74 ff.; zu­rückhaltend auch schon Gino Segrè, Sul deposito irregulare in diritto roma­ no, Bull. 19 (1907) 197–234, 202 f. 4  Neraz 7 membr. D. 17,1,39 (Vereinbarung der Haftung für periculum); Pap. 27 quaest. D. 45,2,9,1 (culpa); Ulp.( / Pomp.) 4 ad ed. D.  2,14,7,15 (omne pericu-

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der modernen Romani­s­tik ist ihre Berücksichti­gungsfähigkeit wenigstens für die jüngere, in ius konzipierte Formel nicht be­stritten. Über die Frage, welche Reichweite vertraglicher Haftungsverschärfungen die römischen Juristen für zulässig gehalten haben, hat man demgegenüber bis heute keine Einigkeit erzielen können. Gelegentlich begegnet man im Schrift­tum der Auffassung, zulässig gewesen sei nur die Vereinbarung einer Haftung für culpa5; zumeist aber nimmt man an – so namentlich Kaser, Li­ tewski und MacCormack – auch die custodia-Haftung sei tauglicher Gegen­stand haftungs­verschärfender Abreden gewesen6. Die vor allem in älteren Werken vertretene Ansicht, man habe die Haftung vertraglich noch darüber hinaus sogar auf jeden Zufall erstrecken können7, hat dagegen nur vereinzelt Zustim­mung gefunden.

lum); Ulp. 28 ad ed. D. 13,6,5,2 (et culpa et periculum); Ulp. 30 ad ed. D. 16,3,1,6 (culpa) und 35 (periculum); Ulp. 56 ad ed. D. 47,8,2,23 (culpa); Diocl. Coll. 10,5 (ohne Bezug auf einen konkret vereinbarten Haftungsmaßstab); ferner mit ausdrück­ lichem Bezug zum depositum irregulare Ulp. 34 ad Sab. D. 12,1,4 pr.; Ulp. 26 ad ed. D. 12,1,11 pr. 5  So etwa jüngst Tobias Rundel, Mandatum zwischen utilitas und amicitia. Perspekti­ven zur Mandatarhaftung im klassischen römischen Recht, Münster 2005, 131. 6  Vincenzo Arangio-Ruiz, Responsabilità contrattuale in diritto romano, Napoli 19332, 116; Erich Sachers, Die Verschuldenshaftung des Depositars, in: Festschrift Paul Koschaker, II. Band, Weimar 1939, 80–112, 95 ff.; Paul Krückmann, Custodia, ZRG RA 64 (1944) 1–56, 52 f. (mit dems., Versicherungshaftung im römischen Recht, ZRG RA 63 [1943] 1–53, 49); Max Kaser, Das römische Privatrecht, 1. Ab­ schnitt, München 19712, 535 Fn. 10 (§ 126 I 2), Litewski (o. Fn. 3) 69 ff.; ders., Rezension zu Tafaro (u. Fn. 7), ZRG RA 105 (1988) 865–878, 874; Geoffrey MacCormack, Pericu­lum, ZRG RA 96 (1979) 129–172, 156 f.; ders., Custodia and Culpa, ZRG RA 89 (1972) 149–219, 217; ders., Culpa, SDHI 38 (1972) 123–188, 138 f.; René Robaye, L’obligation de garde. Essai sur la responsabilité contractuelle en droit romain, Bru­xelles 1987, 39 ff.; ebenso wohl auch Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, Cape Town 1990, 208 und nunmehr Attila Pókecs Kovàcs, Merces und pretium depo­sitionis, in: Fest­schrift für Rolf Knütel zum 70. Geburtstag, Hrsg. Holger Altmeppen u. a., Heidelberg 2009, 873–886, 878 f. – Unentschlossen bleibt Hannu Tapani Klami, Mutua magis videtur quam deposita, Helsinki 1969, 148, 166; ganz offen lässt die Frage Tom Walter, Die Funktionen der actio depositi, Berlin 2012, 158 mit Fn. 129. 7  Gino Segrè, Sull’età dei giudizii di buona fede di commodato e di pegno, in: ders., Scritti vari di diritto romano, Torino 1952, 61–113, 78 Fn. 32 (aber mit Interpolations­annahme); Carlo Longo, Corso di diritto romano, Il deposito, Milano 1946, 44 ff.; Joa­chim Rosenthal, „Custodia“ und Aktivlegitimation zur Actio furti, ZRG RA 68 (1951) 217–265, 228 f.; aus jüngerer Zeit s. immerhin Sebastiano Tafaro, Regula e ius antiquum in D. 50.17.23, Bari 1984, 242 ff.; Wolfgang Kunkel (Begr.) / Heinrich Hon­sell (Bearb.), Römisches Recht, Berlin u. a. 19874, 302 (§ 113 I); Riccardo Car­dilli, L’obbligazione di „praestare“ e la responsabilità contrattuale



Vertragliche Haftungsverschärfung beim depositum187

II. Ulpian 30 ad ed. D. 16,3,1,35 und der sich aufdrängende Verwah­rer Im Zentrum der Diskussion um die zulässige Reichweite vertraglicher Haf­tungsverschärfungen steht ein Text aus Ulpians Ediktskommentar: Ulp. 30 ad ed. D. 16,3,1,358 Saepe evenit, ut res deposita vel nummi periculo sint eius, apud quem deponuntur: ut puta si hoc nominatim convenit. sed et si se quis deposito obtulit, idem Iulianus scribit periculo se depositi illigasse, ita tamen, ut non solum dolum, sed etiam culpam et custodiam praestet, non tamen casus fortuitos.

Es kommt häufig vor, dass die hinter­ legte Sache oder Geldstücke auf Ge­fahr desjeni­ gen gehen, bei dem sie hinter­ legt werden, etwa wenn das ausdrück­lich vereinbart wird. Aber auch wenn sich jemand zur Verwah­ rung aufge­drängt hat, schreibt Julian, habe er die Gefahr des hinterlegten Gegenstandes auf sich genommen, jedoch nur so, dass er nicht nur für Vorsatz, son­ dern auch für Fahrlässig­ keit und Bewa­ chung einstehen müsse, nicht jedoch für Zufall.

Dreh- und Angelpunkt der Kontroverse ist der vielschichtige Begriff des pe­riculum. Im Gegensatz zum modernen Gefahrbegriff, mit dem regelmäßig die Gefahr zufälligen Untergangs angesprochen ist, meint periculum bei den klassischen Juristen gerade nicht notwendig – ja nicht einmal typi­ scher­ weise – das periculum casus fortuiti oder das periculum vis maioris. Seine Be­deutungsvielfalt reicht vielmehr von der eigentlichen Zufallsgefahr über das periculum custodiae bis zum periculum culpae; teils begegnet peri­culum ganz untechnisch im Sinne eines zu befürchtenden Nachteils. Mit Recht hat deshalb schon Friedrich Mommsen festgehalten, periculum für sich ge­ nommen lasse „keinen Schluß auf die Veranlassung des Schadens“ zu9. Spricht Ulpian nur von der Übernahme des periculum, so lässt das im Aus­ gangspunkt also jede mögli­che Deutung zu; das gilt gleichermaßen für alle anderen Quellen, in denen nur undifferenziert von der Möglichkeit die Rede ist, vertraglich die Haftung für periculum zu übernehmen10. Die eingangs erwähnten Auffassun­gen, zulässig gewesen sei eine Haftungsverschärfung nur für custodia oder sogar nur für culpa, sind deshalb nicht von vornherein von der Hand zu wei­sen. in diritto romano, Milano 1995, 475 ff.; Martin Pennitz, Das periculum rei venditae, Wien u. a. 2000, 66 ff. 8  Übersetzung in Anlehnung an (aber s. Fn.  12) Okko Behrends / Rolf Knütel / Ber­thold Kupisch / Hans Hermann Seiler (Hrsg.) [Rolf Knütel], Corpus Iuris Ci­ vilis. Text und Übersetzung, Bd. III (D. 11–20), Heidelberg 1999, 337. 9  Friedrich Mommsen, Beiträge zum Obligationenrecht, 1. Abth.: Die Unmög­ lichkeit der Leistung in ihrem Einfluß auf obligatorische Verhältnisse, Braunschweig 1853, 238; ausführlich MacCormack (o. Fn. 6), ZRG RA 96 (1979) 129 ff. 10  Nachweise in Fn. 4.

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Nähere Aufklärung in der Frage, in welchem Sinne Ulpian hier von pericu­lum gesprochen haben könnte, verspricht allerdings die Entscheidung Julians, von der Ulpian im zweiten Teil des Textes berichtet. Danach soll ein Verwah­rer, der sich deposito obtulit, auch für custodia, nicht aber für vis maior einzu­stehen haben. Unklar ist freilich zunächst, was ein deposito se offerens ist. Klami denkt an einen Verwahrer, der eigenmächtig, ohne Kenntnis des Hin­terlegers „ver­wahrt“ hat11, doch ist das kaum plausibel. Zum einen könnte dann schwerlich von depositum die Rede sein; zum anderen würde man bei unerlaubtem eigen­ mächtigem Handeln eher Zu­ fallshaftung als eine Einstands­pflicht nur für custodia erwarten. Umgekehrt steht es mit der verbreiteten Position, derzufolge offere nur zum Ausdruck bringen soll, dass der Depositar die Verwahrung frei­willig angeboten ha­ be12. Das geht nicht weit genug, weil das bloße Anbieten uneigennützigen Handelns nicht rechtfertigen kann, die Haftung des Verwahrers zu ver­ schärfen13 – erst recht nicht bis hin zur custo­dia, wenn man bedenkt, dass Ulpian zufolge selbst derjenige Verwahrer, der entgeltlich tätig wird, nicht für custodia, sondern nur für culpa einzustehen hat14. Am ehesten wird der deposito se offerens deshalb dem liti se offerens vergleichbar sein, der gegenüber dem Vindikationskläger wider besseres Wis­sen behauptet, Besit­ zer der Sache zu sein. Überträgt man dieses Gebaren des liti se offerens auf die Situation des Verwahrers, so muss es um einen Verwah­rer gehen, der zwar mit Kenntnis des Hinterlegers verwahrte, der sich aber nicht nur bloß angeboten, sondern aus eigennützigen Gründen aufgedrängt hatte15 11  Klami

(o. Fn. 6) 149 f. diesem Sinne etwa Alfredo de Medio, Caso fortuito e forza maggiore in diritto romano, Bull. 20 (1908) 157–209, 205; Giovanni Rotondi, La misura della responsabi­lità nell’ actio depositi, in: ders., Scritti giuridici, Bd. II, Pavia 1922, 91–136, 118; Krück­mann (o. Fn. 6) 53; Longo (o. Fn. 7) 47; Robaye (o. Fn. 6) 44 f. mit Fn. 46; Pennitz (o. Fn. 7) 66; Pókecz Kovács (o. Fn. 6) 879 (im Anschluss an András Földi, A másért való felelősség a római jogban, jogelméleti és összehason­ lító polgári jogi kite­kin­téssel, Budapest 2004, 249  – mir nicht zugänglich); Walter (o. Fn. 6) 158 mit Fn. 131; ebenso schließlich die Übersetzungen von Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler [Knütel] (o. Fn. 8) und Johannes Spruit / Robert Feenstra / Karel Everard Maria Bonge­naar (Hrsg.) [Schuurmans / Spruit], Corpus Iuris Civilis. Text en Vertaling, Bd. III (D. 11–24), s-Gravenhage 1996, 327. Offen bleibt die Frage bei MacCormack (o. Fn. 6) ZRG RA 96 (1979) 155 mit Fn. 123. 13  Mit Recht betont das schon Franz Haymann, Textkritische Studien zum römi­ schen Obligationenrecht, ZRG RA 40 (1919) 167–350, 178 Fn. 1; nur ist entgegen Haymann daraus kein Schluss auf Überarbeitung des Textes zu ziehen; so wenig wie Julian wird auch ein späterer Bearbeiter ein Motiv gehabt haben, „dem ohne Entgelt handelnden Depositar bloß darum das periculum custodiae [aufzuerlegen], weil er sich zu solchem Freundesdienst erboten hat“. 14  Ulp. 28 ad ed. D. 13,6,5,2. 15  Eigennutz zieht schon Seckel in Betracht (in: Hermann Gottlieb Heumann / Emil Seckel, Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, Graz 195810, s. v. custo12  In



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und den der Hinterleger ohne diese Aufdrängung nicht als Verwahrer in Betracht gezogen hätte. Erst eine solche Aufdrängung erklärt den Haf­ tungs­maßstab, den Julian zugrunde legt. Von un­eigennütziger Tätigkeit in fremdem In­teresse, aus der sich die gewöhnliche Beschränkung der Haf­ tung auf dolus rechtfertigt, kann dann nicht mehr die Rede sein. Also muss auch die Haftung weiter reichen. Dass sie genau bis ein­ schließlich zur custodia reicht, ergibt sich aus der Eigennützigkeit: Hat der Verwahrer das depositum bei sich aus eigennützigen Gründen veranlasst, so rückt ihn das, auch wenn er die Sache nicht gebrauchen darf, in die Nähe eines Entlei­ hers und rechtfertigt also die Anwendung eben des Haftungsmaßstabes, der auch für den Entleiher gilt. Wenn also schon derjenige, der sich als Verwahrer aufdrängte, für custodia haftete, dann muss auch die verabredete Haftungsverschärfung jedenfalls die Einstandspflicht für custodia (und nicht etwa nur für culpa) umfasst haben. Entgegen der eingangs erwähnten verbreiteten Auffassung kann sie sich darin aber nicht erschöpft haben, sondern muss sich auch auf vis maior erstreckt ha­ ben. Dafür spricht schon, dass die Einschränkung non tamen casus fortuitos am Schluss des Textes offenbar nur auf den Fall des deposito se offerens bezo­gen ist. Betont der Jurist diese Einschränkung, so doch wohl gerade deshalb, weil sie im Fall der eingangs erwähnten Haftungsver­ schärfung nicht gelten sollte. Das ist zwar auch dem Schrifttum teilweise nicht verborgen geblieben, doch hat man ausgerechnet den Zusatz non tamen casus fortuitos deshalb früher für das Ergebnis justinianischer Überar­ beitung des Textes gehalten16. Erst die Kompilato­ren hätten zum Ausdruck bringen wollen, dass in den bei­den Fällen unterschiedliche Haftungsmaßstä­ be zu beachten seien. Im klassi­schen Recht habe man in beiden Konstella­ tionen nur für custodia gehaftet17 – oder der Verwahrer habe, wie immerhin manche angenommen haben, in bei­den Fällen auch für vis maior einstehen ren Standpunkt aus erscheint eine müssen18. Vom einen wie vom ande­ Überarbeitung des Textes aber nicht plausi­bel: Dass beim deposito se offerens im Gegensatz zur vereinbarten Haftungs­ übernahme ein sachlicher Grund besteht, die Haftung gerade nur bis zur cu­stodia reichen zu lassen, kann den Klassikern kaum entgangen sein. Ulpian wird demnach so zu verstehen sein, dass grundsätzlich vereinbart wer­den konnte, auch für vis dia 1 a gg); ebenso Rosenthal (o. Fn. 7) 228; s. ferner Sachers (o. Fn. 6) 96 („An­ regung zur Deponierung durch ein diesbezügliches Anerbieten“). 16  Sachers (o. Fn. 6) 96 Fn. 63; s. auch ebda. 94 Fn. 49 mit Nachweisen zu weiteren Interpolationsannahmen. 17  Sachers (o. Fn. 6) 95. 18  Longo (o. Fn. 7) 47; Francesco de Robertis, La responsabilità contrattuale nel sistema della grande compi­lazione, Band I, Bari 1983, 470 Fn. 82, Band II, Bari 1982, 722 Fn. 85.

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maior zu haften, dass aber der deposito se offerens im Einklang mit Julians Auffas­sung nur für custodia unter Ausschluss höherer Gewalt einzustehen hatte19. III. Ulpian 4 ad ed. D. 2,14,7,15 und die Vereinbarung der Haftung für omne periculum Auch jenseits von Ulpian D. 16,3,1,35 gibt es genügend weitere Hinwei­ se, dass die klassischen Juristen für zulässig gehalten haben, eine Einstands­ pflicht des Verwahrers bis einschließlich für vis maior zu vereinbaren. So berichtet Neraz 7 membr. D. 17,1,39, es sei schon nach Auffassung von Aristo und Celsus möglich gewesen, eine Sache zu hinterlegen oder zum Gegenstand eines Auftrages zu machen und dabei die Abrede zu treffen, dass die Sache auf Ge­fahr des Verwahrers oder Auftragnehmers gehe (ut res periculo eius sit qui depositum vel mandatum suscepit). Dem wird man schwerlich entnehmen kön­nen, Haftungserweiterungen seien nur in einge­ schränktem Umfang mög­lich gewesen; ungeachtet der vielschichtigen Be­ deutungen von periculum spricht die Pauschalität der Aussage gegen solche Einschränkungen. Das Glei­che gilt für den Hinweis auf die Möglichkeit der Haftungsübernahme für et culpa et periculum bei Ulp. 28 ad ed. D. 13,6,5,2. Anzuführen ist aber vor allem ein weiterer Text aus Ulpians Ediktskommen­ tar: Ulp. 4 ad ed. D. 2,14,7,1520 Sed et si quis paciscatur, ne deposi­ ti agat, secundum Pomponium valet pactum. item si quis pactus sit, ut ex causa depositi omne peri­ culum prae­ stet, Pomponius ait pactionem valere nec quasi contra iuris formam factam non esse servandam.

Aber auch wenn jemand vereinbart, nicht aus dem Verwahrungsvertrag zu klagen, ist diese Abrede nach Pompo­nius gültig. Eben­ so ist, wenn jemand vereinbart hat, dass er im Rahmen des Verwahrungs­verhält­nisses für alle Gefahr einstehe, diese Abrede, wie Pomponius sagt, gültig, und ihr ist nicht, etwa weil sie dem Klagewort­ laut wider­ spreche, die Anerkennung zu versagen.

Sieht das pactum eine Einstandspflicht für omne periculum vor, so liegt schon wegen omne die Annahme am nächsten, dass auch für vis maior einzu­stehen sein sollte. Zum Teil hat man freilich wiederum auch die Echt­ heit die­ses Textes verdächtigt, sei es wegen der doppelten Negation, sei es 19  Ebenso differenzieren im Ergebnis Rosenthal (o. Fn. 7) 228  f.; Cardilli (o. Fn. 7) 475 ff. sowie (aus der Perspektive des Prozessrisikos statt verschiedener periculum-Begriffe) Pennitz (o. Fn. 7) 68. 20  Übersetzung in Anlehnung an Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler (Hrsg.) [Chris­toph Krampe], Corpus Iuris Civilis (o. Fn. 8), Bd. II (D. 1–10), Heidelberg 1995, S. 231.



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wegen der Bezug­nahme auf iuris forma21, die bei den Klassikern allenfalls gelegentlich begeg­net22. Doch wird man deshalb kaum annehmen dürfen, Pomponius habe dem pactum die Anerkennung ursprünglich versagt und erst die Kompilatoren hätten die Entscheidung in ihr Gegenteil verkehrt. Zu erwarten wäre doch jedenfalls, dass Pomponius die Übernahme des periculum wenigstens als Über­nahme der Einstandspflicht für culpa oder custodia aufrechterhalten hätte. Ein so weitreichender Texteingriff ist also kaum plausibel. Entgegenzu­ treten bleibt danach aber noch der Auffassung, periculum sei auch hier nur auf cu­stodia zu beziehen. Als Einwand dagegen ist nicht allein omne ins Feld zu füh­ren. Entscheidender noch ist eine entsprechende Vertragsklausel, die uns in den griechischen Papyri Ägyptens zur römischen Zeit begegnet. Auf sie hat in unse­rem Zusammenhang erstmals Segrè hingewiesen23, doch hat noch Klami, ob­wohl er die Parallele aufgegriffen hat, die These vertre­ ten, die Bedeutung der periculum-Haftung sei im Einzelfall kaum zu klären, „ohne dass man … Zu­flucht zur Spekulation nimmt“24. Bei näherem Hin­ sehen erscheint das aller­dings allzu zurückhaltend. IV. Haftungsverschärfungen bei der παρα(κατα)ϑήκη Es geht um die Klausel ¢k…ndunon pantÕv kindÚnou („frei von je­der Ge­fahr“), mit der bei der griechischen para(kata)q»kh vereinbart wurde, dass der Verwahrer die Gefahr übernahm. Selbstredend lassen sich, auch wenn die Parallele der Formulierung zu omne periculum auf der Hand liegt, nicht ohne weiteres Rückschlüsse vom griechischen auf das römische Recht ziehen – und ohnehin wird auch zu der griechischen Klausel viel­ fach angenommen, sie habe nur die Einstandspflicht für niedere Zufälle vorgese­hen, also wiederum nur den auch von der custodia-Haftung erfass­ ten Bereich betroffen25. Aller­dings ist für die griechische Klausel die Be­ 21  Gemeint sein wird der Klagewortlaut, s. Walter (o. Fn. 6) 96  f. (auch zur Gegen­ansicht). 22  Für Unechtheit deshalb noch Litewski (o. Fn. 3) 73 m. w. N.; zu den verschiede­ nen Bedenken gegen die Echtheit des Textes insgesamt ausführlich Klami (o. Fn. 6) 156 ff. 23  Segrè (o. Fn. 3) 203 ff. 24  Vgl. Klami (o. Fn. 6) 161 ff. 25  So etwa Ludwig Mitteis, Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde, 2. Band, 1. Hälfte, Leipzig / Berlin 1912, 198; Leopold Wenger, Die Quellen des römi­schen Rechts, Wien 1953, 785 Fn. 552; Klaus Kastner, Die zivilrechtliche Ver­ wahrung des gräko-ägyptischen Obligationenrechts im Lichte der Papyri, Diss. Erlangen-Nürn­ berg 1962, 36; Hans-Jürgen Geschwinder, Die Gefahrtragung nach Gefahrenbeherr­schung im Recht der Papyri, Diss. Köln 1971, 44 f.

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schränkung auf den Bereich der custodia-Haftung in Anbetracht der Quel­ lenlage noch un­wahrscheinlicher als für das pactum über omne periculum. Um das zu erken­nen, muss man sich nur den Anwendungsbe­reich dieser Klausel in den grie­chischen Urkunden vor Augen führen. Das ver­deutlicht zugleich, inwieweit sich womöglich doch Parallelen zum römischen Recht ergeben. Typischerweise begegnet uns die Klausel ¢k…ndunon pantÕv kindÚnou nicht im Anwendungsbereich des eigentlichen Verwahrungs­vertrages, son­ dern bei der irregulären para(kata)q»kh, bei der der Verwah­rer die hin­ terlegte Sache verbrauchen und an ihrer Stelle eine andere Sache zurückge­ ben durfte26; Haupt­anwendungsfall ist die Überlassung von Geld. Ein typi­ sches Beispiel bietet eine griechisch-ägyptische Urkunde aus dem Jahr 82 n. Chr.: P. Ath. 28 (16.10.82)27 ”Etouv ›ktou AÙtokr£torov Ka…sarov Domitianoà Sebastoà mhnÕv ’Apella…ou ™nneaka…deka … ™n Qeadelfe…ai … `Omologe‹ D…dumov DidÚmou … Pe­termoÚqi Posidwn…ou … œcein par’ aÙtoà ¢rgur…(ou) dracm¦v Ñgdo»­ konta paraq»khn ¢k…ndu­ non pantÕv kindÚnou, ½n kaˆ ¢po­ kata­ st»sin tÕn D…dumon tîi Peter­moÚ­qi Ðphn…­ka ™¦n aƒrÁtai Ð Pe­ter­moÚ­qiv ¥neu p£shv Øperqš­sewv kaˆ eØrhsio­lo­g(…av). ’E¦n d7 m¾ apo­ dîi kaq’ 9 œgr(aptai) ¢po­tei­s£­tw pa­ racrÁma paraq»khn di­ plÁn kaˆ t¦ bl£bh ¢koloÚqwv tîi tîn pa­ra­qhkîn no­mîi geinom(šnhv) tîi Pe­ ter­ moÚqi tÁv pr£­ xewv œk

Im sechsten Jahr des Herrschers Cae­ sar Domitian Sebastos [= Augustus], am 19. des Monats Apellaios … in Theadelphia … Didymos, Sohn des Didymos, … kommt mit Petermuthis, Sohn des Posidonios, … über­ ein, dass er von ihm 80 Silberdrachmen als Paratheke frei von jeder Gefahr hat, die Didymos dem Petermuthis ohne jede Verzöge­ rung und Ausrede zurückgeben wird, wann auch immer Petermuthis das wünscht. Wenn er [die Summe] aber entge­ gen der schriftlichen Vereinba­ rung nicht zurückgeben sollte, soll er gemäß dem Recht der Paratheken sogleich die doppelte Para­ theke zahlen und den Schaden erset­zen, und dem Petermuthis steht die Vollstre­ckung an Didymos und in dessen gesamtes Ver­mögen wie aufgrund einer Klage zu.

26  Siehe sogl. im Text, ferner fast alle Urkunden, die zum depositum wieder­ gegeben sind bei Ludwig Mitteis / Ulrich Wilcken, Grundzüge [Fn. 25], 2. Band. 2. Hälfte, Leip­zig / Berlin 1912, Nr. 330 ff.: BGU III 856 (106 n. Chr.); P.  Lond. II 298 (S. 206) (124 n. Chr.); BGU III 729 (144 n. Chr.); P. Lond. II 310 (S. 208) (146 n. Chr.); BGU III 702 (151 n. Chr.); CPR I 29 (184 n. Chr.); P. Lond. III 943 (S. 175) (227 n. Chr.) (Übers. bei Walter [Fn. 6] 396 Fn. 959); P. Oxy I 71 (303 n. Chr.) (= Mitteis / Wilcken II / 2 Nr. 62).  – Die Frage, inwieweit wir es in diesen Urkunden mit einer Verschleie­rung von Mitgiften zu tun haben, kann hier außen vor bleiben; s. dazu Kübler, Bern­hard, Griechi­sche Tatbestände in den Werken der kasuistischen Literatur, ZRG RA 29 (1908) 194 ff.; Kühnert, Hanno, Zum Kreditgeschäft in den hellenistischen Papyri Ägyptens bis Diokletian, Diss. Freiburg i. Br. 1965, 127 mit Fn. 5 und weiteren Nachw. in Fn. 4. 27  Wiedergegeben mit Übers. auch bei Kühnert (o. Fn. 26) 121  f.; Wolf-Detlev Roth, Untersuchungen zur Kredit-Paraq»kh im römischen Ägypten, Diss. Marburg 1970, 2 ff.



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te toà DidÚmou kaˆ Øpa(rcÒn­ twn) aÙtoà kaq£­per ™k d…­(khv).

™k tîn p£ntwn

Selbst wenn wie hier nicht ausdrücklich verabredet war, der Verwahrer könne das Geld in eigenen Angelegenheiten verwenden, lag es bei der Über­lassung von Geld schon aus praktischen Gründen nahe, dass der Ver­ wahrer seiner Ver­pflichtung zur Rückgewähr nicht nur durch gegenständli­ che, son­dern auch durch wertmäßige Rückgewähr des erhaltenen Betrages nachkom­men konnte. Davon abgesehen zeigt die rechtsgeschäftliche Gestal­ tung der Verträge, wie sie uns hier, aber auch in den anderen, insofern weitgehend entsprechenden Urkun­den überliefert ist, dass es in der Sache mehr um Kre­ditgewährung im Interesse des Verwahrers als um Verwahrung im Interesse des Hinterlegers ging28. Nur so lässt sich verstehen, weshalb die Verträge durch­weg darauf ausgerichtet sind, dem Hinterleger einen un­ bedingten, über die gewöhnliche Rückgewährpflicht eines Verwahrers hin­ ausgehenden Rück­gewähranspruch zu sichern, den Verwahrer also stärker als bei der regelmäßi­gen Verwahrung in die Pflicht zu nehmen. Jenseits der ¢k…ndunon-Klausel geschieht das beispielsweise durch die häufige, hier al­ lerdings fehlende Ver­einbarung, das Geld sei ¢nupÒlogon pantÕv ØpolÒ­ gou zurückzuzah­len. Ob damit ein Verbot der Aufrechnung mit Gegenan­ sprüchen29 oder gene­ reller eine Pflicht zu einredefreier Rückzahlung be­ gründet werden sollte, ist zwar bis heute unsicher30; jedenfalls aber geht es um eine Erweiterung der Rechtsposi­tion des Hinterlegers. Vor allem jedoch begegnen wir Klauseln, die zugleich erklären, weshalb die Parteien sich, ob­wohl es in der Sache um Kre­ditgewäh­rung ging, einer para(kata)q»kh bedien­ten, statt sich auf einen regelrech­ten Darlehensvertrag, ein d£neion31, zu einigen. Auch wenn die para­(kata)q»kh im Gegensatz zum d£neion typi­scherweise unverzinslich war32, lag es für den Darlehensgeber aus zwei Grün­ den nahe, den Abschluss einer (irregulären) para(kata)q»kh dem eines d£neion vorzuziehen. Zum einen wird in den Urkunden wie im so­ 28  Treffend Roth (o. Fn. 27) 6  ff. gegen Kastner (o. Fn. 25); ein Interesse des Hinterle­gers vermutet auch Ulrich Wollentin, `O k…ndunov in den Papyri, Diss. Köln 1961, 55. 29  So Stephan Brassloff, Zur Geschichte des römischen Compensationsrechtes, ZRG RA 21 (1900) 362–384, 367 ff.; s. aber die beachtlichen Bedenken von Segrè (o. Fn. 3) 205 Fn. 1; trotz dieser Bedenken weitgehend zustimmend Kübler (o. Fn. 26) 197 Fn. 1. 30  Siehe Kühnert (o. Fn. 26) 129 f. m. w. N. 31  Zu dessen Anforderungen und Rechtsfolgen ausführlich Kühnert (o. Fn. 26) 11 ff. und Hans-Albert Rupprecht, Untersuchungen zum Darlehen im Recht der graeco-ägyp­tischen Papyri der Ptolemäerzeit, München 1967. 32  Wenger (o. Fn. 25) 802; Kühnert (o. Fn. 26) 126; Roth (o. Fn. 27) 16 ff.

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eben wieder­gegebenen Fall regelmäßig auf den nÒmov tîn parakataqh­ kîn Bezug ge­nommen. Über dessen Rechts­folgen sind wir ebenfalls nicht sicher unterrichtet, doch wird dazu die auch hier angesprochene Folge ge­ zählt haben, dass sich die Schuld des Ver­wahrers im Fall des Zahlungsver­ zuges ohne weiteres verdop­pelte33. Nicht min­der gün­stig war für den Dar­ lehensgeber zum anderen, dass der Darlehens­betrag im Fall der para(kata) q»kh jederzeit ohne weiteres zu­ rückgefordert werden konnte,34 während man beim regelrechten Darlehen auf den vereinbar­ten Rück­gabetermin fest­ gelegt war35. Auch dieses sofortige Rück­forderungs­recht er­wähnt die Ur­ kunde im Fall des Didymos ausdrücklich. Legt diese Gestaltung nahe, dass wir es durchgehend mit Fällen irregulä­ rer Verwahrung zum Zwecke der Kreditgewährung zu tun haben, so leuch­ tet un­ mittelbar ein, weshalb sich in den Urkunden regelmäßig auch die ¢k…n­ dunon pantÕv kindÚnou-Klausel findet. Anders als im Fall der eigentli­chen Verwah­rung wird der „Verwahrer“ bei der Darlehensgewährung gerade nicht uneigen­ nüt­ zig im Interesse des Hinterlegers tätig. Vielmehr ver­folgt er eigene Interes­sen, so dass es gerechtfertigt ist, ihn auch über den bei der eigentlichen Verwah­rung einschlägigen Haftungsmaßstab hinaus zu bela­s­ten. Aus dem Zweck der Kreditgewährung ergibt sich darüber hinaus aber zugleich auch, wie weit die Haftung des „Verwahrers“ nach der ¢k…n­dunon pantÕv kindÚ­nou-Klausel gereicht haben muss. Da beim Darlehen nicht die hingege­bene Sache selbst zurückzugeben ist, sondern von vornhe­ rein nur eine generi­ sche Rückerstat­ tungspflicht in Betracht kommt, kann selbst der zufällige Un­tergang den Darle­hensnehmer nicht entlasten. Findet sich die ¢k…ndunon pantÕv kindÚnou-Klau­sel vornehmlich in Fällen, in de­nen es sich der Sache nach um Darlehen han­delt, so muss sie also gerade den Zweck verfolgt haben, dem „Verwahrer“ alle Gefah­ren bis einschließ­ lich zur höheren Gewalt aufzu­ erle­ gen36; die vielfach angenommene Be­ schränkung auf eine bloße custodia-Haf­tung kann vor diesem Hintergrund nicht sachgerecht erscheinen.

33  Ausdrücklich ausgesprochen ist diese Folge auch in SB VI 9291 (93 n. Chr.); P. Lond. II 298 (S. 206) (124 n. Chr.) und BGU III 729 (144 n. Chr.); vgl. schon Kübler (o. Fn. 26) 198 und Wenger (o. Fn. 25) 802; ferner Kastner (o. Fn. 25) 64 ff.; Kühnert (o. Fn. 26) 135 f.; Roth (o. Fn. 27) 57 ff. 34  Siehe wiederum bereits Wenger (o. Fn. 25) 802; ferner Kastner (o. Fn. 25) 64 ff.; Küh­nert (o. Fn. 26) 131 f.; Roth (o. Fn. 27) 15 f. 35  Anschauungsmaterial bei Kühnert (o. Fn. 26) 54  ff.; Rupprecht (o. Fn. 31) 68 ff. 36  So im Ergebnis auch Raphael Taubenschlag, The Law of Greco-Roman Egypt in the Light of the Papyri, Warszawa 19552, 316 mit Fn. 4; Wollentin (o. Fn. 28) 54 ff.; Kühnert (o. Fn. 26) 128 f.; Roth (o. Fn. 27) 9.



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V. Schlussfolgerungen Auch im römischen Recht war die irreguläre Verwahrung bekanntlich mög­lich. Das Problem, bereits vertraglich sicherstellen zu müssen, dass der Ver­wahrer unbedingt auf Rückzahlung des entsprechenden Geldbetrages haf­ tete, wenn er das in Verwahrung gegebene Geld verbraucht hatte, stellte sich bestenfalls nicht in gleicher Schärfe. Nimmt man an, dass die actio depositi bei der irregulären Verwahrung ohnehin durch die condictio abgelöst war, sobald der Verwahrer das in Verwahrung gegebene Geld für sich verwendet hatte37, so war ab diesem Zeitpunkt auch der beschränkte Haftungsmaßstab des Ver­wah­rungsvertrages nicht mehr einschlägig. Was im hellenistischen Rechtsraum stets gesondert zu vereinbaren war, be­ durfte in Rom aber jedenfalls für den Zeitraum vor dem Verbrauch des Gel­ des einer eigenen Vereinbarung38. Wer sicherstellen wollte, sein Geld, das er dem Verwahrer in Form einer irregulären Verwahrung überlassen hatte, auch vor dem Verbrauch des Geldes durch den Verwahrer in jedem Fall wiederzu­ erhalten, der musste si­cherstellen, dass der Verwahrer sich nicht auf einen etwaigen zufälligen Un­tergang des Geldes berufen konnte. Er musste also für die Verschärfung des gewöhnlichen Haftungsmaßstabes wenigstens für den Zeitraum bis zum Ver­brauch des Geldes sorgen. Eben dazu wird die Verein­ barung der Haftung für omne periculum gedient haben. Die beiden Klauseln des griechischen und des römischen Rechts sind also nicht nur parallel formuliert, sondern dürften auch vergleichbare Anwen­dungs­bereiche gehabt haben. Nicht weiter verwunderlich ist deshalb, dass Ulpian D. 16,3,1,35 von der häufigen Verwendung der Klausel spricht (saepe evenit). Vor allem aber verwundert nicht, dass seine Erörterungen nicht nur im Zusammen­hang mit der Verwahrung solchen Geldes stehen, dessen Ge­brauch der Hinter­leger dem Verwahrer erlaubt hat, ohne das Geld von vorn­herein als eigentliches Darlehen zu geben (fr. 1,34), sondern über­ dies aus­drücklich auf res deposita vel nummi Bezug nehmen. Dass „non si capisce perchè, dopo la menzione della res deposita, siano ricordati a parte i nummi“, wie Arangio-Ruiz bemerkt hat39, wird man also schwerlich be­ haupten können – und nach alldem wird man auch nicht ernsthaft daran zweifeln können, dass es im römischen Recht zulässig war, dem Verwahrer mittels pactum auch die Haftung für Zufall aufzuerlegen.

37  Vgl. Ulp. 2 ad ed. D. 12,1,10 mit Ulp. 26 ad ed. D. 12,1,9,9; s. ferner Ulp. 30 ad ed. D. 16,3,1,34; ausführlich Klami (o. Fn. 6) 167 ff.; aber s. Fn. 38. 38  Kein Gegenargument ergibt sich aus Ulp. 24 ad ed. D. 12,1,9,9, weil hier (und wohl auch in D. 12,1,10) ein regelrechtes Darlehen vorliegt. 39  Arangio-Ruiz (o. Fn. 6) 116.

Die Collatio: Inhalt, Textkritik und Verfasserfrage* Von Ulrich Manthe I. Die Collatio 1. Die Handschriften der Collatio Im Jahre 1573 gab Pithou eine Handschrift aus dem 9. Jhdt. (B = Co­dex Be­rolinensis 269) heraus, in wel­cher ein römischer Rechtstext namens Lex Dei quam praecepit Domi­nus ad Moysen1 er­halten war.2 1574 erhielt das Buch den Namen Mosaicarum et Roma­narum Legum Collatio;3 dieser Titel hat sich einge­bür­gert. Im Jahre 1822 wurden zwei weitere Hand­schriften ge­ funden: V = Codex Ver­cellensis 122 und W = Codex Vin­dobonensis 2160.4 *  Für

mehrere sehr hilfreiche Hinweise danke ich Wolfgang Kaiser / Freiburg i. Br. Titel vgl. Ulrich Manthe, Dubletten im Text der Collatio als Spuren der Re­dak­tionstätigkeit, in: Römi­sche Juris­prudenz – Dogmatik, Überlieferung, Rezep­ tion. Fest­schrift für Detlef Liebs zum 75. Geburtstag, Hrsg. Karl­heinz Muscheler, Berlin 2011, 395–412, 395 Fn. 1. Eine ähnliche Formulierung benutzte Hieronymus, Vul­gata Num. 27,11: sicut praecepit Dominus Mosi; in coll. 16,1,8 (aus Num. 27,11) heißt es vorhieronymia­nisch: secundum quae con­sti­tuit Dominus Moysi. Dominus gibt hebr. JHWH „der Ewige“ wieder. 2  Fragmenta qvaedam Papiniani, Pavli, Vlpi­ani, Gaii, Mode­ stini, aliorumque veterum Iuris auctorum libris ex integris ipsorum libris ante Iuſtiniani Imp. tem­pora collecta, & cum Moysis legibus collata. Eiusdem Imp. Ivsti­ niani Nouellæ Conſtitutiones iii. Ivliani Anteceſſoris cp. Dictatū des Conſiliariis. Eivsdem Ivliani Collectio de contutoribus. Omnia nunc primum in lucem edita. Ex bibliotheca P. Pit­ hoei ic. cuius etiam Notæ adiectæ ſunt. Lute­tiæ, Ex officina Roberti Stephani. M. D. LXXIII. cvm privilegio regis et senatvs. 3  Mosaycarum et romanarum legum collatio, ex integris Papi­niani, Pauli, Vlpi­ani, Gaij, Modeſtini, aliorumque veterum Iuris auctorum libris ante tempora Iuſtiniani Imp. deſumpta. Eiusdem Imp. Ivstiniani Nouellæ Conſtitutiones iii. Ivliani Anteceſſoris cp. Dictatum de Conſiliarijs. Eivsdem Ivliani Collectio de con­ tu­tori­bus. Ex bibliotheca P. Pithoei ic. cuius etiam Notæ emendatiores adiectæ ſunt. Baſileæ, per Thomam Gvarinvm, anno M. D. LXXIIII. Guarinus druckte mehrere größere Ergänzungen zur Erstausgabe ab, die möglicherweise von Pithou stammen, aber jedenfalls ohne dessen Wissen gedruckt wurden (z. B. p. 100 f. eine längere Ergänzung der 1573 p. 93 noch kurzen Note zu coll. 11,7,4 est autem differentia). Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch der neue Titel auf Pithou zurückgeht. 4  Beschreibung der Handschriften: Wolfgang Kaiser, Die Epitome Iuliani, Frank­ furt / M. 2004, 39–102 (B, saec. IX in.), 122–146 (V, saec. XI1), 153–165 (W, saec. 1  Zum

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Die Collatio wurde am Ende des 4. Jhdts. niedergeschrieben; sie wurde von keinem römischen Schriftsteller zitiert. Paul Mikat hat (sehr vorsich­ tig) ver­mutet, im 6. Jhdt. sei der Text der Collatio in Frank­reich bekannt gewesen; dafür gibt es aber keine überzeugenden Anhaltspunkte.5 Die ers­ te mögli­che Spur einer Benutzung der Collatio er­scheint erst im 8. Jhdt.: Die Redaktoren der Lex Baiuvario­rum (740) hatten vielleicht eine Colla­ tio-Handschrift vor sich.6 Sicher ist nur, dass die Handschrift B Anfang des 9. Jhdts. geschrieben wurde und dass Hincmar, der Bi­schof von Reims, im Jahre 860 aus der Colla­tio zi­tierte.7 Das Manuskript mag vier Jahrhun­ derte lang in einem Schrank gelegen haben und wurde erst im Archetyp (a) der vorhandenen Hand­ schrif­ ten B, V und W abgeschrieben. Der Ar­ chetyp a ist nicht er­ halten und kann nur aus B, V und W rekonstru­ iert werden. Fritz Schulz8 stellte anhand von ge­ meinsamen und trennenden Fehlern der Hand­schriften überzeugend fest, dass B eine Abschrift von a ist, wäh­ rend V und W aus einer Abschrift von a, dem Hyp­archetyp b, ko­pier­ten.

IX3 / 4). Kriti­sche Ausgaben: Fridericus Blume, Lex Dei sive Mosaicarum et Roma­ narum le­gum collatio, Bonnae 1833 (ed. maior); ders., Lex Dei sive incerti scripto­ ris Mosai­ca­rum et Romanarum legum collatio, in: Corpus Iuris Romani Anteiusti­ niani, cura­verunt E. Böckingus, A. Bethmann-Hollwegius, E. Puggaeus, Bonnae 1835–1844, 307–386 (ed. minor); Ph. Eduardus Huschke, Iu­rispruden­tiae anteiusti­ nianae quae super­sunt, Lipsiae 18611, 528–590 = 18865, 645–705; Theodor Mommsen, in: Paulus Krue­ger / Theodorus Momm­sen / Guilel­mus Stude­mund, Collectio li­ brorum iuris ante­iusti­niani III, Berolini 1890, 107–198; M. Hyamson, Mosaica­rum et Romanarum le­ gum col­ latio, London 1913; Bernardus Kuebler, Iurisprudentiae anteiustinia­nae reliquiae II 2, Lipsiae 1927, 325–394; Robert M. Frakes, Compiling the Collatio Legum Mosaica­ rum et Romana­ rum in Late Antiquity, Ox­ ford 2011, 157–201. 5  Manthe, Fs. Liebs (o. Fn. 1) 396–398. 6  Frakes (o. Fn. 2) 39; Manthe, Rez. von Frakes, ZRG, RA 130 (2013) 614– 623, 616. 7  Manthe, Fs. Liebs (o. Fn. 1) 398 Fn. 18. 8  Fritz Schulz, The Manuscripts of the Collatio legum Mosaicarum et Romanarum, in: Symbo­lae ad jus et hi­sto­riam perti­nentes Julio Christiano van Oven dedi­ catae, Hrsg. Martin David u. a., Leiden 1946, 313–332 [auch in BIDR 55–6 „postbel­lum“ = NS. 14–5 (1951) 49–69].



Die Collatio: Inhalt, Textkritik und Verfasserfrage199

2. Tōrā und römisches Recht Die Collatio gliedert sich in 16 Titel mit stets gleicher Struktur: Der Verfas­ser verband je­weils ein Gebot des jüdischen9 Ge­setzes  – der Tōrā10, nämlich der 5 Bücher Mose – mit Fragmenten aus römi­ schen Juristen­ schriften und aus Geset­zen römischer Kaiser, so z. B. Titel 6 De incestis nuptiis: 6,1 Moyses dicit … [= LXX Lev. 20,11–12] 6,2 Ulpianus libro regularum singulari sub titulo de nup­tiis … [Ulp. ep. 5,6–7] 6,3 Paulus libro sententiarum secundo sub titulo de nup­tiis … [PS 2,19,3–5] 6,4 Gregorianus libro quinto sub titulo de nuptiis … [Cod. Greg. tit. De nuptiis, Col­lec­tio III p.  239] 6,5 Hermogenianus sub titulo de nup­tis … [Cod. Herm. tit. De nuptiis, Collectio III p. 243] 6,5a Hanc quoque constitutionem Gregorianus titulo de nuptiis inseruit, quae est trice­sima et secunda, aliis tamen et die , id est …11 [Cod. Greg. tit. De nup­tiis, Collectio III p. 239] 9  Vereinfachte Transliteration der hebr. Konsonantenzeichen: ’ b g d h w z h t j k l m n s ‘ p s q r ś š t; der Vo­kal­zeichen: a (= Qamäs) ă (= Pătăh) ä e i o u, bei scriptio plena (Vokalzeichen + h j w ’) mit Makron (ā usw.); Šewa mobile und ­hatep-Vokale: e a ă ä; die Spirantisierung der litterae bgdkpt ist nicht bezeichnet. 10  Das Tōrā-Zitat steht jeweils im 1. Fragment eines Titels, ferner coll. 1,5; 6,7. Klei­nere eigene Aussagen des Verfassers finden sich außer in 6,5a; 6,7 pr. (siehe zu Fn. 12) noch in 5,3: Hoc quidem iuris est: mentem ta­men legis Moysi impera­to­ris Theo­do­sii constitu­tio ad ple­num secuta co­gnosci­tur. Item Theodosi[an]us: … „Dies ist zwar gelten­des Recht; man erkennt aber, dass die Konstitution des Kaisers Theo­ dosius dem Geist des mosaischen Ge­ set­ zes vollkommen folgt. Ebenso Theodo­ sius: …“ – 7,1 pr.: Quod si duodecim tabulae noctur­num furem autem, si se aude­at telo defen­dere, inter­fici iubent, scitote, iuris con­sulti, quia Moy­ses prius hoc sta­tuit, sicut lectio mani­festat. „Wenn aber die Zwölf Tafeln befehlen, den Dieb zur Nacht auf jeden Fall, den Dieb am Tage aber dann zu töten, wenn er sich mit einer Waf­fe zu verteidigen wagt, so wisset, ihr Rechtsge­lehrten, dass Moses dies früher fest­gesetzt hat, wie der Text beweist.“ Der Text stammt bis iu­bent fast wörtlich aus Quint. inst. or. 5,14,18 oder dessen Vorlage Cic. pro Mil. 3,9: Quod si duodecim tabu­lae noc­tur­num furem quoquo modo, diurnum autem, si se telo defen­deret, interfici impune iu­bent. – 14,3,6: Sciendum tamen est ex novellis con­sti­tu­tioni­bus capitali senten­tia pla­giatores pro atroci­tate facti puni­en­dos: quamvis et Pau­lus relatis su­pra spe­cie­bus cru­cis et metalli huius­modi reis in­rogave­rit poe­nam. „Man muss wissen, dass die Men­schenräu­ber nach den neuen Gesetzen wegen der Grausamkeit der Tat mit dem Tode bestraft werden müs­ sen, ob­ gleich Paulus in den oben berichteten Fällen (coll. 14,2) die Kreu­zes- und Bergwerk­strafe verlangt hat.“ 11  „Auch diese Konstitution fügte Gre­goria­nus im Titel ‚Eheschließun­gen‘ als 32. Konsti­tution ein, freilich mit anderem Tag , nämlich: …“ Der Ver­ fasser weist darauf hin, dass coll. 6,5 auch schon im Codex Gre­gorianus enthalten war.

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6,6 Papinianus libro singulari de adulte­ris … [Lenel, Palingenesia Pap. fr. 22] 6,7 pr. Idem dicitur in eos, qui incestas nuptias contra­xe­runt. Ma­le­dicti tamen sunt omnes incesti per legem, cum ad­huc rudibus populis ex divino nutu con­dita isdem a d s t i ­p u l a n t i b u s sancire­tur. Et utique omnes male­dicti puniti sunt, quos divina et hu­mana sententia consona voce dam­navit. Lex divina sic dicit:12 (1) Maledic­ tus, in­quit, dixit Moy­ses, qui concu­buerit cum uxore patris sui: et dicit omnis popu­lus: fiat, fiat.13 [LXX Deut. 27,20] (2) Maledic­tus … [LXX Deut. 27,22] (3) Maledic­ tus … [LXX Deut. 27,23a Codex B14] (4) Maledictus … [LXX Deut. 27,23a Co­dex A14] (5) Maledictus … [~ LXX Lev. 18,12] (6) Maledictus … [~ LXX Lev. 18,13] (7) Male­dictus … [LXX Deut. 27,23b Codex B14] (8) Male­ dictus … [~ LXX Lev. 18,16] (9) Maledictus … [LXX Deut. 27,21]

Auf Lev. 20,11–12 folgen Texte von Ulpian und Paulus und aus den Codices Gregorianus und Her­mo­genianus sowie ein Fragment Papinians. Es schließt sich ein weite­rer Tōrā-Text an,15 den der Colla­ tio-Verfasser mit eigenen Wor­ten einlei­tet (coll. 6,7; hierzu u. III 1 b). Die Titel 1 – 9, 11 und 13 – 15 behandeln das Strafrecht, Titel 10 und 16 Ver­wah­rungsvertrag und gesetzliches Erbrecht, Titel 12 Strafrecht und Scha­ dens­ ersatz­ recht bei Brandstiftung. Da das Werk nur zweieinhalb zivilrechtli­che Ti­tel hat, hat man (wohl zu Recht) vermutet, dass die Colla­ tio nicht abge­ schlos­ sen wor­ den ist.16 Das jüngste zitierte Gesetz ist C. Theod. 9,7,6 = coll. 5,3, wel­ches 392 n. Chr. publiziert wurde. Man darf daher annehmen, dass die Col­la­tio 392 n. Chr. oder nur wenig später ver­ fasst wurde.17

12  „Dasselbe wird hinsichtlich derer gesagt, die inzestuöse Ehen geschlossen haben. Es sind aber alle Inzesttä­ter durch das Gesetz ver­flucht wor­den, als es [scil. das Ge­setz] für die bis dahin unkulti­vier­ten Völ­ker durch göttlichen Willen er­richtet und mit Rechts­kraft versehen wurde, weil sie dem Ge­setz b e i ­t r a t e n . Und es sind je­den­falls alle Ver­fluch­ten bestraft worden, die der göttli­che und menschli­che Ur­ teils­spruch einstim­mig verur­teilte. Das göttliche Gesetz spricht so:“ Zu adstipulantibus vgl. u. III 1 b. 13  „Verflucht, sagt es (sprach Mose), wer der Frau seines Vaters beigelegen hat; und das ganze Volk spricht: Amen! Amen!“ 14  Zu coll. 6,7,3. 4. 7 siehe Manthe, Fs. Liebs (o. Fn. 1) 406–410. 15  Die Verfluchungen stammen zum Teil aus dem „sichemitischen Dodekalog“ (Deut. 27,15–26) und wurden durch Verfluchun­gen, die ohne biblisches Vorbild aus den Ver­botsnormen in Lev. 18,12–13 gebildet wurden, ergänzt. Zu Deut. 27,15–26 vgl. Man­the, Colla­ tio 6,7 pr. isdem abstipulantibus, in: Ars Iuris, Festschrift für Okko Beh­ rends zum 70. Geburtstag, Hrsg. M. Avenarius u. a., Göttingen 2009, 351–370, 361–364. 16  Detlef Liebs, Die Jurisprudenz im spätanti­ken Italien (260–640 n. Chr.), Berlin 1987, 172; Manthe, Fs. Liebs (o. Fn. 1) 412. U. Fn. 30. 17  Liebs, Jurisprudenz (o. Fn. 16) 165–170.



Die Collatio: Inhalt, Textkritik und Verfasserfrage201

II. Zur Textkritik 1. Frühromanische Wortformen: coll. 1,11,2 B, V und W sind ziemlich fehlerhaft.18 Wo die Fehler übereinstim­men, ge­hen sie schon auf den Ar­chetyp a zu­rück. Wenn man a aus den Hand­ schriften re­konstruiert, so ergibt sich, dass sein Schrei­ber unsicher in der lateinischen Gramma­tik war und manche Wörter nicht verstand.19 An wenigen Stellen glaubt man, Spuren der frühromanischen Sprache zu ent­decken, so in coll. 1,11,2: 20

cod. B … gladiuſ luppi filiuſ in conuiuio dum ſago lactatur culpam manu euariſti ita mele acceptuſ fuerit ut poſt diem quintum moreretur adque adparebat nulla Inimicitia cum ebariſti fuiſſ& nec cupiditatiſ culpā quoercendum crededit ut ceteri eiuſdem etatiſ iuueneſ emenda­ rentur

cod. V … claudiuſ luppi filiuſ in conuiuio dum ſago iettitur culpa mari ębariſti ita melea acceptuſ fuerit ut poſt diem quintum moreretur adque apparebat nullā inimicitiam abariſti fuiſſe ne cupiditatiſ culpam cohercendū credidi ut ceteri eiuſdem eatiſ iuueneſ e20

cod. W … claudiuſ lupi filiuſ in conuiuio dū ſago ietitur culpam a mario euariſti Ita melle accoeptuſ fuerit ut poſt diem v cōmoraretur atq(ue) apparebat nullā inimicitiam euariſti fuiſſ& nec cupiditatiſ culpa coercendum credidit ut ceteri eiuſdem etatiſ iuueneſ emendare­ tur

ed. Mommsen … Claudius Lupi filius in con­uiuio, dum sago iactatur, culpa Mari Eua­risti ita male acceptus fuerit, ut post diem quintum moreretur. atque adparebat nul­lam inimicitiam cum Euaristo ei fu­isse. tamen cu­piditatis culpa coercendum credidi, ut ceteri eiusdem aetatis iuuenes emenda­ rentur.21

21

18  Die Schreiber ließen z. B. die Akkusativendung -m weg (coll. 1,8 richtig legem VW, falsch lege B) oder füg­ten sie un­richtig an (coll. 1,1,4 richtig manu V, falsch ma­num BW). Die Wortgrenzen wurden nicht beachtet (1,4,1 richtig mortisue W, falsch mortis suae BVa, mortis sue Vb). Mit manchen Wörtern konnten die Schreiber gar nichts an­fangen (1,6,3 epafroditus [em. Blume]: ipsa funditus B, ipsa froditus V, ipsa fronditus W (im Neuen Tes­tament gibt es einen Epa­phroditus, Phil. 2,25; 4,18; aber der Schreiber von a war wohl nicht bibelfest); 1,7,2 ictus: iocus B, uotus V, botos W; 12,7,7 neratius (em. Iacobus Cuiacius, codicis theodosia­ ni libri XVI. … LicinI Ruffini Colla­tio legum Iudaicarum & Romanarum. … avrelinæ allo­brogvm … Anno m. d. lxxxvi, p. 159): muneris B, munerari VW. 19  Z. B. coll. 1,11,4: iustam: iustitiam BVW; 4,2,5 patrem: pater BVW; 4,11,1 est: esse BVW; 8,7,3 non denuntiandum: denudandum BVW. 20  In V folgt auf e eine Lücke. 21  „Claudius, Sohn des Lupus, wurde bei einem Gelage, während er mit einem Sol­da­ten­man­tel hochgeworfen wurde, durch Ver­schul­den des Ma­rius Eva­ristus so

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Ulrich Manthe

(1) In coll. 1,11,2 steht in den Ausgaben iactatur „er wird hochgewor­ fen“. Die Handschriften ha­ben: B lacta­tur, V iettitur, W ietitur. In V und W steht e an Stelle des lateinischen Wurzelvokals a, und die Kon­ so­ nantenverbin­dung ct ist zu tt bzw. t geworden. Da V und W denselben Fehler haben, dürf­te in der ge­meinsa­men Vorlage von V und W, dem Hyp­ archetyp b, iettitur gestanden ha­ ben. Das ist genau die frühromani­ sche Form, die sich aus den mo­dernen roma­nischen Wörtern franz. jeter, ital. gettare u. a. erschließen lässt;22 der Schreiber von b hat das lateinische Wort zwar verstanden, aber in die zu sei­ner Zeit exis­tierende romani­sche Lautform umgesetzt. Hingegen glaubte der Schrei­ber von B, in seiner Vor­ lage (a) l für i (I longa?) zu er­kennen: iactatur > lac­tatur; er dachte viel­ leicht an lactare „jeman­den an sich locken“, was im Zusam­men­hang auch, ob­wohl gezwungen, passen könnte. Da in b das anlau­tende i, in B der Rest des Wortes erhalten ist, muss der Archetyp a iactatur gehabt haben. Iac­ tatur ist richtig und stand daher auch im Original. (2) Male acceptus „er wurde schlecht aufgefangen“: Statt male schrieben B: mele, V: melea, W: melle. Es ist möglich, dass der Schreiber des Arche­ typs an alt­ital. mel­lea, franzö­sisch mêlée „Kampf­ge­drän­ge“23 gedacht hat. (3) Cre­didi „ich glaubte“: B crededit und W credidit haben das Ver­bum in der 3. Person, nur V cre­didi in der (richtigen) 1. Person. In a dürfte daher die 3. Per­ son ge­ standen haben, da B (aus a) und W (aus b) den Fehler gemeinsam aufweisen; V hat richtig ver­bessert. B crededit bietet die früh­roma­ni­sche Laut­form: Der lateini­sche Perfekttyp véndidi ist im Früh­ roma­nischen mit Akzent­verschiebung zu vendédi ge­ worden, ital. vendéi, span. vendí, franz. ven­dís.24 Für a ist daher credidit anzusetzen, für das Original der Collatio muss man cre­didi kon­struieren. schlecht auf­gefangen, dass er nach fünf Tagen starb. Und es war zwar klar, dass keine Feind­schaft zwischen ihm und Eva­ristus bestand; dennoch glaubte ich, dass er für sei­ne schuld­hafte Kampflust zu be­strafen sei, damit auch andere junge Männer desselben Alters gebessert wür­den.“ Zum Indikativ Präsens nach dum vgl. Anton Szantyr, La­teinische Syntax und Stilistik, München 1972, 613. Zum verschobenen Perfekt (ac­ceptus fuerit statt acceptus sit) vgl. Hein L. W. Nelson / Ulrich Manthe, Gai Institu­tio­nes III 182–225, Berlin 2007, 144 f. 22  Hans Rheinfelder, Altfranzösische Grammatik I, München 19684, §§ 402, 588e; Wil­helm Meyer-Lübke, Roma­ni­sches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg 19353, Nr. 4568. 23  Meyer-Lübke (o. Fn. 22) Nr. 5606: altital. mel­lea aus der Vor­ form von franz. mêlée (aus altfranz. *meslee aus vulgärlat. *misclata) entlehnt. Das Wort gehört zu vulgärlat. misculare „mi­schen“, vgl. Peter Stotz, Hand­buch zur lateinischen Literatur des Mittel­alters II, Mün­chen 2000, 305 (§ 57.8); 393 (§ 108.2); Rheinfelder (o. Fn. 22) I § 647. 24  Rheinfelder (o. Fn. 22) II, München 1967, §§ 412, 493; Heinrich Lausberg, Roma­ni­sche Sprachwis­senschaft III, Berlin 1972, §§ 892–895; Stotz (o. Fn. 23) III,



Die Collatio: Inhalt, Textkritik und Verfasserfrage203

2. Falsche Auflösung von Randglossen: coll. 12,7,7 Interessanter sind aber die größeren Textstörungen, die nur durch Interpre­ ta­tion des Textes auf­ge­deckt und emendiert werden können. Betrachten wir das Fragment Ulp. 18 ad ed. über die Haftung des Land­ päch­ters für sei­nen Ofen­sklaven. Der Text ist in D. 9,2,27,9 überliefert: Ein Sklave soll den Ofen eines Landpäch­ters (co­lonus) bewa­chen; er schläft ein, und das Landhaus brennt ab. Der Pächter haftet gegenüber dem Ver­pächter für die Fahr­lässigkeit seines Sklaven aus der actio locati. Jetzt wird der Fall vari­iert: Was aber, wenn ein Sklave den Ofen sorgfältig angezündet hat, ein ande­rer Sklave aber mit der Bewa­chung beauftragt worden ist und nicht sorgfältig aufgepasst hat? Wer hat den Brand ver­schuldet? Der erste Sklave hat nicht fahr­lässig ge­handelt, der zweite Sklave hat nicht aktiv gehan­delt. In der Vari­ante be­handelt Ul­pian nicht die Frage nach der Haftung aus der actio locati, son­dern wen­det sich der Haf­tung aus der actio legis Aquiliae zu und unter­scheidet auch hier die beiden Fälle. Im Ergebnis haftet der Herr der Skla­ven. Der Text ist auch in coll. 12,7,7 überliefert, und zwar mit einem Pa­ rallelfall: Ein Arzt hat sorg­ fältig ope­ riert, aber bei der Nach­ sorge selbst fahrlässig ge­handelt oder einen anderen mit der Nach­sorge be­auf­tragt, der dann fahrlässig handelte. Ulpian hatte sowohl den Skla­venfall als auch den Arzt­fall behandelt, die Justinianer haben den Arzt­fall herausgekürzt. So gibt uns die Col­ la­ tio den ursprünglichen Text Ulpians und erweist die Inter­ polation. Am Anfang des Fragments findet sich eine erhebliche Textstörung: coll. 12,7,7 ed. Momm­sen Si forte seruus, qui idem conductor est, coloni ad fornacem obdormisset et uilla fuerit exusta … Wenn zufällig der Sklave, der iden­ tisch mit dem Pächter ist, eines Land­päch­ters beim Ofen ein­ge­ schlafen war und das Landhaus abge­brannt ist …

Dig. 9,2,27,9 Si fornicarius servus coloni ad for­ nacem obdormisset et villa fuerit exusta … Wenn der Ofensklave eines Land­ päch­ ters beim Ofen eingeschlafen war und das Land­ haus abge­brannt ist …

Hier ist der Text der Collatio abgedruckt, den Mommsen in seiner Aus­ gabe bietet. Betrachtet man aber die drei Codices B, V und W, so zeigen sich die Text­störungen: München 1996, 347 (§ 302.2). Ebenso ist coll. 11,1,1 uindederit B (wieder die früh­ romanische Form) für uen­di­de­rit (so richtig W) zu be­urteilen; der Schreiber von V schrieb hier uenundauerit – er er­innerte sich vielleicht an coll. 8,7,3 uenundan­dum oder hatte be­reits 11,1,2 uenundetur gesehen.

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Ulrich Manthe

Codex B

Codex V

Codex W

ſi forte ſeruuſ quę idem conductoreſ coloni ad forna­ cem obdormiſſent & uilla fuerit exuſta

ſi forte ſeruuſ que idem conductoreſ coloni ad fornacē obdormiſſent & uilla fuerit exuſta

ſi forte ſeruuſ q(ue) eidem conductoreſ colonia ad fornacem obdormiſſent & uilla fuerit exuſta

Archetyp a von BVW Si forte ſeruuſ quae idem conductoreſ coloni ad fornacem obdormiſſent & uilla fuerit exuſta

Mommsen verbes­serte a seruus quae idem conductores coloni in seruus, qui idem con­duc­tor est, co­loni. Was aber soll das heißen? Im Original stand ser­uus coloni „ein Sklave des colonus“; je­mand schrieb an den Rand (oder zwischen die Zeilen) der Hand­schrift: qui idem conductor est „der identisch mit dem Pächter ist“ und meinte da­mit natürlich den co­lonus. Der Schreiber des Archetyps setzte irrtümlich diese Glosse (die er vielleicht beim Diktat als quae idem conductores hörte?) in den Text nach seruus statt nach coloni. Falsche Einfügungen von Glos­sen in den Text kommen häu­fig vor, und man wundert sich, dass Momm­sen das nicht berücksich­tigt hat.25 Der Originaltext, von dem der Schreiber von a abgeschrieben hat, muss da­her gelautet ha­ben: Archetyp a von BWV Si forte seruus quae idem conductores coloni ad fornacem obdormissent et uilla fuerit exusta

Urhandschrift der Col­la­tio Si forte seruus coloni qui idem conductor est ad fornacem obdormisset et uilla fuerit exusta

3. Die Bibeltexte Die Bibeltexte geben nicht die lateinische Übersetzung des Hieronymus, die sog. Vulgata, wie­der; denn diese war zur Zeit der Abfassung der Colla­ tio noch gar nicht vollendet. Vielmehr nahm der Col­lator seine Bibel­texte aus der sog. Vetus Latina („Alte lateinische Übersetzung“)26. Es ist trotz ver­schie­de­ner Ver­su­che nur zum Teil  gelungen, die Vetus-Latina-Vorlagen des Collatio-Ver­fas­sers zu be­stim­men.27 Nach allgemeiner Ansicht sind die 25  Manthe,

Rez. von Frakes (o. Fn. 4) 622 Fn. 67 f. Ausdruck „Vetus Latina“ bezeichnet kein zusammenhängendes Werk, son­ dern eine Vielzahl von verschie­ denen lateinischen Bibelübersetzungen, die in Gebrauch wa­ren, vgl. Ernst Würthwein, Der Text des Al­ten Testaments, Stuttgart 19885, 102–105. 27  Mommsen, Collectio III 131–134; Hyamson (o. Fn. 4) 153–158; Nicolaas Smits, Mo­sai­ca­rum et Roma­na­rum le­gum collatio, Proefschrift Groningen 1934, Haarlem 1934, 44–71; Fritz Schulz, Die biblischen Texte in der Col­latio legum Mosai­carum et Romanarum, SDHI 2 (1936) 20–43; Eltjo Schrage, La date de la ‚Collatio legum 26  Der



Die Collatio: Inhalt, Textkritik und Verfasserfrage205

biblischen Texte der Collatio und ihre Vorlagen Über­set­zungen der grie­chi­ schen Über­setzung des Alten Testamentes, der Septuaginta (LXX). Es finden sich aber auch Bi­bel­texte in der Collatio, die vielleicht den hebräischen Text vor­ausset­zen: 28

coll. 15,1,1 Moyses dicit: Non inveniatur in te, qui lustret filium tuum aut filiam tuam, nec divinus, apud quem sortes tollas,

LXX Deut. 18,10–11

non inveniatur in te (10) OÙc eØreq»setai ™n soˆ perikaqa…rwn tÕn u„Õn aÙtoà À t¾n qugatšra aÙtoà ™n pur…, manteuÒmenov mante…an, auguriator klhdonizÒmenov

nec consentias venena­riis inposto­ribus, qui dicunt, quid con­ ceptum ha­beat mulier, quoniam fabulae se­duc­ toriae sunt, nec intendas prodigia, nec interroges mor­tuos. coll. 15,1,1 Mose sagt Es soll bei dir nicht gefunden wer­den, wer deinen Sohn oder deine Tochter reinigt, noch ein Weissager, bei dem du Los­ora­kel auf­hebst,

coll. 15,1,2

kaˆ o„wnizÒmenov, farmakÒv,

28 nec inspector avium nec maleficus

(11) ™pae…dwn ™paoid»n, aut incantator ™ggastr…muqov nec pythonem habens in ventrem kaˆ teratoskÒpov, nec haruspex ™perwtîn toÝv nekroÚv. nec interrogator mor­ tuorum [nec portenta inspi­ciens]. LXX Deut. 18,10–11 coll. 15,1,2 Es wird nicht gefun­den werden bei dir einer, der seinen Sohn oder seine Tochter in Feuer rei­nigt, einer, der Weissagung weissagt,

Es soll bei dir nicht gefunden wer­den,

einer, der aus Zeichen wahrsagt, und einer, der aus dem Vogelflug wahrsagt,

noch ein Vogelschauer

ein Wahrsager

Mo­saica­rum et Ro­ma­na­rum‘, étudiée d’après les cita­tions bibli­ques, in: Mé­lan­ges ­Fe­lix Wubbe, Fri­bourg / Suisse 1993, Hrsg. J. A. Ankum u. a., 401–417, 409–415. 28  Die Übersetzung von klhdonizÒ­menov steht in coll. 15,1,2 am Ende; sie ist wohl erst nach der Übersetzung des übrigen Textes nachgetragen worden. Coll. 15,1,1 hat klhdonizÒ­menov kaˆ o„w­ni­zÒ­menov gar nicht über­setzt, was zeigt, dass coll. 15,1,2 eine gegenüber 15,1,1 verbesserte Übersetzung ist.

206 und du sollst nicht den giftmi­schenden Be­trügern zustim­men, die sagen, was eine Frau im Bauch trägt, da das ja verführe­ri­sche Mär­chen sind, noch sollst du auf Vor­zeichen achten, noch sollst du die Toten befragen.

Ulrich Manthe ein Giftmischer,

noch ein Hexenmeister

(11) einer, der ein Zau­berlied singt, ein Bauchredner

oder ein Zauberlied­sänger

und ein Vorzeichen­ schauer, einer, der die Toten befragt.

noch ein Leberschauer

noch, wer einen Python im Bau­che hat,

noch ein Totenbefra­ger [noch einer, der Vor­ zeichen be­schaut].

Für Deut. 18,10–11 bietet die Collatio nicht nur eine Übersetzung, son­ dern zwei: coll. 15,1,1 und coll. 15,1,2. Mommsen wies die zweite Über­ setzung einem „Interpolator“ zu, also jeman­ dem, der nach dem Collator, also zwi­schen 400 und 800 n. Chr., den Text bearbeitete. Eine genaue Ana­ lyse die­ses Tex­tes ergibt aber, dass die beiden Übersetzungen nicht einfach dem LXX-Text folgen, sondern diesen aus jüdischer Sicht interpretieren. Einem „Inter­polator“ kann man diese ge­lehrte Arbeit nicht zu­schrei­ben – er müsste ein Kenner früher israelitischer Verhältnisse gewe­sen sein, den man im frü­hen Mittelalter ver­geb­lich suchen würde. Vielmehr war der Ver­fasser der Über­set­zun­gen (oder waren es zwei verschiedene Perso­nen?) ein jüdisch ge­bil­deter Ge­lehrter der Antike. Die erste Übersetzung (coll. 15,1,1) folgt mit nec divinus, apud quem sortes tollas „noch ein Weis­ sa­ ger, bei dem du Losorakel aufhebst“ dem hebräischen Text von Deut. 18,10, der von den heb­ räi­ schen Los­ orakeln spricht. In der Sep­tua­ginta werden die Losorakel nicht erwähnt; der Überset­ zer muss den he­b­rä­ischen Text gekannt haben.29 Coll. 15,1,1 qui dicunt, quid conceptum habeat mulier „die sagen, was eine Frau im Bauch trägt“ gibt grie­ch. ™g­gastr…muqov „Bauchred­ner“ falsch als „einer, der sagt, was im Bauch ist“ wieder. Coll. 15,1,2 nec pythonem habens in ventrem „wer einen Python im Bauch hat“ zeigt, dass der Übersetzer dieser Wörter er­kannt hat, dass ™g­gastr…­muqov „Bauch­red­ner“ bedeutet. Python ist ein im frühen Christentum üblicher Ausdruck für „Bauch­redner“.30 29  Deut. 18,10 hebr. qosem qesamīm „wer Losorakel für die Losorakelwahrsa­ gung be­nutzt“. Vgl. u. zu Fn. 54 zu der Möglichkeit einer lateinischen Bibelüberset­ zung unmittel­bar aus dem Hebräischen. 30  Manthe, Fs. Liebs (o. Fn. 1) 411. LXX ™g­gastr…muqov „Bauchredner“ gibt hebr. šo’el ’ōb „wer den Schlauch befragt“ (Deut. 18,11) wieder. Hebr. ’ōb ist ein



Die Collatio: Inhalt, Textkritik und Verfasserfrage207

Coll. 15,1,1 quoniam fabulae seductoriae sunt „da das ja verführerische Mär­chen sind“ hat kei­nen An­halt im Septuaginta-Text und kann daher auch nicht aus einer Vetus-Latina-Übersetzung der LXX stam­men. Der Text spielt aber auf die Si­byllinischen Orakel an; diese Orakel sind zum Teil (beson­ ders Buch 3) eine jüdische Kom­pila­tion aus dem 1. Jhdt. n. Chr. Dort (or. Sib. 3,226) heißt es im sel­ben Zusam­men­hang: oÙ mÚqwn mwrîn ¢p£tav ™g­gasterimÚqwn „(sie sor­ gen sich) nicht um Täuschungen der törichten Mär­chen der Bauch­redner“.31 Quoniam fabulae se­ductoriae sunt ist keine christli­ che Über­ setzung, sondern eine Erläuterung aus jüdischem Hin­ ter­ grund. Der Übersetzer von coll. 15,1,1 muss mehr Kenntnisse über das israeliti­ sche Zauberwesen ge­habt haben, als er aus dem Text der Sep­tuaginta erfah­ ren konnte. In coll. 15,1,2 be­rich­tigte die zweite Übersetzung coll. 15,1,1 nach dem Sep­tua­­gin­tatext. Der Verfasser der Collatio hatte bei­de altlateini­ schen Überset­ zungen vor sich und konn­ te sich nicht gleich ent­ scheiden, welche die bes­sere war; daher nahm er vorläufig beide in sein Manu­skript auf. In coll. 15,1,2 ließ er die Wörter weg, die keiner Verbesserung bedurf­ ten („wer dei­nen Sohn oder deine Tochter reinigt“). Das spricht dafür, dass das Manuskript noch nicht voll­endet war.32 An einer anderen Stelle könnte der Übersetzer des Bibeltextes vielleicht Kennt­nis von der Ausle­gung der Stelle durch die zeitgenössischen Rabbinen gehabt haben:

„Schlauch“ und ein „Totengeist“; wie die Wahrsa­gung vor sich ging, ist nicht ganz klar. Nach Naftali Herz Tur-Sinai (= Harry Torczyner, 1886–1973), Die Heilige Schrift ins Deut­sche übertragen, Neuhausen-Stuttgart 19952, 331, ist der šo’el ’ōb ein „Balg­red­ner“, also jemand, der mithilfe eines (in der Achselhöhle?) verborge­ nen Schlauches Ge­räu­sche (vgl. Is. 8,19) erzeugt. Mischna, Sanhedrin VII 7 „und der Herr des ’ōb, das ist der Python, und derjenige, der aus seiner Achselhöhle spricht,“ (übers. Krauß) scheint dar­auf hinzudeuten, dass Bauchredner (Python) und Achselhöhlenredner von­einander verschieden sind, so Samuel Krauß, Die Mischna, Sanhedrin, Makkōt, Gie­ ßen 1933 (Gie­ ßener Mischna IV 4–5), 230 mit weiteren Nachweisen. Freilich haben manche Mischna-Handschriften kein „und“ nach „Py­ thon“, vgl. Krauß 230, 394 zu Sanhedrin VII 7. Kein „und“ haben Hanōk ’Al­beq, Šišē sidrē Mišnā („Die 6 Ordnun­gen der Miš­nā“) IV, Tel Aviv 1988, 193,4; Dietrich Cor­rens, Die Mischna ins Deut­sche über­tra­gen, Wiesbaden 2005, 518 („und der Totenbe­ schwörer, das ist der, der eine [sic!] Py­thon aus seiner Achsel­höh­le reden läßt“). 31  Manthe, Fs. Liebs (o. Fn. 1) 411  f. Zu den Oracula Sibyllina vgl. Günter Stember­ger, Non-Rabbinic Litera­ture, in: Judaism in Late Antiquity I: The Literary and Ar­chaelogical Sources, Leiden 1995, 13–39, 24. 32  O. zu Fn. 16.

208

Ulrich Manthe

coll. 2,1,2: Et si surgens ambulave­ rit homo f o r t i s in baculo, sine cri­mine erit ille, qui eum per­cusserat.33

Und wenn der (verletzte) Mensch sich erho­ ben hat und a l s S t a r k e r mithilfe eines Stockes umherging, so wird der, der ihn niedergeschlagen hat, ohne Ver­brechen sein.

In den Handschriften steht fortis; alle Editoren verbessern nach dem Text der Septuaginta (œxw) fo­ris. Auch im hebräischen Text steht bahūs „außer­ halb des Hauses, im Freien“34; fortis für foris scheint daher ein Schreibfeh­ ler des Arche­typs zu sein. Allerdings hat bereits Volterra darauf hingewiesen, dass der Um­stand, dass jüdische Rabbinen den hebräischen Aus­druck ‘almiš‘antō „mithilfe seines Sto­ckes“ als „mit eigener Kraft“ interpre­tierten,35 für die Beibehaltung von fortis spre­che. In der Tat legte Jišma‘ēl ben ’Elīša‘, der um die Mitte des 2. Jhdts. n. Chr. lebte,36 die Worte „mithilfe seines Stockes“ allegorisch aus: Der Aus­druck zeige an, dass der Ver­letzte seine volle Gesundheit wiedererlangt habe.37 Und im Targum des Onqelos – einer Überset­zung der Tōrā ins Ara­mäi­sche zum Ge­brauch in den Synago­gen38 – 33

33  LXX Deut. 21,19: ™an ™xanast¦v Ð ¥nqrwpov peripat»s6 œxw ™pˆ þ£bdou, ¢qùov œstai Ð pat£xav. „Wenn der Mensch sich erhoben hat und draußen mit­ hilfe eines Stockes umhergeht, wird der, der ihn niederge­ schlagen hat, schuldlos sein.“ 34  Ex. 21,19: „Wenn er aufsteht und im Freien mithilfe seines Stockes umhergeht, ist der Schläger frei.“ 35  Edoardo Volterra, Collatio legum Mosaicarum et Romanarum, Roma 1930, 3–123 (Ndr. in: Volterra, Scritti giuridici IV, Napoli 1993, 19–139), 60. Volterra verwies nur auf Hyamson (o. Fn. 4) 64 Anm., der aber keine Quelle angab. 36  Hermann L. Strack / Günter Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, Mün­chen 19827, 78: zur Per­son; 238: zur Mekīltā des Jišma‘ēl ben ’Elīša‘, einem rab­bi­nischen Kommentar zu Exodus, dessen Kern auf Jiš­ma‘ēl zurück­geht; hierzu auch Gün­ter Stemberger, Midrasch. Vom Umgang der Rabbinen mit der Bibel, Mün­ chen 1989, 33; ders., Mekhilta de-Rabbi Jishma‘el. Ein früher Midrasch zum Buch Exodus, Berlin 2010, 439  f.; Gary G. Porton, Rabbinic Mid­ rash, in: Judaism (o. Fn. 29) 217–236, 228–230; Jacob Neusner, Mekhilta ac­cord­ing to Rabbi Ishma­ el, Atlanta, 1988, 24 f. mit Fn. 9 (die Mekīltā wird meist in die Spätantike oder auch später da­tiert; Neus­ner hält auch eine frühere Datie­rung für möglich). 37  Mekīltā 7,6 zu Ex. 21,19; Stemberger, Mekhilta (o. Fn. 36) 332 übersetzt (nach MS Oxford Bodleian Lib­rary 151,2, Stemberger 446, 451): „Wenn er später wieder auf­ste­hen und herum­gehen kann. Ich könnte mei­ nen, im Haus. Doch die Schrift lehrt: drau­ßen. Ich könnte meinen, auch wenn er hinfällig ist. Doch die Schrift lehrt: wenn er spä­ter wieder aufstehen und draußen an seiner Stütze herumgehen kann: in vol­ler Ge­sund­heit.“ Vgl. Jakob Winter / August Wünsche, Mekhilta. Ein tannaiti­ scher Mid­rasch zu Exodus, Leipzig 1909, 260; Her­mann L. Strack / Paul Billerbeck, Kom­mentar zum Neuen Tes­tament aus Tal­mud und Midrasch III, München 1926, 391; Wilhelm Ba­cher, Die Agada der Tannaiten I, Straßburg 19032, 239. 38  Gustaf Dalman, Grammatik des jüdisch-palästinischen Aramäisch, Leipzig 19052, 11 f.; Günter Stember­ger, Ge­schichte der jüdischen Literatur, München 1977, 81; Paul V. M. Flesher, The Targum, in: Judaism (o. Fn. 31) 40–63, 45 f., 62; Uwe



Die Collatio: Inhalt, Textkritik und Verfasserfrage209

heißt es: „Wenn er aufsteht und drau­ßen mithilfe sei­ner Stärke umhergeht.“39 Der Ver­ fas­ ser des Targums benutzte ein Wort­ spiel mit den aramäi­ schen Wör­tern bebarā „draußen“ und ‘ăl būrjeh „mithilfe seiner Stärke“ und gab hebr. ‘al-miš‘antō „mit­ hilfe seines Stockes“ als „mit­ hilfe sei­ ner Stärke“ wieder. Ist es denk­bar, dass der Überset­zer von coll. 2,1,2 von dieser Ausle­ gung gewusst hat? Dann hätte er allerdings nicht œxw „drau­ßen“, sondern ™pˆ þ£bdou „mithilfe seines Sto­ckes“ (wie der Tar­gum) mit fortis „als Star­ ker“ wieder­gege­ben sollen; in baculo blieb aber er­halten. III. Wer war der Verfasser der Collatio? 1. Christ oder Jude? a) Die bisherigen Ansichten Es kommen drei Möglichkeiten in Frage: (1) Der Verfasser kann kaum ein Heide gewesen sein, der den christlichen Ju­risten (scitote iuris­con­sulti) dar­legen wollte, dass das heidnische römische Recht besser legitimiert als das christliche Recht sei. Wer sich auf Moses be­ruft, ist kein Heide: coll. 7,1 pr.40 Scitote, iuris consulti, quia Moy­ ses prius hoc statuit, sicut lectio mani­ festat.

Wisset, ihr Rechtsgelehrten, dass Moses dies früher festgesetzt hat, wie der Text beweist.

(2) Er könnte ein Christ gewesen sein, der den (noch vorhandenen) heidni­schen Juristen zeigte, dass das Ge­setz des Alten Testamentes älter als das römi­sche Recht sei. Das ist die überwie­gende An­sicht,41 und man hat verschie­dene antike Autoren als Verfasser vorgeschlagen, nämlich: Lici­nius Rufi­nus (Cu­jaz42), Rufinus von Aquileia (Huschke43), Ambrosius (Ru­ Gleßmer, Ein­­ leitung in die Targume zum Pentateuch, Tübingen 1995, 84–94, 93 (beide datieren den Targum in die ersten Jahrzehnte des 2. Jhdts. n. Chr.). 39  Alexander Sperber, The Bible in Aramaic I. The Pentateuch according to Targum Onqelos, Leiden 1959, 124; englische Übersetzung in: Bernhard Grossfeld, The Tar­gum Onqelos to Exodus (The Aramaic Bible 7, Hrsg. Kevin Cathcart u. a.), Wilming­ton, Delaware 1988, 60. 40  O. Fn. 10; unten III 2. 41  Zuletzt Frakes (o. Fn. 4) 129–140. 42  Iacobus Cujacius, Recitationes solemmnes ad libros I ad XXII Quaestionum Pauli, in: Cuiacius, Opera om­nia V, Mutinae 1777, 1071 ad D. 40,13,4 Paul. 12 quaest.: „Is [scil. L. Rufinus Jurisconsultus] vero est L. Rufinus, qui contulit leges Dei cum legibus pop. Rom. Fuit enim Christianus, et illa collatio, quae non ita

210

Ulrich Manthe

dorff44, Hohen­lo­he45) oder gar Hiero­ny­mus (Conrat46).47 Alle diese konkre­ ten Identifizierun­ gen erwie­ sen sich als zu wenig begründet. Wer den Verfas­ser für einen Chris­ten hält, muss ihn weiter als Ano­nymus betrach­ ten. 43

Gegen die These, der Verfasser der Collatio sei Christ gewesen, spricht, dass er (mit Aus­ nahme von Ex. 20,16[13]48 = coll. 9,1) nicht die Zehn Gebote zi­tier­te, die den Christen geläufig waren, son­dern an­de­re Stellen aus dem Alten Testa­ment, die für Christen des 4. Jhdts. nicht mehr erheblich wa­ren. Die Auswahl war in einer Hinsicht sehr gezielt. In der Tōrā werden insge­samt 27 Handlungen mit den Worten hebr. mōt jūmăt „er muss gewiss getötet wer­den“ (mortem moriatur) bedroht.49 Davon übernahm der Verfas­ ser 16 Tatbe­stände.50 dudum edi­ta est a Petro Pithoeo, habet in quadam bibliotheca Germaniae praefixum nomen Licinii Rufini.“ 43  Philipp Eduard Huschke, Alter und Verfasser der legum Mosaicarum et Romana­rum collatio, ZgeschRW 13 (1846) 1–49, 25–31. Dagegen H. E. Dirksen, Über die Col­ latio Legum Mosaicarum et Romanarum, in: H. E. Dirksen, Hin­ terlassene Schriften II, Hrsg. Fried­rich Daniel Sanio, Leipzig 1871 (urspr. 1846), 128 f. 44  Rudorff, Über den Ursprung und die Bestimmung der Lex Dei oder Mosaica­ rum et Romanarum legum colla­ tio, Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissen­schaf­ten zu Berlin 1868, Berlin 1869, 265–296 u. 618, 276–294 u. 618. 45  Constantin Hohenlohe, Ursprung und Zweck der Collatio legum Mosaicarum et Rom­anarum, Wien 1935, 10–24; ders., Einfluß des Christentums auf das Corpus juris civilis, Wien 1937, 67–78. 46  Max Conrat, Hieronymus und die Collatio legum Mosaica­ rum et Ro­ma­norum [sic!], Hermes 35 (1900) 344–347. 47  Überblick und weitere Hinweise bei Hein L. W. Nelson, Über­lie­fe­rung, Auf­ bau und Stil von Gai In­stitu­tio­nes, Leiden 1981, 109 f. Fn. 9; Schrage (o. Fn. 25) 401–403. 48  Zur unterschiedlichen Verszählung vgl. Ema­nuel Tov, Der Text der Heb­ rä­ i­ schen Bibel, Stuttgart 1997, 4. 49  Zur „mōt jūmăt-Reihe“ vgl. Georg Fohrer, Geschichte der israelitischen Re­ ligion, Freiburg 1992 (urspr. 1968) 189. Stellen bei Gerhard Lisowsky, Konkordanz zum he­bräi­schen Alten Testament, Stuttgart o. J.2 [1966], 769; Wilhelm Gesenius /  Frants Buhl, Hebräisches und Ara­mäi­sches Handwörterbuch über das Alte Testa­ ment, Leipzig 191015, 405, jeweils sv. mōt (Ho­phal). Nicht zu dieser Reihe gehört coll. 7,1,2 = Ex. 22,2. 50  3 Tatbestände sind keine Normen, sondern Einzelanordnungen und kommen nicht in Betracht: Gn. 26,11; Ex. 19,12; Num. 15,35. Von den verbleibenden 24 Strafnormen wurden 7 wörtlich mit mortem moriatur in die Collatio übernommen: Ex. 21,16 (LXX Ex. 21,17) = coll. 14,1; Lev. 20,10 = coll. 4,1; Lev. 20,11 = coll. 6,1,1; Lev. 20,12 = coll. 6,1,2; Num. 35,16 = coll. 1,1,1; Num. 35,17 = coll. 1,1,2; Num. 35,20–21 = coll. 1,1,3–4.



Die Collatio: Inhalt, Textkritik und Verfasserfrage211

Aus dem Befund in den Handschriften ergibt sich, dass der Collator mortem moriatur schrieb; der Akkusativ entspricht dem hebräischen Infini­ tivus abso­lu­tus51 und nicht dem griechischen Dativ (die LXX hat qan£t0 qanatoÚsqw (qana­toÚs­qw­san) „mit dem Tode soll er (sollen sie) getö­ tet werden“). Momm­ sens mor­tem ist richtig, morte (nach der LXX verbessert)52 ist text­ kri­ tisch nicht haltbar. Wäre die Vetus-Latina-Vorlage des Collators der LXX ge­folgt, so wä­re morte moriatur zu erwarten; mortem zeigt daher möglicherweise an, dass die Vorlage aus dem Hebräi­schen übersetzte. Quispel hat gute Gründe dafür ange­ führt, dass jüdi­ sche Ge­ mein­ den in Nord­ afrika mangels griechischer Sprach­ kenntnisse das Alte Testament un­mittelbar aus dem Hebrä­ischen ins Latei­ni­sche übersetzten.53 Ist es denkbar, dass der Collator einen solchen afrikani­schen Vetus-LatinaText hatte?54 (3) Edoardo Volterra vertrat 1930 die These, der Verfasser der Collatio sei Jude gewesen; er konnte hier­für man­che Indi­zien anführen.55 Die neue­ re Litera­tur lehnte die Ver­mutung Volterras meis­t ab;56 die Ab­leh­nung war frei­ lich nur reaktiv, indem die einzelnen Argu­ mente Volterras ledig­ lich entkräftet wur­den, ohne dass man die jüdi­schen Quellen noch einmal ge­ nauer betrachtet hätte. b) Isdem abstipulantibus In der Tat hatte Volterra Recht. Er sah allerdings das stärkste Argu­ment für seine These nicht, nämlich einen Satz der Collatio, der bisher nie richtig ediert wurde: coll. 6,7 pr. Alle Heraus­ geber druckten das Wort adsti­ Weitere 9 Normen finden sich ohne wörtliche Übernahme in der Collatio: Ex. 21,12 ~ coll. 1,1; Ex. 22,18 ~ coll. 6,7,9; Lev. 20,2 ~ coll. 15,1,1; Lev. 20,13 ~ coll. 5,1; Lev. 20,15 ~ coll. 6,7,9; Lev. 20,16 ~ coll. 6,7,9; Lev. 20,27 ~ coll. 15,1,1–2; Lev. 24,17 ~ coll. 1,1; Num. 35,31 ~ coll. 1,1. Nicht übernommen wurden nur 8 Normen: Ex. 21,15; Ex. 21,17 (LXX Ex. 21,16); Ex. 31,14; Ex. 31,15; Lev. 20,9; Lev. 24,16; Lev. 27,29; Num. 35,18. 51  Vgl. Paul Joüon, Grammaire de l’hébreu biblique, Rome, 19652, §§ 123d (Ak­ku­sa­tiv des inneren Objektes), 123e (verstärkende Bejahung). 52  Frakes (o. Fn. 4) 157 Fn. 4 und pass. 53  Gilles Quispel, African Christianity be­ fore Mi­nucius Felix and Tertullian, in: Ac­tus. Studies in Honour of H. L. W. Nelson, edd. J. den Boeft u. a., Utrecht 1982, 257–335, 261–262. 54  Vgl. o. Fn. 29 zum Losora­kel. 55  Volterra (o. Fn. 35) pass.; Überblick bei Manthe, Fs. Behrends (o. Fn. 15) 354–355. 56  Zuletzt Frakes (o. Fn. 4) 140. Für jüdische Herkunft traten ein: Giorgio Barone-Adesi, L’età della Lex Dei, Na­poli 1992; Francesco Lu­crezi, L’uccisione dello schiavo in diritto ebraico e romano. Studi sulla „Collatio“ I, Torino 2001, 37–45.

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pulantibus „weil sie dem Gesetz bei­traten“ ab57 und verstanden den Text so, dass die noch un­kul­ti­vierten Völker das Gesetz des Sinai annah­men; ge­ meint seien mit den „Völ­kern“ die Israeliten.58 Freilich muss man sich fra­ gen, wieso es meh­rere Völ­ker (populi) sind – Israel war doch nur ein ein­ ziges Volk. In allen drei Codices B, V und W steht aber nicht adstipulantibus, son­ dern abstipulantibus „ob­wohl sie die Tōrā ablehnten“. Da abstipulari in der ge­ sam­ ten lateinischen Literatur nicht belegt ist, emen­ dierte man ge­ dankenlos59 zu adstipu­lantibus. Wir müssen aber die Text­über­liefe­rung ab­ stipulantibus ernst nehmen, denn der Text ergibt einen guten Sinn, wenn man die jüdische Tra­di­tion60 betrachtet: In der Tōrā  – den Fünf Büchern Mo­ se – sind 613 göttli­ che Gebote enthalten, die schrittweise gegeben wur­den. Zu­nächst gab der Ewi­ge dem ersten Menschen Adam (und damit allen Men­ schen) ein einziges Ge­ bot: Er verbot den Götzendienst. Nach der Sintflut gab er allen Völ­ kern (auch den Nichtju­ den), die alle von ­Noah ab­stammen, sieben Ge­bote: das Gebot zur Rechts­pflege und die Ver­ bote der Gottes­läs­te­rung, des Götzen­diens­tes, der Un­zucht, des Blutvergie­ ßens, des Raubes und des Genus­ ses eines Glie­ des von einem leben­ den Tiere. Die Heidenvölker haben die sieben noahidi­schen Ge­bote zwar auf sich ge­ nommen, sie aber nicht gehal­ ten. Später bot der Ewige allen 70 Völkern (Gen. 10) sein Gesetz, die Tōrā an, und zwar zwei­mal, so­wohl in der Wüste am Sinai als auch nach der Über­schrei­tung des Jor­dans. Aber die Völ­ker nahmen die Tōrā nicht an. Sie hatten jedoch Kenntnis vom Angebot der Tōrā und wurden da­durch ge­warnt; darum sind sie ver­flucht (ma­le­dic­ti). Nur Israel schloss den Bund mit dem Ewi­gen und nahm die Tōrā an. Die rudes populi (Plural) sind daher nicht das eine Volk der Israeliten, son­dern die vielen unkulti­vier­ten61 Heidenvöl­ker, die das Gesetz ab­lehnten. Seit dem 2. Jhdt. n. Chr. wa­ren die Christen davon überzeugt, dass das Neue Testament die Tōrā über­wun­den hatte; deshalb war es für einen christ­ lichen Verfasser nicht mehr erheblich, dass die Tōrā nur von Israel ange­ 57  Seit Pithou 1573 (o. Fn. 2); die Ausgabe von 1574 (vgl. o. Fn. 3) verbesserte aller­dings wieder zu abstipulantibus, was die späteren Editoren nicht berücksichtig­ ten. 58  Zuletzt Frakes (o. Fn. 4) 217; vgl. Manthe, Rez. Frakes (o. Fn. 4) 619. 59  Nur Huschke (o. Fn. 4) zur Stelle diskutierte das textkritische Problem, blieb aber doch bei adstipulantibus; vgl. Manthe, Fs. Behrends (o. Fn. 15) 365 f. 60  Näheres bei Manthe, Fs. Behrends (o. Fn. 15) 356–367. 61  Rudis „unkultiviert“ übersetzt den mischna-hebräischen und aramäischen Aus­ druck būr, womit diejenigen ge­meint sind, die die Tōrā nicht ken­nen, vgl. Manthe, Fs. Beh­rends (o. Fn. 15) 366.



Die Collatio: Inhalt, Textkritik und Verfasserfrage213

nommen und von den Heiden abgelehnt wurde. Ein Christ würde sich jetzt nicht mehr auf Annahme oder Ab­lehnung der Tōrā und auf die in coll. 6,7 aufgenommenen Verfluchungen aus Deut. 27,15–26 beru­ fen.62 Den Text coll. 6,7 pr. kann nur jemand geschrieben haben, der in der jüdi­schen Tradi­ tion stand und wusste, dass die Heidenvölker die Tōrā abgelehnt hatten. Da­her muss der Ver­fasser der Collatio ein Jude gewesen sein. Also lautet der Text von coll. 6,7 pr. richtig: Idem dicitur in eos, qui incestas nuptias contraxerunt. Maledicti ta­ men sunt omnes incesti per le­gem, cum adhuc ru­ dibus populis ex divino nutu condita isdem a b ­ sti­ p u l a n t i b u s sanciretur. Et uti­ que om­ nes maledicti puniti sunt, quos di­vina et humana sen­tentia con­sona voce damnavit. Lex di­vi­na sic dicit:

Dasselbe wird hinsichtlich derer gesagt, die inzestuöse Ehen geschlossen haben. Es sind aber alle Inzesttäter durch die Tōrā ver­flucht worden, als sie [scil. die Tōrā] für die bis dahin unkultivierten Völker durch gött­lichen Willen er­richtet und mit Rechts­kraft verse­ hen wurde, obwohl sie die Tōrā a b ­l e h n t e n . Und es sind jeden­falls alle Ver­fluchten be­ straft worden, die der göttli­che und mensch­ liche Urteils­ spruch ein­ stimmig verurteilte. Die göttli­che Tōrā spricht so:

2. Der Ambrosiaster63 Jetzt können wir die Frage, wer der Verfasser gewesen sein könnte, neu be­trachten. Martin Schanz (1904) und Joseph Wittig (1906)64 schlugen für den Collatio-Verfasser den „Ambrosiaster“ vor. Dieser war ein für uns ­anonymer Ver­fasser eines gelehrten Kommentars zu den Paulusbriefen des Neuen Tes­ ta­ mentes und einer Sammlung von Quästionen; er schrieb um 366–386 n. Chr.65 Das Mittelalter schrieb den Pauluskom­mentar dem Am­ brosius und die Quästi­onen dem Augustinus zu; Erasmus von Rotterdam 62  Manthe,

Fs. Behrends (o. Fn. 15) 369. bei Manthe, Wurde die Collatio vom Ambrosiaster Isaak geschrieben? in: Festschrift für Rolf Knü­tel zum 70. Geburtstag, Hrsg. H. Altmeppen u. a., Hei­ delberg 2009, 737–754. 64  Martin Schanz, Geschichte der römischen Literatur IV 1, München 19142, 361 (schon 19041 nach Wittig 61 Fn. 4); Jo­seph Wittig, Der Ambrosiaster „Hilarius“. Ein Beitrag zur Geschichte des Papstes Damasus I., Kir­chen­ge­schichtliche Ab­handlungen 4 (1906) 1–66, 59 ff. 65  Ausgaben: Ambrosiastri qui dicitur commentarius in epistulas Paulinas, rec. Hen­ri­cus Iosephus Vogels, CSEL 81 I–III, Vindobonae 1966 / 8 / 9; älter: Ps.-Ambro­ sius, Com­mentaria in XIII epistolas Beati Pauli, Migne, Patrologia Latina (PL) 17, 1845, 45–508 (Ndr. der Maurinerausgabe von 1686–1690). – Pseudo-Augustini quae­stio­nes Ve­te­ris et Novi Testamenti CXXVII, rec. Alexander Souter, CSEL 50, Vindobonae 1908; älter: Ps.-Augu­stinus, Quaestio­nes Veteris et Novi Testamenti, PL 35, 1845, 2213–2416 (Ndr. der Mauriner­ausgabe von 1679–1700). 63  Näheres

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er­kannte, dass der Paulus­kommentator nicht Ambrosius gewesen sein kann, und jetzt nennt man den un­bekann­ten Verfasser den „Ambro­siaster“.66 Der Ambrosiaster wiederum war wahr­schein­lich67 ein gewisser Isaak. Wir wollen zunächst die Argumente nennen, die für die Identität des Colla­tio-Verfassers mit dem Ambrosiaster sprechen, und dann auf die Frage einge­hen, ob der Ambrosiaster mit Isaak iden­tisch war. Wenn sich beides als wahr­schein­lich ergibt, dürfen wir Isaak oder wenigstens den Ambrosias­ ter als Ver­fasser der Collatio vermuten. In coll. 15,3 steht das Edikt Diokletians gegen die Manichäer. Dieses Edikt ist nicht in den Co­dex Iustinianus aufgenommen worden (es war den Justinianern natürlich aus dem Codex Gregorianus bekannt); Diokletian hatte die Chris­ten verfolgt, und ein reli­gions­rechtli­ches Edikt von ihm konn­ te im christ­li­chen Codex Iustinianus nicht mehr verwendet werden. Außer in der Collatio ist das Edikt nur beim Ambro­siaster68 bezeugt. Der Ambro­ siaster war ju­ris­tisch gebil­det; er erwähnte das Zwölftafelgesetz, das Sena­ tusconsultum Vel­ lae­ a­ num, eine Juristenstelle zur Fünf­ lings­ geburt und ein Gesetz des Julian Apo­stata. Er trat für faire Ver­fahrens­prinzi­pien im Straf­ prozess ein.69 Der Ambro­siaster kannte die jüdische Tradition. Unter den wichtige­ren Kirchen­schrift­stel­lern des 4. Jhdts. war der Ambrosiaster – na­ türlich außer Hie­rony­mus – der ein­zige, der sich für die jüdischen Ur­sprünge des Christentums in­ teres­sierte. Häufig übte er Kritik am Juden­ tum, doch stets freundlich und ab­gewo­gen; mehr­fach hob er hervor, dass die Juden in manchen Dingen den Christen überlegen seien. Er kannte die adamitischen und noahidischen Ge­bote und das Ge­setz des Sinai (o. III 1 b). Die Heiden haben zwar die Tōrā abge­lehnt; die Tōrā gilt aber nach der Ansicht des Ambro­si­asters auch nach der Ankunft des Messias weiter.70 Das ist genau der Ge­dankengang, den wir in coll. 6,7 pr. fin­den: Die Ablehnung der Tōrā hat zur Verflu­chung der Heiden geführt, und das ist für den Colla­tio-Ver­ fasser immer noch wichtig. All dies spricht dafür, dass der Ambrosiaster nicht nur am Judentum sehr inte­ ressiert, son­ dern jü­ disch soziali­ siert war. Das bedeutet nicht, dass er Jude war, als er den Kommentar zu den Paulus­brie­fen und die Quästionen schrieb; es ist möglich, dass er zum Christentum konvertiert war, aber seine jü­dischen Wur­zeln nicht vergessen und verdrängt hatte. Altaner / Alfred Stuiber, Patrologie, Freiburg 19938, 389 f. zuerst G. Morin, L’Ambrosiaster et le juif converti Isaac, contemporain du Pape Damase, Revue d’histoire et de litté­rature re­ligieuses 4 (1899) 97–121. 68  Ambst. comm. ad 2 Tim. 3,6–7, CSEL 81 III, 312,4–24. 69  Quellen bei Manthe, Fs. Knütel (o. Fn. 63) 741–742. 70  Quellen bei Manthe, Fs. Knütel (o. Fn. 63) 744–746. 66  Berthold 67  So



Die Collatio: Inhalt, Textkritik und Verfasserfrage215

Der Ambrosiaster hob hervor, dass die Tōrā älter war als das heidni­sche Recht. Das sci­tote iuris­consulti coll. 7,1 pr. (o. III 1 a) hat eine Parallele beim Am­bro­si­aster: Ambst. quaestio 114,30 Qua igitur ratione pagani Legem suam ante di­cunt fuisse quam nostram?

Aus welchem Grund also behaup­ten die Hei­den, dass ihr Gesetz schon früher als unseres existiert habe?

Der Ambrosiaster nannte genau die Delikte, die in der Collatio behandelt wer­den: Ambst. comm. ad Gal. 2,1–2: … nescirent homicidium [coll. 1] non esse facien­ dum; quippe cum adulteros [coll. 4] et homicidas [coll. 1–2] et fal­ sos testes [coll. 8] et fures [coll. 7] et maleficos [coll. 15] et ceterorum ma­lo­ rum ad­missores pu­niant leges Ro­ma­nae?

… wissen sie nicht, dass man keinen Mord begehen darf, weil ja die römi­ schen Ge­ setze die Ehebrecher und die Mör­ der und die falschen Zeugen und die Diebe und die Giftmischer und die Täter der übrigen Übeltaten bestra­fen?

Es lassen sich noch manche sachliche Übereinstimmungen zwischen dem Collatio-Verfasser und dem Ambro­siaster finden.71 Der Verfasser der Collatio (der Ambrosiaster?) ist anonym geblieben; nur Augus­tinus schrieb einen Satz des Ambrosiasters einem gewissen Hilarius zu.72 Wenn man ihn mit einem der kirchlichen Schrift­steller sei­ner Zeit iden­ tifizieren will, so kommt nur ein Autor in Frage, dessen Gedankengut sich mit dem des Colla­tio-Verfassers deckt. Das könnte der Ambro­sias­ter gewesen sein. 3. Isaak a) Isaak und Hieronymus Isaak war ein getaufter Jude, der eine Abhandlung über die Dreieinigkeit ver­fasste; die Schrift ist er­halten.73 Er war Rechtsanwalt, der im Auftrag des 71  Manthe,

Fs. Knütel (o. Fn. 63) 743–744. contra duas epistulas Pela­gia­no­rum 4,4,7, PL 44, 1865, 614: Nam et sic sanctus Hila­rius intellexit, quod scriptum est: „in quo omnes pecca­ve­runt“; ait enim: „In quo“, id est in Adam, „omnes peccaverunt.“ Deinde addidit: Manifestum in Adam om­nes pec­casse quasi in massa. Ipse enim per pecca­tum corruptus, omnes, quos ge­nuit, nati sunt sub peccato. Vgl. Ambst. ad Rom. 5,12, CSEL 81 I, 165,9–10. 11–13: „In quo“, id est in Adam, „omnes pec­ca­ve­runt.“ … Ma­ni­festum est itaque omnes in Adam peccasse quasi in massa; ipse enim per pec­catum corruptus, quos genuit, om­nes nati sunt sub peccato. Siehe u. zu Fn. 90. 73  Gennad. de viris illustribus 26, PL 58, 1847, 1075–1076; Ausgaben: Migne, Pa­tro­lo­gia Graeca (PG) 33, 1857, 1541–1546; Hans Zeuschner, Studien zur Fides 72  Augustin.

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Gegen­papstes Ursinus den Papst Damasus (366–386) in einem Kapitalpro­ zess anklagte; der Prozess fand zwischen 370 und 376 statt. Damasus wur­ de freige­spro­chen, und Isaak wurde nach Spanien verbannt. Dort kehrte er vor 378 zum Judentum zu­rück.74 Mehr ist über Isaak nicht bekannt, aber es gibt einige Stellen bei Hierony­ mus, die man auf Isaak be­zie­hen kann. In seinem Werk De viris illustribus („Be­rühmte Männer“)75 zählte Hieronymus alle Kir­chen­schriftstel­ler auf – Isaak und seine Abhandlung über die Dreieinigkeit wurden aber ver­schwie­ gen. Hiero­nymus ließ sich ferner sehr unfreundlich über einen Vortrag aus, den ein kon­ver­tierter Jude in Rom über die Vorfahren von Jesus gehalten habe; dieser zum Christen ge­taufte Jude sei aber im Her­zen Jude geblieben, und der Vor­ tragende habe auch eine ganz falsche These vertreten. Man nimmt meist an, dass der Jude, der „vorgab, an Christum zu glauben“,76 der konver­tierte Isaak war, der ja spä­ter zum Juden­tum zurückkehrte.77 b) Der Ambrosiaster und Hieronymus Diese Notiz des Hieronymus weist zugleich auf den Ambrosiaster hin, der das­selbe Problem be­han­delte und auch eine andere Ansicht als Hieronymus vertrat.78 Auch ihn behandelte Hierony­mus, als ob es ihn nicht gäbe. Niemals nannte er den Namen des Ambrosiasters, obwohl er seine Werke kannte. Papst Damasus stellte 384 n. Chr. mehrere Fragen an Hieronymus.79 Die Fra­ gen entstammen zum Teil wört­ lich den Wer­ ken des Ambrosiasters. Isaatis, Kir­chengeschichtliche Abhandlungen 8 (1909) 97–148, 110–114; Alexander Souter, Fides Isatis ex Iudaeo: A New Edition, The Jour­nal of Theological Studies 31 (1929) 1–8. 74  Epistula concilii Romani ad Gratianum et Valentinianum Impp. in: Iacobus Go­tho­fre­dus, Hrsg. Ritter, Co­ dex Theodo­ sianus VI 2 App. pag. XVIII = PL 13, 1845, 580–581; Coll. Avellana 13,5 Gratianus et Valentinianus Augg. Aquilino vica­ rio, in: Col­lectio Avellana, rec. Otto Guenther, CSEL 35, 1895, 33 = Gothofredus, C. Theod. VI 2 App. pag. XIX; PL 13, 584–585; Haenel, Corpus legum, 1857, pag. 226b, ao. 378. Vgl. Manthe, Fs. Knütel (o. Fn. 63) 748 f. 75  Hier. de vir. ill., PL 23, 18451, 601–720 (= 18832, 631–760). 76  Hier. comm. ad Tit. 3,9, PL 26, 18451, 595D (= 18842, 631B): audivi ego quem­dam de Hebraeis, qui se Romae in Christum credidisse si­mu­la­bat. 77  Wittig, Ambrosiaster (o. Fn. 64) 4 ff.; Willi­bald Schwierholz, „Hilarii in epis­ tola ad Romanos librum I.“ (Kata­log der Bibliothek von Bobbio, Nr. 94). Ein Bei­ trag zur Ambro­siasterfrage, Kir­chenge­schichtliche Ab­hand­lun­gen 8 (1909) 57–96, 94; Schanz IV 12 (o. Fn. 64) 357. 78  Ambst. quaest. 56, CSEL 50, 101–103; anders Hier. comm. ad Mt. 1,16, PL 26, 18451, 23B ( = 18842, 23C-24A). 79  Hier. ep. 35, Sancti Eusebii Hieronymi Epistulae I, rec. Isidorus Hilberg, CSEL 54, Vindobonae 1910, 265–267.



Die Collatio: Inhalt, Textkritik und Verfasserfrage217

Hiero­ny­mus80 beant­wortete sie eilig,81 ohne den Namen des Ambrosiasters zu erwäh­nen. In einem Brief aus dem Jahre 39882 kritisierte Hie­ro­ny­mus eine, wie er sagte, „ano­nyme“ Schrift über den Priester Melchisedek, eine Figur aus dem Alten Tes­tament.83 Diese Schrift stammt vom Ambrosi­aster.84 Hierony­mus ver­schwieg in De viris il­lustribus auch die Bücher des Ambro­ siasters und behaup­tete so­gar, in lateinischer Sprache ge­be es bisher keinen Kommen­tar zum Gala­terbrief;85 den Kommentar des Ambro­ siasters zum Gala­ter­brief86 muss er aber gekannt haben. Schließlich wehrte sich Hierony­ mus gegen die (vom Ambro­si­as­ter87 ver­tre­tene) Ansicht, Codi­ces der Vetus Latina seien den grie­chi­schen Co­dices zuwei­len über­le­gen.88 IV. Ambrosiaster = Isaak = Collatio-Verfasser? Hieronymus nannte gewöhnlich die Namen seiner Gegner, nur in die­sen Fäl­len unter­drückte er beharr­lich den Namen des Angegriffenen, näm­lich des Isaak und des Ambrosiasters. Das für Hiero­nymus un­gewöhnli­che Ver­ hal­ten kann man damit erklä­ren, dass die beiden Ungenannten ein und die­ selbe Per­ son wa­ ren, Isaak also der Ambrosiaster war. Wenn er wirklich Isaak meinte, so nannte er den Namen deshalb nicht, weil Isaak vom Glau­ ben abgefallen war und daher als tot galt.89 Es spricht daher manches für die Identität des Ambrosiasters und des Isaak, wenngleich keine end­ gül­ tige Ent­ schei­ dung getroffen werden kann: Hierony­mus griff einen ano­nymen Konvertiten an; das passt zugleich auf Isaak und auf den Ambrosiaster. Ferner könnte sich so erklä­ren, dass Au­ gustinus aus dem Werk des Ambrosiasters zitierte, aber den Verfasser als Hila­rius „der Läch­ler“ be­zeichnete.90 Der hebräische Name Isaak bedeutet: „er lacht“;91 Hi­la­rius könnte der Tauf­name des Isaak gewe­sen sein. 80  Hier.

ep. 36, CSEL 54, 268–285. ep. 36,1,1 confestim accito notario, CSEL 54, 268,5. 82  Hier. ep. 73,1, Hieronymi Epistulae II, rec. Hilberg, CSEL 55, Vindobonae 1912, 13–23. 83  Gen. 14,18–20; Ps. 110,4; Hebr. 5,6. 10; 6,20; 7,1–13. 84  Ambst. quaest. 109, CSEL 50, 257–268. 85  Hier. comm. ad Gal., prologus, PL 26, 18451, 308A ( = 18842, 332B). 86  Ambst. comm. ad Gal., CSEL 81 III, 1–68. 87  Ambst. comm. ad 1 Cor. 13,3, CSEL 81 II, 147,3; Ambst. comm. ad Rom. 5,14, CSEL 81 I, 177,10–25. 88  Manthe, Fs. Knütel (o. Fn. 63) 751 zu Fn. 95. 89  Manthe, Fs. Knütel (o. Fn. 63) 753 Fn. 108. 90  Siehe o. zu Fn. 68. 91  Gen. 21,3. 6: Jishaq zu hebr. shq „lachen“. Der Ambrosiaster selbst wies auf die Etymologie hin, comm. ad Rom. 1,1, CSEL 81 I, 8,9–13. 81  Hier

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Uns interessiert aber, wer der Verfasser der Collatio war. Es könnte der Ambrosi­ aster gewesen sein. Der Collatio-Verfasser war jedenfalls Jude, viel­leicht getauft; sein Gedan­kengut deckt sich mit dem des Ambro­siasters. Dann aber könnte er auch mit Isaak identisch sein. Dagegen könnte die zeitliche Ein­ ord­ nung sprechen: Der Ambrosiaster schrieb seinen Kommentar zu den Pau­ lus­ brie­ fen unter Papst Da­ masus (366–386); Isaak, der wahrscheinlich mit dem Amb­rosiaster identisch ist, war schon 378 zum Ju­den­tum zurück­gekehrt. Die Collatio zitiert aber ein Gesetz von 392. Dennoch ist es möglich: Isaaks Gegner Hiero­ nymus lebte seit 385 in Paläs­tina; der andere Gegner Papst Damasus starb 386. Isaak könnte nach seiner Rückkehr zum Judentum wieder nach Rom zu­rückgekehrt sein und dort seine Lex Dei verfasst haben. Die schon über 100 Jahre alte Hypo­these der Identität des Collatio-Verfas­ sers mit dem Ambrosiaster92 verdient es, wieder disku­tiert zu wer­den.

92  o. Fn. 60. Zustimmende Stimmen bei Manthe, Fs. Knütel (o. Fn. 59) 739 Fn. 20.

Der Redner Albucius Silus und ein „merkwürdiger“ Prozess wegen Mordes Von Carla Masi Doria I. Einleitung Die Organisatoren dieser wichtigen Tagung, die Kollegen Shigeo Ni­ shimura und Mariko Igimi, bei denen ich mich auf das herzlichste bedanken möchte, ha­ben uns eingeladen, um gemeinsam über das römische Recht zu diskutieren. Eine Disziplin, der sie, ganz offenbar, in besonderer und lo­ benswerter Weise anhängen; dabei haben sie uns wichtige methodische Hinweise eröffnet, insbe­ son­ dere, indem sie den Rednern die Möglichkeit und Nützlichkeit eröffnet ha­ ben, sich auch mit jenen Quellen aus­ einanderzusetzen, die nicht unbedingt im all­täglichen Arbeitsprozess eines Romanisten aufscheinen. Während wir uns in der Tat täglich mit jenen Texten und Rechtsproblemen beschäftigen, die in der deutschen Sprache im weitesten Sinne im Rahmen einer Digesten­ exegese Be­ handlung finden, wobei in diesem Zusammenhang nicht nur die eigentli­chen Digestentexte zu verstehen sind, sondern im weiteren Sinn die technisch-juristi­sche Literatur auch außerhalb der Digesten Justinians, so ist doch die Hinwen­ dung zu einem Verständnis weiterer Texte aus dem Bereiche der Ge­schichts­schreiber, Dichter, Redner und so fort eine gerade verpflich­tende Auf­gabe des Roma­ nisten, der das Recht der Römer im historischen Sinne verste­hen möchte.1 Im Übrigen haben die Kollegen Nishimura und Igimi als Ziel dieser Zusam­ menkunft einen Dialog mit dem Text vorgeschla­gen und haben da­bei ver­ sucht, sämtliche Gesichtspunkte, und seien sie auch noch so gering, auf dem Wege einer aufmerksamen her­meneutischen Vorge­hensweise ins rechte Licht zu rü­cken.

1  Bezüglich eines Überblicks zur romanistischen Quellenkunde (mit besonderer Be­ rücksichtigung der nicht juristischen Quellen) vgl. Franz Wieacker, Römische Rechts­geschichte I, München 1988, 83 ff.

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II. De grammaticis et rhetoribus von Sueton als Quelle für eine juris­ti­sche Analyse Auf Grundlage dieser Voraussetzungen habe ich beschlossen, ein Gebiet zu erforschen, das auf der Gesamtlektüre eines besonderen Werkes fußt, eines Werkes, das von den Rechtshistorikern nicht allzu sehr geschätzt wird, das aber eine Reihe sehr interessanter, spannender rechtlicher Hinweise enthält. Es han­delt sich um De grammaticis et rhetoribus2 des Gaius Sue­ tonius Tran­ quillus, des berühmten Ge­ schichtsschreibers der 12 Caesaren, einer Persön­lichkeit von Bedeutung aus den Eliten der Ritter­schaft, aktiv bis zum Prinzipat des Hadrian. Der betreffende Text besteht aus einer Samm­ lung biogra­ phischer Bil­ der, die für die Geschichte der literarischen und rhetorischen Kultur von ganz besonde­rer Bedeutung sind. Mein besonderes Interesse entstand vor al­lem in Folge einer durchaus beachtlichen Reihe von Hinweisen auf Freigelas­sene3 (wie be­kannt, entstammten viele der Gramma­ tiker und der Schriftsteller zur Rhetorik sowohl in der Republik wie auch im frühen Prinzipat dem Stand der Frei­gelas­senen)4, welche mit nicht we­ nigen Zeugnissen nicht zuletzt aus dem Bereiche des Rechts das Le­ben von ehemaligen Sklaven erhellen, die einen gewissen Bekanntheits­ grad und 2  „… das einzige einigermaßen vollständig erhaltene Buch aus De viris illust­ribus …“, so Peter Lebrecht Schmidt, in: Reinhart Herzog / Peter Lebrecht Schmidt, Hand­buch der lateinischen Literatur der Antike IV, Mün­chen 1997, 38, wo sich eine knappe Ein­ füh­ rung zum Werk selbst befindet. Siehe auch Marc Baratin, Le De Grammaticis et Rhetori­bus de Suétone: un texte polémique?, Histoire Épistémologie Langage 20 / 2 (1998) 81–90. 3  Was meine Untersuchungen zu diesen Fragen anbelangt, vgl. Die Societas Rutili­ana und die Ursprünge der prätorischen Erbfolge der Freigelassenen, ZRG RA 106 (1989) 358–403; Civitas operae obsequium. Tre studi sulla condizione giuridica dei liberti, Napoli 1993; Zum Bürgerrecht der Freigelassenen, in: Ars boni et aequi. Fest­ schrift W. Waldstein, Stuttgart 1993, 231–260; Inpudicitia, officium e operae liberto­rum, ZRG RA 110 (1993) 77–102; Bona libertorum. Regimi giuridici e real­ tà sociali, Napoli 1996; Libertinitas e successione genti­lizia, Index 27 (1999) 251– 300; Matri­moni e „tresche“ libertine. Qualche osservazione sul rapporto patrono-li­ berta, in: Mar­riage: Ideal – Law – Practice. Proceedings of a Conference held in Memory of H. Ku­piszewski, edd. Z. Służewska & J. Urbanik, Warsaw 2005, 123– 140; Patronos y liber­tos: perspectivas jurídicas y realidades sociales. Movilidad de la riqueza y derecho sucesorio, in http: /  / docubib.uc3m.es / WORKINGPAPERS /  IECSPA / iescpA050808.pdf − Lucio Anneo Séneca, Instituto de Estu­dios Clásicos sobre la Sociedad y la Política (2005); Un’ipotesi sulla ‚Masuri rubrica‘ di Pers. ‚Sat.‘ 5.90, Index 34 (2006) 427–438 [= in fil…a. Scritti per G. Franciosi III, Na­ poli 2007,1689–1699]; ‚Operae et dies‘ freigelassener Sklavinnen in Er­wartung des 50. Lebensjahres, in: ‚Vis ac potestas legum‘. ‚Liber amicorum‘ Zoltán Végh, Hrsg. J. M. Rainer, Frankfurt am Main 2010, 75–91; Libertorum bona ad pa­tronos pertineant: su Calp. Flacc. decl. exc. 14, Index 40 (2012) 313–325. 4  Johannes Christes, Sklaven und Freigelassene als Grammatiker und Philolo­ gen im antiken Rom, Wiesbaden 1979.



Albucius Silus und ein „merkwürdiger“ Prozess wegen Mordes221

auch Ansehen in ihrer Disziplin erwor­ ben hatten, wie­ wohl nicht we­ nige unter ihnen im Verlaufe ihres Lebens erneut einen Abstieg in die Armut erdulden mussten. Die Bedeutung dieses kleinen Werks des Sue­ton, das im Üb­rigen unvollständig in einer nicht einfachen textlichen Überliefe­rung er­ halten ist, wurde in Bezug auf die römische Sozial­ ge­ schichte schon vor einigen Jahr­zehnten in der nützlichen Monographie von Jo­hannes Christes über „Sklaven und Freigelassene als Grammatiker und Philologen im alten Rom“ her­ vorgeho­ ben, aber in diesem Buch wurden die juristischen Ge­ sichtspunkte natürlich nicht in den Vor­dergrund gestellt. Und dennoch: Aus De grammaticis et rhetoribus gewinnt man nicht wenige Ein­bli­cke bezüg­ lich der Freilassungen, bezüglich des auch käuflichen Erwerbs der Freiheit, bezüglich der Aussetzung von Kindern und bezüglich der Rolle von nutritores und educatores und auch im Weiteren interessante Hinweise zum täglichen Leben im Milieu von Skla­ven und Freige­lassenen, die bedeu­tende juristi­sche Aspekte erkennen lassen. Man findet auch Hinweise zu Juristen, insbesondere zwei bedeutsame Zitate des Juristen Ateius Capito5. In diesem Werk, das als winziger Ausschnitt eines viel größeren und im Wesentlichen für uns verlorenen gegangen Werks Sue­ tons De viris illustribus zu be­ trachten ist, fehlen im Übrigen nicht Zeugnisse hinsichtlich des römischen Prozesses, sowohl im Zivil- wie auch in Strafsa­chen, geradezu als Ergebnis des engen Zusammenhanges zwischen ars rhetorica und Gerichts­ red­ nerkunst. So muss es denn Verwunderung erwecken, dass die beiden monu­ mentalen Werke des 20. Jhdts. über die romanistische Quellenkunde, und zwar „Die Quellen“ Wen­ gers6 und der erste Teil der „Rechts­ geschichte“ Wieackers, dieses Werks Sue­tons mit keinem Wort erwäh­nen. III. Die Wechselfälle um Gaius Albucius Ich möchte aber hier an diesem Ort nicht über die Freigelassenen spre­ chen, sondern über die beson­de­ren Umstände eines berühmten Redners, der in der 2. Hälfte des 1. Jhdts. v. Chr. unter den Trium­virn und im frühen Prinzipat tätig war, nämlich Gaius Albucius Silus. Aus dem kleinen Werk Suetons kann man mehrere überaus interessante Tatsachen sub specie iuris entnehmen, welche sich mit jenen Aussagen sinnvollerweise in Verbindung 5  Auch wenn seit den Zeiten von Paul Jörs, der nach wie vor grundlegend ist, was das biobibliographische Pro­fil von Capito anbelangt, nicht alle Fragmente die­ ses auguste­ ischen Juristen Berücksichtigung finden: s. v. Ateius, RE 2, Stuttgart 1896, 1907, 1909; vgl. später Władysław Strzelecki, in: C. Atei Capitonis frag­menta, Lipsiae 1967, bes. xxii. 6  Leopold Wenger, Die Quellen des römischen Rechts, Wien 1953; Wieacker (o. Fn. 1).

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bringen lassen, die wir über ihn aus anderen Quellen ken­nen.7 Aber bezüg­ lich eines ganz be­sonde­ren Punk­tes ist De rhetoribus von Sueton ein wahr­ lich beson­ders ein­zigarti­ges Zeugnis, und zwar bezüglich eines Kriminal­ prozesses, in welchem Albu­cius als Verteidi­ger des Angeklagten fungierte und welcher bemerkens­ werte Besonder­ heiten und Merkwür­ digkeiten auf­ weist, die bisher von der Geschichtsschrei­bung kaum ins rechte Licht ge­ rückt wurden, die aber meiner An­sicht nach von besonderer Bedeu­tung sind, und zwar auch im Zusammen­ hang mit einer Neu­ bewertung der überaus schwierigen Ursprünge der außer­ ordentlichen cognitiones (chronolo­gisch fand der Fall, wie wir sehen werden, al­ler Wahr­scheinlichkeit nach, in den Jahren 16 oder 14 v. Chr. statt). IV. Der Text Es folgt nun der Text, den man sich stets vor Augen halten sollte: Suet. De gramm. et rhet. 30. [1] C. Albucius Silus, Novariensis, cum aedilitate in patria fungeretur, cum forte ius diceret, ab iis contra quos pronuntiabat pedibus e tribunali detractus est. Quod in­di­gne ferens statim contendit ad portam et inde Romam, receptusque in Planci orato­ris contubernium, cui declamaturo mos erat prius aliquem qui ante diceret exo­rare, sus­cepit eas partes atque ita implevit ut Planco silentium imponeret, non audenti in com­ parationem se demittere. [2] Sed ex eo clarus propria auditoria insti­tuit, solitus propo­sita controversia sedens incipere et calore demum provectus consurgere ac per­ora­re. Declamabat aut genere vario, modo splendide atque adornate, tum – ne usque qua­que scholasticus existimaretur – circumcise ac sor­ dide et tantum non trivi­ a­ libus verbis. [3] Egit et causas, verum rarius, dum amplissi­mam quamque secta­tur nec alium in ulla locum quam perorandi. [4] Po­ stea renuntiavit foro partim pudore partim metu; nam cum in lite quadam centumvi­rali adversa­rio, quem ut im­pium erga parentes incessebat, iusiurandum quasi per figuram sic obtulisset – ‚Iura per patris matrisque cineres, qui inconditi iacent!‘ et alia in hunc modum – arri­ piente eo condi­ cionem nec iudicibus aspernanti­ bus, non sine magna sua invidia nego­ tium afflixit. [5] Et rursus in cogni­tione cae­dis Mediolani apud L. Pisonem procon­sulem defen­dens reum, cum co­hi­berent lictores nimias laudan­tium voces et ita excanduisset ut – de­plorato Ita­ liae statu, quasi iterum in formam provinciae redigere­tur – M. insuper Brutum, cuius sta­tua in conspectu erat, invocaret legum ac libertatis auctorem et vin­dicem, paene poe­ nas luit. [6] Iam autem senior ob vitium vomi­ cae Novariam rediit, convoca­ta­que ple­be, causis propter quas mori destinasset diu ac more contionantis redditis, abstinuit cibo.8 7  Bezüglich des Namens, der Persönlichkeit, seiner Lebensumstände und des Stils die­ses Rhetors vgl. zumin­dest Ferdinand Gustav Lindner, De C. Albucio Silo ­com­mentatio, Vratislaviae 1861; Paul von Rohden, s. v. Albucius, 3, RE 1, Stuttgart 1894, 1331; Wolfgang-Dieter Lebek, Zur Vita des Albucius Silus bei Sue­ton, Hermes 94 (1966) 360 ff.; Annamaria Assereto, Gaio Albucio Silo, Genova 1967.



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Die Vorstellung der Persönlichkeit ist in der kleinen Abhandlung Suetons durch den vom Stil be­dingten Aufbau geprägt, der darin besteht, dass Name, Herkunft (origo) und status beschrieben wer­den. Wahrscheinlich stimmt die­ ser Rhythmus mit einem uns jedoch unbekannten Vorbild überein. Ge­rade von Sueton (und zwar ausschließlich von ihm)9 erfahren wir das praenomen des Rhetors Gaius, während das cognomen Silus auch in der Chronica des heili­gen Hieronymus10 mit geringerer Präzi­sion als Silo überliefert wird. 8

V. Die Heimat Novaria Sowohl der Geschichtsschreiber am Beginn des 2. Jhdts. wie auch der späte christliche Poly­graph kehren somit den Ursprung hervor: Novariensis. Albu­cius gehörte somit einer transpadanischen Ge­meinde,11 Novaria, „firmissima transpadanae regionis municipia“ (Tac. hist. 1,70), keltischen Ur­ sprungs an,12 die das volle römische Bürgerrecht zwischen dem Jahr 49 und dem Jahr 42 v. Chr. erhal­ten hatte, möglicherweise durch die durchaus nicht unproblemati­sche lex Rubria13 – die Frage selbst bleibt recht diffizil – 8  Die hier verwendete Sueton-Ausgabe ist jene mit einem ausführlichen Kom­ mentar von Robert Kaster, Sueto­nius, De grammaticis et rhetoribus, Oxford 1995. Der Text ist auf S. 36; die englische Übersetzung auf S. 37, der Kommentar auf S.  313 ff. 9  Vgl. Kaster (o. Fn. 8) 313. 10  Hier. ad Olym. 193, in: Jacques Paul Migne, PL. XXVII, 1846, 440. Bezüglich des Cognomens: Lindner (o. Fn. 7) 4 f.; Kaster (o. Fn. 8) 314. 11  Bezüglich der Ursprünge, der Geschichte und des rechtlichen Status von No­ varia vgl. Theodor Mommsen, in CIL. V / 2 p. 719; Hans Philipp, s. v. Novaria, 1, RE 17 / 1, Stuttgart 1936, 1135 f.; Gaetano De Sanc­tis, Storia dei Romani. La con­ quista del pri­mato in Italia II, Firenze 19602, 151 f. 12  Nicht Ligurer, wie Cato annahm, Plin. n. h. 3,124 und genauer: Novaria ex Ver­tamocoris, Vocontiorum hodie­que pago, non, ut Cato existimat, Ligurum …; die Ver­ta­mocoren waren genau genommen Voconzier; vgl. De Sanctis (o. Fn. 11)  151 f. Das Fragment Catos ist Nr. 37 des zweiten Buches der Origines nach der jüngsten Ausgabe der Schriften Catos Paolo Cugusi / Maria Teresa Sblendorio Cugusi, Opera II, Milano 2001, 330. 13  Ein komplexes, schwieriges und mit Fallstricken versehenes Thema, so die Mei­nung von Antonio Guarino, Ricordo di Santi Di Paola, SDHI 46 (1980) 625 [= Pagine di diritto romano II, Napoli 1993, 117], ist jenes der sogenannten lex Rubria: grund­sätzlich (und abgesehen von einer Reihe von Untersuchungen, die auf verschie­ dene Probleme fokussiert waren, besonders im Bereiche des Privat- und Prozessrechtes und von den verschiede­nen Capita hervorgerufen wurden) vgl. Martin W. Frederiksen, The Lex Rubria: Reconsiderations, JRS 54 (1964) 129 ff.; Giovanni Negri, In margine alla Lex Rubria de Gallia Cisalpina, in: Studi in onore di E. Nasalli Rocca, Piacenza 1971, 414 ff.; Franciscus J. Bruna, Lex Rubria. Caesars Regelung für die richterlichen Kom­ peten­ zen der Munizipalmagistrate in Gallia Cisalpina, Leiden 1972, mit den Bespre­chungen von Giuseppina Sacconi, RISG 16

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und zwar als Munizi­pium,14 das der tribus Claudia15 zugewiesen wurde. Dieser Übergang von einem Zustand, der noch stark das Untertänigkeitsver­ hältnis auf provinzialer Ebene von Rom kannte, zum Erwerb des plenum ius der civitas16 wird, wie wir se­hen werden, eines der zentralen Themen derjenigen Ereignisse darstellen, mit denen wir uns näher beschäftigen werden. Albucius musste in seiner Ursprungsgemeinde zur städtischen Elite ge­ zählt haben. Dies geht klarer­weise aus der Ausübung der Ädilität hervor, die zwar in jenem Umfeld innerhalb der Magistratur der quattuorviri zwar die niederste Stufe bedeutete, aber immerhin die Aufnahme in das oberste Kolle­gialorgan bedeutete, versehen mit bemerkenswerten Kompetenzen und Funktionen. Aus Novaria feh­len keineswegs Zeugnisse von Ädilen, die in diesem Munizipium offi­ziell als römische IIIIviri aedi­li­cia potestate genannt wurden, im Übrigen eine in den italischen Gemeinden17 häufige Bezeich­ nung. Aus der in Frage kom­menden Quelle mag es sonderbar erscheinen, dass die iurisdictio von einer Per­son ausgeübt wurde, die nicht an der Spit­ ze der Gemeinde stand, aber es ist bekannt, dass gerade diese Magistrate wahrscheinlich in Anlehnung an das Vor­bild der kurulischen Ädilen in Rom, die in der Tat eine Art institutio­nelles Mo­dell darstellten,18 jurisdiktionelle Gewalt ausübten, und zwar im Zusammen­hang mit ihrer Oberaufsicht über die Märkte, wiewohl diese Juris­ dik­ tion einer Wertober­ grenze unterliegen musste. Diesbezüglich kann man mit Nutzen die lex coloniae Genetivae (1972) 359 f. und Adrian N. Sherwin-White, JRS 64 (1974) 236 ff.; Michael H. Crawford (ed.), Roman Statutes I, London 1996, 461 ff., Nr. 28; Umberto Laffi, La lex Rubria de Gallia Cisalpina, Athe­naeum 64 (1986) 5 ff. [= Studi di storia roma­ na e di diritto, Roma 2001, 237, mit einer wichtigen ergänzenden Nachschrift: 2 ff.]. 14  Die Zeugnisse betreffend das municipium befinden sich in Tac. hist. 1,70; CIL. V 6520. 15  CIL. V 6513, 6521, 6549, 6556. 16  Vgl. Giorgio Luraschi, Foedus Ius Latii Civitas. Aspetti costituzionali della roma­nizzazione, Padova 1979, diesbezüglich vgl. zumindest die Deutung von Luigi La­bruna, Romanizzazione, foedera, egemonia, Index 12 (1983–84) 299 ff. [= Admini­ cula, Na­poli 19953, 19 ff.]; Umberto Laffi, La provincia della Gallia cisalpina, Athe­ naeum 80 (1992) 5 ff. [= Studi di storia romana e di diritto (o. Fn. 13) 209 ff.]. 17  CIL. V 6520, 6596, 6623. – Bezüglich der Funktionen und Kompetenzen der IIIIviri vgl. Walter Langham­mer, Rechtliche und soziale Stellung der Magistratus municipales und der Decuriones, Wiesbaden 1973, 62 ff.; 149 ff. 18  Bezüglich Struktur und Funktionen der ädilizischen Magistratur in den lokalen Ge­meinschaften vgl. noch zum Beispiel Ettore De Ruggiero, s. v. Aedilis, in Diz. Ep. Ant. Rom. I, Roma 1895, 228 ff., 241 ff., ver­gleiche auch zum Beispiel, Feliciano Serrao, Impresa, mercato, diritto. Riflessioni minime, Sem. Compl. 12 (2000) spec. 328 ff. [= in: Elio Lo Cascio (Hrsg.), Mercati permanenti e mercati periodici nel mondo romano. Atti degli incontri capresi di storia dell’economia antica (Capri 13–15 ottobre 1997), Bari 2000, 62 ff.].



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Iuliae19 be­trachten und jetzt auch die lex Irnitana20, die manch interessantes Detail zeigen: Lex Irn. 19,13 ff. … Eisque aedilibus quique postea hac lege creati erunt, de is rebus / et inter eos, de quibus et inter quos dumvirorum iurisdictio erit, at / [H]S (sestertia) *∞* (mille)21 iurisdictio iudicis reciperatorum­que datio addictio [it]a ut h(ac) l(ege) /  [l]icebit, esto.

Die lex municipalis von Irni, einer Gemeinde latinischen Rechts in der spa­nischen Provinz Baetica könnte – so eine weit verbreitete Meinung der Histo­riker – auf einem einheitlichen Modell, einer lex municipalis beruhen, die für die italischen Munizipien von Augustus geschaffen worden wäre und auf die im Konkreten der flavische Gesetzgeber eingegangen sei.22 Das Gesetz zählt im Kapitel 19 eine Reihe von Kompetenzen der munizipalen Ädilen auf, deren Amt in diesem Zusammenhang demjeni­gen der duumviri untergeordnet ist. Die Auf­gaben sind jene typischen der ädilizischen Magis­ tratur: cura annonae und cura urbis (natürlich den lokalen Gegebenheiten angepasst). Es fehlt die cura lu­do­rum, die wahrscheinlich als Aufgabenbe­ reich den duumviri iure dicundo zufiel. Es erscheint außer­ordentlich aussa­ gekräftig, wie im Text der Inschrift die Bestim­mungen bezüglich der ädili­ zischen Ju­risdiktion mit jener der duumviri übereinzustimmen scheint, sei es was den Inhalt an­belangt (man ver­gleiche auch das Kapitel 84), sei es, was den Wert anbelangt (Streitigkeiten im Aus­maß von 1000 oder weniger Sesterzen),23 mit der Ausnahme der einver­nehmlichen Deroga­tion zuguns­ten 19  Zum

Kapitel 94. der lex Irnitana wichtige Hinweise unter anderen in Francesca Lam­berti, Tabulae Irnitanae. Muni­cipalità e „ius Romanorum“, Napoli 1993, 1 f. (u. Fn. 1 ff.), in jüngster Zeit vgl. auch Francesca Lamberti, La ‚maggiore età‘ della ‚lex Irnitana‘. Un bilancio di diciotto anni di studi, Min. Ep. et Pap. 3 / 3 (2000) 242 ff., mit Bi­bliographie auf S. 252 f.; Joseph Georg Wolf, Einführung, in: Wolf (Hrg., eing. und übers.), Die Lex Irni­tana. Ein römisches Stadtrecht aus Spanien, Darmstadt 2011, 13 ff. 21  Wolf (o. Fn. 20) 46, liest in der Zeile 19,15: „hs CC: sestertium ducenti“; zu die­sem Punkt vgl. dens., Iurisdic­tio Irnitana, SDHI 66 (2000) 29–61, 54 ff., jetzt in: Lex Irnitana. Gesammelte Aufsätze, Berlin 2012, 33 ff. mit weiterführender Literatur Ders., Gerichtsbarkeit in Irni, in: Festschrift für R. Stürner, Tübingen 2012, jetzt in der­selben Schriftensammlung (S. 274). 22  Zu dieser Frage weiterhin anstelle aller anderen: Lamberti, La ‚maggiore età‘ (o. Fn. 20) 252 f. 23  Bezüglich der Grenzwerte in der Rechtssprechung nach der Höhe vgl. zuletzt, Ar­mando Torrent, ‚Lex Irni­tana‘: ‚cognitio‘ de los magistrados locales en interdic­ tos, y limitaciόn a su competencia por cuantía, Anuario Fac. de Dereito da Univ. da Coruña 12 (2008) 987 ff. [= Teoria e Storia del Diritto Privato 1 (2008), vgl. http: /  /  www.teoriaestoriadeldirittoprivato.com / media / rivista / 2008 / contributi /2008_Con­tri buti_Torrent_Lex Irni­tana.pdf.]. 20  Bezüglich

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der duumviri (die nur für die Fälle des praeiudicium libertatis nicht galt). Sollte das Schema des Munizipalgesetzes aus flavischer Zeit in diesem Punkt mit dem Recht der caesarisch auguste­ischen Zeit überein­stimmen, so würde das bedeuten, dass die Jurisdiktion der Ädi­ len von Novaria nicht jene einer Bagatellgerichts­barkeit entsprochen habe, wie dies noch Momm­ sen angenommen hatte,24 son­dern vielmehr einer ordent­li­chen Jurisdik­tion der Gemeinde wiewohl in Gemeinschaft mit den quattuor­viri, die im eigent­ li­chen Sinne iure dicundo25 genannt wurden. VI. Das Ende der Jurisdiktion des Albucius Auf einen besonderen Moment der Jurisdiktion des Albucius beharrt Sueton (§ 1), nachdem er auf dessen Amt eingegangen war, und die Titulatur einfach mit dem Hinweis auf die aedilitas simplifiziert hatte, indem er eine Begeben­ heit erzählt, die irgendwo zwischen Ernst und Spaß anzusiedeln ist: … cum aedi­li­ta­te in patria fungeretur cum forte ius diceret ab iis contra quos pronuntiabat pedi­bus e tri­bu­nali detractus est. In diesem Zusammenhang heißt der Begriff patria klarer­weise die lokale Gemeinde in Gegenüberstellung zu Rom. Es ist von Interesse an dieser Stelle, wie die besondere Genauigkeit be­ tont wird: Der Ausdruck aedi­litate fungi bedeutet im technischen Sinne26 die Aus­übung der städtischen Magistratur. Ius dicere hat exakt die Bedeutung der Ausübung der Jurisdiktion, die, wie wir gesehen haben, mit diesem Amt verbunden war. Das erhöhte Tribu­ nal re­präsentiert den offiziellen Ort der Jurisdiktion. Neben diesem Zeugnis für No­ vara haben wir ein weiteres aussagekräftiges, beispielsweise das tribu­nal der rechtsprechenden Amtsträger von Verona, erhalten auf einer Inschrift.27 Pro­nuntiare im Allgemei­nen kann, wie dies sehr gut von Wolf­ gang Kunkel her­ vor­ ge­ hoben wurde, „je nach dem mit pro- ver­bundenen Sinne sowohl ‚vor­aus­sa­gen‘, ‚ankündigen‘ als auch ‚aussprechen‘, ‚erklä­ ren‘ hei­ßen“. In der Tat „in der erst­genannten Bedeutung ist das Wort ob­ wohl häufig auf Magistrate bezo­gen für die Dar­stellung der amtlichen Ter­ minologie ohne besonderes Inte­ resse“, aber „bei der zweiten klingt eine 24  Nach Theodor Mommsen, Die Stadtrechte der lateinischen Gemeinden Salpen­ sa und Malaca, Abhand. d. Sächs. Ges. d. Wiss. 3 (1855) 442 [= Gesammelte Schrif­ ten I. Juristische Schriften 1, Berlin 1905, 335], war die Kompetenz der Ädilen eine Rest­kompetenz, da sie nur die sogenannten Bagatellsachen betraf. 25  Vgl. Lamberti, Tabulae Irnitanae (o. Fn. 20) 66 f. 26  Über die Bedeutung des „fungi“ in Bezug auf die Ausübung der Magistratur: Na­tale Rampazzo, Quasi prae­ tor non fuerit. Studi sulle elezioni magistratuali in Roma repubblicana tra regola ed eccezione, Napoli 2008, 458 ff. 27  CIL. V 3401. Vgl. Mommsen, Römisches Strafrecht, Leipzig 1899, 361 Fn. 4.



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Nu­ance des förmlichen Sprechens mit, die pro­nuntiare zur Bezeichnung für gewisse rechtserhebliche Verlautba­run­gen des Magistrats tauglich machte. … so erkennt man, dass das Wort zwar nicht aus­schließlich, aber doch in der Hauptsache für die Kundgabe kognitio­na­ler Ent­scheidun­gen verwendet wird und zwar vornehmlich wiederum sol­ cher Ent­ scheidun­ gen, die oder nach kollegi­alem Beschluss mehrerer Magist­rate verkün­det wurden“28. In diesem Fall bedeutet das Verb pronunti­are die Phase der Entschei­dung wäh­ rend der Rechtsprechung, die eine gewaltsame Reaktion der Un­terlegenen gegen­über den Magistraten auslöst. In der Ge­schichte der Stadt Rom sind die Fälle eines gewalttätigen An­griffes auf Träger der öffentlichen Gewalt, ja selbst auf recht­sprechende Amts­träger keineswegs sel­ten. Man kann sogar behaupten, wenn man eine äußerst bekannte Seite der bella civilia Ap­pians29 er­neut liest, dass der Angriff auf die Staatsmacht und auf einzelne Magist­ rate eine Art Para­digma für die Interpretation der Krise der Republik dar­ stellte oder auch, wenn man es so se­ hen möchte, der langen römischen Re­volution.30 Allgemein bekannt führten derartige Angriffe in den kri­ tischsten und blutigs­ten Augenblicken der Geschichte bis zum Mord an den In­habern öffent­licher Ge­walt und auch an denjenigen Amtsträgern, die die Ge­richtsbar­keit ausübten, wie es die bekannte Be­gebenheit des Prä­tors Asel­ lio lehrt, der auf der Flucht aus dem Forum sich in eine taberna geflüch­tet hatte, wo er er­mordet wurde.31 Auch im Falle des Albucius ist das Verhält­ nis zwi­schen der Urbs und jener Vielfalt von kleineren Gemeinden, die das Binde­glied zu den weiten Ter­ritorien des Reichs bilde­ten, geradezu propor­ tional dargestellt wer­den: Die Szene der Bürger von Novara, die den armen Ädilen an den Füßen packen und ihn vom offiziellen Sitz des Ausübens der Jurisdik­tion, dem tribu­nal, das im­ merhin das Ebenbild des prätorischen Tribunals von Rom war,32 herunterzerren, kann zum einen in geradezu 28  Wolfgang Kunkel / Roland Wittmann, Staatsordnung und Staatspraxis der römi­ schen Republik II. Die Ma­gistratur, München 1995, 181. 29  App. bell. civ. 1,2,5. 30  Zur „römischen Revolution“, beginnend mit dem Klassiker von Ronald Syme, The Roman Revolution, Ox­ford 1939 − aber auch zurückgehend zumindest bis auf die Vor­stellungen von Mommsen, vgl. Labruna, Marco Emilio Lepido e la sua ri­ volta, Napoli 2000, 20 f., 157 ff. 31  In diesem Falle waren es Gläubiger, die durch seine Maßnahmen zugunsten der Schuld­ ner verärgert waren und aufgehetzt vom Volkstribun L. Cassius (Val. Max. 9,7,4) Asellius ermordeten, während er Castor und Pollux ein Opfer darbrach­ te, vgl. Liv. per. 74: in foro occisus est. Vgl. Thomas Robert Shannon Broughton, MRR. II, New York 1952, 33; Emilio Gabba, Appiani Bellorum civilium liber primus, Firenze 1967, 158 ff.; Christoph Meinhard Bulst, Cinnanum Tempus: A Reas­ sessment of the ‚Dominatio Cinnae‘, Historia 13 / 3 (1964) 331 f.; Jean Andreau, Banking and Business in the Ro­man World, Cambridge 1999, 91 ff. 32  Zum Verhältnis zwischen lokalem Tribunal und prätorischem Vorbild: Mommsen, Römisches Strafrecht (o. Fn. 27) 361 und Fn. 4.

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drama­tischer Weise als schwere Beleidigung und Be­schimpfung der Staats­ gewalt angese­ hen wer­ den und zum anderen als ein lächerliches Treiben, wenn der Amtsträger zwar herum­ge­schleift, aber nicht auf den Tode ange­ griffen wird. Man muss diesem Punkt einen beson­deren Aspekt der Persön­ lichkeit des Albucius vorziehen, der von Seneca dem Älte­ ren überlie­ fert wird, der ihn persön­lich kennenge­lernt hatte und auch die Gelegenheit ge­ habt hatte, ihn mehrmals anzuhören, wobei er ein Charakterbild lieferte, auf das wir zurückkommen wer­den. Von diesem wird unser Albucius als homo summae pro­bitatis in Erinnerung gerufen, der nicht in der Lage gewesen sei, ein Unrecht anzutun, aber auch nicht, eines zu erleiden.33 VII. In Rom Die Empörung über den Affront, der in der Tat offensichtlich eine iniuria dar­stellte, eine Beleidi­gung seiner Würde (im Übrigen noch zu Lasten eines be­deuten­den Bürgers in Ausübung seiner beson­deren Amtspflichten als Ma­ gist­ rat), sollte für lange Zeit Silus (indigne ferens) von seiner Vaterstadt Nova­ ria fernhalten. Offenbar konnte (oder wollte) das Hilfspersonal, das auch der munizipale Ädil je­ denfalls zur Verfügung hatte (und das ganz speziell auch mit polizeilichen Aufgaben34 ausgestattet war), nicht zum Schutze des Ma­ gist­ ra­ tes eingreifen. Die Empörung sollte Albucius nach Rom führen zum Zent­rum des Reiches, wo er offenbar über Beziehungen verfügte und wo er nach dem Text Sue­tons vom Plancus dem Redner emp­ fangen wurde. Die Iden­tifizie­rung dieser Persönlichkeit ist nicht schwer: Es handelt sich um den bekann­ten Lucius Munatius Plancus, seinerzeit Legat Cesars in Gal­lien, Spa­nien und Afrika so­wie Konsul des Jahres 42 v. Chr. Nachdem er 8 Jahre mit Antonius zu­sam­men­ge­arbeitet hatte (und zwar nach der Schlacht von Peru­gia), verbündet er sich im Jahre 32 mit Oc­tavian und es sollte gerade er in der be­rühmten Senatssitzung des Januars 27 v. Chr. die Ehrenbe­zeich­nung Augus­tus für den Prinzeps vor­schlagen.35 Es war dies der Beweis seiner Be­redt­heit und natür­lich auch seiner Autorität. Als Plancus orator (in genau der­selben Weise, wie dies in der be­han­delten Stelle Sueton tut) rufen ihn Asco­nius, Plinius der Ältere und Hierony­mus (der seinerseits 33  Sen. Rhet. contr. 7 praef. 7. … erat enim homo summae probitatis, qui nec facere iniuriam nec pati sciret. 34  Bezüglich der Zuordnung von öffentlichen Sklaven des Munizipiums an die Ädi­len: Lex Urs. 62. Beschrei­bung ihrer Polizeitätigkeit jetzt bei: Christopher J. Fuhr­mann, Policing the Roman Empire. Soldiers, Admini­stration and Public Order, Oxford 2012, 61 ff., mit weiteren Verweisen und Hinweisen auf Quellen und Litera­ tur. 35  Suet. Aug. 7,2; vgl. Aug. Res gestae 34. Zur Person, für alle, Rudolf Hanslik, s. v. Muna­tius, 30, RE 16 / 1, Stuttgart 1933, 545 ff.



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Sue­ ton zi­ tiert, aber aus dem verlorengegangenen Werk De oratoribus in Erinnerung).36 Diese Be­zeich­nung musste also durchaus üblich für ihn ge­ wesen sein, und um­ schrieb so­ mit genau die Per­ sönlichkeit selbst (im Besonde­ren in der Schrift Suetons). Die Abwesenheit des Plancus aus Rom bis zum Jahre 32 ist hilf­reich, um die Ankunft des Albucius in der Haupt­ stadt zu bestimmen. Im Übri­ gen zeigt die überaus wichtige Rolle dieses Konsulars im Entourage des Prin­zeps das Aus­maß an Kontak­ten und Bezie­ hungen, das unsere Hauptperson in Rom hatte. Hier führte Albucius seine Ausbildung zu Ende, welche im Üb­rigen bereits als fort­geschritten bezeich­ net werden muss. Die Gallia Cisalpina war zur Zeit, wie man auch De grammaticis et rhetoribus von Sueton entneh­ men kann, eine Schmiede literari­ schen und rhetorischen Wis­ sens und Kön­ nens. Die Bezie­ hung zu Plancus war so eng, dass sie als contubernium be­zeichnet wurde (hier als enge Beziehung des Lernens des ge­ meinsamen Ar­ beitens und vielleicht auch des Zusammenlebens,37 was aber natürlich nichts mit einem eheähnli­ chen Zusam­menleben zu tun hat, wie man es der juristi­schen Sprache ent­ nehmen könnte, wenn man an die Ver­bindungen von Skla­ven unter­einander denkt). Er übertraf Plancus an Fähigkeiten und so wuchs sein Ruf als clarus rhetor. Noch bei Hieronymus38 wird er mit diesem Ehrenprä­dikat erwähnt (und clarus ist auch die Bestimmung, die ihm von Sue­ton am Beginn des Paragraphen zwei zuerkannt wird). Nach dem Zeugnis der Ehrer­bietung von Quintilian39 war er non obscurus professor atque auctor. Seneca der Ältere (contr. 10 praef. 13) stellt ihn in die Reihe der vier größten Redner, die er selbst gehört hatte: primum tetradeum quod faciam, quaeritis? Latronis, Fusci, Al­buci, Gallionis. Natürlich kann man nicht an dieser Stelle punktgenau die verschiedenen Zeug­nisse bezüglich der Biographie des Albucius Silus vorstellen.40 Neben den Hinweisen, die sich aus dem Abriss Suetons erge­ben, ist von besonderer Nütz­lich­keit zu diesem Zweck – und auch um seinen Stil als Redner und seinen Cha­rakter zu rekonstruieren –, die praefatio zum 7. Buch der Contro36  Ascon. 32 Cl.; Plin. n. h. 7,55; Hier. ad Olym. 189, in: Migne, PL. XXVII (o. Fn. 10) 435 f. 37  Nach Kaster (o. Fn. 8) 317: „The phrase receptus in … contubernium, if ac­ curate, implies either that the two men had formed a connection before”. Über den sprachli­chen Gebrauch von contubernium innerhalb des Werkes von Sueton vgl. de gramm. et rhet. 7,1; div. Aug. 89,1; Tib. 14,4; 56,1. 38  Hier. ad Olym. 193, in: Migne, PL. XXVII (o. Fn. 10) 440. 39  Quint. Inst. or. 2,15,36: Albutius non obscurus professor atque auctor ‚scientiam bene dicendi‘ esse consentit, sed ex­ceptionibus peccat adiciendo ‚circa civiles quaesti­ones et credibiliter‘ quarum utrique iam responsum est. 40  Über die römische Zeit von Albucius auf der Grundlage der Vita Suetons, vgl. Le­bek (o. Fn. 6) 360 ff.

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versiae von Seneca dem Äl­teren. In Rom widmete sich Albucius mit Erfolg der Lehre der Rednerkunst, auditoria propria in­stituit (Suet. § 2). Auf der anderen Seite egit et causas (§ 3). Zu didaktischen Zwecken zog er künstli­ che Insze­nierun­gen vor, seltener jedoch widmete er sich der Praxis in der Gerichtstätigkeit, aber, wie es scheint, auf einem sehr hohen Niveau, wobei er sich die Auswahl der Fälle vorbe­hielt und aus­schließ­lich die abschließende peroratio hielt, wo­bei er somit den anderen Mitgliedern des Kollegiums den Beginn der Rede, die narratio, und die argumentatio überließ. Sowohl hinsichtlich seines Charakters, aber auch bezüglich des großen Ruhms, den Albucius in der Schule und vor Gericht erworben hatte, ist es aus­sage­kräftig, dass er ausschließlich den letzten Teil der Rede halten woll­ te (™p…logov = peroratio), in welchem, unter Wiederaufnahme der bereits er­wähn­ten Dinge (enumeratio und rerum repetitio), mehr als in den anderen Teilen sämtliche Töne der Ge­fühle (ratio posita in affectibus) sowohl bei den Zuhö­rern wie auch bei den Richtern angesprochen wurden, wobei auf festste­hende loci zurückgegriffen wurde, die in der Regel geeignet waren, Ab­scheu, Be­stür­zung und Erbarmen hervorzurufen. Wie wir sehen werden, war gerade die Ver­wen­dung einer rhetorischen Figur, die geeignet erschien, Entrüstung her­vorzu­rufen, eine der Mitursachen für das Ende seiner Lauf­ bahn als Redner. Er ent­fernte sich in der Tat vom Gericht wegen des un­ günstigen Ausgangs zweier wichtiger Pro­zesse, in einem Fall ein Zivilpro­ zess, im anderen ein Strafprozess. Sein Ver­ zicht, renuntiatio, beruhte so Sueton (§ 4), … partim pudore, partim metu. Auch diese Elemente enthüllen einen Teil seines Cha­rakters, seiner Psy­chologie. Die­sen beiden wichtigen Ereignissen müs­sen wir nun unsere Auf­merksamkeit zuwen­den. VIII. Ein unglückliches Verfahren vor dem Zentumviralgericht Der Biograph scheint ein chronologisches Schema darzustellen. Der erste un­glückliche Prozess, der Zivilprozess, ist ziemlich bekannt (ausführliches Zeug­nis wird auch bei Seneca dem Redner, wie­derum im 7. Buch seiner Contro­versiae (contr. 7 praef. 6–7) überliefert und auch Quintilian er­innert an ihn, als geradezu allgemein bekannte Geschichte, in der Institutio oratoria, 9,2,95). Es reicht hier, ihn kurz zusammen­zufassen. Es handelte sich aller Wahr­scheinlich­keit nach um einen Erbstreit, der vor dem Gericht der Zen­tumviren41 durchge­ führt wurde. Der Gegenstand musste ungefähr 41  Besonders hat sich mit der Praxis der Centumviralprozesse unter Hinzuziehung unse­res Falles beschäftigt Serena Querzoli, I testamenta e gli officia pietatis. Tribu­ nale centumvirale, potere imperiale e giu­risti tra Augusto e i Severi, Napoli 2000, 31 ff. Zum Thema vgl. auch Lorenzo Gagliardi, Decemviri e centum­viri: origini e



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folgender­maßen gewesen sein (die Quellen freilich bestätigen dies nicht mit letzter Si­cherheit): Höchstwahrschein­lich hatte ein Vater seinen Sohn ent­ erbt, er hielt ihn offenbar unwürdig, ihm nachzu­folgen, oder aber, ob­wohl er ihn zum Er­ben eingesetzt hat, hat er ihm nur einen geringen Teil der Erbmasse hinterlas­sen. Dieser hatte so­dann das Testament unter dem Hin­ weis auf Bruch des officium pietatis angefoch­ten. Eine derartige Anfechtung musste schon in den letzten Jahrzehn­ten des 1. Jhdts. v. Chr. möglich gewe­ sen sein.42 Während der Dis­kus­sion vor den centumviri, also in der Phase apud iudicem, ver­tei­digte Albu­cius den oder die testamentarischen Erben (oder auch die Vermächtnis­neh­mer), die in den Genuss der Erbschaft anstel­ le des Sohnes (des Klägers) gekommen wa­ren, der seiner­seits die Inoffiziosi­ tät des Testamentes behaup­tete. Das Verhältnis der Aussagen Suetons und Senecas (letztere eingehender und detailreicher) ist von besonderem Interesse,43 eröffnet es uns doch wei­ te Aus­züge, geradezu ein Protokoll (mit offensichtli­chen Abweichungen, die von der un­terschiedlichen Überlieferung abhängen), der Auseinandersetzung zwischen Al­bucius und dem gegnerischen Rechtsvertreter Lucius Arruntius. Proso­pographi­sche Hin­weise beruhen in diesem Falle nicht auf Sueton son­ dern auf Se­neca, der möglicherweise wegen der größeren zeitlichen Nähe und wegen des Umstandes, dass er höchstwahrscheinlich Augenzeuge des Prozesses ge­ worden war und diesen unmittelbar aus seinem Gedächtnis überliefern konnte, je­ den­falls den klaren Worten des Verfahrens, die von den Parteien ausgespro­chen wurden, näher ist: Sen. contr. 7 praef. 6–7 [6] Raro Albucio respondebat fortuna, semper opinio: quamvis paenituisset audis­ se, libebat audire. Tristis, sollicitus declamator et qui de dictione sua timeret, etiam cum dixisset; usque eo nullum tempus securum illi erat. Haec illum sollici­ compe­tenze, Milano 2002, speziell 204 ff., mit Bibliographie auf S. 205 Fn. 221; Mi­ chele A. Fino, L’origine della transactio. Pluralità di prospettive nella riflessione dei giuristi antoni­niani, Milano 2004, 139 Fn. 31 (bezüglich der Monographie von Fino vgl. die kritische Lektüre von Ferdinando Zuccotti, Vivagni V, RDR 5 [2005] 1 ff.; Vgl. dens., Vi­vagni VI, RDR 6 [2006] 1 ff.); zuletzt: Daniela Di Ottavio, Ricerche in tema di querela inoffi­ciosi testamenti I. Le origini, Napoli 2012. 42  Der Begriff der Inoffiziosität des Testamentes sei bereits im ersten Jhdt. v. Chr. be­kannt gewe­sen, so: Luigi Di Lella, Querela inofficiosi testamenti. Contri­ buto allo studio della successione necessaria, Napoli 1972, 13. Vgl. auch: Mario Talamanca, Istituzioni di diritto romano, Milano 1990, 768; Querzoli (o. Fn. 41) 21; Gagliardi (o. Fn. 41) 122. 43  Gerade Seneca könnte eine der Quellen Suetons gewesen sein − Lebek (o. Fn. 7) 361 und Fn. 2, oder vielleicht eine Epitome von Seneca, die am Beginn des 2. Jhdts. n. Chr. im Umlauf war, „at least one other source“, so Kaster (o. Fn. 8) 313 f.; bei Sue­ton kann man freilich Hinzufügungen und Überarbeitungen von bedeutender Kon­ sistenz feststellen.

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tudo fuga­ vit a foro et tantum unius figurae crudelis eventus: nam in quodam iudi­cio centumvi­rali, cum diceretur iuris iurandi condicio aliqua de­lata ab adver­ sario, in­duxit eiusmodi fi­guram, qua illi omnia crimina regereret: [7] ‚placet‘ in­ quit ‚tibi rem iure iurando trans­igi? Iura, sed ego ius iurandum dabo: iura per patris cine­res, qui incon­diti sunt, iura per patris memoriam‘. Et executus est locum. Quo per­fecto surrexit L. Ar­runtius ex diverso et ait: ‚accipimus condicio­ nem. Iu­rabit‘. Clama­bat Albucius: ‚non detuli condicionem, schema dixi‘. Arrun­ tius instabat; centum­viri rebus iam ul­timis properabant. Albucius clamabat: ‚ista ratione sche­mata de rerum natura tol­luntur!‘. Arruntius aiebat: ‚tollantur; poteri­ mus sine illis vi­vere‘. Summa rei haec fuit: centum­viri dixerunt dare ipsos secun­ dum adversa­rium Albu­cii, si iuraret. Ille iuravit. Albu­cius non tulit hanc contume­ liam, sed ira­tus calum­niam sibi imposuit: numquam am­plius in foro dixit.

Was die Identität des Arruntius anbelangt, so gibt es keine einhellige Mei­ nung. Mir scheint, dass es sich aus chronologischen Gründen um die be­ kannte po­ litische Persönlichkeit, Konsul des Jahres 22 v.  Chr., handeln müsste, eher als um dessen Sohn, der den Konsulat im Jahr 6 nach Christus beklei­dete. Auf je­den Fall scheint es, dass der Prozess auf der einen Seite von einem derjeni­gen Red­ner ge­führt wurde, der in der Stadt den größten Erfolg genoss, und auf der anderen Seite von einem der Hauptakteure des politischen Lebens, der aus dem engen Umfeld des Prinzeps entstammte: so musste es sich jedenfalls um ein Verfahren von erheblicher Bedeutung han­ deln. In diesem Fall entpuppte sich eine raffinierte rhetorische Figur, die von Si­ lus vorgeschlagen wurde, zu einer Falle, in welche ihn Arruntius mit großem Ge­schick tappen ließ, und zwar, indem er einen für die Entschei­ dung rele­ vanten Eid einforderte, und indem er durchaus rhetorisch dem Gegner die Frage stellte, ob er denn bereit sei, auf eine Formel zu schwö­ ren, von der er annahm, dass sie nicht die Zu­stimmung der gegnerischen Seite finden würde. Da­bei sollte er den Schwur auf den verstorbenen Va­ter stützen, auf seine Asche, die noch der Be­stattung harrte: Völlig unerwarte­ terweise wurde ihm von Arruntius geantwortet, accipimus condicionem, was dazu führen müsste, dass der von ihm Vertretene des Prozesses verlustig gehen musste. Albucius versuchte den Richtern zu er­ klären, dass er in Wahr­heit nicht den Eid einge­for­dert hatte, son­dern dass er vielmehr nur ein rhetorisches Schema entwickelt hatte. Da aber die centumviri von der lange währenden Diskussion ermüdet waren, nutzten sie den Fehltritt des Rhetors, den er als Redner begangen hatte, und nahmen den Eid an, der selbstver­ ständlich letztendlich den Fall entschied. Un­ ser Redner war somit Op­ fer seiner stilistischen Virtuosität gewor­den, seines eigenen Ta­lentes, die Ge­ müter zu bewegen und rhetorische Figuren in außer­ordentlicher Weise zu be­herrschen, wie der Redner Seneca in Erinnerung ruft: splendor orationis, quantus nescio an in ullo alio fuerit (contr. 7 praef. 2), adfectus efficaciter movit, figurabat egregie (contr. 7 praef. 3).



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Die darauf folgende psychologische Verfassung des Silus war, so Sueton, einer der Gründe dafür, dass er den Gerichten fern blieb: Wenn er auch nicht stets einen günstigen Ausgang des Prozesses er­wirkt hatte, so war ihm doch stets die allgemeine Meinung44 treu geblieben, wohl der größte Erfolg für einen Redner. Dies fand aber bei jenem Anlass nicht statt, wobei er angefein­det wurde, und seine Si­cherheit in Frage gestellt wurde. An diesem Punkt ange­langt, gilt es über die Unterschiede der Schrif­ten des Biographen, nämlich Sue­tons, und jener Senecas nachzudenken, und zwar bezüglich des Rück­zuges von Albucius aus seiner Rednertätigkeit, eine Fragestellung, die auch nicht unbe­trächtlich chro­nologische Folgen nach sich zieht. IX. Pudor, metus und ein Hinweis auf die Chronologie der Prozesse des Albucius Um die Koordinaten des Rückzugs unseres Redners aus den Gerichten ge­nauer festlegen zu kön­nen, darf man nicht aus den Augen verlieren, dass Se­necas Beobachtungspunkt jener von Rom ist, der gro­ßen städtischen Pro­ zesse, wie eben auch jener Zentrumviralprozess einer gewesen war, der so sehr die berufliche Weichenstellung des Albucius prägte. Seine Darstellung von Red­nern und Rhetoren ent­stammt dem Arsenal eines sagenhaften Ge­ dächtnisses45 und hat, die Gerichtstätigkeit der Stadt (dar­über hinaus auch die Schulen, die auditoria, wo die künstlichen Rednerübungen stattfanden) zur Szene. Dort über­all hatte Seneca seine Vorbilder beobachten können, seit seiner Ankunft in Rom im Jahre 43 v. Chr. (somit kurz nach dem Tod des großen Ciceros). Dort­hin hatte er seine Söhne ge­führt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich an einer Kultur zu laben, die größtenteils dieje­ nige der Ge­richtsredner war. Im Mittel­punkt der Bühne steht der von der sollicitudo und jenem traurigen Er­ eignis der rhetorischen Figur, die als tatsächliche Übertragung des Eides ge­wertet wurde, hervor­gerufene Bruch und die darauffolgende Flucht in eine schulmä­ßige Rhetorik, geradezu eine Hausrhetorik, die von der wahren völlig ge­trennt war (wiewohl Quelle des großen persönli­chen Erfolgs des Vortragen­den). Kehren wir zu Sueton zurück, um in jeder Hinsicht den Bezug auf den pu­dor46 zu verstehen. Diese Scham wird auf die Niederlage im forum Romanum bezo­ gen. Albucius war sich trotz einer ordentli­ chen Portion an 44  Sen. Rhet. contr. 7 praef. 6. Raro Albucio respondebat fortuna, semper opinio: quam­vis paenituisset audisse, libebat audire. 45  Vgl. auch Otto Rossbach, s. v. Annaeus, 16, RE 1, Stuttgart 1894, 2237. 46  Bezüglich pudor verweise ich auf Cosimo Cascione, Antichi modelli familiari e prassi corrente in età proto­im­periale, in: Francesco Milazzo (Hrsg.), Ubi tu Gaius. Mo­delli familiari, pratiche sociali e diritti delle per­sone nell’età del principato, Atti Copa­nello 2008, Milano 2014, 23 ff.

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Selbstkritik47 sei­ner Fähigkeiten und seiner rednerischen Talente bewusst. Aus diesem Grunde be­deutet ein derartiger Misserfolg ein Schachmatt und die Entschei­dung, sich aus der Tätig­keit des Rechtsvertreters und Gerichts­ redners zu ver­abschieden. Aber in jenem Teil der Schrift finden sich neben dem pudor auch der metus.48 In der Stelle Suetons ist es also nicht nur die Scham, die ihn be­wog, die Auf­gabe des Advokaten aufzugeben, zur Scham hinzu gesellt sich als auslö­ sendes Motiv auch die Angst, ein Schrecken. Metus wird in der Termi­nologie dazu verwen­det, um die Folgen der Dro­ hungen einer Gewaltanwen­dung zu beschrei­ben, somit in irgendeiner Form, was wir als mora­li­sche Ge­walt be­zeich­nen. Kein metus ent­stand natürlich aufgrund des Misserfolges im Zentumviral­ver­fahren. Dort finden sich Nie­ dergeschlagenheit und Scham we­ gen des Misserfol­ ges, sei es gegen­ über dem Klienten, sei es gegenüber dem Publi­kum, aber nicht Ein­schüchterung. Überlegungen zum metus als Grund für die Aufgabe der Aktivitäten als Red­ner seitens des Albucius werfen meines Erachtens nach erneut das Prob­ lem der Chronologie bezüglich des Erbschaftsprozesses und des Strafpro­ zesses von Mailand auf. Wolfgang-Dieter Lebek, überaus vom Text Senecas be­stimmt, vertritt die Meinung, dass Albucius allerletzter Prozess jener vor dem Zen­tum­viral­gericht ge­wesen sei,49 und erkennt auf diese Weise das Verbindungs­glied et rur­sus, welches die beiden Prozesse im sue­tonischen Werk verbindet,50 als bar jeden chronologischen Wertes. Ich glaube dahinge­gen, dass die­ses rursus − gerade im Sinne einer „weichen“ Wortbe­ stimmung des Adverbs − nichts an­de­res be­deuten kann, als dass der Mai­ länder Prozess später als der römische statt­ gefunden hat. Albucius hatte also bereits im Agon der Redner einen schwe­ren Schlag einstecken müssen, als er, aus welchem Grund auch immer, den wir nicht kennen können, zu einer für einen berühm­ten Redner der Haupt­stadt un­gewöhnli­chen Verteidi­ gung gerufen wurde: ein Prozess wegen einer Bluttat im fernen Mailand. Ge­wiss, Seneca gibt uns keine Nachrichten bezüg­lich dieser weiteren, aber für ihn zweitrangigen Prozess­rede; aber es wa­ren eben nicht jene Gerichts­ fälle, die von den Rhetoren ge­schätzt wurden, und aus die­sem Grund ist es ziemlich schwierig, unmittelbare Zeugnisse zu erhalten. Einen Augen­blick sollten wir die letzte Schnellmel­dung, die uns von Sueton hin­sichtlich der in Mediolanum erfolgten cognitio (§ 5) überliefert wird, voran­stellen. Albu­ 47  Was

sich in aller Deutlichkeit gerade am Text Senecas nachvollziehen lässt. juristische Semantik von metus ist natürlich vielfach untersucht worden: es reicht der Verweis auf Anto­nio Guarino, Diritto privato romano, Napoli 200112, 389 f., mit weiterführender Literatur in Fn. 24.6.1 (vgl. die dort zitierte Literatur) aus. Siehe nun: Emanuela Calore, Actio quod metus causa. Tutela della vittima e azione in rem scripta, Milano 2011. 49  Lebek (o. Fn. 7) 362 ff., und die dort angeführte Literatur. 50  Vgl. Kaster (o. Fn. 8) 322 f. 48  Die



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cius wur­de bedroht, er riskierte fast eine Strafe wegen seines Ver­haltens vor dem Tri­bunal des Prokonsuls. Daher also der metus, die Furcht, die Angst vor einer mögli­cherweise sogar körperlichen Folge für sei­nen rhetori­schen Einsatz. Und das ist auch das Motiv kom­ple­mentär zur Schande, die in der Schrift des Sue­ton die auf Seneca zurückge­henden Nach­rich­ten er­gänzt und sie detailreicher er­ scheinen lässt. Die Ver­ vollständigung er­ folgt auf dem Wege eines sym­metri­schen Verhältnisses zwi­schen pudor und dem Zentum­ viralprozess auf der einen Seite und metus und dem Prozess we­gen caedes auf der anderen Seite, wobei auch ein chronologi­sches Verhältnis zwi­schen den beiden Ereignissen festge­ halten wird, insbe­ sondere weil das zweite Ereignis Seneca unbe­ kannt blieb oder ihm wegen der geographischen Abgele­genheit gegenüber Rom als un­wesent­lich, ja geradezu farblos erschei­ nen musste. Es ist nicht un­wahr­scheinlich, dass Sue­ton seine präzisen Infor­ matio­nen über das Ereignis aus einer cisalpinischen Quelle schöpfte. Man weiß, wie sehr Persönlich­keiten und Schrifttum aus jenem Teil der römi­ schen Welt für die Rekonstruktion der vitae von Gram­matikern und Rheto­ ren be­deutsam waren. X. Der Prozess wegen caedes in Mailand Wir müssen also jetzt eingehender den anderen Fall (enthalten in § 5 der Bio­gra­phie) in Betracht ziehen. Er wurde von den Historikern, vor allem den Ro­ manisten, weit weniger diskutiert und ist nur durch den kurzen biographi­schen Abschnitt Suetons bekannt (es gibt in der Tat keine weiteren Hin­ weise dar­ über). Dieser Fall soll uns nun zu einigem Kopfzerbrechen verhelfen. Wie be­ reits angeklun­ gen, handelte es sich diesmal um einen Strafprozess, um einen „merk­würdigen“ Prozess, so Theodor Mommsen.51 Albucius war, wie bereits gesagt wurde, besonders selektiv bezüglich jener Fälle, die er zu be­gleiten sich ent­schloss (in der Tat nahm er an nicht mehr als fünf oder sechs Verhandlun­gen im Jahr teil),52 aber, in der besten repu­ blikanischen Tradition, scheint er keinerlei Vorzüge gegenüber dem einen oder anderen Bereiche des Rechts gehabt zu haben. Das Umfeld dieses zweiten Prozesses erscheint völlig unterschiedlich ge­ gen­ über dem Zentum­ viral­ prozess. Wenn wir uns im Erbschaftsfall, der offen­bar chro­nologisch früher stattgefunden hatte, in Rom befinden, und vor einem be­son­ders auf Tradition bedachten Gericht (ich möchte daran erin­ nern, dass in den Zen­tumviralprozessen auch noch nach der lex Iulia iudi51  Theodor Mommsen, Römisches Staatsrecht II / 1, Leipzig 18873, Nachdr. Basel 1952, 238 Fn. 1. 52  Suet. De gramm. et rhet. 30,3. Egit et causas, verum rarius, dum amplissimam quam­que sectatur nec alium in ulla locum quam perorandi.

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ciorum privatorum die alte Vor­ ge­ hensweise der legis actiones praktiziert wurde), so fand der Strafpro­ zess, der uns hier interessiert, und zwar als letzte Verhandlung unse­res Silus, da­gegen in Mailand statt, und zwar unter der Vorausset­zung einer beson­deren Art der Prozessführung. Die alte Stadt keltischen Ursprungs, die bereits von den Römern in der ers­ten Phase ihrer transpa­danischen Expansion zu Zeiten des zweiten Puni­ schen Krie­ ges dem römischen Machtbereich einge­ gliedert worden war, hatte, nach­dem sie bereits mit dem latinischen Recht ausgestattet worden war, vor einiger Zeit das volle Bürgerrecht erhalten, gemeinsam mit den anderen cisalpinen Städten: ein Ort somit, nicht weit, kaum 33 Meilen, wie es ausdrücklich im Itinerarium Antonini53 heißt, und wohl nicht sehr ver­ schieden von der Heimat­stadt des Albucius, Novaria, auch wenn Mailand sich bereits auf dem Wege befand, eine bemerkenswerte Stadt zu werden, wie gerade zur Zeit des Augus­tus der griechi­sche Geograph Strabon ver­ merkte (5,1,6). XI. Die Frage des materiellen Rechts In diesem anderen Prozess verteidigte Silus,54 der herbeigeeilt war, den reus, den Angeklagten. Wir verfü­ gen über keine genauen Angaben zum Hergang des Verbrechens. Es scheint aber zu sein, dass es sich um eine herausragende Blut­tat gehandelt habe. Die Terminologie mit dem Hinweis auf caedes scheint näm­lich nicht auf einen einfachen Mord hinzuweisen, sondern vielmehr auf ein Blutbad, auf ein Gemetzel, einen vielfachen und besonders grauenvollen und gottlosen Mord: jedenfalls ein Verbre­chen von besonderer Schwere und Brei­tenwirkung. Auch die Teilnahme des bekann­ ten Redners an einem auch geogra­phisch von Rom so weit entfernt stattfin­ denden Prozess stellt natürlich ein wei­teres Element zugunsten dieser Inter­ pretation dar. Weitere Bestätigun­gen dafür kann man gewinnen, wenn man, und sei es nur en passant, die übli­ che Aus­ drucks­ weise des typischen Sprachgebrauchs von Sue­ ton beobachtet. An mehre­ ren Stellen wird der Mord an Caesar mit caedes überliefert (Suet. div. Iul. 81,1; 81,3; Claud. 41,2), die Adjektivierung crudelissima findet sich in Suet. Cal. 30,3, die Verbindung mit parricidia in Suet. Tib. 66,1 und in Ner. 33,1. So wurde auch das Verbrechen bezeichnet, das von einem gewissen Lu­ cius Clau­

53  It. Ant. 344,6, 350,6: Novaria stellt die erste Etappe dar, wenn man von Mai­ land kommt (danach gelangt man nach Vercellae nach weiteren 16 Meilen). 54  Denn wir wissen nicht, ob er von Rom oder von Novaria gerufen wurde, wohin er bereits als Senior zurückge­kehrt war und wo ihn dann die Krankheit ereil­ te: § 6 Iam autem senior ob vitium vomicae Novariam redit …



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dius55 begangen worden war, und das wegen seiner besonderen Grausam­keit alle Mitglieder der gens Claudia bewogen hat, dieses praenomen in­ner­halb ihrer gens nicht mehr zu verwenden, wobei ein Verbot auferlegt wurde, das sogar für Jahrhunderte beachtet wurde. Es ist kein Zufall, dass, wenn man den Blick über Sueton hinaus richtet, das Massaker der Via Ap­pia, in welchem Clodius und dreißig seiner Skla­ ven56 nieder­ge­metzelt wurden, immer wieder als cae­des57 bezeichnet wird, und dass das Wort im rhetorischen Schrifttum als Synonym für Mord, manch­mal mit einem besonders negativen Beigeschmack, verwendet wird.58 Und es ist auch kein Zufall, dass dieser Begriff jener ist, der sich am häu­ figsten in der dekla­ matorischen Literatur wiederfindet, um den Mord zu bezeichnen, und zwar an Stellen, die, abhängig vom Kontext und der be­ sonderen literari­schen Typolo­gie, eindeutig von besonderer Nachdrücklich­ keit geprägt sind, um die Schwere der Ver­brechen hervorzukehren. XII. Erläuterungen des Prozesses. Problem des Ortes und der Be­zug zur cognitio Was nun das materielle Recht anbelangt, so lohnt es sich nicht mehr, wei­tere Spekulationen anzu­stellen. Wie bereits erwähnt, verfügen wir nur über den dürftigen Hinweis bei Sueton, und mir scheint, man kann über die bereits vor­ genommene terminologische Erläuterung nicht darüber hinaus gelangen. Aber der wichtigste Aspekt, der auch beim Romanisten eine be­ sondere Neu­gierde hervorruft, ist jener des Verfahrens, der klarerweise in Verbindung mit der Be­stimmung des Verbrechens steht. Die erste Frage ist jene, warum der Prozess in Mailand stattfand und nicht in Rom.59 Es er­ scheint völlig außer­gewöhnlich, dass ein offensichtlich komplexes Verfah­ 55  Suet.

Tib. 1,2. Gemetzel der Via Appia vgl. zumindest Florence Dupont, L’affaire Mi­ lon. Meurtre sur la voie Ap­pienne, Paris 1987; erst vor kurzem, aber auch kürzer Luca Fezzi, Il tribuno Clodio, Roma-Bari 2008, bes. 104 f. 57  Beispielsweise vgl. Gell. 16,8,2. Zur Bedeutung von caedes vgl. Mommsen, Römi­ sches Strafrecht (o. Fn. 27) 612  ff. bezüglich einer Übersicht zum Mord: Bernardo Santalucia, Diritto e processo penale nell’antica Roma, Milano 19982, 129  ff., 145  ff., 262  ff. Bezüglich der mit der Ermordung Caesars verbundenen Rechtsfra­gen vgl. zu­mindest Roberto Fiori, Homo sacer. Dinamica politico-costitu­ zionale di una sanzione giuri­dico-religiosa, Napoli 1996, 451 ff. 58  Wie der Fall eines Ehemannes, der seine schwangere Frau in Folge eines Ehe­ bruchs ermordet, in Ps.-Quintil. decl. min. 277 oder jener eines möglichen Vatermör­ders in Ps.-Quintil. decl. min. 314. 59  Ein kurzer Überblick über die Problematik des Prozessortes bei: Laffi (o. Fn. 16) 21 [= Studi di storia ro­mana e di diritto (o. Fn. 13) 231]. 56  Zum

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ren, möglicherweise auch äußerst bedenk­lich wegen der schwerwiegenden Vorwürfe, nicht vor einem ordentli­ chen Ge­ richt abgehandelt wurde, und zwar vor der quaestio de sica­riis, wie man es erwarten hätte müssen. Ein anderer Punkt betrifft die Einordnung des Verfahrens: cognitio ist ein sehr weiter Begriff, hat aber auch einen ganz präzisen technischen Inhalt, auch bei Sueton, wie wir sofort sehen werden. In Kürze unter Wiederauf­ nahme der Untersuchungen von Lemosse, die von Giovanni Pugliese60 verbes­sernde Ergän­zung fanden, kann man als erstes sagen, dass die Ver­ wendung der cognitio beson­ders ty­pisch hinsichtlich von Strafprozessen ist. Während näm­lich der Begriff bezüglich des Zivilpro­zesses nicht über All­ gemeines in der Beschrei­bung hinausgeht, und sich somit auch auf Fälle bezieht, die im Rah­men des ordo iudiciorum privatorum behandelt wurden, so sprach man äußerst sel­ten von cognitio im Rahmen der iudicia publica, während die „pro­cedi­menti extra ordinem furono indicati come cognitiones, si può dire, fin dall’inizio“.61 Wenn dies vor allem für den kaiserlichen und senatori­schen Prozess62 gilt, so fehlt es nicht an bemerkenswerten Aussa­ gen hinsichtlich der Jurisdikti­ ons­ ge­ walt von Provinzgouverneuren63 (ich kann mich hier nicht mit den Quellen bezüglich der prae­fecti urbi und praetorio auseinandersetzen).64 In diesem Zusammen­hang ist das Zeugnis Suetons früh und besonders aussa­ge­kräftig. Man vergesse nicht, dass der Biograph der Caesaren einer der ersten war, der mit dem Kon­strukt cognitio verbunden mit dem Genitiv des Verbre­chens sich auf jene Tatbe­stände be­ zog, die mit einem außerordentlichen Pro­ zess geahndet wurden (cognitio falsi findet man in Suet. Claud. 9,265).

60  Bezüglich der cognitio empfiehlt es sich, mit den Untersuchungen von Maxime Lemosse, Cognitio: étude sur le rôle du juge dans l’instruction du procès civil antique, Paris 1944, Roma 1971, zu beginnen; diese Untersuchungen wur­den in je­ nen Punkten, die hier eine Rolle spielen, übernommen von Giovanni Pugliese, s. v. Cognitio, NNDI III, Torino 1959, 430 ff. [= Scritti giuridici scelti I. Diritto romano, Napoli 1985, 279 ff.]. Zu den Grundzügen des Strafprozesses vgl. anstelle aller an­ deren: Santalucia (o. Fn. 57) 189 ff. 61  Pugliese (o. Fn. 60) 435. 62  Vgl. Quintil. inst. or. 3,10,1, mit einem ausdrücklichen Vergleich zwischen iudi­cia publica auf der einen Seite und Gerichtshöfen des Kaisers und des Senats auf der ande­ren Seite; 7,2,20; Plin. iun. epist. 2,11,4; 4,22,1; D. 42,4,13 Papin. 14 resp. 63  Siehe Plin. iun. epist. 10,96; D. 48,5,16[15],4 Ulp. 2 de adult.; D. 47,19,2 pr. Ulp. 9 de off. proc.; D. 48,16,1,8 Marcian. lib. sing. ad sc. Turpill. 64  Man vergleiche aber zumindest Coll. 14,2,2; 14,3,2. 65  … etiam cognitio falsi testamenti recepta est, in quo et ipse signaverat.



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XIII. Hypothesen. Die munizipale und militärische Jurisdiktion Auf dass wir das nur kurz vom Biographen erwähnte Verfahren richtig ein­zu­ordnen vermögen, müssen wir mit großer Aufmerksamkeit die von den Histo­ rikern vorgeschlagenen Deutungsversuche analysieren. Der erste stammt von Jochen Bleicken66 und besteht aus dem Epilog seines bedeu­ tenden Buches über Senatsgericht und Kaisergericht. Der deutsche Histori­ ker behandelt den Fall in einem Appendix bezüglich der Existenz von Munizipalquaestionen, die nach dem Vorbild jener in Rom be­stehender und für Strafsachen zuständiger ent­wickelt wurden. Nach einer kurzen Beschrei­ bung der Umstände und einer Deu­tung auf der Grundlage der inquisitori­ schen Begriffe, auf die wir zurück­kom­men müssen, schlägt Bleicken vor, dass Piso der Vorsitzende einer muni­zipa­len quaestio gewe­sen sei, der, wie der Prätor in Rom, die Prozesse vor Geschwore­nen durchführte. In diesem Falle wäre also die von Sueton verwen­ dete Terminolo­ gie bezüglich der cognitio technisch falsch. Andererseits habe die Reaktion des Albucius dazu geführt, die brutale Prozessführung seitens des Prokonsuls in den Vorder­ grund zu stellen.67 66  Bleicken, Senatsgericht und Kaisergericht: eine Studie zur Entwicklung des Prozess­rechtes im frühen Prinzipat, Göttin­gen 1962, 188: „Auf die munizipalen Ge­ schworenenhöfe Italiens scheint auch noch eine Stelle bei Sueton hinzuweisen. Der Redner C. Albucius Silus geriet danach mit C. Calpurnius Piso in Streit, als dieser, von Augustus als (ausserordentlicher) prokonsularischer Statthalter nach Gallia Cisalpina gesandt, eine cognitio cae­dis in Mediolanum abhielt. Albucius verteidigte den Ange­klagten. Als während seines Plädoyers gewisse Zei­chen der Zustimmung aus dem Publi­kum von den Liktoren des Proconsuls eigedämmt wurden, geriet er in Zorn und beklagte laut die veränderte Lage Italiens, das gleichsam wieder Provinz geworden sei (nämlich dadurch, dass in Gallia Cisalpina von Augustus ein Prokon­ sul eingesetzt worden war), und er rief M. Brutus als legum et libertatis auctor et vindex an. Wenn Piso wirklich, wie Sueton durch den Ausdruck cognitio nahelegt, ein inqui­sitorisches Gericht über einen Bewohner der Gallia Cisalpina aufgestellt hatte, dann waren in der Tat die Bürger der Transpadana gleichsam in den Status der Peregrinen herabgedrückt, über die der Statthalter nach Belieben verfahren konnte, und mit Recht beruft sich Albucius dagegen auf das Palladium der römi­ schen Freiheit, auf die Provokation, und das heisst: das Ge­schworenengericht. Das Verhalten des Piso wäre einem flagranten Rechts­bruch gleich­gekommen; er hätte den Römer behandelt wie den peregrinen Pro­vinzialen. Dagegen ruft Albucius die libertas an: Die Transpadana hatte seit Caesar das Bürgerrecht, und es war seitdem für Kapitalverbrechen dort nicht mehr der Statt­halter zuständig, sondern die quae­ stio, sei es nun die der Munizipien oder auch (wie z. B. für politische Fälle) die Roms. Es ist aber auch denkbar, dass der Vorfall sich vor einem munizipalen Ge­ schwo­renenhof abgespielt hat, dem Piso nur – wie der Prätor in Rom – vorsass“. 67  Bleicken (o. Fn. 66) 188: „Allerdings hätte dann Sueton in seinem kurzen Referat ungenau cognitio für das richtige quaestio gebraucht. Wenn es sich so ver­ halten hat, geht der Tadel des Albucius gegen die brutale Art der Verhandlungsfüh­

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Wie bekannt, hat sich auch Wolfgang Kunkel in seinem großartigen Werk be­züglich der Erneuerung der Geschichte des römischen Strafrechts, begonnen mit den glänzenden Untersuchungen des Jahres 1962, für die Existenz einer munizipalen Strafgerichtsbarkeit ausgesprochen,68 freilich unter Betonung des Fehlens einschlägiger Zeugnisse. Gerade diesbezüglich musste er sich mit der Stelle Suetons aus­ einandersetzen. „Nur fehlt es dafür an positiven Beweisen. Unergiebig ist in dieser Hinsicht leider die bei Suet. De gramm. et rhet. 30 (6) überlieferte Nachricht über einen Mordprozeß, den zur Zeit des Augustus ein (außerordentlicher) Prokonsul der Cisalpina, L. Calpurnius Piso, in Mailand durchge­führt hat. Ein G ­ ericht, dem der Prokonsul vorsaß, kann kein Munizi­palgericht gewesen sein …; es war eben das Statthaltergericht. Wir haben auch kei­nen Anlaß anzuneh­ men, daß die Verhandlung des Mordfalles vor diesem Gericht als Rechts­ bruch, d. h. als unerlaubter Eingriff in die munizipale Zu­stän­digkeit ange­ sehen worden ist. Denn der Protest des Anwalts Albucius richtete sich nach Sueton eben nicht gegen die Zuständigkeit des Statthalters, sondern gegen dessen sitzungspolizeiliche Maßnamen. Selbst wenn aber das Statthalter­gericht zuständig war, bedeutet dies noch nicht, daß in Mediola­ num da­mals kein munizipales Strafgericht bestanden hat. Es ist denkbar, daß der Angeklagte als Soldat oder comes des Statthalters der munizipalen Justiz nicht un­ terstand, oder daß der Statthalter als solcher befugt war, Anklagen anzu­neh­men, über die anderfalls vor den munizipalen Gerichten ver­handelt worden wäre.“ Auch wenn die Stellungnahme des großen deutschen Romanisten eindeu­ tig ausfällt, so unterstreicht doch Kunkel zu Recht, dass der Bericht des Suetons, wiewohl er einen Strafprozess, der in einem Mu­nizipium stattfand, schilderte, nicht mit einem lokalen Gericht in Einklang zu bringen ist, und das auch nicht in derjenigen Zusammensetzung, die den Vorsitz des Prokon­ suls erfor­derte. Es kann kein Zwei­fel bestehen, dass es sich um ein Statt­ haltergericht handelte. Es ist auch wahr, dass der Auslöser des Pro­testes des Albucius die Gewalttätigkeit der Liktoren gewesen war, aber es ist klar, dass diese gera­dezu als Symbol der Macht des Prokonsuls gewertet werden musste. Die Ablehnung be­trifft somit den greifba­ren Ausdruck eines imperium, das hinsichtlich des rechtlichen sta­tus des Territoriums, in welchem rung, durch die der Geschworenenprozess gleichsam auf das Niveau einer diskre­ tionären cognitio herab­gedrückt worden wäre“. 68  Ausgewogene Überlegungen zur Ausübung der Strafgerichtsbarkeit auf loka­ ler Ebene mit einer ein­ gehenden Überprüfung der Quellenlage findet man in: Bernardo Santalucia, Osservazioni sulla giustizia penale nei municipia, in: Luigi Capogrossi Colognesi / Emilio Gabba (Hrsg.), Gli statuti municipali, Pavia 2006, 551 ff., der sich freilich kritisch bezüglich der Möglichkeit von Kapitalprozessen auf munizipaler Ebene ausspricht.



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es aus­geübt wurde, als exor­bitant empfunden wurde. Und es handelt sich natürlich nicht um eine Verlet­zung der Kompeten­zen des lokalen Gerichts, wie Kunkel zwar mit Bedauern, aber ohne jeden Zwei­fel an­nahm.69 Auch der Hinweis auf einen militärischen Prozess (gegen einen Soldaten oder einen comes des Prokonsuls) erscheint nicht überzeugend. Die Tat des Ver­ brechens selbst, caedes, scheint keine spe­zifisch militärische, wie beispiels­ weise die Desertion gewesen zu sein. Die Position des Angeklag­ten, wenn es sich um einen Soldaten gehandelt hätte, könnte nicht die Abtre­tung der Kompetenzen von Rom in einer quaestio nach Mailand in einer cognitio rechtferti­ gen. Der einzige Umstand, den man als bedeutsam bezeich­ nen kann, ist jener der Ausübung einer sehr weit gespann­ ten Machtfülle von Seiten des Prokonsuls in einem Territorium, das zwar formell Italien war, aber das in Wirklich­ keit so behan­ delt wurde, als unterliege es noch den Auswirkun­gen eines imperium provinciale. Dies könnte die hefti­gen Protes­ te des Albucius ausgelöst haben. Ich glaube weiters nicht, dass es sich, wie sehr vor­ sichtig Laffi70 vorgeschlagen hat, um einen Prozess gegen einen Peregrinen gehandelt haben konnte. In diesem Falle hätte sich ein Red­ner vom Niveau eines Albucius wohl kaum dazu bewegen lassen. XIV. Der Prokonsulat des Piso Wir müssen uns nun einem ganz besonderem Aspekt des Mailänder Verfah­ rens zuwenden, und zwar der Tatsache, dass die cognitio (zu dieser spezifi­ schen Begrifflichkeit, die keinesfalls als neutral zu bezeichnen ist, werden wir zurück­kommen müssen) vor dem Prokonsul abgehalten wurde, Träger eines imperium, aber in einem Territorium, das juristisch bereits seit gerau­ mer Zeit Italia71 und keine Provinz mehr ist. Der Vorsitzende Prokonsul wird mit sei­nem Namen ausdrücklich von Sueton ge­nannt. Es handelt sich um Lucius72 Calpurnius Piso, eine überaus bekannte Persönlichkeit in den ers­ten 69  Wolfgang Kunkel, s. v. Quaestio, RE 24, Stuttgart 1963, 781 [= Kleine Schrif­ ten. Zum römischen Strafverfahren und zur römischen Verfassungsgeschichte, Wei­ mar 1974, 105]. 70  Laffi (o. Fn. 16) 21 [= Studi di storia romana e di diritto (o. Fn. 13) 231]. 71  Zur Entwicklung des juristischen Begriffs Italia vgl. Pierangelo Catalano, Ap­punti sopra il più antico con­cetto giuridico di Italia, Atti Acc. Torino (1961–1962) 1 ff.; dens., Aspetti spaziali del sistema giuridico-religioso romano. Mundus, tem­ plum, urbs, ager, Latium, Italia, ANRW II / 16.1, Berlin-New York 1978, 440 ff.; Loretana De Libero, Italia, Klio 76 (1994) 303 ff.; Giuseppe Massa, La formazione del concetto d’Italia. Tradizioni politi­che e storiografiche nell’età precedente la ‘ri­ voluzione ro­mana’, Como 1996. 72  Nicht Gaius wie bei Bleicken (o. Fn. 66) 188 (ich glaube aber wegen eines bloßen materiellen Irrtums).

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Zeiten des Prinzipats,73 auf das Engste, aufgrund verwandtschaftlicher Ban­ de, mit Julius Caesar ver­bunden. Er war nämlich der wesentlich jüngere Bru­ der der Calpur­nia, Tochter des Censors Cesoni­nus und Frau des Diktators. Geboren im Jahr 48 v. Chr., ent­stammte er einer Familie der Nobili­tät, aus deren Reihen auch Konsule hervor­gegangen waren, und hatte seine schnelle Laufbahn im Kur­sus der Magistrate gerade in den Jahren der endgültigen Konsolidierung der Macht des Octavian Augustus begonnen. Wie es üblich war für Persönlich­keiten die­ses Ranges, erlangte er den Konsulat suo anno im Jahre 15 v. Chr.74 zusammen mit Marcus Livius Drusus Libo. Seine Kar­ riere sollte eine glän­zende werden: Er wurde pontifex und blieb für lange Zeit bis zum Prinzipat des Tiberius praefectus urbi. Sein großartiges bronzenes Antlitz (keineswegs zufällig von Ronald Syme auf dem Umschlag seines Bu­ ches „The Augustan Aristocracy“ abgebildet) wurde in der villa der Pisonen in Herkulaneum ge­funden, vielleicht besser bekannt als die villa der Papyri, in welcher sich eben seine reiche Bibli­othek befand. Das in Transpadanien ausgeübte Prokonsulat könnte im Zusammenhang mit jenen Kriegen stehen, die Augustus gegen die alpinen Bevölkerungen zwi­schen 25 und 14 v. Chr. geführt hat. Er ver­fügte höchstwahrscheinlich über Verwandt­ schaften und Klientelen in der Cisalpina. Seine väterliche Groß­ mutter (die Mut­ ter des Censors Cesoninus) stammte in der Tat aus Placentia (Ascon. 2 ff. Cl.), ein Umstand, der von den Historikern bislang nicht berück­ sichtigt wurde, der aber durchaus eine Rolle ge­ spielt haben mag, bezüglich der Betrau­ung mit dem imperium in jener Region zu einem ‚brisanten‘ Zeitpunkt. Freilich könnte der Prokonsulat entweder unmittelbar vor dem Konsulat be­kleidet worden sein oder unmittelbar danach.75 Diese Ereignisse fanden statt innerhalb einer Zeitspanne zwischen 16 und 14 v. Chr., wobei man freilich nicht das Jahr 15 in Betracht ziehen darf, jenes des ordentlichen Konsulats, das selbstver­ständlich inkompatibel mit der Ausübung der Funk­ tion des Pro­konsuls war. Für Syme könnte das Datum in der Tat das Jahr 73  Er widmet ihm ein Kapitel, das besonders wichtig hinsichtlich der Wiederherstel­ lung des prosopographi­ schen Profils und der Karriere ist, Ronald Syme, L’aristocrazia augustea, Oxford 1989, it. Übers. Milano 1993, 488 ff. 74  Die Identifikation bereits bei Mommsen, Römisches Staatsrecht II / 13 (o. Fn. 51) 238 Fn. 1. 75  Nach der Meinung einiger: John Scheid, Les frères arvales: recrutement et origine sociale sous les empe­reurs julio-claudiens, Paris 1975, 78, vgl. Colin Michael Wells, The German Policy of Augustus: an Examination of the Archaeological Evidence, Ox­ford 1972, 66 Fn. 4, könnte man ihn mit jenem Piso identifizieren, der, wenn man eine Nachricht bei Orosius (6,21,22) Folge leistet, gegen die Vindelicer ausgesandt worden war, während sich Augustus in Gallien befand und, nachdem er sie unterwor­fen hatte, als Sieger zum Prinzeps zurückkehrte, der sich zur Zeit in Lugdunum befand. Aber vgl. Syme (o. Fn. 73) bes. 495 f.



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16 sein, aber doch besser das Jahr 14.76 Tatsache ist, dass wir uns bezüglich der in Frage stehenden Chro­nologie bereits jenseits der Promulgierung der augustei­ schen Prozessgesetze befinden. Das bedeutet, dass der in Frage kommende Prozess stattfand, als der ordo iudiciorum publicorum schon in Kraft war, und daher musste ein römi­scher Bürger normaler­weise, wenn er Verbrechen begangen hatte, in Rom vor den quaestiones gerichtet werden. XV. Der status der Gallia Transpadana Wir müssen uns nun mit dem status, dem verfassungsmäßigen Zustand, der Gallia transpadana in jenem besonderen historischen Augenblick auseinan­ dersetzen, und zwar im Bezug auf jene Macht­ kompetenzen, die tatsächlich von Piso ausgeübt wurden. Eine einfache, oder vielleicht zu einfache, Be­ standsauf­ nahme ist jene, die von Mommsen vorgeschlagen wurde.77 Die Befug­ nisse bezüg­ lich der Aus­ übung der Jurisdiktion seien demnach von Augus­tus selbst an Piso übertragen worden, wie es be­reits in dieser frühen Phase des Prinzipats möglich gewesen sei, wahrscheinlich „von Fall zu Fall“. Diese Lösung er­scheint freilich von keiner Quelle Be­ stätigung zu finden, und man versteht nicht, war­um ein Prokonsul mit be­ sonderen Aufgaben, insbeson­dere im Hin­blick auf militäri­sche Operatio­nen im alpinen Bereich, nun auch die Kriminal­jurisdiktion auf italischem Gebiet hätte ausüben sol­len.78 Zu be­haupten, dass Transpadanien während der spä­ ten augusteischen Zeit, wenn auch nur vorüber­ge­hend, von einem Prokonsul regiert werden hätte sollen, kann nur auf einen Schluss aus unse­rem Text79 beruhen: Da es einen Prokon­sul gibt, gibt es eben auch eine Provinz. Ich würde aber viel­mehr hervor­heben, dass gerade zu die­sem Punkt die Bemer­ kung des Albucius von entscheidender Be­deutung ist: Aus seinen Worten der Empörung gegenüber der Vorgehens­ weise der Liktoren und folg­ lich auch ge­genüber jener des Prokonsuls, versteht man dagegen, dass das Ge­ biet jeden­falls und in je­der Hinsicht als Italien ver­standen werden musste.80 Nur die miss­bräuchliche Machtausübung (man be­achte das Ad­verb iterum, 76  Syme

(o. Fn. 73) bes. 491. der Meinung von Mommsen, Römisches Strafrecht (o. Fn. 27) 243 und Fn. 4, handelte es sich im Falle des Piso um eine Abtretung des ius gladii, was auch zur Ab­tretung des imperium merum führte, wie es bereits seit der augusteischen Zeit zu Guns­ten einzelner Statthalter erfolgt war. 78  Nach Mommsen, Römisches Staatsrecht II / 23 (o. Fn. 51) 1075 und Fn. 3, würde es sich um Militärposten han­deln, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit am Beginn des Prinzipats bis zum 3. Jhdt. dienten. 79  Mommsen, Römisches Staatsrecht II / 13 (o. Fn. 51) 238 Fn. 1. 80  Im Allgemeinen zur Romanisierung der padanischen Provinzen: Luraschi, (o.  Fn. 16); Laffi (o. Fn. 16) 5 ff. [= Studi di storia romana e di diritto (o. Fn. 13) 77  Nach

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das vom Redner geradezu als Zeitmaschine verwen­det wird) hatte das Ge­ biet in einen Zustand zurückversetzt, der zwar formell nicht jener einer Pro­vinz ist (man beachte in diesem Zu­sammenhang das gera­dezu strategisch ver­wendete Adverb quasi81), aber das in der Tat in die Nähe einer Provinz gerückt wird, quasi in formam provinciae. Ich würde also mei­ nen, nicht dass die Gallia cisalpina wiederum auf den Zustand einer Provinz herabge­ drückt worden sei, aber dass es sich um italisches Gebiet handelt, in wel­ chem militärische Ver­ bände unter dem Ober­ kommando eines Pro­ kon­ suls stationiert waren. Dieser übte seine Machtbefug­nisse in sehr weiter Form aus, wahrscheinlich in miss­ bräuchlicher Weise, wie es im Übrigen nicht selten während der ersten Jahre des Prinzipats vor­kam. XVI. Eine Hypothese bezüglich des Ursprungs der außerordentli­chen cognitiones An dieser Stelle müssen wir die Tragweite des Begriffs cognitio erneut durch­ leuchten. Die roma­ nistische Geschichtsschreibung hat seit geraumer Zeit her­vorge­hoben, wie seit dem Beginn des Prinzi­pats Augustus der ordo iudicio­rum publicorum, wie er durch die lex Iulia festgesetzt worden war, sich gera­ dezu in antagonistischer Form einem neuen Strafprozess gegen­ über sah, der im Übrigen mit den verfassungsmäßigen Veränderungen jener Jahre durchaus im Einklang stand. Jene Gerichtshöfe, in de­nen das Urteil privaten Bürgern oblag, standen in der Tat nicht mehr im Einklang mit möglichen für die Inte­ ressen des Princeps nützlichen Interventionen. Im Übrigen trug eine Reihe technischer Mängel zum Niedergang der quae­ stiones bei (die Schwierigkeit etwa, Tatbe­stände, die nicht von einem be­ stimmten Gesetz vorgesehen waren, zu bekämp­fen, die Problema­tik bezüg­ lich einer Mehrheit von Per­sonen und Verbrechen, die Unmöglichkeit, die Strafe je nach subjektiven und objektiven Umständen in verschiedener Höhe festzusetzen), die im Weiteren in zuneh­mendem Ausmaße an Bedeu­ tung zu­guns­ten von Verfahren verloren, die nicht mehr die Teilnahme von Geschwore­nen vorsahen, und in wel­chen der gesamte Ablauf dem Princeps oder einer von ihm delegierten Person zukam. Mit einer gewis­sen begriff­ lichen Vergewalti­gung wird diese neue Organisation als cogni­tio extra ordinem be­zeichnet, die, wie allgemein bekannt ist, durchaus Parallelen im 209 ff.], wo man im § 4 besondere Überlegungen zum Prozess, der in Mailand statt­ fand, fin­det. 81  Zur Verwendung von quasi im juristischen Kontext: Carla Masi Doria, Per l’interpretazione di quasi magistratus in D. 1.16.7.2 (Ulp. 2 de off. proc.), in: Studi per G. Nicosia V, Milano 2007, 239 ff., dann Ram­pazzo (o. Fn. 26) 411 f. Fn. 207, mit ausführlichen Hinweisen zur Literatur.



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Bereiche des Zivilprozesses findet. Das Verhält­nis zwischen ordo und ex­tra ordinem ist kei­ neswegs stabil in den Quellen und nimmt ver­ schiedene Bedeu­tungen an, je nachdem um welches literarische Genus es sich han­ delte, abhän­gig auch weiters von den Gegenstän­den der Beobachtung. Im Bereiche einer technisch-juristi­ schen Aus­ drucksweise nimmt der Begriff der Außer­ ordentlichkeit verschiedene Bedeutungsfelder ein, welche erst durch die Mü­hen der zeitgenössischen Histo­riker systematisch rekon­struiert wur­ den, und die erst daher in ihrer Einheitlich­ keit verstanden werden konnten, beginnend mit vereinheitlichenden Strö­mun­gen, die man frei­lich erst in relativ späten Quellen nachlesen kann, insbesondere im Vergleich zu einer ursprüngli­chen, durchaus vielfältigen Praxis.82 Dabei traten offen­ kundige Schwierigkeiten bei der Interpre­tation der Texte auf83 sowie sys­ tematische Prob­leme, wie jenes, das wir alle kennen, und das in be­son­ders einprägsamer Weise von Orestano her­vorge­hoben wurde, der die cognitio extra ordinem der Roma­nisten schlicht und ein­fach als Chimäre be­zeichnet hat (im Wesentlichen auch nicht in den Quellen auffindbar), wobei er die durchaus weitgeschichtete historische Di­ mension der co­gni­tio­nes vertei­ digte.84 82  Über den Ursprung der extraordinariae cognitiones vgl. Giuseppe Ignazio Luz­ zatto, In tema di origine del pro­cesso „extra ordinem“ (Lineamenti critici e ricostrut­ tivi), in: Studi in onore di E. Volterra II, Milano 1971, bes. 744, mit Fn. 222; ders., Il pro­blema d’origine del processo extra ordinem I. Premesse di metodo. I cosiddet­ ti rimedi pretori, Bologna 1965; Ignazio Buti, La cognitio extra ordinem: da Augus­ to a Diocleziano, in ANRW II / 14, Berlin / New York 1982, 30 ff. Wichtig die mög­ liche Rekon­struktion von Artur Steinwenter, Studien zum römi­schen Versäumnisver­ fahren, Mün­chen 1914, bes. 6, 11, 106 betreffend den ordentlichen Prozess, 130 ff. über die späte Organisation des Prozes­ses extra ordinem auf der Grundlage verschie­ denster Ent­wick­lungen in der Praxis; vgl. dens., Die Anfänge des Libellprozesses, SDHI 1 (1935) 138 ff.; dens., Zur Gliederung des Verfahrens im Li­bellprozess, in: Festschrift L. Wen­ger I, München 1944, 180 ff., weitreichende Hinweise bezüglich der Quellen und Lite­ratur in Max Kaser / Karl Hackl, Das römische Zivilprozess­ recht, München 19962, 435 ff. (mit Fn. 1 ff.). 83  Ich denke beispielsweise an die extraordinaria iurisdictio von C. 8,40[41],14, eine Konstitution von Gor­dian aus 239: Mandati actio personalis est. Quae si nomine fide­iussoris vel adversus debitorem seu heredes eius competit, praeses provinciae quae deberi compererit reddi iubebit. 1. Pignora etenim, quae reo stipulandi nexa fuerunt, ita demum ad vos transeunt, si facta nominis redemptione solutio celebrata est vobis­que mandatae sunt actiones. 2. Quod si factum est, ea quoque vobis persequentibus ad­ver­sus possessores extraordinariam iurisdic­tionem idem vir clarissimus impertiet. a. 239 pp. iii non. Iul. Gordiano a. et Aviola conss. Vgl. Kaser / Hackl (o. Fn. 82) 436 Fn. 5. 84  Bezüglich der Deutung von Riccardo Orestano vgl. seinen treffenden Beitrag: La „cognitio extra ordi­nem“: una chimera, SDHI 46 (1980) 236 ff., weiters in: „Di­ ritto“. Incontri e scontri, Bologna 1981, 469 ff. [= Scritti III, Napoli 1998, 1829 ff.]; vgl. jetzt Xesús Pérez López, La delegación de jurisdicción en el derecho romano, Madrid 2010, 345 ff.

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Die Theorien zum Ursprung der außerordentlichen Verfahren sind verschie­denartig. Sie wurden in Wirklichkeit vor allem hinsichtlich des zi­ vilistischen Teiles entwickelt. Substantiell gibt es drei Hauptströmungen: Die erste, die vor al­lem auf Gaetano Scherillo85 zurückzuführen ist, sieht keine sub­stantielle Dis­kon­tinuität, aber vielmehr eine langsame Entwicklung vom ordo zum extra ordinem; eine weitere, die den Ursprung in den Pro­ zessen in den Provinzen sieht (es ist dies die von Lemosse zum Ausdruck gebrachte Hypothese,86 die bereits in seinem schönen Buch zur cognitio feststand), sowie eine weitere, die mit großem Engagement von Luzzatto87 vorgebracht wurde, und welche einen veritab­len Bruch zum Vorangegange­ nen erkennt und diesen Bruch auf die Zu­erkennung außerordent­licher Kom­ petenzen auf den Princeps sieht. Diese Strö­mung sieht in der historischen Verfassungsent­wicklung die Grundlagen der Veränderung und nicht in rein juristischen Abläufen. Aber auch in die­sem be­sonderen Bereich gibt es eine Reihe von Problemen, insbesondere was die Grundla­gen und die Rechtfer­ tigung der Jurisdiktionsgewalt des Princeps an­ belangt: Für die einen ist diese Gewalt auf die allgemeine Machtfülle als Ma­gistrat zurückzuführen, oder aber auf das Plebiszit, das Oktavian im Jahre 30 v. Chr. zusammen mit der tribunicia potestas auf Lebenszeit, auch die Kom­petenz des ἔκκλητον δικάζειν (vermutlich „auf Nachfrage zu richten“) zu­er­kannte oder aber in­ folge einer Be­stimmung der lex de imperio. Es ist mir ein Bedürfnis, an dieser Stelle die Meinung von Tullio Spagnuolo Vigorita88 in Erinnerung zu rufen, einem außerordentlich teuren Freund, der viel zu früh uns ver­lassen hat, der die Verbindung der Jurisdiktionsgewalt des Augustus „nei suoi amplissimi poteri magistratuali, dai nomi repubblicani, ma rimodel­lati già nel travaglio delle guerre civili“ gese­hen hatte. Die Frage ist natürlich überaus komplex und schwierig, und man kann sie auch nicht in diesem Beitrag einer endgültigen Lösung zuführen. Ich glaube aber, dass die Stelle von Sueton, die wir hier untersuchen, doch einige nicht nebensächliche Hinweise zum Zweck einer passenderen Neubewertung des Problems der Ursprünge der außerordentlichen cognitiones im frühen Prinzi­ pat bieten kann. Wenn auch das Beispiel des Valerius Volesus, der Prokon­ sul Asi­ens zwischen 11 und 13 n. Chr. (auch er im Übrigen aus adeligem republi­ kani­ schem Geschlecht), der in einem einzigen Tage mit dem Beil 85  Scherillo,

Introduzione alla cognitio extra ordinem, Milano 1960, passim. Lemosse (o. Fn. 60). 87  Ich beziehe mich auf beide Arbeiten dieses Gelehrten o. Fn. 82. 88  Die Komplexität der Ursprünge der cognitiones wird besonders deutlich hervorgeho­ben von Tul­lio Spa­gnuolo Vigorita, Le nuove leggi. Un seminario sugli inizi dell’attività normativa imperiale, Na­poli 1992, 96; vgl. auch dens., La repub­ blica re­staurata e il prestigio di Augusto. Diversioni sulle origini della cognitio im­ periale, in: Studi per G. Nicosia VII, Milano 2007, 521 ff. 86  Vgl.



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drei­hundert Per­sonen enthaupten ließ,89 zweifellos als extrem zu bewerten ist (in der Tat wurde dem ehemali­gen Magistrat, der den Konsulat im Jahre 5 bekleidet hatte, vor dem Senat der Prozess ge­macht), so musste doch die repressive Praxis der Prokonsulen nachhaltigen Einfluss auf die Darstel­lung der Strafjurisdiktion haben und nicht zuletzt auch auf ihre Neuausrichtung hinsichtlich der Inqui­sition und Kognition. Der Übergang von einem Modell zum anderen ist kein unmittelbarer. Es ist das Ergebnis von weitläufigen Durchmischungen und von ver­ schiedenen Überzeugungen bezüglich der Ausdehnung der Machtbefug­nisse in der Praxis. XVII. Ein Element, das kaum Beachtung findet: die laudationes Vielleicht enthält der Text noch einen weiteren kleinen Hinweis, der uns wei­tere Überlegungen hin­sichtlich des Prozesses ermöglicht, und uns eine Ge­ meinsam­ keit eröffnen konnte, unter den beiden Ausgangsmustern, die quaestio und die cognitio. Die Leser der Suetonstelle deuten üblicherweise den Hinweis auf nimiae laudantium voces als maßlosen Ausdruck der Zu­ stimmung betref­fend das Wirken des Albucius. Repression von Seiten der Liktoren sei ein poli­ zeilicher Übergriff gegenüber einem allzu lebhaften Publikum gewe­sen. Aber all das habe ohne Wenn und Aber den Kompeten­ zen des Ma­gistra­tes oder Pro­magistrates, der dem Gerichtshof vorsaß, ent­ sprochen. Ich möchte in Erinne­rung ru­fen, dass die Liktoren der Ausdruck selbst der Jurisdiktions­gewalt der römischen Magistrate gewesen sind (zu­ mindest unter gewissen Gesichtspunk­ten). Die Reaktion des Albucius auf eine derartige Vor­ gehens­ weise sei aus die­ sem Grunde als übertrieben zu bezeichnen und daher zu ta­deln gewesen. Ich glaube aber vielmehr, dass gerade dieser Punkt sich auf eine rein technische Frage bezieht, und zwar auf die laudationes, die nichts anderes wa­ ren als die Interventionen von wichtigen und geschätzten Bürgern, die damit ihre Unter­stützung dem An­ geklagten gegenüber zum Ausdruck brach­ten und ins­beson­dere seine mora­ lische Integrität unterstrichen.90 Die von Sue­ton verwendete Terminolo­gie 89  Zum Fall des Valerio Voleso, zuletzt: Cosimo Cascione, ‚Lege agere‘ e ‚poena capi­tis‘: qualche spunto ricostruttivo, in: Iuris vincula. Studi in onore di M. Tala­ manca I, Napoli 2001, 530 f. [= Studi di diritto pubblico romano, Napoli 2010, 78 f.]. 90  Anstelle aller Übrigen zu den laudationes Santalucia (o. Fn. 57) 175; jetzt, im Be­sonderen, Władysław Mossa­kowski, ‚Laudatores‘ w procesie rzymskim, Zeszyty Praw­nicze 1 (2001) 167 ff., mit einer Zusammenfas­sung in deutscher Sprache auf S. 175. Be­züglich der lictores als lebende Symbole (und Zeichen von Gewaltmaß­ nahmen) der Kommandogewalt (und somit der Jurisdiktionsgewalt der römischen Magistrate) vgl. Cascione (o. Fn. 89) 511 [= Studi di diritto pubblico romano (o. Fn. 89) 59 f.].

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ermög­licht gewiss diese Deutung. Üblicherweise fan­den derar­tige Belobi­ gungen des Beschuldigten mündlich statt (aber sie konnten auch schrift­lich vorgebracht werden: in diesem Falle wurden sie im Zuge der Vertei­di­gungs­ rede vorgetragen). Die Tatsache, dass Cicero der Auf­fassung war, dass es un­passend sei, weniger als zehn laudatores vorzustellen, und dass Pompeius, um ihren allzu großen Ein­ fluss auf die Geschworenen­ versammlun­ gen zu verrin­gern, ihren Einsatz beschränkt hatte (mit einem Gesetz aus dem Jahre 52 v. Chr., das er selbst freilich als erster brach), zeigt gut den Druck, den der­artige Bestrebungen einer Seite auf das richtende Or­gan haben konnten, im Übrigen typisch für die Prozesse vor den quaestiones. Wenn nun der Pro­konsul ein Ein­schreiten der Liktoren angeordnet hatte, um die laudatores in ihre Schranken zu verweisen, so rechtfertigt dies in vollem Ausmaß das Ein­schreiten des Verteidi­gers und im Übrigen auch seinen Hin­weis auf die Frei­heit, die li­bertas. XVIII. Die Statue des Brutus und die gefährliche Anrufung der Frei­heit Der entscheidende Satz, der Clou, den Albucius im Zuge des Prozesses in Mai­land zum Besten gab, und zwar jener Satz bezüglich der deploratio des status Italiae, im Besonderen der Gallia Cisalpina91, wurde durch eine Anru­ fung des Brutus zu Ende geführt, vor dessen Statue er stand. Wir wissen aus einer Anekdote, die Augustus betrifft,92 dass in Mailand ein Denkmal errichtet wor­ den war, zu Ehren des Caesarmörders, welches höchstwahrscheinlich wäh­rend seiner Statthalterschaft in der Cisalpina 46– 45 v. Chr. zu datieren ist. Ge­wiss hat sich Albucius auf ihn bezogen, wohl in einem Überschwang an repub­likani­scher93 und damit anti-augusteischer Gesinnung, was zur Ursache seines metus werden sollte, die letztlich dazu führte, dass er auf die Tätigkeit im fo­rum ver­zichtete. Und trotzdem scheint in der Schrift des Sueton die Per­ sön­ lichkeit des Brutus auf das Engste verschränkt zu sein mit jener des ande­ren Brutus, und zwar des Konsuls des ersten Jahres der Republik. Wenn in der Tat bei­den Per­sönlichkeiten der Begriff libertatis vindex zuerkannt werden kann (der Ältere gegen die 91  Der Begriff ‚Italia‘ würde, wie auch an anderer Stelle, auch von unserem Mittels­ mann als Transpadanien verstanden werden, Syme (o. Fn. 73) 491 Fn. 13 (S. 507); vgl. Kaster (o. Fn. 8) 324. 92  Plutarch. comp. Dion. et Brut. 5. 93  Bezüglich der Quellen zum „Republikanismus“ in augusteischer Zeit in der padani­schen Region: Gian­franco Tibiletti, Città appassionate nell’Italia settentriona­ le Augustea, Athenaeum, bes. Heft (1976) 13 [= Storie locali dell’Italia romana, Pavia 1978, 131]; Luraschi (o. Fn. 16) 391 Fn. 58 (mit weiterer Bibliographie).



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tyrannis der etruskischen Könige, der zweite gegen den Diktator Caesar94), so kann ein weiterer Begriff auctor, und zwar im Hin­blick auf die Geset­ ze, wohl nicht auf den Marcus Brutus, den jüngeren, bezo­ gen werden, sondern ausschließlich auf den Lucius, der im Jahre 509 v.  Chr. eine bemer­kenswerte Gesetzgebung ein­geleitet hatte.95 Die Periphrase, wie wir sie im Text vorfinden (und wie sie sich vielleicht in der Quelle des Sueton vor­fand), birgt eine gewaltige rhetorische Wirkung in sich, da sie in der Tat „a blend of com­mon phrases“ darstellt, und sich gleichzeitig mit einem starken Bild auf den Vorkämpfer von „laws und liberty“96 bezieht. Und auf diese Weise wird es zu einem mächtigen Hinweis „auf das Palla­dium der römischen Freiheit, auf die Provokation, und das heißt das Geschworenen­ gericht. Das Ver­halten des Piso wäre einem flagranten Rechtsbruch gleich­ gekommen, er hätte die Römer be­handelt, wie den peregrinen Provinzia­ len“, wie dies von Bleicken hervorgeho­ ben wurde. Selbstverständlich ist das ver­letzte „Geschwo­renengericht“ nicht jenes des Munizipiums, wie es Bleicken angenommen hatte,97 aber vielmehr jenes der Stadt, der römi­

94  Es ist interessant, bezüglich der Symbolkraft, dass gerade der Caesarmörder im Jahre 54 Münzen hatte prägen lassen, mit dem Bildnis seines Vorfahren auf der einen Seite und der libertas auf der anderen Seite, vgl. Michael H. Crawford, ­Roman Republican Coinage I (Repr. London / Cambridge 1983) 455 f. 95  Bezüglich der iunischen Gesetzgebung der Jahre 510–509 v.  Chr.: Giovanni Ro­tondi, Leges publicae populi Romani, Milano 1912, 189; Dieter Flach, Die Ge­ setze der frü­hen römischen Republik. Text und Kommentar, in Zusammenarbeit mit Stephan von der Lahr, Darmstadt 1994, 50 ff. (wo man auch verschiedene kritische An­sätze und weiterführende Literatur finden kann). 96  So Kaster (o. Fn. 8) 324. 97  Bleicken (o. Fn. 62) 188. Die Geschichtsschreibung zur libertas im politischverfas­ sungsmäßigen Sinne der Römer ist weitaus bedeutsamer; man vergleiche zumin­dest Guglielmo Nocera, Aspetti teorici della costituzione repubblicana romana, RISG n.  s. 15 / 2 (1940) 121 ff.; Chaim Wirszubski, Libertas. Il concetto politico di libertà a Roma tra Repubblica e Impero, Cambridge 1950, it. Übers. Bari 1957; Giuliano Crifò, Su alcuni aspetti della libertà in Roma, AG. 23 (1958) 3 ff.; Joseph Hellegouarc’h, Le vocabulaire latin des relations et des partis poli­ tiques sous la République, Paris 1963, 542 ff.; Francesco De Martino, Storia della costituzione romana III, Na­poli 19732, 138 ff.; Jochen Bleicken, Staatliche Ordnung und Freiheit in der Römischen Republik, Kall­ münz 1972, mit der Besprechung von Giuliano Crifò, Staatliche Ordnung und Freiheit, ZRG RA 92 (1975) 239 ff.; vgl. auch dens., Libertà e uguaglianza in Roma antica, Roma 1996; Carlo Venturini, ‚Libertas‘ e ‚dominatio‘ nell’epoca di Sallustio e nella pubblicistica dei ‚populares‘, in: Studi E. Graziani, Pisa 1973, 436 ff.; Claude Ni­colet, Il mestiere di cittadino nell’antica Roma, Paris 1976, it. Übers. Roma 1980, 404 ff., bes. 408; Juan Igle­sias-Redondo, En torno a la libertas, in: Estudios J. Iglesias III, Madrid 1988, 1441 ff.; Emmanuel Lyasse, La notion de libertas dans le discours politique romain, d’Auguste à Trajan, Ktema 28 (2003) 63 ff.; Cosimo Cascio­ne, Nota mi­ nima su ‚libertas‘ e ‚imperia legum‘: Tacito, Livio, Aristotele, L’era di Antigone 6 (2012) 47 ff.

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schen quaestiones, der einzigen Er­ben in jener Zeit des antiken Pro­zesses, Sinnbild der Freiheit. XIX. Eine in Kauf genommene Strafe und der philosophische Tod eines Red­ners In der Schrift Suetons wird auf das Risiko hingewiesen, das Albucius als Folge seines Hinweises auf Brutus vor dessen Statue eingegangen sei. Zum anderen wurde unser Redner natürlich mit keiner Strafe belegt. Wir müssen uns, wenn auch nur kurz, folgende Frage stellen: Welche Strafe hätte denn gegen Albucius verhängt werden können? Man könnte denken an die maie­ stas, im Sinne einer Belei­digung des Princeps, somit seiner verfassungsmäßi­ gen Stel­lung. Aber dies wäre in den Jahren 16–14 v. Chr. wohl eine verfrüh­ te for­melle Konsequenz gewesen. Die Terminologie poena erscheint auch in diesem Sinne durchaus technisch, aber zur gleichen Zeit ist ihr semantischer Wert natürlich ein beson­ders weitläufiger, und in den Quellen fehlen auch nicht Beispiele einer Verwendung des Begriffes jen­seits einer juristischen Spezifizie­rung und Präzi­sierung. Der Zusammenhang ist nicht gerade nütz­ lich: Der Hin­weis ist im Übri­gen außerordentlich kurz, und es gab, wie es scheint, auch keinerlei Konsequen­zen zu Lasten des Albucius, aber es geht nur um eine Ge­ fahr, der er ausgesetzt gewesen war. Man könnte daran denken, dass die Über­lieferung möglicher­weise das Unbehagen des Prokon­ suls gegen­über der unge­bührlichen Äußerung des Silus vermerken wollte: eine Verle­ genheit, vielleicht auch ein Unbehagen, das den Prokonsul zu einer mit Zwangs­maßnahmen ver­bundenen Reaktion hätte verleiten können (somit eine poena in diesem Sinne). Eine derartige Reaktion hätte mögli­ cherweise von den Liktoren selbst kommen können, die ja durch ihre Vor­ gehensweise den Ausruf des Redners hervorgeru­fen hatten (in diesem Falle glaube ich, hätten die Liktoren wohl mit einer ge­wissen Befriedigung die Reak­tion ausgeführt). Aber wie wir ja bereits in Be­tracht ziehen konnten, wurde un­ ser Redner nicht physisch angegriffen, aber er hatte Angst vor einem derartigen Übergriff, auch wenn dieser nur angedroht wor­den war (metus). Im Alter und, wie uns Sueton in Erinnerung ruft, von einer Krankheit (vi­tium vomicae) gezeichnet, zog sich Albucius in seine Heimatstadt zurück, gewiss nicht um Beziehungen, die er sicher aufrecht erhalten hatte, nach wie vor zu nutzen. Über diese Rückkehr ist nur ein einziges Bild überliefert, das uns die Persönlichkeit eines Philosophen vielmehr als jene eines Rhe­ tors zeigt, und dazu beiträgt, den Charakter des Albucius besser zu verste­ hen. Er ver­sammelte um sich das Volk von Novara − aus dem Wortlaut des Textes könnte man gera­dezu an eine förmliche Einberufung denken –, und more contio­nantis − auf die Weise eines Redners, dem es oblag, eine contio



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durchzuführen, eine informelle, vorbe­ reitende Volksversammlung, in wel­ cher das Volk noch nicht die Möglich­keit hatte, zur Abstimmung zu schrei­ ten −, beschrieb er die Gründe für seine Absicht, den Tod zu suchen,98 in­ dem er jede Nah­rungs­aufnahme verwei­gerte (iam autem senior ob vitium vomicae Novariam rediit, convocata­ que plebe, causis propter quas mori destinasset diu ac more contionantis redditis, abstinuit cibo). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die beiden für ihn traurigen prozessualen Ereignisse und die Verachtung sowie die Angst, die sie her­ vorge­ rufen hatten, dazu beigetragen haben (zusammen mit der Krankheit), seinen Ekel vor dem Leben zu bestimmen, sein taedium vitae. Die Wechselfälle seines Lebens sind Zeugnis von Merkwürdigkeiten sub spe­cie iuris, von dem Augenblick an, als er als junger Munizipalmagistrat mit Ge­walt seiner Jurisdiktion enthoben wurde, bis zum Zeitpunkt, als er als be­rühmter Rhetor und Gerichtsredner von großer Erfahrung seine Vertei­ digung in einem wirklich sonderbaren Strafprozess in Mailand ausüben musste. „Anoma­ lies and vari­ ants will not arouse disquiet, unless among some adepts of constit­utional law“. Diese sind die Worte eines großen His­ torikers, den wir mehr­mals im Ver­laufe unseres Vortrages erwähnt haben, Sir Ronald Syme,99 und zwar gerade im Hinblick auf jenen Fall, in wel­ chem unser Albu­cius betei­ligt war, und zwar die cognitio des Lucius Piso. Aber vielleicht füh­ren nicht die unter­schied­lichen Entwicklun­gen und Ano­ malien zur inneren Unruhe, aber zur Neugierde und zum Wunsch des Er­ 98  Bezüglich des Selbstmordes im antiken Rom, eine Auswahl aus einer umfassen­den Literatur, insbesondere was die philosophischen Gründe und die juris­ tischen As­pekte anbelangt: Karl August Geiger, Der Selbstmord im klassischen Al­ tertum. Histo­risch-kritische Abhandlung, Augsburg 1888; Albert Bayet, Le suicide et la morale, Paris 1922; André Vandenbossche, Recherches sur le suicide en droit romain, Annuaire de l’institut de philologie et d’histoire orientales et slaves 12 (1952) 471 ff. [= Mélan­ges H. Grégoire IV, Bruxelles 1952, 471 ff.]; Jean-Claude Genin, Réflexions sur l’originalité juridique de la répression du suicide en droit romain, in: Mélanges of­ferts au professeur L. Falletti, Paris 1971, 233 ff.; Andreas Wacke, Der Selbstmord im römi­schen Recht und in der Rechtsentwicklung, ZRG RA 97 (1980) 26 ff. [= in: Unius poena – Metus multo­ rum. Abhandlungen zum rö­ mischen Strafrecht, Napoli 2008, 63 ff.; eine verkürzte ita­lienische Fassung mit dem Titel: Il suicidio nel diritto romano e nella storia del diritto, befindet sich in: Studi in onore di C. Sanfilippo III, Milano 1983, 679 ff.]; Paul Veyne, Suicide, fisc, escla­ vage, capital et droit romain, Latomus 40 (1981) 217 ff. [= it. Übers. Suicidio, fisco, schiavitù, capitale e diritto romano, in: La società romana, Roma-Bari 1990, 71 ff.]; Yolande Grisé, Le suicide dans la Rome antique, Paris 1982; Mas­simo Brutti, Il potere, il suicidio, la virtù. Appunti sulla ‚Con­solatio ad Marciam‘ e sulla forma­ zione intellettuale di Seneca, in Seminari di storia e di diritto, Milano 1995, 65 ff.; Arrigo Diego Manfredini, Il suicidio. Studi di diritto romano, Torino 2008; Rosa Men­txaka, El suicidio de los militares en época de Adri­ano, Index 38 (2010) 113 ff. 99  Syme (o. Fn. 73) 332, in der Ausgabe von 1989.

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kennens. Es geht nicht darum, auf je­den Fall ein per­fektes, symmetrisches System zu konstruieren, mit einer glänzenden Dog­matik, son­dern vielmehr zu verstehen, wie die Or­ganisation der Gerichts­barkeit in der Realität im historischen Ablauf in der Praxis funkti­onierte.

D. 23,3,67 Proculus 7 epistulae: Ein angemessener Lehrstoff in Bezug auf die Übertragung des Eigentums im römischen Recht Von Wataru Miyasaka I. Einleitung Seit der Glossatorenzeit werden fünf Elemente als Voraussetzungen der usu­capio genannt, nämlich „res habilis, titulus (oder causa), fides, possessio, tem­pus“. Hinsichtlich dieser Voraussetzungen ist die Diskussion um das Verhält­nis zwi­schen titulus (oder causa) und fides endlos und dauert heute noch an. Be­ sonders im Zentrum der Diskussion stehen schon lange die folgenden unter­schiedlichen Ansichten unter den Autoren:1 (1) titulus (oder causa) ist der fi­des2 untergeordnet; (2) fides ist dem titulus (oder der causa)3 untergeordnet; (3) titulus (oder causa) und fides sind voneinander unabhän­ gige Vorausset­zun­gen.4 In den letzten Jah­ ren hat Pool5 eine Lösung in zweien seiner Auf­sätze und in mehre­ren Kongress­vorträgen vorgeschlagen, nämlich: „Pro-Titel sind zu deu­ten“ nicht als Er­werbs­grund, sondern „als zusammenfassende Besitz­quali­fikatio­nen, die Er­sit­zungs­besitz charakteri­ sieren“,6 also dass „für die Ersit­zung des klassi­schen römischen Rechts … 1  Eric Pool, Zur Bedeutung und Stellung der ‚causa‘ im System klassischer Er­sit­zungs­voraussetzungen, in: Roman Law as Formative of Modern Legal Systems (Ius Ro­ ma­ num et orbis iurisprudentiae universalis). Studies in honorem Wieslaw Litewski, vol. II, Krakau 2003, 37–60, 54; Horst Heinrich Jakobs, Error falsae cau­ sae, in: Fest­ schrift für Werner Flume zum 70. Geburtstag, Hrsg. Horst Hein­rich Jakobs u. a., Köln 1978, Bd. 1, 43–99, 43–47. 2  Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Berlin 1840 (Ndr. Aalen 1981), Bd. 3, 369–372. 3  Z. B.  Julius Christiaan van Oven, Iusta causa usucapiendi, TR 16 (1939) 434–456, 437. 4  Z. B. Pietro Bonfante, Corso di diritto romano, Vol. II, La proprietà, Parte II, Ndr. Milano 1968, 334. 5  Pool (o. Fn. 1) 59–60. Vgl. auch dens., „Die (iusta) causa, die der Besitzer nen­nen und dartun muss“: Erwerbsgrund (emptio) oder Besitztitel (pro emptore)?, in: Libellus ad Thomasium. Essays in Roman Law, Roman-Dutch Law and Legal History in Hon­our of Philip J. Thomas, Pretoria / South Africa 2010, 314–334. 6  Pool (o. Fn. 1) 41.

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nur drei voneinander unab­hän­gige Vor­ausset­zun­gen gelten“, nämlich quali­ fizierter Besitz (posses­sio pro), ersitzbare Sache (res habi­lis) und ein- oder zweijährige Fortdauer des Be­ sitzes (an­num vel bien­nium), und dass Er­ werbsgrund (causa), fehlerloser Besitz (sine vitio) und bona fides als von­ einander dogmatisch unabhängige Be­sitz­vorausset­zun­gen des qualifizier­ten Besitzes diesem untergeordnet sind. Damit hat die Lehre von den Voraus­ setzungen der usucapio eine neue Dimen­sion gewonnen, doch scheint es für Pool selbst noch eine offene Frage zu sein, wie man die usucapio pro suo und das Pu­tativtitelproblem erklären soll.7 Seit den Forschungen von Mayer-Maly8 zur usucapio aufgrund eines Puta­ tivti­ tels wird im Allgemeinen die Ansicht akzeptiert, dass es Meinungsgegen­sätze unter den klassischen Juristen in Bezug auf die Mög­ lichkeit der usucapio pro suo im Fall einer vermeintlich wirksamen Ehe gab.9 Man hat es in diesem Kontext bisher so verstanden, dass einerseits Proculus im Fragment D. 23,3,67 die usucapio pro suo aufgrund des Puta­ tivtitels im Fall der vermeintlich wirk­samen Ehe bejaht, während anderer­ seits Cassius im Fragment D. 41,9,1,4 die usucapio selbst verneint und Ulpianus diese Meinung unter­ stützt.10 Die einge­ hende Analyse des Frag­ ments D. 23,3,67 in diesem kur­zem Aufsatz wird aber klären, dass Proculus dort nicht nur auf die usucapio pro suo, sondern auch auf die usucapio pro dote zu sprechen kommt. Das wird ein schlüssiges Ver­ständ­nis von Frag­ ment D. 23,3,67 und Fragment D. 41,9,1,2–4 ermög­li­chen. Fer­ner gibt uns diese Interpretation einen Anhalt zur Erklä­rung der Be­deu­tung von possessio pro suo und usucapio pro suo im klassi­schen Recht. II. D. 23,3,67 Proculus 7 epistulae (a) Proculus Nepoti suo salutem.11 ancilla quae nupsit dotisque nomine pecuniam viro tradidit, sive sciat se ancillam esse sive ignoret, non poterit eam pecuniam 7  Pool

(o. Fn. 1) 37. Mayer-Maly, Das Putativtitelproblem bei der usucapio, Graz / Köln 1962. 9  Mayer-Maly (o. Fn. 8) 30. 10  Mayer-Maly (o. Fn. 8) 50–52. 11  In Bezug auf die Wendung Proculus Nepoti suo salutem geht die große Edi­ tion von Mommsen von Nepoti aus, und Sandro Schipani, Iustiniani Augusti Diges­ ta seu Pandectae, Milano 2005, der sich daran orientiert, übersetzt sie mit a Nepote il suo saluto. Johannes Emil Spruit, Robert Feenstra, Karel E.M. Bongenaar, Cor­ pus iuris ci­vilis: tekst en vertaling, v. 3. Digesten 11–24, Zutphen 1996, bezieht sich dagegen auf ne­poti und übersetzt: aan zijn kleinzoon. Und die englische Überset­ zung von Alan Wat­son, The Digest of Justinian, Philadelphia 1985 hat auch to his grandson. Zusätz­lich zu D. 23,3,67, lassen D. 50,16,125 Proc. 5 epist. (Nepos Proculo suo salu­tem … Pro­cu­lus … ) und D. 31,47 Proc. 6 epist. (Sempronius Proculus 8  Theo



D. 23,3,67: Ein Lehrstoff in Bezug auf die Übertragung des Eigentums255 viri fa­cere eaque nihilo minus mansit eius cuius fuerat antequam eo nomine viro trade­re­tur, nisi forte usucapta est. (b) nec postea quam apud eundem virum libera facta est, eius pe­cuniae causam mutare potuit. itaque nec facto quidem divortio aut dotis iure aut per condicti­onem repetere recte potest, sed is cuius pecunia est recte vindi­cat eam. (c) quod si vir eam pecuniam pro suo possidendo usucepit, scilicet quia existi­mavit mu­lierem libe­ram esse, propius est, ut existimem eum lucrife­cisse, uti­que si, antequam matrimo­nium esse inciperet, usucepit. (d) et in eadem opi­nione sum, si quid ex ea pe­cu­nia paravit, ante­quam ea dos fieret, ita, ut nec possi­deat eam nec do­lo fecerit, quo minus eam pos­side­ret.

Lenel12 stellt D. 23,3,67 bei Rekonstruktion des 7. Buches der Briefe zwi­ schen D. 12,6,53 und D. 46,3,84. Sowohl D. 12,6,53, als auch D. 46,3,84 be­handeln eine ähnliche Frage wie D. 23,3,67, ob nämlich ein Geldeigentümer das Geld, das sein Sklave dem Dritten gegeben hat, her­ ausverlangen kann. Bezüglich der Eigenart der Epistulae-Werke sagt Krampe, „dass die Epi­ stu­lae keine Briefsammlung, sondern ein Werk in Briefform sind, der Brief mit­hin nur die literarische Form der Darstellung ist“.13 Und er behauptet, dass die Fälle von D. 50,16,125 und D. 31,47 nicht praktische Probleme, sondern theo­retische Erörterungen seien und Proculus eine Methode eines „Leh­rer-Schüler-Dialogs“ auf die Erörterungen anwende.14 Es gibt aber ein Fragment, in dem eine solche Methode nicht zum Tragen kommt, nämlich D. 23,3,67. In Bezug auf die Dialogform besteht ein deut­ li­cher Unterschied zwischen D. 50,16,125 und D. 31,47. In D. 50,16,125 ent­sprechen die Frage des Nepos und die Antwort des Proculus vielleicht ihren tatsächlichen Aus­sagen, während in D. 31,47 Proculus eine Frage des Nepos zitiert und sie be­antwortet. Meiner Meinung nach ist D. 23,3,67 ein Fragment, das sowohl einen wirkli­chen Fall enthält als auch einen angemessenen Lehrstoff in Bezug auf die Über­ tragung des Eigentums im römischen Recht beinhaltet.15 Unter diesem Ge­sichts­punkt möchte ich das Fragment auslegen. Zu diesem Zweck teile ich das Frag­ment in vier Teile: Der erste Teil (a) reicht vom Anfang bis zu forte usu­capta est, der zweite (b) von nec postea quam bis zu recte Nepoti suo salu­tem … quae­ris … Proculus re­spondit …) vermuten, dass Proculus mit einem Mann na­mens Nepos in Brief­wechsel be­züglich des Rechtsstreites gestan­ den ist. Meiner Mei­nung nach ist die erste Ansicht daher über­zeugend. 12  Otto Lenel, Palingenesia iuris civilis, vol. II, Graz 1960, 164–165. 13  Christoph Krampe, Proculi Epistulae: Eine frühklassische Juristenschrift, Karls­ruhe 1970, 15–16. 14  Krampe (o. Fn. 13) 28–30. 15  Andreas Wacke, Die Zahlung mit fremdem Geld, BIDR 79 (1976) 49–144, 135–136.

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vindicat eam, der dritte (c) von quod si vir bis zu esse inciperet, usucepit und der vierte (d) von et in ea­dem bis zum Ende.16 1. Der erste Teil Eine Sklavin hat einen Freien geheiratet und ihm Geld als Mitgift über­ ge­ben. Die übergabe (traditio) des Geldes verschaffte dem Ehemann kein Eigen­tum; das Eigentum verblieb bei seinem bisherigen Eigentümer. Im römischen Recht gehört Geld zu den res nec mancipi. Um Eigen­tum an res nec mancipi durch traditio zu übertragen, bedarf es zweier Voraussetzun­gen, einerseits der Verfügungsberechtigung, andererseits eines rechtfertigen­ den Kausal­ geschäfts zur Eigentumsübertragung (iusta causa tra­di­tionis)17, nach den Institutionen von Gaius 2,19–20. Warum konnte in diesem Fall dem Ehemann kein Eigentum am Geld über­tra­gen werden? Es gibt drei Möglichkeiten: (1) Es fehlte der Sklavin an der Verfü­ gungsberechtigung über das Geld (es haben nämlich weder der Herr noch ein Dritter ihre Zustimmung erteilt noch gehörte das Geld zu ihrem pe­cu­lium). (2) Man sah die Mitgiftbestellung der Sklavin an den Ehe­ mann nicht als iusta causa traditionis an. (3) Es lag weder diese noch jene Vor­ausset­zung vor. Meiner Meinung nach ist es schwer vorstellbar, dass es der Sklavin an der Ver­fü­gungsberechtigung bezüglich des Geldes gefehlt hat. Wie Proculus an­deutet, erwarb der Ehemann mit der übergabe des Geldes die possessio und die Ersitzungsfrist begann. Wenn die Sklavin dem Ehemann das Geld ihres Herrn oder eines Dritten ohne Verfügungsberechtigung überge­ ben hätte, wäre das Geld als res furtiva behandelt worden, und er könnte es nicht ersit­zen.18 16  Wacke (o. Fn. 15) 134–135, teilt es in fünf Teile. Er teilt meinen zweiten Teil hin­ter „potuit“ ferner in zwei Teile auf. 17  Zur iusta causa traditionis in der klassischen Zeit, Max Kaser, Iusta causa tra­ditio­nis, BIDR 64 (1961) 61–97, 63–65. 18  Z. B. D. 41,3,4,8–9 Paul. 54 ad ed.; D. 47,2,57,3 Iul. 22 dig. Zum Verbot der usu­ca­pio gestohlener Sachen unter der lex Atinia: Giovanni Nicosia, Acquisto del pos­sesso „per procuratorem“ e „reversio in potestatem domini“ delle „res furti­vae“, IVRA 11 (1960) 189–201; Bernardo Albanese, Contributo alla storia dell’inter­preta­ zione della „lex Atinia“, Labeo 12 (1966) 18–65; J. A. C. Thomas, The theftuous pledgor and the Lex Atinia, in: Studi Scherillo, Bd. 1, Milano 1972, 395–404; Marina Frunzio Gian­coli, La „lex Atinia de rebus subreptis“: Un’ipotesi sulla datazio­ ne, LA­BEO 43 (1997) 259–271; Hans Ankum, L’application de la loi Atinia aux cas de furtum pignoris et de furtum fiduciae, in: Auctoritas. Mélanges offerts a Olivier Guillot, Paris 2006, 17–27; Petr Bělovský, Usucapio of stolen things and slave child­ ren, RIDA 49 (2002) 57–99; Torsten Göhlert, Der Erwerb unterschlagener bzw.



D. 23,3,67: Ein Lehrstoff in Bezug auf die Übertragung des Eigentums257

Wir sollten folglich vermuten, dass in diesem Fall das Eigentum am Geld dem Ehemann nicht übertragen wurde, weil es dieser traditio an einer iusta causa traditionis fehlte. Um die Mitgiftbestellung als iusta causa tradi­tionis anzu­ sehen, bedarf es einer wirksamen Ehe (iustum matrimonium) als Voraus­set­zung.19 Eine Heirat zwischen einer Sklavin und einem Freien be­ wirkt aber keine wirksame Ehe. Daher konnte das Eigentum am Geld nicht dem Ehe­mann über­tragen werden, sondern verblieb bei seinem bisherigen Eigen­tümer. Der Eigen­tümer konnte jederzeit die rei vindicatio gegen den Ehemann einlei­ten und die Rückgabe des Geldes verlangen.20 2. Der zweite Teil Danach wurde die Sklavin freigelassen. Zwischen der Freigelassenen und dem Freien begann eine wirksame Ehe. Trotzdem konnte sie auf die Rechts­ lage bezüg­lich des Geldes keinen Einfluss ausüben. Das Geld wurde nicht Mitgift für diese Ehe, und der Ehemann wurde auch nicht Eigentümer des Geldes, weil nach wie vor eine iusta causa traditionis fehlte. Denn während die Möglichkeit einer wirksamen Ehe als Voraussetzung der Mitgiftbestellung vor der traditio des Geldes bestehen muss, hatte die frei­gelas­sene Ehefrau dem Ehemann das Geld schon vor der Freilas­sung und der Entstehung der wirksamen Ehe übergeben. Daher hat die Ehefrau nach einer Ehescheidung keinen Anspruch auf Rück­ zahlung des Geldes, nämlich weder die actio rei uxoriae noch die condictio. 3. Der dritte Teil Die Rechtslage ändert sich hingegen, wenn der Ehemann das Geld ein Jahr be­sitzt und die usucapio pro suo vollendet hat. Proculus lässt hier die Ersit­zung aufgrund des so genannten Putativtitels zu, denn er verlangt le­ diglich, dass der Ehemann seine Ehefrau bei der Mitgiftbestellung für frei und die Mit­giftbestel­lung somit für wirksam gehalten hat. Und es ist für Proculus an­ge­messen (propius est, ut existimem)21, dass der Ehemann das gestohlener Sachen vom Nicht­ be­ rech­ tigten, Berlin 2007; Maria Virginia Sanna, L’usucapione del partus ancillae fur­tivae, SDHI 74 (2008) 397–438. 19  Kaser (o. Fn. 17) 84; Wacke (o. Fn. 15) 135. 20  Zur vindicatio nummorum, Max Kaser, Das Geld im römischen Sachenrecht, TR 29 (1961) 169–229, 173–183, Wacke (o. Fn. 15) 91–113. 21  Der Ausdruck „propius est, ut“ war ein bei den Früh- und Hochklassikern belieb­ter Aus­druck: D. 50,16,125 Proc. 5 epist.; D. 12,1,32 Cels. 5 dig.; D. 19,1,38,2 Cels. 8 dig.; D. 15,3,18 Nerat. 7 membr.; D. 19,1,31 pr. Nerat. 3 membr.; D. 24,1,44

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Geld für sich end­gül­tig behält (eum lucrifecisse)22, wenn er die usucapio pro suo vollendet hat, be­ vor die Ehe durch die Freilassung der Sklavin wirksam wird. Hervorzuheben ist der Sinn des Wortes lucrifacere in diesem Zusammen­ hang. Das Wort bedeutet im Allgemeinen „etwas gewinnen“ oder „mit etwas sich bereichern“. In zahlreichen mit furtum in Zusammenhang stehenden Frag­men­ten findet sich der Ausdruck lucri faciendi causa.23 Mit Beziehung auf die dos hat das Wort dagegen die Bedeutung, dass der Ehemann dann, wenn die Ehe im Regelfall mit dem Tod der Ehefrau endet, von einer Rück­ gabe der Mitgift be­freit ist.24 Im Fall von D. 23,3,67 ist eine solche Situa­ tion also aufgetre­ ten, wenn der Ehe­ mann die usucapio pro suo vor der Entste­hung der Ehe vollendet. Das hat eine dop­pelte Bedeutung. Der Ehe­ mann hat vom bisheri­gen Geld­eigen­tümer nichts mehr zu befürchten, denn dieser hat mit seinem Eigentum auch die rei vindicatio verloren. Aber auch die Ehefrau hat im Fall der Eheschei­dung keinen Anspruch auf Rück­zahlung des Geldes, weil der Ehe­mann das Eigentum am Geld bereits vor der wirk­ samen Ehe als Vorausset­zung einer Mitgiftbestellung erworben hat und das Geld nicht Mit­gift geworden ist.25 Kann aber der Ehemann das Geld für sich endgültig nur dann behalten, wenn er es ersessen hat, bevor die Ehe durch die Freilassung der Sklavin wirk­sam geworden ist, oder gibt es auch sonstige Möglichkeiten? Denn die Worte utique si sind doppelsinnig. In Bezug auf das Stichwort utique im Hand­lexi­kon von Heumann / Seckel sind die Fragmente, die die Worte utique si ent­hal­ten, als Beispiele der Nummer 1) mit der Bedeutung „schlechter­ Nerat. 5 membr.; D. 28,5,55 Nerat. 1 membr.; D. 30,124 Nerat. 5 membr.; D. 41,1,14,1 Nerat. 5 membr.; D. 17,1,36,2 Iav. 7 ex Cass.; D. 36,1,24 Iul. 39 dig.; D. 43,16,1,35 Ulp. 69 ad ed. („scribit Iulianus“); D. 34,2,21 pr. Pomp. 6 ad Sab.; D. 41,3,29 Pomp. 22 ad Sab.; D. 43,26,5 Pomp. 29 ad Sab.; D. 45,1,140 pr. Paul. 3 ad Ner. Gerhard von Bese­ler, Beiträge zur Kritik der römischen Rechtsquellen, ZRG RA 66 (1948) 265–393, 351, bietet uns schon eine umfassende Liste von Di­ gestenstellen mit dem Ausdruck „prope est, ut“ an, dieser war aber ein nicht nur bei den Hochklassikern wie Africanus (D. 16,1,19,4 4 quaest.; D. 46,3,38,3 7 quaest.), sondern auch bei den Spät­klassi­kern wie Marcellus (D. 40,5,9 15 dig.) oder Papini­ anus (D. 35,1,71,3 17 quaest.; D. 39,6,41 2 resp.; D. 45,1,118 pr. 27 quaest.; D. 46,3,95,11 28 quaest.) beliebter Aus­druck. 22  Wacke (o. Fn. 15) 139. 23  D. 41,1,5,1 Gai. 2 rer. cott.; D. 47,2,55,1 Gai. 13 ad ed. prov.; D. 47,2,1,3 Paul. 39 ad ed.; D. 47,7,8,2 Paul. 39 ad ed.; D. 41,3,4,10 Paul. 54 ad ed.; D. 47,2,66 Ulp. 1 ad ed. aedil. curul.; D. 47,2,43,4 Ulp. 41 ad Sab.; D. 19,5,14,2 Ulp. 41 ad Sab. 24  D. 24,3,10,1 Pomp. 15 ad Sab.; D. 11,7,29 pr. Gai. 19 ad ed. prov.; D. 35,2,6 Ve­nul. 13 stipul. 25  Wacke (o. Fn. 15) 139.



D. 23,3,67: Ein Lehrstoff in Bezug auf die Übertragung des Eigentums259

dings, al­ler­dings, jeden­falls“ zitiert, andere aber unter Nummer 2) verweisen auf „le­dig­lich, nur“. Die Ansichten der Autoren gehen darüber auseinander, wie wir die Worte utique si in unserem Text auffassen sollen. Sie werden von Mayer-Maly und Krampe als „nur wenn“ aufgefasst. Der Ehemann könne also das Geld für sich endgültig so lange behalten, bis die wirksame Ehe entstehe; die noch laufende usucapio pro suo werde freilich zum Zeitpunkt der Entstehung der wirksamen Ehe unterbrochen; danach komme nur eine usucapio pro dote in Frage; die usucapio pro dote beginne aber nicht, weil es an der Mitgiftbe­ stellung als iusta causa fehle; der Ehemann bleibe nach wie vor von der rei vindicatio des Geld­ eigentümers bedroht. Mit dieser An­ sicht ist es aber schwer zu erklären, warum Proculus die Variante behandelt hat, dass der Ehemann das Geld be­reits ausge­ben hat, bevor es zur Mitgift gehörte. Bei Mayer-Maly gilt deswe­ gen diese Stelle von antequam bis zum Ende als inter­poliert.26 Bauer27 hingegen scheint die Worte utique si als „jedenfalls wenn“ auf­ ge­fasst zu haben. Ihrer Meinung nach könne der Ehemann das Geld für sich end­gültig behalten, auch nachdem die wirksame Ehe entstehe; zum Zeit­ punkt der Ent­stehung der wirksamen Ehe breche seine laufende usucapio nicht ab; voll­ende der Ehemann erst nach diesem Zeitpunkt die Ersitzungs­ frist, so kom­me die usu­capio pro dote zustande, und das Geld werde Mit­ gift; der Ehemann sei da­nach nicht mehr der rei vindicatio des Geldeigen­ tümers ausgesetzt. Sei es aber, dass man die Worte utique si als „nur wenn“ verstünde, sei es, dass man sie als „jedenfalls wenn“ verstünde, man muss nachweisen, ob es in den Quellen ein solches Beispiel gibt oder nicht. Insofern fehlt es beiden An­sichten an solch einer Bestätigung, sie sind nicht plausibel. In den Digesten gibt es 45 Fragmente, die die Worte utique si enthal­ ten.28 Wäh­rend wir fast in allen Fragmenten die Worte utique si als „je­ denfalls wenn“ auffassen können, kann man sie in wenigen Fragmenten mit „nur wenn“ wieder­geben. Ein Beispiel für die Möglichkeit, die Worte utique si mit „nur wenn“ zu übersetzen, ist D. 5,3,25,2 Ulp. 15 ad ed., wie sich mittels der neuen überset­ zung von Be­ hrends / Knütel / Kupisch /  Seiler belegen lässt.29 In der alten Di­ ges­ tenübersetzung von Otto / Schil­ 26  Mayer-Maly

(o. Fn. 8) 50–51; Krampe (o. Fn. 13) 73. Bauer, Ersitzung und Bereicherung im klassischen römischen Recht und die Ersitzung im BGB, Berlin 1988, 149–150. 28  Vgl. die Tabelle am Ende dieses Beitrags. 29  Okko Behrends / Rolf Knütel / Berthold Kupisch / Hans Herman Seiler, Corpus Iuris Civilis, Bd. II, Heidelberg 1995, 529 f. 27  Karen

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ling / Sintenis30 stellt die Stelle kein ein­deu­ti­ges Beispiel dafür dar. Daher ver­dient diese Stelle nähere Be­trachtung. D. 5,3,25,2 Ulp. 15 ad ed. Quod ait senatus: „eos qui bona invasissent, quae scirent ad se non pertinere, etiam si ante litem con­ testatam fecerint quo minus possi­ derent, perinde condemnan­ dos qua­ si possiderent“, ita intelle­ gen­ dum est, ut et dolus praeteritus in petitionem hereditatis deduce­re­tur: sed et culpa. et ideo ab eo qui ab alio non exegit vel a semet ip­so, si tempore esset liberatus, peti he­ re­ ditatem posse: hoc utique si ex­ige­ re potuit.

Wenn der Senat sagt: „Es sollen diejeni­gen, die sich in den Besitz eines Nachlas­ses ge­ setzt haben, obwohl sie wussten, dass er ihnen nicht zukomme, auch wenn sie vor ­ Pro­ zessbegründung vorsätzlich den Besitz auf­ gegeben haben, doch verurteilt werden, als ob sie besäßen“, dann ist dies so zu ver­ stehen, dass auch eine schon der ver­gan­genen Zeit angehörige Arglist bei der Erb­ schaftsklage berücksichtigt wird; aber auch Fahrlässigkeit. Und daher kann auch gegen denjenigen, der von einem anderen oder von sich selbst eine Forde­rung nicht ein­ge­zo­gen hat, die Erbschafts­ klage erho­ ben wer­ den, wenn durch Zeit­ablauf Be­freiung ein­getreten ist; dies je­doch nur, wenn er die Forderung einzie­hen konnte.

D. 5,3,25,2 behandelt die hereditatis petitio. Die hereditatis petitio richtet sich im alten Recht nur gegen denjenigen, der alle oder einzelne Erbschafts­ gegenstände besitzt. In der Hochklassik aber vollzieht sich eine entschei­ dende Lockerung des Besitzerfordernisses. Vor allem nach dem senatus consultum Iuventi­anum (129 n. Chr.) kann die Erbschaftsklage auch gegen denjenigen, so als ob er noch besäße, erhoben werden, der vor der litis contestatio in Kennt­ nis, dass die Erbschaft ihm nicht zusteht, die Erb­ schaftsgegenstände be­ses­sen und deren Besitz arglistig aufgegeben hat. Im Fragment D. 5,3,25,2 hat Ulpianus die Formel des senatus consultum Iu­ventianum so verstanden, dass die hereditatis petitio gegen denjenigen Erb­schaftsbesitzer zusteht, der, arglistig oder fahrlässig, eine Forderung von einem Erb­schafts­schuldner oder von sich selbst31 nicht eingezogen hat und dann durch Zeitablauf ihn oder sich von der Forderung befreit wer­ den32 ließ. Ulpianus hat also versucht, den Anwendungsbereich des senatus consultum Iu­ventianum zu erweitern. 30  Carl Eduard Otto / Bruno Schilling / Carl Friedrich Ferdinand Sintenis, Das Cor­pus iuris civilis, Leipzig 1831–1839 (Reprint. Aalen 1984–1985). 31  Z.  B. ein Schuldner, der zum Geschäftsführer für seinen Gläubiger wird (D. 3,5,37 Tryph. 2 disp.; D. 3,5,5,14 Ulp. 10 ad ed.), oder ein Fidejussionsbürge, der zum Vor­mund für den Sohn des Gläubigers wird (in: D. 46,1,69 Tryph. 9 disp.). 32  Wenn die Frist abläuft, die in beiderseitiger Einigung oder gesetzlich festge­ legt ist, ist der Schuldner von seiner Pflicht befreit (D. 46,8,25,1 Afr. 6 quaest.; D. 46,1,37 Paul. 17 ad Plaut.; D. 3,5,7 pr. Ulp. 10 ad ed.; D. 17,1,29,6 Ulp. 7 disp.).



D. 23,3,67: Ein Lehrstoff in Bezug auf die Übertragung des Eigentums261

Nach dem Fragment D. 5,3,25,3 Ulp. 15 ad ed. war die Formel ur­sprüng­ lich gegen praedo­nes, das heißt Räuber, als Beklagte der auf­ grund des Senats­ be­ schlus­ ses er­ teilten Erbschaftsklage gerichtet. Nach Ulpianus sind Räuber diejeni­ gen, die den Nachlass eigenmächtig in Besitz genommen haben, ob­wohl sie keinen Rechtsgrund zum Besitz hatten. Ein praedo aber, wie Ulpia­ nus auch im Frag­ ment D. 5,3,31,4 Ulp. 15 ad ed. sagt, kann eigent­ lich vom Erbschafts­ schuld­ ner keine Forderung eingezo­ gen haben, weil er keine actio hat. Derglei­chen Erbschaftsbesitzer sollten also von dem erweiterten Anwendungs­bereich des senatus consultum Iu­ventianum ausge­ nommen wer­den. Folglich hat Ulpianus im Fragment D. 5,3,25,2 die Haf­ tung des Erbschafts­ besitzers für seine Unterlassung der Ein­ ziehung einer Forde­rung auf den Fall beschränkt, dass er die Forde­rung überhaupt einzie­ hen konnte.33 In gleicher Weise äußerte er im Frag­ ment D. 5,3,25,4 die Meinung, dass die Erbschafts­klage gegen den Erb­schafts­besitzer nur dann erhoben werden kann, wenn er die Früchte zwar ein­ ziehen konn­ te, aber nicht eingezogen hat.34 Würde man die Worte utique si hier als „jedenfalls wenn“ auffassen, so könnte der Erbschaftsbesitzer verantwortlich sein, auch wenn er keine Forde­ rung einziehen kann. Dies widerspricht der Ausle­ gung des senatus consultum Iu­ventianum durch Ulpianus. Daher können die Worte utique si im Frag­ ment D. 5,3,25,2 im Sinne von „nur wenn“ ver­ standen werden. Außer­dem finden sich in Basi­li­ken­scholien die Worte mÒnon e„, die „nur wenn“ bedeu­ten.35 Ist die usucapio also vor der Entstehung der Ehe nicht vollendet, kann dann der Ehemann das Geld für sich endgültig behalten (was bedeutet, dass 33  Nach dem Fragment D. 3,5,5,14 Ulp. 10 ad ed. muss ein Schuldner, der eine Forde­rung von sich selbst hätte einziehen sollen, dies aber unterlassen hat, aller­dings haften und gibt es keine Beschränkung auf den Fall, dass er die Forderung über­ haupt einzie­hen konnte. 34  Warum soll der Erbschaftsbesitzer, obwohl er nicht der Gläubi­ ger ist, dafür verant­wort­lich sein, dass er die Einziehung einer Forderung unterlassen hat? In ei­ nem ähn­li­chen Fall kann ein Geschäftsführer dafür verantwortlich sein, wenn er von einem Schuld­ner eine Forderung nicht einzieht und der Schuldner durch Zeitablauf befreit wird, es sei denn, dass er die Forderung nicht einziehen kann. Nach dem Fragment D. 3,5,7 pr. Ulp. 10 ad ed. muss z. B. ein Geschäftsfüh­rer dafür Gewähr leisten, dass sein Ge­schäftsherr nachträglich zu­stimmt, dass der Geschäftsführer eine Forderung einzieht. Ist es aber schwierig für ihn, die Gewähr zu leisten, so ist er nicht verantwort­lich, weil er die For­derung nicht einziehen kann. Es könnte noch geklärt werden, worin der Zu­ sam­ men­ hang zwischen dem Erb­ schaftsbesitzer und dem Geschäftsführer in Bezug auf die Verantwortung für seine Unterlassung einer Forderungseinziehung zu klären, besteht. 35  Herman Jan Scheltema / Nicolaas van der Wal, Basilicorum libri LX, vol. B V, Gro­nin­gen 1961, 2056 Zeile 4.

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er von der Her­ ausgabeverpflichtung des als Mitgift übergebenen Geldes befreit ist) oder nicht? Nach der Meinung von Mayer-Maly und Krampe behält der Ehemann das Geld nicht endgültig für sich, wenn die usucapio bis zu der Eheschließung nicht vollendet ist. Wie Bauer bestätigt, behält der Ehemann das Geld selbst dann nicht end­ gül­tig für sich, wenn wir annehmen, dass die usucapio pro dote nach der Ent­ste­hung der Ehe beginnt, weil er, bis zum Ablauf der usucapio pro dote, der rei vindicatio des Geldeigentümers ausgesetzt ist, aber auch nach der Vollen­dung der usucapio pro dote der Herausforderung von Seiten der Ehe­ frau zur Zeit der Ehescheidung unterliegt.36 Daraus geht hervor, dass er das Geld für sich end­gül­tig nur dann behält, wenn die usucapio pro suo vor der Entstehung der Ehe ab­gelaufen ist. Folglich haben die Worte utique si hier „nur wenn“ zu be­deuten. Die Frage, ob der Ehemann noch nach der Eheschließung ersitzen kann, ist al­lerdings immer noch eine Überlegung wert. Mayer-Maly und Krampe behaupten, in Fragment D. 23,3,67 könne das Eigen­tum am Geld wegen des Mangels der Mitgiftbestellung nicht durch tra­ditio übertragen werden, somit auch die usucapio pro dote nicht abgelau­ fen sein.37 Die Autoren scheinen anzunehmen, dass in Bezug auf die Eigentums­übertragung durch traditio die Mitgiftbestellung als iusta causa (streng ge­nom­men: mögliches matrimonium als Voraussetzung der wirksa­ men Mitgift­bestel­lung) dem Besitzerwerb vorangehen muss, weswegen auch in Bezug auf den Eigen­ tumserwerb durch usucapio die Mitgiftbestellung dem Besitz­erwerb vor­angehen muss. Diese Ansicht ist aber zweifelhaft in Beziehung auf die Vor­aussetzung, dass das Gleiche, was für die iusta causa traditionis gilt, für den pro-Titel der usucapio gilt.38 Dagegen stimmt Bauer zwar in Bezug auf die Eigentumsübertragung durch traditio mit der gegenteiligen Ansicht überein, in Bezug auf den Eigen­tums­erwerb durch usucapio aber nicht. Nach ihrer Meinung kann man zum Eigen­tümer mit der usucapio pro dote werden, auch wenn die wirk­ same Ehe zum Zeitpunkt des Besitzerwerbs noch nicht entstanden ist, aber später zustande­ kommt. Bauer berücksichtigt die Worte ante­ quam ea dos fieret, d. h. „als es (das Geld) noch nicht Mitgift geworden ist“, und begrün­ 36  Bauer

(o. Fn. 27) 149–150. (o. Fn. 8) 50–51; Krampe (o. Fn. 13) 73. 38  Z. B. Jörs / Kunkel / Wenger, Römisches Recht, Berlin 19783, 127, Fn. 9. Vgl. auch Kaser (o. Fn. 17) 81–86, der diesen Punkt zwar vorsichtig in Erwägung zieht, schließ­lich aber bejaht. Dagegen übt Pool (o. Fn. 1) an dieser Voraussetzung Kritik. 37  Mayer-Maly



D. 23,3,67: Ein Lehrstoff in Bezug auf die Übertragung des Eigentums263

det die Auffas­sung damit, dass das Geld Mitgift wird, wenn der Ehemann die Ersitzung erst nach der Eheschließung vollendet.39 Um ferner die Behauptung, dass der Ehemann im Fall von D. 23,3,67 die Er­sitzung noch nach Entstehung der Ehe vollenden kann, auf einen anderen Be­weis zu stüt­zen, betrachten wir die Fragmente D. 41,9,1,2–4, in denen die usucapio pro suo und pro dote des als Mitgift gegebenen Geldes behan­ delt werden. D. 41,9,1,2–4 Ulp. 31 ad Sab. (2) Et primum de tempore videa­ mus, quando pro dote quis usuca­ pere possit, utrum post tempora nuptiarum an vero et ante nuptias. est quaestio volgata, an sponsus possit (hoc est qui nondum mari­tus est) rem pro dote usucapere. et Iuli­ anus inquit, si sponsa sponso ea mente tradiderit res, ut non an­te ei­ us fieri vellet, quam nup­tiae secutae sint, usu quoque capio ces­ sabit: si tamen non evidenter id actum fuerit, credendum esse id agi Iulianus ait, ut statim res eius fiant et, si alienae sint, usucapi pos­sint: quae sententia mihi pro­ba­bilis videtur. ante nuptias autem non pro dote usucapit, sed pro suo. (3)  Constante autem matrimonio pro dote usucapio inter eos locum habet, inter quos est matrimo­nium: ceterum si cesset matrimo­ nium, Cassius ait cessare usucapi­ onem, quia et dos nulla sit. (4) Idem scribit et si putavit ma­ ritus esse sibi matrimonium, cum non esset, usucapere eum non pos­ se, quia nulla dos sit: quae sen­ten­tia habet rationem.

(2) Zuerst wollen wir die Zeit betrachten, wann jemand etwas als Mitgift ersitzen kann, ob er es nach der Eheschließung oder schon vorher kann. Es ist eine bekannte Frage, ob der Verlobte, d. h. der noch nicht Ver­heiratete, etwas als Mitgift ersitzen kön­ ne? Und Iulianus sagt: Wenn eine Ver­lobte ihrem Verlobten Sa­chen in der Ab­sicht über­ geben habe, dass sie wol­le, die Sachen sol­ len nicht in sein Eigentum über­ge­hen, bevor die Hochzeit erfolgt ist, dass dann auch die Ersitzung aufhören werde; wenn dies jedoch nicht offenbar so war, so, sagt Iulianus, müsse man anneh­men, es sei Absicht, dass die Sa­chen sofort in sein Eigentum überge­ hen sollen, und wenn es fremde seien, so kön­nen sie erses­sen wer­den; diese Meinung scheint mir bil­ li­ gens­ wert. Vor der Entste­ hung der wirk­ samen Ehe ersitzt er jedoch nicht als Mit­gift, son­dern für sich. (3) Während des Bestehens der Ehe findet aber die Ersitzung als Mitgift zwischen de­ nen statt, die verheiratet sind. Wenn es aber an einer Ehe fehlt, so, sagt Cassius, fällt auch die Ersitzung weg, weil es dann auch an einer Mitgift fehlt. (4) Derselbe schreibt, dass, wenn auch ein Ehemann im Glauben war, er lebe in einer Ehe, während dies nicht der Fall war, er nicht ersitzen könne, weil es an einer Mit­ gift fehlt; diese Meinung ist vernünftig.

In gleicher Weise wie in D. 23,3,67 ist es auch in D. 41,9,1,2–4 der Fall, dass vor der Entstehung der wirksamen Ehe eine Frau einem Mann Sachen als Mit­gift über­geben hat.40 Der Unterschied liegt darin, dass im Fall von 39  Bauer

(o. Fn. 27) 149–150. (o. Fn. 8) 52.

40  Mayer-Maly

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D. 41,9,1,2–3 eine Mitgiftbestellung schon vom Zeitpunkt der traditio der Sachen an möglich ist und diese dem Verlobten sofort gehö­ren, es sei denn, dass die Verlobte die Eigen­tums­übertragung der Sachen bis zur Entstehung der Ehe verschiebt, wäh­rend im Fall von D. 23,3,67 erst zum Zeitpunkt der Entstehung der wirksamen Ehe auch die Mitgiftbestellung erfolgt und das Eigentum an den Sachen mit der traditio nicht übertragen wird, weil die wirk­same Ehe als Voraussetzung der Mit­giftbestellung der traditio des Gel­ des vorangehen muss. Im Fragment D. 41,9,1,4 verneinte Cassius zwar die usucapio, und Ulpi­ anus unterstützte dessen Meinung.41 Es erscheint aber selt­ sam, dass die Begründung des Cassius darauf abzielt, dass „es an einer Mitgift fehlt“. Auf gleiche Weise begründet Cassius seine Meinung im Fragment D. 41,9,1,3: Dort bejaht er, dass die usucapio pro dote zwischen denen stattfin­det, die miteinander in der Ehe leben, und dort bekräftigt er, dass die usucapio pro dote wegfällt, wenn es an einer Ehe fehlt. Das entspricht auch der am En­de des Fragments D. 41,9,1,2 von Ulpianus stammenden Präzisierung, dass vor der Entstehung der wirksamen Ehe der Ehemann nicht pro dote, sondern pro suo ersitzt. Erfasst man daher die Auffassungen von Cassius und Ulpianus zur usu­ capio pro suo und pro dote in den Fragmenten D. 41,9,1,2–4 in ihrem Gesamt­zu­sam­menhang, ist es klar, dass vor der Entstehung der wirksamen Ehe die usu­capio pro suo in Betracht zu ziehen ist, wäh­rend nach der wirk­ samen Ehe­schlie­ßung die usucapio pro dote stattfindet, auch wenn die wirksame Ehe als Vorausset­zung der Mitgiftbestellung nicht der traditio des Geldes voran­gegan­gen ist. Und man kann vermuten, dass in Be­zug auf die gültige usucapio pro suo von auf­grund eines Putativtitels als Mit­gift über­ ge­ benen Sachen jeden­ falls kein Mei­ nungsgegensatz zwischen Pro­ culus, Cassius und Ulpianus zu fin­den ist.42 Beim Fall D. 23,3,67 kann der Ehemann folglich nach der Ent­ste­hung der wirksa­men Ehe pro dote ersitzen, weshalb in diesem Punkt die An­sicht von Bauer angemessen erscheint.43

41  Mayer-Maly

(o. Fn. 8) 52–53. der Frage, ob die usucapio pro suo im Allgemeinen nur für den Fall des Putativtitels anerkannt wurde, worauf ich später eingehen will, kann man sagen, dass Ulpianus als ein spätklassischer Jurist, z. B. im Fall D. 41,9,1,2–3, ein anderes Ver­ständ­nis als frühere Juristen hatte. 43  Da Proculus, wie schon gesehen, sagte, dass der Ehemann vor der Entstehung der wirksamen Ehe pro suo ersitzen kann, ging er, im Unterschied zur Behauptung Ka­sers (o. Fn. 17) 91, davon aus, dass die dotis datio eine gültige Ehe jedenfalls voraussetzt. 42  Bezüglich



D. 23,3,67: Ein Lehrstoff in Bezug auf die Übertragung des Eigentums265

4. Der vierte Teil Proculus sagte, er sei derselben Meinung, wenn der Ehemann mit dem Geld etwas gekauft hat, als es noch nicht Mitgift geworden war (antequam ea dos fieret). Was bedeutet „derselben Meinung“? Nach der Auffassung von einigen bis­heri­gen Autoren44 hat Proculus hier auch gemeint, dass der Ehemann das Geld endgültig für sich behält (eum lucrifacere). Das ist aber wieder zu prüfen, weil un­sere Untersuchung ergeben hat, dass der Ehemann nach der Entste­hung der wirksamen Ehe pro dote ersitzen kann. Zuerst konzentrieren wir uns auf die Auslegung der Worte antequam ea dos fieret. Man kann die Worte antequam ea dos fieret in dem Sinn ausle­ gen: „be­vor der Ehe­mann die usucapio pro dote des Geldes vollendet und es damit als Mitgift er­wirbt“. Erstens gibt es keine Möglichkeit, das Eigen­ tum am Geld durch traditio zu übertragen und das Geld Mitgift werden zu lassen, weil eine Mit­giftbestellung als iusta causa traditionis, bei der die wirksame Ehe ja deren Voraussetzung bildet, einer traditio des Geldes hät­ te vorangehen müssen. Zwei­tens behält es der Ehemann nach Vollendung der usucapio pro dote nicht end­gül­tig für sich, weil er, wie schon gesehen, dabei der Rückforderung der Ehe­frau nach einer Ehescheidung ausgesetzt ist, selbst wenn er etwas für das Geld bekommen hat.45 Man kann folglich diesen Teil als doppeldeutig ansehen. Erstens: Das Geld ist als Kaufpreis gezahlt worden, bevor die usucapio pro suo vor der 44  Krampe

(o. Fn. 13) 73; Bauer (o. Fn. 27) 150. (o. Fn. 27) 150–151 sagt das auch so, aber ihre Erklärung ist ungenü­ gend. D. 23,3,54 Gai. ad ed. praet. urb. tit. de praediat. hat uns die Regel vom Surrogat kurz zusammengefasst. Die Glosse macht einen Unterschied zwischen dem Fall, dass der Ehemann das Geschäft nach dem Willen der Ehefrau tätigt, und dem Fall, dass er es gegen ihren Willen macht, und sagt, dass im ersten Fall die gekauf­ te Sache Mitgift wird, aber im letzten Fall nicht. Der Unterschied ist aber nicht überzeugend. Eine der von der Glosse zitierten Quellen für den ersten Fall, D. 23,3,32 Pomp. 16 ad Sab., geht vom Fall aus, dass die als Preis gezahlten Mün­ zen zur Mitgift gehören. Und in einer anderen Quelle, D. 23,3,26 Mod. 1 reg., wird nur eine Regel erklärt, wonach es wäh­rend der Ehe möglich ist, den Mitgiftgegen­ stand gegen einen anderen, ob Geld gegen Sache, ob Sa­che gegen Geld, zu tau­ schen, soweit es der Ehefrau nützlich ist. Mit Rück­sicht auf das Fragment D. 23,3,25 Paul. 7 ad Sab. dürfte sich das aber darauf beziehen, dass ein Mit­giftbesteller selber den Mitgift­ gegen­ stand gegen einen anderen tauschen will. Ferner verkündeten in einer der von der Glosse zitier­ten Quellen für den letzteren Fall, C. 5,12,12, zwar die Kaiser Diocletianus und Maximianus, dass ein vom Ehe­mann mit Mitgiftgeld ge­kauftes Grundstück nicht der Ehe­frau gehört. Die Kaiser ord­ne­ten aber an, dass der Provinzialstatthalter vom Ehemann höchstens eine der Mitgift entsprechende Geld­summe an die Ehefrau zurückerstatten lasse. 45  Bauer

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Ent­ste­hung der Ehe abgelaufen ist. Zweitens: Weder ist die usucapio pro suo vor der Ehe­schließung abgelaufen noch die usucapio pro dote, und das Geld ist aus­gegeben worden, bevor es Mitgift geworden ist. Mit anderen Worten: es ist also jeweils der Fall, dass man fremdes Geld als Kaufpreis gezahlt hat.46 Hat der Käufer im Allgemeinen fremdes Geld als Kaufpreis gezahlt, so kann der Geldeigentümer es mit der rei vindicatio vom Käufer, der also die posses­sio des Geldes verloren hat, nur dann herausverlangen, wenn dieser arg­listig gehan­delt hat.47 Ansonsten scheint der Käufer dabei endgültig befreit, und einige Juristen dürften einer solchen Ansicht gewesen sein. Meines Erachtens vertritt aber Proculus hier eine andere Auffassung. Der Geldeigentümer kann das Geld aber mit der rei vindicatio vom Ver­ käu­fer her­ausverlangen, bis es sich beim Verkäufer mit dessen Geld ver­ mischt. Bei einer sol­ chen Eviktion kann der Verkäufer seinerseits den Käufer zur Eviktions­ haf­ tung heranziehen, und somit behält der Käufer nichts endgültig für sich. Ver­mischt sich das bezahlte Geld beim Verkäufer mit dessen Geld, so kann es der Geld­eigentümer zwar nicht mit rei vindicatio herausver­langen. Er kann jedoch eine dem Kaufpreis entsprechende Summe mittels actio furti oder condictio vom Käufer zurückfordern, so dass der Käufer nichts endgül­tig für sich be­hält.48 Nach den vorstehenden Erwägungen bedeutet die „Meinung“ offen­ sichtlich, dass der Ehemann das Geld nur dann endgültig für sich behält, wenn er die usucapio pro suo vor der Entstehung der Ehe vollendet (eum lucrifecisse, utique si, antequam matrimonium esse inciperet, usucepit).49 In diesem Teil han­delt es sich ja auch um die condictio, die daher folge­ richtig ein gemeinsa­mes Thema bei Proculus 7 epistulae ist.

46  Wacke

(o. Fn. 15) 140–142. (o. Fn. 15) 140. 48  D. 46,3,78 Jav. 11 ex Cass. Zur Vermischung des Geldes, Johannes Georg Fuchs, Iusta causa traditionis in der romanistischen Wissenschaft, Basel 1952, 186–218; Kaser (o. Fn. 20) 183–216; Wacke (o. Fn. 15) 113–124. Die Rechtskonst­ ruktion, dass der Geld­eigentümer eigenes Geld mit der rei vindicatio herausverlan­ gen kann, solange das Geld vorhanden ist (ex­stare), er es da­ gegen nur mit der condictio rückfordern kann, wenn es verbraucht wur­de (con­sumere), ist in den Di­ gesten häufig zu finden. Nach Meinung von Fuchs heißt consu­mere, dass das Geld des Eigentümers sich beim Emp­fän­ger mit seinem Geld un­trenn­bar vermischt. Kaser hat sich gegen die Ansicht von Fuchs ausgesprochen und erklärt consumere da­mit, dass der Empfän­ger das Geld ausgibt. Wacke hat die Mei­nung von Fuchs un­ter­stützt und sich gegen Kaser ausge­sprochen. 49  Krampe (o. Fn. 13) 73 und Bauer (o. Fn. 27) 150 sind dagegen der Ansicht, dass auch in diesem Fall der Ehemann das Geld endgültig für sich behält. 47  Wacke



D. 23,3,67: Ein Lehrstoff in Bezug auf die Übertragung des Eigentums267

5. Nur ein Lehrstoff, oder? Ist D. 23,3,67 nur ein Lehrstoff nach der Methode eines „Lehrer-Schü­lerDia­logs“, wie es Krampe bezeichnet, oder auch ein Fragment, das darüber hinaus einen wirklichen Fall enthält? Krampe hat erklärt, dass in mehreren Stellen der epistulae die distinctio der Sachverhaltsgliederung dient und un­ sere Stelle sich in einen Grundfall und in eine Variante dieses Grundfalls glie­dert.50 Für den Grundfall wird die Grenzlinie, ob der Ehemann das Geld pro suo ersitzen kann oder nicht, zwischen dem zweiten Teil und dem drit­ ten Teil gezogen. Der Un­terschied ist aber nicht so groß, wie Krampe es sagt, weil der Ehemann das Geld nur dann endgültig für sich behält, wenn er die usucapio pro suo vor der Ent­ stehung der Ehe vollendet. Es wäre passend, den Unter­ schied größer zu ma­ chen, wenn unsere Stelle nur ein Lehrstoff wäre. Daraus ist zu schließen, dass D. 23,3,67 sowohl ein wirkli­ cher Fall als auch ein an­gemessener Lehrstoff in Bezug auf die Übertragung des Eigentums im römi­schen Recht ist. III. Die Bedeutung von possessio pro suo im klassischen Recht Was bedeutet possessio pro suo für die Klassiker? Pool hat sich schon viele Jahre lang mit dieser Frage beschäftigt. Ich stimme seiner An­ sicht grundsätz­lich zu, besonders im folgenden Punkt: „Pro-Titel sind zu deuten als zusam­menfas­sende Besitzqualifikationen, die Ersitzungsbesitz charakteri­ sieren.“51 Er hat dort aber die regelmäßige Ersitzung angesprochen und damit das Puta­ tivtitel­ problem ausgeklammert, also möchte ich hier kurz darauf ein­gehen.52 Meiner Mei­nung nach unterscheidet sich die Antwort der Früh­klassiker auf diese Frage von jener der Spätklassiker. 1. Die frühklassische Zeit Nach der Auffassung der Frühklassiker besitzen (possidere) pro suo diejeni­gen, die den Glauben daran haben (existimare), dass sie Besitz auf­ grund eines echten Umstandes (vera causa) erwerben, der Besitzerlangung mittels traditio usw. rechtfertigt, und sie ersitzen (usucapere) pro suo, es sei denn, es gibt einen Ausschließungsgrund der usucapio, z. B. res furtiva. Es ergibt sich aus dem Fragment D. 23,3,67, dass Proculus dieser Ansicht war. C. Cassius Longinus, der Konsul im Jahre 30 n. Chr. war und sich zur 50  Krampe

(o. Fn. 13) 62. (o. Fn. 1) 41. 52  Pool (o. Fn. 1) 37. 51  Pool

268

Wataru Miyasaka

etwa gleichen Zeit wie Proculus auch als Jurist betätigt hat,53 verneinte zwar, wie wir schon bei Frag­ment D. 41,9,1,3–4 sahen, die usucapio pro dote, nicht aber die usucapio pro suo. Neratius Priscus, der zur Rechtsschule der Proculianer gehört, sagte im Frag­ment D. 41,10,5 pr-1 Nerat. 5 membr., dass einer possessio pro suo nichts ent­gegen stehe, falls ein solcher Glaube auf billigenswertem Irrtum (probabilis er­ror) beruhen sollte.54 Es hat sich ergeben, dass zur frühklassischen Zeit dieje­ nigen pro suo besit­zen und ersitzen, die den Glauben daran in einzelnen und wirklichen Fällen haben, d. h. wenn sie in billigenswertem Irrtum (probabilis error) sind, dass sie den Besitz aufgrund eines echten Umstandes erwerben. Auf der an­deren Seite be­deu­tet das aber, dass die Frühklassiker über die dog­ matische Stimmig­keit zwi­schen possessio pro suo und possessio pro emptore usw. noch nicht bis ins Detail diskutiert haben. Mit anderen Worten: sie haben die possessio pro suo im Vergleich mit der possessio pro emptore usw. noch nicht, wie es Pool55 behaup­tet, an den allgemeinen und subsidi­ ären Platz ge­setzt. 2. Die hochklassische Zeit Die Hochklassiker, Pomponius, Celsus und Iulianus, diskutierten bereits über das Verhält­nis zwischen possessio pro suo und possessio pro emptore usw. im Detail und äußerten unterschiedliche Ansichten darüber. Im Fragment D. 41,10,3 Pomp. 22 ad Sab. stimmte Pomponius der An­ sicht von Neratius zu, und er versuchte im Fragment D. 41,10,4 pr.-2 Pomp. 32 ad Sab., sie auf einen besonderen Fall anzuwenden. Hierbei handelt es sich um das Frag­ment D. 41,10,4,1. D. 41,10,4,1 Pomp. 32 ad Sab. Si pater cum filiis bona quae ha­be­ bat partitus sit ex ea causa post mortem patris ea teneant, quod inter eos conveniret, ut ea divisio rata esset: usucapio his pro­cedet pro suo in his rebus, quae alienae in bonis patris inve­niuntur.

Hat der Vater mit seinen Söhnen das Ver­ mögen, das er besaß, geteilt, und besitzen die Söhne nach dem Tod des Vaters das­ jenige des­wegen, weil sie sich unter­ein­an­der ge­einigt haben, dass die Teilung gül­tig sein solle, so findet die Ersitzung pro suo in Be­ zug auf diejenigen Gegen­ stände statt, wel­ che als fremde unter dem Nach­ lass des ­Va­ters gefunden werden.

53  Otto Lenel (o. Fn. 12), vol. II, 122, Nr. 113. Proculus war der Nachfol­ ger des M. Cocceius Nerva, der im Jahre 33 n. Chr. Selbstmord beging (Tac. ann. 6,26). 54  Vgl. auch D. 41,4,11 Afr. 7 quaest. 55  Pool (o. Fn. 1) 46.



D. 23,3,67: Ein Lehrstoff in Bezug auf die Übertragung des Eigentums269

Nach der Meinung von Servius im Fragment D. 41,5,2,2 Iul. 44 dig. kann der Sohn, welcher von seinem Vater zum Erben eingesetzt ist, eine ihm vom Vater geschenkte Sache zum Anteil, der den Miterben gebührt, pro herede nicht ersit­zen, weil die possessio des Sohnes naturalis ist. Pomponius hat aber an­ders als Servius ge­dacht. Er war der Ansicht, dass die usucapio pro suo den Söhnen dann zusteht, wenn sie übereingekommen sind, dass eine solche Tei­ lung im Hinblick auf die Schenkung bei Lebzeiten des Vaters gültig ist, weil man an­nehmen kann, dass sie geglaubt haben, Besitz auf­ grund eines echten Umstan­des zu erwerben, und pro suo besitzen. Hier kommt die Ansicht von Celsus in Frage, der sich zur etwa glei­chen Zeit wie Neratius betätigt hat, wie Fragment D. 41,3,27 Ulp. 31 ad Sab. belegt. D. 41,3,27 Ulp. 31 ad Sab. Celsus libro trigensimo quarto errare eos ait, qui existimarent, cuius rei quisque bo­na fide adeptus sit possessionem, pro suo usucapere eum posse nihil referre, eme­rit nec ne, donatum sit nec ne, si modo emptum uel donatum sibi existimave­ rit, quia neque pro legato neque pro donato neque pro dote usucapio valeat, si nulla donatio, nulla dos, nullum legatum sit, idem et in litis aestimatione placet, ut, nisi vere quis litis aestima­tionem subierit, usucapere non possit.

Es wird in der Glosse56 und bei Autoren57 angenom­men, dass Celsus die usuca­pio pro suo aufgrund des Putativtitels grundsätzlich ver­neint hat. Eine solche These scheint durch das folgende Textverständnis möglich zu wer­ den, dass sich das Verb (existimarent) auf die Infinitiv-Phrase (pro suo usu­capere eum posse) bezieht und Celsus damit gesagt hat, dass die Leute, d. h. Juris­ ten wie Proculus und Neratius, sich irren (eos errare), die die usu­capio pro suo auf­grund eines Putativti­tels be­jahen. Wir müssen aber die Inskription des Fragments beachten. Das Buch Ulp. 31 ad Sab. beschäftigt sich mit der dos. Lenel ordnete das Fragment als letztes Stück eines einheitlichen Fragments hinter die Teilfragmente D. 41,9,1,2–4 ein, die wir schon oben in Erwägung gezogen haben.58 Es ist bereits klar, dass in diesen Fragmenten Cassius und Ulpia­nus Mög­lich­ keiten der gültigen usuca­pio pro suo von aufgrund eines Putativti­tels als Mitgift übergebenen Sachen voraus­gesetzt haben. In diesem Kontext ist es schwer verständlich, dass Ulpianus die Ansicht von Celsus, der die usu­capio pro suo aufgrund des Putativtitels ver­neint hatte, zitierte. Meiner Meinung nach bestätigte Cel­sus hier die usucapio pro suo. Die Hypothese beruht auf 56  Corpus iuris civilis cum commentariis Accursii, studio et opera Ioannis Fehi, Lyon l627 (Ndr. Frankfurt am Main 2006), Digestum Novum 470. 57  Mayer-Maly (o. Fn. 8) 30–37; Jakobs (o. Fn. 1) 73–79; Bauer (o. Fn. 27) 61–62, 121–122. 58  Otto Lenel (o. Fn. 12), vol. II, 1136, Nr. 2758.

270

Wataru Miyasaka

dem Textverständnis, wonach das Verb (ait) sich auf die drei InfinitivPhrasen (errare, posse und referre) bezieht: Celsus habe gesagt, „dass die­ jenigen im Irrtum sind, die sich etwas einre­den, und dass derje­nige pro suo ersitzen kann, wer auch immer Besitz seiner Sache im guten Glau­ben er­ worben hat (errare eos, qui existima­rent, cuius rei quisque bona fide adeptus sit possessionem, pro suo usucapere eum posse)“. Sie befän­ den sich zwar im Irrtum, aber dieser Irr­tum sei zuläs­sig; daher besäßen sie pro suo und einer usucapio pro suo stehe nichts entge­gen. Dabei komme es bei der usu­capio pro suo nicht darauf an (nihil referre), ob sie tatsächlich gekauft oder geschenkt haben. Denn ob­wohl usuca­pio pro legato, pro do­nato oder pro dote nicht in Frage kämen, wenn es keine Schen­kung, keine Mitgift oder kein Ver­mächtnis gibt, gelte dennoch die usucapio pro suo. Das treffe auf den zuletzt ge­nannten Fall der litis aestimatio zu. Die Glosse denkt, dass Celsus hier die usucapio pro suo ver­neint habe. Meiner Meinung nach ist aber die usu­capio, die Celsus hier ver­neint hat, sehr wahrschein­lich nicht die usu­ca­pio pro suo, sondern die usucapio pro emptore, weil der anhand der litis aestimatio er­wor­bene Besitz posses­sio pro emptore ist.59 Ist dieser Schluss überzeugend, so kann man vermuten, dass ein Mei­ nungs­gegen­satz zwischen den Früh­klas­si­kern und Hochklassikern in Be­zug auf die Zulässigkeit der usucapio pro suo nicht zu finden ist. Und Cel­sus scheint schon einen Anlass zur dogmatischen Stimmigkeit zwischen possessio pro suo und possessio pro emptore usw. gegeben zu haben. Soweit ich weiß, gibt es kein Fragment in den Digesten, in welchem Iulianus selbst ausdrücklich die usucapio pro suo erwähnt hat, doch hat er, wie wir im Fragment D. 41,9,1,3–4 schon gesehen haben, auch nicht ge­ leugnet, dass diejenigen, die glauben, den Be­ sitz auf­ grund eines echten Umstandes zu erwerben, pro suo besitzen und ersit­zen. Im Fragment D. 23,3,67 steht die usucapio pro suo dem Ehemann zu, weil er den Glauben daran hat, dass die Ehefrau frei und somit die Ehe­ schließung wirk­sam gewesen sei, mit anderen Worten, dass er Besitz auf­ grund eines ech­ten Umstandes, d. h. causa dotis, erworben hat, und damit pro suo besitzt. Im Frag­ment D. 41,9,1,2 hingegen hat der Verlobte gewusst, dass die Ehe noch nicht zustande kommt. Steht das einer usucapio pro suo entgegen oder nicht? Iulianus sagt, die usu­capio hört nur dann auf, wenn die Verlobte ihm die Sa­chen so übergeben hat, dass sie ausdrücklich will, dass die Sachen nicht in sein Eigentum übergehen sollen, bevor die Hochzeit erfolgt ist. Umge­ kehrt gesagt, kann man daher anneh­men, dass sie ihm die Sachen zukom­ 59  Vgl. D. 41,4,1 Gai. 6 ad ed. prov.; D. 41,4,2,21 Paul. 54 ad ed.; D. 41,4,3 Ulp. 75 ad ed.



D. 23,3,67: Ein Lehrstoff in Bezug auf die Übertragung des Eigentums271

men lassen will, solange sie nicht deutlich das Gegenteil sagt, auch wenn die Ehe noch nicht zu­stande­kommt. Daher kann man auch sagen, dass der Verlobte im All­gemei­nen glaubt, den Besitz aufgrund eines echten Umstan­ des zu erwer­ben, auch wenn er weiß, die Ehe ist noch nicht zustandegekom­ men, und so besitzt er pro suo. Iulianus bezeichnet aber nicht die beim Verlobten vollen­dete Ersitzung als pro suo; deshalb ergänzt Ulpianus „ersitzt er jedoch nicht als Mit­gift, son­ dern für sich (non pro dote usucapit, sed pro suo)“. Auch im Fragment D. 41,4,11 Afr. 7 quaest. bezeichnet Iulianus die usucapio eines Käufers, der einen gerech­ten Grund für seinen Irrtum (iustam causam eius erroris) hat, dass er den Besitz aufgrund eines seinem Sklaven oder procurator aufgegebenen, aber tat­ sächlich nicht durchgeführten Kaufs erworben hat, nicht ausdrücklich als pro suo.60 Man musste auf die spätklassische Zeit für die Durchsetzung der dogmatischen Stimmig­ keit zwischen possessio pro suo und possessio pro emptore usw. war­ten. 3. Die spätklassische Zeit Die Spätklassiker scheinen sich mit dem Problem der dogmatischen Stim­ mig­keit zu beschäftigen. In den Fragmenten D. 41,10,2 und D. 41,2,3,21 Paul. 54 ad ed. hat Paulus die possessio pro suo mit dem sogenannten „natürlichen Eigen­ tumserwerb“ in Zusammenhang gebracht und den An­ wendungsbereich der possessio pro suo aus Anlass der Besitzerlangung ohne traditio, z. B. bei occupatio, selbst auf die Besitzerlangung an einem Kind einer durch Erb­folge erworbenen oder gekauften Sklavin und an der Frucht einer gekauften oder geschenkten Sache erweitert.61 60  Bauer (o. Fn. 27) 69–80 äußert im Vergleich mit den Fragmenten D. 41,4,9 und D. 41,4,10 die Ansicht, dass die Beispielsfälle in D. 41,4,11 von einem nach­ klas­si­schen Bearbeiter stammen. Der Schluss ist aber nicht zwingend. Bauers Mei­ nung nach ge­stat­tet Iulianus es, dass der dominus, der die gestohlene oder geraubte ancilla auf­grund einer Freilassungsvereinbarung von seinem Sklaven erhalten hat, das Kind der ancilla „als Käufer (quasi emptor)“ ersitzen kann, weil Iulianus die Vereinbarung als quasi-Kauf zwischen Herrn und Sklaven ansieht, und der irrtümli­ che Glaube des domi­nus, sein Sklave habe eine Sache gekauft, für Iulianus keine ausreichende Ersitzungsgrund­lage war. Die Bedeutung der Wor­te quasi emptor usucapere in der Fragmenten D. 41,4,9 und D. 41,4,10 kommt aber nicht immer der Bedeutung der Worte pro emptore usucapere im Frag­ment D. 41,4,11 gleich. Anders als im Fragment D. 41,4,11 redet der dominus in der Fragmenten D. 41,4,9 und D. 41,4,10 sich nicht ein, dass er etwas kauft. 61  Laurens Winkel, Usucapio pro suo and Classification of the causae usucapio­ nis by the Roman Jurists, in: New Perspectives in the Roman Law of Property, Essays for Barry Nicholas Hrsg. Peter Birks, Oxford 1989, 215–221, 218 hat schon darauf hinge­wiesen.

272

Wataru Miyasaka

Ferner haben Paulus im Fragment D. 41,2,3,4 und Ulpianus im Fragment D. 41,10,1 pr-1 erörtert, dass man dieselbe Sache aus vielen Gründen besit­ zen kann, und zwar derjenige, der pro emptore besitzt, auch pro suo besitzen kann.62 Da­ mit haben sie die possessio pro suo – im Vergleich mit der posses­sio pro emptore usw. – an einen allgemeinen und subsidiären Platz gesetzt.63 Diese Einstellung der Spätklassiker, die auf dogmatische Stim­ migkeit Gewicht l­egte, kann einen Ansichtsunterschied zwischen den Frühklassi­kern und den Spätklas­si­kern besser erklären. IV. Ergebnis Erstens: D. 23,3,67 ist sowohl ein wirklicher Fall als auch ein angemes­ sener Lehrstoff. Dem Fall gemäß können wir die Regeln in Bezug auf die Über­tra­gung oder den Erwerb des Eigentums an Geld im römischen Recht bestäti­gen. Es ist sehr wichtig, dass eine Ehe, die erst nach der Übergabe des Geldes als Mitgift wirksam entsteht, keine iusta causa traditionis als Grund der Eigen­ tumsübertragung durch traditio darstellen kann, es aber zum Eigentums­erwerb durch usucapio pro dote kommen kann.64 Zweitens: Betrachtet man die Auffassungen von Cassius und Ulpianus zur usucapio pro suo und pro dote in den Fragmenten D. 41,9,1,2–4 in ihrem Ge­samt­zusammenhang, so lehnen die Juristen nicht die usucapio pro suo, son­dern nur jene pro dote ab, wenn eine wirk­same Ehe als Voraussetzung einer wirksa­men Mitgiftbestellung zum Zeitpunkt des Besitzerwerbs noch 62  Winkel (o. Fn. 61) 217 sagt, dass Paulus eine andere Ansicht als Ulpianus gehabt hat, da er sich im Fragment D. 41,2,3,4 dahingehend äußert: „ita et posside­ re ex una dumtaxat causa possumus“ d. h. „(…, so auch) können wir nur aufgrund einer einziger causa besitzen“. Meiner Meinung nach hat Paulus das genaue Gegen­ teil der Meinung von Winkel gesagt, weil das Verneinungswort nec das Hilfsverb possumus hier modifi­ziert. 63  Man kann annehmen, dass sich mit dieser Veränderung der Bedeutung der posses­sio die Funktion der usucapio geändert hat. Neratius sagte im Fragment D. 41,10,5 pr., dass die usucapio pro suo einige Rechtsstreitigkeiten zu einem Ende bringt (ut aliquis litium finis esset). Die Glosse verstand diese Funktion der usucapio als exceptio. Zur früh- und hochklassischen Zeit scheint die Behauptung der usucapio von Seiten des Besitzers die Funktion einer exceptio gegen die rei vindi­catio des Eigen­tümers zu ha­ben. Zur spät­klassischen Zeit dagegen war usucapio, zusammen mit mancipatio und traditio, ein Grund des Eigentums­erwerbs auf der Basis des Eigen­besitzes, und noch dazu kam ihr ein materiellrechtlicher Cha­ rakter zu, der auch die rei vindicatio begrün­ den konnte. Vgl. ferner D. 5,3,19,1 Paulus 20 ad ed. 64  Der Grund für diese Unterscheidung scheint darin zu liegen, dass die traditio den Besitz­erwerb mit sich bringt, während die usucapio dann aus der Besitzfortset­ zung folgt; es ist aber notwendig, dieses Problem noch weiter zu vertiefen.



D. 23,3,67: Ein Lehrstoff in Bezug auf die Übertragung des Eigentums273

nicht entstanden ist. Daraus kann man folgern, dass ein Meinungsgegensatz in Be­zug auf usu­ca­pio pro suo und pro dote jedenfalls zwischen Proculus, Cassius und Ulpianus nicht besteht. Drittens: Es unterscheidet sich die Bedeutung von possessio pro suo in früh­klassi­scher Zeit von jener in spätklassischer Zeit. In früh­klas­sischer Zeit besit­zen und er­sitzen ausschließlich diejenigen pro suo, die den Glauben daran in einzelnen und wirklichen Fällen haben, d. h. die sich in billigens­ wertem Irr­tum (probabilis error) befinden, dass sie Besitz auf­grund eines echten Um­stan­des erworben haben. In hochklassischer Zeit diskutierten die Juris­ten über das Ver­hältnis zwischen possessio pro suo und possessio pro emp­tore usw. im De­tail und äußerten unterschiedliche Ansichten darüber. In spät­ klassi­ scher Zeit dage­ gen setzten die Juris­ ten possessio pro suo – im Ver­gleich mit posses­sio pro emptore usw. – an einen allgemeinen und sub­ sidiären Platz und brach­ ten die possessio pro suo mit dem soge­ nannten „natürli­chen Eigen­tums­erwerb“ in Zu­sam­menhang. Und folg­lich kann man sagen, dass man die posses­sio pro suo als einen Besitz, der unserem Begriff „Eigenbesitz“ ähnlich ist, charakterisiert hat. Tabelle von utique si Digesta

Name

Bücher

Otto / Schil­ling /  Sintenis

Behrends / Knü­tel /  Kupitsch / Seiler

23,3,67

Proc.

7 epist.

jeden Falls, wenn

jedenfalls wenn

2,2,3,1

Ulp.

3 ad ed.

versteht sich, wenn jedenfalls dann, wenn

3,5,34,3

Scaev.

1 quaest.

vorausgesetzt, dass

jedenfalls wenn

4,2,8,1

Paul.

11 ad ed.

zum Beispiel

besonders wenn

4,4,47,1

Scaev.

1 resp.

nämlich wenn

jedenfalls dann, wenn

4,8,16,1

Paul.

13 ad ed.

nämlich wenn

jedenfalls wenn

5,2,22,2

Tryph.

17 disp.

vorausgesetzt nämlich, dass

jedenfalls dann, wenn

5,3,25,2

Ulp.

15 ad ed.

vorausgesetzt, dass

jedoch nur, wenn

5,3,49

Pap.

3 quaest.

vorausgesetzt, dass

jedenfalls dann, wenn

5,3,50,1

Pap.

6 quaest.

wenn … nämlich

jedenfalls wenn

(Fortsetzung nächste Seite)

274

Wataru Miyasaka

Tabelle (Fortsetzung) Digesta

Name

Bücher

Otto / Schil­ling /  Sintenis

Behrends / Knü­tel /  Kupitsch / Seiler

6,1,6

Paul.

6 ad ed.

besonders wenn

jedenfalls dann, wenn

9,4,26,5

Paul.

18 ad ed.

wenigstens wenn

jedenfalls wenn

12,1,41

Afr.

8 quaest.

zumal wenn

jedenfalls wenn

15,1,56

Paul.

2 ad Nerat.

immer, wenn

jedenfalls … wenn

17,2,81

Pap.

9 quaest.

wenn … nur

jedenfalls dann nicht, wenn

19,1,42

Paul.

2 quaest.

zum Beispiel

jedenfalls dann, wenn

21,2,71

Paul.

16 quaest.

jeden Falls, wenn

jedenfalls dann, wenn

22,1,24 pr.

Paul.

37 ad ed.

jeden Falls, wenn

jedenfalls dann, wenn

22,1,37

Ulp.

10 ad ed.

jeden Falls, wenn

jedenfalls dann, wenn

23,3,44,1

Iul.

16 dig.

wenn aber

jedenfalls wenn

29,2,42 pr.

Ulp.

4 disp.

undeut­lich

wenn

29,4,1,9

Ulp.

50 ad ed.

undeut­lich

jedenfalls sofern

30,39,7

Ulp.

21 ad Sab.

vorausgesetzt, dass

jedenfalls wenn

31,24

Ulp.

2 fid.

zumal da

zumal da, wenn

32,38,6

Scaev.

19 dig.

jeden Falls, wenn

jedenfalls wenn

33,10,9,2

Pap.

7 resp.

besonders wenn

jedenfalls dann, wenn

35,1,112,3

Pomp.

12 ep.

besonders wenn

35,1,82

Call.

2 quaest.

nicht etwa

36,1,28,1

Iul.

40 dig.

sobald nur

36,1,57,2

Pap.

20 quaest.

wenn … nämlich

38,4,1 pr.

Ulp.

14 ad Sab.

jedoch (wenn)



D. 23,3,67: Ein Lehrstoff in Bezug auf die Übertragung des Eigentums275 Digesta

Name

Bücher

Otto / Schil­ling /  Sintenis

39,2,34

Paul.

10 ad Sab.

vorausgesetzt, dass

41,1,7,12

Gai.

2 rer. cott.

vorausgesetzt jedoch, dass

41,1,9,1

Gai.

2 rer. cott.

sobald

41,1,9,2

Gai.

2 rer. cott.

wenn nämlich

41,3,4,8

Paul.

54 ad ed.

vorausgesetzt jedoch, dass

42,5,6,1

Paul.

58 ad ed.

wenn … nur

42,6,2

Pap.

25 quaest.

vorausgesetzt, dass

44,4,4,31

Ulp.

76 ad ed.

vorausgesetzt, dass

46,2,34 pr.

Gaius

3 de verb. oblig.

jeden Falls, wenn

46,3,39

Afr.

8 quaest.

jeden Falls, wenn

46,8,22,6

Iul.

56 dig.

jeden Falls, wenn

48,15,6,1

Call.

6 de cognit.

besonders wenn

48,19,28,10

Call.

6 de cognit.

nämlich wenn

48,5,39,7

Pap.

36 quaest.

vorausgesetzt, dass

49,15,12,11

Tryph.

4 disp.

allerdings und zwar gleich­viel, ob

49,16,14,1

Paul.

de poen. mil.

jedoch wenn

Behrends / Knü­tel /  Kupitsch / Seiler

D. 30,86,4: Ursprung der superficies als ius in re aliena? Von Hikaru Mori I. Einleitung Seit republikanischer Zeit besteht der bekannte Grundsatz superficies solo cedit.1 Wenn auf fremdem Boden ein Bauwerk errichtet wird, fällt es aufgrund die­ses Grundsatzes dem Eigentümer des Bodens zu. In klassischer Zeit aber bil­det sich allmählich eine Ausnahme zu diesem Grundsatz heraus, wonach ein Bauwerk, unabhängig von dem Grund, als selbständiger Vermögensbe­ standteil anerkannt wird, obwohl es dem Eigentümer des Grundes gehört.2 Diese Aus­nahme wird jedoch in Stellen, die aus der Zeit vor Julian stammen, nicht er­wähnt.3 Wir wollen deshalb vorläufig sagen, dass die Entwicklung der super­ficies als ius in re aliena frühestens in der Zeit Julians begonnen hat.4 1  Der früheste Jurist, der ihn in den Digesten erwähnt, ist Labeo. Nach Ulpian (D. 43,17,3,7) sagt er: semper enim superficiem solo cedere. Siehe auch die Allega­ tion von Pomponius in D. 41,1,28. Zu D. 43,17,3,7 s. Heinrich Vogt, Das Erbbau­ recht des klassi­ schen römischen Rechts, Marburg 1950, 37; Jens Peter Meincke, Superficies solo ce­dit, ZRG RA 88 (1971) 136–183, 165; J. Michael Rainer, Super­ ficies und Stock­ werk­ eigen­ tum im klassischen römischen Rechts, ZRG RA 106 (1989) 327–357, 353. – Der Grund­satz besteht die gesamte klassische Zeit hindurch (Gai. 2,73; Ulp. D. 9,2,50). Zur Altersfrage s. Max Kaser, Das Römische Privat­ recht. Erster Abschnitt: Das Alt­römische, das Vorklassische und Klassische Recht, München 19712, 138; ders., Die natürlichen Eigentumserwerbsarten im altrömischen Recht, ZRG RA 65 (1947) 239; Meincke, a. a. O., 180 ff. 2  D. 39,2,39,2 Pomp. 21 ad Sab.; D. 43,18,2 Gai. 25 ad ed. prov.; D. 13,7,16,2 Paul. 29 ad ed.; D. 20,4,15 Paul. 68 ad ed.; D. 39,2,18,4 Paul. 48 ad ed.; D. 39,2,9,4 Ulp. 53 ad ed.; D. 43,18,1,1 Ulp. 70 ad ed. 3  Rainer (o. Fn. 1) 345 sagt „Doch kann diese Entwicklung aus unseren Quellen frü­hestens ab Julian in Ansätzen verfolgt werden.“ Wenn die Juristen vor Julian, Labeo (D. 43,17,3,7 Ulp. 69 ad ed.), Sabinus (D. 39,2,15,12 Ulp. 53 ad ed.), Cas­ sius (D. 43,17,3,5 Ulp. 69 ad ed.) und Iavolenus (D. 8,3,13 pr. Iav. 10 ex Cass.; D. 31,79 Pap. 11 resp.; D. 41,3,23 pr. Iav. 9 epist.) superficies benutzen, bedeutet das immer irgend­eine Sache, die fest und dauerhaft mit dem Boden verbunden ist. 4  Nach Vogt kann ein dingliches Recht an fremdem Boden nur bestehen, wenn öf­ fent­ li­ cher städtischer Grund gemietet und darauf ein Gebäude von dem Mieter ge­baut wird. An privatem Grund könne das Recht nicht bestehen. Aber seine These stützt sich auf die Voraussetzung, dass die Kompilatoren der Digesten in diesem

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Hikaru Mori

Es gibt in den Digesten drei Stellen, in denen Julian das Wort superficies be­ nutzt, nämlich in D. 30,81,3,5 D. 39,2,9,46 und D. 30,86,4. Im Fall D. 30,81,3 bedeutet es ein Landhaus, und Julian erörtert das Rechtsverhält­ nis des Gebäu­des zusammen mit dem Grund, auf dem es steht.7 Dagegen tritt in D. 39,2,9,4 eine Person auf, die lediglich an einer superficiaria insula berech­tigt ist.8 Aller­dings ist es sehr fragwürdig, ob sie jenseits ihrer bloß schuldrecht­ li­ chen Be­ rechtigung auch ein dingliches Recht hat. Im Unterschied zu den beiden ge­nannten Texten wird D. 30,86,4 in der moder­ nen Forschung als diejenige Stelle angesehen, in der das Wort superficies im Sinne eines Rechtes benutzt wird,9 und anerkannt, dass der Text inter­ poliert ist.10 Nach Meinung von M. Rainer kann diese Stelle auch eine nachklassische Über­arbeitung er­fahren haben.11 Absicht dieses Aufsatzes ist es, zunächst den ganzen Kontext des Frag­ ments zu untersuchen und diesem Kontext gemäß die Bedeutung der Stelle Bereich zahlrei­che Stel­len überarbeitet haben. Max Kaser / Rolf Knütel, Römisches Privatrecht, Mün­chen 200317, 185 und Kaser (o. Fn. 1) 456 zweifeln nicht, dass ein Gebäuderecht an Privat­land schon in klassischer Zeit vorkam. 5  D. 30,81,3 Iul. 32 dig. Qui fundum excepto aedificio legat, appellatione aedificii aut superficiem significat aut solum quoque, cui aedificium superpositum est. si de sola su­perficie exceperit, nihilo minus iure legati totus fundus vindicabitur, sed excep­tione doli mali posita consequetur heres id, ut sibi habitare in villa liceat: in quo inerit, ut iter quo­que et actum in ea habeat. si vero solum quoque exceptum fuerit, fundus excepta villa vindicari debebit et servitus ipso iure villae debebitur, non secus ac si duorum fun­dorum dominus alterum legaverit ita, ut alteri serviret. sed inclinan­dum est testatorem etiam de solo cogitasse, sine quo aedificium stare non potest. 6  D. 39,2,9,4 Ulp. 53 ad ed. Quaesitum est, si solum sit alterius, superficies alterius, superficiarius utrum repromittere damni infecti an satisdare debeat. et Iulianus scri­bit, quotiens superficiaria insula vitiosa est, dominum et de soli et de aedificii vitio repro­mittere aut eum, ad quem superficies pertinet, de utroque satisdare: quod si uterque ces­set, vicinum in possessionem mittendum. 7  Rainer (o. Fn. 1) 343. 8  J. Michael Rainer, Bau- und nachbarrechtliche Bestimmungen im klassischen römi­schen Recht, Graz 1987, 101 Fn. 4; Rainer (o. Fn. 1) 338 f.; Vogt (o. Fn. 1) 37; Mein­cke (o. Fn. 1) 166. 9  Martin Zimmermann, Der Rechtserwerb hinsichtlich eigener Sachen, Berlin 2001, 146 Fn. 538 führt D. 30,86,4 als ein Beispiel für einen Fall auf, in dem „dem Erblasser selbst das Recht zustand“. 10  Vogt (o. Fn. 1) 26; Ernst Levy, West Roman Vulgar Law. The Law of Proper­ ty, Phi­l­a­del­phia 1951, 80; Elmar Bund, Begriff und Einteilung der Servituten im römi­schen Recht, ZRG RA 73 (1956) 155–219, 205 f.; Giuseppe Grosso, Le servitù predi­ali nel diritto romano, Torino 1969, 9; B. Biondi, Le servitù prediali nel diritto romano, Mi­lano 1969, 81; Max Kaser, Das Römische Privatrecht. Zweiter Abschnitt: Die nach­klassi­schen Entwicklungen, München 19752, 307. 11  Rainer (o. Fn. 1) 342 f.



D. 30,86,4: Ursprung der superficies als ius in re aliena?279

D. 30,86,4 zu erklären. Die Paragraphen von D. 30,86 wurden in der moder­nen Romanistik zwar vielfach untersucht, jedoch werden sie nicht in ihrer Ge­ samtheit, sondern jeder Paragraph wird nur einzeln betrachtet.12 Sodann möch­ten wir den großen hochklassischen Juristen in die Geschichte der Ent­stehung und Ausbildung des Erbbaurechts einordnen. II. Text, Herkunft und Gliederung des Fragments D. 30,86 D. 30,86 stammt aus dem 34. Buch von Julians Digesta.13 Das Werk besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil (lib. 1–58) ist ein Ediktskommentar und folgt der Ordnung des edictum perpetuum, während der zweite Teil (lib. 59–90) leges und senatusconsulta behandelt.14 Vom 32. Buch an macht Julian das Vermächt­nis zum Thema, zunächst handelt er über das legatum per vindicati­onem, dann vom 33. Buch an über das legatum per damnationem. Vom 35. Buch an erörtert er das Vermächtnis eines ususfructus. Was das Thema des 34. Buch ist, lässt Lenel unbestimmt.15 D. 30,86 Iul. 34 dig. (pr.) Si tibi homo, quem pignori dederas, legatus ab alio fuerit, ac­ tionem ex testamento habebis ad­ ver­sus heredem, ut pignus lua­tur. (1) Si testamento Stichus ab uno herede legatus fuerit Maevio et ei­ dem codicillis idem Stichus ab om­ nibus heredibus et antequam codi­ cilli aperirentur Maevius litis aesti­ mationem consecutus fuerit, ipso iure vindicari ex codicillis non po­ test, quia testator semel le­ga­tum ad eum pervenire voluit.

(pr.) Wenn dir der Sklave, den du zum Pfand gegeben hattest, von einem Dritten vermacht wurde, hast du gegen den Erben die Vermächtnisklage darauf, dass das Pfand abgelöst wird. (1) Ist der Sklave Stichus dem Maevius durch Testament zu Lasten eines Erben ver­ macht worden, wurde ihm Stichus auch durch Kodizill zu Lasten aller Erben ver­ macht und hat Maevius, ehe das Kodizill eröffnet wurde, den Streitwert [des Sti­chus] erlangt, so kann er schon nach Zivil­ recht den Sklaven nicht mehr aufgrund des Kodi­ zills vindizieren, weil der Erblasser ihm das Vermächtnis nur einmal zukom­ men lassen wollte.

12  Zwischen den Fällen von D. 30,86 pr. und D. 30,86,4 kann man auf den ers­ ten Blick Ähnlichkeit erkennen. Siehe z. B. Pasquale Voci, Diritto Ereditario Roma­ no, Bd. II, Milano 1963, 257 Fn. 29. 13  Über die Digesta Julians s. Elmar Bund, Salvius Iulianus, Leben und Werk, in: Auf­ stieg und Niedergang der römischen Welt, II-15, Berlin 1976, 408–454, 431 ff.; Otto Lenel, Palingenesia iuris civilis, Bd. II, Leipzig 1889, Sp. 318 ff.; Fritz Schulz, Ge­schichte der römischen Rechtswissenschaft, Weimar 1961, 290 f. 14  Lenel (o. Fn. 13) Sp. 318 Fn. 2. 15  Lenel (o. Fn. 13) Sp. 406 Fn. 2: „qua ratione hoc libro tractatae inter se fuer­ int colli­ga­tae, in incerto relinquo.“

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(2) Cum servus legatur, et ipsius servi status et omnium, quae per­ sonam eius attingunt, in suspenso est. nam si legatarius reppulerit a se legatum, numquam eius fuisse vide­ bitur: si non rep­pulerit, ex die aditae hereditatis eius intellegetur. secun­ dum hanc regulam et de iure eorum, quae per traditionem ser­vus accepe­ rit aut stipulatus fuerit, deque his, quae legata ei vel do­ nata fuerunt, statuetur, ut vel he­redis vel legata­rii servus singula gessisse existi­metur.

(3)  Si fundus ab omnibus heredi­bus legatus sit, qui unius heredis es­set, is quidem cuius fundus esset non amplius quam partem suam praesta­ bit, ceteri in reliquas partes tene­ buntur. (4) Valet legatum, si superficies le­ gata sit ei, cuius in solo fuerit, licet is dominus soli sit: nam conseque­ tur, ut hac servitute li­beretur et su­ perficiem lucrifa­ciat.

(2) Wenn ein Sklave vermacht wird, ist so­ wohl die Rechtsstellung dieses Sklaven als auch die von allem, was seine Person an­ geht, in der Schwebe. Denn wenn der Ver­ mächtnisnehmer das Vermächtnis aus­schlägt, ist anzunehmen, dass der Sklave ihm nie­ mals gehört hatte. Schlägt er nicht aus, ist davon auszugehen, dass er ihm vom Tag des Erbschaftsantritts an gehörte. Nach dieser Rechtsregel wird auch über das Recht an den Sachen, die der Sklave durch Übergabe erhalten hat oder die er sich hat versprechen lassen, entschieden und über das, was ihm ver­macht oder geschenkt wurde, so dass an­ genommen wird, er habe entweder als Skla­ ve des Erben oder des Vermächtnis­nehmers die einzelnen Er­werbshandlungen vorgenom­ men. (3) Ist ein Grundstück, das einem Erben gehört, zu Lasten aller Erben vermacht wor­ den, so braucht der, dem das Grund­ stück gehört, nur seinen Anteil zu leisten; die an­ deren haften auf die übrigen Anteile. (4) Ein Vermächtnis ist wirksam, wenn ein aufgrund Erbbaurechts errichtetes Gebäude demjenigen vermacht wurde, auf dessen Grund und Boden es steht, obgleich er Ei­ gentümer des Bodens ist. Denn er kann [aufgrund des Vermächtnisses] erreichen, dass er von dieser Dienstbarkeit befreit wird und das Gebäude dazu erwirbt.16

Das Fragment ist traditionell in fünf Paragraphen gegliedert. Aber m. E. sind hier in der Hauptsache drei Fälle behandelt, in denen jemand dem Ver­mächtnis­nehmer dessen eigene Sache vermacht, nämlich die Fälle des pr. und der §§ 1 und 4. Die Fälle der §§ 2 und 3 werden eingeschoben, um die rechtli­che Be­handlung des § 1 durch Analogie zu erklären. 16

Wenn jemand dem Vermächtnisnehmer dessen eigene Sache vermacht, so ist das Vermächtnis nach Justinian unwirksam, weil das, was jemandem ge­hört, nicht noch einmal sein Eigentum werden kann.17 Dass der Grund­ satz seit der klassischen Zeit besteht, ergibt sich aus verschiedenen Quel­ 16  Vorläufig sei hier auch für § 4 die Übersetzung von Rolf Knütel, in: Rolf Knü­ tel / Berthold Kupisch / Thomas Rüfner / Hans Hermann Seiler, Corpus Iuris Civilis. Text und Übersetzung, Band V, Heidelberg 2012, 309 f., zugrunde gelegt. 17  Inst. 2,20,10.



D. 30,86,4: Ursprung der superficies als ius in re aliena?281

len.18 Bei den drei Fällen von D. 30,86 hält Julian das Vermächtnis jedoch trotzdem für wirksam. III. Fall 1: D. 30,86 pr. Ein Schuldner hat seinem Gläubiger seinen Sklaven als Pfandsache gege­ ben. Ein Dritter hat danach ein Testament verfasst, in dem er dem Schuldner den verpfändeten Sklaven vermacht. Auf den ersten Blick scheint das Ver­ mächtnis unwirksam, weil der vermachte Gegenstand dem Schuldner, näm­ lich Vermächt­nisnehmer, bereits gehört. Dennoch hält Julian das Vermächt­ nis für wirksam. Nach Julian kann der Schuldner (d. h. legatarius) mit der actio ex testamento verlangen, ut pignus luatur. Der Ausdruck pignus luere bedeutet „Einlösung eines Pfandes, d. h. Befreiung desselben vom Pfand­ nexus durch Bezahlung der Schuld“.19 Deshalb soll der heres, der zur Leis­ tung des Ver­ mächtnisses verpflich­ tet ist, gegenüber dem Gläubiger die Schuld des Ver­mächtnisnehmers begleichen. In D. 34,3,1,120 entscheidet Julian wie folgt: Wenn der Gläubiger, der die Pfandsa­che besitzt, durch ein Vermächtnis dazu verpflichtet ist, sie dem Schuld­ner zurückzugeben, dann muss er sie einfach nur zurückgeben und nicht auch noch die Schuld erlassen. Zunächst ist kurz zu erklären, ob die­ se Stelle mit D. 30, 86 pr. zu vereinbaren ist. Wenn die Pfandsache ihrem Eigen­ tümer ver­ macht wird, ist es Julian wichtig zu erreichen, dass der Vermächt­nisnehmer sie wieder besitzt.21 Er ist nämlich der Auffassung, dass der Wille des Testa­tors, der durch das Testament verwirklicht werden soll, auf eine Rückgabe der Pfandsa­che gerichtet ist. Wenn der mit dem Ver­ mächtnis Be­lastete der Gläubi­ger ist, kann er sie ohne weiteres zurückgeben. Dagegen kann ein Dritter, der dazu in einem Vermächtnis verpflichtet ist, sie selbst natürlich nicht zurückge­ben, aber sie auch nicht erwerben, weil der Gläubiger sie nicht veräußern darf. Wenn aber der Dritte die Schuld 18  D. 34,7,1,2 Cels. 35 dig.; D. 30,84,8 Iul. 33 dig.; D. 31,66,6 Pap. 17 quaest.; D. 30,41,2 Ulp. 21 ad Sab.; D. 34,3,1 pr. Ulp. 21 ad Sab.; s. auch C. 6,37,13. Über die ac­tio in personam im Allgemeinen s. Gai. 4,4; M. Zimmermann (o. Fn. 9) 145 ff.; Ka­ser (o. Fn. 1) 749 Fn. 42; Giuseppe Grosso, I legati nel diritto romano, Torino 1962, 260 ff.; Voci (o. Fn. 12) 256. 19  Heumann / Seckel, Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, Graz 197111, s. v. luere 2. Dass Julian das Wort luitio in diesem Sinne benutzt, erklärt sich aus D. 34,3,1,1 Ulp. 34 ad ed. 20  D. 34,3,1,1 Ulp. 21 ad Sab. Iulianus scripsit, si res pignori data legetur debitori a creditore, valere legatum habereque eum actionem, ut pignus recipiat, priusquam pecu­niam solvat. 21  Siehe zur Frage, ob dadurch auch die Schuld erlischt, Max Kaser, Studien zum römi­schen Pfandrecht, Napoli 1982, 135 Fn. 135.

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bezahlt, wird der Schuldner dadurch von sei­ner Schuld befreit.22 Dann kann der Schuldner mit der actio pigneraticia die Pfandsache erlangen.23 IV. Fall 2: D. 30,86,1–3 Ein Erblasser hat in seinem Testament angeordnet, dass einer seiner Er­ ben dem Maevius einen Sklaven namens Stichus geben soll. Durch das Testament (nämlich durch ein legatum per damnationem)24 wird der Erbe verpflichtet, ihm den Sklaven zu übereignen. Dann hat der Erblasser sogar ein Kodizill angefer­ tigt und darin durch ein legatum per vindicationem erneut demselben Maevius denselben Sklaven vermacht. Dass das zweite Vermächtnis in dem Kodizill durch ein legatum per vindicationem ange­ ordnet ist, wird deutlich durch den Satz: ipso iure vindicari ex codicillis.25 Zunächst ist die Frage aufzuwerfen, warum sich Julian mit diesem Fall hier auseinandersetzen musste. Aber wenn man sich an den in Gai. 2,19526 überlie­ ferten Streit zwischen Sabinianern und Prokulianern über den Zeitpunkt der Eigentumsübertragung durch legatum per vindicationem ­ erinnert,27 dürfte die Frage leicht zu lösen sein. Nach Meinung der Sabini­ aner erwirbt der Ver­mächt­nisnehmer sofort nach dem Erbschaftsantritt (hereditatis aditio) die vermachte Sache, „selbst wenn er nicht wisse“, so sagt 22  D. 3,5,38 Gai. 3 de verb. oblig.; D. 46,3,53 Gai. 5 ad ed. prov.; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, Cape Town 1990 (Ndr. 1996), 752; Kaser (o. Fn. 1) 636. 23  D. 13,7,9,3 Ulp. 28 ad ed. 24  Grosso (o. Fn. 18) 110; Mario Talamanca, Revoca testamentaria e „translatio le­gati“, in: Studi in onore di Emilio Betti, Bd. IV, Milano 1962, 179–348, 199 ff. Dass es sich hier um ein legatum per damnationem handelt, erhellt aus dem Kontext von Juli­ans Digesta und aus den Worten ab uno herede legare. Das Eigentum einer Sache, die ur­sprünglich dem Erblasser gehörte, kann nicht durch einen von mehreren vorhande­nen Erben übertragen werden. 25  Grosso (o. Fn. 18) 110; Talamanca (o. Fn. 24) 200. 26  Gai. 2,195 In eo solo dissentiunt prudentes, quod Sabinus quidem et Cassius ceteri­que nostri praeceptores, quod ita legatum sit, statim post aditam hereditatem putant fieri legatarii, etiamsi ignoret sibi legatum esse, sed postea quam scierit et spreuerit le­gatum, proinde esse atque si legatum non esset; Nerua uero et Proculus ceterique il­lius scholae auctores non aliter putant rem legatarii fieri, quam si uoluerit eam ad se per­ti­nere: sed hodie ex diui Pii Antonini constitutione hoc magis iure uti uidemur, quod Pro­culo placuit; nam cum legatus fuisset Latinus per uindicationem coloniae, „Deli­be­rent“, inquit, „decuriones, an ad se uelint pertinere, proinde ac si uni legatus esset“. 27  Moriz Wlassak, Vindikation und Vindikationslegat, ZRG RA 31 (1910) 196– 321, 196 ff.; Silvio Romano, Sull’acquisto del legato „per vindicationem“, Padova 1933, 1 ff.; Hans Kreller, Rez. zu Romano, ZRG RA 58 (1938) 334–349, 334 ff.; Grosso (o. Fn. 18) 361 ff.; Kaser (o. Fn. 1) 753; Kaser / Knütel (o. Fn. 4) 448.



D. 30,86,4: Ursprung der superficies als ius in re aliena?283

Gaius „dass ihm ein Vermächtnis hinterlassen worden sei. Wenn er davon erfahren und auf das Vermächtnis ver­zichtet habe, sei die Rechtslage so, als ob ihm nichts vermacht worden sei.“ Nach Meinung der Prokulianer fällt die Sache „nur dann ins Eigentum des Ver­mächtnisnehmers, wenn er wolle, dass sie ihm gehöre.“ Ob er rückwirkend ab dem Erbschaftantritt Eigentü­ mer wird, wenn er will, ist unklar. Gaius teilt uns auch mit, dass sich heute aufgrund einer Konstitution des verewigten Kai­sers Pius die proku­ lianische Ansicht durchgesetzt hat. Iavolenus D. 31,4028 teilt uns die Haltung eines sabinianischen Juristen über die Thematik mit. Der Jurist berichtet von folgendem Fall: Ich habe zwei Skla­ven (A und B). Ein Testator hat meinen beiden Sklaven zusammen eine Sache vermacht. Ich schlage das Legat namens des A aus. Aber in Bezug auf B schwei­ge ich, d. h. ich schlage das Vermächtnis weder aus, noch nehme ich es an. In diesem Fall entscheidet Iavolenus, ein Jurist, der zu den Sabinianern gehört, dass die ganze Sache mir zusteht. Als Grund gibt der Jurist an, dass ich den Anteil des einen Sklaven (des A) durch den anderen Sklaven (des B) er­ werbe, als ob das Vermächtnis mir und dem Sklaven B ausgesetzt worden wäre. Die Stelle zeigt deutlich, dass für Iavo­ lenus die Erklärung der Annahme nicht erforderlich ist, um den vermachten Gegenstand zu erlangen. Zur Auffassung der Prokulianer haben wir noch eine Stelle, die sich auf un­sere Thematik bezieht, nämlich Neratius D. 47,2,65.29 Ein Erblasser hat den Titius als Erben eingesetzt und dem Seius einen Sklaven dinglich ver­ macht. Bevor Titius die Erbschaft antritt, hat der vermachte Sklave dem Titius ir­ gend­ eine Sache gestohlen. Nach dem Erbschaftsantritt verlangt Seius den Sklaven. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob Titius mit der Noxalklage gegen Seius kla­ gen kann. Neratius antwortet bejahend. Nach Neratius gehört der Sklave nicht Titius, als der Diebstahl verübt wird. Und Titius werde auch dann nicht rückwir­kend ab dem Zeitpunkt des Erbschafts­ antritts Eigentümer des Sklaven, wenn er die Erbschaft antritt. Das Eigen­ tum am Sklaven gehe direkt vom Erb­ lasser auf den Vermächtnisnehmer 28  D. 31,40 Iav. 1 epist. Si duobus servis meis eadem res legata est et alterius servi nomine ad me eam pertinere nolo, totum ad me pertinebit, quia partem alterius servi per alterum servum adquiro, perinde ac si meo et alterius servo esset legatum. Über diese Stelle Romano (o. Fn. 27) 19. 29  D. 47,2,65 Ner. 1 membr. A Titio herede homo Seio legatus ante aditam heredita­ tem Titio furtum fecit. si adita hereditate Seius legatum ad se pertinere voluerit, furti eius servi nomine aget cum eo Titius, quia neque tunc, cum faceret furtum, eius fuit, et (ut maxime quis existimet, si servus esse coeperit eius, cui furtum fecerat, tolli furti actionem, ut nec si alienatus sit, agi possit eo nomine) ne post aditam quidem heredi­tatem Titii factus est, quia ea, quae legantur, recta via ab eo qui legavit ad eum cui legata sunt transeunt. Über diese Stelle Romano (o. Fn. 27) 19 f.

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über. Hier benutzt der Jurist die Worte recta via. Diese Ausdrucksweise kann man noch in einigen anderen Stellen finden (Ulp. D. 7,9,9 pr.; Proc. D. 12,6,53; Pap. D. 31,80, D. 36,1,57). Aber nirgends versteht man darunter eine Rückwirkung. Recta via bedeutet nichts anderes, als dass das Eigentum am Sklaven direkt, d. h. ohne Vermitt­lung der Erben, vom Erblasser an den Vermächtnisnehmer übergeht. Die Ansicht der Sabinianer kann man in zwei Aussagen zusammenfassen: (1) Der Vermächtnisnehmer erlangt sofort nach dem Erbschaftsantritt das Eigen­tum an dem vermachten Gegenstand. Er braucht deshalb seinen dahin­ gehenden Willen nicht zu erklären. (2) Nur wenn er das Vermächtnis aus­ schlägt, wird er behandelt, als habe er mit dem Erbschaftsantritt kein Eigen­ tum erlangt. Diese Willenserklärung wirkt rückwirkend. Die Ansicht der Pro­kulianer kann man ebenfalls in zwei Aussagen zusammenfassen: (1) Der ver­machte Ge­gen­stand gehört bis zur Willenserklärung des Vermächtnisneh­ mers nieman­dem. Die Sache ist res nullius. (2) Erst mit der Willenserklä­ rung, ent­weder das Ver­mächtnis auszuschlagen oder anzunehmen, erhält der Ver­mächtnis­nehmer oder der Erbe das Eigentum. Die Willenserklärung hat keine Rückwirkung. Wenn man den Fall in D. 30,86,1 nach sabinianischer Lehre behandelt, wird Maevius sofort nach der hereditatis aditio Eigentümer des Sklaven, obwohl niemand davon weiß, bevor das Kodizill eröffnet wird, dass der Testator mit einem legatum per vindicationem dem Maevius den Sklaven vermacht hat. Das ist der Grund, warum Julian diesen Fall hier behandelt. Auch hier wird also einem Vermächtnisnehmer die eigene Sache ver­ macht. Julian hält das erste Ver­mächtnis für wirksam und lehnt es ab, dass Maevius durch das zweite Ver­ mächt­ nis den Sklaven erlangt. Aber man fragt, warum Julian das erste für wirk­ sam hält. Die Antwort Julians auf diese Frage ergibt sich aus dem nächs­ten Pa­ra­graphen. In D. 30,86,230 stellt sich die Frage, wem die durch den vermachten Sklaven nach der hereditatis aditio bis zur repudiatio (oder non repudiatio) erworbe­ nen Sachen zustehen, ob dem legatarius oder dem Erben. ­Julian sagt, dass die Lage in der Schwebe (in suspenso) ist, bis der Lega­ tar endgültig entscheidet, das Le­ gat auszuschlagen oder anzunehmen. Wenn der Legatar das Legat des Skla­ven ausschlägt, gehören die von die­ sem erworbenen Sachen rückwirkend dem Er­ben. Wenn er dagegen nicht ausschlägt, gehören sie schon seit der hereditatis aditio dem Vermächtnis­ nehmer.31 30  Dazu Wlassak (o. Fn. 27) 236 ff.; Romano (o. Fn. 27) 20 ff.; Kreller (o. Fn. 27) 338; Grosso (o. Fn. 18) 364 ff.; Kaser (o. Fn. 1) 753. 31  D. 30,81,6 Iul. 32 dig. Si Titius, cui Stichus legatus fuerat, antequam sciret ad se legatum pertinere, decesserit et eundem Seio legaverit et heres Titii legatum



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Wenn man diese Lehre auf den Fall in D. 30,86,1 anwendet, muss man sa­gen, dass bis zur Eröffnung des Kodizills die Lage des Stichus in der Schwebe (in suspenso) ist, und deshalb ist die Tatsache, dass der Legatar schon das Eigen­ tum durch legatum per vindicationem erhalten hat, kein Hindernis dafür, das erste Vermächtnis für wirksam zu halten. Hier ist die Frage aufzuwerfen, warum Julian das zweite Vermächtnis nicht für wirksam hält. Wenn er die Lehre der Sabinianer befolgt hätte, müsste er es für wirksam halten, weil der Vermächtnisnehmer eine Ausschlagung nicht er­klärt hat. Oder er müsste mindestens etwas dazu sagen, warum das zweite Ver­mächtnis trotzdem unwirksam ist. Seine Aussage: quia testator semel legatum ad eum pervenire voluit, gibt dafür keine Begründung. Die Worte be­ deuten nur, dass der Vermächtnisnehmer nicht noch einmal die Annahme des Vermächtnis­ses wirksam erklären kann. Sein Schweigen kann man nur dann verstehen, wenn man voraussetzt, dass auch nach Julians Meinung erst mit der Annahmeerklä­rung der Vermächtnisnehmer das Eigentum erlangt. Und wir möchten die Auf­merksamkeit noch auf einen weiteren Punkt lenken. Wie schon Kreller bemerkt hat,32 entsprechen die Worte Julians: si non reppule­rit, ex die aditae hereditatis eius intellegetur, der sabinianischen Lehre nicht. Wenn Julian die sabinianische Lehre befolgt hätte, wäre eine solche Aussage nicht erforderlich gewesen. Wenn auch dem Vermächtnisnehmer der Anspruch aufgrund des zweiten Ver­mächtnisses versagt wird, bedeutet das nicht, dass das zweite Vermächt­ nis völ­lig unwirksam ist. Nach Julians Meinung ist es nämlich unter den Erben wirk­sam. Denn es hatte ja ein Erbe den gesamten Wert des Sklaven bezahlt, obwohl nach dem zweiten Vermächtnis alle Erben nach ihrem Erb­ teil belastet werden sollten. Um das zu verdeutlichen, greift Julian den Fall des § 3 auf. Papinian behandelt in D. 31,66,5 genau den gleichen Fall wie D. 30,86,1.33 Auch er hält das erste Vermächtnis für wirksam und verweigert dem Ver­ mächt­ nisnehmer, das Eigentum aufgrund des zweiten Vermächtnisses zu be­anspru­chen. Auch Ulpian behandelt einen fast gleichen Fall in D. 30,44,1.34 Er ist ebenfalls nicht der Auffassung, dass der Vermächtnisnehmer schon in non repu­diaverit, Stichum Seius vindicabit. Dazu Wlassak (o. Fn. 27) 246 ff.; Romano (o. Fn. 27) 32 ff. 32  Kreller (o. Fn. 27) 338. 33  D. 31,66,5 Pap. 17 quaest. Eum, qui ab uno ex heredibus, qui solus oneratus fue­rat, litis aestimationem legatae rei abstulit, postea codicillis apertis ab omnibus here­dibus eiusdem rei relictae dixi dominium non quaerere: eum enim, qui pluribus specie­bus iuris uteretur, non saepius eandem rem eidem legare, sed loqui saepius. 34  D. 30,44,1 Ulp. 22 ad Sab. Si quis rem, sibi legatam ignorans adhuc, legaverit, po­stea cognoverit et voluerit ad se pertinere, legatum valebit, quia, ubi legatarius non re­pudiavit, retro ipsius fuisse videtur, ex quo hereditas adita est: si vero

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der Zwi­schenzeit (nämlich von der hereditatis aditio bis zur repudiatio oder non re­pudiatio) Eigentümer wird. Nach Ulpian erhält er erst mit seiner Wil­ lens­ erklä­ rung rückwirkend das Eigentum.35 Deswegen besteht für Ulpian gar kein Hin­der­nis, das erste Vermächtnis für wirksam zu halten. Die herrschende Meinung unter den Spätklassikern in der Frage des Legats­ erwerbs ist m. E. die folgende: Nach dem Tod und bis zum Erb­ schaftsantritt (hereditatis aditio) bleibt das Rechtsverhältnis der Erbschaft in der Schwebe. Mit dem Erbschaftsantritt (hereditas aditio) wird der Erbe Eigentümer der ein­zelnen Erbschaftssachen außer den vermachten Sachen. Ihr Schicksal bleibt weiterhin in der Schwebe bis zur Willenserklärung des Vermächtnisnehmers. Wenn er das Vermächtnis ausschlägt, wird der Erbe rückwirkend ab dem Erb­schaftsantritt Eigentümer der Sache. Wenn er es dagegen annimmt, wird er rück­wirkend ab dem Erbschaftsantritt Eigentü­ mer. Diese Auffassung wurde von Julian begründet. repudiaverit, re­tro videtur res repudiata fuisse heredis. Zum Text Romano (o. Fn. 27) 77 ff.; Grosso (o. Fn. 18) 373. 35  Vorausgesetzt, dass Ulpian nicht der sabinianischen Lehre gefolgt ist, kann man D. 9,2,13,3 Ulp. 32 ad ed. ohne Emendation deuten: Si servus le­gatus post aditam here­di­tatem sit occisus, competere legis Aquiliae actionem legatario, si non post mor­tem servi adgnovit legatum: quod si repudiavit, consequens esse ait Iulianus dicere heredi com­pe­tere. Die Dinge liegen ganz einfach. Ein vermachter Sklave wird nach dem Erb­schafts­antritt getötet. Für diesen Fall nennt Ulpian zwei Varian­ ten. Bei einer Vari­ante hat der Ver­mächtnisnehmer seinen Annahmewillen erst nach dem Tod äußert. Bei der anderen hat er das Legat ausgeschlagen. Ulpian erklärt nicht deutlich, ob die Aus­schla­gung vor dem Tod erklärt ist. Die Schwierigkeit der Stelle liegt darin, wie man die Worte: si non post mortem, verstehen soll. Mommsen zweifelt an der Echtheit des Wor­tes non, obwohl man es deutlich im codex Floren­ tinus und in den Basiliken erken­nen kann. Bei Haloander steht es dagegen nicht. Dennoch lässt sich die Stelle m. E. ohne Emendation verstehen, wenn man voraus­ setzt, dass Ulpian die These der Proku­lianer übernommen hat. Nach den Prokulia­ nern erhält, wie dargelegt, der Ver­mächtnis­nehmer erst mit der An­nahmeerklärung das Eigentum an der vermachten Sache. Wenn die Sache vor der Willenserklärung vernichtet wird, wird das Vermächt­nis ohne weiteres unwirk­sam. Weil der Gegen­ stand vor Wirksamwerden des Ver­mächtnis­ses zerstört ist, kann er seinen Willen, das Vermächtnis anzunehmen, nicht mehr wirksam erklären. Dass Ulpian voraussetzt, dass der Vermächtnisnehmer erst mit der Erklärung der An­ nahme das Eigen­ tum bekommt, zeigt noch deutlicher D. 30,44,1 Ulp. 22 ad Sab. Gegen diese Deu­tung lassen sich zwei Einwände formulieren. In der zweiten Variante des Texts sagt Ul­ pian nicht, wann der Ausschlagungswille erklärt wird. Aber man kann ohne weiteres unterstellen, dass Ulpian stillschweigend von einem Zeitpunkt vor dem Tod des Sklaven ausgegangen ist. Ein zweites Hindernis ist der Text D. 9,2,34 Marc. 21 dig. Dort zeigt sich, dass der Vermächtnisnehmer auch nach dem Tod des ver­machten Skla­ven die Willenserklärung abgeben kann. Aber man kann auch dieses Hindernis beseiti­gen, wenn man hier Marcellus als Vertreter der sabini­anischen Lehre versteht, obwohl ihn Pomponius nicht als Sabinianer kennt. Vgl. im übrigen zu D. 9,2,13,3 Wlassak (o. Fn. 27) 298 ff.; Romano (o. Fn. 27) 85 ff.

D. 30,86,4: Ursprung der superficies als ius in re aliena?287



V. Fall 3: D. 30,86,4 Dem Verständnis des Sachverhaltes des § 4 stehen zwei Hindernisse im Weg, nämlich die synonym gebrauchten Wörter servitus und superficies. In der modernen Romanistik wird die Echtheit von hac servitute in D. 30,86,4 mitunter bezweifelt.36 Beim heutigen Stand der Forschung ist es aber unhaltbar, eine Überarbeitung in nachklassischer Zeit oder eine justinia­nische Interpola­tion zu vermuten. Weil die nachklassischen Quellen das Wort super­ficies gar nicht benutzen,37 kann man sagen, dass das nach­ klassische Recht am Erbbau­recht nur geringes Interesse hatte. Zwei Deutungen sind hier möglich: Nach der ersten setzt Julian die Exis­ tenz eines neuen Rechts voraus, das einem usus­fruc­tus in gewisser Weise ähnlich ist. Nach anderer Deutung bleibt Julian dagegen noch im Rahmen der her­kömmli­chen Dogmatik. Mit dem Wort servitus sind normalerweise die iura praediorum rusticorum oder urbanorum gemeint.38 Aber die klassischen Juristen nennen auch den usus fructus bisweilen servitus.39 Deswegen wäre es möglich, dass Julian da­ mit hier auf ein dem ususfructus ähnliches Recht verweist. Ein Nießbrauch ist jedoch im Grundsatz nicht vererblich40 und kann deshalb auch nicht im Wege des Vermächt­ nis­ ses übertragen werden. Es ist zwar 36  Vogt

(o. Fn. 1) 26; Bund (o. Fn. 10) 205; Kaser (o. Fn. 10) 307 Fn. 10. (o. Fn. 10) 49, 80. 38  D. 1,8,1,1 Gai. 2 inst. […] eodem numero sunt et iura praediorum urbanorum et rusticorum, quae etiam servitutes vocantur. Siehe auch Gai. inst. 2,14. – Schon Alfenus (D. 8,5,17,2 Alf. 2 dig.) und Labeo (D. 8,1,19 Lab. 4 post. a Iav. epit.); D. 8,3,10 (Paul. 49 ad ed.) benutzen das Wort in diesem Sinne, Julian gleichfalls (D. 7,1,15,7 Ulp. 18 ad Sab.; D. 7,6,5,1 Ulp. 17 ad ed. et passim). 39  Nach Cosima Möller, Die Servituten, Göttingen 2010, 34 ist der Begriff servitus in der spätklassischen Zeit erweitert und so auch der ususfructus darunter verstanden wor­den. Sie nennt nur Marcian (D. 8,1,1 Marc. 3 reg.), aber auch bei Papinian (D. 8,5,6,4 Ulp. 17 ad ed.; D. 31,66,6 Pap. 17 quaest.), Paulus (D. 7,4,27 Paul. 1 ma­nual.; D. 35,2,1,9 Paul. l.s. ad l. Falcid.; D. 50,16,25 pr. Paul. 21 ad ed.) und Maecian (D. 49,17,18,3 Maec. 1 fideic.) kann man diese Terminologie entde­ cken. Im Unter­schied dazu benutzt Ulpian das Wort ausschließlich im Sinne einer Grunddienstbarkeit (D. 4,2,9,7 Ulp. 11 ad ed.; D. 11,7,8,4 Ulp. 25 ad ed.; D. 13,3,1 pr. Ulp. 27 ad ed.; D. 42,8,3,1 Ulp. 66 ad ed.; D. 43,3,1,8 Ulp. 67 ad ed.; D. 43,24,15,8 Ulp. 71 ad ed.; D. 48,5,28,8 Ulp. 3 de adult.). D. 8,5,6,4 Ulp. 17 ad ed. (de ceteris servitutibus excepto usu fructu) ist gleichfalls keine Ausnahme, weil Ulpian hier Papinian zitiert. Es lässt sich jedenfalls keine Stelle anführen, wo Julian mit servitus einen ususfructus oder usus meinte. 40  Nach Thomas Finkenauer, Vererblichkeit und Drittwirkungen der Stipulation im klassischen römischen Recht, Tübingen 2010, 139 ff.; ders., „Diversi sint fructus“ – ein vererblicher Nießbrauch in der römischen Spätklassik, in: Inter cives necnon pe­regrinos. Essays in honour of Boudewijn Sirks, Göttingen 2014, 241 ff., 37  Levy

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nicht völlig ausgeschlos­sen, dass Julian hier ein neues nicht höchstpersön­ liches Recht, das einem Nieß­brauch ähnelt, aber mit dem Tod des Berech­ tigten nicht erlischt, aner­kannt hat. Diese Deutung scheint mir aber unwahr­ scheinlich, weil wir kein Indiz dafür haben, dass ir­gendein Jurist vor Julian mit dem Wort superficies ein solches Recht gemeint hätte.41 Zudem beach­ tet sie nicht hinreichend den Kontext des gesamten Fragments. D. 30,86 behandelt nicht dingliche Rechte, ihre Übertra­ gung oder ihr Erlöschen, sondern nur das Legat an einen Ver­mächt­nisnehmer. Aufgrund des Zitats in D. 30,71,542 lässt sich zwar mit Si­cher­heit sagen, dass Julian im Hinblick auf einen ager vecti­galis ein ius ali­quod erwähnt. Aber der Kontext von D. 30,86 ist ein anderer als derjenige von D. 30,71,5. Insgesamt ist die Deutung der servitus als dingliches Recht daher wenig überzeugend. Werfen wir nun einen Blick auf die genannte zweite Deutung. Auch wenn man denkt, dass Julian noch im herkömmlichen Rahmen bleibt, d. h. dass ihm eine superficies als ius in re aliena fremd ist, lässt sich ohne weiteres sagen, dass er im Fall des D. 30,86,4 die superficies für einen testamenta­ risch ver­ fügbaren Gegenstand hält. Mit der superficies ist dann nur ein Pachtverhältnis ge­meint,43 das der Testator mit dem Eigentümer eingegan­ gen war und nun zum Gegenstand seines Vermächtnisses an den Eigentümer macht. Die Posi­tion des Pächters ist grundsätzlich vererblich, wie vor kurzer Zeit du Plessis gezeigt hat,44 und kann deshalb auch zum Gegenstand eines Legats gemacht werden. Hieraus lässt sich schließen, dass die Rechtsfolge des Vermächtnis­ses ein­ fach das Erlöschen oder die Auflösung des Pachtverhältnisses ist. Diese Sach­lage ist derjenigen des in D. 30,86 pr. berichteten Falles sehr ähnlich. Es bleibt freilich noch zu klären, wie man hac servitute in § 4 übersetzen soll. Unter servitus versteht man normalerweise eine Grunddienstbarkeit, oder in spät­ klassischer Zeit gelegentlich auch einen usus fructus.45 Die servitus in D. 30,86,4 lässt sich jedoch mit diesen beiden klassischen Be­ war es in spätklassischer Zeit allerdings möglich, durch eine stipulatio uti frui licere einen vererblichen Nieß­brauch zu bestellen. 41  Siehe oben Fn. 3. 42  D. 30,71,5 Ulp. 51 ad ed. Si fundus municipum vectigalis ipsis municipibus sit lega­tus, an legatum consistat petique possit, videamus. et Iulianus libro trigensimo octavo digestorum scribit, quamvis fundus vectigalis municipum sit, attamen quia ali­quod ius in eo is qui legavit habet, valere legatum. – Rainer (o. Fn. 1) 343 erkennt eine Ähnlichkeit der Entscheidungen in D. 30,71,5 Ulp. 51 ad ed. und in D. 30,86,4. 43  Vgl. D. 43,18,2 Gai. 25 ad ed. prov. 44  Paul J. du Plessis, The Hereditability of Locatio Conductio, in: Beyond Dog­ matics. Law and Society in the Roman World, Edinburgh 2007, 139–153, 139 ff. 45  Siehe o. Fn. 39.

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deutungen nicht in Verbindung bringen. Vielmehr ist das Wort untechnisch als „Belastung“46 zu begreifen. Zuletzt noch ein Wort zur Bedeutung von superficiem lucrifaciat. Das Verb lucrifacere bedeutet nicht den Erwerb des Eigentums oder eines ding­ lichen Rechts, sondern den Erwerb irgendeines Vermögensvorteils.47 Es lassen sich auch keine Beispiele finden, in denen es mit irgendwelchen dingli­ chen Rech­ ten (z. B. einem ususfructus oder iura praediorum) ver­ knüpft ist. Es lässt sich da­her kaum von der Hand weisen, dass hier superficies lediglich das Gebäude auf dem Grundstück bedeutet. D. 30,86,4 sollte also folgendermaßen übersetzt werden: „Ein Vermächtnis ist wirksam, wenn ein Gebäude demjenigen vermacht wurde, auf dessen Grund und Boden es steht, obgleich er Eigentümer des Bodens ist. Denn er kann [aufgrund des Vermächtnisses] erreichen, dass er von dieser Belas­tung befreit wird und das Gebäude dazu erwirbt.“

VI. Schluss In allen drei Fällen von D. 30,86 ist der Eigentümer irgendwie belastet, aber er wird von der Belastung durch ein legatum per damnationem befreit. Darin liegt eine Gemeinsamkeit der Fälle. Unserer Meinung nach kann man aufgrund von D. 30,86,4 nicht sagen, dass Julian unter superficies ein dingliches Recht verstanden oder die superficies schon als ius in re aliena anerkannt hätte. Wenn eine solche Auf­ fassung in ande­ren Texten Julians nicht entdeckt werden kann, lässt sich mit Sicherheit feststellen, dass das Erbbaurecht erst nach seiner Zeit anerkannt wurde.

46  Rainer 47  Gai.

(o. Fn. 1) 343. 2,56; D. 47,2,66 Ulp. 1 ad ed. aedil. curul.; D. 41,1,5,1 Gai. 2 rer. cott.

Eine raffinierte Falllösung zur condictio indebiti: Scaev. D. 12,6,67,41 Von Shigeo Nishimura I. Einleitung Ein Exzerpt aus dem fünften Buch der Digesten des Scaevola, das den Di­gestentitel D. 12,6 (De condictione indebiti) beschließt (D. 12,6,67), ist in der Literatur nur wenig erörtert.2 Hier soll der letzte Paragraph des Frag­ ments (§ 4) näher untersucht werden, der die in integrum restitutio eines minor bei einem verzinslichen Darlehen behandelt. D. 12,6,67,4 (ed. mai. 1, S. 369, 9–18)3 Lucius Titius hat dem Gaius Seius, der jün­ Lucius Titius Gaio Seio minori annis viginti quinque pecuniam ger als fünfundzwanzig Jahre war, einen be­ certam credidit et ab eo aliquan­tum stimmten Geldbetrag als Darlehen gege­ ben 1  Vorarbeiten zu dem Manuskript entstanden im Jahre 2004 im Rahmen eines For­schungs­aufenthalts bei Laurens Winkel in Rotterdam. Nach Diskussionen auf der SIHDA September 2004 (Bielefeld), in der Kyoto-Arbeitgemeinschaft für römisches Recht März 2008 (Kyoto) und dem Fukuoka-Colloquium März 2013 (Fukuoka) wurde es wesentlich erweitert. Ich bedanke mich herzlich bei Laurens Winkel und allen Dis­kutanten. Wolfgang Kaiser (Freiburg) danke ich für die sprachliche Durch­ sicht des Manuskripts. 2  Th. Schimmelpfeng, Hommel Redivivus oder Nachweisung der bei den vorzüglichs­ten älteren und neueren Civilisten vorkommenden Erklärungen einzelner Stellen des Corpus Juris Civilis, Bd. 1, 1858, 350 verweist auf: „Duaren. in h. tit. Cod. et Dig. c. 11 opp. p. 917. Hotom. Obs. V. c. 24“. Die Erläuterung durch Du­ arenus findet sich in D. Francisci Duareni celeberrimi omnia quae quidem hactenus edita fuerunt opera, Francoforti 1607, Cap, 11, S. 916a-917a, 917a; zu Hotman s. unten Fn. 12. Cujas scheint die Stelle nicht zu behandeln, s. zu D. 12,6,67,4 Dominico Albanese, Promptu­arium universorum operum Jacobi Cujacii, Bd. 1, Modena 1795, 141, 3. Spalte. S. Solazzi, La minore età nel diritto romano, 1912, 6 und 8 zitiert lediglich D. 12,6,67,4 in einer Aufzählung von Digestenstellen über Darlehens­ aufnahme und Schuldenzah­lung durch Minderjährige (ohne sachliche Erörterung). Der Index interpolationum verzeich­net die Stelle nicht, s. Bd. 1, 1929, 189 sowie Suppl 1929. Auch die neueste Abhand­lung zur in integrum restitutio von Fr. Musumeci, Protezione pretoria dei mi­nori di 25 anni e ius controversum in età imperiale, 2013 bietet für die Stelle keine neueren Literatur­hinweise. 3  Die Übersetzung folgt O. Behrends / R. Knütel / B. Kupisch / H. H. Seiler, Cor­ pus juris civilis. Text und Übersetzung, Bd. 3: Digesten 11–20, 1999, 134.

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usurarum nomine accepit, et Gaii Seii minoris heres adversus Publi­ um Maevium a praeside pro­vinciae in integrum resti­tutus est, ne debi­ tum hereditarium solveret, et nec quicquam de usuris eius­dem sortis, quae Seius minor an­ nis viginti quinque ex­solveret, re­pe­tendis trac­ tatum apud prae­si­dem aut ab eo est pronuntiatum: quaero, an usuras, quas Gaius Sei­ us minor annis viginti quinque quoad viveret creditori exsolveret, heres eius repetere possit. respondit secundum ea quae pro­ pone­ rentur condici id, quod usu­ rarum nomine defunctus sol­ visset, non posse. item quaero, si existimes repeti non posse, an ex alio debito heres reti­ nere eas possit. respondit ne hoc quidem.

und von ihm einiges an Zinsen erhal­ ten. Dann ist der Erbe des minderjäh­rig verstor­ benen Gaius Seius vom Provinz­ statthalter gegen Publius Maevius in den vorigen Stand wiedereingesetzt worden, so dass er die er­ erbte Schuld nicht zu erfüllen brauchte. Es wurde jedoch nichts über die Rückforderung der Zinsen für dieses Ka­pital, die Seius als Minder­jähriger unter fünfundzwanzig Jahren gezahlt hatte, vor dem Statthalter verhandelt oder von die­sem entschie­den. Ich frage, ob nunmehr der Erbe die Zinsen zurückverlangen könne, die Gaius Seius als Minderjähriger unter fünfundzwanzig Jah­ren4 zu seinen Lebenszeiten an den Gläubi­ ger gezahlt hatte. Scaevola hat gutachtlich entschieden, nach dem, was vorgetragen wurde, könne das, was der Verstorbene als Zinsen gezahlt ha­ be, nicht kondiziert weden. Ferner frage ich, wenn du meinst, sie kön­nen nicht zurückverlangt werden, ob der Erbe sie dann gegenüber einer anderen Forderung zurückbehalten könne. Scaevola hat gutachtlich ent­ schieden, nicht einmal das sei zuläs­sig.

Die traditionelle Auslegung, die bis ins Hochmittelalter zurückreicht,5 ver­ steht D. 12,6,67,4 folgendermaßen: Ein Minderjähriger hat eine be­ stimmte Geld­summe als Darlehen erhalten und dafür zu seinen Lebzeiten dem Darle­hensgeber regelmäßig Zinsen gezahlt.6 Nach seinem Tod hat sein Erbe beim Provinzstatthalter mit Erfolg um eine in integrum restitutio we­ gen Minderjäh­rigkeit nachgesucht. Die Zinsen waren allerdings nicht Ge­ genstand der Ver­handlung vor dem Statthalter und kamen in dessen Urteil nicht vor. Der Erbe ist daher zwar von der Darlehensschuld befreit, kann aber weder die Zinsen beim Darlehensgeber kondizieren (1. Frage) noch die Begleichung einer ande­ ren Forderung gegenüber dem Darlehensgeber in Höhe der gezahlten Zinsen ver­weigern (2. Frage). Der Entscheidung Scae­ volas liegt die Erwägung zu­grunde, dass die Hingabe des Kapitals und die Zahlung der Zinsen zwei ge­trennte juris­tische Sachverhalte bilden. Daher beschränkt sich die Entschei­dung des Statt­halters über die in integrum restitutio auf das Kapital und erfasst nicht auch die Zinsen. 4

bei Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler (o. Fn. 3) 134. Fn. 7, 11. 6  Die Frage, ob der Darlehensgeber das Alter seines Schuldners und damit das Ri­siko einer in integrum restitutio des minor gekannt hat, thematisiert Scaevola nicht. 4  Fehlt

5  S. unten



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Daraus ergibt sich, dass der Erbe des minor zwar wegen der entrichteten Zin­sen beim Statthalter erfolgreich einen Antrag für eine weitere in integrum restitutio stellen kann, ihm aber keine retentio gegen sonstige Ansprü­ che des Darlehensgebers zusteht, sofern nicht der Statthalter in einem neuen decretum auch eine in integrum restitutio bezüglich der Zinsen angeordnet hat. Bereits Bartolus sah die Entscheidung Scaevolas als Aussage über das Verhältnis zwi­schen Haupt- und Nebensache bei einer in integrum restitutio an.7 Warum Scaevola das Problem von Haupt- und Nebensache bei der in integrum restitu­tio gerade bei der condictio behandeln sollte, wird allerdings nicht themati­siert. Diese Konstruktion scheint auf den ersten Blick überzeugend. Anders als beim bonae fidei iudicium, bei dem der Richter die Zinsen festsetzen kann, werden beim Darlehen Zinsen mit einer besonderen stipulatio versprochen und können sogar selbständig eingeklagt werden. Wenn das Dekret über die in integrum restitutio im Hinblick auf das Darlehen die bezahlten Zinsen nicht erwähnt, kann im Hinblick auf sie als einer selbständigen Vereinba­ rung erneut eine in integrum restitutio beantragt werden. Dagegen könnte man einwenden, dass bekanntlich Zinsen in der Praxis zumeist ohne beson­ dere stipulatio be­zahlt wurden8, und es daher nicht sachgerecht wäre, die Zinsen, die nicht auf einer stipulatio beruhen, von der in integrum restitutio für das Kapital auszu­nehmen. Über den Umfang der Wirkung einer in integrum restitutio bieten die Quel­ len wenig Informationen. Bei Verträgen mit einem wechselseitigen Leistungs­austausch führt die in integrum restitutio des minor zu einer bei­ 7  Bartoli Commentaria (u. Fn. 28) zu Lucius Titius: Restitutio concessa super princi­pali, ad accessorium non extenditur. Item quod per in integrum restitutionem quis pos­set consequi, ea nondum petita et obtenta non potest in compensationem deduci; Sfor­tius Oddus (Sforza Oddi; 1540–1611), De restitutione in integrum, Ve­ netiis 1584, Pars I, quaest. XLV, § 25 (S. 411a): Limitatur (die Rückgewähr gezoge­ ner Früchte bei der in integrum restitutio) tertio ut non procedat nisi iste (!) fructus petantur in libello, et iudex in sententia illos restituendos exprimat specialiter, alias enim tacite in con­demnatione non venirent, quando restitutio in integrum a iudice vivo facienda venit, prout regulariter accidit …; G. C. Burchardi, Die Lehre von der Wiedereinsezung in den vorigen Stand, 1831, 558–559: „Mit der Hauptsache muß man auch die Früchte und Accessionen herausgaben, so wie für Beschädigung der zu restituierenden Sache leisten, wobei in Ermangelung näherer Bestimmungen die für die Vindication gelten­den Grund­sätze in Anwendung zu bringen sind, was auch dadurch bestätigt wird, daß der Beklagte in bösem Glauben hier wie bei der Vindi­ cation sogar für die fructus per­cipiendos haftet, und daß auch hier gezogene Nut­ zungen nur soweit zu restituieren sind, als darauf ausdrück­lich erkannt worden ist [Fn. 20].“ In Fn. 20 ist auf D. 12,6,67,4 verwiesen. 8  S. P. Gröschler, Die tabellae-Urkunden aus den pompejanischen und her­ ku­ lanensi­schen Urkundenfunden, 1997, S. 156–176.

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derseitigen Rückgewähr der Leistungen.9 Unterschiedlich beurteilt die mo­ derne Literatur, ob Zinsen als Früchte anzusehen sind.10 Im folgenden soll D. 12,6,67,4 genauer analysiert werden. Folgende Punkte sind prima facie auffällig: Zunächst ist der Wechsel in den Namen der auftre­ tenden Personen bemerkenswert. Zu Beginn des Paragrafen er­ scheint der Dar­lehensgeber als Lucius Titius. Der spätere Antragsgegner der in integrum restitutio wegen Minderjährigkeit sollte denselben Namen tra­ gen. Doch er wird hier ohne weitere Erklärung als Publius Maevius be­ zeichnet. Diese Dis­krepanz suchte bereits Accursius alternativ damit zu er­ klären, dass es sich entweder um dieselbe Person handle, die mehrere Namen besitze, oder der Namenswechsel auf einer Erbfolge auf Gläubigerseite be­ ruhe oder ein procu­rator aufgetreten sei.11 Hotman sieht Publius Maevius als Verwechslung oder Textverderbnis für Lucius Titius an.12 9  Paul. D. 4,4,24,4 (1 sent.): Restitutio autem ita facienda est, ut unusquisque in­tegrum ius suum recipiat. itaque si in vendendo fundo circumscriptus restituetur, iubeat praetor emptorem fundum cum fructibus reddere et pretium recipere, nisi si tunc dederit, cum eum perditurum non ignoraret: sicuti facit in ea pecunia, quae ei consumpturo creditur, sed parcius in venditione, quia aes alienum ei solvitur, quod facere necesse est, credere autem non est necesse. nam et si origo contractus ita con­stitit, ut infirmanda sit, si tamen necesse fuit pretium solvi, non omnimodo emptor damno adficiendus est; Sev. C. 2,47(48),1 (s. a.): Qui restituitur in integrum, sicut in damno morari non debet, ita nec in lucro: et ideo quidquid ad eum pervenit vel ex emptione vel ex venditione vel ex alio contractu, hoc debet restituere. 1. Sed et si inter­cessor minor viginti quinque annis intervenit, in veterem debitorem debet restitui ac­tio. 2. Sed et cum adiit minor hereditatem et restituitur, mox quidquid ad eum ex here­ditate pervenit, debet praestare. 3. Verum et si quid dolo eius factum est, hoc eum praestare convenit. 10  Zum Fruchtbegriff s. M. Kaser, RPR I, 384, G. Astuti, ED 11 (1962), 9 f. s. v. cosa. 11  S. Accursius, Glosse Publium zu D. 12,6,67,4: Publium id est Lucium Titium, quadrinomius enim erat, vel dic quod hic erat heres creditoris vel procurator. So der Text in dem Digestum vetus, Venetiis, De Tortis, 1488 [Nachdruck 1969], fol. 212vb. Die früheste Druckausgabe des Digestum vetus, die in Perugia 1476 erschien, liest hin­gegen am Ende procuratoris statt procurator. Danach würde es sich um den Erben des Gläubigers oder des Prokurators handeln. Denselben Text wie die Ausgabe Peru­ gia 1476 bietet auch der Druck des Digestum vetus des Jahres 1627, Sp. 1335. Richtig ist die Lesung procurator in der Venezianer Ausgabe: D. 12,6,67,4 erwähnt keinen pro­curator, demnach ist kann auch kein Erbe eines Prokurators auftreten. Vielmehr kann nach Accursius Publius Maevius entweder ein weiterer Name von Lucius Titius sein oder Publius Maevius ist der Erbe des Lucius Titius oder Publius Maevius tritt als pro­curator des Lucius Titius auf. Die verschiedenen Versionen der Glosse zeigen, wie wichtig es ist, nicht nur die verbreitete Ausgabe des Jahres 1627 zu benutzen. Inwie­weit die Lesung procuratoris statt procurator schon in den Handschriften der Glossa ordinaria verbreitet ist, kann hier nicht weiter verfolgt werden. 12  S. Francisci Hotomani iurisconsulti observationum liber quinctus (sic!), Basi­ leae 1577, S. 44–45, Cap. 13 (Aliorum aliquot locorum emendationes), am Anfang:



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Bei der Auslegung eines Fragments, das mehrere Paragrafen umfasst, be­ steht heute allgemein die Tendenz, die Paragrafen eines Fragments als abge­ schlos­sene Sinnabschnitte zu betrachten und jeden Paragraf ohne Berücksich­ tigung des Zusammenhangs aus sich heraus zu verstehen. Allerdings gibt es keine Belege dafür, dass die spätantiken Digestenhandschriften eine verbindli­che und einheitliche Paragrafeneinteilung besaßen. Paragrafenzei­ chen sind für eine Digestenhandschrift unmittelbar in den Pommersfeldener Fragmenten belegt, allerdings ohne Nummerierung.13 Mittelbar belegen Scholien zu den Basiliken, die aus dem Rechtsunterricht der Antecessoren stammen, dass im justinianischen Rechtsunterricht Digestenexemplare mit nummerierten Frag­menten und Paragrafen Verwendung fanden.14 Ein Fort­ wirken dieser Eintei­lung in das lateinische Mittelalter lässt sich aber nicht feststellen, die hoch­ mittel­ alterlichen Juristen namen selbständig Paragra­ pheneinteilungen vor, die dann in die frühen Drucke übergingen. Während eine Zählung der Fragmente im Jahre 1509 und 1510 in den Lyoneser Ausgaben von De Benedictis und Fradin auf­tritt,15 scheint sich die Para­ graphenzählung erstmals in der editio Taurelliana des Jahres 1553 zu fin­ den.16 Die Zählung ist daher konventionell und unterliegt Schwankungen in den Editionen. Dementsprechend kann die Konzentration auf einen Paragra­ fen den Verlust des Blicks auf die gesamte Argumentation des römischen Juristen nach sich ziehen.17 Die Paragrafen­ einteilung für D. 12,6,67, die Primus est in l. ult. § ult. D. de condic. ind. ubi Pvblivm Maevivm mendose legitur, pro L. Ti­tium. de quo proposita quaestio fuerat (= Francisci Hotomani iurisconsulti observa­tio­num in ius civile libri IX, Genevae 1589, S. 116, Cap. 24). Unter den modernen Über­setzungen ist die spanische Übersetung von A. D’Ors, El digesto de Justiniano, Bd. I, 1968, 506 zu nennen: „contra Publio Mevio (digo Lucio Ticio)“. 13  S. P. Pommersfelden 3, fol. 3r / 19 zu D. 45,1,38,10 (ed. mai. 2, S. 655,30), fol. 3r / 21 zu D. 45,1,38,11 (S. 655,31); fol. 4r / 2 zu D. 38,1,1 (S. 656,4), fol. 4r / 15 zu D. 45,1,38,20 Mitte (is qui pupilli tutelam …; S. 656,7). Das letzte Beispiel zeigt, dass die spätantiken Einteilungen nicht mit den modernen übereinstimmen müssen. 14  S. nur als Beispiele BS 2,19–18 zu D. 1,1,1 (Bas. 2,1,1): T… dhlo‹ tÕ e„pe‹n ¢nagwg», e‡rhtai [[tÕ e„pe‹n]] bib. la/. tit. a/. dig. kaˆ qšm. teleut.; BS 5,23–24 zu D. 1,3,14 (Bas. 2,1,24): Toà 'AnwnÚmou. Bib. n/. tit. iz/. dig. rma/. kaˆ xba/. (65) kaˆ bib. mh/. tit. d/. dig. z/. (§ 3) kaˆ bib. lq/. tit. b/. dig. ig/. qšm. m/. (§ 36); BS 126,9–10 zu D. 3,3,45 (Bas. 8,2,45): Kaˆ shme…wsai, Óti oÙ p£ntwv d…dwsin ™ggÚav Ð defšnswr. 'An£gnwqi dig. mv/. qšm. g/. kaˆ dig. nb/. BS 1120,13–15 zu D. 15,1,11 (Bas. 18,5,11): 'En tù ka/. (25) dig. toà a/. tit. toà z/. bib. qšm. [v/. lšgei tÕn oÙsoufrouktou£rion] oÙk „scurîv tù doÚl0 t¦v „d…av Ñpšrav misqoàn oÜte tù BONA FIDE douleÚonti. 15  S. dazu W. Kaiser, Art. Digesten (Überlieferung), in: DNP 13, 1999, 845–852, 848. 16  S. Kaiser (o. Fn. 15), 850. 17  Insbesondere ergänzen sich die Erörterungen bei Scaevola gelegentlich, so etwa bei D. 20,1,34, oder D. 20,4,21. Zu Paul. D. 12,6,65,5–8. s. meinen Beitrag, Condictio indebiti bei operae liberti und operae servi – Versuch einer Exegese von

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den heutigen Ausgaben zugrundeliegt, findet sich bereits in der Torelliaus­ gabe.18 Daher möchte ich mich bemühen, jeden Paragrafen aus dem gesamten Kon­text des Fragments heraus zu verstehen. Im folgenden kommt zuerst den Grund­satz der condictio indebiti zur Sprache, das Hauptthema des Ti­ tels, sodann der Inhalt von principium und § 1 sowie der Fall der Schuldüber­ nahme in den §§ 2–3, darauf die Rolle des Publius Maevius und die Forde­ rungsabtretung in § 4, anschließend das Verfahren der in integrum restitutio nach der Forderungs­abtretung und am Ende das Problem des Vorwurfs der Nachlässigkeit gegen eine Partei bzw. den Statthalter. II. Der Grundsatz der condictio indebiti19 1. Die condictio indebiti entsteht dann, wenn das Schuldverhältnis objek­ tiv nicht besteht.20 In dieser Konstellation gibt es a) das (fehlende) Schuldverhält­ nis zwischen dem Gläubiger einerseits und dem Schuldner andererseits, b) den leistenden Schuldner und späteren Kläger und c) den Gläubiger als Empfänger und Beklagten.21 Der Schuldner ist zugleich der Zahlende und der Kläger, der Gläubiger zugleich der Empfänger und der Beklagte. Wenn diese Identität ein­mal fehlt, gibt es auch die condictio indebiti nicht mehr, anders gesagt, wenn der Kläger nicht der Zahlende oder der Beklagte nicht der Empfänger ist, schei­tert die condictio indebiti sofort. 2.  Die Qualifikation als Zahlender oder Empfänger ist daher von entschei­ den­der Bedeutung. Diese Qualifikation ist nach rechtlichen Gesichtspunkten Paulus D. 12,6,65,8, in: Th. Finkenauer (Hrsg.), Sklaverei und Freilassung im römi­ schen Recht, Symposium für Hans Josef Wieling zum 70. Geburtstag, 2006, 189– 200. 18  S. Digestorum seu Pandectarum libri quinquaginta ex Florentinis Pandectis reprae­sentati, Florentiae 1553, 329–330. 19  Für die Diskussion dieses Abschnitts bedanke ich mich herzlich bei Hiroshi Ko­ dama (Kyoto). Zur Struktur der condictio indebiti s. auch S. E. Wunner, Der Begriff causa und der Tatbestand der condictio indebiti, Romanitas 9, 1970, 459– 483. 20  Das Schuldverhältnis kann schon vor der Leistung fehlen, aber auch erst nachträg­lich wegfallen. Im ersten Fall ist weiter zu unterscheiden, ob dem Leisten­ den die feh­lende Verpflichtung bekannt war oder nicht. 21  Die Leistung auf eine existierende Verbindlichkeit, aber an den falschen Gläubi­ger, sowie die Leistung auf eine vermeintlich eigene Schuld behandelt Paulus 17 Plaut. in D. 12,6,65,9. Hier handelt es sich um eine Variante der condictio indebiti. In dem Fall, in dem das Schuldverhältnis objektiv besteht, zahlt entweder der wahre Schuldner an einen vermeintlichen Gläubiger oder der vermeintliche Schuld­ ner an den wahren Gläubiger. S. P. F. Girard (et F. Senn), Manuel élémentaire de droit romain, 8. Aufl. 1929, 656.



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vorzuneh­ men. Entscheidend hierfür ist die Beziehung der Person zum betref­fenden Vermögen. Das, was geleistet wird, lässt sich als Qualifikation des ge­leisteten Objekts ansehen. Jedoch kann es zugleich als Qualifikation des Zah­lenden bzw. Empfängers anzusehen sein. Der Zahlende erhält erst dann diese Eigenschaft, wenn die Zahlung aus seinem Vermögen oder dem Vermö­gen, über das er die Verwaltungsbefugnis besitzt, herrührt, der Emp­ fänger dann, wenn das Empfangene in sein Vermögen oder das Vermögen, über das er die Verwaltungsbefugnis besitzt, gelangt.22 3.  Im römischen Recht richtet sich die condictio indebiti nur gegen den Emp­fänger der Leistung, nicht gegen den Bereicherten, wie Mod. 3 reg. D. 12,6,49 klarstellt.23 Das Problem der Qualifikation des Zahlenden oder des Empfängers und das der Identität dieser Personen mit dem Kläger bzw. dem Beklagten bildet eine Kernfrage der condictio indebiti.24 III. Der erste Teil des Fragments (principium und § 1) D. 12,6,67 pr.-1 Stichus testamento eius, quem domi­ num suum arbitrabatur, li­ ber­ tate ac­cepta, si decem annis ex die mortis annuos decem here­ dibus praestitisset, per octo annos prae­fi­25

Stichus hatte aus dem Testament dessen, den er für seinen Eigentümer hielt, die Freiheit unter der Bedingung erhalten, dass er zehn Jahre lange gerechnet vom Todes­tag an25 je zehn an die Erben zahlen werde. Acht Jahre

22  Es wird daher gelegentlich diskutiert, ob das Geld aus einer anderen Quelle be­zahlt wurde, so etwa Paul. D. 42,5,6,2: quid ergo, si aliunde pupillus solverit?; Afr. D. 47,2,62(61),9. 23  D. 12,6,49: His solis pecunia condicitur, quibus quoquo modo soluta est, non qui­bus proficit. Auch Diocl. C. 4,2,15 (a. 294) und C. 4,10,13 (a. 294) bestätigen den Grund­satz. 24  Vielleicht könnte man einwenden, dass die obige Darstellung zu einseitig auf die Sicht der beteiligten Personen („Zahlender“ „Empfänger“) abstellt. Es wäre wün­ schens­wert, eine noch genauere Erklärung des Grundsatzes der condictio indebiti aus den beiden zentralen Gesichtspunkten, den beteiligten Personen und dem Ver­ mögen, zu versuchen. 25  So bereits K. Otto / B. Schilling / K. Sintenis (Hrsg.), Das Corpus iuris civilis in´s Deutsche übersetzt von einem Verein Rechtsgelehrter, Bd. 2, 1831, 77 (vom Tage des Todes [des Herrn] an); A. D’Ors, El Digesto de Justiniano, Bd. 1, 1968, 506 (a partir de la muerte del testador); A. Söllner, Irrtümlich als Sklaven gehaltene freie Menschen und Sklaven in unsicheren Eigentumsverhältnissen (CRRS 9), 2000, 69; S. Schipani / L. Lantella (Hrsg.), Iustiniani Augusti Digesta seu Pandectae. Di­ gesti o Pandette del­l’im­peratore Giustiniano. Testo e traduzione, Bd. 3: 12–19, 2007, 75 (dal giorno della morte ). Unzutreffend hingegen Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler (o. Fn. 3) 134: am Todestag.

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nitam quantita­ tem ut iussus erat dedit, postmodum se inge­ nuum comperit nec reliquorum annorum dedit et pronuntiatus est ingenuus: quaesitum est, an pecuniam, quam heredibus dedit, ut indebitam da­tam repetere et qua actione pos­sit. respondit, si eam pecuniam dedit, quae neque ex operis suis neque ex re eius, cui bona fide serviebat, quaesita sit, posse repeti. (1) Tutor creditori pupilli sui plus quam debebatur exsovit et tutelae iudicio pupillo non imputavit: quaero an repetitionem adversus creditorem haberet. respondit habere.

lang zahlte er gemäß der testa­mentari­schen Anordnung den festge­setzten Betrag: danach erfuhr er, dass er frei­gebo­ren26 war, zahlte für die restlichen Jahre nicht mehr und wur­ de im Frei­heits­prozes­ses für freigeboren er­ klärt. Es wurde gefragt, ob er das Geld, das er an die Erben gezahlt hatte, als nicht geschul­det Geleistetes zurückverlan­gen könne und mit welcher Klage. Scaevola hat gutachtlich entschieden, wenn er Geld gezahlt habe, das weder aus eige­ner Arbeit erworben worden sei noch aus dem Vermögen dessen, dem er als einem gut­ gläubigen Besit­zer gedient hatte, stam­me, so könne es zurückverlangt wer­den. (1) Ein Vormund hat dem Gläubiger seines Mündels mehr geleistet als geschuldet war und hat dies bei der Vormundschaftsklage dem Mündel nicht in Rechnung gestellt. Ich frage, ob er einen Anspruch auf Rück­ zahlung gegen den Gläubiger hat. Scaevola hat gutachtlich entschieden, er ha­ be einen Anspruch.

1. Das principium behandelt die Rückforderbarkeit von Geld, das ein Schein­sklave aufgrund einer testamentarischen Anordnung des Scheineigen­ tümers an den Erben in jährlichen Intervallen für seine Freilassung gezahlt hat. Auch an­dere Stellen diskutieren das Problem, inwieweit ein Scheinsklave den „Preis für seine Freilassung“ vom Scheineigentümer zurückverlangen kann.27 26

Das geleistete Geld kann nach Scaevola der Scheinsklave dann nicht zu­ rück­fordern, wenn das Geld aus dem Vermögen des vermeintlichen Eigentü­ mers oder aus der Arbeit für ihn als (Schein-)Sklave herrührt. Wenn der Schein­sklave mit Geld aus dem Vermögen seines vermeintlichen Eigentü­ mers eine Schuld bezahlt, dann ist dies so anzusehen, als hätte er das Geld als Un­freier gezahlt. Eine condictio indebiti zur Rückforderung des „Preises für Freiheit“, welchen ein Scheinsklave bezahlt hat, setzt voraus, dass der Schein­sklave die Zahlungen aus anderweitigen Mitteln erbracht hat. 2.  Der Zahlende bzw. der Zahlungsempfänger muss nicht der Inhaber des Ver­mö­gens sein, aus dem geleistet wird, sondern auch ein „Vertreter“ (z. B. 26  Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler

(o. Fn. 3) 134: „ein freigeborener Römer“. auch Ulp. D. 12,4,3,5 und D. 17,1,8,5; dazu R. Knütel, Das Mandatum zum Frei­kauf, in: Mandatum und Verwandtes, hrg. von D. Nörr / Sh. Nishimura, 1993, 353–374, 356 ff. 27  S.



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Vormund) kann leisten. Wenn die Tätigkeit des Vertreters endet oder sich nachträg­lich ändert, stellt sich die Frage nach dem richtigen Kläger oder Be­klagten bei der condictio indebiti, da diese nur dem Inhaber des Vermö­ gens bzw. seinem rechtmäßigen Verwalter zusteht. § 1 erörtert den Fall, dass sich die Qualifikation des Zahlenden später ver­än­dert. Der Vormund hat dem Gläubiger des Mündels aus dem Vermögen des Mündels mehr gezahlt als geschuldet war. Bei unveränderter Sachlage steht die condictio indebiti dem Mündel selbst zu, um die Überzahlung wieder sei­nem eigenen Vermögen zuzuführen, wie Pap. D. 12,6,57 pr. zeigt. Denn die condictio indebiti wegen Überzahlung aus dem Vermögen des Mündels steht dem gegenwärtigen Verwalter des Vermögens zu, d. h. dem jetzt erwachsenen Mündel selbst. Jedoch hat der Vormund bei seiner Rech­ nungslegung nach dem Ende seines Amts den überzahlten Betrag nicht dem Mündel in Rech­nung ge­stellt. Mit der Rechnungslegung steht fest, dass die Überzahlung nicht aus dem Mündelvermögen, sondern aus dem persön­ lichen Vermögen des Vormunds erfolgt ist. Das bedeutet, dass die Zahlung an den Gläubiger des Mündels jetzt nicht mehr als vom Vormund geleistet zu qualifizieren ist. Die tatsächlich leis­tende Person hat ihre Qualifikation nachträglich verändert. IV. Die Schuldübernahme beim Kauf eines überschuldeten Vermö­gens (§§ 2–3) D. 12,6,67,2–3 (2) Titius cum multos creditores haberet, in quibus et Seium, bona sua privatim facta venditione Mae­ vio concessit, ut satis credito­ ribus faceret: sed Maevius solvit pecu­ niam Seio tamquam debitam, quae iam a Titio fuerat soluta: quaesitum est, cum postea reppe­ riantur apochae apud Titium debito­ rem partim solutae pecu­ niae, cui magis repetitio pecuniae indebitae solutae competit, Titio debitori an Maevio, qui in rem suam procurator factus est. respondit secundum ea quae pro­ ponerentur ei, qui postea solvisset.

(2) Titius, der zahlreiche Gäubiger hatte, dar­unter auch Seius, überließ es nach priva­ ter Veräußerung seines Vermögens an Mae­ vius diesem, die Gläubiger zu befrie­ digen. Maevius aber zahlte, als wäre es noch ge­ schuldet, an Seius Geld, das Titius schon gezahlt hatte. Es wurde gefragt, ob für den Fall, dass spä­ ter beim Schuldner Titius Quittungen über Teilzahlungen gefunden wurden, die Rück­ forderung der nicht geschuldeten Geld­ beträge eher dem Schuldner Titius zu­ stehe oder dem Maevius, der zum Pro­zess­vertreter in eigener Sache bestellt wor­den war. Scaevola hat gutachtlich entschieden, nach dem, was vorgetragen wurde, stehe die Rückforderung demjenigen zu, der später gezahlt habe.

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(3) Derselbe hat gefragt, ob eine Abrede, wel­che bei Rechnungsabschlüssen ge­wöhn­ lich in folgender Fassung hinzugefügt wird: „Aus diesem Vertrag besteht unter den Par­ teien kein Streit mehr“, eine Rück­forde­rung hindere. respondit nihil proponi, cur impe­ Scaevola hat gutachtlich entschieden, es sei diret. nichts vorgetragen, weshalb die Abrede dies hindern sollte.

(3) Idem quaesiit, an pactum, quod in pariationibus adscribi so­ let in hunc modum „ex hoc con­ trac­ tu nulla inter se controver­siam am­plius esse“ impedit repe­titio­nem.

1.  Bisher pflegt man § 2 und § 3 getrennt zu behandeln. Schon Bartolus ver­stand § 2 als einen Anwendungsfall des allgemeinen Grundsatzes „bei einer doppelten Bezahlung steht die condictio indebiti demjenigen zu, der später bezahlt hat“.28 § 3 soll hingegen die Frage behandeln, wie das pactum richtigerweise aus­zu­legen ist. Freilich überrascht es, dass im Rahmen einer Erörterung der con­dictio indebiti die Auslegung eines pactum zur Sprache kommt. In Bas. 24,6,67 sind beide Paragrafen vereint, § 3 wird auf den Fall bezogen, den § 2 schildert.29 2.  Wie bereits B. Frese bemerkt hat, deutet „idem quaesiit“ bei Scaevola auf die Fortsetzung desselben Sachverhalts.30 Danach wäre § 3 die Fortset­ zung von § 2. W. Kunkel hat richtig gesehen, dass § 2 eine Schuldübernahme zugrunde liegt, bei der der Schuldübernehmer als procurator in rem suam auftritt.31 28  S. Bartoli commentaria in secundam Digesti veteris partem, Venetiis 1473, zu Ti­tius: Duobus idem debitum solventibus, ultimo solventi repetitio conceditur. hoc dicit. 29  S. Bas.  24,6,67,2–3: Crewstîn tiv ple…osin, ™n oŒv k¢mo…, ™xecèrhsš soi t¦ pr£gmata aÙtoà ™pˆ tù plhrîsai toÝv daneist£v, kaˆ dšdwk£v moi ½dh la­bÒnti par¦ toà creèstou oÙc Ð creèsthv, ¢ll¦ sÝ t¾n perˆ toà m¾ ke­ cre­ wsthmšnou ¢gwg¾n œceiv, m¾ kwluÒmenov ™k tîn kat¦ sun»qeian grafomšnwn ™n ta‹v apode…xesi tÕ mh­ dem…an ¢mfisbºthsin ™k toà sunall£gmatov Øpo­lele‹fqai (BT 1173, 22–27). Zu Bas. 24,6,67 sind keine Scho­lien erhalten, s. BS 1758. S. im übrigen zum Verhält­nis zwischen Digesten und Basili­ken meinen Beitrag: Die Berücksichtung der Basili­ken durch Mommsen bei der Edition von D. 17,1 am Beispiel von D. 17,1,38 (Mar­cellus 1. sing. resp.), in: Mandatum und Verwandtes (o. Fn. 27), 101–109. 30  B. Frese, Zur Lehre von Quittung, ZRG RA 18 (1897) 241–284, 262 Anm. 2. Zu den fünf Stellen aus den Digesten von Scaevola, die Frese anführt, lässt sich noch für idem quaesiit D. 34,3,28,11.12 (Lenel Nr. 57), D. 36,1,80,3.9 (Lenel Nr. 90) hinzufügen, zudem für item quaesitum D. 33,2,32,9 (Lenel Nr. 47) und D. 33,8,23,3 (Lenel Nr. 49) sowie für item quaero D. 40,7,40,4.5.6 (Lenel Nr. 107). 31  P. Jörs / W. Kunkel, Römisches Privatrecht, 2. Aufl. 1935, 207 (§ 128). Noch nicht erkannt in dem bahnbrechenden Buch von B. Delbrück, Die Übernahme frem­ der Schul­ den nach gemeinen und preussischen Rechte, 1853, und in der ersten



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Wenn man beide Beobachtungen kombiniert, dann geht es in der Varian­ te, die § 3 erörtert, darum, ob der Schuldübernehmer, der ein zweites Mal leistet, dem Gläubiger ein pactum zwischen ihm und dem alten Schuldner, das bei­derseitige Ansprüche für erledigt erklärt, entgegenhalten kann.32 3.  Bei den bisherigen Auslegungen bleibt die Frage ungeklärt, warum der Gläubi­ ger nicht die erneute Zahlung des Maevius bis zur Höhe der ihm zuste­henden Forderungen behalten kann. Daneben ist eine Erklärung dafür nötig, warum der alte Schuldner (Titius) und der Vermögenskäufer (Maevi­ us) dem Gläubiger (Seius) den gleichen Betrag als Teilzahlung leisteten. Dies ist umso befremdlicher, als ein vorheriger Informationsaustausch über geleistete Zah­lungen zwischen Altschuldner und Vermögenskäufer im Fall jedenfalls nicht naheliegt. Die Gründe für die doppelte Zahlung desselben Betrages themati­siert Scaevola nicht, ebensowenig die neuere Literatur. 4. Eine Erklärung dafür, warum sich der Gläubiger auf Teilzahlungen ein­ge­lassen hat, ist nicht zu finden. Frese denkt an einen teilweisen Erlass auf­grund von Schenkung oder Vergleich.33 Es besteht jedoch eine weitere Möglichkeit für die Teilzahlungen. Im römi­ schen Recht gibt es bei Überschuldung die Möglichkeit eines Konkursverfah­rens mit der missio in bona und der venditio bonorum oder eines Gesamtver­gleichs unter Hinzuziehung des Prätors. Jedoch ist auch ein Vermögensver­kauf privato consilio in Iul. D. 42,7,5 bezeugt. Dort wählen die Gläubiger nach der cessio des Vermögens durch den Schuldner aus ihrer Mitte einen Verwalter, der das Schuldnervermögen verkauft. Zwei weitere, von Scaevola stammende Stel­len, D. 2,14,44 und D. 26,7,59, erwähnen je­ weils den Fall des sogenannten de facto-Gesamtvergleichs durch einen Vormund über über­schul­detes Erbschafts­vermögen seines Mündels. Der private Gesamtvergleich34 ist deshalb für die Gläubiger interessant, weil er im Gegensatz zu dem Konkursverfahren bzw. dem Gesamtvergleich Auflage von Jörs. S. jetzt z. B. Kaser, RPR I, 655. A. 27. Hier muss die Frage of­ fenbleiben, ob man für die klassische Zeit statt eines procurator einen cognitor annehmen sollte, wie dies z. B. F. Serrao, Il procurator, 1947, 69 f. meint. 32  Es ist freilich möglich, dass es sich um ein pactum mit dem neuen Schuldner han­delt. Wegen der parallelen Struktur mit § 4 scheint aber die im Text vertretene Auffas­sung vorzugswürdig. 33  Frese (o. Fn 30) 263. 34  In den Quellen findet man ab und zu den Fall des privaten Verkaufes einer über­schulde­ten Erbschaft. Es ist dem Erben im Hinblick auf das Andenken des Erb­ lassers oft wichtig, einen Konkurs wegen Überschuldung der Erbschaft zu vermei­ den. Das­selbe gilt auch bei einer Überschuldung des Vermögens. Es gibt dafür sehr wenige Quellen, denen auch, anders als dem Konkursverfahren, wenig Beachtung geschenkt wird. S. S. Solazzi, Il concorso dei creditori nel diritto romano, Bd. 4, 1943, 9. Im Übrigen ist für concessit in § 2 interessant, dass Gai. D. 28,1,8,1 con-

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unter Hinzuziehung des Prätors schneller und kostengünstiger ist.35 Dabei ist es denk­bar, dass ein Dritter, der nicht zu den Gläubigern gehört, das Vermögen über­nimmt.36 Der Gesamtvergleich kommt in Fragmenten Scaevolas häufiger vor.37 5. Der Sachverhalt in den §§  2–3 wäre dann folgendermaßen zu rekonstruie­ren: Jemand (Titius) hatte ein überschuldetes Vermögen. Er hat zuerst ver­ sucht, sich mit seinen Gläubigern durch Teilzahlungen zu vergleichen. Einer seiner Gläubiger, Seius, hat sich unter Rücksicht auf die unsichere Situation seines Schuldners mit Teilzahlungen zufriedengegeben und sich unter Ver­ zicht auf weitere Ansprüche mit dem Schuldner verglichen. Inzwischen bemerkte Ti­tius, dass er zu entsprechenden Vergleichen mit allen Gläubigern nicht in der Lage ist. Um ein Konkursverfahren mit der Folge der Infamie zu vermeiden, hat er sein gesamtes Vermögen unter der Bedingung der Schuldübernahme privat an einen Dritten (Maevius) verkauft und ihm das Vermögen übergeben (concessit). Da dem Maevius die Teilzahlungen von Titius an Seius nicht mit­geteilt wurden, hat Maevius an Seius die Quote bezahlt. Erst danach waren die Rechnungen beim alten Schuldner zugäng­ lich geworden. Da das Vermögen des Titius schon überschuldet war, bedeutet die Schuld­ über­nahme (ut satis creditoribus faceret) nicht die volle Bezahlung der Schul­den, sondern nur die Übernahme der Rolle des Beklagten als procurator in rem suam. cedo für die Überlassung des überschuldeten Vermögens eines Straftäters, über den die aqua et igni interdictio verhängt wurde, an dessen Gläubiger benutzt (si non lucrosa, credito­ribus conceden­tur). 35  Der Vorteil ist den beteiligten Personen klar. Die Gläubiger können damit schnel­ler ihre Forderung mit derselben (mehr oder weniger hohen) Quote erhalten. Der Schuld­ner kann mit dem Verkauf des überschuldeten Vermögens seine Ehrlosig­ keit vermeiden und zugleich den (wenn auch geringen, doch vorhandenen) Kaufpreis be­kommen. Der Käu­fer des Vermögens kann mit dem riskanten Geschäft möglicher­ weise hohen Gewinn erzielen. Es besteht freilich die Gefahr, dass es wegen fehlen­ der öffent­licher Kontrollen zur Übervorteilung einer Partei kommt. 36  Hier ist von einer fraus des Schuldners nicht die Rede. Dazu, dass bei Überschul­dung eine fraus des Schuldners nicht selten gewesen sein dürfte, s. W. Pakter, The Mystery of cessio bonorum, Index 22, 1992, 323–342. Der vorlie­ gende Fall dürfte sich aber auf die Fragen der condictio indebiti konzentrieren. 37  S. nur die Nachweise bei B. Brissonius, De formulis et solemnibus Populi Ro­mani verbis, Paris 1583, 549–650: Von insgesamt acht Beispielen stammen fünf aus Scae­vo­la. In der Ausgabe von Brissonius, De formulis, die 1754 in Leipzig er­ schien, finden sich die Ausführungen in Cap. 199 unter der Rubrik Pacti heredum cum credi­toribus, ut certa parte contenti essent (S. 555).



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6. Die gestellte Frage, cui magis repetitio pecuniae indebitae solutae com­petit, Titio debitori an Maevio, qui in rem suam procurator factus est wird aus der Qualifikation des „Zahlenden“ bzw. des „Empfängers“, d. h. aus den Quel­len der Leistung und deren gegenwärtigem Inhaber (bzw. Ver­ walter) des Ver­mö­gens beantwortet. Vor dem Vermögensverkauf hat Titius den Seius aus sei­nem Vermögen bezahlt. Mit dem Verkauf verliert er sein Vermögen. Mae­vius hat aus dem gekauften Vermögen an Seius eine Teil­ zahlung erbracht. Er ist jetzt Verwalter des Vermögens, welches jedem an­ deren Gläubiger haften soll. Beide Teilzahlungen stammen aus demselben (de facto) Haftungsvermö­ gen. Da jeder Gläubiger nur anteilig befriedigt werden soll, soll Seius eine der bei­den Zahlun­gen dem gegenwärtigen Ver­ walter des Haftungsvermögens, Mae­vius, zurück­geben. 7.  Ebenso wie ut satis creditoribus faceret keine vollständige Bezahlung im­pliziert, bedeutet nullam inter se controversiam amplius esse nicht den voll­ständigen Ausschluss aller Streitigkeiten, sondern nur eine Begrenzung des Streits. In diesem Sinne dient § 2 als Begründung für § 3. In § 3 ist im Übrigen zugleich stillschweigend vorausgesetzt, dass bei der Schuld­übernahme das pactum zwischen Gläubiger und altem Schuldner (mit dem hier angenommenen Inhalt, dass nur eine Teilleistung zu erbringen ist) dem Gläubiger von dem neuen Schuldner entgegengehalten werden kann. 8.  Scaevola geht davon aus, dass sich die erste Teilzahlung des Schuld­ ners und die zweite Teilzahlung des Vermögenskäufers auf denselben Betrag be­ laufen. Nach dem Sachverhalt war Maevius offenbar über vorgängige Zahlun­ gen nicht informiert. Wenn der Betrag der beiden Teilzahlungen voneinander abgewichen wäre, wäre die Lösung sehr kompliziert geworden. Scaevola möchte wohl zwecks Vermeidung unnötiger Komplikationen einen einfachen Sachverhalt zugrunde legen. Unser Fragment ist als Übungsauf­ gabe für fortge­schrittene Hörer / Leser Scaevolas gedacht.38 9. Am Ende dieses Abschnitts seien noch die Basiliken erwähnt. Der Basili­kentext, der wohl auf der Paraphrase des (älteren) Anonymus beruht,39 er­wähnt die Teilzahlungen nicht mehr.40 Damit ging der juristische Kern der 38  Auch Paul. D. 4,4,32 möchte ich als Schulbeispiel betrachten, s. meinen Bei­ trag: Ein vergessenes Beispiel für die Haftung der Kuratoren des Minderjährigen: D. 4,4,32 (Paul. 1 quaest.), in: Festschrift für Rolf Knütel zum 70. Geburtstag, hrsgg. H. Altmep­pen / I. Reichard / M. J. Schermaier, 2009, 813–832. 39  C. W. E. Heimbach, Basilicorum libri LX, Bd. 6: Prolegomena et Manuale Basi­lico­rum, Leipzig 1870, 54–55; zum älteren Anonymus s. P. Pieler, Byzantini­ sche Rechts­li­te­ratur, in: H. Hunger, Die hochsprachliche profane Literatur der By­ zantiner, Bd. 2 (HdA 12,5,2), 1978, 341–480, 423. 40  Zur Arbeitsweise des älteren Anonymus s. nur die Bemerkungen bei W. Kaiser, Die Lücken in D. 48,20 und D. 48,22, in: I. Reichard / M. Armgardt / F. Klinck (Hrsg.), Festschrift für Christoph Krampe zum 70. Geburtstag, 2013, 147–172, 159.

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Darstellung in § 2 verloren. Um diesem Teil eine Bedeutung zu geben, ha­ ben die Herausge­ber der Basiliken beide Paragrafen (§ 2 und § 3) mit einem Semi­kolon verbun­den.41 Dies führt allerdings zu einem veränderten Inhalt.42 V. „Publius Maevius“ bei Scaevola 1. In der Literatur besteht durchaus Interesse an den Namen, die die Juristen in einzelnen Digestenfragmenten verwenden.43 Wenig Interesse finden jedoch die sogenannten Blankettnamen, z. B. Titius, Seius oder Mae­ vius. Im Hinblick auf die Interpretation der vorliegenden Stelle seien hier einige Beobachtungen zur Verwendung von Publius Maevius bei Scaevola eingeschoben. In den Fragmenten des Scaevola sind häufig die Akteure mit ihren Gentil­ namen genannt. Scaevola benutzt sehr oft Titius, Seius oder Maevius, und zwar in Regel in dieser Reihenfolge.44 Ab und zu erscheinen auch zwei oder drei Mitglieder einer Familie (Seii, Maevii). Zu dem Gentilnamen45 wird manchmal ein Pränomen hinzugefügt. z. B. Lucius Titius, Gaius Seius, Publius Maevius. Andere Verbindungen wie z. B. Gaius Maevius (D. 36,1,80[78],12) Publius Sempronius (D. 32,37,2) sind sel­ ten. In dem doppelten Gentilnamen Maevius Sempronius in D. 4,8,43 dürfte Maevius eine Verderbnis für Marcus (vielleicht auch Manlius) sein. Es liegt nahe, dass der Jurist bei der Erörterung eines Falls, der sich über meh­rere (moderne) Paragraphen erstreckt, dieselbe Person mit demselben Na­men bezeichnet.46 Daher ist es erlaubt, Personen mit demselben Namen 41  S. nur

BT 1173, 25. C. W. E. Heimbach, Basilicorum libri LX, Bd. 3: Lib. XXIV.–XXXVIII. conti­ nens, 1843, 40 Anm. bb heißt es „sic recte interpungit Iensius Notit Basil. p. LXIII. Fabr. sic: œceiv. M¾ kwluÒmenov“ [Trennung beider Paragrafen mit einem Punkt]. 43  Z. B. s. H. D. Spengler, D. 34,3,28,4 und D. 34,3,31,2 / 3, ZRG RA 110 (1993) 641–647. Die Bedeutung der Namen für die Digestenauslegung betont auch R Knütel, Das Ende einer Entdeckungsreise, TR 80 (2012) 547–553, 548 f. 44  Hinzukommen Sempronius oder Septicius. 45  Die nomina gentilicia Titius, Seius und Maevius / Mevius sind inschriftlich gut be­zeugt, s. die Nachweise in der Heidelberger epigraphischen Datenbank (http: /  / edhwww.adw.uni-heidelberg.de / home?lang=de). 46  Wenn ein langes Fragment verschiedene Fälle behandelt, denen unterschiedli­ che Testamente oder sonstige Dokumente zugrundeliegen, sind einheitliche Namen der Akteure nicht zu erwarten, wie etwa in Scaev. 6 dig. D. 17,1,62 oder 22 dig. D. 32,41. In beiden Fragmenten erscheinen verschiedene Personen mit dem Namen Publius Maevius. 42  Bei



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als identisch anzusehen, wenn dies nicht durch andere Gründe ausgeschlos­ sen wird. Ein Beispiel bietet D. 36,1,80(78),2–3 (21 dig.): Dort sind Mae­ vius und Seius jeweils dieselben Personen. Daher könnten in D. 12, 6, 67 Titius und Maevius, die § 2 nennt, auch in § 4 wiederkehren. Allerdings ist in § 4, anders als in § 2, der Name zwei­ teilig: Lu­cius Titius und Publius Maevius. Das könnte dahingehend zu in­ terpretieren sein, dass Scaevola bewusst Vornamen hinzugefügt hat, um die Personen in § 4 von denjenigen in § 2 (Titius, Maevius), zu unterscheiden. Das ist sicher für Seius zutreffend, da Seius in § 2 Gläubiger des überschul­ deten Schuldners, Gaius Seius in § 4 hingegen minderjähriger Darlehens­ nehmer ist. Jedoch ist etwa auch bei Papinian D. 39,6,42 dieselbe Person zuerst Titius, sodann Lu­cius Titius genannt. Daher ist es zumindest möglich, dass Titius und Maevius in § 2 mit Lucius Titius und Publius Maevius in § 4 identisch sind.47 Man hat in den §§ 2–3 den Fall des privaten Kaufes eines überschuldeten Vermö­ gens durch einen Liquidationsfachmann gesehen, während § 4 ein juristi­sche Problem behandelt, das während der Durchsetzung einer Forde­ rung gegen einen minderjährigen Schuldner (bzw. seinen Erben) entstehen kann. Im Übrigen führen diese Erkenntnisse über die Benutzung der Namen für Scaev. D. 33,1,13 zu einer Auslegung, welche bisher zwar nicht behauptet ist, aber mit einer byzantinischen Quelle übereinstimmt.48 47  Vielleicht ist für Scaevola die Bezeichnung von Darlehensgeber und Darlehensneh­ mer Lucius Titus und Gaius Seius gewöhnlich. Wenn Scaevola den min­derjährigen Schuldner mit einem anderen Namen, z. B. Sempronius, bezeichnet hätte, könnte er den Fall ohne Hinzufügung eines Personennamens darstellen und die späte­ren Missverständ­nisse vermeiden. 48  Scaev. 4 resp. D. 33,1,13 pr.: Maevia nepotem ex Maevio puberem heredem insti­tuit et Lucio Titio ita legavit: „Lucio Titio viro bono, cuius obsequio gratias ago, dari volo annuos quamdiu vivat aureos decem, si rebus nepotis mei interveniat omnemque administrationem rerum nepotis mei ad sollicitudinem suam revocaverit.“ quaero, cum Lucius Titius aliquo tempore Maevii negotia gesserit et per eum non stet, quominus gerat, Publius autem Maevius nollet eum administrare, an fideicommisum praestari debeat. respondi, si non propter fraudem aliamve quam iustam causam improbandae operae causa remotus esset a negotiis, quam administrare secundum defuncti volunta­tem vellet, percepturum legatum. Hier wird der Vater des Enkels zuerst als Maevius, dann als Publius Maevius be­zeich­net. Nach anderer Auffassung ist Publius Maevius das Enkelkind. Im Tipou­ keitos 44,4,13 zu Bas. 45,4,13 (M. Kritou tou Patzh Tipoukeitov. Librorum LX Basilicorum summa­rium, edd. St. Hörmann / E. Seidl, Bd. 4, 1955, 159) ist Publius Maevius als Vater verstan­den, wie Mommsen, Editio maior 2, 104, 21 anmerkt (vgl. auch C. W. E. Heim­bach, Basilicorum libri LX: Bd.4: Lib. XXXIX.–XLVIII. conti­ nens, 1846, 391 zu Bas. 44,4,13).

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2. Mit der Gleichsetzung von Maevius und Publius Maevius geht es in § 4 um einen Fall, in dem der Schuldner nach Forderungsabtretung dem neuen Gläubi­ger Einwendungen entgegenhält. Das Problem wird dadurch illustriert, dass eine in integrum restitutio gegenüber dem Zessionar behaup­ tet wird. Zugleich kommt das Problem zur Sprache, wie der Darlehens­ schuldner (bzw. sein Erbe) gegenüber dem neuen Gläubiger Einwendungen aus Zinsforderung, die das Dekret des Statthalters nicht erwähnt, gegen den alten Gläubiger gel­tend ma­chen kann. 3.  Für das Verständnis von § 4 bieten die Basiliken keine Hilfe, da dort der Text keine Namen mehr aufweist. Scholien zu der Stelle fehlen.49 VI. Das Verfahren einer in integrum restitutio nach Forderungsabtre­tung in § 4 1.  Der Prätor oder der Provinzstatthalter trifft bei einem Antrag über eine restitutio in integrum eines minor wegen einer Darlehensgewährung causa cognita seine Entscheidung in Form eines decretum.50 Damit wird das Darle­ hensverhältnis aufgehoben und beide Seiten, d. h. der minderjährige Schuld­ner (bzw. sein Erbe) und der Darlehensgeber, sollen die jeweils emp­ fangenen Leistun­gen zurückgeben. Für den Schuldner ist dies die erhaltene Darlehens­summe, allerdings wegen seiner Minderjährigkeit nur insoweit, als er noch be­reichert ist. Der Gläubiger ist dagegen verpflichtet, die vom minor gezahlten Zinsen sowie die mit diesem Geld anderweitig erzielten oder erzielbaren Zin­sen zu erstatten.51 Der Ausdruck nec quicquam de usuris eiusdem sortis repetendis tractatum apud praesidem aut ab eo est pronuntiatum deutet darauf hin, dass, die Lö­sung des Falles anders wäre, wenn über die Zinsen vor dem Statthalter ver­handelt worden wäre und / oder er sie in seinem decretum erwähnt hätte. Go­tho­fredus folgert in den notae zur dritten Auflage seiner Digestenausgabe 49  S. Bas.  24,6,67,4: 'Epˆ tÒkoiv dane…sav nš0 ™p… tinav ™niautoÝv œlabon tÒ­kon, kaˆ teleut»santov toà nšou Ð klhronÒmov aÙtoà ¢pekatšsth ™pˆ tù m¾ katabale‹n tÕ kef£laion: perˆ d7 tîn katablhqšntwn tÒkwn oÙd7n ™zht»qh oÙd7 ™yhf…sqh. OÙk ¢paite‹ me aÙtoÝv Ð klhronÒmov oÜte log…zetai e„v ›teron cršov (BT 1173,27–31). 50  Zum Verfahren der in integrum restitutio s. M. Kaser / K. Hackl, RZ 421 ff. Den An­trag auf eine in integrum restitutio kann auch der Erbe des Minderjährigen stellen, s. Ulp. D. 4,1,6 und D. 4,4,18,5. 51  Nach dem Grundsatz der restitutio in integrum hat der zur Rückgewähr eines Geld­betrags verpflichtete Vertragspartner des minor sowohl die gezogenen Zinsen als auch die nicht gezogenen, aber erzielbaren Zinsen herauszugeben, s. Gai. D. 4,4,27,1.



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hier­aus, dass der Statthalter die Rückzahlung nicht ohne vorherige Erörte­ rung mit den Par­teien anordnen kann.52 Das umstrittene Problem, ob die Zinsen als fructus anzusehen sind oder nicht, oder die Frage, ob Kapital und Zinsen getrennt zu behandeln sind, scheint für den vorliegenden Fall keine Bedeutung zu besitzen. Denn es han­delt sich nicht um einem Fall, in dem eine Entscheidung über das Ka­ pital ge­troffen wird, aber die Zinsen nicht erwähnt sind, sondern um einen Fall, in dem die Hauptpflicht des Gläubigers nicht genannt ist. Die erhalte­ nen Zinsen selbst sind Gegenstand der Rückgabepflicht des Gläubigers. Es geht nicht um Früchte, die aus der ge­leisteten Sache gezogen wurden. 2.  Nach PS 1,7,353 kann bei der in integrum restitutio für eine und die­ selbe Streitsache nur ein Dekret erlassen werden. Im Hinblick auf den An­ spruch, den das Dekret nicht erwähnt, wäre es nötig, dem Dekret eine Ausschlusswir­kung zuzuerkennen.54 Wie beim Urteil im Zivilprozess, kann sich daraus die Frage ergeben, ob der im Dekret nicht erwähnte Anspruch noch weiter be­steht.55 Es wäre theoretisch denkbar, dass der Anspruch als obligatio naturalis fortdauert, so wie diskutiert wird, ob nach einem Fehl­ urteil doch eine obligatio naturalis vorliegen kann.56 Wenn es so wäre, könnte die Partei das im Dekret nicht er­wähnte Recht nicht mehr gerichtlich 52  S. D. Gothofredus, Corpus iuris civilis cum notis, Bd. 1, 3.  Auflage, Paris 1602, Sp. 386, nota l: Iudex nihil ex suo officio in iudicio restitutionis in integrum supplere potest. Diese Note fehlt noch in der ersten Ausgabe des Corpus iuris civi­ lis mit den Noten des Gothofredus, die 1583 in Lyon erschien (s. Corpus iuris civi­ lis, Bd. 1, Lyon 1583, Sp. 446), ebenso noch in der zweiten Auflage des Jahres 1590 (hier benutzt in der Quartausgabe, die 1594 in Genf gedruckt wurde, dort Sp. 445). Zu den verschiede­nen Auflagen der Corpus iuris civilis-Ausgaben des Gothofredus mit eigenen Noten s. E. Spangenberg, Einleitung in das römisch-justinianeische Rechtsbuch, 1817, 840–843. Wegen der Verwendung des Wortes aut in § 4 ist ein anderes Verständnis theore­ tisch nicht ausgeschlossen, der Statthalter könnte ohne Antrag der Parteien aus eige­ ner Initia­tive die Rückgabe befehlen. Die im Text vertretene Auffassung liegt aber näher. 53  PS 1,7,3: Integri restitutio plus quam semel non est decernanda: ideoque causa cognita decernitur. 54  Nach Philip. C. 2,43(44),3 (a. 244) ist ein erneuter Antrag auf in integrum restitu­tio nur dann möglich, wenn neue Restitutionsgründe vorgetragen werden. Ge­ gen die Ent­scheidung des Prätors kann man appellieren, wie Paul. D. 4,4,38 pr zeigt. 55  Wenn ein compromissum vorläge, wäre es anders, s. Scaev. D. 4,8,43. 56  Das Problem der sogenannten obligatio naturalis aus einem im Urteil zu Un­ recht aberkannten Anspruch wird vielfach diskutiert, da es in Quellen keine direkte Aussage hierzu gibt, z. B. M. Kaser, RPR I, 481, F. Girard (o. Fn. 21) 683 und A. 5 (kritisch im Hinblick auf die herrschende Meinung mit Hinweis auf Paul. D. 12,6,60). S. auch M. Talamanca, ED 29, 65 s. v. obligatio. Ein im Urteil nicht erwähnter Anspruch könnte aber anders zu beurteilen sein.

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verfolgen, aber gegenüber Forde­ rungen der anderen Partei im Wege der retentio (bzw. als Aufrechnung) gel­tend machen. 3.  Nach Ulp. D. 3,3,39,657 hat im Falle einer Vertretung im Verfahren der in integrum restitutio der Prokurator desjenigen, der eine Sache von einem minor gekauft hat, dem Verkäufer eine satisdatio zu leisten,58 d. h. eine Sicher­ heit für die Rückgabe der geleisteten Sache bei einer möglichen Pflicht zur Restitu­tion.59 4. Bei der Forderungsabtretung soll die Stellung des Schuldners nicht ver­schlech­tert werden. Er kann seine Einwendungen auch gegen den neuen Gläu­ biger vorbringen. Daher kann sich der Erbe gegenüber dem neuen Gläu­biger (Maevius) auf die in integrum restitutio berufen. Möglicherweise hat im Fall von D. 12,1,67,4 erst die Rückforderung des Darlehens durch den Ver­mögens­käufer (Maevius) den Erben des minor veranlasst, eine in integrum restitutio zu beantragen, um auf diese Weise von der Zahlungs­ pflicht frei zu werden. Über das Verfahren einer in integrum restitutio nach einer Forderungs­ abtre­tung ist wenig bekannt. Hier wird davon ausgegangen, dass Maevius der An­tragsgegner ist. Man kann vielleicht vermuten, dass bei der in integrum resti­tutio nach Forderungsabtretung dem Zedenten (Titius) als An­ trags­geg­ner der Zessionar (Maevius) als procurator in rem suam beispringt.60 Dann soll der procurator in rem suam, entsprechend dem oben gezeigten Bei­ spiel, am Anfang des Verfahrens eine cautio für die Rückgabe der empfan­genen Sache leisten. Dementsprechend befiehlt der Prätor / Statthalter ihm die Rück­gabe der erhaltenen Zinsen. 57  Ulp. D. 3,3,39,6: Est et casus, quo quis eiusdem actionis nomine et de rato caveat et iudicatum solvi. ut puta postulata est cognitio de in integrum restitutione, cum mi­nor circumscriptus in venditione diceretur: alterius procurator existit: debet cavere hic procurator et ratam rem dominium habiturum, ne forte dominus reversus velit quid petere, item iudicatum solvi, ut si quid forte propter hanc restitutionem in integrum praestari adulescenti debeat, hoc praestetur. et haec ita Pomponius libro vicensimo quinto ad edictum scribit. 58  Im Übrigen haftet der Vertretene bei der satisdatio seines procurator nach Inst. 4,11,4 als Bürge. Hier kann die Frage offenbleiben, ob er schon in klassischer Zeit dabei sein Vermögen für eine Hypothek anbieten musste. 59  Wenn ein procurator beim Verfahren der in integrum restitutio auftritt, wäre es denk­bar, dass der Vertretene selbst keine in integrum restitutio mehr betreiben kann. Im Übrigen geht man mindestens in spätklassischer Zeit davon aus, dass die litis con­testatio mit dem Vertreter das Klagerecht des Vertretenen konsumiert. S. W.-D. Geh­rich, Kognitur und Prokuratur in rem suam als Zessionsformen des klas­ sischen römi­schen Rechts, 1963, 74 ff. 60  Das Auftreten des Maevius als procurator in rem suam könnte sich auch da­ raus erge­ben, dass er, wie in § 2 dargestellt, es übernommen hat, die Verbindlichkei­ ten des Abtretenden zu erfüllen.



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5.  Bei dem Fall von D. 12,6,67,4 waren wegen fehlenden Tatsachenvor­ trags des Erben des minor im Dekret des Statthalters die Zinsen, die der minor an den alten Gläubiger gezahlt hatte, nicht erwähnt. Der Betrag verbleibt daher beim alten Gläubiger. Eine condictio indebiti gegen den neuen Gläubiger ist nicht möglich, weil nach dem Grundsatz der condictio indebiti nicht der neue Gläubi­ger, sondern der alte Gläubiger als Empfänger der Zinsen anzusehen ist. Daher scheint die Antwort von Scaevola verständ­ lich, dass die condictio indebiti ge­gen Maevius zu verneinen ist.61 6.  Nach der Ablehnung der condictio indebiti wird weiter gefragt, ob der Erbe des minderjährigen Schuldners zumindest gegenüber Forderungen des Antragsgegners die als Zinsen gezahlte Summe zurückbehalten kann (eam retinere).62, 63 Man kann dies deshalb erwägen, weil den Darlehensgeber selbst trotz unterbliebener Erwähnung der Zinsen im Dekret eine obligatio naturalis gegenüber dem Darlehensnehmer (bzw. seinen Erben) treffen könnte.64 Daher könnte der Erbe des minor gegen die Forderungen des neuen Gläubigers auf­ grund der obligatio naturalis gegenüber dem alten Gläubiger eine retentio (bzw. Aufrechnung) geltend machen.65 Wenn man den verfahrensrechtlichen Gesichtspunkt einbezieht, dass der alte Gläubiger (Titius) im Prozess durch den neuen Gläubiger (Maevius) ver­treten ist, wird die Frage noch schwieriger. Wenn auch dem Erben des min­derjährigen Darlehensschuldners gegen den neuen Gläubiger keine retentio zusteht, könnte er doch gegen Maevius, nicht als Zessionar, sondern als Ver­treter des Titius, des alten Gläubigers, erfolgreich eine retentio be­ haupten 61  Offen bleibt das Problem, das D. 12,6,67,4 nicht anspricht, ob der Erbe des Minder­jährigen gegen den alten Gläubiger wegen der empfangenen Zinsen vorgehen kann. Bei Unterliegen des Zessionars als procurator in rem suam kann der Zessionar ge­ gen den Zedenten aufgrund des Vertrages über die Forderungsabtretung Ersatz verlan­gen, s. Kaser / Hackl S. 216 A. 60 a. E. Diese Vermutung bestätigt noch der Fall des Wei­ter­ver­­kaufs der Sache bei Eviktion in Gai. 4 ed. prov. D. 4,4,15. 62  Mod. 6 resp. D. 26,7,32,4 behandelt einen Fall, bei dem die Rückgabe des Vor­teils nicht im Dekret erwähnt ist. 63  Es gibt für bonae fidei iudicia einige Belege, wonach Zinsen nicht verlangt wer­den können, wenn im Urteil davon keine Rede ist, so Alex. C. 4,32,13 (bonae fidei iudicium), Gord. C. 4,34,4 (depositum). Im vorliegenden Fall geht es aber um ein Dar­lehen und konkret um die Rückzahlung der geleisteten Zinsen. 64  Dabei bleibt das Problem offen, ob der zurückzuzahlende Betrag (und zu­ gleich derje­nige der retentio) wie bei den anderen Gläubigern quotenmäßig zu redu­ zieren ist. 65  Die retentio kann natürlich nicht nur aufgrund einer obligatio naturalis, son­ dern auch aus anderen Gründen entstehen, s. etwa Iul. 39 dig. D. 12,6,33.

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Um so mehr scheint die verneinende Antwort von Scaevola rätselhaft. Um die Ablehnung der retentio zu begründen, ist die herrschende Meinung dazu ge­zwungen, Kapital und Zinsen getrennt zu behandeln (s. oben S. 292). VII. Einwände bei Forderungsabtretung und Schuldübernahme 1.  Im Vorhergehenden wurde die Konstruktion dargestellt, mit der Scae­ vola die Einwände des Schuldners bei Schuldübernahme bzw. Forderungs­ abtretung systematisch erklärt. Im Anschluss an W. Kunkel und B. Frese wurde der Fall der §§ 2–3 als Schuld­übernahme herausgearbeitet. Andererseits stellt sich aufgrund der Art und Weise der Benutzung der Blankettnamen bei Scaevola der Fall in § 4 als Forderungsabtretung bei einem Vermögenskauf dar. In beiden Fäl­ len geht es um die Einwände des Schuldners gegen seinen Gläubiger beim Subjektswech­sel (und zwar wegen Vermögensverkaufs). 2. Scaevola hebt in § 4 ausdrücklich hervor, dass der Schuldner nach For­ de­ rungsabtretung seinen Einwand, welcher aus dem Darlehensvertrag entstan­den ist, d. h. Wiedereinsetzung wegen Minderjährigkeit, gegen den neuen Gläubiger geltend macht. Damit zeigt er, dass Einwände des Schuld­ ners auch bei Forde­rungsabtretung grundsätzlich möglich sind. Er verlangt dafür keine weitere Voraussetzungen. 3.  Dagegen ist die Lage beim Fall der §§ 2–3 nicht so deutlich, sondern er­schließt sich erst durch eine vergleichende Betrachtung mit § 4. Der alte Schuld­ner hatte mit seinem Gläubiger ein pactum geschlossen. Der neue Schuld­ner kann den Einwand aus diesem pactum, das vor der Schuldüber­ nahme vereinbart wurde, gegenüber dem Gläubiger geltend machen. Aus diesem Grund kann er seine Zahlung an den Gläubiger als Zahlung auf eine Forderung, der eine exceptio entgegensteht, mit der condictio inde­biti zurück­verlangen. Wenn dem so ist (anders die bisherige Meinung), dann sollte man den Fall nicht als Problem der Rückzahlung einer späte­ren Zah­ lung bei Dop­pelzahlung heraus verstehen. 4.  Zuletzt zu dem schwierigen Kernproblem des Einwands der bezahl­ten Zin­sen gegenüber dem Zessionar. Wenn der Statthalter auf Antrag des mi­ nor / seines Erben auch den alten Gläubiger in das Verfahren der in in­tegrum restitutio einbezogen und ihm eine Kautionsleistung auferlegt hätte, könnten die vom Minderjährigen gezahlten Zinsen vom alten Gläubi­ger an den Er­ ben des Min­ derjährigen zurückgelangen. Bei unserem Fall im § 4 wurde aber ohne Teil­nahme des alten Gläubigers und ohne Er­wähnung der gezahl­ ten Zinsen das decretum über die in integrum restitu­tio erlassen.



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Es ist in der modernen Literatur nicht klar, wie das decretum gegenüber dem alten Gläubiger wirkt. Jedoch könnte es sein, dass der Anspruch ge­gen den alten Gläubiger, den das decretum, das zwischen dem procurator und dem Schuldner erging, nicht erwähnt, wegen der Ausschlusswirkung nicht mehr geltend ge­macht werden kann. Es ist außerdem eine sehr interes­sante Frage, mit welchem Rechtsmittel die gezahlten Zinsen vom al­ten Gläubiger gefordert werden kann. Diese Frage bleibt unerörtert. Denn es ist dem Schuldner mit guten Grunde nur daran gelegen, den Ein­wand, der sich aus den gezahlten Zinsen herleitet, gegen­über dem neuen Gläubiger geltend zu machen. Der Anspruch gegen den alten Gläubiger ist ohne wirtschaftlichen Wert, weil der alte Gläubiger nach dem Vermö­gensverkauf nicht mehr über eigene Mittel verfügt. Dann scheint es ganz richtig und zugleich wichtig, dass der Schuldner (bzw. sein Erbe) gegen anderweitige Forderungen des neuen Gläubigers den Rück­zahlungsanspruch gegen den alten Gläubiger einwenden kann. Dieses Ergeb­ nis erscheint konsequent aufgrund der dargestellten Struktur der Forderungs­abtre­tung. Aus diesem Grund weist die Anfrage auf die Möglich­ keit eines re­tinere hin. Diese Möglichkeit lässt sich nicht vernei­nen. Zwar ist dies nicht ausdrück­lich im Text gesagt, aber es liegt nahe, dass Scaevo­ la auch derselben Meinung war. Um so mehr scheint seine verneinende lakonische Antwort zur retentio rät­selhaft. Um diesen Zweifel zu lösen, ist auf die Frage einer möglichen Nach­lässigkeit einer Partei bzw. des Statthalters einzugehen. VIII. „Nachlässigkeit“ einer Partei oder des Statthalters? 1. Aus der bisherigen Darstellung ergibt sich eine Frage: Ist denn dem Er­ben des minor oder dem Statthalter wegen ihrer Nachlässigkeit bei der Rechts­ver­folgung bzw. Pflichterfüllung ein Vorwurf machen? Denn, wenn der Erbe des minor beim Verfahren der in integrum restitutio rechtzeitig die vom Min­derjäh­rigen bezahlten Zinsen erwähnt hätte, hätte der Statthalter deren Rück­zahlung in sein decretum aufnehmen können. Die Frage wird aber in D. 12,6,67 nicht er­örtert. Man soll bei einer so raffiniert konstruierten Falllösung wie bei Scaevola vor­sichtig sein. Der Text erwähnt eine Nachlässigkeit (z. B. neglexit) nicht. Es ist durchaus möglich, dass Scaevola sich einen Fall vorstellt, in dem der Erbe des minor bzw. der Statthalter auch bei Anwendung entsprechender Sorgfalt nicht hätte anders handeln können. 2. D. 12,6,67 beginnt im principium mit einem Fall zur Herkunft des ge­leis­teten Geldes. Daher lässt sich vermuten, dass es auch in § 4 um die

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Her­kunft der bezahlten Zinsen geht, anders gesagt, um die Qualifikation des Zah­lenden. Man sollte nicht vergessen, dass das gesamte Fragment als Übungsaufga­ be konstruiert ist. Scaevola scheint davon auszugehen, dass der Minderjäh­ rige seine „zeitlebens“ (quoad viveret) bezahlten Zinsen aus dem Kapital, das er vom Darlehensgeber erhalten hat, geleistet hat. Bei einem Minder­ jährigen be­deutet das Wort „zeitlebens“ nicht mehrere Jahre. Er kann z. B. ein Darlehen erhalten, hieraus dann monatlich seine Zinsen pünktlich ge­ zahlt haben und so­dann nach zwei bis drei Jahren gestorben sein, wobei das Darlehen zum Todes­zeitpunkt bereits verbraucht war. Wenn man bei einem solchen Fall über die „Rückgabe“ der bezahlten Zinsen verhandelt hätte, wäre dies befremdlich. Der Minderjährige hat zwar bezahlt, aber wirtschaft­ lich gesehen nicht „aus seinem Vermögen“. Dann kann man ihn nicht als Zahlenden qualifizieren. Wenn es so wäre, ist das Problem der condictio indebiti (und einer obligatio naturalis und der retentio bzw. Aufrechnung) im Hinblick auf den alten Gläu­biger völlig verschwunden. Dann sollte man, wie Scaevola, die Möglichkeit einer retentio verneinen. Bei dieser Konst­ ruktion ist ein Vorwurf gegen den Erben des minor oder den Statthalter nicht möglich. Vielleicht möchte man gegen die dargestellte Konstruktion einwenden, dass in der Darstellung bei Scaevola eine Zahlung der Zinsen aus der Darlehens­summe selbst nicht erwähnt ist. Allerdings besitzt ein minderjäh­ riger Darle­hensnehmer in der Regel kein weiteres Vermögen für seine Le­ benshaltung. Daher ist die Annahme zulässig, dass die Zinsen aus dem Kapital entrichtet wurden.66 Im Übrigen bleibt dann die Haltung von Scaevola gegenüber der hoch inte­ressanten Frage offen, ob der Anspruch auf Rückzahlung der Zinsen, den das Dekret über die in integrum restitutio nicht erwähnt, als naturalis obligatio bestehen bleibt. IX. Zusammenfassung 1.  Scaev. D. 12,6,67,4 wurde bislang als Aussage über den Umfang der Wir­kung einer in integrum restitutio über das Kapital und der dafür geleiste­ ten Zinsen verstanden. Diese Auslegung konnte wegen der wenigen Informati­onen über das Verfahren der in integrum restitutio und der unsi­ cheren Be­handlung von Zinsen im Hinblick auf den Frucht-Begriff nicht in Frage ge­stellt werden. Mit der Beobachtung zur Benutzung der Blankettna­ 66  Man soll daneben beachten, dass der Anfragende gegen die anscheinend „rätsel­hafte“ Antwort von Scaevola keinen weiteren Widerspruch erhebt.



Eine raffinierte Falllösung zur condictio indebiti: Scaev. D. 12,6,67,4

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men ist die Stelle aber jetzt als Fall einer in integrum restitutio eines min­ derjährigen Darlehensnehmers nach Forderungsabtretung erklärbar. Zugleich ergibt sich daraus, dass der An­trag auf Wiedereinsetzung gegen den Zessi­ onar als procu­rator in rem suam gestellt wurde. Da eine condictio indebiti nur gegen den Empfänger der Zah­lung entsteht, ist es zwar verständlich, dass der neue Gläu­biger, Maevius, nicht als richtiger Beklagter der condictio indebiti zu qualifi­zieren ist. Jedoch bleibt die Frage offen, warum die anschließend gestellte Frage nach der Mög­lichkeit einer retentio so einfach verneint werden kann, und ob den Erben des minor bzw. den Statthalter der Vorwurf der Nachlässig­keit trifft. Um dies zu klären, ist eine Gesamtbe­ trachtung des Fragments nötig. 2. Zu Beginn des Fragments (pr. und § 1) ist dargestellt, dass bei der con­dictio indebiti die Qualifikation als Zahlender bzw. Zahlungsempfänger ent­scheidend ist. Seit W. Kunkel war der Fall in § 2 als Schuldübernahme aner­kannt. Die Verbindung des § 3 mit § 2 durch idem quaesiit, die B. Fre­ se her­ausstellte, führt zum Problem der Wirkung eines pactum gegenüber dem neuen Schuldner bei einer Schuldübernahme. Zudem ist nunmehr klar, dass es sich in den §§ 2–3 um eine Quotenbezahlung an Gläubiger bei ei­ nem de facto Gesamt­vergleich über ein überschuldetes Vermögen handelt. Der gegenwär­tige Ver­walter des Haftungsvermögens kann mit der condictio indebiti das über die Quote hinaus bezahlte Geld zurückbekommen. Die Quotenzahlung des Schuld­ners vor dem Verkauf des überschuldeten Vermö­ gens und die Quo­tenzahlung des neuen Schuldners nach dem Kauf dieses Vermögens werden hier als der Höhe nach gleich dargestellt, um die Erklä­ rung bei diesem Übungs­fall nicht zu verkomplizieren. 3.  Mit der in integrum restitutio zur Aufhebung des Darlehensverhältnis­ ses sollten die beiderseitigen Leistungen gegenseitig zurückzugewähren sein. Es blieben jedoch (wegen fehlenden Vortrags der antragstellenden Partei) im Dek­ret des Statthalters die vom minderjährigen Schuldner bezahl­ ten Zinsen uner­wähnt. Daraus könnte die Frage entstehen, ob wegen einer fortbestehen­den Pflicht zur Rückzahlung der Zinsen in Gestalt einer naturalis obligatio gegen den alten Schuldner eine retentio möglich ist. Es könnten bei einer Forderungs­abtretung dem Schuldner die Einwendungen gegen den alten Gläu­biger auch gegenüber dem neuen Gläubiger zustehen. Der neue Gläubiger hat beim Ankauf des überschuldeten Vermögens die Übernahme der Schulden versprochen und handelt als procurator in rem suam. Dann wäre es rätselhaft, weshalb Scaevola eine retentio so einfach verneint. 4. Wie das principium zeigt, ist die condictio indebiti dann nicht mög­ lich, wenn die gezahlte Summe in Wirklichkeit nicht aus dem Vermögen des Klä­gers herrührt. Auch bei § 4 wäre aufgrund der besonderen Vermögensver­

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Shigeo Nishimura

hält­nisse eines minor möglich, dass die bezahlten Zinsen aus der Darlehens­ summe her­rühren. Damit könnten die obigen Zweifel wegen der Ablehnung einer retentio überwunden werden, zugleich wäre der Vorwurf der Nachläs­ sigkeit gegenüber einer Partei und dem Statthalter unbegründet. Andererseits wäre dann die Mei­nung Scaevolas über das Schicksals des im Dekret des Statthal­ters nicht er­wähnten Anspruchs nicht erkennbar. Die hier vertretene Ausle­gung ist freilich nicht zwingend, scheint aber plausibler als die herr­ schende Meinung, die zwi­schen Kapital und Zinsen trennt. 5.  Wenn es so wäre, hätte die Digestenkommission die Absicht Scaevolas rich­tig verstanden. Daher fügte sie am Ende des Titels das Fragment quasi als Abschluss für die Materie der condictio indebiti hinzu. Jedoch scheint schon beim älteren Anonymus das richtige Verständnis des so kompliziert kon­ struier­ ten Fragments verlorengegangen zu sein. Der Verkauf eines überschul­deten Vermögens und die Änderung der Namen erscheinen nicht in seiner Paraphrase. Im westlichen Hochmittelalter und danach bleibt das Fragment trotz einiger Kontroversen weitestgehend unerörtert. Wenn man die vorstehenden Ausführungen als eine mögliche Auslegung von D. 12,6,67,4 bzw. als Anregungen zu einer Beschäftigung mit einem ver­nach­lässigten Fragment betrachten würde, wäre das Ziel dieser exegeti­ schen Arbeit schon erreicht.

Die rechtliche Funktion von Asylstätten in Rom zur Zeit der Republik und des frühen Prinzipats Von Martin Pennitz I. Einleitung: Ansatzpunkte in der Lehre Obwohl römische Entscheidungsträger seit der jüngeren Republik – zur Wah­rung außenpoli­tischer Interessen im griechischen Osten – regelmäßig auf das Instrument der Asylanerken­nung von Heiligtümern oder städtischer Di­strikte zurückgreifen,1 steht die römische Öffent­lichkeit dem hellenisti­ schen Asylwesen offenbar doch äußerst skeptisch gegenüber: So hält etwa Tacitus grundsätzlich fest, dass ein Rechtsinstitut2, das Flüchtlingen den dauernden Auf­enthalt in Tempeln ermöglicht, notgedrungen zu Missbrauch und Tumul­ ten führt: Denn auf diese Weise könnten sich ja Sklaven den eigenen Herren, Schuldner ihren Gläubigern und sogar Schwerverbrecher einer gerechten Strafe entziehen: Tac. ann. 3,60,1.3 … crebrescebat enim Graecas per urbes licentia atque impunitas asyla statuendi; com­plebantur templa pes-

… Von Seiten griechischer Städte ver­stärkte sich nämlich die leicht­ fertige und maßlose Sitte, Tempelasyle in Anspruch zu nehmen.

1  Vgl. dazu Richard Gamauf, Ad statuam licet confugere. Untersuchungen zum Asyl­recht im römischen Prinzi­pat, Frankfurt / Main 1999, 155–158; Martin Dreher, Das Asyl als integrativer Faktor der römischen Gesell­schafts- und Staatsordnung, in: Iden­tità e valori. Fattori di aggregazione e fattori di crisi nell’esperienza politica antica, Hrsg. Alberto Barzanò u. a., Roma 2001, 129–138, 131 f. 2  In diesem Kontext findet sich dann bei Tac., ann. 4,14,1 – bezogen auf wei­ tere grie­chische Gesandtschaften im Jahr 23 n. Chr. – der Hinweis auf das vetustum asyli ius; ähnlich auch die Formulierung ius moremque asylorum bei Suet., Tib. 37,2. Siehe dazu Martin Dreher, Rom und die griechischen Asyle zur Zeit des Ti­ berius, in: Sympo­sion 2001. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechts­ geschichte, Hrsg. Robert Wallace u. a., Wien 2005, 263–282, 278. 3  Im Jahr 22 n. Chr. kommt es dann – wie Tacitus in weiterer Folge ausführt – unter Kaiser Tiberius zur Über­prüfung, welche Heiligtümer in den Provinzen Asia, Zypern und Kreta den Status von anerkannten Asylstätten für sich beanspruchen dürfen; vgl. dazu Gamauf (o. Fn. 1) 159 ff., bes. 163 f. sowie Dreher (o. Fn. 2) 263 ff., bes. 264–267, der davon ausgeht, dass die im Zitat zum Ausdruck kommen­ de Haltung des Ge­schichtsschreibers wohl „von vielen seiner Zeitgenossen geteilt“ wird (ebd., 265 f.).

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simis servitiorum; eodem subsidio obaerati adversum creditores sus­ pec­ tique capitalium criminum re­ cepta­bantur, nec ullum satis validum imperium erat coercendis seditioni­ bus populi flagitia hominum ut cae­ rimonias deum protegentis.

Die Heiligtümer füllten sich mit übelsten Sklaven. Auf dieselbe Weise fan­den Schuld­ ner vor ihren Gläubigern Zu­flucht und Leu­ te Aufnahme, die im Ver­dacht von Kapital­ verbrechen standen. Und keine Obrigkeit war je stark genug, Tu­ multe im Volk zu zügeln, wenn dieses die Untaten der Men­ schen schützt, als wären es heilige Handlun­ gen zu Ehren der Göt­ter.

Gestützt auf vergleichbare Aussagen in den Quellen4 wurde es dann ab dem 19. Jahrhundert unter dem bestimmenden Einfluss von Theodor Mommsen zur herrschenden Lehre,5 dass – wie es Leopold Wenger prägnant zusammenfasst – „Rom der Institution (des Asylrechts) von je ablehnend oder doch fremd ge­genüber steht. … Die Sitte der Flucht zur Kaiserstatue oder das Vor­halten eines Kaiserbildes ist eine neue Art des A(sylrechts), wogegen die Juristen ankämpfen. …“.6 4  Die bei Tacitus erwähnte Trias von Schutzsuchenden findet sich ebenso bei Plut., Rom. 9,3, der sich dabei auf das Asyl des Romulus bezieht, was dann bei Iuv., sat. 8,272–275 – natürlich mit der ihm eigenen Ironie – zur Charakterisierung ab infami gentem deducis asylo führt; zu den Belegen schon Martin Dreher, Die Asyl­ stätte des Romulus – eine griechische Institution im frühen Rom?, in: Symposion 1997. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte, Hrsg. Eva Cantarella u. a., Wien 2001, 235–252, 248 ff. u. Fn. 50 u. 70. Zu Dio 47,19,2–3 s. weiter unten bei Fn. 26 f. 5  Theodor Mommsen, Römisches Strafrecht, Leipzig 1899, 458  f. (unter gleichzeiti­gem Hinweis auf Dio 47,19): „Den Tempelfrieden, die besondere Unver­ letzlichkeit des Gotteshauses und alles dessen, was in demselben sich befindet, kennt das römische Strafrecht, …; aber die Ausdehnung dieser ¢sul…a auf den Schutz der Person vor der Strafgewalt, die Unzulässigkeit der Verhaftung eines An­ geschuldigten, so lange er in dem Heiligthum ver­weilt, ist ein durch die dauernde Rechtsunsicherheit der griechi­schen Politien hervorgerufener Missbrauch, von dem die römische Republik sich frei gehalten hat“, wobei sich letztere Aussage dann auf Tac., ann. 3,36 und Plaut. Rud. 722 stützt; zu Mommsen s. insbes. Gamauf (o. Fn. 1) 1 ff. sowie Dreher (o. Fn. 4) 236 f. u. Fn. 4. In diesem Sinn auch Heinz Bellen, Studien zur Sklavenflucht im römi­schen Kai­serreich, Wiesbaden 1971, 65 f.: „Wenn der Weg der Asylieverlei­hung an römische Tempel [sc. im Imperium Romanum zu Zeiten der Republik] … nicht eingeschla­gen wurde, so lag das daran, dass das Asyl als solches, d. h. die Tatsa­che, dass es allen offen­stand und somit Schuldigen die Möglichkeit bot, sich ihrer Strafe zu entziehen, dem Rechtsgefühl der Römer wider­ strebte“; ferner Gerard Frey­burger, Le droit d’asile à Rome, Les études classiques 60 (1992) 139–151, 150: „En tant que tel, le droit d’asile est un usage hellénique …, mais se heurta toujours à un vive résistance de la part des autorités romaines. Cette résistance était certainement due à l’esprit juridique des Ro­mains …“; eben­so Christian Traulsen, Das sakrale Asyl in der Alten Welt. Zur Schutz­ funktion des Heiligen von König Salomo bis zum Codex Theodosia­nus, Tübingen 2004, 249 f. 6  Leopold Wenger, s.  v. Asylrecht, RAC 1 (1950), Sp. 836–844, 836 ff., 839 f., mit dem Resümee: „Die Römer drängen das A(sylrecht) [sc. …, auf das sie in den helle­nistischen Provinzen überall trafen,] zurück, ohne es zu beseitigen“.



Asylstätten in Rom zur Zeit der Republik und des frühen Prinzipats317

Gerade bei letzterer Aussage stützt sich Wenger jedoch bezeichnenderwei­ se auf eine den Sinn verkehrende Interpolationen-Annahme.7 Insofern wei­ sen neu­ere Arbeiten – man darf insbe­sondere auf Beiträge des Althistorikers Mar­tin Dreher und auf die Bücher von Richard Gam­auf sowie Jochen Derlien verwei­sen – überzeugend nach, dass sich im Prinzipat eine völlig neue, recht­lich wie gesellschaftlich anerkannte Spielart des Asylrechts ent­ wickelt.8 Wie sich dem Ulpianbeleg D. 1,12,1,1 entnehmen lässt, finden nämlich Skla­ven,9 die unmensch­lich behan­delt werden, nunmehr Zuflucht bei den Kaisersta­tuen und erhalten auf diese Weise ein Be­schwerderecht vor dem Gerichtshof des praefectus urbi in Rom: D. 1,12,1,1 Ulp. lib. sing. de off. praef. urb.10 Der Stadtpräfekt gewährt Sklaven, die bei Servos qui ad statuas confugerint, (Kaiser-)Statuen Zuflucht gesucht haben, vel sua pecunia emptos ut manu­ oder die mit ihrem eigenen Geld gekauft mittantur, de dominis querentes wurden, um freigelassen zu werden, recht­ (scil. praefectus urbi) audiet. liches Gehör, wenn sie sich über ihre Eigen­ tümer beschweren.

Wird ein dominus dort für schuldig befunden, konnte es – freilich nur als ul­tima ratio11 – zum Zwangsverkauf kommen, d. h. der betroffene Skla­ ven hatte so die Chance auf einen neuen und – hoffentlich ! – besseren Herrn.12 Nur der genaue Beginn dieser Entwicklung wird in den Quellen nicht exakt überliefert: Aus meiner Sicht spricht Einiges dafür, dass sich 7  Siehe insbes. die Bezugnahme bei Wenger (o. Fn.  2) Sp.  840 auf Ulp. D. 48,19,28,7: Ad statuas confugere vel imagines principum [in iniuriam alterius] prohibitum est …; vgl. zum Beleg dann unten bei Fn. 87 ff. 8  Vgl. z. B. Dreher (o. Fn. 1) 133  ff.; Gamauf (o. Fn. 1), Teil II (9 ff.), bes. 47 ff.; Dre­her, Rez. Richard Gamauf, Ad statuam licet confugere (1999), ZRG RA 118 (2001) 491–496, bes. 494 f.; Jochen Derlien, Asyl. Die religiö­se und rechtliche Begründung der Flucht zu sakralen Orten in der griechisch-römischen Antike, Mar­ burg 2003, 229 ff., bes. 230; 233. 9  Vgl. zur Frage, ob die Statuenflucht auch für freie Personen Rechtswirkungen entfal­tet, Gamauf (o. Fn. 1) 137 ff., bes. 151 f. Gemäß Dreher (o. Fn. 1) 135; 137 han­ delt es sich vor allem deshalb um „sklavenspezifische Regelungen“, weil die Un­ freien eben „keine rechtsfähigen Personen“ sind, doch heiße das nicht, dass „Freie von der Asylstätte ausgeschlossen gewesen wären“. 10  Dazu ergänzend D. 1,12,1,8 Ulp. lib. sing. de off. praef. urb.: Quod autem dictum est, ut servos de dominis querentes praefectus audiat, sic accipiemus non accusantes dominos (hoc enim nequaquam servo permittendum est nisi ex causis receptis) sed si verecunde expostulent, si saevitiam, si duritiam, si famem, qua eos premant, si obscenitatem, in qua eos compulerint vel compellant, apud praefectum urbi exponant. hoc quoque officium praefecto urbi a divo Severo datum est, ut mancipia tueatur ne prostituantur. 11  Das betont zu Recht Gamauf (o. Fn. 1) 195. 12  Dazu Gamauf (o. Fn. 1) 56 ff.

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diese sog. Sta­tuenflucht ca. ab der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. etab­ liert.13 Völlig umstritten ist es in der heutigen Lehre allerdings, ob sich das Kaiser­recht hier auf Vor­läufer, also auf ein funktionierendes, gesellschaftlich an­erkann­tes Asylwesen in der Republik berufen konnte:14 Dreher stellt dazu rigo­ ros fest, dass Flüchtlinge sicherlich de facto, also in Notsituationen Schutz such­ten, doch war ein solches Verhalten in Rom weder gesellschaft­ lich noch recht­lich anerkannt.15 13  Die Frage ist kontrovers, wie der sorgfältige Literaturüberblick bei Gamauf (o. Fn. 1) 52–54 verdeutlicht. Für die Mitte des 1. Jh. n. Chr. spricht m. E., dass bei D. 48,19,28,7 Callist. 6 cogn. i. f. (arg. ne autem ad statuas vel imagines quis con­ fugiat, senatus censuit: …) auf einen Senatsbeschluss verwiesen wird, der ein gene­ relles Ver­bot der Statuenflucht vorsieht und sich insofern mit dem Bericht bei Tac., ann. 3,36 deckt, wo auf Vorfälle unter der Regierung von Tiberius (21 n. Chr.) ein­ gegangen wird, die Anlass zu einem solchen senatus consultum gege­ben haben dürf­ ten. Demgegenüber hebt dann Sen., clem. 1,18,2 besonders hervor, dass es den Skla­ ven erlaubt ist, bei Kai­serstatuen Zuflucht zu suchen (arg. servis ad statuam licet confu­gere; cum in servum omnia liceant, est aliquid, quod in hominem licere commune ius animantium vetet.); vgl. ferner Sen., benef. 3,22,1. Geht man zudem davon aus, dass sich das officium des praefectus urbi erst nach und nach unter den ersten principes ausgebildet haben wird, lässt sich Senecas Formulierung wohl dahingehend verstehen, dass hier auf Betrauungen durch einen der Vorgänger Neros Bezug genom­ men wird. Das wird dafür sprechen, dass unter Kaiser Caligula oder – noch wahr­ scheinlicher – unter Claudius das generelle Verbot einer Zufluchtnahme zu Kaisersta­ tuen zu Gunsten von Sklaven durchbrochen wird; s. in diesem Kontext zu Kaiser Claudius auch weiter unten bei Fn. 29. Für eine solche zeitliche Einordnung spricht sich etwa auch Wilfried Nippel, Aufruhr und „Poli­zei“ in der römi­schen Republik, Stuttgart 1988, 165 f.; 271 Fn. 50 aus, während Bellen (o. Fn. 5) 66–68 u. Fn. 479 auf Tiberius verweist, unter dem die Präfektur zum ständigen Amt wird; so auch Gamauf (o. Fn. 1) 195 f. Vgl. zuvor schon Gamauf, Ad statuas confu­gere in der frühen römi­ schen Kaiserzeit, in: Das antike Asyl. Kultische Grundlagen, rechtliche Ausgestaltung und politische Funktion, Hrsg. Martin Dreher, Köln u. a. 2003, 177–202, 199, der eine „Institutionalisierung“ des confugere ad statuam zeitlich auf 15 bis 21 n. Chr. eingrenzt. Die Statuen­flucht dürfte jedoch zuerst wohl nur von freien Personen (miss­ bräuchlich) in Anspruch genommen worden sein; vgl. auch Dreher (o. Fn. 8) 494, wonach „sich Skla­ven erst in der Nachahmung von Freien die Kaiserbilder zu­nutze machten“. Wie­derum anders sieht etwa Derlien (o. Fn. 8) 258 f. i. V. m. 235; 248 im Zeugnis von Sen. clem., 1,18,2 erst den Beginn einer Ent­wicklung, die sich dann im Kaiserrecht des 2. Jh. n. Chr. ausdifferenziert; ähnlich auch Dieter Nörr, C. Cassius Longinus: Der Jurist als Rhetor (Bemerkungen zu Tacitus, ann. 14.42–45) [1983], in: ders., Historiae iuris antiqui: Gesammelte Schriften, Bd. III, Gold­bach 2003, 1585– 1620, 1586 u. Fn. 4, der diesbezüglich auf „die Zeit der Severer“ verweist. 14  Vgl. zur Fragestellung schon Jean Ch. Dumont, Servus. Rome et l’esclavage sous la République, Rome, 1987, 137: „Le droit d’asile pour l’esclave … existe à Rome sous l’Empire … Le problème est ici, encore une fois, de savoir si l’Empire a innové ou, au contraire, confirmé une tradition“. 15  Dreher (o. Fn. 4) 236 ff., bes. 242 f., wo abschließend festgehalten wird: „Es mag also auch im republikani­schen Rom so gewesen sein, daß sich Menschen in



Asylstätten in Rom zur Zeit der Republik und des frühen Prinzipats319

In eine ähnliche Richtung geht auch die zuletzt vertretene Argumentation von Lucia Fanizza: Es habe zwar keinerlei Asylrecht gegeben, doch sei zu vermu­ten, dass die Rechtsverfolgung in manchen Fällen und für begrenzte Zeit aus­gesetzt wird. Eine solche Reaktion auf die Asyl­flucht sei jedoch im völlig freien Ermessen der römischen Behörden gestanden.16 Ein anderer Teil der Lehre geht hier hingegen von einem historischen Wan­del aus: Gamauf und vor ihm schon Giuliano Crifò oder auch Gerard Frey­burger nehmen an, dass im archai­ schen Rom ein Tempelasyl nach griechi­schen Vor­bild existiert hat, doch komme es schon bald außer Ge­ brauch, es erweist sich gleich­sam als totes Recht: Denn den Schutz freier Bür­ger über­nehmen danach die Volkstribunen, und zwar weitaus effektiver; hingegen habe man bei Sklaven zu bedenken, dass ihre humane Behandlung erst im Prinzipat zum politisch relevan­ten Thema werde.17 Ergänzen lässt sich diesbe­züglich noch die Auffas­sung von Jean Dumont, wonach einer Asylflucht von Unfreien unter Berück­sichtigung ihrer sozialen Realität so­ wieso keinerlei Bedeutung zugekommen wäre: Denn letztlich könnten Skla­ ven auf diesem Weg ja nur ihren Zwangsver­kauf erreichen, nicht aber die Angst- oder Notsituationen sozusagen instinktiv in den gött­lichen Schutz von Hei­ ligtümern, den oft einzigen öffentlich zugänglichen Orten, begaben. Wirkliche Asyl­ stätten aber“ und inso­fern „der Anspruch auf Schutz vor Verfolgung in einem Hei­ ligtum exi­ st­ierte(n) also, um nochein­ mal eindeutig Stellung innerhalb der For­ schungs­diskussion zu beziehen, weder im allgemeinen gesellschaft­lichen Bewusstsein, noch in der Rechts­ordnung“. Siehe ferner Dreher (o. Fn. 1) 129 f. 16  Lucia Fanizza, Asilo, diritto d’asilo. Romolo, Cesare, Tiberio, Index 40 (2012) 605–616, 613 f.: „Penso ad ogni modo che qui, piú che di un diritto si tratti d’altro, e cioè della protezione temporanea utilizzata dai supplicanti come limite all’attività giudi­ ziaria, coercitiva, dominicale esercitabile nei loro confronti. … Si trattava piut­tosto di una sospensione di fatto, ma ad essere sospeso era il diritto di punire o di giudicare. Una sospensione limitata nel tempo e condizionata al riconoscimen­ to che l’autorità repres­siva volesse dare, di volta in volta, a situazioni di questo genere“. 17  Vgl. insbes. Gamauf (o. Fn. 1) 191 f. u. Fn. 89 i. V. m. 13 f., der sich dabei auf „früh­republikanische Tem­pelasyle am Aventin“ bezieht, aber die Möglichkeit offen­ lässt, dass diese Asylstätten „weiterhin eine gewisse Bedeutung für Sklaven behiel­ ten“, die von ihren domini misshandelt werden; ferner Giuliano Crifò, s. v. „Asilo (diritto di) – a) Premessa storica – 1) Diritti antichi“, ED 3 (1958) 191–197, 194, der für die spätere Republik neben dem Volkstribunat auch auf das „diritto all’inviolabilità della casa“ und das „istituto dell’esilio … come autentici diritti del­ la personalità“ verweist (ebd., 195 f.); für Freyburger (o. Fn. 5) 139; 150 ist das im archai­schen Rom existierende Asyl hingegen der rein religiösen Sphäre zuzuordnen; Freyburger, Le dieu Veio­vis et l’asile accordé a Rome aux suppliants, in: Das anti­ ke Asyl. Kultische Grund­lagen, rechtliche Ausgestaltung und politische Funktion, Hrsg. Martin Dreher, Köln u. a. 2003, 161–175, 172 f. hält dann ergänzend für die spätere Entwicklung fest: „Rome a donc privilégié la supplication auprès des per­ sonnes par rapport à celle auprès des lieux sacrés“.

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Freiheit,18 und inso­fern wäre es bei einem derart schwachen und unsicheren Schutz kaum ratsam gewesen, die eigenen Herren öf­fentlich zu brüskieren. Angesichts dieses Meinungsstands stellen sich m. E. vor allem zwei Fra­ gen, denen im An­schluss nachgegangen werden soll: Gibt es einerseits über­ haupt Hinweise auf Asylstätten, bei denen Flüchtlinge davon ausgehen konn­ ten, Auf­nahme zu finden, und denen deshalb auch so­ziale Relevanz zuzu­ schreiben ist. Und lässt sich der Asylflucht andererseits eine gesellschaft­liche oder gar recht­liche Funktion zuordnen,19 die einen hinreichenden Grund da­ für bilden könnte, dass sie von Juristen bzw. von politischen Machtträgern anerkannt oder zumin­dest geduldet wird. Wie die zitierten, sehr vorsichtigen Äußerun­gen in der Lehre bereits erkennen lassen, finden sich zu diesem Themenkom­plex nur we­nige Quellen, doch dürften sich aus zwei Texten oder – genauer gesagt – aus zwei Textgruppen doch Indizien und darauf zu stützende Schlussfol­gerungen für unsere Fragestellung ergeben. II. „Fluchtneigung“ aufgrund einer Zuflucht bei Asylstätten? Eingangs bietet es sich an, den einzigen klassischen Juristentext genauer zu betrachten, in dem überhaupt das Wort Asyl vorkommt. In D. 21,1,17,12 nimmt der Spätklassiker Ulpian nämlich auf eine Streit-Frage Bezug (arg. quaeritur), die bereits bei Labeo, also zur Zeit von princeps Augustus, und erneut bei Cae­ lius Sabinus, einem Juristen unter Nero und Vespasian, disku­tiert wird:20 D. 21,1,17,12 Ulp. 1 ad ed. aedil. curul. Apud Labeonem et Caelium quae­ Bei Labeo und Caelius Sabinus wird die ritur, si quis in asylum con­ fugerit Streitfrage behandelt, ob der­ jenige ein aut eo se conferat, quo solent venire „fluchtgeneigter Sklave“ ist, der im Asyl qui se venales po­stulant, an fugiti­ Zuflucht gesucht hat oder sich dahin be­gibt, wohin Sklaven üblicherweise kom­ men, vus sit: wenn sie für sich in Anspruch neh­men (da­ rauf hinweisen), „verkäuflich“ zu sein.21 18  Dumont (o. Fn. 14) 137 ff., bes. 141 f. mit der Schlussfolgerung: „La portée prati­que du droit d’asile est mini­me“ (ebd., 143); das betont auch Ingomar Weiler, Die Be­ endigung des Sklavenstatus im Altertum. Ein Beitrag zur vergleichenden Sozialge­schichte, Stuttgart 2003, 269. 19  Vgl. zur Fragestellung insbes. auch Dreher (o. Fn. 1) 129 f., der dem Thema Asyl in republikanischer Zeit dann zumindest insoweit eine „integrative“ Funktion zu­schreibt, als die im 3. Jh. v. Chr. entstandene Grün­dungslegende Roms – allerdings „ohne wirkliche Anknüpfungspunkte in der eigenen Geschichte“ – um das „sagen­ hafte Romulusasyl“ angereichert wird: Es handle sich dabei also um die „Adaption einer griechischen In­stitution …, um die eigene Stadt einmal mehr in die griechische Tradi­tion einzubinden“. Dazu dann eingehend Dreher (o. Fn. 4) 244 ff. 20  Zur Einordnung der beiden frühklassischen Juristen neuerdings etwa Detlef Liebs, Hofjuristen der römischen Kaiser bis Justinian, München 2010, 21 f.; 26.



Asylstätten in Rom zur Zeit der Republik und des frühen Prinzipats321

ego puto non esse eum fugitivum, qui id facit quod publice facere li­ cere arbitratur. ne eum quidem, qui ad statuam Caesaris confugit, fugiti­ vum arbitror: non enim fugiendi animo hoc facit. idem puto et in eum, qui in asy­lum vel quod aliud confugit, quia non fugiendi animo hoc facit: si tamen ante fugit et postea se contu­ lit, non ideo magis fugitivus esse desinit.

Ich glaube, dass derjenige kein „fluchtge­ neigter Sklave“ ist, der das macht, was (aus) öffentlich(-rechtlicher Sicht) zu tun für er­ laubt angese­hen wird. Nicht einmal den, der bei einer Kaiserstatue Zuflucht sucht, er­ achte ich als „fluchtgeneigt“: Denn er macht das nicht in der Absicht zu fliehen. Dasselbe nehme ich auch bezüg­lich desjenigen an, der im Asyl oder bei einer entsprechenden Stätte Zuflucht sucht, weil er das nicht in der Absicht zu fliehen tut. Wenn er jedoch zuerst geflohen ist und sich danach dorthin begibt, än­ dert sich deshalb nichts daran, dass es sich um einen „flucht­ geneigten Sklaven“ handelt.

Schon bei den Frühklassikern stellte sich also das Problem, ob ein Zu­ flucht suchender Sklave als servus fugitivus einzustufen ist. Eine solche Beurteilung würde natürlich seinen Wert und dementsprechend den Preis bei einem allfäl­ ligen Weiterverkauf am Markt erheblich verrin­ gern.22 In diesem Zusammen­hang ist es nun von Interesse, dass eine Zufluchtnahme sowohl „im Asyl“ (in asylum) in Betracht gezogen wird, als auch an sonstigen Orten, wo Sklaven üb­licher­weise für sich in Anspruch nehmen, dass sie venales, also „verkäuf­lich“ sind.23 Nach überwiegender Lehre be­ zieht sich zumindest die erste Formu­ lie­ rung auf Asylstätten in den 21

21  Anders etwa die „Interpretation“ der deutschen Übersetzung, Corpus Iuris Ci­ vilis – Text und Übersetzung IV. Digesten 21–27, Hrsg. Rolf Knütel u. a., Heidelberg 2005, 13: „Bei Labeo und Caelius Sabinus wird gefragt, ob ‚Sklave, der zur Flucht neigt‘ sei, wer sich zu einer Stätte des Asyls geflüchtet hat oder sich dorthin begibt, wohin [von ihren Eigentümern] mißhandelte Sklaven zu gehen pflegen, die [beim Magistrat] um ihren Verkauf nachsuchen“. 22  Vgl. dann bezüglich der sog. Statuenflucht explizit D. 21,1,19,1 Ulp. 1 ad ed. aedil. curul.: Plane si dixerit aleatorem non esse, furem non esse, ad statuam numquam con­fugisse, oportet eum id praestare; dazu auch Gamauf (o. Fn. 1) 74 f. u. Fn. 137. 23  Von der bisherigen romanistischen Lehre wird die Formulierung se venales postu­lare allerdings in anderem Sinn gedeutet; dazu unten bei Fn. 38. Für die hier vertre­tene Ansicht lässt sich aber – zumindest für die Be­deutung von venales – auch die bekannte Labeo-Ulpian-Entscheidung D. 19,5,20 pr. Ulp. 32 ad ed. anführen, in der auf „verkäuf­liche Pferde“ Bezug genommen wird: Apud Labeonem quaeritur, si tibi equos venales experien­dos dedero, ut, si in triduo displicuissent, redderes, tuque de­sultor in his cucur­reris et viceris, deinde emere nolueris, an sit adversus te ex vendito actio. et puto verius esse praescriptis verbis agendum: nam inter nos hoc actum, ut experimentum gratuitum acciperes, non ut etiam certares. Wenn Andreas Wacke, Dig. 19,5,20 pr.: Ein Sieges­preis auf fremden Pferden. Zur Gewinn-Abliefe­ rungspflicht beim Kauf auf Probe, ZRG RA 119 (2002) 359–379, 360 hier zu Recht davon ausgeht: „Die Höhe des Kaufpreises hatte der Händler vermutlich bereits

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Ostprovinzen,24 doch fehlt hierfür jeder Anhalt im Text:25 Umso auffallen­ der erscheint daher der Hinweis bei Cassius Dio, wonach es zu Lebzeiten Labeos – anders als in den vorange­gangenen Jahrhunderten – in der Tat einen römischen Tempel mit Asylrecht gab, näm­ lich das Heroon von C. Julius Caesar am Forum. Nach einem Menschen­ ansturm wurde das Heiligtum allerdings später ummauert und unzugänglich gemacht – mit anderen Worten: eine typisch römische Lösung. Dio 47,19,2–3.26 … ¢phgÒreusan d7 mhdšna ™v tÕ ¹rùon aÙtoà katafugÒnta ™p’ ¢de…* m»te ¢ndrhlate‹sqai m»te sul©sqai, Óper oÙdenˆ oÙ­d7 tîn qeîn, pl¾n tîn ™pˆ toà `RwmÚ­ lou genomšnwn, ™de­dè­kesan. ka…toi kaˆ ™ke‹no tÕ cwr…on ÑnÒma­ ti t¾n ¢sul…an, met¦ t¾n tîn ¢ndrîn ¥qroisin, ¥neu toà œr­ gou aÙtÁv œscen: oÛtw g¦r periefr£cqh éste mh­dšna œti tÕ par£pan ™s­ el­ qe‹n ™v aÙtÕ dun­ hqÁnai.

… Sie (die Triumvirn) verboten, dass ir­ gendwer, der zwecks Straf­losigkeit in (Cae­ sars) Heroon (am Forum) Zuflucht gesucht hat, hinaus­gejagt oder gewaltsam wegge­zerrt werden dürfe, eine Auszeich­nung, die man nicht einmal einem der Götter, außer jenen, die schon in den Tagen des Romulus verehrt wurden, zuge­billigt hatte. Gleich­wohl hatte auch je­ner Platz nur dem Namen nach die Unverletz­ lichkeit, nach dem An­ drang (der An­ samm­ lung) von Menschen besaß er sie nämlich ohne tatsächliche Wirkung: Denn er wurde ringsum so einge­zäunt, so dass nie­ mand mehr überhaupt in ihn hinein­kommen konnte.27

Aber auch im Hinblick auf die anderen, bei Labeo erwähnten Zuflucht­ stätten finden sich ent­sprechende Belege. So wird etwa bei Festus der Dia­ 27

be­stimmt“, so wird seine dahin gehende Vermutung m. E. bereits durch das Wort venales impliziert; zu diesem Aspekt dann noch genauer unten bei Fn. 68. 24  Vgl. insbes. Gamauf (o. Fn. 1) 70; 71 bzw. Weiler (o. Fn. 18) 269 u. Fn. 266. Zu­dem ziehen Georg Klingen­berg, Servus fugitivus (CRRS X.6), Stuttgart 2005, 87 f. u. Fn. 315 und Leonhard Schumacher, Stellung des Sklaven im Sakralrecht CRRS VI), Stuttgart 2006, 38 f. in Betracht, dass mit den an zweiter Stelle erwähn­ ten Zuflucht­stätten auf die Statuenflucht Bezug genommen sein könnte. Bellen (o. Fn. 5) 67 u. Fn. 474 und Derlien (o. Fn. 8) 231; 328 f. denken bei letzteren dann grundsätzlich an die Amtssitze des praefectus urbi sowie der Provinzstatthalter. 25  Die inscriptio der Stelle könnte sogar das Gegenargument liefern, dass sich die Juris­ten­diskussion ja auf die Marktgerichtsbarkeit in Rom bezieht, doch wendet Ga­ mauf (o. Fn. 1) 69 dagegen ein, es bestehe in den senato­rischen Provinzen ein paralle­ les Edikt und zudem könnte es hier um Sklaven gehen, die aus den Ostprovinzen stam­men und dort Zuflucht gesucht haben, dann aber in Rom verkauft werden. 26  Mit den einleitenden „sie“ (in der Übersetzung) bezieht sich Cassius Dio ge­ mäß 47,18,1 auf die Triumvirn; zur Errichtung des Tempels am Forum Romanum s. auch Dio 47,18,4. Vgl. ferner Traulsen (o. Fn. 5) 250. 27  Zu völlig anderen Ergebnissen kommt hingegen Derlien (o. Fn. 8) 189 ff. auf­ grund einer Übersetzung, die u. a. den Sinn des letzten Textteils so wiedergibt: „…. Jedoch hatte jener Ort den Namen der Asylie, gemäß der Versammlung der Männer, ohne deren Funktion: so sehr nämlich war er umfriedet, dass überhaupt



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na-Tempel am Aventin als Ort erwähnt, zu dem sich offenbar häufig „flüch­ tige Sklaven“ begeben: Fest. p. 460 / 467 L., s. v. servorum dies (Festus). Als Festtag der Sklaven wird gewöhnlich Servorum dies festus vulgo ex­ der 13. August angenommen, weil an die­ istimatur Idus Aug., quod eo die sem Tag (der König) Servius Tullius den Serv. Tullius, natus servus eadem Tempel der Diana am Aventin ein­ geweiht Dianae dedicaverit in Aventino, cui­ hat, dessen Schutzpatrone Hirsche sind; aus us tute­lae sint cervi; a quo celeritate die­sem Grund bezeichnet man wegen ihrer fugitivos vocent cervos. Schnelligkeit „flüchtige Skla­ ven“ als Hir­ sche.

Und auch bei Nonius Marcellus wird unter Hinweis auf Varro und Sextus Aelius überliefert,28 dass der Ceres-Tempel am Fuß des Aventin für Flücht­ linge offen steht, die dort immerhin Brot erhalten: Non. de compendiosa doctrina I, p. 63 Pandere: Varro existimat ea causa dici, quod qui ope indige­rent et ad asylum Cereris confu­ gissent panis daretur: pandere ergo quasi panem dare: et quod numquam fanum tali­ bus clau­deretur: de Vita Populi Ro­ mani lib. I: ‚hanc deam Aelius putat esse Cererem; sed quod in asylum qui confugisset panis daretur, esse nomen fictum a pane dando, pandere, quod est aperire‘.

L. (= p. 44 M.), s. v. pandere. Das Wort „pan-dere“: glaubt Varro, werde aus dem Grund verwendet, weil an dieje­ nigen, die des Beistands bedurften und die beim Asyl der Göttin Ceres Zuflucht ge­ sucht hatten, Brot (pan-is) gegeben wurde (dare-tur): „pandere“ bedeutet daher sozu­ sagen „Brot geben“. Und weil das Heilig­ tum solchen Personen niemals verschlos­sen wird, im Werk (Var­ros) „de vita populi Ro­ mani“, im ersten Buch: „Aelius glaubt, dass es sich bei dieser Göttin um Ceres handelt; aber weil an diejenigen, die zum Asyl Zu­ flucht gesucht hatten, Brot gegeben wurde, dass dieses Wort von ‚Brot-geben‘ her gebil­ det wurde, ‚pan-dere‘, was zugleich (das Heiligtum) öffnen bedeutet“.

Bezieht man die soeben zitierten Texte zum Asyltempel Caesars und zu den aventinischen Heiligtümern29 also auf die bei Ulpian angesprochene niemand mehr hinein­ gehen konnte“. Allerdings müsste die Bezugnahme auf den Senatsbeschluss („Versammlung der Männer“), wenn schon auf diese Weise, im Text wohl mit tÕ tîn ¢ndrîn ¥qroisma und nicht mit ¹ tîn ¢ndrîn ¥qroisiv um­ schrieben werden. 28  Eine eingehende Beschäftigung mit den Texten von Festus und Nonius Mar­ cellus sowie den beiden Tempeln findet sich bei Gamauf (o. Fn. 1) 189 f. sowie bei Derlien (o. Fn. 8) 180 f. u. Fn. 139; 183 f. 29  Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass der Aventin mit seinen beiden (ple­bejischen) Heiligtümern – wie Gamauf (o. Fn. 1) 187 f. u. Fn. 58 bzw. Derlien (o. Fn. 8) 179 ff. zu Recht hervorheben – außerhalb des pomerium liegt; vgl. Sen., dial. 10,13,8 (= brev. vit. 13,8) und Gell. 13,14,3–4. Das änderte sich erst unter

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quaestio, dann spricht das Wort solent im ersten Satz von D. 21,1,17,12 m. E. bereits für eine existierende Asylpraxis in Rom. Ein weiterer Einwand gegen die Relevanz des Ulpiantextes geht nun dahin, er wäre von den Kompilatoren stark gekürzt worden und lasse daher nur bezo­gen auf die spätklassische Zeit einigermaßen sichere Schlüsse zu,30 da die Auffassun­gen von Labeo und Caelius gar nicht be­rücksichtigt sind.31 Aber auch das erscheint zweifelhaft, wenn man die Entscheidung in ihrem Gesamt­zusam­menhang liest: Zur besseren Verständlichkeit ist der Paragraph D. 21,1,17,12 deshalb eingangs in drei Absätze gegliedert worden. Dabei fällt sofort auf, dass sich Ulpian in Absatz 2 zustimmend zu einer Lehrmei­ nung äußert, die sich dann gar nicht mit seiner eige­nen, in Absatz 3 über­ lieferten Auffassung deckt: Mei­nes Ermessens bezieht sich Ulpian also in Absatz 2 zuerst auf die Meinung Labeos, wenn er ausführt, ein Sklave sei jedenfalls dann kein servus fugitivus, wenn die Zuflucht im öffentlichrechtlichen Sinn als erlaubt anzusehen ist. Ge­nau das passt zu dem – zu Labeos Lebzeiten für Diskussion sorgenden – Asyl­recht des Caesar-Tem­ pels.32 Und unmittelbar im Anschluss grenzt sich Ulpian dann von einer Kaiser Claudius, wie Gell. 13,14,7 belegt: Sed de Aventino monte praetermittendum non putavi, quod non pridem ego in Elydis, grammatici veteris, commentario offendi, in quo scriptum erat Aventinum antea, sicuti diximus, extra pomerium exclusum, post auctore divo Claudio receptum et intra pomerii fines observatum. Geht man also da­von aus, dass aus römi­scher Sicht Asylstätten innerhalb des pomerium nicht geduldet wa­ren, sei es nun aus politischer oder sakraler Tradition, so könnte die Erweiterung des pomerium unter Clau­dius einen nachvollzieh­baren Anlass geboten haben, nun vom generellen Verbot der Statuenflucht abzugehen (s. schon oben bei Fn. 13). Durch die Schaffung einer Be­schwerdeinstanz für Sklaven wäre damit zu­ gleich auf jene Konstel­lationen Rück­sicht genommen worden, die zuvor üblicher­ weise Anlass zu einer Zu­flucht bei den aventinischen Tempeln ge­geben hatten. 30  So Gamauf (o. Fn. 1) 66 u. Fn. 100. 31  Dementsprechend divergieren auch die Auffassungen in der Lehre, welchen Stand­punkt Labeo und Caelius eingenommen haben könnten: Gamauf (o. Fn. 1) 66; 72 f. geht davon aus, dass beide Frühklassiker die „Flucht­neigung“ bejaht hätten; ebenso Arrigo D. Manfredini, „Ad ecclesiam confugere“, „ad statuas confugere“ nell’età di Teodosio I, AARC 6 (1986) 39–58, 52 und Klingenberg (o. Fn. 24) 88 u. Fn. 318; nach Derlien (o. Fn. 8) 230 f. Fn. 4 und Schumacher (o. Fn. 24) 39 folgt Ulpian der Lösung Labeos, während Caelius Sabinus davon abweicht; wieder anders Peter Garnsey, Ideas of Sla­very from Aristotle to Augustine, Cambridge 1996, 95, der vermutet, dass Ulpian im Einklang mit den Auffassungen der frühklassischen Juristen entschieden hat. 32  Siehe oben bei Fn. 26 f. Insofern wäre eine Inanspruchnahme sonstiger, bloß gesell­schaft­lich anerkannter Asyl­stätten – im Sinn Labeos – wohl nicht geeignet, die „Flucht­neigung“ zu verneinen, während nach Ulpian in bei­den Fällen das subjektive Kriterium des animus fugiendi zu verneinen ist (s. unten bei Fn. 35). Anders versteht hingegen Gamauf (o. Fn. 1) 196 die Formulierung quod publice facere licere arbitra­ tur, wenn er hieraus folgert, dass ein „confugere ad statuas nicht als rechtliches



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anderen Aussage ab, die offenbar von Caelius stammt: Denn es geht darin um die Statuenflucht, die bei Labeo wohl noch kein Thema war,33 mit Si­ cherheit aber zur Zeit von Kaiser Nero und damit von Caelius: Ulpian be­ tont nämlich, dass nicht einmal derjenige Sklave, der bei einer Kaiserstatue Schutz sucht, als servus fugitivus anzusehen sei. Caelius Sabinus war hier freilich anderer Meinung, wie es der anschlie­ ßende § 13 des Ulpian­fragments verdeutlicht. Denn der Frühklassiker spricht be­ reits dann von einem servus fugiti­vus, wenn der Eigentümer seinen unmittel­baren Zugriff auf den sich wegbegebenden Sklaven verloren hat:34 D. 21,1,17,13 Ulp. 1 ad ed. aedil. curul. Ebenso schreibt Caelius Sabinus, es sei zu­ Item Caelius scribit placere eum quoque fugitivum esse, qui eo se treffend, auch denjenigen für einen „flucht­ conferat, unde eum dominus reci­ geneigten Sklaven“ anzusehen, der sich an perare non possit, multoque magis einen Ort begibt, von wo ihn sein Eigentü­ illum fugitivum esse, qui eo se mer nicht zurückerlangen kann, umso mehr conferat, unde abduci non possit. sei daher derjenige ein „flucht­ geneigter Sklave“, der sich dorthin begibt, von wo er nicht abgeführt werden kann.

Wie sich dem Beleg entnehmen lässt, kann es natürlich de facto zum Verlust der Zugriffs­ möglichkeit kommen, wenn der Herr beispielsweise keine Kennt­nis davon hat, wo sich sein Sklave versteckt hält; aber es kann eben – wie Caelius unterstreicht – ebenso der Fall sein, dass es dem Eigen­ tümer de iure nicht offen steht, einen wieder aufgefundenen Sklaven abzu­ führen (arg. ab­duci non possit). Mit letzteren Worten wird jedenfalls auch der Fall einer Statuenflucht erfasst, weil nunmehr zuerst ein Verfahren vor dem praefectus urbi stattfinden muss, bevor der dominus die potestas über seinen Sklaven wiedererlangen kann. Auf ganz andere Weise begründet hingegen Ulpian seine eigene Entschei­ dung in Absatz 3 von D. 21,1,17,12:35 Ulpian stellt nämlich nicht darauf ab, Prob­lem analysiert wurde“; davon ist offenbar auch die deutsche Übersetzung (s. oben bei Fn. 21) beein­flusst. Aber einmal abgesehen davon wird diese Argumenta­ tion bei Ga­mauf (o. Fn. 1) 72 und Derlien (o. Fn. 8) 232 sowieso dem Spätklassiker Ulpian zuge­schrieben. 33  Siehe oben bei Fn. 13. 34  Bereits dann ist also gemäß Ulp. D. 21,1,17,1 von einem discedere ea mente ne ad dominum redeat im Sinn von Caelius Sabinus auszugehen, da die Dauer des Sich-Ent­ ziehens für den Frühklassiker hierbei keine Rolle spielt; vgl. auch die §§ 17,8–9 des Ulpianfragments sowie die beiden folgenden Fn. 35  In diesem Zusammenhang fügt Gamauf (o. Fn. 1) 66  f. unter Hinweis auf D. 21,1,17,1 ff. an, dass Ulpians „deliktsrechtliches Verständnis … keine Neuerung bildete, sondern der [sc. gemäß D. 21,1,17,1 (arg. ea mente)] schon von Caelius Sabi­ nus gegebenen Definition entsprach“; insofern sei die abweichende Meinung Ulpians „aus zwischenzeitlichen Rechtsänderungen“ abzuleiten (ebd., 71 f.). Damit

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ob ein Aufenthalt in der Asylstätte schon von vornherein von der Rechts­ ord­nung an­erkannt ist, wie das beim Tempelasyl der Fall ist. Und ebenso we­nig kommt es ihm darauf an, ob der Eigentümer den jederzeitigen Zugriff auf seinen Sklaven hat. Vielmehr liegt nur dann eine „Flucht“ im Sinn des Edikts der kuru­lischen Ädilen vor, wenn der animus fugiendi des servus zu bejahen ist, wenn der Sklave also die Absicht hatte, sich seinem Herrn „einfach so“ zu entziehen, ohne dass ein rechtlich oder auch sozial aner­ kanntes Motiv für eine zeitweilige „Freiheit von der potestas des dominus“ vorliegt.36 Neben Notsitua­ti­onen37 stellt also auch der Fall einer Statuen­ flucht ein respektables Motiv dar, weil der Sklave ja ein ihm zugebilligtes Verfahren in Gang setzen will, noch dazu unter Einbindung seines Herrn; und dementsprechend kommt es auch gar nicht darauf an, ob sich die Inan­ spruchnahme eines confugere ad statuam letztendlich als gerechtfertigt er­ weist oder nicht. Nur wenn der Un­freie von vornherein einen Fluchtversuch unternimmt und erst später (notge­drungen) irgendeine Asylstätte aufsucht, dann ist er – wie Ulpian abschließend ausführt – bereits als servus fugitivus einzustufen; hieran soll und kann sich dann auch nach­träglich nichts mehr ändern. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der Ulpiantext indirekt so­ wohl auf die Lehre von Labeo als auch auf die Gegenansicht des Caelius eingeht; der Spätklassiker überliefert inso­weit völlig konsequent, worum es in der von ihm selbst „einleitend“ erwähnten quaestio geht. Für unsere wird m. E. aller­dings – einmal abge­sehen vom unzweifelhaften Bestehen der Statu­ enflucht zur Zeit Neros – das weite vel quod aliud confugit bei Ulpian noch nicht hinreichend erklärt; vgl. auch Derlien (o. Fn. 8) 231. Im Übrigen ist es zwar unbe­ stritten, dass seit der Frühklas­ sik sowohl subjektive als auch objektive Kriterien herangezogen werden, um das fugae causa (extra domum manere) im Sinn der Ausgangsdefinition von Ofilius nä­her zu bestimmen (D. 21,1,17 pr.: Quid sit fugitivus, definit Ofilius: fugitivus est, qui extra domini domum fugae causa, quo se a domino celaret, mansit); vgl. dazu etwa Klingen­berg (o. Fn. 24) 1, 83 ff. Doch zei­ gen die im Ulpianfragment D. 21,1,17 über­ lieferten Auffassungen der früh- und hochklassischen Juristen bei der Ausformung und Anwen­dung dieser Kriterien eben Divergenzen, die in den abschließenden §§ 12 f., also anhand der quaestio hinsicht­ lich einer Asyl-„Flucht“, besonders deutlich hervor­treten und hier zu unterschied­ lichen Lösungen führen können. 36  Die Inanspruchnahme einer solchen libertatis cuiusdam species reicht für Caelius in derartigen Fällen hingegen bereits aus, um den Sklaven zu einem fugitivus zu ma­chen; vgl. D. 21,1,17,10 Ulp. 1 ad ed. aedil. curul.: Idem [sc. Caelius] recte ait liberta­ tis cuiusdam speciem esse fugisse, hoc est potestate dominica in praesenti liberatum esse. 37  Dieser Ansatz geht bereits auf den Hochklassiker Vivian zurück, wie D. 21,1,17,3 Ulp. 1 ad ed. aedil. curul. belegt: Item apud Vivianum relatum est fugitivum fere ab affectu animi intellegendum esse, non utique a fuga: nam eum qui hostem aut latro­nem, incendium ruinamve fugeret, quamvis fugisse verum est, non tamen fugitivum esse. …



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Fragestellung ist dabei von Relevanz, dass Labeo hier offenbar auf eine gängige Asylpraxis in Rom anspielt. Die Worte se venales postulare, die in unserer Übersetzung von § 12 vorsichtig mit „darauf hinweisen, dass man verkäuflich ist“ wiedergege­ben werden, sind von der bisherigen Lehre so verstanden worden, dass die Sklaven am Asylort ihren Verkauf „fordern“:38 Aber ein solcher Zwangsver­kauf, wie er aufgrund der Statuenflucht vorge­ sehen ist, und zwar als ultima ratio, war bei Labeo wohl noch kein Thema. Und jeder nicht-hoheit­ liche Ver­ kauf gegen den Willen des Eigentümers wäre aus römischer Sicht doch fur­tum, also ein zu ahn­dendes Unrecht ge­ wesen, was wohl gegen eine solche Auslegung spricht. III. Hinweise auf die römische Praxis im „Rudens“ von Plautus? Neben dem Ulpianbeleg verdienen in unserem Kontext auch einige Tex­ te aus einer Plautus-Komödie Beachtung: Denn im Verlauf des Stückes „Ru­ dens“, auf Deutsch mit „Seil“ oder „Schiffstau“ wiederzugeben, su­ chen zwei junge Frauen Zuflucht beim Altar eines Tempels. Dass die neu­ ere Forschung diese Komödie dennoch völlig unbeachtet lässt,39 wird bei Martin Dreher in einer Fußnote kurz bekräftigt: Plautus stütze sich dabei ja auf ein griechisches Werk, nämlich ein Stück von Diphilos, das uns freilich nicht erhalten ist;40 zudem spiele die Hand­lung in Kyrene, also an der nord-afrikanischen Küste, die zur Zeit von Plautus noch nicht Teil des römischen Imperiums ist;41 und dementsprechend belege die hier darge­ stellte Zufluchtnahme beim Altar einzig und allein, dass das römische Pu­ blikum eine oberflächliche Kenntnis vom griechischen Tempelasyl gehabt habe.42 Diese Argumente verlieren freilich einiges an Überzeugungskraft, wenn man sich etwas ge­nauer auf die Details dieser Komödie einlässt: Natürlich 38  Siehe z. B. Bellen (o. Fn. 5) 66  f.; 70 f.; Gamauf (o. Fn. 1) 71; Derlien (o. Fn. 8) 231 oder auch die deutsche Übersetzung (oben bei Fn. 21). 39  Immerhin findet sich schon bei Mommsen (s. oben bei Fn. 5) ein Hinweis auf die­ses Stück, auch wenn die Argumentation dort nicht besonders überzeugend er­ scheint. 40  Vgl. Jan F. Gaertner, Das antike Recht und die griechisch-römische Neue Komö­die: Untersuchungen zu Plautus und seinen griechischen Vorbildern, Teil II (phil. Habil. Leipzig 2011, noch unveröffentlicht), 433 u. Fn. 1607 bzw. allg. Manfred Fuhr­mann, Geschichte der römischen Literatur, Stuttgart 1999, 85; 87. 41  Denn die Cyrenaica fällt erst 96 v. Chr. durch Testament des Ptolemaios Api­ on an Rom und wird dann 74 v. Chr. in eine Provinz umgewandelt, die zusammen mit Creta verwaltet wird. 42  Vgl. Dreher (o. Fn. 4) 237 Fn. 7; s. auch Gaertner (o. Fn. 40) 436 u. Fn. 1619.

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lassen sich bei Plautus darüber hin­aus eine Vielzahl von Hinweisen auf das römische Recht ausmachen, so wird auf die in ius vocatio Bezug genom­ men, der Prozess findet dann vor recuperatores statt,43 und der Dichter spielt etwa auf die excep­tio legis Laetoriae an,44 doch all das könnte auch terminologi­sches Beiwerk sein. Aber es ist jedenfalls auffallend, dass Plau­ tus bereits im Prolog nur ganz vor­sichtig sagt, Diphilos wollte, dass der Name der Stadt Kyrene sei. Plaut. Rud. 32 f. Arcturus. Primumdum huic esse nomen urbi Diphilus / Cyrenas vo­ luit. …

Zuerst der Name dieser Stadt: Diphilus wollte, dass er Kyrene sei. …

Und in der Tat ist die (Hafen-)Stadt, auf die Plautus im Rudens Bezug nimmt, schon rein geo­graphisch gesehen ein reines Phantasieprodukt, denn Kyrene liegt 15 km landeinwärts am Rand der Wüste.45 Die Bedeutung dieser plautinischen Bemerkung wird jedoch bald darauf offengelegt, denn spätestens ab dem ersten Akt wissen die Zuschauer, dass die Handlung ei­ gentlich in Rom spielt: Dort gibt nämlich ein frecher Sklave dem jungen Helden den Rat, nicht beim Venus-Tem­pel auf ein versprochenes Opfermahl zu warten, sondern sich lie­ber zum Heilig­tum der Ceres aufzumachen, denn dort bekomme er wenigs­tens Brot: 43  Dazu eingehender Martin Pennitz, Zum Prozess wegen des Verkaufs einer vermeint­li­chen Sklavin. Plautus’ Rudens als römischrechtliche Quelle?, in: Kultur(en). Formen des Alltäglichen in der Antike. Festschrift für In­gomar Weiler zum 75. Geb., Hrsg. Peter Mauritsch u. a., Graz 2013, 567–584, 577 f.; 580. 44  Plaut. Rud. 1380–1382: Cedo quicum habeam iudicem, / ni dolo malo instipulatus sis nive etiamdum siem / quinque et viginti annos natus; vgl. nur Max Kaser, Das römische Privatrecht I, München 19712, 276 u. Fn. 22 bzw. Max Kaser /  Karl Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, München 19962, 71 f. Fn. 15. 45  Von einer „plautinischen Phantasiestadt“ spricht auch Eckard Lefèvre, Plautus’ Ru­dens, Tübingen 2006, 17 f. (unter Hinweis auf Plin., nat. 5.32), doch führt das dort zur erstaunlichen Schlussfolgerung, dass ein solches Missgeschick zwar dem Römer Plautus durchaus zuzutrauen sei, aber keinesfalls seiner griechischen Vorlage, weshalb die Handlung des griechischen „Originals“ – trotz des expliziten Hinweises bei Plaut. Rud. 32 f. – entweder in Apollonia, dem Hafen Kyrenes, oder gar an der Küste bei Athen gespielt haben müsse. Aber gegen diese Sichtweise spricht m. E., dass die Rö­mer schon zur Zeit von Plautus – zumindest über Capua – intensive Handelsbeziehun­gen mit Ky­rene unterhalten, weshalb sich der Dichter gerade nicht auf eine denkbare geogra­phische Unwissenheit seines Publikums verlassen kann, zu dem sicher auch weitgereiste Händler und Kaufleute gehören. Das wird auch im Stück selbst deutlich, wenn in Plaut. Rud. 629–631 ein in Kyrene ansässiger Bauer unter Anspielung auf die bevorstehende Silphium-Ernte, worauf ja Kyrenes sprich­ wörtlicher Reichtum beruht, so angesprochen wird: Teque oro et quaeso, si speras tibi / hoc anno multum futurum sirpe et laserpicium / eamque eventuram exagogam Capuam salvam et sospitem, …



Asylstätten in Rom zur Zeit der Republik und des frühen Prinzipats329

Plaut. Rud. 145 f. Sceparnio. Cererem te meliust quam Venerem sectarier: / amori haec cu­ rat; tritico curat Ceres.

Du solltest lieber zur Ceres als zur Venus laufen: Diese sorgt für Liebe, Ceres aber für Nahrung.

Das zielt auf den bereits erwähnten Tempel der Ceres am Fuß des Aven­ tin ab,46 und dazu könnte gut passen, dass das vom Ceres-Tempel schnell erreich­bare Forum boarium unmittel­ bar beim Flusshafen Roms, also vor den Toren der Stadt und in nächster Nähe der Tiberinsel liegt: Dieser portus Tiberinus gewinnt gerade um die Zeit von Plautus, noch während des Zweiten Punischen Krieges, große Bedeutung als Umschlagplatz für ­ Handelswaren,47 wo­ durch die in Hafen­ nähe spielende Handlung des Rudens reale Konturen erhält. Und natür­lich be­ruht ein wesentlicher Teil der Komik des plautinischen Stückes nicht zuletzt darauf, dass der Dichter hier ganz generell römische Verhältnisse aufs Korn nimmt. Um allerdings die Vorbedingungen für die uns interessierende Asylflucht zu verstehen, er­ scheint es angebracht, in aller gebotenen Kürze auf den Inhalt des Stücks einzugehen: Der jugendliche Held, ein Athener namens Plesidippus, verliebt sich in das Mädchen (puella) Pa­laestra, die als kleines Kind aus ih­rem Geburtsort Athen geraubt wurde. Sie ist vom Zuhälter Labrax, einem Bürger Kyrenes (also Roms)48 und zugleich leno des Stücks,49 46  Siehe oben bei Fn. 28. Der Tempel war im Übrigen – vgl. dazu Wolfgang Kunkel / Ro­land Wittmann, Staats­ordnung und Staatspraxis der römischen Republik. II: Die Magist­ratur, München 1995, 475 u. Fn. 11; 480 u. Fn. 25 – Versammlungsort und Archiv der Ädilen, was wiederum die Anspielung bei Plaut. Rud. 373 f. noch plasti­scher werden lässt: Novi, Neptunus ita solet, quamvis fastidiosus / Aedilis est: si quae improbae sunt merces, iactat omnis. 47  Vgl. nur Frank Kolb, Rom. Die Geschichte der Stadt in der Antike, München 20022, 151–154 u. 208–211. 48  Die von Teilen der Literatur – etwa Friedrich Marx, Plautus Rudens. Text und Kom­mentar, Amsterdam 1959, 218 (zu v. 1282) – vertretene These, dass der leno selbst als Fremder in Kyrene lebt, stützt sich nur auf einen einzigen, nicht besonders aussage­kräftigen Vers (Plaut. Rud. 41: … is eam huc Cyrenas leno advexit virginem). Dem­gegenüber lassen sich andere Passagen anführen, die das Gegenteil nahe­ legen: Denn u. a. nimmt Labrax in Kyrene einen hospes aus Sizilien auf (v. 49; 491; 883), ferner wird er, nachdem er sich nach Sizilien abzusetzen versucht, als ExilFlüchtling bezeich­ net (v. 324–326; 859), und außerdem verdeutlicht auch Plaut. Rud. 789 f., dass er Bür­ger der urbs ist; denn an dieser Stelle droht der leno einem Athener namens Daemones mit folgenden Worten: Verum senex, si te umquam in urbe offendero, / num­quam hercle quisquam me lenonem dixerit, / si te non ludos pessimos dimisero. 49  Vgl. grundlegend Rolf F. Hartkamp, Von leno zu ruffiano. Die Darstellung und Funk­tion der Figur des Kupp­lers in der römischen Palliata und in der italieni­ schen Re­naissancekomödie, Tübingen 2004, 108 ff.; 114 ff. so­wie 12 u. Fn. 12 zur Bezeich­nung „Zu­hälter“.

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gekauft und hierher ge­bracht worden; nun soll ihre Ausbildung zur Prosti­ tuierten zum Abschluss kom­men. Für das Verständnis des weiteren Gesche­ hens ist dabei ein Um­stand essentiell, dem m. E. in der neueren PlautusForschung nicht ausreichend Rech­nung getragen wird,50 nämlich dass sich die junge Frau ihrer freien Geburt völ­lig bewusst ist: Plaut. Rud. 217 f. Palaestra. Libera ego prognata fui maxume, nequiquam fui. / nunc qui minus servio, quam si serva forem nata?

Ganz und gar wurde ich als Freie gezeugt, doch vergeblich wurde ich es. Denn diene ich jetzt etwa weniger, als wäre ich als Skla­ vin geboren?

Allerdings hat sie als Fremde hier in Kyrene gegen den einheimischen leno de facto keine Chance.51 Nun aber einigt sich der verliebte junge Mann mit dem leno auf einen Kaufpreis, eine hohe Anzahlung erfolgt und die Übergabe der virgo soll am nächsten Tag beim Venus-Tempel stattfin­ den. Doch Labrax bringt noch in der Nacht das gesamte Vermögen sowie alle seine Sklavinnen auf ein Schiff und legt sofort ab, um in Sizilien eine neue Existenz zu be­gin­nen. Ein heftiger Sturm zieht auf, das Schiff kentert und nun passiert dreierlei: Zu­erst ge­langen Palaestra und eine Gefährtin in einem Beiboot ans Ufer, später erreicht auch der leno schwimmend das Land und schlussendlich wird sogar sein Koffer von einem Fischer an Land gezogen: In diesem befinden sich nicht nur das Gold des Zuhälters, ein­ schließlich der ent­gegengenommen arra,52 sondern auch die Schmuckstü­ cke, mit denen die junge Frau ihre freie Abstammung beweisen kann, was letztlich zum glücklichen Ausgang der Komödie, nämlich zur Auffin­dung ihrer Eltern sowie zur anschließenden Hochzeit mit Plesidippus führt. Aber bevor es dazu kommt, suchen die beiden Frauen vor dem herannahen­ den leno Zuflucht beim Altar der Venus, was Plautus nicht etwa mit „Asyl“, sondern – wie schon bei Ulp. D. 21,1,17,1253 – mit confugere (ad aram) um­ schreibt.54 Doch bedeutsamer als derartige ter­minologische Erwägungen55 er­ scheint ein Streitgespräch, das sich zwischen Labrax und einem Athener na­ mens Daemones abspielt, der in der Nachbarschaft des Tempels lebt: 50  Vgl. etwa zuletzt Lefèbre (o. Fn. 45) 21 ff., der meint, dass „das Motiv von Pa­lae­stras Freiheit in extremer Weise konfus eingesetzt“ sei. 51  Zur Bedeutung dieses Umstandes für den anschließenden Prozessverlauf vgl. Pen­nitz (o. Fn. 43) 572; 576 f. 52  Dazu genauer Pennitz (o. Fn. 43) 572–575. 53  Siehe oben bei Fn. 21. 54  Plaut. Rud. 454–456: ampelisca. Sed quid ego cesso fugere in fanum ac dicere haec / Palaestrae, in aram ut confugiamus prius / quam huc scelestus leno veniat nosque hic opprimat? Vgl. auch Dumont (o. Fn. 14) 139 u Fn. 267. 55  Siehe schon oben bei Fn. 44 und allg. dazu Pennitz (o. Fn. 43) 568–570.



Asylstätten in Rom zur Zeit der Republik und des frühen Prinzipats331

Plaut. Rud. 723–725. Labrax. Mihi non liceat meas ancil­ las Veneris de ara abdu­cere? / daemo­ nes. Non licet: est lex apud nos. Labrax. Mihi cum vestris legibus / com­ merci: equi­ dem istas iam ambas educam foras.

Ich sollte meine Sklavinnen nicht vom Altar der Venus abführen dür­fen? --- Nein! Denn so ist’s bei uns Gesetz. --- Mit euren Geset­ zen hab‘ ich nichts zu schaffen; in der Tat führ‘ ich diese beiden nun fort.

Als Labrax nämlich die beiden Sklavinnen unter Berufung auf sein Eigen­tum vom Altar ab­führen will (arg. abducere56), entgegnet der ExilAthener, das sei apud nos nicht zulässig. Kurz und bündig kontert darauf der leno, ihn würden vostrae leges weder betreffen noch in­teressieren. Eine solche Äuße­rung wäre bei einem Einwohner des hellenistischen Kyrene völ­ lig unverständ­lich, denn auch dort ist die Institution des Tempel-Asyls eta­ bliert.57 Aber aus der Perspek­tive eines römischen Sklaveneigentümers er­ gibt eine solche Aus­sage durchaus Sinn. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Plautus – ebenso wie schon zu­vor der Frühklas­siker Labeo in D. 21,1,17,1258 – auf die in Rom beste­ hende Asylpraxis anspielt; auf ein Asyl­recht im griechisch-hellenistischen Sinn kann man sich in der Republik freilich nicht berufen. Aber warum sucht Palaestra dann überhaupt Zuflucht beim Tempel? Hier fällt auf, dass für sie bereits ein Kaufpreis festgesetzt ist, was zumindest entfernt an den Begriff serva venalis bei Labeo erinnert.59 Denn durch den Verkauf an den jungen Mann entgeht die virgo jeden­falls der Zwangs-Prostitution und hat zugleich gute Chancen, ihre Freiheit zu erlangen. Und zu diesem Thema passt dann auch, dass Plautus die Figur des servus venalis explizit nennt und charakterisiert: Dass ein sol­cher zumeist offenbar größten Bedarf hat, Geld für sich einzu­nehmen, wird anhand einer Szene deutlich, in der er von einem weiteren Schiffbrüchigen um tro­ckene Kleidung gebeten wird: Plaut. Rud. 581–585. Sceparnio. Tibi ego numquam quicquam credam, nisi si accepto pignore. / tu vel suda vel peri algu, vel tu aegrota vel vale. / … / Char­ mides. Iamne abis? venalis illic ductitavit, quisquis est; / non est misericors. 56  Zu

Dir gebe ich gar nichts auf Kredit, außer ich erhalte ein Pfand. Schwitz doch oder komm um vor Kälte, sei krank oder wohl­ auf. … [Geht ab.] --- Gehst du schon weg? [Für sich:] So ein „Sklave mit festgelegtem (Kauf-) Preis“ betrügt (rafft alles an sich), wer auch immer jener da ist: Der kennt kein Mitleid.

diesem technischen Wortgebrauch bereits oben bei Fn. 34. nur Traulsen (o. Fn. 5) 186 ff., bes. 199. Nur bezogen auf den Stand­ punkt des Daemones lässt sich also mit Gaertner (o. Fn. 40) 452 sagen, die Szene setze „das grie­chische Rechtsinstitut des Tempelasyls voraus“. 58  Arg. solent; dazu oben bei Fn. 29. 59  Siehe oben bei Fn. 23 u. 38. 57  Vgl.

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IV. Gesellschaftlich akzeptierte Fälle einer Zuflucht Plautus konfrontiert sein Publikum also mit einer Situation, in der die Zu­flucht zur Asylstätte für die versklavte, junge Frau jedenfalls Sinn macht: Ge­ mäß unserer Ausgangsfrage ist nun zu überlegen, ob diese Asylflucht auch eine Duldung von Seiten der Juristen bzw. der politischen Obrigkeit rechtfer­tigen könnte. Juristisch gesehen spricht Plautus hier den Fall des / r homo li­ber / a serviens an.60 Um die eigene, freie Abstammung zu beweisen, bedarf es des Freiheits­prozesses (status quaestio) sowie eines adsertor, also eines Pro­zess-Beistandes. Ein Gaiustext belegt schon für die Zeit der Repu­ blik, dass man sowohl den vermeintlichen Sklaven als auch den adsertor – im Sinn des favor libertatis – rechtlich begünstigt:61 Gai. inst. 4,14. … si de libertate hominis con­ troversia erat, etiamsi pretiosis­simus homo esset, tamen ut l assibus sacramento contende­ retur, eadem lege cautum est favore scilicet liber­ tatis, ne onera­rentur adsertores.

… Sollte es aber zum Rechtsstreit über die Freiheit eines Menschen kommen, wurde aufgrund der Bestim­ mungen desselben (sc. XII-Tafel-)Gesetzes nur mit 50 As als Wett­ einsatz prozessiert, selbst wenn der Mensch (als Sklave) sehr wertvoll war, natürlich im Sinn der Begünsti­ gung der Freiheit, damit nämlich die Freiheitsbei­ stände nicht (über­ mä­ßig) belastet werden.

Aber das soziale Problem liegt natürlich darin, überhaupt einen adsertor zu finden, noch dazu gegen den Willen des dominus; die neuere Lehre denkt hier insbesondere an eine moralische Pflicht der römischen Bürger,62 aber sehr oft wird die Zuflucht zum Asyl für einen homo liber serviens wohl der einzige Weg sein, um überhaupt auf das eigene Schicksal aufmerksam zu machen. Ähnliches gilt hinsichtlich eines bekannten Rechtssatzes, der gemäß Ul­ pian bereits vom Vor­klassiker Servius Sulpicius Rufus auf die sog. statuliberi an­gewendet wird:63 60  Vgl. allg. Alfred Söllner, Irrtümlich als Sklaven gehaltene freie Menschen und Skla­ven in unsicheren Eigen­tumsverhältnissen – homines liberi et servi alieni bona fide serviens (CRRS IX), Stuttgart 2000, z. B. 24 f. 61  Siehe dazu nur Miriam Indra, Status quaestio. Studien zum Freiheitsprozess im klassi­schen römischen Recht, Ber­lin 2011, 123 ff., bes. 132 f.; 167 f.; sowie allg. Ka­ser / Hackl (o. Fn. 44) 101 u. Fn. 74 f.; 103 u. Fn. 92 f. 62  Siehe schon Max Kaser, Rez. Gennaro Franciosi, Il processo di libertà in diritto ro­mano (1961), ZRG RA 79 (1962) 391–398, 397 sowie Indra (o. Fn. 61) 127 f. Fn. 36; 167 u. Fn. 294 unter gleichzeitigem Hinweis auf Kaser / Hackl (o. Fn. 44) 218 (§ 29 VI); ferner Salvatore Sciortino, Studi sulle liti di libertà nel dirit­ to Romano, Torino 2009, 108; 111–113. Das ist insbesondere bei einer eingebrachten vindicatio in servi­tutem durchaus plau­sibel, bei der vindicatio in libertatem hingegen weitaus weniger naheliegend, einmal ganz abgesehen davon, dass uns diesbezüglich jegliche Quellen­zeugnisse fehlen.



Asylstätten in Rom zur Zeit der Republik und des frühen Prinzipats333

D. 40,7,3,2 Ulp. 27 ad Sab. … idem Servius probat et si in eo moram faciat heres, quod nolit ex­ igere a debitoribus: nam (sc. statu­ liberum) perventurum ad liberta­tem ait. mihi quoque videtur verum quod Servius ait. 63

… dasselbe hält Servius für richtig, selbst wenn sich der Erbe nur in­sofern in Verzug befindet, als er von den Schuldnern (des Bedingt-Freien das Geld) nicht einfordern will; denn er sagt, dass er (der Bedingt-Freie dadurch) die Freiheit erlangt. Auch mir er­ scheint die Entscheidung von Servius richtig.

Bei diesen „Bedingt-Freien“ handelt es sich um Sklaven, die vom Herrn tes­tamentarisch unter einer Bedingung freigelassen werden – zumeist sollen sie dem Erben eine bestimmte Geld­summe zahlen: Verhindert der Erbe nun diese Leistung, so wird fingiert, die Bedingung sei erfüllt und der Sklave frei.64 Aber wie soll man diese Freiheit geltend machen, wenn der neue Herr schon die Zah­lung erfolgreich sabotiert hat? Des Weiteren erinnert das Wort venalis an die Praxis der sog. pactio liber­tatis, die ebenfalls in die Republik zurückreicht, wie ein bei Alfenus Varus überlie­ferter Fall bezeugt:65 D. 40,1,6 Alf. 4 dig. Servus pecuniam ob libertatem pac­ tus erat et eam domino dede­rat: …

Ein Sklave hatte einen Geldbetrag für seine Freiheit vereinbart und diesen dem Herrn übergeben: …

Der Herr vereinbart hier mit dem eigenen Sklaven einen Preis, um den ein Frei­kauf erfolgen kann. Das Problem liegt freilich darin, dass der do63  Vgl. dazu auch Martin Pennitz, Veterum dubietate quiescente nobis placuit … (Iusti­nia­nus C. 6.46.6). Indizien für eine frühklassische Juristenkontroverse zu den statuliberi, in: Fides, humanitas, ius. Studii Luigi Labruna, vol. VI, Napoli 2007, 4073–4101, 4085–4087 u. Fn. 38 ff.; ders., ‚Statuliber‘ und ‚favor libertati‘, Index 38 (2010) 253–260, 256 f. u. Fn. 14 f. 64  Siehe auch D. 40,7,3 pr.-1 Ulp. 27 ad Sab.: Statuliberos condicioni parere oportet, si nemo eos impediat et sit condicio possibilis. / Sed si in heredis persona iussus sit parere condicioni, quid dici debeat? si quidem paruit condicioni, statim liber est etiam in­vito herede. quod si non patitur heres pareri (puta offert decem, quae dare iussus erat), procul dubio liber est, quia per heredem stare videtur, quo minus condicionem impleat. 65  Der Herr hatte seinem Sklaven dann allerdings nicht schon zu Lebzeiten die Frei­heit zukommen lassen, son­dern erst mittels manumissio testamentaria unter Ver­ mächt­nis des peculium. Der Vorklassiker hatte daher zu entscheiden, ob dem libertus auch die an den Herrn bezahlte Summe auszuhändigen ist; s. dazu den Fortgang des Belegs D. 40,1,6: … dominus prius quam eum manumitteret, mortuus erat testamento­ que liberum esse iusserat et ei peculium suum legaverat. consulebat, quam pecuniam do­mino dedisset ob libertatem, an eam sibi heredes patroni reddere deberent necne. respondit, si eam pecuniam dominus, posteaquam accepisset, in suae pecuniae ratio­nem habuisset, statim desisse eius peculii esse: sed si interea, dum eum manumitteret, acceptum servo rettulisset, videri peculii fuisse et debere heredes eam pecuniam ma­numisso reddere.

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minus zwar eine moralische Bindung ein­ geht, aber rechtlich nicht ver­ pflichtet wird.66 Auch unter solchen Umständen könnte ein Skla­ ve also gezwungen sein, mit dem er­ sparten Geld in Händen bei einer Asylstätte Zuflucht zu suchen, um unter Zu­ziehung eines Dritten – etwa eines Pries­ ters oder Volkstribunen67 – mit seinem unwilligen Herrn in Verhandlungen zu treten; in diesem Sinn lässt sich jeden­falls der bei Labeo anzutreffende Sprachgebrauch vom se venales postulare gut erklären, weil sich Sklaven hier ja auf das Argument stützen können („für sich in Anspruch nehmen“), dass für sie vom Herrn selbst ein (Kauf-)Preis in ent­ sprechender Höhe festgesetzt wurde.68 Oder ein Sklave entscheidet sich, weil er seinem dominus von vornherein nicht traut, für einen anderen Weg, nämlich die sog. redemptio servi suis nummis, auf die etwa der Spätklassiker Marcian Bezug nimmt:69 D. 40,1,5 pr. Marc. 2 inst. Si quis dicat se suis nummis emp­ tum, potest consistere cum domino suo, cuius in fidem confu­ git, et queri, quod ab eo non ma­numittatur, … ex sacris constitu­ tionibus divo­ rum fratrum. …

Wenn jemand behauptet, mit eigenem Geld gekauft zu sein, kann er gegen seinen Herrn klagen, bei dessen Treue er Zuflucht ge­sucht hat, und sich beschweren, dass er von ihm nicht freigelassen wurde … auf­ grund der Konstitutionen der vergöttlichten Brü­der. …

66  Vgl. dazu etwa Okko Behrends, Prinzipat und Sklavenrecht. Zu den geistigen Grund­ la­ gen der augusteischen Verfassungsschöpfung, in: Rechtswissenschaft und Rechtsent­wicklung, Hrsg. Ulrich Immenga, Göttingen 1980, 53–88, 57 u. Fn. 13; Nörr (o. Fn. 44) 1585 f.; Rolf Knütel, Das Mandat zum Freikauf, in: Mandatum und Ver­wandtes. Beiträge zum römischen und modernen Recht, Hrsg. Dieter Nörr / Shi­ geo Nishimura, Berlin u. a. 1993, 353–374, 354 f. oder Thomas Finkenauer, Anmer­ kungen zur redemptio servi suis nummis, in: Festschrift für Rolf Knütel zum 70. Geb., Heidel­berg 2009, 345–357, 345. 67  Vgl. in anderem Zusammenhang etwa Sen., contr. 3,9: Aeger dominus petit a servo, ut sibi venenum daret; non dedit. cavit testamento, ut ab heredibus crucifigere­tur. ap­pellat servus tribunos. Dass aber die Volkstribune ihr ius auxilii gerade auch auf solche Fälle erstreckt haben werden, liegt nahe, da Sklaven, die auf diesem Weg zur Freiheit gelangen, zur ihrer politischen Klientel gehören; vgl. etwa Dumont (o. Fn. 14) 141 u. Fn. 280 und sogar für die Frühzeit Endre Ferenczy, L’adsertor libertatis nell’etá della repubblica romana arcaica, in: Studi in me­ moria di Guido Donatuti, vol. I, Milano 1973, 387–394, 392 f., aber skeptisch Gamauf (o. Fn. 1) 13 u. Fn. 16. Ferner zur Bedeutung des ius auxilii für die cognitio extra ordinem (s. dazu unten bei Fn. 82) Kunkel / Witt­mann (o. Fn. 46) 587 ff., 592. 68  Siehe schon oben bei Fn. 21 f.; 38; sowie 59. 69  Siehe dazu ferner D. 40,1,4 pr. Ulp. 6 disp. (Is qui suis nummis emitur epistula divo­ rum fratrum ad Urbium Maximum in eam condicionem redigitur, ut libertatem adipis­catur) sowie die anschließenden Paragraphen des Fragments. Dazu zuletzt Su­sanne Heinemeyer, Der Freikauf des Sklaven mit eigenem Geld – Redemptio suis nummis, Berlin 2013, insbes. 281 ff., 283 f.



Asylstätten in Rom zur Zeit der Republik und des frühen Prinzipats335

Der Sklave beauftragt hier also einen Mittelsmann, der ihn mit dem ange­ spar­ ten oder erwirt­ schafteten Geld kaufen und dann freilassen soll;70 da der ursprüngli­che dominus auch in dieser Fallkonstellation von vornherein mit dem Verkauf zu einem bestimmten Preis einver­standen war, lässt sich wie­ derum von einem servus venalis sprechen.71 Doch ändert das nichts daran, dass der Mittels­mann, der nun durch Kauf zum neuen dominus wird, sich gleichfalls als unred­lich erweisen könnte; eine Konstitution, die unter den Kaisern Mark Aurel und Lucius Verus zum Schutz solcher Sklaven72 ergeht, deutet an, wie virulent und regelungsbedürftig das Problem gewesen sein dürfte. Im Übrigen fällt auf, dass sowohl in der Marcian-Entschei­dung als auch im bereits erwähnten Ulpianbeleg D. 1,12,1,173 bei dieser Frage­ stellung ganz offensichtlich eine gedankliche Verknüp­fung mit dem Termi­ nus confu­gere, also mit dem The­ma der Zu­fluchtnahme, nahe liegt. V. Das Asylwesen aus römischer Sicht Die bei Labeo, Festus und Varro erwähnten Zufluchtstätten,74 die damit ein­hergehenden Plau­tus-Passagen75 sowie die zum Begriff servus venalis 70  Vgl. dazu – neben den oben in Fn. 66 genannten Beiträgen – noch William W. Buck­land, The Roman Law of Slavery. The Condition of the Slave in Private Law from Augustus to Justinian, Cambridge 1908, 636–640, bes. 637 u. Fn. 2; Gerhard Hors­mann, Die divi fratres und die redemptio servi suis nummis (Zu den Motiven der epistula ad Urbium Maximum, Dig. 40,1,4), Historia 35 (1986) 308– 321, 316, der zu Recht von einem „schon länger existierenden Rechtsgeschäft“ ausgeht, sowie Thomas Finkenauer, Die Rechtsetzung Mark Aurels zur Sklaverei, Stuttgart 2010, 44–50. 71  Sehr berücksichtigenswert erscheinen die Überlegungen bei Finkenauer (o. Fn. 70) 49 f. zu möglichen, wohl­meinenden Motiven für diese „Freilassungsform“, doch stellt die Einigung mit einem misstrauischen Sklaven, an der der dominus ange­sichts des vom Sklaven zu erwirtschaftenden Mehr-Werts (in Form des festge­ setzten, „ho­ hen“ Kauf­ preises) ebenfalls ein vitales Interesse hat, m. E. doch eine weitere plau­sible Verbindung zur pactio li­bertatis her. 72  Natürlich erhebt sich diesbezüglich die Frage, warum nur die redemptio suis num­mis, nicht jedoch die pactio libertatis kaiserrechtlich geregelt wird. Aber der Unter­ schied wird m. E. deutlich, wenn man sich die Position des Beklagten vor Augen hält: Die Kaiser wollen keineswegs in das Verhältnis zwischen dem Sklaven und sei­nem (ursprünglichen) dominus eingreifen, der die Bedingungen für eine all­ fällige „Freilas­ sung“ eines wirtschaft­ lich (nachweislich) tüchtigen servus festlegt; das gilt allerdings nicht für den Käufer bei einer redemptio suis nummis, der gleich­ sam als „Trittbrettfah­rer“ – ohne vermögenswerte Belastung – den Sklaven freilas­ sen soll und das nun treu­widrig (und zugleich gegen die Intentionen des Ex-dominus) verweigert; s. dazu – als arg. e contr. – auch D. 40,1,4,2–3 Ulp. 6 disp. 73  Vgl. oben bei Fn. 10. 74  Oben bei Fn. 21 u. 28 f. 75  Siehe oben bei Fn. 54 ff.

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passen­den Juristen-Aussagen76 legen also – aufgrund unserer bisherigen Überlegun­ gen – folgendes Resümee nahe: Bereits im Lauf der Republik bildet sich ein eigen­ ständiges, römisches Asylwesen aus, dem jedenfalls soziale Relevanz zukommt. Von einem Tempelasyl im griechisch-hellenisti­ schen Sinn unter­scheidet es sich bereits in seiner Zielsetzung, weil es gera­ de nicht darum geht, Flüchtlinge aller Art auf Dauer vor Verfolgung zu schützen.77 Dementspre­ chend stellt das Asyl­ recht im Caesar-Tempel nur eine kurzfristig geduldete Ausnahme von dieser Regel dar.78 Vielmehr soll Schutzsuchenden in Rom der Zugang zu einem Verfahren er­mög­licht und inso­fern Öffentlichkeit hergestellt werden, wenn ein so zent­ rales Rechtsgut wie die Freiheit einer Person auf dem Spiel steht: Das kann sich auf den Freiheitsprozess selbst beziehen, wenn sich der Flüchtling auf eine Rechts­posi­tion beruft und zu deren Durchsetzung einen adsertor be­ nötigt, oder auf ein Vermittlungsverfahren,79 wenn der Sklave – aufgrund einer abge­schlosse­nen pactio libertatis – das moralisch gebotene Verhalten seines domi­nus einfor­dert.80 Die Asylflucht stellt insofern eine Reaktion auf sozialen Zwang und Hinder­nisse gesellschaft­licher Natur in einem äußerst sensiblen Bereich dar und kann deshalb als wichtiges „Ventil“ im System der römischen Sklaverei die­nen.81 Angesichts dieser Funktion, Lücken im 76  Oben

bei Fn. 63 ff. z. B. auch Fanizza (o. Fn. 16) 614 („protezione temporanea“) oder Dreher (o. Fn. 2) 265, der – bezogen auf die römischen Provinzen zur Kaiserzeit – zu Recht be­tont, dass sich Flüchtlinge in dieser Epoche „zweifellos nur vorübergehend … in einem Asyl aufhalten“ können. 78  Oben bei Fn. 26 f. 79  Damit ist eine der zentralen Funktionen des antiken Asylwesens angesprochen, die selbstverständlich auch die griechisch-hellenistische Institution prägt; vgl. dazu Martin Dre­her, Das Asyl in der Antike von seinen griechi­schen Ursprüngen bis zur christli­chen Spätantike, Tyche 11 (1996) 79–96., 87 oder Gamauf (o. Fn. 1) 163. 80  In späterer Zeit fällt es offenbar sogar unter das officium der zuständigen Beam­ten, den dominus dazu zu „ermahnen“, diese moralische Pflicht einzuhalten, allerdings nur nach einer allfälligen Annahme des hierzu bestimmten Geldes und weiterhin salva reverentia; vgl. C.  4,6,9 Diocl. / Maxim. (Bibulo, a.  294): Si liber constitutus, ut filiae tuae manumittantur, aliquid dedisti, causa non secuta de hoc tibi restituendo condictio competit. nam si quid servus de peculio domino dederit, contra eum nullam actionem habere potest: sed dominum, qui semel accipere pecuniam pro libertate passus est, aditus rector provinciae hortabitur salva reverentia (favore scilicet libertatis) placito suo stare; s. dazu auch Finkenauer (o. Fn. 66) 345 u Fn. 5, der dies­bezüglich zu Recht annimmt: „Jedoch ist einzuräumen, dass eine solche ‚Ermahnung‘ seitens des Provinz­statt­halters in der Regel seine Wirkung nicht verfehlt haben wird“. Zudem ergibt sich aus D. 45,1,104 Iav. 11 ex Cass., dass eine im Rahmen der pactio libertatis erfolgte Geldzusage im klassischen Ju­ ristenrecht als Natural­obligation eingestuft wird, da ihre Sicherung mittels Bürgen­ bestellung zulässig erscheint; vgl. in ähnlichem Sinn auch D. 16,1,13 pr. Gai. 9 ad ed. prov. 77  Vgl.



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Rechts­ gefüge zu schließen, er­ scheint auch eine politische und juristische Akzeptanz der Asyl­praxis durchaus plausibel. Das lässt sich auch durch die weitere Entwicklung untermauern: Ein solcher Zugang zum Verfahren wird nämlich unter den Kaisern im Wege der extra­ordinaria cognitio Schritt für Schritt „rechtlich“ verankert:82 Man den­ ke etwa an die partielle Prozessfähigkeit von Skla­ven83 bei fidei-kommissa­ rischen Freilas­sungen,84 die dann auf statuliberi erweitert wird,85 oder an die bereits angespro­chene, explizite Regelung der redemptio suis nummis.86 Und die­ser Traditionslinie folgt letztlich auch die spätere Ausgestaltung der sog. Statuen­flucht selbst: 81

D. 48,19,28,7 Call. 6 de cogn. Ad statuas confugere vel imagines principum in iniuriam alterius pro­ hibitum est.

Es ist verboten, bei Kaiserstatuen oder -bil­ dern Zuflucht zu suchen, wenn man dadurch einem anderen Unrecht zufügt.

81  Ähnlich wie auch die Freilassungspraxis selbst; vgl. nur Behrends (o. Fn. 66) 56: „Die Praxis der Freilassung war ein außerordentlich bedeutsames Ventil des Systems der Sklaverei.“ 82  Vgl. auch J. Michael Rainer, Zum Ursprung der extraordinaria cognitio, in: Ro­ man Law as Formative of Modern Legal Systems. Studies Wieslaw Litewski, Kraków 2003, 69–74, 69, wonach die extraordinaria cognitio „im wesentlichen Ausfluss der Jurisdik­tionsgewalt des Princips war“, doch sei bei dieser Ausgangspo­ sition für den Beginn der Entwicklung eben hinzuzufügen, „dass gegen jeden Akt des Jurisdiktions­magistrates ein Inter­zessionsrecht eines ranggleichen oder ranghö­ heren Magistraten sowie des Volkstri­ bunen vorgelegen hatte“; ferner zur Frage ­Kaser / Hackl (o. Fn. 44) 443 f. i. V. m. 459 (§ 66 V; § 68 II.9). 83  Siehe dazu insbes. D. 5,1,53 Herm.1 iuris epit.: Vix certis ex causis adversus domi­nos servis consistere permissum est: id est si qui suppressas tabulas testamenti dicant, in quibus libertatem sibi relictam adseverant. item artioris annonae populi romani, cen­ sus etiam et falsae monetae criminis reos dominos detegere servis permis­sum est. prae­terea fideicommissam libertatem ab his petent: sed et si qui suis nummis redemp­tos se et non manumissos contra placiti fidem adseverent. liber etiam esse iussus si rationes reddide­rit, arbitrum contra dominum ratio­nibus excutiendis recte petet. sed et si quis fidem alicuius elegerit, ut nummis eius redimatur atque his solutis manumit­tatur, nec ille oblatam pecuniam suscipere velle dicat, contractus fidem dete­gendi servo potestas tributa est. 84  Vgl. allg. Kaser / Hackl (o. Fn. 44) 452  f. (§ 68 II.1); Behrends (o. Fn. 66) 57 f. bzw. zur Bewertung dieser Entwicklung Rolf Knütel, Rechtsfragen zu den Freilas­ sungs­ fideikommissen, in: Sklaverei und Freilassung im römischen Recht. Symposion Hans Wieling zum 70. Geb., Berlin u. a. 2006, 131–151, 150 f. 85  Zu D. 40,7,34,1 Pap. 1 quaest. (…apud eum qui de libertate cognoscit, an condi­cio sit impleta, constabit: cuius officio continebitur de mora considerare …) s. zuletzt Ulrike Babusiaux, Kommentare des Kaiserrechts in Papinians Quaestiones, ZRG RA 126 (2009) 156–186, bes. 170–174; dies., Papinians Quaestiones. Zur rheto­rischen Methode eines spätklassischen Juristen, München 2011, 23 f. u. allg. Kaser / Hackl (o. Fn. 44) 453 u. Fn. 12. 86  Dazu schon oben bei Fn. 10 u. 69 ff.

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cum enim leges omnibus homini­bus aequaliter securitatem tribu­ant, me­ rito visum est in iniuriam potius alterius quam sui defensio­nis gratia ad statuas vel imagines principum confugere: nisi si quis ex vinculis vel custo­dia detentus a potentioribus ad huiusmodi prae­ sidium confuge­ rit: his enim venia tribuenda est. ne autem ad statuas vel imagines quis confugiat, senatus censuit: eum­ que, qui imaginem Caesaris in invidiam alterius praetulisset, in vincula publica coerceri divus Pius rescripsit.

Weil nämlich die Gesetze allen Menschen in gleicher Weise Sicherheit gewähren, hat man zu Recht ange­nommen, dass die Zu­flucht zu Kaiser­statuen oder -bildern eher zur Verlet­ zung des Rechts eines anderen als zur eige­ nen Verteidigung erfolgt: Es sei denn, je­ mand wurde von sozial Mächtige­ ren in Fesseln oder in Ge­ wahrsam gehalten und habe deshalb bei einem Schutz dieser Art Zuflucht gesucht. Solchen Personen muss nämlich Nachsicht zu Teil werden. Dass aber niemand zu Statuen und Bildern Zuflucht sucht, hat (ur­sprünglich) der Senat beschlossen. Und Kaiser Pius hat das Re­ skript er­ lassen, dass derjenige mit öf­ fentlicher Haft zu sanktionieren ist, der beim In­ sultieren eines anderen das kaiser­ liche Bildnis mit sich geführt hat.

Unter Hinweis auf einen Senatsbeschluss, der wohl unter Kaiser Tiberius er­ gangen ist und ursprünglich ein generelles Verbot der Statuenflucht vorgese­hen hat,87 überliefert uns Callis­tratus hier, dass diese Art der Zu­ fluchtnahme in späte­rer Zeit – neben Sklaven – sogar freien Personen offen steht, wenn sie dem Zwang von sozial Mächtigen (von sog. potentiores) aus­gesetzt sind.88 Entschei­ dend bleibt aber weiterhin, dass man nicht in iniuriam alterius han­delt, dass es also nicht zum Rechtsmissbrauch kommt.89 87  Dieses generelle Verbot wird mit den bei Tac., ann. 3,36 geschilderten Ereignis­sen zusammenhängen; zum Geschehen ausführlich Gamauf (o. Fn. 1) 139–146. Aller­dings dürfte in weiterer Folge – nach der hier ver­tre­tenen These wohl unter der Regie­rung von Kaiser Claudius; s. oben bei Fn. 13 u. 29 – das Verbot dann auf die Statuen­flucht von Seiten freier Personen eingeschränkt worden sein. Dementsprechend bezie­hen sich die Aus­führungen bei Callistratus dann nur noch auf die Frage, ob freie Per­sonen bei Kai­serstatuen Zuflucht suchen dürfen; in diesem Sinn zu Recht Gamauf (o. Fn. 1) 150. 88  Mit dieser Einschränkung lässt sich Dreher (o. Fn. 79) 94 u. Fn. 64; ders. (o. Fn. 1) 136 f. zustimmen, dass das sog. Kaiserasyl nicht auf Sklaven beschränkt war. 89  Die auf freie Personen bezogene Abänderung des ursprünglichen Senats­ beschlus­ses (vgl. oben bei Fn. 87) ent­spricht in ihrer Tendenz also einem Reskript, das auf Kaiser Antoninus Pius zurückgeht. Zudem wird uns in D. 47,10,38 Scaev. 4 reg. ein weiteres senatus consultum überliefert, das offenbar ausschließlich auf die imagi­nes principum bezogen ist: Senatus consulto cavetur, ne quis imaginem imperatoris in invidiam alte­rius por­taret: et qui contra fecerit, in vincula publica mittetur. Aufgrund der in beiden Normen vorgesehenen Strafe der vincula publica lässt sich vielleicht vermuten, dass die in D. 48,19,28,7 erwähnte Kaiserkonstitution einen bereits beste­henden Senatsbeschluss zum Anlass nimmt, nun auch freien Personen den Zugang zur extraordinaria cognitio im Wege der Statuenflucht zu eröffnen. Anders freilich Ga­mauf (o. Fn. 1) 187 f., der davon ausgeht, „dass alle drei Belege [d. h. auch Tac. ann. 3,36] denselben Senatsbe­schluss referieren und der Missbrauch des ‚portable asylum‘ bereits 21 n. Chr. mit der Haftstrafe bedroht war“.

Die Begrenzung des Schadens: „circa ipsam rem“ und D. 19,1,21,3: Einige diachronische Überlegungen Von Pascal Pichonnaz I. Einleitung Vor einigen Jahren musste das Schweizerische Bundesgericht einen jetzt schon berühmten Fall entscheiden, wo ein Verkäufer sechs MülleramazonenPapageien verkauft hatte. Nach rechtmäßiger Quarantäne wurden die Papa­ geien übergeben. Einer dieser Vögel war aber mit einem ansteckenden Virus infi­ziert, der mit Stress zur Erkrankung führt und für Vögel tödlich wirkt. Durch den Stallwechsel geriet der Amazonen-Papagei in eine Stresssituati­ on, die den Virus aktivierte. Dies hatte zur Folge, dass alle Vögel mit dem Virus infiziert wurden und starben. Die juristische Frage war dann, ob der Verkäufer den dar­aus entstande­nen Schaden von etwa 2 Millionen US Dol­ lar zu ersetzen hatte, was das Oberste Schweizerische Gericht, das Bundes­ gericht, bejahte.1 Es zitierte unter ande­rem Pothier und den berühmten Fall einer kranken Kuh, die auch die ganze Herde ansteckte. Das hat mich auf die Frage der Begrenzung des Schadens­ersatzes geführt. Ich habe an der SIHDA in Liège diesen Fall und unter ande­ rem den Text von Ul­ pian D. 19,1,13 pr. analysiert.2 Bei dieser Untersuchung wurde ich immer neugieri­ ger bezüglich der Bedeutung der berühmten Präzi­ sierung des Schadens­ umfangs in der Unterscheidung zwischen circa rem ipsam und extra rem. Die­ser Beitrag will also einige Aspekte dieser distinctio hervor­ heben. Ich werde sie vor allem an Hand des Kaufvertrages untersuchen; Eltjo Schrage hat sie kürz­lich für die Miete analysiert.3 Ich habe mich auch nochmals damit beschäftigt in der Festschrift Laurens Winkel.4 1  BGE 133 / 2007 III 257; siehe für eine Analyse, Pascal Pichonnaz, Defective Goods and Consequential Losses, A Swiss Case and Some Reflexions on Limitation of Dam­ages, RabelsZ 76 (2012) 819–835. 2  Pascal Pichonnaz, L’obligation de réparer issue du contrat: réflexions diachro­ni­ques à l’aune de l’art. 208 CO, RIDA (Revue Internationale des Droits de l’Antiquité) 70 (2011; erschienen 2012) 297–313. 3  Eltjo Schrage, Die verschuldensunabhängige Haftung des Vermieters, in: Studies in Law and Economics (Studia PrawnoEkonomiczne) 83 (2011) 191–20. 4  Pascal Pichonnaz, Prévisibilité du dommage et damnum extra rem, in: R. van den Bergh / G. van Niekerk / P. Pichonnaz et  al. (édit.), Meditationes de iure et histo­

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Pascal Pichonnaz

II. Circa ipsam rem und extra rem im Kaufvertrag Die Unterscheidung zwischen circa ipsam rem und extra rem wurde vor al­ lem von den Glossatoren hervorgehoben. Die materiellen Kriterien der Diffe­renzie­rung waren aber schon in den römischen Quellen zu lesen. Man kann sie in verschiedenen Hinsichten untersuchen, ich werde mich aber hier nur auf einige Aspekte konzentrieren, vor allem anhand von zwei Texten in Bezug auf das Verkaufsrecht. Der erste Text stammt aus einem Fragment von Paulus aus den Digesten Justinians. Er lautet wie folgt: D. 19,1,21,3 Paul. 33 ad edictum Cum per venditorem steterit, quo minus rem tradat, omnis utilitas emp­ toris in aestimationem venit, quae modo circa ipsam rem con­ sistit: neque enim si potuit ex vino puta negotiari et lucrum facere, id aestimandum est, non magis quam si triticum emerit et ob eam rem, quod non sit traditum, familia eius fame laboraverit: nam pretium tri­ tici, non servorum fame necato­rum consequitur. […].

Wenn es am Verkäufer liegt, dass er die Sache nicht übergibt, wird das gesamte In­ teresse des Käufers geschätzt, sofern es sich nur auf die Sache selbst bezieht. Es ist nämlich nicht in die Schätzung einzubezie­ hen, wenn der Käufer mit dem Wein zum Beispiel hätte Handel treiben können, ge­ nauso wenig wenn er Getreide gekauft hat und seine Sklaven deswegen, weil es nicht übergeben worden ist, Hunger leiden [und nicht mehr ernährt werden können]; der Käu­ fer erlangt nämlich nur den Wert des Getreides, nicht den Wert der verhun­gerten Sklaven. […].5

Für Paulus ist also die Frage die folgende: Wie schätzt man den Schadens­ ersatz, das id quod interest, bei Nichterfüllung des Kaufvertrages? Paulus macht eine Unterscheidung zwischen dem Schaden circa ipsam rem und dem weite­ren Schaden. 5

Der Schaden circa ipsam rem ist also der Schaden, der sich auf die Sache selbst bezieht und vielleicht auch derjenige, der sich in Bezug auf die Sache ergibt. Diesbezüglich muss der ganze Schaden ersetzt werden, was man so ver­stehen kann, dass die geschätzte Schadenssumme sicher den Ersatz der Sache ermöglichen soll, dies auch bei Wertschwankungen.6 ria, Essays in honour of Laurens Winkel, Fundamina 20 (2) 2014, Editio specialis, 702–718. 5  Übersetzung aus O. Behrends et al., Corpus iuris civilis. Text und Übersetzung III, Heidelberg 1999, 537. 6  Über diesen Text siehe u. a. Heinrich Honsell, Quod interest im bonae-fideiiudi­cium, Studien zum römischen Schadensersatzrecht, München 1969, 7 ff.; Dieter Medi­cus, Id quod interest, Studien zum römischen Recht des Schadensersatzes, Köln / Graz 1962, 35 ff.; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition, Cape Town / Wetton / Johannesburg 1990, 830 f.



Die Begrenzung des Schadens: „circa ipsam rem“ und D. 19,1,21,3

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Muss aber auch der Schaden ersetzt werden, der eng mit der Sache verbun­den ist, aber nicht unbedingt einen Schaden der Sache selbst konsti­ tuiert? Das könnte sein. In der englischen Übersetzung von Watson heißt es z. B. „every benefit to the buyer is taken into account provided that it stands in close con­nection with this matter“. Man könnte zum Beispiel an den Fall denken, in wel­chem zwei Pferde, die zusammengehören, gekauft wurden, und nur eines überge­ ben wurde. Der Käufer verliert dann nicht nur den Wert des nicht über­gebenen Pferdes, sondern auch einen Teil des übergebe­ nen, weil man dieses nicht ohne weiteres mit einem anderen Pferd nutzen kann. Das Interesse kann den Sachwert übersteigen, wie es bei Ulpian auch ausdrücklich steht (D. 19,1,1 pr.): „Si res vendita non traditur, in id quod interest agitur, hoc est quod rem habere emptori: hoc autem interdum pretium egreditur, si pluris interest, quam res valet vel emptam est“ („Wird die verkaufte Sache nicht übergeben, so wird auf das Interesse geklagt, das heißt auf das Interesse, das der Käufer daran hat, die Sache [in seinem Besitz] zu haben. Das Interesse überschreitet bisweilen den Wert oder den Preis der Sache, wenn es höher ist als der Betrag, den die Sache wert ist oder für den sie gekauft ist“).7 Der ganze Nutzen soll in der Schät­zung zum Tragen kommen: „omnis utilitas in aestimatio­nem venit“, wie im angegebe­ nen Text von Paulus betont wird.8 Weitere Folgeschäden werden aber nicht in Betracht gezogen. Diese Be­ gren­ zung wurde von modernen Autoren mit der Begründung erklärt, die Ge­ winnmöglich­ keit sei nicht vorhersehbar;9 diese Betrachtungsweise ist wahr­scheinlich von moderneren Überlegungen beeinflusst worden und ent­ spricht nicht unbedingt dem römischen Ursprung. Es bleibt aber, dass Schä­ den, die sich nicht auf die Sache selbst beziehen oder ggf. sehr eng mit 7  Übersetzung aus O. Behrends (et al.), Corpus iuris civilis. Text und Überset­ zung III, Heidelberg 1999, 515. Für die Eviktion, siehe auch D. 19,1,30,1 (Afr. 8 quaest: „quanti mea intersit meam esse factam“); für die Mängelhaftung siehe auch D. 21,2,31 (Ulp. 42 ad Sab.: „Hoc enim continere, quod interest horum quid esse vel horum quid non esse“); vgl. z. B. Niels Jansen, §§ 249–253, 255 BGB, in: Mat­ thias Schmoeckel / Joachim Rü­ckert / Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kriti­ scher Kom­mentar zum BGB, Band II Schuldrecht: Allgemeiner Teil, 1. Teilband, Rdn. 8, 523; Martin Josef Scher­maier, §§ 280–285. Schadensersatz wegen Pflicht­ verletzung, in: Matthias Schmoeckel / Joachim Rückert / Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Histo­risch-kritischer Kommentar zum BGB, Band II Schuldrecht: Allgemei­ ner Teil, 1. Teil­band, vor §§ 241–304 (2007), Rdn. 47 ff. ad §§ 280–285, 1225 ff. 8  Siehe auch für eine Erklärung, Martin Josef Schermaier, §§ 280–285 (Fn. 7), Rdn. 47 ad §§ 280–285. 9  Siehe z. B. Brigitte Keuk, Vermögensschaden und Interesse, Bonn 1972, 184 f. Mar­tin Josef Schermaier, HKK §§ 280–285 (Fn. 7), Rdn. 47 ad §§ 280–285; anders aber Berthold Kupisch, Id quod interest bei Nichterfüllung und Verzug des Verkäufers, Tijd. 43 (1975) 8 ff.; auch Medicus (Fn. 6) 212 ff.; Honsell (Fn. 6), 7 ff.

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Pascal Pichonnaz

dieser verbun­den sind, nicht in die Schätzung hineingenommen werden, wie z. B. der Er­trag, den der Käufer nicht erzielen konnte (ein sogenanntes lucrum cessans), weil er die Sache wegen Nichterfüllung nicht weiterverkaufen konnte, oder der Schaden, der in der Folge der Nichterfüllung bezüglich des weiteren Ver­mö­gens einge­treten wäre (damnum emergens). Weitere Texte sehen aber ausdrücklich vor, dass der entgangene Gewinn auch zu ersetzen sei. Es ist z. B. so in einem Paulus-Text (D. 46,8,13 pr. Paul. 76 ad ed.) der sich auf die Folgen der Nichteinhaltung einer stipulatio „ratam rem dominum habiturum“ bezieht: „Si commissa est stipulatio ratam rem do­minum habiturum, in tantum competit, in quantum mea interfuit, id est quan­ tum mihi abest quantumque lucrari potui“10. Auch bei Eviktion scheint Neraz (D. 19,1,31 pr.-1) den entgangenen Gewinn zu gewähren (lucrum). Er gibt also nicht nur die Sache zurück („non solum arbitrio“), sondern ersetzt auch alle Gewinne und Ausla­gen die von der Eviktion aus­ fließen („omne lu­crum ac dispendium te sequatur“).11 Im Gegensatz verbie­ tet Hermoge­nianus den entgan­ge­nen Gewinn zu ersetzen, der die Verzugs­ zinsen übersteigt (D. 18,6,20).12 Somit sieht man, dass die Entscheidung, ob ent­gan­ge­ner Ge­winn zu er­setzen ist oder nicht, von der konkreten Hypothe­ se abhängt.13 Man ver­steht also, dass das id quod interest auf einer Fall-zuFall-Analyse beruht.14 In D. 19,1,21,3 bezieht sich Paulus auf den Ursprung des Schadens, um die Unterscheidung zu treffen. Er sagt, dass die Nichterfüllung durch Ver­ schulden des Verkäufers „per venditorem steterit“ verursacht wird. Sein Text erinnert somit an einen anderen berühmten Text von Ulpian, der Julian zitiert (D. 19,1,13 pr.).15 Dieser [zweite] Text lautet wie folgt (wir haben ihn in drei Tei­le ge­gliedert): D. 19,1,13 pr. Ulp. 32 ad edictum Iulianus libro quinto decimo inter eum, qui sciens quid aut ignorans vendidit, differentiam facit in con­ demnatione ex empto: [a] ait enim,

Julian macht im 15. Buch [seiner Digesten] zwischen dem, der eine Sache in Kenntnis und dem, der sie in Unkenntnis [ihres Man­ gels] verkauft hat, einen Unterschied bei der

u. a. Medicus (Fn. 6) 266 f. pr.-1 (Ner. 3 membr.): Actiones autem eas non solum arbitrio, sed etiam periculo tuo tibi praestare debebo, ut omne lucrum ac dispendium te sequatur. (1) Et non solum quod ipse per eum adquisii praestare debeo, sed et id, quod emptor iam tunc sibi tradito servo adquisiturus fuisset; s. u. a. Honsell (Fn. 6), 18 f. 12  Siehe u. a. Honsell (Fn. 6), 168 f. 13  Über entgangenen Gewinn, s. allgemein K.-H. Below, Die Haftung für lucrum ces­sans im römischen Recht, München 1964. 14  Siehe vor allem Schermaier (Fn. 8), Rdn. 47, S. 1225; aber auch schon Medicus (Fn. 6), 294 ff.; Honsell (Fn. 6), 174 f.; Kupisch (Fn. 9) 1. 15  Siehe auch meine Ausführungen in Pichonnaz, Meditationes (Fn. 4) 706 f. 10  Siehe

11  D. 19,1,31



Die Begrenzung des Schadens: „circa ipsam rem“ und D. 19,1,21,3

qui pecus morbosum aut tignum vitiosum vendidit, si qui­ dem igno­ rans fecit, id tantum ex empto actio­ ne praestaturum, q u a n ­t o m i n o r i s essem emp­ tu­ rus, si id ita e s s e s c i s­s e m : [b] si vero sciens reti­cuit et emptorem dece­pit, omnia detri­ menta, quae ex ea emptione emp­tor traxerit, prae­staturum ei: [c] sive igitur aedes vitio tigni corrue­ runt, aedium aestimatio­ nem, sive pecora conta­ gione mor­ bosi pecoris perierunt, quod inter­ fuit [idonea venisse] 16 erit praestan­dum.

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Verurteilung aus Kauf. [a] Er sagt nämlich, dass derjenige, der ein krankes Stück Vieh oder einen mangelhaften Bal­ ken verkauft hat, dann, wenn er dies in Un­kenntnis des Mangels getan hat, auf­grund der Klage aus Kauf lediglich den Betrag leisten müsse, den der Käufer weniger bezahlt h ä t t e , w e n n e r d i e B e s­c h a f ­ fenheit d e r S a c h e g e k a n n t h ä t t e ; [b] wenn der Verkäufer jedoch den Mangel wissent­ lich verschwiegen und den Käufer getäuscht hat, dann müsse er ge­gen­über dem Käufer für allen Schaden einste­hen, den dieser aus diesem Kauf er­ leidet. [c] Stürzt daher das Haus auf­ grund des Man­ gels des Balkens ein, so ist für den Schätzwert des Hauses einzu­ste­hen; stirbt ein Vieh infolge der An­ ste­ ckung durch das kranke Stück Vieh, so muss der Verkäufer im Rahmen des Inte­ resses des Käufers da­ für einstehen, so als wäre dies nicht ge­sche­hen.17

Wie Paulus in seinem Text, interessiert sich auch Ulpian (der Julian zi­ tiert) für die Frage des Umfangs des Schadensersatzes, d. h. des id quod interest. Auch seine Überlegung bezieht sich auf den Kaufvertrag, wie es den Worten „condemnatione ex empto“ zu entnehmen ist. Der Unterschied liegt aber dar­in, dass er erfüllt wurde, aber die Sache einen Mangel hatte. Bei Paulus war eine Nichterfüllung vorhanden. Julian unterscheidet hier zwischen dem Verkäufer, der in Unkenntnis des Man­gels geliefert hat, und der Lieferung einer mangelhaften Sache, wenn der Verkäufer den Mangel kennt. Bei Unkenntnis des Mangels [Teil a] soll der Verkäufer nur für die Fol­ gen sei­ nes Versprechens haften. Da er (in Qualität) weniger liefert als verspro­chen, soll er auch weniger Geld dafür bekommen. Julian hält deswe­ gen fest, dass die Schadensersatzpflicht im Rahmen einer Preisminderung zu gestalten sei.18 Es ist also eine ähnliche Sachlage wie bei der actio quanti minoris der Ädi­len,19 die sich aber auf die actio empti bezieht.20 Mit 16 17

16  Siehe Manthe, Römisches Privatrecht, in: Einleitung in die lateinische Philolo­ gie, Hrsg. Fritz Graf, 1997, 459 f., der wie andere Autoren der Emendation Fränkels folgt; ich bin Kollegen Manthe für diesen wichtigen Hinweis dankbar. 17  Übersetzung aus O. Behrends (et al.), Corpus iuris civilis. Text und Überset­ zung III, Heidelberg 1999, 526, von uns leicht angepasst. 18  Pascal Pichonnaz, Droit romain: enseignement, méthode et contribution à la ré­flexion du juge, Index 39 (2011) 72. 19  Pichonnaz, Droit romain (Fn. 18) 72. 20  Pichonnaz, Droit romain (Fn. 18) 72.

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Kaser / Knütel und ande­ren Auto­ren21 sehen wir keine Gründe, an der Echt­ heit des Frag­ments zu zwei­feln. Wie bei Paulus spielt also das Verschulden (hier Kenntnis des Man­gels) eine Rolle für den Umfang der Schadensersatz­ pflicht bei der actio empti. Was aber wichtig ist – und nicht explizit gesagt wird – ist, dass der Verkäu­fer nicht für den Mangelfolgeschaden haftet, weil dieser in den zwei­ ten Teil fällt [Teil b]. In der Tat, wenn der Verkäufer den Mangel kennt und diesen nicht bekannt gibt, täuscht er den Käufer und trägt somit nicht nur ein Ver­schulden, sogar einen eigentlichen dolus. Er haftet dann in einem größeren Umfang, als wenn er dies im Rahmen des Versprochenen täte; der Verkäufer haftet für „alle Schäden, die der Käufer aus diesem Kauf erlei­ det“. Der Grund der Haftung muss also mehr im dolus gesehen werden als im Nichteinhal­ten des Ver­spre­chens.22 Deshalb geht auch die Haftung viel weiter als nur auf den vollen Wert­ersatz der Sache.23 Sie hängt gar nicht davon ab, ob der Preis hoch oder niedrig war. Man spricht also von einem Ersatz, der über die Sache hin­ausgeht. Im Mittelalter wird man dann von Interesse extra rem sprechen. Der letzte Teil [Teil c] gibt uns zwei Beispiele des Mangelfolgeschadens. Der Verkäufer muss also für die ganze Zerstörung des Hauses einstehen, auch wenn der gelieferte Balken nicht viel wert war. Gleicherweise muss der Ver­käufer für den Wert des ganzen Viehs einstehen, obwohl er die Lie­ ferung von einem einzi­gen Stück Vieh versprochen hatte und dieses auch geliefert hat. Diese extremen Fälle zeigen, dass, wenn der Verkäufer eine mangelhafte Sa­che wissentlich ge­liefert hat, seine Haftung nicht auf sein Versprechen be­grenzt wird; sie geht viel weiter, extra rem! Die Unterscheidung zwischen einer Haftung circa ipsam rem, d. h. be­ schränkt auf das Versprechen oder anders gesagt auf die versprochene Sache selbst („ipsa res“), und einer Haftung extra rem, d. h. über die Sache hinaus­ gehend, hängt, zumindest im Kaufvertrag, davon ab, ob der Verkäufer den Man­gel kannte und ihm somit dolus vorgeworfen werden kann und ob er für die Nicht­erfüllung verantwortlich ist. In diesem letzteren Fall, also in der Paulus-Stelle, braucht der Verkäufer nicht vorsätzlich gehandelt zu ha­ ben („per eum steterit“), so anscheinend bei der mangelhaften Lieferung. Der Haf­tungsumfang scheint aber ähnlich zu sein. 21  Für alle anderen, Max Kaser / Rolf Knütel, Römisches Privatrecht, München 2008, §41.46; Nunzia Donadio, La tutela del compratore tra actiones aediliciae e actio empti, Mi­lano 2007, 271. 22  Pascal Pichonnaz, L’obligation de réparer (Fn.  2) 297  ff., insbesondere S. 300. 23  Siehe für alle anderen, Medicus, Id quod interest (Fn. 6), 129  f.; Honsell, Quod inte­rest (Fn. 6) 83 ff., vor allem 93.



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III. Eine verwirrende Beschränkung durch Justinian Die Unterscheidung zwischen circa ipsam rem und weiterem Schaden (vor allem dem entgangenen Gewinn) wurde zum Teil von einem Reskript Justi­nians verschleiert. In seiner berühmten Konstitution C. 7,47,1,1 aus dem Jahre 531 n. Chr. hat Justinian das id quod interest begrenzt: In Fällen qui certam habent quantita­ tem vel naturam, wie bei Verkauf, Verleih und allen (ähnlichen) Verträgen, hat er das ersatzfähige Interesse auf das duplum (das Doppelte) beschränkt. Im Fol­genden geben wir nur den Anfang der Konstitution wieder:24 C. 7,47,1,1 (Iust. A. Iohanni pp., a. 531, kal. Sept.) Deswegen empfehlen wir, dass in allen Fäl­ Sancimus itaque in omnibus casi­ len, in denen die Menge oder die Natur be­ bus, qui certam habent quantita­tem vel naturam, veluti in venditi­onibus stimmt ist, wie bei Kauf, Miete und in an­ et locationibus et omnibus contrac­ deren Verträgen, was d e m I n t e r e s s e tibus, quod h o c i n t e r e s t d u p l i entspricht, nicht über die doppelte quantitatem minime exce­ Menge gehen darf. d e r e […].

Diese Stelle ist interessant, da Schaden immer mit dem Objekt des Verspre­chens in Beziehung gesetzt wird, wenn man über die Schätzung und den Um­ fang des Schadens spricht. Für das id quod interest differenziert man plötzlich nicht mehr nach dem Ursprung des Schadens. Ob der Scha­ den durch dolus oder „einfachen“ Vertragsbruch herbeigeführt wird, der Ersatz ist auf das Dop­ pelte begrenzt. Auch bei dolus wird der Schaden durch das id quod inte­rest ermittelt, wie man bei Ulpian / Julian lesen kann: „quod interfuit id non evenisse erit praestandum“. Es stellt sich somit die Frage, ob die Unterscheidung zwischen der Berech­ nung des Schadens circa ipsam rem und extra rem noch wirklich eine Folge hat, wenn sowieso der Schaden auf das Doppelte begrenzt wird. Es scheint also, dass Justinian den Ursprung des Schadens als Kriterium nicht mehr in Kauf nimmt. Wie wird dann das duplum ermittelt? Es gibt bei Justinian keine Antwort. Soll der Einkaufpreis (pretium conventionale), der Marktpreis (pretium com­ mune) oder der mögliche Verkaufspreis (pretium singulare) als Referenz ge­nommen werden? Soll bei den Anhaltspunkten eine Unterscheidung ge­ macht werden, wenn der Schaden durch Vorsatz verursacht wurde? Das sieht man in der Konstitu­tion auch nicht. Weil er die dolus-Frage nicht mehr erwähnt, bezieht sich Justinian nicht mehr auf diesen dolus als Grund für die Haftung, sondern nur noch direkt 24  Siehe

auch meine Ausführungen in Pichonnaz, Meditationes (Fn. 4), 707 f.

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auf das Versprechen (id quod interest). Durch diese an sich künstliche Be­ gren­zung auf das Doppelte hat Justinian also die vorsichtige Unterschei­ dung, die durch Pau­lus und Ulpian herbeigeführt wurde, verwischt. IV. Einige Aspekte aus der mittelalterlichen Lehre Wie man weiß, wurde die Lehre über Schadensberechnung im Mittelalter stark von der Unterscheidung zwischen interesse circa rem und interesse extra rem geprägt. Die erste Generation von Glossatoren hat den Text von Ulpian / Julian (D. 19,1,21,3) aufgegriffen und über das Konzept des Schadensersatzes nachge­dacht und glossiert. Es wird oft gesagt, dass Martinus derjenige ist, der diese Distinktion herbeigeführt hat.25 Eine Frage war unter anderen, wie man das Doppelte berechnen sollte. Die Glossatoren entwickelten mehrere Distinktionen. Placentinus († 1192) hat eine dreiteilige Unterscheidung verbreitet: tria pretia rerum, scilicet conventi­onale, commune et singulare.26 Diese war aber schon in den Casus Codicis des Guillelmus de Cabriano (die bekanntlich die Vorlesungen des Bulgarus de Bulgarinis [† ca. 1166] widerspiegeln) zu lesen, wie die Untersuchungen von Tammo Wallinga und Harry Dondorp gezeigt haben.27 Bulgarus schrieb näm­lich: Notabis autem hec tria pretia rerum, scilicet conuentionale, commune et singulare; et nota quod quando agitur singulariter ad interesse et circa rem, non potest exce­ dere duplum quantitatis que queritur in communi interesse.28

D. 19,1,21,3 veranlasste aber auch zur Distinktion zwischen interesse circa ipsam rem und interesse extra rem. Diese finden wir auch in einer von unge­fähr 1150 stammenden Distinctio, die in mehreren Handschriften über­ liefert worden ist und deren Anfangsworte lauten: Interesse quandoque circa rem, quandoque extra rem spectandum est, item quandoque loco rei, 25  Siehe für alle, Hermann U. Kantorowicz, Studies in the Glossators of the Roman Law: Newly Discovered Writings of the Twelfth Century, Cambridge 1938 (Neudruck mit Zusatz Peter Weimar, Aalen 1969) 90. Die Distinktion wurde auch von der Summa Tre­censis 7,31,2 übernommen (von H. Fitting, Summa Codicis des Irnerius, Berlin 1894, 250 ff.). 26  Hermann Dilcher, Die Theorie der Leistungsstörungen bei Glossatoren, Kom­men­ta­toren und Kanonisten [Frankfurter wissenschaftliche Beiträge 19], Frank­ furt 1960, 126; Hans J. Wieling, Interesse und Privatstrafe vom Mittelalter bis zum Gesetzbuch, Köln / Wien 1970, 30 f. 27  Harry Dondorp, Die Haftung des fideiussor iudicio sisti bei den Glossatoren, RIDA 53 (2006) 221–236. 28  Vgl. Tammo Wallinga, The Casus Codicis of Wilhelmus de Cabriano [Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 182], Frankfurt am Main 2005, S. 548, ad C. 7,47,1.



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quandoque loco pene. Diese Distinktion wird heutzutage allgemein Martinus Gosia zuge­schrieben29 und wurde dann von der Summa Trecensis übernommen.30 Eltjo Schrage hat kürzlich darüber in Details referiert.31 Hermann Dilcher hat die Auffassung verteidigt, dass nach mittelalterli­ cher Interpretation das interesse circa rem sich auf den unmittelbaren Scha­ den be­schränkt.32 Es kommt aber wahrscheinlich der mittelalterlichen Interpreta­tion näher, wenn wir sagen, dass der Ausdruck sich auf das Inte­ resse an der Über­gabe der Sache bezieht.33 Martinus Gosia erläuterte die Worte circa ipsam rem in seiner distinctio:34 Circa rem id quod interest spec­tatur, ueluti si uinum uel equus minimo pre­tio distractus est, uerbi gratia .x. et postea maioris pretii, ueluti .l. efficiatur. Id omne pre­ standum est quoniam saltim hodie dandum est: si enim datum esset, id omne emp­ tor habiturus esset, ut in d. t. de acc. empt. et uend. l. Si sterilis ancilla [D. 19,1,21,3], ideo­que omnes utili­ tates que circa rem consistunt dici­ mus esse pre­standas.

Interesse circa rem bedeutet, dass wenn Wein oder ein Pferd gegen einen Minimal­ preis veräußert wird, zum Beispiel für 10, und später ein höherer Preis erzielt wird, z. B. 50, die Differenz zu ersetzen sei, weil mindestens letz­ terer Preis bezahlt werden soll. Wenn aber schon geliefert wurde, dann wird der Käufer alles behalten [D. 19,1,21,3]. Deswegen sollen auch die Zin­ sen bezahlt werden.

Im Gegensatz zu dem, was manchmal behauptet wird, betrifft der Aus­ druck interesse circa rem nicht nur den direkten Schaden,35 sondern das ganze Inte­ resse an der Übergabe der Sache. Die Zinsen sind dann auch Teil des Scha­dens circa rem.36 Der Ausdruck circa rem bezieht sich also auf den Wert der Sache selbst, aber in einem dynamischen Verhältnis, ohne das lucrum ces­sans, den entgangenen Gewinn, in Rechnung zu stellen. Im Gegenteil soll die Be­mes­sung des extra rem weiter gehen. 29  Statt aller: Kantorowicz, Studies in the Glossators (Fn. 25) 90. Die Distink­ tion ist in Summa Trecensis 7,31,2 (ed. Fitting, Summa Codicis des Irnerius, Berlin 1894, 250 ff.) übernommen worden. 30  Summa Trecensis 7,31,2 (hg. v. Fitting, Summa Codicis (Fn.29)); dazu vor allem Wieling, Interesse und Privatstrafe (Fn. 26), 30 f.; auch Hermann Lange, Scha­ dens­ersatz und Privatstrafe in der mittelalterlichen Rechtstheorie, Köln / Böhlau 1955, 18 f.; Mar­tin Josef Schermaier, HKK §§ 280–285, Rdn. 51 ad §§ 280–285. 31  Eltjo Schrage, Die verschuldensunabhängige Haftung (Fn 3), 197 f. 32  Hermann Dilcher, Die Theorie der Leistungsstörungen bei Glossatoren, Kommenta­to­ren und Kanonisten [Frankfurter wissenschaftliche Beiträge 19], Frank­ furt 1960, 126. 33  Eltjo Schrage, Die verschuldensunabhängige Haftung (Fn 3), 199. 34  Distinctio Interesse quandoque, Nr. 2 (ed. Fitting [Fn. 30] 251). 35  Dilcher, Die Theorie (Fn. 32) 126. 36  Anscheinend, contra Martin Josef Schermaier, HKK §§ 280–285, Rdn. 51 ad §§ 280–285, S. 1228 f.

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Pascal Pichonnaz

Ähnliches bezeugt auch Guillelmus de Cabriano in seinen Casus Codicis ad C. 7,41,1:37 Sed et si uinum uenditum non tra­ didisti, non quicquid ex uino potui lucrari mihi praestabis, puta si ui­ num potui uendere et de pretio no­ uam negotiationem inire et multa lucra facere; hec enim mihi non prestas set tantum quid circa rem meam interest, id est quanti potui uinum uendere, ut ff. de ac. empti Si sterilis [D. 19,1,21,3]. Si autem ex­ tra rem in­teresse petatur, quod tunc fit quan­do qui sciens pecus morbo­ sum uen­didit vel tignum in­iunc­tum uel uas uitio­ sum uendi­ dit seu locaue­ rit, tunc inte­ resse quia non circa rem uer­titur ultra du­plum por­ ri­ gitur: tunc enim tenetur uenditor seu locator ut prestet quantum inter­ sit empto­ ris seu con­ ductoris, ut ff. de act. empti Iuli. [D. 19,1,13] et l. Tenetur [D. 19,1,6] et ff. locati Set addes § i. [D. 19,2,19,1].

Wenn du verweigerst, mir den verkauf­ ten Wein zu liefern, dann haftest du nicht für den Gewinn, den ich mögli­cher­weise hätte realisieren können, z. B. wenn ich den Wein hätte ver­ kaufen, mich auf neue Ver­ hand­ lungen einlassen und viel ge­win­nen kön­nen; das alles brauchst du mir nicht zu ersetzen, son­ dern nur mein inte­ resse circa rem, das heißt, den Betrag, zu dem ich den Wein hätte verkaufen kön­ nen [D. 19,1,21,3]. Wenn aber auch auf das inte­resse extra rem geklagt wird, was ge­ schieht, wenn jemand bewusst ein kran­kes Tier ver­kauft hat oder einen ver­bundenen Bal­ken oder ein schad­ haftes Gefäß verkauft oder vermie­ tet hat, dann haftet er auf mehr als das interesse circa rem und der Scha­dens­ersatz wird auf das Doppelte erhöht, dann haftet nämlich der Verkäu­ fer oder Ver­ mieter für das inte­ resse extra rem des Käu­ fers oder Mie­ ters [D. 19,1,13; D. 19,1,6 und D. 19,2,19,1].

Wir haben hier die Grundzüge der Schadensberechnung, die Jahrhunder­ te lang die wissenschaftliche Diskussion im Bereich des ius commune do­ miniert haben, aufgezeigt: interesse circa rem steht dem interesse extra rem gegen­ über. Der Unterschied zwischen beiden Begriffen betrifft vor allem den Er­ folgsscha­ den, auch manchmal als entgangener Gewinn oder Mangelfolgescha­den be­zeichnet. Er ist Teil des Schadens, wenn das Inter­ esse extra rem umfasst wird, aber im interesse circa rem nicht inbegriffen. Ein Verkäufer, der nicht liefert, haftet für das interesse circa rem; jener, der vorsätzlich einen kranken Sklaven (usw.) liefert, für das interesse extra rem. Soweit scheint es ziemlich eindeutig zu lesen zu sein, sowohl in der von Fit­ting publizierten Martinus Gosia zugeschriebenen Distinktion Interesse quan­doque als auch in den von Guillelmus de Cabriano aufgeschrie­ benen Vorle­sungen von Bulgarus. Es wäre interessant, der ganzen Entwicklung zu folgen, dies kann aber hier nicht gemacht werden.38 Wallinga (Fn. 28) S. 547–548. Josef Schermaier, HKK §§ 280–285, Rdn. 51 ff. ad §§ 280–285 und wei­tere Referenzen. 37  Ed.

38  Martin



Die Begrenzung des Schadens: „circa ipsam rem“ und D. 19,1,21,3

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Ohne jetzt die ganze Entwicklung zu verfolgen, sieht man aber, dass die An­wendung der Begrenzung auf das Doppelte wieder beim Franzosen Robert-Joseph Pothier (1699–1772) auftaucht, jedoch in einer etwas anderen Kon­stel­lation.39 Pothier versucht zu zeigen, wie wichtig das Versprechen für die Schät­ zung des Schadens ist und vor allem hier für die Begrenzung des Schadens auf das Doppelte des Preises der Sache.40 Er beginnt mit der Betonung, dass die Begrenzung auf das Doppelte nur Sinn macht, wenn der Schaden sich auf die Sache selbst bezieht („par rap­ port à la chose seulement“), was im Mittelalter eben als interesse circa rem be­zeichnet wurde. Sie soll aber nicht Anwendung finden, wenn der Schaden extrinsecus die anderen Vermögenswerte betrifft („n‘en peut recevoir à l‘égard de ceux que le créancier a soufferts extrinsecùs dans ses autres bi­ ens“). Der Grund dafür, sagt uns Pothier, sei, dass der Schadensersatz in diesem Fall nicht wegen der Sache, als Inhalt der ursprünglichen Verpflich­ tung, geschul­det ist. Er kann deshalb nicht an Hand des Wertes der Sache festgelegt werden („car ces dommages et intérêts n’étant pas dus pour raison de la chose qui a fait l’objet de l’obligation primitive, ne peuvent se régler sur la valeur de cette chose“), wenn explizit oder implizit für mehr gehaftet wird, wie im Fall des Verkaufs eines mangel­haften Weinfasses, aus dem dann der Wein ausläuft. Man nimmt hier an, dass ein Spezialist das Fass gebaut hat und somit implizit die Haftung für mehr als den Wert der Sache übernimmt. Der Schadensersatz soll also nicht anhand des Wertes der Sache bestimmt werden. 39  Robert-Joseph Pothier, Traité des obligations, Paris 1821, N 166 (145 f.); wir benut­zen hier die Ausgabe 1821 aus der Œuvres complètes de Pothier (neue Aufla­ ge), Paris (P. Didot). 40  Robert-Joseph Pothier, Traité des obligations (Fn. 39), N 165: „Il est évident que la réduc­tion des dommages [p. 144] et intérêts au double du prix de la chose qui a fait l’objet de l’obligation primitive, n’a d’application qu’à ceux qui sont dus par rapport à la chose seulement ; et qu’elle n’en peut recevoir à l’égard de ceux que le créancier a souf­ferts extrinsecùs dans ses autres biens, lorsque le débiteur s’y est expressément ou taci­tement soumis: car ces dommages et intérêts n’étant pas dus pour raison de la chose qui a fait l’objet de l’obligation primitive, ne peuvent se régler sur la valeur de cette chose ; et ils montent quelquefois au décuple et plus de cette chose. Par exemple, les dommages et intérêts dont est tenu envers moi un tonnelier qui m’a vendu de mau­vais tonneaux, ré­sultant de la perte que j’ai faite du vin que j’y avais mis, peuvent mon­ter à plus que le décuple de la valeur des ton­ neaux: car en me vendant en sa qua­lité de ton­nelier les tonneaux, il s’est rendu responsable de leur bonté, et il s’est tacite­ment chargé du risque de la perte du vin, qui peut monter à dix ou vingt fois plus que le prix des tonneaux. Cette espèce de dommage ne concernant pas les tonneaux, mais le vin qu’on mettra dedans, ne doit pas se régler sur le prix des tonneaux. Molin., ibid., n. 49. […]“. Siehe auch unsere Ausführungen in Pichonnaz, Meditationes (Fn. 4) 711 ff.

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Pascal Pichonnaz

Diese Unterscheidung zwischen der Haftung für das Interesse circa rem und extra rem ruht also gemäß Pothier auf dem Versprechen. Entweder hat man nichts Besonderes versprochen, außer den Inhalt des Versprochenen zu leis­ten, dann haftet man nur für das Interesse circa rem, also für den Wert der Sache bis auf das Doppelte des Preises, oder man hat explizit oder implizit wegen seiner Eigenschaft als Sachkundiger versprochen für mehr einzuste­hen, dann haftet man auch für das Interesse extra rem, also für den Mangel­folgeschaden oder Folgeschaden, z. B. für den entgangenen Gewinn. Die Haftung circa rem ist also mit dem Versprechen verbunden, was dann für Pothier die Beschränkung auf das Doppelte des Preises erklären kann. Die Frage, ob der Schaden wissentlich oder durch Verschulden verur­sacht worden ist, scheint nicht mehr direkt zentral zu sein, solange eben das Verspre­chen die Haftungsgrundlage bildet. Anders verhält es sich jedoch, wenn ein dolus begangen wird. Da sieht Pothier eine Haftung für das Interesse extra rem. Er schreibt nämlich (n° 16641) das Folgende: „Die Prinzipien, die wir bis jetzt aufgestellt ha­ ben, finden keine Anwendung, wenn der Schaden durch Vorsatz (dolus) meines Schuldners ver­ursacht worden ist. In diesem Falle wird der Schuld­ ner ohne weiteres für alle Schäden haften müssen, die ich wegen seines dolus erlitten habe, also nicht nur für den Schaden, den ich aus der Sache selbst erlitten ha­be, propter rem ipsam, sondern für alle anderen Schäden, die ich bei anderen Gütern erlitten habe, ohne dass man unterscheiden soll, ob der Schuldner sich dafür implizit eingesetzt hat; in der Tat, derjenige, der einen dolus begangen hat, haftet, velit, nolit, für den Ersatz aller Schä­ den, die durch seinen dolus ver­ursacht worden sind.“ Er gibt dann ein Beispiel eines Viehhändlers, der beim Verkauf eines Vieh­stückes wusste, dass dieses von einer übertragbaren Krankheit infi­ziert 41  Robert-Joseph Pothier, Traité des obligations (Fn. 39), N 166: „Les principes que nous avons établis jusqu’à présent n’ont pas lieu lorsque c’est le dol de mon débi­teur qui a donné lieu à mes dommages et intérêts. En ce cas le débiteur est tenu indis­tinctement de tous les dommages et intérêts que j’ai soufferts, auxquels son dol a donné lieu, non seulement de ceux que j’ai soufferts par rapport à la chose qui a fait l’objet du contrat, propter rem ipsam, mais de tous les dommages et intérêts que j’ai soufferts par rapport à mes autres biens, sans qu’il y ait lieu de distinguer et de discuter en ce cas si le débi­teur doit être censé s’y être soumis: car celui qui commet un dol s’oblige, velit, nolit, à la réparation de tout le tort que ce dol causera ; Molin. ibid. n. 155. Par exem­ple, si un marchand m’a vendu une vache qu’il savait être infectée d’une maladie conta­gieuse, et qu’il m’ait dissimulé ce vice, cette dis­ simulation est un dol de sa part, qui le rend res­ponsable du dommage [p. 146] que j’ai souffert, non seulement dans la vache même qu’il m’a vendue, et qui a fait l’objet de son obligation primitive; mais pareille­ment de ce que j’ai souffert dans tous mes autres bestiaux auxquels cette vache a com­ muniqué la conta­ gion; D. 19,1,13: car c’est le dol de ce marchand qui m’a causé tout ce dom­mage.“



Die Begrenzung des Schadens: „circa ipsam rem“ und D. 19,1,21,3

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war. Der Verkauf mit Bewusstsein ist ein dolus, der dazu führt, den Ver­ käufer nicht nur für den Schaden des Viehes haften zu lassen, sondern auch für Schäden aller anderen Viehstücke, die angesteckt worden sind. Er zitiert dann die Di­gestenstelle, die wir kennen: D. 19,1,13. Mit Pothier wird also die Unterscheidung zwischen dem Anwendungs­be­ reich von circa ipsam rem und extra rem sehr klar. Wenn der Schaden aus der Nicht­einhaltung des Versprechens resultiert, wird man nur das Interesse circa rem ersetzen, außer wenn man annehmen muss, dass der Schuldner mehr ver­spro­chen hat (also auch das Ersetzen extra rem). Dann soll man aber auch die Be­grenzung Justinians auf das Doppelte des Vertragspreises anwen­den. Wenn dagegen der dolus die Ursache ist und der Schaden somit nicht mehr in Bezie­ hung zu einem bestimmten Versprechen steht, dann haftet man selbst­verständ­lich ohne Begrenzung, also extra rem, und ohne Begrenzung auf das Doppelte, wie Pothier es explizit betont.42 Die einzi­ ge Begrenzung kann sich daraus er­ge­ben, wie stark ein Kausalzusammen­ hang zwischen Schaden und dolus er­sicht­lich ist. Das französische Zivilgesetzbuch (Code civil) hat dann auf diesen Gedan­ ken basierend das Interesse circa rem, als Ersatz des Schadens, das aus dem Ver­sprechen selbst herauskommt, bejaht, wenn kein dolus vorliegt. Art. 1150 Code Civil beschränkt aber diese Haftung nicht auf das Dop­ pelte, sondern auf die Vorhersehbarkeit des Schadens. Die Vorher­sehbarkeit wird aber in einen Zusammenhang mit dem Versprechen gesetzt43 und könnte als Weiter­entwicklung des Interesses circa rem verstan­den werden: „Le débiteur n’est tenu que des dommages et intérêts qui ont été prévus ou qu’on a pu pré­voir lors du contrat, lorsque ce n’est point par son dol que l’obli­ gation n’est point exécu­ tée.“ Diese Frage der Vorher­ sehbarkeit ist spannend, kann aber hier nicht weiterver­folgt werden.44 Bei dolus regelt Art. 1151 Code Civil, dass der ganze Schaden ersetzt sein soll, aber nur wenn er die unmittelbare und direkte Folge der Nichter­ füllung der Vereinbarung ist: „Dans le cas même où l’inexécution de la convention résulte du dol du débiteur, les dom­mages et intérêts ne doi­vent comprendre à l’égard de la perte éprouvée par le créancier et du gain dont 42  Pascal

Pichonnaz, Droit romain (Fn. 18), 71. aber u.  a. Philippe Malaurie / Laurent Aynès / Philippe Stoffel-Munck, Les obligations, 4. Aufl., Paris 2009, N 964 ff. 44  Siehe aber u.  a. Malaurie / Aynès / Stoffel-Munck, Les obligations (Fn. 43) N 964 ff. Siehe aber u. a. auch im Hinblick auf die CISG (Wiener Kaufrecht): Yeşim Ata­mer, Haftung des gewerblichen Verkäufers für Schäden durch mangelhafte Ware, RDS / ZSR 130 (2011) 449 ff., vor allem 475 f.; Flo­rian Faust, Die Vorhersehbarkeit des Schadens gemäß Art. 74 Satz 2 UN-Kaufrecht (1996), mit einer ökonomischen Ana­lyse 238; auch Pichonnaz, Meditationes (Fn. 4) 713 f. 43  Siehe

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il a été privé, que ce qui est une suite immédiate et directe de l’inexécution de la convention.“ V. Schlussfolgerung Gemäß dem berühmten Schmetterling-Effekt bewirkt jede Handlung eine sehr lange Kette von Folgen im ganzen Universum. Auch wenn man nicht so weit gehen muss, hat die Nicht- oder Schlechterfüllung eines Verspre­ chens Folgen, die sich auf verschiedene Sachen und Vermögenswerte ent­ falten kön­nen. Die römischen Juristen, und dann die mittelalterlichen Dok­ toren, haben immer wie­der versucht eine gerechte Grenze zu ziehen, über welche man für seinen Ver­tragsbruch nicht mehr haftet. Die heikle Frage war aber immer, ob man anhand der Ursachen unterscheiden soll, wie dies Paulus und Ulpian ge­tan haben, oder anhand des Schadens mit einer be­ stimmten Schadensersatz­begren­zung, wie es von Justinian vertreten wurde (auf das duplum). Im Mittelalter hat man versucht, mit der Opposition interesse circa rem und interesse extra rem eine klare Grenze zwischen den beiden Fallkonstella­ ti­onen zu ziehen. Wann man circa rem und wann man extra rem haftet, war aber nicht immer leicht zu entscheiden, wie man es auch noch bei Pothier im 18. Jahrhun­dert sehen kann. Heute wird die Vorhersehbarkeit als Grenze benutzt, dies nicht nur im fran­ zösischen Recht, sondern auch im englischen Recht, wie Hadley v. Baxen­dale45 es bezeugt, oder im UN Wiener Kaufrecht und in den Unidroit-Prinzi­pien. Die Pandektistik hat anhand des Prinzips des „adäquaten Kausalzusammen­ hangs“ versucht dieselbe Grenze zu ziehen. Dieser normative Entscheid ist aber nicht immer leicht zu fällen. Das Schweizerische Bundesgericht hat dies im Amazonen-Papageien Fall auch selber gemerkt, aber darüber habe ich schon anderswo berichtet.46

45  Hadley & Anor v Baxendale & Ors (23. Februar 1854), (1854) 9 Ex 341, 156 ER 145. 46  Siehe aber u. a. auch im Hinblick auf die CISG (Wiener Kaufrecht): Ata­mer, Haf­ tung (Fn. 44), 449 ff., vor allem 475 f.; Faust, Die Vorhersehbarkeit (Fn. 44), 238 ff.

Testamentum porcelli: Ein von Sklaven errichtetes Testament?* Von Daisuke Shinomori I. Das Testamentum porcelli, das Testament des Ferkels, ist ein Prosawerk von 300 Wörtern, die vulgärlateini­schen Charakter haben. Unbekannt sind aller­dings nicht nur der Autor, sondern auch Ort und Zeitpunkt der Entste­ hung. Auf­ grund sprachlicher, philologischer und juristischer Merkmale vermuten Philo­logen, dass man es in die Mitte des 4. Jahrhunderts datieren kann.1 Nach herr­schen­der Meinung handelt es sich hierbei um die Parodie eines Testa­ments.2 Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden einige mo­ derne Ausgaben3 und Kom­mentare4 publi­ziert, auf deren Basis viele Aufsät­ ze aus verschiedenen Fachbe­reichen geschrieben wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg machten die Dis­kus­sionen über das Testamentum porcelli durch die Beiträge von zwei Roma­nis­ten5 rechtshisto­risch bedeutende Fortschritte. *  Herzlich danke ich Herrn Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. Alfons Bürge für Beratungen und Hinweise. 1  Peter Lebrecht Schmidt, Testamentum porcelli, in: Reinhart Herzog / Peter Leb­ recht Schmidt (Hrsg.), Handbuch der Lateinischen Literatur der Antike, Bd. 5, Mün­ chen 1989, 257 = § 550.2. 2  Schmidt (o. Fn. 1) 257. 3  Moritz Haupt, Index lectionum quae auspiciis Regis Augustissimi Friderici Gui­lelmi Quarti in Vniversitate Litteraria Friderica Guilelma per semestre aestiuum, a d. XVI. m. Aprilis usque ad d. XV. m. Augusti a. MDCCCLX habebuntur, Be­rolini 1860, 3–9 [= ders., Opuscula, II, Lipsiae 1876, 175–183]; Franz Bücheler / Wil­helm Heraeus (ed.), Petronii Saturae et Liber Priapeorum, Berolini 19226, 268–269, 292; Alvaro D’Ors, Testamentum porcelli: introducción, texto, traducción y notas, Suple­ mentos de Estudios Clásicos, Serie de Textos, n.  3, Madrid 1953, 73–83; Léon Hermann, Le Testament du cochon, in: Studi in onore di Ugo Enrico Paoli, Firenze 1955, 385–391; Nikolaus A. Bott, Testamentum Porcelli: Text, Übersetzung und Kom­mentar, Zürich 1972; Bruno Mocci, Testamentum porcelli: Una problematica parodia tardolatina, Innsbruck 1981. 4  Haupt (o. Fn. 3); Bott (o. Fn. 3); Mocci (o. Fn. 3); Barry Baldwin, The Testamen­ tum porcelli, in: Studi in onore di Cesare Sanfilippo, I, Milano 1982, 39–52. 5  Alvaro D’Ors, El „Testamentum Porcelli“ y su interés para la historia jurídica, RIDA3, 2 (1955) 219–236; David Daube, Roman law: linguistic, social and phi­ losophi­cal aspects, Edinburgh 1969, 78–81.

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Daisuke Shinomori

Etwa 50 Jahre später davon wollen wir es von einem neuen Standpunkt aus überprüfen. II. Text6 und Übersetzung des Testamentum porcelli: Incipit testamentum por­celli. M. Grunnius Corocotta por­ cellus testamentum fe­ cit. quon­ iam manu mea scribere non potui, scriben­dum dic­ta­vi. Magirus cocus dixit: ‚veni huc, eversor domi, soliver­ tia­ tor, fugitive por­celle, et ho­die tibi dirimo vitam‘. Co­ro­cot­ta por­cellus dixit: ‚si qua fe­ci, si 5 qua peccavi, si qua vas­cella pedi­bus meis con­fregi, rogo, do­mine coce, vi­tam peto, con­ cede roganti‘. Ma­ girus cocus dixit: ‚transi, puer, affer mihi de ­co­cina cul­trum, ut hunc por­cellum fa­ciam cruentum‘. porcellus com­prehen­ ditur a fa­mulis, duc­tus sub die XVI kal. lu­cer­ninas, ubi abundant cy­mae, 10 Clibanato et Piperato consulibus. et ut vidit se mo­riturum esse, horae spa­tium pe­tiit et cocum rogavit ut te­stamentum facere posset. cla­ma­vit ad se suos parentes, ut de cibariis suis aliquid di­mit­teret eis. qui ait: ‚patri meo Verrino Lardino do lego dari glandis modios XXX, et matri meae Ve­tu­ri­nae scro­fae do lego dari La­co­nicae siliginis modios XL, et so­ rori meae Quiri­nae, in cuius votum inte­resse non po­tui, do lego dari hordei 15 mo­dios XXX. et de meis vis­ceribus dabo donabo su­to­ri­bus saetas, rixori­bus capi­ti­nas, surdis auriculas, cau­si­di­cis et verbosis linguam, bu­bu­lariis inte­ stina, isiciariis femora, mulieribus lumbu­los, pueris vesicam, puellis cau­ dam, cinaedis muscu­los, cur­soribus et ve­natori­bus ta­los, latroni­bus ungu­las. et nec no­minando coco legato di­ mitto popiam et pistillum, quae mecum 20 at­tuleram: de The­beste usque ad Tergeste liget sibi col­lum de reste. et volo mihi fie­ri monumentum ex litteris aureis scriptum: „M. Grun­nius Corocotta por­ cel­ lus vixit annis DCCCC·XC·VIIII·S· quod si semis vixisset, mille annos imples­set.“ optimi amatores mei vel consules vitae, rogo vos ut cum corpore meo bene faciatis, bene condiatis de bonis condi­mentis nuclei, pi­ 25 pe­ris et mellis, ut nomen meum in sempiternum no­mi­netur. mei domini vel conso­brini mei, qui testa­mento meo interfuistis, iubete si­gna­ri.‘ Lardio signavit. Ofellicus si­gna­vit. Cyminatus signa­vit. Lu­canicus signavit. Tergillus si­gnavit. Celsi­nus signavit. Nup­tialicus si­gnavit. 30 explicit testamentum por­celli sub die XVI kal. lucerninas Cli­banato et Pi­ perato consu­libus felici­ter.7 7

Das Testament des Ferkels beginnt.

Das Ferkel, M. Grunnius Corocotta, machte sein Testament. Da ich mit mei­ner eige­ nen Hand nicht schrei­ben konnte, diktierte ich zur Niederschrift. Magirus, der Koch, sagte: „Komm hier, du der Zerstörer des Hauses, der­jenige, der sich aus dem Staube macht, du das entlaufene Ferkel, und heute breche ich dein Le­ ben ab.“ Coro­ cotta, das Fer­ kel, sagte: „Wenn ich irgendetwas ge­ macht habe, 6  Bücheler / Heraeus 7  Clibanato

(o. Fn. 3) 268–269. et Piperato consulibus. / Feliciter. Bott (o. Fn. 3) 17.

Testamentum porcelli: Ein von Sklaven errichtetes Testament?



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wenn ich irgendetwas an­ge­stellt habe, wenn ich irgendwel­ches Töpfchen mit mei­nen Fü­ßen zerbrochen ha­be, ersuche ich Sie, mein Herr Koch, bit­te ich um mein Le­ben. Er­lau­ben Sie, bit­te, es dem Ersuchen­den.“ Magirus, der Koch, sagte: „Geh, Knabe, bring mir aus der Kü­che ein Messer, damit ich die­ses Ferkel blutig mache.“ Das Fer­kel wird von den Dienstboten ergriffen, und 16 Tage vor den Ka­lenden des Lu­ cer­ni­nus ab­ge­führt, als die Kohlsprossen scho­ssen, unter dem Konsu­lat von Pipera­ tus und Cli­banatus. Und als es sah, dass es werde sterben müs­sen, bat es um den Zeit­raum von einer Stunde und ersuchte den Koch darum, sein Tes­tament errich­ten zu können. Es rief seine Eltern zu sich, um ihnen et­was von sei­nen Nahrungsmitteln zu hin­ter­lassen. Es sagt: „Meinem Vater, Verrinus Lardinus, gebe und vermache ich 30 Hohlmaße Eicheln [und ich will, dass] sie gegeben werden (do lego dari[que volo])8; und meiner Mut­ter, der Sau, Veturina, gebe und ver­mache ich 40 Hohlmaße lakoni­schen Wei­zen [und ich will, dass] sie gegeben wer­den; und mei­ner Schwes­ter, Quirina, an de­ren Hoch­zeit ich nicht habe teil­nehmen können, gebe und vermache ich 30 Hohl­maße Gerste [und ich will, dass] sie ge­geben wer­den. Und von meinem Kör­per wer­de ich geben und schen­ken (dabo donabo) den Schustern die Bors­ten, den Zänkern die ca­pitina (?),9 den Tau­ ben die Ohren, den Advo­ katen und Sprüchema­ chern die Zun­ge, den Metz­gern die Ge­därme, den Wurst­machern die Schenkel, den Frauen die klei­ nen Lendenstücke, den Knaben die Blase, den Mäd­ chen den Schwanz, den Wüstlin­gen die Mus­keln, den Läu­fern und Jä­gern die Knöchel, den Räubern die Hu­fe. Und dem ver­fluch­ten Koch hin­ter­las­se ich als Ver­mächtnis (le­gato dimitto) den Löffel und den Stö­ ßel, die ich mit mir mitge­ bracht hatte: Von The­ beste bis Ter­geste soll er sich den Hals mit dem Strick binden. Und ich will, dass mir ein Grab­stein ge­setzt wird mit gol­denen Buchstaben: ‚M. Grunnius Coro­cotta, das Fer­ kel, hat 999 1 / 2 Jahre gelebt. Wenn es aber noch ein hal­bes Jahr ge­lebt hätte, hätte es 1000 Jahre er­füllt.‘ Meine besten Freunde oder Kon­suln mei­nes Lebens, ich ersu­ che euch dar­ um, dass ihr mei­ nen Kör­ per gut be­ han­ delt, dass ihr ihn mit guten Gewür­zen – Nuss­kernen, Pfef­fer und Honig – gut wür­zet, damit mein Name im­ merwäh­rend ge­nannt werde. Meine Herren oder meine Ver­wand­ten, die bei meinem Testa­ment zu­gegen waren, unterzeichnet bitte.“ Lardio unterzeichnete. Ofellicus un­terzeichnete. Cyminatus unter­zeich­nete. Lucani­ cus unterzeichnete. Ter­gil­lus unterzeichnete. Celsinus un­ter­zeichnete. Nuptiali­cus unter­zeichnete. Das Testament des Ferkels endet 16 Tage vor den Kalenden des Lucerninus, unter dem Kon­sulat von Clibanatus und Pipe­ratus. Glück­wün­sche!10

do lego dari[que iubeo] (vgl. unten V. 2. e)). capitinas: Die Bedeutung dieser Wörter ist unsicher. Zu Versuchen einer Übersetzung vgl. Bott (o. Fn. 3) 18; D’Ors (o. Fn. 3) 81; Daube (o. Fn. 5) 80; Mocci (o. Fn. 3) 33; Jean-Jacques Aubert, Du lard ou du cochon?: Une lecture à rebrousse soies du Testamentum porcelli, in: Jürgen U. Kalms (Hg.), Internationales Josephus-Kollo­quium Aarhus 1999, 2000 Münster, 304. Zu philologischen Analysen vgl. Haupt (o. Fn. 3) 7 [= Opuscula 180–181]; D’Ors (o. Fn. 3) 81; Bott (o. Fn. 3) 35–36; Mocci (o. Fn. 3) 62–64; Baldwin (o. Fn. 4) 47–48. 10  Vgl. oben Fn. 7 und unten IV. 2. c). 8  Oder

9  rixoribus

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III. 1. Das Testamentum porcelli besteht inhaltlich aus zwei Teilen, abgese­ hen von den Formeln, die auf den An­fang und das Ende der Geschichte hinweisen, in­cipit – explicit (Z. 1 u. 30–31), und vom zweiten Paragraphen (Z. 2–3), der we­sentlich im Testament enthalten ist (vgl. unten V. 2. a), b)). Im ersten Teil (Z. 1–12) werden die Vorgänge der Testamentserrichtung durch den Dialog zwischen Magirus und Corocotta erzählt. Der Zweite Teil (Z. 13–31) ist der Inhalt des Testamentes des Corocotta. Das Testament von Corocotta basiert im Wesenlichen auf römischen Testa­mentsrecht und römischer Testamentspraxis (vgl. unten V.). Wir kön­ nen daher vermuten, dass der Autor des Testamentum porcelli gute Kennt­ nisse über die Testamentspra­xis hatte. Das Testament von Corocotta unter­ scheidet sich aber in einigen Punkten vom klassi­schen Manzipationstesta­ ment: (a) der Wortlaut der Erbeinsetzung fehlt; (b) es sind drei untypische Formeln testamentarischer Zu­wendungen gebraucht: dreimal do lego dari (Z. 13, 14 u. 15), dabo donabo (Z. 16) und legato dimitto (Z. 20); (g) der Vater des Corocotta erhält eine tes­ ta­mentarische Zuwendung (Z. 13); (d) sieben Zeugen führten die Handlung des signare aus (Z. 28–29) usw. Es handelt sich also um die Natur des Testa­men­tes des Corocotta im Zusam­ menhang mit dem Hauptthema des Testa­men­tum por­celli, das haupt­sächlich in erstem Teil geschildert ist. 2. a) Ein älterer Philologe nahm an, dass der Erbeinsetzungswortlaut nicht we­gen mangelnder Rechtskenntnisse des Autors, sondern wegen einer Dumm­heit des Corocotta in seinem Testament fehlt.11 Er hielt das Testamen­ tum por­celli für einen obszönen und komischen Witz des dummen Ferkels. Diese Mei­nung wird durch die folgenden Überlieferungen von Hieronymus er­gänzt. 12

Hieronymus, Contra Rufinum 1,17, pag. 473 Vall. Als ob nicht die Schar von Lockenköpfen in Quasi non cirratorum turba Mile­ den Schulen die milesischen Erzäh­ lun­ gen siarum in scholis figmenta decan­tet im­mer wieder herunterleiern würde und sein et testamentum suis Bessorum (= des Corocotta) Testament ihre Glie­ der cachinno membra concutiat atque mit schallendem Geläch­ter wie das der Bes­ inter scurrarum epulas nugae istius modi fre­quententur !12 ser schütteln würde und während der Mahl­ zeiten der Spaßvögel unnütze Dinge dieser Art häufig vorgebracht wür­den!

11  Haupt

(o. Fn. 3) 9 [= Opuscula 183]. Lardet (ed.), Contra Rufinum, S. Hieronymi Presbyteri Operam, Pars 3, Opera Polemica 1, Corpus Christianorum Series Latina 79, Turnholti 1982, 17. 12  Pierre

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Hieronymus, In Isaiam, lib. 12, praefatio, pag. 492 Vall. Es gibt keinen so stümperhaften Schrift­stel­ Nullus tam imperitus scriptor est ler, der nicht einen zu ihm passenden Leser qui lectorem non inveniat similem fände, und weit zahlreicher sind die Leser sui, multoque pars maior est Mi­ der milesischen Erzählungen als die der lesias fabellas revolventium quam Bücher Platons. Denn jene bietet Spie­ le­ rei Plato­nis libros. in altero enim lu­dus und Unterhal­ tung, diese Schwie­ rig­ keit und et oblectatio est, in altero dif­fi­cultas mit Bemühung verbundener Schweiß. So­gar et sudor mixtus labori. de­nique Ti­ Tullius (Cicero) bekennt, „Ti­ maeus“ nicht maeum de mun­ di har­ mo­ nia astro­ zu verste­hen, der die Har­monie des Weltalls rumque cursu et nu­ meris disputan­ und den Lauf und die Zahl der Sterne erör­ tem ipse qui in­ter­pretatus est Tullius se non in­ tel­ legere con­ fitetur, testa­ tert, obwohl er ihn ja selbst übe­ rsetzt hat. mentum autem Grun­ nii Corocot­ tae Das Testa­ment des Ferkels Grun­nius Coro­ porcelli decantant in scholis puero­ cotta leiern aber im­mer wieder Scharen von rum agmina ca­chin­nan­tium.13 Kindern mit schal­ lendem Ge­ lächter in den Schulen her­unter.

Beide Texte entstanden am Anfang des 5. Jahrhunderts, und sie stimmen in folgenden zwei Punkten inhaltlich miteinander überein: das Testamentum por­ celli gehört dem gleichen Genre wie die milesischen Erzählungen an, die hier für populäre und erotische Unterhaltungsnovellen genannt werden;14 es brach­ te kleine Schulkinder zum großen La­chen. Nach einer Untersuchung ver­wen­ de­te Hiero­nymus in seiner Werken oftmals den Name Grunnius ver­ächt­lich.15 13

b)  Im Gegensatz zur oben genannten, naiven Meinung beschäftigten sich zwei Ro­manisten nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Testamentum porcelli. Al­varo D’Ors verstand auf Grund seiner textkritischen Arbeit16 das Testament von Coro­cotta als einen codicillus, vorausgesetzt, dass Corocotta als filius fa­milias unter der Gewalt seines Vaters, Verrinus Lardinus, ange­ sehen wird.17 Aus dieser Ansicht erklärt sich aber nicht, warum Corocotta von Magirus ge­schlachtet werden musste. David Daube interpretierte es dagegen als Testament, das ein Soldat Co­ ro­cotta als filiusfamilias über sein peculium castrense errichtete, unter der glei­chen Voraussetzung wie D’Ors, dass der noch lebende Vater, Verrinus Lardi­nus, pater familias war.18 Diese Ansicht kann juristisch begründen, dass im Testament von Coro­cotta der Erbeinsetzungswortlaut fehlt, weil der 13  Marcus Adriaen / Gérard Morin (ed.), Commentariorum in Esaiam, lib. XII– XVIII, S. Hieronymi Presbyteri Opera, Pars 1, Opera Exegetica 2A, Corpus Chri­ stia­no­rum, Series Latina 73A, Turnholti 1963, 465. 14  Aly, RE XV, 2, 1932, 1580 (s. v. Milesia). 15  David S. Wiesen, St. Jerome as the Satirist: A Study in Christian Latin Thought and Letters, New York 1964, 229–230. 16  D’Ors (o. Fn. 3) 73–83. 17  D’Ors (o. Fn. 5) 224. 18  Daube (o. Fn. 5) 77–78.

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Testa­mentsfor­malismus beim Soldatentestament weitge­hend gemildert wur­ de.19 Daube verstand erfolgreich die Natur des Testaments in Zusammen­ hang mit dem erstem Teil und schlug uns ein neues Bild des Testa­mentum porcelli vor. Seine Ansicht wird im Wesentlichen von Historikern unter­ stützt.20 Jedoch he­ge ich Zweifel an seiner Ansicht, ob Corocotta, der als Fahnenflüchtiger (de­sertor) die Todesstrafe erhalten hätte,21 testamentsfä­hig war. Es kommt hinzu, dass wir durch philologische Untersuchungen,22 die nach dem Jahr 1970 pub­liziert wur­den, zu einem anderen Bild des Testa­ mentum porcelli ge­langen kön­nen. Nach der Ansicht Daubes wird der Tod eines Soldaten Co­rocotta be­sonders in der Vorder­grund gestellt und werden die Erbärmlichkeit des Kriegs und der Trauer der Soldaten betont. Seine Ansicht musste zwar zum Zeitgeist nach dem Zwei­ten Weltkrieg passen; mir scheint sie aber heut­zutage zu pes­simis­tisch zu sein. IV. 1. Das Testamentum porcelli ist voller komischer Situationen, komi­scher Per­so­nennamen, rei­cher Scherze und erotischer Ausdrü­cke. Hinter dem Witz und der Obszönität müssen aber die alltäglichen Realitäten der römischen Ge­sell­schaft stehen. Wäre es nur eine komische, erotische Geschichte, so wäre es der Nachwelt nicht überliefert worden. Das Interesse am Testamentum por­celli er­gibt sich aus dem Gefälle zwischen den Ausdrücken und der Wirklich­keit.23 2. Das Testamentum porcelli stellt ein Schicksal dar, in welchem das Ferkel Coro­cotta mit Gewissheit von einem Menschen geschlach­tet werden soll. Dar­aus können wir die folgen­den drei Kontexte herauslesen, in denen das Schwein in der römi­schen Gesellschaft steht. a) Schwein als Haustier:24 Das Schwein, das für die Römer eines der wich­ tigs­ ten Haustiere war, wurde im römi­ schen Reich überregional ver­ (o. Fn. 5) 77; Max Kaser, Das römische Privatrecht I, München 19712, 680–681; ders., Das römische Privatrecht II, München 19752, 482. 20  Edward Champlin, The Testament of the Piglet, Phoenix, 41 (1987) 179–183; Au­bert (o. Fn. 9) 315 ff. [= ders, ‚Du lard ou du cochon‘? The Testamentum porcel­ li as a Jewisch Anti-Christian Pamphlet, in: Jean-Jacques Aubert / Zsuzsanna Várhel­ zi (ed.), A Tall Order, Writing the Social History of the Ancient World, Mün­ chen / Leipzig 2005, 121 ff.]. 21  Fiebiger, RE V, 1, 1903, 249–250 (s. v. Desertor); Adolf Berger, Encyclopedic Dic­tion­ary of Roman Law, Philadelphia 1953, 433 (s. v. Deserere). 22  Vgl. unten IV. 2. b) und Fn. 37. 23  Reinhold F. Glei, DNP 9, 2000, 345–346 (s. v. Parodie). 24  Zur Grenze des Haustiersbegriffs vgl. Mariko Igimi, Occupatio im Alltag der Rö­mer, in diesem Tagungsband, S. 153 ff. 19  Daube



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kauft.25 Das Schwein wurde typischerweise auf folgende zwei Art und Wei­ sen verwen­det: einerseits war es als Schweinefleisch eines der wichtigen Nah­ rungsmittel der Menschen; andererseits wurde es als Opfertier den Göttern geopfert. Schweine als Haustiere werden zu allen Zeiten immer von Menschen ge­ schlach­tet, ge­kocht und verspeist.26 Daher ist es notwendig, dass Magirus27 in dieser Ge­schichte der Koch28 war: Magirus cocus (Z. 4 u. 7), und dass Coro­cotta als Schwein von Magirus geschlachtet und gebraten wurde.29 Ein großer Teil der Römer aß allerdings selten Fleisch;30 sie hielten vielmehr Schweine­ braten für einen besonderen Festbraten.31 Das von Corocotta angeord­nete Koch­re­zept (Z. 25–26) deutet also irgendeinen Festtag an. Es war für die Römer notwendig, an den Festtagen den Göttern Opfer zu brin­gen. Bei dem Tieropfer tötete der Opferdiener, cultrarius, ordnungsge­ mäß mit dem Opfermesser, culter, das Opfertier; darauf folgte die Eingeweide­schau des Op­fertiers. Bestimmte Teile (Organe) des Opfertiers, exta victimae, wur­ den den Göttern geopfert. Das Fleisch des Opfertiers wurde in der Küche ne­ben dem Heilligtum gebraten oder gekocht und im Speiseraum, cenacula, von den Op­ferteilnehmern verspeist.32 Das Schwein ist eines der typischen Opfer­tiere.33 Dass Coro­cotta Opfertier ist, wird von dem Name Magirus angedeutet, denn das Wort Magirus, auf Altgriechisch m£geirov, bedeutete nicht nur Koch, son­dern auch ursprünglich Schlachter, der das Opfermahl zurichtet.34 Culter, das Schlacht­messer, das Magirus in 25  Zum Vertriebssystem von Schweinefleisch zur nachklassischen Zeit vgl. A. H. M. Jones, The later Roman Empire 284–602, vol. 1, Oxford 1964, 702–704; Boudewijn Sirks, Food for Rome, Amsterdam 1991, 368–369; Peter Herz, DNP 4, 1996, 554–555 (s. v. Fleischkonsum). 26  Herz (o. Fn. 25) 554. 27  Karl Ernst Georges / Heirich Georges, Ausführliches Lateinisch-Deutsches Hand­wörter­buch, 2, 758 (s. v. magirus). 28  Magirus, der den puer anführt (Z. 7), ist auch Chefkoch, archimagirus. Zu den inschriftlichen Belegen von archimagirus vgl. CIL VI 7458 = ILS 1798; CIL VI 8750. Vgl. Alois Winterling, Aula Caesaris, Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in der Zeit von Augustus bis Commodus (31 v. Chr. – 192 n. Chr.), Mün­chen 1999, 101 u. 101109. 29  Bei Petron. 47,8–13 und 49,1–10 bereitet der Kochsklave von Trimalchio ein le­bendi­ges Schwein zu. 30  Herz (o. Fn. 25) 554. 31  Orth, RE IIA, 1, 1921, 808 (s. v. Schwein); Joachim Marquardt / August Mau, Das Privatleben der Römer, Leipzig 18862, 429. 32  C. Robert III. Phillips, DNP 8, 1996, 1248–1249 (s. v. Opfer). 33  Orth (o. Fn. 31) 813–814; Helmuth Schneider, DNP 11, 1996, 293–294 (s. v. Schwein). 34  Latte, RE XIV, 1, 1928, 393–395 (s. v. μάγειρος); Hans Dohm, Mageiros: die Rol­le des Kochs in der griechisch-römischen Komödie, München 1964, 2 ff.

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seiner Hand hatte, scheint also eines der Op­fermesser35 zu sein. Das Testa­ mentum porcelli zeigt auch einen Aspekt der Opfer­parodie.36 b)  Saturnalia und Schwein: Welche Festtage können wir von dem Testa­ men­tum porcelli ablesen? Nach der neueren, herrschenden Meinung errich­ tete Corocotta sein Testament sub die XVI kal. lucerninas (Z. 9 u. 30), d. h. am 17. Dezember, dem ersten Tag der Saturnalia.37 Martialis dichtete in seinen Epi­grammata, dass ein Schwein während des Saturnalienfestes ge­ schlachtet wur­de38 und dass Wurst aus Schweinefleisch eines der Saturnalien­ geschenke war.39 Um das Saturnalienfest musste der Bedarf von Schweine­ fleisch im rö­mi­schen Reich zunehmen, und mussten mehr Schweine als im Alltag ge­schlach­tet wer­den. Die Situation, dass ein Schwein, das vor seinem Schlachter zu flüchten suchte, von diesem ergriffen wurde, scheint in diese Jahreszeit zu passen. Rö­mer machten ihren Familien und Freun­den gegen­ seitig Sa­turna­lien­geschen­ke.40 Dies wird dadurch parodiert, dass Corocotta seine Körper­ teile an einzelne Men­ schengrup­ pen gibt (Z. 16–19).41 Der Ausdruck isiciariis fe­mo­ra (Z. 18) passt auf die oben genannte Überliefe­ rung Martials.42 c)  Hochzeit und Schwein: Die Hochzeit ist meines Erachtens der andere Fest­tag, der im Testamentum porcelli angedeutet ist. Im zweiten Teil sind die fol­genden Sachverhalte dargestellt: Obwohl die Hochzeit,43 votum, der 35  Iuv. 12, 84: ite igitur, pueri, linguis animisque faventes  /   sertaque delubris et farra inponite cultris  /   ac mollis ornate facos glaebamque virentem. Vgl. Phillips (o. Fn. 32) 1247–1248. 36  D’Ors (o. Fn. 3) 80. 37  Italo Mariotti, Kalendae Lucerninae, Rivista di cultura classica e medioevale 20 (1978) 1021–1025. Vgl. auch Mocci (o. Fn. 3) 4–8; Champlin (o. Fn. 20) 176; Siegmar Döpp, Saturnalien und la­tei­nische Literatur, in: ders. (Hg.), Karnevaleske Phänomene in antiken und nachantiken Kul­turen und Literaturen, Trier 1993, 149– 150; Schmidt (o. Fn. 1) 257; Jerzy Lin­derski, Finis Porcelli, Rivista di cultura clas­ sica e medioevale 39 (1997) 105–107. 38  Mart. 14,71 (70): Porcus.   /   Iste tibi faciet bona Saturnalia porcus,  /   Inter spu­man­tes ilice pastus apros. Vgl. Linderski (o. Fn. 37) 1054. 39  Mart. 14,72: Botulus.   /   Qui venit botulus mediae tibi tempore brumae,  /   Saturni sep­tem venerat ante dies. 40  Nilsson, RE IIA, 1, 1921, 204–205 (s. v. Saturnalia); Götz Distelrath, DNP 11, 1996, 114 (s. v. Saturnalia). 41  Die Zuwendungen durch dabo donabo (Z. 16–19) haben eine gemeinsame Natur, nämlich dass Corocotta jedem das gibt, was jedem Bedachten fehlt. Diese gilt aber nicht für pueris vesicam (Z. 18). Nach einer neuen, überzeugenden Ansicht deutet pueris vesicam die karnevalistische Natur des Saturnalienfestes an. Vgl. Mocci (o. Fn. 3) 66. Diese Ansicht passt auch auf die Natur des Testamentum porcelli. Vgl. unten IV 6. 42  Vgl. oben Fn. 39. 43  Zur Belegstelle vgl. Apul. Flor. 4: … togam quoque parari et voto et funeri, … Vgl. Bott (Fn. 3) 34; Mocci (Fn. 3) 60. Heumann / Seckel, Handlexikon zu den



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Schwes­ter Quirina binnen kurzem stattfindet, kann Corocotta daran nicht mehr teilnehmen (Z. 15); nur der letzte von sieben Zeugen hat einen Na­men in Zu­sammen­hang mit der Ehe: Nuptialicus (Z. 29);44 sobald dieser un­ter­ zeich­net hat, endet die Geschichte des Testamentum porcelli mit dem Ruf: feliciter (Z. 31), was die Hochzeitsteilneh­mer nach der Eheschließung dem neuen Ehepaar zurufen.45 Daher können wir annehmen, dass das Testa­ mentum por­celli in sehr engen Bezie­ hungen mit einer Hochzeit steht46, dass Corocotta bei der Hochzeit der Quirina als Opfertier den Göttern ge­ opfert wird47 und dass sein Fleisch endlich von Magirus mit guten Gewür­ zen (Nuss­kernen, Pfef­fer und Honig) gebraten (Z. 25–26) und als Hoch­ zeitsmahl von den Teilneh­mern ver­speist wird.48 3.  Es handelt sich also um die Beziehungen zwischen den oben genann­ ten drei Kontexten und den Darstellungen des ersten Teils des Testamentum por­celli. Quellen des römischen Rechts, Jena 19079, 633 weist auf einige Belege von vota (Pl.) hin. 44  Lardio: abgeleitet von lardum (= Speck). Vgl. Bott (o. Fn. 3) 48; Baldwin (o. Fn. 4) 50. Ofellicus: abgeleitet von ofella (= ein Bissen Fleisch). Iuv. 11,144; Mart. 12,48,17; Apic. 7,4. Vgl. Haupt (o. Fn. 3) 8 [= Opuscula 182]; Bott (o. Fn. 3) 48. Cy­ minatus: cyminatus (= mit Kümmel gewürzt). Vgl. Bott (o. Fn. 3) 48. Lucanicus: Lu­ ca­nicae (= Lukanerwürste). Apic. 2,4; Varro ling. 5,111. Vgl. Bott (o. Fn. 3) 48; Mocci (o. Fn. 3) 77. Tergillus: tergilla (= Schwarte). Apic. 4,3,4. Vgl. Haupt (o. Fn. 3) 9 [= Opus­cula 182]; Mocci (o. Fn. 3) 77. Celsinus: abgeleitet von porcellum Celsinia­ num, das der Titelname von Apic. 8,7,12 ist. Vgl. Bott (o. Fn. 3) 49; Mocci (o. Fn. 3) 77. Zur lateini­schen Textnummer von Apicius vgl. Mary Ella Milham (ed.), Apicii de­ cem libri qui dicuntur de re coquinaria et excerpta a vinidario conscripta, Leipzig 1969. Dagegen leitet sich nur Nuptialicus von nuptialis (= hochzeitlich) ab. Vgl. auch un­ ten Fn. 46. Inschriftliche Belege von Nuptialica als Personennamen in Africa Procon­sularis: CIL VIII 12400: Papiria Nuptialica und CIL VIII 24037: Voltia Nuptialica. 45  Iuv. 2,119–120: signatae tabulae, dictum ‚feliciter‘, ingens / cena sedet, gremio ia­cuit nova nupta mariti. Vgl. Marquardt / Mau (o. Fn. 31) 52; Renate Oswald, DNP, 5, 1996, 655 (s. v. Hochzeitsbräuche und -ritual); The Oxford Classical Dictionary, 19963, 928 (s. v. marriage ceremonies). 46  Daube (o. Fn. 5) 813 wies auf den Zusammenhang zwischen Nuptialicus und Hoch­zeit­kuchen mustaceus hin, der aus einer großen Menge Schmalz besteht. Vgl. Orth (o. Fn. 31) 809; Orth, RE XI, 2 (1922) 2092 (s. v. Kuchen). Es ist aber meines Erachtens nicht wichtig, dass der Stoff des mustaceus sich auf das Schwein bezieht, sondern dass der letzte Zeuge Nuptialicus in Verbindung mit dem Wort feliciter die Hochzeit andeu­tet, die eine der Bühnenausstattungen der Geschichte des Testamentum porcelli bildet. 47  Varro rust. 2,4,9–10: … nuptiarum initio antiqui reges ac sublimes viri in Etruria in coniunctione nuptiali nova nupta et novus maritus primum porcum inmolant. prisci quoque Latini, etiam Graeci in Italia idem factitasse videntur. … Vgl. Marquardt / Mau (o. Fn. 31) 52; Oswald (o.Fn. 45) 655. 48  Bott (o.Fn. 3) 34. Vgl. D’Ors (o. Fn. 3) 75; D’Ors (o. Fn. 5) 225.

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Im ersten Teil entfaltet sich der Dialog zwischen Magirus und Corocotta. Sie sind von Standpunkt eines Drit­ten aus durch dreimalige Wiederholungen von dixit (Z. 4, 5 u. 7) protokolliert worden;49 das Datum ist mit den Na­ men der Kon­ suln (Z. 10) angegeben. Diese Eigenschaften kommen aus folgenden Grün­den aus dem prozessprotokol­larischen Stil50 her:51 Die An­ rufung des Ma­gi­rus durch Corocotta: domine coce (Z. 6), zeigt, dass Magi­ rus in irgend­einem Sinn ein Gewalthaber von Corocotta ist. Die Entschei­ dung von Magi­rus, Coro­cotta zu schlachten (Z. 8), begründet sich aus der Anrufung des Co­ro­cotta durch Magi­rus: eversor domi, solivertiator, fugitive porcelle (Z. 4–5). Die Flucht musste ein schwerer wiegender Grund als die Zerstörung des Hau­ses sein, weil die Tatsache der Flucht mit dem Vokativ fugitive wiederholt wird. Vom Aus­druck fugitive porcelle (Z. 4–5) kann man sehr leicht eine As­so­zia­tion zu servus fugitivus haben.52 Auf Grund der oben genannten Interpretationen können wir die folgende Hy­po­these aufstellen: Corocotta war ein Sklave von Magirus. Er flüchtete vor Magirus und zerstörte dabei ein Haus, das Magirus gehörte. Aber er wur­ de alsbald von Magirus ergriffen. Der Herr hatte das ius vitae necisque über Skla­ven53 und es war ihm gestattet, einen servus fugitivus selbst zu töten.54 Magi­rus klagte Corocotta im Hausgericht55 (iudicium domesticum) wegen der Skla­ven­flucht an. Obwohl dieser um sein Leben bat, traf Magirus ihm gegen­über die Entscheidung zur Todesstrafe. Die cibaria (Z. 12), die Coro­ cotta testa­menta­risch verteilte, sind das, was dieser als monatli­che Getreide­ ration56 oder als Gegenleistung für die Arbeitsleistung eines Sklaven57 emp­ 49  Theodor Mommsen, Römisches Strafrecht, Leipzig 1899, 517. Wiederholung von dixit ist auch in Digesten belegt: D. 26,8,21 Scaev. 26 dig. 50  Zur Prozessprotokollierung vgl. Mommsen (o. Fn. 49) 512–520; Artur Steinwenter, Beiträge zum öffentlichen Urkundenwesen der Römer, Graz 1915, 5 ff.; Leopold Wen­ger, Institutionen des Römischen Zivilprozessrechts, München 1925, 290–291 u. 29063. Zu einem Beispiel des Protokolls der Gerichtsverhandlungen vgl. die Inschrift von Dmeir in Syrien (SEG XVII Nr. 759, 216 n. Chr.), Protokoll einer cognitio Caracallas. Hierzu neuerdings: Veronika Wankerl, Appello ad principem, München 2009, 203–226. 51  Schmidt (o. Fn. 1) 257. 52  Vgl. Mocci (Fn. 3) 45. 53  Gai. Inst. 1, 52.: … dominis in seruos uitae necisque potestatem esse … 54  Mommsen (o. Fn. 49) 17; Heinz Bellen, Studien zur Sklavenflucht im römi­ schen Kaiserreich, Wiesbaden 1971, 17; Georg Klingenberg, Servus Fugitivus, CRRS X-6, Stuttgart 2005, 8. 55  Mommsen (o. Fn. 49) 17–18; Gunter Wesener, RE Suppl. IX, 1962, 373–374 (s. v. iudicium domesticum). 56  Fiebiger, RE III, 2, 1899, 2535 (s. v. cibaria). 57  Alfons Bürge, Cibaria, Indiz für die soziale Stellung des römischen Arbeitneh­ mers?, in: Festschrift für Wolfgang Waldstein, Stuttgart 1993, 63 ff. Vgl. CIL VIII 22661.



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fing. Die tria no­mina von M. Grunnius Corocotta58 (Z. 2) hindern meine oben genannte Ausle­gung nicht, weil jeder Personenname im Testamentum porcelli sehr scherzhaft ist. 4. a) Die Tatsache, dass Corocotta am ersten Tag des Saturnalienfestes tes­tierte, ist von Bedeutung, wenn man ihn als Metapher für einen Skla­ven anse­ hen. Denn eine der Eigentümlichkeiten der Saturnalia ist die allge­ meine Gleich­heit zwischen Herren und Sklaven, wie wenn diese während des Festes frei­gelassen wären. Das soziale Verhältnis wurde umge­kehrt, so dass z. B. die Her­ren ihren Sklaven aufwarteten.59 Aus dieser Sicht gestat­ tete der Herr Magi­rus dem Sklaven Corocotta aus Anlass des Festes außer­ ordent­licherweise, über sein peculium zu testieren. Ein Sklave kann zwar grundsätz­lich nicht testie­ren;60 Plinius der Jüngere überliefert aber in sei­ nen Epistulae einen Fall, in welchem er seinen Sklaven testieren ließ. Plin. epist. 8,16,1–3 [1] Confecerunt me infirmitates meorum, mortes etiam, et quidem iuvenum. Solacia duo nequaquam paria tanto dolori, solacia tamen: unum facilitas manumittendi (vi­ deor enim non omnino immatu­ros per­didisse, quos iam liberos per­di­ di), alterum quod permitto ser­ vis quoque quasi testamenta facere, eaque ut legitima custo­ dio. [2] Mandant rogantque quod visum; pareo ut iussus. Dividunt donant re­linquunt, dumtaxat intra do­mum; nam servis res publica quae­dam et quasi civitas domus est. [3] Sed quamquam his solaciis acquies­ cam, debilitor et frangor eadem illa humanitate, quae me ut hoc ipsum permitterem induxit. …61

[1] Krankheiten, sogar Tode meiner (Skla­ ven), und zwar meiner jungen, haben mich erschöpft. Zwei Tröstungen habe ich, die dem Schmerz zwar nicht ebenbürtig, aber immer­ hin Tröstungen sind: zum einen las­se ich sie leicht frei (denn ich meine, die­ jeni­ gen gar nicht vor der Zeit verloren zu ha­ben, die ich als schon Freigelassene ver­loren habe), zum anderen gestatte ich auch meinen Sklaven, eine Art von Testa­ment (quasi testamenta) zu errichten, und ich schütze dieses, als ob es rechtmäßig wäre. [2] Sklaven geben mir Auf­ träge und bit­ten mich um das, was ihnen gut scheint; ich nehme es, als ob es mir be­fohlen wäre. Sie verteilen, schenken und hin­ ter­ lassen, aller­dings nur in mei­nem Haus, weil das Haus für Sklaven ge­ wis­ sermaßen ein Staat und eine Art von Ge­ meinde ist. [3] Obwohl ich mich bei die­sem Trost beruhige, macht mich diese selbe Menschenfreundlich­ keit, die mich dazu gebracht hat, das zu ge­ statten, schwach und entkräftet. …

58  Grunnius leitet sich von grunnio (= grunzen) ab. Vgl. Bott (Fn. 3) 20; Mocci (Fn. 3) 34–35. Corocotta ist für ein hyänenartiges Tier in Äthi­opien (Plin. nat. 8,72; 8,107) und als Name eines iberischen Banditen (Dio Cass. 56,43,3) usw. be­legt. Vgl. Bott (Fn. 3) 20–22; Mocci (Fn. 3) 34–37; Graham Anderson, The Cogno­men of M. Grunnius Corocotta: A Dissertatiuncula on Roast Pig, American Journal of Phi­lology 101 (1980) 57–58. Aus Africa Proconsularis findet sich ein Grab­stein als inschrift­ licher Beleg von Corocotta, AE 1996, 1708: D(is) M(anibus) s(acrum) Ma­racutzilus Coro­cotta p(ius) v(ixit) a(nnos) V m(enses) V d(ies) II h(ic) s(itus) e(st). 59  Nilsson (Fn. 40) 205; Distelrath (Fn. 40) 114. 60  Kaser, RPR I 682; II 485.

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Im Jahr 107 n. Chr. teilte Plinius der Jüngere in seinem Brief an Paternus mit,62 dass er seinen kranken, jungen Sklaven gestattete, quasi testa­menta zu errichten, und dass er diese nach dem Tod des Sklaven schützte. Plinius be­zeichnete meines Erachtens das, was seine Sklaven hier taten, nicht als testa­menta, sondern als quasi testamenta, und zwar aus dem Grunde, weil diese nicht nur rechtlich unwirksam, sondern auch faktisch nicht nach Testa­ ments­form gemacht wurden. Der Inhalt der quasi testamenta, d. h. mandant rogant­que und dividunt donant relinquunt, ist nicht terminologisch, sondern um­gangs­sprachlich und auch unklar. Nach einer Untersuchung sind mandare und ro­gare als Anordnungen der Bestattung oder der Grabmalserrichtung und di­videre, donare und relinquere als die der Erbeinsetzung und der ver­ schiede­nen Le­gatstypen anzusehen.63 Danach passen die einzelnen Klau­seln der quasi testamenta meist zu denen des regulären testamentum. Jedoch unter­schie­den die quasi testamenta sich wenigstens in folgenden drei Aspek­ ten we­sent­lich vom testamentum. 61

(a) Die quasi testamenta waren von Anfang an unwirksam. Sie wurden von dem Herrn nur faktisch geschützt. (b) Der Herr selbst konnte daher durchaus entscheiden, wie er die quasi te­stamenta behandeln wollte. Er konnte sie völlig oder teilweise ignorieren oder erfüllen. Auch wenn sie Erbeinsetzungen enthielten,64 brauchte er den Ein­ge­setz­ten das peculium des Sklaven nicht herauszugeben, geschwei­ ge denn zu gestat­ten, es zu verteilen. Er konnte nämlich selbst nach seinem Belieben ein­zelne Sa­chen, die zum peculium gehörten, verteilen, und zwar nur dann, wenn er es wollte. Plinius erfüllte nur wegen der ihm eigenen humanitas die quasi testa­menta seiner Skla­ven. (g) Insbesondere wollen wir die Aufmerksamkeit darauf richten, dass der kranke Sklave bei seiner Testierung schon dem Tod nahe war. Dies lässt ver­muten, dass die quasi testamenta nicht so förmlich wie ein Manzipa­ tions­testa­ment errichtet wurden, sondern dass sie sogar nur kleine Notizen waren, die er auf seinem Sterbebett selbst – sine iuris consulto – geschrie­ ben haben könnte. Aus dieser Sicht könnte ihr Inhalt so einfach und so 61  R. A. B. Mynors, C. Plini Caecili Secundi, Epistularum Libri Decem, Oxford 1963, 245. 62  A. N. Sherwin-White, The Letters of Pliny, Oxford 1966, 466–467. 63  J. W. Tellegen, The roman law of succession in the letters of Pliny the Younger I, Zutphen 1982, 147 u. 14714 u.15. 64  Die Lex collegii funeraticii Lanuvini hatte eine Klausel für den Fall, dass ein Sklave in seinem „Testament“ seinen Herrn als Erben einsetzte (FIRA III, Nr. 35, pag. II, Z. 1–2): neque d[o]minae neque creditori ex hoc collegio ulla petitio esto, nisi si quis testa­mento heres nomina[tu]s erit. Zur Beziehung zwischen dieser Vor­ schrift und Plin. epist. 8,16 vgl. Theodor Mommsen, De collegiis et sodaliciis Ro­ manorum, Kiel 1843, 10218; Tellegen (o. Fn. 63) 147–150.



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emotional gewe­ sen sein wie eine kleine Verteilung seines peculium als Andenken an seine Familie und seine Freunde. b) Wir können zwar den Inhalt des Testaments des Corocotta nicht genau mit dem der quasi testamenta in der Pliniusstelle vergleichen. Die beiden Tes­ta­mente passen aber zueinander in den Punkten, dass ein Sklave, der dem Tod nahe ist, mit Erlaubnis des Herrn testiert und dass das Testament unwirk­sam ist. Ferner scheint mir der Inhalt des Testamentes des Corocotta über­haupt ein­fach, schlicht und frei­gebig zu sein, denn seine testamentari­ schen Zuwen­dungen zugunsten seiner Familie – dreimaliges do lego dari (Z. 13–16) an verschie­dene Personengruppen: dabo donabo (Z. 16–19), und an seinen Herrn: le­gato dimitto (Z. 20–21) – sind zwar zahlreich, aber es wird keine kom­pli­zier­te Bedingung beigefügt. Daraus kann man nicht able­ sen, dass Co­rocotta be­sondere Ränke schmiedete, während sein Groll gegen Magirus: nec nominan­do coco (Z. 20), deutlich ist. Die Anord­nungen der Grab­mals­errichtung (Z. 21–24) und der Be­stattung (Z. 24–26) scheinen auf die quasi te­stamenta zu passen.65 Magirus könnte ohne große Mühe die Bitten von Coro­cotta erfüllen, soweit er es wollte. Wir können die Inhalte beider Testa­mente im Wesenlichen ähnlich verstehen. c) Die quasi testamenta wurden vermutlich von Sklaven selbst – ohne Mit­wir­kung eines Testamentsschreibers – geschrie­ben (vgl. oben IV. 4. a) g)). Dage­ gen ist dem Testament von Corocotta eigentümlich, dass der Tes­ ta­ ments­ schrei­ ber an der Errichtung der Testamentsurkunde mitwirkte: scribendum dictavi66 (Z. 3). Das Testament, das im zweitem Teil dargestellt wird, ist trotz der Worte qui ait (Z. 12) kein Protokoll einer mündli­chen Äuße­rung von Co­rocotta, son­dern stellt das dar, was der Testamentsschrei­ ber zu Testa­ments­for­meln ver­arbeitet hat. Daher ist es überhaupt nach rö­ mischem Testa­ments­recht und römi­scher Testa­mentspraxis errichtet. Warum wurde es trotz seiner eigent­li­chen Unwirksamkeit nach dem Testamentsfor­ mular ge­schrieben? Da das Skla­ven­testament nicht beispiellos in der klassi­ schen Peri­ode war,67 muss es in der römi­schen Gesell­schaft in irgend­einem Sinn nütz­lich gewesen sein. Wenn die Römer ein so ge­nanntes testa­mentum für eine Art von formeller Ur­kunde hiel­ten, müsste jeder Tes­tator – sei es römischer Bür­ger, sei es Sklave – versu­chen, das Testaments­formular ein­ zuhalten. Vielleicht könn­ ten sie auf den Tes­ taments­ formalismus vertraut haben, um über Sachen nach ihrer Tode zu verfü­gen. Durch den Ge­brauch der Testamentsformel dürfte der Sklave seinem Herrn seine Ansicht in prak­ tischer Weise mit­geteilt haben können. Der Herr hätte vielleicht ein Skla­ 65  Vgl. oben IV. 4. a). Das Sklaventestament in der Lex collegii funeraticii Lanuvini (o. Fn. 64) betrifft die Bestattung des Sklaven. 66  Vgl. auch unten V. 2. b). 67  Vgl. oben. Fn. 64. Vgl. Tellegen (o. Fn. 63) 147.

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ven­testament mit sieben Zeugen nicht voll­kom­men totschwei­gen können. In diesen Zusammenhang gehört meines Erachtens die Hin­ zu­ zie­ hung des Testa­mentsschreibers. 5. Corocotta, der 6 Monate alt war,68 hatte wahrscheinlich auf Grund sei­ ner Ge­ burt von einer Sklavin Veturina Sklavenstatus.69 Aus demselbem Grund wird seine Schwester Quirina70 auch eine Sklavin gewesen sein. Skla­ vinnen und Skla­ven konnten weder untereinander noch mit Freien eine recht­ lich an­erkannte Ehe schließen.71 Sie bildete aber in ihrem täglichen Leben eine fakti­sche, dau­ernde Ehegemeinschaft (contubernium).72 Sie schlossen die Ehe durch Hochzeits­ fei­ ern in Anwesenheit ihres Herrn und seiner Familienmit­glie­der.73 Dann können wir anneh­men, dass ein Opfertier – be­ sonders das Schwein – auch bei der Hochzeit der Sklaven den Göttern geop­ fert und danach als Hochzeits­mahl von Teilneh­mern verspeist wurde. Diese Vermutung passt zum Schicksal des Corocotta (vgl. oben IV. 2. c)). Bekanntlich wurden Sklavinnen von ihren Herren ausgenutzt, um Skla­ ven­nach­kommen zu reproduzieren und den Herrn sexuell zu befriedigen.74 Die Hochzeit einer Sklavin und ihres Mannes, an der ihr Herr teilnimmt, mag viel­ leicht die Befreiung von sexuellen Einschränkungen durch den Herrn bedeu­ten. 68  Der inschriftliche Wortlaut, den Corocotta wollte: … Corocotta porcellus vixit an­nis DCCCC · XC · VIIII · S ·  quod si semis vixisset, mille annos implesset (Z. 22– 24), ist ein Scherz, da Corocotta ein sechs Monate altes Ferkel war. Er konnte deswegen sei­nen Penis zugunsten Magirus vermachen (Z. 20, vgl. unten Fn. 98) weil er noch nicht kas­triert war. Das passt zu der Überlieferung von Varro rust. 2,4,21: Castrantur verres commodissime anniculi, utique ne minores quam semestres … Vgl. Schneider (o. Fn. 33) 293. 69  Wolfgang Kunkel / Heinrich Honsel, Römisches Recht, Berlin / Heidelberg / New York 19864, 38819. 70  Quirina leitet sich einerseits von coir…nh ab. Vgl. Haupt (o. Fn. 3) 7 [= Opus­ cula 180]; Anderson (o. Fn. 58) 58. Bott (o. Fn. 3) 33 wies andererseits auf eine andere Ab­leitungsmöglichkeit hin: quiritare oder quirritare (= Naturlaut des Ebers), Georges / Georges (o. Fn. 27) 2174 (s. v. quirito oder quirrito). Ist die letzte Ablei­ tung eine ob­szöne Anspielung? 71  UE 5,5: Cum servis nullum est conubium; PS 2,19,6: Inter servos et liberos matri­monium contrahi non potest, contubernium potest. 72  Kaser RPR I 284 u. 315. Belegstellen aus Rechtsquellen und Grabinschriften bei Kunkel / Honsell (o. Fn. 69) 38819. 73  Hier. epist. 107,11,1 (ad Laetam de institutione filiae): … non intersit nuptiis ser­vu­lorum nec familiae perstrepentis lusibus misceatur. Zum lateinischen Text vgl. Isi­dorus Hilberg (ed.), Sancti Eusebii Hieronymi Epistulae II, Corpus Scriptorum Eccle­siastico­rum Latinorum 55, Lipsiae 1912, 302. Vgl. Marquardt / Mau (o. Fn. 31) 176–177. 74  Vgl. Bettina Eva Stumpp, Prostitution in der römischen Antike, Berlin 19982, 24–25.



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6. a) Das Testamentum porcelli zeigt einerseits den Aspekt des Schweins als Haustier in der römischen Gesell­ schaft. Das Schwein wird zwar von Men­schen geschlachtet. Sein Tod verbindet aber sich mit dem Glücksgefühl der Römer, denn sie essen Schweinefleisch, um zu leben, und sie beten bei Festta­gen – hier beim Saturnalienfest und bei der Hochzeit – dadurch zu den Göttern um ihre Glücklichkeit und ihr Wohlergehen, und sie opfern, um aus dem Schwein wahr­zusa­gen und es als Fest­mahl zu essen. Mit dieser Sicht kann man die komi­schen und obszö­nen Elemente des Testamentum porcelli als sehr be­ deutungs­ voll ver­ stehen: Corocotta verteilt an viele Personen­gruppen einen Teil seines Kö­rpers (Z. 16–19), um diese zu ermu­ tigen und um ihnen Lebens­hoffnungen zu geben. Obszöne Scherze verbin­ den sich auch mit dem Gedei­hen der Nach­kom­men. b) Das Testamentum porcelli verwendet andererseits das Schwein als Meta­pher für einen Sklaven. Hinter der komi­schen Ferkelgeschichte werden die Le­bensumstände der Sklaven angedeutet: die Todesstrafe bei Sklaven­ flucht, die Gleich­heit zwi­schen Sklaven und ihren Herrn im Saturnalienfest, die Hoch­zeit der Sklaven und die Testamentserrich­tung durch einen Skla­ ven. Jedes Ele­ment (außer der Todes­strafe) gereicht den Sklaven zum Vor­ teil, weil es in je­dem Sinn Befreiung aus ihren alltäglichen Schmerzen und Bindungen be­trifft. Die Todes­strafe sollte mei­nes Erachtens nicht so betont werden, um das Haupt­thema des Testamentum porcelli zu verstehen, weil sie ihren Ursprung nur daraus hat, dass das Schwein ein Haustier ist und dass es auch nach dem Plan der erzählten Ge­schichte sterben muss. c) Das Ferkel Corocotta verlangt von Magirus seine Testamentserrichtung (Z. 11). Wenn es hierbei ohne Testa­mentsschreiber testieren würde, müsste sein Testament zu einem ganz zornigen, traurigen Brief an dem Herrn wer­ den. Wo­her stammt demgegenüber die Lustigkeit des Testamentum porcelli? Sie kommt meines Erachtens daraus, dass nicht nur ein Mensch, sondern sogar ein Haustier tes­tiert, und dass das schmerzliche, letzte Wort des Skla­ ven vom Testa­ ments­ schreiber in eine Testamentsformel gekleidet worden ist. In diesen Sinnen kann man das Testamentum porcelli als eine Parodie eines Testa­ ments und als eine Satire gegen Testamentsrecht, -praxis und -praktiker verstehen. V. 1.  Das Testament des Corocotta ist vom Schreiber in seiner Funktion als Testa­mentsschrei­ber im Wesentlichen nach römi­schem Testamentsrecht und römischer Testa­mentspraxis errichtet worden. Es kann deshalb ohne Weite­ res mit einem regulärem testamentum verglichen und juristi­ sch er­ örtert werden.

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2. Juristische Bemerkungen: a) … testamentum fecit (Z. 2): Der Wortlaut ist eine Formel, die nach der Tes­ta­mentspraxis gewöhnlich zu An­fang des Testaments geschrieben wur­ de.75 b) scribendum dictavi (Z. 3): Der Wortlaut zeigt ausdrücklich, das ein Tes­taments­schreiber (testamentarius) bei der Testamentserrich­ tung mitge­ wirkt hat.76 Daher ist das Testament trotz der Worte: qui ait (Z. 12), kein mündli­ches, sondern ein schrift­liches. Der Name des Testa­ments­schreibers wird nicht immer in der Testa­ mentsurkunde mitgeteilt.77 Das eigentlich unwirksame Sklaventesta­ ment muss zwar nicht von einem Testa­ ments­ schreiber errichtet werden, aber einen Testamentsschreiber hinzuzuziehen ist meines Erach­tens auch für ein Skla­ven­testament von Vorteil (vgl. oben IV. 4. c)). Der scherzhafte Begründungs­satz, warum ein Testamentsschreiber im Testamentum porcelli auftritt: quoniam manu mea scribere non potui (Z. 2–3), ist nicht eindeutig. Nach dem Kontext dieser komischen Geschich­ te kann das Ferkel Corocotta körperlich mit seinem Huf keinen Stift hal­ ten.78 Zugleich reflektiert der Satz die römische Realität, dass nicht alle Sklaven zu schreiben verstanden. Prak­ tisch dürfte es schwierig gewe­ sen sein, dass ein Sklave in seiner Todesstunde einen Testaments­schreiber her­ beirief. c) Fehlen der Erbeinsetzung (Z. 13): Bekanntlich muss das klassische Man­ zipationstestament eine Erbeinset­ zung enthalten.79 Das Fehlen der Erbeinset­zung übt aber keinen Einfluss auf die Wirkung des ohnehin un­ wirksa­men Skla­ventestaments aus. Vielmehr mag die Erbeinsetzung für die Verteilung des pe­culium durch den Herrn faktisch schädlich sein, abgesehen 75  Testamentum Antonii Silvani equitis [a. 142], FIRA III, Nr.  47, Z. 1–4; Testamen­tum C. Longini Castoris [a. 191 et 194], FIRA III, Nr. 50, Z. 3 (auf Grie­ chisch). Vgl. Mario Amelotti, Il testamento romano attraverso la prassi documentale I. Le forme clas­siche di testamento, Firenze 1966, 117. 76  D. 28,5,9,1 Ulp. 5 ad Sab: … sive ipse scripsit sive s c r i b e n ­d u m d i c t a v e ­ r i t ; D. 29,1,40 pr. Paul. 11 resp.: Lucius Titius miles notario suo testamentum s c r i ­ b e n ­d u m notis d i c t a v i t … 77  Z. B. Testamentum Antonii Silvani equitis, FIRA III, Nr. 47. Dagegen findet sich der Name des Testamentsschreibers im Testamentum P. Dasumii Tusci Nobilis viri [a. 108], FIRA III Nr. 48, Z. 123–124: [C]ampanus. Wolfgang Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen, Weimar 1952, 147–150. Vgl. Amelotti (o. Fn. 75) 115 u. 1153; Bott (o. Fn. 3) 24. 78  Bott (o. Fn. 3) 24. Zur testamenti factio desjenigen, der seine Hände verloren hat, vgl. D. 28,1,10 Paul. 3 sentent.: Qui manus amisit testamentum facere potest, quamvis scribere non possit. Vgl. Mocci (o. Fn. 3) 39. 79  Gai. Inst. 2, 229: … testamenta vim ex institutione heredis accipiunt, et ob id velut caput et fundamentum intellegitur totius testamenti heredis institutio.



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davon, dass ein Skla­ve stets seinen Herrn als Erben einsetzt.80 Der Testa­ ments­schrei­ber des Co­ro­cotta vermied meines Erachtens vernünftiger­weise, den über­flüssi­gen Wort­laut in die Urkunde zu schreiben. d) Testamentarische Zuwendung zugunsten des Vaters Verrinus Lardinus (Z. 13): Die Testierfähigkeit setzt grundsätzlich voraus, dass der Testator pa­ter familias ist; ein filiusfamilias kann nur über sein peculium castrense testie­ren.81 Wenn Verrinus Lardinus daher ein pater familias ist, muss man Coro­cotta für einen Soldaten halten, damit die­ser ein wirksa­mes Testament errich­ten kann.82 Das Ferkel ist aber nach meiner Ansicht als Metapher für einen Sklaven zu verstehen (vgl. oben IV. 3.), der keine Verwandten hat.83 Dabei brauchen wir seine Testierfähigkeit nicht zu diskutieren. e) do lego dari (Z. 13, 14 u. 15): Mit diesem Wortlaut wandte Corocotta drei­ mal in seinem Testament seine Nahrungsmittel den Eltern und der Schwes­ter zu. Wir finden einige ähnliche Belege, wenn einem Vindikationsle­ gat die For­mel des Damnationslegats oder des Fideikommisses beigefügt wird:84 D. 33,7,12,43 Ulp. 20 ad Sab. Sed et ipse Papinianus eodem libro responsorum ait patrem mer­ca­to­rem ac faeneratorem, qui duos filios to­ tidemque filias here­ des in­ stituerat, ita legasse: ‘Filiis mari­ bus domum meam instructam d o l e g o d a ­ ri­ que iubeo.’ …

Aber auch Papinian selbst sagt in demsel­ben Buch seiner Responsa: Ein Vater, Kauf­mann und Wucherer, der zwei Söhne und ebenso viele Töchter als Erben einge­setzt hatte, hat folgenden Vermächtnis aus­gesetzt: „Meinen Söhnen gebe und verma­ che ich mein möblier­ tes Haus und ich be­ fehle (meinen Erben), dass es ihnen ge­ge­ben wird.“ …

Der Vater vermachte seinen Söhnen, die zugleich im Testament als Erben einge­ setzt sind, sein möbliertes Haus als Prälegat. Der Wortlaut do lego dari­que iubeo kombiniert die Formel des Vindikationslegats: do lego,85 mit der des Damnationslegats: dari iubeo.86 80  Vgl. Lex collegii funeraticii Lanuvini, FIRA III, Nr. 35, pag. II, Z. 1–2 (o. Fn. 64). 81  UE 20, 10: Filius familiae testamentum facere non potest, quoniam nihil suum ha­bet, ut testari de eo possit. Sed divus Augustus [Marcus] constituit, ut filius familiae miles de eo peculio, quod in castris adquisivit, testamentum facere possit. 82  Daube (o. Fn. 5) 77. 83  Reinhard Willvonseder, Eheähnliche Verbindungen und verwandtschaftliche Be­ziehungen, CRRS IV-1, Stuttgart 2010, 2. 84  Pasquale Voci, Diritto ereditario romano 2, Milano 19632, 588–589; Amelotti (o. Fn. 75) 132; Kaser, RPR I 745. 85  Gai. Inst. 2,193: Per vindicationem hoc modo legamus: Titio verbi gratia Hominem Stichum d o l e g o …. 86  Voci (o. Fn. 84) 5882; Amelotti (o. Fn. 75) 1322. Der Beleg dari iubeo in D. 24,1,56 Scaev. 3 quaest. betrifft eine Schenkung zwischen einem Mann und sei­

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D. 34,4,30 pr. Scaev. 20 dig. Alumnae suae plura legaverat: quae­dam ex his abstulit, quaedam ut praestarentur, ab herede suo pe­tit, in quibus et viginti dari vo­luit his ver­ bis: ‘hoc amplius d o l e g o d a ­ r i q u e v o l o viginti auri libras’ …

Jemand hat seiner Pflegetochter mehrere Ver­mächtnisse ausgesetzt: Einige davon wi­ derrief er, bei anderen bat er seinen Er­ben, sie zu leis­ ten. Unter anderem ver­ lang­ te er mit folgenden Wortlaut, dass 20 gege­ ben wer­ den: „Darüber hinaus gebe und ver­ mache ich 20 Pfund Gold und will ich, dass sie gegeben werden.“ …

Der Wortlaut do lego darique volo ist die Kombination der Formel des Vin­dikationslegats und der des Fideikommisses, dari volo.87 Er ist auch in einer Inschrift (vom Jahre 163 n. Chr. aus Balcino) belegt: CIL II 4514 = ILS 6957 = IRC IV 45 L(ucius) CAECILIVS … / … OP­­TA­ TVS … / QVI R(ei) P(u­blicae) BARC(inonensium) ITA LE­G(a­vit) D O L E G O   /   D A ­R I Q ­ VE VO­ L O X (denariorum) VII D (septem milia quingen­tos) …88

Lucius Caecilius … Optatus …, der zu­guns­ ten der Stadt Balcino vermacht hat: „Ich gebe und vermache 7500 Denare, und will, dass sie gegeben werden …“.

Lucius Caecilius Optatus, der verschiedene Ämter nacheinan­der bekleide­ te, z. B. dreimal duo­vir, Stadtrat von Balcino, war, vermachte der Stadt Bal­ cino 7500 Denare mit dem Wortlaut: do lego darique volo. Die Kombinatio­nen von Formeln verschiedener Legatstypen gebrauchte man in der Testamentspraxis, um die endgültige Wirksamkeit des Legats zu si­ chern.89 Es ist erstaunlich, dass eine solche hochgradige Technik der Testamentserrich­tung sich auch in Balcino verbrei­tete. Durch den Gebrauch des kombinierten Wortlautes neigten aber Testa­ mentsprakti­ ker dazu, das Interesse für den Unterschied der ver­schie­denen Legatstypen zu verlieren.90 Wenn sie sogar die Absicht der Kom­bi­na­tionen verga­ßen, moch­ten sich do lego dari, d. h. nur ein Teil von do lego da­rique volo oder do lego darique iubeo wegen des Testa­ments­for­ma­lis­mus ver­brei­ten;91 so vielleicht auch beim Schreiber des Testamentum porcelli. 88

ner Frau. Die Formel­ kombination von Vindikationslegat und Damnationslegat do lego damnasque esto ist im Testamentum P. Dasumii, FIRA III Nr. 48, Z. 47–50 u. Z. 125 belegt. 87  D. 30,96 pr. Iul. 39 dig.; D. 31,43 pr. Pomp. 3 ad Quint. Muc.; D. 31,88,6 Scaev. 3 resp.; D. 32,11,5 Ulp. 2. fideicomm. Vgl. Voci (o. Fn. 84) 5883; Amelotti (o. Fn. 75) 1323. 88  Georges Fabre / Marc Mayer / Isabel Rodà (ed.), Inscriptions romaines de Catalo­gne, IV. Barcino, Paris 1997, pp. 114–117, Pl. XXII–XXVII. 89  Amelotti (o. Fn. 75) 132; Kaser, RPR I 745. 90  Vgl. Alvaro D’Ors, Epgrafía jurídica de la España Romana, Madrid 1953, 421.



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f) dabo donabo (Z. 16): Einen Beleg für eine ganz gleiche Form (1. Pers. Sing. Fut. I von dare donare) habe ich nicht entdecken können.92 Eine Verfü­gung mit doppeltem Gebrauch von dare und donare wird normaler­ weise als Schenkung be­handelt.93 Dabo donabo ist also als donatio mortis causa zu ver­stehen.94 Dies passt dazu, dass die Schenkung von Todes wegen im nachklas­sischen Recht dem Vermächtniss in vielen Zügen gleichgeordnet wird95 und dass die hier verfügten Zuwendungen eine Parodie eines Saturnalien­geschenks sind (vgl. oben IV 2 b). g) legato dimitto (Z. 20): Das Wort dimittere bedeutete schon in klassi­ schem Recht sicher „hinterlassen“.96 Es gibt einen Beleg für die Kombina­ tion von legare und dimittere in nachklassischen Rechtsquellen (aber mit Infinitiv Pas­siv): … res … per damnationem legato dimitti pos­sunt.97 Wegen der Neigung zur Ausgleichung der Legatstypen kann man nicht be­stim­men, unter welchen Le­ gatstyp die Verfügung legato dimitto fällt. Die Zu­ wen­ dungsgegenstände, d. h. popiam et pistillum (Z. 20), sind eine Metapher für den Penis,98 der in den Gegen­ständen von dabo donabo (Z. 16–19) nicht enthal­ten ist. h) volo mihi fieri monumentum (Z. 21–22): Viele Beispiele eines fidei­ commis­sum, welches eine Grabmalerrichtung vorschreibt, finden sich in 91

91  Natürlich bleibt noch die andere Möglichkeit, dass der Autor den grammatisch fal­schen Wortlaut als Scherz gebrauchte. 92  Zwei ähnliche Wortlaute finden sich in einer Papyrusurkunde und den Diges­ ten. Beides passt aber nicht auf dabo donabo im Testamentum porcelli. (a) P. Hamb. I 72 = Ch. L. A. IX 496, Z. 9–16: si quid ego … vi[v]us d e d i do­ na­ v i d e d e r [ o ] d o n a v e r [ o ] …, ratum esto ac si in hoc t[es]t[am]ento cau[tum] con­pre­hensumve esset. Das ist eine Testamentsklausel zur Konfirmierung eines Ko­dizills, das früher oder später als diese Testamentserrichtung geschrieben wird. Vgl. Paul M. Meyer, Römischrechtliche Papyrusurkunden der Hamburger Stadtbiblio­thek, Zeit­schrift für vergleichende Rechtswissenschaft, 35 (1918) 87–89. In der Tat ist es un­möglich, dass Corocotta noch ein Kodizill schreibt, weil er bald nach der Tes­ta­ments­errichtung ge­schlachtet werden wird. (b) D. 32,33,1 Scaev. 15 dig.: ‘Uxori meae quidquid vivus d e d i d o n a v i usibus­ ve eius comparavi, concedi volo.’ … Wenn der Schenker (Mann) vor der Beschenk­ ten (Frau) stirbt, kann er in seinem Testament die (nichtige) Schenkung unter Ehe­ gatten als fideicommissum konfirmieren. Vgl. Kaser, RPR I 332. 93  Vgl. oben Fn. 92. 94  D’Ors (o. Fn. 3) 81. 95  Kaser, PRP II 469. 96  Gai. Inst. 2, 195: … etiamsi ignoret sibi l e g a t u m esse d i m i s s u m , … Vgl. Bott (o. Fn. 3) 40. 97  GE 2,5,3. 98  Thesaurus Linguae Latinae, Bd. X, 1, Fasc. XVII, Sp. 2691–2692 (s. v. Po­ pia); eod. Fasc. XIV Sp. 2216 (s. v. pistillus, pistillum), Z. 39–42; J. N. Adams, The Latin sexual vocabulary, London 1982, 22 ff.; Bott (o. Fn. 3) 40–41. Daube hält den Aus­druck für eine Metapher für Waffen, Daube (o. Fn. 5) 80 u. 805.

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verschiede­nen Quellen.99 Ein Beleg für einen ähnlichen Wortlaut findet sich in den Di­ gesten.100 Der Wortlaut des Grab­ steins: vixit annis (Z. 23), ist inschrift­lich oft belegt.101 Der Herr Magirus trägt wahrschein­lich die Kosten für die Grab­mals­errichtung, weil Corocotta nichts anderes angeordnet hat. j) rogo vos ut … nuclei, piperis et mellis (Z. 24–26): Das ist eine Parodie einer Bestattung. Das fideicommissum der Bestattung ist auch in den Diges­ ten oft belegt.102 Der Koch Magirus musste es natürlich übernehmen. In der Tat be­auftragten die Armen, auch einschließlich von Sklaven, manchmal die col­legia funera­ticia für ihre Bestattung.103 k) Lardio signavit. … Nuptialicus signavit (Z. 28–29): Die sieben Zeugen sind wahrscheinlich auch Schweine.104 Siebenmaliges signavit (nicht „si­ gna­vi“) zeigen, dass diese Sätze tatsächlich nicht in der Testaments­urkunde ge­schrieben wurden, sondern dass sie zur erzählten Geschichte gehö­ren.105 Beim Man­zi­pa­tions­testament nach ius civile sind fünf Zeugen, ein libripens und ein familiae emptor erforderlich.106 Beim Testament von Coro­ cotta werden diese Personen gar nicht voneinander unterschieden, und es fehlt die Manzipations­klausel.107 In diesem Testament muss aber gar kein Manzi­pa­ tionsakt stattfin­ den. Es ist schwie­ rig festzustellen, nach welchem Recht dieses Sieben­zeugentes­ta­ment errichtet wurde. Auf Grund der Zeit der zwei Belege bei Hie­ronymus ist es einer­seits durchaus klar, dass das Testamen99  Codicilli filii familias cuiusdam [a. 175] FIRA III, Nr. 56, Z. 6–7: Peto ut monu­men­tum mihi facias dignum iuventuti meae. Bekanntlich gibt es ein Beispiel im Tes­ tament des Trimalchio, Petron. 71,5–12. Vgl. Bott (o. Fn. 3) 42; Mocci (o. Fn. 3) 70. 100  D. 35,1,27 Alfenus 5 dig.: … sed Publii Septimii Damae erat, ad quod exemplum sus­ picabatur eum qui testamentum fecerat m o n u m e n t u m s i b i f i e r i v o­l u i s s e , … Vgl. auch D. 10,2,18,2 Ulp. 19 ed.; D. 35,1,40,5 Iav. 2 ex post. Lab. 101  Z. B. CIL VI 11746: … V(ixit) A(nnis) XVII M(ensibus) II D(iebus) II. Vgl. Law­rence Keppie, Understanding Roman inscriptions, London 2001, 107. 102  D. 31,88,1 Scaev. 3 resp.: ‚A t e p e t o , Ti t i , f i d e i q u e t u a e c o m m ­ i t t­ o , u t i c u r a m c o n d e n d i c o r p o r i s m e i s u s c i p i a s , et pro hoc tot aureos e medio prae­cipito.‘ Ein Beispiel dafür, dass die Anordnung der Grab­mals­errichtung und der Be­stattung zugleich in einem Testament stattfand, ist auch D. 34,4,30,2 Scaev. 20 dig. 103  Vgl. Lex collegii funeraticii Lanuvini FIRA III, Nr. 35, pag. II, Z. 1–2 (o. Fn. 64). 104  Zur Bedeutungen jedes Namens vgl. Fn. 44. 105  Vgl. Testamentum Antonii Silvani, FIRA III, Nr. 47, pag. 8: Nemonius … si­gna­vi. 106  Gai. Inst. 2,104: Eaque res ita agitur: qui facit testamentum, adhibitis, sicut in ce­te­ris mancipationibus, V testibus civibus Romanis puberibus et libripende, postquam ta­bu­las testamenti scripserit, mancipat alicui dicis gratia familiam suam. … 107  Z.  B. Testamentum Antonii Silvani, FIRA III, Nr. 47, Z. 38–39: Familiam pe­ cu­ niam­ que t(estamenti) f(aciendi) c(ausa) e(mit). Vgl. auch P. Hamb. I 72 = Ch. L. A. IX 496, Z. 18–19.



Testamentum porcelli: Ein von Sklaven errichtetes Testament?

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tum porcelli jeden­falls vor dem Jahr 439 entstand, in welchem Jahr Kaiser The­odosius II. eine wichtige Konstitution erließ, die die ordent­liche Testa­ mentsform auf das Sie­ ben­ zeugentestament be­ schränkte.108 Wahrschein­lich wurde das Testament von Corocotta nach der Konstitution des Kaisers Constantinus109 in der erste Hälfte des 4. Jahrhunderts errichtet. Wenn die „Sklaventesta­mentspraxis“ sich aber unter den Testaments­praktikern ausge­ breitet haben sollte, hätte die Kon­sti­tu­tion nur einen mittelba­ren Einfluss auf das Testament des Corocotta ge­habt. VI. Das Testament von Corocotta war von Daube für ein Soldatentestament ge­hal­ten worden. Dagegen sehen wir es als ein von einem Sklaven errich­ tetes Testament an, der dem Tod nahe war. Den ersten Teil des Testamentum por­celli verstehen wir als die Parodie des Prozessprotokolls darüber, dass einem servus fugitivus im Hauszuchtverfahren durch seinen Herrn die To­ desstrafe auferlegt wurde. Das Sklaventestament ist rechtlich unwirksam. Das peculium des Skla­ven gehört seinem Herrn, so dass der Sklave eigent­ lich nicht darüber verfügen kann. Trotzdem überliefert Plinius der Jüngere den Fall, dass er sei­nem kran­ken, sterbenden Sklaven gestattete zu testieren, und dass er die quasi testamenta seiner Sklaven erfüllte (Plin. epist. 8,16,1– 3). Faktisch schützte er rechtlich unwirksame quasi testa­menta. Das Testament des Corocotta folgte hauptsächlich dem römischen Recht. Ju­risten interessieren sich für die Mitwirkung des Testamentsschreibers an sei­ner Errichtung. Wenn Sklaven in der Tat testierten, mussten Testaments­ schrei­ber dabei irgendeine Rolle spielen. Das Testament von Coro­cotta kön­ nen wir des­ halb als ein Beispiel der Testamentspraxis aus der Mitte des 4. Jahr­hunderts verstehen, und es deutet zugleich auch eine Mög­lichkeit der „Skla­ventesta­mentspraxis“ an. Das letzte Wort, das Corocotta zu seinem Testamentsschreiber mündlich sprach, erhält dadurch seine große Komik, dass Corocotta es in die Schab­ lone der Testa­mentsformel setzt. In diesem Sinn müssen wir das Testamentum por­celli auch als eine Testamentsparodie, d. h. eine Satire gegen die Testaments­technik ansehen. 108  Nov. Theod. 16 = C. 6,23,21 Impp. Theod. et Valent. [a. 439]. Kaser, RPR II 479 und 47918. 109  Euseb. Vita Const. 4,26,5–6. Dazu vgl. C. 6,23,15 Imp. Const. [a. 320? 326? 339?]: Quoniam indignum est ob inanem observationem irritas fieri tabulas et iudicia mortuorum, placuit ademptis his, quorum imaginarius usus est, institutioni heredis ver­borum non esse necessariam observantiam, utrum imperatiuis et directis uerbis fiat an inflexa.

Zum Schadensersatzanspruch bei der Lex Aquilia anhand von D. 9,2,54 und 55 und eine Bemer­kung zu D. 9,2,56 Von Boudewijn Sirks 1. Das Thema dieser Tagung ist die Exegese und ihre Schwierigkeiten, und dies zurecht: Die Exe­gese ist immer noch der Kern unserer Arbeit und, wie Gadamer sagt, der Kern des Verstehens. Das Problem stellt sich bei der Text­überlieferung, beim Autor, bei der Sprache, beim Hintergrund des Tex­ tes und beim Text selbst: Genre und Aufbau. So auch bei den Kommentaren zum Edikt und zu Sabinus, die oft wie Texte aussehen, die in der Vorlesung erklärt werden müssen, wie das später bei den Byzantinern wieder geschah. Das wür­de erklä­ren, warum diese Texte oft so knapp und kryptisch sind. Zwei solche Texte sind D. 9,2,54 und 55, die hier besprochen werden; es folgt dann noch eine Bemer­kung zu D. 9,2,56. 2.  D. 9,2,54 handelt von einem Gläubiger, der das Tier, das ihm förmlich ver­sprochen ist, verwun­det oder tötet. Es wird unterschieden, ob dies vor oder nach Schuldnerverzug geschieht. 12

D. 9,2,54 Pap. 37 quaest. Legis Aquiliae debitori competit actio, cum reus sti­pulandi ante mo­ ram promissum animal vul­ ne­ ravit: idem est et si occiderit ani­ mal. Quod si post moram pro­mis­soris qui stipulatus fuerat oc­cidit, debi­tor qui­ dem liberatur, le­ ge autem Aquilia hoc casu non recte expe­rietur: nam creditor ipse sibi potius quam alii iniuriam fe­cisse videtur.

Die Klage nach der Lex Aquilia [Kapitel 3] steht noch dem Schuldner zu, wenn der Sti­ pulations­gläu­biger das versprochene Tier1 vor Schuldner­verzug verletzt hat; eben­so ist es auch, wenn er das Tier ge­tötet hat. Hat aber derjenige, der sich das Tier ver­spre­chen ließ, es nach Schuld­ ner­ verzug getötet, so wird der Schuldner zwar [von der Ver­ bindlichkeit] frei, nach der Lex Aquilia hingegen kann er in die­ sem Fall nicht zu Recht klagen. Denn wir neh­men an, dass der Gläubiger eher sich selbst als dem anderen einen rechtswidri­gen Scha­den zugefügt hat.2

1  Der Text lässt offensichtlich offen, ob es sich hier um einen quadrupes oder nicht handelt. Theoretisch sollte das einen Unterschied machen, weil im ersten Fall das erste Ka­pitel der Lex Aquilia zutrifft, sonst das dritte. Das Problem des Textes wird aber hiervon nicht berührt. 2  Das Corpus Iuris Civilis. Text und Übersetzung, ed. O. Behrends u. A., Heidel­ berg 1999, II: Digesten 11–20, hat: „Denn der Gläubiger hat erkennbar eher sich

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Die Crux ist der Satz nam creditor ipse sibi potius quam alii iniuriam fe­cis­se videtur. Wie kann vom Gläubiger angenommen werden, dass er sich selbst iniuria zugefügt habe? Was die Glosse be­trifft, so verweist sie bei D. 9,2,54 (zu sibi potius) auf D. 14,2,4,2 in fine und D. 24,3,18,1. Diese Hin­weise leuch­ten nicht ein. Das Ende von D. 14,2,4,2 lautet: nam sicut ei qui perdide­rit subvenitur, ita et ei subveniri oportet, qui deteriores propter iactum res ha­bere coeperit. Vielleicht meinte die Glosse, dass hier ebenso die Sache we­niger wert geworden war. Auch bei D. 24,3,18,1, wo es heißt, dass der Ehe­ mann, der ein Dotalgut vernichtet hat und insolvent wurde, trotzdem zum Scha­densersatz ver­pflichtet ist, ist die Verbindung nicht klar. Übrigens wird bei D. 9,2,54 nur ein Casus gegeben, wobei die erste Frage nicht einmal aus­gearbeitet wird. Wir müssen annehmen, dass diese Texte die Glossato­ren ent­weder nicht interessier­ten oder ihnen nicht verständlich waren. Es hat weiter kaum Literatur über diese Texte gegeben; die Meinung Cujas’ wird von Rei­ chard, der einen Überblick verschafft, er­ wähnt, aber abgelehnt.3 Erst mit Grue­ber, der sie 1886 in seinem Kommentar zu D. 9,2 behandelt hat, kommt Moderne­res. Grueber stellt zuerst dar, dass der Gläu­ biger durch eine Handlung die Erfüllung der Verpflichtung vereitelt hat. Deswegen ist der Schuldner jetzt da­von befreit (unter Hinweis auf I. 3,14,2; D. 44,7,1,4–6; 45,1,33; 45,1,37). Man würde erwarten, dass er jetzt keine aquilische Klage er­heben kann; aber weil er mehr, als was der Getötete im Augenblick der Tötung wert war, damit bekommen könnte, hat er trotzdem ein Interesse daran. Dies gilt nur, solange er nicht in Verzug war. Denn hätte er recht­zeitig nach Mahnung durch den Gläubiger den Sklaven über­ eignet, wäre der Gläubiger Eigentümer gewesen und hätte mit dem Sklaven nach Belieben verfahren können (eine Ansicht, die schon von dem Byzan­ tiner Hagiotheodoros erörtet wurde).4 Deswegen sagt man, dass der Gläubi­ ger eher sich selbst als den Schuldner geschädigt hat. Grueber liest iniuria hier als ‚Schaden‘, was es auch in D. 43,8,2,10; 9,2,27,25; 9,2,30,1 und 9,2,37 pr. bedeutet.5 Seine Argumenta­ tion ist ohne wei­ tere Begrün­ dung nicht nachvollziehbar. Denn der Schuldner hat nicht über­ eignet, sondern war immer noch Eigentümer. Bei Reichard, der vor kurzem sehr ausführlich die Texte behandelt hat, fin­det man Grueber und spätere Autoren erwähnt. Interpolationsvermutun­ gen ha­ben verhindert, dass man sich den Texten wirklich zuwendete. Rei­ selbst

als dem anderen einen rechtswidrigen Schaden zuge­fügt.“ Die Übersetzungen basieren auf die­ser Ausgabe. 3  Ingo Reichard, Die Frage des Drittschadensersatzes im klassischen römischen Recht, Köln / Weimar / Wien 1993, 120–121. 4  In einem Scholion zu Bas. 60,3,53, Nr. 4 (BS 3164,22–24). 5  Ernst Grueber, The Roman Law of Damage to Property, Oxford 1886, 175–176.



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chard unter­ließ dagegen eine Rekonstruktion, obgleich er auch meinte, dass der Text nicht so geschrieben worden sei, wie er uns jetzt überliefert ist. Es ist ihm klar, dass vor dem Verzug die Befreiung von der Stipulationsver­ pflichtung und eine aqui­lische Klage unabhängig von­einander eintreten und die aquilische Klage außer­dem noch unabhängig vom Vermögensschaden. Rei­chard meint, dass die Ver­neinung der Klage nach Verzug nicht darauf beruhe, dass der Schuldner jetzt von seiner Verpflichtung frei ist. Das folge aus der Verbindung der bei­ den Fol­ gen: Erlöschen der Ver­ pflichtung und Verneinung der Haftung des Gläubigers. Er sieht bei Papinian als Begrün­ dung für das Letztere die fehlende Wi­ der­ rechtlich­ keit der Schadenszufü­ gung. Warum soll das so aufgefasst wer­den? Könnte der Grund sein, dass, wie beim Kauf unmittelbar nach dem Ver­ trags­ abschluss, der Promittent nach Verzug die Gefahr trug? Könnte hier der Gläu­biger eine Art Anwart­ schaftsrecht haben? Aber Rei­chard verwirft den Ge­dan­ken. Der Schuldner ist immer noch Eigentümer, und der Gläubiger hat nur ein per­ sönliches Recht. Ebenso beließen die Römer nach Verzug das Ri­siko nicht beim Gläu­ biger. Er sieht auch in einer Verzugsbeendigung keine Lö­sung, sie sei eph­ emer. Diesen Erwägungen schließe ich mich an. Reichard stellt auf iniuria ab: nicht der Schaden, sondern die Nicht-Widerrechtlichkeit ist der Grund für die Ablehnung der Klage. Das beruht darauf, dass der Schuld­ner gleich­ zeitig in Verzug war: man könnte so an eine Art Kompensa­ tion denken. Dazu nimmt er an, der Schuldner habe bewusst nicht geleistet und so das Delikt überhaupt ermöglicht.6 Hätte der Schuldner getan, was er sollte, wäre der Sklave schon im Augenblick der Tötung im Eigentum des Gläu­ bigers gewesen (wie oben Hagio­theodoros); also kann er ihm nicht entge­ genhalten, sie sei widerrechtlich. War­ um haftet er dann nicht? Reichard meint, weil es der Gläubiger war, der die Erfüllung vereitelte und somit sich nicht auf ihr Ausbleiben berufen und sein Interesse in Geld verlangen kann.7 Seine Bemerkungen lassen aber Fragen offen. Wenn er die Verzugsbeendi­ gung nicht in Betracht nehmen will, weil sie eine vorübergehende Möglich­ keit ist, warum geht er dann davon aus, dass der Gläubiger Erfüllung ver­ eitelte? Das kann doch nur bedeuten, dass er die Verzugsbeendigung ver­ eitelte? Und warum sollte die Tötung nicht widerrechtlich sein, weil der Sklave sonst im Eigentum des Täters gewesen wäre, wenn er andererseits annimmt, dass der Sklave im­merhin noch völlig im Eigen­tum des Schuld­ ners war? Hier gibt es Widersprü­che. Und warum sollte der Schuldner be­ wusst nicht geleistet haben? Auch durch Nachlässigkeit leistet man nicht. 6  Reichard denkt wohl hierbei an den Maßstab des bewussten Handelns für die Kla­gen strengsten Rechtes, siehe Max Kaser, Das römische Privatrecht I, München 19712, 506. 7  Reichard (o. Fn. 3) 120–130.

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Boudewijn Sirks

Auch möchte man wissen, war­ um iniu­ria un­ bedingt ‚Widerrechtlichkeit‘ bedeute, wenn Grueber andere Stel­len erwähnt, wo es Schaden be­deutet. Und was deutet darauf, dass der Schuld­ner vorsätzlich in Verzug kam? Somit ist es klar, dass dieser Text noch immer Fragen aufwirft. Gehen wir auf D. 9,2,54 ein: Wie ist die Lage, wenn das Tier vor Verzug getötet wird?8 Reichard geht davon aus, dass der Schuldner jetzt befreit ist, aber warum sollte er frei werden? Die Tötung des Tieres ist doch kein Fall von vis maior.9 Er bleibt verpflichtet und muss an Stelle des verstorbenen Tieres dessen Wert (die li­tis aestimatio) leisten. Dagegen kann er mit der actio legis Aquiliae den Höchst­wert des Tieres im ver­gangenen Jahr fordern. Insoweit könnte es für ihn noch einen Mehrwert geben; grundsätzlich aber würde es in der Liquidie­rung einen Ausgleich geben. Wie ist die Lage nach Verzug? Jetzt haftet der Schuldner auch für vis maior und casus, seine Ver­bindlichkeit wird eine fortwährende: perpetuatio obliga­tionis; die Lage ist, als wäre die litis contesta­tio schon eingetreten (D. 45,1,82,1).10 Damit wird das Tier zwar nicht eine res litigiosa, jedoch behan­ delt wie eine solche. Es bedeutet, dass sein Eigentümer in seiner Verfügungs­befug­nis beschränkt ist. Es darf nicht mehr verkauft werden und kann nicht durch einen eventuellen Käufer vindiziert wer­ den.11 Das Tier ist jetzt als res quasi litigiosa sozusagen für den Gläubiger reserviert, damit des­ sen Prozess­ lage nicht während des Prozesses verschlechtert werden kann, z. B. in­dem es verkauft wird und dadurch nicht mehr geliefert werden kann. Aber dann ist es auch mög­lich zu sagen, nam creditor ipse sibi potius quam alii iniuriam fe­ cisse videtur — „denn wir nehmen an, daß der Gläubiger eher sich selbst als dem anderen einen rechtswidrigen Schaden zugefügt hat.“ Er selbst hat sich diesen Schutz genommen und die Liefe­ rung unmöglich gemacht. Das videtur deutet auf die analoge Be­handlung der Rechtsfolgen. Normalerweise sollte es dem Schuldner noch gestattet sein, seine Leis­ tung anzu­bieten und dadurch seinen Verzug zu beenden.12 Wie gesagt, gibt der Text keinen Anlass, zu denken, der Schuldner habe vorsätzlich die Nichtleis­tung bewirkt, und es ist auch nicht ersichtlich, dass es einen Un­ terschied macht, ob er vorsätzlich nicht leistete oder nachlässig war.13 Jetzt 8  Der

Fall von Verwundung führt zur selben Folgerung. (o. Fn. 6) 507. 10  Kaser (o. Fn. 6) 513–514. 11  Max Kaser / Karl Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, München 1996, 298. 12  Kaser (o. Fn. 6) 516. 13  Kaser (o. Fn. 6) 511: auch beim Fall späterer Nachlässigkeit; und Papinian ist nach­klassisch. 9  Kaser



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hat der Gläu­biger den Unter­gang des Tieres, das seit dem Verzug zu seinen Gunsten aus der Disposi­tionsbefugnis des Schuldners wie eine res litigiosa ausgenom­men war, herbei­geführt, und zwar ohne doloses Verhalten seitens des Schuld­ners. In einem solchen Falle wird der Schuldner befreit.14 Damit ist auch die Ablehnung der aquilischen Klage zu erklären. Das Tier konnte nicht mehr einem Dritten übertragen werden; der Schuldner hatte, so­lange diese Lage fortdauerte, nur noch ein Interesse am Tier, solange er es dem Gläubiger übergeben konnte, aber sobald der Gläubiger ihn von dieser Pflicht befreit, verliert er dieses Interesse und somit das Interesse an einer aquilischen Klage. Ebenso wird klar, warum D. 9,2,55 sagt, dass der Gläubiger vor Verzug als extraneus betrachtet wird. In jenem Falle treten diese Folgen nicht ein, der Gläubi­ger hat wie ein beliebiger Dritter noch nicht mehr als ein persön­ liches Recht am Sklaven. Was der Bedeutung von iniuria anbelangt, so liegt es in diesem Zusammenhang eher auf der Hand, die Interpretation als ‚Schaden‘ anzunehmen. Somit ist für diesen Text eine juristisch vertretbare Erklärung gegeben. Be­trach­ten wir jetzt D. 9,2,55: 15

3. D. 9,2,55 Paul. 22 quaest. Stichum aut Pamphilum promisi Ti­ tio, cum Stichus esset decem mi­ lium, Pamphilus viginti: stipu­ lator Stichum ante moram occidit: quaesitum est de actione legis Aqui­ liae. Respondi: cum viliorem occi­ disse proponitur, in hunc trac­tatum nihilum differt ab extra­neo cre­ditor. Quanti igitur fiet aesti­matio, utrum decem milium, quan­ ti fuit occisus, an quanti est, quem necesse habeo dare, id est quanti mea interest? Et quid di­ ce­ mus, si et Pamphilus de­ cesserit sine mora? Iam pretium Stichi mi­nuetur, quon­iam libera­tus est pro­ missor? Et sufficiet fuisse pluris cum occi­deretur vel intra an­ num. Hac qui­ dem ratione etiam si post mortem Pamphili intra annum oc­cidatur, pluris videbitur fuisse.

14  Kaser 15  Die

teilt.“

Ich habe dem Titius [wahlweise die Skla­ ven] Stichus oder Pamphilus versprochen, als Stichus einen Wert von zehntausend, Pamphilus einen von zwanzigtau­send hat­te. Der Stipulationsgläubiger tötete den Sti­chus vor Eintritt des Schuldnerverzugs. Man frag­ te wegen der Klage nach der Lex Aquilia an. Ich habe geantwortet:15 Da vor­getragen wird, daß der Gläubi­ger den we­niger wert­ vollen Sklaven getötet hat, un­ter­scheidet er sich nicht in diesem Zu­ sam­ menhang von einem Dritten. Wie hoch wird daher der Schätz­ wert veranschlagt wer­ den, mit zehn­ tausend, dem Wert des Getöteten, oder mit dem Betrag, den derje­nige wert ist, den ich nun leisten muß, das heißt mit meinem Inte­ resse? Und was wer­ den wir sagen, wenn auch Pamphilus vor Ein­tritt des Schuldner­ verzugs umkam? Wird der Wert des Stichus geringer, weil der Schuld­ ner befreit ist? Aber es reicht aus, daß er jedenfalls zum Zeitpunkt der Tötung oder innerhalb des

(o. Fn. 6) 516, 517. deutsche Übersetzung (o. Fn. 2) hat: „Ich habe folgendes Gutachten er­

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Boudewijn Sirks [zurückliegen­ den] Jahres mehr wert gewe­ sen ist. In der Tat ist auf­grund dieser Über­ legung Stichus sogar dann als wertvoller anzusehen, wenn er nach dem Tode des Pamphilus innerhalb eines Jahres ge­ tötet wird.

Die Kompilatoren haben das Fragment nach Frgm. 54 gesetzt. Mit Frgm. 54 fängt die Papinianus-Masse an, und Frgm. 55 folgt auf Frgm. 54. D. 9,2,56 stammt auch aus dieser Masse. Es scheint mir, dass jedenfalls Frgm. 54 und Frgm. 55 zusammenhängen: jedes Mal ist es ein Gläubiger, der seinem Schuld­ner Schaden zufügt, und jedes Mal besteht die Frage, ob er als Dritter belangt werden kann oder ob ein Spezialverhältnis dies ver­ hindert (und diesen Punkt wird auch in Frgm. 56 berührt; siehe am Ende). Was D. 9,2,55 betrifft, so ver­weist Grueber auf Frgm. 54 und stellt klar, dass nach dem Prinzip von Frgm. 54 eine Klage möglich ist. Die Frage ist nur, ob für zehn- oder für zwan­zig­tausend. Weil durch die Tötung die alter­ native Obligation in eine spezifische Obligation verwandelt wurde, muss der Schuldner Pamphilus her­ausgeben und somit dafür entschädigt werden. Die aquilische Klage wird ihn in die frühere finanzielle Lage zurückbringen. Die Variante, bei der auch Pam­philus nachher stirbt, än­dert nichts daran, weil die Schätzung sich auf die Vergangenheit bezieht. Die folgende Vari­ ante wird in gleichem Sinne gelöst: In einem gewissen Augenblick waren beide Sklaven noch am Leben, und des­wegen kommt auch hier der hö­here Wert von Pamphilus in Betracht.16 Grue­ber geht nicht auf Paulus’ Bemer­ kung ein, dass der billigere Sklave getötet ist. Hat das dann keine Bedeu­ tung? Impallo­meni hat sich 1959 kurz diesem Text im Rahmen einer Unter­ suchung der alternativen Obligation ge­ widmet.17 Rei­ chards Exegese von D. 9,2,55 bringt keine neue Gesichtspunkte. Zuerst Paulus’ Verbindung des Wertes des Sklaven mit der Haftung des Gläubi­gers. Die Bezeich­nung als extraneus beinhaltet, wie wir in D. 9,2,54 sahen, dass kein Bezug auf das bestehende obliga­torische Verhältnis zwi­ schen Gläubiger und Schuldner genommen wird. Dazu kommt, dass es noch keinen Verzug gab. Also muss Paulus sich elliptisch ausgedruckt haben und vilior und Haftung zu­sam­mengenommen haben. Aber dann müsste es einen Unter­schied gemacht haben, ob der billigere (Stichus) oder teurere Sklave (Pam­phi­lus) ge­tötet worden war. Im Falle des billigeren Sklaven haftet der Gläubiger für des­sen Wert, während der teurere Pamphilus jetzt geschuldet ist. Der Schuld­ner verliert 30 000 und bekommt Entschädigung für Stichus, aber in welcher Höhe? Dazu mache ich einen kleinen Exkurs. 16  Grueber

(o. Fn. 4) 176–179. Impallomeni, Sull’obbligo del debitore alla conservazione de­gli og­getti, SDHI 25 (1959) 58–59, 67 ff. 17  Giambattista



Zum Schadensersatzanspruch bei der Lex Aquilia381

4. In dieser Zeit gab es nämlich noch eine andere Bewertungsmethode, wie aus D. 9,2,21,2 hervor­ geht: et hoc iure utimur ut quod interest fiat aestimatio, und zwar indem man schätzt, an potius quanti interfuit nostra non esse occi­sum — „oder darnach, wie viel uns daran gelegen war, dass er nicht ge­tötet worden sei?“ Es war anlässlich der Schätzung im Rahmen der Lex Aquilia, dass Ulpi­ an diese andere Methode erwähnte, die in seiner Zeit auch üblich war. Ich sage „auch“, denn es ist klar, dass beide Methoden, der Höchstwert des Körpers an sich, und die, wie wir heute sagen, Differenzmethode, neben einander exis­tier­ten und dass man wählen durfte und zwar diejenige Metho­ de, die den höchs­ten Schadensersatz gab. Das war an sich nicht falsch, denn die Lex Aqui­lia beabsich­tigte gerade, dass man plurimi bekam. In D. 9,2,23 arbeitet Ulpian die Folgen der zwei Schätzungsmethoden aus: der als Erbe eingesetzte Sklave, die Be­dingung einer Freilassung, der Maler-Sklave, der seinen Dau­men verliert (hier wird auch seine Kunst mittels der Differenz­ methode einge­rechnet), und der betrügerische Manager-Sklave (wieder die Differenzme­thode). Das klassi­sche Beispiel des Mehrwerts ist die Erbeinset­ zung des Skla­ven. Man könnte auch sagen, dass der Wert des Körpers des Sklaven auch die Differenz impli­ zierte. Das bestätigt Paulus auch in D. 9,2,22 pr., wo für einen getöteten Skla­ ven die Vertragsstrafe, die bei Nichtlieferung des Sklaven ver­fällt, als Scha­densersatzwert genommen wird, oder der Mehrwert als Teil eines Ensembles. Dem scheint Paulus in D. 9,2,33 pr. zu widersprechen, wo er sagt, dass der Marktwert in Betracht genommen werden müsse. Aber es han­delt sich hier um af­fectiones, also um immaterielle Werte. Die Differenz ist somit als Schätzung er­laubt. Ein Beispiel dieser Methode bietet Ulpian in D. 9,2,23,1, wo er eine Auf­ gabe Julians behandelt. Ein Sklave wurde testamentarisch freigelassen und zugleich zum Erben eingesetzt, dann getötet. Wir müs­sen annehmen, dass dies in der Zeit zwischen dem Tod des Erblassers und der Eröffnung des Testa­ments geschah. Der nacheingesetzte Erbe möchte den Täter aquilia­ nisch ver­folgen. Was ist sein Scha­den? Der Wert an sich des Sklaven oder zusätzlich auch die Erbschaft? Julian verneinte das Letztere, weil der Skla­ ve diese nicht hätte erwerben kön­nen. Ulpian meint, dass auch sein Wert an sich nicht zu fordern sei, denn wäre er Erbe gewesen, wäre er auch frei gewesen. Diese Stelle ist schwierig. Sie ist insoweit für uns hier interessant, weil auch in D. 9,2,55 der Wert des getöteten Sklaven im Nachhinein be­ trachtet wird. Der jetzige Erbe hat die Erbschaft mit Rückwirkung angetre­ ten, er war im Augen­blick der Tötung Eigentümer des Sklaven, also kann er dessen Wert fordern. Auch den Wert der Erbschaft? War der Sklaven nicht eingesetzt? Doch weil der Sklave nicht freigeworden ist, gibt es keine Erb­schaft, die er dazu fordern kann. Weswegen sagt nun Ulpian, dass dies richtig sei, aber dass er auch nicht den Wert des Sklaven an sich fordern

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könne? Der Punkt ist, dass Ulpian hier die Differenzme­thode anwendet und fragt, was es dem nacheingesetzten Erben wert gewesen sei, dass der Skla­ ve nicht getötet wäre? Und die Antwort lautet: Nichts, denn in jenem Falle wäre der Sklave freigelassen und somit unschätz­ bar, und er hätte nichts geerbt (quia si heres esset et liber esset). Die Crux liegt also in der nega­ tiven Formulierung. Im ersten Fall wird nach einer posi­ tiven Schätzung gefragt (wie hoch war an sich der höchste Wert im vergange­nen Jahr?), im zweiten Fall nach einer nega­tiven Schätzung (wie viel ist es wert, dass es nicht geschehen wäre?). Im letzte­ren Fall ist nicht vom Sklaven an sich noch vom Höchstwert im voran­ge­gan­ge­nen Jahr die Rede; aber der Wert könnte aus anderem Grund hö­her sein als der Wert des Getöteten.18 5.  Zurück zu Frgm. 55. Wie viel kann der Schuldner für Stichus fordern? Entwe­der dessen Wert gemäß dem Wortlaut des Kapitels 1 der Lex Aquilia, d. h. 10.000 plus eventuell dem Mehrwert im letztem Jahr, oder wie viel es dem Schuldner wert wäre, dass Stichus nicht getötet worden wäre. Das wären dann 20.000, weil das der Wert des Pamphilus ist. Aber wie wäre es gewesen, wenn der Gläu­biger Pamphilus getötet hätte? Dann hätte Stichus gegeben und Pam­phi­lus ersetzt werden müssen: entweder 20.000 plus even­ tuell etwas mehr nach dessen persönlichem Wert, oder wie viel es dem Schuldner wert gewesen wäre, wenn Pamphilus nicht getötet worden wäre. Das aber wären jetzt auch 20.000. Also ist es klar, warum Paulus diesen Fall nicht behandelt. Nur bei Tötung des Billigeren gibt es bei einer alter­ nativen Verpflichtung eine Frage des Ersatzes und, welche Formulierung vorteil­hafter für den Geschädigten ist. Unterstellen wir einen Augenblick, dass der Schuldner schon in mora war. Dann wären beide Skla­ ven quasi res litigiosae gewesen. Hätte der Gläubiger dann nichtsdestoweniger bei Tötung des einen Sklaven einen Anspruch auf den anderen gehabt? Der Text lässt die Annahme zu, dass die Wahl beim Schuldner lag. Somit dürfen wir nicht annehmen, dass in einem solchen Fall der Gläubiger sich konkludent auf seine Wahl festgelegt hätte. Aber man darf annehmen, dass der Schuld­ner mit einer exceptio doli die Forderung des Gläu­bigers auf den anderen abwehren könnte, falls der Gläu­ biger nicht zu­gleich für den Getöteten Schadensersatz anbot.19 6.  Hiernach spielt Paulus noch mit den Schadensersatzberechnungsmetho­ den. Er entwickelt den Fall weiter für neue Möglichkeiten. 18  Siehe für eine ausführliche Behandlung dieser Stelle meinen Aufsatz An inher­it­ance lost and a fraudulent slave, in: Judge and Jurist. Essays in memory of Lord Rodger of Earlsferry, ed. A. Burrows, D. Johnston, R. Zimmermann, Oxford 2013, 265–276. 19  Siehe D. 4,3,1,8, wo der Gläubiger eine actio de dolo gegen den Drittschä­ diger er­langt.



Zum Schadensersatzanspruch bei der Lex Aquilia383

„Und was werden wir sagen, wenn auch Pamphilus vor Eintritt des Schuld­ ner­ verzugs umkam? Wird der Wert des Stichus geringer, weil der Schuldner be­freit ist? Aber es reicht aus, daß er jeden­falls zum Zeitpunkt der Tötung oder in­ner­halb des [zurückliegenen] Jahres mehr wert gewesen ist. In der Tat ist auf­grund dieser Überlegung Stichus sogar dann als wert­ voller anzusehen, wenn er nach dem Tode des Pamphilus innerhalb eines Jahres getötet wird.“ Wäre Pamphilus auf natürliche Weise vor der Tötung von Stichus gestor­ ben, würde die Differenz­ theorie gerade einen geringeren Wert aufzeigen. Jetzt wäre der Schuldner entlastet (obgleich er jetzt den Verlust von Pam­ philus trägt), und der Schaden wäre 10 000. Aber Paulus kombiniert jetzt die Dif­ferenzbe­rech­nung mit dem Teil der Vorschrift der Lex Aquilia, nach welcher die Be­rech­nung nicht nur den Wert an sich des Getöteten umfasst, sondern auch noch so viel, wie dieser am höchsten im voran­gegangenen Jahr wert war. Er wendet diese rückwärtsgerichtete Berechnung auf die neuere Wer­tungs­me­tho­de an. Man darf also auch sagen: Wie viel wäre es mir, nicht nur jetzt, sondern auch im voran­gegangenen Jahr, wert gewesen, wenn mein Tier / Sklave nicht getötet worden wäre? Wäre Pamphilus also innerhalb dieses Jahres gestorben, würde die Alter­nativschuld immerhin in Bezug ge­nommen und somit wäre ein hö­herer Wert von Stichus gegeben. Umgekehrt gilt dann: Beide Todes­fälle sollen nicht mehr als ein Jahr aus­ einanderliegen, um den Höchstwert, in dieser Weise be­rechnet, fordern zu dürfen. Damit hat Paulus die neue Schadens­ersatz­berech­nung in Überein­ stimmung mit dem Wortlaut der Lex Aquilia noch etwas er­weitert. 7. Zuletzt D. 9,2,56 Paul. 2 sent.: Mulier si in rem viri damnum de­de­ rit, pro tenore legis Aquiliae con­ venitur.

Wenn eine Frau einer Sache ihres Mannes Schaden zugefügt hat, wird sie in Überein­ stimmung mit der Lex Aquilia in Anspruch genommen werden

Warum sollte das fraglich sein, angenommen es handelt sich hier nicht um eine Frau in manu? War es auch hier eine Frage, ob sie als extranea betrachtet werden sollte? Laut Grueber wurde es bezwei­felt, ob Ehegatten einander mit einer Pönalklage in Anspruch nehmen konnten; aber dies wur­ de, inso­weit sie sachverfolgend war, allmählich zugelassen und akzeptiert. Grueber verweist hierbei auf D. 9,2,27,30.20 Aber m. E. spielt auch hier 20  Grueber (o. Fn. 4) 106–107, 179. Aber schon die Scholia zu diesem Text er­wäh­nen dies: die aquilische Klage nur für das simplum di¦ q£lyin tîn gamîn oÙ dia­ plasi£zetai ™x ¢rn»sewv, „simplum zugunsten der Ehen, nicht wird es verdoppelt wegen Leugnung“; und e„v tÕ ¡ploàn, „für das Einfache“; in Bas. 60,3,55, Nr. 1 und 3 (BS 3166,2–3 und 10–11).

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die Frage eine Rolle, ob die Frau als extranea betrachtet wer­den kann oder ob man warten soll, bis sie geschieden ist, denn gerade das wird in den von Grueber erwähnten Texten angesprochen. Eine Scheidung lässt gegenseitige Klagen erst recht zu, und es ist unerheblich, ob diese pönal sind oder nicht. Und was, wenn die Frau eine Dotalsache beschädigt hatte? Dann, wie in Frgm. 54, würde es eine Sache be­treffen, bei der für den Ehemann Verfü­ gungs­beschrän­kungen galten, es sei denn, dass es eine dos aestimata betraf. Die Frau hätte eher sich selbst als ihrem Mann einen Schaden zugefügt. Es scheint mir, dass die justinianischen Kompi­latoren wegen dieser Möglich­ keit diesen Text gerade hier platziert ha­ben. 8. Diese drei Texte zeigen die Herausforderungen bei der Exegese. Die Tex­te haben als Thema Haftung des Schädigers und Schadensersatzumfang. Es hat den Schein, als wäre dies kein Problem, weil der Geschädigte Eigen­ tümer ist und Kausalität und Widerrechtlichkeit feststehen. Dennoch ist die Lage kompli­zierter, weil eine Verpflichtung seitens des Geschädigten gegen­ über den Schä­diger exis­tiert, die sich auf das geschädigte Objekt bezieht. Da­durch stellt sich auch die Frage, ob die Ver­pflichtung untergegangen ist und ob der Schädiger passivlegitimiert ist. Frgm. 55 kompliziert diese Fra­ ge noch, indem es eine Alterna­tivobligation einführt. Das genaue Lesen der Texte lässt eine juristi­sche Lösung zu. Es gibt keinen Grund, Interpolationen zu un­ terstellen. Übrigens ist es im Falle, dass man Textkürzungen oder -änderungen unter­stellt, wünschens­wert anzugeben, wie und wo das dann geschah, damit solches nicht voreilig angenommen werde.

Usurae ultra alterum tantum: Welche Zinsen sind zum duplum des Kapitals gerechnet? Von Akira Sugao I. Einleitung Unter usurae ultra alterum tantum versteht man allgemein, dass der Zin­ sen­lauf aufhört, wenn die Summe der Zinsen den Kapitalbe­trag erreicht.1 Hat der Schuldner zum Beispiel eine Hauptschuld von 100 Goldstü­cken, dann hört der Lauf der Zinsschuld mit 100 Goldstücken auf. Das heißt, dass der Maxi­mal­be­trag der Schuld insgesamt 200 Goldstücke sein darf. Die Festsetzung des Höchstzinssatzes stellt die am weitesten gehende Zinsbe­schränkung dar. Im Jahre 51 v. Chr. wurden centesi­mae usurae – 12 Pro­zent pro Jahr – als Höchstzinssatz durch ein Senatus consultum bestimmt (Cic. ad Att. 5,21,13); dies wurde in der Kaiserzeit all­gemein an­erkannt.2 Wenn der Schuld­ner über die centesimae hinaus Zinsen bezahlt, kann er den Mehrbetrag auf das Kapital anrechnen und nach dessen Tilgung zurück­for­ dern (D. 12,6,26 pr.; D. 22,1,20; D. 22,1,29; C. 4,32,26,4).3 Wenn jedoch rückständige Zinsen wie­der zinspflichtig gemacht werden könnten, brächte diese Festsetzung des Höchst­zinssatzes keinen genügenden Erfolg – daher wurde das Verbot von usurae usurarum (Zinseszinsen) einge­führt. Zinses­ zins bedeutet die Verzin­ sung rück­ ständiger Zinsen (D. 12,6,26,1; C. 2,11(12),20); außerdem dehnte Kaiser Justinian den Verbotsrahmen auf die Verzinsung einer neuen Ge­samt­summe aus, zu welcher Zinsen und Ka­ 1  Paul Jörs / Wolfgang Kunkel / Leopold Wenger, Römisches Recht, Berlin 19493, 181 ff.; Max Kaser, Das Römische Privatrecht (hiernach: RPR) I, München 19712, 497; Max Kaser, RPR II, München 19752, 341; Reinhard Zimmermann, The Law of Obliga­tions, 1990, 169 Fn. 87. 2  Gustav Billeter, Geschichte des Zinsfusses im griechisch-römischen Altertum bis auf Justinian, Leipzig 1898, 169 ff. 3  Billeter (o. Fn. 2) 157 ff.; Klingmüller, Fenus, RE 6, 1909, 2198; Kaser RPR I (o. Fn. 1) 497; Reinhard Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtig­keit?, Berlin 1979, 123 ff.; Ramón Herrera Bravo, „Usurae“ problemáti­ ca jurídica de los intereses en derecho romano, Jaén 1997, 55 f.; Koenraad Verboven, The Sulpicii from Puteoli and Usury in the Early Roman Empire, TR 71 (2003) 8.

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pital zusammengezo­ gen wurden (D. 12,6,26,1; D. 20,4,12,6; D. 22,1,29; D. 42,1,27; C. 2,11(12),20; C. 4,32,28; C. 7,54,3).4 Die Festsetzung des Höchstzinssatzes war als erste dieser drei Zinsbeschrän­kungen eingeführt worden, und später wurde das Verbot von usurae usurarum und usurae ultra alterum tantum in der klassischen Zeit eingeführt.5 Durch usurae ultra alterum tantum wird der Maximalbetrag von Zins­ schuld auf einen bestimmten Betrag begrenzt. Während zwei der drei Zinsbeschrän­kungen, nämlich die Festsetzung des Höchstzinssatzes und das Verbot der Zin­seszinsen, mithilfe der Zinsberechnung vorgenommen wer­ den, beschränkt usurae ultra alterum tantum die Gesamtsumme der Zins­ schuld. Deswegen wird usurae ultra alterum tantum als der letzte Schutz betrachtet, der den Ge­samt­schuldbetrag begrenzt. II. Fall Wir können in Nov. 121 den konkreten Fall der praktischen Anwendung von Usurae ultra alterum tantum finden. Nov. 121,1 Iust. Arsilio praesidi Tarsi Docuerunt enim Eu­ ’Ed…daxan g¦r EÙsšbiov se­bius et Aphtho­nius kaˆ ’AfqÒniov tÕ ¹mš­ potentiam nos­tram, teron kr£tov œggonoi se nepotes De­ metrii Dhmhtr…ou genšsqai tec­ esse ex Palla­ dio De­ qšntev ØpÕ Palla­ d…ou metrii filio natos, toà Dhmhtr…ou pai­ dÒv, Demetrium autem ab ™p­oflÁsai d7 Dh­m»trion Artemidoro debiti no­ ’Artemidèr0 pentako­s…mine quin­ gentos au­ ouv crusoàv kat¦ dane… smatov prÒ­ fasin kaˆ reos mutua­tum es­se ™perw­th­qÁ­nai kaˆ tÒkon, et usuras quo­que sti­ kaˆ œnag­ cov qe‹on por…pulatum, atque nu­per se sa­cram sanc­tionem ­sas­qai tÚ­pon tÕn bou­ im­pe­tras­se, quae si lÒmenon, e„ di­pl£­sion du­ plum debiti solu­ katebl»q6 tÕ Ôflh­ ma, mhdem…an e1nai kat’ tum sit, nullam ad­ aÙtîn e‡v­praxin ka­t¦ versus eos exactio­ toÝv ¹me­tšrouv nÒ­mouv: nem esse se­cun­dum toÝv d7 ’Ar­temidèrou leges nos­tras iuberet; toà da­neistoà dia­dÒ­couv Artemi­dori autem

Es haben nämlich Euse­bius und Aphthonius Un­sere Majestät unterrich­ tet, sie seien Enkel des De­metrius, und zwar Kinder des Palla­ dius, des Sohnes des De­ metrius; Demetrius habe aber dem Ar­te­mi­dorus 500 Gold­ stücke als Darlehen ge­schuldet und Zinsen ver­ sprochen, sie aber hätten neulich eine kaiserliche Verfügung er­langt, wel­che bestimme, dass, wenn das Doppelte der Schuld ge­ zahlt sei, ge­ mäß Unse­ ren Gesetzen keine Forde­ rung mehr ge­ gen sie vorhanden sei; die Rechts­ nachfolger des Gläu­bigers Artemido-

4  Leonhard, Anatocismus, RE 1, 2070. Vgl. dazu Zimmermann (o. Fn. 1) 169; Klaus Wille, Die Versur, Berlin 1984, 37; Bravo (o. Fn. 3) 55. Zudem Hans Peter Benöhr, Versura, ZRG RA 107 (1990) 216 ff. 5  Elemer Balogh, Adaptation of Law to Economic Conditions According to Roman Law, Milano 1951, 325; Bravo (o. Fn. 3) 52.



Usurae ultra alterum tantum387

’Ep…macÒn te kaˆ ’Ar­ t7mwna fÁsai yeÚ­ sa­ sqai aÙ­ toàv ™n tÍ qe»­ sei kaˆ m¾ de‹n tÁv ¹metšrav tuce‹n boh­ qe… av, oÙd7 g¦r pe­ plh­ rîsqai tÕ Ôflhma, ¢l­ l¦ mÒnouv „mq /  ka­ta­ beblÁsqai cru­soàv. Pall£dion g¦r oƒ ƒkš­ tai fasˆ tÕn aÙtîn pa­ tšra 9ma PaÚl0 kaˆ Dh­ mhtr…0 tù aÙtoà patrˆ wxz /  katabale‹n cru­ soàv, ’Artšmwna d7 kaˆ Priskian¾n toÝv ’Arte­ midèrou pa‹dav pro­ gÒnouv te ’Epim£cou kaˆ Artšmwnov fÁsai t¾n kat¦ mšrov kata­ bol¾n m¾ prov£yasqai toà ke­ fala…ou, ¢ll¦ p£n­ta e„v tÒkon log…­ zesqai boÚ­ lesqai (taà­ ta d7 kaˆ yÁfon toà tÁv ™parc…av ¥r­contov lšgein), kaˆ di¦ toàto ¢paitÁsai Pal­ l£dion ¢ntˆ tÁv protš­rav tîn pentakos…wn nomism£twn danei­ akÁv suggrafÁv ˜tšran cru­ sîn ˜xakos…wn: ka­ ta­ bale‹n d7 kaˆ aÙto… fa­ si diafÒrwv Pal­ l£dion m7n ob  /  crusoàv, EÙsšbion d7 kaˆ ’Af­ qÒnion dška, æv ™n­teà­qen sun£gesqai t¾n tîn „mq /  nomism£twn po­sÒthta: tÕn d7 tÁv Øpo­ qšsewv ¢kroas£­me­non, oÙk ™ntequmh­mš­non m…an e1nai toà pan­ tÕv ™gkl»matov a„­ t…an, m¾ provdšxasqai aÙ­ toÚv, ¢ll¦ boulh­ qÁnai ka­ tadik£sai aÙ­ toÝv toÝv ˜xakos…­ ouv cru­soàv toà ke­fala…ou.

creditoris suc­ces­sores Epima­chum et Arte­ monem di­xis­se, men­ titos se esse in pre­cibus suis ne­que auxi­lio nost­ ro po­ tiri debere: neque enim de­bito satisfac­tum, sed solos non­ gentos quadraginta no­ vem au­ reos solutos esse. Palladium enim sup­ plices dicunt ipsorum patrem una cum Pau­ lo et Demetrio patre eius octingentos se­xaginta septem aure­ os solvisse, Artemo­ nem vero et Priscia­nam Artemidori libe­ros, Epimachi et Ar­ temonis avos, dixisse solutionem per partes factam sortem non at­ tigisse, sed omnia in usuras computari vel­ le (idem autem sen­tentiam quoque prae­ sidis pro­ vinciae di­cere), et prop­ terea a Palladio pro priore quingentorum aureo­rum feneraticia cauti­ one alteram ses­ cento­ rum aureorum ex­ egisse; iam se ipsos quoque dicunt diver­ sis temporibus Palla­dium septuaginta du­os, Euse­ bium et Aph­thonium decem aure­ os solvisse, ut inde nongentorum quadra­ ginta novem au­ re­ orum summa confi­ ciatur; eum vero, qui de eo negotio cogno­visset, cum non con­ siderasset unam esse totius accu­ sationis cau­sam, se non admi­sisse, sed in sortem sescentorum aureo­rum condemnare vo­luisse.

rus, Epimachus und Arte­ mon, hätten aber gesagt, dass Eusebius und Aphtho­ nius in ihrer Bittschrift gelo­gen hätten, und Unsere Hilfe nicht hätten erlan­ gen dürfen, da ja nicht die gan­ ze Schuld berich­ tigt sei, sondern nur 949 Gold­stücke bezahlt wor­den seien. Es habe nämlich, sagen die Bittsteller, Palladius, ihr Vater, mit dem Paulus und dem Demetrius, sei­nem Va­ ter, zusammen 867 Goldstü­ cke bezahlt. Artemon und Prisciana aber, die Kinder des Ar­temidorus, sowie die Groß­eltern des Epima­chus und Artemon hätten gesagt, dass sie die Teil­ zahlung nicht auf das Kapital bezö­ gen, sondern alles auf die Zinsen rech­ nen wollten (dasselbe be­ sage aber auch das Urteil des Statthalters der Pro­ vinz); und deshalb sei dem Palladius statt des früheren Schuldscheines über das Darlehen von 500 Gold­stücken ein an­derer über 600 abver­ langt wor­ den. Es habe aber, sagen auch sie, Pal­ la­ dius zu verschie­de­nen Zeiten 72, Euse­bius und Aph­tho­nius aber 10 Gold­stücke gezahlt, so dass sich da­ durch die Sum­ me von 949 Goldstü­ cken er­gebe. Derjenige aber, wel­cher über den Rechts­fall er­kannt habe, habe nicht in Erwägung ge­zo­gen, dass die ganze An­schuldigung einen ein­zi­gen Rechts­grund habe, und habe sie nicht zu­ ge­ lassen, sondern sie in die 600 Goldstücke, als das Kapi­tal, verurtei­len wol­len.

388 kaˆ Éthsan taÚthv ™k­ blhqÁnai tÁv ¢n£gkhv, kaˆ sullogizomšnou toà pantÕv Ñfl»matov tîn pentakos…wn cru­ sîn, e„ katab£loien toÝv pent»­ konta kaˆ ›na toÝv leipomšnouv e„v t¾n tîn cil…wn no­mism£twn po­sÒ­ thta, toà te pantÕv Ñfl»­matov ¢phll£cqai ¢na­ labe‹n te t¾n da­ neiak¾n suggraf¾n tîn c /  crusîn.

Akira Sugao Itaque petierunt ut hac necessitate exue­rentur, et computato toto debi­ to quingen­torum aureo­ rum, si unum et quin­ quagin­ ta solverent qui reli­ qui essent ad mille soli­dorum quantita­tem, et a toto debito libe­ rarentur et fene­ra­ti­ciam cautionem ses­cen­torum aureo­rum re­ciperent.

Sie baten nun, dass sie von dieser Pflicht ent­ bunden würden und dass sie, wenn sie, die ganze Schuld zu 500 Goldstü­cken gerechnet, die 51 zahlten, welche noch an der Summe von 1000 Gold­ stücken fehlten, von der ganzen Schuld befreit würden und den Schuld­ schein über ein Darlehen von 600 Gold­ stücken zu­ rückerhiel­ten.6

Diese Stelle enthält (1) ein Beispiel für die praktische Behandlung des Schuld­scheins, (2) den konkreten Fall einer Zinszahlung und (3) das Problem, wel­che Zinsen ins duplum des Kapitalbetrags eingerechnet werden sollen. 6

Der Fall ist folgender: Demetrius schuldet dem Gläubiger Artemidorus aus einem Darlehen 500 Goldstücke und hat Zinsen versprochen. Euse­bius und Aphthonius, Enkel des Demetrius, sagten aus, dass der Gläubiger keine Forde­rung mehr hätte, wenn das duplum der Schuld gezahlt wurde. Dage­ gen be­haup­teten Epimachus und Artemon, die Rechtsnachfolger des Artemidorus, dass die Schuldner noch nicht befreit seien, weil ihre Zahlung nur 949 Goldstü­cke be­trage und noch nicht das duplum erreicht habe. Palladius, der Sohn des Demet­rius, hatte 867 Goldstücke gemeinsam mit Paulus und Demet­rius bezahlt, da­nach hatten Palladius 72 Goldstücke, Eusebius und Aphthonius 10 Goldstü­cke bezahlt. So hatten die Schuldner durch drei Ge­ nerationen hin­durch bezahlt. Der Statthalter der Provinz Kilikia (Arsilius in Tarsus) hatte die Bitte des Gläu­bigers anerkannt und das Urteil gefällt, dass die gesamte Zah­lung auf die Zinsen zu rechnen sei. Die Schuldner appellierten beim Kaiser Justinian und beantragten, dass sie dann, wenn sie die 51 Goldstücke zahlten, welche noch an der Summe von 1000 Goldstücken fehlten, von der ganzen Schuld befreit würden und auch den Schuld­schein über 600 Goldstücke zurückerhielten. Es handelt sich um ein Darlehen, wobei zwei Schuldscheine, über 500 Gold­ stü­ cke und über 600 Goldstücke, ausgehändigt wurden. Es kam im Zu­sammen­hang mit den zwei Schuldscheinen zu einem Streit darüber, wie viel von der Schuld noch bleibe. Übersetzung nach Schoell / Kroll, Novellae, Berolini 19124, pag. 591 s.; deutsche Übersetzung teilweise nach Carl Eduard Otto / Bruno Schilling / Carl Fried­rich Ferdinand Sintenis, Das Cor­pus Juris Civilis in’s Deutsche übersetzt von einem Vereine Rechtsgelehrter VII, Leipzig 1833, 586–587. 6  Lateinische

Usurae ultra alterum tantum389



Nov. 121,2 a. 535 Tîn to…nun ¹metšrwn nÒ­ mwn mhd7n Øp7r tÕ di­ pl£sion kata­b£l­les­qai boulo­ mšnwn kaˆ taÚthn ™cÒn­ twn prÕv toÝv œm­ pros­qen dia­for¦n, Óti oƒ m7n †stwn mšcri toà di­ pla­ s…onov t¦ crša, e„ mh­dem…a gšgone katabo­l», ¹mîn d7 kaˆ t¦v merik¦v ka­tabol¦v lÚ­ein t¦ Ñfl»mata dexa­ mšnwn, e‡­per ¥cri toà di­pla­s… onov gšnointo, qes­p…­zo­ men kat¦ toàto g…­nes­qai tÕn sullogis­ mÒn, kaˆ Óson ¨n e„v toÝv ci­l…ouv ™lle…poi cru­ soàv, toàto aÙtoÝv ka­ta­b£l­lontav ¢na­ la­ be‹n kaˆ t¾n tîn c  /  no­mis­m£­twn da­neiak¾n sug­gra­f»n, évte m¾ pol­ lapl£sion ™k taÚthv tÁv a„t…av eØreqÁnai tÕ cršov ¢p­aitoÚmenon.

Itaque quoniam leges nostrae nihil supra du­ plum solvi volunt, eam­ que a prioribus discre­ pantiam ha­ bent, quod illae quidem de­ bita us­ que ad duplum sistebant, si nulla so­lu­tio facta es­ set, nos autem eas quoque so­ lutiones quae per par­ tes fiant debita solvere permi­ simus, si­ quidem usque ad du­ plum per­ve­niant, sanci­ mus ut secundum hoc fiat com­ putatio, atque illi si quan­tum reliqui sit ad mille aureos sol­ vant etiam fenera­ti­ciam ses­ cento­rum au­re­orum cau­ tio­nem re­ci­piant, ne ex hac cau­ sa eve­ niat ut mul­ti­pli­ca­tum de­bitum exi­ga­tur.

Da nun Unsere Gesetze nicht wollen, dass etwas über das Doppelte gezahlt werde, und sich nur darin von den früheren unter­ scheiden, dass die früheren Gesetze die Schulden, wenn sie das Dop­ pelte er­ reichen, auf­ hören ließen, wenn keine Zahlung mehr er­folgt ist, Wir aber zu­las­ sen, dass auch die Teil­zah­ lun­gen, welche bis zu dem Doppelten ge­sche­hen, die Schulden auf­heben, so ver­ ord­ nen Wir, dass die Be­ rech­ nung demgemäß ge­ sche­ hen soll, und jene, wenn sie so viel zahlen, wie an den 1000 Gold­ ­ stücken fehlt, auch den Schuld­schein über ein Dar­ le­hen von 600 Goldstü­cken zu­rück­erhalten sollen, da­ mit nicht aus die­sem Grun­ de die Schuld mehrfach ein­ge­klagt wer­de.7

Nov. 121,2 zeigt die Entscheidung Justinians über den in Nov. 121,1 be­ rich­teten Streit, und zwar gemäß dem früheren Gesetz, welches dann, wenn die Schulden das duplum erreichen und keine Zahlung erfolgt ist, das An­ wachsen der Schuld aufhören lässt. Aber Justinian ließ auch zu, dass auch die Teilzah­lun­gen, t¦v merik¦v katabol¦v „solutiones per partes“ und di­afÒ­rwv „di­versis temporibus“, zum duplum gerech­net werden.8 Man kann auf Grund der Entschei­dung des Statthal­ters vermu­ten, dass vor Justinian die Teil­zahlun­gen nicht zum duplum ge­rechnet werden konnten. 7

In Nov. 121 erscheinen zwei Schuldscheine. Der Satz kaˆ di¦ toàto ¢p­aitÁ­sai Pal­l£dion ¢ntˆ tÁv protš­rav tîn pentakos…wn nomism£twn da­neiakÁv suggrafÁv ˜tšran cru­sîn ˜xakos…wn „et propterea a Pal­la­ dio pro priore quingentorum aureorum feneraticia cautione alteram ses­ 7  Lateinische Übersetzung nach Schoell / Kroll (o. Fn.  6) pag. 592; deutsche Überset­zung teilweise nach Otto / Schilling / Sintenis (o. Fn. 6) 587–588. 8  Vgl. Balogh (o. Fn. 5) 325; Mariagrazia Bianchini, La disciplina degli interes­ si con­ven­zionali nella legislazione giustinianea, in: Studi in onore di Arnaldo Bis­ cardi II, Milano 1982, 389–426, 397.

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cento­rum aure­orum exegisse“ in Nov. 121,1 zeigt, dass zwei Schuldscheine, also über 500 und 600 Goldstücke, ausgehändigt wurden. Wir können den Haupt­schuld­betrag als 500 Goldstücke daraus entnehmen, dass der Schuld­ schein über 600 Goldstü­ cke statt des früheren Schuldscheins über 500 Goldstücke ausge­hän­digt wurde und dass die Schuldsumme nur bis 1000 Goldstücke (e„v toÝv ci­ l…ouv … cru­soàv ad mille aureos) anerkannt wurde. Deshalb hat der Schuld­ner nicht etwa eine Hauptschuld von 1100 Goldstücken aus zwei unterschied­lichen Dar­lehen. Der Statthalter erkannte, dass alle 867 Goldstücke auf die Zinsen ge­rech­ net wer­den. Der Schuldschein über 600 Goldstücke wurde später abverlangt. Dies mag bedeuten, dass die nach der Zahlung von 867 Goldstücken verblei­bende Schuld noch etwa 600 Goldstücke betrug. Vermutlich wurde dem Gläu­biger bei dem Darlehen von 500 Goldstücken der Schuldschein über 500 Goldstücke aus­gehändigt. Danach vermehrten sich die rückständi­ gen Zinsen, weshalb Haupt­schuld und Zinsschuld vereinigt wurden und der Schuldschein über 600 Gold­stücke ausgehändigt wurde. Justinian erkannte die Bitte des Schuldners an: Die Hauptschuld beträgt 500 Goldstücke, und der Schuldner wird von seiner ganzen Schuld befreit, wenn er die 51 Goldstücke bezahlt, die noch an der Summe von 1000 Gold­ stücken feh­len. Jones zeigt, dass die Familie des Demetrius reich sei, weil er 500 Goldstü­ cke geschuldet habe und sein Sohn und sein Enkel 949 Goldstücke bezahlt hätten.9 Diese Meinung beruht vermutlich darauf, dass 949 Goldstücke eine große Geld­summe sind und der Schuldner ungefähr das duplum bezah­ len konnte. Es ist allerdings durchaus möglich, dass der Schuldner gerade im Fall von Nov. 121,1 das duplum unabhängig davon, ob seine Familie reich war, be­zahlen konnte, nämlich durch fortdauernde Zinsbezahlung.10 Wir können aus Nov. 121 nicht den höchsten Zinssatz ablesen, aber wir kön­ nen ihn vermuten. Justinian erließ im Jahre 528 die Konsti­ tution C. 4,32,26,211, in der er den Höchstzinssatz veränderte. Nach 9  Arnold Hugh Martin Jones, The Later Roman Empire 284–602: A Social Economic and Administrative Survey II, Oxford 1986, 1310 Fn. 95. 10  Jones erwähnte zwar den Reichtum des Schuldners, aber nicht, dass der Schuldner noch 51 Goldstücke bezahlen musste und behauptete, dass er eine solche weitere Be­zah­lung freiwillig angeboten habe. 11  C. 4,32,26,2 Iust. a. 528: Ideoque iubemus illustribus quidem personis sive eas prae­ cedentibus minime licere ultra tertiam partem centesimae usurarum in ­quocumque contractu vili vel maximo stipulari: illos vero, qui ergasteriis praesunt vel aliquam licitam negotiationem gerunt, usque ad bessem centesimae suam stipulationem mode­rari: in traiecticiis autem contractibus vel specierum fenori dationibus usque ad cente­simam tantummodo licere stipulari nec eam excedere, licet veteribus legibus hoc erat concessum: ceteros autem omnes homines dimidiam tantum-



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C. 4,32,27 pr.12 sind die Zinsen bei einer vor dem Erlass von C. 4,32,26,2 begründeten Schuld gemäß dem In­halt der Stipulation, bei einer später be­ gründeten Schuld aber gemäß dem in C. 4,32,26,2 festgesetzten Zinssatz zu berechnen. Der in Nov. 121 entschiedene Fall wurde vor der Entscheidung Justinians aus dem Jahre 535 untersucht. Fer­ ner bedurfte es wohl eines angemessenen Zeitraumes, da­ mit 949 Goldstücke bezahlt wurden. Wenn dem so war, mochte das betref­fende Rechtsgeschäft vor der Änderung des Zinssatzes, die im Jahre 528 ver­fügt wurde, abgeschlossen worden sein, so dass 12 Prozent pro Jahr als höchs­ter Zinssatz verwendet wur­den. Wenn der Schuldner die Zinsen innerhalb des gesetzlich erlaubten Zinssat­ zes bezahlt, aber nicht auf die Hauptschuld zahlt, dann dauert die Zinszah­ lung 8 Jahre und 4 Monate (bei 12 Prozent, bei 6 Prozent noch länger), bis der be­ zahlte Betrag das duplum erreicht. Dieser Zeitraum überzeugt uns tat­säch­lich, dass die Schuldner im Fall von Nov. 121,1 drei Generationen hindurch bezahlt ha­ben. Siems führt ein Beispiel aus einem Brief des Sidonius Apollinaris an: „Im Laufe von 10 Jahren war die Schuld dann auf den doppelten Betrag des Kapi­tals auf­gelaufen.“13 Wenn ein Jahreszins von 12 Prozent verein­ bart wird, erfor­dert es 8 Jahre und 4 Monate (100 Monate), bis die Zinssumme die Höhe des Kapi­tals erreicht. Im von Siems erwähnten Beispiel wurden also Zinsen unter dem ge­setz­lich erlaubten Zinssatz bezahlt. Nov. 138 Iust. Hermogeni magistro officiorum [ante Kal. Mai. a. 535] Die Konstitution Unserer Majestät, welche Manifestissima est nostri numinis die Einklagung einer Schuld auf den Be­trag constitutio, quae usque ad dupli des Doppelten beschränkt, ist allbe­ kannt. quantitatem exactionem debiti con­ Wenn also einige von deinen Gläu­bigern das cludit. Si igitur creditores tui qui­ Doppelte [der Schuld] erhal­ten haben, ande­ dam in duplum acceperunt, alii ad­ huc minus consecuti sunt, hi qui­dem re aber noch nicht so viel er­langt ha­ben, so qui in duplum ex usura­rum quanti­ soll denen, welche das Dop­pelte der Schuld durch die Summe der Zinsen zu verschiede­ tate per diversa tem­ po­ ra consecuti sunt, nullam adver­sus te inquietudinen Zahlungszeiten erlangt ha­ben, nicht gemodo centesimae usurarum posse stipulari et eam quantitatem usurarum etiam in aliis omnibus casibus nullo modo ampliari, in quibus citra stipulationem usurae exigi solent. 12  C. 4,32,27 pr. Iust. a. 529: De usuris, quarum modum iam statuimus, pravam quo­rundam interpretationem penitus removentes iubemus etiam eos, qui ante eandem sanctionem ampliores quam statutae sunt usuras stipulati sunt, ad modum eadem san­ctione taxatum ex tempore lationis eius suas moderari actiones, illius scilicet temporis, quod ante eandem fluxit legem, pro tenore stipulationis usuras exacturos. 13  Sidon. Apoll. epist. 4,24,1 (MGH AA VIII pag. 74,25): per bilustre producta tem­pus modum sortis ad duplum adduxit. Harald Siems, Handel und Wucher im Spiegel frühmittelalterlicher Rechtsquellen, Hannover 1992, 654.

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nem proponere con­ ce­ dantur, alii autem, si simili modo repleti fuer­ int, eo modo sile­re con­pelluntur; et si debita sua con­se­cuti fuerint, fene­ raticias cau­ tiones re­ cuperari, vel si reman­ serint, suis viribus vacare, si pre­ces verae sunt, praesentis oraculi sanctione de­cernimus.

stattet werden, dich durch eine Klage zu beunru­higen, die übrigen aber wer­den, wenn sie auf gleiche Weise voll­ständig [das Dop­ pelte] erhalten haben werden, auf dieselbe Weise zu schweigen ge­ zwungen werden. Und Wir beschließen durch die Bestimmung des gegenwärtigen Reskripts, – wenn deine Bitten auf Wahr­heit beruhen, – dass, wenn die Gläu­ biger die Bezahlung der Schulden erlangt haben, du die Scheine über diese verzinslichen Schulden wieder­erlan­gen sollst oder diese, wenn sie bei den Gläubi­ gern verbleiben sind, ihre Kraft verlieren sollen.14

Justinian bestätigt das Verbot der usurae ultra alterum tantum und sagt da­nach, dass der Gläubiger die Zinsen nicht fordern kann, wenn er schon das du­plum des Kapitals empfangen hat. Der Gläubiger kann die Zinsen nicht nur dann nicht fordern, wenn die Zinsen schon das duplum erreicht haben, son­dern auch, wenn die Zinsen das duplum erst in Zukunft erreichen werden. Die be­zahl­ten Zinsen bedeuten hier die per diversa tempora be­ zahlten Zinsen. Um die­ses Prinzip strenger anzuwenden, verordnete Justini­ an Folgendes: Der Schuld­ner kann den Schuldschein zurückfordern, nach­ dem er die Zinsen bis zum duplum bezahlt hat; wenn der Schuldschein bei den Gläubigern verbleibt, wird er un­wirksam. 14

Aufgrund dieser Konstitution, die über die Zurückforderung und Unwirk­ sam­ keit des Schuldschein nach Erreichen des duplum spricht, darf der Gläubi­ger vom Schuldner, der die Zinsen bis zum duplum bezahlt hat, die usurae ultra alte­rum tantum nicht mehr fordern. Man kann diesen Inhalt als das Prin­zip des Verbotes der usurae ultra alterum tantum be­greifen. Zur Zeit Justinians ist es klar, dass auch die teilweisen bezahlten Zinsen zum duplum gerechnet werden. Jedoch nach ™cÒn­twn prÕv toÝv œmpros­ qen dia­for¦n „a prioribus discrepantiam ha­bent“ in Nov. 121,2 können wir ver­muten, dass in der Zeit vor Justinian eine andere Zahlungsweise von usurae ultra alterum tantum als in der Zeit Justi­nians ange­wendet wurde. Daher stellt sich die Frage, welche Zinsen vor der Zeit Justinians zum duplum des Ka­pitals ge­rechnet wurden.

14  Übersetzung teilweise nach Otto / Schilling / Sintenis (o. Fn. 6) 695–696. Datie­ rung nach Schoell / Kroll (o. Fn. 6) pag. 806,18–19.

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III. Welche Zinsen sind ins duplum einzurechnen? Mitteis15 schrieb „Wichtig ist der allgemeine Grundsatz, dass die Summe der rückständigen Zinsen das Kapital nicht übersteigen darf. Dieses bekannt­ lich auch im römischen Recht angenommene Prinzip ist für Ägypten altes Landes­recht, auf den König Bokchoris (8. Jahrh.) zurückgehend, von wel­ chem Dio­dor. 1,79,2 erzählt.“ Diodor. 1,79,2 toÝv d7 met¦ suggarfÁv da­ ne…­santav ™kèlue di¦ toà tÒkou tÕ kef£laion plšon poie‹n À di­pl£sion.16

Wer ferner gegen Schuldschein Geld aus­ lieh, der durfte sein Kapital durch die Zin­ sen nicht höher als bis zur Verdoppe­ lung steigern.17

Zwar spricht Diodor. 1,79,2 über die usurae ultra alterum tantum, aber wir kön­nen hier das Wort, welches „rückständige Zinsen“ bedeutet, nicht fin­den. Warum entstand die Ansicht, dass nur die rückständigen Zinsen zum duplum des Kapitals gerechnet werden? Dazu erläutern auch die Lehrbücher des römi­schen Rechts,18 dass (1) die rückständigen Zinsen zum duplum des Kapitals gerechnet wurden, hauptsächlich auf Grund von D. 12,6,26,1 und C. 4,32,10, und (2) später unter Justinian auch die bezahlten Zinsen dazu gerech­net wur­den. Zwar entspricht dieses Verständnis der allgemeinen An­ nahme, aber es ist zwei­fel­haft, ob im klassischen Recht nur die rückständi­ 16 17

15  Ludwig Mitteis / Ulrich Wilcken, Grundzüge und Chrestomathie der Papyrus­ kunde II 1, Leipzig / Ber­lin 1912, 118. 16  G. P. Goold ed., trans. Charles Henry Oldfather, Diodorus of Sicily: the Lib­ rary of History, Books I – II.34, London 1933 (Repr. 1998), 273. 17  Übersetzt von Adorf Wahrmund, Langenscheidtsche Bibliothek sämtlicher griechi­schen und römischen Klassiker in neueren deutschen Muster-Übersetzungen, Bd. XXIX: Diodor, Berlin, 127. 18  Bernhard Windscheid / Theodor Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts II, Frank­ furt 19069, 82: „Sobald die rückständigen Zinsen die Höhe des Kapitals erreicht haben, hört der fernere Zinsenlauf auf.“ und in Fn. 3: „Nach späteren Verfügungen Justinians soll der Zinsenlauf sogar dann aufhören, wenn die gezahlten Zinsen die Höhe des Kapitals erreicht haben, Nov. 121. 138 (l. 29. 30 C. 4,32, Nov. 160).“ Kaser, RPR I (o. Fn. 1) 497: „Zinseszinsen (usurae usurarum) werden nicht geschul­ det, ebensowenig rückstän­dige Zinsen, soweit sie den Kapitalbetrag übersteigen.“ Kaser, RPR II (o. Fn. 1) 342: „Rückständige Zinsen konnten nach klassischem Recht nicht über den Kapitalbetrag hinaus anwachsen. Nunmehr läßt man – wenig sinnvoll – im Westen wie im Osten den Zinsenlauf auch dann aufhören, wenn die Summe der be­zahlten Zinsen den Kapitalbe­trag erreicht.“ Zimmermann (o. Fn. 1) 169 Fn. 87: „Nei­ther, incidentally, could arrears of interest be charged to the extent that they ex­ ceeded the amount of the capital that had been borrowed: Ulp. D. 12,6,26,1 (‚supra duplum autem usurae‘); C. 4,32,10 (Ant.)“ … „In post-classical times the accrual of interest also ceased, rather strangely, when the amount of inte­ rest paid had reached the amount of the capital sum: Nov. 121,2; 138; 160 pr.“.

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gen Zinsen zum duplum des Kapitals gerechnet wurden und erst später unter Justinian auch die be­zahl­ten Zinsen dazu gerechnet wurden. Es handelt sich um die Beziehung zwischen D. 12,6,26,1 und C. 4,32,10, fer­ner zwischen dem erstem und dem zweitem Satz in C. 4,32,10. In Be­zug auf das Problem, insbesondere auf die Frage, welche Zinsen in das duplum eingerech­net werden sollen, sind meines Erachtens vor allem zwei Quellen­ texte von Be­deu­tung: D. 12,6,26,1 von Ulpian und C. 4,32,10 von Antoni­ nus Caracalla. Beide Texte wur­den in der fast glei­chen Zeit geschrieben, aber sie unterschei­den sich nach ihrem Inhalt voneinan­der. Nach den Unter­ suchungen von Honoré wurde D. 12,6,26,1 im Jahre 213 geschrieben, und C. 4,32,10 wurde zwischen 30. Juli 213 und 22. Februar 217 geschrieben.19 D. 12,6,26 pr. Ulp. 26 ad ed. Si non sortem quis, sed usuras inde­ bitas solvit, repetere non po­terit, si sortis debitae solvit: sed si supra legitimum modum solvit, divus Se­ verus rescripsit (quo iure utimur) repeti quidem non posse, sed sorti imputandum et, si postea sortem solvit, sortem quasi inde­bitam repe­ ti posse. proinde et si ante sors fue­ rit soluta, usurae su­ pra legitimum modum solutae quasi sors indebita repetuntur. quid si simul solverit? poterit dici et tunc repetitionem lo­ cum ha­bere.

Leistet jemand nicht das Kapital, sondern nicht geschuldete Zinsen, so kann er diese nicht zurück­verlangen, wenn er sie als Zin­ sen für geschuldetes Kapital geleistet hat. Doch wenn er über den gesetzlich er­laub­ten Zinssatz hinaus zahlt, kann, wie der vergött­ lichte Kaiser Septimius Severus auf Anfrage entschieden hat (und das ist gelten­ des Recht), zwar nicht Rückgewähr ver­ langt werden; doch ist die Zahlung auf das Kapi­ tal anzurechnen, und wenn er später das Kapital [ohne Abzug] zurück­zahlt, kann es als [insoweit] nicht geschul­ detes Kapital zurückverlangt wer­den. Daher kön­nen, auch wenn das Kapital vorher zu­rück­gezahlt wor­ den ist, die Zin­sen, die über den gesetzlich erlaubten Zinssatz hin­ aus ge­ leistet worden sind, wie nicht ge­schul­de­tes Kapital zurück­ verlangt wer­ den. Was soll gelten, wenn er [Zinsen und Ka­ pital] gleich­ zeitig geleistet hat? Man kann sa­gen, dass auch in diesem Fall eine Rück­for­de­rung stattfindet.20

In D. 12,6,26 pr., dem der Stelle D. 12,6,26,1 vorhergehenden Paragra­ phen, handelt es sich darum, dass (1) die nicht geschuldeten Zinsen nicht zurück­ ge­ fordert werden können und (2) Zinsen, die über den gesetzlich erlaubten Zins­satz hinaus geleistet worden sind, nicht zurückgefordert wer­ den können, (3) diese Zinsen aber, die auf das Ka­pital anzurechnen sind, 20

19  Tony Honoré, Emperors and Lawyers, Oxford 1981, 67–69; Tony Honoré, Ulpian, Oxford 1982, 148, 153. Vgl. Hermann Fitting, Alter und Folge der Schriften römischer Ju­risten von Hadrian bis Alexander, Halle 19082, 112. 20  Übersetzung teilweise nach Rolf Knütel u. a., Corpus Iuris Civilis, Text und Überset­zung III, Heidel­berg 1999, 115.

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zurück­gefor­dert wer­den können, nachdem der Schuldner seine Schuld ge­ tilgt hat.21 D. 12,6,26,1 Ulp. 26 ad ed. Supra duplum autem usurae et usurarum usurae nec in stipulatum deduci nec exigi possunt et solu­tae repetuntur, quemadmodum fu­tu­ra­ rum usurarum usurae.

Zinsen, die den doppelten Betrag [des Kapi­ tals] übersteigen, sowie Zinseszinsen können jedoch weder zum Gegenstand einer Stipu­ lation gemacht noch eingeklagt werden, und wenn sie geleistet worden sind, können sie zurückverlangt werden wie Zinsen auf künf­ tige Zinsen.22

Diese Stelle spricht zugleich über die usurae ultra alterum tantum und die Zinses­ zinsen. Man kann eine Stipulation über usurae ultra alterum tantum nicht abschließen, und die darüber abgeschlossene Stipulation wird nicht wirk­sam. Der Gläubiger kann deshalb aus der Stipulation die usurae ultra alterum tantum nicht fordern. Man kann es im Zeitpunkt des Ab­ schlusses einer Stipu­ lation feststel­ len, ob die Zinssumme den doppelten Betrag der Hauptschuld über­stei­gen.23 22

Obwohl usurae ultra alterum tantum nicht zum Gegenstand einer Stipula­ tion gemacht werden können, kann der Schuldner, wenn er usurae ultra alte­rum tan­tum bezahlt hat, diese zurückfordern. Die Worte „solutae repetuntur“ setzen die Existenz von bezahlten Zinsen voraus. Deshalb sagt 21  Wir können eine ähnliche Theorie Art. 2 der alten Fassung des im Jahre

in der japanischen Rechtsprechung finden. 1873 erlassenen Risoku-Seigen-Ho (Zinsbe­ schränkungsgesetz) regelte, dass man die über den gesetzlich erlaubten Zinssatz hinaus er­folgte Bezahlung für gesetzlich ungültig halten solle. Die Rechtsprechung erkannte die Rückforderung nicht an, wenn der Schuldner eine solche Bezahlung freiwillig gemacht hatte. Auch nachdem das geltende Risoku-Seigen-Ho im Jahre 1954 erlassen wurde, ließ die Rechtsprechung zuerst die Rückforderung und die Anrechnung auf das Kapital der über den gesetzlich erlaubten Zinssatz hinaus freiwillig erbrachten Zah­lungen nicht zu; z. B. die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 13. Juni 1962, Saikosai Minshu (Entscheidungssammlungen des Obersten Gerichtshofes in Zivilsa­ chen) 16,7,1340. Jedoch zwei Jahre später bejahte die Entscheidung des Obersten Ge­richts­hofes vom 18. November 1964, Saikosai Minshu 18,9,1868, die Anrechnung auf das Kapital. Ferner erkannte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 13. November 1968, Saikosai Minshu 22,12,2526, auf Grund der An­rechnung auf das Ka­ pital die Zurückforderung des Restes nach der Tilgung an. Art. 43 des ­Kashikingyo No Kiseito Ni Kansuru Horitsu (Regulierungsge­setz über die regis­ trierten ge­schäftlichen Darlehensgeber), das im Jahre 1983 erging, betrachtet es al­ lerdings mit den bestimmten Vorbehalt als gültige Zins­zahlung, wenn der Schuldner über den gesetzlich erlaubten Zinssatz hinaus freiwillig bezahlt hat. 22  Knütel (o. Fn. 20) 115. 23  Laura Solidoro, „Ultra sortis summam usurae non exiguntur“, Labeo 28 (1982) 164–179, 170.

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diese Stelle, dass nicht nur die rückständigen Zinsen, sondern auch die bezahlten Zinsen zum duplum des Kapitals gerechnet werden sollen. Man versteht auf Grund von C. 4,32,10 gemeinhin usurae ultra alterum tan­tum als die rückständigen Zinsen im klassischen Recht. C. 4,32,10 Ant. A. Crato et Donato militi Zinsen, die von Zeit zu Zeit bezahlt wor­den Usurae per tempora solutae non sind, können vom Schuldner zur Be­ rech­ pro­ficiunt ad dupli computatio­nem. nung des doppelten Betrags nicht benutzt tunc enim ultra sortis sum­mam usu­ werden. Denn dann können die Zinsen nicht rae non exiguntur, quo­tiens tempore über den Betrag des Kapitals hinaus gefor­ solutionis summa usurarum excedit eam computati­onem. dert werden, wenn die Summe der Zinsen zur Zeit der Zahlung diesen Betrag über­ steigt.24

Der erste Satz „Usurae per tempora solutae non proficiunt ad dupli compu­tati­onem“ teilt mit, dass die bezahlten Zinsen nicht zum duplum des Kapitals ge­rechnet werden sollen. Nach dieser Stelle werden also nur die rückständigen Zin­sen zum duplum des Kapitals gerechnet. Vermutlich wird auf Grund dieses ersten Satzes von C. 4,32,10 allgemein angenommen, dass nur die rückständi­gen Zinsen ins duplum eingerechnet wer­den. 24

C. 4,32,10 stellt dar, dass die bezahlten Zinsen keine Posten für die Berech­nung der usurae ultra alterum tantum sind. Aber D. 12,6,26,1 er­ wähnt dies nicht.25 Vielmehr spricht Ulpian nur von „solu­tae repetuntur“. Die Zurück­forde­rung setzt also voraus, dass der Schuldner schon die Zinsen be­zahlt hat. Deshalb zeigt dieser Satz „solutae repetuntur“ Ulpians Gedan­ ken, dass die bezahlten Zinsen zum duplum des Kapitals gerech­net werden. Es scheint also widersprüch­lich, dass C. 4,32,10 die bezahlten Zinsen keine Posten für die Be­rechnung der usurae ultra alterum tantum sind.26 Diesen anscheinenden Widerspruch zwischen D. 12,6,26,1 und C. 4,32,10 er­wähnt Cervenca27 auf Grund der zeitlichen Reihenfolge der beiden Stellen. Er meint, es bestünde trotz der unterschiedlichen Inhalte der beiden Stellen kein inhaltlicher Widerspruch: D. 12,6,26,1 stamme aus der Zeit von Cara­ calla, als Ulpian Assessor des Praefectus praetorio Papinian gewesen sei.28 24  Otto / Schilling / Sintenis (o. Fn.  6) V, Leipzig 1832, 614. Die Konstitution stammt möglicherweise aus dem Jahre 215, vgl. Krueger, Codex Iustinianus, Dub­ lin / Zürich 196714, 172 Fn. 6 zu C. 4,32,10 und Fn. 1 zu C. 4,32,7. 25  Vgl. Giuliano Cervenca, Sul divieto delle cd. «usurae supra duplum», Index 2, Napoli 1971, 291–312, 292. 26  Solidoro (o. Fn. 23) 170. 27  Cervenca (o. Fn. 25) 292. 28  Wolfgang Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen, Wei­ mar 1952, 245 ff.



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Deshalb sei es zweifelhaft, ob Ulpian irrtüm­lich oder absichtlich eine andere oder sogar eine zum kaiserli­chen Reskript widersprüchliche Meinung vertre­ ten konnte. Daher meint Cer­venca, D. 12,6,26,1 sei früher als C. 4,32,10 ge­ schrieben und Cara­calla habe die Strenge des Verbotes durch C. 4,32,10 gemil­dert.29 Nach Cervencas Meinung besteht also kein inhaltlicher Widerspruch zwi­ schen D. 12,6,26,1 und C. 4,32,10. Nach D. 12,6,26,1 kann man das du­plum des Kapi­tals als Zinsverbindlichkeit unabhängig davon feststellen, ob die Zin­sen be­zahlt worden sind oder nicht, denn die rückständigen Zinsen und die bezahl­ten Zinsen werden eingerechnet. Dagegen zeige C. 4,32,10, dass der Gläubiger vom Schuldner das duplum fordern könne, auch wenn der Schuld­ner die Zin­sen be­zahlt habe, sofern er die Hauptschuld nicht tilge. Deswegen seien die Posten für die Berechnung der usurae ultra alterum tantum verrin­gert wor­den, wodurch der Anwendungsbereich dieses Verbotes ver­kleinert worden sei. Zwar gibt es, wie Cervenca meint, einen Unterschied zwischen D. 12,6,26,1 und C. 4,32,10. Es wäre jedoch schwierig, zu behaupten, dass der Kaiser eine andere Meinung als der Assessor des Praefectus praetorio zur fast gleichen Zeit vertrat und eine kaiserliche Entscheidung (C. 4,32,10) gerade eine Milde­ rung des von sei­ nem eigenen Assessor des Praefectus praetorio erteilten Verbo­tes (D. 12,6,26,1) vorge­sehen habe. Solidoro hat daher die Beziehung zwischen D. 12,6,26,1 und C. 4,32,10 aus der Wirksamkeit der Stipulation und der Bezahlungsart der Zinsen betrach­tet.30 Es handele sich in D. 12,6,26,1 um den Fall, dass man es im Zeitpunkt des Ab­ schlusses einer Stipulation schon klar feststellen könne, das die Zinsen das dup­lum über­steigen, während es sich in C. 4,32,10 um den Fall handele, dass man es in diesem Zeitpunkt nicht klar feststellen könne. Der erste Satz von C. 4,32,10 erwähnt die zu verschiedenen Zeiträumen be­zahlten Zinsen, näm­lich nicht solutae, sondern per tempora solutae. Nach dem zweitem Satz von C. 4,32,10 wird es beim tempus solutionis berechnet, ob die Zinsen die dupli com­putationem übersteigen. Die summa usurarum bedeu­tet deswegen den Betrag der durch lange Jahre aufgelaufenen Zinsen. Die zu ver­schiedenen Zeiträumen bezahlten Zinsen sind aus der Stipulation über recht­mäßige Zinsen bezahlt. Weil nach dem zweiten Satz von C. 4,32,10 die zu ver­ schiede­ nen Zeiträumen bezahlten Zinsen keine Posten für die 29  Cervenca (o. Fn. 25) 291. Zur Milderung durch C. 4,32,10: Christian Fried­ rich Glück, Ausführliche Erläuterung der Pandekten XXI, Erlangen 1820, 105–106; Bravo (o. Fn. 3) 53. 30  Solidoro (o. Fn. 23) 176.

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Berech­nung der usu­ rae ultra alterum tantum sind, konnte der Gläubiger diese als rechtmäßige Zinsen annehmen und behalten.31 Solidoros Meinung stimmt mit dem Inhalt von Nov. 121,2 überein, wo Jus­tinian die Posten, die in die Berechnung des duplum eingingen, verän­ derte. Es ist aufgrund der Zah­lungsart von Nov. 121,1 anzunehmen, dass die Teil­zah­lun­gen zum duplum gerechnet wurden. Dagegen stimmt die über das frühere Ge­setz ge­machte Er­wähnung mit D. 12,6,26,1 und C. 4,32,10 über­ ein. Wenn näm­lich die Schuld­summe das duplum erreicht und keine Zahlung erfolgt ist, dann hört das An­wachsen der Schuldsumme auf, falls man fest­ stellen kann, dass die Zinsen das duplum im Zeitpunkt des Vertragabschluss übersteigen (D. 12,6,26,1). Usurae per tempora solutae sind in C. 4,32,10 keine Posten für die Berech­nung des duplum, und diese werden als rechtmäßige Zinsen empfan­ gen, so dass die Zinsen das duplum um den bezahlten Zinsbetrag über­stei­ gen. Wir können dann den Sinn des Satzes e„ mh­dem…a gšgone katabo­l» „si nulla solu­tio facta esset“ in Nov. 121,2 be­greifen. Mir scheint noch in C. 4,32,10 das Problem zu bestehen, dass die Verbin­ dung zwischen dem ersten Satz „Usurae per tempora solutae non proficiunt ad dupli computationem“ und dem zweiten Satz „tunc enim ultra sortis sum­mam usurae non exiguntur, quotiens tempore solutionis summa usurarum excedit eam computationem“ nicht logisch ist. Man muss nach der bisherigen Meinung aus dem Inhalt des zweiten Satzes zu dem Schluss kommen, dass nur die rückstän­digen Zinsen ins duplum eingerechnet wer­ den, weil der erste Satz auf dem zwei­ten Satz beruht. Wenn aber Zinsen mehr­malig per tem­pora be­zahlt wurden und danach die rückstän­digen Zin­ sen ent­stan­den, kommt es zur Frage, ob sie gefor­dert werden kön­nen. Des­ halb ist die For­de­rungs­mög­lich­keit, die im zwei­ten Satz erwähnt wird, nicht die Begrün­dung für den ersten Satz, in dem die zu verschiedenen Zeitpunk­ ten bezahlten Zinsen keine Posten für die Berechnung des duplum. Wenn wir das Wort „proficere“ als „fortschreiten“ begreifen,32 lautet der erste Satz von C. 4,32,10, dass die teilweise bezahlten Zinsen noch nicht das du­plum erreichen. Der erste und der zweite Satz haben dann eine logi­ sche Verbin­ dung. Diese Meinung widerspricht jedoch der Nov. 121, wo Justinian die Regel für die Berechnung des duplum verändert hat.33 31  Solidoro

(o. Fn. 23) 176. Ernst Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch II, Han­no­ver 197614, 1964; Hermann Gottlieb Heumann, neu bearbeitet von Emil Seckel, Heu­manns Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, Jena 19269, 466. Vgl. Charl­ton Thomas Lewis, Latin dictionary for schools, Oxford 1889, 817. 33  Bravo (o. Fn. 3) 55. 32  Karl

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Wenn wir das Wort „enim“ als „wirklich (in der Tat)“ begreifen,34 kön­ nen wir dieses logische Problem lösen. Die zu verschiedenen Zeitpunkten bezahl­ten Zinsen sind keine Posten für die Berechnung des duplum, weil man anneh­men kann, dass die Zinsen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht gegen die Regel usurae ultra alterum tantum verstoßen. Der zweite Satz be­trifft die prak­ti­sche Anwen­dung des ersten Satzes. Die dupli computatio wird zum Fällig­ keits­ termin tem­pore solutionis angestellt, nicht zum Zeitpunkt des Ver­trags­abschlusses. Der Gläubiger kann usurae ultra alterum tantum nicht fordern, d. h. er kann die Zinsen nur bis zur Höhe von usurae ultra alterum tantum fordern. Also können die teilweise bezahlten Zinsen als rechtmäßige Zinsen empfan­ gen wer­den. Deshalb können die Zinsen, die von Zeit zu Zeit bezahlt wor­ den sind, vom Schuldner nicht ins duplum des Kapitals eingerechnet werden. Im Hinblick auf dieses Problem betrachten wir im Folgenden die Konstituti­onen Jus­tinians. Justinian verordnete C. 4,32,27 im Jahre 529: C. 4,32,27,1 Iust. A. Menae pp. a. 529 Cursum insuper usurarum ultra du­ plum minime procedere conce­ dimus, nec si pignora quaedam pro debito creditori data sint, quo­ rum occasione quaedam vete­res le­ges et ultra duplum usuras exigi permit­ tebant.

Wir gestatten ferner keineswegs das Auf­ laufen der Zinsen über den doppelten Be­ trag, auch nicht, wenn dem Gläubiger einige Pfänder für die Schuld gegeben worden sind, bei welchem Anlass einige alte Gesetze die Zinsforderung auch über den doppelten Betrag gestatteten.35

Diese Konstitution entschied, dass man die Zinsbeschränkung „usurae ultra alterum tantum“ auch auf die Schuld, für die Pfänder gegeben worden sind, anwen­den muss, und dass es den Fall gab, in dem der Gläubiger die usurae ultra alterum tantum nach veteres leges fordern konnte.36 Tafaro nimmt an, dass die veteres leges das Seedarlehen und die regionalen Ge­ wohnheiten be­trafen.37 35

C. 4,32,27,2 Iust. A. Menae pp. a. 529 Welches Wir auch bei den Klagen nach Treu Quod et in bonae fidei iudiciis cete­ und Glauben und in allen andern Fällen, wo risque omnibus in quibus usurae Zinsen gefordert werden, be­ob­achtet wis­sen exiguntur servari cense­mus. wollen.38 38

34  Karl Ernst Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch I, Hanno­ver 197614, 2420. 35  Übersetzung teilweise nach Otto / Schilling / Sintenis (o. Fn. 24) 619. 36  Vgl. Bianchini (o. Fn. 8) 397, 400 ff.; Bravo (o. Fn. 3) 54. 37  Sebastiano Tafaro, CI. 7.47.1: Giustiniano e limiti alla condanna del debito­ re, in: L’usura ieri ed oggi, Foggia 7–8 aprile 1995, Bari Cacucci 1997, 226 Fn. 22. 38  Übersetzung teilweise nach Otto / Schilling / Sintenis (o. Fn. 24) 619.

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Akira Sugao

Die Stelle dehnt den Anwendungsbereich der usurae ultra alterum tantum, der vorher auf die Zinsen ex stipulatio beschränkt war, auf die Zinsen für bonae fidei iudicia und usurae rei iudicatae aus.39 Justinian hat darin bestä­tigt, dass der Zinsenlauf niemals das duplum des Kapitals übersteige und wei­terhin die­ses Verbot auch auf durch Pfand gesicherte Schulden an­ gewendet werden solle. Fünf Jahre später40 wurde Nov. 121 erlassen. IV. Zusammenfassung In der klassischen Zeit wurde die Stipulation von usurae ultra alterum tan­tum nicht erlaubt, und nach dieser Regel konnte der Gläubiger sie nicht for­dern. Es besteht aus D. 12,6,26,1 kein Zweifel an diesem Inhalt. Im Hin­ blick auf die Frage, welche Posten in die Berechnung des duplum eingehen, wird allgemein angenom­men, dass nur die rück­ständigen Zinsen zum duplum gerech­ net wer­ den, nicht die be­ zahlten Zin­ sen. D. 12,6,26,1 und C. 4,32,10 haben einen unter­schiedli­chen, aber nicht wider­sprüchli­chen In­ halt, und zwar aufgrund der Bezie­ hung zwi­ schen Ulp. D. 12,6,26,1 und Carac. C. 4,32,10. Nach Solidoros An­sicht meint D. 12,6,26,1 die Zinsen, die das duplum im Zeitpunkt des Vertrags­abschlusses klar übersteigen, wäh­ rend C. 4,32,10 die zu ver­schiedenen Zeiträu­men bezahlten Zin­sen meint, die das duplum im Zeitpunkt des Ver­trags nicht klar übersteigen. Ich stimme dieser Meinung zu, aber es bleibt das Prob­lem der logischen Verbin­dung zwischen dem ersten und dem zweiten Satz in C. 4,32,10. Nach meiner Meinung verbindet „enim“ den zweiten Satz mit dem ersten Satz als Bekräfti­gung des ersten Satzes, nicht als Begründung. Nach der Rechnungsweise von C. 4,32,10 kann die Zinsschuld wieder zum duplum des Kapitals anwachsen, wenn der Schuldner die Zinsen in Teilbeträ­gen gezahlt hat. Denn die Zinsschuld wächst wieder an, sofern die Haupt­schuld noch bleibt. Diese Behandlung hat nachteilige Folgen gegen­ über dem Schuld­ner, der zur Zahlungszeit billige Zinsen bezahlt hat. Daher spielt dieses Verbot nur eine beschränkte Rolle, weil man den Schuldbetrag nicht unbe­ dingt be­ gren­ zen konnte. Jedoch werden nach der Konstitution Justinians (Nov. 121) auch die teilweise bezahlten Zinsen zum duplum ge­ rechnet, womit das duplum des Ka­pitals mit der Berechnung aus dem Betrag der Hauptschuld ohne Weite­res festge­stellt wird. Darum behauptete der Schuldner positiv in Nov. 121, durch die Zahlung der Restschuld frei zu werden. Dagegen versuchte der Gläubiger, das Verbot 39  Cervenca

(o. Fn. 25) 297; Bianchini (o. Fn. 8) 395; Tafaro (o. Fn. 37) 226–

40  Bianchini

(o. Fn. 8) 399.

227.



Usurae ultra alterum tantum401

da­durch umzugehen, dass er den Schuldschein, der einen anderen Schuldbe­ trag als eigent­liche Hauptschuld auswies, ausgehändigt hat. Die­ses Prob­lem mit dem Schuldschein entsteht aus der Eigenschaft des Verbots usurae ultra alte­rum tantum. Da nämlich alterum tantum den gleichen Betrag wie das Kapi­tal be­deutet, ist die Summe abhängig vom Kapitalbetrag. Daher kann alterum tantum auch als gleicher Betrag des Kapitalbetrages an­ wachsen, wenn der Kapitalbe­trag sich vermehrt. Wegen dieser Eigenschaft steht usurae ultra alterum tantum in Beziehung zum anatocismus, vor allem zum sog. anatocismus coniunctus. Wenn die Zin­ sen zum Ka­ pital hinzugerechnet werden, wird der Kapitalbetrag ver­ mehrt. So wäre das Verbot von usurae ultra alterum tauntum unvollständig, wenn der anatocismus coniunctus nicht verboten würde. Hierfür ist Iust. C. 4,32,28 sehr wichtig, weil diese Konstitution mit genügendem Erfolg die Zinsen beschrän­ken kann.

Sachmängelhaftung und Nichterfüllungshaftung Von Yoshihiro Tabata I. Einführung Der Inhalt der Verpflichtung des Stückverkäufers ist ein grundlegendes The­ma des modernen Schuldrechts. In Japan ist vor allem das Verhältnis zwi­schen der Leistungspflicht des Verkäufers und der Grundlage der Sach­ män­ gel­ haf­ tung, mit anderen Worten die Frage nach der Rechtsnatur der Sachmän­ gel­ haftung, bis heute heftig umstritten, und so war es auch in Deutschland bis zur Schuldrechts­ modernisierung von 2002. Gegenwärtig schreitet die Re­form­arbeit am japani­schen Schuldrecht gerade fort, und das Kaufge­ währ­ leistungs­ recht ist ein Ge­ gen­ stand der Reform. Dieser Aufsatz gibt einen Über­blick über die Ent­wicklung des japanischen Streits über die Sach­mängel­haftung, der vom deut­schen Recht theoretisch sehr beeinflusst worden ist; es folgen Überlegun­gen zur Rechtsnatur der Sachmän­gelhaftung. Vor den Erwä­ gungen zum japa­ nischen Recht wird auch die Struktur der Haftung des Ver­käufers für Sach­mängel­im deutschen und römi­schen Recht kurz betrachtet. II. Deutsches und römisches Recht 1. Deutsches Recht Die Regelungen und Streitpunkte des deutschen Kaufgewährleistungs­ rechts werden nur im Überblick dargestellt. Im deutschen BGB bis 2002 trug der Ver­käufer zwar die Pflicht zur rechtsmangelfreien, aber nicht zur sachmangel­ freien Leistung (§ 433 f. BGB a. F.1). Wenn ein Rechtsmangel 1  § 433 BGB a. F.: (1) Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache ver­pflich­tet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu ver­schaf­fen. Der Verkäufer eines Rechtes ist verpflichtet, dem Käufer das Recht zu ver­schaffen und, wenn das Recht zum Besitz einer Sache berechtigt, die Sache zu überge­ben. (2) Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kauf­ preis zu zah­len und die gekaufte Sache abzunehmen. § 434 BGB a.  F.: Der Verkäufer ist verpflichtet, dem Käufer den verkauften Gegen­ stand frei von Rechten zu verschaffen, die von Dritten gegen den Käufer geltend ge­macht werden können.

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vorlag, fanden nach § 440 BGB a. F. auch die allgemeinen Vorschriften der §§ 320–327 a. F. An­wendung, nicht aber beim Sachmangel. Bei einem Sach­ mangel haftete der Verkäufer le­diglich nach §§ 459 ff. BGB a. F. Wenn die gelieferte Sache einen Mangel, wie in § 459 BGB a. F.2 bestimmt, hatte, konnte der Käufer Wande­ lung oder Min­ de­ rung verlangen (§ 462 BGB a. F.3). Hatte der Verkäufer einen Feh­ler arglistig verschwiegen oder fehl­ te der verkauften Sache zur Zeit des Kaufes eine zugesi­cherte Eigenschaft, dann konnte der Käufer stattdessen Schadens­ ersatz wegen Nichterfüllung verlangen (§ 463 BGB a.  F.4). Für den Gattungs­ kauf galt § 480 BGB a. F.5, nach dem der Käufer statt der Wandelung oder der Minde­rung die Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen konnte. Die Natur des Kaufgewährleistungsrechts war auch in Deutschland umstrit­ten.6 Hauptsächlich wurden die sog. Gewährleistungstheorie7 und die sog. Nicht­ erfüllungstheorie8 vertreten. Für die deutsche Lehre war es charakteris­tisch, dass auch die meisten Vertreter der Nichterfüllungs­ theorie den Nachbes­serungsanspruch des Stückkäufers ablehnten. Obwohl sie die Pflicht des Ver­käufers zur sachmangelfreien Leistung und, wenn die 2  § 459 BGB a. F.: (1) Der Verkäufer einer Sache haftet dem Käufer dafür, dass sie zu der Zeit, zu welcher die Gefahr auf den Käufer übergeht, nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrage vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern. Eine unerhebliche Minde­rung des Wertes oder der Tauglichkeit kommt nicht in Betracht. (2) Der Ver­ käufer haftet auch dafür, dass die Sache zur Zeit des Überganges der Gefahr die zugesicherten Eigen­schaf­ten hat. 3  § 462 BGB a.  F.: Wegen eines Mangels, den der Verkäufer nach den Vor­ schriften der §§ 459, 460 zu vertreten hat, kann der Käufer Rückgängigmachung des Kaufes (Wandelung) oder Herabsetzung des Kaufpreises (Minderung) verlangen. 4  § 463 BGB a. F.: Fehlt der verkauften Sache zur Zeit des Kaufes eine zuge­ sicherte Eigenschaft, so kann der Käufer statt der Wandelung oder der Minderung Schadens­ersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Das gleiche gilt, wenn der Verkäu­ fer einen Fehler arglistig verschwiegen hat. 5  § 480 BGB a.  F.: (1) Der Käufer einer nur der Gattung nach bestimmten Sache kann statt der Wandelung oder der Minderung verlangen, dass ihm an Stelle der man­gelhaften Sache eine mangelfreie geliefert wird. Auf diesen Anspruch finden die für die Wande­lung geltenden Vorschriften der §§ 464 bis 466, des § 467 Satz 1 und der §§ 469, 470, 474 bis 479 entsprechende Anwendung. (2) Fehlt der Sache zu der Zeit, zu welcher die Gefahr auf den Käufer übergeht, eine zugesicherte Eigen­ schaft oder hat der Verkäufer einen Fehler arglistig verschwiegen, so kann der Käu­ fer statt der Wan­delung, der Min­derung oder der Lieferung einer mangelfreien Sache Schadensersatz wegen Nichterfül­lung verlangen. 6  Staudinger / Heinrich Honsell, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Mün­chen 1995, Vor § 459, Rn. 7 ff. 7  Z. B. Karl Larenz, Schuldrecht II / 1, München 1986, 66 ff. 8  Z. B. Soergel / Ulrich Huber, Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführung und Neben­gesetzen, Stuttgart 1991, Vor § 459, Rn. 169 ff.



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gelieferte Sache fehler­haft ist, das Recht des Käufers zur Ablehnung sowohl der Annahme der Sache als auch der Kaufpreiszahlung bejahten, verneinten sie den Nachbesserung­s­anspruch des Käufers spätestens nach der Übergabe der Sache.9 Diese Kon­ struk­ tion scheint jedoch widersprüchlich.10 Denn wenn man anerkennt, dass die Soll-Beschaffenheit der Kaufsache vertrag­ lich frei bestimmt werden kann,11 scheint es folgerichtig, dass der Verkäufer auch verpflichtet ist, eine solche vertragsgemäße Sache zu liefern. Diese Kritik gilt auch für die japani­sche herr­schende Meinung. Durch die deutsche Schuldrechtsreform wurde das Kaufgewährleistungs­ recht grundlegend geändert und ins allgemeine Leistungsstörungsrecht integ­riert. Der Verkäufer hat nun dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmän­geln zu verschaffen (§ 433 BGB). Danach ist es klar, dass die Nicht­erfüllungstheorie übernommen wurde.12 Die Lieferung der Sache, die einen vom § 434 BGB de­finierten Sachmangel hat, ist Pflichtverletzung, so dass der Käufer nach allen Voraussetzungen Nacherfüllung, Rücktritt oder Minderung, Schadens­ersatz oder Aufwendungsersatz verlangen kann (§ 437 BGB). Jetzt kann auch der Stückkäufer die Nacherfüllung verlangen (§ 439 BGB). Nacherfüllung ist ande­rerseits auch das Recht des Verkäufers (§§ 281 Abs. 1, 323 Abs. 1, 441 Abs. 1 BGB). Der Käufer kann Schadens­ersatz statt der Leistung nicht nur verlangen, wenn der Verkäufer arglistig ist, sondern auch, wenn der Verkäufer die Pflicht­verletzung zu vertreten hat. Üb­rigens wurde § 306 BGB a. F.13 aufgeho­ben, und die anfängliche Unmöglichkeit der Leistung steht der Wirk­samkeit des Vertrags nicht mehr entgegen (§ 311a BGB). 2. Römisches Recht Im römischen Recht, das das deutsche Recht sehr beeinflusst hat, wuchs, wie man im Allgemeinen annimmt, die Gewährschaft des Verkäufers für Sach­män­gel aus mehreren Wurzeln zusammen.14 Eine Garantie dafür, dass 9  Hans Brox, Besonderes Schuldrecht, München 1999, Rn.  68. Huber (o. Fn. 8), Vor § 459, Rn. 174, 236, der schon die Einrede des nicht erfüllten Vertrags verneint. Wer­ner Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, Darmstadt 1948 (Nd. 1975), 35 f, 41 unter­scheidet Vertragsverletzung und Vertragpflichtverletzung. 10  Frank Peters, Kein gesetzlicher Nachbesserungsanspruch des Käufers?, JZ (1978) 92–98, 94. 11  Z. B. Flume (o. Fn. 9) 128. 12  Bamberger / Roth / Florian Faust, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Mün­chen 2012, § 433, Rn. 2. 13  § 306 BGB a.  F.: Ein auf eine unmögliche Leistung gerichteter Vertrag ist nichtig. 14  Max Kaser / Rolf Knütel, Römisches Privatrecht, München 2008, Rn. 41.36.

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die Sache von bestimmten Fehlern frei sei oder dass sie bestimmte Eigen­ schaften habe, konnte seit alters durch stipulatio übernommen werden.15 Das ädilizische Edikt enthielt ein Sonderrecht für die Käufe von Sklaven und Zugtieren. In diesem Bereich stützte die Haftung sich auf eine ausdrückli­ che oder stillschweigende Garantie. Sie war deshalb vom Verschulden des Verkäu­fers unabhängig.16 Nach dem Edikt hatte der Käufer beim Sklaven­ kauf17 zwei Rechtsbehelfe: die actio redhibitoria (Wandelungsklage) und die actio quanti minoris (Minderungsklage). Dem Käufer stand die actio redhibi­ toria zu, wenn der Verkäufer kundmachungspflichtige Fehler18 wissentlich oder unwissentlich nicht kundgemacht hatte oder wenn er ausdrücklich be­ hauptet oder durch sti­pulatio zugesagt hatte, dass der Sklave von anderen Mängeln frei sei oder be­ son­ dere Eigenschaften habe, oder wenn er sich arglis­tig verhaltet hatte. Dem Käufer stand unter denselben Voraussetzungen alter­nativ die actio quanti mi­noris zu, wenn er die Sache lieber behalten wollte.19 Justinian erstreckte die ädilizische Haftung über die Käufe von Sklaven und Zugtieren hinaus auf alle Sachkäufe.20 Seit der späten Republik haftete der Verkäufer nach der actio empti unter be­stimmten Voraussetzungen für die Sachmängel: zunächst wenn er einen ihm bekannten Fehler arglistig verschwiegen hatte, ferner wenn er zugesi­ chert (dic­tum) hatte, dass die Sache von Mängeln frei sei oder bestimmte Eigen­schaften habe.21 Nach Labeo musste in jedem Fall gewährleistet wer­ den, dass ein Gefäß unbe­schädigt ist, wenn nichts Gegenteiliges vereinbart ist.22 Wenn der Verkäu­ fer dafür nicht haften wollte, musste er also die Haftung ausdrück­lich ausschlie­ßen.23 Hieraus kann man folgern, dass die Parteien die Beschaffen­heit, die die Kaufsa­che haben soll, damals frei be­ stimmten, und dass der Verkäufer deswe­gen haften musste, weil der Sache eine solche Be­schaffenheit fehlte. Nach D. 19,1,13pr. unterschied Julian die Mängelhaftung des arglistigen Ver­käufers und die des unwissenden Verkäufers. Ich will diese Quelle nur 15  Kaser / Knütel (o. Fn. 14) Rn. 41.37. Daraus haftet der Versprechende auf das Inte­resse des Käufers an der Richtigkeit dieser Zusagen. 16  Max Kaser, Das römische Privatrecht I, München 19712, 466. 17  Das Jumentenedikt erlegte dem Verkäufer von Zugtieren die gleiche Haftung wie Sklavenverkauf auf (Kaser [o. Fn. 16] 467). 18  Vgl. D. 21,1,1,1. 19  Kaser (o. Fn. 16) 466 f. 20  Max Kaser, Das römische Privatrecht II, München 19752, 393. 21  Kaser (o. Fn. 16) 465 f.; Kaser / Knütel (o. Fn. 14) Rn. 41.45. 22  D. 19,1,6,4. 23  Reinhard Zimmermann, The law of obligations, Oxford 1996, 320. Vgl. auch § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB.



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kurz anführen, weil sie für das Verständnis der japanischen Diskussion von Bedeu­tung ist. D. 19,1,13pr. Ulpianus libro trigensimo secundo ad edictum24 Iulianus libro quinto decimo inter Julian macht im 15. Buch [seiner Digesten] eum, qui sciens quid aut ignorans zwischen dem, der eine Sache in Kenntnis vendidit, differentiam facit in con­ und dem, der sie in Unkenntnis [ihres Man­ demnatione ex empto: ait enim, qui gels] verkauft hat, einen Unterschied bei der pecus morbosum aut tignum vi­ Verurteilung aus Kauf. Er sagt nämlich, dass tiosum vendidit, si qui­dem igno­rans derjenige, der ein krankes Stück Vieh oder fecit, id tantum ex empto ac­ tio­ ne einen mangelhaften Bal­ ken verkauft hat, praestaturum, quanto mino­ris essem dann, wenn er dies in Unkenntnis des Man­ empturus, si id ita esse scis­sem: si gels getan hat, auf­grund der Klage aus Kauf vero sciens reticuit et emp­ torem lediglich das leisten müsse, um wie­viel we­ decepit, omnia detri­men­ta, quae ex niger ich ge­ kauft hätte, wenn ich die Be­ ea emptione emp­ tor tra­ xerit, prae­ schaffenheit der Sache gekannt hätte; wenn staturum ei: sive igitur aedes vitio er jedoch den Mangel wissentlich ver­ tigni corruerunt, aedi­ um aestima­ schwiegen und den Käufer getäuscht hat, tionem, sive pe­co­ra con­tagione dann müsse er dem Käufer für allen Scha­ morbosi pecoris per­ie­runt, quod in­ den einstehen, den dieser aus diesem Kauf erleidet. Stürzt daher das Haus auf­grund des terfuit idonea ve­nis­se25 erit praes­ Mangels des Balkens ein, so ist für den tandum. Schätzwert des Hauses einzustehen; geht Vieh infolge von Ansteckung durch das kranke Stück Vieh ein, so ist für das Inter­ esse des Käufers daran einzustehen, dass dies nicht gesche­hen wäre.

Wichtig ist hier nicht, dass die Haftung des arglistigen Verkäufers wegen des Sachmangels entsteht, sondern, dass auch der unwissende Verkäufer für den Sachmangel haften muss und dass seine Haftung auf die Kaufpreisminde­ rung gerichtet ist. Selbst wenn keine Mangelfreiheit zugesichert ist und dem Verkäu­fer der Sachmangel auch unbekannt ist, kann der Käufer wenigstens die Diffe­renz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem Betrag, um den er die Sa­che dann gekauft hätte, wenn er die Beschaffenheit der Sache gekannt hätte, zurückfordern. Aus der Sicht des Verkäufers bedeutet dies, dass er den Anteil des Verkaufspreises, der dem Anteil des Sachmangels entspricht, nicht bekom­men kann. Nach diesem Verständnis Julians ist, mo­ dern gesprochen, die Be­schaffenheit der Sache offensichtlich in den Vertrag einbezogen.26 Fer­ner muss nach dieser Quelle der arglistige Verkäufer alle 25

24  Deutsche Übersetzung nach Okko Behrends / Rolf Knütel / Berthold Kupisch /Hans Hermann Seiler, Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung III, Heidelberg 1999. 25  Nach Eduard Fraenkel, Julian-Ulpian über die Haftung des Verkäufers für die Be­ schaffenheit der Kaufsache, SZ 1924, 527–529, 529 ist „id non evenisse“ die richtige Fassung von „idonea venisse“. 26  Die Minderung bedeutet nämlich, dass der Käufer vom Vertrag teilweise be­ freit wird.

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Schäden des Käufers er­setzen. Dabei haftet er auf das Erfüllungsinteresse.27 Hinsichtlich des Bei­spiels vom angesteckten Vieh mag es sein, wie Flume sagt,28 dass es sachlich ohne Bedeu­tung ist, „idonea venisse“ durch „id non evenisse“ zu ersetzen; denn man kann jedenfalls meinen, dass der Käufer vom Verkäufer den Wert des angesteckten Viehs verlangen kann. Beim Beispiel des Balkens kann der Käufer nach diesem Text sogar den Schätz­ wert des Hauses verlangen.29 Diese Ansicht Julians war unter der strengen Trennung von actio empti vor dem Prätor (nur Schadens­ersatz bei dolus und custodia-Verletzung)30 und actio redhibitoria oder quanti minoris vor dem Ädil eine Sondermeinung des klassi­schen Juristen. Erst bei Justinian, der keinen Prätor mehr kannte, ist alles miteinander verschmolzen. Mit moder­ nen Augen könnte man allerdings einen merkwürdigen Schritt in die Rich­ tung erkennen, dass die Sachmängelhaftung als Leistungsstörung (Pflicht­ verletzung) eingeordnet wurde, wie beim gelten­den BGB. Allerdings haben die Verfasser des BGB von 1900 dies nicht getan. Der Käufer konnte nach der actio empti nicht nur mindern, sondern auch dann wandeln, wenn er überhaupt nicht gekauft hätte.31 Darin liegt bereits eine Anpas­sung der actio empti an die ädilizische actio.32 III. Die Diskussion über Sachmängelhaftung in Japan 1. Die Bestimmungen des japanischen Zivilgesetzbuches Nach Art. 570 Minpo (jap. Zivilgesetzbuch = ZGB), der die Sach­mängel­ haf­ tung des Verkäufers regelt, fin­ det Art. 566 dann analoge Anwendung, wenn die gekaufte Sache mangel­haft ist.33 Der Käufer, dem die mangel­ 27  Kaser (o. Fn. 16) 558 Fn. 39. A. A. Werner Flume, Zum römischen Kauf­ recht, SZ 1934, 328–335, 329. 28  Flume (o. Fn. 27) 329. 29  Das ist der sog. Mangelfolgeschaden. Kaser / Knütel (o. Fn. 14) Rn. 41.47 meint, dass § 463 BGB a. F. Julian folgte. 30  Kaser / Knütel (o. Fn. 14) Rn. 36.14 ff. 31  D. 19,1,1,3. 32  Kaser (o. Fn. 16) 465. 33  (Sachmängelhaftung des Verkäufers): Art.  570: Wenn die verkaufte Sache einen verborgenen Mangel hat, dann findet Artikel 566 analoge Anwendung, es sei denn, dass sie in einer Zwangsversteigerung verkauft wurde. (Rechtsmängelhaftung des Verkäufers beim Vorhandensein des Erbbaurechtes usw.): Art. 566: (1) Wenn der Kaufgegenstand mit einem Erbbaurecht, einem Erb­ pachtrecht, einer Grunddienstbarkeit, einem Zurückbehaltungsrecht oder einem Pfandrecht be­lastet ist und der Käufer dies nicht weiß und er deswegen den Zweck des Vertrages nicht er­ reichen kann, kann er vom Vertrag zurücktreten. Wenn er vom Vertrag nicht zurück­ tre­ ten kann, kann er nur Schadensersatz verlangen.



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hafte Sache gelie­fert wurde, kann also vom Vertrag zurücktreten, wenn er den Vertrags­zweck nicht erreichen kann; andern­falls kann er nur Schadens­ ersatz verlan­gen. Der Käufer muss Rücktritt oder / und Schadensersatz bin­ nen eines Jahres verlangen, nachdem er den ver­borgenen Mangel entdeckt hat. Art. 570 be­stimmt jedoch nicht, was ein Sach­mangel ist; es gibt auch weder eine Rege­lung für die Repa­ratur des Man­gels beim Kauf noch eine Regelung für Minde­ rung beim Sach­ mangel.34 Heu­ tige Entscheidungen neigen jedoch dazu, tatsäch­lich die Minde­rung beim Sachman­gel anzuer­ kennen.35 Nach der herr­ schenden Meinung und Rechtspre­ chung ist die Sachmängelhaftung eine ver­schuldensunabhängige Haf­tung.36 Der Verkäu­ fer haftet daher auch dann, wenn er die Lieferung einer mangel­haften Sache nicht zu vertreten hat. Nun bestimmt Art. 401 Abs. 1 Minpo die Sachbeschaffenheit des Gegen­ stan­des bei der Gattungsschuld: (Gattungsforderung): Artikel 401: (1) Wenn der Gegenstand der Forderung nur durch die Gattung bestimmt wurde, und seine Qualität durch die Natur des Rechtsge­schäftes oder den Parteiwillen nicht bestimmt werden kann, dann muss der Schuld­ner eine Sa­che von mittlerer Beschaffenheit liefern.

Danach ist es klar, dass der Gattungsverkäufer immer eine Sache liefern muss, die eine mittlere Beschaffenheit hat. Hingegen gibt es bei der Stück­ schuld keine entsprechende Regelung. Deshalb kann man diskutieren, wel­ che Beschaf­fenheit der Gegenstand des Stückkaufs haben muss. Im Folgenden gebe ich einen Überblick über die Meinungen (2), die Ent­ wick­lung des Theorienstreits (3) und die Bestimmungen des sog. Interimsent­ wurfs (4). Dann wird das Verhältnis zwischen Sachmängelhaftung und Pflicht­verlet­zung untersucht.

(2) Die Bestim­mung des vorste­hen­den Absatzes findet analoge Anwendung, wenn keine Grunddienstbarkeit zugunsten des Kaufgrundstücks, deren Existenz erwähnt wurde, besteht oder wenn eine eingetragene Vermietung besteht. (3) In den Fällen der beiden vorstehenden Ab­sätze muss der Käufer innerhalb eines Jahres ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Tat­sa­chen vom Vertrag zurücktreten oder Scha­ densersatz verlangen. 34  Nach  Art. 563 Abs. 1 Minpo hat der Käufer einen Minderungsanspruch beim Rechts­mangel. 35  Z. B. OG Fukuoka v. 8.3.2003, Hanrei Jiho 2126, 70; OG Fukuoka v. 9.3.2006, Hanrei Times 1223, 205. 36  Sakae Wagatsuma, Saikenkakuron Chukan 1 (Besonderes Schuldrecht, Mittle­ rer Band 1), Yuhikaku 1957, 270.

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2. Die Arbeit an der Kodifikation des geltenden Minpo In Japan ist die Rechtsnatur des Kaufgewährleistungsrechts seit langem um­stritten. Dieser Streit bezieht sich unter anderem auf die Frage, ob der Stück­verkäufer verpflichtet ist, eine mangelfreie Sache zu liefern. Bevor der Inhalt dieses Streits verfolgt wird, ist es sinnvoll, eine Regelung der Sachmän­gel­haf­tung im alten Minpo zu betrachten, das vom französischen Juristen Gu­stave Bois­so­nade verfasst wurde, aber niemals in Kraft gesetzt wurde, doch dem gelten­den Minpo zugrunde lag. [Buch des Gütererwerbs, Art. 94]: Der Käufer kann dann die Aufhebung des Kau­ fes verlangen, wenn bei der ver­ kauften Sache unabhängig davon, ob sie eine beweg­ li­ che Sache oder eine unbewegliche Sache ist, beim Vertragsschluss ein unsicht­ba­rer Man­gel besteht, den der Käufer nicht kannte und dessen Reparatur nicht möglich ist, und der Mangel den natürli­chen oder vereinbarten Gebrauch hin­dert oder den Ge­brauch der Sache so hindert, dass der Käufer die Sache über­ haupt nicht gekauft hätte, wenn er den Mangel gekannt hätte.

Wie sich aus der Formulierung der Bestimmung ergibt, war die Un­ möglich­ keit der Mangelbeseitigung eine Voraussetzung für den Rücktritt nach dem Gewährleistungsrecht. Darüber hinaus war der damalige Gesetz­ geber der Mei­nung, dass er nicht nur den Anspruch des Käufers auf Man­ gelbeseitigung, son­dern auch das Recht des Verkäufers zur Mangelbeseiti­ gung anerkennen wollte.37 Deshalb dürfte die Vereinbarung über sachman­ gelfreie Lieferung, in­ so­ weit Mangelbeseitigung möglich ist, nicht schon dann als Versprechen einer un­mögli­chen Leistung verstan­den werden, wenn die Sache den Mangel schon beim Ver­tragsschluss hatte, obwohl Art. 322 des Buchs der Güter des alten Minp­ o re­gelte, dass eine Vereinba­rung, die auf ungesetzliches oder unmögli­ches Tun oder Unterlassung zielt, nichtig ist.38 Bei der Abfassung des gelten­ den Minpo wurde die Erwähnung der Unmöglichkeit des Mangelrepa­ratur in der Re­gelung der Sachmängel­haftung gestrichen. Der Verfasser führt zwei Gründe dafür an: Erstens ent­spreche es nicht dem Fall der Nichterrei­chung des Zwe­ckes, wenn der Mangel repa­riert werden kann, weil dann der Käufer doch diese Sache häu­fig gekauft hätte. Zweitens sei es unpassend, den Rück­tritt zu verbie­ten, wenn die Repa­ratur zwar möglich, aber zu aufwendig oder zu lang­fristig sei.39 Man kann sa­ 37  Eichi

Hoshino (Hrsg.), Boissonade-shi Kiko Saietsushusei Minpo­soan Chu­ Dai 3 Pen (Der Kommentar zum von Boissonade verfassten Entwurf des ZGB), Yushodoshuppan 2000, 867 f. 38  Das geltende Minpo hat keine Regelung über die Wirkung einer unmöglichen Ver­einbarung. 39  Homudaijinkanboshihohoseichosabu (Hrsg.), Hotenchosakai Minpo Giji Sok­ kiroku, Band 4 (Stenogramm der Beratung des Zivilrechts), Shojihomuken­ kyukai 1984, S.75 f. shaku



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gen, dass die Fälle des zweiten Grundes die Fälle sind, in de­nen die Repa­ ratur tatsäch­lich unmöglich ist oder ihre An­erkennung sinnlos ist. Man darf deshalb an­nehmen, dass der Gesetzgeber nicht die Absicht hatte, den Fall der un­ möglichen Mangelbe­ seitigung von den Voraussetzungen für den Rück­tritt nach dem Gewährleis­tungsrecht zu aus­schließen. Kenjiro Ume, der Mitverfasser des geltenden Minpo ist, erklärt die Haftung des Ver­käufers nach Art. 570 wie folgt: Wenn die Kaufsache mangel­haft sei, erleide der Käufer den Scha­den. Denn habe das Recht, das der Käufer er­worben habe, nicht den Wert, den der Käufer erwartet hatte. Der Verkäufer kenne die Sache, die er verkaufen will, besser als der Käufer. Deshalb müsse er den Käufer über den Mangel auf­klären und sicherstellen, dass der Käufer die Absicht habe, diese (mangelhafte) Sache dennoch zu kaufen. Habe er dies nicht getan, so sei es nicht unbillig, es so anzusehen, als ob der Verkäu­fer das Nichtbeste­hen des Mangels zugesichert habe.40 3. Der Theorienstreit über die Rechtsnatur der Sachmängelhaftung a) Gerichtsentscheidungen zur Sachmängelhaftung Die Rechtsnatur der Sachmängelhaftung wird besonders in Zusammen­ hang mit der Frage diskutiert, ob man Art. 570 für den Gattungskauf anwen­ den kann. Es gibt zwei bekannte Entscheidungen zu dieser Frage: TurbinePum­pefall41 und Lautsprecherfall42. Der Turbine-Pumpefall ist folgender Fall: Der Käufer kaufte vom Verkäufer einen Motor. Der Motor hatte einen Mangel in der Zünd­vorrichtung. Der Verkäufer versuchte die Reparatur des Motors, jedoch führte sie zu keinem Erfolg. Der Käufer trat nach Art. 570 vom Vertrag zu­rück und verlangte vom Verkäufer die Rückgabe des Kauf­ preises. Der Ver­käufer be­hauptete, dass Art. 570 auf den Gattungskauf keine Anwen­dung fin­de. Der Rück­tritt des Käufers wurde vom OGH anerkannt. Der OGH äußerte dabei, dass Art. 570, dessen Gegenstand zwar eigentlich Spezieskauf sei, auf den Gat­tungs­kauf allerdings doch Anwendung finde, und zwar erst dann, nachdem der Käu­fer die Kaufsache angenommen habe. Der Lautspre­cherfall ist hingegen folgen­der Fall: Der Käufer, eine Funkge­ sellschaft, kaufte vom Verkäu­fer einen Laut­sprecher für sein Werbegeschäft. Der Lautsprecher rauschte wegen eines Fehlers an der Steckdose. Der Ver­ käufer konnte den Fehler nicht reparie­ren. Der Käufer erklärte den Rücktritt entweder nach dem Gewährleistungs­recht oder nach dem allgemeinen Leis­ 40  Kenjiro Ume, Minpoyogi Kan No 3 Saikenhen (Bedeutung des Zivilrechts Band 3, Forderung), Hoseidaigaku 1910, 525. 41  Daishin’in v. 13.3.1925, Minshu 4, 217. 42  Saikosai v. 15.12.1961, Minshu 15, 11, 2852.

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tungsstörungsrecht, als der Verkäufer von ihm die Zahlung des Kaufpreises verlangte. Das Beru­fungs­gericht erkannte den Rück­tritt des Käufers nach dem allgemeinen Leis­tungs­störungsrecht an. Der Verkäufer legte Revision ein, weil dieses Urteil der Ent­scheidung im Turbine-Pumpefall widerspre­ che. Der OGH wies aus folgen­dem Grund die Revision zurück: Abgesehen von einem solchem Fall, in dem der Käufer bei Kenntnis des Mangels die Lieferung der Sache als Erfül­lung billige und dann den Ver­käufer wegen Sachmängelhaftung in Anspruch nehme, habe der Käufer auch nach der Annahme der mangelhaften Sache das Recht auf die völ­lige Er­füllung (Aus­ tausch oder Nacherfüllung) und dann auf Scha­ dens­ ersatz­oder Rücktritt nach dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht, wenn der Verkäufer seine Schlecht­ leistung zu vertreten habe. Unter Annahme der recht­ lichen Kon­ struk­tion des Berufungsgerichts (Turbine-Pumpefall: Sach­män­gel­haftung; Laut­ sprecherfall: Haftung nach dem allgemeinen Leis­ tungsstörungs­ recht) erkannte der OGH jedenfalls in beiden Fällen den Rück­tritt durch den Käu­ fer im Ergeb­nis an. Es gibt jedoch keinen Gattungskäufer, der bei Kennt­nis des Mangels die Lieferung der Sache als Erfüllung aner­kennt und dann den Verkäufer wegen Sach­mängel­haftung in Anspruch nimmt. Denn die Rechts­ behelfe des Gewähr­leistungsrechts sind für den Käufer nachteiliger als die des allgemeinen Leis­tungsstörungsrechts (z. B. kein Nach­erfüllungs­anspruch oder kürzere Verjäh­rungsfrist). Deshalb gibt es kaum Fälle, in denen das Gewähr­leistungsrecht für den Gattungskauf sinnvoll ist.43 Die Auslegung zur Rechtsnatur der Sachmängelhaftung wird davon beein­ flusst, wie man den Sachmangel an sich versteht. Nach der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung44 wird der Sachmangel nach dem jeweiligen Vertrag beurteilt. Das heißt, dass der sog. subjektive Mangelbegriff angenom­ men wird. Die Rechtsprechung hat z. B. das Bestehen eines Sachmangels bejaht, wenn die Sache die der Probe entsprechende Beschaffenheit45 oder die zugesi­cherte Leis­tungsfähigkeit46 nicht enthält. Die nach dem Vertrag vorausge­ setzte Be­ schaffen­ heit wird dann, wenn keine aus­ drückliche Vereinba­rung besteht, durch die Ver­kehrsanschauung ergänzt.47 Der Mangel wird also auch in diesem Fall subjek­tiv beurteilt. Im Folgenden wird die Entwicklung des Theorienstreits über die Sachmän­ gel­haftung kurz dargestellt. 43  Takashi

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Uchida, Minpo II Dai 2 Han (ZGB II, 2. Auflage), Yuhikaku 2011,

44  Wagatsuma

(o. Fn. 36) 272; Kaoru Yunoki, Urinushikashitanposekinin No Ken­ (Forschung über Sachmängelhaftung des Verkäufers), Yuhikaku 1963, 173 ff. 45  Daishin’in v. 24.5.1926 Minshu 5, 433. 46  Daishin’in v. 14.1.1933 Minshu 12, 1. 47  Saikosai v. 1.6.2010 Minshu 64, 4, 953.

kyu



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b) Zwei traditionelle Theorien Die früheste einflussreiche Meinung verstand, ähnlich wie der Gesetzge­ ber, die Sach­mängelhaftung als Haftung, die als Folge der Pflichtverletzung ent­steht.48 Man kann dagegen die Theorien über die Rechtsnatur des gelten­ den Gewähr­leistungsrechts grob in zwei Gruppen teilen, und beide ­The­orien sind von der deutschen Lehre sehr beeinflusst worden. Eine Meinung, die die traditionelle und noch die herrschende Meinung ist,49 be­trachtet die Sachmängelhaftung des Verkäufers als die vom Gesetz be­stimmte spezielle Haftung (Lehre von der gesetzlichen Haftung). Wenn die Sache bei Ver­tragsschluss schon mangelhaft sei, sei die Lieferung einer man­gelfreien Spezies­sache unmöglich, und ein solcher Vertrag sei nichtig. Weil die Sach­mängelhaf­tung voraussetze, dass der Kaufvertrag gültig ist, trage der Verkäu­fer keine solche Pflicht. Deshalb erfülle der Verkäufer sei­ ne Pflicht durch die Lie­ ferung dieser mangelhaften Sache gänzlich. Die Sachmängel­ haftung ent­ stehe, um das Äqui­ valenzverhältnis zwischen den Parteien, das durch den Mangel gestört wird, wiederherzustellen. Die Ver­ einbarung über die Sach­beschaffen­heit beim Stückkauf sei nur eine Aussage über die indivi­duali­sierte Sache, so dass diese Meinung die Vereinba­rung über die (nicht existie­ rende) Sachbe­ schaf­ fenheit im Zusammen­ hang mit dem Motiv­ irrtum versteht.50 Diese Mei­ nung trennt den Erfolg, der beim Vorlie­gen des Mangels entsteht, vom Inhalt der ver­traglichen Vereinba­rung, obwohl sie ihre Ver­letzung als Sach­mangel ver­steht. Weil diese Meinung verneint, dass die Liefe­rung einer man­gelfreien Sa­che die Pflicht des Stück­ verkäufers sei, verneint sie auch, dass der Stückkäufer vom Verkäufer die Mangelreparatur verlangen könne. Außer­ dem beschränkt sie den Umfang des Schadensersatzes auf die Grenze des gestörten Äquiva­lenz­ver­hält­nisses. Ein Vertreter der Lehre von der ge­ setzli­ chen Haftung kriti­ siert, dass die Rechtsprechung die Regelungen über Sach­mängelhaftung auch für den Gat­ tungs­kauf anwendet. Denn die An­wen­dung des Gewähr­leis­tungs­rechts auf den Gattungskauf verstärke nicht den Schutz des Gattungs­ käufers.51 Die Recht­ sprechung nimmt ja an, dass die Sach­ mängelhaf­ tung eigent­ lich auf den Spezies­kauf anzuwenden sei. Man kann aber sagen, dass die Lehre von der gesetzlichen Haftung, die die Sach­ beschaffenheit beim Stückkauf vom Vertragsinhalt ausschließen 48  Hideo Yokota, Saiken Kakuron (Schuldrecht, Besonderer Teil), Shimizusho­ten 1912, 339 f. 49  Wagatsuma (o. Fn. 36) 272; Yunoki (o. Fn. 44) 173 ff. 50  Diese Einstellung ist von Ernst Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, Leip­ zig 1879, sehr beeinflusst. 51  Wagatsuma (o. Fn. 36) 307 f.

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will, den In­halt der Pflicht des Stückverkäufers zu eingeschränkt versteht. Es scheint kei­ner mo­dernen Verkehrsanschauung mehr zu entsprechen, dass z. B. der Ver­ käufer eines Pkws die kaputte Bremse nur dann reparieren muss, wenn der ver­kaufte Pkw neu ist, und der Verkäufer eines gebrauchten Pkws dagegen keine Repara­tur­pflicht trägt. Es erscheint angemessener, dass auch der Stück­verkäufer den Mangel reparieren muss, soweit die Reparatur möglich ist. Eine andere Mei­nung52, die zur Zeit einflussreich ist, nimmt deshalb auch beim Stückkauf die Pflicht zur Lieferung einer mangel­freien Sache an und sieht die Regelungen über Sach­mängelhaftung als Sonderre­ gelung des allgemeinen Leistungsstö­ rungs­ rechts (Lehre von der vertrag­ lichen Haftung) an.53 Das allge­meine Leis­tungs­stö­rungsrecht finde Anwen­ dung, soweit es keiner Rege­lung des Ge­währ­leistungsrechts wi­derspreche. Die Lieferung einer mangelhaf­ten Sache sei Schlecht­erfüllung der Verkäu­ ferpflicht. Auch der Stückkäufer könne des­ halb Nachbesserung inso­ weit verlangen, als sie möglich sei. Der Käufer könne nach dieser Lehre zwar auch Ersatz des Erfüllungs­ interesses verlangen, je­ doch wird über dessen Voraussetzung gestritten. c) Jetzige Diskussion Neuerdings haben sich beide traditionelle Theorien einander angeglichen. Der Brennpunkt der Diskussion ist außerdem nicht mehr bei der Rechtsna­ tur der Sachmän­ gelhaftung geblieben. Vor allem werden das Verhältnis zwischen Er­füllungsan­spruch und Schadensersatzanspruch und die Frage, ob für den Scha­densersatz Verschulden nötig ist, diskutiert. Nach einer Meinung habe der Gedanke des strengrechtlichen Vertrages (con­tractus stricti juris) schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren so­zia­len und rechtlichen Boden verloren. In der Gegenwart, in der die Form­frei­heit von Ver­trägen die Grundlage ist, könne man nicht bestreiten, dass die Struk­ tur der Lehre von der gesetzlichen Haftung, nach der die Ver­ einbarung über Attribut und Funktion der Sache vom Vertragsinhalt ausge­ schlossen wird, seltsam sei.54 Jedoch kritisiert diese Meinung auch 52  Die Lehre von der vertraglichen Haftung gründet sich auf die bahnbrechende Ar­beit von Zentaro Kitagawa, Keiyakusekinin No Kenkyu (Forschung über ver­ tragli­che Haftung), Yuhikaku 1963, der die deutschen Theorien (von z. B. Scholl­ meyer, Süß, Flume, Korintenberg usw.) ausführlich analysiert hat. 53  Eichi Hoshino, Minpo Gairon IV (Grundriss des ZGB IV), Yuhikaku 1986, 134; Zentaro Kitagawa, Saikensoron (Allgemeines Schuldrecht), Yuhikaku 2004, 123 ff. 54  Masanobu Kato, Gendaiminpogaku No Tenkai (Entwicklung der moder­ nen Zivilrechtswissenschaft), in Gendaiminpogaku no tenkai, Yuhikaku 1993 [zuerst in einem Aufsatz 1977], 395.



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die Lehre von der vertragli­chen Haftung. Diese Lehre, die den Ersatz des Erfüllungsinte­resses zum Ziel hat, habe nämlich die Balance verloren, weil die Sachmängel­haftung verschul­dens­unabhängige Haftung sei, während die allgemeine Nicht­ erfüllungs­ haftung ver­ schuldensabhängige Haftung sei.55 Aus die­sem Grunde versteht sie die Sach­mängel­haftung wie folgt: Wenn die Her­stel­lung der ver­traglich anfangs voraus­gesetzten Beschaffenheit keines­ wegs (z. B. durch Re­paratur) möglich sei, hafte der Verkäufer dann nach dem all­gemeinen Leis­tungs­störungs­recht, wenn der Verkäufer den Mangel zu vertre­ten habe; sonst würde die Haf­tung des Verkäu­fers wegen der Be­ schaffenheit der Sache wegen Unmög­ lichkeit erlöschen.56 Dabei werde das gegenseitige Gleichgewicht zwi­schen beiden Par­teien gewahrt. Deshalb erhalte der Käufer den Schadens­ersatzanspruch nach Gewährleistungs­recht, was Minderungs­anspruch be­deute.57 Diese Mei­ nung versteht nämlich die Sachmängelhaftung parallel zur Gefahrtra­gung. Eine andere Meinung, die sich an die traditionelle herrschende Lehre von der ge­setzlichen Haftung anlehnt, nimmt Folgendes an: Die Bejahung der Anwen­dung der Regelung über Sachmängelhaftung auf den Gattungs­ kauf sei das Sys­tem einer Übergangszeit. Man habe nämlich die Theorie für den Gat­tungskauf, der ein neues rechtliches Phänomen sei, in der Zeit seiner Gestal­tung von der Sachmängelhaftung, die eigentlich nur auf den Spezieskauf An­ wendung finde, geliehen und ausgedehnt. Ihre geschicht­ liche Auf­gabe sei been­det, als die neue Theorie der Schlechterfüllung auf­ getreten sei. Jetzt müsse der Anwendungs­ bereich der Sachmängelhaftung auf ihren eigentlichen Be­ reich beschränkt wer­ den. Selbst wenn man die Sachmängelhaftung und die Nicht­ erfüllungshaftung vereinheitlicht habe, müsse man die Regelungen der Sach­mängelhaftung (Rück­tritt ohne Mah­ nung, Minderung) wegen der Eigen­art der unvertretbaren Spe­zies­sache zu­ rücklassen.58 Es sei die richtige Ausle­gung des geltenden Minp­ o, dass die eigentliche Pflicht des Verkäufers einer un­vertretba­ren Spe­zies­sache grund­ sätzlich die Übereignung und die Besitzüber­ tra­ gung be­ inhal­ tet.59 Diese Meinung bejaht jedoch, dass die Beschaffen­heit der Spezies­sache den In­ halt der Willenserklärung (und des Vertrags) bestimmen kann. Wenn die Lieferung einer mangelfreien Spezies­ sache Vertragsinhalt ist, werde die Nichterfüllung der Lieferung, das heißt die Lieferung einer mangel­haften 55  Kato

(o. Fn. 54) 397 f. (o. Fn. 54) 399. 57  Kato (o. Fn. 54) 400 f. 58  Sadamu Shitamori, Kashitanposekininron No Aratana Tenkai To Sono Kento (Neue Entwicklung der Lehre von der Sachmängelhaftung und ihre Über­le­gungen), Festschrift Prof. Masao Yamahata, Prof. Kiyoshi Igarashi und Prof. Shi­ geo Yabu Bd. 3, Shinzansha 1998, 187–244, 191. 59  Shitamori (o. Fn. 58) 193. 56  Kato

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Spezies­ sache, nach den allgemeinen Regeln der Schlecht­ erfüllung be­ handelt, wie beim Gattungs­kauf.60 Eine Meinung, die sich an die Lehre von der vertraglichen Haftung an­ lehnt, kriti­siert die soeben genannte Meinung wie folgt: Wenn die Lehre der gesetzli­chen Haftung, die vom Dogma des Spezieskaufs ausgeht, nach wel­ chem die Lieferung einer man­gelhafter Sache eine mangelfreie Leistung ist, die Pflicht zur Liefe­rung einer mangelfreien Sache beim Spezieskauf anneh­ men will, dann müsse sie die­ses Dogma verneinen oder beschränken, um dem Spezies­käufer den Nacherfül­lungsanspruch einzuräumen. Sonst sei die Einräumung dieses An­ spruchs beim Spezieskauf widersprüchlich. Die theoreti­ sche Voraus­ set­ zung des Nacherfül­ lungsanspruchs sei nämlich die Bejahung der kaufver­tragli­chen Leis­tungspflicht des Verkäufers, die man­ gelfreie Sache zu liefern.61 Nach allgemei­nen Regeln habe der Gläubiger einen Anspruch auf Erfüllung. Daher könne der Schuldner von keiner Leis­ tungspflicht befreit werden, soweit sie möglich ist. Der Verkäu­fer trage also immer die Mangelbeseiti­gunspflicht, so­weit die Repa­ratur mög­lich ist. Weil diese Auslegung zu einer unbilligen Härte gegenüber dem Ver­käufer führen könne, müsse diese Pflicht des Ver­ käufers irgendwie begrenzt werden.62 Indem dieser Kritiker das fran­ zösi­ sche Recht anführt, behaup­ tet er, dass man die Reparatur­pflicht als Natu­ral­ersatz, der eine mittlere Art zwischen der Naturalerfüllung und dem Schadens­ersatz sei, verstehen solle. Die Vor­ aussetzung dieser Repa­ raturpflicht sei es, dass die Re­ paratur möglich ist und dass die Reparaturkosten als Scha­dens­ersatz­betrag we­gen Nichterfül­ lung der Pflicht zur Lieferung einer mangel­ freien Sache nicht unverhält­ nismäßig sind. Er behauptet außerdem, dass mit Ausnahme der Fälle der höheren Gewalt das Verschulden des Schuldners in der Tatsache liege, dass er nicht erfüllt habe, was er dem Gläu­ biger versprochen habe.63 Es gibt ferner sogar die Meinung, nach der der Scha­densersatz wegen Nichterfül­ lung überhaupt nicht mit dem Ver­ schuldens­ prinzip zusammenhänge. Die Scha­ dens­ ersatzhaftung des Schuld­ ners werde bei den erfolgsbezoge­ nen Schul­ den vom Garantieprinzip im Ver­ gleich mit dem Inhalt der Schuld begrün­det.64 Be­frei­ungsgrund des Schuldners sei dabei die höhere Gewalt und das überwie­gende Vertretenmüssen des Gläu­bigers. 60  Shitamori

(o. Fn. 58) 200, 202 f. Morita, Keiyakusekinin No Kiseki Kozo (Die Struktur des Vertre­ tenmüssens bei der vertraglichen Haftung), Yuhikaku 2002 [zuerst in Aufsätzen 1990–1991, 1993], 242 f. 62  Morita (o. Fn. 61) 244 f. 63  Morita (o. Fn. 61) 55. 64  Yoshio Shiomi, Saiken Soron I Dai 2 Han (Schuldrecht I, Allgemeiner Teil, 2. Aufl.), Shinzansha 2003, 282. 61  Hiroki



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4. Schuldrechtsreform und Sachmängelhaftung In Japan schritt die Reformarbeit des Schuldrechts fort. Darüber wurde neu­ lich der „Interimsentwurf zur Reform des japanischen ZGB (Schuldverhält­nisse)“65 veröffentlicht. Für die Sachmängelhaftung des Verkäufers wird Fol­gen­des vorgeschlagen:66 Der Verkäufer ist verpflichtet, dem Käufer eine Sache zu liefern, die die vertragsgemäße Beschaffenheit hat. Also wird das Ver­ständ­nis der herrschenden Meinung nicht übernom­ 65  Interimsentwurf: Minpo (saiken kankei) no kaisei ni kan sura chukan shian; Text in http: /  / www.moj.go.jp / content / 000110383.pdf (11.  8. 2014). 66  Regelungen zur Sachmängelhaftung des Verkäufers, die mit dem Thema die­ ses Auf­sat­zes in Zusammenhang stehen, sind folgende: Nr. 35 Kauf: III.  Die Pflichten des Verkäufers: (1) Der Verkäufer ist gegenüber dem Käufer verpflichtet, das Eigentum an der Sache zu über­eignen. Der Verkäufer ist auch nach dem Inhalt des Kaufs verpflichtet, a) dem Käufer die Kaufsache zu übergeben, b) … (2)  Die Sache, die der Verkäufer dem Käufer übergeben soll, muss in Art, Qua­ lität und Menge dem Sinn des Kaufvertrags entsprechen. (3) …, (4) … IV. Die Haftung des Verkäufers, der eine nicht dem Sinn des Vertrags entspre­ chende Sa­che geliefert hat: (1) Wenn die gelieferte Sache entgegen oben 3 (2) dem Sinn des Vertrags nicht ent­spricht, kann der Käufer nach dem Inhalt der Vertragsverletzung vom Verkäufer Nach­erfüllung durch die Reparatur der Sache, die Lieferung fehlender Menge oder die Liefe­rung einer vertret­baren Sache verlangen, es sei denn, dass ein Begrenzungs­ grund für den Er­fül­lungs­anspruch besteht. (2) Wenn die gelieferte Sache entgegen oben 3 (2) dem Sinn des Vertrags nicht ent­spricht, kann der Käufer vom Verkäufer nach dem allgemeinen Grundsatz der Nicht­erfüllung einer Schuld den Ersatz des Schadens, der durch die Nichterfüllung entstand, ver­langen oder vom Vertrag wegen Nichterfüllung zurücktreten. (3) Wenn die Art der Nacherfülllung, die der Verkäufer anbietet, sich von der vom Käufer verlangten Art unterscheidet, gilt als Art der Nacherfüllung nur dann die vom Verkäufer gewählte Art, wenn die vom Verkäufer angebotene Art dem Sinn des Ver­trags entspricht und dem Käufer keine unangemessene Last auferlegt. V.  Preisminderungsanspruch des Käufers, dem eine nicht dem Sinn des Vertrags ent­spre­chende Sache geliefert wurde: (1) Wenn die gelieferte Sache entgegen oben 3 (2) dem Sinn des Vertrags nicht ent­spricht, der Käufer unter Bestimmung einer angemessenen Frist den Verkäufer zur Nach­erfüllung mahnt und der Verkäufer innerhalb dieser Frist nicht nacherfüllt, kann der Käufer durch Willenserklärung die Minderung des Kaufpreises nach dem Grad der Vertragsverletzung verlangen. (2) Eine Mahnung ist entbehrlich, wenn ein folgender Grund besteht: a) es be­ steht ein Begrenzungsgrund für den Anspruch, Nacherfül­lung zu verlangen, b) … (3)  Die Willenserklärung nach oben (1) hat keine Wirkung, wenn nicht gleichzei­ tig durch Willenserklärung auf das Recht auf Nacherfüllung (einschließlich des Rechtes auf Schadensersatz statt der Nach­erfüllung) und auf Rücktritt vom Vertrag verzichtet wird.

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men. Entsprechend die­ ser Pflicht des Verkäufers kann der Käufer vom Verkäufer die Beseitigung des Mangels verlangen. Der Interimsentwurf nimmt von Neuem ausdrücklich auch die Re­ gelung über Minderungsan­ spruch des Käufers beim Sachmangel auf. Je­doch wird der Verkäufer unter bestimmten Voraussetzungen von der Pflicht zur Nach­ erfüllung befreit.67 Auch dann kann der Käufer Minderung verlangen. Also sind die Natur des Nacherfüllunganspruchs und die Natur des Minde­rungsan­spruchs nicht iden­ tisch. Wenn der Verkäufer die Lieferung einer man­ gel­ haften Sa­ che, was Schlechterfüllung bedeutet, zu vertreten hat,68 kann der Käu­fer Scha­dens­ ersatz wegen Nichterfüllung verlangen. IV. Überlegungen zur Stellung der Sachmängelhaf­tung im Minpo Schließlich ist das Verhältnis zwischen Sachmängelhaftung und Nicht­ erfül­lungshaftung zu bedenken. Dabei spielt der folgende Hintergrund aus dem deut­schen und römischen Recht eine große Rolle: Zunächst ist es von Be­ deu­ tung, dass Deutschland schon in früher Zeit die Wichtigkeit des Sachmän­gelbegriffs be­achtet hat. Eine Meinung verstand die Lieferung ei­ ner mangel­haften Sache wenigstens deshalb als Vertragsverletzung, weil der Sachmangel sub­jektiv be­stimmt wird. Sie unterschied ferner zwischen Ver­ tragsverletzung und Ver­trags­pflichtverletzung und hielt die Lieferung einer mangelhaften Sache nicht für eine Vertragspflichtverletzung. Diese Konst­ ruktion ist jedoch sonder­bar. Die spätere Meinung nahm deshalb an, dass die Haftung des Ver­käufers nach § 459 ff. BGB a. F. auf einer Pflichtverlet­ zung beruhe. Im BGB 2002 entsteht die Sachmängelhaftung gerade aus der Verlet­zung der Pflicht, eine man­gel­freie Sache zu liefern. Dabei erhält auch der Spezies­käufer den Nach­erfüllungs­anspruch. Das ist die logische Konse­ quenz der Pflichtverlet­ zung. Der Verkäufer kann unter Umständen die Nach­erfüllung wegen Unver­hält­nismäßig­keit verwei­gern (§  439 Abs.  3 BGB). Was das römische Recht be­ trifft, hat sich die Sach­ mängelhaftung 67  Die vorgeschlagene Regelung über Begrenzungsgrund des Erfül­lungsanspruchs ist fol­gende: Nr. 9 Erfüllungsanspruch usw.: II. Begrenzungsgrund des Erfüllungsanspruchs bei der vertragli­chen Forderung: Der Gläubiger kann vom Schuldner keine Erfüllung verlangen, wenn bei einer ver­tragli­chen Forderung (mit Ausnahme einer Geldforderung) einer der folgenden Gründe (Be­grenzungsgrund des Erfüllungsanspruchs) besteht: a) die Erfüllung ist physisch unmöglich, b) der Aufwand steht in einem groben Missverhältnis zu dem Interesse, das der Gläu­ biger durch die Erfüllung erlangt, c) nach dem Sinn des betref­fenden Vertrags scheint es unangemessen, vom Schuld­ner die Erfüllung der Schuld zu verlangen. 68  Vertretenmüssen des Verkäufers wird vermutet (Nr. 10 I (3)).



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zwar bei den Käufen von Sklaven und Zug­ tieren ent­ wickelt. Man wird dabei den Schutz des Käufer vor Täuschung be­absichtigt ha­ben. Die Sach­ mängelhaftung war also ursprünglich eine spe­zielle Haf­tung, die die Ädilen ge­ rade dafür eingeführt haben. Die Sondermei­ nung Juli­ ans wollte die Rechtsbe­helfe der ädilizischen actio in die actio empti in­tegrie­ren. Hierin dürfte ein An­lass dafür liegen, dass man die Sachmängel­haf­tung und die Nicht­ erfüllungs­ haftung in einheitlichem Sinn verstehen kann. Be­ sonders wich­ tig ist, dass der Käufer nach der actio empti auch dann Minde­ rung ver­langen kann, wenn der Verkäufer hinsichtlich des Sach­mangels unwis­ send ist. Wenn man annimmt, dass die Parteien die Sollbe­schaffenheit der Kauf­sache frei be­stimmen, kann man die Minderung wegen Sachmangels mit einem Teil­rück­tritt gleichstellen. Die heutigen Ansichten in Japan haben sich einander angeglichen, wie man aus der vorgehenden Darstellung erkennen kann. Einerseits bejaht nämlich die Leh­re von der gesetzlichen Haftung die Nacherfüllungspflicht auch beim Spe­zies­kauf; andererseits bejaht die Lehre von der vertraglichen Haftung die Not­wen­digkeit, diese Pflicht unter Umständen zu beschränken. Die theoretischen Kon­struktionen beider Lehren sind aber nicht immer ohne Probleme. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass die Gewährung des Nacherfüllungsanspruchs für den Spe­zieskäufer überhaupt im Widerspruch zu der eigentlichen Vor­aus­set­zung jener Lehre steht. Noch wichtiger ist es, dass auch in Japan, wie in Deutsch­land, der Sach­mangel nach der jeweili­ gen vertraglichen Vereinbarung be­urteilt wird und dass diese Vereinbarung durch die Verkehrsanschauung er­ gänzt wird, wenn keine aus­ drückliche Vereinbarung besteht. In Japan ist die Wichtigkeit des Sach­man­gelbegriffs bisher nicht ausreichend berücksichtigt wor­den. Wenn man den Sachman­gel als Abweichung von der vertraglichen Ver­einbarung versteht, wäre aber es logischer, dass die Lieferung einer man­ gelhaf­ ten Sache eine Pflichtver­ letzung bedeutet, denn es bedarf im modernen Recht keiner speziellen Form, um irgendeine Pflicht zu begründen. Die Sach­mängelhaf­tung entsteht nämlich zumindest als Er­ gebnis der Pflichtverletzung (Schlechterfüllung) des Verkäufers. Dabei ist die sofortige Gewährung eines Rücktrittsrechts ohne Mahnung problematisch, wenn die Mangelbeseitigung noch möglich ist. In der Tat ist beim Rücktritt wegen Verspätung eine vorhe­rige Mahnung erforderlich (Art. 541 Minpo). Die Lieferung einer mangel­freien Sache ist auch beim Spezies­ kauf nicht immer unmöglich.69 Die Vorausset­ zung des Rücktritts nach Art. 570 Minpo, dass nämlich der Käufer den Vertrags­zweck 69  Japanische Forschung über das sog. impossibilium-Prinzip sowohl im römi­ schen Recht als im Gemeinen Recht: Tetsu Isomura, Impossibilium Nulla Obligatio Gensoku No Keisei To Hihanriron (Bildung des impossibilium nulla obliga­ tioPrinzips und seine Kritiklehre), Shihogaku No Shomondai 1 (Problematik der Pri­ vatrechtswissenschaft 1), Hrsg. Masaakira Katsumoto u. a., Yuhikaku 1955, 397–435.

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nicht erlangen kann, ist der Fall, in welchem die Reparatur des Mangels weder leicht noch billig ist.70 Man kann einen solchen Fall mit dem Fall, in dem die Lieferung einer mangelfreien Sache un­möglich ist, gleich­stellen, weil bei der Beurteilung der Unmöglichkeit auch öko­nomische Tatsachen berücksich­tigt werden können.71 Wenn die Leistung unmöglich ist, ist keine Mahnung vor dem Rücktritt erforderlich (Art. 543 Minpo), weil sie sinnlos ist. Die Lieferung einer mangelfreien Sache ist auch beim Gattungs­ kauf nicht immer möglich. Die oben angeführten Entscheidungen zum Gat­ tungskauf haben gerade die Fälle behan­delt, in denen die Mangelbeseiti­gung un­möglich war. Wenn die Mangel­beseiti­gung unmöglich ist, und der Käu­fer den­noch die mangel­hafte Sache be­halten will, soll der Verkäufer dem Käu­ fer un­abhängig davon, ob Spezies- oder Gat­tungskauf vorliegt, zumindest den übermäßigen Preis­anteil zurückgeben, selbst wenn der Verkäufer den Sach­mangel nicht kennen konnte. Diese Folge ergibt sich aus der allgemei­ nen Lehre vom gegenseiti­gen Vertrag, welche das äquiva­lente Austausch­ verhältnis vor­aussetzt.72 Mit anderen Worten: Sie ist keine Fol­ge, die sich nur aus der Gewährleis­tungsrege­lung ergeben kann. Dass die man­gelfreie Lieferung der Sa­che nicht immer un­möglich ist, gilt auch für den Kauf ei­ ner unvertretbaren Spe­ziessache. Die Unterscheidung zwischen Spezies- und Gat­tungskauf führt dazu, dass der Spezieskäufer vom Verkäufer keine Lie­ fe­rung einer anderen mangelfreien Sache verlangen kann. Sonst hätte die Ver­tretbarkeit der Spe­ziessache keine spezielle Bedeutung.73 Deshalb ist es unnötig, dass man nur den Kauf der unvertretbaren Speziessache gesondert durch das Ge­währleis­tungsrecht behandelt. Die Rechtsprechung bejaht die An­wendung des Ge­währleistungsrechts auf den Gattungskauf. Wenn man annimmt, dass der Verkäufer (einschließlich des Speziesver­käu­ fers) die Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache trägt, entsteht dem Käu­fer der Anspruch auf die Mangelbeseitigung, soweit sie möglich ist.74 Danach trat das impossibilium-Prinzip beim Kaufvertrag schon in klassischer Zeit allmählich in den Hintergrund, weil der Kaufvertrag ein bonae fidei iudicium war. 70  Wagatsuma (o. Fn. 36) 290. 71  Nach Daishin’in v. 30.3.1929 Minshu 8, 226 ist die Möglichkeit der Nacherfül­ lung nichts anderes als ein ökonomisches Problem. 72  Sakae Wagatsuma, Saikenkakuron Jokan (Besonderes Schuldrecht, Oberer Band), Yuhikaku 1954, 110. Weil  Art. 534  Abs. 1 Minpo, nach dem der Gläubiger der Speziesschuld schon ab Vertragsschluss die Gefahr tragen muss, nicht angemes­ sen ist, wird nach h. M. die Zeit, ab der dieser Artikel Anwendung findet, verscho­ ben, vgl. Wagatsuma (Fn. 72) 102 f. 73  Dietrich Reinicke / Klaus Tiedtke, Kaufrecht, Köln 2009, Rn. 420 ff. 74  Jetzige Urteile neigen dazu, Ersatz der Reparaturkosten nach der Sach­ mängelhaf­ tung anzunehmen, wenn die Mangelbeseitigung möglich ist, z. B. DG Tokio v. 8.7.2008, Hanrei Times 2025, 54. Reparaturkosten sind gerade die Kosten,



Sachmängelhaftung und Nichterfüllungshaftung421

Da­bei ist das Verschulden des Verkäufers, anders als beim Anspruch auf Scha­dens­ersatz wegen Nichterfüllung, keine Voraussetzung.75 Es kann zwar sein, dass die Auf­wendung der Mangelbeseitigung für den Verkäufer unzu­ mutbar ist. Dies Prob­lem entsteht nicht nur beim Spezieskauf, son­dern auch beim Gat­tungs­kauf. Eine Ansicht verwendet dabei den Begriff des Naturaler­ satzes, der dem japani­schen Recht fremd ist, um die Haftung des Verkäufers zu begren­zen. Die Begren­zung darf jedoch auch ohne die Verwen­dung eines solchen fremden Begriffes mög­lich sein. Die Pflicht zur Mangel­beseitigung könnte nämlich da­durch begrenzt werden, dass man, wie bei § 275 Abs. 2 oder § 439 Abs. 3 BGB, ein­fach Über­legungen zur die Grenze der Leistungs­ pflicht an­stellt.76 Auch der In­terims­entwurf nimmt diese Art auf.77 Man könnte heute die Sachmängelhaftung und die Nichterfüllungshaftung einheit­lich verstehen.78 Das Verschulden des Schuldners ist nicht immer Voraus­set­zung für die Haftungen, die bei der Nichterfüllung der Pflicht ent­ ste­hen.79 Es wäre überflüssig zu sagen, dass die Haftung wegen des Sachman­gels eine gesetzliche spezielle Haftung sei. Ferner gibt es keinen Grund dafür, die theoretische Folgerichtigkeit der Vereinheitlichung zu be­ zweifeln und aus die­sem Gesichtspunkt die Sachmängelhaftung nur an die Gefahrtragungs­lehre an­zuknüpfen. Zwar ist es problematisch, wenn man der Meinung folgt, dass auch der schuldlose Verkäufer das Erfüllungsinteresse des Käufers erset­ zen muss. Diese Meinung ist aber keine notwendige Konse­quenz der Lehre von der vertragli­chen Haftung, und ich nehme sie gerade nicht auf.80 Es gibt bei der vereinheitlichten Ausle­gung kein Hin­ dernis mehr dafür, dass der Käufer vom Verkäufer den Ersatz des Erfül­ durch die der vom Verkäufer vertraglich übernommene Zustand der Sache hergestellt wird. 75  Verschulden ist keine Voraussetzung für den Erfüllungsanspruch an sich, Masami­chi Okuda, Saikensoron Zohoban (Schuldrecht, Allgemeiner Teil), Yuyusha 1992, 130. 76  Siehe Fn. 71. 77  Nach Nr. 9.2 des Interimsentwurfs kann der Gläubiger vom Schuldner keine Erfül­lung verlangen, wenn die Kosten der Erfüllung in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers stehen. 78  M. E. liegt die Bedeutung der Regelung über Sachmängelhaftung insbeson­ dere in der kürzeren Verjährungsfrist. Kürzere Verjährung wäre auch für den Gat­ tungskauf vernünftig. Im Minpo beginnt diese Frist, wenn der Käufer den Sachman­ gel entdeckt hat (Art. 566 Abs. 3 Minpo). 79  Die jetzigen einflussreichen Meinungen fordern kein Verschulden als Vorausset­ zung des Rücktritts, Koji Omi, Minpokogi V Keiyak ­ uho (Vorlesung über das ZGB V, Vertragsrecht, Seibundo 2006, 79 f.). 80  Saburo Kurusu, Keiyakuho (Vertragsrecht), Yuhikaku 1974, 91 verlangt Ver­ schulden fur den Schadensersatz, der sich von der Minderung unterscheidet, wie hier.

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lungsinteresses nach der Regelung des all­ge­mei­nen Leistungstörungsrechts verlangen kann, wenn der Verkäufer die man­gel­hafte Leistung zu vertreten hat.81 Übrigens ginge es zu weit, die Über­nah­me der Leistungspflicht un­ mittelbar mit der Garantieüber­nahme gleich­zu­stel­len; denn die Schadenser­ satzhaftung kann sich weiter als die ur­sprünglich über­nommene Leistungs­ pflicht erstre­cken.82 So könnte man sagen, dass die Richtung des vor Kurzem veröffent­lichten ja­pani­schen Interimsentwurfs der Schuldrechtsreform zutreffend ist, indem sie das Ge­ währ­ leistungsrecht ins allgemeine Leistungsstörungsrecht klar integ­riert.

81  Es ist zwar fraglich, ob der Käufer dann den Ersatz des Erfüllungsinteresses verlan­gen kann, wenn die Mangelbeseitung schon beim Vertragsschluss unmöglich ist; denn nach dem allgemeinen Grundsatz richtet sich die Haftung aus culpa in contra­hendo nur auf den Ersatz des Vertrauensinteresses. 82  Die Haftung für Schadensersatz wegen Nichterfüllung hat eine sanktionierende Na­ tur; deshalb werde das subjektive Vertretenmüssen des Täter verlangt, Omi (o. Fn. 79) 80.

Semel heres sem­per heres: Kommentare der Humanisten zu D. 4,4,7,10 und D. 28,5,89 Von Minoru Tanaka I. Einleitung Der bekannte Rechtssatz semel heres semper heres („einmal Erbe, immer Erbe“) ist zwar nach Max Ka­ser oder Antonio Guarino unrömisch.1 Aber die Literatur bestätigt ihn durch ein argumentum e contrario, näm­lich durch die Aus­ nahme für das Soldatentestament.2 Dieser Satz entspricht der Denkweise der Römer, wor­ auf Mario Talamanca hinweist.3 Er wurde in der Tat schon im Mit­tel­alter in Azos Brocardica als Regel des römischen Rechts aufgezählt4 und in einer Beratung von Bartolus als eine solche Regel verwendet.5 Detlef Liebs ver­ steht ihn nicht nur als Verbot der Einset­ zung für eine bestimmte Zeit, son­ dern auch als Ausschluss der Nacherb­folge im Testament.6 Auch Helmut Coing be­ ruft sich auf diese Regel in Bezug auf Ausschließung der Beru­fung mehre­rer Erben in zeit­ licher Reihen­folge.7 Diese Regel gilt auch als Verbot einer auflö­send be­ 1  Max Kaser, Das römische Privatrecht I, München 19712, 688; Antonio Guarino, Di­ritto privato romano, Napoli 200112, n. 28.4.2, 435; Fritz Schulz, Classical Roman Law, Oxford 1961, 261. 2  Z.  B. Ulp. D. 29,1,15,4, vgl. z. B. Julius Weiske, Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten III, Leipzig 1841, 938 s. v. Erbeinsetzung. 3  Mario Talamanca, Istituzioni di diritto romano, Milano 1990, 727. 4  Azo, Brocardica, 1568 Neapoli, Corpus glossatorum iuris civilis IV. 3, Ndr. Augustae Tauri­norum 1967, fol. 74vb-75ra und Aurea Brocardica seu Nota, et iuris Regulae (mit num­me­rierten Paragraphen), Venetiis 1610, rubrica XVI, col. 49, 16–19. Vgl. Ber­nardo Pe­riñán, El Principio „Semel heres semper heres“ y la con­ fusión de las obligacio­nes en el Derecho Ro­mano, Revista de Estudios HistóricoJurídicos XXVII, 2005, 123–139, wo auch die zwei hier behan­delten Digestenstellen vorgestellt werden. 5  Additio zu Bartolus s. v. dicere nullum, Consilium XI, der einen interessan­ ten Be­ richt über die Praxis des mittelalterli­ chen Italiens hinsichtlich semel heres semper heres abgefasst hat. Bartolus, Consilia, quaestiones et tracta­ tus, Venetiis 1581, fol. 6r. 6  Detlef Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, München 20077, 217. 7  Theodor Kipp / Helmut Coing, Erbrecht. Ein Lehrbuch, 199014, 274.

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dingten Erbein­set­zung.8 Das japanische Minpo (Zivilgesetz­buch) kennt zwar wie der Code civil français keine Erbeinset­zung durch Tes­ta­ment, doch eine ähnliche Frage kann beim Universal­ vermächtnis gestellt werden (Minpo § 9909). Dafür behauptete Eiki­chi Kondo in der Tat ein ähnli­ches Verbot.10 Katsuji Yana­gawa sprach ebenfalls von semel heres semper heres bei der An­nahme und Ausschla­gung der Erbschaft.11 Beide waren Schrift­steller von Lehr­ büchern des japanischen Erbrechts vor dem zwei­ ten Welt­ krieg, und zwar war jener stark vom deutschen, dieser vom französischen Erbrecht angeregt. Diese Problema­tik wurde in letzter Zeit in Japan kaum eingehend erläutert. Aber es liegt auf der Hand, dass der Rechtssatz in Ja­pan rezipiert worden ist. Man könnte sogar sagen, dass Japan der Regel sehr treu bleibt, und zwar in dem Sinne, dass es weder Nacherb­ fall noch Fi­ deikommiss kennt, wenn man von der beschei­ denen Ausnahme des erst 2007 ein­ geführten § 91 des neuen Treu­hand­gesetzes absieht. Das Ziel des vorliegenden Beitra­ ges ist es zu untersuchen, worum es eigent­lich in zwei Digestenstellen geht, auf die man sich öfter als Beleg für semel heres semper heres beruft, nämlich Ulp. D. 4,4,7,10 und Gai. D. 28,5,89, und nachzuvollziehen, wie diese Stellen interpretiert und ver­ stan­den worden sind, ohne dass ich so vermessen sein wollte, irgendeinen neuen Ausle­ gungs­ vor­ schlag zu machen. Die beiden Stellen sind in verschiede­ner Hin­sicht sehr interes­sant. Es scheint mir, dass große Handbü­ cher der Pan­dek­tistik,12 wie z. B. die Pandek­ten von Dernburg, die schon in der Meiji-Zeit ins Japani­sche über­setzt worden sind13, oder Teile der von Max Kaser angeführ­ten Li­tera­tur14 auf die beiden leges hinweisen, nur um 8  Nikolaus Benke / Franz-Stefan Meissel, Juristenlatein, 20022, s. v. Semel heres sem­per heres; Mirian Anderson / Es­ther Arroyo Amayuelas (ed.), The Law of Succes­ sion: Testamentary Freedom. European Perspectives, European Studies in Private Law (5), 2011, 52–54 (Esther Arroyo Amayuelas, Miriam Anderson), 82–83 (Esteve B. Capdevila). 9  Minpo §  990 (§ 1092 nach der Fassung von 1898) lautet: „Der Ge­ samt­ vermächtnis­nehmer hat die gleichen Rechte und Pflichten wie der Erbe.“ 10  Eikichi Kondo, Minpo v. Sozoku Ho (Das bürgerliches Recht V. Erbrecht), Nihon Hyoron Sha 1937, 311. 11  Katsuji Yanagawa, Nihon shinzoku Ho Chukai Ge (Kommentare zum japani­ schen Erbrecht, Nihon Sozoku-ho Chu­kai, 2. Abschnitt), Gansho-do Shoten 1920, 8. 12  Karl Adolph von Vangerow, Lehrbuch der Pandekten II, Marburg / Leipzig 1876 (Doitsu Minpo Ron, Bd. 4, Tok ­ yo Senmon Gakkou Shuppan Bu), § 434; Christian Friedrich Glück, Pandekten, Bd. 40–43, Erlangen 1838–1843, § 1441, 1465, 1498, 1499. 13  Heinrich Dernburg, Pandekten III, 19037, § 58, § 65. Vgl. auch H. Dernburg, Die allgemeinen Leh­ren des bürgerlichen Rechts des deutschen Reichs und Preu­ ßens, Halle 1902, 446, § 148 III. 14  Z. B. Rodolfo Ambrosino, Esercitazioni di ‚dommatica moderna‘ sul diritto ro­ mano (Risposte ai miei critici in tema di eredità), SDHI 17 (1951) 222–224; Cesa-



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die Regel zu bestätigen, aber ohne auf ihre causae und rationes einzugehen. Interessanter­weise hat der große Wind­scheid in einer Fußnote bemerkt, dass die für die Regel angeführ­ ten Stellen eher den Römer eigene Probleme behandelten, wie z. B. den Unter­schied zwi­schen ius civile und ius praetorium.15 Es soll hier gezeigt werden, dass zu diesen Stellen die Kommentie­ rungen von wichtigen Humanis­ten sehr hilf- und auf­schlussreich sind und ein besseres Verständnis der Stellen ermöglichen. II. Zu Ulp. D. 4,4,7,10 1. Text und Fragen Zunächst soll D. 4,4,7,10 erläutert werden. Die lex lautet: D. 4,4,7,10 Ulp. 11 ad ed. Sed quod Papinianus libro se­cun­do responsorum ait minori sub­sti­tu­tum servum necessarium re­pu­diante qui­ dem hereditatem minore necessari­ um fore et, si fuerit re­stitutus minor, liberum nihilo minus remanere: si autem prius minor adiit hereditatem, mox abs­ ten­ tus est, substitutum pu­ pillo ser­ vum cum libertate non posse he­redem existere neque li­be­ rum es­se: non per omnia ve­rum est. nam si non est solvendo he­re­ditas, abs­ tinente se herede et di­ vus Pius re­scripsit et imperator noster, et qui­ dem in extraneo pu­pillo locum fo­re

Aber Papinian sagt im 2. Buch seiner Rechts­ gutachten: Wenn für einen Minder­ jährigen ein Sklave, der Zwangserbe ist, als Ersatzerbe eingesetzt ist und der Min­ der­ jährige die Erbschaft ausschlägt, ist zwar der Sklave Zwangserbe und bleibt, wenn der Minderjährige in den vorigen Stand wieder­ eingesetzt wird, nichtsdesto­ weniger frei; wenn aber der Minderjährige die Erb­schaft zunächst angetreten, bald wieder aus­ geschlagen hat, kann der als Ersatzerbe un­ ­ ter gleichzeitiger Freilassung eingesetzte Skla­ve weder Erbe noch frei sein. Doch ist das nicht in allem richtig. Denn wenn die Erbschaft nicht zahlungs­ fähig ist und der

re San­fi­lippo, Corso di diritto romano. Evoluzione storica della heredi­tas, Napoli 1946, 93–98. 15  Bernhard Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts III, Frankfurt. a.  M., 18917, 67, Fn. 18 ist interessant: „Dieß ist zwar in den Quellen nicht ausdrücklich gesagt, aber es folgt mit Sicherheit daraus, daß für das Soldatentestament das Ge­ gentheil als etwas Besonderes hervorgehoben wird …, und daß auch der Eintritt einer auflösenden Befris­ tung die bezeichnete Wirkung nicht hat …, wie es denn auch in anderer Bezie­hung für eine Unmöglichkeit erklärt wird, ut, qui semel heres exstitit, desinat heres esse, l. 89 D. de her. inst. 28. 5 [D. 28,5,89].“ Er hat aber schon in dieser Fußnote die richtige Bemer­kung hinzugefügt: „Wenn man für den Satz: semel heres semper heres noch zwei andere Stellen anführt, l. 7 § 10 D. de min. 4. 4 [D. 4,4,7,10] und l. 3. § 2 D. de lib. et post. 28. 2 [D. 28,2,3,2], so liegt doch auf der Hand, daß die erste nur den Ge­gensatz zwischen dem Civil- und dem prätorischen Recht hervorgeben will, und daß die zweite es für unmöglich erklärt, die Erbschaft zu nehmen – nicht demjenigen, welcher seiner­seits Erbe geworden ist, sondern – demje­nigen, welcher durch das Er­bewerden eines Anderen bereits von der Erbschaft ausgeschlossen ist.“

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necessario substi­tuto. et quod ait li­ berum manere, ta­le est, quasi non et heres ma­neat, cum pupillus im­pe­trat re­sti­tu­tionem postea­quam abs­tentus est: cum enim pu­ pillus he­ res non fiat, sed utiles ac­tio­nes ha­beat, si­ne dubio heres ma­nebit, qui se­mel ex­ titit.

Erbe ausschlägt, haben selbst [oder: ge­ra­de] im Hinblick auf einen Minderjähri­ gen, der Außenerbe ist, der vergöttlichte Kai­ser An­ toninus Pius und auch unser Kai­ ser [Ca­ racalla] auf Anfrage entschieden, dass die Einsetzung des Zwangserben als Ersatzerbe wirksam wird. Und soweit Pa­ pi­ nian sagt, der Sklave bleibe frei, klingt das so, als ob er nicht auch Erbe bleibe, wenn der Min­der­ jährige die Wiedereinset­zung er­langt, nach­ dem er ausgeschlagen hat. Weil nun aber der Minderjährige nicht [zivil­ recht­ lich] Erbe wird, sondern nur actiones uti­les erhält, soll zweifellos auch weiter Erbe bleiben, wer einmal Erbe ge­worden ist.

Der Sachverhalt und die Rechtsfolge in dieser lex an sich sind nicht so schwer zu verstehen.16 Ulpian berichtet in sei­nem Kommentar zum Edikt die Lehre Papinians aus dem 2. Buch seiner Rechtsgutachten (responsa). Die­ser Teil des 2. Buchs kann nur aus dieser Digestenstelle rekonstruiert werden, wie Cu­ jacius oder Lenel in ihrer Palingenese gezeigt haben.17 Papinian stellt in die­sem responsum zwei Fälle vor. Der eine Fall lautet: Ein Hausvater hat einen Minderjährigen als seinen Er­ ben und seinen eigenen Skla­ ven als Ersatzerben eingesetzt.18 Der Minderjäh­rige schlägt die Erbschaft aus (repudiante), und der Sklave wird Erbe als Zwangs­ ersatz­ erbe. Der Minderjährige muss ein hausfremder ­Außenerbe (extra­neus heres) sein, weil er die Erbschaft ausschlagen kann. Papinian hat laut Bericht von Ulpian gutachtlich geäußert, der Sklave ­bleibe frei, falls der Minderjährige in den vorigen Stand wiedereingesetzt werde. Der andere Fall: Der Minderjährige hat die Erbschaft angetreten und sich nach­her der väterlichen Erb­schaft enthalten. Papinian bestätigt, dass es kei­ ne Möglichkeit für den Sklaven gibt, als Ersatzerbe Erbe zu werden, und dieser des­wegen weder frei noch Erbe wird. Ulpian fügt eine kritische Bemerkung zu Papinian hinzu: Doch sei das, was Papinian sagt, nicht in allem richtig. Zunächst nennt Ulpian hinsichtlich des zweiten Falls die Reskripte des Kaisers Antoninus Pius (Kai­ser 138–161) und des von ihm ‚unser‘ genannten Caracalla (Kaiser 198–217), die Voci, Diritto ereditario romano I, Milano 19672, p. 668, nota 5. Lenel, Palingenesia iuris civilis I, Graz 1960, col. 886, Pap. 415 unter dem Ti­tel De restitutionibus. Zu Cuja­cius vgl. u. Fn. 29. 18  Zu den Formeln der Erbeinsetzung eines eigenen Sklaven mit Freilassung im Allgemei­nen, vgl. Barnabas Brissonius, De formulis et solennibus populi Romani, Hal­lae et Lip­siae 1731, lib. 7. tit. 27, fol. 576a – fol. 576b. 16  Pasquale 17  Otto



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entschie­den ha­ben, dass der Sklave frei und Erbe blieb, falls die Erbschaft nicht zah­lungs­fä­hig war. Was den ersten Fall anbelangt, so behauptet Ulpian, dass der Sklave nicht nur frei, sondern auch Erbe bleibt. Er kritisiert Papinian, als ob dieser mein­ te, dass der Sklave nur frei bleibe, ohne die Erbschaft zu be­halten. Ulpian ist hinge­ gen der Meinung, dass der Sklave auch Erbe bleibt und der Minderjäh­rige durch Re­stitution nur actiones utiles bekommen kann, weil die Regel „heres manebit, qui semel extitit“ gilt. Ulpian setzt sich mit Papinian auf diese Weise wie in einem rhetorischen Chi­as­mus auseinander. Die Rechtslage des Freigelassenen ist nach Ulpian ganz klar, aber diese lex wirft Fragen auf. Eine Frage besteht darin, ob Papinian wirklich meinte, „der Sklave bleibe frei, aber nicht mehr als Erbe“, wo doch die Regel semel heres semper heres eine so evidente Regel für die Römer war. Oder an­ders formuliert: War es eigent­ lich möglich, dass Papinian derart relevante und wichtige kaiser­liche Re­skripte nicht gekannt hätte? Er muss mindestens das Reskript des vergött­ lichen Kaisers Pius, der natürlich vor der papinianischen Zeit ge­ herrscht hat, ge­ kannt haben, obwohl man nicht deutlich ausschließen kann, dass er von der Ent­schei­dung Kaiser Caracallas nichts wusste.19 Eine weitere Streitfrage bezieht sich auf das Textverständnis und die Überset­zungs­frage. Man be­gegnet nämlich einem bemerkenswerten Unter­ schied zwi­schen den modernen Digesten­übersetzungen für quidem in extraneo pu­pillo locum fore necessario substituto. In den Übertragungen in moderne Sprachen verstehen die französische Über­set­zung, die ältere italieni­sche, beide spanischen und die niederländi­ sche einer­seits das Wort quidem als „selbst“ oder „auch“,20 wäh­rend ande­ rerseits beide deut­sche Übersetzungen, zwei engli­sche und die neue italie­ 19  Zur Entstehung der Responsa B. 1–12 zwischen 206 und 211: Detlef Liebs, III. Juris­ pru­ denz, § 416. Aemilius Papinia­ nus, 121, in: Klaus Sallmann (Hrsg.), Die Litera­tur des Umbruchs. Von der römischen zur christlichen Literatur. 117 bis 284 n. Chr.; zur Behandlung des Kaiserrechts in Papinians Werken vgl. z. B. Ulrike Babusiaux, Kom­mentare des Kaiserrechts in Papinians Quaestiones, ZRG RA 26, 2009, 156–186. 20  Henri Hulot (trad.), Corps de droit civil romain, tom. 1, Metz et Paris 1803: „quand même il s’agiroit d’un pupille étranger“. Giovanni Vignali (a cura di), Cor­ po del diritto. Digesto, vol. 1, Napoli 1856: „anche a riguardo del pupillo estraneo“. Gra­cía del Corpo­ral, Cuerpo del Derecho Civil Romano 1889: „aun ciertamente respecto á un pupilo extra­ño“. Alvaro d’Ors u. a. (trad.), El digesto de Justiniano, tom. 1, Pam­plona 1968: „aunque se tratase ciertamente del pupilo que non era hijo del testador“. Johannes Emil Spruit u. a. (red.), Corpus iuris Civilis II, ’s-Gra­ ven­ hage 1994: „zelfs in het geval van een onder voogdij ­staand kind als buiten­staander“.

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nische es als „ge­rade“ oder „in der Tat“ verste­hen.21 Jene Übersetzer müs­ sen angenom­men ha­ben, dass die einschlä­gige Rege­lung schon bei einem anderen Sachver­halt vor­her bestätigt wurde. Diese haben quidem dage­gen in der Weise ver­ standen, dass das Wort nur als ein bekräftendes oder erklärendes Adverb funktioniert. Woher kommt diese Über­ ­ set­ zungsver­ schiedenheit, war­um hat man die Stelle unter­schiedlich verstanden? Übri­ gens kann das Wort quidem ge­ bräuchlich auch „selbst“ oder „auch“ be­ deuten.22 Im Folgenden soll die erste der Sachfragen hauptsächlich, die zweite vorläu­fig behandelt wer­den. Die erste Interpretation geht auf die mittelalterliche Glosse zurück. In der Glosse in extraneo pupillo zu D. 4,4,7,10 vermerkt Accursius, dass mehr Zwei­fel bestünden („ubi plus dubitabatur“)23, und deutet an, dass weniger Beden­ken bestünden, wenn es um einen minderjährigen Hauserben (suus he­res) ginge. Man kann daraus schließen, dass Accursius die einschlä­gige Stelle z.  B. so überset­ zen würde: „selbst im Hinblick auf einen Min­ derjährigen, der Außen­ erbe ist“. Weder moderne Übersetzungen noch Accur­sius ha­ben uns an­dere Stellen vorgestellt, die ihre Interpretation recht­ fertigen.

21  Karl Eduard Otto u. a. (Übers.), Das Corpus iuris civilis (Romani) I, Leipzig 1838: „und zwar in Betreff der Per­son eines fremden Unmündigen“. O. Behrends u. a. (Übers.), Corpus iuris civilis II, Heidelberg 1995: „gerade im Hin­ blick auf einen Min­derjährigen, der Außenerbe ist“. Charles Henry Monro (trans.), The Di­ gest of Justin­ ian 1, Cam­ bridge 1904: „as a matter of fact of the case of a boy under fourteen being ap­pointed heir who was a stranger to the family“. Alan Watson (ed.), The Digest of Jus­ tinian 1, Philadelphia 1998: „indeed in a case of a pupillus who is heres extraneus“. San­dro Schipani (a cura di), Iustiniani Augusti Digesta seu Pandectae I, Milano 2005: „invero, nei con­fronti di un pu­pillo erede estraneo“. 22  Wolfgang de Melo (ed. and trans.), Plautus I, London 2011, Bacchides, 111, 330–381: namque ita me di ament, ut Lycurgus mihi quidem videtur posse hic ad nequitiam adducier. Vgl. Aegidius Forcellinus, Totius latinitatis lexicon, Patavi 1830, s. v. qui­dem 8: „Pro etiam. Plaut. Bacch …“; J. E. Riddle (trans.), A Dictio­ nary of the Latin Lan­guage, I. J. G. Scheller, Lexicon Totius Latinitatis, Oxford 1835, s. v. quidem II: „In­deed, in explanations, when preceded by ac or et: oritur, et quidem aliquot diebus, Cic. divin. ii. 44; and indeed, i. e. namely: tres epistolae, et quidem uno die, Cic. Q. Fr. iii. 1. 3; … VI. Also, too; Q. Pomponium ille quidem, etiam P. Africanum referre in eun­dem numerum solent, Cic. Acad, iv. 5. post.“ 23  Gl. in extraneo pupillo zu D. 4,4,7,10: „ubi plus dubitabatur“.



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2. Pothier Eine von Robert-Joseph Pothier (1699–1772) angefügte Fußnote zu quidem in extraneo in seinen Pan­dectae in novum ordinem digestae fängt mit einem ähn­lichen Satz wie dem der Glosse an:24 De extraneo pupillo magis dubitari poterat. Quum enim suus heres institutus est, et ipse servus sub­stitutus; substitu­tio servi magis videtur facta sub hac conditio­ ne Si pu­ pil­ lus heres cum effectu non erit; si quidem pupillus necessario ipso iure futu­rus erat heres. At substitutio facta extraneo pupillo, vide­batur evanesce­ re pu­ pillo here­ dita­ tem adeunte. Ta­ men, ne bona defuncti sub hasta vaenirent; etiam in extraneo pu­pillo in­stituto substitutionem necessarii servi Im­perato­res ita beni­gne inter­pretati sunt, ut huic locus esset si pupillus heres cum effectu non esset.

Pothiers Auslegung war folgende: Wenn ein Unmündiger Hauserbe ist, wird er als Zwangserbe (heres ne­cessarius) sofort Erbe sein, und es wird kein Raum für einen Ersatzerben mehr bleiben. So muss man die Bedin­ gung zur Ersatz­erbeinsetzung, um sie nicht sinnlos zu machen, folgerichtig so auslegen, wie wenn der eingesetzte Erbe den Erblasser nicht wirksam (cum effectu) be­erbt. Er bezweifelt dabei kaum die Annahme, dass ein Er­ satzerbe infolge der Wieder­ein­setzung des Erben in den vorigen Stand die Erbschaft antreten kann. Aber falls der Un­mündige Außenerbe ist und wenn er einmal Erbe ist, wird die Sub­stitu­tion im Prinzip erlöschen. Aber auch wenn der Unmün­dige Außen­erbe ist, ha­ben die Kaiser in wohltätiger Inter­ pretation reskri­biert, dass die Ersatz­erb­einset­zung des Sklaven als Zwangs­ erbe gültig ist, falls der Unmün­ dige nicht wirk­ sam Erbe wird, um zu vermei­den, dass das Vermögen des Ver­storbenen in dessen Namen verstei­ gert wird. Pothier unterscheidet die Auslegungen der Bedingung für die Ersatzerb­ ein­set­zung danach, ob der Unmün­dige Außenerbe oder Zwangserbe ist. Er zitiert lei­der weder Quel­len­belege noch Literatur.25 3. Cujacius Es war Jacobus Cujacius (Jacques Cujas, 1520–1590), der unsere Stelle mit dem Hinweis auf andere Di­gestenstellen klar und glatt erklärt hat. Er erläu­terte un­sere lex in seinen Observationes et Emendationes (lib. 12. tit. 24  Robert-Joseph Pothier, Pandectae Iustinianae in novum ordinem digestae, Parisiis 1818, 211b, tom. 1. lib. 4. tit. 4. 63. Fn. 6. 25  Pothier schreibt auch zu D. 42,1,44 übrigens keine Bemerkung an den Rand, ob­ wohl die Stelle eine wichtige Rolle für die Interpreta­ tionsgeschichte von D. 4,4,7,10 spielt, wie gleich gezeigt werden wird.

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20)26 und be­zog Scaev. D. 42,1,44 in seine besonderen Überlegungen ein. Die lex lautet: D. 42,1,44 Scaev. 5 resp. Ex contractu paterno actum est cum pupilla tutore auctore et con­demnata est: postea tutores abs­tinuerunt eam bonis paternis et ita bona defuncti ad substitu­ tum vel ad coheredes pervenerunt: quae­ ritur, an hi ex causa iudicati te­ ne­ antur. rescripsit dandam in eos ac­tionem, nisi culpa tutorum pu­pil­la condemnata est.

Aus dem von dem Vater einer Unmün­digen geschlossenen Vertrag wurde eine Klage gegen sie, deren Vormund mit­wirkte, erho­ ben, und sie wurde verurteilt; nachher ha­ben die Vormünder für sie den väterli­chen Nach­ lass aus­ ge­ schlagen, und so fiel das Ver­ mögen der Verstorbenen an den Ersatz­erben oder an die Mit­erben. Es fragt sich, ob diese auf Grund des Urteils haften? Er [Scaevola] hat geant­ wortet, dass die Klage gegen sie gewährt werden sollte, es sei denn, dass die Un­mündige wegen Verschul­dens der Vor­ münder ver­urteilt wor­den sei.

Cujacius differenziert sorgfältig zwischen dem Fall von D. 42,1,44 und dem von D. 4,4,7,10: In D. 42,1,44 schlug eine unmündige Tochter, die sich einmal in die väterli­che Erbschaft eingemischt hatte, die Erbschaft direkt aus eigenem Recht aus, ohne prätorische Restitution zu beantragen. Dage­ gen ging es in D. 4,4,7,10 um einen hausfremden Außenerben, der die Erbschaft angenommen hatte und nach­her in­folge des Ausschlagens restitu­ iert wurde. Jene unmündige Zwangs­erbin wurde als Tochter sofort Er­bin und mischte sich in die Erb­schaft ihres Va­ters ein. Da­nach, innerhalb der Überlegungszeit bereuend, übte sie ihr eige­ nes Ausschla­ gungsrecht aus, ohne die prätorische Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu fordern. Deshalb schließt in die­sem Fall die Einmischung der Zwangserbin in die Erb­ schaftsangelegenheiten weder Ersatzerben noch An­ wachsungsrecht der Miterben automatisch aus.27 Daher können Ersatz­erben oder Mit­erben Er­ ben werden.28 26  Jacobus Cujacius, Observationes et Emendationes, lib. 12. tit. 20, Opera omnia, tom. III, Neapoli 1758, col. 344–345. 27  Cujacius (o. Fn. 26) col. 344. 28  Cujacius unterscheidet anhand von Gai. D. 29,2,57 pr. eingehend in der Wei­ se, dass selbst eine mündige Hause­rbin die Erbschaft ausschlagen kann, aber nur bevor sie sich noch nicht eingemischt hat, während eine unmündige Hauserbin es tun kann, auch nach­dem sie sich in die Erbschaft eingemischt hat. Vgl. Cujacius (o. Fn. 26) col. 344. D. 29,2,57 pr. Gai. 23 ad ed. prov.: Necessariis heredibus non solum impuberibus, sed etiam puberibus abstinendi se ab hereditate proconsul potestatem facit, ut, quam­vis creditoribus hereditariis iure civili teneantur, tamen in eos actio non detur, si velint derelinquere hereditatem. sed impu­beribus quidem, etiamsi se immiscuerint hereditati, praestat ab­stinendi facultatem, puberibus autem ita, si se non immiscuerint.



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Nach der Interpretation des Cujacius geht es im zweiten Fall von D. 4,4,7,10 um einen Außenerben, der die prätorische restitutio erwirkt hat. Der Prätor kann zwar dem Erben die Vergünstigung geben, sich der Erb­ schaft zu enthal­ten (bene­ficium abstinendi), aber er ist weder in der Lage, die Regel semel heres semper heres zu beseitigen noch einen einmal ausge­ schiedenen Ersatz­ erben wieder zum Erben zu machen. Nur der princeps kann das tun. Die Rolle, die die zwei kai­serlichen Reskripte in D. 4,4,7,10 gespielt haben, kann in diesem Zu­sam­men­hang gut verstanden werden. Die Kaiser konnten, selbst im Fall, wo der Außenerbe sich der Erb­schaft enthal­ ten hat, ausnahmsweise einen schon ausge­ schiedenen Ersatzerben wieder zum Erben machen, wenn die Erbschaft sich als zahlungs­unfähig erwies, um die Ehrverletzung des Erblas­sers durch die venditio bonorum in dessen Namen zu vermeiden. Cujacius behandelt D. 4,4,7,10 auch in einem anderen Werk, einem palin­ ge­ neti­ schen Kommentar zu Papinians Responsa.29 Er erzählt den Fall dieser Stelle fol­gen­der­maßen: Der Minderjährige hat leichtsinnig die Erbschaft ausgeschlagen, aber die Re­ sti­ tution gefordert bzw. er­ wirkt, um die Erbschaft anzutre­ ten. Die der Erb­schaft an­gehörigen Sachen sind dem mit gleichzeitiger Frei­lassung ein­ gesetz­ ten Er­ satzerben weggenommen geworden. Ulpian tadelt oder ver­ leumdet Pa­pinian. Aber nach Deutung des Cujacius nimmt Ulpian an, dass Papinian etwas ge­dacht habe, was dieser nicht dachte: der einmal frei Ge­ wordene ver­liere keine Frei­heit, wohl aber das Vermögen.30 Und Cujacius betont die Abnormi­tät der zwei kaiserli­chen Konstitutionen und betrachtet die Regel als ius com­mune, welches semel heres est in per­petuum heres behauptet.31 Der Prätor macht den Minder­ jährigen durch die Restitution zum bonorum posses­sor. Wenn der eingesetzte Erbe Erbe wird, fällt in der Regel die Ersatz­erbschaft weg.32 Wenn der minder­jäh­rige einge­setzte Erbe die Erbschaft an­tritt, schließt er nicht nur den Ersatzer­ben, son­dern auch ge­ setzliche Erben aus, und im vorliegenden Fall wird der Fiskus in das Vermögen als er­ benlose Erb­ schaft (vacantia) be­rufen.33 Nach diesen Er­ klärungen führt Cuiacius eine an­dere wichtige Stelle an, nämlich D. 38,9,2, wo der Nachlass an die Staats­kasse ge­langt, statt einem Blutsver­wandten in tieferem Grad zuzufallen. 29  Cujacius, Commentaria in libro II responsorum Aemilii Papiniani ad §. Sed et quod Pap. L. VII. de minoribus [D. 4,4,7,10], Opera (o. Fn. 26) tom. IV, col. 914–915. 30  Cujacius (o. Fn. 29) col. 914. 31  Cujacius führt D. 28,6,43,3 und D. 28,5,89 als Belege an. 32  Cujacius führt seinen Beweis mit drei Codexstellen, nämlich C. 6,26,5, C. 6,37,6 und C. 6,42,13. 33  Cujacius (o. Fn. 29) col. 915.

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D. 38,9,2 Pap. 4 resp. Inferioris gradus cognatus benefi­ cium edicti successorii non habuit, cum prior ex propria parte posses­ sionem accepis­set: nec ad rem per­ ti­ nuit, quod abstinendi facul­ tatem ob auxilium aetatis prior co­ gnatus ac­ceperat. igitur fisco va­can­tia bo­na recte deferri placuit.

Ein Blutsverwandter absteigenden Grades hatte die Rechtswohltat des Nachrück-Edikts nicht genossen, weil ein vor­ gehen­ der Ver­ wandter den Besitz aus dem ihn betref­fenden besonderen Teil er­ halten hatte. Und es hat damit nichts zu tun, dass der vorge­ hende Verwandte die Befugnis aufgrund seines Lebens­ alters erhalten hat­ te, die Erb­ schaft auszu­schlagen. Darum hielt man es für rich­ tig, dass der Nachlass als erbenlos dem Fiskus anfiel.

Das sei ius commune. Aber falls die Erbschaft nicht zahlungsfähig sei, werde der Ersatzerbe in die Erb­schaft mit gleichzeitiger Freilassung beru­ fen, damit man das Konkursverfahren im Namen des verstorbenen Herrn vermei­den und auf jenen abwälzen könne. Diese ratio legis der Reskripte wird von Späteren, z. B. bei Pothier, wie oben gesehen, oder bei Duarenus wie­derholt werden. Die Be­rufung des Sklaven stütze sich hier nicht auf die Er­satzerbschaft, sondern auf das Reskript.34 Das Reskript bzw. der prin­ceps könne diesen Sklaven zum Er­ ben machen, der mehr die Infamie als die Erb­schaft er­langen müsse.35 4. Duarenus Franciscus Duarenus (François le Douaren, 1509–1559) widmet der Diskus­sion von D. 4,4,7,10 das Kapi­tel 10 des Kommentars zum Titel De vulgari et pu­pilari substitutione.36 Er erklärt, allgemein gesagt, D. 4,4,7,10 auf eine nicht besonders bemer­ kens­werte Weise37, aber erläutert das Verhältniss zwischen Papinian und Ul­pian: Ulpian finde es fehlerhaft, dass Papinian nur sagt, der Sklave blei­ 34  Cujacius

(o. Fn. 29) col. 915. vergisst nicht, seine Erudition zu zeigen, und weist nicht nur auf die schließ­lich besprochene vorjustiniani­sche Konstitution C. Th. 2,19,3 hin, sondern auch auf nichtjuri­stiche Quellen wie z. B. Ciceros Pro Quinc­tio. Die Konstitution spricht am An­fang von einem Sklaven als Zwangserben (o. Fn. 29) col. 915. C. Th. 2,19,3: Ser­ vus necessa­ rius heres instituendus est, quia non magis patrimonium, quam infa­ miam conse­ qui videtur. … Jacobus Gothofredus, Codex Theodosianus, tom. I, Lipsiae 1736, fol. 201. 36  Franciscus Duarenus, Commentarii in tit. De vulgari et pupillari substitutio­ ne, Opera, Lugduni 1584, fol.495a–546b. 37  Duarenus bemerkt unter Hinweis auf Inst. 3,9,2, dass nur ein Gesetz oder etwas Ähn­li­ches jemanden zum Erben ma­chen kann, aber nicht der Prätor, wie wir bei Cuja­cius gesehen haben. Selbst Bartolus in Kommentar zu D. 4,4,7,10 macht diese Bemer­kung. Bartolus a Saxofferrato, Commentaria ad D. 4,4,7,10, Venetiis 35  Cujacius



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be frei, ohne die hereditas zu erwähnen. Ulpian nehme an, nach Papinians An­sicht sei der Min­derjährige Erbe geworden und der Sklave sei nicht mehr Erbe, obwohl er frei bleibe. Der favor libertatis bewirke dies in der Tat, aber er behindere nicht die Restitu­tion des Minderjährigen. Ulpian meine, der Frei­gelassene bleibe sowohl Erbe als auch frei, obwohl der Minderjäh­ rige eine actio utilis habe.38 Nachdem er auf die ratio legis der Reskripte, nämlich auf den Zweck, dass das Vermögen nicht im Namen des Testators, sondern in dem des Sklaven ver­ kauft werde und dass dem Verstorbenen keine Ehrverletzung zugefügt werde, hingewiesen hat, beruft Duarenus sich auf Inst. 1,6,1 und erklärt den Inhalt des Aelisch-Senti­schen Gesetzes: es verbiete die Freilas­ sung der Skla­ven zum Zweck der Gläu­bigerbenachteiligung, es sei denn, ein Sklave werde nur auf Grund des Testa­ments freigelassen, um die Ehrverlet­ zung des Erblassers zu ver­meiden.39 Ulpian be­richte den Fall, in dem der Ersatzerbe Sklave und die Erb­schaft zahlungs­unfähig ist. Der vorliegende Fall sei deswegen nicht auf einen anderen Sach­verhalt in erwei­ternder Aus­ legung anzuwenden. Auch Duarenus schenkt, wie Cujacius, D. 42,1,44 seine Aufmerksamkeit und vermutet, dass auch in die­ sem Fall die Erbschaft überschuldet sein müsse, weil sonst der Vormund als guter Verwalter für die Un­mündige nicht hätte aus­schla­gen dürfen.40 Damit stellt er die Ähnlichkeit zwischen den zwei Stel­len klar. Er meint weiter, anders als Cujacius, dass D. 38,9,2 ein ungewöhnli­ches Recht ent­halte, denn diese lex behandelt die Reihenfolge der Blutsver­wandten und be­vor­zugt die Staatskasse. Man könne sich deswe­ gen nicht der Stelle als Beleg für die Mei­nung bedienen, dass die zahlungs­ fähige Erbschaft der Staatskasse zu­falle, wenn der Erbe sie ausschlage. Das am Ende der lex stehende Verb „pla­cuit“ wird nach Ansicht des Duarenus von Juristen ver­wendet, wenn sie keinen festen Grund fin­den können und sich schlicht auf irgend­ eine Autorität berufen.41 Dar­ über hinaus stamme diese lex aus Papinians Responsa. Die Rechtsgutachten gelten zwar wie ein 1585, fol. 132vb: „[2] Tertio nota quod beneficium praetoris non facit quem here­ dem directo. [3] Item nota quod qui semel heres, non desinit esse heres directo.“ 38  Duarenus (o. Fn. 36) col. 507–507b. Cap. X. De effectu substitutionis vulgaris. 39  Giovanni Rotondi, Leges publicae populi romani, Milano 1912 (Ndr. Hildes­ heim 1990), 455–456; Gai. 1,37, UE 1,15. R. Leonhard, s. v. Lex Aelia Sentia, in: Paulys Real-Encyclopädie 12, Stuttgart 1925, col. 2321–2322; Voci (o. Fn. 16) II, Milano 1963, 132 und 791. 40  Duarenus (o. Fn. 36) fol. 511b. 41  Duarenus (o. Fn. 36) col. 512a. Vgl. P. G. W. Glare (ed.), OLD, Oxford 2012, s. v. placeo, 5: „(esp. in pf. or histo­ric tenses, often impersonally) b. of decisions by the Sen­ates or other authorities.“ Heumann / Seckel, Handlexikon zu den Quellen des

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Gesetz, kön­nen aber nicht in gleicher Weise wie ius commune ausgedehnt werden.42 So schließt Duare­nus D. 38,9,2 als Beleg für die In­terpretation von D. 4,4,7,10 aus, und zwar mit der sorgfältigen Diffe­ ren­ zie­ rung der Natur der jeweiligen Quellen. Er be­schränkt damit deutlich die Mög­lichkeit der Wirk­samkeit der Ersatzerbschaft. Duarenus schreibt seine Auslegung von D. 4,4,7,10 auch im Rahmen des Kom­mentars zu C. 2,38: Er weist auf C. 6,26,5 hin, um den Grundsatz zu be­ stä­ ti­ gen, dass die Ersatzerbschaft für nicht Unmündige, also auch für nicht mehr unmündige Minderjährige ausfalle. C. 6,26,5 Impp. Diocletianus et Maximianus AA. Hadriano Nach dem Antritt der Erbschaft pflegen Er­ Post aditam hereditatem directae sub­stitutiones non impuberibus filiis satzerbschaften zu erlöschen, mit Aus­nahme factae expirare solent. derer, die für unmündige Söhne verfügt wurden. PP. X. k. Iun. ipsis IIII et III AA. cons. Bekanntgemacht am 23. Mai 290.

Duarenus weist darauf hin, dass die Kaiser am Ende „solent“ sagten, das dar­auf hindeute, dass es Fälle ge­be, in denen die Ersatzerbschaft nicht erlö­ sche. D. 4,4,7,10 behan­ dele einen solchen Ausnahmsfall bei der zah­ lungsunfähi­gen Erb­schaft. Duarenus ist der Meinung, dass im vorliegenden Fall über die Rechtsstel­ lung des Substituten eines Haus­erben bei der überschuldeten Erbschaft ent­ schieden wurde, dass nämlich die Substitution gültig sei, weil man es so an­sah, als ob die Erb­schaft infolge der Restitution niemals angetreten wor­ den sei. Was der Erbe tat, das werde als Akt eines Nachlassverwalters an­ gesehen; dieser Akt sei des­ halb anfechtbar.43 Duaren hat zwar einmal geschrieben, dass der Prätor keine Erben machen könne, aber hier nahm er infolge der kai­serli­chen Konstitution ohne weiteres eine solche Fik­tion an. 5. Faber Anton Faber (Antoine Favre 1557–1624) beginnt das Buch 3, Titel 4 seines Hauptwerkes Conjecturae iu­ris civilis mit der Beobachtung, dass auf die Frage, ob die Ersatzerbschaft mit dem Antritt der Erbschaft des Erben völlig erlischt oder durch die Restitionen gültig wird, wahrscheinlich jede römi­schen Rechts, Graz 197111, s. v. placere: „… placebat, placuit (Ansicht, die sich durchge­setzt hat, jetzt unbestritten ist), von Aussprüchen der Juristen gesagt.“ 42  Duarenus (o. Fn. 36) col. 512b. 43  Duarenus, Commentarii in tit. XL. lib. II. Cod. Si ut omissam haereditatem vel bo­no­rum possessionem, vel quid aliud acquirat [C. 2. 39], Opera (o. Fn. 36) col. 145a.



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Antwort, ja oder nein, gege­ ben werden kann.44 Faber selbst spricht sich zwar für die Gültigkeit der Ersatzerbschaft nach der Restitu­ tion aus. Er kritisiert freilich die grundlos ausdehnende Anwendung der kaiserlichen Reskripte in D. 4,4,7,10, weil diese lex ungewöhnliches Recht ist.45 Er kennt zwar sowohl C. 6,26,5, wo das Erlö­schen der Substitution nach An­ tritt der Erbschaft festge­stellt wird, als auch die Regel „einmal Erbe immer Erbe“ auf Grund von D. 28,5,89. Aber er abstrahiert einen neuen Begriff „nudum heredis nomen ge­rere“ hin­sichtlich des Erben, der einmal die Erb­ schaft angetreten und danach ausge­ schlagen hat, um seine Mei­ nung zu rechtfertigen.46 Die von Faber gebrauchte Differenzierung zwischen Hauserbe und Außen­ erbe ist auch nicht besonders neu. Aber anders als Cujacius betont er den wahr­scheinlichen Willen des Erblassers, die Substitution wirk­sam zu erhal­ ten, d. h. den Ersatzerben nach der Restitution dem Fiskus und sogar den gesetzli­chen Erben vorzuzie­hen. Das rechtfertige die Wirkung der Ersatzerb­ schaft.47 Auch Faber weist auf D. 42,1,44 hin und sagt, dass die Ersatzerb­ schaft nicht in der Weise erlischt, dass sie auch nach der Ausschlagung nie wirksam wird, nach­dem der Unmündige sich einmal in die Erbschaft einge­ mischt hat.48 In Bezug auf die lex D. 4,4,7,10, die sei­ner Meinung zu wi­ dersprechen scheint, bezeich­net er als einen Sonderfall, wenn der Ersatz­erbe Sklave ist, der keine testa­menti factio hat. Diese lex als Sonderregel sei dementsprechend nicht bei einer nor­ malen substitutio vulgaris anzuwen­ den.49 So hat Faber sein eigenes Prinzip aufge­stellt.

44  Antonius Faber, Conjecturae iuris civilis, Coloniae allobrogum 1630, lib. 3. tit. 4. fol. 60a [pr.]. 45  Faber (o. Fn. 44) fol. 60a: „[1] Bartolus convalescere credidit … Qua excep­ tione Bartolus in suae sententiae confirma­tio­nem abutitur.“ 46  Er führt auch D. 29,2,57 als Argument an, was Cujacius schon getan hat, wie wir gesehen haben. Faber (o. Fn. 44) fol. 60b–61a [2]. Zu Cujacius, o. Fn. 28. 47  Faber (o. Fn. 44) fol. 61a [3]. 48  Faber (o. Fn. 44) fol. 61a [3]. 49  Faber erklärt weiter, wie folgt: Es bestehe ein Unterschied zwischen der gesetzli­ chen und testamentarischen Erbfolge. Auch D. 38,9,2 sei deswegen nicht anwendbar. Das Gesetz oder der Prätor könnte damit zufrieden sein, dass der einge­ setzte Erbe ein­mal die Erbschaft antritt, auch wenn dies nach der Restitution ohne Wirkung ist, wäh­rend der Testator damit nicht zufrieden gestellt wird. Der Wille des Erblassers sei viel­ mehr, dass der Substi­ tute Erbe werde, falls der ersteingesetzte Erbe nur mit seinem Na­men, d. h. ohne Auswirkung, Erbe bleibt. Faber teilt zwar die herrschende Meinung, aber er hebt als Argu­ment den Willen des Erblassers her­ vor. Faber (o. Fn. 44) fol. 62a [11].

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6. Vinnius und Chesius a) Vinnius Arnoldus Vinnius (1588–1657) bringt in seinen Selectae quaestiones iuris un­ser Thema zur klaren Dar­stel­lung.50 Er unterscheidet zunächst die Bedin­ gung für den Ersatzerben „Si heres non erit“ bei einer substitu­tio vulgaris, je nach­dem der Erbe Außenerbe, Hauserbe oder Zwangserbe ist. Umstritten sei die Bedingung bei der Ersatzerbschaft für einen Sohn als Hauserbe und damit Zwangs­ erbe. Vinnius analysiert die Bedingung „si heres esse non poterit“ beim Hauserben. Diese Kondition bedeute zweierlei: „wenn er vor dem Tod seines Vaters verstorben ist“ oder „wenn er die Erbschaft seines Vaters deswe­gen ausschlägt, weil er sich in das erbschaftliche Vermögen nicht einmischen will“. Vinnius ist der Mei­nung, dass, obwohl der Haus­erbe ipso iure Erbe werde, nicht das schlichte Vorhandensein des Hauserben, sondern seine Einmi­schung in die Erb­schaft die Berufung eines Ersatzerben verhindere. Damit kann er hinsicht­lich des Haus­erben äußern, dass römische Juristen bestritten, der Sohn, der sich der Erb­schaft enthalte, sei in der Tat einmal Erbe.51 Das kann man gut mit der Unmün­digen in D. 42,1,44, die sich mit der Ein­lassung auf die Klage in die Erb­schaft einge­mischt hat, in Harmonie brin­gen. b) Chesius Bartolomeus Chesius (Bartolomeo Chesi, 1605–1680) gibt auch eine Wi­ der­legung gegenüber dem Lö­sungsvorschlag des Cujacius und bietet eine be­mer­kens­werte Leistung der Interpretationsgeschichte.52 Er stellt grob die auf Grund von D. 42,1,44 von Cujacius (Observationes et emendationes, lib. 12, tit. 20) und von Faber (Conjecturae, lib. 3, tit. 4) vertretene Ansicht als herr­schende vor, dass der Ersatzerbe als Zwangs­erbe die Erbschaft an­ trete, wenn der Hauserbe die Erbschaft ausgeschlagen habe. Er lehnt sie ab, indem er die Pa­raphrasis des Theophilus heranzieht.53 Er zitiert zwar keine 50  Arnoldus Vinnius, Selectae quaestiones iuris, Ludg. Bat. 1660, lib. 2. cap. 23, 407–412. 51  Vinnius (o. Fn. 50) col. 407. 52  Bartolomaeus Chesius, Interpretationes iuris lib. II, in: Iurisprudentia romana et at­tica, tom. II, Lugduni Batavorum 1739, lib.2.cap.21. Übrigens versucht Heinec­ cius eine Bibliografie von Chesius in der praefatio in dieser Iurisprudentia zu geben: [fol. I] „… De Barto­lomeo Chesio, qui omnium paene biographorum notitiam fugit, nihil aliud compertum habeo, quam illum circa medium saeculum superius Pisis iura docuisset, vitam ad annum saltem MDCLXX produxisse, quippe qui quinquennio ante doctissi­mum illud Differentiarum opus in lucen edidit.“ 53  Chesius (o. Fn. 52) col. 449 [2].



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konkrete Stelle, aber es muss Inst. 2,16 pr. sein. Hier soll die Stelle auch mit einer lateinischen Fas­ sung der humanistischen Zeit, der von Fabrot, wieder­gegeben werden.54 Paraphr. Theoph. 2,16 pr. … ¢ll’ ™pˆ m7n ™xwtikoà ™n pollo‹v qšmasi dÚnatai cèran labe‹n À Úpoka­ t£­ s[t]asiv, oŒon, ™¦n Ð „nstitoàtov [in­sti­ tûtos] pro­te­leut»s6 toà test£­twrov [te­ státoros], À þepoudia­ teÚs6 [re­pu­dia­teú­s6] t¾n klh­ ronom…an [À] ØpÕ a†resin gra­ fšn­ tov aÙ­toà, ¢ton»s6 ¹ a†resiv. ™pˆ d7 toà uƒoà [™n] ˜nˆ mÒn0 qšmati cèra g…­ne­tai tÍ Øpoka­ta­s[t]£­sei, oŒon ™¦n te­leu­t»s6 Ð ØpexoÚsiov prÕ toà o„ke…ou pa­ trÕv [kaˆ toà] toà kaˆ dia­ qe­ mš­ nou. e„ g¦r [kaˆ] teleu­ t»s6 Ð pa­ t¾r prÕ toà pai­ dÒv, oÙ cè­ra g…­netai tÍ Øpoka­tast£sei: ¢na­fa… netai g¦r eÙqšwv klh­ ronÒ­ mov tù pa­ trˆ kaˆ oÙd7 e„ ¢bsti­ nateÚs6 [abs­ti­nateus6] ˜au­tÕn ¢pot…­qe­tai tÕ ¢sè­maton Ônoma. tÕ g¦r ¢sèmaton Ôno­ma tÁv klh­ro­no­m…av 9pax ™m­ pagšn tini dus­ cerîv ™f’ ›te­ron metšrcetai.

… Sed in extraneo quidem mul­tis casibus accidit, ut substitutio lo­ cum habeat. Quod genus fue­rit, si institutus ante te­sta­to­rem dece­dat: [si] re­ pu­ diet, aut omit­ tat he­redita­tem: aut si sub con­di­tione eo insti­ tuto con­ ditio non exi­ stat. In filio ve­ ro, uno dun­ ta­ xat casu locus fit sub­stitutioni: vi­de­licet, si filius­ familias ante pa­ trem testan­ tem de­ ce­ dat: Nam si pater ante fi­lium de­cedat, sub­stitutioni non fit locus: Ille enim statim patri he­res existit, neque se abs­ti­nen­do nomen here­dis de­po­nit. Nam here­ dis nomen semel alicui par­ tum, diffi­culter ad alium trans­fer­tur.

Theophilus äußert deutlich, dass die Ersatzerbschaft für einen Haussohn nur wirksam ist, wenn der einge­setzte Sohn vor dem Erblasser gestorben ist. Auch wenn der Testator unter der Bedingung, „falls der eingesetzte Erbe nicht Erbe wird“, auch den Fall, in dem der Erbe nicht „mit Wirkung (cum effectu)“ Erbe ist, versteht und er die Er­satzerb­schaft nur dann aus­schließen will, wenn der Erbe mit Wirkung Erbe wird, reicht nach der Meinung des Chesius der Wille des Erblassers nicht aus, den Ersatzerben zum Erben zu ma­chen, weil der Testator seinen Willen nur im Rahmen der Rechtsordnung ver­wirklichen kann. Diese Meinung scheint der von Faber zu widerspre­ chen. Der Erbe, sei es der Hauserbe, der ipso iure Erbe wird, sei es der Außenerbe, der nur durch seine Willens­erklärung Erbe wird, lässt mit sei­ nem einmaligen Erb­ schaftsantritt auf jeden Fall die Ersatzerbschaft erlö­ schen.55 Che­sius zieht das Resk­ript C. 6,26,5 hinzu, auf das sich auch Du­ 54  Carolus Annival Fabrotus, QEOFILOU TOU ANTIKHNSWROS INSTI­ TOUTWN BIBLIA D, Parisiis 16572, 280–281. Vgl. die Editio princeps von Viglius Zuichemus, INSTITOUTA QEOFILOU ANTIKHNSWROS, Basileae 1534,108 (nur griechisch) und J. H. A. Lokin u. a. (ed. with a translation by A. F. Murison), Theo­ phili antecesso­ris paraphrasis insti­tutionum, Groningen 2010, als die moderne kriti­ sche Ausgabe, 354,5–15; 355. Zur Ge­schichte der Editionen, xxxvii–xliii. 55  Chesius (o. Fn. 52) col. 450 [5] und [10].

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arenus be­rufen hatte. Und er liest D. 42,1,44 dazu, und zwar nimmt er den Sachverhalt des Textes in sehr subtiler Weise wie folgt an: Der Ersatzerbe ersetze hier nicht den Un­mündi­gen, son­dern den Mit­erben des unmündigen Außenerben. Der Anteil der Erb­ schaft komme dem Miterben durch An­ wachsungsrecht zu, wenn der Mit­erbe schon die Erb­schaft angetreten habe, oder dem Ersatzerben des Mit­erben, wenn die­ser aus­geschlagen habe. Mit dieser Auslegung des Textes kriti­ siert Che­ sius die herr­ schende Meinung, dass die substitutio des Hauserben wirk­sam sei. 7. De Retes und von Cocceji a) De Retes Wir begegnen einem weiteren Juristen, der sich mit der Auslegung von D. 4,4,7,10 beschäftigt, Josephus Fer­nandez de Retes, dessen Werk Inter­ pre­ta­ti­o­nes iuris in Meermans Thesaurus kompiliert worden ist. Er kon­ zentriert sich im Buch 2, Titel 10 auf die zwei Reskripte der Kaiser Pius und Caracalla von D. 4,4,7,10.56 Er ist nicht davon überzeugt, dass Papinian so gewichtige Reskripte igno­ riert oder übersehen hätte. Er ver­mutet, dass der Rechtsbehelf des ersten Reskripts von Pius irgendwann außer Gebrauch gekommen sei, und dass Kai­ser Caracalla dann mit seinem Reskript wieder dasselbe befohlen habe, was Kaiser Pius einst reskri­biert hatte. Das zweite Reskript des Helioga­ balus oder des Alexander müsse erlassen worden sein, nach­dem Papinian sein Gut­achten abge­geben hatte und vom Kaiser durch das Beil hingerichtet worden war, wie Lampidius berich­tet.57 De Retes erkennt auch den Unterschied zwischen dem unmündigen Haus­ erben, der mit seinem eigenen Recht, d. h. der abstinendi potestas, die Erb­ schaft ausschlägt, und dem Außenerben, der mit prätorischer Beihilfe aus­ schlägt, und zieht, wie Cujacius, D. 29,2,11 hinzu.58

56  Josephus Fernandez de Retes, Miscellaneus, cap. 10, Defensio Papiniani ab impu­gnatione Ulpiani, et observatio ad d. l. ait Praetor 7. §. Sed quod Papinianus [D. 4,4,7,10], in: Gerardus Meerman, Novus Thesaurus Iuris civilis et cano­nici, tom. VI, Hagae-Comitum 1752, fol. 49a-51b. 57  De Retes (o. Fn. 56) fol. 51a [6]. 58  De Retes (o. Fn. 56) col. 51a [8].



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b) von Cocceji Unter den späteren Juristen ist Samuel von Cocceji (1679–1755) unser letz­ ter Protagonist, der die Inter­ pretation des Cujacius mit Annahme der Überle­gungs­frist aufnahm, obwohl er ihn nicht direkt zitierte.59 Er ist auch derje­nige, der Papinian verteidigt. Der Fall, in dem Ulpian die Meinung des Papinian korri­giert hat, sei ein ungewöhnlicher Fall.60 Und Cocceji führt die Ar­gu­men­ta­tion des Cujacius weiter und zieht daraus den Schluss, dass die Toch­ter, die sich innerhalb der Überlegungsfrist auf die Klage des Gläubi­ gers ein­ lässt, nicht als Erbin, sondern als Verwalterin der Erbschaft so handelt.61 Es hat sich nun ergeben, dass D. 42,1,44 hinter den unterschiedlichen Über­ setzungen von D. 4,4,7,10 steht. Es geht um die Frage, ob man D. 42,1,44 so verstehen kann, dass damit schon als Regel fest­steht, dass der Ersatzerbe die Erb­ schaft antritt, wenn der Außenerbe die Erbschaft aus­ schlägt. Cujacius ver­sucht, D. 42,1,44 mit der Regel semel heres semper he­res in Har­monie zu brin­gen, und zwar mit der An­nahme, dass in D. 42,1,44 das ius deliberandi statt der prätorischen Restitution ausgeübt worden sei. Diese Ansicht wurde von meh­reren Juristen der späteren Generation aufge­ nommen. Die sub­ti­le Auslegung die­ser lex durch Chesius führt dazu, dass die Substitution durch das Erbewer­den des Haus­erben erlischt, und das Wort „quidem“ in D. 4,4,7,10 nur „in der Tat“ oder so etwas Ähnliches bedeutet. Es ergibt nun sich, dass unser Aus­gangspunkt – Pothiers Erklärung – Cuja­ cius folgt, aber gleichzeitig dem Theo­philus treu ist: Pothier hat leider in seinen Pandectae in novum ordinem di­gestae keine Fuß­note zu D. 42,1,44 zugefügt, wie es oben in Fn. 25 schon erwähnt wurde. In Bezug auf die Kritik von Ulpian an Papinan erlaubt unsere bisherige Be­obachtung die Feststellung, dass Humanisten dazu neigten, Papinian im Ver­hältnis zu Ulpian in D. 4,4,7,10 zu verteidigen.62

59  Samuelis de Cocceji, Controversum iuris civilis, Pars. II, Lipsiae 1766, 285–289, lib. 28. tit. 6. quaestio 8, „Si he­res minor, cui quis substitutus est, adiit quidem sed restitu­tus repudiavit, an substitutus succedat?“ 60  De Cocceji (o. Fn. 59) 286–287. 61  De Cocceji (o. Fn. 59) 288. 62  Zur Beurteilung Papinians durch Cujacius und moderne Romanisten vgl. vor allem Hans Ankum, Papinian, ein dunk­ ler Jurist?, Orbis Iuris Romani, 2, 1996, 13–21; zum Lob des Cujacius Minoru Tanaka, Bemerkungen zu Jacques Cujas’ (1522–1590) Vor­lesungen zu Papinians Quaestiones, in: Tilman Repgen u. a. (Hrsg.), Der japanische Bei­trag zur Rech­tsgeschichte (im Druck).

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III. D. 28,5,89 1. Text und Fragen Wir wenden uns nun Gai. D. 28,5,89 zu. D. 28,5,89 Gai. sing. de cas. Ei qui solvendo non est aliquo casu evenit, ut et servus cum li­ bertate heres exsistat et prae­terea alius he­ res adicia­ tur: veluti si ser­ vo cum libertate herede in­ stituto ita adiec­ tum sit: „si mihi Stichus heres erit, tunc Titius quoque heres esto“: nam Titius, antequam Sti­ chus ex testa­ mento he­ res exstite­ rit, heres esse non potest, cum autem semel heres ex­stiterit servus, non potest ad­iectus effi­cere, ut qui se­mel heres exstitit desinat heres esse.

In gewissen Fällen kommt es vor, dass ein zahlungsunfähiger Erblasser von einem zu­ gleich freigelassenen Sklaven beerbt wird und dass außerdem noch ein zusätzli­ cher Er­ be hinzutritt. Zum Beispiel, wenn [im Tes­tament] zur Einsetzung eines Skla­ven als Erbe bei gleichzeitiger Freilassung noch die Klausel hinzugefügt wird: „Wenn Stichus mein Erbe wird, dann soll auch Titius mein Erbe sein“. Denn Titius kann nicht Erbe werden, bevor Stichus aufgrund des Testa­ ments Erbe geworden ist; ist der Sklave aber einmal Erbe geworden, so kann der zusätzliche Erbe nicht bewirken, dass Sti­ chus, nachdem er einmal Erbe ge­ worden war, die Erbenstellung wieder ver­liert.

Auch diese Digestenstelle wird immer angeführt, um die Regel semel heres semper heres zu bestätigen, de­ren Sachverhalt und Rechtsfolge über­ haupt nicht kompliziert zu sein scheinen.63 Der Überschuldete setzt zu­ nächst seinen eige­nen Sklaven als Zwangserben mit gleichzeitiger Freilas­ sung ein. Obwohl diese Frei­ lassung die Gläubiger des Erblassers beein­ trächtigt, kann nur dieser allein sei­nen Sklaven freilassen und ihn als Erben berufen. Dieser Herr hat außerdem noch einen weiteren Erben eingesetzt, und zwar un­ter der Voraussetzung: „wenn mein Sklave mein Erbe wird, dann …“ In die­sem Testament kann nur der ersteingesetzte Sklave Erbe sein. Der Grund dafür liegt nach dem Text darin, dass man die Erbenstellung dieses Sklaven nicht beenden kann. Dieser Sklave wurde als Alleinerbe freigelassen, der zweite unter der Bedin­gung Eingesetzte kann hinge­gen nicht in der Lage sein, Erbe zu wer­ den. Auf den ersten Blick entspricht diese lex offensichtlich dem Prin­zip, dass nur ein einziger Sklave frei­gelassen und Alleinerbe werden kann. Um so mehr liegt die Frage nahe, war­um Gaius ein so offenkundiges Testament in seinem Werk er­läutert hat, und zwar in seinem Ein­zelbuch über Rechts­ 63  Vgl. z. B. F. Scotti, Il testamento nel diritto romano. St. esegetici, Roma 2012, 544–545.



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fälle (de casibus), einer Literatur­gattung, in der eher irgendein ungewöhn­ licher Fall behandelt werden sollte.64 Was in D. 28,5,89 ist eigentlich un­ gewöhnlich? Die Glossa adiiciatur zu dieser Stelle weist auf D. 28,5,58 als Kontrast und erklärt schon mit Recht die Vor­aussetzung in D. 28,5,59 „nur und erst dann, wenn der Sklave Erbe wird (demum et tunc primum cum servus erit heres)“ sowie die Un­möglichkeit, den unter dieser Bedingung eingesetzten Freien zum Er­ben zu ma­chen.65 D. 28,5,58 Paul. 57 ad ed. Si is qui solvendo non est servum cum libertate heredem instituerit et liberum substituerit, ante in­ cipien­ dum erit a substituto: lex enim Aelia Sentia ita demum ei, qui in fraudem creditorum heres institu­tus est con­ servat libertatem, si ne­mo alius ex eo testamento heres es­se potest.

Wenn jemand, der nicht zahlungsfähig ist, einen Sklaven bei gleichzeitiger Frei­las­sung als Erben eingesetzt und für ihn einen Frei­ en als Ersatzerben bestimmt hat, muss man gleich mit dem Ersatzerben beginnen. Denn die Lex Aelia Sentia erhält einem Skla­ven, der zum Nachteil der Gläubiger als Erbe eingesetzt ist, nur dann seine Frei­heit, wenn kein anderer aufgrund des Tes­taments Erbe werden kann.

Hier ist der eingesetzte Erbe ein Sklave und der Ersatzerbe ist ein Freier. Der Freie muss dem Sklaven vor­gezogen wer­den; somit tritt die umgekehrte Erb­folge ein. Paulus legt das Aelisch-Sentische Gesetz in der Weise aus, dass nach die­sem Gesetz der Sklave selbst zur Benachteiligung der Gläubiger frei und Erbe sein kann, und zwar nur unter der Bedin­gung, dass niemand ande­ rer über­haupt, auch nicht ein an zweiter Stel­le ein­gesetzter Erbe oder Ersatz­ erbe, Erbe sein kann (si nemo alius ex eo testamento heres esse potest). Der Vorzug des im zweiten Rang berufe­nen Freien scheint in diesem Kontext erhellt zu werden, weswegen man sich fragte, ob auch im Fall von D. 28,5,89 nicht der Sklave, sondern vielmehr der Freie Erbe werden konnte. 2. Cujacius Auch Cujacius erklärt D. 28,5,58 in seinen Recitationes solemnes66 als Bei­ spiel des Vorzugs des Ersatz­ erben infolge der Regelung des Aelisch64  Paul Krüger, Geschichte der Quellen und Litteratur des römischen Rechts, Mün­ chen und Leipzig 19122, 203, Fn. 16: Der liber de casibus stellt abnorme Rechtsfälle zusammen. 65  Gl. adiiciatur zu D. 28,5,89: „nisi demum et tunc primum cum servus erit heres. at illa locum habent, quando ab initio esset heres liber.“ 66  Cujacius, Recitationes solemnes in lib. LVII. Pauli ad edictum, ad L.LXX. de adquir. haered. [D. 29,2,70], ad §. Si vero ei [D. 28,5,58], Opera (o. Fn. 26), tom. V, col. 761–763.

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Senti­schen Gesetzes. Die Bedingung „nur dann, wenn kein anderer auf­grund des Testa­mentes Erbe werden kann“ führt dazu, dass der Sklave weder frei noch Erbe werden kann, wenn eine andere Person, ganz gleich ob in späte­ rem Rang oder selbst als Ersatzerbe, im selben Tes­tament einge­setzt gewor­ den ist.67 Aus dieser Erklärung des Cujacius ergibt sich, dass D. 28,5,89 von ande­ ren Fällen abweicht, d. h. diese lex vom Standpunkt der Römer zu den ungewöhn­lichen Fällen gehört, nämlich insofern, als der im selben Testa­ ment als Erbe eingesetzte Freie hier von dem mit gleichzeitiger Freilassung als Erbe berufe­ nen Skla­ ven aus­ geschlossen wird, weil der Freie hier als Eingesetzter unter der Voraus­setzung eingesetzt worden ist, dass der Sklave Erbe wird. 3. Faber Faber versucht in seinem Hauptwerk Conjecturae iuris civilis, D. 28,5,89 aus­führ­licher zu erklären, und zwar richtet er seine Aufmerksamkeit auf das Wort „tunc“ in dieser Stelle in „si mihi Stichus heres erit, tunc Titius quoque heres esto“:68 Wenn dieses Wort „tunc“ fehlen würde und es nur hieße „si mihi Sti­chus heres erit, Titius …“, so wäre, meint Faber, diese Bedingung sinnlos und würde der Ersatzerbe, ein Freier, als unbe­ dingt einge­ setzter Erbe gelten, wie wenn da stünde „Stichus soll mir Erbe sein. Titius soll mir Erbe sein.“ In die­sem Fall müsste der Freie dem Titius vorgezo­gen wer­den; er schließe den Skla­ven aus, weil der Sklave nur als testamentarischer Al­ leinerbe erben könnte. Faber zieht diesen Schluss in Analogie zu D. 12,6,18 und D. 46,2,9,1.69 Fabers Erklä­rung entspricht zwar Paraphr. Theoph. 2,16 pr., doch wies er darauf nicht hin.

67  Cujacius

(o. Fn. 66) col. 762. (o. Fn. 44) lib. 9. tit. 1. [15] col. 260a-260b. Als eine andere wichtige Funk­tion des Wortes „tunc“ wird auf die Rechtsformel des Aquilius Gallus für den Erb­lasser­enkel in D. 28.2.29 pr. hingewisen. Mit tunc im zweiten si-Satz kann be­ zeichnet wer­den, dass der erste si-Satz die Voraussetzung des zweiten ist. Neben Faber, der auf das Wort „tunc“ in Conjecturae lib. 9. tit. 1 [14] [15] ausführlich eingeht, erklärt Jo­hannes Alta­mi­ranus et Valesques, Commenta­rius ad XX. libros quaestionum Q. Scae­volae, in: Meer­mannus, Thesaurus iuris civilis et canonici, tom. II, Hagae-Co­mitum 1751, fol. 450a-463a, das Wort „tunc“ in Bezug auf D. 28,2,29 pr. kurz und treffend. Zu postumi Aquiliani, vgl. M. Kaser (o. Fn. 1) 684; Paul Frédéric Girard, Manuel élémen­taire de droit ro­main, Paris 19298, 9082; F. Scotti (o. Fn. 63) 461–470. 69  Faber (o. Fn. 44) col. 260a–260b [15]. 68  Faber



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Faber behandelt D. 28,5,89 auch in seiner Iurisprudentiae Papinianae scien­tia, einem Werk mit einem so reizvol­len Titel, das aber meist we­der er­forscht noch benutzt wird. Das Werk zeichnet sich als eine sehr klare und systema­ tische Darstellung von Digestenstellen nach dem Schema von Princi­pium (Prin­zip) und Illatio (Schluss) aus, die uns bessere Ein­sicht in einschlä­gige leges bringt. Es erläutert das Problem der Freilassung eines Skla­ven auch zur Gläu­biger­benach­teiligung als Prinzip 3 im Buch 3, Titel 6 im Rah­ men der Frage: Unter welcher Vorausset­ zung kann man seinen Sklaven nicht freilas­sen?70 Faber führt zunächst Inst. 1,6,1 an, wo die ratio legis des Aelisch-Senti­ schen Ge­setzes (lex Aelia Sentia) klar und deutlich dargestellt wird: Die zah­lungs­unfä­hige Erbschaft eines Römers wird im Namen seines Skla­ven, der von ihm im Testament gleichzeitig freigelassen und zum Erben einge­ setzt wurde, ver­kauft, damit der Herr als Bürger keine Ehrverletzung erlei­ den muss.71 Das ist ein ein­deuti­ges Prin­zip.72 Faber begründet in Illatio I mit D. 28,5,43 überzeu­ gend,73 dass ein Sklave als Alleinerbe ausreichte, damit der Herr seine Ehre behalten konnte.74 Das berücksichtige die Abwä­ gung zwischen Ehrerhal­tung und Gläubi­gerbe­nachteili­gung.75 70  Antonius Faber, Iurisprudentiae Papinianae scientia, Coloniae Allobrogum 1631, 225–232, lib.1. tit. 6: „Quibus ex causis manumittere non lic. Principium III. de liber­tate danda cum hereditate uni servo, etiam in fraudem creditorum.“ 71  Faber (o. Fn. 70) 225. 72  Faber als Humanist vergisst nicht, unter Anführung einiger Digestenstellen die Men­ta­li­tät oder das Ehrge­fühl der Römer zu erwähnen: Weil für ehrenvolle Leu­ te das soziale An­sehen mit dem Leben gleichgestellt wurde, wurde es als viel ange­ messener betrachtet, auf dieses in Geld nicht bewertbare Ansehen Rücksicht zu nehmen als auf den in Geld bewertbaren kleineren Nachteil, den der Gläubiger in­ folge der Freilassung eines Sklaven erleidet. Faber (o. Fn. 70) 225–226. 73  D. 28,5,43 Iulian. 64 dig.: Qui solvendo non erat, duos Apollonios liberos heredes­que esse iusserat. altero ante apertas tabulas testamenti mortuo non ineleganter de­fendi poterit eum qui supererit liberum et solum necessarium heredem fore. quod si uterque vivit, institutionem nul­lius esse momenti propter legem Aeliam Sentiam, quae amplius quam unum necessa­rium heredem fieri vetat. 74  Wenn zwei Sklaven gleichrangig eingesetzt werden und beide überleben, stehen sie sich gegenseitig im Wege (D. 28,5,44). Falls die Rangordnung unter meh­ reren Sklaven dagegen deutlich ist, wird nur der an der ersten Stelle beru­fene Skla­ ve frei; er erwirbt die Erbschaft (D. 28,5,61). Die neue deutsche Übersetzung weist in der Fuß­note auf D. 28,5,56 hin. Dann erläutert Faber D. 28,5,56 und D. 28,5,58 unter Illatio II und III. Die Freilassung eines Sklaven, die eigentlich durch den Herrn auch als fidei­kommis­sarische Pflicht erfüllt werden muss, wird vorgezogen, obwohl dieser Sklave an der zweiten Stelle zum Erben eingesetzt wurde, weil er nicht zum Zweck der Gläubiger­benachteilung freige­lassen wurde. Selbst der Ersatz­ erbe, ein Freier, wird dem im ersten Rang berufe­ nen Sklaven vorgezogen. Vgl. Faber (o. Fn. 70) 229: Illatio III. 75  Faber (o. Fn. 70) 231.

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In zweierlei Hinsicht betont Faber die Wichtigkeit der Freiheit in Rom: Er macht nämlich einerseits auf die ursprüngliche Testierfreiheit aufmerk­ sam. Eine Beschränkung der Testierfreiheit sei erst durch das Aelisch-Sen­ tische Gesetz eingeführt worden. Das Zwölftafelgesetz habe einem Herrn die Fä­higkeit ge­währt, allein auf­grund seines Willens seinen Sklaven durch Testa­ment freizulas­sen.76 Faber konnte diese geschichtli­ che Ent­ wicklung beschrei­ ben, da er die vor­ justiniani­ schen Quel­ len bzw. Ulpiani Regulae 1,977 kannte. So kann er aus der historischen Entwicklung den Schluss ziehen, dass die Beschränkung auf die testamentari­sche Frei­lassung durch das Testament, die man erst durch das Aelisch-Sentische Gesetz ein­geführt hat, als contra ius commune eng auszule­gen ist.78 Er erläutert ander­erseits die Rechtsstellung eines an der ersten Stelle eingesetz­ten Sklaven, der zum Zweck der Gläubiger­ be­ nachteiligung freigelas­ sen wurde.79 Der Sklave kann erst frei und Erbe wer­den, wenn der Freie als Ersatz­erbe die Erb­schaft ausschlägt. Faber betrachtet den Sklaven als statuliber: Dieser Sklave, der gegen die lex Aelia Sentia freigelas­sen wurde, kann seine Freiheit völlig erwer­ ben, wenn die actio Pauli­ana ver­ jährt ist. Er gibt dabei als Grund dafür an, dass die Anfechtung der Freiheit odiosa sei;80 es geht dabei um den favor libertatis. Faber legt in zweier­lei Hin­sicht großen Wert auf die Frei­heit. So dürfte die Frei­heitsliebe ein Charakteristi­kum Fabers sein.81 76  Faber

(o. Fn. 70) 231. Notae ad Ulpiani tituli ex corpore XXIX, (o. Fn. 26) tom. I, col. 305. Als eine Ausgabe der humanis­ti­schen Zeit sei zitiert Georgius Henricus Ayrer, Jurispru­dentia vetus ante iustinianea, Lipsiae 1737, 56434; UE 1,9, FIRA II, Flo­rentiae 1940, 263: Ut testa­mento manumissi liberi sint, lex duodecim tabularum facit, quae confir­ mat [quod datum lega­ tum est] [ea quae testator de suis rebus disposuerit]. 78  Faber (o. Fn. 70) 231: Illatio III. 79  Faber weist auf D. 40,7,1,1 pr. hin. 80  Faber (o. Fn. 70) 231. Zu leges odiosae vgl. Jan Schröder, Auslegung von Aus­nah­mege­setzen in der frühen Neuzeit, in: Thomas Finkenauer u. a. (Hrsg.), Jan Schrö­der, Rechtswissenschaft in der Neuzeit, Ausgewählte Aufsätze 1976–2009, 129–142 (zuerst in: Karl-Hermann Kästner u. a. (Hrsg.), FS Martin Heckel zum 70. Geburtstag, Tü­bingen 1999, 615–629), was in japanischer Übersetzung veröf­ fentlicht werden wird (in Vorberei­tung). 81  Die Hervorhebung der Freiheit bei Faber kann auch in seiner Erläuterung der con­demnatio pecuniaria beobachtet werden; Faber, De erroribus pragmaticorum et inter­pretum iuris, quarta et postrema pars, Colo­niae Allobrogum 1615, Decad 85 Error 4, 346. Er schreibt eindrucksvoller wie folgt: „Quare nec male quis dixerit necessitatem habere eundi Romam eum qui tibi promisit se pro te iturum Ro­mam. Neque tamen ideo quisquam bene negauerit liberari eum posse ne pro te Romam ire cogatur praecise si quicquid ex ea causa interest tua, praestare malit. Nam nec flag­ ris et verberibus aut aliis tormentis etiamsi maxime id tibi liceret, assequi unquam posses ut Romam invi­tus iret si ire nollet, Nimirum tam liberum homini est natura ut velit aut nolit, quam necesse est ut homo sit, adeo­que tametsi servus proponatur.“ 77  Cujacius,



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Schließlich analysiert er (unter Illatio IV) D. 28,5,89. Faber hält diese lex für einen neuen und von der Re­gel ab­weichenden Fall (novus et singularis casus). Er hält das Wort „tunc“ für wichtig, wie er in Conjectu­rae er­klärt. Und der Satz semel heres semper heres spiele gewöhnlich eine Rolle dafür, dass ein einmal Erbe gewordener Sklave die Allein­ erbenstellung behalte. Diese Regel sei selbst durch ein Gesetz nicht aufzuheben.82 Was die Auslegung der Bedingung an sich in D. 28,5,89 anbelangt, so hatte schon die Glosse in der Tat „quia liber non est heres, nisi demum et tunc pri­mum cum servus erit heres“ richtig erklärt, wie wir gesehen ha­ ben.83 Faber ver­ suchte aber, die auf den ersten Blick eindeutige ulpiani­ sche Stelle im Zu­sammen­hang mit anderen Digestenstellen in sowohl histo­ risch als auch sys­tematisch treffender Reihenfolge zu erklä­ren, damit man die Frage beant­wor­ten kann, warum Ulpian dieses Testament mit bedingter Erbein­setzung in seinem Werk über Sonderfälle erläutert hat.84 IV. Schlussbemerkungen Die zur Regel semel heres semper heres angeführten beiden Digestenstel­ len beschäftigen sich nicht da­mit, was moderne Lehrbücher bei dieser Regel zu erläutern pflegen. Die Humanisten bemühten sich, die Sachver­halte und Rechts­fol­gen der einschlägigen leges präziser zu verstehen, das Hauptinter­ esse der jewei­ligen Ju­ris­ten richtiger zu erfassen und die Ergebnisse deut­ licher und auf­schluss­reicher zu präsentieren, anstatt sich da­mit zufrieden zu geben, nur ver­wendbare Re­geln von allgemeinerer Geltung aus den Texten heraus­zu­zie­hen. Die beiden Stellen führten Humanisten zu subtilen Fragen nach der Bedeu­tung von Ausdrücken wie „quidem in extraneo pupillo“ in D. 4,7,7,10 Ich habe dar­auf einmal hingewiesen. Minoru Tanaka, Thomasius, in: Kinsei Kindai Yoroppa No Hogakusha Tachi – Gratianus Kara Carl Schmitt Made (Europäische Juristen in der Neuzeit – von Gratian bis Karl Schmidt), Aritsune Katsuta u. a. (Hrsg.), Minerva Verlag 2008, Kap. 12, 202–203. 82  Faber (o. Fn. 70) 231–232: Illatio IV. Faber führt den Beweis dafür, dass nicht ein­mal ein Senatsbe­schluss die Erbeinset­zung ändern kann, z. B. das Senatus­ consul­tum Trebellianum. 83  Vgl. o. Fn. 65. 84  Ein späterer deutscher Humanist, Johann Gottlieb Heineccius, versucht in seiner humanistischen Abhandlung, das Aelisch-Sentische Gesetz zu rekonstruieren. Er be­tont die Notwendigkeit der antiquarischen Kenntnisse, um die ratio legis rich­ tig zu verste­ hen, und zitiert z. B. Dionysios von Halicarnassos, ohne jedoch die Auslegungsdiskus­sion oder das Auslegungsresultat der Humanisten wiederzugeben: Johannes Gottlieb Heineccius, Antiqui­tatum romanarum iu­risprudentiam illustranti­ um syntagma, Leovar­diae et Fra­nesquerae 1777, 82–86.

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oder „si  …, tunc …“ in D. 28,5,89. Wie man den ersten Ausdruck „quidem …“ über­setzen soll, hängt traditionell davon ab, wie man D. 42,1,44 verstehen kann, nämlich ob diese Stelle als Beleg für die Gültigkeit der Substitution nach einem Hauserben dienen kann. Wenn man den zwei­ten Ausdruck ohne „tunc“ an­ders verstehen soll als mit „tunc“, so ist die Stelle eindeutiger als abwei­chendes Recht zu betrachten. Die Glossatoren waren zwar schon in der Lage, scharfsinnige Hinweise zu Digestenstellen zu geben. Es ist aber erst den Humanisten gelungen (abhän­gig da­von, welcher von ihnen eine richtige Lösung der jeweili­ gen Fragen fand), Ausle­ gungsinstrumente zu entwickeln, wie den Dualismus zwischen ius ci­vile und ius praetorium und zwischen ius commune und ius singulare oder die Dif­fe­renzie­rung der Rechtsquellen- oder Literaturgattun­ gen, mit denen sich lakoni­ sche Mitteilungen der römischen Juristen ent­ schlüsseln und Er­kennt­nisse so­wohl der Struktur als auch der Wertvorstel­ lungen des römi­schen Rechts vertie­fen lassen. Diese reichen Früchte der Digestenauslegung dürften wertvoller und nach­halti­ger für die zukünftige Dog­ma­tik sein als einzelne Dogmen oder Regeln aus dem römischen Recht.85

85  Friedlich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, Berlin 1840, § 3, S. 6: „Die folgende Bemerkung könnte auch für das gemeine Recht in der Neuzeit gelten, obwohl dieses auch Verständniss des reinen römischen Rechts verfeh­len könnte: Insbe­sondere wird aber Manches aufzunehmen seyn, was zu den gemein­samen Grundlehren eines jeden positiven Rechts gehört, also dem Römischen Recht nicht gerade eigenthümlich ist. Für diese Aufnahme spricht nicht blos der bisherige Gebrauch, … sondern vorzüglich die Rücksicht, daß das Römische Recht durch seine Schicksale mehr als jedes andere positive Recht einen allgemeinen Cha­ racter ange­ nommen hat, welcher sich zu einer befriedigenden Behandlung jener Grundlehren vorzugsweise eignet.“

Zum Verzicht auf das Widerrufsrecht bei der Schenkung von Todes wegen Von Norio Tanaka I. Fragestellung Nach dem Minpo, dem japanischen ZGB, kann eine mündlich vereinbarte Schen­ kung widerrufen werden, solange die Leistung noch nicht bewirkt ist.1 Eine schriftlich vereinbarte Schenkung kann dagegen nicht mehr widerrufen werden. Es ist in Japan streitig, ob die schriftlich vereinbarte Schenkung von Todes wegen willkürlich widerrufen werden kann. Art. 554 (Schenkung von Todes wegen) Minpo lautet:2 „Auf Schenkungen, die durch den Tod des Schen­ kers aufschiebend bedingt sind, finden die für Vermächtnisse gel­tenden Be­stimmungen entsprechende Anwendung.“ Nach der Rechtsprechung des OGH3 findet Art. 1022 (Widerruf des Testaments) 1  Art. 549 Minpo (Schenkung): „Die Schenkung wird wirksam, wenn eine Par­ tei den Willen erklärt, einen Teil ihres Vermögens der anderen Partei un­entgeltlich zuzuwen­den, und wenn die andere Partei annimmt.“ Art. 550 Minpo (Fehlen der Schriftform): „Eine nicht schriftlich vereinbarte Schen­kung kann von beiden Parteien widerrufen werden, solange die Leistung noch nicht bewirkt ist.“ 2  Die Übersetzung des Minpo in diesem Aufsatz ist aus Akira Ishikawa / Ingo Leetsch, Das japanische BGB in deutscher Sprache, Köln u. a. 1985, zitiert. Im Jahr 2004 hat die Modernisierung der Schreibweise des Minpo stattgefunden, aber die In­halte der hier zitierten Artikel wurden fast nicht geändert. 3  OGH, Urteil vom 25. Mai 1972, Minshu Bd. 26, Nr. 4, 805. In diesem Fall hat ein Ehemann seiner Frau eine Schenkung von Todes wegen schriftlich gemacht. Das Ehe­verhältnis ist aber schlecht geworden. Der Mann wollte nach Art. 754 Min­ po den Ver­ trag anfechten. Der OGH erkannte die Anfechtung nicht an, weil die Ehe schon schlecht geworden war und der Vertrag nicht „während der Ehe“ angefochten wor­den war. Der OGH erkannte aber den Widerruf nach Artt. 554, 1022 Minpo an. Das Minpo kennt keinen Widerruf wegen groben Undanks. Art. 754 Minpo (Anfechtung von Verträgen zwischen Ehegatten): „Ein zwischen Ehegat­ten abgeschlossener Vertrag kann unbeschadet der Rechte Dritter während der Ehe jederzeit von einem der Ehegatten angefochten werden.“ OGH, Urteil vom 24. Jan. 1983, Minshu Bd. 37, Nr. 1, 21 erkannte aber unter be­stimm­ten Umständen die Schenkung von Todes wegen an, bei der der Schenker kein willkürliches Widerrufsrecht hat. In diesem Fall wurde die Schenkung von Todes wegen durch einen gerichtlichen Vergleich vereinbart.

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Minpo4 auf die Schen­ kung von Todes wegen entsprechende Anwendung, und der Schenker kann die Schen­kung von Todes wegen jederzeit widerru­ fen, weil der letzte Wille des Schen­ kers berücksichtigt werden soll. Das Formbedürfnis gelte aber dabei nicht. Nach der Rechtsprechung kann der Schenker die Schenkung von Todes wegen, an­ ders als ein Vermächtnis, ohne bestimmte Form widerrufen. Einige Stimmen in der Literatur5 sind gegen das willkürliche Widerrufs­ recht des Schenkers, weil die Schenkung von Todes wegen ein Vertrag sei. Nach dieser Meinung soll eine Schenkung mit willkürlichem Widerrufs­recht und der Bedingung des Vorversterbens des Schenkers eine eigentliche Schen­ kung von Todes wegen sein. Diese eigentliche Schenkung von Todes we­gen sei eine Art von Vermächtnis, und auf sie sollten alle für Vermächtnisse gel­ tenden Bestim­ mungen einschließlich des Formbedürfnisses entsprechende Anwen­dung fin­den.6 Der Schenker könne die eigentliche Schenkung von To­ des we­gen nur als ein Vermächtnis machen und willkürlich widerrufen. Die Schen­kung von Todes wegen im Sinn von Art. 554 Minpo sei dagegen nicht eine eigentliche Schen­kung von Todes wegen, sondern eine Schenkung unter Le­benden, die erst beim Tode des Schen­kers fällig oder durch das Vorverster­ ben des Schenkers bedingt sei. Der Schen­ker habe des­halb kein willkürliches Wi­der­rufsrecht. Nach dieser Mei­nung kann die schrift­lich vereinbarte Schen­ kung von Todes wegen nicht wi­derrufen wer­den. Ich möchte hier die Frage stellen, ob die Schenkung von Todes wegen eine Schenkung unter Lebenden ist, wenn der Schenker auf das willkürliche Wi­ derrufsrecht verzichtet. Nach Art. 1026 (Kein Verzicht auf Widerrufs­ 4  Art. 1022 Minpo (Widerruf durch Testament): „Ein Testament kann vom Erb­ lasser jederzeit durch Testament ganz oder teilweise widerrufen werden.“ 5  Kaoru Yunoki / Takio Takagi (Hrsg.), Shinban Chushaku Minpo (Kommentar zum Zivilrecht, Neue Auflage) Bd. 14, Yuhikaku 1996, 73 (K. Yunoki / Tadaki Ma­ tsu­kawa); Sakae Wagatsuma, Saiken Kakuron (Schuldrecht, Besonderer Teil), Chu-1, Iwanami Shoten 1968, 237. Nach dieser Meinung wird zwischen der Schenkung, deren Wirkung erst mit dem Tod des Schenkers eintritt, und der Schenkung, die im To­ desfall fällig oder durch den früheren Tod des Schenkers bedingt wird, unter­ schieden. Die erstere sei eine Art von Vermächtnis, während die letztere eine Schen­ kung unter Lebenden sei. Nach den Verfassern des geltenden Minpo seien die Vor­ schriften über die Schenkun­gen unter Lebenden (Art. 549 ff. Minpo) auf die Schen­ kung nicht anzu­wenden, deren Wirkung erst mit dem Tod des Schenkers eintritt. Die Vorschriften über das Vermächt­nis ein­schließlich des Formbedürfnisses seien auf sie anzuwenden. Vgl. Saburo Kurusu, Keiyakuho (Vertragsrecht), Yuhikaku 1983, 227. Die Ände­ rung von Art. 554 Minpo wurde heutzutage von Hosei Shingikai Minpo (Saikenkankei) Bukai („Untergruppe für Bürgerliches Recht [Obligationen] beim Ge­setzgebenden Rat des Jus­tizministeri­ums“) vorgeschlagen und diskutiert: http: /  /  www.moj.go.jp / content / 000053608.pdf. 6  Art. 960 Minpo (Formzwang): „Ein Testament kann nur in den in diesem Gesetz be­stimmten Formen errichtet werden.“

Zum Verzicht auf das Widerrufsrecht bei der Schenkung von Todes wegen449

recht) Minpo kann der Erblasser auf das Recht zum Widerruf des Testaments nicht verzichten. Nach der oben genannten Meinung in der Literatur kann der Schen­ker auf das willkürliche Widerrufsrecht nicht verzichten, wenn die Schen­kung von Todes wegen eine eigentliche Schenkung von Todes wegen, d. h. ein Art von Vermächtnis, ist. Wenn die Schenkung aber keine eigent­ liche Schenkung von Todes wegen ist, soll die Schenkung eine Schenkung unter Lebenden sein und der Schenker gar kein willkürliches Widerrufsrecht haben. Nach der Recht­sprechung des OGH kann dagegen der Schenker die Schen­kung von To­des wegen willkürlich widerrufen. Es ist die Frage, ob die Schen­ kung von To­ des wegen nicht eine Schenkung unter Lebenden, sondern noch eine Schenkung von Todes wegen ist, auch wenn der Schen­ ker kein willkürli­ ches Widerrufsrecht hat. Was ist also der Unterschied zwischen einer Schen­ kung von Todes wegen und einer Schenkung unter Lebenden? II. Mortis causa donatio und Widerruf 1. Verzicht auf das willkürliche Widerrufsrecht Nach römischem Recht kann die donatio mortis causa in der Regel wi­ der­ru­fen werden7. Die donatio mortis causa kann nach I. 2,7,1 unter drei Bedingungen vorge­nom­men werden: sin autem supervixisset qui donavit, reciperet, vel si eum donationis paenituisset, aut prior decesserit is cui donatum sit. Institutiones 2,7 (De donationibus), 18 Mortis causa donatio est, quae propter mortis fit suspicionem, cum quis ita donat, ut, si quid hu­manitus ei contigisset, haberet is qui acce­ pit: s i n a u t e m s u­p e r­v i x i s s e t q u i d o n a v i t , r e c­i ­ peret, vel s i e u m d o n a ­t i o ­n i s p a e n i t u i s ­ s e t , a u t p r i o r d e c­e s s­e r i t i s cui do­ n a t u m s i t . hae mortis causa donationes ad exemplum

Eine Schenkung von Todes wegen ist eine solche, die in Erwartung des Todes erfolgt. Bei ihr schenkt jemand in der Weise, daß, falls ihn des Menschen Schicksal ereilt, der Empfänger das Geschenkte behalten soll, daß d e r S c h e n k e r e s a b e r z u r­ ü c k b e ­ k o m m e n s o l l , f a l l s e r ü b e r ­l e b t o d e r falls ihn die Schenk ­ung reut oder d e r B e s c h e n k t e v o r i h m s t i r b t . Die­ se Schenkungen von Todes wegen sind

7  Max Kaser / Rolf Knütel, Römisches Privatrecht, München 2005, Rn.  79.4; D. 39,6,16; eod. 30; I. 2,7,1; Paul. sent. 3,7,2. Über die Klassizität des Reuerechts siehe David Rüger, Die donatio mortis causa im klassischen römischen Recht, Ber­ lin 2011, 221 ff. 8  Der Text und die Übersetzung sind aus Okko Behrends u.  a., Corpus Iuris Civilis, Die Institutionen, Heidelberg 1993, zitiert. In diesem Aufsatz wurden die Sperrungen von mir vorgenommen.

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legato­rum redactae sunt per omnia. nam cum pruden­ tibus ambiguum fue­ rat, utrum do­ na­ tionis an legati instar eam opti­ nere opor­ teret, et utriusque causae quae­ dam habebat insignia et alii ad aliud genus eam retrahebant: a no­bis constitutum est, ut per omnia fere legatis connume­ retur et sic pro­ cedat, quemadmo­ dum eam nostra forma­vit constitu­ tio. et in summa mortis causa dona­ tio est, cum magis se quis velit ha­ bere, quam eum cui donatur, magisque eum cui donat, quam he­ redem suum. sic et apud Home­rum Te­le­ma­chus donat Piraeo.

ganz nach dem Muster der Vermächtnisse geregelt worden. Denn da es den Rechtsge­ lehrten zweifelhaft war, ob man sie einer Schenkung oder einem Ver­ mächtnis gleich­ stellen müsse, und da sie Merkmale von bei­ den Rechtsverhält­ nissen aufwiesen und die einen sie dieser, die anderen sie jener Art zu­ ordneten, haben wir bestimmt, daß sie in fast jeder Hinsicht zu den Vermächtnissen gezählt werden und so ablaufen, wie unsere Kon­ stitution sie aus­gestaltet hat. Kurz gesagt liegt eine Schen­kung von Todes wegen dann vor, wenn jemand etwas lieber bei sich als bei dem Beschenkten hätte und lieber bei dem Be­schenkten als bei seinem Erben. So schenkt auch bei Homer Tele­mach dem Piräus.

Nach Friedrich Carl von Savigny kann der Schenker auf das willkürliche Wider­rufsrecht besonders verzichten.9 Dort sind die folgenden Stellen zi­ tiert: D. 39,6,13,1, eod. 35,4 und Nov. 87 praef. und caput 1. D. 39,6 (De mortis causa donationibus MARCELLUS notat: in (1)m o r­t i s c a u s a (w) 11 donatio­nibus etiam fac­ti quaestio­nes sunt. nam et sic potest donari, ut omnimodo ex ea valetudi­ ne donatore mortuo res non redda­ tur: et ut reddatur, et­iam­si prior ex eadem valetudine dona­ tor deces­ serit, si tamen mu­ tata vo­ lun­ tate restitui sibi voluerit. s e d e t s i c d o n a r i p o t e s t , u t n o n a l i t­e r

et capionibus),13,110 Iul. 17 dig. Marcellus bemerkt, dass es bei S c h e n ­ k u n g e n v o n To d e s w e g e n auch auf tatsächliche Fragen ankommt. Denn auch so kann geschenkt werden, dass die Sache kei­ nesfalls zurückgegeben werden müsse, wenn der Schen­ker an jener Krank­heit gestorben ist; und [auch so,] dass sie zu­rückgegeben werden müsse, auch wenn der Schenker als vor [dem Bedachten] an der­ selben Krank­ heit gestor­ben ist, jedoch nur dann, wenn er 11

9  Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts IV, Ber­ lin 1841, 241: „Ferner ist es Regel, daß in beiden angegeben Fällen der Geber den will­kührlichen Widerruf bis zum Tode stillschweigend vorbe­hält. Aber auch dieser Vorbe­halt ist nicht wesentlich, vielmehr kann auf diese Willkühr besonders verzich­ tet wer­den.“ Vgl. Izutaro Suehiro, Shiinzoyo Ni Tsuite (Zur Schenkung von Todes wegen), Hogaku Shinpo Bd. 26, 4 (1916), 30 f. 10  Der Text der Digestenstellen ist aus: Corpus Iuris Civilis I (Ed. ster.): Institutio­nes, recogn. Paulus Krueger, Digesta, recogn. Theodorus Mommsen, Bero­ lini 1872, zitiert, die Übersetzung folgt einigermaßen und modernisiert der Überset­ zung in: Das Cor­pus Juris Civilis in’s Deutsche über­setzt von einem Vereine Rechts­ gelehrter und her­ausge­geben von Carl Ed. Otto u. a. IV, Leipzig 1832. 11  (1)mortis causa bzw. (2)mortis causa bedeutet, dass das Wort mortis causa zum ersten bzw. zweiten Mal in dieser Stelle vorkommt; mortis causa(w) und mor­tis causa(e) bedeutet, dass das jeweilige mortis causa im weiteren oder engeren Sinne gebraucht wird; beides soll dem Leser im weiteren Verlauf des Beitra­ges das Auf­ finden erleich­tern. Siehe unten am Ende von Abschnitt II 2.

Zum Verzicht auf das Widerrufsrecht bei der Schenkung von Todes wegen451 r e d ­d a t u r, q u a m s i p r i o r i l l e q u i a c c e p e r i t d e c­ e s s­ e r i t . s i c q u o q u e p o­t e s t d o­n a r i (2)m o r ­ t i s c a u s a (w), u t n u l l o c a s u s i t e i u s r e p e t i t­i o , id est nec si convaluerit qui­dem donator.

seinen Willen geän­dert und die Rückerstat­ tung an ihn gewollt hat. A b e r a u c h s o kann geschenkt werd ­e n , d a s s d i e S a c h e n u r d a n n z u r­ ück­ gegeben werden müsse, wenn der Empfän­ g e r z u e r s t g e s­t o r b ­en ist. So kann a u c h s o v o n To d ­e s w e g e n g e ­ schenkt werden, dass in keinem F a l l e e i n R ü c k­f o r­d e­r u n g s­r e c h t b e ­ s t e h e n s o l l e , d. h. nicht ein­mal, wenn der Schenker wieder genesen ist.

D. 39,6,35,4 Paul. 6 ad leg. Iul. et Pap. (1) D i e S c h e n k u n g v o n To d e s w e g e n M o r t i s c a u s a (w) donatio fit geschieht auf vielfache Weise. Bald ohne multis modis: alias extra suspicio­ Vermutung irgendeiner Gefahr von einem nem ullius periculi a sano et in bona Gesunden und sich wohl Befindenden, der valetudine posito et cui ex humana nach dem Gang der Natur an den Tod denkt; sorte mortis cogitatio est: alias ex bald aus Furcht vor dem Tode we­gen einer metu mortis aut ex prae­senti pericu­ gegenwärtigen oder künftigen Gefahr: da zu lo aut ex futuro, si quidem terra Lande und zu Wasser, so­wohl im Frieden als marique, tam in pace quam in bello im Kriege, sowohl zu Hause als beim Mili­ et tam domi quam militiae multis generibus mortis periculum metui tär auf viele Arten Todesgefahr befürchtet potest. nam et sic potest donari, ut werden kann. Denn auch so kann geschenkt omnimodo ex ea valetudine donato­ werden, dass, die Sache keines­falls zurück­ re mortuo res non reddatur: et ut gegeben werden müsse, wenn der Schen­ker reddatur, et­ iamsi prior ex eadem an jener Krank­heit gestorben ist; und [auch valetudine de­cesserit, si tamen mu­ so,] dass sie zu­ rück­ gegeben werden soll, auch wenn der Schenker vor [dem Be­ tata vo­ luntate restitui sibi voluerit. schenkten] an der­selben Krankheit gestor­ben et sic donari potest, ut non ist, jedoch nur dann, wenn er sei­nen Willen a l i t e r r e d d a t u r, q u a m s i p r i ­ geändert und die Rück­er­stat­tung an ihn ge­ or ille qui accepit de­ cesserit. sic quoque potest wollt hat. A b e r a u c h s o k a n n g e ­ d o n a r i (2)m o r­t i s c a u s a (w), u t schenkt wer­ den, dass die Sache n u l l o c a s u s i t r e p e t i t i o , id est n u r d a n n z u­r ü c k­g e g e b e n w e r­d e n ne si con­va­lu­erit quidem do­nator. müsse, wenn der Empfäng ­ er zuerst gestorben ist. So kann auch so von To d e s w e g ­e n g e ­ schenkt werden, dass in kein ­e m F a l l e e i n R ü c k ­ f o r d e­r u n g s­r e c h t b e­s t e­h e n s o l l e , d.  h. nicht ein­ mal, wenn der Schen­ ker wieder genesen ist.

In den Stellen der Digesten heißt es: et sic donari potest, ut non aliter redda­tur, quam si prior ille qui accepit decesserit. Die Schenkung wird hier nur unter einer Bedingung gemacht: „der Schenker soll den Gegenstand zu­rückbekommen, falls der Beschenkte vor ihm stirbt.“ Es gibt keine ande­ re Be­dingung.

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Nov. 8712 Perˆ mÒrtiv kaàsa dwre©v ™k bou­ leutîn gi­nomšnhv.   AÙtokr£twr ’Iou­sti­nianÕv AÜ­ goustov ’Iw­£nn6 tù ™ndoxo­t£­t0 ™p£rc0 tîn ¢na­to­likîn prai­to­r…wn tÕ b / , ¢pÕ Øp£twn Ñr­di­nar…wn kaˆ patri­k…0.    (Proo…mion) T¦v tîn bouleutîn ka­kour­g…av mhd7n dÚnas­qai fš­rein bl£bov tù dh­ mos…0, ¢ll’ ¢nti­ pr£t­ tein tÕn nÒmon ta‹v toi­ aÚtaiv bou­la‹v kat¦ p£nta bou­lÒ­meqa trÒpon. œgnw­men g¦r, æv ™peid»per ¢pe…pomen toàv bou­leu­ta‹v tÕn tîn dw­reîn trÒ­pon oÙ sug­cwroàntev aÙto‹v ktÁ­sin ¢k…­nhton dw­re‹s­qai oÙd7 ™n dia­q»k6 kata­lim­p£nein pe­rai­tšrw tîn triîn oÙg­kiîn, ¢ll¦ tÕ ™n­na­oÚg­kion p£n­twv tÍ boulÍ fu­ l£t­ tein, ™ke‹noi sofizÒ­ menoi tÕn nÒmon ™xeàron toi­ aÚtav tin¦v ka­ kour­ g…av kat¦ tÕn nÒ­ mon. e„­ dÒtev g¦r, æv ¹me‹v eØrÒntev toÝv pa­ lai­ oÝv nomoqštav ¢mfi­ sbh­toàn­tav perˆ tÁv mÒrtiv kaà­sa dw­ re©v, pÒteron dw­ re¦ À lhg£ton ™st…, kaˆ toÝv m7n ¢riq­ moàntev aÙ­ t¾n e„v dw­ re¦n tin¦v d7 e„v pres­ be‹on, t¦ par¦ tîn pleiÒnwn te kaˆ ¢r…stwn no­ moqš­ twn ™klš­ xantev lh­ g£ton aÙ­ t¾n e1nai pan­ telîv ¢p­ efhn£meqa, kaˆ m¾ pr£­ xewv Øpo­ mnhm£twn de‹sqai, ¢ll’ ¥deian œcein poi­ e‹sqai aÙ­ t¾n kaˆ ™ntiqšnai aÙtÍ ka… ti­ nav Ó r o u v o Þ v ¨ n Ð d w r h ­s £ ­m e n o v b o u l h q Í , k a ˆ e „ t o à t­ o p r £ ­ x a i e n , ¥ d e i a n œ c e i n ¢ p o ­t £ t ­ t e s ­q a i k a ˆ a Ù t­ ù t ù d Ú n a s ­ q a i t Õ n m e t­£ ­ melon tÕn ™pˆ ta‹v t o i­a Ú t a i v d w­r e a ‹ v ¢ n a­k a­l e ‹ s­q a i kaˆ oÞv ¨n ­bou­lh­qe‹en Órouv ™n­t£t­tein ta‹v mÒrtiv kaà­sa dw­rea‹v, kaq­£per

Über die von Kurialen gemachte Schen­ kung von Todes wegen. Kaiser Justinian an Jo­hannes, dem hoch­ ansehnlichen praefectus praetorio per Orientem zum zweiten Mal, dem ehe­ maligen consul ordinarius und pa­tri­cius. (Einleitung) Wir wollen auf alle Weise, dass die Ränke der Kurialen dem öffent­ lichen Ver­mögen keinen Schaden brin­gen sollen, sondern dass das Gesetz solchen Absich­ten auf alle Weise entge­gen­arbei­ten solle. Wir haben nämlich erfahren, dass (nachdem Wir den Ku­rialen die Schenkun­ gen unter­ sagt ha­ ben, indem Wir ihnen nicht ges­tat­teten, eine unbe­wegli­che Sa­ che zu ver­schen­ken oder in einem Testa­ ment über mehr als ein Viertel zu verfü­ gen, sondern drei Viertel auf jeden Fall der Kurie zu er­ halten), jene, das Gesetz um­ gehend, der­ artige Ränke gegen das Gesetz ausge­dacht haben. Da sie nämlich wussten, dass Wir (da Wir fan­ den, dass die alten Gesetzgeber hinsicht­ lich der Schen­ kung von Todes wegen zweifel­ ten, ob sie eine Schen­ kung oder ob sie ein Ver­ mächtnis sei, und einige sie zu den Schen­kun­gen, andere zu den Ver­mächtnis­ sen rechne­ ten) die Mei­ nung der meisten und bes­ ten Gesetzgeber aus­ gewählt und erklärt hat­ten, dass sie gänz­lich ein Ver­ mächt­nis sei und nicht der Er­rich­tung von Urkun­den be­dürfe, son­dern dass man die Er­laubnis habe, sie zu machen, u n d d e r Schenk ­ e r i h r a u c h b e l­i e ­b i g e B e ­ schränk ­u n g e n s e t z­e n d ü r f e u n d dass er auch, wenn er dies getan habe, die Erlaubnis habe, auf ge­ nau die­ s e s R e c h t , e i n e s o l c­h e S c h e n ­k u n g a u s R e u e z u w i d ­ e r ­r u ­ f e n , z u v e r z i c h t e n , und dass er den Schenkungen von Todes wegen belie­bige Be­ schrän­ kungen set­ zen könne, wie der hochweise Julian be­stimmt hatte, was Wir

12  Corpus Iuris Civilis III (Ed. ster.): Novel­ lae, recogn. Rudolfus Schoell, Bero­ lini 1895, 423–425; für die Herstellung des griechischen Textes und die Überprüfung der Übersetzung (die nur einigermaßen und modernisiert Otto u. a. (o. Fn. 10) VII, Leipzig 1833, folgt) bin ich dem Herausgeber Ulrich Manthe dankbar.

Zum Verzicht auf das Widerrufsrecht bei der Schenkung von Todes wegen453 ’IoulianÕv Ð so­ fètatov ™nomo­ qš­ thse, toà­ to Óper ¹me‹v ™n tù lq  /  bibl…ù tîn ¹metš­ rwn digšstwn ™gr£­ yamen (9pan­ ta g¦r sun­ el£bomen, ™n bra­ ce‹ t£ te to‹v pa­laio‹v t£ te ¹m‹n di­hgo­reumšna): toà­to to…­nun e„dÒ­tev ò»­qhsan13 crÁ­ nai kat¦ toàton tÕn trÒpon poi­e‹sqa… tinav mÒr­tiv kaà­sa dwre¦v kaˆ ™ n­t i q š­n a i s Ú m ­ fwnon kat¦ tÕn nÒmon toà ¢n­ aire‹n ˜auto‹v tÕ dÚnas­ q a i t Õ n ™ p ˆ t Í d w ­r e ´ m e t £ ­ m e l o n ¢ n a­k a­l e ‹ s­q a i , ¥llon d7 Óron aÙto‹v do­koàn­ta prostiqš­ nai taÚ­ taiv ta‹v dwrea‹v, † n a a Ù t Ò q e n ¢ u t­o ‹ v d Á q e n ™ x Ì , p o i­e ‹ s­q a i d w­r e­¦ v t Á v ¢ n a ­ k l »­s e w v ™ l e u­q š­r a v kaˆ oÛtw t¦v ˜autîn ™lat­toàn peri­ous…­av.  (1) Ka…toige ™x ïn ½dh nenomo­ qe­ t»kamen p£­shv a„t…av ¢n6rh­mš­nhv aÙto‹v toà plšon ti dÚnas­qai toà tri­ ougk…ou À ™n diaq»k6 ka­ ta­ limp£nein À ka­ t¦ dwre¦v trÒ­ pon ™k­ poiÁsai, Ómwv †na œti kaˆ m©l­ lon ¢utîn t¾n ka­ kourg…an paÚ­ sw­ men, di¦ toàto kaˆ nàn qes­ p…­zomen, mhdenˆ bou­ leutÊ mh­ d7 kat¦ mÒrtiv kaàsa dwre£n ™x­ e‹nai dwre‹sqa… ti, pl¾n À mÒnon kat¦ pro­ ga­ mia…av dwre©v trÒpon Øp7r sfîn aÙtîn À tîn o„ke…wn pa…dwn ginomšnhv, À kat¦ proikÕv prÒ­ fa­ sin kaq’ Óson ¹ ¹me­ tš­ ra lš­ gei di£­ taxiv kaˆ qugatr£sin ™pi­ didÒnai ga­moumš­naiv. ™pe…toige ¥llwv aÙ­ toàv m¾ dÚnasqai dw­ re‹s­ qai pr£gmata ¢k…­ nhta, ¢ll¦ taàta mšnein ¢eˆ par’ aÙ­to‹v ta‹v bou­leu­ti­ka‹v Øpoke…mena lei­tourg… aiv, mÒnhv au­ to‹v tÁv pr£­ sewv sug­ kecwrhmšnhv, kaˆ taÚ­ thv kat¦ t¾n tÁv near©v ¹mîn dia­ t£­ xewv

im neun­und­dreis­sigsten Buche Unse­rer Digesten ge­schrie­ben ha­ben (denn Wir haben alles kurz zu­sam­men­ge­fasst, so­ wohl das von den Alten als auch von Uns Festge­setzte), da sie also dies wuss­ten, so glaub­ten sie, ir­gendwel­che Schenkun­gen von Todes wegen auf diese Weise zu ma­ chen und ü b e r e i n­s t i m­m e n d m i t d e m G e­s e t z e i n e B e­s t i m­m u n g a n­f ü g e n zu dürfen, durch welche sie sich s e l b s t d i e B e ­fu g ­n i s n ä h m ­ en, die S c h e n ­k u n ­g e n a u s R e u e z u w i d e r ­ r u f e n , und eine an­ dere Be­ schrän­ kung nach ihrem Gut­dünken diesen Schen­kun­ gen bei­ fügen zu kön­ nen, s o d a s s e s i h n e n e r l­ aubt sei, die Schen­ k u n g e n d e m Wi d e r ­ru f z u e n t z i e ­ h e n und so ihr Ver­mögen zu verrin­gern. (1) Ob­ wohl nun zwar schon durch das, was Wir bestimmt haben, ihnen jede Gelegen­ heit, über mehr als ein Viertel ent­weder durch ein Testa­ment zu verfü­gen oder mehr durch Schenkun­ gen zu ver­ äußern, ge­nommen worden ist, so verord­ nen Wir doch, um noch mehr ihren Rän­ ken ein Ende zu machen, auch jetzt noch, dass es keinem Kurialen erlaubt ist, auch durch Schen­kun­gen von Todes wegen et­ was zu verschen­ ken, es sei denn durch eine Schenkung vor ihrer eigenen oder ihrer Hauskinder Ehe oder durch eine Mit­ gift in dem Maße, wel­ ches Un­ sere Kon­ stitution be­ stimmt, auch durch eine Aus­steuer für sich ver­hei­ratende Töch­ter. Auf andere Weise sol­ len sie nämlich unbe­ wegliche Sachen nicht verschenken kön­ nen, sondern die­ se sollen, als den Kuria­len­ämtern ver­pflich­tet, ihnen stets verblei­ ben, in­ dem ihnen nur deren Ver­ kauf gestattet sein soll, und zwar unter Beachtung Unse­rer neuen Kon­stitution; es sollen aber die Schen­ kun­ gen von Todes

(Fußnote)### 13

13  ò»­qhsan cod. Marcianus gr. 179, Schoell p. 424a9] ò»­qhmen cod. Lauren­ tianus plut. LXXX 4, Bas. 47,3,49 = BT VI 2157,19 Scheltema; aestimavimus Au­ thenticum = Schoell p. 424b8 (Auth. 87 legitur in uno codice: cod. Vindobonensi lat. iur. civ. 19).

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pa­rat»rhsin, tîn mÒr­tiv kaàsa dw­ reîn ™cousîn t¾n „d…­ an „scÚn, ka… du­ na­ mš­ nwn tîn ¥llwn tîn par¦ toÝv bou­leut¦v poi­e‹sqai t¦v eƒ­rh­ mš­nav mÒrtiv kaà­sa dw­re¦v e„v 9per ¨n bou­ lhqe‹en prÒs­ wpa kaˆ Órouv aÙ­ta‹v ™n­ti­qšnai kaˆ ¢ p o ­t £ t ­t e s ­ qai, e‡ ge toàto boul ­h­ qe‹en, tù me­ ta­ mšl0 tù perˆ toà s u m­f è n o u t Á v ¢ n a­k l » s e w v : mš­ nein mšn­ toi tÕ pr©gma kaˆ oÛ­ twv ™n to‹v mÒrtiv kaà­ sa d w r e © v Ó r o i v (toàto g¦r pros­ nomo­qe­toà­men), kaˆ t¦v toi­aÚtav dwre¦v „s­ cu­ r£v te e1nai kaˆ be­ ba… av, Óper oÙ nàn prîton no­ mo­ qe­ toà­ men, ¢ll¦ tÕ nomoqe­ th­ q7n ½dh kaˆ nàn di’ ¹me­tš­rav ermh­neÚ­omšn te kaˆ bebaio­ àmen fwnÁv ™pˆ p£n­ twn tîn ¥l­lwn pros­èpwn, d…ca mšn­toi mÒnwn æv e‡rh­tai bou­leu­tîn, kaˆ toàto di¦ t¾n perˆ tÕ dh­mÒsion spoud»n.   (’Ep…logov) T¦ to…­nun pa­ra­st£n­ta ¹m‹n kaˆ tùde tù nÒm0 dh­loÚ­mena ¹ s¾ ™n­do­xÒ­thv fu­l£­xai speu­s£­tw, m£­ lista p£n­ twn tÁv çfele…av toà dh­mos…ou p©­san prÒ­noian tiqe­mšnh.     Dat. xv. k. Iun. Septimo imp. dn. Iusti­ niani Aug. anno xiii. Apione v. c. cons.

wegen ihre eigen­tümliche Gül­tigkeit be­ halten, und an­dere, außer den Kurialen, sollen die ge­nannten Schenkun­gen von Todes we­ gen jeder beliebigen Person ma­chen, ihnen Be­schränkun­gen beifü­ gen, und, w e n n s i e w o l l­e n , a u f R e u e h i n­s i c h t­l i c h d e r Wi d e r r u ­ f u n g s­b e­s t i m­m u n g v e r­z i c h t e n kön­ nen, die Sache aber auch dann in den Grenzen einer S c h e n­k u n g v o n To­d e s w e­g e n blei­ b e n (denn dies bestimmen Wir noch außer­dem), und solche Schen­kun­ gen Kraft und Gül­ tigkeit ha­ ben. Dies bestim­men Wir aber jetzt nicht das erste Mal, sondern Wir erklären auch jetzt und bestä­tigen das schon früher Ver­ord­ nete durch Unsere Stimme in Bezug auf alle andere Perso­ nen, jedoch, wie ge­ sagt, mit alleini­ ger Aus­ nahme der Kuria­len, und zwar aus Sorg­samkeit für das öf­fentliche Beste. (Schluss) Diesen Unse­ ren Willen und, was in die­ sem Gesetze aus­ ge­ sprochen ist, soll deine Hochansehnlichkeit zu be­ obachten be­ müht sein, vor allem gegen­über allen, die ihre ganze Fürsor­ ge auf das öffentli­che Wohl rich­ten. Gegeben den 18. Mai im 13. Jahre der Regierung des Kai­ sers Justinian, unter dem Konsu­ lat des hochansehn­ lichen Apion. (539)

In Nov. 87 praefatio heißt es: ™ntiqšnai aÙ­tÍ ka… ti­nav Órouv oÞv ¨n Ð dwrh­ s£­ menov boulhqÍ, kaˆ e„ toà­ to pr£­ xaien, ¥deian œcein ¢po­ t£t­ tes­ qai kaˆ aÙ­ tù tù dÚnas­ qai tÕn me­ t£­ melon tÕn ™pˆ ta‹v toi­ aÚtaiv dw­rea‹v ¢na­ka­le‹s­qai … kaˆ ™n­ tiqšnai sÚm­ fwnon kat¦ tÕn nÒmon toà ¢n­aire‹n ˜auto‹v tÕ dÚnasqai tÕn ™pˆ tÍ dw­re´ met£­melon ¢na­ka­le‹s­qai, … †na aÙtÒqen ¢u­ to‹v dÁqen ™xÌ, poi­ e‹s­ qai dw­ re­ ¦v tÁv ¢na­kl»­sewv ™leu­qš­rav „der Schen­ker ihr auch be­lie­bige Be­schrän­ kungen set­zen dürfe und dass er auch, wenn er dies getan habe, die Erlaub­ nis habe, auf genau die­ses Recht, eine sol­che Schen­kung aus Reue zu wi­ der­ru­fen, zu verzichten, … und übereinstim­mend mit dem Ge­setz eine Be­ stim­ mung an­ fügen zu dürfen, durch welche sie sich selbst die Be­ fug­ nis näh­ men, die Schen­ kun­ gen aus Reue zu wider­ ru­ fen, … so dass es ihnen er­laubt sei, die Schen­kungen dem Wider­ruf zu entzie­hen“. In caput 1 heißt es: kaˆ ¢po­t£t­tes­qai, e‡ ge toàto bou­lh­qe‹en, tù me­ta­mšl0 tù perˆ

Zum Verzicht auf das Widerrufsrecht bei der Schenkung von Todes wegen455

toà sum­ fènou tÁv ¢na­ kl»sewv: mš­ nein mšn­ toi tÕ pr©gma kaˆ oÛ­ twv ™n to‹v mÒrtiv kaà­sa dwre©v Óroiv „wenn sie wol­len, auf Reue hin­sicht­ lich der Widerru­fungs­be­stim­mung verzichten kön­nen, die Sache aber auch dann in den Grenzen einer Schen­kung von To­des we­gen blei­ben“. Nach diesen Stellen kann der Schenker auf das willkürliche Widerrufs­ recht verzichten. Die Schenkung ist trotzdem noch eine Art von donatio mortis causa. 2. Verzicht auf alle Rückforderungsrechte In den oben genannten Stellen der Digesten (D. 39,6,13,1; eod. 35,4) heißt es: sic quoque potest donari mortis causa, ut nullo casu sit (eius) repetitio. Die Schenkung, die in keinem Fall widerrufen werden soll, ist hier immer noch eine donatio mortis causa. Es gibt aber Stellen der Digesten, die zu widersprechen scheinen: D. 39,6,27 Marci. 5 reg. U b i i t a d o n a t u r (1)m o r t i s c a u s a (w), u t n u l l o c a s u r e v ­ o­ c e t u r, c a u s a d o n a n d i m a g ­i s e s t q u a m (2)m o r t i s c a u­s a (e) d o n a t i o : et ideo per­ inde ha­ be­ ri debet atque alia quae­vis inter vivos donatio. ideo­que inter viros et uxo­ res non valet et ideo nec Fal­ cidia locum habet quasi in (3)mortis causa(e) donatio­ne.

We n n v o n To d e s w e g e n s o g e ­ schenkt wird, dass in keinem Falle widerrufen werden dürfe, so ist dies mehr ein Rechtsverhältnis ei­ n e r S c h e n k u n g a l s e i n e S c h e n ­k u n g v o n To d e s w e g e n ; und daher muss eine solche Schenkung ebenso be­ trachtet werden wie jede andere Schen­kung unter Lebenden. Deshalb hat sie auch zwi­schen Eheleuten kei­ ne Wirksamkeit; und darum wird auch die Lex Falcidia dabei nicht angewendet, wie wenn es eine Schen­kung von Todes wegen wäre.

In D. 39,6,27 heißt es: Ubi ita donatur mortis causa, ut nullo casu re­vo­ cetur, causa donandi magis est quam mortis causa donatio. D. 39,6,35,2 Paul. 6 ad leg. Iul. et Pap. S e d (1)m o r t i s c a u s a (e)? d o n a­t i o A b e r d i e S c h e n k u n g v o n To d e s w e ­ l o n g e d i f f e r t a b i l l a v e r­ a e t gen ist weit verschieden von jener a b s o l u t a d o n a t­i o n e , q u a e i t a wahren und unbedingten Schen­ p r o f i c i s c i t­u r, u t n u l l­o c a s u k u n g , w e l c h e i n d e r A r t e n t s­t e h t , r e v o c e ­tu r. et ibi qui donat illum dass sie in keinem Falle widerru­ potius quam se habere mavult: at is, f e n w e r d e n d ü r f e . Dabei will der qui (2)mortis causa(e)? donat, se cogi­ Schenker, dass lieber der Beschenkte, als er selbst habe: aber derjenige, welcher von tat atque amo­re vitae recepisse poti­ Todes wegen schenkt, ist auf sich bedacht us quam dedisse mavult: et hoc est, und wünscht aus Liebe zum Leben lieber zu quare vul­go dicatur: ‚se potius ha­ behalten, als zu geben; und hierin liegt der bere vult, quam eum cui donat, il­ Grund der gewöhnlichen Redens­art: „Er will lum deinde potius quam here­ dem lieber etwas selbst behalten, als dass der es suum‘.

456

Norio Tanaka haben soll, dem er es schenkt: dann aber soll lieber dieser es haben als sein [des Schenkers] Erbe.“

In D. 39,6,35,2 heißt es: Sed mortis causa donatio longe differt ab illa vera et absoluta donatione, quae ita proficiscitur, ut nullo casu revocetur. Nach diesen beiden Stellen ist die donatio mortis causa, die in keinem Fall widerrufen werden kann (nullo casu revocetur), nicht die donatio mortis causa, sondern die donatio inter vivos. Marci. D. 39,6,27 und Paul. D. 39,6,35,2. Schenkung von Todes wegen o h n e a l l e R ü c k f o r d e r u n g s r­ e c h t e (nullo casu revocetur) donatio inter vivos Iul. / Marc. D.  39,6,13,1 und Paul. D.  39,6,35,4 Schenkung von Todes wegen o h n e a l l e R ü c k f o r d e r u n g s r­ e c h t e (nullo casu sit repetitio) donatio mortis causa

Nach Savigny sollen in der einen Gruppe (D. 39,6,27; eod. 35,2) die Fälle behan­delt werden, in denen der Schenker auf das willkürliche Wider­ rufsrecht ver­zichtet und auch kein Rückforderungsrecht hat, wenn der Emp­ fänger vor dem Tod des Schenkers stirbt. Eine solche Schenkung sei nicht die donatio mortis causa. In D. 39,6,13,1 und eod. 35,4 sollen dagegen die Fälle behandelt werden, in denen der Schenker nur auf das willkührliche Widerrufsrecht ver­ zichtet, aber nicht auf das Rückforderungsrecht beim früheren Tod des Emp­fängers.14 Das allgemeine Wesen der donatio mortis causa sei, „dass sie nur gültig seyn soll, wenn der Geber vor dem Empfän­ ger, oder auch gleichzeitig mit demselben, sterben wird“.15 David Rüger hat neuerdings über diesen Versuch Savignys geschrieben: „Der Harmonisierungsversuch ist freilich nicht unanfechtbar. Abgesehen von der gewagten These, nullo casu bedeute in frr. 13,1 / 35,4 in Wirklich­ 14  Vgl. Savigny (o. Fn. 9) 241 Fn. (f): „Nur scheinbar widersprechend sagen L. 27 L. 35, § 2 de m. c. don., diese Art der Schenkung sey nicht verträglich mit der Bestim­mung: ut nullo casu revocetur. Denn durch einen solchen Zusatz würde auch selbst die Rückforderung bey dem früheren Tode des Empfängers ausgeschlos­ sen seyn, welches mit der m. c. donatio allerdings unverträglich ist. Verträglich damit aber ist die Clau­sel: ut ex arbitrio donatoris non revoce­tur.“ 15  Savigny (o. Fn. 9) 241. Es ist unklar, warum das Vorversterben des Schenkers das allge­meine Wesen der Schenkung von Todes wegen ist.

Zum Verzicht auf das Widerrufsrecht bei der Schenkung von Todes wegen457

keit uno solo casu, läßt sich kaum der Einwand widerlegen, daß dadurch die bei Julian und Paulus genannte dritte und vierte Variante einer donatio mortis causa zusam­menfielen.“16 „Überzeugender erscheint es, die divergierenden Ansichten als solche hin­ zu­nehmen und anzuerkennen, daß die Unsicherheiten bestanden, die Papini­ an in sei­ner vorsichtigen Formulierung in fr. 42,1 erkennen läßt.“17 Ich möchte in diesen Stellen zwischen der Schenkung von Todes wegen im weiteren Sinn (donatio mortis causa(w)) und der Schenkung von Todes wegen im engeren Sinn (donatio mortis causa(e)) unterscheiden. III. Bedeutung von mortis causa 1. D. 39,6,27 (Marcianus) In D. 39,6,27 macht der Schenker die Schenkung in der Weise, dass in kei­nem Fall ein Widerruf stattfinden solle (ut nullo casu revocetur). Wenn die erste genannte mortis causa juristisch eine Bedeutung hat,18 kann der Tod des Schenkers ein Anfangstermin sein. Die Schenkung ist zwar unbe­ dingt (nullo casu revocetur), aber wird im Todesfall fällig. Die erste genannte mortis causa ist die Schenkung von Todes wegen im wei­teren Sinn. Die zweite und dritte genannte mortis causa ist die Schen­ 16  Rüger

(o. Fn. 7) 42 f. (o. Fn. 7) 43; D. 39,6,42,1 Idem (Papinianus) libro tertio decimo re­ sponso­rum. Cum pater in extremis vitae con­stitutus emancipato filio quaedam s i n e u l l a c o n d i c i o n e re d h i b ­ e n d i d o n a s s e t ac fratres et coheredes eius bonis con­ tribui donationes Falcidiae causa vel­lent, ius antiquum servan­dum esse respondi: non enim ad alia con­stitutionem pertinere, quam quae lege certa donarentur et morte insecuta quodammodo bonis aufer­rentur spe retinendi peremp­ta: e u m a u t e m , q u i abso­ lute do­ n a re t , n o n t a m (1)m o r t i s c a u s a (e) q u a m m o ­ rientem do­ n a re . „Als ein Va­ ter, am Ende des Lebens ste­ hend, seinem aus seiner Gewalt entlasse­ nen Sohne eini­ ges o h n e j e d e n Vo r b e h a l t d e r Z u r ü c k g a b e g e ­ s c h e n k t h a t t e und die Brüder und Mit­erben die Schenkungen, des falzidi­schen Viertels wegen, zum Nachlass [des Va­ters] schlagen wollten, so gab ich das Gutachten ab, dass man sich an das alte Recht halten müsse. Denn die Konstitution beziehe sich auf nichts weiter als auf solche Ge­gen­stände, die unter einer gewissen Bedin­gung geschenkt würden und erst nach Ein­tritt des Todes gewissermaßen aufhör­ten, ein Ver­ mögensbestandteil zu sein, weil dann die Hoff­nung auf Rückempfang verschwunden sei; d e r j­e ­n i g e a b e r, w e l c h e r u n b e d ­ ingt schenk ­ e, schenke nicht von To d e s w e g e n , s o n d e r n n u r i m A u g e n b ­ l i c k d e s To d e s .“ 18  Man kann den Satz auch so verstehen, dass die erste genannte mortis causa nur ein Motiv für die Schenkung bezeichnet. Nach dieser Meinung haben die Wor­ te juris­tisch keine Bedeutung. Vgl. Pascal Simonius, Die Donatio Mortis Causa im klassi­schen rö­mischen Recht, Basel 1958, 101 Fn. 1. 17  Rüger

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kung von To­des wegen im engeren Sinn. Nach dieser Stelle ist die Schen­ kung von To­des wegen, die in keinem Fall widerrufen werden soll, zwar eine Art von Schen­kung von Todes wegen im weiteren Sinn, aber soll als Schenkung unter Le­benden (inter vivos) behandelt werden. 2. D. 39,6,35,2 (Paulus) In D. 39,6,35,2 ist es nicht klar, ob die vera et absoluta donatio den Tod des Schenkers berücksichtigt. Wenn die vera et absoluta donatio den Tod nicht berücksichtigt, also eine wahre Schenkung unter Lebenden ist, kann die dona­tio mortis causa in dieser Stelle die Schenkung von Todes wegen im weiteren Sinn bedeuten. Wenn die vera et absoluta donatio aber den Tod berücksich­tigt, kann die donatio mortis causa in dieser Stelle die Schen­ kung von Todes we­gen im engeren Sinn bedeuten. Wenn die vera et absoluta do­natio eine wahre Schen­kung unter Lebenden ist, braucht man nicht die Worte ut nullo casu revocetur in der Stelle besonders beizufügen. Ich glaube, dass die vera et abso­luta donatio den Tod des Schenkers berück­ sichtigt und eine Art von Schen­kung von Todes wegen im weiteren Sinn ist. 3. D.  39,6,13,1 (Iulianus / Marcellus) und eod. 35,4 (Paulus) In D. 39,6,13,1 und eod. 35,4 ist die Schenkung von Todes wegen, die in kei­ nem Fall widerrufen werden könne, die donatio mortis causa. Diese dona­tio mortis causa bezeichnet wohl die Schenkung von Todes wegen im weiteren Sinn. Unter den Schenkungen, die den Tod des Schenkers berücksichtigen, gibt es die Schenkung von Todes wegen im engeren Sinn und die Schenkung von To­des wegen im weiteren Sinn. Die letzte wird als donatio inter vivos (vera et absoluta donatio) behandelt. Die Schenkung von Todes wegen, die in keinem Fall widerrufen werden kann, und die unbedingte Schenkung, die im Todesfall fäl­lig wird, sind die Schenkungen von Todes wegen im weite­ ren Sinn. IV. Notwendigkeit, zwischen donatio mortis causa und donatio inter vivos zu unterscheiden Die Schenkung von Todes wegen wird unter Lebenden gemacht. Sie ist eine durch den Tod des Schenkers vor dem Bedachten bedingte Schenkung oder eine Schenkung, die im Todesfall fällig ist. Welche von diesen Schen­ kungen als „eine Schenkung von Todes wegen“ behandelt wird, hängt davon ab, wie man „die Schenkung von Todes wegen“ definiert. Dabei ist es

Zum Verzicht auf das Widerrufsrecht bei der Schenkung von Todes wegen459

wichtig, wozu man zwischen der Schenkung von Todes wegen, der Schen­ kung unter Leben­den und dem Vermächtnis unterscheiden muss. Es muss eine Notwendigkeit bestehen, die Schenkung von Todes wegen und die Schenkung unter Lebenden zu unterscheiden und jene mit dem Vermächt­nis gleich zu behandeln. Über den Grund, warum die Schenkung von Todes wegen nach dem römischen Recht mit dem Vermächtnis gleich behandelt wird, hat Rüger geschrieben: „Um die Aushöhlung des Nachlas­ ses durch Schenkun­gen zu vermeiden, werden erbrechtliche Beschränkungen zuneh­ mend auf die do­ natio mortis causa ausgedehnt.“19 Es ist auch ein Grund, was in C. 8,56(57),4 gezeigt ist: actis minime indigere neque exspectare publica­rum per­sonarum prae­sentiam et ea quae super huiusmodi monumentis solent adhi­beri. Die Schen­kung von Todes wegen fordert keine Formen, die für an­dere Schenkungen er­forderlich sind. C. 8,56 (57) (De mortis causa donationibus),420 Imp. Iustinianus A. Iohanni pp. Kaiser Justinian an Johannes, praefectus praetorio Cum de mortis causa donatione du­ Da bei der Schenkung von Todes wegen Zweifel entstand, indem einige sie unter die bitabatur et alii quidem inter ul­timas letztwilligen Verfügungen setz­ten und sie zu voluntates eam posuerunt et legatis den Vermächtnissen zählen zu müs­sen mein­ adgregandam esse cen­ sue­ runt, alii autem inter donatio­ nes quae inter ten, andere aber zu den Schen­kungen unter vivos consistunt eam po­ suerunt, Lebenden rechne­ten, so verordnen Wir, nach dubietate eorum ex­ plo­ sa sancimus Aufhebung dieser Zwei­ fel, dass a l l e o m n e s m o r t i s c a u s­ a d o n a t i o ­ S c h e n k u n g e n v o n To d e s w e g ­ e n , sie mögen bei Gele­ gen­ heit des Todes des n e s , sive iuxta mortem facientis Schenkers gemacht wor­ den sein oder bei fuerint celebra­tae sive longiore co­ längerer Bedenkung des Todes erfolgt sein, gitatione mor­ tis sub­ secutae sunt, keineswegs eines gerichtlichen a c t i s m i ­n i m e i n ­d i g e r e n e q u e Protokolls bed ­ü r ­ fen noch die Ge­ e x­p e c t a r e p u­b l i c a r u m p e r s o ­ genwart ö f­f e n t­l i c h e r Personen n a r u m p r a e s­ entiam et ea n o c h s o n s t e t w a s e r ­f o r ­d e r n s o l l e n , quae sup ­e r h u i u s m o d i m o ­ was über Urk ­ u n ­d e n d i e s e r A r t b e ­ n u m e n t i s s o l­ e n t a d h i b e r i . sed ita res pro­cedat, ut, si quinque testi­ obachtet zu werd ­ e n p f l e g t . Son­ dern es soll hier so ge­halten werden, dass, wenn bus prae­sentibus vel in scrip­tis vel 19  Rüger

(o. Fn. 7) 88, siehe auch 32 ff. Text ist aus Corpus Iuris Civilis I (Ed. maior): Co­ dex Iustinianus, re­ cogn. Pau­lus Krueger, Berolini 1877, zitiert, die Übersetzung folgt einigermaßen Otto u. a. (o. Fn. 10) VI, Leipzig 1832. In älteren Ausgaben (Georgius Augustus Spangenberg, Cor­pus Iuris Civilis II, Gottingae 1797; Aemilius Hermann, Corpus Juris Civilis II, Lipsiae 1844) heißt der Adressat „Iulianus pp.“ In der Tat war Iuli­ anus praef. praet. am 1. Sept. 530 (Lam­padio et Oreste conss.), während der in allen Hand­schriften des Codex be­zeugte Iohannes (Krueger, ed. mai. p. 805,29 app.) erst 531 praef. pr. war (vgl. Krueger, ed. mai., Appendix I p. *47, ao. 531). Krue­ger p. 806 Fn. 1 und Appen­dix I p. *47 (unter dem 1. 9. 531) schlug daher die Emen­ dation post consulatum Lampa­dii et Orestis (also 531) vor. 20  Der

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sine lit­ terarum suppositione aliquis vo­ luerit mortis causa donationem fa­ cere, et sine monu­ mentorum ac­ ces­sione res gesta maneat firmi­tate vallata et nullam calumniam ac­ cipiat neque propter hoc, quod ge­sta ei non accesse­ runt, inefficax es­ se atque inutillis videatur et om­nes ef­ fectus sortia­tur, quos ultimae ha­bent liberali­tates, nec ex qua­cum­que parte absimiles esse intel­ legantur.

D. k. Sept. Constantinopoli Lam­ padi[o] et Orest[e] vv. cc. [conss.] [a. 530]

jemand eine Schen­kung von Todes wegen in Ge­genwart von fünf Zeugen oder schriftlich oder ohne Abfassung eines Schrift­ stücks machen will, die Sache, auch ohne dass schriftliche Urkunden darüber aufgenom­men worden, mit voller Gültig­ keit ge­ schützt bleibt und keine Anfech­tung da­durch erlei­ det, auch nicht durch das Unter­bleiben einer dar­ über aufgenommenen Ur­ kunde für unwirk­sam und ungültig er­scheint, viel­mehr alle die­jeni­gen Wirkun­gen hat, welche frei­ ge­bi­ge letztwil­lige Verfügungen herbeifüh­ ren, und nir­gends als von diesen ver­schieden ange­sehen wer­den soll. Gegeben zu Konstantinopel den 1. Septem­ ber [unter] dem Konsulat der hoch­ ansehn­lichen Lampadius und Orestes (530)

Die anfangs vorgestellte Meinung in Japan, die der Rechtsprechung des OGH widerspricht, geht davon aus, dass die Schenkung von Todes wegen im enge­ ren Sinn (mit dem willkürlichen Widerrufsrecht) eine Art von Vermächt­nis ist und die Schenkung von Todes wegen ohne das willkürliche Widerrufs­recht eine Schenkung unter Lebenden ist. Nach dem römischen Recht gibt es aber ein anderes Kriterium: Danach ist die Schenkung von Todes wegen ohne das will­kürli­che Widerrufsrecht immer noch ein Art von donatio mortis causa (Schen­kung von Todes wegen) und keine Schenkung unter Lebenden. Das römische Recht kennt auch die Schenkung von Todes wegen im weiteren Sinn. Unter donatio mortis causa fällt nicht nur die Schenkung von Todes wegen ohne das willkürliche Recht, sondern auch die Schenkung von Todes wegen ohne alle Rückforderungsrechte. Die letztere wird mit der Schenkung unter Lebenden gleich behandelt.21

21  Dagegen vgl. Draft Common Frame of Reference IV. „Donations due or conditional on death  (1) This Part* does not apply where: (a) performance of the obligation to transfer is due only  (b) the transfer or obligation to transfer is subject to the

H.–1:105: on the donor’s death; suspensive condition of

the donor’s death; or (c) the transfer or obligation to transfer is made subject to the resolutive condition of the donee predeceasing the donor. (2) Paragraph (1) does not apply if the donor renders performance or waives the con­dition before the donor’s death.“ * Part H. Donation http: /  / ec.europa.eu / justice / policies / civil / docs / dcfr_outline_edition_en.pdf

Zum Verzicht auf das Widerrufsrecht bei der Schenkung von Todes wegen461 Die Schenkung von Todes wegen mit dem will­kürli­chen Wi­der­rufs­recht

ohne das willkürli­che ohne alle Rück­for­de­ Widerrufsrecht rungsrech­te

Einige Mei­nun­gen in Japan →

eine Art von Ver­mächtnis

Schenkung unter Lebenden

Römisches Recht →

donatio mortis causa(e)

donatio mortis causa(e)

donatio mortis causa(w) = „do­na­tio inter vivos“

Die Schenkung, die den Tod des Schenkers berücksichtigt, ist dem Ver­ mächt­nis ähnlich. Es ist natürlich, dass die Vorschriften über das Vermächt­ nis auf diese Schenkung entsprechende Anwendung finden. Der Begriff der „Schen­kung von Todes wegen“ wurde vermutlich herausgearbeitet, damit ein Teil der Schenkungen unter Lebenden mit einem Vermächtnis gleich behan­delt wird. Unter den Begriff der „Schenkung von Todes wegen“ fallen aber sehr verschie­ dene Schenkungen: die Schenkung mit willkürlichem Widerrufs­ recht, die Schen­ kung ohne willkürliches Widerrufsrecht, die Schenkung ohne alle Rück­forderungsrechte usw. Der Umfang des Begriffs ist ungenau. Ich denke, dass der Begriff heutzutage nur eine Rolle spielt, wenn man ihn im weitesten Sinn benutzt. Es gibt wohl kein Bedürfnis, den Begriff der „Schen­kung von Todes wegen“ weiter zu analysieren. Die Vorschriften über den Pflicht­teil finden heute in Japan auch auf Schenkungen unter Lebenden An­wendung.22 Und man kann eine Schenkung auch ohne bestimmte Form ma­chen.23 Hier braucht man anders als Rom nicht zwischen der Schenkung von Todes wegen in enge­rem Sinn, die mit dem Vermächtnis gleich behan­ delt wird, und der in weiterem Sinn, die mit der Schenkung unter Lebenden gleich behan­delt wird, zu unter­scheiden. Nach Art. 554 Minpo finden die Vorschriften über das Vermächtnis auf eine Schen­kung von Todes wegen entsprechende Anwendung. Die entspre­ chende Anwen­dung hängt nach der Rechtsprechung des OGH davon ab, mit welchem In­halt oder unter welchen Umständen die Schenkung von Todes 22  Art. 1030 (Berechnung von Schenkungen) Minpo: „Schenkungen werden nur dann nach der Bestimmung des Art. 1029 mit ihrem Wert in Ansatz gebracht, wenn sie inner­halb eines Jahres vor dem Erbfall gemacht worden sind. Mehr als ein Jahr vor dem Erbfall gemachte Schenkungen werden jedoch in Ansatz gebracht, wenn beide Parteien gewußt haben, daß durch die Schenkung ein Pflichtteilsberechtiger geschädigt wer­den würde.“ 23  Art. 550 Minpo (o. Fn. 1).

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wegen ge­macht wird.24 Der Begriff „Schenkung von Todes wegen“ bezeich­ net also Schenkun­gen, auf die die Vorschriften über das Vermächtnis ange­ wendet werden kön­nen. Nach der oben genannten Meinung in der Literatur ist der Begriff der „Schen­kung von Todes wegen“ trotz Art. 554 Minpo unnötig. Die Schen­ kung von Todes we­gen mit willkürlichem Widerrufsrecht sei eine Art von Ver­mächt­nis. Die Schen­kung von Todes wegen ohne willkürliches Wider­ rufsrecht sei eine Schenkung unter Le­ benden. Die Vorschriften über das Vermächtnis (z. B. Art.  991 Minp­ o25) sol­len aber auf eine Schenkung, die den Tod des Schen­ kers berück­ sichtigt, ent­ spre­ chende Anwendung finden, auch wenn sie eine Schen­kung ohne will­kürli­ches Widerrufsrecht und ohne die Bedingung des Vorver­sterbens des Schenkers (eine Schenkung in weite­ rem Sinn) ist.26 Der Begriff der „Schenkung von Todes wegen“ kann hier Schenkungen unter Lebenden be­zeichnen, auf die die Vor­schriften über das Vermächtnis ange­wendet wer­den können.

24  OGH, Urteil vom 24. Jan. 1983 (o. Fn. 3). Hier findet Art. 1022 Minpo (o. Fn. 4) auf die Schenkung von Todes wegen keine entsprechende Anwendung. 25  Art. 991 Minpo (Anspruch des Vermächtnisnehmers auf Sicherheitsleistung): „Bis zur Fälligkeit des Vermächtnisses kann der Bedachte vom Beschwerten eine angemes­sene Sicherheitsleistung verlangen; das gleiche gilt bei aufschiebend beding­ ten Ver­mächtnissen bis zum Eintritt der Bedingung.“ 26  Yunoki / Takagi (o. Fn. 5) 72 (Yunoki / Matsukawa).

Zur Normstruktur des Edictum aedilium curulium. Exegese von D. 21,1,14,9 und D. 21,1,28 Von Kazunori Uemura I. Einleitung Das Edikt der kurulischen Ädilen1 sieht vor, dass bei Kaufverträgen über Skla­ven oder Zugtiere der Verkäufer bestimmte Mängel öffentlich anzuzei­ gen hat und für erklärte oder versprochene Eigenschaften einstehen muss,2 um die Käufer vor Betrügereien der Verkäufer zu schützen.3 Einige Quellen formulie­ren diese Pflichten des Verkäufers als Befehl der Ädilen.4 Wenn der Verkäufer einen Mangel nicht öffentlich und wahrheitsgemäß an­gezeigt hat oder sich entgegen der Erklärung oder dem Versprechen des Ver­käufers eine Krankheit oder ein Mangel herausstellt, von dem der Käu­ fer nichts wusste,5 verheißen die Ädilen dem Käufer eine Klage6 gegen den 1  Zu neuerer Literatur über das Edikt der kurulischen Ädilen s. die Nachweise bei Max Kaser / Rolf Knütel, Römisches Privatrecht, München 201420, 254 Rn. 40. Zu den ku­ rulischen Ädilen s. Wolfgang Kunkel, Das römische Staatsrecht. Die Magistraturen (HdA 10,3,2,2), München 1995, 477–481; s. D. 1,2,2,27 (Pomp. l. s. enchir.); Cicero, De officiis 3,17,71; 2,16,57; Livius, Ab urbe condita 6,42,13 usw. 2  D. 21,1,1,1 (Ulp. 1 ed. aed. cur.): … quodsi mancipium adversus ea venisset, sive adversus quod dictum promissumve fuerit cum veniret, fuisset, quod eius praestari oportere dicetur: emptori omnibusque ad quos ea res pertinet iudicium dabimus, ut id mancipium redhibeatur … 3  D. 21,1,1,2 (Ulp. 1 ed. aed. cur.): Causa huius edicti proponendi est, ut occurratur fallaciis vendentium et emptoribus succurratur, quicumque decepti a venditoribus fue­rint … 4  D. 21,2,37,1 (Ulp. 32 ed.): … per edictum autem curulium etiam de servo cavere venditor i u b e t u r ; D. 21,1,32 (Gai. 2 ad aed. cur.): Itaque sicut superius venditor de morbo vitiove et ceteris quae ibi comprehensa sunt praedicere i u b e t u r, et praeterea in his causis non esse mancipium ut promittat p r a e c i p i t u r : ita et cum accedat alii rei homo, eadem et praedicere et promittere c o m p e l l i t u r … 5  D. 21,1,1,6 (Ulp. 1 ed. aed. cur.): Si intellegatur vitium morbusve mancipii (ut ple­rumque signis quibusdam solent demonstrare vitia), potest dici edictum cessare: hoc enim tantum intuendum est, ne emptor decipiatur. 6  Rekonstruktion der Formel im Anschluss an Lenel bei Dario Mantovani, Le for­mule del processo privato romano, Padova 19992, 113–114, Nr. 204.

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Ver­ käufer, mit der er entweder binnen sechs Monaten Wandelung oder binnen eines Jahres Minderung des Kaufpreises verlangen kann.7 Dies gilt auch dann, wenn der Verkäufer den Mangel selbst nicht kannte8 oder ihm der Umfang seiner Ein­standspflicht nicht bewusst war.9 Doch kann der Käufer auf den Schutz des Edikts auch verzichten, wie D. 2,14,31 zeigt: D. 2,14,31 (Ulp. 1 ed. aed. cur.)10 Pacisci contra edictum aedi­ lium omnimodo licet, sive in ipso ne­go­ tio venditionis ge­rendo conve­nis­set sive postea.

Eine Vereinbarung entgegen dem Edikt der Ädilen zu treffen, ist auf jeden Fall er­laubt, sei es, dass man die Über­einkunft unmittel­ bar bei Abschluss des Kaufge­schäfts ge­trof­ fen hat, sei es später.

Nach D. 2,14,31 ist es also den Parteien möglich, durch Vereinbarung von den Bestimmungen des Edikts der Ädilen abzuweichen. Das Edikt soll den Käufer vor Betrügereien des Verkäufers schützen. Es verbietet dem Käufer aber nicht, das Risiko von Mängeln freiwillig auf sich zu nehmen. Es stellt sich frei­lich die Frage, in welcher Form eine solche Vereinbarung prozessual für die Beteiligten durchsetzbar war. II. Vertraglicher Ausschluss der Gewährleistung für Mängel: D. 21,1,14,9 Ein konkretes Beispiel für eine Vereinbarung zwischen Verkäufer und Käu­fer über die Gewährleistung für Mängel bietet D. 21,1,14,9.

7  D. 21,1,19,6 (Ulp. 1 ed. aed. cur.): Tempus autem redhibitionis sex menses utiles ha­bet: si autem mancipium non redhibeatur, sed quanto minoris agitur, annus utilis est … 8  D. 21,1,1,2 (Ulp. 1 ed. aed. cur.): … potuit enim ea nota habere venditor: neque enim interest emptoris, cur fallatur, ignorantia venditoris an calliditate. 9  Nach D. 21,1,1,1 gewähren die Ädilen auch bei arglistigem Verhalten des Verkäu­fers, das wohl nicht im Verschweigen eines Mangels oder der Zusicherung der Man­gelfreiheit liegt, eine eigene Klage, s. dazu Max Kaser, Das römische Pri­ vatrecht, Bd. 1, München 19712, 560. 10  Übersetzung von Christoph Krampe in: Okko Behrends / Rolf Knütel / Berthold Kupisch / Hans Herrmann Seiler (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis. Text und Übersetzung. Band 2: Digesten 1–10, Heidelberg 1995, 243.



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D. 21,1,14,9 (Ulp. 1 ed. aed. cur.)11 Si venditor nominatim exceperit de aliquo morbo et de cetero sanum esse dixerit aut promi­serit, stan­dum est eo quod convenit (remit­tentibus enim actiones suas non est regres­sus dandus), nisi sciens ven­ ditor mor­ bum consulto reticuit: tunc enim dandam esse de dolo ma­lo replica­ tionem.

Wenn der Verkäufer die Haftung für eine bestimmte Krankheit ausdrücklich ausge­ schlossen und erklärt oder ver­sprochen hat, dass er (der Sklave) im übrigen gesund sei, muss man an dem festhalten, was verein­bart ist (denn diejenigen, die sich ihrer Klag­ rechte begeben, dürfen auf sie nicht mehr zurückkommen), es sei denn, der Verkäufer hat die Krankheit wissentlich und mit Vor­ bedacht verschwiegen; dann nämlich ist die Gegeneinrede der Arglist zu erteilen.

Die Stelle stammt aus dem ersten Buch von Ulpians Kommentar zum Edikt der kurulischen Ädilen. Es handelt sich also um einen Sklavenkauf,12 der dem Edikt der Ädilen unterfällt. Die Parteien haben eine Vereinbarung getroffen, die eine Haftung des Verkäufers nach dem Edikt für eine be­ stimmte Krankheit des Sklaven ausschließt (venditor nominatim exceperit de aliquo morbo), z. B. für Schwindsucht.13 Der Verkäufer hat zudem er­ klärt oder versprochen, dass der Sklave im Übrigen gesund sei (de cetero sanum esse dixerit aut promise­rit). Trotz der Vereinbarung macht der Käufer Gewährleistungsrechte gegen den Verkäufer geltend. Nach dem Kontext der Stelle handelt es sich um die allge­meine Klage aus dem Edikt der kurulischen Ädilen. Der Käufer beruft sich dar­auf, dass der Sklave entgegen der Zusage des Verkäufers nicht ge­ sund ist. An­gestrebt ist mit der Klage die Wandelung. Der Verkäufer kann sich aber auf den Haftungsausschluss berufen: Eine sol­che Vereinbarung, die die Haftung des Verkäufers gegenüber den Vorga­ ben des ädilizischen Edikts begrenzt, ist wirksam (standum est eo quod convenit). Denn wer einmal auf seine Klagrechte verzichtet, kann auf sie nicht mehr zurück­kommen (remittentibus enim actiones suas non est regressus dandus). Den Haftungsausschluss kann der Verkäufer der Klage des Käufers als Ein­ rede ent­ gegensetzen,14 was sich implizit aus der im Text 11  Übersetzung in Anlehnung an Berthold Kupisch in: Rolf Knütel / Berthold Ku­ pisch / Hans Herrmann Seiler / Okko Behrends (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis. Text und Übersetzung. Band 4: Digesten 21–27, Heidelberg 2005, 9–10; s. auch unten Fn. 15. 12  Das gesamte erste Buch von Ulpians Kommentar zum Edikt der kurulischen Ädi­len handelt vom Sklaven als Kaufgegenstand, s. Otto Lenel, Palingenesia iuris civilis, Leip­zig 1889 (Nachdruck Graz 1960), Bd. 2, 884–897. 13  In D. 21,1,1,7 (Ulp. 1 ed. aed. cur.) nennt Ulpian einige Beispiele für Krankhei­ten: Schwindsucht, Fieber, Blindheit usw. 14  Ausdrücklich als Einrede erscheinen in den Digesten die Berufung des Ver­ käufers auf den Ablauf der Klagefrist sowie auf die Kenntnis des Käufers vom Mangel (D. 21,1,48,1. 4; Pomp. 23 Sab.). Mit diesen Einreden macht der Verkäufer

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erwähnten replicatio doli des Käufers ergibt.15 Die Einrede ist erfolgreich, wenn die Gesundheit des Skla­ ven gerade wegen der ausgenommenen Krankheit beeinträchtigt ist (wo­von die Stel­le offenbar ausgeht). Die Vor­ aussetzungen der Einrede, d. h. den vertragli­chen Ausschluss der Gewähr­ leistung für die Krankheit, hat der Ver­käufer zu bewei­sen. Allerdings steht dem Käufer seinerseits eine Möglichkeit offen, die Ein­ rede und damit die Vereinbarung zu entkräften: Wenn der Verkäufer den ausge­ schlos­ se­ nen Mangel kannte, kann der Käufer die Gegeneinrede der Arglist gel­tend machen (dandam esse de dolo malo replicationem).16 Während in D. 21,1,14,9 Käufer und Verkäufer einvernehmlich die Haf­ tung des Verkäufers erleichtern, behandelt ein vielfach erörtertes Fragment den Fall, dass der Verkäufer gar keine Gewährleistung übernimmt, ohne dass eine Ver­ein­barung vorliegt. III. Keine Übernahme einer Mängelgewährleistung durch den Verkäufer: D. 21,1,28 1. Problemstellung In D. 21,1,14,9 hat der Verkäufer für den Sklaven eine einge­schränkte Ge­ währ­leistung übernommen. Welche Rechtsbehelfe stehen dem Käufer aber zu, wenn der Verkäufer gar keine Gewährleistung übernimmt? Für die Klage der kurulischen Ädilen ist die Erklärung oder das Versprechen des Verkäufers, dass der Sklave gesund ist, Voraussetzung. Der Kläger muss die Erklärung bzw. das Versprechen beweisen. Für den Fall, dass der Verkäu­fer die im Edikt der kuru­lischen Ädilen vorgeschriebenen Eigenschaften beim Kaufabschluss nicht öf­fentlich erklärt und verspricht, bildet D. 21,1,28 die einzige Quelle. D. 21,1,28 (Gai. 1 ed. aed. cur.)17 Si venditor de his quae edicto aedi­ lium continentur non ca­ veat, polli-

Für den Fall, dass der Verkäufer in Bezug auf das, was im Edikt der Ädilen enthalten

geltend, dass bereits eine Voraussetzung für eine Gewährleistungsklage fehlt, wäh­ rend in der vorliegenden Stelle die Einrede auf einer Vereinbarung beruht. 15  Siehe auch den erläuternden Einschub in der Übersetzung von Kupisch (o. Fn. 11): „… dann nämlich ist [gegen die Einrede des auf Wandelung verklagten Verkäufers] die Ge­gen­einrede der Arglist zu erteilen“; s. auch Max Kaser, Die Ju­ risdiktion der kuruli­schen Ädilen, in: Mélanges Philippe Meylan, Bd. 1: Droit Ro­ main, Lausanne 1963, 173–191, 178. 16  Vgl. auch D. 21,1,1,9: Der Käufer kannn den Verkäufer dann in Anspruch neh­men, wenn dieser von einem Mangel des Sklaven gewusst und diesen nicht of­ fenbart hat. 17  Übersetzung durch Kupisch in Corpus Iuris Civilis 4 (o. Fn. 11) 24.



Zur Normstruktur des Edictum aedilium curulium467

centur adversus eum redhi­bendi iu­ dicium intra duos menses vel quanti emptoris intersit intra sex menses.

ist, keine Sicherheit leistet, verheißen die Ädi­len gegen ihn die Klage auf Wandelung bin­ nen zweier Monate oder die Klage auf das Inte­ res­ se des Käufers binnen sechs Mona­ten.

In D. 21,1,28 übernimmt der Verkäufer, anders als es das Edikt der kuruli­ schen Ädilen vorsieht, keine Haftung (durch Erklärung oder Versprechen) für bestimmte Eigenschaften eines Sklaven. Dem Käufer steht in diesem Fall eine Klage auf Wandelung innerhalb von zwei Monaten (redhibendi iudicium intra duos menses) oder die Klage auf das Interesse innerhalb von sechs Mo­ naten (vel quanti emptoris intersit intra sex menses) zu. Die Frist für die je­ weilige Klage ist deutlich kürzer als im Regelfall (sechs Monate – zwei Mo­ nate / ein Jahr – sechs Monate). Nicht erwähnt ist der Fall, dass der Verkäufer beim Ab­schluss des Kaufvertrages bestimmte Eigenschaften nicht öffentlich anzeigt. Nach dem Wortlaut des Textes ist offen, ob ein Mangel des Kaufge­ genstands für eine erfolgreiche Klage nötig ist oder nicht. Die Stelle wirft verschiedene Fragen auf. Zunächst ist das Verständnis von pollicentur unklar.18 Grammatisch liegt die dritte Person Plural, Indi­ kativ Prä­sens Aktiv vor. Für das Verständnis gibt es zwei Möglichkeiten. Einmal könnte pollicentur „versprechen (eine Stipulation abschließen)“ meinen. In D. 50,12,3 pr. (Ulp., 4 disp.) ist pollicitatio, das Substantiv von polliceor, von der Verein­ barung (pactum) unterschieden.19 Im dortigen Kontext bedeutet pollicitatio „ein­ seitiges Versprechen“. Und nach D. 21,1,19,2 (Ulp. 1 ed. aed. cur.)20 kann ein promissum im Sinne der Sachmängelgewährleistung auch in Form einer pol­licitatio erfolgen. Dann wären Subjekt von pollicentur die Par­teien des Kauf­ver­trages, nämlich der Käufer und der Verkäufer. Hiergegen spricht aber schon die Einseitigkeit der pollicitatio und zudem, dass die Kon­struktion pollicentur ad­versus eum (sc. der Verkäufer) mit den Parteien als Subjekt nicht möglich er­scheint. Zutreffend dürfte daher das Verständnis pol­licen­tur im Sinne von „ver­hei­ ßen“ sein.21 Eine unmittelbare Parallele bietet D. 21,1,19,5: Dort ist pol­li­ 18  Zu polliceor s. Reineke, Art. polliceor, in: ThLL 10 I 16, Stuttgart 2007, 2545,11–2556,41. 19  D. 50,12,3 pr.: Pactum est duorum consensus atque conuentio, pollicitatio vero offerentis solius promissum … 20  D. 21,1,19,2 (Ulp. 1 ed. aed. cur.): Dictum a promisso sic discernitur: dictum acci­pi­mus, quod verbo tenus pronuntiatum est nudoque sermone finitur: promissum autem potest referri et ad nudam promissionem sive p o l l i c i t a t i o n e m vel ad spon­ sum. se­cundum quod incipiet is, qui de huiusmodi causa stipulanti spopondit, et ex stipulatu posse conveniri et redhibitoriis actionibus: non novum, nam et qui ex empto potest conveniri, idem etiam redhibitoriis actionibus conveniri potest. 21  So auch die Übersetzung von Kupisch (o. Fn. 11).

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cen­tur explizit für die Klageverheißung der Ädilen ge­braucht.22 Auch in den üb­ri­gen Fällen, in denen die Digesten pollicentur bezeu­gen, ist eine einsei­ tige Er­klä­rung gemeint.23 In mehreren anderen Di­gestenstellen ist ein Ma­ gistrat im Sin­gular Subjekt zu pollicetur.24 Verständnisschwierigkeiten bereitet auch, dass in D. 21,1,28 vom Inte­ resse des Käufers (quanti emptoris intersit) die Rede ist.25 Wenn der Verkäufer er­klärt und verspricht, kann der Käufer die Rückabwicklung des Kaufes (redhi­bitio) oder die Minderung des Preises (quanti minoris) verlan­ gen. Dage­ gen kann der Käufer, wenn der Verkäufer nichts erklärt oder verspricht, die Rück­abwicklung oder sein Interesse (quanti emptoris intersit) fordern. Ob quanti emptoris intersit mit quanti minoris gleich­zusetzen ist, ist umstritten.26 Eine Klage auf das Interesse umfasst allge­mein nicht nur die Erstattung des Min­ der­ werts des Kaufgegenstands, sondern auch den Ersatz gewisser mitteilbar ver­ursachter Schäden.27 Daher kann die hier zu fordernde Betrag über denje­ nigen der Minde­ rungsklage hinausgehen. Für D. 21,1,28 ist es schwierig zu erklären, warum im Fall, dass der Verkäufer nicht erklärt oder verspricht, der mögliche Betrag der Forderung größer, die Klage­frist hingegen kürzer wird. Die Para­phra­se des (älteren) Anonymus,28 die der Basilikentext überliefert, in Bas. 19,10,28 spricht nur von einer Minderung des Prei­ ses.29 Hiernach ist quanti emptoris intersit mit dem Minderwert der Kauf­sache gleichzusetzen. Auch wenn quanti emptoris intersit die glei­che Bedeutung wie id quod interest hätte, wäre der Be­trag des 22  D. 21,1,19,5 (Ulp. 1 ed. aed. cur.): Deinde aiunt a e d i l e s : „emptori omnibusque ad quos ea res pertinet i u d i c i u m d a b i m u s “. p o l l i c e n t u r emptori actionem et suc­cessoribus eius qui in uniuersum ius succedunt … 23  D. 50,12,1,5 (Ulp. l. s. de. off. curat. rei p.); D. 50,13,1,3 (Ulp. 8 de omn. trib.). 24  Z. B. praetor: D. 4,1,5 (Paul. 7 ad ed.); D. 4,2,14,1 (Ulp. 11 ad ed.); D. 4,3,1,4 (Ulp. 11 ad ed.) usw.; proconsul: in D. 4,2,19 (Gai. 4 ad ed. prov.); D. 4,3,26 (Gai. 4 ad ed. prov.) usw. 25  Bei einer Klage auf das Interesse wird normalerweise die Formulierung quod inte­r­est benutzt. 26  Dieter Medicus, Id quod interest, Köln 1962, 118–119. Siehe auch Mantovani, Le for­ mule (o. Fn. 6) 115–116: quanti emptoris intersit und id quod interest entsprechen sich. 27  Siehe Kaser, Das römische Privatrecht (o. Fn. 9) 558. 28  Hierzu s. nur Peter Pieler, Byzantinische Rechtsliteratur, in: Herbert Hunger, Die hochsprachliche pro­fane Literatur der Byzantiner, Bd. 2, München 1978, 341– 480, 423. 29  Siehe Bas. 19,10,28 (D. 21,1,28), BT 958,12–14: E„ m¾ Ð pr£thv ºsfal…sato perˆ tîn kefala…wn tÁv a„dilik…av, ™n£getai tÍ ¢nastrefomšn6 tÕ praq7n ¢gwgÍ e‡sw dÚo mhnîn À tÍ meioÚs6 tÕ t…mhma e‡sw 8x mhnîn. In der Ausgabe Heimbachs erscheint der Text als Bas. 19,10,25, s. Gustav Heimbach, Basi­licorum libri LX, Bd. 2, Leipzig 1840, 307.



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Interesses von der Minderungsklage nicht so ver­schieden. Wenn der Käufer das Interesse verlangt, ist es nötig, dass der Kauf­gegenstand mangelhaft ist, da andernfalls kein Minderwert vorliegt. Die Schät­zung der Wert­minde­rung aufgrund des Mangels ist, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad, objektiv möglich. Die grundsätzliche Frage lautet jedoch, warum die Fristen für die Klagen kür­ zer werden, wenn der Verkäufer nichts erklärt oder verspricht. Die Verkür­zung von Gewährleistungsfristen ist normalerweise für den Verkäufer vorteil­haft. 2. Zum möglichen Verständnis von D. 21,1,28 Das Verständnis von D. 21,1,28 ist umstritten. Im Folgenden soll auf drei Mei­nun­gen genauer eingegangen werden. a) Sanktion gegen den ungehorsamen Verkäufer? Die traditionell herrschende Meinung30 sieht in der verheißenen Klage eine Sanktion der Ädilen gegen den ungehorsamen Verkäufer. Das Vorliegen eines Sachmangels sei nicht nötig. Wenn der Verkäufer sich weigert, eine Erklärung oder ein Versprechen abzugeben, gewähren die Ädilen dem Käu­ fer eine be­son­dere Klage. In dieser Weise wurde D. 21,1,28 bereits im Mittelalter verstanden, wie der Casus des Vivianus Tuscus hierzu zeigt.31 Diese Auffassung erscheint für die Wandelung nachvollziehbar. Hingegen be­stehen große Schwierigkeiten bei der Klage auf quanti emptoris intersit, wenn kein Mangel erforderlich sein soll:32 Wonach soll sich das Interesse be­rech­nen? Um diese Schwierigkeit zu vermeiden, behaupten manche Auto­ 30  Siehe dazu Giambattista Impallomeni, L’editto degli edili curuli, Padova 1955; Ka­ser, Die Jurisdiktion (o. Fn. 15) 173–191; ders., Das römische Privatrecht 1 (o. Fn. 9) 560. 31  Siehe den Casus von Vivianus zu D. 21,1,28: Si Titius vendidit mihi Stichum, de­ bet mihi promittere non fugitivum: et alia vitia abesse: et nisi promittat, ago redhibito­ria, et intra duos menses: vel quanti interest, usque ad sex menses. Benutzt wurde die Aus­gabe: Corpus Iuris Civilis Iustinianei cum commentariis Accurusii …, Bd. 1: Di­gestum vetus, Lyon 1627 (Nachdruck Osnabrück 1965), Sp. 1957. Zu Vi­ vianus s. Hermann Lange, Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1: Die Glossatoren, München 1997, 370 sowie Friedrich Carl von Savigny, Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter, Bd. 5, Heidelberg 18502, 339–340. 32  Siehe Berthold Kupisch, Römische Sachmängelhaftung: Ein Beispiel für die „Öko­no­mi­sche Analyse des Rechts“?, TR 70 (2002) 21–54, 22.

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ren,33 dass bei der Klage auf das Interesse doch ein Mangel nötig sei. Doch bietet der Text von D. 21,1,28 für eine solche Differenzierung keine Anhalts­punkte. Daher scheint diese traditionelle Auffassung zum Verständnis von D. 21,1,28 nicht überzeugend. b) Zwang zum Abschluss einer prozessualen Stipulation? Ein neues Verständnis von D. 21,1,28 geht auf É. Jakab zurück.34 Nach Ja­kab ist pollicentur in D. 21,1,28 im Sinne von „(einseitig) verheißen“ zu ver­stehen, zugehöriges Subjekt sind die Ädilen.35 Dem Verkäufer sei von den Ädilen bloß eine Informationspflicht aufgedrängt worden. Die Ädilen zwingen also den Verkäufer nicht direkt zu einer Garantiestipulation beim Abschluss des Kauf­vertrags. Setzte jedoch der Verkäufer beim Abschluss des Kaufver­trags den Käufer von bestimmten relevanten (im Edikt der ku­ rulischen Ädilen aufgezähl­ten) Mängel nicht in Kenntnis, konnte der Käufer gegen ihn mit den ädili­zi­schen Rechtsbehelfen vorgehen, sobald sich ein Mangel zeigte. Erst in die­ser Phase werde die in Gai. D. 21,1,28 angespro­ chene stipulatio (Si vendi­tor … non caveat) von Bedeutung. Der Käufer könne vom Verkäufer verlan­gen, zur Si­che­rung seiner Gewährleistungsan­ sprüche eine prozessuale stipula­tio abzu­schlie­ßen, die zur Prozesseinleitung vor den kurulischen Ädilen diene. In­soweit habe das Edikt bezüglich des Abschlusses einer Stipulation eine zwin­ gende Wir­ kung. Diese ädilizische stipulatio diene jedoch dazu, einen Zivilprozess vor den kuru­li­schen Ädilen zu ermöglichen. Sie sei von der Ga­rantie­stipulation der Vertrags­praxis kon­ sequent zu unterscheiden, weil der Abschluss jener unter den Parteien frei ausgehandelt worden sei. Aufgrund der prozessualen ädilizischen stipulatio kann der Käufer innerhalb von zwei Mo­naten auf Wandelung und innerhalb von sechs Monaten auf sein Interesse (?) klagen; die Fristen laufen ab Ab­ schluss die­ ser Stipulation (ungeachtet des ursprünglichen Zeitpunkts des Kaufabschlus­ses). Die neue, durch die stipula­tio begründete Frist belastet den Verkäufer schwerer, als wenn er von Anfang an die nötige Erklärung oder das Ver­spre­chen gegeben hätte. Hierin liegt eine deutliche Sanktion 33  Siehe z. B. Heinrich Honsell, Quod interest in bonae-fidei-iudicium, München 1969, 69; ders., in: Heinrich Honsell / Theo Mayer-Maly / Walter Selb, Römisches Recht, Berlin 19874, 316 mit Fn. 18. 34  Éva Jakab, Praedicere und cavere beim Marktkauf. Sachmängel im griechi­ schen und römischen Recht, München 1997; Wolfgang Ernst, Neues zur Sachmän­ gelhaftung aufgrund des Ädilenedikts, in: ZRG RA 116 (1999) 208–221. Darstellung der Meinung Ja­kabs auch bei Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht (o. Fn. 1) 255– 256 Rn. 43. 35  Jakab, Praedicere (o. Fn. 34) 249.



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gegen den Ver­ käufer, der dem Edikt der kurulischen Ädi­ len nicht Folge leistet. Jakab illustriert die wichtige Rolle der kurulischen Ädilen für das Marktge­schehen sehr anschaulich mit anderweitigen Beispielen für Markt­ polizei aus dem Mittelmeerraum. Die Gerichtsbarkeit / Rechtsprechung der kurulischen Ädilen im Rahmen ihrer Marktaufsicht ist unabhängig von derjenigen des Prä­tors. Die kurulischen Ädilen haben eine eigene Kompe­ tenz, Prozesse we­gen Sach­mängeln durchzuführen. Aber weil ihre Gerichts­ barkeit eigentlich keine Grundlage im alten ius civile hatte, musste der Anspruch des Käufers mit einer spe­ziellen prozessualen stipulatio begründet werden. Diese Meinung biete auch da­für eine Erklärung, warum gelegent­ lich die stipulationes aedili­ciae zu den sti­pulationes praetoriae gerechnet werden,36 was bislang kaum verständlich war. Freilich geht das Erfordernis einer Stipulation vor den Ädilen nur indirekt (non caveat) aus D. 21,1,28 hervor.37 c) Musterregelung für den Markt? Auch nach B. Kupisch38 bedeutet pollicentur in D. 21,1,28 „(einseitig) verhei­ßen“ und Subjekt hierzu sind die Ädilen. Kupisch betont, dass die Par­ teien in ihren Vereinbarungen von dem Edikt der kurulischen Ädilen abwei­chen kön­nen. Der Verkäufer ist nicht zur Abgabe von Erklärung oder Verspre­chen ge­zwun­gen, vielmehr ist die Übernahme der Gewährleistung freiwillig. Hier­nach kann der Käufer aufgrund des Edikts der Ädilen nur klagen, wenn die Parteien keine abweichende Vereinbarung getroffen haben und tat­sächlich ein Mangel vorliegt. Kupisch stützt sich hierbei vor allem auf eine Erläuterung des Ante­ cessor Ste­ phanus,39 die als Scholion zu 36  Siehe z.  B. Inst. Iust. 3,18 pr.: stipulationum aliae iudiciales sunt, aliae p r a e t o ­r i a e , aliae conventionales, aliae communes tam praetoriae quam iudiciales. (2) Prae­to­riae, quae a mero praetoris officio proficiscuntur, veluti damni infecti uel legatorum. prae­torias autem stipulationes sic exaudiri oportet, ut in his contineantur etiam a e d i l i ­ c i a e : nam et hae ab iurisdictione veniunt. Siehe auch D. 45,1,5 pr. (Pomp. 26 Sab.). 37  Zur Kritik an der Beweisführung von Jakab s. Kupisch, Römische Sachmängelhaf­ tung (o. Fn. 32) 28–33; hierzu dann die Replik von Éva Jakab, Cavere und Haftung für Sachmängel. Zehn Argumente gegen Berthold Kupisch, in: Éva Jakab / Wolfgang Ernst (Hrsg.), Kaufen nach Römischem Recht, Berlin 2008, 123–137. 38  Kupisch, Römische Sachmängelhaftung (o. Fn.  32) 21–54, Kaser / Knütel, Römi­sches Privatrecht (o. Fn. 1) 215–217. 39  Zu Stephanos s. nur Pieler, Byzantinische Rechtsliteratur (o. Fn. 28) 421–422 so­wie zuletzt Hylkje De Jong, Stephanus en zijn Digestenonderwijs, Den Haag 2008; hierzu die Rezension von F. Brandsma, ZRG RA 131 (2014) 520–525.

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Bas. 18,6,2 (D. 15,2,2), also in einem in sachlich anderem Kontext,40 erhal­ ten ist: Schol. ad Bas. 18,6,2, BS 1148,28–1149,7 Wenn jemand einen Sklaven verkauft, der ’E£n tiv o„kšthn pwl»s6 krup­ einen versteckten Mangel hat, steht dem tÕn œconta p£qov, ¡rmÒttei tù Käufer die ädilizische Wan­ delungsklage ºgorakÒti ¹ aedilicia redhib­ it­ o­r…a oder die Minderungs­ klage auf den Betrag quanti minoris, e„v Óson zu, um den der Käufer den Sklaven weni­ger ¼ttonov ¨n tÕn o„kšthn ºgÒ­ ra­ gekauft hätte, wenn er den Mangel gekannt sen, e„ d’ ¨n œgnw tÕ p£­ qov Ð hätte. Und die Wandelungsklage wird nur ¢go­rast»v. ’All’ ¹ m7n þedni­ bi­ innerhalb von sechs Monaten er­ hoben, die tor…a ™ntÕv v´. kaˆ mÒnwn ki­ne‹­ Minderungsklage innerhalb eines annus utitai mhnîn, ¹ d7 kou£nti mi­ nÒriv ™ntÕv ™niautoà oÙti­ l…ou, œnqa lis, dann selbstver­ ständlich nur, wenn der dhlonÒti ™pˆ to‹v tÁv a™di­lik…av Verkäufer gegenüber dem Käufer für die kefala…oiv Ð pr£­ thv tÕn Be­ stimmungen der ädilizi­ schen Klage Ge­ ¢gorast¾n ºsfa­l…­sa­to. E„ g¦r währ übernommen hat. Wenn er keine Ge­ m¾ ºsfa­ l…­ sa­ to aÙtÒn, tÒte ¹ währ übernommen hat, dann wird die Wan­ m7n þednibitor…a ™ntÕv dÚo kaˆ delungsklage innerhalb von nur zwei Mo­ mÒnwn kine‹tai mhnîn, ¹ d7 naten erhoben, die Min­ derungsklage in­ kou£nti mi­ nÒriv ™n­ tÕv v´. mhnîn, nerhalb von sechs Mona­ten, wie Gaius im æv Ð G£2ov ™n tù kh´. dig. toà 28. digestum des ge­nannten Buches und Ti­ e„rhmšnou bib. kaˆ tit. tîn ’An­ tels der libri sin­gulares Antipapiniani ti­papianoà mo­no­bib. toàtÒ fhsi. (D. 21,1,28) sagt. Dies aber nimm an für Toàto d7 aÙtÕ nÒhson, œnqa m¾ den Fall, dass der Verkäufer den Sklaven ¡plîv kaˆ ¢napodÒt0 pr£sei nicht „einfach“ und ohne Rückgaberecht tÕn o„­ kš­ thn Ð pr£thv ™pèlhse. verkauft hat. Gegen den Verkäufer, der „ein­ ’Epˆ g¦r tù ¡plîv kaˆ ¢n­ apo­ fach“ und ohne Rückgabrecht verkauft hat, dÒ­ t0 pr£t6 oÙ cèra tÍ findet die ädilizische Klage keine An­ wen­ a™dili­ k…*, æv Ð PapianÕv ™n tù dung, wie Pa­ pinianus im 48. di­ge­stum in mh´. dig. toà aÙtoà bib. kaˆ tit. dem­ selben Buch und Titel (D. 21,1,48,8) fh­s…n.41 sagt.

Stephanus schildert drei Konstellationen für den Fall, dass der Käufer nach Abschluss des Kaufvertrags einen verborgenen Mangel findet. 41

handelt von der actio de peculio annalis. lateinische Übersetzung bietet Karl Eduard Zachariae von Lingenthal, Sup­plementum editionis Basilicorum Heimbachianae, Leipzig 1848, 238: „Si quis ser­vum vendiderit, qui vitium latens habeat, emtori competit actio aedilicia redhibi­ toria, vel quan­ti minoris servum emisset emtor, si vitium cognitum habuisset. Et redhibitoria quidem duntaxat intra sex menses agitur, quanto minoris autem intra annum utilem, si nimirum venditor emtori caverit de his, quae edicto aedilium con­ tinentur: etenim si ei non caverit, redhibitoria duntaxat intra duos menses, quanti minoris intra VI menses agitur, ut Gaius dig. 28 dicti lib. et tit. librorum singularium Antipapiniani (D. 21,1,28) dicit. Sed hoc sic accipe, si non simpliciter et ita, ne restitutio fieret, venditor servum vendiderit: nam adversus eum, qui simpliciter et ita, ne restitutio fiat, vendit, aediliciae actioni non est locus, ut Papinianus dicit dig. 48 eiusdem lib. et tit. (D. 21,1,48,8).“ 40  D. 15,2 41  Eine

Zur Normstruktur des Edictum aedilium curulium473



(1) Hat der Verkäufer die im Edikt der kurulischen Ädilen vorgesehene Ge­währ übernommen, dann kann der Käufer innerhalb von sechs Monaten auf Wandelung und innerhalb eines Jahres auf Minderung klagen. (2)  Hat der Verkäufer keine Gewähr übernommen, dann stehen dem Käu­ fer für die Klage auf Wandelung zwei Monate, für diejenige auf Minderung sechs Monate zur Verfügung. (3)  Handelt es sich um eine simplaria venditio ohne Rückgaberecht, dann schei­den Rechtsbehelfe des Käufers aus. Für den zweiten Fall (D. 21,1,28) geht Stephanus nicht davon aus, dass zu­ sätz­lich noch eine Stipulation nötig ist. Ein Mangel muss freilich vorliegen. Der dritte Fall entspricht D. 21,1,48,8 (Pomp.42 23 Sab.).43 Bei der venditio simplaria handelt es sich um einen Kauf mit sehr geringem Kaufpreis. Das Edikt der kurulischen Ädilen ist nach Kupisch nur eine Musterrege­ lung für Marktkäufe, die die Ädilen zur Verfügung stellen, um das Gleich­ gewicht der Leistungen zu erhalten, wie es in den drei soeben geschilderten Konstella­tionen zum Ausdruck kommt. Es gibt aber weder eine Pflicht des Verkäufers, eine Gewährleistung zu übernehmen, noch einen Zwang oder Sanktionen seitens der Ädilen für den Fall, dass eine solche Gewährleis­ tungsübernahme unterbleibt. Auch bei D. 21,1,28 liegt nach Kupisch der Grund für die Verkürzung der Klage­fristen gegenüber dem Regelfall darin, dass das Gleichgewicht der Leis­tun­gen erhalten bleiben soll.44 Wenn der Verkäufer einen Sklaven ohne Über­nahme der Gewährleistung verkauft, wird dessen Preis geringer sein. Dies recht­fertigt dann eine kürzere Frist für die Gewährleistungsrechte. Der Ver­käufer kann daher, wenn er billig verkauft, ein dictum oder promissum ver­weigern. Nach dieser Meinung liegt den Gewährleistungsfristen einheitlich das Prin­zip vom Gleichgewicht der Leistungen zugrunde. Dieser in sich schlüs­ sigen Kon­zep­tion schlossen sich auch andere Autoren an.45 Die Auffassung von Kupisch stützt sich in erster Linie auf das oben geschil­ derte Scholion des Stephanus zu Bas. 18,6,2. Freilich stammt das 42  Das

Scholion nennt unrichtig Papinian als Verfasser der Stelle. (Pomp. 23 Sab.): Simplariarum venditionum causa ne sit redhibitio, in usu est. 44  Kupisch macht folgende Gegenüberstellung: Garantiestipulation, höherer Preis, län­gere Gewährleistungsfristen – keine Garantiestipulation, niedrigerer Preis, kürzere Ge­währleistungsfristen. 45  Kupisch folgen Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht (o. Fn. 1) 215–217. 43  D. 21,1,48,8

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Scholion aus dem Rechtsunterricht, es kann auch nur das persönliche Ver­ ständnis des Ste­phanus von der Stelle widerspiegeln.46 d) Eigene Stellungnahme Die erste geschilderte Meinung, nach der D. 21,1,28 keinen Mangel voraus­setzt, dürfte nicht haltbar sein. Die zweite Auffassung hat die Schwie­ rigkeit, in die Stelle verschiedene Voraussetzungen hineinlesen zu müssen, die aus ihr selbst nicht hervorgehen. Die dritte Meinung bietet ein in sich schlüssiges Bild, hat freilich mit einem Scholion des Stephanus nur eine schwache, zudem an­zweifelbare Quellenbasis. Wegen ihrer Stimmigkeit soll diese Auffassung hier dennoch zugrunde gelegt werden. IV. D. 21,1,14,9 und D. 21,1,28 Im Fall von D. 21,1,14,9 nimmt der Käufer den Verkäufer mit der allgemei­nen Klage aus dem Edikt der kurulischen Ädilen in Anspruch. Der Verkäufer schloss die Gewähr für eine bestimmte Krankheit, etwa für Schwindsucht, aus, im Übrigen übernahm er die Gewährleistung für die Gesundheit des Sklaven. Der Käufer behauptet einen Mangel, der offenbar mit der Krankheit zusam­menhängt. Auch für D. 21,1,28 ist, wie gezeigt, davon auszugehen, dass ein Mangel vorliegt. Man könnte überlegen, ob dann auch im Falle von D. 21,1,14,9 die Wande­lungsklage nur binnen zweier Monate möglich ist, wie dies D. 21,1,28 vor­sieht. Doch ist wohl der entscheidende Unterschied, dass in D. 21,1,14,9 ge­ rade die Gewähr für einen bestimmten Mangel ausgeschlossen wurde, wäh­rend der Ver­käufer ansonsten für die Gesundheit des Sklaven einstehen wollte (de cetero sa­num esse dixerit aut promiserit). In D. 21,1,28 hat der Verkäufer gar keine Er­ klärung über die Gewährleistung abgegeben, d. h. diese weder übernommen noch ganz oder teilweise ausgeschlossen. Daher dürfte der Fall von D. 21,1,14,9 im Hinblick auf die Gewährleistungsfristen dem Normalfall zuzu­rech­nen sein, d. h., die Frist für die Wandelungsklage würde sechs Mo­nate be­tragen. V. Schlussbetrachtung Nach D. 21,1,14,9 können die Parteien die Sachmängelhaftung partiell (und dann wohl auch generell) ausschließen. Dies hat zur Folge, dass der Käufer we­ gen des fraglichen Mangels den Verkäufer nicht mehr in An­ 46  Siehe

dazu ausführlich Jakab, Cavere und Haftung (o. Fn. 37) 130.



Zur Normstruktur des Edictum aedilium curulium475

spruch nehmen kann. Der Verzicht auf die Gewährleistungsrechte ist eine selbständige Ent­schei­dung des Käufers, der hierfür die Verantwortung über­ nimmt. (1) Das Edikt der kurulischen Ädilen befiehlt dem Verkäufer, bestimmte Eigen­schaften des Sklaven anzuzeigen und dicta oder promissa abzugeben. Die Anordnungen des Edikts haben keine zwingende Wirkung; der Verkäu­ fer kann den Abschluss entsprechender Stipulationen auch verweigern. Das Edikt der ku­rulischen Ädilen konnte für diese Vorgehensweise nur ein Mus­ ter zur Verfü­gung stellen. Der Käufer verlangt zuerst vom Verkäufer eine Erklärung oder ein Verspre­chen über das Fehlen der im Edikt der kurulischen Ädilen erwähnten Mängel (z. B. die Inexistenz einer Schwindsucht des Sklaven). So kann er sich die Kla­ge nach dem Edikt der kurulischen Ädilen sichern. Gibt der Käufer das Ver­spre­chen in Stipulationsform ab, dann kann der Käufer da­ neben auch aus der Sti­pulation vor dem Prätor klagen.47 In Rom kann die stipulatio auch gleich­ zei­ tig mit einem Konsensualvertrag abgeschlossen werden.48 Wenn entgegen der Erklä­ rung bzw. dem Versprechen des Ver­ käufers ein Mangel vorliegt, dann kann der Käufer vor den kurulischen Ädilen innerhalb von sechs Monaten auf Wandelung und innerhalb von ei­ nem Jahr auf Minderung klagen. Zudem steht ihm die allgemeine Kaufkla­ ge (actio empti) zur Verfü­gung.49 (2) Wenn der Verkäufer eine Erklärung oder ein Versprechen verweigert, kann der Käufer selbst das Risiko des Geschäfts erkennen. Er kann vom Ab­ schluss eines Kaufvertrages absehen, um eventuelle Betrügereien des Verkäu­fers zu vermeiden. Er kann aber auch über den Kaufpreis und die Vertrags­bedingun­gen mit dem Verkäufer50 verhandeln. Obwohl der Käufer seitens des Verkäufers keine Erklärung bzw. kein Versprechen erhält, hat er zumindest das Recht, mit verkürzter Frist die Klage der kurulischen Ädilen 47  Siehe nur D. 21,1,19,2 (Ulp. 1 ed. aed. cur.): Dictum a promisso sic discernitur: dic­tum accipimus, quod verbo tenus pronuntiatum est nudoque sermone finitur: pro­missum autem potest referri et ad nudam promissionem sive pollicitationem vel ad sponsum. se­cundum quod incipietis, qui de huiusmodi causa stipulanti spopondit, et ex sti­pulatu pos­se conveniri et redhibitoriis actionibus: non novum, nam et qui ex empto potest con­veniri, idem etiam redhibitoriis actionibus conveniri potest. 48  So erfolgt z. B. bei Varro, De re rust. 2,2,5–6 die stipulatio gleichzeitig mit dem Kauf­ vertrag über ein Schaf. An weiteren Beispielen s. nur für die societas D. 17,2,71 pr. (Paul. 3 epit. Alf. dig.), für die emptio D. 18,1,39,1 (Iul. 15 dig.), D. 18,7,7 (Pa­pin. 10 quaest.) usw. 49  Siehe die vorangehende Fußnote. 50  Wenn der Sklave besondere Fähigkeiten besitzt, z.  B. ein guter Maler ist, könnte der Preis trotzdem hoch sein, obwohl er vielleicht Krankheiten aufweist.

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(zwei Monate für die Wandelung; sechs Monate für das quanti eius intersit) geltend zu ma­chen, wenn er einen verborgenen Mangel findet. Der Grund für die Verkür­ zung der Klagefrist dürfte im Prinzip der Erhaltung des Gleichgewichs von Leistung und Gegenleistung liegen (s. oben). Wenn der Käufer den Kaufver­trag ohne Ge­währ­leistungsvereinbarung abschließt, gibt er den Schutz, den diese bietet, auf und akzeptiert einen schwächeren Rechtsschutz, der sich nur auf die Klage aus dem Edikt der Ädilen stützt. (3) Wenn der Verkäufer seine Inanspruchnahme wegen Gewährleistung aus­schließen oder beschränken will, kann er versuchen, einen partiellen (für be­stimmte Mängel) oder generellen Gewährleistungsausschluss durchzuset­ zen. Dann begibt sich der Käufer auch des Schutzes durch die Klage aus dem Edikt der kurulischen Ädilen. Da es sich bei dem Haftungsausschluss um eine Ein­rede zugunsten des Verkäufers handelt, hat dieser sie zu bewei­ sen. Der Haf­ tungsaus­ schluss kann seinerseits mit der Gegeneinrede der Arglist entkräftet werden, wenn der Verkäufer die ausgeschlossene Krank­ heit bei Abschluss des Kaufver­trags gekannt hat. Für die Klagefrist dürften hier die allgemeinen Fristen gelten, nicht die verkürzten Fristen von D. 21,1,28 (s. oben S. 468). Das Ziel des Edikts der kurulischen Ädilen, den Käufer vor Betrügereien des Verkäufers zu schützen, ist dementsprechend nach den Parteiinteressen abge­stuft. Die römischen Juristen haben wechselseitige Betrügereien zwi­ schen den Parteien als selbstverständlich erachtet.51 Das Edikt der kuruli­ schen Ädilen hat ver­sucht, dem Markt eine gerechte Ordnung zu bieten, indem es sowohl dem Schutz des Käufers als auch dessen autonomer Ent­ scheidung Rechnung zu tra­gen suchte.

51  Siehe z. B. D. 19,2,22,3 (Paul. 34 ad ed.): … quemadmodum in emendo et ven­dendo na­turaliter concessum est quod pluris sit minoris emere, quod minoris sit pluris ven­dere et ita invicem se circumscribere, ita in locationibus quoque et conductionibus iuris est; D. 4,4,16,4 (Ulp. 11 ad ed.): idem Pomponius ait in pretio emptionis et ven­ditionis na­tu­ra­liter licere contrahentibus se circumvenire.

The Burden on the Share of Common Property after Dividing Common Property By Shiro Yanata I. Introduction It is said to be a Roman rule that the burden which one of the co-owners cre­ates on his share still re­mains over the whole property after iudicium com­muni di­vidundo. This rule is pronounced by Gaius in D. 20,6,7,4 Gai. l. s. ad form. hypoth. D. 20,6,7,4 Gai. l. s. ad form. hypoth. Illud tenendum est, si quis com­ munis rei partem pro indiviso de­ derit hypothe­ cae, divisione facta cum socio non utique eam partem creditori obli­gatam esse, quae ei ob­ tingit qui pignori dedit, sed utrius­ que pars pro indiviso pro par­te di­ midia mane­bit obligata.

It is held that if someone mort­gages an un­ divided share of common property and the property is divided among the co-own­ ers, the mortgage ex­ tends not to the sepa­ rate share of the mort­gagor but to an undi­vided half share of the whole.1

If one of the two co-owners pledged his undivided share, this would burden both parts of the di­vided property to the extent of half after the division. Ne­vertheless, this rule is challenged in modern legislation.2 1

According to the Roman rule, the divided piece of land belonging to the for­ mer co-owner, who has nothing to do with the pledge itself, will be under the pledge on the undivided share of half. Does this result cause no trouble in An­ cient Rome? Are Roman jurists really consistent? Actually, 1  Translated by Alan Watson, The Digest of Justinian. Translation edited by Alan Wat­son. Rev. English lan­guage ed., 1998. 2  In France, the articles of Code civile about this issue (especially art. 2414) have been revised in 2006. In Japan, this topic is rarely discussed. The Supreme Court judged this matter only one time in 1942, which judgment is main­tained up to today (OGH S17.4.24 MINSHU21–8–447). Cf. Shiro Yanata, Kyouyubutsu bunkatsugo no motsibun­jou no teitoken (Hypothèque inscrite sur les parts indivises après partage en nature), Kyu­daihou­gaku 94 (2007 / 2) 117–162. In Germany, BGB §§ 1066 and 1258 treat this issue. The interpretation of these articles has been changed by BGHZ 52, 99. The matter in modern jurisdictions will be treated on another occasion.

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Trebatius is re­ported to have stated a contrary response to the case about ususfructus on the undivided share in D. 33,2,31 Lab. 2 post. a Iav. epit. However, the other ju­rists did not follow the theory of Trebatius, as also can be seen in the sharp criticism by “ego” in the same text. This article is an exegetic analysis of D. 33,2,31 Lab. 2 post. a Iav. epit. in which the response of Tre­batius is reported. We will also analyze texts from the Di­gesta and Codex in which the Roman jurists tackle the problem deriving from the rule that the burden on the undivided share still remains on the divi­ded piece of land belonging to the former co-owner after the division. II. D. 33,2,31 Lab. 2 post. a Iav. epit. 1. Traditional construction of the text D. 33,2,31 Lab. 2 post. a Iav. epit. Is qui fundum tecum communem habebat usum fructum fundi uxori legaverat: post mortem eius tecum heres arbitrum com­ muni divi­dundo petierat. Blaesus ait Tre­batium res­ pondisse, si arbiter cer­tis re­gionibus fundum divisis­set, eius partis, quae tibi optigerit, usum fructum mulieri nulla ex parte deberi, sed eius, quod he­redi optigisset, totius usum fruc­ tum eam habituram. ego hoc falsum pu­to: nam cum ante arbitrum com­ muni dividundo con­ iunctus pro in­ diviso ex parte dimidia to­tius fundi usus fructus mulieris fuisset, non potuisse arbitrum in­ ter alios iudi­ cando alterius ius mu­ tare: quod et recep­tum est. 3

A man who shared the ownership of a farm with you had legated the usufruct of the farm to his wife; after his death the heir had applied for an arbitrator for divid­ ing the common property. Blaesus says Treba­ tius replied that if the arbitrator divided the farm into fixed areas, the usu­ fruct of that part which fell to you is in no cir­ cum­ stances owed to the woman, but she should have the usufruct of the whole of that por­tion which fell to the heir. I think this is false; for since, before the arbitra­ tor’s divi­ sion, the woman had had the conjoined usufruct of a pro indiviso half share of the whole farm, the arbitrator had no power in decid­ing be­ tween other parties to change the rights of a third. This has been ac­cepted.3

The case described in this text is as follows.

1. Maritus bequeathed to uxor (U) ususfructus of a parcel of land which he owned in common with another (A).4 by A. Watson (above nt. 1). can be created with reference to an undivided share of land (D. 7,1,5 Pap. 7 quaest.). Our text does not state what form of legacy was used. But it is inter­preted to be a legacy per vindicationem, which is consistent with the rea­ soning of “ego” and the question which arose when B sought a division of the land by an actio communi dividundo and the arbiter made a division of the common 3  Translated

4  Ususfructus



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2. After maritus’s death, heres (B) sought a division of the common pro­ p­erty. 3. Arbiter divided the common land into certae regiones. 4. Question: Does U now have ususfructus of the part of the land as­ signed to B or does she still have ususfructus of the whole land to the extent of a half? 5. Trebatius responded that U now has ususfructus of the part assigned to B. The part assigned to A, on the other hand, does not bare ususfructus at all. 6. “Ego” objected to Trebatius by stating “hoc falsum puto”. 7. “Ego” thinks that U has ususfructus of the whole land to the extent of a half. The case “is qui fundum tecum communem habebat usum fructum fundi uxori legaverat: post mortem eius te­cum heres arbitrum communi dividundo petierat” originates probably from Labeo, epitomized by Iavolenus. Then, Labeo quotes “Blaesus”, who reports the response of Trebatius by stating “Blae­sus ait Tre­batium re­spondisse …” Against this opinion of Trebatius, La­ beo expresses his opposition arguing that the arbitra­ tor cannot change some­body else’s right. Iavolenus supports this last opinion of Labeo with a short com­ment “quod et receptum est”. 2. “Ego”s opposition to Trebatius This text clearly indicates a conflict of opinions between Trebatius and “ego”. There are some views to explain the basis of this disagreement, un­ der­standing “ego” as Labeo. Marrone explained that Tre­batius was dealing with a case under the legis actio system and Labeo argued with reference to the for­mulary system.5 Some other studies attributed it to the difference in their respec­tive conception of ususfructus.6 Gordon, having rejected all possibili­ties, pro­posed to reduce the conflict to a construction of the legacy.7 property into sepa­rate parts. Cf. Pampaloni, Il concetto classico dell’usufrutto BIDR 22 (1910) 109–154, 114. 5  Matteo Marrone, L’efficacia pregiudiziale della sentenza nel processo civile ro­ ma­no, Palermo 1955, 94 f. 6  Mario Bretone, La nozione romana di usufrutto I: Dalle origini a Diocleziano, Na­poli, 1962, c. II, § 8; Chri­stiane Kohlhaas, Die Überlieferung der libri posteriores des Antistius Labeo, Pfaffenweiler 1986, 74. 7  “The situation is that a co-owner has left a usufruct of ‘the field’ which he holds in co-ownership. It does not appear that he specifically left a usufruct of his share of the field. It is then clear that if the legacy was per vindicationem and the

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Nevertheless, it might perhaps be possible to explain the basis of conflict with­out referring to the legis actio system and the formulary system or the con­ceptions of ususfructus. When the owner of a parcel of land gives ususfructus to another, the owner himself has ownership of it without usus and fructus which is called nuda proprie­tas.8 The reason why Trebatius came to a con­clusion that U has usus­fruc­tus of the part assigned to B and the part assigned to A does not owe usus­fruc­tus at all after the division might perhaps be as follows. When one of two co-owners gives ususfruc­tus to another, he himself has nuda proprietas of the half share, and the usufructuary has usus­fructus on that share. In our case, be­fore iudicium communi dividundo U had ususfructus on a half share of the whole land which is described as “pro indiviso ex parte dimidia totius fundi”. B had only nuda proprietas pro indiviso ex parte dimidia totius fundi before iudi­cium communi dividundo. After iudicium communi dividundo, B has nuda pro­prie­tas of a parcel of land as­ signed to B and A has entire proprietas on a par­cel of land assigned to A. Therefore U has ususfructus on the parcel of B entirely. This idea seems to be convincing and practical.9 “Ego”, however, sharply criticizes Trebatius by saying “ego hoc falsum puto”, because “non potuisse arbitrum inter alios iudicando alterius ius mu­tare”, namely, the arbitrator has no power to change the right of the third party which is not concerned with the iudicium. This opinion may be estima­ted to be theoretical, and was followed by later Roman jurists. legatee claims a usufruct in the field without any restriction her claim should fail. Her claim should be so for­mulated as to restrict it to the share which the testator held – at least where the other co-owner is concerned. It does not, therefore, seem unreasonable to suggest that Tre­batius took the broad, and from the point of view of the other co-owner – and, pos­sibly, from the point of view of the usufructuary also – very practical view that the share which the testator held after the division must be taken to mean the divided share. The change or apparent change in the object of the usufructuary’s right could perhaps be justified by the view attested in relation to the ius accrescendi in usufruct – usus fructus cottidie constituitur et legatur, non, ut proprie­tas, eo solo tempore quo vindicatur. La­beo, however, perhaps because he sees the prejudice which Tre­batius’s decision could cause to the usufruc­ tuary whose interest would not have come into consideration in mak­ing the division or, perhaps, simply because he takes a stricter view of the effect to be given to the testator’s will, points out that the division could not have altered the right given and gives the usufructuary a right in what the testator held at his death.” And he adds “to reduce a text to a question of construction is not the most satisfactory or satisfy­ ing of explanations but even a modest and practical expla­nation may deserve con­ sideration when the text itself is silent.”; W. M. Gordon, D. 33,2,31 – usufruct and common property, Studi in onore di G. Grosso IV (1971) 305–313, 312 f. 8  Gai. 2,30. 9  This result is consistent with the current construction of BGB § 1066 III.



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3. Who is “ego”? Our text has been constructed to indicate a conflict of opinions between Tre­ batius and his pupil La­ beo by interpreting “ego” as Labeo. But this inter­preta­tion will lead to an unpleasant conclusion that Labeo was disa­ greeing with, or even criticizing his own master intensely. If the passage “ego hoc fal­sum puto” can be understood to be written by Iavolenus, not by Labeo, such a con­clusion could be avoided. Indeed, the expression “falsum puto” is never used by Labeo in the texts of the Digesta.10 We might have to realize the un­soundness of the inter­pretation that Labeo’s only use of “falsum puto” is brought about to ac­cuse his own respected master. On the other hand, Iavolenus uses the expression “falsum puto” twice11, and “falsum est” once12 op­posing Labeo’s opinion in his “libri ex posterioribus Labeonis” recorded in the Digesta. When we take it into considera­ tion that our text was quoted from Labeo’s “libri posteriorum a Iavoleno epitomato­rum”, the last part, starting from “ego hoc falsum puto”, could perhaps be taken as a com­ment by Iavole­nus. “Ego” could perhaps be not Labeo but Iavolenus.13 Let us now take a look at the traditional construction of the text. The first part “Is qui fundum tecum communem habebat usum fructum fundi uxori le­gaverat: post mortem eius tecum heres arbitrum com­muni dividundo petierat” in­dicates the case by Labeo, perhaps epitomized by Iavolenus. Then, Labeo quotes “Blaesus”, who reports the response of Trebatius by stating “Blaesus ait Trebatium respondisse …” Against this opinion of Trebatius, Labeo expresses his opposition arguing that the arbitra­ tor cannot change somebody else’s right. Iavolenus supports this last opinion of Labeo with a short comment “quod et receptum est.” Interpreting “ego” as being Iavolenus, on the other hand, our text is to be con­structed as follows. The first part was from Labeo as epitomized by Iavole­nus. Then, the reply of Trebatius is reported by Labeo as the com­ 10  Checking all the texts which are taken to have been written by Labeo according to Lenel’s Palingenesia. 11  D. 29,2,60 Iav. 1 ex post. Lab.; D. 47,10,44 Iav. 9 ex post. Lab. 12  D. 23,3,80 Iav. 6 ex post. Lab. 13  Santi Di Paola says: “Questo frammento, che non offre il fianco ad altri rilievi, fa tuttavia abbastanza chiara­mente presumere che non sia in esso Labeone, sibbene Gia­voleno a parlare. Ed invero, è assai difficil­mente pensabile che Labeone, discepolo di Trebazio, abbia fatto ricorso, per riferire un’opinione di lui, ad una attestazione di altro giu­rista. La falsificazione non è consistita in alcuna alterazione testuale, ma nella traspo­ si­ zione del brano nei Labeonis libri, e quindi nella at­ tribuzione implicita della paternità di esso a Labeone.” (Santi di Paola, L’opera di Giavoleno Prisco sui “libri posteriores”, Bull. 49 / 50 (1947) 277–331, 312).

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ment of Blae­sus. The jurist accusing Trebatius in the next part is Iavole­ nus. Moreover, “Blaesus” might perhaps be able to be understood not as a name of jurist who reports La­beo’s response, but as Labeo’s way of speak­ ing. Gram­mati­cally, the word “blaesus” could be under­stood as an adjective which modi­ fies the subject of ait. This interpretation would benefit the construc­tion that the subject of ait is Labeo, according to which “(Labeo) blaesus ait Tre­batium re­spondisse” should be read as “Labeo says hesita­ tively (stamme­ringly) that Tre­batius responded that …”.14 Whether interpreting “blaesus” as a jurist’s name or an adjective, who quo­ ted the response of Tre­ batius is Labeo and who criticizes Trebatius could per­haps be interpreted as Iavolenus. This interpreta­tion would, there­ fore, lead to a con­clusion that Labeo was not against Trebatius. Against this construction, it might be argued that it is rather peculiar that an author who comments “quod et receptum est” notes “falsum puto” in the same text. Nevertheless, the assumption that both statements derive from the same writer could also be challenged, as “quod et receptum est” might be a com­ment not by Iavolenus but by the compilers of the Digesta.15 On the other hand, the authorship of such a comment could theoretically be attributed even to any jurists after Iavolenus until the compilation of the Digesta.16

14  “Blaesus” has been understood to be a person’s name (e. g. Marrone, above nt. 5; Bretone, above nt. 6; Gordon, above nt. 7; Kohlhaas, above nt. 6). According to Lenel’s Palingenesia, a person named Blaesus appears only once in the Digesta, i. e. here, though the family name of “Blaesus” is found in ancient Rome (W. Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der Römischen Juristen, 2. Aufl. Graz / Wien / Köln 1967, 115). 15  Pernice says: “Diese (= quod et receptum est) gehören entweder dem Javolen als eine kurze zustimmende Bemerkung oder den Compilatoren”, Alfred Pernice, Marcus Antistius Labeo I, Halle 1873, 72 nt. 18a. Santi di Paola (above nt. 13, 312) thinks that the sentence was Iavolenus’s com­ ment or in­serted by the compil­ers of the Digesta: “La chiusa, quod et receptum est, non è stata forse scritta da Giavoleno, nè, forse, può credersi che l’abbiano scritta i compila­ tori. Ma, una volta ammesso ciò, rimane la possibilità che essa sia stata aggiunta in epoca post­classica-pregiustinianea.” Kohlhaas (above nt. 6, 75) has the opinion that „die Anmerkung von Javolen stammt“. 16  Iavolenus uses the expression “receptum est” only once in the Digesta in this very text. By the way, for example, Paulus uses the expression “receptum est” in D. 1,3,14 Paul. 54 ad ed.; D. 1,5,12 Paul. 19 resp.; D. 5,1,12,2 Paul. 17 ad ed.; D. 8,4,18 Paul. 1 manu­al.; D. 17,1,22,5 Paul. 32 ad ed.; D. 19,4,1,2 Paul. 32 ad ed.; D. 21,2,56,7



The Burden on the Share of Common Property after Dividing483

The decision of Trebatius that the widow (U) has usufruct only on the part as­signed to the heir (B) may be practical. “Ego” who criticized Treba­ tius say­ing “hoc falsum puto” should be interpreted as to be Iavolenus, not Labeo. Iavole­nus says that the arbitrator has no power to change the right of the third party which has no concern with the iudicium. This opinion of Iavolenus was followed by later jurists and became pre­ vail­ing. However, this might not have been the case before him, since La­ beo does not necessarily oppose the opinion of Trebatius. III. Development of legal arguments 1. Opinion of Iavolenus as “ego” in D. 33,2,31 Lab. 2 post. a Iav. epit. Why does Iavolenus or “ego” oppose Trebatius in D. 33,2,31 Lab. 2 post. a Iav. epit.? Iavolenus might have come up with the idea of ususfructus held in common by usufructuaries. His pupil Iulianus, says when a contro­versy occurs be­tween usufructuaries, “aequissimum esse quasi communi dividundo iudicium dari vel stipulatione inter se eos cavere” in D. 7,1,13,3 Ulp. 18 ad Sab. It is reported that Celsus as well as Ulpianus ap­proves Iulianus’s view in the same text. This suggests that there was not the same idea before, or at least it was not com­mon. Iavolenus might have thought that when A and B own a parcel of land in com­mon and U has ususfruc­tus on the share of B, ususfructus of this parcel of land is shared by A and U, and nuda proprie­tas of this parcel of Paul. 2 ad ed. aedil. curul. (receptum esse); D. 41,2,1,14 Paul. 54 ad ed.; D. 41,2,32,2 Paul. 15 ad Sab. This sort of evidence is not conclusive but cir­cumstan­tial. There is the same question in D. 18,1,79 Iav. 5 ex post. Lab.; D. 23,5,18,1 Iav. 6 ex post. Lab.; D. 35,1,40,3 Iav. 2 ex post. Lab., in which the comment “hoc iure utimur” or “eo iure utimur” etc. is added at the end of the text. The comment of Proculus “eo­que iure utimur” is distinctly added at the end of the text in D. 29,2,62 pr. Iav. 1 ex post. Lab. For example, Paulus uses the expression “iure utimur” in D. 2,9,2 pr. Paul. 6 ad ed.; D. 2,11,10,1 Paul. 1 ad Plaut.; D. 2,14,27,1 Paul. 3 ad ed.; D. 15,1,47,3 Paul. 4 ad Plaut.; D. 28,2,7 Paul. 1 ad Sab.; D. 28,6,38,3 Paul. l. s. de secundis tabulis; D. 35,1,43 pr. Paul. 8 ad Plaut.; D. 35,1,44,10 Paul. 9 ad Plaut.; D. 35,2,49 pr. Paul. 12 ad Plaut. (Cassii sententia utimur); D. 36,1,41,1 Paul. 20 ad ed.; D. 42,1,21 Paul. 6 ad Plaut.; D. 46,3,86 Paul. 8 ad ed.; D. 47,2,21,9 Paul. 40 ad Sab. (et ita utimur) and so does Ulpianus many times. To construct our text, D. 18,1,79 Iav. 5 ex post. Lab. might serve as a reference, in which ‘ego’ as Iavolenus brings out his opinion against Labeo and Trebatius, and a comment of somebody “eoque iure utimur” is added.

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land is shared by A and B.17 In a iudicium between A and B, the arbiter is able to divide only the nuda proprietas shared between A and B. Therefore U still has ususfructus on both parcels of land pro indiviso ex parte dimidia after the iudicium com­muni dividundo, that is to say, ususfructus is still shared between A and U on both parcels of land, not only the one assigned to A, but also the one as­signed to B.18 B has only nuda proprietas on the parcel assigned to B. Taking Iulianus’s opinion into consideration, the following construction might perhaps be possible; if A wants to solve a problem of ususfructus with U, a quasi communi dividundo iudicium between A and U is to be granted, or by means of stipulation, they should give mutual undertakings as to the way in which they will exercise their respective ususfructus. As I mentioned, it is said to be a Roman rule that the burden, that is to say, pignus or hypotheca as well as ususfructus, which one of the co-owners creates on his share still remains on the whole property after iudicium communi divi­dundo. Above-mentioned Gaius in D. 20,6,7,4 Gai. l. S. ad form. hypoth. also follows Iavolenus’s opinion. The result that the burden of the share remains on the whole land pro indiviso after the division seems to be considered as settled after Iavolenus. The result of this theory will lead to the problem, when one of the co-owners creates the pledge on his share and the dividing common prop­erty takes place, the divided piece of land belong­ ing to the former co-owner, who has nothing to do with the pledge itself, will be under the pledge. That is to say, his divided parcel of land is still under the pledge as well for an un­divided half share. 2. Remedy The following texts have been compared with D. 33,2,31 Lab. 2 post. a Iav. epit. in the studies of the iudicium communi dividundo,19 in which ju­ rists tackle the problem that the burden which one of the co-owners created on his share remains on the whole property pro indiviso ex parte dimidia after divi­ding com­mon property. 17  Pampaloni,

above nt. 4, p. 115. might think that ususfructus cannot be established on the land belonging to the same person who is going to get ususfructus because usus fructus est ius alienis rebus utendi fruendi salva rerum substantia (D. 7,1,1 Paul. 3 ad Vitell.). But this is not the case when property is owned in common or ususfructus of prop­erty is owned in common. The examples appear in D. 7,2,4 Iul. 35 dig.; D. 7,2,9 Afr. 5 quaest.; D. 33,2,19 Mod. l. s. de heuremat.; D. 33,2,26,1 Paul. 10 quaest. 19  Marrone, above nt. 5, p. 355, 366 nt. 689; Bretone, above nt. 6, p. 73 nt. 53; Ger­hard Schlichting, Die Verfügungs­be­schränkung des Verpfänders im klassischen römi­schen Recht, Karlsruhe 1973, 102–110; Kohlhaas, above nt. 6, p. 75 nt. 34. 18  One



The Burden on the Share of Common Property after Dividing485

a) Iulianus The opinion of Iavolenus is followed by his pupil Iulianus whose opinion is reported in D. 10,3,6,8 Ulp. 19 ad ed. Iulianus proposes that while one of the co-owners pledged his undivided share, the pledged share of him should be valued lower in the iudicium communi dividundo. Ulpianus, who quoted Iulia­nus without comment in this text, perhaps might have the same opinion as Iulianus. D. 10,3,6,8 Ulp. 19 ad ed. Si fundus communis nobis sit, sed pignori datus a me, venit quidem in communi dividundo iudicio, sed ius pignoris credi­tori manebit et­iam­si adiudicatus fuerit: nam et si pars socio tradita fuisset, inte­ grum ma­ neret. arbitrum autem communi di­ vidundo hoc minoris partem aesti­ mare debere, quod ex pacto vendere eam rem creditor potest, Iulianus ait.

If we own a common farm, but I have pledged my share, the farm is included in an action for dividing common property, but the creditor’s legal rights over the pledge will be unaffected even if the farm is the subject of an adjudication; for even if the share in question had been handed over to another partner, the creditor’s rights would remain unimpaired. But Julian says that the arbitrator appointed to divide com­mon prop­ erty should reduce the valua­tion of the share in view of the fact that the creditor is able to sell it under the pact.20

A and B owned a parcel of land in common, and B granted B’s share to B’s creditor as a pignus. And then the division of common property takes place, according to which A takes the whole land as a result of adjudicatio, whereas B takes the money valued for B’s share. Iulianus said that the share pledged by one of the co-owners should be valued lower, namely, B should acquire less money than the value of B’s share without being pledged. The difference in value could be the amount of B’s debt. 20

The opinion of Iulianus seems to imply the opinion of his master Iavole­ nus, that the creditor’s right (pignus) would still remain unimpaired after the di­vi­sion. Iulianus’s reason for the lower valuation of the pledged share was that the creditor is still able to sell “eam rem” which should be inter­ preted as “pars pro indiviso pro parte dimidia” (D. 20,6,7,4 Gai. l. s. ad form. hypoth.). The aim of Iulianus’s decision that the share pledged by one of the coow­ners should be estimated lower might be to provide a remedy for the former co-owner, who has nothing to do with the pignus itself and perhaps will lose half the property by the effect of the pignus. But this remedy proposed by Iuli­anus seems to be insufficient, because the creditor is still 20  Translated

by A. Watson (above nt. 1).

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able to sue the debtor who lost his share and got less money by the iudicium com­muni dividundo. b) Papinianus Papinianus proposed another remedy in D. 20,4,3,2 Pap. 11 resp. D. 20,4,3,2 Pap. 11 resp. Post divisionem regionibus factam inter fratres convenit, ut, si frater agri portio­nem pro indiviso pigno­ri datam a creditore suo non libe­ ras­ set, ex divisione quaesitae partis par­ tem dimidiam alter dis­ traheret. pignus intellegi con­ trac­ tum existi­ mavi, sed prio­rem se­cundo non es­se potiorem, quoniam secundum pi­ gnus ad eam partem directum vi­ debatur, quam ultra partem suam frater non consen­ tiente socio non potuit obligare.

Brothers made a division of land into sepa­ rate areas and agreed that if one failed to pay off his creditor, the mortgagee of an undivided portion of the land, the other might sell half the area allotted to the first. I thought that a mortgage was created, but that the first creditor did not have priority over the second, since the second mort­gage pertained to that part which one brother could not bind in excess of his own share without the consent of the other.21 3

While A and B had a parcel of land in common, B gave B’s share to B’s cred­i­tor as pignus. After hav­ing divided the land into two fixed areas, A and B agree that if B does not remove the pignus, A will be able to sell half of the land which belongs to B. 21

This text implies that the pignus still exists on both the parcels of land pro indiviso pro parte dimidia after the division, as we have seen in Gaius’s text. Papinianus states that the agreement implicates a pignus for A who would be insured against an evic­tion for the share which is still pledged after it be­longs to him as a result of division and the pig­nus of B’s credi­tor does not have priority over A’s pignus which has been created on the undivided half share of B’s land which is not pledged to B’s creditor. Papinianus seems to aim at the same result as Trebatius’s response shown in D. 33,2,31 Lab. 2 post. a Iav. epit., that the former co-owner who has been responsi­ble for the burden should solely be burdened after the divi­ sion. And the criticism of Iavolenus in the same text (non potuisse arbitrum inter alios iudi­cando alterius ius mutare) has been evaded in the decision of Papinianus. Though Papinianus’s decision can be said to be another kind of remedy for the former co-owner who has nothing to do with the burden, the decision is made in the case in which both of the co-owners A and B 21  Translated

by A. Watson (above nt. 1).



The Burden on the Share of Common Property after Dividing487

agree that if B does not re­move the pignus, A will be able to sell half of the land which belongs to B. c) Impp. Diocletianus et Maximianus A constitution of the Emperor Diocletianus introduces the remedy by actio praescriptis verbis for cases in which the agreement that Papinianus referred to has not been made. C. 3,38,7 Impp. Diocl. et Maxim. [a. 294] If your brothers have pledged their undi­ Si fratres vestri pro indiviso com­ vided share of a common land without your mune praedium citra vestram vo­lun­ consent, and the land comes into your hands tatem obli­ gaverunt et hoc ad vos in accordance with a pactum divisi­onis, secundum pactum divisionis nulla without any mention having been made of pignoris facta mentione per­ venit, pignus, and the shares which have belonged evictis partibus, quae ante divisio­ to the other co-owners be­ fore the division nem sociorum fuerunt, in quibus and which solely have been pledg­ ed, are obligatio tantum consti­tit, ex stipu­ evicted, you can bring the action against latu, si intercessit, alio­ quin quanti your brothers ex stipulatu when stipulatio interest prae­ scriptis verbis contra was made; other­ wise you can sue for the fratres agere po­testis. nam si fundi value of your interest by actio praescriptis scientes obliga­tionem do­mi­nium verbis; but if you accepted the ownership of susce­pistis, tantum evic­tio­nis pro­ the land being aware of pi­gnus, you can mis­sionem sollemni­tate verborum proceed against your broth­ ers only when uel pacto promissam pro­bantes eos you prove that the guarantee against evic­ con­veni­endi faculta­tem habetis. tion was made by a formal statement, or D. II Non. Dec. Nicomediae CC. prom­ised by pactum. conss.

While A (vos) and B (fratres vestri) owned a parcel of land in common, B pledged B’s undivided share of a plot of land without A’s consent, and the land came into A’s hands in accordance with a pac­tum divisionis, without mention­ing the pledge. Then, the pledged share was evicted. If stipulatio was made, A are able to sue B by actio ex stipulatu, if stipulatio was not made, A are able to sue B by actio praescriptis ver­bis. But if A knew about the pledge and accepted the ownership of the land, A are only able to sue B when A prove stipulatio or pactum for the eviction, of which an example is reported in the above men­tioned text of Papi­nianus (D. 20,4,3,2 Pap. 11 resp.). This constitution seems to provide a further remedy, the actio praescriptis verbis to the innocent co-owner who had nothing to do with the debt. Trebatius’s opinion has not become prevailing as shown in the criticism of Iavolenus. Jurists after Iavolenus think that the burden which one of the co-own­ers has created on his share would still remain on the whole prop­ erty after the division. On the other hand, they continue to provide remedies for the co-owner who has nothing to do with the burden of the share.

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IV. Conclusion From our analysis, especially as a consequence of interpreting “ego” not as Labeo but as Iavolenus in D. 33,2,31 Lab. 2 post. a Iav. epit., we can see a course of development in chronological order. 1. Trebatius decides practically that the widow (U) has usufruct only of the part assigned to the heir (B). 2.  Labeo did not oppose his master Trebatius. 3.  Iavolenus opposed Trebatius theoretically. His opinion is that the bur­ den remains on both par­cels of land pro indiviso to half the share of each, because the arbiter has no power to change the rights of the third party who is not con­cerned with the iudicium. 4. Iulianus further developed the opinion of his master Iavolenus and de­cided that the share of the debtor should be valued at a lower price. 5.  Gaius stated a principle consistent with Iulianus. 6. Papinianus gave another remedy for the other co-owner, as it were, im­plied pignus for the case of evic­tion. 7.  Ulpianus only quoted Iulianus without comment. 8.  The remedy by actio praescriptis verbis is introduced by a constitution of the emperor Dio­cletianus. A chronological analysis of these texts might show a historical develop­ ment of the legal argument related to the iudicium communi dividundo in ancient Rome. We might be able to conclude that the result that the burden of the share remains on the whole land pro indiviso after the division is consid­ered as set­tled at least after Iavolenus. However, this opinion does not seem to have pre­vailed in the early classical period as Labeo does not op­ pose the opinion of Tre­batius. After Iavolenus, on the other hand, Roman jurists continued to pro­vide reme­dies for the co-owner who has nothing to do with the burden of the share.

Studies on Actio in Factum Civilis By Lihong Zhang I. Introduction The expression “actio in factum civilis” is found in only three fragments in the whole Corpus iuris civilis, namely Pap. D. 19,5,1,1, Pap. D. 19,5,1,2 and Paul. D. 19,5,5,2. D. 19,5,1,1 Pap. 8 quaest. Domino mercium in magistrum na­ vis, si sit incertum, utrum na­ vem conduxerit an merces ve­ hen­ das lo­ ca­verit, civilem ac­tionem in fac­tum esse dandam Labeo scribit. D. 19,5,1,2 Pap. 8 quaest. Item si quis pretii explorandi gra­tia rem tradat, neque deposi­tum neque commodatum erit, sed non ex­hi­bi­ta fide in factum civilis sub­icitur actio.

Labeo writes that an actio in factum civilis should be given to the owner of cargo and against ship captain when it is unclear whether he hired the ship or leased out the transporting of cargo [as a job].1

1

D. 19,5,5,2 Paul. 5 quaest. At cum do ut facias, si tale sit fac­ tum, quod locari solet, puta ut tabu­ lam pingas, pecunia data lo­ ca­ tio erit, sicut superiore casu emp­tio: si rem do, non erit locatio, sed nas­ cetur vel civilis actio in hoc quod mea interest vel ad re­ pe­ ten­ dum condictio. Quod si tale est fac­tum, quod locari non possit, pu­ta ut ser­ vum manumit­tas, sive cer­tum tem­ pus adiectum est, intra quod manu­ mittatur idque, cum po­tuisset manu­ mitti, vivo servo trans­ierit, sive fini-

Likewise, if a man hands over his property to get an esitmate of its price, neither a de­ posit nor commodatum will result. But if the other party acts dishonestly, an actio in factum civilis civilis is substituted. But when I give in order that you do, if the act is a kind such as normally leased out, for example, that you paint a picture, there will be lease if money is given, just like the sale in the case above; while if I give an object, there will be no lease, but what will arise is either an actio civilis for my interest or a condictio to reclaim [the object]. But if the action is such that it cannot be leased out, for example, that you manumit a slave, a condictio for it [the object given] or an actio praescriptis ver­ bis can lie if a fixed time limit for manumis­ sion was attached

1  I adopt and cite, when possible, the translation in English of Corpus Juris Civilis, made by ed. A. Watson, The Digest of Justinian (English translation), Philadephia 19851.

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tum non fuit et tan­ tum temporis con­sumptum sit, ut potuerit debue­ ritque manumitti, condici ei potest vel praescriptis ver­bis agi: quod his quae diximus convenit. Sed si dedi tibi servum, ut servum tuum manu­ mitteres, et manumisisti et is quem dedi evic­tus est, si sciens dedi, de dolo in me dandam ac­tionem Iulia­ nus scri­ bit, si igno­ rans, in factum ci­vi­lem.

and this has expired while the slave lived, and so manu­mission would have been pos­ sible; and likewise, if it [the time limit] was undefined but so much time has passed that manumission can and should occur. This corresponds to what I said above. But if I gave you a slave in order that you man­u­mit your slave, and you did manumit him but then through eviction you lost the slave I gave you, Julian writes that if I gave him knowingly, an action on fraud should be granted against me, and if un­knowingly, an actio in factum civilis.

The actio in factum is considered a procedural means adopted by praetors from time to time to defend a legal situation worthy of being protected equo et bono, where a subjective right recognized by ius civile (more exactly by an actio civilis) cannot be found. Through the application of actiones in factum, the jurisdictional magistrates, chiefly the praetors, create the ius honorarium, which is in contradistinction to the ius civile, with the function of adiuvandi vel supplendi vel corrigenda iuris civilis gratia (Pap. D. 1,1,7,1). Generally speak­ing, the actio in factum is an action with formula in factum concepta, in op­posi­tion to an actio civilis, action by defini­ tion with formula in ius con­cepta. Fol­lowing this traditional theory about the contradistinction between actio in fac­tum and actio civilis, the terminol­ ogy “actio in factum civilis” seems bizarre and should be considered as the merger between ius honorarium and ius civile and an evident interpolation of Justinian compilers.2

2  This thought was largely widespread in the period of interpolationism: O.  Graden­witz, Interpolationen in den Pandekten, Berlin, 1887, 123–169; F. Kniep, Praesriptio und pactum, Jena 1891, 67 ff.; V. J. V. Porkrowsky, Die ‘Actio in factum’ des classi­schen Rechts, ZRG RA 16 (1895) 7 ff.; O. Lenel, Das Edictum perpetuum II, Leipzig 19072, 238; A. Audibert, Les different noms de l’actio praescriptis verbis, in: Mélan­ges Fitting I, 1908, 37 ff.; P. de Francisci, Synallagma I, Pavia 1913, 39; P. Meylan, Origine et nature de l’actio praescriptis verbis, Lausanne 1919, 54 ff.; P. Bonfante, Corso di diritto romano, Le obbligazioni, Roma 1918–1919, 86 ff. The same idea is followed also by some renowned experts of Roman Law after the de­cline of interpolationism, as e. g.: P. Voci, La dottrina del contratto nei gi­ uristi dell’età classica, in: Scritti in onore di C. Ferrini, Pavia / Milano 1946, 385 ff.; V. Aran­gio-Ruiz, La compravendita in diritto romano II, Napoli 1954, 482; A. Burdese, Sul con­cetto di contratto e i contratti innominati in Labeone, in: Atti del semi­ nario sulla problematica contrattuale in diritto romano (Milano 1987) I, Milano 1988, 15.



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However, the majority of today’s Roman law scholars3 are inclined to accept the classical paternity of this expression, asserting that actio in factum means only an action given by praetors by decree in case of impos­ sibility of the appli­ cation of either iudicium proditum or actio vulgaris (D. 19,5,1 pr.) but this term does not describe in which way its formula is conceived, which can be in fac­tum concepta or by use of ficticia formula, even through the change of subjects. So, sometimes, the same action is equipped with doubly different formulae: formula in factum concepta or formula in ius (civile) con­ cepta, such as actio de­positi and actio comodati (Gai. 4,47). As Betti convincingly proves, following the transformation of intentio in fac­tum (si paret) in preliminary demonstratio with the related value (quod) and of condemnatio incerta (quanti … est, erit) in intentio incerta (quidquid … opor­tere ex fide bona), the ius honorarium (praetoria actione teneri) has been re­ceived by ius civile (oportere) and the iudicia bonae fidei aiming at pro­ tect­ ing innominate contracts “che meno si allontanano nella loro fat­ tispecie dalle fatti­specie tipiche, insieme a tutte le azioni contrattuali tip­ iche, hanno l’origine inten­tio in factum concepta”4. In modern legal termi­ nology, the subjec­tive rights are formed through law practice, in particular, by Rechtspre­chung. This new position viewing actiones in factum as decret­ al actions in contrast with edictal actions and giving up the contradistinction between ac­tiones in factum and actiones civiles, facilitates the consolidation of the opin­ion on the classi­cism of the term “actio in factum civilis” in D. 19,5,1,1 and D. 19,5,1,2.

3  Both iudicium proditum and actio vulgaris are called “usitata actionum nomina’’ (D. 19,5,1 pr.; D. 19,5,2) and form a general category of actiones directae, which are contradistincted from actiones utiles. For all, see: M. Kaser, Das Römische Privatrecht II, München 19752, 419–420; M. Tala­manca, Istituzioni di diritto romano, Milano 1990, 317–319 and 627; Id., Processo civile (dir. rom.), ED 36, Milano 1987, 53; W. Selb, Formulare Analogien in “actiones utiles” und “actiones in factum” am Beispiel Julians, in: St. Biscardi, ed. F. Pastori, 3 (Milano 1982) 320 ff.; R. Fiori, Ea res agatur. I due modelli del processo formulare repubblicano, Milan 2003, 242; C. A. Cannata, L’actio in factum civilis, in: Scritti scelti di diritto romano, ed. L. Vacca [= IURA 57 (2008–2009)], Torino 2014, 24. 4  E. Betti, Sul valore dogmatico di “contrahere” in Gaio e sulla non-classicità della deominazione ‘quasi ex contractu obligatio’, BIDR (1912) 25, 7–8; Id., L’antitesi di iudicare (pronuntiatio) e damnare (condemnatio) nello svolgimento del processo ro­mano, Rome 1915, 69 ff.; Id., Sulla formula del processo civile romano, Milano 1914, 42 ff. See also, W. Kunkel, Fides als schöpferisches Element im römi­ schen Schuld­recht, in: Festschrift P. Koschaker II, 1939, 8 ff.

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II. Analysis on Labeo’s actio in factum civilis in D. 19,5,1,1–2 1. Meaning and function of actio in factum civilis in D. 19,5,1,1 The question discussed in D. 19,5,1,1 concerns the uncertainty of configur­ing the case in discussion as locatio rei of vessel or locatio operis for the transpor­tation of the goods. Precisely, it is questionable if the parties have concluded a contract of lease of vessel (or the cabin for the transpor­ tation of passengers or goods) or the hire of services related to the trans­ portation of the goods. In case of lease of vessel or cabin, the agreement should be qualified as locatio rei and the lessor shall pay the rent; in case of the transportation of goods, the contract should be viewed as a locatio operis and the lessee shall pay the rent. Both lo­catio rei and locatio operis fall into the general Roman category of locatio-con­ductio, so no matter what kind locatio-conductio the case actually concerns, it is certain that the claim of plaintiff (the owner of goods, dominus mercium) is based on ius civile and an actio civilis shall be granted. Nevertheless, due to the said different obligations of lessor and lessee in lo­catio rei and locatio operis, the erroneous choice of action between actio lo­cati or actio conducti by the praetor in proceeding in iure will lead to the loss of lawsuit from the plaintiff’s side. As it is impossible to correctly qualify the case as locatio rei or locatio operis in litis contestatio, the prae­ tor inserts into the formula a praescriptio describing all circumstances re­ sulting in the un­certainty of object of locatio-conductio and invites the iudex to deter­mine what has been actually leased and leaves him to decide in stage apud iu­dicem which action between actio locati and actio conducti is appropri­ate to be exer­cised.5 In this way, the plaintiff’s risk of losing the law­suit, caused by the impos­sibility of the correct qualification of the case by the praetor in litis con­testatio, can be avoided. The words “Labeo scribit” at the end of this fragment implies that also La­beo agrees with Papinian on granting an actio in factum civilis. As the jure­consults refer to locatio-conductio, an iudicium bonae fidei, the actio in fac­tum civilis in D. 19,5,1,1 seems to contain an intentio incerta ex bona fide (quidquid dare facere oportet ex bona fide) here.6 As demon­strated by 5  F. Gallo, Synallagma e conventio nel contratto I, Torino 1992, 237; P. Groeschler, Actiones in factum, Berlin 2002, 19. 6  M. Talamanca, La tipicità dei contratti romani tra “conventio” e “stipulatio” fino a Labeone, in: Contractus e Pactum, tipicità e libertà negoziale nell’esperienza tardo-repubblicana, Atti del convegno di diritto romano e della presentazione della



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the word “dandam” in this fragment, this action was given in decre­tal way for a single case outside the sphere of application of any kind of iudicium proditum or actio vulgaris. Hence, this action is not only an actio civilis supporting a claim based on ius civile, but also an actio in factum in sense of a decretal action. 2. Exegetic analysis on Labeo’s actio in factum civilis in D. 19,5,1,2 The same interpretation of the meaning of actio in factum civilis can be ap­plied also to D. 19,5,1,2. The pass refers to a question on how to determine the nature of the agree­ ment on the appraisal of the price of a thing. The person who has received the thing with a duty to estimate its price has the obligation to return it to the dans. For this reason, it is easy to compare the accipiens’s situation with that of depositee. However, this case pretii explorandi gratia rem tradat cannot be qualified as a deposit because the accipiens has the right to use the thing and also shall esti­mate its price upon the request of the dans. The agreement is not a commoda­tum because the accipiens assumes also the obligations to estimate the price. It is not exactly a mandate for the ap­ praisal of the price of the thing because likely the accipiens has right to use the given thing and hence this affair is not gratui­tous for the dans.7 And consequently, the transaction has been likely conducted also in the interest of the accipiens and it constitutes a so-called mandatum a tua gratia, which is an invalid mandate. The agreement falls into the limited range of Roman typical contracts and is a mixture among deposit, commodatum and mandate. In any way, even if it is unclear as what kind of typical contract the case can be qualified, there must be a subjective right based on ius civile. So, an action with formula in ius concepta shall be granted. In the stage in iure, it is still impossible for the praetor to identify the real na­ture of this agreement within one of these three possible typical con­ tracts. The definitive conclusion can be reached only on the basis of the verification of the facts, which is within the competence of the iudex, but not that of prae­tor. For this reason, aiming at avoiding the plaintiff’s risk of nuova ri­ produzione della littera Florentina (Copanello 1–4 giugno 1988), Roma / Napoli 1990, 100 nt.  250; P. Groeschler (above nt. 5) 13; R. Fiori, Rise and Fall of the Spe­ cifi­ city of Contracts, in: Nova Ratione, Change of Paradigms in Roman Law, ed. B. Sirks, Wies­baden, 2014, 37. 7  M. Talamanca (above nt. 6) 86, nt. 200.

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loss in litigation, which could be caused by the iudex construing the nature of the agreement differently from that described in litis contestatio, Papin­ ian, probably also Labeo, would advise the praetor to grant an action by decree (namely an actio in factum) and apply a praescriptio describing the relevant facts leading to the uncertainty on the qualification of agreement between deposit, commodatum and mandate.8 As a result, similarly, for the same reason in D. 19,5,1,1, an actio in factum civilis is granted by Labeo in D. 19,5,1,2. So, in summary, Labeo and Papinian’s actiones in factum civiles in D. 19,5,1–2 are granted in the event that there are some doubts on how to exactly qualify an agreement between the parties as a typical contract already recog­nized by ius civile and on how to grant a contractual actio civilis for its pro­tection, although at the same time and for some good reasons, the inter­ ests of the parties seems worthy of be protected under ius civile. 3. The difference between Labeo’s actio in factum and his actio praescrip­tis verbis It can be easily found that in many fragments (D. 18,1,50, D. 18,1,79, D. 19,5,17,1, D. 19,5,19 pr., D. 19,5,20 pr., D. 19,5,20,2), in order to over­ come the difficulty on how to protect iure civile the so-called innominate con­tracts, which are the agreements impossible to be ascribed into the limited range of Roman typical contracts in any way, Labeo invents actio praescriptis verbis by inserting into its formula a praescriptio describing the relevant facts of lawsuit to be verified further by the iudex.9 For the purpose of resolv­ 8  R. Santoro, Il contratto nel pensiero di Labeone, AUPA 37 (1983) 97–98; F. Gallo (above nt. 5) I 237. 9  For this conclusion and the related analysis, see J. Kranjc, Die actio praescrip­ tis ver­ bis als Formelaufbauproblem, ZRG RA 107 (1989) 434 ff.; M. Talamanca (above nt. 6) 80  ff.; M. Artner, Agere praescriptis verbis, Berlin 2002, 75  ff.; F. Gallo (above nt. 5) I 193 ff.; Lihong Zhang, Contratti innominati nel diritto ro­ mano, Milano 2007, 85–123. For long time, many scholars think that Labeo even creates a new general concept of contract in D. 50,16,19 to provide a theoretical support for the application of actio prae­scriptis verbis. For recent publications, see T. Dalla Massara, Alle origini della causa del contratto, Padova 2004, 114 ff.; C. A. Cannata, La nozione di con­ tratto nella giuris­prudenza romana dell’epoca classica, in Scritti scelti di diritto ro­ mano (= Autour du droit des contrats. Contributions de droit romain en l’honneur de F. Wubbe, ed. P. Pi­chonnaz, Genève, 2009), ed. L. Vacca, Torino 2014, III, 12; Id., Labeone, Ari­stone e il sinallagma, in: Scritti scelti di diritto romano (= IURA 58 [2010]) 65 ff. and 111. In our opinion, this Labeo’s concept of contract means the reciprocity of the obligati­ons (but not that of performance) and must be interpreted only as one of the sources of obligatio civilis arising from the will of the parties. Labeo proposes this



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ing the uncer­tainty of the qualification of the agreements in D. 19,5,1–2, La­ beo would adopt also a praescriptio in his actio in factum civilis. Recently, following the prevalent and traditional position,10 Cananta stressed that due to the application of praescriptio, Labeo’s actio in factum civilis in D. 19,5,1–2 seems identifiable with actio praescriptis verbis and both of them have the same function to protect always the innominate contracts,11 However, in our view, this idea seems debatable and in terms of the nature of praescrip­tio, there are some differences between Labeo’s actio praescriptis verbis and his actio in factum civilis. As Gaius records in Gai. 4,130–137, a praescriptio always describes the facts of litigation which shall be verified further by the iudex, but there are two dif­ferent kinds of praescriptio: praescriptio pro autore12 and praescriptio loco demonstrationis. The first kind of praescriptio aims to limit the petitum of plain­ tiff (namely, what is brought into issues in favor of the plaintiff). For in­stance, in the event that the plaintiff sues for an installment of a debt, in order to save his right later for further installment (Ea res agatur, cuius rei dies fuit, Gai. 4,131). It situates at the beginning of the formula, as its independent part (Gai. 4,132). No other pleas beyond this kind of praescriptio can be taken in consid­eration by the iudex. However, the second kind of praescriptio has the same function of demon­stra­tio and determines the causa petendi and not just petitum (Gai. 4,136–137). So, it seems to be applied only for the limitation of the power of the iu­dex. It is not an independent part of the formula and is inserted exactly in the same part of demonstratio in the formula as Gaius says ex­ pressly that “ut prae­ scriptio inserta sit formulae loco demonstrationis” definition of contract only for his theoretical study, without any intention of provid­ ing a scientific and operative support for his invention of actio praescriptis verbis to protect the so-called innominate contracts. See M. Talamanca (above nt. 6) 90 ff.; for our detailed ana­lysis, Lihong Zhang (above nt. 9) 160–165. 10  This prevalent position on the identification of actio in factum with actio praescrip­tis verbis (or agere praescriptis verbis) dates back to the important work of A. Pernice, Parerga III, Zur Vertragslehre der römischen Juristen, ZRG RA 9 (1888) 256 and has been largely followed by the experts of Roman Law. See, re­ cently, M. F. Cursi / R. Fiori, Le azioni generali di buona fede e di dolo nel pen­siero di Labeone, BIDR 105 (2011) 145–160; R. Fiori (above nt. 6) 37. 11  See C. A. Cannata (above nt. 3) 54. This scholar even thinks that actio in factum civilis, ac­tio praescriptis verbis and actio incerti civilis are the same things with the same func­tion. 12  Originally, besides praescriptio pro autore, there was also praescriptio pro reo (Gai. 4,133). The latter early fell into disuses and was replaced by exceptio in the late second century BC, as e. g., the praescriptio ne praeiudicium hereditati fiat. See W. W. Buckland, A Manual of Roman Law, Cambridge 1939 (repr. 2011) 395; M.  Tala­manca, Elementi di diritto privato romano, Milano 20132, 158.

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(Gai. 4,136).13 By means of the appli­ca­tion of this second kind of praescriptio, the iudex is called not only to verify the facts of lawsuit, but also to qualify the legal nature of the trans­ action according to ius civile (for example, in case of actio ex stipulatio incerti, in Gai. 4,137).14 As a result, an action with the second kind of praescrip­tio is always granted in the case that the situation should be certainly protected ac­cording to ius civile, but there are some doubts on how to qualify the case iure civile and such qual­ ification presupposes necessarily the verifi­cation of the facts of law­suit by the iudex in stage apud iudicium. All agreements that Labeo attempted to recognize iure civili in D. 18,1,50, D. 18,1,79, D. 19,5,17,1, D. 19,5,19 pr., D. 19,5,20 pr., D. 19,5,20,2 are char­ acterized by the fact that they do not fall into the limited range of typical con­tracts in any way, so the question in these passes is not h o w to individu­ ate an typical actio civilis of contract for their protection, but w h e t h e r it is possible to protect them iure civili by the application of an action with formula in ius con­cepta. In other word, the difficulty on their protection has nothing to do with causa petendi of the legal action. Hence, Labeo’s actio praescriptis ver­bis con­tains always the praescriptio pro autore and with the adoption of this kind of praescriptio, it is a general action for the protection of the mixed con­tracts mod­eled on iudicia bonae fidei, whose protection un­ der ius civile con­stitutes still an object of debate in the period of this jurist.15 On the contrary, both agreements discussed by Labeo in D. 19,5,1–2 fall into the limited range of the typical Roman contracts and the interests of the parties shall be surely protected under ius civile, but it is uncertain as 13  There are two different interpretations on this expression “ut praescriptio inserta sit formulae loco demonstrationis”. Someone interpret it as a praescriptio in­ serted inside the formula in substitution of demonstratio. See M. Varvaro, Ricerche sulla prae­scrip­tio, Torino 2008, 124 ff. But, others prefer to translate this sentence into “a praescriptio inserted in the formula in the place of demonostratio”. See C. A. Cannata (above nt. 3) 36–37 nt. 34. We think that it is plausible to conciliate these two different positions and inter­ pret the word “loco” both as “in substitution of” and as “in the place of”. In this way, a praescriptio substitutes a demonstratio and is localized in the same place of de­mons­tratio in the formula. 14  C. A. Cannata, (above nt. 3) 37 and 39. 15  A. Pernice (above nt. 10) 252–253, has already observed that Labeo’s agere prae­scrip­tis verbis in D. 19,1,1,1–2 has nothing to do with the protection of in­ nominate contracts. See also, R. Fiori (above nt. 6) 37. In fact, the protection of innominate contracts in Roman Law is not so problema­ tic as it seems, since the abstract Rechtsgeschäfte such as stipulatio and mancipatio are mas­ sively applied and the typical consensual contracts, as e. g. societas and locatio-con­ductio, have very large range. See: M. Talamanca, Freedom of contract in Roman Law, in: Freedom of Contract and Constitutional Law, ed. A. M. Rabello and P. Sarce­vic, Jerusalem 1998, 285 ff.; Id. (above nt. 6) 105 nt. 270.



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what kind of typical contract they should be qualified and no actio civilis of contract can be exercised directly. In other words, the necessity of their protection under ius civile is not questionable and the doubts on how to protect these agreements concern their qualification iure civili, namely, the causa petendi. For this rea­son, likewise, the formula of each action in factum civilis in D. 19,5,1–2 is in ius concepta with an intentio incerta ex bona fide and contains the praescrip­tio lo­co demonstrationis,16 instead of praescriptio pro autore. The praescriptio loco demonstrationis inserted in its formula has the func­tion of the determination of causa petendi. So, the object of discussion in all the cases where this action is applied is not if it is necessary to be protected under ius civile, but how to be qualified as one of typical con­ tracts. In modern legal term, the question regards the qualification of a mixed contract, but that of the innominate contracts, which can not be reg­ ulated by the direct applica­tion of any norms in contract law. Moreover, Labeo grants actio in factum civilis only in two fragments in the whole Digesta. For all of these reasons, it is hard for us to believe that Labeo’s actio in factum civilis is a general action of contract, not to mention it as an action adopted by this jurist to protect the innominate con­tracts, all of which are characterized by the absolute impossi­bility of ascribing the agree­ ments in question into the range of the Roman typical contracts in any way. III. Exegetic analysis on Julian’s actio in factum civilis in D. 19,5,5,2 The Julian’s actio in factum civilis in D. 19,5,5,2 seems more difficult to un­derstand with respect with those in D. 19,5,1–2. Following his famous quadripartition “do ut des, do ut facias, facio ut des, facio ut facias” in D. 19,5,5,1, Paul produces some examples of do ut facias in D. 19,5,5,2. For purposes of this article, we are interested only in the last phrase “sed si dedi tibi servum, ut servum tuum manumitteres, et manumisisti et is quem dedi evictus est, si sciens dedi, de dolo in me dandam actionem Iulianus scribit, si ignorans, in factum civilem”. 16  Cannata affirms correctly that “se fu Labeone a crearla o estenderne l’uso come azione contrattuale generale, non si vede perché egli avrebbe dovuto adottare una for­mula con praescriptio precedente, e non modellare la formula dell’azione contrattu­ale generale sulle formule con demonstratio, che così come mai certo erano per i contratti tipici”. See C. A. Cannata (above nt. 3) 39. See also, K. Misera, Der Kauf auf Probe im klassischen römischen Recht, in: ANRW (1982) II 14, 526, nt. 12–15; F. Gallo (above nt. 5) I 237; M. Artner (above nt. 9) 199.

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The case is: I give you a slave in order that you manumit one of yours and af­ter the manumission of your slave, the slave given by me is evicted by a third party. A vital question arises: what kind of action do you have against me? Julian affirms that if I am aware of the real situation of the slave given to you, you can bring an actio doli against me, and if not, you can exercise the actio in factum civilis. However, in D. 2,14,7,2, to answer the exactly same question, Julian agrees only on giving the actio in factum, without make any reference to the word “civilis”. D. 2,14,7,2 Ulp. 4 ad ed. Sed et si in alium contractum res non tran­ seat, subsit ta­ men causa, eleganter Aristo Celso respondit es­ se obliga­ tio­ nem. ut puta dedi tibi rem ut mihi aliam dares, dedi ut ali­quid facias: hoc sun£llagma es­ se et hinc nasci ci­ vilem ob­ li­ ga­ tio­ nem. et ideo puto recte Iulianum a Mauri­ciano re­prehen­sum in hoc: dedi tibi Sti­ chum, ut Pamphi­ lum ma­numittas: manumi­sisti: evic­tus est Sti­ chus. Iu­ lianus scribit in fac­ tum actionem a prae­ tore dandam: ille ait ci­vilem incerti ac­tionem, id est praes­riptis verbis, suf­ficere: es­se enim con­trac­tum, quod Ari­sto sun­ £llagma dicit, unde haec nas­ci­tur ac­tio.

But even if the matter does not fall under the head of another contract and yet a ground (causa) exists, Aristo in an apt reply to Celsus states that there is an obliga­tio. Where, for example, I give a thing to you so that you may give another to me, or I gave so that you may do some­thing, this is, Aristo says, a synallagma and hence an obli­gatio civilis arises. And, therefore, I think that Ju­ lian was rightly reproved by Mauricianus in the following case. I gave Stichus to you so that you would manumit Pamphilus; you have manumitted, Stichus is then acquired by a third party with a better title. Julian writes that an actio in factum is to be given by the praetor. But Mau­ricianus says that an actio civilis in­certi, that is, praescriptis verbis, is avail­ able. For the contract described by Aristo with the word synallagma has been made and hence this action arises.

The questions involving in this famous fragment are very complex. Here, we only focus on how to explain the clear contradiction of Julian’s opinion be­tween this passage and D. 19,5,5,2. For many centuries, considering the abso­lute con­trast between actio in factum and actio civilis, many Roman Law scholars argue that the expression actio in factum civilis in D. 19,5,5,2 has been interpolated. In our opinion, as a matter of fact, the questio arising hereof refers only to the liability for eviction, but not to how to recognize the right of the party who has already fulfilled his obligations to obtain the counter-perfor­ mance in the cases “do ut facias”17 or “facio ut des”.18 17  E. Betti, Istituzioni di diritto romano II, Padova, 19422, 322; M. Talamanca (above nt. 6); F. Gallo (above nt. 5) II 198. 18  A. Burdese, Osservazioni in tema di c. d. contratti innominati, in: Estudios en home­naje al profesor Juan Iglesias, Seminario de derecho romano “Ursicino Alva­



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The alienator’s warranty against eviction originates from mancipatio, be­ ing liable to the buyer under actio autoritatis for a double purchase price. Such liability has been considered as a separable element of purchase and sale and successively for long time. Its assumption in consensual emptiovenditio al­ways requires ad hoc the conclusion of a stipulatio: stipulatio duplae or stipula­tio habere licere. Without a specific stipulatio, the vendor is free from li­ability for eviction of the thing sold by him. The possibility of the buyer di­rectly exercis­ing actio empti for demanding the vendor to assume this liability hap­pens very later.19 In terms of procedural means for the realization of warranty against evic­ tion, the ius controversum among Roman lawyers was widespread. The Sabinians, like Paul (D. 19,4,1,1),20 Javolen (D. 19,5,10)21 and Julian (D. 2,14,7,2; D. 19,5,5,2) prefer to protect the buyer through actio in factum for the vendor’s assumption of liability for eviction, insisting that it is suffi­ cient to apply actio in factum in any case that it is impossible or uncertain to grant an actio civilis (actio directa) . On the contrary, following Labeo’s idea of the general application of actio praescriptis verbis to protect innominate contracts (D. 18,1,50, D. 18,1,79, D. 19,5,17,1, D. 19,5,19 pr., D. 19,5,20 pr., D. 19,5,20,2), or an actio in fac­tum civilis to recognize iure civile an agreement worthy of be protected under ius civile but with doubt on how to be qualified as a typical contract in stage of pro­ceeding in iure (D. 19,5,1–2), the Proculian, like Aristo and Mauricianus (D. 2,14,7,2), invent a new type of general action, the so-called actio incerti civilis to protect the party who has already per­ formed his obligations for the purpose of obtaining the counter-performance, even for the liability for evic­tion by the dans. The application of actio incerti civilis requires the existence of the syn­allagma, the so-called “causa”, rez” I, Madrid, 1988, 128; G. MacCormack, Contractual Theory and the Innominate Con­tracts, SDHI 51 (1985) 138–139. 19  For the detailed description on this development of liability for eviction in Roman Law, see L. Vacca, Ancora sulla estensione dell’actio empti in età classica, IURA 54 (1994) 35 ff.; Id., Sulla responsabilità “ex empto” del venditore nel caso di evizione secondo la giurisprudenza tardo classica, Seminarios Complutenses de derecho romano 7 (Madrid 1995) 297 ff. 20  D. 19,4,1,1 Paul. 33 ad ed.: Unde si ea res, quam acceperim vel dederim, postea evincatur, in factum dandam actionem respondetur. 21  D. 19,5,10 Iav. 13 epist.: Partis tertiae usum fructum legavit: heredis bona ab eius creditoribus distracta sunt et pecuniam, quae ex aestimatione partis tertiae fiebat, mulier accepit fruendi causa et per ignorantiam stipulatio praetermissa est. quaero, an ab herede mulieris pecunia, quae fruendi causa data est, repeti possit, et qua actione. respondi in factum actionem dari debere.

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which consists in the performance already made for the exchange of coun­ ter-performance.22 Here, limited by the constraints of this article, we must set aside the survey on complicated formation of this new kind of general action actio incerti civi­lis. We are inclined to accept the prevalent thesis, according to which, this Aristo’s actio incerti civilis in D. 2,14,7,2 has nothing to do with condictio incerti and is a general actio civilis with intentio incerta and is granted to protect a con­trac­tual party who has already fulfilled its perfor­ mance in order to ob­tain the counter-performance, and it can be identified with actio praescriptis verbis.23 For a better understanding of the actio in factum civilis in D. 19,5,5,2, it is use­ful for us to study D. 19,1,30,1,24 where African quotes Julian’s opinion, according to which, in the case that the vendor has sold something belonging to others without knowing its real owner, before the latter takes away the thing by eviction, it is possible to grant the buyer actio empti in extensive way (utili­ter) for compensation of the damages he would suffer from the evic­ tion, and if the vendor has sold a thing of a third party to the buyer intention­ ally, the actio doli can be exercised. In the other words, if a third party has evicted the sold thing, Julian agrees with the adoption of actio empti, a typi­ cal actio civilis to protect the buyer who has suffered from the eviction. Ju­ lian’s position on the direct application of actio empti in this case, without resorting to the necessary use of a specific stipulatio, shows clearly his inten­ tion to recognize the liability for eviction as an integral and inseparable part of the obligations of the vendor, which undoubtedly is based on ius civile. 22  Even if there are still many divergences on the meaning of causa of the socalled innominate contract in D. 2,14,7,2 among the scholars, this traditional and prevalent opinion seems more reasonable. For the details, see: Lihong Zhang (above nt. 9) 172 ff., in particular, nt. 18. 23  For this conclusion and recent survey, see. C. A. Cannata (above nt. 3) 53–54. 24  D. 19,1,30,1 Afr. 8 quaest.: Si sciens alienam rem ignoranti mihi vendideris, etiam priusquam evincatur utiliter me ex empto acturum putavit in id, quanti mea intersit meam esse factam: quamvis enim alioquin verum sit venditorem hactenus teneri, ut rem emptori habere liceat, non etiam ut eius faciat, quia tamen dolum malum abesse prae­stare debeat, teneri eum, qui sciens alienam, non suam ignoranti vendidit: id est ma­xime, si manumissuro vel pignori daturo vendiderit. “If you knowingly sell an­other’s object to me and I am unaware of this, he [Julian] thought that even before an eviction I will succeed in an actio empti to the extent of my interest in the thing’s becoming mine. Although it is normally the case that the vendor is liable only for the buyer’s having quiet possession and not for making the object his property, still if a person knowingly sells to an unwitting buyer an object that it is another’s and not his own, he is liable for; he should be held responsible for there being no bad faith, and this especially if he sells to someone who will manumit or give in pledge.”



Studies on Actio in Factum Civilis501

As to the same question of the warranty against eviction, why Julian prefers to grant the actio empti in D. 19,1,30,1, but the actio in factum in D. 2,14,7,2 and the actio in factum civilis in D. 19,5,5,2? At the first sight, it seems very contra­dictory. In fact, we can note easily that the jurist does not agree to grant the actio empti in the case discussed in D. 2,14,7,2 and D. 19,5,5,2, simply because actually it is not a purchase and sale and refers to the facio ut des, which is com­posed of the performance in faciendo (the manumission of a slave) against that of dare (the transfer of the ownership of a slave). In spite of such evident difference between emptio-venditio and the agree­ ment of manumission of a slave for the exchange of receiving another, as far as the liability for eviction is concerned, Julian holds that the same rule for the protec­tion of the interests of the accipiens suffering from the evic­ tion in the contract of purchase and sale shall be applied. In the case that he has already manumitted the slave on his side, but the thing given to him has been evicted, no protection for his interests is obviously against bona fide. In Julian’s view, the liability for eviction results from the violation of the principle of good faith, on the basis of which the ius civile is created. For this reason, an actio civilis shall be granted. In this way, with all prob­ ability, Julian has also been taking in consideration the possible application of actio empti25 in order to make the dans liable for evic­tion in case of facio ut des in D. 2,14,7,2 and D. 19,5,5,2. The actio civilis, on the basis of which the dans assumes the war­ranty against evic­tion and obligatio civilis is created in this situation, cannot be any other action but actio empti. Nevertheless, the absence of a contractual relationship of pur­chase and sale in this case makes it impossible for Julian to grant an actio empti. Therefore, it seems that as a decretal action, both actio in factum in D. 2,14,7,2 and actio in factum civilis D. 19,5,5,2 are modeled on the formula of the actio empti in connection with the vendor’s warranty against eviction. They are an extensive application of actio empti for the assump­ tion of liability for evic­tion by the vendor. Likewise, Julian adds the term “civilis” to a decre­tal action when it is modeled on an actio civilis (actio empti) in extensive way and with function to defend a legal interest which has been already protected by a typical action of contract. The paternity of the word “civilis” in D. 19,5,5,2 seems to be attributed to Julian and the actio in factum given by Julian in D. 2,14,7,2 is identifiable to actio in factum civilis in D. 19,5,5,2. Julian’s actio in factum civilis in both frag­ ments is qualified both as in factum and civilis in the same sense of this 25  Perozzi even argues that in D. 2,14,7,2 an actio empti should be applied in­ stead of an actio in factum. See S. Perozzi, Istituzioni di diritto romano I, Bologna 1928, 335, nt. 1.

502

Lihong Zhang

expression in D. 19,5,1,1–2, which refers to a decretal action modeled on actio civilis. IV. Conclusion All three actiones in factum civilis in Digesta are classical and each of them means a special decretal action containing also formula in ius concepta mod­eled on an actio civilis. By means of the application of actio in factum civilis, the Roman lawyers attempted to recognize a subjective right worth of being pro­tected on the basis of ius civile, but it was impossible to excise an actio di­recta for its protection. Even if with the adoption of a so-called praescriptio loco demonstrationis it is sometimes called also actio praescrip­tis verbis, Labeo’s actio in factum civilis in D. 19,5,1–2 is not a gen­eral action to protect the innominate contract and its function is limited only to protect an agree­ment which falls into the range of the typical con­ tracts but it is un­clear what kind of a typical action of contract should be granted. This Labeo’s idea on actio in factum civilis has not been followed by the later Roman jurists. Regardless of the use of the terminology “actio in factum civilis” in D. 19,5,5,2 by himself, Julian is limited only to consider it as an actio in fac­tum granted by praetor but modeled on an actio civilis and refuses nei­ ther to call it “actio praescriptis verbis” nor to attribute any function to protect so-called innominate contracts (D. 2,14,7,2). Julian uses the term “actio in factum civilis” in very large sense. In Julian’s opinion, any extensive application of an ac­tio civi­lis, namely an actio utilis, can be also considered as an actio in fac­tum civilis (D. 19,5,5,2). The young generations of the Proculian scholars, such as Aristo and Mauri­cianus, prefer to use the terms “actio praescriptis verbis” or “actio incerti civi­lis”, instead of that “actio in factum civilis”, to protect the in­ nominate con­tracts (D. 2,14,7,2). Moreover, they invent their theory on the causa of contract for the pur­pose of attributing these two actions a general function to protect the in­nomi­nate con­tracts. Of course, the generalization of these actions opens a new page on the protection of innominate contracts in the history of Roman Law.26

26  For this part of history of development of Roman Contract Law, see: M. Tala­ manca (above nt. 6) 101; Lihong Zhang, Justice in Roman Contract Law, in: Law, Peace and Justice: A Historical Survey, ed. Byoung Jo Choe, Seoul, 2007, 143; C. A. Can­nata (above nt. 3) 58–113; P. Groeschler, Sulle tracce del synallagma. Refles­ sioni su D. 2,14,7,2 e D. 50,16,19, Quaderni Lupiensi di storia e diritto 3 (2013) 202, 214.

Autorenverzeichnis Prof. Dr. Frits Brandsma, Rijksuniversiteit Groningen (Groningen University), Gro­ ningen, Niederlande Prof. Dr. Byoung Jo Choe, Gukrib Seoul Daehakgyo (Seoul National Univer­sity), Seoul, Korea Prof. Dr. Thomas Finkenauer, Eberhard-Karls-Universität, Tübingen, Deutsch­land Prof. Dr. Seiji Fukuda, Komazawa Daigaku (Komazawa University), Tokyo, Japan Prof. Dr. Jean-François Gerkens, Université de Liège, Liège, Belgien Prof. Dr. Tomoyoshi Hayashi, Osaka Daigaku (Osaka University), Osaka, Japan Prof. Dr. Mariko Igimi, Kyushu Daigaku (Kyushu University), Fukuoka, Japan Prof. Dr. Makoto Ishikawa, Kurume Daigaku (Kurume University), Kurume, Japan Prof. Dr. Sebastian Lohsse, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster, Deut­ sch­ land Prof. Dr. Ulrich Manthe, Universität Passau, Passau, Deutschland Prof. Dr. Carla Masi Doria, Università degli Studi di Napoli Federico II, Na­poli, Italien Assoc. Prof. Wataru Miyasaka, Tsukuba Daigaku (University of Tsukuba), Tsu­kuba, Japan Assoc. Prof. Dr. Hikaru Mori, Chuo Daigaku (Chuo University), Tokyo, Japan Prof. Dr. iur. h. c. Shigeo Nishimura, Kyushu Daigaku (Kyushu University), Fu­kuoka, Japan Prof. Dr. Martin Pennitz, Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich Prof. Dr. Pascal Pichonnaz, Université Fri­bourg, Fri­bourg, Schweiz Assoc. Prof. Daisuke Shinomori, Kanagawa Daigaku (Kanagawa University), Yokohama, Japan Prof. Dr. Boudewijn Sirks, All Souls College, Oxford, Großbritannien Assoc. Prof. Dr. Akira Sugao, Kyushu Kokusai Daigaku (Kyushu International Uni­ versity), Kitakyushu, Japan Assist. Prof. Yoshihiro Tabata, Osaka Keizai Daigaku (Osaka University of Econom­ ics), Osaka, Japan Prof. Minoru Tanaka, Nanzan Daigaku (Nanzan University), Nagoya, Japan Prof. Norio Tanaka, Kyushu Daigaku (Kyushu University), Fukuoka, Japan Prof. Kazunori Uemura, Kurume Daigaku (Kurume University), Kurume, Ja­pan

504 Autorenverzeichnis Shiro Yanata, Kyushu Daigaku (Kyushu University), Fukuoka, Japan Prof. Dr. Lihong Zhang, Huadong Zhengfa Daxue (East China University of Political Science and Law), Shanghai, China

Quellenverzeichnis Antikes Recht Basilica 2: 1,1: 29514; – 1,24: 29514. 8: 2,45: 29514. 10: 4,38 pr.: 38 f. 19: 5,10 pr.: 35; – 10,28: 468, 46829. 24: 6,67: 300; – 6,67,2-3: 30029, 304; – 6,67,4: 30649. 28: 7,15: 21. 45: 4,13: 30548. Scholia: 14: 1,26 Schol. 15: 73101; – Schol. 16: 73101; – Schol. 37: 7190, 78136; – Schol. 38: 78132, 136; – Schol. 39: 73101. 18: 6,2 Schol.: 472, 473. 28: 4,21 Schol. 6: 17; – 7,15 Schol. 1: 10, 20; – Schol. 2: 21. 45: 5,1 Schol. 1: 13; – Schol. 5: 14; – Schol. 6: 14. 60: 3,53 Schol. 4: 3764; – 3,55 Schol. 1: 38320; – Schol. 3: 38320: 37,43 Schol. 1: 12. Codex Gregorianus tit. De nuptiis: 199. Codex Hermogenianus tit. De nuptis: 199. Codex Theodosianus 2: 19,3: 43235. 3: 2,1: 3132. 9: 7,6: 200. Collatio Legum Mosaicarum et Romanarum 1-2: 215. 1-9: 200.

1: 215 – 1,1: 21050; – 1,2: 21050; – 1,3-4: 21050; – 1,4: 20118; – 4,1: 20118; – 5: 19910; – 6,3: 20118; – 7,2: 20118; – 8: 20118; – 11,2: 201, 202; – 11,4: 20119. 2: 1,2: 208, 209. 4: 215; – 1: 21050; – 2,5: 20119; – 3,2: 83162; – 11,1: 20119. 5: 1: 21150; – 3: 19910. 6: 1,1: 21050; – 1,2: 21050; – 1-7: 199 f.; – 5: 19911; – 5a: 19910; – 7: 19910, 200, 213; – 7 pr.: 19910, 211, 213, 214; – 7,3: 20014; – 7,4: 20014; – 7,7: 20014; – 7,9: 21150. 7: 215; – 1 pr.: 19910, 209, 215; – 1,2: 21049. 8: 215; – 7,3: 20119, 20324. 9: 1: 210; – 2,2: 83162. 10: 200; – 5: 1851, 1864; – 9: 149. 11: 200; – 1,1: 20324; – 1,2: 20324; – 7,4: 1973. 12: 200; – 7,7: 20118, 203; – 7,10: 159. 13-15: 200. 14: 1: 21050; – 2: 19910; – 2,2: 23864; – 3,2: 23864; – 3,6: 19910. 15: 215; – 1,1: 20528, 206, 207; – 1,1-2: 205 f., 21150; – 1,2: 20528, 206, 207; – 3: 214. 16: 200; – 1,8: 1971. Corpus Iuris Civilis Codex: 2: 11[12],20: 385, 386; – 12,10: 5812; – 12,18: 5812; – 21,3: 4596; – 28,2 pr.: 4492; – 43[44],3: 30754; – 47[48],1: 2949. 3: 38,7: 487. 4: 2,15: 29723; – 6,9: 33680; – 10,13: 29723; – 32,10: 393, 394, 396, 397, 398, 400; – 32,13: 30963; – 32,26,2: 390, 391; – 32,26,4: 385; – 32,27 pr.:

506 Quellenverzeichnis 39112; – 32,27,1: 399; – 32,27,2: 399; – 32,28: 386, 401; – 34,4: 30963; – 35,1: 6554; – 35,6: 9713; – 35,10: 96 f., 104, 105; – 35,17: 6555; – 54,2: 46102; – 54,3: 2713, 46102; – 54,4: 4179. 5: 12,12: 26545; – 13,1,7-7a: 3029; – 17,6: 15; – 17,8 pr.: 17. 6: 23,15: 373109; – 23,21: 373108; – 26,5: 43132, 434, 435, 437; – 37,6: 43132; – 42,13: 43132. 7: 47,1: 34628; – 47,1,1: 345, 34628; – 54,3: 386. 8: 34,3: 3132; – 37,4: 14237; – 40[41],14: 24583; – 56[57],4: 459 f. Digesta: 1: 1,1: 29514; – 1,7,1: 490; – 2,2,44: 13711; – 2,2,46: 231; – 3,14: 48216; – 3,14: 29514; – 5,11: 150; – 5,12: 48216; – 12,1,1: 317, 335; – 12,1,8: 31710. 2: 4,16: 147; – 8,14: 145; – 9,2 pr.: 48316; – 11,10,1: 48316; – 14,7,2: 498, 499, 500, 50022, 501, 50125; – 14,7,5: 79; – 14,7,15: 88191, 1854, 190; – 14,27,1: 48316; – 14,27,2: 14446; – 14,31: 464; – 14,44: 301. 3: 1,1,6: 83162; – 2,1: 6770; – 2,3: 83162; – 2,21: 145; – 3,39,6: 308, 30857; – 3,45: 29514; – 3,69: 148; – 5,5,14: 26031, 26133; – 5,7 pr.: 26032, 26134; – 5,26: 14238; – 5,30 pr.: 5812, 14; – 5,37: 26031. 4: 1,5: 46824; – 1,6: 30650; – 2,9,7: 28739; – 2,14,1: 46824; – 2,19: 46824; – 3,1,4: 46824; – 3,1,8: 38219; – 3,26: 46824; – 4,1 pr.: 3351; – 4,1,1: 3350; – 4,7,10: 423, 424, 425, 42515, 428, 42823, 42925, 430, 431, 43129, 432, 43237, 434, 435, 438, 43856, 439, 445; – 4,11,3: 4596; – 4,11,4-5: 3452; – 4,13,1: 2816; – 4,14: 2816; – 4,15: 30961; – 4,16,4: 47651; – 4,18,5: 30650; – 4,24,1: 3351, 4595; – 4,24,2: 14446; – 4,24,4: 2949; – 4,27,1: 30651; – 4,32: 30338; – 4,38 pr.: 24 ff., 30754; – 4,44: 4596; – 8,43: 304, 30755; – 9,3,1: 87185; – 9,5 pr.: 83159.

5: 1,12,2: 48216; – 1,49: 13814; – 1,49: 148; – 1,53: 33783; – 2,11: 14238; – 2,13: 14445; – 2,21: 148; – 3,19,1: 27263; – 3,25,2: 259, 260, 261; – 3,25,3: 261; – 3,25,4: 261; – 3,31,4: 261. 6: 1,21: 83159. 7: 1,1: 48418; – 1,5: 4784; – 1,13,3: 483; – 2,4: 48418; – 2,9: 48418. 8: 2,40: 150; – 3,37: 145; – 4,18: 48216; – 5,6,4: 28739. 9: 2,5,3: 75; – 2,11,1: 182; – 2,11,3: 178; – 2,11,4: 183; – 2,15,1: 178; – 2,21,2: 381; – 2,22 pr.: 381; – 2,23: 381; – 2,23,1: 381; – 2,27,9: 203; – 2,27,12: 160; – 2,27,25: 376; – 2,27,30: 182, 383; – 2,30,1: 376; – 2,30,4: 183; – 2,33 pr.: 381; – 2,37 pr.: 376; – 2,49 pr.: 16010; – 2,51: 176; – 2,54: 375, 376, 378, 380, 384; – 2,55: 375, 379 f., 380, 381, 382, 384; – 2,56: 375, 380, 383; – 3,7: 6656. 10: 2,18,2: 372100; – 2,35: 14135; – 2,38: 145; – 2,39: 14240; – 3,6,8: 485. 11: 6,1,1: 6556; – 7,8,4: 28739; – 7,29 pr.: 25824. 12: 1,4 pr.: 1864; – 1,9,9: 19537, 38; – 1,10: 19537; – 1,11 pr.: 1864; – 1,32: 25721; – 4,3,5: 29827; – 6,26 pr.: 385, 394; – 6,26,1: 385, 386, 393, 394, 395, 396, 397, 398, 400; – 6,33: 30965; – 6,49: 297, 29723; – 6,53: 255; – 6,57 pr.: 299; – 6,60: 30756; – 6,65,5-8: 29517; – 6,65,8: 29617; – 6,65,9: 29621; – 6,67: 291, 295, 311314; – 6,67 pr.-1: 297-299, 313; – 6,67,2: 30134; – 6,67,2-3: 299-304, 305, 312, 313; – 6,67,4: 291-294, 306-310, 312-314. 13: 3,1 pr.: 28739; – 6,5,2: 87, 88, 1852, 1864, 18814, 190; – 6,5,7: 69; – 6,17,3: 62; – 6,18 pr.: 83159; – 7,8,3: 3029; – 7,25: 73101. 14: 1,1,18 6022, 6336, 83162; – 1,5 pr.: 6022; – 2,4,2: 376; – 5,8: 3555. 15: 1,11: 29514; – 1,47,3: 48316; – 2: 47240; – 2,2: 472; – 3,18: 25721.

Quellenverzeichnis507 16: 1,13 pr.: 33680; – 1,19,4: 25821; – 1,29: 147; – 3,1,6: 1864; – 3,1,8: 87185; – 3,1,34: 19537; – 3,1,35: 88190, 1864, 187, 190, 195; – 3,24: 88190; – 3,26: 145; – 3,27: 145; – 3,28: 88190. 17: 1,1,2: 79138; – 1,1,4: 55, 58, 62, 64, 85, 86179, 89; – 1,3 pr.: 85, 85173; – 1,5 pr.-1: 79141; – 1,6 pr.: 61; – 1,7: 6550, 54; – 1,8,5: 29827; – 1,8,10: 7190, 83158; – 1,10,7: 64, 6442; – 1,10,9: 6769, 82; – 1,11: 9713; – 1,20 pr.: 6124; – 1,22,2: 79138; – 1,22,5: 48216; – 1,22,9: 79138; – 1,26,6 f.: 6767; – 1,26,8: 5812, 62, 6337, 68; – 1,27,2: 5812; – 1,29,6: 26032; – 1,33: 79138; – 1,34 pr.: 79; – 1,36,1: 6124; – 1,36,2: 5812, 25821; – 1,38: 95 ff., 105, 108, 30029; – 1,39: 1854, 190; – 1,56,1: 9713; – 1,56,2: 5812; – 1,56,3: 6555; – 1,59: 133-134; – 1,59 pr.: 131, 1,59 pr.-1: 145; – 1,59,1: 131, 134; – 1,59,2: 132, 134; – 1,59,3: 132, 134; – 1,59,4: 132, 135; – 1,59,5: 132, 135; – 1,59,6: 132; – 1,62: 30446; – 2,71 pr.: 84167; – 2,73: 14237. 18: 1,6,1: 3029, 46102; – 1,20: 81149; – 1,35,3: 5812; – 1,39,1: 47548; – 1,50: 494, 496, 499; – 1,65: 81151, 152; – 1,79: 48316, 494, 496, 499; – 2,16: 46103; – 3,4 pr.: 46; – 3,4,2: 4076, 77; – 3,4,3: 31; – 3,4,4: 3136; – 3,5: 3026; – 3,6: 14240; – 3,6 pr.: 2924, 3027; – 3,6,1: 3027; – 3,6,2: 4078; – 3,7: 41, 4179; – 3,8: 3028; – 5,10 pr.: 34 f.; – 5,10,1: 2924; – 6,1,1: 83159; – 6,20: 342; – 7,7: 47548. 19: 1,1 pr.: 341; – 1,1,3: 40831; – 1,6,4: 40622; – 1,13 pr.: 339, 342 f., 348, 35041, 351, 406, 407; – 1,21,3: 340, 342, 346, 347, 348; – 1,30,1: 3417, 500, 50024, 501; – 1,31 pr.: 25721, 34211; – 1,31,1: 34211; – 1,38,2: 25721; – 1,43: 75; – 1,45,1: 75; – 1,47: 149; – 2,2,1: 81149; – 2,13,3: 75, 75113, 83158; – 2,13,4: 75; – 2,19,9: 83162; – 2,20,2: 2714; – 2,21: 2714; – 2,22 pr.: 2714; – 2,22,1: 81149; – 2,22,2: 82; – 2,22,3: 47651; –

2,51,1: 82156, 82157; – 2,54: 145; – 2,55,1: 82153; – 2,60,6: 83159; – 2,60,9: 83159; – 2,61: 82153; – 2,71 pr.: 47548; – 4,1,1: 499, 49920; – 4,1,2: 48216; – 5,5,2: 489 f., 497, 498, 499, 500, 501, 502; – 5,5,4: 79, 89; – 5,10: 499, 49921; – 5,12: 46102; – 5,13 pr.: 6124; – 5,13,1: 61; – 5,14,2: 25823; – 5,17,1: 494, 496, 499; – 5,19 pr.: 494, 496, 499; – 5,20 pr.: 32123, 494, 496, 499; – 5,20,2: 494, 496, 499; – 5,22: 59, 6335, 78137, 80143, 86179. 20: 1,26: 14238; – 1,29: 148; – 1,34: 29517; – 3,4: 148; – 4,3,2: 486, 487; – 4,12,6: 386; – 4,21: 29517; – 6,7,4: 477, 484, 485; – 6,11: 145; – 6,12: 149. 21: 1,1,1: 40618, 4649; – 1,1,2: 4648; – 1,1,7: 46513; – 1,1,9: 46616; – 1,14,9: 464, 465, 466, 474; – 1,17 pr.: 32635; – 1,17,1: 32534; – 1,17,1 ff.: 32535; – 1,17,3: 32637; – 1,17,8-9: 32534; – 1,17,10: 32636; – 1,17,12: 320 f., 324, 325, 327, 330, 331; – 1,17,13: 325; – 1,19,1: 32122; – 1,19,2: 467, 46720, 47547; – 1,19,5: 467, 46822; – 1,19,6: 4647; – 1,28: 466 f., 468, 46829, 469, 470, 471, 47241, 473, 474, 476; – 1,48,1: 46514; – 1,48,4: 46514; – 1,48,8: 47241, 473, 47343; – 1,58: 145; – 2,11: 145; – 2,31: 3417; – 2,56,7: 48216; – 2,73: 146. 22: 1,12: 145; – 1,14,1: 148; – 1,15: 150; – 1,20: 385; – 1,29: 385, 386; – 3,4: 145; – 3,5: 149; – 3,15: 14238; – 3,30: 14237; – 3,31: 14237; – 4,3: 148. 23: 2,65: 149; – 3,25: 26545; – 3,26: 26545; – 3,32: 26545; – 3,54: 26545; – 3,67: 254, 255, 258, 262, 263, 264, 267, 270, 272; – 3,72: 146; – 3,80: 48112; – 4,2: 14343; – 4,19: 3029; – 5,18,1: 48316. 24: 1,35: 14; – 1,44: 25721; – 1,56: 36986; – 1,57: 146; – 2,4: 1523; – 2,9: 9 ff., 93, 10, 13, 1416, 2146; – 3,10,1: 25824; – 3,18,1: 376; – 3,49 pr.: 147; – 3,49,1: 146.

508 Quellenverzeichnis 26: 1,1 pr.-1: 3658; – 1,12: 148; – 2,32: 146; – 6,3: 150; – 7,32,4: 30962; – 7,46: 146, 148, 150; – 7,59: 301; – 8,21: 36249. 27: 1,36: 147; – 2,4: 6656; – 7,8: 149; – 9,1 pr.-2: 46107; – 9,14: 149. 28: 1,8,1: 30134; – 1,10: 36878; – 2,3,2: 42515; – 2,7: 48316; – 2,25: 14443, 146; – 2,29: 44268; – 5,9,1: 36876; – 5,43: 443, 44373; – 5,44: 44374; – 5,47: 5812; – 5,55: 25821; – 5,56: 44374; – 5,58: 441, 44166, 44374; – 5,59: 441; – 5,61: 44374; – 5,89: 423, 424, 42515, 43131, 435, 440, 441, 44165, 442, 445; – 6,38,3: 48316; – 6,43,3: 43131; – 6,45 pr.: 147; – 6,45,1: 146; – 6,46: 147. 29: 1,15,4: 4232; – 1,40: 13918; – 1,40 pr.: 147, 36876; – 1,40,1-2: 146; – 1,40,2: 147; – 2,11: 438; – 2,57: 43028, 43546; – 2,60: 48111; – 2,62 pr.: 48316; – 2,70: 44166; – 2,90: 149; – 2,91: 150; – 2,92: 147; – 2,97: 3348, 3555; – 5,22: 147. 30: 19 pr.: 3029; – 30 pr.: 3029; – 49,1: 3029; – 49,3: 3029; – 71,5: 288, 28842; – 86 pr.: 288; – 86,4: 277, 278, 2789, 279, 27912, 287, 288, 28842, 289; – 96 pr.: 37087; – 124: 25821. 31: 43 pr.: 37087; – 47: 25411, 255; – 76,2: 14136; – 77,1: 14136; – 86 pr.: 13916, 147; – 86,1: 146; – 87: 14019; – 87 pr.: 146; – 87,1: 147; – 88,1: 372102; – 88,6: 37087; – 89,7: 14343. 32: 11,5: 37087; – 27,1: 3555; – 33,1: 37192; – 37,2: 304; – 41: 30446; – 68: 14237; – 92: 147. 33: 1,3 pr.: 3029; – 1,5: 3029; – 1,12: 146; – 1,13: 305; – 1,13 pr.: 30548; – 2,19: 48418; – 2,26,1: 48418; – 2,28: 146; – 2,31: 478 ff., 4807, 483, 484, 486, 488; – 2,32,9: 30030; – 4,11: 146; – 4,16: 14445; – 7,12,43: 369; – 7,19 pr.: 150; – 7,19,1: 149; – 8,23,3: 30030. 34: 1,12: 148; – 1,13 pr.: 14341; – 1,13,2: 143; – 2,21 pr.: 25821; – 2,26: 232; – 2,35: 146; – 2,37: 150; –

3,28,4: 30443; – 3,28,11: 30030; – 3,28,12: 30030; – 3,31,2-3: 30443; – 4,30 pr.: 370; – 4,30,2: 372102; – 5,4: 150; – 9,19: 150. 35: 1,27: 372100; – 1,40,3: 48316; – 1,40,5: 372100; – 1,43 pr.: 48316; – 1,44,10: 48316; – 1,71,3: 25821; – 1,83: 149; – 1,84: 148; – 2,6: 25824; – 2,24: 150; – 2,32,3: 3029; – 2,49 pr.: 48316; – 3,54 pr.: 3029. 36: 1,24: 25821; – 1,41,1: 48316; – 1,50: 150; – 1,60,3: 14136; – 1,63: 150; – 1,76,1: 3555; – 1,80, 2-3: 305; – 1,80,3: 30030; – 1,80,9: 30030; – 1,80,12: 304; – 2,12,5: 75. 37: 1,15: 149; – 6,11: 149; – 10,13: 146; – 14,17 pr.: 3348. 38: 1,1: 29513; – 1,37 pr.: 83162; – 2,46: 148; – 2,47: 146; – 9,2: 432, 433, 434, 43549; – 11,1,1: 12. 39: 5,19,1: 6656; – 5,27: 6656; – 6,13,1: 450 f., 455, 456, 458; – 6,16: 4497; – 6,27: 455, 456, 457; – 6,30: 4497; – 6,35,2: 455, 456, 458; – 6,35,4: 450, 451, 455, 456, 458; – 6,41: 25821; – 6,42: 305; – 6,42 pr.: 14135; – 6,42,1: 45717. 40: 1,4 pr.: 33469; – 1,4,2-3: 33572; – 1,5 pr.: 334; – 1,6: 333, 33365; – 1,23: 147; – 4,53: 147; – 5,9: 25821; – 5,39: 150; – 5,40: 147; – 7,3 pr.-1: 33364; – 7,3,2: 333; – 7,3,13-14: 3029; – 7,34,1: 33785; – 7,40,4: 30030; – 7,40,5: 30030; – 7,40,6: 30030; – 12,38,2: 148; – 12,38,3: 147. 41: 1,1 pr.: 153; – 1,1,1: 154, 159, 161, 168, 170; – 1,2: 154, 159, 170; – 1,3 pr.: 154, 159, 161, 170; – 1,3,1: 154, 159, 170; – 1,3,2: 154, 159, 160, 161, 168, 170; – 1,5 pr.: 155, 159, 161, 170; – 1,5,1: 155, 159, 160, 170, 25823, 28947; – 1,5,2: 155 f. 157, 159, 160, 170; – 1,5,3: 156, 157, 159, 160, 170; – 1,5,4: 156, 157, 159, 160, 161, 170; – 1,5,5: 157, 158, 159, 160, 161, 170; – 1,5,6: 158, 159, 160, 170; – 1,5,7: 161; – 1,14,1: 25821; – 1,44: 16314; – 2,1,3: 233, 244; – 2,1,14:

Quellenverzeichnis509 48216; – 2,3,4: 27262; – 2,3,21: 271; – 2,32,2: 48316; – 3,4,8-9: 25618; – 3,4,10: 25823; – 3,27: 269; – 3,29: 25821; – 4,1: 27059; – 4,2,3: 2923; – 4,2,21: 27059; – 4,3: 27059; – 4,9: 27160; – 4,10: 27160; – 4,11: 26854, 271, 27160; – 5,2,2: 269; – 7,8: 147; – 9,1,2: 254, 263, 264, 269, 270, 272; – 9,1,3: 254, 263, 264, 268, 269, 270, 272; – 9,1,4: 254, 263, 264, 268, 269, 270, 272; – 10,1 pr.-1: 272; – 10,2: 271; – 10,3: 268; – 10,4 pr.-2: 268; – 10,5 pr.: 268, 27263; – 10,5,1: 268. 42: 1,21: 48316; – 1,27: 386; – 1,42: 148; – 1,43: 150; – 1,44: 14447, 42925, 430, 433, 435, 436, 438, 439, 445; – 4,13: 23862; – 5,6,2: 29722; – 7,5: 301; – 8,3,1: 28739. 43: 3,1,8: 28739; – 8,2,10: 376; – 16,1,35: 25821; – 18, 2: 28843; – 24,15,8: 28739; – 26,5: 25821; – 26,20: 2713. 44: 2,31: 148; – 3,12: 147; – 4,14: 81, 148; – 7,1,4-6: 376; – 7,29: 145. 45: 1,5 pr.: 47136; – 1,33: 376; – 1,37: 376; – 1,38,10: 29513; – 1,38,11: 29513; – 1,38,20: 29513; – 1,82,1: 378; – 1,104: 33680; – 1,118 pr.: 25821; – 1,134: 147; – 1,140 pr.: 25821; – 1,140,1: 3029; – 2,9,1: 1854. 46: 1,37: 26032; – 1,45: 9713, 105; – 1,67: 9713; – 1,69: 26031; – 2,9,1: 442; – 2,30: 149; – 3,38,3: 25821; – 3,45: 14237; – 3,78: 26648; – 3,84: 255; – 3,86: 48316; – 3,95,11: 25821; – 3,99: 149; – 3,100: 146; – 3,101: 150; – 5,10: 14237; – 8,13 pr.: 74106, 342; – 8,25,1: 26032. 47: 2,1,3: 25823; – 2,21,9: 48316; – 2,26 pr.: 1609; – 2,43,4: 25823; – 2,55,1: 25823; – 2,57,3: 25618; – 2,62[61],9: 29722; – 2,66: 25823, 28947; – 7,8,2: 25823; – 8,2,23: 88190, 1864; – 10,38: 33889; – 10,44: 48111; – 19,2 pr.: 23863. 48: 5,16[15],4: 23863; – 5,28,8: 28739; – 5,41: 13814, 13917, 148; – 5,44: 12, 13, 1416; – 10,16: 148; – 16,1,8:

23863; – 16,5: 148; – 19,28,7: 3177, 31813, 337 f., 33889; – 20: 30340; – 22: 30340. 49: 8,2: 148; – 8,3: 150; – 14,50: 3348; – 17,18,3: 28739. 50: 1,21: 13814, 148; – 1,36: 14238; – 5,9: 148; – 7,9: 148; – 7,10: 148; – 12,1,5: 46823; – 12,3 pr.: 467, 46719; – 12,5: 14237; – 13,1: 6556; – 13,1 pr.: 6554, 75115; – 13,1,3: 46823; – 13,1,7: 86177; – 13,1,10: 6555; – 16,5,1: 82156; – 16,125: 25411, 255, 25721; – 16,220: 14020; – 16,221: 149; – 16,223,1: 6446; – 17,1: 86181, 90201; – 17,23: 83159, 1851; – 17,202: 86181. Institutiones: 1: 6,1: 433, 443; – 13,1-2: 3658; – 26: 3243. 2: 7,1: 449 f., 4497; – 16 pr.: 437; – 25 pr.: 4388. 3: 9,2: 43237; – 14,2: 376; – 18 pr.: 47136; – 26,10: 1345; – 26,13: 60, 64, 72, 87185, 88. 4: 11,4: 30858. Novellae: 22: 1834; – 87: 450, 452 ff., 454; – 117: 1834; – 121: 389, 390, 391, 398, 400; – 121,1: 386 ff., 389, 390, 391, 398; – 121,2: 389, 392, 398; – 134: 1834; – 138: 391 f. Fragmenta Vaticana 3: 41; – 44: 14237; – 69: 148; – 94: 146; – 95: 149; – 96: 146; – 97: 149; – 98: 149; – 99: 149; – 100: 146; – 101: 149; – 102: 146; – 103: 149; – 104: 149; – 105: 149; –106: 146; – 107: 147, 148; – 108: 149; – 109: 149; – 110: 149; – 111: 146; – 112: 149; – 114: 147; – 116: 146; – 117: 146; – 118: 149; – 258: 14135; – 333: 14136. Gai Epitome 2: 5,3: 37197; – 9,18-20: 64. Gaius Institutiones: 1: 52: 36253; – 62: 4390. 2: 14: 28738; – 16: 118; – 19-20: 256; – 30: 4808; – 56: 28947; – 66: 161;

510 Quellenverzeichnis – 67: 162; – 68: 162; – 69: 162; – 104: 372106; – 193: 36985; – 195: 37196; – 229: 36879. 3: 142 f.: 6021; – 147: 81149; – 162: 59, 6335, 86179; – 205: 83158, 159; – 206: 83159, 1852; – 207: 1851, 2. 4: 14: 332; – 47: 491; – 130-137: 495; – 131: 495; – 132: 495; – 136: 495, 496; – 137: 495; – 182: 6770. Harmenopoulos Hexabiblos: 1: 12,40: 39. Novellae Theodosii 12 pr.: 1728; – 16: 373108. Pauli sententiae 1: 7,3: 307, 30753; – 12,3: 2041. 2: 19,3-5: 199; – 19,6: 36671. 3: 7,2: 4497. Theophilus antecessor Institutionum Graeca paraphrasis: 2: 16 pr.: 437. Tipoukeitos 45: 4,13: 30548. Ulpianus Regularum liber singularis (epitome Ulpiani): 5: 5: 36671; – 6-7: 199. 6: 1: 3029. 20: 10: 36981.

Mittelalterliches und modernes Recht Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) § 1004: 56. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) I 13: §§ 74 ff.: 56. Bundesgerichtshof (Deutschland), Entscheidungen in Zivilsachen (BGHZ) 52,99: 4772.

Bürgerliches Gesetzbuch für das Deutsche Reich (BGB) § 281: 405; – § 311a: 405; – § 323: 405; – § 320-327 a. F.: 404; – §  433 f. a. F.: 403, 405; – § 433: 405; – § 433 a. F.: 4031; – § 434: 405; – § 434 a. F.: 4031; – § 437: 405; – § 439: 405; – § 440 a. F.: 404; – § 441: 405; – § 459 a. F.: 404, 4042; – § 462 a. F.: 404, 4043; – § 463 a. F.: 404, 4044; – § 480 a. F.: 404, 4045; – § 662: 55,56; – § 675(1): 56; – § 775 (1): 936, 108; – § 830 (1): 175; – § 840 (1): 175; – § 958: 1531; – § 1066: 4772; – § 1066 III: 4809; – § 1258: 4772. Burgerlijk Wetboek § 1299: 56. Code civil Art. 1150: 351; – Art. 1151: 351, 477; – Art. 1986: 56; – Art. 2309: 922; – Art. 2414: 4772. Codice civile 1865 Art. 1737: 56; – Art. 1739: 56. Codice civile 1942 Art. 1709: 57. Draft Common Frame of Reference (DCFR) IV. H.-1: 105: 46021. Glossa Ordinaria D. 4: 4,7,10 gl. in extraneo pupillo: 42823. D. 24: 2,9 gl. libertum: 2146. D. 28: 5,89 gl. adiiciatur: 44165. Minpo (Japanisches Zivilgesetzbuch) § 239: 1531; – § 401: 409; – § 460: 921; – § 541: 419; – § 543: 420; – § 549: 4471, 4485; – § 550: 4471, 46123; – § 554: 447, 448, 461, 462; – § 566: 408, 42178; – § 570: 408, 409, 411, 420; – § 648(2): 56; – § 709: 173; – § 719: 173; – § 754: 4473; – § 960: 4486; – § 991: 462; – § 1022: 447, 4484, 46224; – § 1026: 448; – § 1030: 46122.

Quellenverzeichnis511 Oberster Gerichtshof (Japan), Entscheidungen (OGH) 24,4,1942 (MINSHU 21,8,447): 4772; – 25,5,1972 (MINSHU 26,4,805): 4473; – 24,1,1983 (MINSHU 37,1,21): 4473, 46224. Obligationenrecht (Schweiz) § 394(3): 56.

Antike Autoren Ambrosiaster Commentarius in epistulas Paulinas: ad Corinthios I 13,3: 21787. ad Galatas 21786; – 2,1-2: 215. ad Timotheum II 3,6-7: 21468. ad Romanos 1,1: 21791; – 5,12: 21572; – 5,14: 21787. Quaestiones Veteris et Novi Testamenti: 56: 21678; – 109: 21784; – 114,30: 215. Apicius De re coquinaria: 2,4: 36144; – 4,3,4: 36144; – 7,4: 36144; – 8,7,12: 36144. Appianus Bella civilia: 1,2,5: 22729. Hannibalica: 38-39: 12331; – 162-169: 12331. Apuleius Florida: 4: 36043. Aristoteles Historia animalium: 5,22: 16932. Asconius in Cic. Pisonianam (frg. 10 Clark) pag. 2 ff. Clark (13,4 ff. Stangl): 242; – in Cic. Milonianam, argu­ mentum pag. 32 Cl. (31,34 St.): 22936.

Cassius Dio Historiae Romanae: 47: 18,1: 32226; – 18,4: 32226; – 19: 3165; – 19,2-3: 3164, 322. 56: 43,3: 36358. Cato maior Origines: 2 frg. 37: 22312. Cicero ad Atticum: 5: 21,13: 385. de officiis: 1: 42,151: 6871. Philippicae: 3,15: 11311; – 4,2: 11311. Pro Milone: 3,9: 19910. Pro Roscio comoedo: 6,16: 3762. Collectio Avellana 13,5: 21674. Columella De re rustica: 9: 3: 16932; – 6,1: 16418; – 8: 16417; – 11,1-5: 16422; – 14,2-5: 16422. Diodorus Bibliotheca historica: 1: 79,2: 393. 23: 8: 12641. Epistula concilii Romani ad Gratianum et Valentinianum imperatores: 21674. Eusebius Caesariensis Vita Constantini: 4,26,5-6: 373109. Festus De verborum significatu (Lindsay): s. v. servorum dies (pag. 460/467): 323.

Augustinus Contra duos epistulas Pelagianorum: 4,4,7: 21572.

Gellius Noctes Atticae: 13: 14, 3-4: 32329; – 14,7: 32429. 16: 8,2: 23757.

Augustus Res gestae: 34: 22835.

Gennadius De viris illustribus: 26: 21573.

512 Quellenverzeichnis Hieronymus Apologia adversus libros Rufini: 1,17: 356. Chronicorum canones: ad Olympiadem 189 (PL 27,435 f. = pag. 141 Schoene): 22936; – ad Ol. 193 (PL 27,440 = pag. 145 Sch.): 22310, 22938. Commentarius in epistolam ad Galatas: prologus: 21785. Commentarius in epistolam ad Titum: 3,9: 21676. Commentarius in evangelium Matthaei: 1,16: 21678. Commentarius in Isaiam: 12: praefatio: 357. De viris illustribus: 21675. Epistolae: 35: 21679; – 36: 21780; – 36,1,1: 21781; – 73,1: 21782; – 107,11,1: 36673. Isidorus Origines (etymologiae): 9: 7,24: 2247. Itinerarium Antonini Augusti 344,6: 23653; – 350,6: 23653. Iuvenalis Saturae: 2,119-120: 36145; – 8,272-275: 3164; – 11,144: 36144; – 12,84: 36035. Livius Ab urbe condita: 21: 44,5: 1522. 23: 41,10: 127. 26: 5,3: 12748; – 5,11: 12749; – 8,9-11: 12128; – 11,10-13: 12230; – 11,13: 12432. 42: 62,4: 1522. Periochae: 74: 22731. Martialis Epigrammata: 12: 48,17: 36144. 14: 71(70): 36038; – 14,72: 36039.

Mekhīltā de Rabbi Jishma‘el 7,6: 20836. Mišna Sanhedrin 7,7: 20730. Nonius De conpendiosa doctrina (Mercerus): s. v. pandere (pag. 44 M. = pag. 63 L.): 323. Oracula Sybillina 3: 226: 207. Orosius Historiae adversus paganos: 6: 21,22: 24275. Petronius satyrica: 47,8-13: 35929; – 49,1-10: 35929. Plautus Rudens: 32 f.: 328, 32845; – 41: 32948; – 49: 32948; – 145 f.: 329; – 217 f.: 330; – 324-326: 32948; – 373 f.: 32946; – 454-456: 33054; – 491: 32948; – 581585: 331; – 629-631: 32845; – 722: 3165; – 723-725: 331; – 789 f.: 32948; – 859: 32948; – 883: 32948; – 953997: 166 ff.; – 1282: 32948; – 13801382: 32844. Plinius maior Naturalis historia: 1: 16(16),49: 16419; – 17(17),54: 16422. 3: 17(21),124: 22312. 7: 12(10),55: 22936. 8: 6,1 (= 6(6),16): 11823; – 21(30),72: 36358; – 30(45),107: 36358. 10: 22(29),56: 16931. 11: 18(19),59: 16932. 21: 14(47),80: 16418. Plinius minor Epistulae: 1: 6: 1598. 2: 11,4: 23862. 4: 22,1: 23862. 8: 16: 36464; – 16,1-3: 363, 373. 10: 96: 23863.

514 Quellenverzeichnis 200; – 23a (LXX): 200; – 23b (LXX): 200. Exodus: 19: 12: 21050. 20: 16[13]: 210. 21: 12: 21150; – 15: 21150; – 16: 21050; – 16 (LXX): 21150; – 17: 21150; – 17 (LXX): 21050; – 19: 20834, 37. 22: 2: 21049 – 18: 21150. 31: 14: 21150; – 15: 21150. Isaias: 8: 19: 20730. Leviticus: 18: 12 (LXX): 200; – 12-13: 20015; – 13 (LXX): 200; – 16 (LXX): 200. 20: 2: 21150; – 9: 21150; – 10: 21050; – 11: 21050; – 11-12 (LXX): 199, 200; – 12: 21050; – 13: 21150; – 15: 21150; – 16: 21150; – 27: 21150. 24: 16: 21150; – 17: 21150. 27: 29: 21150. Numeri: 15: 35: 21050. 27: 11 (Vulg.): 1971. 35: 16: 21050; – 17: 21050; – 18: 21150; – 20-21: 21050; – 31: 21150. Psalmi: 110: 4: 21783. Valerius Maximus Facta et dicta memorabilia: 9: 7,4: 22731. Varro De lingua Latina: 5: 111: 36144. De re rustica: 2: 2,5-6: 47548; – 4,9-10: 36147 – 4,21: 36668. 3: 9,16: 16929; – 16,15: 16418; – 16,21: 16523; – 16,28: 16523; – 16,29: 16421; – 16,33: 16523. Vergilius Georgica: 4: 21 ff.: 16421; – 33 ff.: 16418; – 67 ff.: 16421; – 185 ff.: 16421.

Inschriften AE (L’Année épigraphique) 1996, 1708: 36358. BGU (Ägytische Urkunden aus ... Ber­ lin, Griechische Urkunden) III: 702: 19226; – 729: 19226, 19433; – 856: 19226. Ch. L. A. (Chartae Latinae Antiquio­ res) IX: 496: 37192, 372107. CIL (Corpus Inscriptionum Latinarum) II: 4514: 370. III: 2, 948: 82154. V: 3401: 22627; – 6513: 22415; – 6520: 22414, 17; – 6521: 22415; – 6549: 22415; – 6556: 22415; – 6596: 22417; – 6623: 22417. VI: 7458: 35928; – 8750: 35928; – 11746: 372101. VIII: 12400: 36144; – 22661: 36257; – 24037: 36144. IX: 3907: 12956. CPR (Corpus Papyrorum Raineri) I: 29: 19226. FIRA (Fontes Iuris Romani Anteiusti­ niani) III: 35: 36464, 36980, 372103; – 47: 36875, 77, 372105, 107; – 48: 37086, 36877; – 50: 36875; – 56: 37299. ILS (Dessau, Inscriptiones Latinae Se­ lectae) 1798: 35928; – 6957: 370. IRC (Inscriptions romaines de Catalogne) IV: 45: 370. Lex coloniae Genetivae Iuliae sive Ursonensis 62: 22834; – 94: 224 f. Lex Irnitana 19,13 ff.: 225. Lex Rubria 223, 22313. P. Ath. (Athen) 28: 192.

Quellenverzeichnis513 Plutarchus Vitae parallelae: Comparatio Dionis et Bruti 5: 24892. Romulus 9,3: 3164. Polybius Historiae: 1: 18: 12639; – 1,19: 12641. 3: 342: 12643; – 3,379: 12746. 9: 5,7-9: 12229. Quintilianus (Ps.-Quintilianus) Declamationes mi­ nores: 277: 23758; – 314: 23758. Institutio oratoria: 2: 15,6: 229, 22939. 3: 10,1: 23862. 5: 14,18: 19910. 7: 2,20: 23862. 9: 2,95: 230. Scriptores Historiae Augustae (SHA) Vita Marci: 22,4: 3870. Seneca philosophus De beneficiis: 3: 22,1: 31813. De clementia: 1: 18,2: 31813. Dialogi: 10 (de brevitate vitae): 13,8: 32329.

De oratoribus (opus perditum): 229. De viris illustribus: 221. De vita Caesarum: 1 (Iulius Caesar): 81,1: 236; – 81,3: 236. 2 (Augustus): 7,2: 22835; – 27,2: 1522; – 34,2: 1418; – 35,1: 1522; – 40,3: 1522; – 89,1: 22937. 3 (Tiberius): 1,2: 23755; – 14,4: 22937; – 37,2: 3152; – 56,1: 22937; – 66,1: 236. 4 (Caligula): 30,5: 236. 5 (Claudius): 9,2: 238, 23865; – 26,3: 4390; – 41,2: 236. 6 (Nero): 33,1: 236. Summa Trecensis 7: 31,2: 34625; – 34729, 30. Tacitus Annales: 3: 36: 3165, 31813, 33887, 89; – 60,1: 315 f. 4: 14,1: 3152. 12: 5 f.: 4390. Historiae: 1: 70: 223, 22414. Targum Onqelos Ex. 21,19: 208 f.

Seneca rhetor Controversiae: 3: 9: 33467. 7: praef.: 229 f.; – praef. 2: 232; – praef. 3: 232; – praef. 6: 23344; – praef. 6-7: 230, 231 f.; – praef. 7: 228, 22833. 10: praef. 13: 229.

Testamentum Novum Epistula ad Hebraeos: 5,6: 21783; – 5,10: 21783; – 6,20: 21783; – 7,1-13: 21783. Epistula ad Philippenses: 2,25: 20118; – 4,18: 20118.

Strabo Geographica: 5: 1,6: 236.

Testamentum Vetus Deuteronomium: 1: 7: 50; – 1,17: 50. 16: 19: 50. 18: 10 (LXX): 206, 20629; – 10-11 (LXX): 205 f.; – 11 (LXX): 20630. 21: 19 (LXX): 20833. 27: 15-26: 20015, 213; – 20 (LXX): 200; – 21 (LXX): 200; – 22 (LXX):

Suetonius De grammaticis et rhetoricis: 220, 221; – 7,1: 22937; – 30,1-6: 222; – 30,2: 230; – 30,3: 230, 23552; – 30,4: 230, 23654; – 30,5: 235; – 30,6: 240, 251.

Testamentum porcelli: 353-373.

Quellenverzeichnis515 P. Hamb. (Hamburg) I: 72: 37192, 372107. P. Heid. (Heidelberg) IV: 327: 76124. P. Lond. (London) II: 298: 19226, 19433; – 310: 19226. III: 943: 19226. P. Mich. (Michigan) II: 121 II,8: 76124. V: 346a: 77130. inv. 5191a: 76124, 77. P. Oxy. (Oxyrhynchus) I: 71: 19226. IV: 724: 76118, 77126. XIV: 1647: 77130.

XXXI: 2586: 76124. XLI: 2977: 76118, 77130. Hels. (Helsinki) 29: 76118. Inv. [27] 3 B/41 G (7-9): 74112, 76

123

.

PSI (Pubblicazoni della Società Italiana per la ricerca dei papiri greci e latini in Egitto) III: 241: 77130. X: 1110: 76123. SB (Sammelbuch griechischer Urkun­ den aus Ägypten) VI: 9291: 19433. SEG (Supplementum epigraphicum Grae­ cum) XVII: 759: 36250.