Der elsässische Adel im Spätfeudalismus: Tradition und Wandel einer regionalen Elite zwischen dem Westfälischen Frieden und der Revolution (1648–1790) [Reprint 2017 ed.] 9783486826487, 9783486555516


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German Pages 359 [360] Year 1990

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
1. Der elsässische Adel im Ancien Régime: Status und Hierarchie
2. Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft
3. Familienklientel, Akkulturation und Herrschaftsstrategien
4. Die soziale und wirtschaftliche Integration
5. Die Basis des grundherrschaftlichen Renteneinkommens
6. Die Seigneurie im Lichte von Administration und Ökonomie
7. Grundherrschaft und Dorfgemeinde im Spannungsverhältnis
Zusammenfassung
Genealogische Tafeln
Abkürzungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Register
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Der elsässische Adel im Spätfeudalismus: Tradition und Wandel einer regionalen Elite zwischen dem Westfälischen Frieden und der Revolution (1648–1790) [Reprint 2017 ed.]
 9783486826487, 9783486555516

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Erich Pelzer Der elsässische Adel im Spätfeudalismus

Ancien Régime Aufklärung und Revolution Herausgegeben von Rolf Reichardt und Eberhard Schmitt Band 21

R. Oldenbourg Verlag München 1990

Erich Pelzer

Der elsässische Adel im Spätfeudalismus Tradition und Wandel einer regionalen Elite zwischen dem Westfälischen Frieden und der Revolution (1648-1790)

R. Oldenbourg Verlag München 1990

Gedruckt mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Pelzer, Erich: Der elsässische Adel im Spätfeudalismus : Tradition und Wandel einer regionalen Elite zwischen dem Westfälischen Frieden und der Revolution (1648-1790) / Erich Pelzer. - München : Oldenbourg, 1990 (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution ; Bd. 21) ISBN 3-486-55551-0 NE: GT ©1990 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Appl, Wemding Druck und Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München ISBN 3-486-55551-0

Inhalt Vorwort Einleitung: A. Problemstellung B. Forschungsstand C. Quellenlage

VII 1 1 4 7

1. Der elsässische Adel im Ancien Régime: Status und Hierarchie . . . . 1.1. Die Ausgangslage und deren historische Bedingungen . . 1.2. Adel und Lehen 1.3. Adel und Seigneurie 1.4. Alte und neue Eliten

9 9 15 29 34

2. Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft 2.1. Die deutschen Reichsfürsten 2.2. Die Reichsritterschaft im Unterelsaß 2.3. Der landsässige Altadel 2.4. Der eingewanderte Neuadel 2.5. Der Amtsadel am Gerichtshof in Colmar 2.6. Die prunkliebenden Abwesenden: die Familien Mazarin, La Tour du Pin und Sénozan

41 41 47 58 68 89 97

3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5.

Familienklientel, Akkulturation und Herrschaftsstrategien Heiratsallianzen und Symbole Adlige Sozialprofile Zwischen Tradition und Anpassung Gruppensolidarität und Konflikte Adel versus Ancien Régime?

106 108 119 128 136 146

4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5.

Die soziale und wirtschaftliche Integration Zum Problem der Verschuldung Aufstieg und Niedergang der Familie von Rosen Der Adel im Dienst des Staates Adel und Kirche Adel und Kapitalismus

157 157 167 174 181 185

5. Die Basis des grundherrschaftlichen Renteneinkommens 5.1. Der seigneuriale Bereich 5.1.1. Die Justiz und ihre Privilegien 5.1.2. Die Frondienste 5.1.3. Das Jagdrecht

192 192 193 201 205

VI

Inhalt

5.1.4. 5.2. 5.2.1. 5.2.2. 5.2.3.

Abgaben und Streitfälle Der feudale Bereich Feudalgefalle Lehnsvergabe und Lehnsentzug Die Tätigkeit der Feudalkommission

207 215 215 218 221

6. 6.1. 6.1.1. 6.1.2. 6.2. 6.2.1. 6.2.2.

Die Seigneurie im Lichte von Administration und Ökonomie Agenten und Geschäftsleute im Dienste der Grundherren Der Rentencharakter der Herrschaft Landser Verwaltungspraxis im „Herzogtum Mazarin" Die wirtschaftliche Seite der Grundherrschaft Die Feudalquote Pachteinnahmen

228 228 228 235 242 243 252

7. 7.1. 7.1.1. 7.1.2. 7.1.3. 7.2. 7.2.1. 7.2.2. 7.3. 7.3.1. 7.3.2.

Grundherrschaft und Dorfgemeinde im Spannungsverhältnis Die seigneuriale Reaktion Die Erneuerung der Grund- und Zinsbücher Der Zugriff auf die dörflichen Kollektivrechte Die Demonstration der Ehren Vorrechte Die cahiers de doléances Die Beschwerden Kollektives Erwachen und antifeudale Ideologie Die brennenden Schlösser Der revolutionäre Auftakt im Oberelsaß Erwartungen und Enttäuschungen

257 257 258 261 265 267 268 272 276 277 282

Zusammenfassung

284

Genealogische Tafeln Karten Abkürzungsverzeichnis

287 290 292

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Ungedruckte Quellen 2. Gedruckte Quellen 3. Literatur 3.1. Nachschlagewerke 3.2. Literatur zur elsässischen Landesgeschichte 3.3. Literatur zum innerfranzösischen Kontext 3.4. Literatur zum deutschen Adel

294 294 306 310 310 312 324 332

Register

335

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 1985 in kürzerer Form unter dem Titel „Spätfeudalismus und Gesellschaft. Studien zur Wirtschafts- und Sozialstruktur des Oberelsaß im Ancien Régime (1730-1790)" von der Philosophischen Fakultät IV. der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg als Dissertation angenommen. Für den Druck ist sie vor allem in den ersten vier Kapiteln gänzlich neu konzipiert bzw. überarbeitet worden. Neue aufschlußreiche Quellenfunde und die erst nachträgliche Einbeziehung des gesamten Elsasses in das historische Untersuchungsfeld trugen zwar maßgeblich - neben anderen Gründen - zu einer zeitlichen Verzögerung der Publikation bei, führten allerdings auch notwendigerweise zu einer inhaltlichen Verschiebung des Themas. Dabei verlagerte sich das ursprüngliche erkenntnisleitende Interesse für die Feudalitätsproblematik im Ancien Régime auf die eigentliche Erforschung des elsässischen Adels zwischen dem Westfälischen Frieden und der Revolution. Was die vielen anregenden Hinweise und das mir entgegengebrachte Vertrauen betrifft, so fühle ich mich einer ganzen Reihe von Personen zutiefst verpflichtet. Mein Dank gilt in erster Linie meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Ernst Schulin, der mich stets in großzügiger und vielfältiger Weise unterstützte. Weiter ist es mir ein besonderes Anliegen, mich bei nachfolgenden Damen und Herren zu bedanken, die mir die Benutzung der Archive erleichtert oder mir bei der Materialbeschaffung geholfen haben: Rainer Babel/Paris, Philippe Dattler/Belfort, Jean-Luc Eichenlaub/Mulhouse, Michel Estienne/Belfort, François-Joseph Fuchs/Strasbourg, M. le Comte d'Hérouville/Paris, JeanYves Mariotte/Strasbourg, M. le Baron Maurice de Reinach-Hirtzbach, Lucie Roux/Metz, Jean-Marie Schmitt/Colmar, Klaus-Peter Sick/z. Z. Paris, Jürgen Voss/Paris, Odile und Christian Wilsdorf/Colmar sowie Jean-Charles Winnlen/ Wittenheim. Ein besonderer Dank gilt Jean-Michel Boehler/Obernai und vor allem Jean Vogt/Strasbourg, die meine wissenschaftliche Neugier von Anfang an mit großem persönlichen Interesse sowohl angeregt als auch gestillt haben. Ihnen habe ich nicht nur unzählige profunde Quellenhinweise zu verdanken, auch verbinden uns inhaltliche Diskussionen, gemeinsame Veranstaltungen und lange Arbeitszeiten in den Archiven und Bibliotheken. So fühle ich mich diesen beiden exzellenten Kennern der elsässischen Agrargeschichte inzwischen auch freundschaftlich verbunden. Ebenso gilt mein Dank der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf, die durch einen beträchtlichen Druckkostenzuschuß die Publikation ermöglichte. In gleicher Weise möchte ich mich beim Deutschen Historischen Institut in Paris und seinem damaligen Direktor, Herrn Prof. Dr. Karl Ferdinand Werner, für ein zu Beginn meiner Forschungen bewilligtes zweijähriges Stipendium bedanken. Herzlich danken möchte ich schließlich Herrn Dr. Rolf Reichardt/Mainz, der die Entstehung und die inhaltliche Konzeption dieser Arbeit ebenfalls von Anfang an mit Rat und Tat betreut und gefördert hat. Ihm ver-

VIII

Vorwort

danke ich nicht nur die konkreten Korrekturhinweise zum Promotionsmanuskript sondern auch die Aufnahme in die von ihm und Herrn Prof. Dr. Eberhard Schmitt/Bamberg herausgegebene wissenschaftliche Reihe. Last but not least danke ich Claudia Ihlefeld. Ohne ihre tiefe Zuneigung, Toleranz und sprachliche Kompetenz bei der Schlußredaktion wäre vieles von dem, was an diesem Buch gelungen sein mag, nicht möglich gewesen. Ihr widme ich diese Arbeit. Freiburg i. Brsg., den 16. Mai 1990.

Fiir Claudia

„Die Revolution wird Finsternis für alle sein, die sie allein betrachten wollen. Das einzige Licht, das sie erhellen kann, muß man in den Zeiten suchen, die ihr vorangegangen sind." (Alexis de Tocqueville)

Einleitung A. Problemstellung Über mehrere Jahrhunderte, bis zur Auflösung der ständisch-absolutistischen Gesellschaftsordnung am Ende des 18. Jahrhunderts, stand der Adel in Frankreich im Zentrum des gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsgefüges. Eine ländliche Welt ohne den Adel war für die Zeitgenossen unvorstellbar. Seine Führungsrolle in Staat und Gesellschaft leitete er von seiner Geburt ab und lebte in der Vorstellung, die Herrschaft über Land und Untertanen gebühre nur ihm allein. Diese Grundlage der Adelsideologie, die seit dem Mittelalter ständig neue Auferstehungen erlebt hatte, jedoch längst nicht mehr der Realität entsprach, wurde nicht nur von der Aristokratie zunehmend kritischer gesehen, sondern vor allem von den sozial aufstrebenden bürgerlichen Schichten seit der Mitte des 17. Jahrhunderts heftigst in Frage gestellt. Die Beschäftigung mit den gesellschaftlichen Eliten des Ancien Régime gewinnt gerade aus den Spannungen und Interdependenzen zwischen diesen beiden tonangebenden sozialen Gruppen ihre Relevanz. Führte die Zulassung neuer bürgerlicher Schichten zu starken inneren Spannungen bei der privilegierten Oberschicht, oder gingen Adel und Bürgertum in einem säkularen Assimilationsprozeß eine Elitenfusion ein, mit dem Ziel, gemeinsam politische Verantwortung zu tragen? Weiter stellt sich die Frage, ob die permanente Wechselbeziehung beider Gruppen in den zwei Jahrhunderten vor der Revolution der einen zum Verhängnis wurde, während die andere Gruppe als Siegerin hervorging? Weil sowohl Adel wie auch Bürgertum im Ancien Régime mehr Macht und Einfluß als die restliche Bevölkerungsmehrheit besaßen, ist weiter zu fragen, in welcher Weise mentale Verhaltensweisen, soziale, ökonomische und politische Konzepte von der jeweils anderen Schicht übernommen wurden. Die vorliegende Untersuchung thematisiert am Beispiel des Elsasses den wechselseitigen Durchdringungsprozeß, der sich beim Adel und beim gehobenen Bürgertum im französischen Ancien Régime auf so idealtypische Weise herauskristallisierte. Die ehemalige Grenzprovinz, die der deutsche Kaiser im Westfälischen Frieden an den französischen König abtreten mußte, ist nicht nur deshalb von Interesse, weil hier zwei unterschiedliche Kulturen aufeinanderstoßen, sondern weil die geographische Lage des Elsasses politische und soziale

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Einleitung

Optionen sowie bisweilen einander abwechselnde Loyalitäten zuließ. Das Hauptaugenmerk der Untersuchung ist auf den elsässischen Adel gerichtet, auf seine starke Binnendifferenzierung und Entwicklung seit der Annexion, seine internen Mechanismen und Spannungen sowie sein Verhältnis zur Bourgeoisie zwischen dem Westfälischen Frieden (1648) und der Abschaffung der Adelstitel und damit de jure der Eliminierung als Stand durch die Nationalversammlung im Juni 1790. Aufgrund der französischen Annexion oszillierte der elsässische Adel seit 1648 zwischen Funktionsverlust und erzwungener Anpassung einerseits sowie Selbstbehauptung und Identitätswahrung andererseits. Obwohl anfänglich eindeutig das Moment des Beharrens beim Adel dominierte, öffnete er sich im Laufe des 18. Jahrhunderts unter veränderten sozialen und politischen Bedingungen und leitete den Wandel durch Annäherung an die französischen Sozialnormen ein. In dieser Umbruchs- und Übergangsphase gelang es ihm, seine neue Position als regionale Elite zu festigen, bevor die Revolution seine sozialen Ambitionen sowie die der ihm nacheifernden Bourgeoisie stoppte. Dieses Assimilierungs- und Innovationsverhalten des elsässischen Adels wurde maßgeblich begünstigt durch den seit den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts nicht nur im Elsaß sondern in ganz Frankreich beschleunigten wirtschaftlichen und sozialen Wandel. Die rasche Bevölkerungsentwicklung ging mit einer Veränderung der Sozialverhältnisse einher. Der Übergang vom Ancien Régime zur Revolution manifestiert vor allem eine tiefgreifende Strukturkrise. Auf gesellschaftlicher Ebene traten die Gegensätze zwischen den Privilegierten und Nichtprivilegierten deutlich hervor. Die soziale Ungleichkeit prägte das Erscheinungsbild der hierarchisierten Ständegesellschaft. Der durch Rang und Stand privilegierte Adel nahm eine exponierte Stellung innerhalb des Sozialgefüges ein. Die Basis seiner Dominanz waren der Zugang zu den wichtigsten politischen Ämtern und die exklusive Verfügung über Seigneurien und Lehen. Im wirtschaftlichen Bereich nahm die feudale Produktionsweise noch immer die führende Rolle im Gesamtsystem der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse ein1. Die „Feudalität", jenes Relikt einer altehrwürdigen mittelalterlichen Institution, war im ausgehenden Ancien Régime noch keineswegs verschwunden, sondern bestimmte auch weiterhin die politischen, rechtlichen und sozialen Strukturen der ländlichen Welt. Die spätfeudale Herrschaftsform vollzog sich auf zwei unterschiedlichen Ebenen, die sich nicht selten überschnitten oder gar überlagerten. Zum einen bildete die Feudalität das rechtliche Beziehungsgefüge der Adelsgesellschaft, und zum anderen hatte sie ihre Basis in einem sozio-ökonomischen Gesamtsystem, in welchem sich die Feudalherren einen bestimmten Teil des von den Bauern erwirtschafteten Agrarprodukts aneigneten 2 . Gleichwohl beruhte das spätfeudale Wirtschaftssystem weniger auf Feudalbeziehungen 1 2

Vgl. P. KRIEDTE: Spätfeudalismus und Handelskapital, S. 9. Vgl. L. KUCHENBUCH/B. MICHAEL: Feudalismus - Materialien zur Theorie und Gesellschaft, S. 18.

A. Problemstellung

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als vielmehr auf „quasihypotekarischen Besitztiteln"3. Trotz einer in Umrissen erkennbaren Tendenz zum Kapitalismus behielt das feudalständische System eine erstaunlich relative Stabilität. Die Erforschung der elsässischen Adelsgesellschaft im Übergang vom Ancien Régime zur modernen Welt wirft eine Fülle methodologischer Probleme auf. Die persönlichen und staatlich-behördlichen Zeugnisse von annähernd 450 Familien in über 300 Seigneurien machten eine repräsentative Auswahl notwendig, zumal bei einer geographischen Ausdehnung, die in etwa das Volumen des heutigen Bundeslandes Baden-Württemberg einnahm. Es war daher von Anfang an ein wichtiges Erkenntnisziel, die Struktur und den Wandel einer untergegangenen Gesellschaftsschicht über familiäre Einzelstudien zu erfassen, die kollektive Biographie einer regionalen Elite zu schreiben. Darüberhinaus ist die Untersuchung als Fallstudie konzipiert, in der sowohl strukturanalytische wie auch deskriptive Elemente dominieren. Ein weiteres Erkenntnisziel ist es, das Elsaß nicht isoliert aus der landeskundlichen Perspektive zu erforschen, sondern stets einen Vergleich mit anderen insbesondere innerfranzösischen Regionen anzustellen. Kein geringerer als der bedeutende französische Historiker Marc Bloch (1886-1944) hat betont, Geschichte könne immer nur vergleichende Geschichte sein4. Nihil addendum est. Ein drittes Problem liegt in der definitiven sozialen Zuordnung von Adel und Bürgertum. Während sich beim elsässischen Altadel keinerlei Definitionsprobleme stellen, liegen die großen Schwierigkeiten beim Neuadel. Wie ist ein Bürgerlicher sozial zu klassifizieren, nachdem er sich in den Adel eingekauft hat? Soll man die zeitgenössischen Standesmaßstäbe anlegen oder mit Begriffen wie bourgeois gentilhomme operieren? 5 Eine letztlich verbindliche Differenzierung zwischen Existenz oder Nichtexistenz der Adelspartikel löst ein methodologisches Problem, denn diese Unterscheidung trifft noch keine präjudizierenden sozialen und mentalen Zuordnungen. Im übrigen sahen sich auch die Zeitgenossen zunehmend mit diesem Problem konfrontiert, denn der Adel hatte sich im Ancien Régime sozial so stark geöffnet, daß eine genaue Unterscheidung zwischen Adel und quasiadligem Bürgertum kaum mehr möglich war.

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W. MAGER: Soziale Ungleichheit und Klassenstrukturen in Frankreich, S. 73,88. Vgl. Marc BLOCH: Apologie der Geschichte oder der Beruf des Historikers. Stuttgart 1974, S. 122. Zum methodischen Ansatz vgl. DERS.: Pour une histoire comparée des sociétés européennes, in: Revue de Synthèse historique 46 (1928), S. 15-50. Über Bloch und dessen vergleichende Geschichtsmethode vgl. William H. SEWELLJn: Marc Bloch and the Logicof Comparative History, in: Historyand Theory 6 (\961), S. 208-228. Zur Definition dieser neuen sozialen Gruppe im 16. Jahrhundert vgl. George HUPPERT: Bourgeois et Gentilshommes. La réussite sociale en France au XVIe siècle, Paris 1983. (Erstveröffentlichung Chicago 1977). Über die Herausarbeitung zeitgenössischer Ideen und Theorien zur französischen Sozialordnung vgl. Ariette JOUANNA: Die Legitimierung des Adels und die Erhebung in den Adelsstand in Frankreich (16.-18. Jahrhundert), in: Winfried SCHULZE (Hg.): Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität, München 1988, S. 165-177. Vgl. ebenso zum Diskussionsstand Kuno BÖSE: Aspekte einer Sozialgeschichte Frankreichs im 16. Jahrhunderten: Francia6(1978), S. 577-591.

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Einleitung

B. Forschungsstand Die Erforschung des französischen Adels im Ancien Regime stößt seit etwa zwei Jahrzehnten auf ein bemerkenswertes Interesse. War bislang seine Geschichte weitgehend von der Genealogie bestimmt, so betonen neuere Studien die kritische Offenheit des Standes im Vorfelde der Französischen Revolution. Die Gründe dafür sind zum einen in einer weitgehend von Soziologen geführten theoretischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen sozialer Eliten zu suchen 6 , zum anderen öffnete die stärkere Betonung von Kontinuitäten innerhalb der französischen Gesellschaft zwischen Ancien Régime und Restaurationszeit den Blick für die überaus wichtige sozio-politische Rolle, die dem Adel im vorrevolutionären Frankreich zukam 7 . Der bahnbrechenden Studie Jean Meyers über den bretonischen Adel aus dem Jahre 19668 sind mittlerweile eine Reihe weiterer regionalspezifischer Fallstudien gefolgt 9 , die ein äußerst heterogenes Bild der Aristokratie am Vorabend der Revolution wiedergeben 10 . Zukünftig wird man nicht mehr von „La Noblesse" sondern von „Les Noblesses" sprechen müssen, oder wie es Guy Chaussinand-Nogaret in Anspielung auf die soziale Öffnung des Adels im 18. Jahrhundert formuliert: „En France on n'est jamais définitivement dans ou hors de la noblesse" 11 . Der Dritte Stand war schon seit der Regierungszeit Ludwigs XIV. stark im Adel vertreten, obwohl Sieyes und Sénac de Meilhan dies zu Beginn der Revolution nicht wahrhaben wollten. An dieser Entwicklung war die Krone maßgeblich beteiligt, da sie seit Ende des 17. Jahrhunderts eine soziale Brücke zwischen Aristokratie und Bourgeoisie gebaut hatte. Bereits 1956 lenkte Marcel Reinhard den Blick auf das allmähliche Konvergieren der Eliten im Ancien Régime 12 . Beide Gruppen näherten sich einander nicht nur im sozialen Bereich sondern kooperierten auch auf wirtschaftlichem Terrain. Dies zeigen die Forschungser6

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Urs J A E G G I : Die gesellschaftliche Elite. Ein Studie zum Problem der sozialen Macht. Bern-Stuttgart 1960. Unter historischer Betrachtungsweise vgl. Hans P. D R E I T Z E L : Elitebegriff und Sozialstruktur. Eine soziologische Begriffsanalyse. Stuttgart 1962. T. B. B O T T O M O R E : Elite und Gesellschaft. Eine Übersicht über die Entwicklung des Elitenproblems. München 1966. Wolf L E P E N I E S : Melancholie und Gesellschaft. F r a n k f u r t / M a i n 1969. Die wichtigste Studie aus diesem Themenbereich ist und bleibt Norbert ELIAS: Die höfische Gesellschaft. Darmstadt u n d Neuwied 1969 ( N D F r a n k f u r t / M a i n 1983). Louis B E R G E R O N : Die französische Gesellschaft von 1750 bis 1820, in: Z. H. F. 4(1977), S. 131-146. Rolf R E I C H A R D T / E b e r h a r d S C H M I T T : Die Französische Revolution - Umbruch oder Kontinuität? in: Z. H. F. 1 (1980), S. 247-320. Jean M E Y E R : La noblesse bretonne au XVIII e siècle, 2 Bde., Paris 1966 ( N D Paris 1985). Vgl. die ältere Studie von Robert F O R S T E R : The Nobility ofToulouse in the Eighteenth-Century, Baltimore-London 1960. DERS. : The House of Saulx-Tavannes. Versailles and Burgundy 1700-1830, Baltimore-London 1971. Claude B R E L O T : La noblesse en Franche-Comté de 1789 à 1808, Paris 1972. Jean N I C O L A S : La Savoie au XVIII e siècle. Noblesse et Bourgeoisie, 2 Bde., Paris 1978. Vgl. die ikonoklastische Studie von G u y C H A U S S I N A N D - N O G A R E T : La Noblesse au XVIII e siècle. De la Féodalité aux Lumières, Paris 1976. ( N D Paris 1984). Ebd. S. 11. Vgg. M. R E I N H A R D : Élite et noblesse dans la seconde moitié du XVIII e siècle, in: R. H. M. C. 3 (1956), S. 5-37.

B. Forschungsstand

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gebnisse von George V. Taylor13 und Colin Lucas14, die beide zum geistigen Umfeld des Engländers Alfred Cobban zählen, der Mitte der 50 er Jahre die französischen Revolutionshistoriker mit der These vom „Mythos der Revolution" konfrontierte. Zehn Jahre später (1965/66) setzten François Furet und Denis Richet mit ihrer wegweisenden These, nicht die Bourgeoisie sondern der Adel habe das revolutionäre Geschehen durch sein politisch-liberales Engagement in der Manier „eines Zauberlehrlings der bürgerlichen Revolution" bereits in Versailles entscheidend vorangetrieben, neue Akzente15. Mit Vehemenz reagierten die marxistischen Historiker/innen auf diese revisionistische Interpretation. Albert Soboul verteidigte hartnäckig seine Klassenkampfthese 16 , woraufhin François Furet 1971 die orthodoxe marxistische Geschichtsschreibung en bloc als „revolutionären Katechismus" bezeichnete 17 . Unmittelbar danach kam es, bedingt durch die Polarisierung der Diskussion, zu einer forschungsrelevanten Spaltung innerhalb der französischen Ancien-Régime- und Revolutions-Forschung. Mit Régine Robin erwuchs nicht nur dem marxistischen Lager eine kompetente „ideologische Abweichlerin", deren Anliegen die Definition der „Bourgeoisie d'Ancien Régime" als Sozialgruppe ist18, auch die Elitenforschung in Frankreich löste sich von dem traditionell agrarischen Forschungssektor und verselbständigte sich. Schon die ersten Ergebnisse der neuen Elitenforschung lösten in Wissenschaftskreisen weitere kontroverse Debatten aus 19 . Zunächst wies Denis Richet 1973 auf den zunehmenden ideologischen Konsens der vorrevolutionären Eliten untereinander hin 20 , ein Jahr später betonte Guy Richard das führende Engagement des Adels in Handel, Gewerbe und Industrie 21 . Guy Chaussinand-Nogaret krönte die neu eingeschlagene Forschungsrichtung im Jahre 1976 mit der These, der Adel habe in einem säkularen Prozeß nicht nur Teile des Bürgertums absorbiert sondern auch sich selbst als Stand zunehmend verbürgerlicht. Als Beleg führte er die Analyse der adligen cahiers de doléances 13

G . V . T A Y L O R : Types of capitalism in Eighteenth Century France, in: E. H. R. 79 (1964), S. 478-497. DERS.: Noncapitalist w e a l t h a n d t h e O r i g i n s o f t h e R e v o l u t i o n e n : / ) . H. R.72(1966/67),S.469-496. 14 Vgl. C. LUCAS: Nobles, Bourgeois and the Origins of the French Revolution, in: Pasland Present 60 (1973), S. 84-126. 15 F. F U R E T / D . R I C H E T : Die Französische Revolution, S. 35. 16 Vgl. A. S O B O U L : Die große Französische Revolution. Frankfurt 1973. Sehr nützlich sind die beiden Anthologien mit den Arbeitsergebnissen seiner Schüler über die französische Agrarstruktur im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Soboul anschließend herausgab. Vgl. DERS. (Hg.): Problèmes paysans de la Révolution 1789-1848. Paris 1976. DERS. (Hg.): Contributions à l'histoire paysanne de la Révolution française. Paris 1977. 17 Vgl. die deutsche Version: F. F U R E T : Der revolutionäre Katechismus, in: E. S C H M I T T (Hg.): Die Französische Revolution, Köln 1976, S. 46-88. 18 Vgl. R. R O B I N : Idéologies et bourgeoisies avant 1789, in: La Nouvelle Critique 32 (1970), S. 42-53. DIES.: Der Charakter des Staates am Ende des Ancien Régime, in : E. S C H M I T T (Hg.): Die Französische Revolution, Köln 1976, S. 202-229. " Die Inhalte dieser Debatte sind gut zusammengefaßt bei Jacques S O L É : La Revolution en questions. Paris 1988, S. 61-68. Vgl. ebenso William D O Y L E : Origins o f t h e French Revolution. Oxford u . a . 1980, S. 116ff. 20 Vgl. D. R I C H E T : La France moderne. L'esprit des institutions. Paris 1973. 21 Vgl. G. R I C H A R D : Noblesse d'affaires au XVIII e siècle. Paris 1974.

6

Einleitung

an, worin sich der Adel in der Tat zu Beginn der Revolution bedeutend liberaler zu erkennen gab als der Dritte Stand. Aufgrund dieser Konstellation sei der Adel 1789 nichts anderes gewesen als die siegreiche Bourgeoisie22. Seit Ende der siebziger Jahre konzentriert sich das Interesse der Elitenforschung wieder auf regionale Fallstudien. Im Mittelpunkt stehen Arbeiten zur Erforschung der „basoche", des Robenadels an den einzelnen Provinzgerichtshöfen23, der secrétaires du roi24 und zur königlichen Nobilitierungspraxis25. Diese Studien belegen übereinstimmend die starken inneren Gegensätze aber auch das allmähliche Verschmelzen von alter und neuer Bürokratie im vorrevolutionären Frankreich. Die neuesten Forschungen nehmen Abschied von der lange Zeit vorherrschenden Zäsurthese von 1789 und untersuchen die Kontinuitäten der französischen Eliten über die Revolutionszeit hinaus bis zum Ende des napoleonischen Empire26. Unter diesen Gesichtspunkten ist das Elsaß eine von der Forschung vernachlässigte Region. Die wenigen historischen Arbeiten, die zur elsässischen Adelsproblematik vorliegen, sind teils älteren Datums27, teils werden sie modernen Forschungsansprüchen nicht mehr gerecht28 oder beschränken sich ausdrücklich

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Vgl. G. CHAUSSINAND-NOGARET: La noblesse au XVIII e siècle [Anm. 10]. Vgl. ebenso DERS.: Aux origines de la Révolution: noblesse et bourgeoisie, in: Annales. E. S. C. 30 (1975), S. 265-278. DERS. (Hg.): Une histoire des élites, 1700-1848. Recueil de textes. Paris-Den Haag 1975. Aus der regionalen Vielfalt ragen heraus Maurice GRESSET: Gens de justice à Besançon de la conquête par Louis XlVà la Révolution (1674-1789), 2 Bde. Paris 1978 und Monique CUBELLS: La Provence des Lumières. Les parlementaires d'Aix du XVIII e siècle. Paris 1984. Vgl. D. D. BIEN : Die „Secrétaires du roi" - Absolutismus, Korporationen und Privilegien im französischen Ancien Régime, in : E. HINRICHS (Hg.): Absolutismus. Frankfurt/Main 1986, S. 249-272 (Erstveröffentlichung im Jahre 1978). Jean-François SOLNON: 215 bourgeois gentilshommes au XVIII e siècle. Paris 1980. Christine FAVRE-LEJEUNE: Les secrétaires du roi de la grande chancellerie de France, 2 Bde., Paris 1986. Monique CUBELLS: La politique d'anoblissement de la monarchie en Provence de 1715 à 1789, in: Annales du Midi 94 (1982), S. 173-196. L'anoblissement en France: XV - XVIIf siècles. Théories et réalités. Bordeaux 1985. Unter Leitung von Louis BERGERON und Guy CHAUSSINAND-NOGARET erarbeitet eine französische Forschungsgruppe die Kontinuitäten vor- und nachrevolutionärer Eliten auf Departementebene (DIES.: Grands Notables du Premier Empire, Paris 1978ff). Vgl. ebenso Guy CHAUSSINAND-NOGARET: Les élites en France, de la Régence au Premier Empire. Thèse de doctorat Paris I 1985. Für den deutschen Hintergrund unter dem Aspekt eines epocheübergreifenden Wandels am Beispiel des westfälischen Adels vgl. die wegweisende Leitstudie von Heinz REIF: Westfälischer Adel 1770-1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite. Göttingen 1979. Zur Methodologie zukünftiger Adelsforschung vgl. DERS.: Der Adel in der modernen Sozialgeschichte, in : W. SCHIEDER/V. SELLIN: Sozialgeschichte in Deutschland, Bd. 4, Göttingen 1987, S. 34-60. Eine knappe aber sehr informative Darstellung des Adels im europäischen Vergleich bietet Jonathan POWIS: Der Adel. Paderborn u. a. 1986. Ebenfalls aus der europäischen Perspektive vgl. neuerdings M. L. BUSH : European Nobility, 2 Bde., Manchester 1983-1988. Vgl. das monumentale Werk von Johann-Daniel SCHOEPFLIN: Alsatia Illustrata, 2 Bde., Colmar 1751/1761. Ich zitiere im folgenden nach der französischen Ausgabe: L'Alsace illustrée, hrsg. von L. W.Ravenèz, 4 Bde., Mülhausen 1849-1852. Vgl. Ernest LEHR: L'Alsace noble, 3 Bde., Paris 1870. Charles HOFFMANN: L'Alsace au XVIII e siècle, 4 Bde., Colmar 1906/07. Zwar stellten beide Arbeiten in ihrer jeweiligen Zeit außerordentliche Forschungsleistungen dar, jedoch sind sie heute nur noch unter großem Vorbehalt zu benutzen.

C. Quellenlage

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auf einzelne Adelsfamilien 29 . Allein die Arbeit von Georges BischofTf behandelt den oberelsässischen Adel in habsburgischer Zeit vom Ende des 15. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts 30 . Das mangelnde Interesse am elsässischen Adel im Ancien Régime ist dennoch erstaunlich. War es nicht in erster Linie der Adel, welcher nach der Annexion des Elsasses (1648) zunächst vorsichtig und taktierend, dann jedoch im 18. Jahrhundert zielgerichtet und entschlossen die Integration in die französische Nation suchte? Galt das Interesse bislang der bürgerlich-städtischen Geschichtsforschung 31 oder Themen aus dem Agrarsektor 32 , so soll am Beispiel des Adels deutlich werden, welche zentrale Rolle diese regionale Elite im vorrevolutionären Gesellschaftsgefüge einnahm.

C. Quellenlage Das maßgebliche Quellenmaterial zu dieser Fragestellung befindet sich in den beiden Departementarchiven in Straßburg und Colmar. Besonders ergiebig sind die Serien B, C und E, in denen sich die amtlichen und persönlichen Unterlagen der einzelnen Adelsfamilien befinden. Überaus wichtige Einzelquellen zu bestimmten Themenkreisen oder über Personen und historische Ereignisse enthält die Serie J. Politische Zusammenhänge zwischen der Zentrale und der Provinz sowie globale Einschätzungen der elsässischen Probleme aus der Sicht der Verwaltungsspitze vermitteln die Quellen in den Pariser Archiven, die leider noch viel zu wenig bearbeitet wurden. Einen besonderen und gänzlich unerschlossenen Bestand stellen die Verwaltungsakten der Familie Olivier de Sénozan bezüglich ihrer elsässischen und innerfranzösischen Besitzungen dar, die im Archiv der Familie Tocqueville untergebracht sind. Leider ist das Archiv nur mit persönlicher Erlaubnis des derzeitigen Repräsentanten der berühmten Familie zugänglich. Ebenfalls in Paris, in der Manuskriptabteilung der Nationalbibliothek, befindet sich die exzellente Titelsammlung der Familien d'Hozier und Chérin. Sie enthält die zentralen Quellen über die vom jeweiligen König ausgesprochenen Nobilitierungen, Adelsanerkennungen sowie genealogische Zeugnisse. Eine weitere Fundgrube für die elsässische Ancien-Régime-Forschung sind die Archive in Monaco, welche die Quellen für die oberelsässischen Besit29

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Aus der Fülle von Einzelstudien heben sich heraus Hubert d'ANDLAU-HOMBOURG: Le livre d'histoire d'une famille d'Alsace, 2 Bde., Colmar 1972-1976. Robert GENEVOY: Généalogie de la famille de Cointet de Fillain, Dôle 1965. Paul GERBER: La famille de Rosen en Alsace, in: S. H.A. S. E. 103 (1978), op.cit. Vgl. Georges BISCHOFF: Gouvernés et Gouvernants en Haute-Alsace à l'époque autrichienne. Les états des pays antérieures des origines au milieu du XVIe siècle. Straßburg 1982. Vgl. dazu die älteren sowie die zahlreichen vor kurzer Zeit erschienenen Stadtgeschichten, insbesondere die materialreichen Gemeinschaftswerke von G. LIVET, F. RAPP und R. OBERLÉ über die Städte Mülhausen, Colmar und Straßburg. Vgl. unter vielen Einzelstudien das Uber einen Untersuchungszeitraum von zweitausend Jahren ( !) konzipierte Gesamtwerk von J.-M. BOEHLER/D. LERCH/J. VOGT (Hgg.): Histoire de l'Alsace rurale. Straßburg-Paris 1983.

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Einleitung

zungen der Familie Mazarin beherbergen sowie das Baseler Bistumsarchiv in Porrentruy/Schweiz. Schließlich verdienen drei konzeptionell gleichartige Quellenbestände eine besondere Erwähnung: Die Sammlung Corberon-Bruges in der Stadtbibliothek Trier, die Collection Rochebrune in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe sowie die persönlichen Aufzeichnungen und Rechtsgutachten des pfalz-zweibrückischen Kanzlers Radius in der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Sie ergänzen teilweise die zerstörten bzw. unvollständigen Akten des Colmarer Gerichtshofes. Von den kompetentesten Justizfachleuten des Ancien Régime im Elsaß angelegt und verfaßt, enthalten sie knappe aber umfassende Berichte und Gutachten über sämtliche soziale, wirtschaftliche und rechtliche Probleme ihrer Zeit.

1. Der elsässische Adel im Ancien Régime: Status und Hierarchie 1.1. Die Ausgangslage und deren historische Bedingungen Hinsichtlich ihres Selbstverständnisses und der Inanspruchnahme umfangreicher Standesprivilegien unterschied sich die elsässische Adelsgesellschaft nicht wesentlich vom Adel des Ancien Régime im übrigen Frankreich 1 . Mit Stolz konnten zahlreiche Adelsfamilien auf die „Reinheit ihres Blutes" und den langwährenden Besitz ihrer Titel verweisen. Adlige Zugehörigkeit, Ehrenvorrechte, materielle Vorteile und aristokratischer Lebenstil waren Kennzeichen einer rechtlichen, sozialen und kulturellen Vorrangstellung, die den Adel von allen anderen gesellschaftlichen Gruppen unterschied. Innerhalb eines ständisch fundierten Sozialgefüges waren Geburt und Herkunft Kriterien einer Exklusivität, standen Rang und Prestige ganz oben in der Skala der Wertvorstellungen. Der Besitz von Land und Ämtern garantierte Wohlstand; Macht und Einfluß resultierten aus der Herrschaft über Menschen auf der Basis grundherrschaftlicher Rechte und jurisdiktioneller Gewalt. Konsolidiert wurde die gesellschaftliche Postition des Adels durch Privilegien wie die Steuerbefreiung und, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, durch die Protektion der Krone 2 . In den Genuß dieser Privilegien kam allerdings nur eine kleine Anzahl von Personen. Der numerische Anteil des Adels an der Gesamtbevölkerung war gering, als konstituierendes Kriterium adliger Existenz galt Exklusivität und nicht Majorität. „Standschaft, Art des Lebensunterhalts, Teilnahme an oder Ausschluß von der politischen Gewalt, Höhe des Einkommens" 3 begründeten den privilegierten Zugang zu einer Adelsgesellschaft, deren politisches Credo besonders auf die Dimension sozialer Ungleichheit abhob. Es ist retrospektiv schwierig, den genauen Personenbestand des Adels vor der Revolution zu ermitteln, da das Ancien Régime keine Meldebehörden kannte, und auch der Adel selbst keine diesbezüglichen Register angelegt hatte. Allerdings lassen sich anhand von Steuerlisten zur capitation und auf der Grundlage ' Grandlegend für die Adelsproblematik im Ancien Régime sind P. GOUBERT: L'Ancien Régime, Bd. 1, Paris 1969, S. 127-174. In komprimierter und aktualisierter Form neuerdings in: DERS.: Les Français et l'Ancien Régime, Bd. 1, S. 115-150. E. WEIS: Der französische Adel im 18. Jahrhundert, in: R. VIERHAUS (Hg.): Der Adel vorder Revolution, Göttingen 1971, S. 29-40. G. CHAUSSINANDNOGARET: La noblesse au XVIII e siècle, Paris 1976. (Nouv.éd. avec une présentation d'E. LE ROY LADURIE, Paris 1984). J. MEYER: La noblesse française au XVIII e siècle: aperçu des problèmes, in: Acta Poloniae Historica 36 (1977), S. 7-45. 2 Vgl. G. LIVET: L'Intendance d'Alsace, S. 808-831. Diese Entwicklung setzte bereits Ende des 17. Jahrhunderts ein, ebd. S. 908 f. : „Un trait essentiel caractérise la société monarchique : l'importance donnée à la noblesse [...]. Dans la seconde période - et la tendance s'accentue nettement avec La Houssaye - elle s'est montrée encline à favoriser la noblesse, surtout dans ses représentants éminents, princes possessionnées, grands propriétaires fonciers dont elle avait besoin pour tenir en mains le plat pays". 3 W. MAGER: Soziale Ungleichheit und Klassenstrukturen, S. 67.

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Der elsässische Adel im Ancien Régime : Status und Hierarchie

erhaltener Sitzungsprotokolle der Adelsversammlungen zur Vorbereitung der Generalstände vom März 1789 Schätzungen machen 4 . Einen ersten Anhaltspunkt über die Gesamtstärke des Adels gab der Intendant Jacques de La Grange in seinem Mémoire sur la province d'Alsace von 1697, worin er den oberelsässischen Adel auf etwa 100 und den unterelsässischen auf 120 Familien veranschlagte 5 . Eine Bestätigung erfahren diese Angaben durch die Steuerverzeichnisse zur Kopfsteuer (capitation) von 1726 für den Adel im Oberelsaß, worin 112 Adelsfamilien aufgeführt werden (etwa 500 Personen) 6 . Dagegen korrigiert die capitation für das Unterelsaß von 1732 mit 164 adligen Familienvorständen (etwa 740 Personen) die obige Schätzung des Intendanten nach oben 7 . Kurz vor Ausbruch der Revolution geben die Daten von 1787 weitere interessante Aufschlüsse: Die capitation aus dem Oberelsaß weist mit 114 Familien kaum Veränderungen auf®, während die aus dem Unterelsaß auf 131 Familien (etwa 590 Personen) zusammengeschrumpft ist9, was angesichts der demographischen Entwicklung im 18. Jahrhundert selbst beim Adel kaum der Fall gewesen sein kann. Es ist zu vermuten, daß sich im Laufe des Jahrhunderts eine Vielzahl adliger Familien im Unterelsaß einer Steuerleistung durch Verkauf an Bürgerliche entziehen konnte oder bedingt durch Wegzug bzw. Aussterben in den Steuerlisten nicht mehr auftauchte. Dagegen vermittelt die Aufzählung der Adelsfamilien, die an den Distriktversammlungen im Frühjahr 1789 teilnahmen oder sich vertreten ließen, eine zuverlässige, annähernd genaue Personalstärke des elsässischen Adels. Darin sind 456 Familien aufgeführt (etwa 2050 Personen) 10 . Da diese Aufzählung fast ausschließlich Adelsfamilien berücksichtigt, die auch Lehen besaßen, muß man diese Zahlen nach oben korrigieren, so daß sich die Gesamtzahl des elsässischen Adels unmittelbar vor Ausbruch der Revolution auf etwa 2500 Personen beläuft 11 . Legt man Neckers Provinzschätzung aus dem Jahre 1787 zugrunde, die von einer Größenordnung von 624400 ausging12, ergibt das einen Anteil des Adels von 0,4% an der Gesamtbevölkerung. Das Elsaß zählte somit zu den Regionen Frankreichs mit einer besonders dünnen Adelsschicht, vergleichbar mit der Franche-Comté, dem Hennegau und dem französischen Teil Flanderns 13 . 4

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Die Berechnung der Steuerleistung und Zählung der Bevölkerung erfolgte fast ausschließlich auf der Basis der ermittelten Haushaltsvorstände (feux). Eine Multiplikation dieser Zahl mit dem Quotienten 4,5 - was der Durchschnittspersonenzahl eines Familienhaushalts entsprach - ergibt den ungefähren personellen Istbestand. Vgl. R. OBERLÉ (Hg.): L'Alsace en 1700, S. 151. ADHR, 16 J 175 (5/1). ADBR, E 1342. ADHR, C 1138(162). ADBR, Q 2857 (abgedruckt bei A. GAIN: Deux documents sur la noblesse d'Alsace, S. 89-95). L.de LA ROQUE/E.de BARTHÉLÉMY: Catalogue des gentilshommes, S. 8-19. Zu diesem Ergebnis kommt auch J. MEYER: La noblesse française, S. 20. Vgl. C. HOFFMANN : L'Alsace au XVIIIe siècle, Bd. 1, S. 4. Vgl. R. DAUVERGNE: Le problème du nombre des nobles, S. 182. In der Franche-Comté betrug der Anteil des Adels an der Gesamtbevölkerung sogar nur 0,28% (vgl. C. BRELOT: La noblesse en Franche-Comté, S. 18). Die Bretagne weist die größte Adelsdichte auf. Jean Meyer schätzt ihre Zahl auf

Die Ausgangslage und deren historische Bedingungen

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Aus historischer Perspektive sind die Bestimmungen des Westfälischen Friedens eine politische Wasserscheide für die Belange des elsässischen Adels. War seine Haltung in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Frankreich gegenüber noch abwartend bis ablehnend, so hatte sich der überwiegende Teil des Adels zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit der französischen Krone arrangiert, weil sie ihnen neue politische, soziale und kulturelle Perspektiven bot. Reminiszenzen an die ehemalige Protektionsmacht Habsburg waren zwar noch nicht gänzlich erloschen, aber sie spielten im Kalkül vieler Adelsfamilien keine große Rolle mehr. Man kann sogar sagen, daß unter allen politischen Kräften im Elsaß der Adel diejenige war, die sich am ehesten den neuen Zuständen anpaßte 14 . Die Gründe für diese relativ schnelle politische Assimilation liegen zum einen in der moderaten wie konsequenten Politik der französischen Intendanten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 15 , zum anderen in der sozio-ökonomischen Basis des Adels, die wenig Spielraum für gewagte oder langfristige Auseinandersetzungen zuließ. Zudem erlaubten die allgemeinen Rahmenbedingungen dem Adel keine andere Alternative, denn das Elsaß besaß zu dieser Zeit kein politisches Gewicht. Während die letztgenannten Aspekte in weiteren Ausführungen noch näher erörtert werden, soll nun der erste Gesichtspunkt die Situation des Adels vor und nach der Annexion beleuchten. Für den elsässischen Adel bedeutete die im Frieden von Münster (1648) fixierte Abtretung des habsburgischen Besitzstandes im Elsaß an Frankreich eine grundlegende politische, kulturelle und rechtliche Neuorientierung. Die Annexion durchschnitt nicht nur einen jahrhundertealten Adelsverbund am Oberrhein, bestehend aus den beiden vorderösterreichischen Ritterschaftsteilen „sundgauischen und breisgauischen Gestaades", sondern sie zog auch die Übertragung der obersten Souveränität auf den französischen König nach sich. Die einzelnen Adelsfamilien sahen sich folglich gezwungen, ihre vormals habsburgischen Lehen bei der Krone Frankreichs aufzunehmen. Im Unterschied zum Adel im Unterelsaß war der oberelsässische Adel bereits „von den habsburgischen Inhabern der Landgrafschaft landsässig gemacht worden" 16 , was der französische Intendant Colbert de Croissy in seinem Mémoire von 1663 klar erkannte und als historischen Sachverhalt in die eigene Staatsrechtskonzeption einbezog, indem er feststellte:

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20-25000 Personen, das sind 2% der Gesamtbevölkerung (vgl. J.MEYER: La noblesse bretonne, Bd. 1, S. 146). Damit liegt die Bretagne noch über dem errechneten Landesdurchschnitt von etwa 1,5%. Trotz der unterschiedlichen Berechnungen geht man für ganz Frankreich von einer Größenordnung von 340000 Adligen aus, bei einer Gesamtbevölkerung von 26 Millionen (vgl. R. DAUVERGNE, ebd. S. 191). Vgl. R. WACKERNAGEL: Geschichte des Elsasses, S. 340. Die wohl kompetenteste Arbeit auf diesem Gebiet ist G. L1VET: L'Intendance d'Alsace sous Louis XIV, 1648-1715, Paris 1956. K.J. SEIDEL: Das Oberelsaß, S. 52. Vgl. auch GOETZMANN: Traité des fiefs, Bd. 2, S. 167,183.

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Der elsässische Adel im Ancien Régime : Status und Hierarchie „[...] la noblesse de la haute Alsace y a été assujettie, quoique la basse soit encore libre"17.

Insgesamt kann man wohl davon ausgehen, daß mit Ausnahme des Fürsten von Montbéliard aus dem Hause Württemberg alle adligen Lehnsträger im Oberelsaß zum Zeitpunkt der französischen Inbesitznahme des Elsasses eine mediate Stellung gegenüber der vorderösterreichischen Landeshoheit einnahmen 18 . Als Ausgleich für die von den Habsburgern erst allmählich vollzogene Mediatisierung, waren dem Adel Titel, ständische Privilegien und Funktionen in der vorderösterreichischen Verwaltung sowie die Patrimonialgerichtsbarkeit zuerkannt worden 19 . Nach der Annexion standen die von den Habsburgern akkordierten „anciennes franchises, privilèges et libertés" auf dem Prüfstand französischer Vereinheitlichungs-, Intégrations- und Unterwerfungspolitik. Ludwig XIV. und eine fähige Exekutivelite zogen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts alle Register ihres politischen Könnens: juristische Mittel (1680: Reunionen), militärische Repression (1673: Colmar / 1681: Straßburg) und diplomatisches Geschick (1679: Nijmegen / 1697: Rijswijk). Die näheren Einzelheiten dieser Politik sind weitgehend bekannt 20 ; beschränken wir uns auf die einzelnen Stationen des Arrangements zwischen der französischen Krone und dem elsässischen Adel nach der Annexion. Bedingt durch die andauernden Kriegswirren hatten viele Adlige das Land in Richtung Schweiz und Breisgau verlassen. Die vakanten Seigneurien wurden nun, ähnlich wie es zuvor die schwedischen und weimarischen Heerführer gehandhabt hatten, an verdiente Militärpersonen vergeben. Als im November 1652 ein Sendschreiben an alle Vasallen mit der Bitte erging, ihre Lehen wieder aufzunehmen, kehrten die meisten Adelsfamilien zurück 21 . Die sukzessive Wiedereinsetzung in ihre alten Besitzungen sollte als Signalwirkung dienen, um den landsässigen Adel für die französische Sache zu gewinnen 22 . In den folgenden Jahrzehnten war das Hauptaugenmerk der Intendanten auf das Oberelsaß gerichtet, da hier die Rechtslage eindeutiger war als in den Gebieten der reichs17

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C. PFISTER (Hg.) : Un mémoire de l'Intendant Colbert sur l'Alsace 1663, S. 204. Zur unterschiedlichen Auslegung und zur inhaltlichen Bedeutung des Lehnsvasallen in Deutschland und Frankreich vgl. K. J. SEIDEL: Das Oberelsaß, S. 52, Anm. 257.1740 übernimmt auch der Adel im Oberelsaß diese Terminologie in seinem Protestschreiben gegen den receveur général des domaines du roi, Jean-Sébastien de Salomon: „La noblesse depuis l'heureux moment, qui les a assujetty sous la domination du Roy [...]" (vgl. APP Monaco, T 967, f° 156 r° ). C. PFISTER (Hg.) : Extraits du Mémoire de Charles Colbert sur l'Alsace (1657), S. 280,293. Vgl. ebenso T.LUDWIG: Die deutschen Reichsstände, S.7f. A.OVERMANN: Die Abtretung des Elsass an Frankreich, S. 99,108. Zum Problem der Landeshoheit vgl. K.J. SEIDEL: Das Oberelsaß, S. 48 ff. Vgl. G. BISCHOFF: Gouvernés et Gouvernants, S. 237 ff. Ebenso GOETZMANN: Traité des fiefs, Bd. 2, S. 183-190. Ausführlich bei G. LIVET: L'Intendance d'Alsace, op.cit. passim. ADHR, C 958 (30-31). Am 6.11.1652 erließ die Regierung in Breisach eine „convocation des vassaux" (zit. bei G. LIVET, ebd. S. 302). Vgl. G. LIVET, ebd. S. 300 ff. R. OBERLÉ, L'Alsace entre la paix de Westphalie et la Révolution française, S. 21.

Die Ausgangslage und deren historische Bedingungen

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freien Städte und in weiten Teilen des Unterelsasses, wo sich der reichsunmittelbare Adel infolge der doppeldeutigen Auslegungsmöglichkeit des Münsteraner Vertragstextes nicht an die darin getroffenen Stipulationen gebunden fühlte. Ziel der Intendantur war es, die durch die Kriegslagen stark verwüsteten Landstriche zu repeuplieren, ein neues Verwaltungs- und Wirtschaftsystem aufzubauen, und den politischen Anspruch des Adels zu brechen. Diese umfangreiche Zielsetzung konnte nur sehr behutsam und besonnen angegangen werden, wollte man sich nicht um den Erfolg bringen oder größeren Widerstand unnötig provozieren. Den Hebel dazu setzten die Intendanten im administrativen und jurisdiktionellen Bereich an. Der erste Schritt war zunächst die Errichtung eines obersten Gerichtshofes am ehemals habsburgischen Verwaltungsplatz Ensisheim (1657-1661), dann in Breisach (1661-1681) und schließlich in Colmar (1698-1790), mit dem Zweck, die erworbenen königlichen Rechte im Elsaß näher zu bestimmen, und einer juristischen Instanz zu unterwerfen. In der entsprechenden Gründungsurkunde hieß es: „[...] il est absolument nécessaire d'estre préalablement informé de tout ce qui a esté cédé à Sa Majesté par le traicté de Munster, des droicts, jurisdictions, coustumes et privilèges des ecclésiastiques, nobles et Tiers Etat, de leurs possessions, des formes qu'ils ont observées jusques à présent pour l'administration de la Justice et surtout des droicts qui ont esté acquis à Sa Majesté par ledict traicté" 23 .

Im Juli 1661 wurde die subvention erstmalig erhoben und das System der Steuerpachten eingeführt. Dies bedeutete die Außerkraftsetzung der bisherigen Adelsversammlungen im Oberelsaß 24 , denn die Landstände wurden bis zur Revolution nie mehr einberufen. Der Kampf um die Durchsetzung der königlichen Souveränität über das ganze Elsaß erreichte in den 80 er Jahren seinen endgültigen Durchbruch. Im Dezember 1680, noch vor der Einnahme Straßburgs, erkannte das Direktorium der unterelsässischen Ritterschaft die französische Oberhoheit an und leistete den Treueschwur 25 . Im November 1682 schloß sich der Fürstbischof von Straßburg, Franz Egon von Fürstenberg, endgültig auch mit seinen Territorien an26. Zuletzt folgten durch die Aushändigung einzelner lettres patentes die auswärtigen Fürsten, deren Privilegien, Rechte und Besitzungen im Elsaß respektiert wurden. Als im Frieden von Rijswijk (1697) die Ergebnisse der französischen Politik im Elsaß auch diplomatisch anerkannt wurden, konnte sich das Ergebnis sehen lassen. Das Festhalten an dem wechselseitigen Konzept des divide et impera - Anerkennung der französischen Souveränität gegen Sicherung und Respektierung des alten Besitzstandes - hatte sich bewährt. Erst nachdem die Krone diese Etappen zur schrittweisen elsässischen Erwerbung erfolgreich hin-

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BM Colmar, Ms. 697 (zit. in : Le Conseil Souverain 1657-1790, Colmar 1964, S. 22). Vgl. G. LIVET: L'Intendance d'Alsace, S. 218-221. Ebd. S. 399 ff. P. DOLLINGER (Hg.): Histoire de l'Alsace, S. 281.

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Der elsässische Adel im Ancien Régime : Status und Hierarchie

ter sich gebracht hatte, konnte der contrôleur général in Paris mit großer Gelassenheit den neuerlich anvisierten Steuerprojekten aus der Provinz entgegnen : „Supplément de finance ou augmentation de gages. - Néant. Il ne faut point toucher aux usages de l'Alsace"27.

Nach den politischen Attacken der Intendanten in den ersten vier Jahrzehnten seit der Annexion fand der Adel zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der obersten Verwaltungsinstanz einen gütigen Fürsprecher. Der Intendant de La Houssaye empfahl sich der unterelsässischen Ritterschaft bei seinem Amtsantritt mit den Worten: „J'ose dire sans présomption que j'ay obtenu l'amitié de la noblesse des différentes provinces où Sa Majesté m'a confié l'execution de ses ordres; j'espère jouir de même bonheur dans la vôtre [.. ,]"28.

Die Allianz zwischen Monarchie und Adel fand ihren Niederschlag im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich. Für die politischen Ambitionen des Adels gab es keinen Platz mehr. Als sich 1719 neunundvierzig Adelsfamilien zu einer gemeinsamen Aktion zusammenfanden und die Errichtung einer eigenen oberelsässischen Adelskörperschaft mit speziellen Justiz- und Polizeirechten, Personenstandsregister, Direktorium und Tagungsstätte „wünschten" 29 , vergleichbar mit derjenigen des Unterelsasses, war die Antwort des Intendanten ebenso eindeutig wie endgültig: „Ce qui est contraire à l'intérêt du Roy [...] La noblesse de Haute Alsace n'a jamais esté assez nombreuse pour former un corps" 30 .

Die Aussöhnung mit der französischen Monarchie bedeutete für den elsässischen Adel im Laufe des 18. Jahrhunderts die Stabilisierung seiner überwiegend feudalen und seigneurialen Grundlage. Die Revitalisierung der Lehen und Seigneurien blieb nicht ohne Konsequenzen für die bäuerliche Bevölkerung. Folglich gilt es, zunächst das enge Beziehungsgeflecht zwischen Adel, Lehen und Seigneurie zu entwirren, um dann dazu überzugehen, die sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen der Adelsgesellschaft, ihre internen Konfliktebenen und ihr Verhältnis zur Bourgeoisie zu untersuchen. „L'étude de la noblesse doit d'abord se faire juridique avant de prétendre devenir sociale" 31 .

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Die oberste Dienstanweisung befindet sich auf dem Brief des Gouverneurs d'Huxelles an den Finanzminister Pontchartrain vom 16. Februar 1700 (vgl. A. M.de BOISLISLE: Correspondance des contrôleurs généraux de finances, Bd. 2, S. 26). ADBR, E1403 (zit. bei G. LIVET: L'Intendance d'Alsace, S. 808). ADHR, 16 J 175(5/2): Estais et dénombrements des Gentilshommes de la Haute Alsace vom 24.4.1719 mit Instruktionen für den Straßburger Anwalt Frédéric Zentaroue. ADHR, 1 B 4, f° 237. Vgl. auch BM Colmar, Ms. 640, f° 8r° : „Directoire de la Noblesse de la haute Alsace. Project de création". P.GOUBERT: Beauvais et le Beauvaisis de 1600 à 1730, S. 206, Anm. 32, zit. bei J . M E Y E R : La noblesse bretonne, Bd. 1, S. XII.

Adel u n d Lehen

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1.2. A d e l und Lehen

Stärker als in Frankreich war der elsässische Adel mit dem Lehen, dem zentralen Bestandteil des Feudalsystems verbunden. Das soll nicht heißen, daß die Lehen ausschließlich in den adligen Exklusivbereich fielen. Auch Städte, Klöster, Abteien und Ordensgemeinschaften konnten mit materiellen Objekten, vor allem mit Ländereien, belehnt werden. Die Bürger von Colmar und Straßburg besaßen sogar das Privileg, Lehen zu empfangen, ohne daß sie einen Adelsnachweis beibringen mußten32. Grund der engen Verknüpfung von Adel und Lehen, war die speziell deutsche Ausprägung des Lehnsrechts im Elsaß, das in seinem Kern auch nach der Annexion erhalten blieb. Auf diesen fundamentalen Hintergrund zielte sicherlich auch Montesquieus treffliche Bemerkung in seinem Esprit des lois ab: „rien ne doit être changé que l'armée et le nom du souverain"33. Die Ursprünge des deutschen Lehnsrechts gehen zurück auf die Blütezeit des Feudalwesens im Hochmittelalter. Der elsässische Rechtsgelehrte, Parlamentsrat und spätere französische Geheimagent Louis-Valentin Goetzmann (1730-1794) brachte diesen Sachverhalt gleich zu Beginn seines 1768 in Paris erschienenen zweibändigen Traité du droit commun des fiefs notamment en Alsace zum Ausdruck. In einem Begleitbrief an den königlichen Staatsrat Augustin-Henry Cochin34 in Paris schrieb er: „Les Fiefs d'Alsace, réversibles à la Couronne, forment la plus noble & la plus précieuse partie des D o m a i n e s de S[a] M[ajesté] dans cette Province, qui a continué d'être régie, sous sa domination, par des Coutumes féodales qui lui sont propres, & dont la Jurisprud e n c e est subordonnée aux réglés du Droit c o m m u n des Fiefs; ces réglés sont peu connues en France [.. .]"35.

Goetzmann zählte neben Jean-François Bruges zu den bedeutendsten elsässischen Feudaljuristen seiner Zeit. Seine anvisierte Beamtenkarriere am Conseil Souverain d'Alsace war nur von kurzer Dauer36, da er sich als homme du roi im Feudalprozeß um das Basler Lehen Wittenheim zu sehr profiliert hatte37. Nach dem Scheitern seiner elsässischen Berufspläne übersiedelte er 1766 nach Paris, schrieb dort unter anderem seinen Traité des fiefs, der beim führenden Pariser feudiste Germain-Antoine Guyot besondere Wertschätzung erfuhr, trat 1771 in das Reformparlement Maupeou ein und wurde anschließend über seine kor32 33 34

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Vgl. J. KRUG-BASSE, L'Alsace avant 1789, S. 231. MONTESQUIEU: De l'esprit des lois, Bd. 1, S.156. Augustin-Henry Cochin (1730-1784) war conseiller am Panser Parlement und Sohn des berühmten Advokaten Henry Cochin (1687-1747), vgl. M. ANTOINE: Le Conseil du roi, S. 72. GOETZMANN: Traité des ftefs, Bd. 1, unpaginiert. Goetzmann begann seine Beamtenkarriere als substitut am Conseil Souverain d'Alsace. Gegen den Widerstand seiner Colmarer Berufskollegen, die ihm Ämterkumulation vorwarfen, bewarb er sich, gestützt auf die Protektion des chanceliers Guillaume de Lamoignon, um eine Ratsstelle, die ihm 1757 auch bewilligt wurde. Neun Jahre später (1766) reichte er seine Demission ein (vgl. PILLOT/de NEYREMAND: Histoire du Conseil Souverain d'Alsace, S. 124ff.). Vgl. Artikel Goetzmann in: N. D. B. A., S.1227.

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Der elsässische Adel im Ancien Régime : Status und Hierarchie

rupte Frau in den Prozeß gegen Beaumarchais, den berühmten Autor des Figaro, hineingezogen 38 . Goetzmann stützte sich in seiner grundlegenden Abhandlung über das elsässische Feudalrecht hauptsächlich auf die Arbeiten deutscher Feudaljuristen. Heinrich von Rosenthals Juris feudalis fehlte ebensowenig wie Ludolphus Schräders Tractatus feudales39 oder die Standardwerke Dumoulins, des Elsässers Obrecht sowie des Freiburger Rechtsgelehrten Ulrich Zasius aus dem 16. Jahrhundert. Weiter bezogen sich die streitenden Adelsfamilien in den zahlreichen Feudalprozessen des 18. Jahrhunderts stets auf die juristischen Arbeiten und Leitlinien berühmter deutscher Rechtslehrer wie Samuel Stryck, Philipp Knipschildt und Ernst Friedrich Schroeter40. Für diese Art von Prozessen interessierte sich besonders die aufsteigende bürgerliche Schicht, deren junge Vertreter ihr Fachwissen auf der Straßburger Universität erlangten und es später als Anwälte, Richter und Verwaltungsbeamte in die Praxis umsetzen konnten. Vor allem das feudale Erbrecht stand im Mittelpunkt ihres Interesses. Allein im 18. Jahrhundert promovierten an der juristischen Fakultät in Straßburg drei Angehörige aus dem Neuadel mit Arbeiten aus diesem Themenbereich: Jean-Sébastien Salomon mit einer Arbeit über De successione feominarum in feudo emtitio (1709), François-Joseph-Antoine Hell über De successione feudali (1753) und Jean-François Bruges, der Sohn des oben erwähnten Anwalts, reichte 1756 eine Dissertation mit dem Titel De praescriptione emphyteuseos ein41. Das elsässische Feudalrecht wich in drei grundsätzlichen Bestimmungen von jenen im übrigen Frankreich ab: Erstens fielen alle Lehen, wie bereits oben von dem Feudisten Goetzmann erwähnt, bei denen eine direkte männliche Nachfolge ausblieb, an den Oberlehnsherrn (seigneur direct) und damit an den französischen König zurück. Zweitens gab es im Elsaß kein droit d'aînesse für die fiefs propres, so daß alle männlichen Erben zu gleichen Teilen erbten, was zu einer enormen Parzellierung der Lehen führte. Schließlich waren die elsässichen Lehen unveräußerlich. Dies schränkte die Rechte der Gläubiger bedeutend ein; lediglich die Freigüter (alleux) standen zur uneingeschränkten Disposition 42 . Im folgenden soll auf diesen Sachverhalt näher eingegangen werden. Die wichtigste materielle Grundlage das Adels seit seiner Herausbildung und 38

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Vgl. V. LIPATTI : Mémoires de Beaumarchais dans l'affaire Goezman, Paris 1974. Goetzmann starb in Paris zwei Tage vor Robespierre unter der Guillotine. Heinrich von ROSENTHAL: Juris feudalis conclusiones aliquot miscellanae, (Basel) 1588. Ludolphus SCHRÄDER: Tractatus feudales in decem distributi opera 10. Brandi, Frankfurt 1594. Samuel STRYCK: Examen iuris feudalis, etiam produit, Frankfurt 1719 u.ö. Philipp KNIPSCHILDT: De fideicommissis familiarum nobilium, Straßburg 1626. Emst Friedrich SCHROETER: Diss. de fideiussoribus, 3 Bde., Jena 1654-1668. Vgl. die einzelnen bibliographischen Hinweise bei Martin LIPÉNIUS: Bibliotheca realis iuridica, 2 Bde. u. 4 Suppl.Bde., Leipzig 1757 (ND HildesheimNew York 1970). In dem Mémoire en forme de playdoyervon 1784 berufen sich sowohl der Intendant de La Galaizière als auch der Baron de Haindel ausdrücklich auf Rosenthal, Schräder, Stryck und Knipschildt (vgl. ADBR, E 930). Zu Salomon vgl. M. LIPENIUS: Bibliotheca, Bd. 1, S. 498. Zu Hell vgl. ebd. S. 497. Zu Bruges vgl. G. KNOD: Die alten Matrikel, Bd. 2, S. 408,599. Vgl. dazu G. LIVET: L'Intendance d'Alsace, S. 908.

Adel und Lehen

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sozialen Vorrangstellung in der Zeit zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert war der eigene Grundbesitz (allod) und die Verfügungsgewalt über Zinsgüter (censives)43. In zunehmendem Maße fand er seine Bindung an mächtige Lehnsherren wie die Bischöfe von Straßburg und Basel. Die Einführung der Lehen im Elsaß in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts 44 übte auf den soeben etablierten Adel eine zusätzliche Attraktivität aus. Neben dem bereits bestehenden persönlichen Element im Lehnswesen, der Vasallität, d.h. ein auf gegenseitiger Verpflichtung beruhendes Treueverhältnis, in welchem sich der Lehnsherr zu Schutz und Unterhalt und der Lehnsvasall zu Dienst und Gehorsam verpflichtete, trat mit dem Lehen (feudum, feodum) eine Form dinglicher Übertragung von Objekten auf, die einen wirtschaftlichen Vorteil versprach. Durch Homagium, Lehnseid und Investitur wurden in der Folgezeit zahlreiche Lehnsverhältnisse begründet, durch die Land in Form von Seigneurien, Schlösser (Burglehen, Sesslehen), Rechte, Einkünfte (Kammerlehen) und Ämter (Amtslehen) übertragen werden konnte 45 . Begünstigt durch die politische und wirtschaftliche Entwicklung erlebte die Verdinglichung des Lehnswesens einen enormen Aufschwung. Doppel-, Pluralvasallitäten und Unterbelehnungen waren nicht selten. Grundsätzlich war auch der städtischen Bourgeoisie der Zugang zu den Lehen erlaubt, allerdings wurde er nur wenig in Anspruch genommen : „La capacité féodale des bourgeois [...] est passive et non active: ils peuvent recevoir des fiefs, non les accorder"46.

Nach den grundlegenden Studien von Henri Dubled verfügte der Adel seit dem 13. Jahrhundert über die Lehen 47 . Darüber hinaus waren seit dem Mittelalter die Lehen im Elsaß mit besonderen Modalitäten versehen worden, beispielsweise durfte ein Tausch oder Verkauf nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Lehnsherrn, des seigneur direct, erfolgen48. In der Denkschrift des Intendanten de La Houssaye von 1701, die sich in einem sehr instruktiven Kapitel mit dem Verhältnis von Adel und Lehen befaßt, wird diese Klausel ebenfalls erwähnt und begründet: „[...] que ceux qui possèdent les fiefs en Allemagne et en Alsace ne peuvent les vendre, aliéner, affecter ny hypotéquer sans le consentement du seigneur féodal ou direct, de sorte que la jouissance du possesseur n'est regardée que comme un simple depost du fond avec un usufruit du revenu"49.

Vgl. H. DUBLED: Noblesse et féodalité, S. 138,148. Ebd. S. 142. Ebd. S. 143 f. Ebd. S. 148. Ebd. S. 147. Vgl. GOETZMANN: Traité des fiefs, Bd. 1, S.126,169. H. WEISGERBER (Hg.): L'Alsace au commencement du XVIIIe siècle, in: R.A A9 (1898), S. 28. Vgl. ebenso H. DUBLED: Noblesse et féodalité, S. 158f.

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Mit dieser Bestimmung wurde eine Konservierung der Lehen in den Händen adliger Lehnsnehmer erreicht, so daß die Gläubiger im äußersten Fall über die Lehnseinkünfte verfügen konnten, die sich allerdings bei der Sukzession der Kinder wieder ihrem Zugriff entzogen 50 . Den Gläubigern blieben zuletzt nur die Eigengüter (biens allodiaux) des Adels, die sie in der Tat als ihre „gage commun" betrachteten 51 . Die Lehen und ihre Einkünfte waren folglich für den Adel von existentieller Bedeutung. Bei großer Verschuldung und bereits vollzogener Veräußerung seiner alleux blieb weiten Teilen des verarmten Adels wenigstens eine kleine Lebensmittelrente, die zur Existenz ausreichte: „[...] la conservation de ce lien [vassalitique] est précieux pour la Noblesse d'Alsace, parce que les fonds qui en sont affectés, n'étant pas aliénables, leur permanence assure un revenu honnête et impérissable à des familles peu riches, que le métier des armes eut ruiné, si elles n'avoient possédé que quelques allodiaux disponibles"52.

Der Adel wiederum sah sich durch die enge Koppelung an die Feudalitätsattribute zunehmend konjunkturellen Wirtschaftslagen ausgesetzt. In wirtschaftlich guten Zeiten war ein Überleben garantiert, traten jedoch infolge zunehmender Inflation größere Wertverluste bei den Feudaleinnahmen ein, so war der familiäre Ruin vorgezeichnet. Im Laufe des 16. Jahrhunderts wurden ehemals bedeutende Adelsgeschlechter wie die Herren von Morimont, die Grafen von Thierstein und die Barone von Ramstein Opfer ihrer zu engen Bindung an die Feudalität 53 . Zum Zeitpunkt der Annexion war das Lehnsverhältnis zwischen Lehnsherr und Lehnsvasall längst auf seine dingliche Komponente reduziert. An die Stelle der einstigen persönlichen Unfreiheit war eine am Lehngut hängende unpersönliche Abgabe getreten. Zudem hatte die habsburgische Macht am Oberrhein Zusehens an Glanz verloren, so daß sich gerade die lehnsrechtlich fixierte Leistungspflicht de facto nicht mehr durchsetzen ließ. Habsburgs angeschlagene Souveränität trat bereits zum Zeitpunkt des Schwedeneinfalls ins Oberelsaß im Jahre 1632, also auf dem Höhepunkt des Dreißigjährigen Krieges, offen zu Tage. Als die habsburgische Erzherzogin Claudia als Regentin Vorderösterreichs 1633 ihre breisgauischen und elsässischen Vasallen auffordern ließ, sich zum Heeresdienst gegen die Schweden einzufinden, traf ihr Appell weitgehend auf taube Ohren. Die meisten Adelsfamilien aus dem Sundgau hatten sich im benachbarten Basel oder nach Solothurn, Montbéliard (Mömpelgard) und Porrentruy (Pruntrut) in Sicherheit gebracht und antworteten mit halbherzigen Entschuldigungsschreiben 54 . Im Januar 1634 kam es sogar zu einer Zusammenkunft des landflüchtigen Adels in Porrentruy, wo Pläne und konkrete Maßnahmen diskutiert wurden, wie man möglichen Anklagen und Geldforderungen der vorder50 51 52 53 54

Ebd. S. 28 f. Vgl. C. HOFFMANN: L'Alsace au XVIII e siècle, Bd. 1, S. 14. [Jean deTURCKHEIM]: Mémoire de droit public, S. 28f. Vgl. A. QUIQUEREZ: Notices sur les causes de l'appauvrissement graduel, S. 398-404. ADHR, 2 J 21, f° 100. Vgl. ebenso J. B. ELLERBACH : Der dreißigjährige Krieg, Bd. 2, S. 532.

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österreichischen Regierung entgegentreten könne 55 . Drei Monate zuvor war gegen die beiden Brüder Wolf Dietrich und Georg Friedrich von Rathsamhausen, sowie gegen Nicolas Ludwig von Wurmser und Christophe von Müllenheim ein Anklageverfahren wegen Felonie erhoben worden, weil sie mehr als ein Jahr und einen Tag nach Aufhebung der Belagerung von Breisach dem militärischen Aufgebot ferngeblieben waren 56 . Auch gegen vier weitere Adlige wurden „fiskalische Prozesse" angestrengt, jedoch zog dies keinerlei Konsequenzen nach sich57. Obwohl die Erzherzogin am 11. September 1637 mit Lehnsrequisition drohte, kam es zu keinen Verurteilungen58. Die Waldner von Freundstein gingen in der freien Handhabung ihrer Vasallenpflicht sogar noch einen Schritt weiter. Anders als ihre Standeskollegen waren sie nicht emigriert, sondern hatten es vorgezogen, sich ihren neuen schwedischen Konfessionsverwandten anzuschließen. Als sie 1634 einer Ladung vor das Regimentsgericht in Breisach nicht nachkamen, machten sie sich nicht nur des Verrats am Lehnsherrn, sondern auch des Vergehens gegen die landesfürstliche Gerichtsbarkeit schuldig. Daraufhin wurden ihnen die österreichischen Lehen entzogen 59 , was sie jedoch mit Gelassenheit hinnehmen konnten, denn kurze Zeit später (1640) wurden ihnen dieselben Lehen erneut übertragen, allerdings diesmal vom französischen König 60 . Das Beispiel der Familie Waldner diente als eine Art Signalwirkung für andere Adelsfamilien besonders im Oberelsaß. Am 27. April 1640, mithin acht Jahre vor Abschluß des Westfälischen Friedens, leisteten Wilhelm von Reinach, Lazarus von Andlau, Thiebaut von Wessenberg, Christoph von Landenberg, Hermann von Eptingen, Hannibal Reich von Reichenstein, Jacob Christoph von Pfirt und ein Truchsess von Rheinfelden den „serment de fidélité au roi" vor dem französischen Kommandanten der Festung Breisach, dem Generalmajor von Erlach 61 . Ein Jahr später folgten 15 weitere Familien, die in separaten Schreiben an die „Régence royale" in Breisach um die Restitution ihrer Lehen beim französischen König anhielten 62 . Die allgemeine Befürchtung des Adels, die Lehen könnten an neue Besitzer vergeben werden, war zweifelsohne berechtigt, wie der vergebliche Protest von Hanns Conrad von Flachslanden gegen die 1639 erfolgte Vergabe des Dorfes Hüningen bei Basel an den calvinistischen Kaufmann aus Lyon, Jean Henry d'Herwart, zeigt: „Durant vingt et deux ans que j'ay servi la maison d'Austriche en qualité de conseiller noble au parlement de ces pays d'Alsace, i'ai eu pour recompense un village avec sa 55

ADHR, C 227 (24). Vgl. K. J. SEIDEL: Das Oberelsaß, S. 63. ADBR, C 300. 57 Vgl. K. J. SEIDEL: Das Oberelsaß, S. 69. 58 ADBR, C 300. 59 ADHR, 2 E 214. Dies blieb übrigens der einzige Fall von Lehnsentzug in dieser politisch äußerst angespannten Situtation. 60 Vgl. K. J. SEIDEL: Das Oberelsaß, S. 69. 6 ' ADHR, C 956. 62 ADHR, C 957. 56

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supériorité et revenus situé près la ville de Basle appellé grose Huningen [...] Mais puis que Dieu a reduict toutes ces provinces sous l'obéissance de la maiesté très chrestienne, me trouvant incoulpable d'aucun acte contre icelle qui mérité que ie suis privé du mien, i'ai osé prendre la hardiesse, por le moyen d'une brieufe et très humble requeste, de me ietter aux pieds de sa clemence royale, et en luy offrant ma foy et hommage [...] afin que ie ne suis frustré du fruict des longs et fidelles services que comme gentilhomme né et nourri dans ces pais i'ai presté a bon droict aux princes precedens, assurant Sa Majesté que ie ne manquerai pas de luy rendre en toutes occasions la mesme fidélité et obéissance [.. .]"63.

Die allgemeine Krisensituation zwang den oberelsässischen Adel zum schnellen Handeln. Angesichts dieser Notlage war an Vasallentreue gegenüber Habsburg nicht mehr zu denken. Die rechtlichen Beziehungen zwischen Landesfürst und Adel waren längst ausgehöhlt und machten nicht mehr den geordnetesten Eindruck. Vielfach war die strikte Einhaltung der Unveräußerlichkeit der Lehen durch rechtliche Modifikationen und Denaturierung der Lehen umgangen worden, so daß die Einschätzung des Ersten Präsidenten am Conseil Souverain d'Alsace, Nicolas-Augustin de Corberon - nicht nur aus französischer Sicht - der Wirklichkeit sehr nahe kam: „[...] les archiducs d'autriche, comme princes de cette maison et gouverneurs de la province ne laissoient pas d'en disposer, et comme le domaine dont ils jouissoient, ne suffisoit pas touiours, pour soustenir leurs déspenses, ils engageoient de ces fiefs, qu'ils changeoient mesme souvent de nature. Ce qui donnoit lieu à beaucoup de licence à ceux possédant fiefs, lesquels profitoient aussy des desordres et de la confusion que causoient les longues et frequantes guerres dont cette province a touiours esté afligée pour en changer pareillem[en]t la nature, et pour en disposer. Il y a long temps qu'on sçait le desordre dans lequel se trouvent lesd[it]s fiefs"64.

Folglich waren die Intendanten im Elsaß seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit listiger Akribie immer wieder bestrebt, Abänderungen und Neufassungen lehnsrechtlicher Normen durchzusetzen, um den Aufbau einer zentralen Feudalverwaltung in die Wege zu leiten. Ihre Erfolge auf diesem Gebiet fielen unterschiedlich aus. Die Rücksichtnahme auf traditionelle Lehnsgepflogenheiten, auf partikulare Sonderrechte der auswärtigen Fürsten und die Vielzahl unterschiedlicher Lehnsarten ließen nur einen bescheidenen Handlungsspielraum zu. Dies wurde besonders 1697 deutlich, als sich die französische Krone zum Verzicht auf das Heimfallrecht aller Lehen bereiterklärte und gleichzeitig die freie Disposition von Lehnsgütern anbot: 63

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ADHR, C 957 (71): Brief aus Basel vom 23. Februar 1641. Obwohl das Dorf Hüningen eine Pfandherrschaft der von Flachslanden war, wurde es am 17. Mai 1642 als Dotation an Jean- Henry Herwart vergeben. Die Familie Flachslanden gab jedoch nicht auf. 1652 klagte die Witwe des inzwischen verstorbenen Hanns Conrad von Flachslanden vor der königlichen Kammer in Breisach und bekam das Pfand und die Einkünfte ab 1648 in einem weiteren Richterspruch am 18. Dezember 1656 zugesprochen (vgl. VANHUFFEL: Documents inédits, S. 202-205). StB Trier, Ms. 1308/516, f° 222 r° -223 r° : Mémoire sur les fiefs d'Alsace.

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„[...] Nous plût rendre lesdits Fiefs libres & paisibles dans les Familles [ . . . ] & leur permettre d'en disposer librement comme de leurs autres Biens, & ce moyennant les sommes qu'ils ont offert volontairement de Nous payer, à condition même que Nous pourrions toutes fois & quantes rentrer dans nos droits, en leur remboursant les sommes qu'ils Nous auraient financées cet effet" 65 .

Diese Praxis bestand in Frankreich bereits seit dem Ende des 16. Jahrhunderts 66 und hatte zu einer „séparation de la condition des hommes avec la condition des terres" 67 beigetragen. Danach war es jedem finanzkräftigen roturier gestattet, gegen Zahlung einer turnusmäßigen Abgabe ein bien noble zu erwerben. Unter dem Vorwand, die meisten Lehnsinhaber wünschten diese Verkaufspraxis des französischen Königs auch im Elsaß, erging eine Erklärung vom 26. Februar 1697 „à tous Possesseurs de Fiefs en Alsace" 68 . Ein Sturm der Entrüstung gegen das königliche Edikt brach los, und der Staatsrat in Paris sah sich gezwungen, vier Monate später die Erklärung zurückzuziehen 69 . Den Bedenken der unterelsässischen Ritterschaft mußte stattgegeben werden 70 . Der Verweis auf die historischen Rechte und Einrichtungen des Adels bezüglich seiner Lehen hatte genügt, um die französischen Verwaltungsbeamten von der Undurchführbarkeit ihrer Pläne zu überzeugen: „[...] que la Noblesse d'Alsace ne se soutient que par ses Fiefs, lesquels sont pour les Possesseurs une ressource contre l'indigence, attendu qu'ils sont inaliénable par le Vassal, & insaisissables par ses Créanciers"71.

Wie in den Jahrhunderten zuvor so bildeten die Lehen auch im 18. Jahrhundert das finanzielle Rückgrat des elsässischen Adels. Die Zahl der ursprünglich weit verbreiteten Freigüter (allods) war mehr und mehr zurückgegangen, wenn auch nicht ganz verschwunden. Noch im 18. Jahrhundert verfügten die oberelsässischen Familien von Reinach, Montjoie und Waldner von Freundstein über einen relativ respektablen Bestand 72 , ganz zu schweigen von den bei der Reichsritterschaft im Unterelsaß immatrikulierten alleux73. Die Anomalie des Feudalwesens, die in den vorhergehenden Jahrhunderten so sehr von den mächtigen Lehnsherren bekämpft wurde, fand auch im Mémoire des Intendanten de La Grange von 1697 Erwähnung. Dort werden z. B. die Herrschaften Fessenheim, Nambsheim, Brinckheim und das Schloß Schoppenwihr im Oberelsaß als „terres [...] propres et allodiales" ausgewiesen 74 .

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De BOUG: Ordonnances d'Alsace, Bd. 1, S. 251. Artikel 258 der Ordonnanz von Orléans aus dem Jahre 1579. P. GOUBERT: L'Ancien Régime, Bd. 1, S. 129. De BOUG: Ordonnances d'Alsace, Bd. 1, S. 251. Ebd. S. 259 (Arrêt vom 11.6.1697). Vgl. G O E T Z M A N N : Traité des fiefs, Bd. 1, S. XIXV. Ebd. ADHR, 108 J 218 (92-117); 108 J 341 und 351 (Famille de Reinach). ADHR, 1 E 1 (Famille de Montjoie: Verzeichnis von 1755). A D H R , 2 E 211 (Famille de Waldner). Vgl. LOYSON: L'Alsace féodale, S. 164-170. R. OBERLÉ (Hg.): L'Alsace en 1700, S. 144.

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Nach wie vor galt im Elsaß die Rechtsannahme immer zugunsten des Allods, im Gegensatz zu der vor allem in Mittel- und Nordfrankreich vorherrschenden Rechtsmaxime Nulle terre sans seigneur, die auch in Deutschland unbekannt war. Der avocat général am Conseil Souverain d'Alsace, Armand-Gaston-François-Xavier Loyson, befand dazu in seinem Mémoire aus dem Jahre 1790: „La maxime: Nulle terre sans seigneur, n'est point connue en Allemagne et n'a jamais été reçue en Alsace; bien loin de là, la présomption en droit est toujours en faveur du franc-alleu, et la féodalité d'une terre ou d'une rente y doit être prouvée"75.

Die Rechte der einzelnen Parteien am Lehen lassen sich daher eher in dem Rechtsgrundsatz Nul seigneur sans titre zusammenfassen, der auch in Südfrankreich, überwiegend im Midi und damit in den Regionen des droit écrit, des geschriebenen römischen Rechts, verbreitet war76. Ihrer Natur nach waren die Lehen im Elsaß reine Mannlehen, d.h. sie waren lediglich auf die männliche Nachkommenschaft des zuerst Investierten übertragbar77. Praktischer Hintergund dieser wichtigen Bestimmung war die Verpflichtung der Vasallen, im Kriegsfalle Heeresdienst zu leisten. Gleichzeitig begründete die in einer mehr symbolischen Handlung vollzogene Investitur für den Lehnsnehmer ein dingliches Recht am Lehen, das zusätzlich noch rechtlich gegen Anfechtungen von außen geschützt war78. In Anerkennung geleisteter Dienste bekam der seigneur utile ein Stück Land zur Nutznießung übertragen79. „Ces investitures suivant l'usage d'Allemagne pratiquées en Alsace sont principalement de deux espèces, la première est lorsque l'Empereur ou un autre Prince ou Seigneur a démembré un fief qui luy appartenoit pour en donner une partie sous le même titre de fief à quelqu'un qu'il en a voulu gratifïier"80.

Bei Erlöschen des Mannesstammes fielen diese Lehen an den seigneur direct zurück. Die Neubelehnung erfolgte allerdings in aller Regel wieder an eine alteingesessene elsässische Adelsfamilie, da bereits die vorderösterreichische Ritterschaft ein Indigenatsrecht bei Lehnsvakanz durchgesetzt hatte81. Weiter bestand die Möglichkeit, einer drohenden Lehnsvakanz durch Exspektanzbriefe zuvorzukommen. Das Feudalrecht im Elsaß schloß diese Möglichkeit nicht aus, allerdings mußte noch zu Lebzeiten des letzten Abkömmlings einer vom Aus75 76

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LOYSON: L'Alsace féodale, S. 50. Vgl. M. GARAUD: La Révolution et la propriété foncière, S. 11. F.L. GANSHOF: Lehnswesen, S. 141. Vgl. GOETZMANN: Traité des fiefs, Bd. 1, S. 262; Bd. 2, S. 202. Vgl. ebenso die Réflexions sommaires et impartiales, 1789,S.8.Dader Erbberechtigte eine direkte familiäre Abstammung zum Erstinvestierten nachweisen mußte, um seine Ansprüche geltend machen zu können, waren Seitenlinien faktisch vom Erbfall ausgeschlossen. „En général, les fiefs d'Alsace sont Fiefs proprement dits, ex pacto et Providentia, & transmissibles aux seuls descendans mâles du premier investi". (GOETZMANN, ebd., Bd. 2, S. 201). Vgl. F. L. GANSHOF: Lehnswesen, S. 134-136. Vgl. H. WEISGERBER (Hg.) : L'Alsace au commencement du XVIII e siècle, S. 28 : „[...] la jouissance du possesseur n'est regardée que comme un simple depost du fond avec usufruit du revenu". Ebd. S. 27. Vgl. K. J. SEIDEL: Das Oberelsaß, S. 67.

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sterben bedrohten Familie die Genehmigung des Lehnsherrn und der jeweiligen Agnaten eingeholt werden82. Auf diese Weise sicherte sich z. B. Charles-Joseph de Gohr, Vetter von Otto Ludwig, dem letzten männlichen Nachkommen der Familie von Brinighoffen, am 21.Dezember 1736 durch königliches Dekret einen Teil des Familienbesitzes als „expectative des fiefs"83. Nach dem Tode des letzten von Brinigho.ffen im Jahre 1751, wurde Charles-Joseph de Gohr drei Jahre später „investit au mois de décembre 1754 de même que ses enfants et descendents nés et à naître en légitime mariage de Brunighofen"84. Im folgenden Jahr gab er vor dem Conseil Souverain d'Alsace in Colmar sein Lehnsbekenntnis ab und legte ein genaues Verzeichnis seiner erworbenen Lehen vor85. Nach Auskunft eines zeitgenössischen Beobachters waren die fiefs directs im Elsaß nicht zahlreich vorhanden86. Diese Feststellung trifft sicherlich auch für den größten Teil der königlichen Lehen zu, gemeint sind die vormals habsburgischen Lehen, die im Friedensvertrag von Münster an die französische Krone abgetreten wurden. Sie waren überwiegend reine Mannlehen und mit dem Heimfallrecht ausgestattet87. Die Entscheidung über eine Neubelehnung oder eine Rückführung in die domaine direct lag zwar ausschließlich beim französischen König, aber im Ernstfall entschied sich die Krone immer zugunsten einer Neuvergabe, was auch zu ihrem eigenen Vorteil geschah. Wenn nämlich Lehen in die königliche Domänenkammer inkorporiert wurden, verloren sie nach zehnjähriger Staatsverwaltung ihr Infeodationsrecht88, weshalb sie alsbald zur Krondomäne gezählt wurden, die seit dem Edikt von Moulins (1566) unveräußerlich waren89. Am Beispiel der Baronie Hohlandsberg im Oberelsaß läßt sich exemplarisch zeigen, wie die Krongewalt die freie Disposition ihrer elsässischen fiefs directs handhabte, aber auch, wie willkürlich sie mit dem Feudalrecht umzugehen verstand, wenn es galt, übergeordnete politische Interessen durchzusetzen. Ludwig XIV. hatte die Baronie in der Nähe von Colmar im Jahre 1681 an den Gouverneur Joseph Baron de Montclar vergeben, nachdem er das Lehen kurze Zeit zuvor der Familie von Schwendi entzogen hatte, weil Lazarus von Schwendi „aus Anhänglichkeit für das Kaiserhaus die angetragenen Dienst und das ihm zugemutete homagium zu prästieren recusirt" habe und Franz von Schwendi 82

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Vgl. GOETZMANN: Traité des fiefs, Bd. 1, S. 86ff. Vgl. ebenso Réflexions sommaires et impartiales, 1789, S. 8. ADHR, 2 E 64. Es - handelte sich in diesem Fall um Lehen aus der königlichen mouvance. Das Lehen bestand aus einem Schloß in Seppois-le-Bas, aus Gärten, Wiesen, Äcker, Renten, Weinabgaben und Fischereirechten in Seppois-le-Bas, Seppois-le-Haut, Bouxwiller, Brinighoffen und Enschingen (vgl. ADBR, C 323/7 bis). Vgl. ebenso R. BERMON : Histoire des nobles de Brinighoffen à Bourogne, S. 68. ADHR, 2 E 64. Zur Exspektanz des Barons von Reinach-Steinbrunn auf die Herrschaft Froeningen vgl. ADHR, 108 J 351 (191). ADHR, 1 B1002 (9): aveu et dénombrement vom 7.4.1755. Vgl. Réflexions sommaires et impartiales, 1789, S. 8. ADBR, C 323/7 bis. Vgl. auch die Denkschrift Pfeffels über die „Administration féodale" im ADBR, 43 J 16, f° 31. Vgl. ebenso die Aufzeichnungen Corberons in der StB Trier, Ms. 1308/516, f 222 r°. Vgl. GOETZMANN: Traité des fiefs, Bd. 1, S. 49f. Vgl. M. MARION: Dictionnaire, S. 182. Ebenso R. MOUSNIER: Les Institutions de la France, Bd. 1, S. 376.

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„selbst unter eines fremden Fürsten Botmäßigkeit stünde" 90 . Nach Montclars Tod (1690) fiel die Herrschaft an dessen Schwiegersohn, den Oberst Marquis de Rebé. Als dieser bereits drei Jahre später in Namur seinen im Feldzug erlittenen Verletzungen erlag, stellte sich das Problem weiblicher Lehnsnachfolge erneut, da nur seine Witwe Marie-Thérèse und die Tochter Marie-Josephine - inzwischen mit dem Generalleutnant und Gouverneur von Beifort Marquis du Bourg verheiratet - als Erbinnen in Frage kamen. Aufgrund der besonderen Verdienste seiner beiden Militärkommandanten setzte sich Ludwig XIV. über das geltende Feudalrecht hinweg und investierte per Sonderverfügung die Witwe und deren Tochter mit der Seigneurie Hohlandsberg 91 . Um kein Präjudiz für weitere Lehnsumwandlungen zu schaffen, vor allem aber, um ein eigenwilliges und bis dato einzigartiges Tauschgeschäft mit der Stadt Colmar und zwei geistlichen Institutionen durchführen zu können, betrieb Ludwig XIV. nach dem Tode des Marquis du Bourg (1712) die Ablösung der Baronie Hohlandsberg. Weil er der Stadt Colmar die Benediktinerpriorei St.Peter entreißen wollte, die diese 1575 für 27000 Reichsgulden vom Magistrat der Stadt Bern erworben hatte 92 , entschloß er sich, die Seigneurie Hohlandsberg den Erbinnen Rebé für 60000 livres abzukaufen, um sie dann der Stadt Colmar zum Tausch gegen St.Peter anzubieten. St.Peter wiederum sollte dem Straßburger Domkapitel überlassen werden, als Entschädigung für die Abtretung des dortigen Bruderhofs an die Jesuiten, die mit der Errichtung eines Studienkollegs in Straßburg beauftragt wurden 93 . Die schwierigen Verhandlungen mit der Stadt Colmar führte im Auftrag des Intendanten de La Houssaye der subdélégué und préteur royal Jean-François Dietremann. Nachdem alle städtischen Magistrate eingeschüchtert und finanziell abgefunden waren, erklärte sich die Stadt am 23.8.1714 zum Kauf und Tausch bereit 94 . Die Ablösesumme von 60000 livres an die Witwe Du Bourg mußte der Magistrat der Krone vorstrecken. Da dieser Betrag auch die Finanzkraft Colmars überstieg, sah sich die Stadt letztlich gezwungen, 42000 livres beim Grafen 90

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Zit. bei J.KÖNIG: Lazarus von Schwendi, S. 251. Ursprünglich zählte die Seigneurie zu den ältesten Besitzungen der Habsburger im Elsaß. 1563 gelangte sie an den kaiserlichen Feldhauptmann Lazarus von Schwendi, dessen Nachfahren der Felonie beschuldigt wurden und den Besitz 1681 „verwirkten" (vgl. GOETZM ANN : Traité des fiefs, Bd. 1, S. 315). Die Streitigkeiten zwischen der Familie von Leyen und einer Seitenlinie der von Schwendi veranlaßten Ludwig XIV., Montclarzu belehnen. Noch im Jahre 1656 war das Lehen als „masculin & réversible à défaut d'hoirs mâles" ausgewiesen worden (vgl. GOETZMANN: Traité des fiefs, Bd. 1, S. 317). Eine besondere Note erhält die weibliche Lehnsnachfolge durch Ludwig XIV., da die von Schwendi gerade aus diesem Grund - sie hatten mit Genehmigung des Kaisers eine weibliche Sukzession durchgesetzt - ihr Lehen verwirkt hatten. Ludwig XIV. hatte den Erbinnen Rebé usprünglich eine einmalige Abfindung von 72000 livres angeboten „pour lui tenir lieu de ses jouissances, ce qu'elle accepta; au moyen dequoi le retour du Fief étoit parfait" (ebd. S. 320). Zur Belehnung selbst: ADHR, 1 B 5, P 284: Marly, den 8.7.1696. Bereits im Oktober 1693 waren die beiden Erbinnen mit dem Lehen Kientzheim investiert worden (vgl. ADHR, 1 B 931, f° 20). Vgl. auch E. PAPIRER: Kientzheim, S. 246-248. Vgl. GOETZMANN: Traité des fiefs, Bd. 1, S. 322. ADHR.1 E75: Mémoire instructif touchant la réclamation de la ville de Colmar au sujet de l'échange par ellefaite en 1714 contre ta seigneurie de Hohenlandsberg, o. 0.1790. Weitere Einzelheiten bei H. PFANNENSCHMID: Ein Handel Ludwigs XIV. mit der Stadt Colmar, S.4ff. ADBR, 6 E41 (37): Kaufvertrag vom 23.8.1714.

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von Rosen in Bollwiller aufzunehmen 95 . Die vom Intendanten zugesagte Rückerstattung erfolgte nie, und Colmar mußte zudem jährlich große Einnahmenverluste hinnehmen: Die vielfach zertreuten Feudalrechte der Baronie Hohlandsberg ergaben nur ein Viertel der Einkünfte der Priorei St.Peter, die es immerhin auf jährlich 16-20000 livres brachte 96 . Gleichzeitig erlosch mit dieser Transaktion die Feudalität des vormaligen Lehens. Der König behielt lediglich seine „propriété primitive", die Stadt Colmar brauchte keine Lehnsverpflichtungen einzugehen und war von der Stellung eines „homme vivant & mourant" befreit 97 . Der seltsame und ungleiche Tausch wurde erst während der Revolution (1793) rückgängig gemacht 98 . Eine Besonderheit des Feudalregimes im Elsaß stellten die zahlreichen aufgetragenen Lehen (ßefs oblats, fiefs de protection) dar, die im übrigen Frankreich unbekannt waren 99 . Ein anonymer elsässischer Feudaljurist ging zu Beginn der Revolution auf diesen besonderen Sachverhalt ein und lieferte gleichzeitig die historische Erklärung: „La plus grande partie des fiefs d'Alsace sont oblats, c'est à dire, qu'ils étaient des biens propres et ne relevant de personne, jusqu'à ce que des guerres, communes entre de petits seigneurs indépendans et voisins, aient obligé les plus faibles à prêter foi et hommage à de plus forts qu'eux, pour se venger par leurs secours" 100 .

Um ihre Einflußzonen zu vergrößern und eine eigene Klientelbildung zu fördern, gingen große Lehnsherren wie die Bischöfe von Basel und Straßburg bereits im Mittelalter dazu über, Lehen aufzutragen (precaria oblatd)m, d. h. einzelne Adelsfamilien begaben sich unter die Schutzherrschaft eines mächtigen Lehnsfürsten gegen Leistung des Gefolgschaftseides, ohne daß dem Suzerain ein Heimfallrecht zugestanden wurde. „La seconde espèce est lorsqu'un particulier [ . . J a offert des biens allodiaux à l'Empereur, ou à quelqu'autre Prince ou Seigneur pour s'en faire investir en fief, cette offre s'appelle oblation [.. J102.

Ihrer Natur nach waren die fiefs oblats sogenannte Kunkellehen, d. h. im Falle des Erlöschens im Mannesstamm konnten weibliche Personen sukzedieren. Im Gegensatz zu den Mannlehen durfte der seigneur direct bei Vakanz diese nicht in seine domaine direct einverleiben, „à moins que ces fiefs n'aient été autrefois aliénés du domaine" 103 . 95

96 97 98 99 100 101 102 103

Vgl. A. J. INGOLD: Note sur les seigneurs successifs, S. 339. Am 8.4.1716 übergab die Stadt Colmar 60000 livres an die Witwe Du Bourg (vgl. ADHR, 1 E 75). Vgl. H. PFANNENSCHMID: Ein Handel, S. 7. Vgl. GOETZMANN: Traité des fiefs, Bd. 1, S. 324f. Vgl. H. PFANNENSCHMID: Ein Handel, S. 10. Vgl. ebenso R. E. L., Bd. 3/1, S. 451. Vgl. GUYOT: Répertoire universel, Bd. 25,1779, S. 40. Réflexions sommaires et impartiales, S. 8. Vgl. H. DUBLED: Noblesse et féodalité, S. 153. H. WEISGERBER (Hg.): L'Alsace au commencement du XVIII e siècle, S. 28. Vgl. Chevalier de BEAUMONT: Recherches historiques sur l'Alsace, Amsterdam 1775 (zit. in: C. HOFFMANN: L'Alsace au XVIIIe siècle, Bd. 1,S. 12,Anm.4).

26

Der elsässische Adel im Ancien Régime : Status und Hierarchie

Unter den königlichen Lehen, die 1648 direkt von den Habsburgern abgetreten wurden, war der Anteil der fiefs ablats nahezu unbedeutend. Nach den Aufzeichnungen der 1756 eingesetzten Lehenskommission besaßen beispielsweise im Oberelsaß lediglich drei alteingesessene Adelsfamilien kleinere Anteile: Die Edlen von Ferrette (Pfirt) zählten ein Haus in Cernay und einen Garten außerhalb der Stadt zu ihrem Eigentum; die von Flachslanden das Dorf Dürmenach einschließlich der hohen und niedrigen Gerichtsbarkeit und die Montjoie zwei Weiher in Obermorschwiller ,,1'un en herbes et l'autre en eau" 104 . Die von Waldner besaßen als Lehen des Fürstbischofs von Straßburg die Dörfer Hartmannswiller, Rimbach-Zell und das Schloß Ollwiller105. Auch die Mitte des 17. Jahrhunderts aus Livland eingewanderten Grafen von Rosen verfügten über aufgetragene Lehen, die ihnen vom französischen König übertragen wurden. Die am 20.3.1680 von den emigrierten Grafen von Fugger für 60000 livres erworbenen Freigüter der Seigneurie Rougemont wurden 1721 in ein fief d'oblation umgewandelt 106 . Gleichzeitig mit der Lehnserrichtung erfolgte im August 1724 eine Zusammenlegung der beiden Grundherrschaften Masevaux und Rougemont zu einer „seigneurie unie" 107 , die um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Lehnsregister als „masculin et à défaut des mâles feminin, et en partie fief oblat" 108 ausgewiesen wurde. Nach dem Tode Conrad-Alexandre von Rothembourgs (1735) verblieben die vereinigten Seigneurien bis zur Revolution im alleinigen Besitz der Familien von Rosen-Broglie. Neben den einzelnen Lehnsarten und ihren Qualitätsmerkmalen spielte die jeweilige Herkunft oder rechtliche Grundlage des Lehens in ihrem Verhältnis zum französischen Souverän eine gewichtige Rolle. Nach dem Frieden von Rijswijk (1697) unterschieden sich die königlichen Lehen nach der Nomenklatur „d'ancienne investiture" und „de nouvelle investiture", „dont les uns relèvent immédiatement de la Couronne, et les autres médiatement comme arrière fiefs mouvants des grands vassaux" 109 . Zur ersten Gruppe zählten alle die Lehen, die im Frieden von Münster aus dem direkten oder indirekten Besitz der Habsburger an Frankreich übergegangen waren. Loyson teilte sie in zwei Gruppen ein: „La première comprend les fiefs qui, de la directe immédiate de l'empereur et de l'Empire, sont passés dans la mouvance du roi; l'autre est formée par les fiefs dépendant du comté de Ferrette et du landgraviat de la Haute-Alsace, dont la directe a été transportée au roi par la maison d'Autriche"110.

Den größten Teil dieser Lehen hatte der gerade zwanzigjährige Ludwig XIV. im Dezember 1659 von Toulouse aus per Dotation an seinen verdienten Ersten 104 105 106 107 108 109 110

ADBR, C 323/7bis. Vgl. LOYSON: L'Alsace féodale, S. 57. Vgl. ADHR, 1 B953, f° 125. Ebd. 1 E 38 (3,8,15). Vgl. ADHR, 1 B 953, f° 345. Vgl. ebenfalls P. GERBER: La famille de Rosen, S. 33. ADBR, C 323/8. ADBR, 43 J 16, S. 29: Mémoire concernant la province d'Alsace rédigé par M. Pfeffel (1777). LOYSON: L'Alsace féodale, S. 52.

Adel und Lehen

27

Minister Jules Mazarin vergeben 1 ' 1 : Die Grafschaft Ferrette und die Herrschaften Thann und Altkirch als ehemalige Lehen des Bischofs von Basel und die Herrschaften Delle, Beifort und Issenheim als „fiefs actifs de la Maison d'Autriche" 112 . Der elsässische Besitz des berühmten Kardinals verblieb bis zum Widerruf 1791 in den Händen seiner Rechtsnachfolger 113 . Mit den restlichen Lehen wurden elsässische Adelsfamilien und in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verstärkt bewährte Heerführer und Verwaltungsbeamte belehnt. Nach deren Tod kam der einheimische Adel in vielen Fällen wieder in den Besitz dieser Lehen. Alle Lehnsträger und Vasallen mußten mit Ausnahme Mazarins Lehen vor dem Conseil Souverain d'Alsace in Colmar ihren Treueid leisten und Mannschaft stellen (foi et hommage), sowohl beim innerfamiliären Besitzwechsel114 als auch auf Aufforderung des Intendanten in Straßburg, wie dies z. B. 1756 und 1777 geschah 115 . Besonders wichtig für die französische Krone waren die Afterlehen der mächtigen Lehnsherren im Oberelsaß, die der Herzöge von Württemberg und PfalzZweibrücken, der Fürstbischöfe von Straßburg und Basel und der Äbte von Murbach. Sie besaßen jeweils eine eigene „cour féodale" und hatten ihr Rechtsverhältnis zum französischen König in separaten lettres patentes niedergelegt116. Es war ihnen allerdings ausdrücklich untersagt, Lehen bei Vakanz in ihre domaine direct einzugliedern, sie zu veräußern oder zu teilen. Des weiteren hatten sie sich verpflichtet, ausschließlich Vasallen des Königs zu belehnen. Dadurch sollte erreicht werden, daß kein Lehen und damit Ländereien in auswärtige Hände gelangen konnte. Während die Krone beim Bischof von Straßburg und bei den beiden deutschen Fürsten Ausnahmen von der Regel gestattete117, wurde die Bestimmung beim Bischof von Basel und für die Abtei Murbach konsequent eingehalten. Als der Bischof von Basel, Joseph Wilhelm Rinck von Baldenstein, 1756 versuchte, das vakante Lehen Wittelsheim nach dem Aussterben der Familie von Hagenbach dem bischöflichen Kammeramt einzuverleiben, war ihm kein Erfolg beschieden. Das änderte jedoch nichts an seinen weiteren Bemühungen, die er umso hartnäckiger betrieb. Nach mehreren Konsultationen mit den Colmarer Rechtsberatern Bruges und Dupont, die beide bereits kurze Zeit später nach Rücksprache mit den obersten Beamten am Conseil Souverain d'Alsace einen negativen Bescheid gaben, versuchte er sein Ziel 111

1,2 113

114 115

116

117

Vgl. ADHR, E 2929. Die verschiedenen lettres de donation sind abgedruckt bei M. DROUOT: Thann, S. 119-125. ADHR, E 2929. Vgl. ADBR,C 323/8. Der Widemif erfolgte per Dekret vom 14.-25.7.1791 (vgl. P.CARON: Recueil des textes, in: Bulletin d'Histoire économique de la Révolution, Paris 1924, S. 138, Na 86). Vgl. GOETZMANN: Traité des fiefs, Bd. 2, S. 197. Vgl. ADHR, C1290: Ordonnance du Roivom 9.4.1756 und ADBR,32 J 4(94): Arrêt du Conseil d'état du Roi vom 21.4.1777. Die Daten der einzelnen lettres patentes sind aufgelistet bei T. LUDWIG : Die deutschen Reichsstände, S. 25 ff. ADBR, 43 J16, S. 31 : Mémoire rédigé par M.Pfeffel (1777). Vgl. ebenso C. H O F F M A N N : L'Alsace au XVIII e siècle, Bd. 3, S. 458.

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Der elsässische Adel im Ancien Régime: Status und Hierarchie

über den Pariser Botschafter am französischen Hof, den Abbé de Raze, zu erreichen. Seine Argumentation diente ihm gleichermaßen als legaler Vorwand: „[...] que par le paragraphe 87 de la paix de Westphalie, Sa Majesté n'a acquis d'autres droits sur l'évêque de Bâle que ceux qui étaient auparavant exercés par la Maison d'Autriche dont les maximes, avant la paix de Munster, ne défendaient pas cette réunion"118.

Er drohte mit der Unterlassung der finanziellen Zuwendung an das bischöfliche Regiment Eptingen und ließ es an Bestechungsversuchen bis zur Höhe der Einnahmen aus dem Lehen nicht fehlen. Die Krone blieb bei ihrem harten Kurs und ließ durch den Marschall de Belle-Isle am 31.7.1759 in einem Brief an den Bischof ihre endgültige Entscheidung verkünden: „Sa Majesté ne les connoit pas moins que le zèle de V.A. pour mon service, et si la question eut été d'espèce à pouvoir de décider par des vues d'estime personnelle, il n'est par douteux que je n'eusse à vous annoncer le plein succès d'une demande que V. A. temoignoit avoir extrêmement à coeur, mais Sa Majesté a reconnu d'après l'examen le plus approfondi qu'elle ne pouvoit permettre des réunions qui changeroient l'état actuel des fiefs situés sous sa Domination en Alsace et que les principes établis à cet égard par le feu Roi étoient de nature à dévoir être invariablement maintenus dans toute leur force"119.

Nach erfolgter Naturalisation wurde schließlich der Bruder des Bischofs, LuceXavier Rinck de Baldenstein, belehnt 120 . Eine ähnliche Situation ergab sich kurze Zeit später für im Elsaß gelegene Lehnsgefalle (Zehnten und Zinsen) der ausgestorbenen Familien Münch von Löwenberg (1759) und von Orsans (1766). Aus der Korrespondenz des Bischofs mit dem Domkapitel zwischen 1760 und 1773 geht hervor, daß erneut eine Inkameration vorgesehen war. Der Conseil Souverain d'Alsace widersetzte sich energisch und verlangte, ein französischer Vasall müsse mit der Belehnung beauftragt werden. Bischof und Domkapitel lenkten schließlich ein und belehnten Jean-Nepumucène-François-XavierFortunat Comte de Montjoie am 7.4.1773121. Die politische Richtung des Conseil Souverain d'Alsace und damit des französischen Hofes entsprach ganz den Vorstellungen und Wünschen des oberelsässischen Adels. In einer nach 1773 abgefaßten Beschwerdeschrift richteten sie schwere Vorwürfe an die Adressen des Bischofs von Basel, der Abtei Murbach und des Herzogs von Pfalz-Zweibrücken „au sujets des fiefs vacants qu'ils veulent joindre à leurs manses et domaines 122 . Sie beriefen sich auf eine Ordonnance 118 119 120 121

122

ADHR, 1 G 2: In einem Brief an den conseiller Bruges vom 7.12.1756. Ebd. (zit. bei C. SAUTER: Wittelsheim, S. 104). Ebd. S. lOOf. AAEB Porrentruy, B 237/38: adlige Lehnssachen in genere. Vgl. ebenso P. BRAUN: Rinck von Baldenstein, S. 216 f. Im Anschluß an die Lehnsaufnahme schickte der Comte de Montjoie, vom Amtmann Jean-Claude Gérard beraten, eine Denkschrift an den Duc d'Aiguillon in Paris, um die Absicherung seiner Ansprüche zu erlangen. Er wollte damit eine eventuelle Inkameration seiner neu erworbenen Lehen an den Fürstbischof von Basel verhindern (vgl. AAE Paris, M D 50 Alsace, f° 361 r° -362 r°). AAEB Porrentruy, B 237/38.

Adel und Seigneurie

29

du Roi vom 16.3.1681123, die besagte, daß Lehen von Ausländern bei Vakanz nicht an deren Lehnsmannen weitergegeben werden dürften. Der Bischof und die anderen Beschuldigten hätten jedoch in der Folgezeit immer wieder eine Konservierung aller ihrer Lehen betrieben. Dies seien nach ihrer Ansicht „prétentions injuste ruineuse pour la noblesse". Der Bischof müsse seine Afterlehen an elsässische Adlige vergeben, denn wenn die Güter an den Bischof zurückfielen, so gingen wichtige Einnahmen für das Elsaß und für den König verloren: „La loi de l'Etat est plus forte que le Statut du Chapitre de Bâle". Murbach wurde beschuldigt, daß mit der Säkularisation der Abtei 1764 „ce changement leur a fait concevoir de vastes projets [...] une église suberbe". Zu diesem Zweck mußten große Mengen Holz aus den verschiedenen Wäldern geschlagen werden, und auch die Adelsfamilien sollten mit 633900 livres zur Kasse gebeten werden. Gegen diese Praxis wurde sogar der Bezug zum Dritten Laterankonzil von 1179 hergestellt, in dem es hieß, Kirchen dürften weder veräußern noch irgendein Gut zu Lehen geben (sie!)124. Die Beschuldigungen gegen den Herzog von Pfalz-Zweibrücken machen in eindringlicher Weise deutlich, wie sehr weite Teile des Adels dem Lehensnexus ausgesetzt waren, und wie sehr sie, bei allem Pathos, um die eigene Existenzgrundlage bangen mußten : „La noblesse a perdû presque tout ce qu'elle avoit de biens libres. Il serait trop long d'en discuter icy les causes. Il ne lui reste que des fiefs, qu'elle relève en partie du Roy, mais beaucoup aussi des Evêques de Strasbourg, et de Bâle, des Princes des maisons palatines, de Baden, de Hesse, du Chapitre de Murbach"125.

1.3. Adel und Seigneurie Im Elsaß wie im übrigen Frankreich verkörperte die Seigneurie das zentrale Element der Agrarstruktur. Sie war sozialer und juristischer Bezugsrahmen der ländlichen Gesellschaft. Pierre Goubert definiert sie als ein „ensemble de terres, soigneusement et anciennement délimités, qui constitue la propriété éminente et la zone de juridiction d'un personnage individuel ou collectif nommé seigneur" 126 . Seigneur konnte nach dieser Definition sowohl ein Geistlicher, ein Adliger als auch ein begüterter Angehöriger des Dritten Standes sein, denn der Besitz einer Seigneurie „n'était juridiquement pas, ou n'était plus signe de noblesse, puisqu'une seigneurie s'achetait comme tout autre bien" 127 . Diese Feststellung, die für weite Teile Frankreichs Gültigkeit besitzt, trifft für das Elsaß nur in sehr beschränktem Maße zu. Der Almanach d'Alsace pour l'année 1789 zählt zu 123 124

125 126 127

Vgl. De BOUG: Ordonnances d'Alsace, Bd. 1, S. 101. Vgl. P. LEGIN: Un Mémoire, S. 355: „Les vassaux de Murbach sont des arrière-vassaux du Roy et de sa Couronne, qui sont destinés à porter les armes pour son Etat: autant de fiefs incamérés, autant d'arrière-vassaux perdûs pour le Roy". BStB München, Cod. Gall. 380, f> 487. Vgl. ebenso AAEB Porrentruy, B 237/38. P. GOUBERT: L'Ancien Régime, Bd. 1, S. 72. Ebd., Bd. 1,S. 129. Vgl. G.van den HEUVEL: Grundprobleme der französischen Bauernschaft, S. 60.

30

Der elsässische Adel im Ancien Régime: Status und Hierarchie

Beginn der Revolution 302 Seigneurien namentlich auf128, die in ihrer großen Mehrzahl im Besitz zahlreicher Adelsfamilien waren. Abteien, Klöster, Ordensgemeinschaften, deutsche Reichsfürsten, die Reichsritterschaft im Unterelsaß, die Bistümer von Straßburg, Speyer und Basel und die Städte Straßburg, Colmar etc. fungierten als seigneur, ebenso - als Kuriosum - die Bürger von Blotzheim in ihrer Eigenschaft als Besitzer der Augrafschaft 129 . Die Aufstellung verzeichnet für das Oberelsaß zwei roturiers und im Unterelsaß werden lediglich vier Bürgerliche als Grundherren genannt130, was einem Gesamtanteil von V/2% entspricht. Womit hängt dieses überraschende Fehlen des Bürgertums im seigneurialen Sektor zusammen, wie kann man es erklären? Mußte die Bourgeoisie in diesem eminent wichtigen sozio-ökonomischen Bereich dem Adel den Monopolanspruch überlassen? Zur Beantwortung der Frage bedarf es erstens einer begriffsgeschichtlichen Klärung und zweitens einer Vorstellung von dem, was unter bourgeoisie im Ancien Régime zu verstehen ist. Die regionale Fachliteratur gibt zunächst darüber keinen Aufschluß. Weder Charles Hoffmann noch Jules Krug-Basse haben in ihren Werken ein separates Kapitel über die „elsässische Grundherrschaft" verfaßt. In ihren Gesamtdarstellungen wird vielmehr immer auf einen direkten Zusammenhang zwischen Lehen und Adel hingewiesen131. Von den zeitgenössischen Autoren ging besonders der Graf Henri de Boulainvillers auf den elsässischen feudal-seigneurialen Hintergrund ein. In dem dritten Band seines Etat de la France kam er nach einer langen Aufzählung elsässischer Adelsfamilien und ihrer „grandes terres" zu dem Ergebnis: „Toutes ces Seigneuries sont Féodales"132. Auch die meisten Feudaljuristen betonten im 18. Jahrhundert stets die enge Verknüpfung von seigneurie und féodalité wie z. B. Renauldon : „Seigneurie est une terre féodale. Il y a, en ce sens, deux seigneuries; la directe & l'utile. La directe est celle de qui relèvent d'autres terres en fief ou en censive. La seigneurie utile est celle du propriétaire du fief servant, o u de l'héritage tenu en censive" 133 .

Germain-Antoine Guyot dagegen verwies vor allem auf den Eigentumsaspekt und die Zuständigkeit für gerichtliche Angelegenheiten, die der Grundherr als Eigentümer ausüben durfte: „Ainsi le n o m de Seigneurie [ . . . ] indique l'autorité; dans l'usage, on l'applique tantôt au simple domaine de propriété, tantôt à une supériorité quelconque qu'on a sur la chose 128

129 130

131

132 133

Der Almanach d'Alsace pour l'année 1789 führt für das Oberelsaß 138 und für das Unterelsaß 164 Seigneurien auf (ebd. S.143-184). Vgl. J. SCHMIDLIN: Die Augrafschaft, die letzte elsässische Marktgenossenschaft, op.dt. Berücksichtigt wurden lediglich die noch nicht nobilitierten Familien. Im Oberelsaß waren dies die Familien Stadel als co-seigneurs von Fontenelle sowie Schaub von Hüsseren. Im Unterelsaß werden Braun und Burger als co-seigneurs der Herrschaft Hipsheim genannt, der Familie Weinemmer gehörte Landersheim und die Bankierfamilie Kommann zählte das Dorf Schweighausen zu ihrem Eigentum. Vgl. C. HOFFMANN : L'Alsace au XVIII e siècle, Bd. 1, S. 8 ff ; J. KRUG-BASSE : L'Alsace avant 1789, S. 230 f. H.de BOULAINVILLERS: Etat de la France, Bd. 3, S. 404. J. RENAULDON: Dictionnaire des fiefs, Bd. 2, S. 232.

Adel und Seigneurie

31

d'autrui, & surtout à la directe; tantôt enfin à l'autorité publique, c'est-à-dire au droit de justice, dont on jouit en qualité de propriétaires dans un certain territoire"134.

Aus den beiden Definitionen zeitgenössischer Feudalkommentatoren wird deutlich, daß es keine einheitliche Linie bei der Fixierung des feudalen und seigneurialen Bereichs gab. Nicht die Unterschiede zwischen Adel, Feudalität und Seigneurie wurden im 18. Jahrhundert herausgestellt, vielmehr überschnitten sich oft die Begriffs seigneurie und fief jeweils regional unterschiedlich 135 . Das Lehen selbst hatte seinen ursprünglichen Charakter längst verloren und war teils zum festen ökonomischen Bestandteil, teils zum rein symbolischen Dekor einer seigneurie umgewandelt worden. Die ehemals mittelalterliche Unterscheidung zwischen Grundherrschaft und Lehen war in einer jahrhundertelangen Entwicklung verlorengegangen. Hinzu traten noch lokale und regionale Sonderregelungen, so daß die Konnotation beider Rechtsbegriffe von einer Provinz zur anderen beträchtlich variieren konnte. Selbst die grundsätzliche Unterscheidung zwischen den beiden Grundbesitztypen, fief als Bezeichnung eines adligen Landgutes und censive als Form der nichtadligen Landübertragung machte hierbei keine Ausnahme: „La distinction des fiefs et des censives, généralement nette dans le Nord de la France, apparaît confuse dans le Midi où la pratique les confondait constamment. C'est l'observation que l'on peut faire en Béarn, dans le Rouergue, en Quercy, dans le Forez, à Toulouse, où la pratique qualifie de fief la tenure désignée, dans le Nord, sous le nom de censive"136.

Oft standen die einzelnen Begriffe in einem wechselseitigen Zusammenhang, vor allem in Regionen der französischen Peripherie. In der Bretagne z. B. wurden die Termini féodalité und seigneurie, selbst noblesse und propriété, synonym verwendet' 37 . Régine Robin, die unter Anwendung linguistischer Untersuchungsmethoden die Definitionen der vorrevolutionären Feudaljuristen miteinander vergleicht und verschiedene Begriffe zur Feudalität in Beziehung zueinander setzt, kommt zu dem Ergebnis, daß die Begriffe „fief und seigneurie zwei miteinander verbundene, nicht in Opposition stehende Ausdrücke sind, die zum gleichen Begriffsfeld, aber nicht zum gleichen Register gehören" 138 . Sie gelangt zu folgender Definition: „Fief weist auf ein adliges Gut hin, das jemand gegen Teueid und Mannschaft in Besitz hat, und zugleich auf den adligen Charakter des Lehngutes und die persönlichen Bindungen sowie auf den gegenseitigen Vertrag, der in der feudalen Kette Seigneur und Vasall verbindet. Seigneurie wird selten im Sinne von Land verstanden und bezeichnet mehr die Oberhoheit über ein adliges Land, d. h. die Macht, die durch die Gerichtsbar-

,34 135 136 137 138

GUYOT: Répertoire universel, Bd. 57, S. 500. Vgl. hierzu G.van den HEUVEL: Ait. Féodalité, féodal, S. 3. M. GARAUD: La Révolution et la propriété foncière, S. 15. Vgl. F. BRAUDEL/E. LABROUSSE: Histoire économique et sociale, Bd. 2, S. 120. R. ROBIN: „Fief" und „Seigneurie", S. 41.

32

Der elsässische Adel im Ancien Régime : Status und Hierarchie keit verkörpert und die die Lexeme retenue de seigneurie directe (Einbehaltung der Oberherrschaft) ausgedrückt wird" 139 .

Die Definition Régine Robins eignet sich in besonderer Weise zur Charakterisierung des engen Beziehungsgeflechts zwischen Adel und Seigneurie im Elsaß. Allerdings definierte sich der Adel im ausgehenden Ancien Régime nicht mehr ausschließlich als Grundbesitzer - noch im Mittelalter nannten sich Adlige nach ihren Stammburgen, Flecken oder Orten wie Flachslanden, Bollwiller, Hagenbach, Mörsberg, Montreux, Pfirt, Wangen und Fleckenstein - sondern verband mit der Kennzeichnung als seigneur die feudalen und seigneurialen Privilegien, Renten, Vorrechte und die allumfassende Gerichtsbarkeit. „Le Fief noble annoblit son Possesseur; s'il n'a déjà la qualité de noble" 140 , bemerkte der conseiller Goetzmann, was das Bürgertum im Elsaß geradezu als Aufforderung zum Handeln verstanden haben muß. Unter dem Begriff Bürgertum ließ sich schon längst nicht mehr nur eine städtische sozio-juristische Dimension subsumieren, der Begriff stand für ein Privileg. Im Laufe des 18. Jahrhunderts etablierte sich eine privilegierte Bürgerschicht, deren wirtschaftlicher und sozialer Aktionismus auf zwei kohärenten Ebenen zum Ausdruck kam: Zunächst stand die „bürgerliche" Arbeit und das Verdienst im Vordergrund, nach erfolgter finanzieller Bereicherung wurde die materielle Absicherung durch Kauf von Land und Renten sowie der soziale Aufstieg in die Aristokratie zu ihrem Leitmotiv. Hatte nicht La Bruyère gegen Ende des 17. Jahrhunderts die krampfhafte Adelsmanie des Bürgertums mit bissig-ironischen Worten karikiert? „Es gibt Leute, die nicht die Mittel haben, adlig zu werden. Es gibt andere, die adlig wären, wenn sie von ihren Gläubigern sechs Monate Verzug erhalten hätten. Wieder andere gehen als Bürger zu Bett und stehen als Adlige auf. Wieviel Adlige gibt es, deren Vater und Vorfahren ungeachtete Bürger gewesen sind!" 141 .

Diese Janusköpfigkeit war typisch für die Situation des Bürgertums im Ancien Régime: auf der einen Seite die Tendenz zum Kapitalismus und auf der anderen Seite das Festhalten an der ständischen Ordnung. Da es ihm vom Feudalregime her untersagt war, grundherrschaftliches Eigentum zu erwerben, trachtete das Bürgertum danach, diese Bestimmungen zu umgehen, oder aber sich über das zeit- und kostenaufwendige Verfahren einer Nobilitierung die Anwartschaft auf das Seigneurialeigentum zu eröffnen. Eine beträchtliche Anzahl der elsässischen Bourgeoisie schlug diesen Weg im 18. Jahrhundert ein. Unter dem anvisierten, privilegierten Mantel des Adels kauften eine beachtliche Reihe wohlhabender Bürgerfamilien ganze, halbe oder viertel Seigneurien. Der städtische Finanzund Handelskapitalismus hielt seinen Einzug aufs platte Land (s. S. 33). Das Land, das der Neuadel im Elsaß nicht kaufen konnten, erwarb er in der unmittelbaren Nachbarschaft. Die Familie d'Anthès kaufte sich im 18. Jahrhun139 140 141

Ebd. S. 44. GOETZMANN: Traité des fiefs, Bd. 1, S. 23. LA BRUYÈRE: Die Charaktere oder die Sitten des Jahrhunderts, S. 207.

Adel und Seigneurie

33

Tabelle 1: Seigneurienkäufe des elsässischen Neuadels im 17. u. 18. Jahrhundert NAME

SEIGNEURIE

DATUM DER ERWERBUNG

BETRAG

Anthès An thés Anthès Anthès Barbaud

Blotzheim Brinckheim' (Vi) Brinckheim (Vi) Nambsheim Florimont

1730 1731 1732 1738 1672

40000 12000 8000 103000 33666

Bassinière

Morvillars u. Thiancourt Freigut „Fachwerth" Orschwiller u. Hohkönigsburg Cernay (n/i2) Traubach u. Chavanatte Thanvillé

1708

99000

1771 1770

60000 62000

1728-1739 1731

15400 10000

Beyerlé Boug Clebsattel Clebsattel Dàrtein Dietrich

1786

180000

Dietrich Dietrich Gauthier

Ober- und 1760-1764 316350 Niederbronn Reichshoffen 1761 187600 Ban-de-la-Roche (Gfs.) 1771 320000 Oberlauterbach 1749 49500

Glutz Güntzer/ Dietrich Huvelin Klinglin Klinglin Marx Noblat Noblat

Blotzheim Schweighouse-surModer Bavilliers Hattstatt (Baronie) Mun willer Schoenenbourg (V2) Blotzheim Morvillars u. Méziré

1697 1693

8000 36000

1774 1713 1747 1749 1720 1759

12000 61000 70000 38750 114000 266400

Noblat Sévenans Papelier Thumenau Reissenbach Niederséebach

1768 1761 1750

Tausch

Rosen

1680

116606

Bollwiller

QUELLEN:

(livres)

ADHR, 2 E 12. BM Colmar, Ms. 552. BM Colmar, Ms. 552. ADHR, 2 E 10. ADHR, 1 E 9/1. APP Monaco, T 1177. ADHR, 2 E 138. ADBR, 6 E 41 (142). ADHR, 1 B 944, P 169; ebd. 2 E 29/4. ADHR, 2 E 40. ADHR, 2 E 40; ebd. 1 B 955, f° 338. M.de CASTEX: Tanviller, S. 128. Arch.Dietrich, 79 B/3b. Arch.Dietrich, X/2. Arch.Dietrich, XIII/1. LA Speyer, Franz.Souv. Lande 539 a. ANP, Q1.978. ADBR, 6 E 41 (7). APP Monaco, T 985. ADHR, 2 E 106/1. Ebd. ADBR, E 82. ADHR, 1 Q 1. StA Basel G 12: Noblat. A. VIELLARD: Morvillars et Méziré, S. 47. ADHR, 1 B 961, P 228. ADBR, E 615. J. CLAUSS: Wörterbuch, S. 776. ANP, Q1.977.

34

Der elsässische Adel im Ancien Régime : Status und Hierarchie

dert im großen Stil in Burgund ein142. Auf die gleiche Weise legte der spätere Prätor von Straßburg, Conrad-Alexandre Gérard, acht Jahre vor seiner eigentlichen Nobilitierung die soeben erworbene hochdotierte Heiratsmitgift 1770 in Lothringen an, indem er die Dörfer Munster und Inswiller vom Fürst von Nassau-Saarbrücken für 210000 livres erwarb 143 . Zwar blieb auf eine gewisse „unzeitgemäße" Art und Weise die Seigneurie das Monopol des elsässischen Adels, sie war geradezu das Synonym für adlige Existenz, aber in Wirklichkeit hatte bereits eine Verschmelzung bürgerlicher und adliger Gesellschaftsschichten stattgefunden. Beide Gruppen, alteingesessener Landadel und „anoblierte Bürgerliche", ehemalige roturiers, gingen eine soziale Fusion ein und trafen sich auf dem nun gemeinsam bestellten Feld der Bodenrente und grundherrschaftlichen Justiz. 1.4. Alte und neue Eliten In vielfacher Hinsicht war die Ausgangslage des elsässischen Adels im 18. Jahrhundert eine andere als in den Jahrhunderten zuvor. Die soziale Öffnung der Aristokratie durch die Krone seit der Annexion blieb nicht ohne Folgen für eine seit alters her geschlossene, privilegierte Gruppe. Eigene Wertvorstellungen, innerer Zusammenhalt und zahlenmäßige Zusammensetzung waren einem raschen Wandel ausgesetzt. Die ehemals vorderösterreichischen Ritterschaftsmitglieder waren nicht mehr unter sich und konnten nicht mehr in Eigenregie über ihre Belange entscheiden. Seit mehr als einem halben Jahrhundert waren überwiegend aus Innerfrankreich Adelsfamilien und ambitionierte Bürgerliche ins Land geströmt. Diese nahmen nun Positionen ein, die beim Altadel Neidgefühle hervorriefen aber auch zur Nachahmung herausforderten. Während der alteingesessene Landadel seit Urzeiten auf seinen Burgen und Schlössern vis-àvis seiner Güter und bäuerlichen Untertanen saß, in kaiserlichen Diensten sein Auskommen suchte oder einen prächtigen Hof in den benachbarten Städten sein eigen nannte, brachte der neueingewanderte Adel Ideen, Geld und die Protektion der Krone als Einstand mit. Der Altadel verlor mit der Annexion nicht nur sein Monopol auf politische Macht, er wurde vor allem auf natürliche Weise stark dezimiert. Ein streng eingehaltenes internes Heiratsverhalten, die Wirren des 30jährigen Krieges und der mühsame Wiederaufbau des verwüsteten Landes hatten seine Kräfte überfordert 142

143

1743 erwarb Madame d'Anthès, die Ehefrau des Industriellen, die Baronie Longepierre sowie die Herrschaft Villeneuve in Burgund für 300000 &°vnes(vgl. R. BOIGEOL: Recherche sur la composition d'une fortune alsacienne, S. 93). François-Philippe d'Anthès kaufte am 8.3.1779 für 190000 livres die Seigneurien Aprey de Villehaut und Grattedos in Burgund von Joseph Lallemand. Dieser hatte sie fünfzig Jahre zuvor gegen die Summe von 39000 livres erworben (!) (vgl. BM Colmar, Ms 552: famille d'Anthès). Vgl. N. D. B. A., S. 1150. Gérards Vermögen vermehrte sich über die 1768 mit Marie-Nicole Grossart de Virly geschlossene Ehe um 224307 livres (vgl. C. SAUTER/P. BEDEL: Conrad-Alexandre Gérard, S. 83).

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und allmählich schwinden lassen. Ein zeitlicher Vergleich über mehr als eineinhalb Jahrhunderte verdeutlicht diesen biologischen Marasmus. In die oberelsässische Adelsmatrikel von 1625 trugen sich ursprünglich 77 Adelsfamilien ein144, von denen zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch 30 im Elsaß verblieben waren. Bis zur Revolution verminderte sich diese Zahl nochmals um sieben auf zuletzt 23 Familien 145 , d.h. innerhalb von 164 Jahren waren 70,1% des Altadels ausgestorben. Ein ähnliches Bild ergab sich für das Unterelsaß: Von den 1651 in die Matrikel der Reichsritterschaft eingetragenen Familien waren bis zum Jahre 1773 - einschließlich der Neuaufgenommenen - 59 Abgänge zu verzeichnen 146 . Somit mußte über die Hälfte des Ritterschaftsbestandes durch Neuaufnahmen aufgefüllt werden. Bedingt durch diese relative Kurzlebigkeit der Adelsgeschlechter bot sich immer wieder Raum für neuaufsteigende oder zugewanderte Familien. Die Krone unterstützte tatkräftig diese Entwicklung. Allerdings konzentrierte sich die königliche Protektion im multikonfessionellen Elsaß zunehmend auf Familien mit katholischer Religionszugehörigkeit. Da es seit der Reformation traditionell eine ganze Reihe lutherischer Adelsfamilien gab, konnte es nicht ausbleiben, daß die Religionsfrage vor allem im 18. Jahrhundert zu einem politischen Thema wurde. Besonders rigoros ging der Straßburger Prätor Jean-Baptiste de Klinglin gegen den protestantischen Adel vor, indem er eine gezielte Förderung der Konvertiten betrieb und gleichzeitig gegen die sogenannten „Relapsi" hart vorging. Von diesem Maßnahmen betroffen waren insbesondere die Familien de Kempfer und de Güntzer, von denen letztere gegen Ende des 17. Jahrhunderts in hohe politische Ämter aufgestiegen war und es zu beträchtlichem Reichtum gebracht hatte. Auf Betreiben Klinglins wurde ein Verwandter des Syndikus und Kanzleivorstehers von Straßburg, Christoph von Güntzer 147 , bei Hofe denunziert, die katholische Kindeserziehung vernachlässigt zu haben, und eine verbotene Heirat mit einer Protestantin eingegangen zu sein. Ganz ähnliche Beschuldigungen wurden gegen den Syndikus der unterelsässischen Ritterschaft, Jean-Baptiste Kempfer, erhoben, der wie sein Schwiegervater von Güntzer konvertiert war und die Heirat seiner Tochter mit einem Lutheraner aus Frankfurt zugelassen hatte148. Das Mißtrauen gegenüber den etablierten protestantischen Adelsfamilien war bei Klinglin so groß, daß er sie ständig verdächtigte, mit ihren deutschen Glaubensbrüdern eine gemeinsame Politik gegen die französische 144 145

146 147

148

Vgl.AM Colmar, JJ divers IV, f° 2 r ° - 3 v ° : Memoirede Domilliers. Im Laufe des 18. Jahrhunderts starben nacheinander folgende Adelsgeschlechter aus: von Ruest (1709), von Roppe (1729), Degelin von Wangen (1742), von Bnnighoffen (1751), von Hagenbach (1756), Münch von Löwenberg (1759) und von Jestetten (1762). Vgl. ADBR, E 1293 u. E 1294. Christoph von Güntzer (1636-1695) war 1685 selbst zum katholischen Glauben übergetreten. Allerdings blieb seine Frau zum großen Arger des Kriegsministers Louvois der lutherischen Religion treu (vgl. Artikel Güntzer in: N. D. B., Bd. 7, S. 280). AM Straßburg, AA 2573. Zu beiden Fällen vgl. I. STREITBERGER: Der königliche Prätor, S. 99. Vgl. ebenso R. REUSS: Documents relatifs, S. 54.

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Der elsässische Adel im Ancien Régime : Status und Hierarchie

Krone zu betreiben. Als Konsequenz dieser argwöhnischen Haltung wurde dem lutherischen Adel seit 1727 der Zugang zum unterelsässischen Adelsdirektorium untersagt 149 . Eine weitere Verschärfung an Restriktionen offenbarte sich in den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts in dem Project d'exclure la noblesse luthérienne d'Alsace du nouvel ordre militaire, wogegen die unterelsässische Ritterschaft im Juli 1759 vehement Front machte: „Cette Province a toujours été une retraite honorable pour les Gentilshommes étrangers qui ont vieilli dans le service de France; Les officiers luthériens surtout n'en ont pas d'autre s'ils veulent manger en France les pensions que leurs services leur ont acquises, et y finir leurs jours. [ . . . ] Les gentilshommes luthériens d'Alsace étant attachés à Sa Maj lé comme vassaux et comme sujets; ce double lien est un gage assuré de leur soumission et de leur fïdelté. Il n'est que trop apparent que cette humiliation serait capable de degouter la noblesse alsacienne du service de France, et qu'elle détruirait l'ouvrage de Louis 14 qui pour marquer la considération [im Original unterstrichen] qu'il faisoit de la noblesse de la Basse alsace a bien voulu par les Lettres Patentes de 1680 la maintenir et confirmer dans ses privilèges" 150 .

Während sich die konfessionellen Probleme zwischen der Krone und dem lutherischen Adel als relativ schwierig erwiesen, gestaltete sich das Verhältnis zum landsässigen Niederadel durchaus positiv. Eine resolut betriebene Umschichtung der Lehnsverhältnisse in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 151 brachte den Altadel zunächst auf Distanz zur französischen Monarchie. Doch in erstaunlich kurzer Zeit stellte er sich auf die neue Situation ein, nahm seine Lehen beim neuen Souverän auf und bemühte sich eifrig, seine Söhne im französischen Staats- und Militärdienst unterzubringen. Er erlebte fortan eine kulturelle Veränderung, wobei Straßburg, das Rohansche Zentrum in Saverne und natürlich Versailles zu Orientierungspunkten einer neuen modischen Richtung wurden : „Das Bild des früheren Zustandes, in dem wir den Elsässer Adel kennen gelernt haben, ist jetzt nur schwer noch festzuhalten. Er selbst erscheint wie etwas Neues. So sehr ist gerade dasjenige geändert, was einst bei ihm die höhere Lebenshaltung bestimmte: die unmittelbare Beziehung zu einem Fürsten oder Herrn des Reiches. Damit sich der Adel in ansehnlicher Weise behaupten kann, steht an der Stelle jener abgebrochenen Beziehungen jetzt die Hinneigung zum französischen Hof-und Heerwesen" 152 .

Das schnelle Einlenken auf die französische Linie brachte dem Altadel zweifelsohne Vorteile sowohl in sozialer als auch in materieller Hinsicht. Geblendet vom „welschen" Charme bemerkte er nicht, welche wichtigen Veränderungen innerhalb der Adelshierarchie und der adligen Werteskala sich vollzogen hatten. Mit Erschrecken mußte er gegen Ende des Ancien Régime festellen, daß das Gütezeichen seiner „noblesse" nicht mehr dem neuen Standard entsprach. Seit 149 150 151

152

Vgl. I. STREITBERGER: Der königliche Prätor, S. 104. AAE Paris, MD Alsace 30, P 335 r° -337 r°. Vgl. R. REUSS: L'Alsace au dix-septième siècle, Bd. 1, S. 380-383. Ebenso G. LIVET: L'Intendance d'Alsace, S. 300 f. R. WACKERNAGEL: Geschichte des Elsasses, S. 340f.

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Beginn des 18. Jahrhunderts hatte die Krone eine Fülle von Anoblierungen vorgenommen, deren neue Träger überwiegend der bürgerlichen Schicht entstammten, die sich Verdienste im Militär- Verwaltungs- und Wirtschaftsbereich erworben hatte. All diese Veränderungen innerhalb der Adelsgesellschaft wurden vom alteingesessenen Adel erst mit reichlicher Verzögerung bemerkt 153 . Hervorgerufen durch die soziale Invasion der vielen Neuadligen, die stolz ihre soeben erworbenen Titel „Écuyer" und „Baron" zur Schau stellten und die selbstbewußt in der Manier des Schwertadels 154 zwischen ihrem bürgerlichen Namen und dem gekauften Lehnsgut das Adelsprädikat „von" bzw. „de" setzten, entbrannte zu Beginn der siebziger Jahre zwischen Alt- und Neuadel ein Streit um den Titel „Baron", in welchen der Monarch schließlich mit Sonderdekret eingreifen mußte. Die erste Initiative ging vom Robenadel am Conseil Souverain d'Alsace aus, der aus Eigeninteresse ein königliches Edikt vom April 1771 registrierte, in welchem alle seit 1715 Neugeadelten bestätigt wurden 155 . Auf Druck des alten Adels und der Reichsritterschaft im Unterelsaß verfügte der Intendant de Blair am 5. Dezember 1771 die teilweise Aufhebung des Edikts 156 . Der Conseil Souverain d'Alsace wandte sich daraufhin an die Pariser Zentrale und erlangte vom französischen Minister Pichon die Erlaubnis, alle Adligen aufzufordern, ihre Titel und die dazugehörigen urkundlichen Nachweise vorzulegen. Mit dieser Vollmacht ausgestattet trat der Colmarer Gerichtshof in Aktion und verlangte von den Familien Bernhold, Landsberg und Waldner den Adelsnachweis 157 . Mit arrêt vom 3. Februar 1773 wurde der Familie Waldner sogar ausdrücklich die Qualität zur Führung des Barontitels untersagt, „jusqu'à ce qu'elle eût apporté aux pieds du trône" 158 . Bestürzt über dieses Ausmaß „bürgerlicher" Arroganz wandten sich die Familien von Waldner, Berckheim, Gail, Bernhold und Landsberg in separaten Denkschriften an den König 159 . 153

154 155

156 157

158 159

Offensichtlich war der Titel „Baron" Ende des 17. Jahrhunderts noch kein Streitthema für den elsässischen Adel. 1697 hatte der Intendant de La Houssaye lediglich fünf Familien (Ferrette, Montjoie, Reinach, Schauenbourg, Wangen) mit „Baron" tituliert (vgl. R. OBERLÉ: L'Alsace en 1700, S. 141 ff.). Wie z. B. die Familien Gayling von Altheim, Roeder von Diersburg oder die Zorn von Bulach. ADBR, C148 (15); ADHR, 2 J 40. Die königliche Aktion zielte eindeutig auf eine Vereinheitlichung des französischen Adels ab. Demnach sollte eine Rangangleichung zwischen deutschen und französischen Edelleuten vollzogen werden, bei der es keine Unterschiede mehr zwischen ehemals reichsfreien Herren und französischen Baronen geben sollte (vgl. A. von KAGENECK: Über die Anerkennung des Freiherrenstandes, S. 17,28 f.). ADBR, C 148 (22). ADHR,1 B 6 , P 100v°. Die Adelsfamilien Waldner und Landsberg wohnten seit dem 12. und die Bemhold seit dem 16. Jahrhundert im Elsaß! Die letztgenannte Familie starb 1775 im Mannesstamm aus. De MARSAY: De l'âge des privilèges, Bd. 2, S. 85. ADHR, 1 B 6, f° 122 v° (Familie de Gail). Die Waldner von Freundstein ließen ihre Denkschrift Au Roi mit einem Gesamtumfang von 44 Seiten 1773 in Paris bei Knapen drucken (ADHR, 2 E 228J Ein weiteres Exemplar befindet sich in der BNUS: M 21707. Vgl. ebenso Mémoire pour Messieurs les Barons de Berckheim à fournir pour le dictionnaire de la Noblesse à Paris, Strasbourg : Defaint le jeune, 29 novembre 1773 (vgl. ADHR, 7 J 300/742; vgl. die Abschrift dieser Denkschrift ebd. 2 J 48/1). Mémoire pour prouver que la Maison de Landsperg a droit de continuer à prendre le Titre de Baron, o. J. o.D(BNUS: M 21618).

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Der elsässische Adel im Ancien Régime : Status und Hierarchie

Ein besonders eindrucksvolles Dokument ist die 1773 in Paris gedruckte Denkschrift, die vom Grafen Christian-Frédéric-Dagobert Waldner de Freundstein, dem Onkel der berühmten Madame von Oberkirch, verfaßt wurde. In einem ersten, ausführlichen Teil verwies er auf die illustre Herkunft seiner Familie, die über ihre genealogischen und feudalen Verbindungen ein halbes Jahrtausend oberrheinischer Geschichte mitgestaltet hatte. Er wollte damit verdeutlichen, daß seine adlige Herkunft und die seiner elsässischen Standeskollegen aus dem Schwertadel eine gänzlich andere Qualität habe als diejenige, die man nun von ihm verlange: „que les ancêtres étoient distingués par des qualifications supérieures, ou du-moins équivalentes à celle du Baron; qu'ils possédoient des Terres nobles & seigneuriales, qui ont été transmises de race en race à leurs postérité [...] que le titre Baron est comme inhérent à leur nom & à leur existence"160.

Seiner Meinung nach besaßen die deutschen Adelsbezeichnungen Herr und Freyherr eine Qualität, die ausschließlich auf den alten Adel übertragen werden konnte, im Gegensatz zu den Bezeichnungen Sieur, Seigneur oder Baron, die einem einfachen Titel, mittels einer gewöhnlichen, direkten Lehnsübertragung durch einen Lehnsfürsten entsprachen: „[...] que la qualité de Herr fut, durant plusieurs siècles, une qualité de la haute Noblesse, & qu'elle resta incommunicable à d'autres que ceux qui étoient de cette Noblesse, jusqu'aux temps où les diplômes [...] furent introduits [...] Le titre de Sire, & celui de Seigneur, etoient équivalens à celui de Baron. Les Sires de Bourbon, de Coucy, de Joinville, & autres, étoient sans contredit au-dessus des simples Gentilshommes"161.

Mit Verweis auf die Familien von Fleckenstein, Reinach, Landsberg, Andlau und Wurmser, die es wie die Waldner immer abgelehnt hatten, sich einen Adelstitel zu besorgen, kam seine stolze Adelsgesinnung, die gänzlich den alten feudalen Traditionen verpflichtet war, zum Vorschein. Daß diese noble Haltung nicht immer vorteilhaft war, mußte er mit großem Bedauern zugeben: „Ce serait souscrire à leur abbaissement, en se laissant confondre avec les Nobles de race ministériale, qui ne doivent leurs titres qu'à ces diplômes"162.

Damit stieß er zum Kernpunkt seiner Kritik und gleichzeitigen Rechtfertigung vor. Seit der Abtretung des Elsasses an Frankreich habe der alte Adel immer wieder um seine Vorrechte fürchten müssen, denn die Kriterien Geburt und Erblichkeit seien die „qualification Allemande de Herr" und nicht die „concession, à l'instar des Nobles ministériaux" 163 . Ähnlich wie vor sieben Jahrhunderten, als die herren ständig mit den ministeriales verwechselt wurden, drohe dem Altadel nun durch die anoblis eine erneute soziale Demütigung:

160 161 162 163

[Comte de Waldner]: Au Roi, S. 3. Ebd. S. 30,33 f. Ebd. S. 37. Ebd. S. 37.

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„Mais il resta toujours une grande différence, entre les nouveaux Nobles, & ceux des anciennes Maisons"164.

Damit hatte der Comte de Waldner eine Lawine losgetreten, deren Argumentation sich der König nicht entziehen konnte. Nach Vorlage der Beweise, in diesem Fall der Denkschrift, bekam Waldner sein Recht zugestanden, den Titel eines „Baron" zu führen. Im Auftrage des Königs teilte der Marquis de Monteynard der Familie Waldner und dem Conseil Souverain d'Alsace umgehend die königliche Entscheidung mit 165 . In der ordonnance vom 6. August 1783 aus Compiègne 166 verfügte Ludwig XVI., daß alle Adelsfamilien, die im Jahre 1680 berechtigt waren, den Titel „Herr", „Freyherr" oder „Baron" zu führen, künftig zu allen Angelegenheiten den Titel „Baron" führen dürften, ohne daß irgendeine Familie genötigt würde, Adelsbriefe vorzulegen 167 . Die Schwierigkeit bestand nun darin herauszufinden, für welche und wieviele Familien diese Bestimmung Anwendung finden konnte. Die zu treffende Auswahl oblag dem Ritterschaftsdirektorium im Unterelsaß, welches unverzüglich eine Liste mit 55 Familien am 25. November 1773 an den Marschall de Contades weiterleitete, da ihm als Kommandanten von Straßburg nach dem Intendanten die höchste Autorität zukam 168 . Kaum hatte diese Liste im Elsaß Verbreitung gefunden, meldeten sich darin nicht berücksichtigte Adelsfamilien wie die von Wimpffen, Gail und Kloeckler zu Wort und forderten in weiteren Denkschriften eine Gleichbehandlung. Nachdem Contades nach Rücksprache mit dem Conseil Souverain d'Alsace alle Vorschläge geprüft hatte, leitete der Erste Präsident des obersten Gerichtshofes im Elsaß ein alphabetisch geordnetes Verzeichnis mit nun 58 Familien nach Paris weiter und verlieh mit der Registrierung am 1. Dezember 1773 der adligen Namensliste Rechtskräftigkeit. Im Ergebnis konnte sich der Altadel im „Titelstreit" auf breiter Front durchsetzen, fand doch der inzwischen etablierte Amts-, Brief- und Finanzadel keine adäquate Anerkennung 169 . 164 165 166

167

168 169

Ebd. S. 36. ADHR, 2 E 228: Dossier Waldner de Freundstein, vgl. Briefe vom 12. August 1773. ADHR, 7 J 267 (268). Abgedruckt in: Bulletin de l'Association de la Noblessefrançaise 105 (1965), S.70f. Ebenso bei H.d'ANDLAU: Le livre d'histoire d'une famille d'Alsace, Bd. 2, S. 145f. Vgl. auch E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 1, S. IX-XI. Die Originalformulierung lautet: „[...] A ces causes, notre intention est qu'à l'égard de la qualification dont il s'agit les choses restent dans l'état où elles étaient en 1680 et que les familles d'ancienne noblesse de notre province d'Alsace qui jouissaient à cette époque des titres de Herret Freyherr ou de Baron, continuent de prende la qualification de baron en tous actes tant judiciaires qu'extrajudiciaires sans être tenus de le justifier par des diplômes ou lettres patentes de concession spéciale." (vgl. E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 1,S. IX). Vgl. [NOBLESSE]: Une illustre qualification dans la haute noblesse de race d'Alsace, S. 71. Vgl. C.de R E N D I N G E R : Une curiosité du droit nobiliaire français, S. 5. Neu auf die Liste gesetzt wurden die Adelsfamilien von Birckenwald, Gail, Glaubitz, Gohr, Ichtratzheim und Kloeckler, während die neu ins Elsaß gekommene Familie von Vittinghoff und die inzwischen ausgestorbenen Voltz von Altenau (1756) gestrichen wurden. Der ursprüngliche Doppeleintrag der Familie von Zorn, die auf der ersten Liste unter „Boulach" und „Zorn" gleich zweimal aufgeführt war, wurde korrigiert. Bei der endgültigen Namensauswahl spielten ganz offensichtlich politische Kriterien keine Rolle, denn mit der Nennung der Familien von Bettendorf, Boecklin von Boecklinsau, Rinck von Baldenheim, Roggenbach, Rotberg, Schönau und Ulm von Erbach wurden Geschlechter berücksichtigt bzw. anerkannt, die

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Der elsässische Adel im Ancien Régime : Status und Hierarchie

Mehr noch als die Forderungen des Altadels war der Prozeß, den Johann Michel Kriegelstein 1780 vor dem Conseil Souverain d'Alsace mit dem Ziel anstrengte, den Titel eines Baron von Wandelburg tragen zu dürfen, eine Farce. Als Beweis für die Rechtmäßigkeit seiner Forderung führte er den von Kaiser Rudolf II. 1598 an seinen Vorfahren Martin Kriegelstein ausgestellten Adelsbrief an170. Das Pikante an diesem Prozeß aber war die Tatsache, daß sich die Familie inzwischen längst mit den Bürgerfamilien aus den Winzerstädten Turckheim und Riquewihr versippt hatte und in die ortsansässige Bourgeoisie aufgegangen war171. Alt- und Neuadel suchten gegen Ende des Ancien Régime nach Möglichkeiten, ihre internen Konflikte zu bewältigen. Beide mußten anerkennen, daß der feudale Charakter politischer Macht überlebt hatte und die Kriterien Herkunft und Tradition in dem Maße sanken, wie die Ansprüche von Reichtum und Talent stiegen. Die Familie von Waldner konnte und wollte kein Adelsdiplom vorzeigen. Eine gleichrangige Behandlung mit dem Briefadel oder gar eine eventuelle symbolische Zurückstufung kollidierte nicht nur mit ihrem eigenen adligen Selbstverständnis sondern überstieg auch die allgemeine Toleranzgrenze. Dennoch bestand der Comte de Waldner darauf, für sich und seine Familie den Titel eines „Baron" führen zu dürfen, obwohl er selbst seit 1748 mit der Erhebung in den Grafenstand den nächst höheren Adelsrang eingenommen hatte 172 . Was vordergründig wie ein Streit um Titel anmutet entbehrt in Wirklichkeit nicht einer gewissen Paradoxie: Was den alten Adel als noblesse de race auszeichnete, war eine Adelsqualität, was er nun zu erwerben suchte, war ein simpler Titel, gegen dessen Vergabe an roturiers er sich so vehement gewehrt hatte.

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171 172

inzwischen längst nicht mehr im Elsaß ihren Wohnsitz hatten, sondern lediglich über ihren Grundbesitz sowie durch ihre Versippung zum Kreis der Reichsritterschaft gezählt wurden. Von den 58 Familien waren allein 57 bei der unterelsässischen Ritterschaft immatrikuliert (darunter 18 Familien aus dem Oberelsaß). Einzige Ausnahme bildeten die von Lützelburg, die im Unterelsaß landsässig waren (vgl. A. von KAGENECK: Über die Anerkennung des Freiherrenstandes, S. 18 f.). Vgl. [BOREL d'HAUTERIVE]: Nobiliaire d'Alsace, S. 401. Nachweis des Adelsbriefes vom 13.1.1598 bei FRANK: Standeserhebungen, Bd. 3, S. 80. Vgl. AM Colmar, JJ F121 bis (1606-1787): Fondation de Martin Kriegelstein. Vgl. E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 3, S. 183. Sein Bruder Louis-Jean führte bereits seit 1769 mit königlichem Dispens den Titel eines „Baron de Colmar" (vgl. ebd. S. 183, Anm. 2).

2. Zur Binnendifferenzierung der Adelsgeseilschaft Innerhalb der geburtsständischen Gesellschaft des Ancien Régime grenzte sich der Adel durch traditionell festgelegte Standesprivilegien gegenüber allen anderen sozialen Gruppen ab. Während er nach außen als ein einheitlicher und geschlossener Stand auftrat, war er in seinem Innern sozial zutiefst zerissen und alles andere als homogen. Unterschiedliche Rangstufen und Einkommensverhältnisse führten im Laufe der Zeit zu einem heterogenen Erscheinungsbild der elsässischen Adelsgesellschaft. Das Konglomerat von Adelsgruppen bewirkte eine ausgeprägte adlige BinnendifTerenzierung. Der hohe Adel war vertreten durch die im Elsaß begüterten deutschen Reichsfürsten wie beispielsweise durch die Herzöge von Pfalz-Zweibrücken, von Württemberg, die Landgrafen von Hessen-Darmstadt und die Vertreter des französischen Hochadels (Mazarin, Valentinois, Rohan, Soubise, Choiseul und Broglie). Die nächst niedere Rangstufe nahmen die unterelsässischen Reichsritter ein, gefolgt von dem mediatisierten landsässigen Altadel, der dem niederen Adel angehörte. Auf der untersten Stufe der Adelspyramide rangierte der Neuadel, die anoblis, dessen Personalbestand sich im 18. Jahrhundert mächtig erhöhte. Er rekrutierte sich aus dem großen bürgerlichen Reservoir über den Kauf eines Adelsbriefes oder den Erwerb eines nobilitierenden Amtes. 2.1. Die deutschen Reichsfürsten Innerhalb der vertikal gegliederten Adelshierarchie standen die princes possessionis an oberster Stelle. Es waren in erster Linie souveräne deutsche Reichsfürsten, die im Elsaß über einen ausgedehnten Landbesitz und alte Regalienrechte verfügten. Zu ihnen zählten die Fürstbischöfe von Straßburg und Speyer, die Herzöge von Pfalz-Zweibrücken als Besitzer der Grafschaften Ribeaupierre (Rappoltstein) und La Petite Pierre (Lützelstein), der Herzog von Württemberg und Fürst von Montbéliard in seiner Eigenschaft als seigneur der Grafschaft Horbourg und der Herrschaft Riquewihr (Reichenweier) sowie der Landgraf von Hessen-Darmstadt, dem der elsässische Teil der Grafschaft Hanau-Lichtenberg gehörte. Diese Fürsten besaßen umfangreiche Privilegien und hatten als Mitglieder des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Sitz und Stimme im Reichstag. Die droits régaliens standen allein nur ihnen zu und wurden ihnen in einzelnen lettres patentes immer wieder bestätigt. Im wesentlichen umfaßten die Regalien jegliche reele und personelle Steuerexemption, die Erlaubnis, ihre Güter vom eigens bestellten Personal verwalten zu lassen, das Recht zur alleinigen Ausübung der Gerichtsbarkeit in ihren Territorien, sowie das Nominierungsrecht des Gerichtspersonals und der jeweiligen Dorfvorstände 1 . Zudem besaßen 1

Vgl. J. KRUG-BASSE: L'Alsace avant 1789, S. 236.

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

sie eigene Verwaltungssitze (régences) und Lehnskammern (cours féodales) wie z. B. der Fürstbischof von Straßburg in Saverne (Zabern) und der Herzog von Pfalz-Zweibrücken in Bischwiller im Unterelsaß. Als Vasallen des französischen Königs mußten sie die oberste Souveränität der Krone anerkennen, waren aber dennoch berechtigt, den Lehnseid ihrer eigenen Lehnsleute entgegenzunehmen, was ihnen aufgrund ihrer landeshoheitlichen Stellung (supériorité territoriale) zustand. Diese war der Souveränität des Königs untergeordnet 2 . Überhaupt war die Landeshoheit ein wichtiger Rechtsbegriff, der bei den Verhandlungen um den Wortlaut des Münsteraner Vertragstextes eine große Rolle spielte3. Ursprünglich wurde sie auch vom Fürstabt von Murbach, dem Abt von Münster und der Äbtissin von Andlau ausgeübt. Nach der Annexion wurde die Landeshoheit ihnen wieder genommen 4 . Die deutschen Fürsten waren die meiste Zeit nicht im Elsaß anwesend, sondern saßen auf ihren Stammschlössern, hielten großen Hof und besuchten nur gelegentlich ihre elsässischen Domänen. So besaß das Haus Württemberg zum Beispiel, vertreten durch ihre Seitenlinie Montbéliard, im Oberelsaß die Grafschaft Horbourg und die Seigneurie Riquewihr (Reichenweier), die in den Quellen meistens unter dem Doppelnamen Horbourg-Riquewihr geführt wird. Im 18. Jahrhundert zählten unter anderem die Familien von Wurmser, Rathsamhausen, Truchsess von Rheinfelden und die Sandersleben-Coligny zu ihren Vasallen, die ihnen den Treueschwur leisten mußten 5 . Als die württembergische Seitenlinie der Fürsten von Montbéliard mit dem exzentrischen Leopold Eberhard 1723 ausstarb, kam es zu einer verworrenen Erbschaftsauseinandersetzung zwischen den Schwestern und Kindern des letzten Mömpelgarders einerseits und der Stuttgarter Hauptlinie andererseits, in deren Verlauf die Krone die elsässischen Besitzungen am 19.4.1723 einfach unter französische Zwangsverwaltung stellte6. Diese sollte insgesamt 25 Jahre dauern. Am 10.5.1748 wurde die Stuttgarter Hauptlinie mit Herzog Karl Eugen von Württemberg wieder in ihren alten Besitzstand eingesetzt7. Lange Verhandlungen, in denen sich der Rat Jean-François Bruges besondere Verdienste erwarb, waren vorausgegangen. Württemberg erkannte die Souveränität des französischen Königs an und leistete foi et hommage. Der König verpflichtete sich, für den Unterhalt der Verbliebenen des letzten Mömpelgarders zu sorgen. Mit der Wiedereinsetzung des Württembergers begann der rege Kontakt dieses Herrscherhauses zum Versailler Hof, und sein Hang zur Imitation des französischen Lebensstils und damit verbunden zur ungemein schnellen und hohen Verschuldung. Karl Eugen weilte mehrfach in Frankreich und kopierte Versailles in 2 3

4 5 6 7

Vgl. GOETZMANN: Traité des fiefs, Bd. 2, S. 142. Über Verhandlungen und Inhalt des suprenum dominium des französischen Königs vgl. F. DICKMANN : Der Westfälische Friede, S. 296-300, S. 560. Vgl. J. KRUG-BASSE: L'Alsace avant 1789, S. 236, Anm. 1. Vgl. LOYSON: L'Alsace féodale, S. 160f. ADHR, E14. Vgl. De BOUG: Ordonnances d'Alsace, Bd. 2, S. 314f.

Die deutschen Reichsfürsten

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Ludwigsburg. Sein Bruder, Ludwig Eugen, trat in den französischen Militärdienst ein8 und lebte von 1753 bis 1789 ständig in Paris. Sein Finanzbedarf war gewaltig und wurde durch seinen Bruder beglichen. Allein in den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts ließ dieser ihm 146245 livres, 20 sols zukommen 9 . Er verbrachte die meiste Zeit am Hof und in den großen Salons und las Rousseau sowie weitere zeitgenössische Schriftsteller. Er versuchte Kontakt zu Voltaire zu knüpfen, der ihn allerdings wegen seiner Schuldenprobleme nur bedauern konnte. Voltaire schrieb am 20. August 1755 in einem Brief an den Minster d'Argenson: „[...] le prince de Wurtemberg avait auprès de lui un philosophe de cette espèce qu'il me vantait fort et qu'il mettait au-dessus de Platon; ce sage a fini par lui voler sa vaisselle d'argent" 10 .

Die „Finanzkomödie" Karl Eugens nahm letztlich immer größere Ausmaße an. Er schuldete allein Voltaire 620000 livres aus den Jahren 1752 bis 1773, die dieser nach 25jähriger reger Bittkorrespondenz mit 1,36 Millionen livres Leibrente einklagte. Fast wäre es Voltaire gelungen, das Schloß Montbéliard wegen dieser Wechselgeschäfte zu erwerben 11 . Um seinen riesigen Finanzbedarf zu befriedigen, verkaufte der schwäbische Herzog Soldaten nach Übersee und an den französischen König, der ihm 15000 livres für Tausend Infanteristen im Frieden und 79000 livres für die gleiche Anzahl im Krieg bezahlte. Die überzogene Hofhaltung und die moralische Dekadenz des Württembergers blieben nicht ohne Auswirkungen auf seine elsässischen Besitzungen. 1768 wurden ihm auf sein Drängen hin vom französischen König in separaten lettres patentes neue grundherrliche Rechte zugestanden 12 . Die Folge war eine bislang nie dagewesene réaction seigneuriale, in der alte, in Vergessenheit geratene Rechte belebt und neue in Gang gesetzt wurden. Die Klagen der betroffenen Bevölkerung rissen bis zur Revolution nicht ab. Steuern und Abgaben an den Grundherrn vermehrten sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts so gewaltig, daß die Betroffenen die Änderung dieser Verhältnisse geradezu herbeisehnten. Christian Pfister bringt die Dialektik von Leidensfähigkeit und Auflehnung der ländlichen Bevölkerung gegen ihren seigneurialen „Unterdrücker" auf die treffende Formel : „Le paysan le secoua lors de la révolution: en le faisant,il n'obéit pas seulement aux idées nouvelles, au besoin d'être libre, mais encore à une véritable nécessité. Il ne toléra plus sa situation, parce qu'elle ne pouvait plus être tolérée" 13 .

Bei den Herzögen von Pfalz-Zweibrücken sah die Situation etwas anders aus. Sie hatten weitaus größere Besitzungen im Elsaß als die Württemberger, und ihre Bedeutung für die französische Krone wuchs infolge zahlreicher erbschafts8 5 10 11 12 13

Vgl. G. CUCUEL: La vie parisienne, S. 254. Ebd. S. 277. Wechselgläubiger war der „Commercienrath" von Fries. Zit. in G. CUCUEL: La vie parisienne, S. 279. Vgl. F. ROSSEL: Voltaire, S. Vllf.; ebd. S. 8 : Aufstellung der einzelnen Wechsel. Vgl. O. MISCHLICH: La France, S. 151 f. Vgl. C. PFISTER: Le Comté de Horbourg, S. 372.

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

bedingter Gebietszusammenlegungen der Seitenlinien. Sie besaßen im Unterelsaß die Grafschaft La Petite Pierre (1694 beim Aussterben der Pfalz-Veldenz an Pfalz-Zweibrücken), die Herrschaft Seltz (1769 von Kurpfalz an Pfalz-Zweibrükken abgetreten) und die Herrschaften Cleebourg (Kleeburg) und Bischwiller14. Im Oberelsaß gehörte ihnen die Grafschaft Ribeaupierre, die 1673 nach dem Tod des letzten Grafen aus dem Hause Rappoltstein als Erbschaft anfiel. Zunächst ging die Herrschaft an die Pfälzer Herzogslinie von Birkenfeld, die nach und nach weitere Pfälzer Linien beerbte: 1734 Pfalz-Zweibrücken, 1734 Pfalz-Kleeburg und 1799 sogar das wittelsbacher Kurfürstentum Bayern. Herzog Christian II. von Pfalz-Birkenfeld (1637-1717) übertrug 1698 die Herrschaft Ribeaupierre auf seinen Sohn Christian III. (1674-1735). Dessen Sohn Christian IV. (1722-1775) trat 1746 die ihm zustehende Hälfte der Herrschaft an seinen jüngeren Bruder Friedrich Michael (1724-1767) ab; nach dessen Tod ging Ribeaupierre auf seine beiden Söhne Karl II. August (1747-1795) und auf Maximilian Joseph (1756-1825) über. Ab 1778 war der ehemalige Besitz der bedeutenden Rappoltsteiner allein in den Händen des „Prince Max", des späteren Kurfürsten (1799) und Königs von Bayern (1805), nachdem sein menschlich verkommener älterer Bruder Karl II. August ihm alle Rechte abgetreten hatte 15 . Max, von seinen Untertanen wegen seines offenen und jovialen Charakters geschätzt, hatte zunächst lediglich die Grafschaft Ribeaupierre als Apanage und damit den kleinsten Teil des Familienbesitzes erhalten. Sein Bruder Karl hingegen, dessen Charakter dem von Max in keinster Weise glich, herrschte als regierender Herzog von Pfalz-Zweibrücken über einen großen Länderkomplex mit Aspiration auf weitere kurpfälzische, wittelsbacher und kurbayerische Besitzungen, die ihn zu einem willfahrigen Instrument der französischen Interessenpolitik werden ließen 16 . Als 1777 Herzog Karl Theodor von Pfalz-Neuburg Kurfürst von Bayern wurde, begann in Wien, Berlin und Paris ein hektisches Werben um die Erbkandidaten aus dem Hause Pfalz-Zweibrükken, da Karl Theodor weiterhin kinderlos blieb. Karl II. August besaß keine legitimen Kinder aber eine Reihe außerehelich gezeugter Bastarde, für deren Versorgung mit Apanagen er offensichtlich bereit war, dem Kaiser Bayern zu überlassen 17 . Dies hätte aber eine gewaltige Verschiebung des Gleichgewichts in Europa zur Folge gehabt, Preußens Existenz wäre bedroht und Frankreichs Einfluß in Deutschland erheblich reduziert worden. Außerdem hätte eine österreichische Präponderanz das „oeuvre diplomatique si laborieusement echafaudee dans la Basse-Alsace"18 in Gefahr gebracht. 14 15 16

17 18

Vgl. Ekass- Lothringischer Atlas, S. 45 f. Vgl. J. RATHGEBER: Die Herrschaft Rappoltstein, S. 9. Vgl. K. BAUMANN: Pfalz-Zweibrücken, S. 27. H. AMMERICH: Landesherr und Landesverwaltung, S. 170ff. Vgl. C. PFISTER: La ville de Ribeauville, S. 153. Vgl. M. FALLEX: La Question de la Queich et la frontiere de la Basse-Alsace au XVIII e siecle, Paris 1919, S. 10.

Die deutschen Reichsfürsten

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Diese Situation kam Herzog Max nicht ungelegen. Es bot sich ihm die Möglichkeit, seinen riesigen Schuldenberg abzubauen, die der aufwendige Lebensstil in Ribeauvillé und vor allem in Straßburg, wo er überwiegend logierte und 1770 das große Stadtpalais des Prätors Gayot kaufte, mit sich brachte. Als er 1785 die hessische Prinzessin Wilhelme Augusta heiratete - er war bisher unverheiratet geblieben und hatte sich mehrere Mätressen gehalten - beglich die französische Krone die falligen Schulden in Höhe von 843018 livres und gewährte ihm eine jährliche Pension von 40000 livres19. Madame von Oberkirch, eine geborene Waldner von Freundstein, die allzu selbstgerecht und standesbewußt dieser adligen Extravaganz huldigte, beschreibt die Eleganz und den Geschmack dieses bon vivant in ihren Mémoiren. So notiert sie in dem Abschnitt zum Jahr 1778 : „Tous les dimanches, après la parade, le prince Max de Deux-Ponts, colonel du régiment d'Alsace, partait en poste avec plusieurs officiers, et ils venaient passer la journée du lundi à Ollwiller. On leur faisait grande fête; tous les environs étaient priés. On jouait assez gros jeu et l'on chassait d'ordinaire. Le prince Max était un bourreau d'argent; le roi Louis XVI avait payé ses dettes, et il en faisait toujours de nouvelles. C'était ce que les hommes appellent un bon vivant. Il aimait la chasse, la table, et, dit-on, les filles d'Opéra, ce qui ne l'empêchait pas d'avoir de grandes manières et d'être du meilleur air à la cour et dans les salons. Il racontait à merveille les choses les plus drôles et les plus difficiles à faire écouter" 20 .

Der ungeheure Geldverbrauch und der mondäne Lebensstil machten einen regelmäßigen Kapitaleingang zur zwingenden Notwendigkeit. Bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts hatte sich die Familie Pfalz-Birkenfeld finanziell übernommen. Zusätzlich zur Grafschaft Ribeaupierre hatte Christian II. am 25. Juli 1679 vom Herzog von Montauzier die Herrschaft Bergheim für 32000 livres erworben, die er 1686 an den Schweizer Baron Hugo Ludwig Reding von Biberegg unter dem Vorbehalt des Rückkaufrechts nach zwölf Jahren gegen 40000 livres veräußerte. Die Reding blieben nur vier Jahre im Besitz der Herrschaft und verkauften diese 1690 an den Straßburger Bankier Jean-Jacques Haan gegen die Summe von 23100 livres2i. Nach dem Tode des Bankiers verkauften die Erben die Herrschaft Bergheim 1698 an den Freiherrn Johann Georg von Roll für 90000 livres22. Die Nachkommen des Herzogs von Pfalz-Birkenfeld wollten 1708 die Herrschaft erneut an sich reißen. Unter dem Vorwand, beim Verkauf von 1686 sei das Einverständnis des französischen Königs nicht eingeholt worden, prozessierten sie vor dem Conseil Souverain d'Alsace. Nach langem Rechtsstreit mußte schließlich der Freiherr von Roll 1716 die Herrschaft gegen Rückerstattung des Kaufpreises an die Herzogsfamilie wieder abtreten 23 . 19 20 21

22 23

Vgl. C . P F I S T E R : U ville de Ribeauvillé, S. 153. OBERKIRCH: Mémoires, S. 105. Vgl. L. R. SCHMIDLIN: Genealogie der Freiherren von Roll, S. 133, Anm. 2. Friedrich Würtz und Daniel Reichshofîer aus Straßburg kauften ebenfalls Anteile der Herrschaft. Vgl. P. HERTNER: Stadtwirtschaft, S. 366. StBTrier, Ms. 1307/517,f° 226v°-234r°. Vgl. J. G. LEHMANN: Vollständige Geschichte des Herzogsthums Zweibrücken, S. 483 f.

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

Die französische Krone gab nicht nur Bargeld, sondern ermöglichte, wie im Falle der Württemberger, durch die Gewährung von lettres patentes (1758) die juristische Handhabe zur finanziellen Ausbeutung der Grundherrschaften. 1768 wurden alle bislang zugestandenen Rechte mit lettres patentes bestätigt, unter anderem die Erhöhung der Frondienste von fünf auf zwölf Arbeitstage im Jahr. In der Urkunde hieß es dazu: „Pour obvier à toutes contestations qui pourroient survenir au sujet des Corvées, autrefois illimitées, que leurs Ancêtres avoient droit d'imposer sur leurs Sujets, ils jouiront à l'avenir de celui de douze Corvées par an, sur chaque habitant desdites Terres"24

Ebenfalls wurden die Geldtaille (Gewerf), das Umgeld und der Bannwein kräftig erhöht, um nur einige wenige von mehr als einem Duzend weiterer droits seigneuriaux und droits féodaux zu nennen 25 . Die Beschränkung der dörflichen Nutzung des Gemeindewaldes wurde von der Bevölkerung als besonders hart empfunden. Die Forstdelikte häuften sich und ebenso die ausgesprochenen Strafen. Insgesamt hatte die réaction seigneuriale auch in der Grafschaft Ribeaupierre ein Ausmaß erreicht, das die Hemmschwelle zu einer umstürzlerischen Aktion sinken ließ. Der Haß der Landbevölkerung richtete sich vor allem gegen die grundherrlichen Verwalter und Abgabeneintreiber. Der Kanzler Radius entkam im August 1789 nur mit knapper Not der aufgebrachten Menge und flüchtete zu seinem Herrn nach Straßburg 26 . Diese Willkür und Ausbeutungspraxis der princes possessionis provozierte nicht nur die betroffene Bevölkerung zum entschlossenen Handeln, auch die eigenen Vasallen wehrten sich. In einem Mémoire vom 2. Oktober 1788 an das Bureau des Distrikts Belfort-Huningue der commission intermédiare wandten sie sich gegen die Aufrechterhaltung der Steuerbefreiung für die auswärtigen Fürsten. Sie warfen ihnen Rechtsverletzung im Umgang mit den Vasallen vor: „Iis n'ignorent pas qu'on possède des fiefs oblats sans être sujet" 27 . Viele von ihnen würden als Vasallen der Bischöfe von Basel und Metz deren Superiorität auch nicht anerkennen. Das einzige Streben der Fürsten bestünde darin, „de renouveller en Alsace toute la bigarrure du gouvernement féodal et d'échapper à l'ordre au moyen de distinctions" 28 . Die „Aristokratie der Aristokratie" 29 hatte ihren Sturz und ihre Enteignung selbst vorbereitet und bewerkstelligt und dies in einer maßlosen Selbstüberschätzung der eigenen Möglichkeiten sowie der Verkennung ihrer Untertanen.

24 25 26 27 28 29

De BOUG: Ordonnances d'Alsace, Bd. 2, S. 809. Vgl. C. PFISTER: La ville de Ribeauvillé, S. 155-159. Ebd.S. 156. ADHR, C1598 (23). Ebd. Vgl. C. HOFFMANN: L'Alsace au XVIII e siècle, Bd. 1, S. 16.

Die Reichsritterschaft im Unterelsaß

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2.2. Die Reichsritterschaft im Unterelsaß Die Ursprünge der unterelsässischen Reichsritterschaft reichen zurück ins 16. Jahrhundert, als es in Schwaben, Franken und am Rheinstrom zur Ausbildung reichsritterschaftlicher Organisationen kam, die wiederum aus den zahlreichen Ritterbünden des 15. Jahrhunderts hervorgegangen waren. Um der wachsenden Expansion der Territorialherren zu entgehen, konstituierte sich im Jahre 1550 der niedere elsässische Adel zur Reichsritterschaft. Diese meist wenig begüterten Familien schlössen sich zu einer Art Adelsverbund zusammen und begründeten ihre Stellung durch einen direkten, unmittelbaren Konnex zum deutschen Kaiser. Als Gegenleistung für diese loyale Haltung übertrug ihnen das Reichsoberhaupt eine Reihe von Privilegien wie die Erlaubnis zur Bildung eines permanent tagenden Adelsdirektoriums mit eigenem Vorsitz, Rat und Gerichtstribunal. Ohne sich einem der drei inzwischen etablierten Ritterschaftskreise anzuschließen, unterhielt die elsässische Ritterschaft in der Folgezeit eine enge Verbindung zur Ortenauer Ritterschaft 30 und im sozialen Bereich zum Straßburger Patriziat31. Nach dem Übergang an Frankreich hatte sie zunächst noch Rückhalt bei den übrigen deutschen Ritterschaftsvereinigungen gesucht, um sich den französischen Forderungen zu entziehen 32 . Als sich diese Hoffnungen zerschlugen, arrangierten sich die Reichsritter unter Anerkennung der realpolitischen Gegebenheiten im Dezember 1680 - noch vor der Einnahme Straßburgs - mit dem neuen Souverän. Alle Rechte und Privilegien blieben bewahrt und wurden im Mai 1779 erneut bestätigt 33 . Folglich ergaben sich für die Ritterschaft in ihrem Verhältnis zur Krone im Laufe des 18. Jahrhunderts keine größeren Probleme. Gleichwohl kam es zu einem eher indirekten „internen" Streit mit dem Conseil Souverain d'Alsace bezüglich der Neuaufnahmen und der Kompetenz bei bestimmten Adelsvorrechten. Nach dem Übergang an Frankreich schrieben sich in die erste Ritterschafts-

30

31

32

33

Diese war dem Ritterkanton Neckar-Schwarzwald zugeordnet. Die elsässischen Adelsgeschlechter stellten mit 15 von 29 Familien den größten Teil der Ortenauer Ritterschaft. Die Barone von Wurmser und von Bodeck zu Elgau waren die zwei letzten Ritterhauptleute, vgl. H.MÜLLER: Reichsritterschaft, S. 44. Vgl. A. OVERMANN : Die Reichsritterschaft im Unterelsass bis zum Beginn des Dreissigjährigen Krieges, op.cit. Vgl. neuerdings P.GREISSLER: La classe politique dirigeante à Strasbourg, S.79ff. Für die Zeit vor der französischen Annexion vgl. L. METZGER: Essai sur l'histoire de la Noblesse immédiate de la Basse-Alsace, op.cit. Allgemein zum Phänomen der Reichsritterschaft im Alten Reich vgl. Volker PRESS: Die Reichsritterschaft im Reich der frühen Neuzeit, in: Nassauische Annalen 87 (1976), S. 101-122. GLA Karlsruhe, Abt. 125/2486 (1651-63). (zit. bei Volker Press, ebd. S. 103, Anm. 9). Die Ritterschaft schloß sich sogar im Vertrag von Mergentheim am 28. Juni 1651 offiziell den anderen Ritterschaftskorporationen an. Als Gesandte der Ritterschaft fungierten J.Christophe de Wangen de Geroldseck, Hugues-Wyrich de Berstett, J.Rodolphe de Berckheim, Wolf Jacques Boeckel de Boecklinsau (vgl. ADBR, E1375/9). Vgl. ebenso A. OVERMANN : Die Reichsritterschaft im Unterelsaß, S. 571. Vgl. irrtümlich Mergenthal bei J. D. SCHOEPFLIN: L'Alsace illustrée, Bd. 5, S. 736. Vgl. J. KRUG-BASSE: L'Alsace avant 1789, S. 239.

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

matrikel von 1681 insgesamt 56 Familien ein34. Ihre Zahl erhöhte sich in den folgenden Jahrzehnten um ein Vielfaches, wie aus dem Verzeichnis aller Immatrikulationen in der Zeitspanne von 1699 bis 1770 deutlich wird35: Tabelle 2: Immatrikulationen in die unterelsässische Ritterschaft (1699-1770) 17.07.1699: Johann Heinrich Eckbrecht von Dürckheim 14.12.1701: Johann Gottfried Kempf d'Angreth 16.02.1702: Johann Baptist von Klinglin 19.07.1703: Franz Wilhelm von Mackau 14.05.1705: Nicolaus von Truste« zu Urendorf 12.08.1705: Johann Ocahan 05.06.1710: Christian Jakob Heinrich Wetzel von Marsilien 06.05.1711: Joseph Anton Truchsess von Rheinfelden 13.02.1716: Anton Wilhelm Freiherr von Ulm 13.04.1717: Christoph von Klinglin 13.05.1717: Christian Eberhard Wetzel von Marsilien 22.02.1720: Johann Hermann von Truste« 17.07.1721: Johann Jakob von Steincallenfels 17.07.1721: Franz Anton Freiherr von Falkenhayn 16.07.1732: Franz Ignaz Ludwig Baron von Schönau 12.11.1732: Ferdinand Eberhard von Sandersleben, Graf von Coligny 21.04.1735: Johann Christian von Hatzel 04.01.1736: Johann von Güntzer 26.01.1736: Ludwig Forstner von Dambenoy 17.11.1740: Franz Joseph von Horben 16.11.1741: Friedrich Meinrad von Planta von Wildenburg 09.05.1742: Johann Philipp Wilhelm von Roeder de Diersburg 28.05.1743: Charles César de Fériet 12.09.1747: Michael Philipp Weber 16.11.1752: Gilbert Michael von Gordon von Badenoth 15.11.1753: Friedrich Ferdinand von Püttlingen 23.01.1755: Christian Friedrich Dagobert Graf Waldner 16.08.1755: François Marie von Gayot 18.09.1755: Felix Anne von Gayot de Bellombre 19.02.1756: Johann von Güntzer (Sohn) 19.09.1756: Henry Beat Sebastian Johann Baptiste und Ludwig Franz Anton Sebastian Ferdinand von Breiten-Landenberg 15.09.1756: Johann Christoph von Güntzer 15.09.1756: Ludovicus Dionysius von Gallahan 18.01.1758: Henry Franz Anton und Eberhard Heinrich von Truchsess 22.02.1759: Christian Sigmond von Glaubitz 17.04.1760: Philipp Comte de Reinach 17.07.1760: Johann Franz Freiherr von Spon 20.01.1761: Charles Joseph Anton von Gohr 04.06.1761: Beat Anton Franz Joseph und Johann Evrard von Schauenbourg 10.07.1761 : Franz Wilhelm, Franz Joseph, Franz Joseph Sebastian von Zu Rhein 16.03.1762: Johann von Dietrich 03.09.1762: Franz Ludwig Waldner von Freundstein 20.01.1764: Franz Anton Friedrich Felix Charles Freiherr von Pfirt zu Carspach 15.03.1765: Gervais Henry Charles Louis Adam Serpes de Neuville de la Fage 34

ADBR, E1293. Die Zahl der immatrikulierten Lehen belief sich auf 90.

Die Reichsritterschaft im Unterelsaß

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Tabelle 2 Immatrikulationen in die unterelsässische Ritterschaft (1699-1770) 14.11.1765: 24.02.1768: 02.03.1768: 17.03.1768:

Charles Frederic Delort de Saint-Victor Christian von Waldner Franz Casimir Hamann Baron de Reinach de Hirtzbach Johann Baptiste Conrad Antoine Hanibal Reich von Reichenstein, Joseph Antoine Celestin Johann Charles Reich von Reichenstein von Brombach, Franz Joseph Philipp Ferdinand, Franz Joseph Nicolas, Franz Ignaz Fridolin Reich von Reichenstein. 18.11.1769: Ferdinand François Haman Fidele von Montjoie und la Roche zu Vaufrey 26.01.1770: Charles de Hennin 26.01.1770: Franz Johann Nicolas von Bodeck zu Elgau

Die unterelsässische Ritterschaft erlebte demnach eine enorme Mitgliedererneuerung im Laufe des 18. Jahrhunderts. Von insgesamt 59 persönlichen Neuaufnahmen gehörten 13 (22,0%) dem Neuadel an, 20 Personen (33,9%) zählten bereits zum Adel und waren nach der Annexion eingewandert, und weniger als die Hälfte, genau 26 (44,1%), stammten aus dem elsässischen Altadel. Dieser Befund wird auf der Basis einer Familienstatistik noch deutlicher. Danach sind in dem ermittelten Zeitraum von 50 immatrikulierten Familien 20 (40%) eingewandert, 13 (26%) kamen aus dem Neuadel und 17 (34%) zählten zum Altadel. Neben dieser in der Tat überraschend hohen Anzahl an „auswärtigen" bzw. „echten" Neuaufnahmen sind zwei weitere Phänomene besonders interessant: In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts fanden ungewöhnlich viele Neuadlige Einlaß in das exklusive Ritterschaftskorps. Sobald die Anoblierung erreicht war, stellten die im Elsaß etablierten Jungadligen umgehend ihren Aufnahmeantrag an die unterelsässische Ritterschaft, die in den meisten Fällen auch prompt erfolgte: Tabelle 3: Nobilitierung und Eintritt in die unterelsässische Ritterschaft Name

Nobilitierung

Aufnahmejahr

Klinglin (Johann Baptist) Mackau (François Guillaume)

Okt. 1701 Sept. 1701 (Adelsbest.) Aug. 1704 Febr.1716 März 1711 Jan. 1734 (Adelsbest.) Okt. 1743 Febr.1755 Febr.1755 Dez. 1754 (Adelsbest.) Dez. 1754 (Adelsbest.)

Febr. 1702 Juli 1703

Trustett (Nicolaus) Trustett (Johann Hermann) Hatzel (Johann Christian) Giintzer (Johann) Weber (Michael Philipp) Gayot (François Marie) Gayot de Belombre (Félix Anne) Giintzer (Johann) Giintzer (Johann Christoph)

Mai Febr. April Jan.

1705 1720 1735 1736

Sept. Sept. Sept. Febr.

1747 1755 1755 1756

Sept. 1756

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

Die entscheidenden Gründe für die relativ starke Zunahme der anoblis in der Ritterschaft, sind teils in den veränderten Zulassungsvoraussetzungen, teils in der besonderen Attraktivität zu suchen, die das traditionsreiche Adelskorps auf die junge noblesse ausübte. Während noch zur Zeit der Habsburger sowie bei einer ganzen Reihe reichskirchlicher Adelsstifte der Nachweis von 32 Ahnenproben (Urururgroßeltern) als Eintrittsbedingung vorgeschrieben war, hatten sich die Modalitäten seit 1681 erheblich vereinfacht. Allein die Vorlage des Stammbaums, des Adelspatentes, die Zahlung des Eintrittsgeldes und die feierliche Eidesleistung auf der Generalversammlung reichten aus, um aufgenommen zu werden 36 . Zusätzlich mußte sich jedes neue Ritterschaftsmitglied verpflichten, sobald als irgendmöglich, ein vakantes Adelsgut (bien noble) zu erwerben, falls dies nicht bereits vor Antragstellung geschehen war37. Allerdings bestand auch die Möglichkeit, unabhängig vom Besitz oder Erwerb eines immatrikulierten Grundstücks (immatriculation réelè) eine rein persönliche Eintragung zu erlangen (immatriculation personelle). Mit dem Eintritt verbunden waren stattliche Privilegien wie die Befreiung von der königlichen Wegsteuer {péage) und des droit de bourgeoisie beim Straßburger Magistrat, sowie der nun erst mögliche Eintritt in ein deutsches Adelsstift, in ein Kloster oder in eine Ordensgemeinschaft. Ab 1722 war der köngliche Dispens als Zulassungsvoraussetzung vorgeschrieben. Dies steigerte vor allem das Interesse der französischen Klientel unter den Anoblierten. Da diese Familien noch kaum über elsässische Familienallianzen verfügten, war eine offizielle Protektion aus Paris unerläßlich. So erreichte z.B. Jean-Gaspard de Hatzel durch die persönliche Fürsprache des Kriegsministers Bauyn d'Angervilliers, der von 1715 bis 1723 das Intendantenamt im Elsaß innehatte und den bürgerlichen gentleman former wegen seines agrarkapitalistischen Engagements im Weissenburger Raum bestens kannte, die Aufnahme in die unterelsässische Ritterschaft 38 . Der Kriegsminister regte sogar an, nicht nur Hatzel und dessen Familie, sondern auch das Schloßgut Roedern und den Freihof Geissberg bei Weißenburg zu immatrikulieren. Beide Besitzungen hatte der reich gewordene Untervogt von Haguenau von den verschuldeten Adelsfamilien von Vitzthum und Schenck von Schmidbourg gekauft. Zur Begründung verwies er auf ein königliches arrêt vom 19. Mai 1722, worin die Ritterschaft ausdrücklich autorisiert wurde, nur noch Adlige in die Matrikel einzutragen, die den entsprechenden Adelsnachweis und die königliche Erlaubnis vorlegen konnten 39 . 35 36 37

38

39

ADHR,2E2. Vgl. R. CATTIN: Recherches sur la Noblesse immédiate, S. 109f. Vgl. [J.H. WIELANDT]: Statuts et privilèges de la noblesse franche et immédiate de la Basse-Alsace, op.cit. passim. AG Vincennes, A1.2785, P 98: Brief vom 14.4.1735 an den Gouverneur Du Bourg. Hatzel stammte ursprünglich aus Altkirch und war der Sohn eines Metzgers (vgl. C. KRUMMHOLTZ: Les Antoine de Cointoux, S. 45). ADBR, E 1295, P 12ff. Den königlichen Dispens erteilte ab 1722 der Kriegsminister. Laut arrêt vom Mai 1722 war Ausländern der Zutritt untersagt. 1732 wurde Franz Otto von Schönau abgewiesen, weil er jenseits des Rheins wohnte, während sein Cousin Franz Ignaz Ludwig von Schönau Aufnahme fand (vgl. ADBR, E1295, f° 43fT.: Brief von d'Angervilliers an Du Bourg vom 1.5.1732).

Die Reichsritterschaft im Unterelsaß

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Während in den dreißiger und vierziger Jahren fast ausschließlich anoblis in die Ritterschaft drängten, nahm ab den fünfziger Jahren die Zahl altadliger Familien aus dem Oberelsaß ständig zu. Damit ist das zweite aufschlußreiche Phänomen angesprochen, welches schließlich den Hintergrund für eine lange Auseinandersetzung zwischen der Noblesse immédiate de la Basse Alsace und dem Conseil Souverain d'Alsace bildete40: Den Anfang einer regelrechten Invasion oberelsässischer Adelsfamilien in das unterelsässische Ritterkorps machte 1743 Charles-César de Fériet, der 1724 eine Ratsstelle am Colmarer Gerichtshof gekauft hatte. Ihm folgte neun Jahre später sein Amtsnachfolger Gilbert-Michel de Gordon de Badenoth41. Damit hatte die noblesse de robe einen Weg vorgezeichnet, den alsbald der Schwertadel beschreiten sollte. In rascher Folge traten die Familien Schauenbourg, Truchsess, Montjoie und Ferrette ein, die Zu Rhein und Reich von Reichenstein folgten gleichermaßen im kompletten Familienverband. Mit dem Eintritt in die Ritterschaft „à titre personnel" verband der oberelsässische Adel zweierlei: Zum einen waren seine eigenen Pläne und Bemühungen zur Gründung einer adäquaten Ritterschaft im Oberelsaß an der Hartnäkkigkeit der Krone gescheitert, so daß sich nun die Gelegenheit bot, über ihre unterelsässischen Standeskollegen quasi durch die Hintertür doch noch repräsentiert zu werden. Zum anderen wollten die meisten Adelsgeschlechter, und dies war wohl der wichtigere Grund, der Colmarer Gerichtsbarkeit entkommen und nur noch vor dem Straßburger Ritterschaftstribunal in erster Instanz verhandeln. Zum Konflikt zwischen dem Conseil Souverain d'Alsace und dem Directoire der unterelsässischen Ritterschaft kam es dann im Jahre 1770. Dem Streit vorausgegangen war ein ziviles Gerichtsverfahren vor dem Conseil Souverain d'Alsace zwischen den verschuldeten Adligen Franz Joseph Zu Rhein und Franz Joseph Reich von Reichenstein zu Brombach sowie dem Juden Leiser aus Oberhagenthal. Letzterer hatte den beiden Adelsfamilien 1766 in Form einer Schuldverschreibung 8000 livres ausgeliehen, und nachdem keine Rückzahlung erfolgte, klagte er diesen Betrag 1769 ein. Alsbald schaltete sich das Straßburger Adelsdirektorium in diesen Prozeß ein und klärte beide Adlige über ihre Rechte auf. Von ihren Anwälten unzureichend beraten, hatten sie es versäumt, Einspruch wegen Nichtzuständigkeit des Gerichts einzulegen. Nach der Intervention des Direktoriums gab Zu Rhein nachträglich eine solche Erklärung ab, während Reich von Reichenstein es vorzog, sich auf die „Prudence" des Conseil Souverain d'Alsace zu verlassen42. Zu Rhein dagegen erklärte, Colmar sei in diesem Rechtstreit nicht in erster Instanz zuständig, sondern das Direktorium der unterelsässischen Ritterschaft. Zu Rhein war nämlich seit 1761 und Reich von Reichenstein erst seit 1768 dort immatrikuliert. Dem setzte der Conseil Souverain d'Alsace entgegen, er sei für die Gerichtsbarkeit der Landsassen im Oberelsaß 40 41 42

Vgl. dazu R. CATTIN : Recherches sur la Noblesse immédiate, S. 67 ff., S. 113 ff. Vgl. V. A. HOLDT: Journal du palais, Bd. 1, S. 13. Vgl. Mémoire pour íes Président, Conseillers & Assesseurs du Directoire Présidial de la Noblesse de la Basse-Alsace, S. 1 f. [BNUS : M 38 386],

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

zuständig, was für beide Adlige zuträfe. Bereits 1746 hatte er einen ähnlichen Rechtsstreit zwischen dem Grafen von Sandersleben, Herr von Baldenheim, und Michel Moncklin abgewiesen. Im Gegensatz zu den Familien, deren Güter auch immatrikuliert wurden, wie im Falle von Turckheim (1699), von Hatzel (1735) und von Dietrich (1762), verfügten die Zu Rhein und Reich von Reichenstein nicht über Vergleichbares43. Dagegen betonte die Ritterschaft, ihr Tribunal sei in erster Instanz für Rechtsangelegenheiten ihrer eingeschriebenen Mitglieder und ihrer Güter zuständig. Sie konnte darauf verweisen, daß sie innerhalb von dreißig Jahren (Ende 1737 bis Mitte 1767) allein in 47 Fällen, Erbschafts- und Zivilrechtsprozesse ihrer Mitglieder zu führen hatte. Der überwiegende Teil der Gerichtsverfahren behandelte Schuld- und Erbschaftsforderungen gegenüber den Familien von Horben (14 Prozesse), von Schönau (11), von Hatzel (6), Forstner de Dambenoy und Roeder von Diersburg (je S)44. Als das Direktorum demonstrativ Partei für die in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Adligen ergriff, ging der Conseil Souverain d'Alsace einen Schritt weiter. Nach einer Zusammenkunft aller oberelsässischen Adligen forderte der Gerichtshof in einem arrêt vom 18. August 1770 für sich das alleinige Aufbewahrungsrecht der Adelsmatrikel und die Abschriften aller seit 1651 durchgeführten Immatrikulationen sowie die Erstellung einer neuen Matrikel 45 . Mit diesen Forderungen griff der Conseil Souverain d'Alsace massiv in die internen Geschäftsangelegenheiten der unterelsässischen Ritterschaft ein. Er bekräftigte nicht nur wie bisher den jurisdiktionellen Alleinvertretungsanspruch für das ganze Elsaß, sondern forderte gleichzeitig ein Mitspracherecht bei den Adelseintritten und damit indirekt auch eine Streichungskompetenz. Das Direktorium fühlte sich herausgefordert und wandte sich im Dezember 1770 hilfesuchend an den Minister Choiseul: „Nous sommes authorisés par un ancien privilège de la noblesse immédiate, confirmé par le Roy [...] à rayer de notre matricule tout gentilhomme qui agit contre des interests de notre corps, après avoir été averti. [...] Il a jugé à propos de nous ordonner d'attendre Sa permission pour recevoir de nouveaux gentilshommes dans notre matricule"46.

Nachdem Choiseul diesbezüglich keine Zusagen machte, lenkte das Direktorium schließlich ein, und es wurde ein Kompromiß ausgehandelt. Im Dezember 1771 kam es in Straßburg zu einem Vergleich zwischen den streitenden Parteien47. In Sachen Adelsmatrikel dagegen wurde weiter verhandelt. In zwei Denkschriften wandte sich die Ritterschaft erneut an den Kriegsminister Monteynard und beorderte ihren Direktor Jean-François-Henri de Flachlanden zu Sondierungsgesprächen an den Hof. Vier Jahre später mußte das Direktorium im juristischen Kompetenzenstreit mit dem Conseil Souverain d'Alsace eine politische Niederlage hinnehmen: Ihm wurde durch die lettres patentes vom März 43 44 45 46 47

BStB München, Cod.Gall. 375, f° 719. ADBR, E1294, f° 45r°-48v°. Vgl. ADBR, E1295, P 28r°-29r°. ADBR, E1181. ADBR, E1295, P 12ff.

Die Reichsritterschaft im Unterelsaß

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1775 die Zulassung neuer Adelsfamilien aus dem Oberelsaß untersagt 48 , was gleichzeitig bedeutete, daß der oberelässische Adel seinen politischen Repräsentationsanspruch endgültig aufgeben mußte. Nach 1775 kam die überwiegende Mehrheit der neuen Mitglieder entweder aus altem elsässischen oder französischen Adel 49 : De Vittinghoff (1777), de Montjoie d'Hirsingen (1780), de Wimpffen (1781), de Neuenstein (1782)50, de Colomné (1786)51, Espiard de Colonge (1786)52, Haffner de Wasslenheim (1786)53, Joham de Mundolsheim 54 . Einzige Ausnahme bildete die am 10. September 1781 durch Eid erfolgte Aufnahme von Jacques-Augustin Barry de Leamlary55, dessen Familie ursprünglich aus der Grafschaft Cork in Irland stammte und sich mittlerweile in Mutzig niedergelassen hatte. Aus einer kurz vor der Revolution angefertigten Liste bereits eingegangener und noch ausstehender Erklärungen zur neuen Ritterschaftsmatrikel geht hervor, daß weitere Familien im Laufe des 18. Jahrhunderts aufgenommen wurden 56 : die von Mentzingen, eine Nebenlinie der aus dem Kraichgau stammenden Familie Goeler von Ravensburg, die von Pistons, und der Baron de la Chassagne 57 . Ebenfalls gegen Ende des Jahrhunderts gelangten die ursprünglich aus der Dauphiné stammenden Grafen von Pascalis als Erben der von Rathsamhausen-Ehenwihr in den Besitz der Seigneurie Windeck und beantragten 1780 für vier Familienzweige den Eintritt in die unterelsässische Ritterschaft: Pierre-Joseph-Gaëtan Comte de Pascalis, Marie-Cathérine-Charlotte Gaucher de Praslin, die Erben der Comtesse Frédérique de Pascalis, geborene Fougère de Mormont, sowie Madame Angélique-Elisabeth de Fougère de Mormont, Ehefrau des Chevalier de Fabert 58 . Für den Neudadel ergaben sich aus dem Abschlußdokument einer langwieri48

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56 57

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Vgl. VERON-REVILLE: Essai sur les anciennes juridictions, S. 211. Im Mai 1779 wurden die „neuen" Privilegien der unterelsässischen Reichsritterschaft erneut bestätigt. In Art. VIII bezog die Krone gegenüber den erfolgten Neuaufnahmen oberelsässischer Adelsfamilien wie folgt Stellung: „[...] ordonnons que l'Arrêt de Notre Conseil Souverain d'Alsace rendu le douze Mars mil sept-cent soixante treize [12.3.1773] sera regardé comme non-avenu, en conséquence que les Immatriculations faites des Gentilshommes de la Haute-Alsace soient restraintes à ceux, qui en jouissent actuellement, & que lesdits Gentilshommes, qui sont en possession actuelle, jouissent, pour leurs personnes seulement, des privilèges attachés audit Corps delà Noblesse" (vgl. Lettres patentes du Roi portant confirmation des droits et privilèges du Corps de la Noblesse immédiate de la Basse Alsace, 1798 [sic!], S. 4). Vgl. AM Straßburg, AA 2341 ; ADBR, E1295. ADBR, E1093 (7.12.1782). Ebd. E 850 (18.5.1786). Ebd. E 850 (15.7.1786). Ebd. E 920 (30.8.1786). Ebd. E 993 (22.8.1786). ADBR, E1407, f° 37 v°. Der Aufnahmeantrag erfolgte bereits am 2.8.1781 (ebd. f° 34 v°) und nicht am 12.11.1782 (vgl. J. GASS : Der Adel in Mutzig, S. 56). A D B R , E 1 2 9 5 , P 117r°-119v°. Ebd. E 850. François Aimé d'Assier, Baron de la Chassagne, chevalier de Saint-Louis und brigadier des armées du ro/besaß das Dorf Bischoffsheim in der bailliage Dachstein und wurde am 21.5.1781 immatrikuliert. ADBR, E1295, f° 118 v° (vgl. zu den einzelnen Immatrikulationen ebd. E 906, E 910, E1112). Bezüglich weiterer Informationen über die Familien Fougère de Mormont und de Pascalis vgl. E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 3, S. 398.

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gen Rechtsauseinandersetzung keinerlei gravierende Konsequenzen. Die Zulassungsbedingungen wurden aufgrund der könglichen lettres patentes vom Mai 1779 sogar eher erleichtert, denn als Eintrittsvoraussetzung verlangte das Ritterschaftskorps nun „un minimum de cent années de noblesse" 59 . Damit wurden die im 18. Jahrhundert üblichen Anforderungen von 16 Ahnenproben, d.h. der Nachweis einer adligen Abstammung von vier Generationen, die sich auf beide Familienteile bezog, nochmals halbiert. In der Folge traten weitere anoblis ein, wenn auch nicht mehr so stark wie in den Jahren zuvor. Obwohl das genaue Eintrittsdatum nicht bekannt ist, finden wir z. B. die Gebrüder de Gérard und den lieutenant-général des armées du roi, Nicolas-Louis de Gelb, auf einer Mitgliedsliste der Ritterschaft 60 . Ein weiterer Vertreter des Neuadels, Maximilien de Duminique, wurde 1778 immatrikuliert. Er war als Kommandant der Truppen des Herzogs von Parma, als Dichter und als Architekt seines Schlosses Millon im Gouvernement Maine hervorgetreten 61 . Zwar stammte die Familie aus Frankreich, dennoch war sein Vater Johann Ferdinand Duminique in kaiserliche Dienste getreten, wurde als Freiburger Festungskommandant 1714 vom Kaiser in den Freiherrenstand erhoben 62 und 1736 Mitglied der Breisgauer Ritterschaft 63 . Dagegen ließen sich andere Neuadlige nicht persönlich in die Matrikel eintragen sondern begnügten sich mit der Immatrikulation ihrer Güter wie z. B. der Direktor der Straßburger Münze, Jean-Louis de Beyerlé, mit der seigneurie allodiale „Jardin d'Angeterre" 64 sowie der königliche Finanzeinnehmer, JeanBaptiste Kempfer, mit seinem Anteil an der Seigneurie Plobsheim 65 . Kempfer hatte sich als französischer Botschafter beim Mainzer Kurfürsten einen Namen gemacht, woraufhin Ludwig XVI. ihn im Jahre 1775 anoblierte. In seinem Adelsbrief wurde sogar der Eintritt in die Ritterschaft mit dem Verweis auf die Verdienste seines Vaters Jean-Nicolas Kempfer „dans la conjoncture de l'acquisition de Strasbourg et de la réunion des seigneuries anciennement immédiatte de l'Empire" ausdrücklich erlaubt 66 . Trotzdem wäre die vollständige Aufnahme Kempfers nicht so leicht durchzusetzen gewesen, denn in Ritterschaftskreisen besaß der Name der Familie Kempfer seit dem Ende des 17. Jahrhundert eine schlechte Reputation. Unter dem Vorwurf des Amtsmißbrauchs war Jean-Nicolas Kempfer 1698 als erster Syndikus der Ritterschaft nach der Annexion (1780) vom Direktorium abgesetzt worden, nachdem er zuvor mit Hilfe des Conseil Souverain d'Alsace gerichtlich gegen diese vorgegangen war67. 59

ADBR, E1407, P 16r° : Eintrag vom 28.1.1779. ADBR, E1295, P 117 r°. ' ADBR, E1407: Régistre des délibérations particulières de corps de la Noblesse immédiate de la Basse Alsace (ebd. S.3v°). 62 Vgl. K. F.von FRANK: Standeserhebungen, Bd. 1, S. 252. 63 Vgl. A.von KAGENECK: Die Breisgauer Ritterschaft, S. 177. 64 ADBR, E 802: Immatrikulation vom 5.11.1782. 65 ADBR, E 1038: Immatrikulation vom 29.11.1782 (vgl. I. .STREITBERGER: Der königliche Prätor, S. 214). 66 ADHR, 1 B 962, P 307. Vgl. ANP, M 445/3 (2). 67 ADBR, E1039. 60

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Die Reichsritterschaft im Unterelsaß

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Pikanterweise sollte auch der letzte Antragsteller aus dem Neuadel stammen: Bereits während der Revolution, im Oktober 1790, wurde der Stettmeister und königliche Prätor von Haguenau, Adolphe-Michel Barth, in die unterelsässische Ritterschaft immatrikuliert68. Während für die vermögende Familie Barth die Höhe ihres Eintrittsgeldes lediglich eine symbolische Bedeutung hatte, stellte sie für andere Familien offensichtlich ein finanzielles Problem dar. 1779 verlangte das Präsidium der unterelsässischen Ritterschaft von den beiden Brüdern de La Touche aus Cernay im Oberelsaß jeweils 600 livres69, woraufhin sie ihre Bewerbung zurückzogen, denn sie tauchen bis zur Revolution in keiner Immatrikulationsliste auf. Im Gegensatz zu den Brüdern de La Touche kamen die Duminique und Montjoie-Hirsingen billiger davon, ihnen wurden lediglich 300 livres abverlangt70. Schwierigkeiten bei der Einschreibung ergaben sich in den Fällen, wo die vorgelegten Beweise fehlten, nicht ausreichten oder gar dem Reglement widersprachen. Ebenso wurden Absagen erteilt, wenn Kandidaten für „politisch bedenklich" gehalten wurden oder sich eine interne Opposition formierte. Eine solche bildete sich z. B. unter dem persönlichen und politischen Druck des Grafen von Hanau-Lichtenberg in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gegenüber dem Freiherrn Wolf Friedrich Eckbrecht von Dückheim (1622-1698). Er diente als Oberst im kurpfalzischen Heer und verlor 1677 als Gegner der französischen Krone seine elsässischen Besitzungen. Zwar wurden im Frieden von Nijmwegen (1679) seine Güter restituiert, jedoch gelang es ihm nicht, seine seit 1664 betriebene Aufnahme in die Ritterschaft durchzusetzen. Erst nach seinem Tod (1698) lenkte das Direktorium ein und nahm Johann Heinrich Eckbrecht von Dürckheim am 17. Juli 1699 in ihre Reihen auf 71 . Ein Jahr zuvor war der Straßburger Bankier Jean-Jacques Hoser abgelehnt worden, weil er außer dem französischen Titel écuyer nichts vorweisen konnte. In der Begründung hieß es: „[...] que le nom d'Escuyer au fait de titre de noblesse n'est pas usité ny en allemand ny en latin parmy la noblesse d'allemagne pour marquer la qualité noble d'un gentilhomme

Das Adelsdirektorium erteilte nicht nur der aufstrebenden Bankiersfamilie eine Absage, sondern blieb auch gegenüber deutschen Fürsten konsequent, falls sie die Eintrittsbedingungen nicht erfüllten. 1759 wurde das Aufnahmegesuch des Fürsten Ernst von Solms-Braunfels abgewiesen, nachdem die desolate finanzielle Grundlage dieser Familie bekannt geworden war:

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ADBR, E1294, f° 100. ADBR, E1407 :Régistre des délibérations, S. 16v° (Sitzung vom 28.11.1779) Ebd. S. 3 v° : Duminique (Sitzung vom 7.9.1778); S. 16v° : Montjoie (Sitzung vom 28.11.1779). Vgl. E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 2, S. 146. G. MEYER: Die Grafen von Eckbrecht von DürckheimMontmartin, S. 132. ADBR, E1295, f° 236.

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

„La maison de Solms-Braunfels se trouve dans la situation la plus fâcheuse [...] Sa famille nombreuse, la pauvreté générale de ses sujets et les dettes qu'elle a heritées de ses ancêtres font preuve de ce qu'on avance [.. .]"73.

Gänzlich andere Motive spielten im Falle der Familie von Mayerhoffen eine Rolle. 1764 stellte der bailli des Fürstbischofs von Straßburg in den Vogteien Saverne und Kochersberg, Jean-Georges-Joseph de Mayerhoffen, seinen Aufnahmeantrag. Zur Begründung verwies er auf seine knapp zweihundertjährige adlige Abstammung, an deren Richtigkeit kein Zweifel bestehen konnte. Kaiser Rudolf II. hatte am 5. Dezember 1586 einen seiner Vorfahren in den Adelsstand erhoben74. In gleicher Weise verfuhr Ludwig XV. im Februar 1763, als er dem Antragsteller die französische Adelsbestätigung erteilte, die gleichzeitig mit einer erneuten Anoblierung verbunden war75. Trotzdem verwehrte ihm der Syndic der unterelsässischen Ritterschaft die Aufnahme. Schwendt verwies auf die Unvereinbarkeit des Vogteiamtes und der damit verbundenen Rechtsprechungsgewalt mit den Statuten der Ritterschaft: „[...] l'office de Bailly de l'Evêché de Strasbourg [...] est effectivement absolument incompatible avec la qualité de membre de Corps de la noblesse de la Basse-Alsace"76.

Gemeint waren die Dienstleistungen Mayerhofifens für den Kardinal Rohan und nicht für den französischen König. Weiterhin begründete Schwendt seine Ablehnung mit dem Nichtbesitz immatrikulierter Güter. Als Mayerhoffen kurze Zeit später starb (1767) unternahm sein Neffe, François-Leopold de Mayerhoffen, 1775 einen erneuten Aufnahmeversuch. Er hatte kein Bailliamt inne wie sein Onkel und unterstrich seine Anwärterschaft auf das Lehen Landschaden in Rosheim. Dieses bestand aus einem Viertel des dortigen Wege- und Brückenrechts in Höhe von jährlich 85 livres (!), womit sein Vater, ein gewisser Sieur Harter, investiert worden war. Das Direktorium blieb hart und registrierte lediglich die Lehnsanwartschaft, was im Ergebnis eine Analogie zum „Erfolg" seines Onkels darstellte, der auch nur die Registrierung seines Adelsbriefes zu seinen Lebzeiten erreichen konnte77. Enttäuscht über die ihnen verwehrte Profilierungsbühne stellten keine weiteren Mitglieder der Familie bis zur Revolution einen Aufnahmeantrag. Hinter dieser intransigenten Haltung der Ritterschaft verbarg sich sicherlich nicht nur ein formaler Aspekt: Die Familie von Mayerhoffen hatte durch ihre zweigleisige Familienpolitik dieseits und jenseits des Rheins - sie war eine berufliche Allianz mit der mächtigen Straßburger Kardinalsdynastie Rohan eingegangen und hatte sich 1715 in die Ortenauer Ritterschaft eintragen lassen78 - Mißtrauen erzeugt, das sich in der Ablehnung ihres Aufnahmeantrags nieder73 74

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ADBR, E1187. Vgl. das Adelspatent für die Brüder Gregor und Johann Georg Mayerhoffer von 1598 in: K. F. von FRANK: Standeshebungen, Bd. 3, S. 212. ADHR,1 B 960, f° 127-129. ADBR, E1076 (11). ADBR, E 1076(11): Die jeweiligen Registrierungen erfolgten am 7. Februar 1765 und im August 1775. ADBR, E1295.

D i e Reichsritterschaft im Unterelsaß

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schlug. Die eindeutige Loyalität zum französischen Souverän war im Laufe des 18. Jahrhunderts zur unabdingbaren Voraussetzung für den Eintritt in die unterelsässische Ritterschaft geworden. Der skurrile und selbsternannte „Graf von Valcourt, Schloßherr der Martinsbourg, der durch seine zu Beginn des 7 jährigen Krieges ans Schloß angebrachte prohabsburgische Inschrift allgemeines Aufsehen erregt hatte79, versuchte es erst gar nicht in Straßburg sondern bat 1756 bei der benachbarten Ortenauer Ritterschaft um Aufnahme. Valcourt hatte sich selbst eine adlige Rangerhöhung besorgt, indem er in allen familiären Unterlagen, die amtlichen Kirchenbücher eingeschlossen, den Titel „Sieur de Valcourt" durch den Grafentitel ersetzt hatte und seine Abstammung von den aus der Gegend von Namur stammenden Walcourt-Rochefort bekundete. Da er außer der selbstgemalten Ahnentafel mit achtzehn Geschlechtern keine Beweise seiner „gräflichen" Abstammung vorlegen konnte aber mit immer neuen Phantasien protzte, wie etwa der Behauptung, Sankt-Georg-Kreuzträger zu sein, ließ die Ortenauer Ritterschaft den Antrag ruhen, bevor sie ihn am 27. Oktober 1763 ablehnte: „ D a n n e n h e r o ist aus der reception derer v o n Walcourt nichts geworden wird auch w o h l schwerlich jemals etwas daraus werden s o ist es an und für sich selbst null und nichtig, und wird als ein solches hiermit ordentlich declariret" 80 .

Der gutnachbarlichen Verbindung der unterelsässischen zur Ortenauer Ritterschaft tat diese Episode allerdings keinen Abbruch. Der traditionell rege Austausch zwischen beiden Ritterschaftsorganisationen hielt auch im 18. Jahrhundert an. Eine Reihe elsässischer Familien setzte das französische Witzwort, die Reichsritter besäßen ein „cheval sur le Rhin", in die Tat um und trugen sich in die Ritterschaftsmatrikel der Ortenau ein: Waldner von Freundstein (1722, 2 Eintragungen), von Berckheim und Gayling von Altheim (1751, jeweils 3 Eintragungen), von Berstett (1751), Eckbrecht von Dürckheim (1785, 4 Eintragungen), Albertini von Ichtratzheim (1786) und von Weitersheim (1787, jeweils 2 Eintragungen), von Türckheim (1789)81. Eine gewisse Vorahnung von den kommenden umstürzlerischen Ereignissen muß ein Zweig der Familie von Türckheim gehabt haben. Getreu ihrer Bankiersmentalität hatte sie rechtzeitig vor Ausbruch der Revolution das finanzielle Risiko vermindert und ihre elsässischen Besitzungen allmählich verkauft, um sich jenseits des Rheins in Altdorf und anderen Orten

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Zur Familie de Valcourt vgl. E. SITZMANN: Le château de Martinsbourg, S. 300ff. Ebenso J. JOACHIM : La famille Valcourt à Chavanatte, S. 166. Die im Jahre 1756 an sein soeben restauriertes Schloß angebrachte Inschrift trug die Aufschrift: „Als der dobelt und einfach Adler / miteinander kriichten, liess / Joseph Anton Georg / Graff zu Walcourt Rochefort / Faing Kubourg und des h. R. R.herr zu / Wettolsheim das zu Zeiten Kayser / Karl des feisten [Karl V.] zerstört Schloss / Martinsbourg erneueren und oben / daran erbauen die bürg die / Josephsburg genand". (L. KUBLER: Le Martinsbourg, S. 130). GLA Karlsruhe, Abt. 72: von Walcourt. ADBR, E1295. In die Matrikel derbreisgauischen Ritterschaft trugen sich 1783 zehn elsässische Adelsfamilien ein (vgl. StA Freiburg, L2 XXX e).

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

der Ortenau mit Land einzukaufen82. Sie überlebte die Französische Revolution wirtschaftlich und politisch relativ unbeschadet und nahm zusammen mit den Familien Andlau, Berckheim, Berstett und Gayling hohe Staatsstellungen im späteren Großherzogtum Baden ein83. Der deutsch-französische Grenzraum am Oberrhein erzeugte wie kaum eine andere Region wechselnde Loyalitäten, die sich über Generationen tief in die Mentalität der Bevölkerung eingruben und wovon die Reichsritterschaft im Unterelsaß ein nachhaltiges Zeugnis ablegt. Die oft zweifach praktizierte Gefolgschaft gegenüber dem Kaiser und dem französischen König ließ sich gleichfalls durch keinen Nationalismus beeinträchtigten.

2.3. Der landsässige Altadel „La noblesse d'Alsace est n o n seulement illustre par son ancienneté et par sa pureté exempte d e mésalliance, mais elle a l'avantage de prouver cette ancienneté et cette pureté avec une certitude et une facilité particulière pour l'Allemagne" 8 4 .

Mit diesen Sätzen charakterisiert der Intendant de La Houssaye zu Beginn des 18. Jahrhunderts den Adel im Elsaß. Die angesprochenen Kriterien, Abstammung und „Reinheit des Blutes", waren in der Tat wesentliche Bestandteile einer Adelsqualität, die von den meisten landsässigen Adelsfamilien seit Jahrhunderten streng eingehalten wurden. Allein beim Adel im Oberelsaß konnte ein halbes Duzend seine Herkunft bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen, wie z. B. die von Eptingen, Montjoie, Ferrette85, Reich de Reichenstein, Reinach, Rotberg, Truchsess de Rheinfelden und die Waldner von Freundstein. Andere Adelsfamilien wie die von Andlau, Berckheim, Flachslanden und Rathsamhausen hatten ihre Stammschlösser im Unterelsaß, waren aber ebenfalls im Oberelsaß begütert und konnten auf eine ähnlich illustre Vergangenheit verweisen. Die meisten alten Adelsfamilien waren vor der Annexion in habsburgischen Militär- oder Verwaltungsämtern tätig gewesen, hatten den Bischöfen von Basel und Straßburg gedient oder ihre eigenen Güter bewirtschaftet. Durch Sprache, Gewohnheit und institutionelle Verankerung waren sie über Jahrhunderte eng mit den deutschen Gepflogenheiten vertraut. Zwar erfolgte die Annexion keineswegs plötzlich und unvorbereitet, denn der Herzog von Sachsen-Weimar hatte im Vertrag von Saint-Germain (1635) die elsässische Landgrafschaft bereits vom französischen König als Fürstentum erhalten, so stellte sie doch die meisten Adelsfamilien vor neue Aufgaben, die zwar schnell bewältig werden mußten wie 82

83 84 85

Über Käufe und Verkäufe der Familie von Turckheim beiderseits des Rheins vgl. H. NEU : Freiherrlich von Türckheimsches Archiv in Altdorf, S.m52, m56, m73. Laut Auskunft des Freiherrn Hans Eberhard von Türckheim vom 25.8.1987 sind die Urkunden und Akten aus dem Privatarchiv der Familie in Altdorf verloren gegangen. Vgl. J. RATHGEBER: Der große Markgraf und seine elsässischen Minister, Straßburg 1887. H. WEISGERBER (Hg.): L'Alsace au commencement du XVIII e siècle, S. 26. Nicht zu verwechseln mit den ehemaligen Grafen von Pfirt. Die Edlen von Ferrette (Pfirt) gleichen Namens waren ursprünglich Ministerialen der Grafen von Pfirt.

Der landsässige Altadel

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z. B. die Lehnsaufnahmen beim neuen Souverän, deren mentale Verarbeitung aber eine längere Zeit in Anspruch nehmen sollte. Noch 1717 verwies der Intendant d'Angervilliers in einem Brief an den Conseil d'Etat darauf, der elsässische Adel habe seine Verbindungen zum Reich noch nicht aufgegeben und es sei deshalb ratsam, ihn für den französischen Militärdienst zu gewinnen: „Je ne pus m'empescher de penser qu'il convient d'attirer autant que faire se peut la Noblesse de ce Pays dans les Trouppes de S[a] M[ajes}té. Il est connu que par raport à la conformité de la langue et de moeurs, les gentilshommes d'Alsace se portent volontiers à prendre de l'Employ chez les Princes de l'Empire"86

Überhaupt trug die Krone durch ihre anfangliche Politik nicht sonderlich dazu bei, den Adel in großer Anzahl für die französische Sache zu begeistern. Bereits vor der eigentlichen Abtretung des Elsasses, hatte der französische König in einer ersten Depossessierungswelle den größten Teil der vormals habsburgischen Lehen an verdiente Generale und Obristen aus der ehemaligen Armee des Herzogs von Sachsen-Weimar vergeben: Taupadel erhielt Ferrette, Betz bekam Altkirch, Vignacourt Morimont, Herwart Landser, Cernay ging an Wolfgang von Schoenbeck, Bollwiller an Reinhold von Rosen und Issenheim wurde Johann von Rosen zugesprochen87. Für den oberelsässischen Altadel blieb zum Schluß nicht viel übrig, obwohl er in einer höchst gefahrlichen Situation während der Fronde des lothringischen Herzogs von Harcourt (1652/53) gegen die französische Krone den König tatkräftig mit Truppenkontingenten unterstützen wollte88. Dies belegen die anschließenden Lehnsaufnahmen durch Jean-Thiebaut Reich de Reichenstein (9.9.1653), Christoph-Guillaume Reuttner de Weyl (26.9.1653), Jean-Sébastien Stürtzel von Buchheim (17.10.1653), Louis-Frédéric und JeanErnst de Brinighoffen (25.10.1653), Jean-Othmar von Flachslanden (9.11.1653) als Vormund des verstorbenen Hermann von Eptingen und Jean-Jacques de Ferrette (28.6.1656). Mit Ausnahme der Belehnung von Johann Jacob von Rappoltstein (29.8.1653) wurden nur kleine Lehnsanteile vergeben89. Skepsis und Mißtrauen überwogen auf beiden Seiten, so daß es keineswegs verwunderlich ist, daß nicht alle Familien nach dem Übergang an Frankreich den gewünschten Anschluß fanden. Die jeweiligen Motive zur Abkehr von Frankreich waren unterschiedlich. Die Zinth von Kenzingen hatten seit 1655 schlichtweg vergessen, ihre elsässischen Lehen aufzunehmen und zogen sich nach Bayern zurück. Die Bettendorf kehrten nach kurzem Aufenthalt im Unterelsaß, wo sie sich zunächst in die Adelsmatrikel hatten einschreiben lassen, nach Deutschland zurück. Dort stieg Johann Friedrich von Bettendorf zum Rat des Grafen von Hanau-Lichtenberg auf. Die aus Stuttgart gebürtigen Gremp von 86 87 88

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D'ANGERVILLIERS: Lettres écrites à la cour, S. 53 (Brief vom 22.3.1717). Vgl. R. REUSS : L'Alsace au dix-septième siècle, Bd. 1, S. 308 ff. Vgl. G. LIVET: Le Comte d'Harcourt, S. 79 f. Vgl. auch ADHR, C 955 : Résultat de l'Assemblée des Etats de la haute Alsace tenue à Colmar le 29 aoust 1652. Ebenso die Deduktion der Ritterschaft des Oberelsaß an den Herzog von Harcourt bezüglich ihrer Freiheiten vom 6.5.1653 (vgl. StA Freiburg L 2 XXX a/10). ADHR, C 960.

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

Freudenstein traten in die Dienste des Landgrafen von Hessen-Darmstadt. Die Edlen von Ulm tauchten noch 1716 in der Matrikel der unterelsässischen Ritterschaft auf. Zehn Jahre später verkauften sie ihre Lehen an die von Flachslanden und zogen sich auf ihren Stammsitz in Schwaben zurück 90 . Die Familie von Ostein, die seit dem 14. Jahrhundert im Elsaß seßhaft war und sich nach dem Dorf Ostheim bei Kaysersberg im Oberelsaß nannte 91 , wurde 1681 wegen ihrer Dienste für den Kurfürsten von Mainz vom französischen König enteignet 92 . Als sie 17 Jahre später, nach dem Frieden von Rijswijk, ihre umfangreichen elsässischen Besitzungen zurückerhielt, hatte sie sich politisch und sozial bereits nach Mainz orientiert93. Mit den Verkaufsaktionen hatte die Familie bereits vor dem für sie günstigen Frieden von Rijwijk begonnen: 1688 wurden die vormaligen Güter der von Hagenbach in Heimsbrunn an Heinrich Stephan, Bürger zu Mülhausen, gegen 13 500 Gulden verkauft 94 . Es folgten 1699 der Verkauf von Schloß Ostein und der Murbacher Lehen an das Stift selbst95. Der vierte Teil des Zehnten in den Dörfern Hirtzfelden und Marckolsheim, die sie vom Bischof von Basel zu Lehen trugen, kaufte Josef Eusebius von Breitenlandenberg 96 . In den folgenden Jahren wurden weitere Verkäufe getätigt97. Am 24.12.1745 kaufte die Comtesse Béatrice Octavia de Rosen die Besitzungen der Grafen von Ostein in den Dörfern Heimsbrunn und Guebwiller 98 , und drei Jahre später am 7.5.1748 kaufte Johann Heinrich Ferdinand von Valcourt für 3000 Gulden weitere Murbacher Lehen der von Ostein99. Am Ausverkauf der Osteinschen Güter nahmen auch Bürgerliche teil. In den Steuerrollen zur capitation des Adels im Oberelsaß aus dem Jahre 1776 werden der bailli von Meyenheim, Fronhoffer, und die Notarsfamilie Wendling aus Ensisheim je zur Hälfte als Besitzer der Osteinschen biens nobles in den bailliages von Bollwiller und Ensisheim aufgeführt 100 . Vermutlich ging den von Ostein trotz Emigration kein Stück Land und keine elsässi-

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Vgl. J. D. SCHOEPFLIN: L'Alsace illustrée, Bd. 5, S.842f. Vgl. J. KINDLER von KNOBLOCH : Oberbadisches Geschlechterbuch, Bd. 3, S. 290. Zuvor besetzte die Familie bereits einmal den Basier Bischofstuhl. Vgl. J. D. SCHOEPFLIN : L'Alsace illustrée, Bd. 5, S.842 f. HHStA Wiesbaden, Abt. 124/735. Dieser Besitz wurde bereits 1659 auf 14812 livres geschätzt. Gegenüber Hans Caspar von Hagenbach bestand 1658 eine Schuldforderung in Höhe von 13609 livres, 39 sols, 3 deniers. HHStA Wiesbaden, Abt. 124/732: Der Verkauf von Schloß Ostein erfolgte am 19.2.1699 für 6455 Gulden und 10 Kreutzer, die Lehen am 9.12.1699 für 12910 livres (vgl. ebd. 124/731). Das Adelsstift Murbach trat im November 1699 die Güter an die Antoniten von Issenheim ab (B.de Ferrette : Diarium de Murbach, in: Revue catholique d'Alsace 12,1893, S. 609). AAEB Porrentruy, B 237/38: Mappen von Landenberg/von Ostein. Vgl. ebenso HHStA Wiesbaden, Abt. 124/819 : Der Verkauf wurde am 12.1.1699 getätigt. Die Verkaufsumme betrug 4400 ßasler Stebler. HHStA Wiesbaden, Abt. 124/733: Verkauf der Osteinischen Güter in Guebwiller und Heimsbrunn, 1700; ebd. 124/736: Verkaufte Güter und Schuldforderungen; ebd. 124/737: Güter zu Meyenheim; ebd. 124/739: Verkauf der elsässischen Güter von Ostein 1716,1723,1743. ADHR, 2 E186/5. Vgl. ebenso HHStA Wiesbaden, Abt. 124/1289. ADHR, 10 G 24/16. Der König hatte 1681 die Lehen der Familie von Ostein konfisziert und damit 1689 den Baron von Wangen investiert. 1689 nach dem Frieden von Rijswijk forderte die Familie die Lehen zurück (vgl. ADHR, 1 B1031). ADHR, C1138.

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sehe Rente verloren. Um einer möglichen Konfiszierung zuvorzukommen, beauftragten sie zwischen 1745 und 1747 über ihren Verwalter Brückner in Mülhausen den Juden Braunschweig aus Thann mit der Durchführung ihrer Verkaufsangelegenheiten 101 . Wie kaum eine andere Familie reüssierte die Familie von Ostein im 18. Jahrhundert innerhalb der Reichskirche und stellte 1743 mit Johann Friedrich Graf von Ostein den Kurfürsten und Erzbischof von Mainz sowie 1756 den Bischof von Worms102. Ein ungemein rascher sozialer Aufstieg, bedenkt man, daß noch sein Vater Johann Franz Sebastian von Ostein (1652-1718) das Elsaß verlassen hatte und als kurmainzischer geheimer Rat und Oberamtmann von Amorbach tätig war. Im Jahre 1712 erreichte er vom Kaiser für seine sieben Söhne, die allesamt geistliche Ämterlaufbahnen eingeschlagen hatten, die Erhebung in den Grafenstand 103 . Kurz zuvor (1710) hatte Johann Franz Sebastian von Ostein vom Verkaufserlös seiner elsässischen Besitzungen die böhmische Herrschaft Maleschau für 400000 Gulden gekauft 104 . Während die von Ostein mit viel Glück und Geschick ihre Umsiedlung ins Heilige Römische Reich Deutscher Nation erfolgreich abschließen konnten, bekamen die meisten übrigen Familien nur eine Teilentschädigung oder gingen leer aus wie beispielsweise die Familie Manicor. Die Familie stammte aus Ehrenhausen am Kälterer See/Oberösterreich 105 und hatte 1601 und 1609 die Hälfte des Dorfes Reichwiller und drei Viertel von Morschwiller im Elsaß als vorderösterreichische Lehen erhalten 106 . In dem kaiserlichen Adelsbrief von 1673 nannten sie sich stolz „Freyherren zu Reichenweiler und Morschwiller auf Freiegg und Ehrenhausen" 107 . Da die Manicor im kaiserlichen Dienst standen und zudem nicht im Elsaß wohnten, wurden ihnen 1662 ihre Lehen aberkannt 108 . Im Mai 1681 belehnte Ludwig XIV. Nicolas Humbert von Reinach-Montreux, nach dessen Tod (1704) wurde der Kommandant des Elsaß, Marschall d'Huxelles, investiert. Alle diese Lehnsvergaben ließ die Familie keineswegs tatenlos über sich ergehen sondern hatte mit Jean-Frédéric Hügelin einen Geschäftsführer in Straßburg, der alle Aktivitäten der französischen Administration genaustens überprüfte. Barthélémy von Manicor war sogar selber zur Vermittlung nach Paris gefahren, wo er jedoch einige Monate später im Jahre 1689 starb. Nach dem vorläufigen Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen 101 102

103 104 105

106 107

108

HHStA Wiesbaden, Abt. 124/711. Vgl. E. H. KNESCHKE: Adelslexikon, Bd. 7, S. 4f. Außerdem fungierte er noch als Capitular zu Würzburg, Probst des freien Reichstiftes St.Bartholomäus in Frankfurt am Main und Coadjutor zu Worms. Vgl. K. F.von FRANK: Standeserhebungen, Bd. 4, S.18. Vgl. G. HAGENOW: Das Grabmahl des Grafen von Ostein, S. 118, Anm. 13. Zur Familie vgl. G.GESSNER: Österreichisches Familienarchiv, Bd. 2, S. 71-73. J. KINDLER v.KNOBLOCH: Oberbadisches Geschlechterbuch, Bd. 3, S. 23 f. AM Straßburg, V, 133/5. K.F.von FRANK: Standeserhebungen, Bd. 3, S. 188: Freiherrenstand für Ferdinand Manicor, oberösterreichischer Regierungsrat und Johann Arbogast, Brüder, sowie Johann Andres, Vetter, Graz am 11.10.1673. ADHR, 2 E 23 (11): Korrespondenz bezüglich der konfiszierten Lehen.

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dem Reich und Frankreich (1714) ergriff Johann Georg von Manicor erneut die Initiative. Zunächst setzte er auf die adlige Generosität des Marschalls und bat ihn in einem Brief vom 13.9.1718 um die Rückgabe seiner Lehen: „que je suis plus longtems privés de la jouissance du patrimoine de mes ancêtres [...] Grâce que j'attends avec confiance de cette vertu et eminentes qualités qui ont placé votre grandeur au dessus de ses égaux, en la vendent l'oracle de son pais, et l'admiration des Etrangers [...] ne refusez pas cette faveur à une famille desolée, par une longue guerre [.. .]109.

Dieser lehnte ab, worauf Manicor vor dem Conseil Souverain d'Alsace die Restitution seiner elsässischen Lehen einklagte. Als dieses Unterfangen fehlschlug {arrêt vom 22.6.1724)110 und Colmar die Angelegenheit an Paris weiterleitete, sondierte er anschließend selber in Paris die Rechtslage. Obwohl er beim conseiller d'Etat, Segonzac de Séricourt und nacheinander bei den Kriegsministern de Breteuil, Le Blanc und d'Angervilliers vorstellig wurde, blieben seine Bemühungen erneut ohne Erfolg. Als Huxelles 1730 starb, meldeten sich einige elsässische Kaufinteressenten: Die Familie von Rosen ließ über ihren Agenten Lefébure einen Kaufvorschlag unterbreiten, ebenso war die Familie Zu Rhein als Herren von Morschwiller zum Kauf bereit; Interesse bekundeten ebenfalls der receveur der Herrschaft Rougemont, Claude Gérard, der garde des archives am Conseil Souverain d'Alsace und treuhänderische Verwalter der württembergischen Besitzungen im Elsaß, Nithard, sowie der Untervogt von Haguenau, Jean-Gaspard de Hatzel111. Jedoch wurden die Lehen nicht veräußert, vielmehr erfolgte im Mai 1730 die Infeodation von Joseph-Balthasar de Bergeret, Sohn des verstorbenen Kommandanten der Zitadelle von Straßburg112. Manicor wurde erneut in Paris vorstellig113, aber mit Verweis auf die ungünstige politische Gesamtlage wies ihn Segonzac de Séricourt ab: „[...] le tems n'etoit pas favorable pour la poursuivre ce qu'il falloit attendre la paix

Johann Georg von Manicor starb schließlich 1737, ohne die Entschädigung seiner elässischen Lehen erreicht zu haben. Die Forderung war damit keineswegs erledigt, denn er hatte kurz vor seinem Tod die anhängige Rechtssache seinem treuen Geschäftsträger Hügelin übertragen, der noch im Jahre 1750 in Paris vergeblich für die Rechte der Familie Manicor und mittlerweise seiner eigenen eintrat. In einem Brief an Sérilly schrieb er: „Mrs de Manickor qui a decedé quelques annes apres et laissa en etat de me fournir de l'argent, m'ont tellement sollicite, que j'ay suporté les fraix et dépense jusqu'à present, 109 1.0

1.1 1.2 1.3 1.4

AM Straßburg, V, 133/2. Vgl. Briefwechsel zwischen Corberon und Huxelles in den Jahren 1723/4 (vgl. StB Trier, Ms. 1307/520, f° 116-123). AM Straßburg, V, 133/3. Vgl. E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 1, S. 57. Vgl. StB Trier, Ms. 1307/524, P 181 r°-184r° : Mémoire de M.de Manickor contre de Bergeret. AM Straßburg, V, 133/6 (Brief vom 25.5.1734).

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sur l'hypodeck (!) de leurs fiefs et pretension, ainsi Monsieur, vous voies comme je suis fortement intéressé à voir un heureux fin du procès [.. .]"115.

Wie der Familie Manicor erging es einer ganzen Reihe von Familien, die mit dem Übergang des Elsasses an Frankreich einen Teil ihres Vermögens verloren hatten, weil sie nicht über so gute Verbindungen verfügten wie die von Ostein. Die französische Krone blieb gegenüber all denjenigen hartnäckig, die auf der kaiserlichen Seite standen, mit allen übrigen deutschen Machtträgern konnte verhandelt werden. Die meisten Güter der nach den Wirren des 30jährigen Krieges ins Elsaß zurückgekehrten Familien lagen im Sundgau, d.h. in dem Gebiet südlich der Stadt Mülhausen, die sich 1515 der Schweizer Eidgenossenschaft angeschlossen hatte. Zu den bedeutendsten Geschlechtern dieser Region zählten die von Reinach und die Grafen von Montjoie. Die von Reinach waren im 18. Jahrhundert in drei Linien aufgespalten (Hirtzbach/Obersteinbrunn/Foussemagne) und besaßen insgesamt 10 Seigneurien116: 1) Heidwiller (Kauf 1486 Dorf und Burg von den Morimont) 2) Froeningen (1521 geerbt) 3) Obersteinbrunn (durch Heirat 1483 erhalten) 4) Niedersteinbrunn (1694 endgültige Investitur) 5) Roppe (Ende des 17. Jhs. nach Aussterben der Morimont) 6) Montreux (durch Heirat Ende 15Jh.) 7) Michelhach (Ende des 15. Jhs. erworben) 8) Hirtzbach (1728 im Tausch gegen Brebotte und Anteil an Rosemont vom Herzog von Mazarin erhalten) 9) La Chapelle-sous-Rougemont (durch Heirat 1483) 10) Foussemagne (1608 aus Erbteil der Montreux gekauft) Neben einem beträchtlichen Eigengut gehörten ihnen weiter sieben Seigneurien in der Franche-Comté117, Güter in der Schweiz und in Istein (Baden)118. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war die Familie öfters in Erbstreitigkeiten verwikkelt, in denen der Conseil Souverain d'Alsace am 20.3.1709 schlichtend zwischen den Linien Foussemagne und Hirtzbach um die Erbschaft der ausgestorbenen Linie Montreux (1705) vermittelte119. Die Familie stellte im 18. Jahrhundert zwei Fürstbischöfe von Basel und der französischen Armee fast ein komplettes Offizierkorps, so daß der überlieferte Ausspruch Ludwigs XIV. zu Madame de Maintenon bei der Vorstellung eines Reinach den Kern der Sache mindestens teilweise trifft: 115 116

117

118

Ebd. (Briefvom 16.4.1750). Die folgenden Angaben sind entnommen aus L. ROUX (Hg.): Les Archives de la Famille de Reinach, S. 16fF. ADHR, 108 J 239-252. Auch die Familien von Andlau und Ferrette besaßen Güter in der FrancheComté (vgl. C. BRELOT: La noblesse en Franche-Comté, S. 21). ADHR, 108 J 253 (Istein). Vgl. F. J. FUES: Die Pfarrgemeinden des Cantons Hirsingen, S. 232f.

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„Mme., voyez ici M.de Reinach, sa famille me fournit plus officiers gentilshommes que toute la basse-Bretagne, qui est pourtant une de mes grandes provinces"120.

In enger verwandtschaftlicher Verbindung mit der Familie von Reinach standen die Grafen von Montjoie-Hirsingen. 1741 teilte sich das berühmte Adelsgeschlecht in die beiden Linien Montjoie-Vaufrey 121 und Montjoie-Hirsingen. Letzterer fielen die ganzen elsässischen Besitzungen zu122. Wie schon Generationen vorher versippten sich beide Linien auch im 18. Jahrhundert untereinander aus Angst, das Familienerbe könnte in fremde Hände geraten. Zur Einheirat zugelassen wurden nur alte Adelsfamilien besonders die von Reinach und die Rinck von Baldenstein. Anderen Familienmitgliedern blieb nur der Weg ins Kloster. Linie Montjoie-Vaufrey123: 1. Beat-Albert oo Johanna Franziska Appolonia von Reinach-Hirtzbach 2. Dietrich °o (1701) Josephina von Montjoie-Heimersdorf 3. Beat Johann Baptist Hamman oo (1736) Maria Katharina Viktoria Rinck von Baldenstein 4. Friedrich Ferdinand Fidelis-Hamman oo (1760) Maria Anna Sophia von Kageneck Linie Montjoie-Hirsingen: 1. Franz Ignaz oo Maria Johanna Reich von Reichenstein 2. Magnus Karl oo (1730) Maria Anna von Montjoie-Vaufrey 3. Johann Nepomuk Franz Xaver Fortunat oo (1760) Maria Anna Sigismunde Sophia Josephine von Reinach-Hirtzbach Zusätzlich wurde das Familiengut im 18. Jahrhundert noch durch zwei Majorate (fideicommis noble mâle et perpétuel) vor dem Auseinanderfallen abgesichert124. Die Allianz der drei Familien Montjoie, Reinach und Rinck bewährte sich im 18. Jahrhundert und garantierte mächtige Einflußzonen im gesamten Oberelsaß. Der eingeschworene Familienclan besetzte den Basier Bischofsstuhl fast alleine in geschickter familiärer Absprache 125 : 1693-1705: 1705-1737: 1737-1743: 1744-1762: 120 121

122

123 124 125

Wilhelm Jakob Rinck von Baldenstein Johann Konrad von Reinach-Hirtzbach Jakob Sigismund von Reinach-Obersteinbrunn Joseph Wilhelm Rinck von Baldenstein

SEREVILLE/SAINT-SIMON: Dictionnaire de la Noblesse française, S. 849. Vgl. P. E. TUEFFERD: Généalogies de quelques familles nobles, S. 241. Die Linie Monjoie-Vaufrey bekam die Baronie Montjoie im Tal von Délemont (Schweizer Jura) zugesprochen. 1736 wurde diese zur Grafschaft erhoben. Die Dörfer Hirsingen, Heimersdorf, Ruederbach, Brubach und 9/34 von Bisel, vgl. J. D. SCHOEPFLIN: L'Alsace illustrée, Bd. 5, S. 746ff. Vgl. Lehr: L'Alsace noble, Bd. 2, S. 364-368. AAEB Porrentruy, B 237/38 (Verträge vom 14.8.1737 und vom 2.12.1769). Vgl. GRANDIDIER: Nouvelles Oeuvres inédites, Bd. 3, S. 31 f. Vgl. ebenso P. BRAUN: Joseph Rinck von Baldenstein, op.cit.

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1762-1775: Simon Nikolaus Eusebius Ignaz von Montjoie-Hirsingen 1775-1782: Franz Ludwig Friedrich von Wangen 1782-1794: Franz Joseph Sigismund von Roggenbach. Zwar besaß der Bischof von Basel im Elsaß keine Grundherrschaft, verfügte aber über umfangreiche Zehnt- und Gültenrechte, die er von einem eigens eingerichteten Verwaltungsamt in Altkirch eintreiben ließ126. Der Verkaufserlös der überwiegend in Naturalien erhobenen Abgaben und die Versorgung des Oberrheingebietes mit Getreide bildeten die Grundlage einer wirtschaftlichen Potenz, die neben dem klerikalen Machtapparat aus dem Besitz des Basler Bischofsstuhls eine beträchtliche Pfründe brachte. Die Familien von Montjoie und Reinach beteiligten sich sehr rege an der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzenden réaction seigneuriale. Das 1742 neuerrichtete Schloß in Hirsingen wurde verschwenderisch ausgestattet, und der mondäne Lebensstil des Magnus Karl von Montjoie stand ganz im Gegensatz zu den Gewohnheiten seines Bruders, der viel Güte und Großzügigkeit gegenüber den Armen und sozial Ausgegrenzten zeigte127. Magnus' Sohn steigerte noch seine „adlige Lebensführung" und damit automatisch auch die Repressionen gegenüber seinen Untertanen. Er erhöhte die Frontage von ursprünglich fünf auf stellenweise 15, verbot alle Gemeindeversammlungen und schränkte das Nutzungsrecht in den Wäldern ein. Als am 29.7.1789 sein Schloß in Hirsingen von der Landbevölkerung angegriffen wurde, flüchtete er zur benachbarten Familie Kloeckler nach Altkirch128. Wie wenig die Familie von Montjoie die neuen Zeichen der Zeit erkannte und wie sehr sie an ihrem feudalen Eigentum hing, zeigt die Tatsache, daß sie noch am 15. September 1789 für alle ihre Besitzungen im Elsaß vor dem Conseil Souverain d'Alsace in Colmar ihre Lehnshuldigung und eine umfangreiche Aufstellung ihrer Güter (aveux et dénombrement) abgab 129 . Sie wurde darin nur noch von der Familie Waldner von Freundstein übertroffen, die acht Tage später, am 23. September 1789, den bereits abgeschafften Relikten des Ancien Régime huldigte 130 . War das vivre noblement für die Waldner, Montjoie und Reinach im provinziellen Rahmen möglich, so mußten andere Adelsfamilien sich mit weniger zufrieden geben. Einige besaßen kleinere Grundherrschaften. Den von Eptingen 126

127

128

129 130

AAEB Porrentniy, A 47, Mappe 28: Zehnte im Elsass. Nach einer Einnahmenaufstellung vom 7.2.1778 besaß der Bischof von Basel in 76 Dörfern Zehntrechte und in 52 Orten einschließlich der Stadt Colmar Renten (vgl. ebd. A 47, Mappe 27). Vgl. A. BEHRA: Der Zehnthof, S. 125 ff. Philippe-Antoine-Joseph-Ignace de Montjoie war in den Jahren 1729-1734 Kommandant des Deutschritterordens in der Komturei von Mülhausen und Rixheim (vgl. T. WALTER: Deutschritterorden, S. 54). Vgl. E. SITZMANN: Dictionnaire, Bd. 2, S. 317. Von Beifort aus wurden im Mai 1789 die Réclamations contre les droits Féodaux der Einwohner von Montjoie-Vaufrey nach Versailles geschickt (vgl. ANP, Ba 20, Hasse 29, doss.2, abgedruckt in: P. KESSEL: La Nuit du 4 août 1789, S.307 ff). ADHR, 1 B1025 (31). ADHR, 1 B 1054(17). Vgl. auch de NEYREMAND: Des anciens fiefs.S. 560. Dort ist eine Aufstellung aller seit 1690 geleisteten aveux et dénombrements beim Gerichtshof in Colmar abgedruckt (ebd. S. 550-560).

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gehörten die Dörfer Ober- und Unterhagenthal und die Hälfte des Schlosses Waldighofen. Sie wohnten im stark zerstörten Schloß Blochmont131. Die Edlen von Ferrette waren in zwei Linien gespalten. Eine besaß die Seigneurie Auxelles nordwestlich von Beifort und wohnte in Florimont, wo sie mit den Barbaud de Florimont das ganze 18. Jahrhundert hindurch um Abgaben, Patronatsrechten und schließlich um die Grundherrschaft selbst stritt. Kurz vor Ausbruch der Revolution wurde ihre Ausdauer belohnt: Hoch verschuldet und der ewigen Streitereien überdrüssig, verkauften am 30.3.1785 Françoise-Benoiste de Barbaud und ihr Mann François-Nicolas de Salomon den ihr noch verbliebenen Teil des Lehens Florimont an Philippe-Henry-Joseph-Béat-Xavier Baron de Ferrette132. Die Ferrette von Carspach besaßen die Dörfer Carspach und Bendorf, in den Orten Lutter und Oltingen das Niedergericht und die Schlösser Liebstein und Zillisheim, welche die letzte Erbin von Ferrette-Zillisheim zusammen mit dem Eigengut 1725 an ihre Verwandten in Carspach verkauft hatte. Diese wurden im September 1743 mit dem Lehen Zillisheim investiert133. Zuvor hatte der letzte männliche Nachkomme der Linie Zillisheim, Philippe-Jacques-Sébastien, den Intendanten in einem Mémoire vom 11.1.1717 um die Erlaubnis gebeten, seine Güter in Zillisheim und Thann, dessen jährliche Einnahmen er auf 400 bis 500 livres schätzte, an seinen Schwager Reich von Reichenstein veräußern zu dürfen. In Abweichung vom strengen Veräußerungsverbot königlicher Lehen, gab der Intendant seine Meinung an den Conseil d'Etat zur Entscheidung weiter: , j e me réduis à proposer qu'il plaise au Conseil, faire répondre au Sr de Ferrette sur son placet que S[a] M[ajes]té ne veut pas permettre que le fief puisse être vendu, ni aliéné, ce qui est absolument contraire à la nature de ces sortes de biens et pourrait tirer à conséquence, mais que si le Sr de Ferrette veut le faire passer au Sr de Reichenstein son beau frère, et que celuy cy soit dans le dessein de mettre ses Enfants dans le service, Sa M[ajes]té accordera cette faveur, aussitôt que le Sr de Reichenstein aura fait prendre ce party à l'un de ses fils"134.

In unmittelbarer Nachbarschaft zu den Edlen von Ferrette wohnten die Zu Rhein. Sie stammten ursprünglich aus Basel135, ebenso wie die von Eptingen und Bärenfels und waren seit dem 15. Jahrhundert im Elsaß begütert. Ihnen gehörte das Dorf Dornach, Rechte in Mülhausen und Ruelisheim und ein Viertel des Dorfes Niedermorschwiller. Jean-Sébastien Zu Rhein war einer der wenigen Adligen im Oberelsaß, der begeistert die Ideen der Französischen Revolu131 132

133 134 135

ADHR, 2 E 44. Vgl. F. WOLFF: Elsässisches Burgen-Lexikon, S. 27f. ADHR, 1 B 965, f° 572. Der Kaufvertrag wurde am 30.3.1785 in Florimont geschlossen, am 25.5.1787 paraphiert und schließlich am 18.8.1787 registriert. Uber die Verschuldung des Generals de Salomon vgl. J. JOACHIM: Le général Salomon, S. 67. ADHR, 1 B 997 (24). Vgl. E. SITZMANN: Zillisheim, S. 53. D'ANGERVILLIERS : Lettres écrites à la cour, S. 54 (Brief vom 22.3.1717). Sie stellten sowohl Bürgermeister als auch Bischöfe von Basel (vgl. K.J.SEIDEL: Das Oberelsaß, S. 62). Als die Stadt Basel zu Beginn des 15. Jahrhunderts die Religion wechselte, wurden sie vom Magistrat ausgeschlossen und von Habsburg und dem Bischof von Basel mit Ländereien im Sundgau entschädigt (vgl. SCHOEPFLIN: L'Alsace illustrée, Bd. 5, S. 768).

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tion annahm. Er stimmte für die Abschaffung der Titel und Privilegien und ließ zu, daß sein Eigentum ersatzlos veräußert wurde, was ihm neben großen Sympathien das Bürgerrecht als citoyen de Dornach einbrachte136. Obwohl die meisten alten Adelsfamilien keine bürgerlichen Einheiraten zuließen, suchten sie doch den Kontakt mit der städtischen Bourgeoisie. Die Kempf d'Angreth und die Ferrette besaßen in Cernay ein Haus137. Die Truchsess von Rheinfelden, von Berckheim, Rathsamhausen und Waldner von Freundstein residierten in großen Höfen in Ribeauvillé. Die Barbaud de Florimont und die Waldner von Freundstein hatten das Bürgerrecht in Mülhausen erworben, ebenso wie es die Bärenfels in Basel besaßen138. Die soziale Öffnung des Adels ist zweifelsohne ein Phänomen des 18. Jahrhunderts, wobei selbst alte Adelsgeschlechter nicht abseits standen, wenngleich ihr Wertkodex weiterhin den Traditionen verbunden blieb. Mit welch zäher Hartnäckigkeit daran festgehalten wurde, zeigt das Beispiel der Familie von Andlau-Wittenheim, einer Seitenlinie des berühmten Geschlechts von Andlau. Die von Andlau zählten nach Schoepflin zur ersten Familie der unterelsässischen Ritterschaft „par l'antiquité, le rang et la fortune"139. Sie besaßen umfangreiche Besitztümer in beiden elsässischen Landesteilen. Im 18. Jahrhundert waren die von Andlau in mehrere Linien aufgespalten, wobei die ältere Linie Andlau-Kingersheim 1783 und eine jüngere Andlau-Andlau 1770 ausstarben. Ein Zweig der Familie hatte sich sogar in Paris niedergelassen und nannte sich Andlau de Petit-Landau ou de Paris140. Die Familie Andlau-Wittenheim gehörte zur jüngeren Linie. Sie blieb auch nach dem Übergang an Frankreich auf ihren Gütern in Wittenheim und Ensisheim sitzen. Als treue Vasallen der Habsburger fand sie sich mit den neuen Machthabern nicht ab und überschüttete jene ihrer Standeskollegen, die sich mit den Franzosen arrangierten, mit abgrundtiefem Haß. Erst nach der Heirat der Habsburgerin Marie Antoinette mit dem französischen König erlaubte Ludwig Alexis von Andlau-Wittenheim seinem Sohn, in den französischen Militärdienst einzutreten. Nach dem Tode der Königsfamilie (1793) quittierte dieser seinen Dienst und trat ihn erst 1811 wieder an. Die Linie Andlau-Wittenheim erhielt Zulauf von antifranzösisch eingestellten Adligen oder von Personen, die vom Hof zeitweise verstoßen worden waren. Der Comte de Saint-Germain z. B. fand bei den Andlau Aufnahme in Lutterbach, bevor er 1775 wieder an den Hof zurückkehren konnte und zum Kriegsminister avancierte141. Gewiß war das ostentative Nichteinschwenken auf die französische Linie der Familie von Andlau-Wittenheim eher eine Ausnahme denn die Regel. Viel 136

ADHR,2 E223. Vgl. E. SITZMANN: Dictionnaire, Bd. 2, S. 1061. Vgl. J. DEPIERRE: Cernay, S. lOOf. Die Ferrette besaßen ein eigenes Haus und ein weiteres von der Familie de La Touche (vgl. ADHR, 1 B 997/24). 138 Vgl. N. EHRSAM: Der Stadt Mülhausen privilegiertes Bürgerbuch, S. 110,265-268. ,3 ' J. D. SCHOEPFLIN: L'Alsace illustrée, Bd. 5, S. 769. 140 Vgl. Une famille alsacienne à la Cour de Versailles, op.cit. E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 2, S. 15f. 141 Vgl. A. M. P. INGOLD: Les derniers d'Andlau-Wittenheim, S. 116-120. Vgl. ebenso L. MENTION: Le Comte de Saint-Germain et ses réformes, S. XLIX. 137

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schwieriger ist es festzustellen, inwiefern Familien aus der politischen Notwendigkeit eine Tugend machten und somit ihre Reserviertheit abstreifen konnten. Das Gros des Adels jedenfalls stand eindeutig auf der Seite Frankreichs. Die Aussöhnung mit der Krone wurde im 18. Jahrhundert auf breiter Basis vollzogen. Der neue Gegner des Altadels stand nicht über ihm sondern befand sich bereits auf gleicher Höhe oder strebte von unten nach: Gemeint sind die neuen Adelsfamilien.

2.4. Der eingewanderte Neuadel Die meisten Familien, die nach dem Übergang des Elsaß an Frankreich ins Land strömten und die im 18. Jahrhundert zur Aristokratie zählten, hatten ihr Adelspatent noch nicht in der Tasche. Sie mußten es sich erst verdienen, und dazu bot die Krone vielfache Gelegenheiten. Hoffnung und Betriebsamkeit auf der einen Seite und die Notwendigkeit, das zerstörte Land wieder aufzubauen, bedurften einer rationalen Konzeption und einer koordinierenden Hand. Die Rolle, die dabei den Intendanten zukam, ist deutlich herausgearbeitet worden142. Weniger bekannt ist der Anteil des Neuadels im 18. Jahrhundert. Johann-Daniel Schoepflin führt in seinem monumentalen Werk Alsatia Illustrata 51 Adelsfamilien auf, die nach der Annexion ins Land kamen, wobei er zu Recht die Familien außer acht läßt, die nur kurzfristige Militärstellen im Elsaß eingenommen hatten. Nach dieser Erhebung ließen sich 26 Familien im Oberelsaß nieder und 18 schrieben sich in die Matrikel der unterelsässischen Ritterschaft ein143. Schoepflins zeitgenössische Beobachtungen und Hinweise sind ein erster Anhaltspunkt, die effektive Zahl der Adelsfamilien aber, die nach der Annexion ins Land kamen, liegt bedeutend höher. Die adlige Immigration erfolgte nicht nur aus Innerfrankreich sondern nahm internationale Züge an: Die Mackau, Nardin, Poltier und Valcourt kamen aus dem heutigen Belgien, die Falkenhayn und Glaubitz aus Schlesien, die Löwenhaupt aus Schweden, die Rosen aus Litauen und die Gallahan, Dillon, O'Kelly und Ocahan aus Irland. Auch aus der benachbarten Schweizer Eidgenossenschaft konnten sich die Reuttner de Weyl in Dürmenach und die Besenval in Brunstatt langfristig im Elsaß etablieren. Ein beträchtlicher Teil der eingewanderten Familien verfügte bereits über ein Adelspatent und benötigte zur endgültigen Niederlassung nur noch die französische Naturalisation (lettres de naturalitê) sowie die königliche Bestätigung ihrer adligen Herkunft (lettres de confirmation de noblesse). Hohe politische Würdenträger der Stadt Straßburg wie der erste Prätor, Ulrich von Obrecht144, 142

143 144

Vgl. G. LIVET: L'Intendance d'Alsace, op.cit. passim. DERS. : Les intendants et leur oeuvre 1648-1789, op.cit. passim. DERS., in: Histoire de Strasbourg, Bd. 3, S. 326-337. Vgl. J. D. SCHOEPFLIN: L'Alsace illustrée, Bd. 5, S. 824-841. Die 1604 erfolgte Nobilitierung der Familie Obrecht wurde im Juni 1685 bestätigt (vgl. ADHR, 1 B 928, f° 86-89). Zu Ulrich von Obrecht vgl. I. STREITBERGER: Der königliche Prätor, S. 33-39.

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der Stettmeister Franz Wilhelm von Mackau145 sowie der ehemalige Geheimrat des Markgrafen von Baden-Durlach und spätere französische Botschafter am bayerischen Hof, Jean de Güntzer146, haben ihre französischen Karrieren auf diese Weise begonnen. Andere wie der Genfer Chevalier Jacques-André Lullin de Château-Vieux147 oder der Lothringer François du Raget de Champbonin148 benötigten die französische Adelsbestätigung für den Militärdienst. Wieder andere wie der Baron Louis de Sinclair ließen sich über eine Heiratsverbindung im Elsaß nieder149. Das Gros der Familien allerdings, das 1789 in so großer Zahl die adligen Ständeversammlungen bevölkerte, war bürgerlicher Provenienz und wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts aufgrund der Verdienste im Militär-, Verwaltungsund Wirtschaftsbereich nobilitiert. Die Faszination, die der Adel auf die bürgerlichen Kreise ausübte, war im Ancien Régime keineswegs rückläufig. Der Adelsstand erlebte im Gegenteil eine späte Renaissance, gefördert durch die Politik des Hofes. Die Krone hatte 1696 damit begonnen, Ordnung in die ständischen Verhältnisse zu bringen. Die häufigen Adelsusurpationen im 17. Jahrhundert machten eine Reorganisation des Standes unumgänglich. Der Zugang zum Adel sollte für Frankreich einheitlich geregelt werden, und neben dem traditionellen Weg über die einzelnen Staatsämter in die noblesse verfolgte die Krone das Ziel, den Briefadel, d. h. die Nobilitierung via lettres de noblesse, besonders zu fördern, und breiten bürgerlichen Schichten zugänglich zu machen. Die Adelspolitik Ludwigs XIV. führte auch im Elsaß zu nachhaltigen sozialen Veränderungen, denn das Bürgertum konnte sich nun ohne Angst in den Adel einkaufen. Der erste Erlaß in diese Richtung erging im März 1696. Aufgrund der politisch äußerst prekären Situation und infolge der angespannten Finanzlage bot der König den Verkauf von 500 Adelsbriefen an150. Die Begründung für diesen Schritt mutete sowohl für die königliche Zunge als auch für Leser aus dem Altadel gleichermaßer eigentümlich und ungewöhnlich an: 145

146

147 148

,49

150

Franz Wilhelm Mackau war am 16.9.1698 von Kaiser Leopold I. geadelt worden; die französische Bestätigung erfolgte im September 1701 (vgl. ANP, 156 AP I1). Ebenso CHEVILLARD: Dictionnaire des anoblissements, Bd. 4, f° 2. Zur Familie von Mackau vgl. C.de TOURTIER-BONAZZI (Hg.) : Correspondance d'Anette de Mackau, S. 10-11. Jean de Güntzer erhielt seine Bestätigung im Juni 1734 (vgl. ADHR, 1 B 956, f° 123-126). Kaiser Ferdinand II. hatte bereits seinen Vorfahren gleichen Namens am 1.9.1628 in den Adelsstand erhoben (vgl. K. F.von FRANK: Standeserhebungen, Bd. 2, S. 139). Adelsbestätigung im Mai 1785 (vgl. ADHR, 1 B 947, f° 227-231). Du Raget war aide majorin der Festung Neuf-Brisach. Die Adelsbestätigung erfolgte im Juni 1772 (vgl. ADHR, 1 B 946, f° 385-390). Die Familie stammte ursprünglich aus Lothringen, ließ sich aber im 17. Jahrhundert im Elsaß nieder (vgl. LA CHESNAYE-DESBOIS: Dictionnaire de la noblesse, Bd. 8, S. 709). Der Baron de Sinclair hatte die Comtesse de Linange geheiratet und ließ sich in Oberbronn nieder. Die gleichzeitige Naturalisierung und Adelsbestätigung erfolgte im März 1719 (vgl. ADHR, 1 B 953, f° 43-46). L.N.H. CHÉRIN: Abrégé chronologique, S. 213. Vgl. ebenso AM Colmar, AA 146 (1): „Edit du Roy portant annoblissment de 500 personnes dans le Royaume du mois de Mars 1696" ; ADBR, C134 (118) ; AM Straßburg, V, 51/89: „Copie d'une Létre (!) esente par Montseigneur de Pontchartrain, à Mr. de la Grange, le premier Mars 1696".

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Zur BinnendifTerenzierung der Adelsgesellschaft

„Si la noble extraction & l'antiquité de la race qui donnent tant de distinction parmi les hommes, n'est que le present d'une fortune aveugle, le titre & la source de la noblesse est un present du Prince [.. J"151.

Die zu erwartenden Einnahmen in Höhe von drei Millionen livres wollte der König einsetzen, „pour repousser les efforts abstinez de nos ennemis". Der ursprüngliche Kaufpreis in Höhe von 10000 livres152 wurde im August 1696 auf 6000 livres reduziert, und gleichzeitig wurde die Strafe für Adelsusurpateure auf 2000 livres festgelegt153. Im Elsaß machten zwei aufsteigende roturiers von dieser Möglichkeit Gebrauch: Im April 1697 wurde François-Louis Clebsattel, grand bailli der Stadt und Grafschaft Thann, und im Oktober 1701 Jean-Bastiste Klinglin vom französischen König nobilitiert154. Der staatliche Finanzbedarf war offenbar infolge der Kriegslasten stark angewachsen, denn im Mai 1702 wurde erneut ein Edikt verkündet, das 200 besonders ausgewählte Personen für den Adelsstand vorsah: „qui seront pareillement choisies parmy ceux qui se sont les plus distinguées pour notre Service, & par leur mérité, vertus & bonnes qualitéz"155..

Nach der Veröffentlichung des Ediktes im Elsaß kauften sich zwei Offiziere den Adelstitel: Im August 1704 Nicolas Trustett aus Brandenburg und im Mai 1705 Pierre de la Bassinière. Es bleibt bis heute höchst unklar, ob die offerierten lettres de noblesse überhaupt alle abgesetzt werden konnten156, denn im Oktober 1704 wurde die Anzahl der Briefe und die Höhe des Verkaufspreises aus dem Mai-Edikt von 1702 um jeweils die Hälfte reduziert157. Sicher ist, daß die Adelspolitik Ludwigs XIV. spätestens im Dezember 1711, als weitere 100 Briefe angeboten wurden158, an ihre Grenzen gestoßen war. Die Reaktion auf die inflationäre Titelpraxis blieb nicht aus: Nach dem Tode des Sonnenkönigs wurden alle seit dem 1. Januar 1689 ausgesprochenen Anoblierungen mit dem Edikt vom August 1715 annuliert. Allerdings war diese Verfügung mit einer wichtigen Einschränkung versehen, so daß die soeben Nobilitierten nicht um die Früchte ihrer kürzlich errungenen Standeserhöhung fürchten mußten. Im ersten Artikel hieß es: „[...] à la réserve de ceux qu'elle jugera à propos d'excepter, en considération de services importants rendus à l'État [.. .]"159. 151 152

153 154

155

156

,57 158 159

Ebd. Vgl. AM Haguenau, AA166 (155). Dies geht aus einem gedruckten Anschreiben des Intendanten de La Grange an den Magistrat der Stadt Haguenau hervor. ADHR, 1 B 2, f° 207 r°. Vgl. ebenso T. CRÉPON : Du Droit d'anoblissement, S. 34. Die Resonanz war im Burgund doppelt so hoch wie im Elsaß. Dort kauften von 1698 bis 1700 vier Bürgerliche den Adelstitel (vgl. J.d'ARBAUMONT: Les Anoblis de Bourgogne, S. 495). L.N.H. C H É R I N : Abrégé chronologique, S. 255. Vgl. ebenso ADHR, 1 B3,f° 24r° sowie AM Colmar, AA 146/2. Vgl. J. MEYER: La noblesse bretonne, Bd. 1, S. 311. Meyer fand heraus, daß lediglich 68 Briefe in ganz Frankreich abgesetzt werden konnten. Vgl. C. N. H. C H É R I N : Abrégé chronologique, S. 276f. Ebenso ADHR, 1 B 950, P 351 ff. Vgl. L. N. H. C H É R I N : Abrégé chronologique, S. 304. Ebd. S. 320.

Der eingewanderte Neuadel

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Auf diese allgemeine Formel konnten sich zur Not alle berufen. Die Krone unternahm bis zur Revolution keine weiteren Versuche mehr, einmal getroffene Entscheidungen in Nobilitierungsfragen zu revidieren bzw. einzuschränken. Im Gegenteil, mit dem Edikt vom April 1771 wurden alle seit 1715 vorgenommenen Adelsvergaben gegen Zahlung einer Sondertaxe ausdrücklich bestätigt160. Vermutlich haben die inzwischen im Elsaß etablierten Neuadligen diese Bestimmung sehr reserviert aufgenommen, denn im Jahre 1784 erfolgte eine wiederholte Aufforderung an alle säumigen anoblis, die Adelstaxe endlich zu begleichen161. Obwohl die Krone gegen Ende des 17. Jahrhunderts aus Gründen der Staatsräson mit ihrer neuen Adelspolitik in erster Linie pekuniäre Absichten verfolgte, läßt sich eine adäquate Grundhaltung bei der Vergabe der Adelstitel nicht feststellen. Von nur wenigen Ausnahmen abgesehen, wurden im Elsaß durch geschickte Regie der verantwortlichen Intendanten solide Adelsdiplome an verdiente Personen vergeben: Tabelle 4: Französische Standeserhebungen (lettres de noblesse) im Elsaß (1648-1789) DATUM

NAME

BERUF/HERKUNFT

QUELLEN

1655, April

BESENVAL (Martin) BARTH (Ignace)

Herr zu Byss und Didenheim Kgl. Staatsrat aus Haguenau Herr von Florimont und Hericourt Bürgermeister der Stadt Breisach Gouverneur von Freiburg, kgl. Kommandant auf der Ile d'Oleron Gouverneur von Bergheim

Adelslexikon 1,1972, 364.

1662, Dez.

BARBAUD (Gaspard) 1678, Sept. DISCHINGER (Jacques) 1679, März BARBIER (Laurent)

1675, März

1682, Jan. 1697, April

SÉGURET du Verger (LouisMelchisédech) CLEBSATTEL (François-Louis)

Grand bailli von Thann

1701, Okt.

KLINGLIN (Jean-Baptiste)

Kgl.Syndic in Straßburg

1704, Aug.

TRUSTETT (Nicolas) BASSINIERE (Pierre de la)

Capitaine aus Brandenburg Herr von Morvillars

1705, Mai

160 161

ADHR, 1 B 944, P155. BNP, N. H.27. ADHR, 1 B 440 (5/6). BNP, P.0.187. ADHH, 1 B 926, f° 18-20. AP. Barbier, 2 A 2 (1). Adelslexikon 1,1972, 213.

ADHR, 1 B 927, P84-87.

ADHR, 1 B 933, P 28-34. G A F II, 455. CHEVILLARD, Dict.des anobi., Bd.II, f°31. ADHR, 1 B 934, P 239-243. BNP, N.H.198. G A F 4, 381. CHEVILLARD: Dict. des anobi. Ili, P188. ADHR, 1 B 950, f°408-414. BNP, N. H.320. G A F VI, 365. ADHR, 1 B 950, f°481-484. BNP, N. H.27.^CHEVILLARD: Dict. des anobi. I, f°88.

Ebd. S. 393-398 (vgl. gedrucktes Exemplar in der BNUS: M 31881). AM Haguenau, AA134: arrétvom 29.7.1784.

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

Tabelle 4 Französische Standeserhebungen (lettres de noblesse) im Elsaß (1648-1789) DATUM

NAME

BERUF/HERKUNFT

1711, Mäiz

HATZEL (Jean-Gaspard)

Kgl. Syndic in Straßburg ADHR, 1 B 951, f°164-168.

1712, Okt.

ZOLLER (Jean-Frédéric)

Prévôt und Generalpächter der Gfs. Bitche Capitaine im Régiment d'Alsace

1716, Febr. TRUSTETT (Jean-Armand) 1731, Dez.

ANTHÈS (Jean-Henry)

WEBER (Philippe-Michel) GERVASY 1751, Jan. (Jean-François) 1755, Febr. GAYOT (François-Marie) 1755, Febr. GAYOT de Bellombre (Félix-Anne) 1755, März MARITZ (Jean) 1743, Okt.

1755, Dez. 1757, Feb. 1761, Aug.

Kommissar für Geschützwaffen in Straßburg Generalsekretär der Artillerie

RUË (Benoît-Pierre de la) CAMASSE aus Mannheim (Demoiselle Marie-Anne) DIETRICH (Jean) Eisenhüttenfabrikant

HOGGUER (Georges-Léonard) 1763, Febr. MAYERHOFFEN (Jean-GeorgeJoseph) 1768, April DIETRICH (Jean-Nicolas) 1770, Okt. PAPELIER (Jean-David) 1770, Dez. DOMECKER (Jean-François) BAER 1772, Mai (Charles-Frédéric) 1762, April

Unternehmer der Manufaktur für Stoßwaffen Klingenthal Grand bailli von Germersheim Dr. med. und Inspekteur der Militärhospitäler Kriegskommissar und subdélégué Armeelieferant

Major im Regiment Waldner

QUELLEN GAF IV, 278. CHEVILLARD: Dict.des anobi. III, P118. BNP, N. H.337. D. A. PELLETIER: Nobiliaire de Lorraine, 838.

ADHR, 1 B 952, P188-193. CHEVILLARD: Dict.des anobi. V, P186r°. ADHR, 1 B 939, P138-142. BNP, N. H.10. GAF I, 200. ADHR, 1 B 925, f°59. BNP, C.H.645. ADHR, 1 B 958, P518-521. BNP, N. H.154. GAF IV, 146. ADHR, 1 B 959, P321-325. BNP, N. H.290. Ebd.

ADHR, 1 B 959, P295-298. BNP, N. H.226. GAF IV, 531. ADHR, 1 B 942, f° 40-42. BNP, N. H.296. GAF VI, 101. ADHR, 1 B 959, P 506-508. BNP, N. H.79. ADHR, 1 B 959, P716-717. BNP, N. H.118. GAF III, 196. ADHR, 1 B 960, P117-120. BNP, N. H.188. GAF IV, 305.

Bailli von Saverne und Kochersberg

ADHR, 1 B 960, P127-129. ADBR, E 1076/11. BNP, N. H. 231.

Bankier

ADHR, 1 B 962, P514-518. BNP, N. H.118. ADHR, 1 B 961, f° 442-445. BNP, N. H.258. GAF V, 209. BNP, N. H.118

Archivdirektor

Capitaine im Régiment d'Alsace Mlle.SALOMON : Le pasteur Gesandtschaftsprediger in der schwedischen Bot- alsacien, 435. schaft in Paris

Der eingewanderte Neuadel

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Tabelle 4 Französische Standeserhebungen (lettres de noblesse) im Elsaß (1648-1789) DATUM

NAME

BERUF/HERKUNFT

QUELLEN

1772, Dez.

GAU (Louis-Antoine)

Unternehmer der kgl. Manufaktur in Klingenthal

ADHR, 1 B 961, f° 550-553. BNP, N. H.150. G A F IV, 116.

1774, März

BARTH (Jean-Joseph) KEMPFER (Jean-Baptiste)

1775, April 1778, Jan. 1778, Jan. 1778, Aug. 1781, April 1783, Jan. 1783, Juli 1783, Dez. 1785, Juni 1786, Juli

GÉRARD (Conrad-Alexandre) GÉRARD de Rayneval (Joseph-Mathias) DARTEIN (Jean) CAPPE (Charles-Louis) FRANCK (Philippe-Jacques) GOETZ (François-Ignace) GÉRARD (Jean-Claude) BREK (Jean) GÖLL (Jean-Jacques)

Kgl. bailli in Haguenau Kriegskommissar Kgl. Staatsrat

ADHR, 1 B 944, P155-159. BNP, N. H.27. G A F I, 381. ADHR, 1 B 962, P306-310. BNP, N. H.196. GAF IV, 367. ANP, M 445 (3). ADHR, 1 B 944, f° 403-404. BNP, N. H.153.

Diplomat

ADHR, 1 B 946, f° 341-342.

Generalsekretär der Artillerie Kriegskommissiar

ADHR, 1 B 944, f°429-430. BNP, N. H.U4. G A F III, 148. ADHR, 1 B 963, f° 389-392. BNP, N. H.80. G A F II, 323. ADHR, 1 B 964, P186-189. BNP, N. H.143. G A F IV, 60. ADHR, 1 B 965, P78-82. BNP, N. H.157. GAF IV, 170. ADHR, 1 B 946, f° 341 -345.

Kaufmann und Bankier Dr. med. und Magistrat von Straßburg Bailli von Ferrette Architekt und Festungsbauunternehmer Präsident der württ. Regierung in Montbeliard

ADHR, 1 B 947, P347-350. BNP, N. H.67. G A F II, 250. ADHR, 1 B 947, f°491-494. BNP, N. H.158. G A F IV, 171.

Abkürzungen: GAF = Henri Jougla de Morenas: Grand Armoriai de France, 6 Bde. u. Suppl. Bd., Paris 1934-1952. ADHR = Archives départementales du Haut-Rhin, Colmar BNP = Bibliothèque Nationales, Paris N.H. = Nouveau d'Hozier C.H. = Cabinet d'Hozier P.O. = Pièces originales

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

Im Zeitraum von 1648 bis 1789 gelangten 40 elsässische Personen durch lettres de noblesse in den Adelsstand. Das entspricht zwar nur einer Jahresquote von 0,28 Briefen pro Jahr, aber andererseits umfaßt diese Menge zwei Drittel der 1681 eingeschriebenen unterelsässischen Ritterschaftsmitglieder. Im innerfranzösischen Vergleich nimmt das Elsaß eine mittlere Position ein: Die Höhe der ausgestellten Adelsbriefe entsprach etwa derjenigen in der Bretagne. Dort wurden im Zeitraum von 1715 bis 1788 nicht mehr als 41 Personen durch Brief nobilitiert162, dagegen in Aix-en-Provence allein 131 in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts163. Vergleicht man die Anzahl der elsässischen Adelsbriefe im Zehnjahresrhythmus, so ergeben sich interessante Aufschlüsse: Ihre Zahl bleibt zunächst kontinuierlich mit einem Brief pro Jahrzehnt, steigt dann in den siebziger Jahren des 17. und im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts (je drei lettres) leicht an und verzeichnet schließlich einen steilen Aufschwung im Zeitraum von 1750-1759 (sechs Briefe) zum Höhepunkt in den siebziger Jahren (neun Briefe) und pendelt sich im Jahrzehnt vor der Revolution auf sechs lettres de noblesse ein. Besonders kennzeichnend ist der statistische Befund für das 18. Jahrhundert: Im Vergleich zur Zeitspanne von 1701 bis 1750 (8 Briefe), verdreifacht sich die Zahl der Nobilitierungen ab 1751 bis zur Revolution (25 Briefe). Von einer Abschottung des Adels oder einer sogenannten réaction aristocratique am Ende des Ancien Régime kann im Elsaß keine Rede sein164. Die meisten der ausgezeichneten Personen rekrutierten sich aus dem königlichen Verwaltungsbereich, und zwar 22 (55%), gefolgt von sechs Offizieren im Militärdienst (15%) und vier Industriellen (10%). Zwei Bankiers, zwei Grundherren, zwei Ärzte (jeweils 5%) sowie ein Kleriker vervollständigen die Gruppe des Neuadels. Als einziges Kuriosum fällt die Adelserhebung der bekannten „danseuse" an der Mannheimer Oper, Marie-Anne Camasse, aus dem Rahmen. Sie war die Tochter eines Schauspielers am Straßburger Theater und wurde in jungen Jahren die Geliebte des Herzogs Christian IV. von Pfalz-Zweibrücken. Auf Fürsprache der Madame Pompadour offiziell geadelt, ging sie im September 1757 unter großem Pomp in Paris eine morganatische Ehe mit dem Herzog ein und avancierte zur „noble Mademoiselle Camasse, Comtesse de Forbach, née à Strasbourg"165. Mit dem Neuadel trat ein modernes, progressives Element in die bislang hermetisch abgeschlossene elsässische Adelsgesellschaft ein. Eine bürgerliche, an Arbeit, Erfolg und Reichtum orientierte Ideologie breitete sich aus und ersetzte ,62

163 164 165

Vgl. J. MEYER: La noblesse bretonne, Bd. 1, S. 427. Zum Vergleich wurden im Pays de Caux von 1641 bis 1789 insgesamt 55 lettres de noblesse (davon 5 confirmations) vergeben (vgl. G. LEMARCHAND: La fin du fêodalisme, S. 708). Vgl. M. CUBELLS: La Provence des Lumières, S. 40. Vgl. zu dieser Kontroverse W. DOYLE : Was there an Aristocratie Reaction, S. 97 ff. Vgl. P. MARTIN: Le Prince et la Danseuse, S.24. Vgl. ebenfalls A.Prinz von BAYERN: Der Herzog und die Tänzerin. Neustadt/Weinstraße 1966, S. 12ff.

Der eingewanderte Neuadel

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Zug um Zug die alte auf Geburt basierende Adelsideologie. Die Krone stand dieser Entwicklung nicht ablehnend gegenüber, vielmehr steuerte und förderte sie die neuen bürgerlichen Ambitionen. Am Beispiel ihrer Nobilitierungspolitik im langen Zeitraum vom Westfälischen Frieden bis zur Revolution wird dieser inhaltliche Wandel deutlich. Noch in der zweiten Hälfte des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts rekrutierten sich die anoblis zum größten Teil aus dem militärischen Umfeld. Jacques Dischinger, Laurent Barbier, Séguret du Verger, Nicolas Truste« und sein Neffe Jean-Armand Trustett sowie Pierre de la Bassinière wurden allesamt in Anerkennung ihrer langjährigen Militärdienste geadelt und mit Veteranenposten in der Militärverwaltung abgefunden. In diese Generallinie passen auch grundsätzlich die Ernennungen von Jean-Baptiste Klinglin und Jean-Gaspard Hatzel, die als treue Gefolgsleute der Krone die Standeserhöhung für ihre Karriere nutzen wollten. Mit der Nobilitierung von Jean-Henry Anthès im Dezember 1731 leitete die Krone eine Wende ihrer Adelspolitik im Elsaß ein, die sie - von wenigen Ausnahmen abgesehen - konsequent bis zur Revolution weiterverfolgte. Von diesem Zeitpunkt an wurden fast ausschließlich Personen nobilitiert, die sich neben ihrer loyalen Haltung zum franzöischen König vor allem durch ihre speziell beruflichen Qualifikationen profiliert hatten. So wurde der Industrielle Jean-Henry Anthès, der mit seiner Familie erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts ins Elsaß gekommen war, für seine Verdienste beim Aufbau einer Manufaktur für Hieb- und Stoßwaffen in Klingenthal anobliert. Er hatte erst anderthalb Jahre zuvor das königliche Monopol zum Bau der Waffenfabrik erhalten166. Mit der Errichtung dieser Manufaktur verband die Krone ein doppeltes Ziel: Zum einen wollte sie die Versorgung der eigenen Truppen sicherstellen und zum anderen sollte die Unabhängigkeit von den Solinger Waffenerzeugnissen erreicht werden. Deshalb war die Verleihung des Adelstitels an bestimmte Auflagen gebunden, was eigentlich ungewöhnlich war: „Les lettres portent que Jean Philippe Anthès, fils dudit Henry, pourra après la mort de son père et même conjointement avec lui pendant survie, exploiter ladite manufacture, afin d'assurer le succès d'un établissement aussi considérable, pour l'utilité et le bien du service de Sa Majesté" 167 .

Die Startbedingungen erwiesen sich für Jean-Henry d'Anthès alles andere als günstig, mußte er doch preislich mindestens 10% unter den Solinger Klingen bleiben. Nach dem plötzlichen Tod des Gründers (1733) gab die Familie im Jahre 1738 die Manufaktur in Klingenthal auf und wechselte auf die Herstellung von Weißblech nach Oberbruck. Für die Krone blieb der Aufbau einer eigenen Waffenindustrie von eminenter Bedeutung. Im Dezember 1772 nobilierte sie mit Louis-Antoine Gau einen seit 1765 in Klingenthal äußerst tatkräftigen Nachfolger von d'Anthès. Gaus Verdienste um den Aufbau einer konkurrenzfähigen

M 167

Vgl. die lettres patentesvom 15. Juli 1730 in DE BOUG: Ordonnances d'Alsace, Bd. 2, S. 48. ADHR, 1 B 961, r 140. Vgl. CHEVILLARD: Annoblissements de France, f° 92.

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

französischen Waffenindustrie werden im Adelspatent besonders hervorgehoben: „II a non seulement rempli l'objet (de relever la manufacture et de la porter à la perfection) à force de soins et de dépenses de manière que les ouvrages qui sortent de cette manufacture, sont de beaucoup supérieurs à ceux de celle de Solingen; mais encore il a fait des découvertes qui attirent en France une branche de commerce qui n'était autrefois que chez l'étranger"168.

Fortan nannte sich die Klingenthaler Fabrikantenfamilie Gau des Voves169. Elf Jahre zuvor war der elsässische „Eisenkönig", Jean Dietrich, in den französischen Adelsstand gehoben worden. Der Aufbau einer Eisenhüttenindustrie stand in engem Zusammenhang mit militärstrategischen und logistischen Gesichtspunkten, die im Elsaß aufgrund seiner Grenzlage eine große Rolle spielten. Dieser Umstand führte dazu, daß eine ganze Reihe von Artilleriespezialisten im Laufe des 18. Jahrhunderts ihr Tätigkeitsfeld und somit ihren Wohnsitz ins Elsaß verlegten. Noch vor Dietrich erhielt ein weiterer Waffenproduzent seinen Adelsbrief. Jean Maritz war von 1740 bis 1761 als Generalbevollmächtigter für Geschützwaffen (commissaire général des fontes de l'artillerie) in Straßburg tätig und baute dort neben Douai und Toulon (Marine) ein weiteres Zentrum der französischen Waffenproduktion auf. Er stammte aus Bürdorf im Kanton Bern und wurde im März 1755 für seine Verdienste beim Aufbau der Gießerei in Rochefort ausgezeichnet. Maritz hatte sich vor allem bei der Weiterentwicklung der Waffentechnik hervorgetan und ein besonderes Fabrikationsverfahren entwickelt, nach dem gedrillte Kanonen ohne Nut in Gußform hergestellt werden konnten. Die exzellenten Fähigkeiten des Jean Maritz kamen nicht nur beim technischen Know-how zum Ausdruck, die Krone honorierte ebenfalls die zukunftsweisende Wissensübermittlung an eine neue Generation: „II a fait part de ses connaissances à des jeunes fondeurs qui peuvent à present nous être utiles des Services aussi considérables dont nous pouvons tirer les plus grands avantages sur terre et sur mer"170.

Fast gleichzeitig mit Maritz wurde Benoît-Pierre de la Ruë im Dezember 1755 aufgrund seiner 23jährigen Tätigkeit im Artillerie-Bereich nobilitiert171. Auch Maritz' Nachfolger im Amt, Jean Dartein, der aus der Umgebung von Bordeaux stammte, brachte die gleiche Tätigkeit und Innovationsgabe im August 1778 den Adelstitel ein. Mit Verweis auf seine besondere Fähigkeit in diesem Bereich sowie auf den vierzigjährigen Dienst hieß es im Adelsbrief :

168 169

170 171

ADHR,1 B 9 6 1 , P 551. Vgl. N. D. B. A., S. 1122. Zum beinahe zwanzigjährigen wirtschaftlichen Engagement Louis-Antoine Gaus in Klingenthal vgl. P . A . H E L M E R : La manufacture d'armes blanches, in: R.A. 53 (1902), S. 449 ff. ADHR, 1 B 959, f° 296. BNP, N. H. 296.

Der eingewanderte Neuadel

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„Voilà pour quel motif nous croyons devoir annoblir Notre cher et bien aimé Sr JEAN DARTEIN, Commissaire général des fontes de l'Artillerie au Département de Strasbourg, à qui l'art de fondre les canons doit une partie de la perfection où il est parvenu dans ce Siècle. Nous le jugeons d'autant plus digne de cette grâce [...] qu'à la considération des Services qu'il a rendus pendant une suite de quarante années dans les Départements de la Marine et de la Guerre qui successivement ont employé ses talents [.. .]"172.

Die NobilitierungenderbeidenArmeelieferantenundKriegskommissareJean-Baptiste Kempfer (April 1775) und Charles-Louis Cappe (April 1781 ) sowie des Heereslieferanten und Festungsbaumeisters in Breisach, Jean Brek (Juni 1785), runden den Personenkreis der militärlogistischen Führungselite im 18. Jahrhundert ab. Neben diesen für die Landesverteidigung wichtigen Fachleuten vergab die Krone Adelspatente an Ärzte, Diplomaten, Kaufleute und Bankiers. Im Januar 1751 wurde Jean-François Gervasy, Doktor der Medizin und Inspekteur der Militärkrankenhäuser im Elsaß, vom König nobilitiert. Der renommierte Arzt hatte sich in Paris auf Infektionskrankheiten spezialisiert und kurierte als Leibarzt des Kardinals Rohan in den zwanziger Jahren gleich zweimal Voltaires gefährliche Blatternerkrankung173. Ähnliche Erfolge konnte er auch bei der ärztlichen Behandlung der Herzogin von Berry und bei der Bekämpfung der Pest in der Languedoc erzielen, woraufhin er geadelt wurde174. Seine neuen Erkenntnisse und Vorsorgemaßnahmen im Bereich der weitverbreiteten Kindbettkrankheiten legte er 1755 in dem Buch über die Anfangs-Gründe der Wund-Artzney-Kunst und Unterrichtfiirdie Hebammen nieder175. Ebenso wie Gervasy hatte sich auch der aus Gueberschwihr im Oberelsaß stammende François-Ignace Goetz im medizinischen Bereich profiliert. Im Adelspatent wurden vor allem die Erfolge bei der Impfung gegen Windpocken und die zahlreichen chirurgischen Experimente hervorgehoben176. Goetz hatte seine akademische Ausbildung in Colmar und Straßburg erhalten und führte 1780 auf ausdrücklichem Wunsch des Königs Impfungen bei der Madame Elisabeth in Versailles durch. Zwei Jahre später betreute er die königlichen Prinzen und Prinzessinnen in ihren piemontesischen Erholungszentren und wurde aufgrund seiner großen Impferfolge an mehr als 35000 Personen zum korrespondierenden Mitglied der Turiner Akademie der Wissenschaften berufen177. Mit dem Kaufmann und Bankier, Philippe-Jacques Franck (1755-1789), wurde im Januar 1783 eine seit Generationen in Straßburg ansässige und unternehmerisch äußerst aktive Patrizierfamilie in den französischen Adelstand erhoben. Bereits der gleichnamige Vater des Anoblierten, Philippe-Jacques Franck (1715-1780), hatte sich als königlicher Heereslieferant für Tuch und Stoffe mit Zweigniederlassungen in Lyon und Marseille einen Namen gemacht. Der Sohn heiratete die Tochter des Straßburger Bankiers Jean de Turckheim und führte 172 173 174 175 176 177

ADHR, 1 B 944, r 429. Vgl. Abbé de DARTEIN: Jean-Baptiste de Dartein, S. 413. Vgl. VOLTAIRE: Correspondance, Bd. 1, S. 122ff., S. 169ff. ADHR, 1 B 958, f° 518. Vgl. E.SITZMANN: Dictionnaire, Bd. 1,S. 601. Ebenso N.D.B.A., Bd. 2,S. 1177. ADHR, 1 B 965, f° 79. Vgl. E. SITZMANN: Dictionnaire, Bd. 1, S. 617. Ebenfalls N.D.B.A, S. 1221 f.

78

Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

diese erfolgreiche Familientradition fort. Zwar war er zusammen mit seinem Vater bereits drei Jahre zuvor vom Kaiser nobilitiert worden, aber die Krone konnte auf seine Dienste und europäischen Handelsverbindungen nicht verzichten. In der Hauptsache handelte er mit Leinen und Tuch, die er in mehreren Fabriken und Manufakturen im Elsaß herstellen ließ. Seine Geschäftsverbindungen erstreckten sich über Deutschland und Polen bis nach Rußland178. Über ähnlich gute Verbindungen wie die Familie Franck im Finanz- und Handelsbereich verfügte die Familie Gérard in der Verwaltung und Diplomatie, über die sie in die höchsten Staatsstellungen vorrücken sollte. Conrad-Alexandre Gérard (1729-1790) und sein jüngerer Bruder Joseph-Mathias Gérard de Rayneval (1736-1812) wurden im Januar 1778 für ihre gemeinsamen Verdienste im auswärtigen Diplomatendienst anobliert. Conrad-Alexandre war als Protégé der einflußreichen Familie von Rosen mit den Familien Broglie, Choiseul und Grammont in Kontakt getreten. Als Botschaftssekretär sammelte er ab 1761 am Wiener Hof die ersten Erfahrungen, bevor er fünf Jahre später zum premier commis des Außenministers Vergennes aufstieg. Durch diesen inspiriert, interessierte er sich zunehmend für die amerikanisch-englische Auseinandersetzung in Nordamerika und arbeitete tatkräftig an der neuen transatlantischen Allianz. Unmittelbar nach seiner Nobilitierung steuerte er den Höhepunkt seiner Karriere an: Am 6. Februar 1778 unterzeichnete er gemeinsam mit den Kongreßdeputierten Franklin, Lee und Deane den französisch-amerikanischen Freundschafts- und Handelsvertrag, und knapp zwei Monate später wurde Conrad-Alexandre zum ersten französischen Botschafter in Amerika ernannt, „auprès du Congrès général de l'Amérique septentrionale"179. Diese diplomatische Glanzleistung dankte ihm der König mit der Ernennung zum Grafen von Munster. Auch sein Schwiegervater Hector Grossart de Virly konnte sich den politischen Erfolgen seines Schwiegersohnes nicht entziehen: Grossart resignierte umgehend in seinem Amt als secrétaire du roi zu Gunsten Gérards180. Dessen Bruder JosephMathias startete eine ähnliche Karriere. Nach dem Rechtsstudium in Freiburg und Straßburg durchlief er die üblichen diplomatischen Stationen: Legationssekretär in Dresden, Geschäftsträger auf dem Reichstag in Regensburg, 1768 in Polen und anschließend Konsul in Danzig. 1774 nach Versailles zurückberufen, vertrat er seinen Bruder im Außenministerium und unterzeichnete 1783 den Frieden mit England in Paris. Um sich von seinem Bruder abzuheben, nannte er sich ab 1774 Gérard de Rayneval, nach einem Ort in der Picardie, der zum Besitz seiner vermögenden Ehefrau gehörte181. Unter den bürgerlichen Aufstei178 179 180 181

Vgl. N. D. B. A., S. 1003 f. Vgl. C. SAUTER/P. BEDEL: Conrad-Alexandre Gérard, S. 81 ff. Ebenso N. D. B. A., S. 1l49f. C. FAVRE-LEJEUNE: Les secrétaires du Roi, Bd. 2, S. 617. Vgl. C. SAUTER/P. BEDEL: Conrad-Alexandre Gérard, S. 96. Joseph-Mathias war seit 1776 mit Sophie-Marie-Adelaide Gaucherei, der Tochter eines conseiller und trésorier du roi, verheiratet. Die Familie des Schwiegervaters mußte durch den Bankrott der von Rohan-Guémenée im Jahre 1782 große finanzielle Einbußen in Kauf nehmen (ebd. S. 97).

Der eingewanderte N e u a d e l

79

gern fand die Krone im Ancien Régime ihre treuesten Anhänger. Hatte sich eine Familie besondere Verdienste erworben, sparte sie nicht mit Gunstbeweisen wie das Beispiel der Familie von Besenval zeigt. 1726 erhob Ludwig XV. in Anerkennung der diplomatischen Erfolge des Freiherrn Jean-Victor de Besenval in Sachsen und Polen dessen Herrschaft Brunstatt zur Baronie182. Ein Jahr später gab der König die Erlaubnis zur Umwandlung der Herrschaft in ein Lehen183. Die Fachkompetenz, der berufliche Einsatz und Wille, die Allianzen und das nötige Kapital bildeten die Grundlage für die Nobilitierung. Besondere Gunst wurde all den Familien zuteil, deren Einsatz für den franzöischen König das normale Maß überschritt. In diesen Fällen kam der Erfolg auch den Familienmitgliedern zugute, wie es etwa die Doppelanoblierungen sowohl der Straßburger Prätorenfamilie Gayot als auch der Industriellen von Dietrich zeigen. Diese wiederum wurden nur noch übertroffen von der Diplomatenfamilie von Gérard, die es im 18. Jahrhundert sogar auf drei Nobilitierungen brachte. Die auf Talent und Leistung zielende Politik der Krone kommt auch im Vokabular der lettres de noblesse zum Ausdruck. Während in den Adelsbriefen des 17. Jahrhunderts die adligen Wertkategorien honneur, vertu und vivre noblement im Vordergrund stehen, dominieren ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die bürgerlichen Attribute mérite, talent, activité, intelligence, connaissance und fortune184. Der Adelsbrief für den Festungsbaumeister Jean Brek schloß als Begründung für die Nobilitierung im Jahre 1785 mit dem Satz: „ [ . . . ] enfin il jouit d'une fortune qui le mettre en état de soutenir dignement le rang" 185 .

In diesem Satz kommt die ganze Adelsprogrammatik der Krone am Ende des Ancien Régime zum Ausdruck. Sie mußte auf diejenigen Rücksicht nehmen, die kompetent und reich geworden waren und nun danach verlangten, sowohl mächtig zu sein als auch sozial respektiert zu werden. In der Verbindung von fortune und rang lag die Chance einer Elitenfusion, die die Krone bewußt förderte, und auf deren Funktionieren sie sich berechtigte Hoffnungen machen durfte. Was das elsässische Bürgertum auf direktem Weg beim französischen Souverän nicht erreichte, holte es sich beim Kaiser oder bei den deutschen Landesfürsten. Die kaiserlichen Erhebungen in den Adelsstand hatten gegenüber dem französischen Nobilitierungsmodus aus der Sicht der Bourgeoisie entscheidende Vorteile: Sie waren oft billiger und einfacher zu erlangen und nicht an politische Optionen gebunden. Die Anzahl der „Deutschen Standeserhebungen" im Elsaß überschritt daher bei weitem den französischen Aristokratisierungsstandard wie aus der nachfolgenden Tabelle ersichtlich wird: 182

,83 184 185

Vgl. DE BOUG: Ordonannce d'Alsace, Bd. 2, S. 5 f. Besenval hatte 1718 in Polen die Tochter des Starosten von Marienburg, Katharina Bielinska, geheiratet. Diese war eine Verwandte von Maria Leszczynska, der späteren Königin von Frankreich, wodurch Besenval ein Verwandter des französischen Königs wurde. StB Trier, Ms 1307/521, P 245° ff. Vgl. dazu G. CHAUSSINAND-NOGARET: Aux origines de la Révolution, S. 267-270. ADHR, 1 B 947, P 348.

80

Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

Tabelle 5: Deutsche Standeserhebungen im Elsaß (1648-1789) NAME

BERUF/HERKUNFT

QUELLE

SCHEIDT (Andreas)

Amtschaffner des Domstiftes Straßburg zu Oberkirch

FRANK IV, 239.

1658,31.08.

SCHMIDBURG

Reichshofrat

FRANK IV, 260

F

1660,22.08.

(Johann Christoph von) PFIRT (Johann Reinhardt von)

vorderösterr. und franz.Regimentsrat

M. GRITZNER: Standes- Erhebungen, S. 408.

P

1661,12.01.

WIELAND (Johann Heinrich)

Dr.jur, Rat und Syndicus der untereis. Ritterschaft FRANK V, 216.

P

1661,29.08.

REBHAN (Johann)

Dr.jur., Prof.zu Straßburg

F

1661,03.11.

F

1665,01.12.

DATUM A 1649,16.03.

F

GAIL (Franz Egon von) LUTZELBURG (Weigand von)

Rat des Herzogs V.Lothringen und des Bischofs v.Straßburg in Saverne Oberst und kurf.sächsischer Rat und Kammerherr

FRANK II, 63. FRANK III, 167.

A 1666,31.08.

GRUNDSCHÜTZ (Mathias)

F

1668,02.05.

SCHÖNAU-WEHR (Johann Dietrich von und zu)

F

1671,22.09.

KAGENECK (Johann Friedrich von)

Geheimrat und Statthalter der vorderösterr. Lande

FRANK III, 2. H.J. v.KAGENECK: Familie von Kageneck, S. 10.

A 1674,16.09.

ZOLLER (Jacob)

Agent des Herzogs Karl IV.v.Lothringen in Straßburg

FRANK V, 277. D. A. PELLETIER: Nobiliaire de Lorraine, S. 838.

F

ANDLAU (Maria Rudolph von)

kaiserl.Hauptmann und Kommandant der Festung Vesprim Herr zu Wittenheim

FRANK I, 21.

1676,16.03.

ANDLAU (Wolfgang Louis von) ANDLAU (Ernst Friedrich von)

Rat bei den Hochstiften Straßburg und Halberstadt Forstverwalter d. Herrschaft Hauenstein

FRANK IV, 148.

FRANK II, 135.

FRANK IV, 265.

Rat des Bischofs von Basel und Obervogt zu Delemont

A 1676, 10.08.

SCHULTZ (Philipp)

FRANK IV, 280. Abgeordneter von Straßburg und Erfurt am Reichstag

F

WANGEN (Franz Christoph von und zu)

kaiserl.Reichshofrat

1678,07.05.

FRANK V, 186.

Der eingewanderte Neuadel

81

Tabelle 5 Deutsche Standeserhebungen im Elsaß (1648-1789)

F

DATUM

NAME

BERUF/HERKUNFT

QUELLE

1681, Juli

WESSENBERG (Johann Franz von) GELB (Franz) HAMMERER (Johann Carl) BESENWALD (Johann Victor von)

Landhofmeister und Rat d.Bischofs v.Basel kaiserl.Hauptmann Dr.med.in Straßburg

FRANK V, 209.

Herr zu Biss und Riedenheim

FRANK I, 83. L. R. SCHMIDLIN: Roll, S. 147.

BESENWALD (Peter von) BESENWALD (Carl Joseph von)

Rat des Fürstabtes v.St.Gallen Hauptmann, Vogt zu Bechburg/Schweiz [Brüder] Hauptmann [Vetter]

R 1685,27.11. A 1690,14.08. F

1695,24.01.

F

1695,25.07.

F

1696,25.04.

R 1697,25.03. A 1698,16.09. F

1700,02.06.

F

1706,17.05.

A 1713,03.09. R

1714,20.12.

A 1715,29.08.

R 1717,23.03. A 1719,18.02. R 1719,11.10.

BESENWALD (Franz Joseph von) BETTENDORF (Adolf Johann Carl von) BAADEN (Franz Benedict von) OBERLIN auf Mittersbach (Johann Theobald) MACKAU (Franz Wilhelm) ICHTRATZHEIM (Franz Ruprecht von) SICKINGEN-HOHENBOURG (Ferdinand Hartmann von) RUTH (Johann Theodor) MENG (Franz Joseph)

kurf.mainz.geh.Rat und Oberamtmann zu Königstein Comtur des Deutschen Ritterordens im Elsaß und Burgund fürstl.passauischer Hofund Kammerrat

Direktor der Reitschule in Straßburg Panierherr von und zu Hochfelden kaiserl.Hofrat und Gouverneur von Freiburg Rat des Domstiftes und Capitels zu Straßburg kaiserl. Oberst, aus Borsch im Elsaß SCHWENGSFEUER zu Rat des Hzgs.von SCHWENGSFELD Pfalz-Birkenfeld (Christian) SCHWENGSFEUER zu SCHWENGSFELD (Johann Georg) [Brüder] BRUNCK (Anton Kanzler des Fürststiftes Richard) Murbach BEYERLE zu Bürger von Prag Stollhoffen (Georg Joseph) BARTENSTEIN niederösterreich.Regie(Johann Christoph) rungsrat

FRANK II, 79. FRANK II, 160.

FRANK I, 84.

FRANK I, 41.

FRANK IV, 1.

ANP 156 AP I1. G A F IV, 495. FRANK II, 248. FRANK V, 1 f.

FRANK IV, 208. FRANK III, 226. FRANK IV, 289.

FRANK 1,134. BNP, N. H.41.

O. BARTENSTEIN: Familiengeschichte, S. 52.

82

Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

Tabelle 5 Deutsche Standeserhebungen im Elsaß (1648-1789) DATUM R 1723, 12.06.

R 1726, 27.04.

NAME

BERUF/HERKUNFT

QUELLE

BINDER von KRIEGELSTEIN (Johann) BINDER von KRIEGELSTEIN (Ludwig) GÜNTHER von Stemegg (Johann Caspar)

kaiserl.wirkl.Hofrat

FRANK I, 92.

A 1729, 08.08.

DROZ (Wilhelm)

F 1733, 03.02.

BARTENSTEIN (Johann Christoph von) MARX (Johann Friedrich) SPON (Johann Franz von) EPPE-SAUVAGE (Jacob Claudius)

A 1735, 08.02. F 1742, 06.03. R 1744, 14.03. A 1749, 12.04. A 1756, 07.12.

R 1757, 24.11. F 1759, 23.06.

F 1762, 09.10.

A 1762, 20.10. A 1763, 21.04. A 1763,11.09. A 1763, 03.12.

BARTH (Johann Jacob) REISSENBACH (Johann Sigmund) REISSENBACH (Johann Bernhard) REISSENBACH (Johann Philipp) FRIES (Johann) KEMPF d'ANGRETH (Bernhard Dismas von) KEMPF d'ANGRETH (Ignaz Franz von) DIETRICH (Johann von) DIETRICH (Johann Niclas) PAPELIER (Johann David) GAMBS (Maria Salome) GÖLL (Johann Jacob) SALZMANN (Friedrich Rudolf)

kurpfälz.Rat kais.Hof- und Leibapo- FRANK II, 139. theker, Sohn des ehem.Bürgermeisters von Schlettstadt aus Cambray, Bürger zu FRANK I, 243. Straßburg kais.Hofrat pfalz-zweibr.Amtmann kais.geh.Sekretär

FRANK I, 55. FRANK III, 200. FRANK V, 31.

aus Roppe, Oberbeamter FRANK I, 279. der Lutterbachen Herrschaften kurmainz.Hofkammerrat FRANK I, 55. fstl.heitersheim.Hofrat FRANK IV, 159. fstl.steirischer Forstmeister fstl.heitersheim. Amtmann zu Hainsbach kaiserl.Kommerzialrat Hofrat und Hofkommissär in den niederungarischen Bergstädten Hofrat und Referendar im Bergwesen Herr zu Reichshoffen

A.V.FRIES: Die Grafen von Fries, S. 104 ff. FRANK III, 18.

FRANK I, 231.

Ratsbürger zu Straßburg hzgl.pfalz-zweibr.Kanzler aus Straßburg hzgl.württ.Regierungsrat Syndikus der Kraichgauischen Reichsritterschaft

FRANK IV, 33. FRANK II, 67. FRANK II, 105. FRANK IV, 219.

Der eingewanderte Neuadel

83

Tabelle 5 Deutsche Standeserhebungen im Elsaß (1648-1789) DATUM

NAME

BERUF/HERKUNFT

QUELLE

F 1763, 15.12.

FRIES (Johann von)

kaiserl.Kommerzialrat

A.V.FRIES: Die Grafen von Fries, S. 116-123.

A 1767,04.02.

HUMBOURG (Johann Nepomuk)

Dr.med., kais.Leibwundarzt

F R A N K II, 259.

R 1769,27.11.

KOCH (Conrad Reinhard)

hzgl.holst.Hof- und Justizrat

Adelslexikon, Bd. 6, S. 342.

R 1772,23.05.

HUMBOURG (Johann Nepomuk) HUMBOURG (Franz Bruno) HUMBOURG (Johann Evangelist Peter) HUMBOURG (AdolD

Dr. med.

F R A N K II, 249.

Rat und Syndikus des Domstiftes Straßburg geh.Sekretär des Großherzogs von Toskana Official bei der Hof- und Staatskanzlei, [Brüder], aus Straßburg

A 1774,29.03.

BEER (Georg Wilhelm)

hzgl.pfalz-zweibr. Geheimrat

A. B O U R G E O I S : Les Beer et les de Beer, S. 33 ff.

F

FRIES (Philipp Jacob Ritter von)

Hauslehrer beim Bankier Thelusson in Paris, Pastor von St. Nicolas Prof.f.dt.Staatsrecht an der Univ. Straßburg

F R A N K II, 46.

1775,31.01.

R 1777,30.12.

KOCH (Christoph Wilhelm) KOCH (Friedrich Albrecht) KOCH (Johann Friedrich Achaz)

A 1780,22.08.

F

1782,05.03.

R 1782,10.04 R 1784,07.12.

A 1787,24.02.

FRANCK (Philipp Jacob) FRANCK (Philipp Jacob) TÜRCKHEIM (Johann von) NICOLAI (Ludwig Heinrich) HELL (Franz Joseph Anton)

F R A N K III, 49. Adelslexikon Bd. 6, S. 342.

Legationsrat der russ. Gesandtschaft in Wien wirkl.Geh.Rat des Landgrafen von HessenDarmstadt Ammeister zu Straßburg

F R A N K II, 36.

[Sohn], Wechsler zu Straßburg Wechsler zu Straßburg

F R A N K IV, 132.

geh. Sekretär des Großfürsten v. Rußland Oberamtmann von Landser und Syndikus des Bistums Basel

kgl.franz.Oberstleutnant GAMBS (Johann Daniel) GAMBS (Johann Jacob) [Vetter], Dr.jur., Consultus der Archive von Straßburg

F R A N K III, 298. F R A N K II, 184.

FRANK II, 67.

84

Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

Tabelle 5 Deutsche Standeserhebungen im Elsaß (1648-1789)

R

DATUM

NAME

BERUF/HERKUNFT

QUELLE

1787,05.10.

WIDERSPACH (Franz Ferdinand)

kgl.franz.Gouverneur von Stadt und Schloß Rouffach

FRANK V, 215. BM Colmar, Ms. 1081.

WIDERSPACH (Joseph Jgnaz) [Bruder] Abkürzungen: FRANK=K. F.von Frank: Standeserhebungen und Gnadenakte für das Deutsche Reich und die österreichischen Erblande bis 1806, 5 Bde., Schloss Senftenegg 1967-1974. G A F = Henri Jougla de Morenas: Grand Armorial de France, 6 Bde. und Suppl. Bd., Paris 1934-1952. A=Adelsstand F = Freiherrenstand P = Palatinat R = Ritterstand

Im Zeitraum von 1648 bis 1789 wurden 75 Personen aus 53 Familien in den deutschen Adels-, Freiherren- oder Ritterstand erhoben. Das entspricht in etwa der doppelten Anzahl der französischen Ernennungen. Der überwiegende Teil des „deutschen" Neuadels im Elsaß diente allerdings nicht direkt dem Kaiser sondern hatte in anderer Weise auf sich aufmerksam gemacht: 28 Personen (37,3%) nahmen hohe weltliche und geistliche Ämter im Elsaß ein, 20 (26,7%) weitere dienten einzelnen deutschen Territorialherren und nur 17 (22,7%) standen in kaiserlichen Diensten. Neben vier Schweizern (5,3%) wurden sogar zwei Elsässer, die erklärtermaßen im französischen Sold standen, kurz vor Ausbruch der Revolution vom deutschen Kaiser geadelt: Der königliche Oberstleutnant Johann Daniel Gambs und der Gouverneur der Stadt Rouffach, Franz Ferdinand Widerspach. Ein Teil des Neuadels stammte ursprünglich nicht aus dem Elsaß sondern kam erst nach der Annexion ins Land wie die Oberlin aus Bayern, die Spon aus Mainz, die Besenval, Roll zu Emmenholz aus der Schweiz sowie die Sickingen aus dem benachbarten Kraichgau. Während die drei letztgenannten Familien im Elsaß Bodenbesitz und Renten erwarben und sich als Grundherren niederließen, waren die Oberlin und von Spon im französischen Verwaltungsdienst besonders erfolgreich. Die Oberlin186 schafften den sozialen Aufstieg über ihre Dienste für den Bischof von Passau. Johann Theobald Oberlin übte die Funktion eines Obervogts von Königstein in der sächsischen Schweiz aus und war außerdem fürstlich-passauischer Hof- und Kammerrat,

186

Diese Familie ist nicht zu verwechseln mit den beiden berühmten Brüdern Oberlin aus Straßburg : JeanFrédéric, Philanthrop und Reformpfarrer im Steintal (Ban-de-la-Roche) und Jean-Jacques Oberlin, Professor in Straßburg.

Der eingewanderte Neuadel

85

was ihm gegen Ende des 17. Jahrhunderts den Reichsritterstand einbrachte. Etwa zur gleichen Zeit nutzte Johann Michel von Oberlin die Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Reichskirche, ließ sich im Elsaß nieder und wurde conseiller honoraire an der fürstbischöflichen Rechnungskammer in Straßburg. Ein weiterer Zweig der Familie zog im 18. Jahrhundert nach Château-Thierry bei Paris. Dort bekleidete Georges-André d'Oberlin das Amt eines grand bailli d'épéem. Ebenso wie die Familie Oberlin schlugen auch die von Spon die Verwaltungslaufbahn ein. Jean-François de Spon hatte bereits eine glänzende Karriere im Reich absolviert, bevor er sich 1759 in Straßburg niederließ: Von 1741 bis 1743 Privatsekretär des Kaisers Karl VII., anschließend für zwei Jahre kaiserlicher Botschafter in Berlin und nach dem Tod des Kaisers ab 1745 zunächst bayerischer Botschafter und schließlich Minister. Nach seiner Übersiedlung ins Elsaß bekleidete er von 1759 bis 1773 das Amt eines königlichen syndic royal und das des Kanzleidirektors der Stadt Straßburg188. Sein Sohn François-Nicolas setzte dieser meisterhaften Karriere seines Vaters noch die Krone auf: von 1775 bis zu seiner Auflösung im Jahre 1790 war er Erster Präsident des Colmarer Gerichtshofes189. Kamen die Oberlin und Spon ursprünglich selbst aus dem Reich, so nutzten die Beyerlé ihre familiären Verbindungen zum Reich, um sich im Elsaß erfolgreich durchsetzen zu können. Die Familie stammte ursprünglich aus Haguenau. Um ihren angestrebten Karrieren in der französischen Armee und Verwaltung, aber vor allem um dem französischen Anoblierungsverfahren die notwendige Legitimation zu verleihen, beriefen sich die Brüder Pierre-Charles und JeanLouis auf die Reputation ihres Großonkels Georg Joseph, der am 18. Februar 1719 von Kaiser Karl VI. unter dem Titel eines Baron von Stollhoffen in den deutschen Adelsstand erhoben worden war190. Jean-Louis ergänzte alsbald seinen Namen mit dem Adelpartikel „de" Beyerlé, nachdem er das Amt eines conseiller du roi gekauft hatte und zum Direktor der Straßburger Münze aufgestiegen war. Bereits sein Vater, Jean-Valentin Beyerlé (1674-1747) hatte dieses Amt, nach einem zweijährigen Zwischenspiel als königlicher Prätor von Huningue, im Jahre 1710 käuflich erworben191. Nachdem Jean-Louis seine Töchter an die vermögenden Familien de Reiset aus Colmar und Manier d'Unienville in Sarrebourg verheiratet hatte, legte er sein erwirtschaftes Vermögen in der Fayencenfabrik in Niederwiller an und kaufte 1771 vom Eisenhüttenfabrikanten Dietrich das prächtigte Landschloß Jardin d'Angleterre bei Straßburg192. Der mondäne Lebensstil des anobli erzeugte allenthalben Neid und Mißgunst, die sich schließ1,7 188 189 190 1.1 1.2

Vgl. G. A. F., Bd. 5, S. 176. [BOREL d'Hauterive]: Nobiliaire d'Alsace, S. 404. Vgl. S.de SPON: Les barons de Spon d'Alsace, S. 50fT. Vgl. F. SCHAEDELIN: Le Baron François-Nicolas de Spon, op.cit. BNP, N.H 41, Carr.H. 91. N. D. B. A., S. 212. Ebd. ADBR, 6 E 41 (142). Vgl. ebenso M. FREYSS: Le Jardin d'Angleterre, S. 106. G. LEVALLET-H AUG : Le Jardin d'Angleterre, S. 194.

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Zur Binnendifierenzierung der Adelsgesellschaft

lieh in einer Diffamierungskampagne bei Hof entluden. Die Gegner Beyerlés nahmen eine „Fehlprägung" - der Louis d'or war beidseitig mit einem gehörnten Ludwig XVI. versehen worden - zum Anlaß, ihn in Mißkredit zu bringen. Der Skandal war groß und bedeutete für Beyerlé wie im Fall des Kardinals Rohan das Ende seiner Karriere. Von den Gläubigern im Stich gelassen mußte er völlig ruiniert 1786 die Straßburger Schloßanlage an den letzten Prätor von Straßburg, Conrad-Alexandre de Gérard, abtreten. In die umgekehrte Richtung, d. h. vom Elsaß ins Reich, gingen die Familien Bartenstein, Binder von Kriegelstein, Fries, Günther von Sternegg, Kempf d'Angreth, Meng und Wessenberg, die es zu mehr oder weniger ansehnlichen Karrieren brachten. Franz Joseph Meng aus dem elsässischen Borsch beispielsweise trat in die kaiserliche Armee ein, wurde in den böhmischen Freiherrenstand erhoben und nannte sich fortan Meng von Rennfeld193. Die Binder von Kriêgelstein stammten ursprünglich aus Riquewihr und Colmar. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts traten einzelne Familienmitglieder in habsburgische Dienste. Johann Binder von Kriegelstein brachte es zum kaiserlichen Reichshofrat und wurde als „administrierender Hofcommissär in den eroberten preußischen Gebieten" 1759 in den Reichsfreiherrenstand erhoben194. Seine Nachkommen dienten in verschiedenen Militär- und Verwaltungsstellungen und erhielten ebenfalls kaiserliche Gnadenerweise195. Ebenfalls aus Colmar stammten die beiden Brüder Bernhard Dismas und Ignaz Franz Kempf d'Angreth, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts das Elsaß verlassen hatten, um als Verwalter der Bergwerke im ungarischen Banat zu Wohlstand und Ansehen zu gelangen196. Besonders erfolgreich war die dem Mülhausener Patriziat entstammende Familie Fries. Johann Fries (1719-1783) begann seine habsburgische Karriere in den österreichischen Niederlanden und diente danach der Kaiserin Maria Theresia als Subsidieneintreiber am englischen Hof. Nachdem er 1752 das Niederlagsrecht in den österreichischen Erblanden erhalten hatte, betätigte er sich federführend am Aufbau einer Messingfabrik in Weissenbach, zweier Fabriken für die Herstellung von Wolldecken in Friedau bei Wien und in Böhmen sowie einer Seidenfabrik in Wien. Sein wirtschaftlicher Durchbruch gelang ihm über das Münzprägemonopol und den Talerhandel. Der Dank der Habsburger für seine Verdienste äußerte sich in den nacheinander erfolgten Erhebungen in den Ritterstand (1757), in den Freiherrenstand (1763) und schließlich in den Grafenstand (1783)197. Während es die Grafen von Fries in Österreich zu großem Reichtum brachten gelangten die Bartenstein und Wessenberg in die höchsten politischen Ämter. Der Straßburger Johann Christoph Bartenstein (1690-1767) ging 1714 " 3 Vgl. E. H. KNESCHKE: Adelslexikon, Bd. 6, S. 229. 1M Vgl. K. F.von FRANK: Standeserhebungen, Bd. 1, S. 92. E.H. KNESCHKE: Adelslexikon, Bd. 1, S. 434. 1,5 Ebd. Vgl. J. KINDLER von KNOBLOCH : Oberbadisches Geschlechterbuch, Bd. 2, S. 265. 197 Vgl. A.von FRIES: Die Grafen von Fries, S.58 ff; S. 104ff.

D e r eingewanderte N e u a d e l

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nach Wien, konvertierte zum katholischen Glauben und gelangte schrittweise in die obersten Staatsstellungen: 1715 zum Reichshofrat und 1733 zum „Geheimen Staatssekretär" von Kaiser Karl VI. ernannt, leitete er unter Maria Theresia die habsburgische Außenpolitik bis er 1753 durch den Grafen Kaunitz abgelöst wurde. Er betrieb maßgeblich die habsburgisch-bourbonische Allianz, um dem expansiven Druck Friedrichs des Großen widerstehen zu können. Auch die Familie von Wessenberg reüssierte auf Reichsebene und nahm hohe Stellungen ein. Johann Franz von Wessenberg war bereits 1681 in den Reichsfreiherrenstand erhoben worden und nannte sich fortan mit kaiserlicher Erlaubnis „Baron von Ampringen". Er selbst war Gouverneur des Herzogtums Schlesien, sein Urenkel, Philipp Karl von Wessenberg, diente als Großmarschall und Kammerherr am sächsischen Hof in Dresden. Dessen Sohn Johann Philipp von Wessenberg (1773-1858) schließlich nahm als österreichischer Staatsmann auf dem Wiener Kongreß in wichtiger Funktion teil, trat als Gegner Metternichs auf und wurde nach dessen Sturz für kurze Zeit zum Ministerpräsidenten und Außenminister ernannt198. So individuell die habsburgischen Karrieren einzelner Elsässer auch gewesen sein mögen, sie trugen im Elsaß selbst in ganz erheblichem Maße dazu bei, daß sich das Bewußtsein für die Doppeloption bis zur Französischen Revolution halten konnte. Diese für das Elsaß symptomatische Grenzkonstellation erlaubte es, zwischen Habsburg und Bourbon in sozialer Hinsicht zu lavieren und bot dem elssäsischen Bürgertum eine Fülle von Aufstiegsmöglichkeiten, die es in der Tat in großem Umfang wahrgenommen hat. Daß sich ambitionierte Familien nie endgültig für die eine oder andere Seite entscheiden mußten, begünstigte die Situation. Im pränationalistischen Jahrhundert wurde eine temporäre Loyalität geduldet, gehörte der Parteienwechsel zur Normalität, konnten Deutsche am französischen Hof reüssieren und vice versa. Beispielsweise wurde der Duc VictorAntoine de Broglie als Generalleutnant der französischen Heere und als Großgrundbesitzer im Elsaß im Jahre 1759 vom Kaiser in den deutschen Fürstenstand erhoben199. Schwierigkeiten ergaben sich lediglich in den Fällen, wo eine Zweifach-Nobilitierung gewünscht wurde. Im langen Zeitraum von 1648 bis 1789 lassen sich nur acht Beispiele nachweisen, in denen kaiserliche Adelsdiplome in Frankreich anerkannt wurden und umgekehrt: In fünf Fällen erfolgte die Erstnobilitierung durch den Kaiser (Mackau, 1698; Spon, 1742; Papelier, 1762; Göll, 1763; Franck, 1780), in den drei restlichen durch den französischen König (Besenval, 1655; Barth, 1662; Dietrich, 1761). Jedoch nicht immer konnten die entsprechenden Adelsbestätigungen wie in den angezeigten Fällen problemlos abgewickelt werden. Als sich der bailli von Bergzabern, Johann Friedrich von Marx, im Januar 1748 beim Straßburger Intendanten um die Anerkennung seines 1735 198 m

Vgl. E. SITZMANN: Dictionnaire, Bd. 2, S. 977ff. Vgl. K. F.von FRANK: Standeserhebungen, Bd. 1, S. 130.

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

von Kaiser Karl VI. erhaltenen Adelsbriefes bemühte, stieß er dort auf wenig Entgegenkommen. Über den königlichen Prätor von Landau, Sieur Willemann, hatte er Protektionsadressen der Herzöge von Noailles und Coigny sowie des Marschalls de Balincourt vorlegen lassen und gab vor, den gleichen Sozialstatus einzunehmen, wie der unlängst anoblierte Amtskollege von Germersheim, Philippe-Michel de Weber. In einem Brief des Intendanten de Vanolles an den Minister d'Argenson in Paris wurde diesem Wunsch nicht entsprochen. Dabei ist die Begründung des Intendanten höchst aufschlußreich: „II paroist présumer que la Grâce que le Roy a fait il y a trois ans [irrtümlich drei anstelle von fünf Jahren] au Sr Weber Bailly de Germersheim de l'anoblir en condidération des services qu'il a rendu aux trouppes du Roy, est un exempte qui appuyé la confiance

i.r200. Neben dem eindeutigen Loyalitätsaspekt gegenüber Frankreich, verwies der Intendant in seiner ablehenden Haltung auf die Standesideologie der Privilegierten. Demnach hatte Philippe-Michel de Weber im Unterschied zu Marx bereits wichtige Voraussetzungen zur adligen Lebensführung erfüllt: Zunächst kaufte er von den Erben der Familie von Hatzel die umfangreichen Landgüter im Raum Weissenburg, anschließend wurde er in die Reichsritterschaft des Unterelsasses aufgenommen, und schließlich erwarb er ein renommiertes Straßburger Stadtpalais, in dem vorher der polnische König Stanislaus Leszczynski logiert hatte. Folglich lag die Begründung für die Ablehnung auf der Hand: „Le Sr Marx [...] est dans des circonstances bien moins favorables"201.

Gleichzeitig mit der Abweisung der Nobilitierungswünsche gab der Intendant seine grundsätzlichen Bedenken gegenüber einer allzu großzügigen und unkontrollierten Anoblierungspraxis nach Paris durch und verwies auf die gegenläufige Adelspolitik des deutschen Kaisers, der in unmittelbarer Nachbarschaft des Sieur Marx bereits viele in den Adelsstand gehoben habe202. Eine ablehnende Antwort erhielt auch der Baron von Widerspach, der kurz vor Ausbruch der Revolution mit dem gleichen Anliegen in Paris vorstellig wurde. Im Oktober 1787 vom Kaiser geadelt, lagen ein Jahr später die nötigen Adelsunterlagen aus Wien noch nicht vor, so daß der Minister in einem Brief an den Intendanten Chaumont de La Galaizière die französische Adelsbestätigung ausschlug: „[...] ce titre, Monsieur, n'établit aucune faite généalogique et n'est accompagné d'aucune pièce justificative. M. de Widersback assure que celles qui ont été produites à l'Empereur, on été retenues malgré ses réclamations pour être conservées dans les archives de l'Empire [...] Ce n'est point un acte enfin dont on puisse faire la base d'une Preuve de Noblesse"203.

200 201 202 203

ADBR,C 137 (Briefvom 3.4.1748). Ebd. Ebd. BNP, Chérin 211 (Brief vom 12.11.1788).

Der Amtsadel am Gerichtshof in Colmar

89

In einer für Frankreich atypischen Art und Weise gereichte der elsässischen Bourgeoisie die soziale Doppeloption zwischen Habsburg und Bourbon zum entscheidenden Vorteil. Obwohl sich die Adelspolitik der beiden europäischen Großmächte grundsätzlich voneinander unterschied, gab es in diesem Punkt zwischen beiden Staaten keinerlei Verstimmungen. Im Elsaß kam es deshalb auch nicht im politischen sondern im sozialen Bereich zu Spannungen und Problemen innerhalb des Adelsstandes. Der Neuadel konzentrierte sein Interesse hauptsächlich auf erfolgreiche Laufbahnen im Militär, in der Verwaltung und im industriellen Sektor. Die zugrunde gelegten Wertmaßstäbe basierten auf Kriterien wie Fleiß, Ausdauer und Talent. So gesehen wurden sie zu einer Bedrohung für den Altadel, indem sie Stellen okkupierten, die als Versorgungsinstanzen für die eigenen Angehörigen gedacht waren. 2.5. Der Amtsadel am Gerichtshof in Colmar Die Möglichkeiten in den Adel aufzusteigen waren im 18. Jahrhundert größer denn je. Dazu bedurfte es nicht unbedingt und ausschließlich eines königlichen Adelsbriefes. Der Eintritt in die Aristokratie konnte auch über den Kauf eines nobilitierenden Amtes erreicht werden. Am Colmarer Gerichtshof bestand bei insgesamt 29 Ämtern diese Möglichkeit: zwei Präsidenten {présidents), 22 Räte {conseillers), ein Generalprokurator (procureur général), zwei Staatsanwälte (avocats généraux) sowie zwei Kanzler (greffiers en chef)20*. Da im Falle der beiden Präsidentenämter der Adel zwar nicht ausdrücklich verlangt wurde, er aber bis auf eine einzige Ausnahme bei den jeweiligen Bewerbern bereits vorlag, konzentrierte sich das Interesse der Bourgeoisie auf die anderen Stellen. Seit 1698 residierte der oberste elsässische Gerichtshof in Colmar und blieb dort bis zu seiner Auflösung im Jahre 1790. Er stand zwar nicht im Range eines Parlement, übte aber vielfach dessen Kompetenzen aus. In wichtigen Teilbereichen war die Ausgangssituation am Conseil Souverain d'Alsace eine andere als in vergleichbaren französischen Gerichtshöfen. In Colmar rekrutierten sich z. B. die Mitglieder zu 70% aus der Bourgeoisie. Selbst der Erste Präsident de Boug erhielt seinen Adelsbrief erst zwei Jahre nach seiner Amtseinführung im Jahre 1768205. Dagegen bildeten die 13 Gerichtshöfe im übrigen Frankreich aristokratische Hochburgen. Am Parlement der Bretagne wurde seit 1660 kein einziger Bürgerlicher mehr zugelassen206. Der Anteil der Nichtadligen am Pariser Parlement betrug im 18. Jahrhundert kaum mehr als 10%207. In Aix-en-Provence besetzte der Adel 81,5% der Präsidentenämter, 48,1% der Ratsstellen und 52,9% der übrigen Ämter208. Die Situation in Colmar läßt sich allenfalls mit den Gerichtshöfen im 204 205 206 207 208

Vgl. F. BLUCHE/P. D U R Y E : L'anoblissement par charges, Bd. 2, S. 31. Vgl. F. B U R C K A R D : La bourgeoisie parlementaire, S. 155. Vgl. J. MEYER: La noblesse bretonne, Bd. 2, S. 929fî. Vgl. F. BLUCHE: Les magistrats du Parlement de Paris, S. 76-83. Vgl. M. CUBELLS: La Provence en Lumières, S. 32.

90

Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

Artois und im Roussillon sowie in den Parlements in Douai und Metz vergleichen, die ähnlich offen gegenüber dem Bürgertum waren209. Ohne Zweifel war die Peripherielage im Falle der letztgenannten Regionen entscheidend für die Rekrutierung des Gerichtspersonals. Die anfänglichen Bestimmungen über die Besetzung der höchsten Ämter mit französischen Verwaltungsbeamten wurden im 18. Jahrhundert gänzlich fallengelassen. Die vier letzten Präsidenten und Vizepräsidenten de Klinglin, de Boug, de Spon sowie de Salomon stammten alle aus dem Elsaß, bzw. waren ihre Familien bereits seit mehreren Generationen im Elsaß ansässig. Die soziale Herkunft der meisten Kandidaten war ein wichtiges Kriterium für die Zulassung zur compagnie, d.h. zur Gerichtsbehörde. Zwölf Familien zählten bereits zum französischen Robenadel wie die Corberon, Corny, Fériet, Ferner du Châtelet, Fontaine, Gordon de Badenoth, Le Laboureur, Morey, Payen de Montmor, Robinet de Cléry, Rocque und Villé. Der überwiegende Teil jedoch stammte aus dem elsässichen Bürgertum und hatte eine juristische Ausbildung an der Universität Straßburg absolviert. Wie an keinem anderen französischen Gerichtsplatz rekrutierten sich im 18. Jahrhunderts 80% aller neuen Amtsträger aus der eigenen Region; nur 7-8% kamen aus Lothringen und 12-13% aus Innerfrankreich210. Mit dem Kauf eines Amtes erwarb der Amtsträger keine sofortige Nobilitierung sondern lediglich ein Anrecht zur Anoblierung. Alle Ämter unterhalb des Präsidiums übertrugen die sogenannte „noblesse graduelle", d. h. der persönliche Adel wurde erst nach zwei jeweils zwanzigjährigen Dienstzeiten erblich. Die bürgerlichen Familien mußten infolgedessen eine lange Wartezeit in Kauf nehmen, um in den erblichen Adel aufzusteigen, der erst in der dritten Beamtengeneration relevant wurde. Die Anwärterzeit konnte sich nur dann verkürzen, wenn ein Amtsinhaber innerhalb seiner Dienstzeit verstarb. In diesem Falle gingen Titel und Adelsanrecht automatisch auf den Nachfolger über. Folglich muß die Enttäuschung einiger Familien, die sich bei Ausbruch der Revolution gerade erst in der „Wartephase" befanden, sehr groß gewesen sein. Die genaue Anzahl der Familien, die ihren Adel mittels Ämterkauf bereits im Ancien Régime realisiert hatten, ist schwer zu ermitteln. Aus der nachfolgenden Aufstellung geht hervor, daß sich im Laufe des 18. Jahrhunderts insgesamt 43 Adelsfamilien am Conseil Souverain d'Alsace etablieren konnten, von denen 30 (69,8%) aus dem Elsaß stammten und lediglich 13 (30,2%) aus dem französischen Robenadel. Von der 30köpfigen elsässischen Noblesse de Robe hatten sieben Familien ihre Nobilitierung über Adelsbrief oder Einheirat erreicht211. Folglich verbleiben 24 bürgerliche Familien, die im 18. Jahrhundert über den Ämterkauf in den Adel gelangten. Nicht berücksichtigt wurden etwa 90 Personen aus Innerfrankreich, die an der Gerichtskanzlei in Colmar das Amt eines secrétaire du roi erworben hatten212. 209 2,0 211 2,2

Vgl. D. BIEN: La réaction aristocratique, S. 512. Vgl. F. BURCKARD: La bourgeoisie parlementaire, S. 156. Zu dieser Gruppe gehören die d'Anthès, Brunck, Elvert, Klinglin, Noblat, Spon und Weinemmer. Vgl. Almanach d'Alsace pour l'année 1789,139f. Vgl. AD Moselle, C 170-C 197.

Der Amtsadel am Gerichtshof in Colmar

91

Tabelle 6: Der Amtsadel am Conseil Souverain d'Alsace im 18. Jahrhundert. NAME

VORNAME

Anthès

Jean-Philippe François-Henri Jean-Antoine François-Joseph Jean-Daniel François-Henri 1768-1775 Henri-FrançoisAntoine François-Joseph François-Antoine Jean-François François-Antoine Jean-ChristopheRichard Antoine-Richard Christophe Alexandre Bernard-Alexandre-Xavier André-Siméon Nicolas de 1700-1723 Nicolas de [SohnJ 1723-1747 André-Guillermin de Guillaume-François Melchior-Ignace François-IgnaceNicolas François-HenriXavier Michel d' César de Charles-César de Gilles

Boisgautier

Boug

Bourcte Bruges Bmnck

Chaqué du Comte

Corberon Corny Demougé

Elvert Fériet Ferner du Châtelet Fontaine

Golbéry

Gordon de Badenoth Holdt

Horrer HOrt Klinglin

Lefébure

l.PRÄS.

2.PRÄS.

SECRÉTAIRE D U ROI

CONSEIL-PROC. AVOCAT GREFLER GÉNÉRAL GÉNÉRAL FIER

1725-1732 1754-1790 1677-1728 1729-1755 1755-1790 1747-1768 1774-1790 1746-1770 1789-1790 1758-1790 1711-1715 1713-1745 1724-1745 1725-1738 1713-1747 1748-1752 1752-1780 1712-1723

1732-1737

1703-1736 1736-1755 1766-1772 1772-1790 1719-1737 1698-1704 1724-1747

1702-1731

Jean-Pierre Charles-Jérôme de DominiqueCharles-Jérôme Sylvain Jean-André Louis-Charles Georges-JosephAndré-Xavier Gilbert-Michel François-Richard Valentin-MichelAntoine Georges-Joseph Joseph-André Jean-Thiébaud 1773-1790 François-Romain 1697-1719 Christophe 1747-1768 1719-1747 François-Christophe-Honoré Philippe-Xavier Jean-Baptiste1748-1755 François

1723-1725 1682-1698 1698-1746 1714-1735 1735-1737 1748-1773

1737-1770 1770-1790 1747-1750 1691-1747 1747-1790 1746-1747 1781-1789

1773-1790 1676-1697 1716-1718 1741-1748 1755-1756 1706-1731

92

Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

Tabelle 6: Der Amtsadel am Conseil Souverain d'Alsace im 18. Jahrhundert. NAME

Le Laboureur Loyson

Madamé Menweeg Michelet

Morey Müller

Münck

Néef

Noblat Payen de Montmor Poirot

Robinet de Cléry Rocque

Salomon

Schielé

Schwilgué Spon Valcourt Villé

VORNAME

l.PRÄS.

2. PRÄS.

SECRÊTAIRE DU ROI

CONSEIL- PROC. AVOCAT GREFLER GÉNÉRAL G É N É R A L FIER

Jean-Claude-François Jean Chrétien Armand-GastonFrançois-Xavier Joseph-Antoine 1714-1762 François-Joseph 1762-1766 Joseph-Jacques1713-1764 Balthasar Gilles 1712-1730 1764-1790 Jacques-Michel de Jean-Joly de 1700-1713 François-Mathias 1704-1755 Georges-Ignace François-Joseph1723-1752 Antoine Joseph- AntoineJean-Chrysostome François-JosephXavier François-Joseph1719-1755 Ignace Joseph-Antoine 1755-1790 Valentin 1711-1754 Jean-Baptiste1754-1774 François François-Xavier 1762-1774 1769-1790 François-Antoine de Jean-Baptiste 1679-1713 Henri-Charles 1732-1766 François-Joseph 1767-1790 Philippe-Jacques1768-1790 Ignace Jean-Gabriel1786-1790 Alexandre de Nicolas de 1740-1751 Louis-François1781-1790 Xavier de Jean Jean-Sébastien 1711-1745 1736-1747 Jean-Baptiste1747-1768 Sébastien 1763-1768 Étienne-Ignace 1768-1790 Nicolas 1761-1790 Pierre-Nicolas Marc-Ignace 1751-1752 1756-1772 Jean-Jacques 1772-1780 Jean-JacquesJoseph Michel-Bernard 1698-1715 François-Bernard 1715-1725 François-Nicolas 1775-1790 de 1746-1754 Jean-Henri-Ferdinand de François Paton 1705-1714 de

17311705-1725 1748-1759 1759-1790

1724-1770

1732-1781

1770-1790

1697-1714

1725-1740

Der Amtsadel am Gerichtshof in Colmar

93

Tabelle 6: Der Amtsadel am Conseil Souverain d'Alsace im 18. Jahrhundert. NAME

VORNAME

Weinemmer

Mathias- FlorentAntoine Jean-Thomas Jean-Ulrich-Thomas FrançoisAntoine-Ulrich François-JosephAlexis

Zaiguelius

1.PRÄS.

2.PRÄS.

SECRÉTAIRE DU ROI

CONSEIL-PROC. AVOCAT GREFLER GÉNÉRAL GÉNÉRAL FIER 1772-1790 1698-1722 1722-1742 1752-1781 1781-1790

Quelle: F. BURCKARD: Organisation, personnel et rôle du Conseil Souverain d'Alsace, S. 461-507. AD Moselle, C 170-197.

Vielleicht war es die gemeinsame autochthone Mentalität, die diese ehrgeizigste und gebildetste soziale Gruppe im Oberelsaß zu einer homogenen Haltung nach außen miteinander verband. Ihr Prestige und ihre Autorität reichten bis nach Straßburg und ins Unterelsaß hinein. Gezielte familiäre Protektion und Reichtum entschieden über die Zulassung eines Kandidaten. Mit Vehemenz wehrten sich die Räte im 18. Jahrhundert gegen jegliche Zuwanderung aus Handwerks- und Kaufmannsfamilien 213 . Wie rigoros diese „interne Regel" in der Praxis gehandhabt wurde, zeigt das Beispiel des Sieurs Joseph de Fayolle. Dieser hatte sich im Jahre 1709 das Amt eines Schwertritterrats (conseiller chevalier d'honneur d'épée) am Gerichtshof gekauft. Er war erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts ins Elsaß gekommen und betrieb anschließend eine Mühle zur Herstellung von Pulver und Salpeter in Colmar. Um sozial aufsteigen zu können, heiratete er 1700 in die Familie von Andlau ein214 und kaufte sich gleichzeitig das nobilitierende Amt eines lieutenant provincial d'artillerie. Mit dem anschließenden Griff nach der obersten Ratskrone in Colmar brachte er die ganze hohe Justizwelt im Elsaß gegen sich auf. Im Stile eines Bourgeois hatte Fayolle als „homme de néant" teils aus Ignoranz, teils aus rein finanzieller Kalkulation, die für das Amt geforderten 15000 livres bereits entrichtet. Der Präsident de Corberon und der Syndikus de Zaiguelius liefen Sturm und wandten sich an den Intendanten. Ihr Haupteinwand gegen den neuen Rat Fayolle war seine fehlende Adelsreputation. Die von Fayolle anvisierte Stelle war bisher nur an die renommiertesten Familien im Elsaß wie die Andlau, Rothembourg, Wangen und Birkenwald vergeben worden. Infolgedessen konnte ein „bürgerlicher" Kollege diesen alten Adelsfamilien nicht zugemutet werden: „Lesqueis ne pouvoient simpatiser avec une personne qu'on n'a cognu jusqu'à present que sur le pied d'un Roturier" 215 . 213 214 215

Vgl. F. BURCKARD: La bourgeoisie parlementaire, S. 155. Vgl. Europäische Stammtafeln, Bd. 11, Tafel 94. AG Vincennes, A 1 .2244,f° 438: Briefvom30.11.1710(ZaigueliusandeLaHoussaye).

94

Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

Der Intentant jedoch vertrat einen anderen Standpunkt. Er berief sich auf einen Erlaß des Staatsrates vom 8. Dezember 1703, der besagte, daß alle roturiers, sobald sie ein Amt gekauft hatten, vergleichbare Stellen einnehmen dürften216. Damit war der Widerstand der Gerichtsbehörde keineswegs gebrochen. Im Gegenteil. Umgehend wurden mehrere Versuche unternommen, die mangelnde persönliche Integrität des Kandidaten aufzuzeigen. Gleichzeitig wurde mit dem königlichen Leutnant von Neuf-Brisach, de Puget, ein neuer Kandidat aufgebaut217. Schließlich gab der Intendant in dieser pikanten Angelegenheit nach, mit dem Ergebnis, daß keiner der beiden Aspiranten zum Zuge kam, sondern die Wahl auf den Baron Fran?ois-Melchior de Schauenbourg fiel218. Die hohe Magistratur am Colmarer Gerichtshof grenzte sich nicht nur gegenüber den anoblis ab, auch Protestanten war der Zugang versperrt. Man bestand auf der katholischen Glaubenszugehörigkeit und blieb sozial weitgehend unter sich, wie die nachfolgende Tabelle verdeutlicht: Tabelle 7: Familienallianzen des Colmarer Robenadels im 18. Jahrhundert ANTHÈS BOISGAUTIER BOURSTE CHAUFFOUR DEMOUGÉ DU COMTE GOLBÉRY HOLDT KLINGLIN LOYSON SALOMON WEINEMMER

: : : : : : : : : : : :

Müller, Salomon. Boug, Bourste, Dietremann, Fériet, Krauss, Schauenbourg. Boisgautier, Delort, Demougé, Loyson, Poirot, Queffemme. Lefébure, Séraffond. Anthès, Madamé, Müller, Salomon. Corny, Schwilgué. Corberon, Demougé, Müller. Goetzmann, Jost, Menweeg, Néef, Poujol, Scheppelin. Müller, Poirot, Queffemme. Callot, Queffemme. Anthès, Gomé, Hatzel, Krauss, Larcher, Néef, Tanne. Fries, Golbéry, Klinglin, Krauss, Müller, Salomon.

Quelle: F. BURCKARD: Généalogies des magistrats du Conseils Souverain d'Alsace (ADHR, Grand document 104).

Zwar formten die Gerichtsbeamten am Conseil Souverain d'Alsace nach außen das Bild einer allmächtigen Gerichtsinstanz und einer einheitlichen sozialen Identität, jedoch war in seinem Innern wenig von dieser Homogenität zu spüren. Persönliche Rivalitäten, Konflikte im organisatorischen und politischen Bereich sowie der permanente Kampf gegen die „Gens du Roi"219 bestimmten die tag-

2,6 217 218

219

Ebd. : Brief vom 16.6.1710. Vgl. ebd. A'.2245. Ebd. A1.2244. DE BOUG: Ordonnances d'Alsace, Bd. 1, unpaginiert. Vgl. ebenfalls L. MULLER: Catalogue et armoriai des présidents conseillers, S. 7. Vgl. ADHR, 1 B 952, P 76-80. Fayolle mußte aufgrund der offenen Antipathie des Conseil Souverain d'Alsace demissionieren „sous nôtre bon plaisir" (vgl. AD Moselle, C 182, P 24r°). Vgl. E. BONFILS-LAPOUZADE: Les Gens du Roi près le Conseil Souverain d'Alsace, op.cit.\ebenso PILLOT/NEYREMAND: Histoire du Conseil Souverain d'Alsace, S. 470fT.

D e r Amtsadel am Gerichtshof in Colmar

95

täglichen Aktivitäten des Gerichtshofes. Streitigkeiten um Rangfragen und um den jeweiligen Vorsitz wechselten einander ab. Um von inneren Auseinandersetzungen abzulenken, ließ sich der Gerichtshof nach außen gern auf Kraftproben ein. Am 17. 8.1721 kam es in der Kirche St.Peter in Colmar während des Te Deums zu Tumulten zwischen Mitgliedern des Rates und dem anwesenden Militärpersonal, welche die Messe störten und Handgreiflichkeiten provozierten. Das Zwischenspiel weitete sich zu einer großen Affare aus und endete mit der Entlassung des Colmarer Stadtkommandanten220. Die Rivalitäten zwischen dem am Ort stationierten Militär und dem Robenadel blieben kein Einzelfall im Laufe des Jahrhunderts. 1774 kam es erneut zu einem Konflikt um Ehrenvorrechte. Seit einer Reihe von Jahren nahmen die Ehefrauen der Colmarer Amtsinhaber bei Prozessionen und zu öffentlichen Anlässen jeweils die ersten Reihen ein. In gleicher Weise sollte für sie die erste Bank in der Kirche reserviert sein. Die Offiziere wollten sich mit dieser Regelung nicht länger abfinden und machten entsprechende Änderungseingaben. Nach eingehender juristischer Erörterung dieses Falles wurden zum Schluß ihre Bedürfnisse erneut abgewiesen, und die Robenträger triumphierten ein weiteres Mal über ihre Militärkonkurrenz. Der Amtsadel am Conseil Souverain d'Alsace spielte in der Umgebung von Colmar, stellenweise auch weit darüber hinaus, eine große Rolle. Das erworbene Vermögen und die Höhe ihrer Einkünfte erlaubten ihnen nicht nur einen respektablen Lebensstil, sondern versetzten sie auch in die Lage, mit Gewürzen zu handeln, sowie Ländereien und Bodenrenten in großem Stil zu erwerben221. Fast jede Familie besaß Güter in der elsässischen Ebene, Häuser in Colmar und Schlösser auf dem Land, wo sie Muße suchten oder ihre Ferien verbrachten. Der conseiller und spätere Vizepräsident de Salomon besaß ein Schloß in Blotzheim und zwei stattliche Landhäuser in Ingersheim und Heiteren. Durch die Einheirat in die Familie d'Anthes zu großem Vermögen gelangt, vermehrte er diese finanzielle Basis durch seine Tätigkeit am Gerichtshof. Seine Ratsstelle brachte ihm 900 livres jährlich ein222. Nach der Abschaffung der Ämterkäuflichkeit im Elsaß im Jahre 1771223 erhöhte sich dieser Betrag auf 2000-2500 livres. Das Amt des Vizepräsidenten wurde vor seiner Abschaffung mit 20000 livres entlohnt, danach fiel der Betrag auf 6000 livres jährlich. Der Hauptteil seiner Einnahmen bestand aus Zinseinnahmen, die aus den Bankgeschäften und dem Immobilienbesitz herrührten. Zwischen 1727 und 1737 lieh er allein dem Herzog von Pfalz-Zweibrücken insgesamt 64500 livres224. Aus dem Testament seiner Ehefrau Catherine Tanne geht hervor, daß die Familie 1786 über einen Vermögensbestand von 492000 livres verfügte. Dabei belief sich der Anteil des Land-

220 221 222 223 224

Vgl. F. BURCKARD: La bourgeoisie parlementaire, S. 163 f. Vgl. ebd. S. 167 ff. Vgl.F. KRUG: Recherches sur la famille de Salomon, S. 63. ADHR, 2 J 40. Vgl. F. KRUG : Recherches sur la famille de Salomon, S. 59

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

besitzes auf 153558 livres (31,2%) und das Rentenkapital auf 133217 livres (27,8%)225. Trotz dieser enormen Kapitalakkumulation war de Salomon kein Kapitalist im heutigen Verständnis. Er investierte z.B. nicht in Handels- und Gewerbeunternehmen. Stattdessen legte er seine Geldreserven in Form von Immobilien an. Das Charakteristikum seines wirtschaftlichen Engagements läßt sich daher nicht mit „Agrarkapitalismus" beschreiben, sondern viel eher mit „Abgabenkapitalismus", einer Kapitalismusform, die George Taylor als Strukturmerkmal weiter Teile des französischen Bürgertums bezeichnet 226 . In dieser für das Bürgertum des Ancien Régime typischen wirtschaftlichen Ausrichtung traf sich de Salomon mit den meisten seiner Kollegen am Conseil Souverain d'Alsace: „La plupart des officiers du Conseil Souverain d'Alsace étaient de condition aisés et jouissaient en dehors de leur traitement, de revenus bien supérieurs à ceux de leurs gages"227.

Fast alle hohen Beamte besaßen in Colmar ein großes Stadthaus. Der Magistrat der Stadt stellte im Jahre 1718 fest: „Les officiers possèdent en cette ville les plus belles maisons et les plus logeables"228. Ihr Landbesitz war sehr verstreut. Der Rat von Müller besaß Wiesen, Ackerland und Weinberge in 22 Orten und sein Kollege de Münck in 13 Gemeinden 229 . Neben ihrem Interesse an Bodenspekulationen galt ihre große Leidenschaft der Jagd. Der Generalprokurator Néef und der Vizepräsident de Salomon besaßen die Jagd des Herzogs von Pfalz-Zweibrücken in den Gemarkungen der Dörfer Heiteren und Wihr-au-Val230. Anderen wiederum wurde die Jagderlaubnis vom Herzog von Württemberg oder von der Herzogin von Mazarin erteilt231. Der Colmarer Amtsadel schuf im 18. Jahrhundert eine Atmosphäre, die auf bürgerliche Kreise einen großen Einfluß ausübte. Über ihren städtischen Lebensstil - im Einklang mit zum Teil nicht zu verachtender erstaunlicher Gelehrsamkeit - demonstrierten sie ein neues aristokratisch-bürgerliches Selbstbewußtsein, das zur Nachahmung aufforderte. Ihre Mitglieder waren soziale Grenzgänger zwischen dem Ancien Régime und der „bürgerlichen Moderne". Wie sehr bereits beide Weltanschauungen in ihren Reihen vertreten waren, wurde spätestens beim Ausbruch der Revolution deutlich, als sich die compagnie in zwei gegensätzliche Lager teilte. Ein kleiner Teil schloß sich den neuen revolutionären Ideen an und konnte die Verwaltungskarriere fortsetzen wie LucCharles-François-Xavier d'Atthalin (1744-1822), Étienne-Ignace de Salomon

225 226 227 228 229 230 231

Ebd.S.43. Vgl. G. V. TAYLOR: Types of capitalism, S. 479. F. BURCKARD: Organisation, personnel et rôledu Conseil Souverain d'Alsacedel715àl790, S. 301. AM Colmar, CC 158. Zit. in F. BURCKARD, ebd. S. 303. ADHR, 1 B15. F. BURCKARD: La bourgeoisie parlementaire, S. 170. ADHR, E 2868; E2940.

Die prunkliebenden Abwesenden

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(1741-1818), Georges-Joseph-Andre-Xavier de Golbery (1741-1831) sowie Franfois-Ignace-Nicolas Demouge (1744-1831)232. Der Rest zog sich in den Ruhestand zurück. Lediglich sechs Räte sowie der letzte Präsident des Gerichtshofes, de Spon, emigrierten233.

2.6. Die prunkliebenden Abwesenden: Die Familien Mazarin, La Tour du Pin und Sénozan Die Adelsgesellschaft im Elsaß setzte sich nicht nur aus Familien des alten Provinzadels und zugezogener Neuadligen zusammen, sondern zu ihr gehörten auch Vertreter des französischen Hochadels wie die Mazarin und La Tour du Pin Gouvernet sowie Angehörige des neureichen Finanzadels wie die Olivier de Sénozan. Wie kaum ein anderer Besitz im Elsaß fungierten die Seigneurie Landser und das sogenannte „Duché de Mazarin" weniger als Eigentumsfaktor denn als Rente, mit der diese Hocharistokratie ihren großspurigen Lebensstil am Hofe oder auf ihren zahlreichen Provinzschlössern finanzierte. Sie besuchte nur gelegentlich ihre elsässischen Domänen und ließ ihre Erbgüter von qualifizierten Administratoren verwalten. Abwesenheit und fehlendes Wirtschaftsinteresse dieser Grande Noblesse bewirkten den sozialen Aufstieg eines quasi-seigneurialen Personenkreises (Geschäftsleute und Verwalter), den es später zu untersuchen gilt. Zunächst soll darauf eingegangen werden, wer diese Familien waren und wie sie zu ihren elsässischen Renten kamen. Die Herrschaft Landser gelangte im Februar 1645 als Dotation Ludwigs XIV. an Barthélémy und Jean-Henry Herwart 234 . Die beiden Söhne des vermögenden Lyoner Bankiers Daniel Herwart erhielten diese Grundherrschaft als Sicherheit für die enormen Geldsummen, die sie der Krone bei der Übernahme der Weimarischen Armee zur Verfügung gestellt hatten. Bereits beim Eintritt der Schweden in den Dreißigjährigen Krieg im Jahre 1632 hatte das französische Engagement der Brüder Herwart seinen Anfang genommen. Durch Vermittlung des Augsburger Bankiers Marc Conrad von Rehlingen, Rat und Heereskassenverwalter des Herzogs Bernhard von Sachsen-Weimar, vermittelten die Herwart zwischen dem für Schweden streitenden deutschen Heerführer und der Krone. Als Frankreich 1635 seine Stellvertreterpolitik aufgab, um mit eigenen Truppen in den „Teutschen Krieg" einzugreifen, schlug sich der Weimarer Herzog endgültig auf die französische Seite. Nach dessen frühen Tod im Juli 1639 stellten die Herwart mit einer finanziellen Unterstützung von 1,2 Millionen livres nicht nur die Übernahme der Weimarischen Armee sicher235, sondern betätigten sich 232 233

234 235

Vgl. F. SCHAEDELIN : La Cour impériale de Colmar, 462f. Vgl. F. SCHAEDELIN: L'émigration révolutionnaire, Bd. 1, S. 84. Goetzmann und de Müller starben unter der Guillotine. Vgl. E.de VILLIERS: Mémoire pour les héritiers d'Hervart, S. 141-2. Vgl. C. BADALO-DULONG: Banquier du roi, S. 21.

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auch in der Folgezeit als Heereslieferanten und Geldbeschaffer. In Anerkennung der geleisteten Dienste übertrug der franzôsisché König im Mai 1642 zunächst die Herrschaft Hüningen an Jean-Henry Herwart236, bevor er drei Jahre später die Herrschaft Landser an die beiden Brüder vergab. Die Herwart zählten ursprünglich zum reichen Augsburger Stadtpatriziat und gingen gegen Ende des 16. Jahrhunderts wegen ihrem protestantischen Glaubens als Händler nach Lyon, wo sie mit anderen deutschen und schweizerischen Kaufleuten ein Finanz- und Handelsimperium aufbauten, das für die französische Krone unentbehrlich wurde237. Durch eine geschickte Familienpolitik versippten sie sich mit den Bankiers von Rehlingen, Fermont, Crassel und Manlich sowie gleich zweimal mit der reichen St. Gallener Bankiersfamilie Zollikofer, die sich zuerst in Lyon und später in Marseille niedergelassen hatte238. Mit dem akkumulierten Handels- und Finanzkapital stieg nicht nur ihr Reichtum sondern auch ihr politischer Einfluß. Barthélémy Herwart stieg 1650 zum Intendant des Finances auf und bekleidete von 1657 bis 1665 das Amt des Contrôleur général des finan-r ces239. Ihre calvinistische Konfessionszugehörigkeit störte dabei zunächst in keiner Weise. Erst durch die Widerrufung des Edikts von Nantes (1685) wurden viele Familienmitglieder verunsichert und verließen fluchtartig das Land in Richtung Holland, unter anderem auch die Erbtochter Esther Herwart, die das Vertrauen des neuen Königs Wilhelm III. von Oranien gewonnen hatte und nach England zog240. In ihrem Londoner Testament vom 4.10.1713 verfugte sie, daß alle ihre elsässischen Besitzungen ihrem jüngsten Sohn Jean-Frédéric, Marquis de Gouvernet, übertragen wurden, was zu endlosen familiären Erbschaftsauseinandersetzungen führte241. Erst das Pariser Parlement hielt 1743 alle Anfechtungen der klagenden Familienmitglieder aufrecht, erkannte aber ebenfalls die Gültigkeit des Testaments an242. Somit verblieb der Besitz bis 1738 beim Abbé de Gouvernet und ging nach dessen Tod auf den Enkel Charles-Frédéric de La Tour du Pin über. Die Familie de La Tour du Pin stammte ursprünglich aus der Dauphiné. Die Seitenlinie der Gouvernet war in erster Linie im Burgund begütert. Sie zählten zur französischen Hocharistokratie und waren unter anderem mit den RohanGuémenée versippt. Ein Sproß dieser Familie, Henriette-Lucie Dillon, Duchesse de La Tour du Pin, hinterließ bedeutende Memoiren, in denen sie die Verbindungen ihrer Familie zum Versailler Hof beschreibt und rückblickend die Revolution als Strafe für die Lasterhaftigkeit der „oberen Klassen" empfindet:

236 237 238

239 240 241 242

ADHR, 2 E 74. Vgl. H.LUTHY: La banque protestante en France, op.cit. passim. Vgl. H.LOTHY: La banque protestante, Bd. 2, S. 89. L. MALZAC: Une famille de négociants suisses à Marseille, op.cit.passim. Vgl. P. MIEG: Herwart, S.458. Vgl. P. MIEG: Herwart, S. 452. Vgl. ebd, S. 456. Vgl. E.de VILLIERS : Mémoire pour les héritiers d'Hervart, S. 263 ff. Vgl. P. MIEG: Herwart, S. 463.

Die prunkliebenden Abwesenden

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„So verbreitete sich die allgemeine Verderbtheit der Sitten von den oberen zu den niederen Klassen der Gesellschaft. Die Tugend beim Mann, das sittsame Betragen bei der Frau wurden als lächerlich empfunden und für bäurisches Wesen angesehen. Je älter ich werde, desto mehr komme ich zu der Ueberzeugung, daß die Revolution von 1789 nur die unvermeidliche Folge, ja ich möchte sagen, sogar die gerechte Strafe der Laster der oberen Klassen gewesen ist"243.

Auch die wirtschaftliche Notlage ihrer Familie zu Beginn der Revolution blieb ihr nicht verborgen. Wie bei vielen anderen Familien so markierten der 4.August 1789 und die beginnende Emigration des Adels auch in ihrem Fall den finanziellen Ruin: „Da in Frankreich alles zur Modesache wird, begann jetzt die Mode des Auswanderns. Man begann Geld auf seinen Grundbesitz zu erheben, um eine große Summe mit sich nehmen zu können [...] Jedoch die Nacht des vierten August, in welcher auf den Antrag des Vicomte Noailles hin sämtliche Feudalrechte aufgehoben wurden, hätte selbst dem Arglosesten beweisen müssen, daß die Nationalversammlung nicht bei diesem Anfang des Systems der Enteignung bleiben würde. Mein Schwiegervater ist in dieser Weise ruiniert worden, und unsere Familie hat sich niemals ganz von jenem Schlag erholt

^ j" 244

Beim Tod des kinderlosen Charles-Frédéric de La Tour du Pin (1775) fiel das Erbe zur Hälfte an die Familie Sénozan und zu je einem Viertel an die Familien de Veynes und de Miramon245. Die Familie de Sénozan gab im Elsaß nur ein kurzes Gastspiel. Durch Erbanfall in den Besitz der elsässischen Domäne gelangt, besuchte sie ihre Ländereien allenfalls auf der Durchreise. Sie stammte ursprünglich aus dem Languedoc, ließ sich aber um 1680, nachdem sie zum katholischen Glauben konvertiert war, in Lyon nieder, wo sie durch Handels- und Bankgeschäfte sehr schnell zu Reichtum gelangte. Nach der Anoblierung von David Olivier im Jahre 1697 nannte sie sich nach ihrem Schloß in der Languedoc. Von nun an betätigte sich David Olivier de Sénozan als Grundeigentümer und erwarb 1710 die Grafschaft Briord im Mâconnais von der Familie Perrachon für 286000 livres24é. Durch eine Heiratsverbindung mit der Familie de Grolée fiel seinem Sohn zusätzlich noch ein großes Vermögen zu: Die Grafschaft Viriville und die Ländereien bei Vinay247. Die ehemalige Bankiersfamilie aus Toulouse gelangte innerhalb kürzester Zeit zu einem riesigen Vermögen, so etwa durch eigene Aktivitäten und gezielte Heiratsverbindungen und avancierte zu „one of the most striking and powerful families to rise into the aristocracy in the early eighteenth Century"248. Jean-Antoine Olivier de Sénozan, président honoraire am Parlement von Paris, hinterließ bei sei243 244 245 246

247 248

Marquisede la T O U R D U P I N : Tagebuch einer Fünfzigjährigen, S. 12. Ebd. S. 71. Vgl. P. M I E G : Herwart, S. 463. A D H R , 1 E44(16). L. L E X : Les fiefs de Mâconnais, S. 206. Zur Anoblierung vgl. F. B L U C H E : Les magistrats du parlement de Paris, S. 132, S. 139, Anm. 34. Vgl. E. L E H R : L'Alsace noble, Bd. 3, S. 139. F. C U M M I N G S : An eighteenth Century portrait, S. 57.

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nem Tod (1778) im zwei Jahre später eröffneten Testament alleine einen Immobilienbesitz in Höhe von 4676464 livres249. Da innerhalb der ständischen Ordnung Reichtum nicht als Standeskriterium galt, sicherte erst die Heiratsverbindung mit der hochadligen Familie Lamoignon de Malesherbes den Eintritt in die Haute Noblesse. 1735 heiratete Jean-Antoine Olivier die Tochter des Kanzlers von Frankreich und Schwester des berühmten Malesherbes, Anne-Nicole de Lamoignon. Erst ab diesem Zeitpunkt gehörten auch sie zur ersten aristokratischen Gütemarke Frankreichs. Die Schlösser Rosny bei Mantes und Verneuil (Eure) sowie ein riesiges Stadtpalais in Paris (rue de Richelieu N°95) wurden zu Zentren geselligen Lebens und aristokratischer Muße250. Zusammen mit den Familien d'Aigre, Moré, Galliffet, Hénàult und Le Peletier zählten sie zu den reichsten Familien von Paris251. Trotz aller wirtschaftlicher und sozialer Erfolge im Ancien Régime standen der Familie von Sénozan unglückliche Zeiten ins Haus. Zwei Kinder starben früh und ein männlicher Nachfolger blieb ihnen versagt. Das Familienerbe fiel zu gleichen Teilen in die Hände der beiden Gräfinnen von Sénozan: Anne-Nicole de Lamoignon de Malesherbes und ihrer Nichte Madeleine-Henriette-Sabine, Tochter des Grafen von Vienne. Nach der Eröffnung des Testaments in Paris am 10.5.1775 wurden sie zusammen mit ihren Verwandten de Veynes und de Miramon Eigentümer der Seigneurie Landser im Oberelsaß. Nicole de Lamoignon wohnte nach dem Tode ihres Mannes (1778) fast ausschließlich in Paris und erlitt in der Revolution ein tragisches Schicksal. Sie wurde in die Konspiration von Valence verwickelt, arretiert und angeklagt. Aus den Briefen mit ihrem ehemaligen Intendanten im Elsaß, François-JosephAntoine de Hell, die man in dessen Pariser Haus fand, mangelte es nicht an Andeutungen über Fluchtwege jenseits des Rheins, die als Konspiration ausgelegt wurden und den Ausschlag für ihre Verurteilung gaben. Am 12. oder 13.Mai 1794 starb sie mit 24 weiteren Angeklagten, unter ihnen Madame Elisabeth, Schwester des französischen Königs, unter der Guillotine252. Kurz zuvor, am 22.April 1794, waren der Verwalter Hell zusammen mit ihrem Bruder, ChrétienGuillaume Lamoignon de Malesherbes, hingerichtet worden253. Bei der Viertelung der Herrschaft Landser im Jahre 1775 wurden die Familien de Veynes und de Miramon ebenfalls zu Teileigentümern von elsässischem Grund und Boden. Der Marquis Jean-Baptiste de Veynes (1688-1764) stammte aus der Dauphiné, wo ihm die Seigneurie Bourg-les-Valence ganz, sowie Chichi249 250

251

252

253

F. BLUCHE: Les magistrats du parlement de Paris, S. 150. Vgl. F. CUMMINGS: An eighteenth Century portrait, S. 57 f. Vgl. ebenso F. BLUCHE: Les magistrats, S. 202. Vgl. F. BLUCHE: Les magistrats, S. 233. Zur Familie de Sénozan als Grundherren im Mâconnais vgl. F. PERRAUD: Les environs de Mâcon, S. 297-300. F. CUMMINGS : An eigtheenth Century portrait, S. 58. Die weiteren Namen der Angeklagten vgl. bei A.de BEAUCHESNE: La vie de Madame Elisabeth, Bd. 2, S. 222-225. Name und Todesdatum falsch bei R. JOCTEUR: Brève évocation, S. 83. Vgl. P.GROSCLAUDE: Malesherbes, Bd. 2, S. 751 f. Zu Hell vgl. E. SITZMANN: Dictionnaire, Bd. 1, S. 740.

Die prunkliebenden Abwesenden

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liane und L'île-Adam zum Teil gehörten. 1695 erhob Ludwig XIV. mit lettres patentes Bourg-les-Valence zum Marquisat, worauf hin die Veynes sich in der Folgezeit nach dieser Grundherrschaft nannten254. Da die Familie nicht sonderlich vermögend war, ging Jean-Baptiste de Veynes 1718 eine finanziell vielversprechende Ehe mit Jeanne-Angélique de La Tour du Pin-Gouvernet ein, die als Mitgift 40000 livres und Diamanten und Juwelen im Wert von 6000 livres sowie das Schloß Valentin „meublé suivant Sa qualité et en outre son carosse" einbrachte255. Trotzdem konnte er das Familienbudget nicht schuldenfrei gestalten, so daß er 1750 den verbliebenen Anteil an der Seigneurie Veynes an Charles de Revillasc verkaufen mußte256. Nach seinem Tode (1764) folgte sein dritter Sohn Jean-Frédéric als Universalerbe. Dieser sah sich schließlich aufgrund der virulenten Kapitalnot und der Kinderlosigkeit seiner Ehe veranlaßt, nach langwierigen Verhandlungen, seinen Anteil an der Seigneurie Landser am 17.5.1787 an die Familie von Miramon gegen die immense Summe von 750000 livres abzutreten257. Über den letztgenannten Besitzer ist bislang wenig bekannt. Die Familie stammte ursprünglich aus der Rouergue und ließ sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der Auvergne nieder, wo sie die Familien Pesteils und Brezons beerbte. Von Hause aus war Alexandre-Emmanuel de Cassagnes de Beaufort bereits aus einem sehr vermögenden Adelsgeschlecht, das in der Rouergue über umfangreiche Ländereien verfügte. Nunmehr zum mächtigsten Grundherr in der Haute-Auvergne aufgestiegen, gehörte es zum guten Stil, in zwei eigenen Stadthäusern in Paris, im Anden hôtel de Gesvres, rue Croix-des-Petits-Champs, und im Hôtel Miramon, rue des Roziers, zu logieren258. Die Verwaltung seiner Güter übertrug er einem Generalpächter, der ihn geschäftlich auf dem laufenden hielt und vor allem seinen mondänen Pariser Lebensstil finanzierte. Durch die 1725 geschlossene Ehe mit Marguerite-Emilie-Ester de La Tour du Pin-Gouvernet stand ein weiterer umfangreicher Erbanfall ins Haus. Nach dem Tode seiner Frau (1767) ging er eine mesalliance mit der bürgerlichen Advokatentochter Cathérine Maratuech ein. Ein Jahr später erhob Ludwig XV. die Seigneurie Pesteils in der Auvergne zum Marquisat, und Alexandre Emmanuel nannte sich ab diesem Zeitpunkt nach dem Familiengut der Familie in der Rouergue, Marquis de Miramon259, obwohl er diesen Besitz kurze Zeit zuvor verkauft hatte. In den Genuß der elsässischen Rente kam schließlich sein Sohn und Nachfolger 254 255 256 257 258 259

J. ROMAN: Les familles ethniques, S. 12. Vgl. ebenso G. A. F. Bd. 6, S. 444. BNP, Chérin 206. Vgl. J. ROMAN: Les familles ethniques, S. 12. ADHR, 1 E 44 (16). Vgl. E. de VILLERS: Mémoire pour les héritiers d'Herwart, S. 316. B.de MIRAMON-FARGUES: Cassagnes-Beaufort-de Miramon, S. 50. Vgl. Nobiliaire universel de France, Bd. 14, Paris 1818, S. 229. Der Marquis Alexandre Emmanuel de Cassagnes de Beaufort nannte sich nach dieser Standeserhöhung „marquis de Miramon, marquis de Pesteils et du Cayla, comte de Paulhac, baron de La Roque, Foulholes, Giou et Yolet [...], co-seigneur de la baronnie de Landzer, de La Hart et de Huningue en Alsace" (vgl. B.de MIRAMON-FARGUES : Cassagnes-Beaufort-de Miramon, S. 48).

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Zur Binnendifferenzierung der Adelsgesellschaft

Jean-Gaspard de Miramon (1730-1810), der 1775 co-seigneur von Landser wurde. Da seine Ehe mit Marie-Anne de Bardonin de Sansac ohne männliche Nachkommenschaft blieb, konzentrierte sich nach dem elsässischen Erbanfall das ganze Interesse der Familie auf den jüngeren Bruder Louis-Alexandre de Cassagnes de Beaufort (1735-1801), der im Jahre 1755 mit tatkräftiger Unterstützung seines Vaters den Eintritt in den Malteserorden mit Sitz auf der Mittelmeerinsel durchsetzen konnte, um anschließend im Range eines capitaine in der Ordensarmee zur See den Militärdienst zu verrichten260. Um der Gefahr eines Aussterbens der vermögenden Familie im Mannesstamm vorzubeugen, heiratete Louis-Alexandre 1776 die zwanzigjährige Marguérite de Chabannes und damit in eines der ältesten und angesehensten französischen Adelsgeschlechter ein261. Die Familie der Ehefrau stammte aus dem Limousin und verfügte in ihrer über sechshundertjährigen Geschichte über fünf direkte Allianzen mit der königlichen Familie, stellte mit Jacques de Chabannes einen französischen Marschall und gelangte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts allein fünfmal in den Genuß der begehrten honneurs de la cour262. Mit großer Wahrscheinlichkeit war diese Heirat auch der finanzielle Hintergrund für die bereits erwähnte, hochkarätige elsässische Kaufaktion, da die Alleinerbin als Mitgift das Marquisat de Saint-Anjeau und eine Reihe von Ländereien im Bourbonnais mit in die Ehe einbrachte. Die Ehe war nur von kurzer Dauer, da Marguerite de Chabannes zwei Jahre später verstarb, und auch der zuvor geborene Sohn ihr alsbald in den Tod folgte. Nach dieser bitteren Enttäuschung holte das Familienoberhaupt Jean-Gaspard de Miramon die Erlaubnis des Papstes ein, und, um das riesige Erbe für die eigene Familie zu sichern, verheiratete er 1785 den Bruder mit seiner ältesten Tochter Marie-Anne-Jeanne. Aus dieser Verbindung wiederum ging eine unfangreiche Nachkommenschaft hervor263. Kannten die Bewohner der Herrschaft Landser ihre Grundherren am Ende des Ancien Régime allenfalls vom Hörensagen, so war der Name Mazarin im ganzen Elsaß ein Begriff. Das hing nicht nur mit der bedeutend größeren räumlichen Ausdehnung ihres Besitzstandes zusammen sondern auch mit dem anfanglichen Engagement der Familie im Elsaß. Ludwig XIV. suchte nach der 260

261

262

263

Louis-Alexandres Aufnahmegesuch in den Malteserorden erfolgte bereits im Kindesalter (1740). Dem endgültig erfolgten Eintritt (1755) vorausgegangen waren geneaologische Querelen seines Vaters mit der Ordensorganisation auf Malta, die sich im Zusammenhang mit mehreren mésalliances innerhalb der Familie mütterlicherseits (La Tour du Pin und La Roche Allard) ergeben hatten. Als sein Vater in den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts bei einem ähnlich gelagerten Fall aufgrund der fehlenden Urkunden gegen die Aufnahme des Antragstellers protestierte, bedurfte es der Intervention des französischen Königs, des Papstes und des Kardinals de Fleury (vgl. B.de MIRAMON-FARGUES: Cassagnes-Beaufort-de Miramon, S. 66). Les Miramon, seigneurs de Baleyne: in: Bulletin de la Société d'émulation du Bourbonnais, 1932, S. 447f. Vgl. ebenso B.de MIRAMON-FARGUES: Cassagnes-Beaufort-de Miramon, S. 67. Vgl. E.de SEREVILLE/F.de SAINT SIMON: Dictionnaire de la Noblesse française, S. 272. Vgl. ebenso LA CHESNAYE-DESBOIS: Dictionnaire de la noblesse, Bd. 2, S. 946ff. G. A. F., Bd. 2, S. 362 f. Vgl. B.de MIRAMON-FARGUES: Cassagnes-Beaufort-de Miramon, S. 68f.

Die prunkliebenden Abwesenden

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Niederschlagung der Fronde (1648-53) und nach dem für Frankreich vorteilhaft abgeschlossenen Pyrenäenfrieden mit Spanien (1659) eine Möglichkeit, die großen Verdienste des Kardinals Mazarin für den französischen Staat zu würdigen. Das Repertoire an Titeln war bereits ausgeschöpft, so daß allein eine Gratifikation in Form von Land, Renten und Ämtern übrig blieb264. Da selbst der König nicht befugt war, Teile der Krondomäne zu diesem Zweck zu veräußern, bot sich der kurz zuvor erworbene elsässische Besitz geradezu an, zumal der Kardinal durch seine hartnäckige Linie entscheidend mit zur Abwehr der separatistischen Bestrebungen des Grafen von Harcourt im Elsaß zu Beginn der fünfziger Jahre beigetragen hatte265. Mit zwei lettres patentes vom Dezember 1658 und Dezember 1659 trat der König die beiden Grafschaften Beifort und Ferrette sowie die Seigneurien Thann, Altkirch, Delle und Issenheim an den Kardinal ab, mit der Erlaubnis, diese Güter auch vererben zu dürfen266. Beim Tode des Kardinals (1661) fiel das Erbgut an dessen Nichte, Hortense Mancini, die kurz zuvor den Herzog Armand-Charles de La Meilleraye, geheiratet hatte. Durch diese Heiratsverbindung stieg die im Poitou begüterte Herzogsfamilie zu einer der reichsten Familien Frankreichs auf, denn aus dem Vermögensfonds des Kardinals gab es eine Menge zu verteilen. Daniel Dessert schätzt die Aktiva des Kardinals auf knapp 35 Millionen livres267, während zum Vergleich die Nebenlinien der Königsfamilie Bourbon, die Condé 31 bis 32 Millionen livres268, die Conti 13,1 Mill. (1752)269 und die Bourbon-Penthièvre 16 Millionen livres besaßen270. Der durchschnittliche Vermögensbestand eines Generalpächters betrug im 18. Jahrhundert 2707052 livres271. Insgesamt wird sich die Erbschaft des Kardinals Mazarin auf etwa 12 Mill. livres belaufen haben272. Gleichwohl, das angefallene riesige Vermögen brachte große Schwierigkeiten mit sich. Die Kapitalstruktur, die wenig zugeneigte Politik der Krone, die enormen Kosten für eigene Hofhaltung und den ganzen Verwaltungsapparat ihrer Besitzungen sowie der bizarre Charakter des Herzogs machten seinen Besitz zu einer „héritage empoisonné"273. Das große Mißtrauen des Königs gegen allzu mächtige Potentaten im eigenen Land traf auch die Familie de La Meilleraye-Mazarin. Bereits 1664 mußte der Herzog sein Gouverneursamt im Elsaß auf königlichen Befehl aufgeben274. Zu 264

265 266 267 268 269

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274

Mazarin wurde zum Gouverneur beider elsässischen Landesteile, zum Gouverneur der beiden Festungen Breisach und Philippsburg und zum Grand Bailli von Haguenau ernannt. Vgl. G. LIVET: Le comte d'Harcourt et la Fronde en Alsace, op.cit. ADHR, E 2929. D. DESSERT: Pouvoir et finance, S. 164. D. ROCHE: Aperçus sur la fortune, S. 242. F.C. MOUGEL: La fortune des princes de Bourbon-Conti, S. 38. Der genaue Betrag belief sich auf 13110206 livres. J. DUMA: Les Bourbon-Penthièvre, S. 304. Die 16 Millionen livres stellen den Veräußerungswert der Domäne von Rambouillet an den König im Jahre 1783 dar. Y. D U R A N D : Les fermiers généraux, S. 133. G. LIVET: Le Duc Mazarin, S. 58. J. PERET: Seigneurs et seigneuries, S. 29-48, bes. S. 34ff.; Vgl. ebenso G. LIVET: Le Duc Mazarin, S. 56ff. G. LIVET: Le Duc Mazarin, S. 112.

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Zur Binnendifferenzierang der Adelsgesellschaft

Beginn des 18. Jahrhunderts machte die Familie ein jährliches Defizit von annähernd 10%275. Der Weg in die Verschuldung und damit in den finanziellen Ruin war vorgezeichnet. Ab 1673 zog er sich verbittert auf sein Erbschloß im Poitou zurück und übergab 1686 die elsässischen Besitzungen seinem Sohn Paul-Jules. Über dessen Sohn Guy-Jules-Paul gelangte das Duché Mazarin an LouiseJeanne de Durfort de Duras, Duchesse de Mazarin et de La Meilleraye, die ihren Besitz bis 1781 innehatte. Ihre Familie, die Durfort de Duras, gehörte ebenfalls wie die de La Meilleraye zu den „familles ministérielles", die aus dem Robenadel stammend, schnell unter Ludwig XIV. den Zugang zum Hof fanden und wichtige Machtpositionen einnahmen, sehr zum Argwohn des alten Schwertadels, wovon die Memoiren eines Saint-Simon ein eindrucksvolles Zeugnis abgeben. Die soziale Basis dieser neuen Familien lag hauptsächlich in der fidélité und clientèle zum Hof begründet276: „C'étaient les fidélités et les clientèles. Elles avaient quelque ressemblance avec le système de la féodalité médiévale parce que le „dévoué" ou le „serviteur" se donnait au XVIe et au XVIIe siècles à un protecteur, à un maître; mais cela n'entraînait pas, comme dans le monde féodal, de consécration juridique ni d'hommage en règle. Les dévoués composaient la clientèle d'un puissant, l'aidaient de leurs conseils, au besoin de leurs armes"277.

Louise-Jeanne de Durfort de Duras, 1735 geboren, wurde in ihrem 13. Lebensjahr mit dem 15jährigen Louis-Marie-Guy d'Aumont, Marquis de Villeqieur, verheiratet. Nachdem die elsässischen Besitzungen während ihrer Minderjährigkeit von einem Vormund geleitet wurden, übernahm sie zu Beginn der fünfziger Jahre allein ihr Eigentum. Sie war eine anmutige Frau und ausgestattet mit einem unbeugsamen Willen. Madame Oberkirch lernte sie 1772 kennen und beschrieb sie in ihren Memoiren: „La duchesse est certainement une des femmes les plus originales de ce siècle. Elle était belle, mais cette beauté lui a servi qu'à faire valoir celle des autres; grande, forte comme une figure de cariatide, elle semblait toujours embarrassée de sa taille et de sa tournure. Elle avait de l'esprit, une fortune immense, et dépensait l'un et l'autre pour se faire moquer d'elle. On ne s'en faisait faute"278.

Nach Louise-Jeanne folgte als letzte Erbin ihre Tochter Louise-Félicité-Victoire d'Aumont, Herzogin von Valentinois aus ihrer 1777 geschlossenen Heirat mit Honoré Grimaldi, der 1795 Fürst von Monaco wurde. Beide Frauen haben ihr gewaltiges Erbe als eine schwere Hypothek empfunden, zumal das Ansehen des Kardinals Mazarin in der Zwischenzeit rapide gesunken war279. Somit ist es keineswegs verwunderlich, daß den beiden letzten Erbnachfolgerinnen des Hauses Mazarin trotz bester Familienverbindungen zu den ersten Geschlechtern des 275 276 277 2,8 279

J. PERET: Seigneurs et seigneuries, S. 40. Dazu vgl. R. MOUSNIER: Les concepts d'"ordres", op.cit. passim. Y. DURAND: La maison de Durfort, S. 13. OBERK.IRCH: Mémoires, S. 52f. Vgl. G. DETHAN: Mazarin, S. 330 ff.

D i e prunkliebenden A b w e s e n d e n

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Landes (Duras, Aumont, Rohan und Grimaldi) der Name und das Vermächtnis des großen Vorfahren eher hinderlich war. Über jegliches Normalmaß hinaus verschuldet und nur noch als Erinnerungswert einer ehemals politisch wie wirtschaftlich respektablen Größe präsent, vollzog sich das Ende ihrer „Herrschaft" wie die Ironie des Schicksals: Per Dekret vom 25. Juli 1791 hob die Nationalversammlung in Paris die Dotation Ludwigs XIV. von 1659 auf und verwarf somit unwiderruflich alle Eigentumsansprüche der Familie Mazarin-Valentinois-Grimaldi280.

280

Vgl. P. CARON (Hg.): Recueil de textes législatifs, S. 138. Vgl. ebenso GEOFFROY: Rapport sur la donation faite au Cardinal Mazarin en 1659, fait au nom du comité des domaines, Paris (1791).

3. Familienklientel, Akkulturation und Herrschaftsstrategien Innerhalb der ständischen Gesellschaft des Ancien Régime bildete die Familie die wichtigste Keimzelle für das Funktionieren sozialen Lebens. Nicht der Einzelne stand im Mittelpunkt sondern der gesamte Familienverband. Das Individuum wiederum war eingebunden in ein äußerst komplexes System von Verbindungen und wechselseitigen Abhängigkeiten. Norbert Elias, der dieses Phänomen in der Höfischen Gesellschaft ausführlich beschreibt, differenziert weiter zwischen den Begriffen „Familie" und „Haus". Nach seiner Definition kristallisierte sich der Begriff „Familie" innerhalb der bürgerlichen Berufsgesellschaft heraus, während sich der Terminus „Haus" auf den König und die Aristokratie bezog1. In diesem Sinne besaßen der König oder ein einzelner Adliger keinen individuellen Eigenwert, sondern wurden an dem gemessen, was sie als Repräsentanten ihres Hauses nach außen darstellten. So repräsentierte der französische König die Maison Royale wie der deutsche Kaiser das Haus Habsburg oder der Herzog von Valentinois am Ende des Ancien Régime die Maison de Mazarin. Diese adlige Gruppenidentität kam vor allem bei der Eheschließung zum tragen, der innerhalb der höfisch-aristokratischen Gesellschaft eine eminent wichtige Bedeutung zukam. Da es dem Adel im Ancien Régime aufgrund seiner Standesideologie untersagt war, sein Leben mit Arbeit zu verbringen, konzentrierte sich sein ganzes Interesse auf die ehelichen Verbindungen, die zwar Stabilität garantierten, aber auch zum sozialen Immobilismus entscheidend beitrugen. Die Heirat war eine Familienangelegenheit. Ebenso war sie Garant für die Exklusivität des Hauses, weshalb die Familienoberhäupter mit peinlichster Genauigkeit auf die Verehelichung mit Ebenbürtigen achteten. Als der 60 jährige Baron François-Antoine von Andlau die erst 17 Jahre alte Stéphanie-Félicité de Crest, die spätere Madame de Genlis, in seinem Pariser Haus auf der île de Saint-Louis empfing, um seine persönliche Aufwartung zu machen, ließ er ihr galant durch seinen Kammerdiener die Genealogie seiner Familie überreichen. Er wollte ihr auf diese Weise deutlich machen, daß seine illustre Herkunft und ihre fehlende Reputation zwei unterschiedliche, kaum zu vereinbarende Kriterien seien, die einer eventuellen ehelichen Verbindung im Wege stünden2. Das Kuriose dieser kleinen Szene besteht darin, daß der Provinzadlige von Andlau 1 2

Vgl. N. ELIAS: Die höfische Gesellschaft, S. 80. In ihren Memoiren berichtet die Madame de Genlis ausführlich über diese denkwürdige Begegnung: „[...] mais enfin, il me fit connaître ses véritables sentiments par la plus singulière déclaration d'amour qu'on ait jamais faite: Il m'envoya par son valet de chambre un gros paquet contenant sa généalogie toute entière, en me faisant prier de l'examiner avec attention; mais toute mon application à cet égard me rendit nullement favorable à ses voeux. Il vint le jour même demander solennellement mon coeur et ma main ; il fut très surpris que ses superbes parchemins eussent produit si peu d'effet sur mon esprit." (Mémoires de Mme. de Genlis,Bd. 1,S. 180, zit. in: H.d'ANDLAU-HOMBOURG: Le livre d'histoire, Bd. 2, S. 139). Mutter und Tochter hatten sich aus Geldmangel in ein Pariser Damenstift zurückgezogen.

Familienklientel, Akkulturation und Herrschaftsstrategien

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noch zu einem Zeitpunkt eine Heirat unter Stand ausschloß, als diese Maxime bei seinen französischen Standeskollegen schon längst aus der Mode geraten war. Inzwischen war es der reichen Hochfinanz wie den Crozat, Peyrenc, Bonnier und Pâris längst gelungen, in die alten französischen Adelsgeschlechter Villars, Choiseul, Sully, Aumont und Béthune einzuheiraten 3 . Auf diese Weise führte eine gezielt angesetzte Heiratspolitik unausweichlich zu einer starken Versippung zwischen Alt- und Neuadel, wobei die innerständischen Unterschiede zunehmend verwischt wurden. Nicht nur symbolische oder dynastische Aspekte trugen maßgeblich dazu bei, daß die Heirat ein konstitutiver Bestandteil der Adelsideologie wurde, auch ganz konkrete materielle Gründe spielten eine wichtige Rolle. Mit dem Heiratskontrakt wurde die Familienexistenz durch vertraglich vereinbarte Erbanteile in Form von Geld, Renten und Gütern garantiert. Das Schmieden von Heiratsplänen gehörte aus diesem Grund zur Lieblingsbeschäftigung des Adels und diente oft nur noch den kalkulierten Intrigen. Infolgedessen ging bei vielen Heiraten das Moment des Zufalls oder der gegenseitigen, partnerschaftlichen Zuneigung verloren, und eine Ehe war in erster Linie ein auf Rang und Prestige abzielendes Unternehmen 4 . Die dazu notwendige Initiative ergriffen in aller Regel zuerst die beiden Familienvorstände und nicht die potentiellen Ehepartner. Dem schwierigen Problem der Kontaktaufnahme unter adligen Kindern dienten regelmäßige Feste sowie Tanz- und Spielveranstaltungen. Symptomatisch für dieses IngroupVerhalten war das oft langwierige Auswahlverfahren, das der Eheschließung vorausging, und in dem es darauf ankam, die Interessen des eigenen Hauses mit denen des neu zu verbindenden in Einklang zu bringen: „L'idéal, c'est le juste milieu entre le mariage raisonable et le mariage d'agrément. 5 "

Das dies nicht schnell und ohne größere Mühen zu bewerkstelligen war, hing mit den Prämissen zusammen, unter denen eine Heirat geschlossen werden sollte. Ihr Charakter nämlich war äußerst ambivalent: die Heirat diente der Demonstration des eigenen Prestiges und sollte darüber hinaus dazu beitragen, eine Distanz gegenüber anderen sozialen Schichten zu schaffen. Letztlich besiegelte der gründlich ausgearbeite Ehevertrag nicht nur das weitere Schicksal zweier bisweilen völlig unbekannter Personen sondern beinhaltete vor allem ein kohärentes System sozialer, wirtschaftlicher und politischer Beziehungen und Verbindungen.

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Vgl. G. CHAUSSINAND-NOGARET: La noblesse au XVIII e siècle, S. 95. Ebd. S. 81. Ebd. S. 164.

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Familienklientel, A k k u l t u r a t i o n u n d H e r r s c h a f t s s t r a t e g i e n

3.1. Heiratsallianzen und Symbole In den elsässischen Geschichtswerken hält sich bis heute der Mythos vom adligen Stolz und seinen strengen Vorbehalten gegenüber bürgerlichem Einheiraten 6 . Als Beleg für diese Annahme dient die entsprechende Textpassage aus dem Reisebericht des Sieur J. de l'Hermine, der das Elsaß in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in mehreren Reisen kennenlernte und sich über den standesbewußten Adel wie folgt äußert: „ U n noble chez nous ne se mésallie point, quelque indigent qu'il soit, il aime mieux épouser une pauvre demoiselle que de prendre une bourgeoise avec une grosse dot" 7 .

So sehr diese zeitgenössische Einschätzung auf das dünkelhafte Selbstverständnis des Altadels zutraf und die wohl gängige Praxis des 17. Jahrhunderts richtig wiedergibt8, so zweifelhaft ist jedoch die Übertragung auf das 18. Jahrhundert. Durch den kaum zu verhindernden Kontakt mit der französischen Adelskultur, ihren „lockeren" Sitten und Gebräuchen, ließ in Wirklichkeit auch der alteingesessene elsässische Landadel die lange Zeit unentbehrlichen Standes- und Rangunterschiede fallen und öffnete sich in sozialer Hinsicht insbesondere gegenüber der stetig anwachsenden Zahl neuadliger Familien. Dagegen waren und blieben Heiratsverbindungen mit Adelsfamilien aus Innerfrankreich relativ weniger stark verbreitet. Die elsässische Standeselite blieb im Ancien Régime weitgehend unter sich. Pflegte der Altadel im 17. Jahrhundert noch konsequent und auf breiter Front ein endogenes Heiratsverhalten, so verblieben ein Jahrhundert später nur wenige Familien wie die von Berckheim, von Landsberg, von Reinach und von Wangen ihrem gewohnten genealogischen Standard treu. Aufgrund ihrer traditionellen Überzeugung, daß sich die wahre adlige Tugend und Existenz nur aus seiner Herkunft ableiten und fortführen lasse, waren sie gegenüber dem französischen und bürgerlichen Adelsblut immun. Dagegen kam es bei den meisten anderen Familien zu teilweise recht häufigen Mischehen, bei denen mésalliances, d.h. nicht standesgemäße Ehen, keineswegs ausgeschlossen waren. Den offiziellen Anfang machte dabei kein geringerer als der jüngste Sohn des Ministers Ludwigs XIV, der Marquis Charles-Hugues de Lionne, der durch seine 1709 feierlich geschlossene „Mißheirat" mit der Schankwirtstochter Marie-Louise Jaeger aus Weissenburg die elsässischen Adelskreise und den Hof gleichermaßen pro-

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Vgl. R. REUSS: L'Alsace au Dix-Septième siècle, Bd. 2, S. 14. R. WACKERNAGEL: Geschichtes des Elsasses, S. 342. G.LIVET: Le XVIII e siècle et l'esprit des Lumières, in: P. DOLLINGER (Hg.): Histoire de l'Alsace, S. 347. M. MAGDELAINE (Hg.): Guerre et paix, S. 167. Dieses Phänomen läßt sich auch in Innerfrankreich feststellen, denn hier bildeten die mésalliances im 17. Jahrhundert ebenso die Ausnahme ; allerdings fanden sie im Laufe des 18. Jahrhunderts eine immer häufigere Verbreitung (vgl. G. CHAUSSINAND-NOGARET: La noblesse au XVIII e siècle, S. 94).

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vozierte9. Ebenso erlaubte eine der ältesten und angesehensten Familien des Elsaß, die von Andlau, im 18. Jahrhundert in drei Fällen die Einheirat ambitionierter Bürgerlicher. Am 3. März 1700 wurde Marie-Anne Klinglin, eineinhalb Jahre vor der Anoblierung ihres Vaters, mit Antoine von Andlau aus der Seitenline der Petit-Landau verheiratet. Ein knappes Vierteljahrhundert später, am 11. Februar 1721, ereignete sich eine ungewöhnliche Hochzeitsszene: Der königliche Rat am Conseil Souverain d'Alsace, Ulrich Thomas Zaiguelius, wechselte in Colmar just am Todestag seines zukünftigen Schwiegervaters mit Anna Maria von Andlau die Ringe. Der so plötzlich verstorbene ehemals vorderösterreichische Rat in Breisach, Franz Hubert von Andlau, war zuvor bereits mit Anna Maria Schepff eine mésalliance eingegangen. Dies war für die Familie von Andlau keineswegs etwas Ungewöhnliches, hatte sie doch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bereits zwei Bürgerliche in ihre adligen Gentilreihen aufgenommen: 1660 ging Anna Katharina von Andlau mit Ferdinand Cointet de Fillain eine Ehe ein, dessen Ahne knapp hundert Jahre zuvor im Jahre 1575 am Parlament der Franche-Comté in Dôle den Adelsbrief erhalten hatte 10 , und vier Jahre später heiratete Maria Barbara von Andlau den bailli von Landser, Franz Sebastian Hug 11 . Die Familie von Andlau verfolgte damit im Gegensatz zu den genannten anderen ritterbürtigen Adelsgeschlechtern eine Heiratspolitik, die den Haupterben der jeweiligen Linien zur Standesheirat verpflichtete, den nachgeborenen Kindern jedoch bei der Auswahl ihrer Ehepartner eine freizügige Handhabung gestattete. Ähnlich wie die von Andlau gestatteten auch andere alteingesessene Adelsgeschlechter die Einheirat erfolgreicher, soeben erst nobilitierter Beamtenfamilien. Die Montjoie-Hirsingen versippten sich mit der Straßburger Prätorenfamilie von Klinglin12, die von Weitersheim mit den von Mackau 13 , die von Wurmser mit den von Güntzer 14 , sowie die Roeder von Diersburg 15 und von Wurmser mit dem aus der Mark Brandenburg gebürtigen, später im Breisgau begüterten und in Diensten des Markgrafen von Baden-Durlach aufgestiegenen Adelsgeschlecht von Dungern 16 . Für andere Adelsfamilien wiederum, besonders für wirtschaft9

AG Vincennes, A'.2165. Zum offiziellen Unmut, den dieser Skandal im Elsaß hervorrief, vgl. L. BRIELE: Une alsacienne. Marie-Sophie Jaeger, dernière marquise de Lionne, 1689-1759, in: RA. 38 (1887), 173-224. 10 Vgl. BNP: Histoire du parlement de Franche-Comté, S. 77. " Vgl. Europäische Stammtafeln, Bd. 11, Tafel 91,93 und 99. Die Familie Hug war sehr vermögend. 1698 kaufte Jean-Thiébaud das Amt eines conseiller du roi am Gerichtshof in Colmar. Über die Umstände seines Todes (29.10.1714) und die beabsichtigte Schenkung „de sa grande fortune" berichtet Dom Bernhard de Ferrette: Diarium de Murbach, in: Revue catholique d'Alsace 13 (1894), S. 221 f. Seine Tochter Maria Elisabeth verheiratete er 1688 mit François-Louis Clebsattel (vgl. R. GENEVOY: La famille de Clebsattel, S. 6). 12 Vgl. E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 2, S. 366. 13 Ebd. Bd. 3, S. 198. 14 Ebd. Bd. 3, S. 232. 15 Ebd. Bd. 3, S. 71. 16 Über die Familie von Dungern vgl. E. H. KNESCHKE: Adelslexikon, Bd. 2, S. 607 f. Der Kaiser bestätigte am 2.12.1699 in Wien den Ritterstand für Otto Wilhelm von Dungern, Rat des Markgrafen von

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Familienklientel, Akkulturation und Herrschaftsstrategien

lieh weniger gutgestellte, stand nicht so sehr der Machtaspekt sondern die finanzielle Sanierung im Vordergrund. Die Baronin Marie-Fidèle-Caroline Reich de Reichenstein-Brombach heiratete den wohlhabenden Straßburger Bankier und Großgrundbesitzer im Unterelsaß, André-Adolphe Jaccoud17; die von Eptingen gingen im 18. Jahrhundert gleich zweimal eine Verbindung mit der unter den Habsburgern im Elsaß begüterten und unter französischer Herrschaft finanziell entschädigten Augsburger Kaufmannsfamilie von Fugger ein18, und in einem bescheideneren Umfang kam es im Jahre 1771 zu einer Heiratsverbindung zwischen Marie-Anne-Françoise von Zu Rhein und dem vermögenden und einflußreichen bailli von Luemschwiller, Christophe-Antoine Clavé19. Für die Waldner von Freundstein war der finanzielle Druck im 18. Jahrhundert infolge ihrer Standesambitionen gewaltig, so daß sie Allianzen mit reichen, innerfranzösischen Adelsfamilien eingingen. Am 2.4.1748 heiratete ChrétienFrédéric-Dagobert Waldner, Seigneur von Ollwiller und Onkel der berühmten Madame von Oberkirch, die Tochter eines normannischen Edelmannes und Witwe des Generalpächters Dumay, Louise-Françoise Heuzé de Vauloger20. Über diese reiche Einheirat konnte Waldner sein adliges Prestige enorm steigern. Zunächst verlieh ihm Ludwig XV. auf den Tag genau drei Monate nach seiner Eheschließung den Grafentitel, der allerdings nur auf die jeweils erstgeborenen Söhne übertragen werden konnte. Paradoxerweise nahm der König in seiner Ernennungsurkunde Bezug auf die rein adlige Tradition der Familie Waldner: „[...] tant pour ses services, ceux de sa famille, et pour la pureté de la noblesse de ses ancêtres"21.

Zwei Jahre später (1751) begann Waldner mit dem Wiederaufbau des Schlosses Ollwiller22 und kaufte gleichzeitig für 140000 livres das Dorf Schweinheim im Unterelsaß von der Familie von Falkenhayn, das er 1760 gegen die seinem oberelsässischen Landsitz benachbarten Dörfer Hartmannswiller und Rimbach-Zell eintauschte23. Noch keineswegs an Land und Prestige saturiert, erwarb er am 24.10.1756 von der verschuldeten Stadt Breisach deren linksrheinische Besitzun-

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Baden-Durlach und Oberamtmann der Markgrafschaft Hochberg (vgl. K.F.von FRANK: Standeserhebungen, Bd. 1,S. 253). Vgl. E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 3, S. 18. Vgl. Genealogisches Handbuch zur Schweizer Geschichte, Bd. 3, Tafel X. Vgl. E. M E I N I N G E R : Notice sur la famille Zu Rhein, S. 90. Diese Ehe wurde am 14.8.1796 geschieden (ebd. S. 91). 1795 wollte Clavé, langjähriger Vogt der Herrschaft Heidwiller, das Schloßgut der von Reinach zum Preis von 81000 livres für seinen Schwiegersohn kaufen. Die zuständigen Revolutionskommissare lehnten dies allerdings ab, da er keinen rechtskräftigen Auftrag vorweisen konnte (vgl. T. WALTER: Schloss Heidwiller, S. 34). Vgl. A. HALTER: Le comte de Waldner de Freundstein, S. 6. E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 3, S. 183. In ihren Memoiren spricht Madame Oberkirch dieses Thema offen an: „M.de Waldner épousa en 1748 Louise-Françoise Heuze de Vologer, veuve du marquis de Fernere, ancien fermier général fort riche. Elle lui a apporté une belle fortune, qui lui a permis de reconstruire Ollwiller" (ebd. S. 54). Vgl. R. E. L., Bd. 3, S. 1018.

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gen, und zwar die Dörfer Biesheim, Geisswasser und Vogelgrün für ebenfalls 140000 livres, wobei er finanziell potente Mitkonkurrenten wie den Generalleutnant und Kommandanten von Colmar, Louis-Etienne Guinot de Monconseil, den Industriellen Jean-Philippe d'Anthès aus Soultz sowie den Grafen Friedrich Michael von Pfalz-Birkenfeld aus dem Rennen schlug24. Nach dem frühen Tod seiner Frau (1764) heiratete er in zweiter Ehe die ebenfalls vermögende MarieHelène-Françoise de Münck aus Porrentruy, deren Familie ursprünglich aus Dänemark ins Elsaß übergesiedelt war und dort von 1719 bis zur Revolution über zwei Generationen eine Ratstelle am Conseil Souverain d'Alsace innehatte25. Ebenfalls über eine Einheirat kam die Schwester des Ollwiller Schloßherrn, Françoise-Marie-Bénigne von Waldner, zu einem stattlichen Vermögen. 1737 heiratete sie den von Ludwig XV. in den Grafenstand erhobenen FerdinandEberhard von Sandersleben-Coligny26, der im Jahre 1719 mit den vakant gewordenen württembergischen Lehen Baldenheim und Oberrathsamhausen des verstorbenen Marquis de Chamlay investiert worden war. Nach dem Tod ihres Mannes (1750) ging sie mit ihrem Großvetter Chrétien aus der jüngeren Linie der Waldner von Sierentz ein zweite Ehe ein, woraufhin der durch Heirat angefallene Besitz bis zur Revolution in den Händen der Familie von Waldner verblieb27. Markantes Beispiel für eine offene Heiratspolitik sind die ursprünglich aus der Ortenau stammenden und seit dem 15. Jahrhundert im Elsaß begüterten Freiherrn von Schauenbourg. Die Familie war im 18. Jahrhundert in mehrere Linien aufgespalten, wobei jeder Zweig eine eigenständige, gänzlich unterschiedliche politisch-soziale Orientierung einschlug. Die Hauptlinie der Schauenbourg saß auf Schloß Herrlisheim bei Colmar und betonte besonders stark die Verbindungen zu den elsässischen Adelsgeschlechtern von Froberg-Montjoie, Wangen von Geroldseck und Zu Rhein. Da der „reinblütige" Personenbestand innerhalb des elsässischen Altadels sehr begrenzt und infolgedessen heftig umkämpft war, blieb im 18. Jahrhundert drei männlichen Familienmitgliedern als einzige Alternative der Eintritt in eine religiöse Gemeinschaft oder die militä24

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Zu den einzelnen Verkaufsverhandlungen vgl. G. HASELIER: Geschichte der Stadt Breisach, Bd. 2, S. 70-74. Um den Verkauf überhaupt durchführen zu können, mußte die Stadt Breisach die landesfürstliche Zustimmung einholen, weil die drei Dörfer ursprünglich eine Pfandschaft des Hauses Österreich waren. Vgl. E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 2, S. 384-387. Nach dem Tod von Dagobert (1783) kam es zwischen den Familien Waldner de Freundstein und de Münck zu Erbschaftsauseinandersetzungen. Die Witwe Dagoberts ging sogar so weit, zu diesem Zweck das höchste Pariser Gericht, das Châtelet, anzurufen (vgl. ADHR, 2 E 228). Die Familie zählte zu den ältesten niedersächsischen Adelsgeschlechtern. Johann Ludwig von Sandersleben, kaiserlicher Hauptmann, begründete über seine 1697 geschlossene Ehe mit Henritte Hedwig von Espérance die elsässisch-mömpelgardische Stammlinie der Familie (vgl. C. EGLINSDOERFER: Adel und Militär, S. 111). Vgl. E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 3, S. 183,186. Trotz dieser engen Familienallianz blieben die hohen Schulden ein Problem. Am 18.11.1779 mußte das Ehepaar die Einkünfte von Sierentz an die Gläubiger abtreten. Ihr Schuldenberg belief sich mittlerweile auf die Summe von 151842 livres(vgl. ADBR, 6 E 41/176).

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tische Laufbahn. Für die Töchter galt ein adäquater genealogischer Rigorismus. Entweder sie brachten einen standesgemäßen Freier, oder ihnen wurde ein strenges Heiratsverbot erteilt. Maria Gabriele, die Tochter von Franz Joseph Eusebius von Schauenbourg, und ihre jüngere Schwester Maria Regina waren Stiftsdamen in Epinal. Während sich für die ältere der beiden alsbald eine verlockende Heirat mit dem Reichsfreiherrn Judas Tadeus von Reischach, dem Staatsminister der Kaiserin Maria Theresia in Wien, auftat, verblieb ihre Schwester für den Rest ihres Lebens im Damenstift28. Ihre Brüder gelangten auch ohne Heirat im 18. Jahrhundert in bedeutsame Positionen: Beat Anton (1698-1762) absolvierte seine militärische Ausbildung im kaiserlichen Heer, trat anschließend in den Deutschherrenorden mit Sitz in Basel ein und diente ab 1723 in verschiedenen französischen Regimentern; Johann Baptiste (1701-1775) begann seine Laufbahn im französischen Regiment Picardie, trat 1738 in den Malteserorden ein und avancierte zum Großprior und Fürst von Heitersheim. Getreu der Familientradition waren auch in der nächsten Generation mit Jakob Wilhelm (1746-1815) und Johann Baptiste Hannibal (1748-1783) zwei Brüder schon im Kindesalter zum Dienst im Malteserorden bestimmt worden. Letzterer wurde mit päpstlichem Dispens gerade 13 jährig zum Ordensritter geschlagen, diente anschließend im Regiment Royal Alsace und ab 1769 im Dragonerregiment Schömberg. Dieses strenge System einer bewußten Beschränkung der legitimen Nachkommenschaft stieß gerade beim elsässischen Altadel auf starke Resonanz. Das eventuelle Aussterben einer Familie wurde dabei bereitwillig in Kauf genommen. Offensichtlich muß das biologische Kriterium im Zusammenhang mit dem hohen Adelsethos leichter gewogen haben als der Makel einer mésalliance. Ganz anders verhielt es sich bei der Jungholtzer-Linie der Freiherrn von Schauenbourg. Infolge ihrer zahlreichen Nachkommenschaft zweigten sich im 18. Jahrhundert mit Rimbach und Niederhergheim nochmals zwei Nebenlinien ab, was zwangsläufig zu einer sozial offeneren Heiratspolitik führen mußte. Ein erstes Signal setzte bereits Franz Melchior von Schauenbourg zu Beginn des 18. Jahrhunderts durch seine Heirat mit Jeanne-Marguerite, der Tochter des einflußreichen Prätors von Colmar, Jean-François Dietremann. In der Folgezeit kamen fast ausschließlich eingewanderte französische Familien als Heiratspartien in Frage: Barbaud de Florimont, Cointet de Fillain, de Valcourt, de Gordon de Badenoth, Baratin de Péchery, die Solothurner Ratsfamilie von Grimm sowie die Familien de Gaillard de Hellimer und de Seile aus Lothringen29. In geschickter Weise verbanden die von Schauenbourg den eigenen Tätigkeitsbereich im Heer mit den Einheiraten aus dem französischen Beamtenadel und sicherten mit Unterstützung der ambitionierten neuadligen Familien ihr durch mehrfache Erbteilungen dezimiertes Familiengut finanziell ab30. 28 29 30

Vgl. R.von SCHAUENBURG: Familiengeschichte, S. 165,169. Vgl. G. A. F., Bd. IV, S. 86 [de Gaillard] und Bd. VI, S. 201 [de Seile]. Zuletzt wurden die Seigneurien am 25. Juli 1781 mit einem jeweiligen Vermögenswert von mehr als 174000 livres geteilt: Philippe Michel (1750-1786), Offizier im Regiment Royal Deux-Ponts, bekam die

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Der nach der Annexion einsetzende Strom von Neuankömmlingen könnte die Vermutung nahelegen, daß sich der adlige Heiratsmarkt gerade gegenüber den angrenzenden innerfranzösischen Regionen geöffnet hätte. Eine nähere Untersuchung über das Heiratsverhalten elsässischer Adelfamilien kann diese Annahme jedoch nicht bestätigen. Die Vogesen blieben nicht nur eine geographische Barriere und bildeten in zollrechtlicher Hinsicht die Grenze, sie blieben vor allem bezüglich der etablierten sozialen und mentalen Normen ein schwer zu überwindendes Hindernis. Denn die traditionellen, historisch gewachsenen Versippungen über den Rhein blieben auch weiterhin bestehen und verhinderten letztendlich ein klientelistisches Einschwenken des niederen Adels in Richtung Innerfrankreich. Die kaiserliche Tradition blieb im Elsaß auch nach der Annexion bestehen und lebte ein Jahrhundert später durch die außenpolitische Annäherung zwischen Habsburg und Bourbon wieder erneut auf. Nur sporadisch kamen französische Heiratspartien zum Zuge. Allein die von Rosen zählten zu den wenigen Familien, die seit ihrer Ankunft im Elsaß ausschließlich mit hohen französischen Adelsgeschlechtern eine Verbindung eingingen. In einer beispiellos konsequenten Heiratspolitik fanden weder der elsässische Altadel noch die deutschen Reichsfürsten Gnade vor ihren Augen. Eine weitere Ausnahme von der Regel bildeten die seit dem 15. Jahrhundert in Haguenau seßhaften von Wimpffen. Zunächst um 1650 als Kammerherrn des Markgrafen von BadenDurlach und als Stettmeister von Haguenau tätig, traten sie gegen Ende des 17. Jahrhunderts als Berater und Geheimräte in die Dienste der Herzöge von Pfalz-Zweibrücken, die ihre Tätigkeit mit dem Aufstieg in die hohen Verwaltungsämter belohnten. Über drei Generationen besaßen sie das ursprünglich frei vergebene, sodann umgewandelte Erbvogteiamt in der bailliage Guttenberg sowie in der Grafschaft La Petite Pierre (Lützelstein). In dieser Zeit versippten sich die von Wimpffen mit den innerfranzösischen Familien von Fouquerolles und de La Tour-Foissac, bevor sie gegen Ende des 18. Jahrhunderts in württembergische Dienste übertraten. Ähnlich wie der Altadel grenzte sich auch ein Großteil des Neuadels in sozialer Hinsicht gegenüber den französischen Familien ab. Die Gründe für diese Abschottung scheinen nicht sofort einleuchtend, lockte doch die französische Krone stets mit ökonomischen Anreizen und ließen sich ebenso leicht politische Vorteile damit verbinden. Allein die Familie von Salomon, die ursprünglich aus Metz stammte und mittels ihrer Heiratspolitik den Kontakt zum lothringischen Heimatland stets aufrechterhielt, ging eigene Wege. Besonders konsequent praktizierte Beat-Dagobert de Salomon (1723-1789), der zunächst als Rat in Colmar und dann als Generalpächter im Elsaß tätig war, diese Strategie bei seiner Nachkommenschaft. Von den insgesamt zwölf Kindern aus seiner Ehe mit BenedicteFeudalgüter sowie Schloß und Seigneurie Niederhergheim, Franz Andreas Balthazar (1761-1833), maitre de camp, Schloß und Seigneurie Jungholtz und Franz Anton Melchior (1730-1797) die Seigneurie Rimbach zugesprochen (vgl. ADHR, 1 B 947, f° 242 ff.).

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Anne-Marguérite de Gauthier heirateten allein acht in französische Beamtenoder Militärfamilien ein31. Dagegen verkörperten die von Klinglin die „elsässische" Normalität. In zielgerichteter Manier verbanden sie ihre Machtbedürfnisse mit den dynastischen Interessen. Um sich als Neuadlige in den oberen elsässischen Gesellschaftskreisen auf Dauer etablieren zu können, versippten sie sich mit den altadligen Adelsgeschlechtern Boecklin von Boecklinsau, MontjoieHirsingen, von Müllenheim sowie mit der vom Aussterben bedrohten Familie von Roppe. Ganz besondere Bande knüpften sie zur gräflichen Familie von Lützelburg, mit der sie gleich dreimal eine Verbindung eingingen32. Wie teuer diese glänzend plazierten Heiratsallianzen erkauft waren, daß mußte die Familie zur Jahrhundertmitte bitter erfahren, als 1752 ihr skrupellosester Vertreter, der königliche Prätor von Straßburg, François-Joseph de Klinglin, bei Hof wegen seiner üblen Finanzgeschäfte und persönlicher Machenschaften denunziert wurde und die Familie in den wirtschaftlichen und sozialen Abgrund riß33. Um den sozialen Aufstieg realisieren zu können, wie ihn die von Klinglin seit ihrem Auftauchen im Elsaß praktizierten, bedurfte es einer langfristigen, stufenweise angelegten Berufs- und Heiratsperspektive. Jeder Schritt, in welche Richtung auch immer, mußte sorgfaltig vorbereitet und in seiner Wirkung kalkuliert werden. Für das im Berufsleben erfolgreiche elsässische Bürgertum bildete seit dem Ende des 17. Jahrhunderts der Aufstieg in den Adel die einzig erstrebenswerte Lebensmaxime. Infolgedessen war es einer der größten Triumphe des aristokratischen Geistes, daß die aufbegehrende Bourgeoisie nicht versuchte, das alte System zu verändern oder gar zu sprengen, sondern vielmehr von ihm absorbiert wurde. Welche Langzeitwirkung von diesem Phänomen auch über die Revolution hinaus ausging, und wie sehr es auch in den deutschen Grenzgebieten auf Resonanz stieß, illustriert der kritische Kommentar eines Bad Kreuznacher Bürgers aus dem Jahre 1799: „Und gewinnsüchtige Menschen, die das Glück ihrer Mitbürger immer wie eine Geldspekulation betrachten; die nur dann frei seyn wollen, wenn sie es dem gewesenen Adel gleichthun können; die die Gleichheit [im Original gesperrt] nur von sich aufwärts, aber ja nicht abwärts leiden mögen; die nur dann knausern, wenn des Vaterland um Beistand ruft, aber wenn es darauf ankömmt, die Wörtchen von und zu zu erkaufen, freudig zu ihren Goldkasten rennen.34"

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Vgl. A.de DARTEIN: Notice sur la famille de Salomon, S. 101-105. Die Familien stammten übrigens zum Uberwiegenden Teil aus Lothringen: Tholosan de Cézannes (2 x), de Cointoux, Pothier, de Gallimart, de Dartein, de Bérenger, Cabaret. Vgl. Europäische Stammtafeln, Bd. 11, Tafel 162. Vgl. zur Klinglin-Affäre I.STREITBERGER: Der königliche Prätor, S. 158ff. Ebenso Camille SCHWARTZ: L'affaire de François-Joseph de Klinglin, préteur royal de Straßbourg (1752), in: La vie en Alsace (1927), 227-236. Zu den zeitgenössischen Anklagepunkten seines einstigen Vertrauten und Handlangers Paulus Beck vgl. F. N. C. P. BECK: Factum ou exposition simple, sincère & vraie des Injustices A des Cruautés inouïes commises à Strasbourg par le Preteur Roïal Joseph Klinglin. AmsterdamFrankfurt/Main 1752. Eine deutsche Übersetzung erschien 1910: Franz Nikolaus Lorenz Paul BECK: Paulus Beck von Strassburg und seine Schicksale 1705-1778, hg. von Theodor Renaud. Straßburg 1910. Beschreibung der Feierlichkeiten bei Pflanzung des Freyheitsbaumes in Kreuznach, [1799], S. 30.

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Der adligen Faszination erlagen im Ancien Régime insbesondere die Beamtenfamilien. Davon weniger betroffen waren die Kaufleute, Bankiers und Händler. Zahlreiche Familien, denen ein direkter Zugriff zur Anoblierung über Brief, Amt oder Finanz versagt blieb, wählten die vierte Variante, die Einheirat, und erreichten auf diese Weise das allmähliche Hineinwachsen in den Adel. Die ersten Planungen zu diesem Schritt sahen vor, daß sich zu den innerfamiliären Festtagen wie Taufe, Heirat und Tod adlige Paten oder Zeugen aus der unmittelbaren Nachbarschaft einstellten. Häufig wurden bei diesen wichtigen Präliminarien bereits Vorabsprachen über mögliche Familienverbindungen getroffen, oder aber man wartete, bis sich eine entsprechende Situation, d.h. Qualifikation, ergab. Den Nachweis ihres beruflichen Erfolgs hatte z. B. die Familie Menweeg um die Jahrhundertwende erbracht. Mit Louis-Zénobie stellte sie nicht nur den bailli von Weissenburg, Ingenheim und Schoeneck 35 , sondern durch dessen Bruder Jean-Jacques auch den von Haguenau und Germersheim 36 . Um dieses bereits erworbene Renommee auszubauen, drängte Joseph-Jacques-Balthazar Menweeg in die Justizlaufbahn und kaufte 1713 das Ratsamt am Conseil Souverain d'Alsace31, wodurch sich ihm die Möglichkeit eröffnete, ein Jahr später die Erlaubnis zur Einheirat in die bereits etablierte Ratsfamilie von Holdt einzuholen38. Die Menweeg wiederum übertrugen den Adel in einer Art Schneeballeffekt via Heirat auf die branchenverwandte Familie Neubeck 39 , die ihn ihrerseits an die Willemann weitergab40. Neben den Bürgerlichen in hohen königlich-herrschaftlichen Beamtenstellen verspürten besonders die Mitglieder am Colmarer Gerichtshof eine starke Affinität zum elsässischen Adel. Die gegen Ende des 17. Jahrhunderts geschlossene Ehe zwischen Cathérine-Agathe Rungs und Jean-

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ADHR,1 B937,f° 187-193,219. ADHR, 1 B 926, f° 116. Vgl. Joseph PROBST: Geschichte der Stadt und Festung Germersheim, Speyer 1898, S. 304. Ebd., 1 B936, f° 46: Am 4.10.1713 als Nachfolger von Jean Joly de Morey. Menweeg hatte das Amt bis zu seinem Tod im Jahre 1764 inne. Ebd., 1 B 936, P 106. Ausschlaggebend war die Heirat des Pächters und Amtmanns von Lauterbourg, François-Henri Neubeck (1691-1728) mit Marie-Magdalene de Menweeg (1691-1775) [vgl. Gotha, Freiherren, 1865, S. 668. Ebenso ADHR, 1 B 937, f° 219]. Ihr Sohn Joseph-Urbain-Frédéric-François de Neubeck wurde 1750 zum bailli von Lauterbourg ernannt (ebd., 1 B 958, P 407) und ihr Enkel Henri-Guillaume-JacquesUrbain de Neubeck (geb. 1763) 1788 zum königlichen Prätor von Weissenburg (ebd., 1 B 948, f° 72). Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Familien klappte vorzüglich. Nach Absprache kontrollierten sie in den nachfolgenden Jahrzehnten die Vogteistellen in Weissenburg, Lauterbourg, Riedseitz (1768 als Nachfolger des Baron de Wimpffen, vgl. ebd., 1 B 943, f° 263) und Hohenbourg (diese Herrschaft war Eigentum der Freiherrn von Sickingen aus Freiburg i.Brsg., vgl. ebd., 1 B 958, f° 521). Die von Gritzner erwähnten Adelsdiplome der Familie Neubeck von 1697 und 1747 (anläßlich der Übertragung des Prätorenamtes von Weissenburg auf Jean-Georges-Henri-Joseph Neubeck, dem zweiten Sohn von François-Henri, durch Ludwig XV., ebd., 1 B 958, P 119), welche die Familie am 21.4.1813 zur Aufnahme in die bayerische Adelsmatrikel vorlegte, sind urkundlich nicht belegt (vgl. M. GRITZNER: StandesErhebungen, S.345 f., vgl. ebenso Genealogisches Handbuch des in Bayern immatrikulierten Adels. Bd. 3, 1952, S. 190). Vgl. J.-C. STREICHER: Le Sieur Willemann, bailli de Lauterbourg au service des nouvelles du Roy, in: Diligence d'Alsace 2\ (1979), S. 25-33.

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Familienklientel, Akkulturation und Herrschaftsstrategien

Joachim Hoen de Dillenbourg41, das der späteren Beamtenfamilie den Adel einbrachte42, ist nur ein Beispiel von vielen43. Für andere wiederum war diese Prozedur viel zu aufwendig und langwierig. Sie kauften sich kurzerhand das kostspielige Amt eines secrétaire du roi44, das die sofortige Nobilitierung mit sich brachte, wie im Falle von Jean Salomon (1702)45, Gilles Michelet (1712)46, Guillaume-François Demougé (1732)47, Jean-Thiébaut Hürt (1773)48 sowie JeanJacques Schiele (1756) aus Ammerschwihr49. Die Eitelkeit der erfolgreichen Bourgeoisie kannte im Ancien Régime keine Grenzen. Mit dem bloßen Adelserwerb noch nicht zufriedengestellt, kaufte sich ein gewisser Sieur Pancrace de Courten, der als Oberst in einem Schweizerregiment diente, im Jahre 1775 für 3000 livres den Grafentitel50. Gewiß besaßen nur die wenigsten Neuadligen die Chance, über die seriöse Einheirat in eine altadlige Familie oder über den Kauf eines nobilitierenden Amtes sozial zu reüssieren. Wenn ihnen dieser Weg versperrt war, versuchten sie ihr Ziel über Titel, Patronage und Wappenerwerb zu erreichen. Um zu verhindern, daß man seinen Namen in einem Atemzug mit demjenigen eines anobli nennen würde, legte sich der eitle und ehrgeizige königliche Rat Louis-Valentin Goetzmann (1729-1794) das Adelskognomen de Thum zu. Im festen Vertrauen auf seine adlige Provenienz, die er unter anderem aus den beiden Ehen seines Vaters mit adligen Töchtern ableitete51, unternahm er zahlreiche Versuche zur Adelsanerkennung. 1781 bemühte er sich vergeblich um die Entgegennahme des 41 42 43

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4! 46 47 48

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[HOZIER, Charles d']: Armoriai d'Alsace, S. 350. Georges-Conrad-Blaise de Rungs diente lange als secrétaire-interprète am Gerichtshof in Colmar. In den Adel eingeheiratet hat auch die Familie Pflug. Jules Pflug war seit dem 15.12.1694 als baillivon Oberbronn tätig (ADHR, 1 B 931, T 82). Wahrscheinlich war seine Schwester Catherine mit Jean-François d'Ichtratzheim verheiratet, dem Zwillingsbruder von François-Robert, Autor der Elsässischen Topographia von 1710 (E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 2, S. 252). Zur sozialen Bedeutung des Amtes vgl. David.D. BIEN: Die „Secrétaires du Roi" - Absolutismus, Korporationen und Privilegien im französischen Ancien Régime, in: E. HINRICHS (Hg): Absolutismus, Frankfurt/Main 1986, S. 249-272. Vgl. ebenfalls für die grande chancellerie in Paris C. FAVRELEJEUNE: Les secrétaires du roi de la grande chancellerie de France, 2 Bde., Paris 1986. Auch am Gerichtshof in Colmar gab es eine chancellerie, an der das Amt im Oktober 1701 im Elsaß eingeführt wurde (DE BOUG: Ordonnances d'Alsace, Bd. 1, S. 53). Vgl. AD Moselle, C170, f° 227 r° -228 r°. Vgl. BNP, Chérin 136. Vgl. G. A. F., Bd. 5, S. 59. Vgl. AD Moselle, C188, f° 165 r° -165 v°. G. A. F., Bd. 5, S. 126. BNP, N. H. 191 : Hürt erhielt am 13.11.1773 die Bestallungsurkunde für das Amt eines conseiller-secrétaire du roi Am 9.1.1789 resignierte er zugunsten seines Sohnes Jean-Georges-Thiébaud de Hürt. Gleichzeitig war er als leitender Gerichtsschreiber am Conseil Souverain d'Alsace tätig. Vgl. ebenfalls G. A. F., Bd. 4, S. 321. AD Moselle, C193, f° 215v° -216v°. H. PFANNENSCHMID: Pfeflfel's Fremdenbuch, S. 281. ADHR, 1 B 962, f° 337. Zur Familie de Courten vgl. Schweizerisches Geschlechterbuch, Bd. 2, Basel 1907, S. 97-104. Sein Vater Georges-Adam Goetzmann (1684-1768) heiratete in erster Ehe die Tochter des grundherrschaftlichen Pächters von Landser, Payer de l'Épine, und in zweiter Ehe Marianne-Françoise Poirot, Tochter des königlichen Rates am Conseil Souverain d'Alsace, Jean-Baptiste Poirot und der Freifrau Marie-Marguérite Besançon de Fontenelle (N. D. B. A., S. 1226). Goetzmann leitete seine Herkunft ebenfalls aus einem 70 Familien umfassenden Adelsverbund des Schlosses Rothemburg bei Nürnberg ab (vgl. C. HOFFMANN : L'Alsace au XVIII e siècle, Bd. 1, S. 90). Vgl. ebenso ANP, M 420/19 (1).

Heiratsallianzen und Symbole

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Malteserkreuzes, und drei Jahre später bat er um Aufnahme in die Ritterschaft der Ortenau. Als beide Vorstöße in die Adelswelt an den fehlenden Titelnachweisen scheiterten, schrieb er enttäuscht an seinen Bruder: „Le seul obstacle se trouverait peut-être dans ma naissance: car quoique nous ayons des preuves multipliées de la noblesse de notre origine, vous savez que je n'ai pu rassembler toutes nos filiations."52

Der „Fall" Goetzmann ist eines von vielen im elsässischen Ancien Régime und belegt nachdrücklich, wie treffsicher der Schriftsteller La Bruyère dieses soziale Phänomen bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts einschätzt: „Mancher verleugnet seinen Vater, dessen Schreibstube oder Laden bekannt ist und angeführt wird, um sich auf seinen Großvater zurückzuziehen, der seit langem tot und außer Greifweite ist. Dann zeigt er seine dicken Einkünfte, ein hohes Amt, gute Verschwägerungen, und um adlig zu sein, fehlen ihm nur noch die Titel"53.

Wie Goetzmann so versuchte auch sein Berufskollege Luc-Claude-FrançoisXavier Atthalin durch den Zusatz de Jussey seinem Namen die Aura adliger Abstammung zu verleihen. In Wirklichkeit hatte er 1766 das abgabenfreie Landgut Jussey in der Haute-Saône gekauft und in ein Lehen umwandeln lassen54. Auf geradezu abenteuerliche Weise erschlich sich der spätere Chef einer Militärschwadron, Henri-Xavier-Benoît Angell aus dem Ort Moos im Sundgau, den Adelstitel. Obwohl sein Vater als örtlicher Müller seinen Lebensunterhalt verdiente, reichten während des Militärdienstes in Paris der Verweis auf eine fiktive Heiratsverbindung mit der Robenfamilie de Rayber in Guebwiller aus, um gegen entsprechende Bezahlung und mit Hilfe weiterer Adelsreferenzen die Anerkennung als Chevalier d'Angell de Kleinfeld zu erwirken55. Namensänderungen waren in einer Gesellschaft, die der sozialen Differenz kultische Bedeutung zukommen ließ, keine Seltenheit, achtete sie doch penibel auf die Einhaltung der ständischen Rangordnung. Um an deutschen Höfen oder innerhalb der französichen Verwaltung Karriere machen zu können, benötigte der noch unvermögende bourgeois eine neue Identität, die er über den Namen vermitteln konnte. Der deutsch-französische Grenzraum im Elsaß förderte derartige Doppelkarrieren ungemein. Ein Beispiel für eine solchen Neologismus ist die Familie Papelier, die in Wirklichkeit Holzapfel hieß, und die ihren alten Familiennamen zu Beginn des 18. Jahrhunderts französisierte56. Johann David Papelier brachte es gar zum pfalz-zweibrückischen Kanzler der Grafschaft Ribeaupierre und wurde vom deutschen Kaiser 1762 geadelt. Gleichzeitig diente er dem französischen König als garde des archives in Straßburg und avancierte am 52

53 54 55 56

Vgl. C. H O F F M A N N : L'Alsace au XVIII e siècle, Bd. 1, S. 89. Zur Herkunft u n d Person Goetzmanns vgl. P. H U O T : Goetzmann et sa famille, in: R.A. 14 (1863), 433-444. LA B R U Y È R E : Die Charaktere oder die Sitten des Jahrhunderts, S. 207. Vgl. E. L E H R : L'Alsace noble, Bd. 1, S. 27. Vgl. F. S C H A E D E L I N : Un bourgeois alsacien devenu gentilhomme, op.cit. passim. ADBR,38J314.

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Familienklientel, Akkulturation und Herrschaftsstrategien

Ende des Ancien Régime zu einer Kapazität in lehnsrechtlichen Fragen und bei Streitfallen mit den deutschen Fürsten im Elsaß57. Im Oktober 1770 honorierte der französische König seine Verdienste mit dem Adelsbrief, worin ausdrücklich auf seine Akten- und Rechtskundigkeit verwiesen wird: „[...] avec ses talens et ses connaissances l'ordre établi dans les archives de notre province d'Alsace dont Nous avons confié la garde à ses soins; le recouvrement d'une quantité de titres originaux des XIIe, XIIIe, XIVe et XVIe siècles qui se trouvaient dans celles d'Inspruck; le dénombrement de tous les fiefs d'Alsace et la vérification de leurs dépendances, opérations pénibles non moins avantageuses au public qu'importantes pour Nous [.. ,]"58.

Die wechselseitige Faszination, die Adel und Bürgertum im Ancien Régime auf so unterschiedliche Weise miteinander verband, fand ihre typische Ausdrucksform im „Wappenkult". Während der alteingesessene Landadel auf seine reiche Tradition rekurieren konnte, beriefen sich viele Neuadlige krampfhaftphantasievoll auf ihre vermeintlichen Verbindungen zur Aristokratie. Ihre zu diesem Zweck erstellten innovativen Wappen, vermitteln höchst aufschlußreiche symbolische und elementare Formeln. Überhaupt waren Adel und Bürgertum im 18. Jahrhundert gleichermaßen von einem genealogischen Fieber erfaßt worden. Die Dynastien der königlichen Hofheraldiker d'Hozier und Chérin in Versailles hatte Hochkonjunktur und prüfte gewissenhaft alle Vorschläge unter dem einzig ausschlaggebenden Kriterium der Singularität. Die im Wappen abgebildeten Symbole sowie die angedeuteten genealogischen Verbindungen hatten eine ungleich größere Bedeutung als die Firmen- oder Vereinsembleme heute: sie verkörperten mehr als Eitelkeit, sie waren Legitimation und Programm zugleich. Sehr augenfällig führten z.B. die Familien Klinglin und Franck die Lilie in ihren Wappen, wodurch ihr Klientelverhältnis zur französischen Krone zum Ausdruck gebracht werden sollte. Außerdem wollten die Bankiers Franck mit dem Reh als Wappentier die Schnelligkeit und den guten Geschmack ihres Hauses hervorheben. Mit der neuerworbenen Freiherrenkrone schmückten die Spon und Neubeck ihre Wappen. Als konkretes Symbol ihres Aufstiegs hatten die Neubeck zusätzlich eine Rübe mit fünf großen Blättern anbringen lassen. Die berufliche Qualifikation war auch für die d'Anthès Grund genug, durch zwei gekreuzte Schwerter auf ihre wichtige Rolle als Waffenproduzenten hinzuweisen. Im Wappen des Amtmanns von Landser, Hell, kam besonders seine doppelte Loyalität zu Habsburg und zum Hause Bourbon zum Ausdruck. Dem kaiserlichen Adelsspender erwies er durch einen rechtssehenden gekrönten Adler seine Referenz, und dem französischen Souverän zeigte er sich durch fünf Kleeblätter59, die von einer hervorbrechenden goldenen Sonne am Leben gehalten werden, verpflich57 58 59

Vgl. E. SITZMANN: Dictionnaire, Bd. 2, S. 422. ADHR, 1 B 961, P 442. Die Kleeblätter und der ebenfalls abgedruckte Büffelkopf mit Gehörn und Nasenring verweisen auf das große Interesse Heils an der Landwirtschaft. Den Ameliorationen und der Zurückdrängung des Brachlandes durch Kleeanbau ließ er die größte Aufmerksamkeit zukommen.

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tet. Wieder andere versuchten ihre neuerworbene Macht sinnbildlich wiederzugeben: Ein Löwe zierte das Wappen der von Mayerhoffen und ein Stier dasjenige der von Güntzer. Allerdings waren nicht alle Neuadligen von der Ernsthaftigkeit des exklusiven Wappenführens mehr überzeugt. Bürgerlichen Spott versprühten in sehr witzig-ironischer Art zwei nobilitierte Familien über den adligen Anachronismus: Jean-Gaspard de Hatzel, Großagrarier und königlicher Beamter, führte eine Elster60, und die Familie Demougé, die Steuereintreiber, Steuerpächter und königliche Gerichtsbeamte stellte, führte einen Reiher in ihrem Wappen 61 .

3.2. Adlige Sozialprofile Ein Hauch von Wohlstand und Eleganz wehte im 18. Jahrhundert durch viele Schlösser des elsässischen Adels. Der Kontakt mit der französischen Hofkultur hatte die Eitelkeit des privilegierten Standes gefördert und dem Luxus die Türe geöffnet. Nicht mehr der zurückgezogene bescheidene Lebensstil eines Landedelmannes war gefragt, sondern die jeweilige Ausrichtung am Niveau des Nächsthöheren wurde zur obligatorischen Maxime. Die in sich abgestufte Adelshierarchie nahm im Jahrhundert vor der Revolution gänzlich neue Konturen an. Zwar bildete der Adel als Stand, also im juristischen Sinne, nach wie vor eine Einheit, jedoch lebten die einzelnen Familien in sozialer Hinsicht getrennt voneinander. Die Betonung der Differenz innerhalb der Aristokratie wurde zum besonderen Sozialkriterium der oberen gesellschaftlichen Schichten. Die princes possessionis kopierten den Hof in Versailles, der niedere Adel imitierte die Fürstenhöfe und versuchte Rang zu halten, und selbst die städtische Bourgeoisie grenzte sich sozial nach unten ab und betonte ihre aristokratischen Ambitionen. Wie in keinem Jahrhundert zuvor sah der Adel im vivre noblement die Erfüllung seines privilegierten Daseins, und symbolisierten das Schloß auf dem Land sowie das hötel in der Stadt in konkreter Form adlige Präsenz. Sicherlich fiel der Rahmen im Oberelsaß bescheidener aus als im nördlichen Teil des Elsasses, d. h. in den fürstlichen Residenzen in Straßburg, Bischwiller, Bouxwiller oder Saverne. Viele Schlösser und ehemals stolze Ritterburgen waren den Kriegswirren seit dem Bauernkrieg zum Opfer gefallen, zahlreiche Brände taten ihr übriges. Am 25. Februar 1722 zerstörte eine schwere Feuersbrunst das Schloß Orschwihr, den Witwensitz der Familie Truchsess von Rheinfelden, wobei viele Dokumente verlorengingen62. Auf die gleiche Weise verloren die Truchsess von Rheinfelden dreißig Jahre später auch ihr Schloß Appenwihr bei Colmar. Nicht in allen Fällen bot sich in dieser heiklen Situation ein zusätzlicher 60 61 62

Vgl. R. BAYER: Jean-Gaspard de Hatzel, S. 21. Vgl. M. GRITZNER: Der Adel des Elsass, S. 8 ff. Vgl. P. STINTZI: Das Schloß Orschweier, S. 191. Vgl. ebenso B.de Ferrette: Diarium de Murbach, in: Revue cathoiiquedAlsace 13 (1894), S. 472.

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Adelssitz als Ausweichquartier an. Oftmals wurde die Brandruine notdürftig hergerichtet, oder die um ihren Wohnsitz gebrachte Familie bezog ein Stadthaus in einer der umliegenden Städte. Nur wenige waren in der Lage, durch Feuer Zerstörtes wieder aufzubauen. Am 30. Oktober 1739 fiel das gegen Ende des 17. Jahrhunderts von den Reinach mit hohen Kosten umgebaute Schloß Fröningen durch die Nachlässigkeit der Küchenmagd den Flammen zum Opfer 63 . Anschließend baute es Philipp Ignaz von Reinach, der sich inzwischen auf Schloß Heidwiller zurückgezogen hatte, im größeren Stil wieder auf und hinterließ seinen Söhnen unter anderem die Bauschulden 64 . Ebenfalls durch Brand zerstört wurde am 15. Februar 1776 das vom Murbacher Fürstabt Graf Eberhard Philipp von Löwenstein von 1699 bis 1705 im Rokokostil errichtete Lust- und Jagdschloß in Wesserling. Das angesehene Adelsstift hatte diesen Besitz noch kurz vor der eigenen Säkularisierung (1764) an den königlichen Salzeinnehmer von Thann, Pierre-Thomas Desmarais 65 , verkauft, der es kurze Zeit später an das Mülhausener Unternehmen Nicolas Risler & Co. weiter veräußerte. Die Firma nutzte die Räume des ehemals fürstlichen Anwesens als Fabrik. Vier Jahre nach der totalen Zerstörung errichtete der Mülhausener Tuchfabrikant Dollfus an gleicher Stelle ein neues Schloß, das er nun selbst bezog und zum Verwaltungszentrum seiner Firma machte 66 . Die finanzielle Grundlage für eine Renovierung oder gar für einen Schloßneubau war nur bei einigen Adelsfamilien vorhanden. Hans Adam von Degelin von Wangen hatte 1706 für die Instandsetzung seines Schlosses in Ammertzwiller insgesamt 2475 Pfund Stehler bei Prior und Abtei St.Trudbert sowie 2500 //vres bei einem Juden aus Colmar aufgenommen. Zu diesem Zweck hatte er seine Güter und das Schloß hypothekarisch belastet. Als er die hohen Rückzahlungen nicht mehr tätigen konnte, mußte er sein Schloß an den vermögenden königlichen Steuereinnehmer Pierre-Thomas Desmarais aus Thann abtreten, der die zwei Pfandsummen zurückzahlte 67 . Wie Degelin von Wangen fristete eine ganze Reihe alter Adelsgeschlechter ein bescheidenes Landleben inmitten ihrer bäuerlichen Umgebung. Aus einem 1759 wegen Regelung der Erbschaftsmodalitäten zwischen den Familien von Reinach und Ferrette erstellten Inventar von Schloß

63 64

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Vgl. B.de FERRETTE: Diarium du Murbach, ebd., S. 691. Vgl. T. WALTER: Schloss Heidwiller, S. 31. „Item [...] die Summe von zehen Tausend livres, so weiland dero Herr Vatter empfangen für die Hersetzung des Frenninger verbrannten schloßes [...]". Das zum Wiederaufbau des Schlosses aufgenommene Darlehen belief sich auf die Summe von 11572 livres (vgl. ebd. S. 32). Vgl. zur Familie A. O. DES MARAIS: Pierre des Marais, S. 34f. Desmarais hatte bereits 1738 das hypothekarisch belastete Schloß Ammertzwiller von Hans Adam von Degelin von Wangen erworben, das er als Jagdschloß nutzte und 1761 weiter veräußerte. Um seine adlige Lebensführung zu unterstreichen, heiratete er das adlige Fräulein Marie-Elisabeth-Béatrix de Neuville. Sein Vater war als Professor an der Sorbonne tätig und leitete die Bibliothèque Mazarine in Paris (vgl. L. FREYTHER: Ammerzweiler, S. 153 ff.). Vgl. F. WOLFF: Burgen-Lexikon, S. 372. Ebenso Le Guide des Châteaux de France: Haut-Rhin, S. 72 f. Vgl. L. FREYTHER: Ammerzweiler, S. 151.

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Heidwiller lassen sich interessante Einblicke gewinnen 68 : Durch das Hauptportal gelangte man in die Vorhalle, von wo aus die Treppen ins obere Stockwerk führten. Zentrum beider Stockwerke bildete je ein großer Saal. An weiteren Räumlichkeiten nennt das Inventar den unteren Turm, die Mägdekammer, das kleine Stüblein, die Kammer daneben, die rote Kammer und die Kapuzinerkammer, den oberen Turm, die Kammer auf dem Turm, den Durchgang zum hinteren Turm, die Schwarzblunderkammer und das Jägerzimmer. Das Mobiliar war einfach. Es bestand aus den üblichen Betten, meist mit Strohsack versehen, etlichen Schränken und Trögen, alles ohne Prunk. Im Ehrensaale hingen die Bildnisse Ludwigs XV. und der Königin Maria Leszczynska in goldenem Rahmen samt einem „Stammbaum mit übergüldetem Rammen". Sonst dienten lediglich ein Marienbild und etliche Kruzifixe als Wandschmuck. Die Küche war mit allerlei Kupfer-, Messing- und Eisengeschirr ausstaffiert. Bei Tisch überwog das Zinn. Der Keller kannte nur die Vorräte aus eigenen Zehnterträgen, war aber reichlich mit Fässern ausstaffiert. Die Hauptvorräte an Lebensmitteln bestanden aus gedörrtem Obst, die Kartoffeln fehlten völlig, und auch die Fleischvorräte waren gering, was wohl mit der Inventuraufnahme zur Erntezeit im August zusammenhängt 69 . Konnten die von Reinach wenigstens ein Schloßgut ihr Eigen nennen, so mußten sich die von Breitenlandenberg seit 1631 Schloß Illzach bei Mülhausen mit der Familie von Schauenbourg teilen70. „N'ayant plus que les anciens fondements avec ses dépendances" 71 , berichteten die Reich von Reichenstein über ihre Schloßruine Waldeck bei Basel getreu aber deprimiert 1757 gegenüber der Straßburger Feudalkommission. Das Wasserschloß im sundgauischen Waldighofen war im 18. Jahrhundert ebenfalls dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen. Es hatte den von Eptingen, dann den von Ramstein und schließlich den Planta von Wildenburg als Wohnstätte gedient. Ohne daß Ausbesserungsarbeiten vorgenommen worden waren, verfiel das Schloß im Laufe der Jahrhunderte immer mehr. Als die aus Graubünden stammenden von Planta in der Mitte des 18. Jahrhunderts ausstarben, wurde das verwahrloste Gebäude zuletzt nur noch vom Verwalter bewohnt. Die von Eptingen hatten bereits ihren ehemaligen Wohnsitz verlassen und sich auf ihr Stammschloß in Hagenthal zurückgezogen 72 . 68

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AM Mülhausen, Fonds Scey-Ferrette 228. Die Erbnachfolge trat beim Tod der Baronin Marie-AnneRose de Ferrette, geb. von Reinach, am 3. Juni 1758 ein. Der Schloßhof war laut Inventar zu beiden Seiten von Wirtschaftsgebäuden umgeben. Es verzeichnete keine Pferde, dagegen fünf Milchkühe, einen Stier und sieben Stück Rindvieh, fünf Bachen, einen Eber, 15 Ferkeln und eine mit 190 Schafen bestückte Schäferei. Enten, Gänse, Kapaunen, Welschhühner und Hühner wurden nur in geringer Zahl gehalten. Dagegen hielt sich die Familie von Reinach 50 Paar Tauben, um ihr herrschaftliches Vorrecht zum Ausdruck zu bringen. Der Anbau im Felde erstreckte sich auf Dinkel, Gerste, Roggen, Hafer, Hanf, Erbsen, Linsen und Wicke (vgl. T. WALTER: Schloss Heidwiller, S. 37). ADHR, 2 E 116/1. Ihren Hauptsitz hatten sie auf Schloß Wagenburg in Soultzmatt. 1774 trat die Familie die Hälfte des Schlosses Illzach als Apanage an die nach ihr benannte Linie ab (vgl. J. D. SCHOEPFLIN: L'Alsace illustrée, Bd. 5, S. 750-752). ADHR, 2 E161. Vgl. P. STINTZI : Wasserhäuser, S. 13.

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Ähnlich erging es, wenn auch in bedeutend kürzerem zeitlichen Abstand, dem zu Beginn des 17. Jahrhunderts von Johann Adam von Ferrette in Zillesheim errichteten herrschaftlichen Schloß. Dieser weiträumige und elegante Adelswohnsitz, der ursprünglich ebensoviele Fenster besaß wie das Jahr an Tagen zählt, geriet infolge eines Mülhausener Brandanschlags immer mehr in Verfall, woraufhin Franz Anton von Ferrette-Carspach 1775 seinen Schaffner beauftragte, das baufällige Gebäude abzubrechen und die noch zu verwendenden Baumaterialen öffentlich versteigern zu lassen73. Andererseits, und dies ist weit häufiger belegt, errichteten zahlreiche adlige Familien im 18. Jahrhundert aus Ruinen komfortable Residenzen. In einer Zeit, in der Barock und Rokoko dominierten, wurden gleichzeitig Burgruinen und ummauerte Felsenreste zu historischen Größen hochstilisiert. Ehemalige lehnsherrschaftliche Autorität sollte nahtlos mit einem neuen Adelsbewußtsein verbunden werden. Hierbei ging, wie das Beispiel der Familie Waldner von Freundstein deutlich zeigt, die romantisch verklärte Rückbesinnung auf ein mittelalterliches Burgen- und Ritterideal mit einem neuen adligen Lebensgefühl und Selbstverständnis eine höchst seltsame, ja groteske Verbindung ein. Voller Stolz und innerer Bewunderung zeigte Madame Oberkirch einer Standeskollegin die auf luftigen Vogesenhöhen liegenden, längst verlassenen Burgreste ihrer Familie: „Madame la duchesse de Bourbon voulait absolument connaître nos ruines d'Alsace. Elle fit plusieurs excursions dans lesquelles nous l'accompagnions à tour de rôle; mais lorsqu'il fut question des châteaux et des montagnes où ma famille avait joué un rôle, elle ne voulut plus d'autres guide que moi. [...] nous arrivâmes à l'endroit où était autrefois le château de Weckenthal, tout près du village de Berwiller. Ce château, siège principal de notre maison, lorsqu'elle était dans toute sa puissance, était flanqué de tours, défendu par une multitude de remparts et de pont-levis, entouré de trois enceintes fortifiées et d'un ouvrage avancé. Brûlé en 1652 par Renaud de Rosen, il n'en reste plus rien aujourd'hui"74.

Mit genauen Kenntnissen über ihre eigene Familie aber auch über die ihrer elsässischen Nachbarn wußte die Baronesse Oberkirch in Standeskreisen sowie in der Straßburger Gesellschaft zu brillieren. Ein unverzichtbarer Bestandteil in ihrem geschichtsträchtigen Exkursionsprogramm war natürlich die Besichtigung der Feste Freundstein, des ehemaligen Ahnensitzes, nach der die Familie ihren Namen trug: „Madame la duchesse de Bourbon aimait les vieux donjons. Elle voulait visiter Freundstein, le berceau de notre famille. [...] Freundstein fut brûlé en 1470, dans la guerre des Waldner contre la ville de Soultz qui paya cher cette victoire. On voit le rôle que jouaient nos pères dans cette terre classique de la féodalité"75.

73 74 75

Vgl. E. SITZMANN: Zillesheim, S. 56-61. OBERKIRCH: Mémoires, S. 292. Ebd. S. 292 f.

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Typisch für diese anachronistische Rückbesinnung auf die alten Monumente vergangener Tage, die als mit Pflanzen überwucherte Steinbrüche überlebt hatten, war der Rigorismus, mit der sie ökonomisch revitalisiert werden sollten. Seit 1753 forderte Dagobert von Waldner von der Stadt Soultz die Besitzrechte über den zum Schloß Hartenfels gehörenden 345 arpents großen Wald. Nach seiner Auffassung gehörte dieses Waldstück zur ehemaligen Herrschaft Freundstein, mit dessen Verkaufserlös er die gleichnamige Ruine wiedererrichten wollte. Er berief sich auf die Allianzen zu den inzwischen ausgestorbenen Familien von Mörsberg und Brinighoffen und durchlief mit seinem Vorhaben alle Gerichtsinstanzen. Auch die Vorlage eines gegenteiligen Eigentumsnachweises der Stadt Soultz aus dem 16. Jahrhundert konnte ihn nicht zur Einsicht bringen. Erst nach seinem Tod (1783) und dem seines Bruders François-Louis (1789), dem Vater der Memoirenschreiberin, erklärte sich die Familie zur Rücknahme ihrer Forderung bereit76. Während der langen Regierungszeit Ludwigs XV. kam der Einfluß auf Architektur und Kultur nicht direkt aus Frankreich sondern auf Umwegen über Deutschland - nach dem Muster der Residenzen in Mainz, Ansbach, Bayreuth, Mannheim, Ludwigsburg und Bruchsal - ins Elsaß. Das offene, reich verzierte, im verspielten Rokokostil errichtete Landschloß trat an die Stelle der ehemals geschlossenen und befestigten burgähnlichen Behausung. In einer bislang unbekannten Art und Weise trat der elsässische Adel seit den 30 er Jahren des 18. Jahrhunderts aus seinem wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Ghetto heraus und evozierte am Beispiel eines öffentlich zur Schau getragenen Reichtums die Bedingungen für eine neue gesellschaftliche BinnendifTferenzierung. Wohnkultur, Feste und literarische Salons wurden nun auch ihm zur Pflicht. Bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts hatte der Intendant de La Houssaye dieses Phänomen in dem ironischen Satz zum Ausdruck gebracht: „La noblesse s'habille à la française et si elle n'était pas si pauvre, elle aimerait assez à paraître"77.

Als finanzieller Hintergrund für diesen regelrechten Bauboom diente nicht ein natürlicher, durch wirtschaftliche Tätigkeit oder Grundbesitz erworbener Reichtum, sondern ein bei Verwandten, benachbarten Juden oder an den Finanzplätzen Straßburg und Basel aufgenommener Kredit. Schloßneubauten wurden oft über reiche Heiratsallianzen finanziert. Die Waldner von Freundstein bauten 1718 mit den Steinresten der Burgruine Weckenthal ihr Schloß Hartmannswiller wieder auf78. 1750 ließ Dagobert von Waldner das alte Schloß Oll willer abreißen, um zwei Jahre später an gleicher Stelle ein neues, prunkvolleres zu errich-

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Vgl. A. GASSER: Le livre d'or de Soultz, Bd. 2, S. 396. R. OBERLÉ (Hg.): L'Alsace en 1700, S. 169. Vgl. C.-L. SALCH: Dictionnaire des châteaux, S. 332. Ebenso F.WOLFF: Burgen-Lexikon, S. 104, S. 364.

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ten 79 . Das Baukapital stammte nicht aus eigenem Vermögen sondern aus der kurz zuvor geschlossenen Ehe (1748) mit der Tochter eines reichen ehemaligen Generalpächters 80 . Vielfach wurde der Luxus der Neumöblierung dem modischen Trend der Zeit angepaßt. So ließ der Graf Charles de Montjoie 1742 in Hirsingen durch den Baumeister Johann Kaspar Bagnato ein prachtvolles Schloß im Rokokostil mit Schloßkapelle neben der Dorfkirche errichten. Zu diesem Zweck wurden 180000 Klafter Holz in den umliegenden Wäldern geschlagen und verkauft 81 . Das Schloß bot 24 Personen Unterkunft und besaß eine umfangreiche Bibliothek82. Der Luxus des Herzogs von Pfalz-Zweibrücken überstieg diesen Rahmen noch um einiges. In seinem prunkvoll eingerichteten Residenzschloß in Ribeauvillé, das nicht sein eigentlicher Hauptsitz war, denn er residierte in Straßburg, trugen die Betten eigene Namen wie „lit à l'antique", „lit à l'impérial", „lit à tombeau" etc.83. Sein Komfort gehörte zur ersten elsässischen Gütemarke, weshalb auch so prominente Gäste wie Ludwig XIV. (1673) sowie der polnische König Stanislaus Leszczynski 1725 auf ihrer Rückreise nach Lothringen hier Quartier bezogen 84 . Ebenso kostspielig und aufwendig wurden Residenzen in Bischwiller (Pfalz-Zweibrücken), Bouxwiller (Hanau-Lichtenberg), und in Straßburg (Bischöfliches Palais, Rohansche Schloß, Dettlinger Hof) im Laufe des 18. Jahrhunderts errichtet. Der letzte Graf von Hanau-Lichtenberg ließ von 1730 bis 1736 den „Hanauer H o f anlegen. Nach dessen Tod (1736) erbte der Landgraf von Hessen-Darmstadt das Palais und ließ es durch Joseph Massol, dem Architekten des Straßburger Domkapitels, nach neuen Plänen in den „Darmstädter H o f umbauen. Von dort aus kommandierte er das französische Fremdenregiment Royal-Darmstadt. Zum gleichen Zweck - als Oberst des Regiments Royal Bavière - erwarb Maximilian von Pfalz-Zweibrücken 1770 ein von der Prätorenfamilie de Gayot in den Jahren 1754/55 neu errichtetes Stadtpalais, welches nun in „Zweibrücker H o f umbenannt wurde 85 . Mit diesem hocharistokratischen Pomp konnte der niedere Adel nicht mithalten. Dennoch kopierte er den fürstlichen Glanz in Miniaturform, wobei er seine finanziellen Möglichkeiten bei weitem überschätzte. Dieses gruppenpsychologische Moment war bar jeder rationalen Überlegung. Gleichwohl folgten sowohl altadlige als auch neuadlige Familien diesem Vorbild. So ließen die von Reinach zu Beginn des Jahrhunderts ihr altes Schloß in Hirtzbach abtragen und durch ein neues ersetzen. Es wurde 1789 von der aufgebrachten Volksmenge 79 80 81 82 83

84 85

F. W O L F F : Burgen-Lexikon, S. 253. J. B A Q U O L : L'Alsace ancienne, S. 603. O B E R K I R C H : Mémoires, S. 54. Vgl. F. J. F U E S : Die Pfarrgemeinden des Cantons Hirsingen, S. 261. Vgl. ebd., S. 261-271. A D H R , E 1668; ebenso C. H O F F M A N N : L'Alsace au XVIII e siècle, Bd. 1, S. 31. Vgl. ebenfalls R. F A L L E R : Le château de Ribeauvillé, S. 42f. Z u m Hofstaat des Herzogs vgl. J. L. K L E I N D I E N S T : Le personnel du château des Ribeaupierre à Ribeauvillé, op.cit. Zur Ausstattung vgl. R. F A L L E R : Le château de Ribeauvillé, S. 40-52. Vgl. F. W O L F F : Burgen-Lexikon, S. 278. Ebd. S. 332 ff.

Adlige Sozialprofile

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geplündert und verwüstet. Neben den von Reinach bemühten sich auch die weniger begüterten Zu Rhein 86 , zu einem neuen Lebensstil zu gelangen. François-Joseph-Konrad ließ 1726 in Niedermorschwihr südwestlich von Mülhausen ein Schloß im Renaissancestil errichten. Ein Jahr zuvor hatte die Familie ihr Wasserschloß in Pfastatt gänzlich renoviert sowie 1743 das zwischen Ober- und Niederspebach gelegene ehemalige Schloß der von Rathsamhausen abgebrochen und durch ein neues ersetzt87. Ebenfalls als Schloßbauherren betätigten sich seit Beginn des Jahrhunderts die Barone Louis-César de Landenberg in Seppois-le-Bas (Nieder-Sept) 88 , François-Joseph von Schauenbourg in Herrlisheim, die von Klinglin in Zillisheim und Essert, die Mackau von Hürtigheim in Fegersheim 89 , der Industriekapitän von Dietrich 1769 in Reichshoffen, die Colmarer Ratsfamilie de Boisgautier in Kientzheim, die Eckbrecht von Dürckheim in Fröschweiler und Jean-Philippe de Zuckmantel in Osthofen 90 . Nohelis de Règemorte 91 ließ Schloß Hervé in Dachstein im Renaissancestil mit einem prächtigen Garten errichten, und die Edlen von Schwengsfeld übersiedelten 1735 von Andlau nach Stotzheim ins dortige Schloß Grünstein, das sie kurz zuvor von der ehemaligen Colmarer Ratsfamilie Le Laboureur erworben hatten 92 . Allerdings beließen es die meisten Adligen nicht beim Schloßneubau. Hinzu traten noch zwei Elemente von nicht zu unterschätzender Symbolkraft: der Taubenschlag und die Kapelle. Madame Oberkirch berichtete von allein 400 Paar Tauben, die die Familie von Waldner auf Schloß Schweighouse hielt93 sowie von einzelnen Kapellen, die sich entweder außerhalb oder innerhalb des Schloßgeländes der Familien von Oberkirch und Waldner befanden 94 . Wenn auch das Schloß als Symbol einer neuen adligen Wohnkultur und Lebenseinstellung enorm wichtig wurde, so kam seine wahre Bedeutung erst in der Kombination mit dem städtischen hôtel zum Vorschein95. Beide wurden im saisonalen Wechsel zu Wohnzwecken genutzt. Sozialer Rang und Prestige innerhalb der 86

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Ihre finanziellen Möglichkeiten können nicht sehr groß gewesen sein. Am 30.7.1767 erkälten sie gegenüber der Feudalkommission, daß sie ihre Güter in Niedermorschwihr selbst bewirtschaften (ADHR, 2 E 228). Vgl. Le Guide des Châteaux de France: Haut-Rhin, S. 101,114,153. Vgl. E. SITZMANN: Dictionnaire, Bd. 2, S. 98. Ebenso F. J. FUES: Hirsingen, S. 172. Vgl. OBERKIRCH: Mémoires, S. 491. Vgl. P. STINTZI: Wasserhäuser, op.cit. passim. Es handelt sich hier um den Vater des späteren Prätors von Straßburg, Jean-Baptiste-Denis de Règemorte (1692-1769). Nohelis de Règemorte war im Elsaß schnell über hohe Verwaltungsämter aufgestiegen: directeur des fourages d'Alsace(n09), Generalsekretär des Intendanten (1710) und 1718 Berufung in die Direktion des Brücken- und Wegbaus (vgl. I.STREITBERGER: Der königliche Prätor, S. 180ff., S. 375, Anm. 151). Zur Familie de Règemorte vgl. A. WEIRICH: Un Canal latéral du Rhin, S. 47-52. Vgl. J. RATHGEBER: Schloß Grünstein, S. 21 f. Mit Claude-Louis-René Le Laboureur stellte die Familie von 1682 bis 1699 den ersten Präsidenten des Colmarer Gerichtshofes. Seine beiden Brüder waren im Elsaß in den geistlichen Stand getreten. OBERKIRCH: Mémoires, S. 62. Ebd. S.29,292 f., 498. Wie wichtig Wohnstrukturen als Anzeiger gesellschaftlicher Strukturen im Ancien Régime waren, zeigt N.Elias in eindruckvoller Weise (DERS. : Die höfische Gesellschaft, S. 68 ff.).

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Adelshierarchie ließen sich daran messen, ob eine Familie über beide Möglichkeiten verfügte oder sich mit lediglich einem festen Wohnsitz zufrieden geben mußte. Gewöhnlich verbrachte man den Sommer mit Jagden, Promenaden, Spielen, Musik und Tanzveranstaltungen auf dem Land und vertrieb sich die lange Winterzeit in der Stadt mit Theater, Schauspielen, Bällen und aufwendigen Diners oder anderen Formen der geistigen oder gesellschaftlichen Ablenkung. Weil das ländliche Leben in der Regel billiger war als das städtische, hatte diese Aufteilung auch einen ökonomischen Hintergrund: man sparte Geld im Sommer, um es im Winter in der Stadt ausgeben zu können. Dieser neue Stil wurde, obwohl er sich schon in früherer Zeit herausgebildet hatte, im 18. Jahrhundert im Elsaß zu einem gesellschaftlichen Muß: Der Comte de Waldner z. B. verbrachte den Sommer auf Schloß Ollwiller und wohnte im Winter in Paris, ebenso wie die Madame von Zuckmantel den Sommer auf ihrem Schloß Osthoffen zubrachte und den Winter ebenfalls in der Hauptstadt96. Die Familie von Wangen richtete sich im Sommer auf ihrem Schloß Wiwersheim ein und lebte im Winter in Straßburg97. Die Madame Oberkirch, deren Adel zur ersten elsässischen Gütemarke zählte, erlaubte sich ein noch aufwendigeres Itinerarium. Ihr Leben vor der Revolution war geprägt durch den häufigen Wechsel der Standorte: von Oberkirch nach Straßburg, von Schweighouse nach Montbéliard, um schließlich dreimal in Paris bzw. in Versailles Station zu machen98. Die Erfüllung all ihrer Lebenswünsche kleidet sie Ende September 1782 von Stuttgart aus in folgende Worte, die das Ende der ganzen Faszination bereits vorauszuahnen scheinen: „Ce fut un rêve brillant que Dieu, malgré toutes sa bonté, ne m e rendra plus" 99 .

Mit großer Vorliebe residierte der Adel in Straßburg, der elsässischen Kapitale. In der alten Reichsstadt über ein Stadthaus zu verfügen gehörte einfach zum guten Ton der snobistischen Adelsgesellschaft. 1756 nannten 24 Mitglieder der unterelsässischen Ritterschaft nicht weniger als 30 Stadthäuser ihr eigen100. Das entsprechende Domizil war keineswegs willkürlich ausgewählt, sondern man suchte bewußt die Nähe des adligen Nachbarn in der Judengasse (Rue des Juifs) [von Buch, de La Tailleterie, von Oberkirch], in der Kalbsgasse (Rue des Veaux) [von Bernhold, Gayling von Altheim, von Reinach] oder in der Zimmerergasse (Rue des Charpentiers), wo die Boecklin de Boecklinsau und die von Kirchheim ihren Erbsitz hatten. Besonders exquisite Wohngegenden waren nur den vornehmsten Familien innerhalb der städtischen Ranghierarchie vorbehalten, wie beispielsweise den von Flachslanden in der Lange Straße (Grand'Rue) oder als 96

OBERKIRCH: Mémoires, S. 104,139. Ebd. S. 497. 98 Sie weilte in den Jahren 1782 und 1784 jeweils in den Monaten Mai/Juni und von Februar bis April 1786 in Paris. Daneben unternahm sie 1782 von Paris aus eine Reise in die Bretagne und reiste über Flandern, die Niederlande bis nach Stuttgart. " OBERKIRCH: Mémoires,S. 277. 100 ADBR, C 1343. 97

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Nonplusultra die Stadtpalais der Familien von Gayot, von Landberg und Zorn de Bulach in der Brandgasse (Rue Brûlée). Sollten einzelne Familien noch nicht über ein Stadthaus verfügen oder in ein anderes Haus umziehen wollen, so strebten sie beharrlich danach, ein neues zu erwerben, selbst wenn sie für die Realisierung des Kaufs in die Vorstädte ausweichen mußten. Der städtische Immobilienmarkt kam auf diese Weise kräftig in Bewegung. Ein Run auf seriöse, standesgemäße Verkaufsangebote setzte ein. Von 1760 bis 1784 wechselten zehn Häuser oder Hotels in der Stadt Straßburg den adligen Besitzer101. In der Rue^des Charpentiers erwarb der Baron von Rathsamhausen ein Haus des Straßburger Professors Fried, und der Graf von Montjoie-Vaufrey benötigte in derselben Straße - wahrscheinlich zum Neubau eines größeren - gleich zwei Häuser vom Chevalier d'Hartmanis und M. Hoffmann. In den Vorstädten wurde der Baron de Klinglin aktiv, der im Faubourg de Saint-Pierre ein Haus von M. Tholosan de Cézannes „avec une autre petite maison appartenante à un menusier" erwarb, und der Baron von Gallahan, der sich mit den Erben des Großmeisters der Freimauerloge von Erlach im Faux Rempart einigte. Den finanziell teuersten Einkauf tätigten der gewandte Hof- und erfolgreiche Handelsjude Cerf Beer, der im Namen des Chevalier de La Touche aus Finkweiler den Rappoltsteiner Hof erwarb102 und der Stettmeister Zorn de Bulach als Käufer des Hotels der Baronin von Zuckmantel. Nach außen hin gab sich der Adel betont großzügig und weltoffen, beim Immobilienerwerb jeglicher Art zeigte er sich geradezu kaufwütig. Dennoch fehlte es ihm bisweilen an so „kleinen" standesgemäßen Dingen wie etwa einer Kutsche. Als anläßlich der zweiten Eheschließung zwischen dem Sohn Ludwigs XV. und der Tochter des Kurfürsten von Sachsen, die neue Dauphine Josepha Anfang 1747103 auf ihrem Weg nach Paris in Straßburg Station machte, befanden sich unter der zum Empfang erschienenen 22köpfigen Adelsdeputation lediglich achtzehn, die über eine eigene Kutsche verfügten, während vier Adlige zu diesem Zweck anmieten mußten104. Die Aristokratie erwachte im 18. Jahrhundert zu neuem Leben und suchte im geborgten Reichtum, in der Erziehung und Kultur den tieferen Sinn zu einem neuen Dasein. Nach dem politischen Dornröschenschlaf der Ära Louis XIV. nahm sie nun wieder eine soziale Leitbildfunktion für alle anderen gesellschaftlichen Gruppen ein105. Über die gemeinsamen sozio-kulturellen Interessen kamen sich Alt- und Neuadel im Laufe des Jahrhunderts einander näher. Die neuge101 102

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AM Straßburg, AA 2471. Vgl. R. NEHER-BERNHEIM : Cerf Berr de Medelsheim, S. 50. Auf diese geschickte Weise gelang es dem erfolgreichen Streiter für die jüdische Emanzipation nach dem Tode des Chevalier de La Touche (1784), zusammen mit seinem etwa 60 Familienmitglieder und Angestellte umfassenden Clan in der Metropole des Elsasses Fuß zu fassen, sehr zum Neid und Argwohn des Straßburger Magistrats. Vgl. die Berichte über die aus diesem Anlaß veranstalteten Zeremonien (AM Straßburg, AA 1944 und AA 1950). Vgl. ebenso G. LIVET: Fidélités nobiliaires, S. 246f. ADBR, E1401. Vgl. F. L. FORD: Robe and Sword, S. 173 ff.

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wonnene kulturelle Identität äußerte sich insbesondere im Bereich der gemeinsamen Wohnkultur. Wie in keinem Jahrhundert zuvor drängte sich das aufsteigende, wohlhabende Bürgertum in die vormals adligen Schlösser. 1740 erwarb der Advokat am Conseil Souverain d'Alsace, Jean-Georges Kieffer, von den Straßburger Jesuiten das Schloessel in Rodern für 8400 livres. Im Stile eines eleganten Provinzaristokraten wohnte er im Winter in Colmar in der ehemaligen Residenz der Grafen von Ribeaupierre und verbrachte den Sommer auf seinem adligen Landsitz106. Die Schloßmanie übertrug sich auch auf seinen Schwiegersohn François-Henri de Boug, den Präsidenten des Colmarer Gerichtshofes. Dieser kaufte im Jahr 1770 von der Familie von Sickingen mit der Hohkönigsburg den wohl berühmtesten elsässischen Herrensitz107. 3.3. Zwischen Tradition und Anpassung Keine andere Gesellschaftsschicht veränderte sich im Elsaß in den knapp eineinhalb Jahrhunderten zwischen der Annexion und der Revolution so sehr wie der Adel. Im Gegensatz zum Bürgertum, das in sprachlicher, sozialer und politischer Hinsicht sehr schnell auf die Seite des neuen französischen Souveräns überwechselte, soweit es nicht protestantisch war oder bis 1681 in den Magistraten der reichsfreien Städte saß108, vollzog sich die Entwicklung beim Adel anfänglich nur langsam und mühevoll, bevor sie ab den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts in ein rasantes Tempo überging. Wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt, so schlug der Adel gleichwohl dieselbe kulturelle und politische Richtung ein wie das Bürgertum. In konfessioneller Hinsicht arrangierte sich der katholische Adel schneller mit der königlichen Seite. Die Bedenken des protestantischen Adels zerstreuten sich weitgehend nach der feierlichen Überführung der sterblichen Überreste des Marschalls Moritz von Sachsen in die Thomaskirche zu Straßburg. Die neue kulturelle und politische Anlehnung des Adels an Frankreich kommt zeitlich und inhaltlich treffend in dem Satz des Barons Waldner von Freundstein zum Ausdruck, den er seinem zum französischen Militär106

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M. MOEDER: Les souvenirs d'un vieux manoir, S. 50f. Er war gleichzeitig als bailli der Grafen von Montjoie tätig. ADHR, 2 E 29/4(1). Die im Jahre 1909 von Fritz Kiener vertretene Meinung, das elsässische Bürgertum sei zwar 1648 vor der Fürstenherrschaft der Habsburger gerettet worden, habe aber bis zur Revolution an seiner alten deutschen Gesinnung und Kultur festgehalten, indem es sich sozial sammelte und gegenüber anderen Gruppen abschloß, ist heute nur noch von historiographischem Interesse (vgl. F. KIENER: Das elsässische Bürgertum, op.cit.). Gänzlich widerlegt ist dagegen die 1954 von Etienne Juilliard vertretene These, nach der das elsässische Bürgertum im 18. und 19. Jahrhundert indifferent gegenüber dem Bodenbesitz geblieben sei (vgl. É. JUILLIARD: Indifférence de la bourgeoisie alsacienne, op.cit.). Die zahlreichen Forschungsbeiträge von Jean Vogt seit den 50er Jahren haben genau das Gegenteil zutage gefördert (vgl. u.a. J. VOGT: A propos de la propriété bourgeoise en Alsace, op.cit.; vgl. eine ausführliche Bibliographie dieses verdienstvollen elsässischen Agrarhistorikers in : Histoire de l'Alsace rurale, 1983, S. 226,267-269). Zur französischen Sprache als dem politisch-sozialen Markenzeichen der elsässischen Bourgeoisie im Ancien Régime vgl. P. IMBS : Notes sur la langue française dans la bourgeoisie française, in: La Bourgeoisie alsacienne, Straßburg 1954, S. 307-327.

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dienst befohlenen Sohn Chrétien-Frédéric-Dagobert seit 1729 mit auf den Weg gab: „Fréquentez les honnêtes gens et francisez-vous tout-a-fait" 109 . Behutsam und unter subtiler Berücksichtigung der speziellen sozialen und ökonomischen Bedürfnisse löste die Krone in einem säkularen Prozeß den Adel aus seiner traditionellen, schollengebundenen Lebensweise heraus und forderte ihn zur aktiven Mitarbeit in der Verwaltung und im Militärdienst auf. Noch 1663 hatte sich der Intendant Colbert sehr abwertend über diesen Adel geäußert und ganze drei Personen von seinem Urteil ausgenommen: „Tous ces gentilshommes sont plus propres à demeurer chez eux qu'à rendre aucun service à S[a] M[ajesté], Et il n'y a que le sieur d'Andlau, conseiller au conseil provincial d'Alsace, le Baron de Reinach et Jean Thiébault de Reinach son cousin qui soient un peu de mise"110.

Am Beispiel von Wohnkultur und Sozialverhalten läßt sich der tiefgreifende Wandel des Adels verdeutlichen. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts bevölkerten die meisten Adligen gemeinsam mit ihrem Gesinde sowie den Bauern und Untertanen die ländlichen Regionen. Sie teilten deren alltägliche Sorgen und Leiden und erlebten mit ihnen den Wechsel der Jahreszeiten. J. de l'Hermine beschreibt diese grundherrlich-patriarchalische Einheit sehr eindrucksvoll in seinen Reisebeschreibungen: „Quelque jaloux que soient les Allemands de la pureté de leur noblesse, ils sont néanmoins faciles, obligeants, caressants, bons et familiers jusqu'à leurs domestiques mêmes; ils ne se font pas un scrupule de les admettre à leur table; du moins celle des valets est dressée dans le même lieu que celle du maître, et une partie mange pendant que l'autre sert; c'est ce que j'ai vu chez le baron de Reinach et chez d'autres personnes de qualité de ce pays-là"111.

Die betonte Einfachheit des Adels in seinen Umgangsformen, Gesten und Lebensgewohnheiten artikulierte sich auch in seiner äußeren Erscheinung. Als Ludwig XIV. Anfang 1672 ins Elsaß kam, reiste ihm der Graf von WürttembergMontbéliard zum Empfang bis Sainte-Marie-aux-Mines entgegen. Die „Grande Demoiselle" de Montpensier, die sich im Gefolge des Königs befand, äußerste sich sehr befremdend und verachtend über die „unadlige" Aufmachung und Equipage des eintreffenden Grafen, der doch letztlich mit einer so großen Ehre ausgezeichnet werden sollte: „II me parut affreux, habillé comme un maître d'école de village, sans épée, avec un méchant carrosse noir, parce qu'il portoit le deuil de l'impératrice, que j'ai oublié de dire être morte il y avoit quelques mois. Ses chevaux avoient des housses noires jusqu'à terre, et ses pages et laquais étoient vêtus de jaune avec des garnitures de ruban rouge. Il avoit quinze ou vingt gardes avec des casaques de même livrée, assez bien montés. Il me souvient que toute sa cour étoit dans un même carosse, duquel l'on vit sortir dix ou douze personnes pour s'en faire honneur. 112 " 109 110 111

"2

Zit. bei F.L'HUILLIER: Les grands courants, S. 251. C. PFISTER (Hg.): Un mémoire de l'intendant Colbeit, S. 314. M. MAGDELAINE (Hg.): Guerre et paix en Alsace, S. 169. Mlle, de MONTPENSIER: Mémoires, S. 479. Hinsichtlich der deutschen Reichsfürsten im Elsaß

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Aufrund seiner bescheidenen finanziellen Reserven machte der Adel nicht nur hinsichtlich seiner sozialen Repräsentation eine schlechte Figur. Vielfache Belege für Disziplinlosigkeit und Brutalität, bei der auch Mord und Vergewaltigung nicht ausgeschlossen blieben, zeugen von einer latenten Verrohung des Adels im späten 17. Jahrhun.dert. So tötete beispielsweise Jean-François d'Andlau am 21. Juli 1677 in Morvillars seinen Schwager Ferdinand de Cointet de Fillain113. Als Tatmotiv lag sehr wahrscheinlich Sozialneid vor: Der arrogante Neuadlige de Cointet, der in den Quellen als ein wenig schätzenswerter Mensch bezeichnet wird, hatte den Haß des Altadligen auf sich gezogen. Anschließend entzog sich Andlau der Festnahme durch Flucht in die benachbarte Schweiz. Ein halbes Jahr später wurden seine Güter konfisziert und er selbst in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Die vakanten Lehen gab der König an die Familie von Rosen, die sie wiederum an die Witwe Cointet weiterreichten. Den Mord an seinem Vater konnte der Sohn persönlich nicht bewältigen und geriet kurze Zeit später selbst auf die schiefe Bahn. Zunächst seit 1683 im Adelstift Murbach, führte er ab 1695 unter dem Namen des Klostergründers Pirmin (!) ein langjähriges kriminelles und so gar nicht frommes Abenteuererleben, bevor er wegen seiner zahlreichen Delikte eingesperrt wurde114. Ein weiterer Fall adliger Verrohung, bei dem erneut die soziale Eifersucht eine Rolle spielte, ereignete sich 1683 in Straßburg, wo der Freiherr Victor Kloeckler von Münchenstein den anobli Mathias Grundschütz tötete. Der Schuldige wurde zwei Jahre später in Abwesenheit zum Tode verurteilt, und die Lehen fielen an die Familie Cocfontaine und nach diesen 1715 an den Grafen de Bruzac115. Damit war die kriminelle Energie bei Teilen des elsässischen Adels keineswegs erschöpft. Auch im 18. Jahrhundert lassen sich Fälle von Kapitalverbrechen anführen, allerdings nun mit dem entscheidenden Unterschied, daß kaum mehr soziale Differenzen für das Tatmotiv ausschlagegend waren sondern eher persönliche Rivalitäten, die mittels eines Duells ausgetragen wurden oder individuelle Entgleisungen116. Wolf von Kageneck z. B. mußte sich im September 1722 vor dem Direktorium der unterelsässischen Ritterschaft für den Tod an seinem Adelskollegen François-Antoine Zorn von Bulach verantworten. Er hatte im Mai desselben Jahres mit der Pistole auf Zorn geschossen und ihn dabei tödlich getroffen. Das Adels-

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äußerte sie sich nicht weniger abfällig: „Voilà comme sont faits tous les princes étrangers chez eux ; il ne faut pas juger de ce qu'ils sont dans leur pays par la dépense qu'on leut voit faire en France, parce qu'ils font des efforts pour se soutenir dans quelque gloire" (ebd.). Dazu vgl. R.GENEVOY: Cointet de Filiain, S. 19f. H.d'ANDLAU-HOMBOURG: Le Livre d'Histoire, Bd. 2, S. 26 fT. Vgl. B.de FERRETTE: Diarium de Murbach, in: Revue catholique d'Alsace 12 (1893), S. 547f, 602f. Ebd. Bd. 13 (1894), S. 11,15. StB Trier, Ms. 1307/517, f° 272-285. Vgl. ebenso E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 2, S. 284f. Falsche Angaben bei J. GASS : Der Adel in Mutzig, S. 66,68. Das Duell unter Adligen wurde im August 1679 staatlicherseits verboten. In Militärkreisen verbreitet, spielte es beim elsässischen Adel im Ancien Régime keine große Rolle (vgl. A. ERICHSON : Das Duell im alten Strassburg, S. 17,58).

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gericht verurteilte ihn zu zwei Jahren Gefängnis117. Während im Todesfall Zorn de Bulach die Fakten eindeutig auf dem Tisch lagen, wurde ein weiteres Gewaltverbrechen aus dem Jahre 1742 zu einem Politikum. Bei der Straftat selbst handelte es sich um eine in Haguenau begangene Vergewaltigung, die der adlige Offizier Deslauriers an einer Frau mit Namen Fischerine verübt hatte. Das Delikt blieb nicht nur ungesühnt sondern endete groteskerweise gar mit der Gefangennahme und anschließenden Ausweisung der Betroffenen samt ihres Ehemannes aus der Stadt. Der Tathergang und seine strafrechtliche Verfolgung konnte oder besser sollte nicht genau rekonstruiert werden, da der Täter kein geringerer war, als der Schwiegersohn des soeben zum königlichen Prätor von Haguenau ernannten Antoine de Cointoux. Mit der Autorität des hohen Amtes und mit Hilfe des Stadtkommandanten Du Vivier gelang es der Familie, in Eingaben an den Minister de Breteuil, den Täter vor einer gerechten Bestrafung zu bewahren118. Während der Fall Cointoux-Deslauriers in augenscheinlicher Weise den Verfall politisch-moralischer Werte beim Adel offenbarte, der lediglich unter dem Vorwand einer bedenklichen Doppelmoral kaschiert werden konnte, zeigt der Bericht des bailli Pflug von Oberbronn an den französischen Finanzminister Pontchartrain in Paris in erschreckender Weise das ganze Ausmaß der sittlich-moralischen Dekadenz des Adels um die Jahrhundertwende. Ohne expliziert Personen zu nennen, beschuldigte Pflug den Intendanten de La Grange, nichts gegen die häufige Prostitution adliger Frauen unternommen zu haben: „qui [gemeint ist La Grange] depuis vingt et quatre années qu'il est dans cette province n'ayant fait du bien à personne ni employé qui que ce soit s'il n'avait obtenu prélablement des faveurs illicites de leurs femmes, filles ou parentes ainsi que les exemples en sont très notoires en Alsace [. .]119.

Ganz anders dagegen sah das Bild des Adels in den letzten Jahrzehnten vor der Revolution aus. Er begnügte sich nicht mehr mit einem einfachen Landleben sondern strömte in Scharen an die protestantische Universität nach Straßburg. Diese modernisierte im Laufe des 18. Jahrhunderts ihren Lehrbetrieb und gewann durch den renommierten Geschichtsprofessor Johann Daniel Schoepflin (1694-1771), dem Juristen Christoph Wilhelm Koch (1737-1813) und dem Philologen und Theologen J. J.Oberlin (1735-1806) gewaltig an Attraktivität, die in beide Kulturrichtungen ihre Wirkungen hinterließ120, so auch auf Goethe, der hier 1770 sein Studium aufnahm. Konfessionelle Unterschiede zwischen den einzelnen Familien fielen dabei nicht ins Gewicht. Neben der traditionellen Bedeutung des Militärdienstes für den Adel trat nun das Interesse an Diploma1,7

ADBR, E1321. StB Trier, Ms. 1307/525, P 313r°-331r°. Dieser Kriminalfall findet bei C. KRUMMHOLTZ: Les Antoine de Cointoux, op.cit., keine Erwähnung. 1,9 ANP, G 7 .80. ,2 ° Vgl. H.DUBLED: L'activité littéraire en Alsace, S. 221 ff. Ebenso J.VOSS: Das Elsaß als Mittler, S. 345 ff. 118

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tie und Verwaltung in den Vordergrund. Um in die begehrten französischen Dienststellen zu gelangen, war der Nachweis eines Jurastudiums unabdingbar. Ausschlaggebend für die soziale Vorrangstellung des Adels war nun nicht mehr allein die Herkunft sondern die Erziehung. Wie die nachfolgende Graphik belegt, ging dabei die Initiative zur Studienaufnahme ursprünglich nicht vom Neuadel aus. Dieser trat erst um die Jahrhundertmitte aus dem Schatten des Altadels heraus und überflügelte ihn bis zur Revolution in der Zahl der immatrikulierten Studienanfänger. Im Jahrhundertvergleich wird das vom Altadel entdeckte neue geistige Betätigungsfeld besonders deutlich. Während in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 14 adlige Studenten aus 11 Familien ihr Studium in Straßburg aufnahmen, vermehrte sich die Zahl der Studienanfänger im 18. Jahrhundert auf 90 Personen, die sich aus 39 verschiedenen Familien rekrutierten 121 : Graphik 1: Adlige Immatikulationen an der Universität Straßburg (1700-1789)

Während Straßburg seine Attraktivität auf adlige Studienanfänger unter der französischen Monarchie ernorm steigern konnte, blieb der Zustrom auf die deutschen Hochschulen vergleichsweise stabil: von 1648 bis 1699 gingen 21 Adlige (aus 13 Familien) zur Studienaufnahme nach Deutschland, und im Zeitraum von 1700 bis 1789 ging ihre Zahl sogar leicht auf 19 (aus 13 Familien) zurück122. Im 18. Jahrhundert drängte der kleine ritterbürtige Adel nicht nur in großer Zahl an die Straßburger Universität, er brach auch mit einem weiteren Tabu. Nur ganz selten trugen sich adlige Studienanfänger noch in die berühmte 121

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Vgl. G. KNOD: Die alten Matrikel der Universität Straßburg, 3 Bde., op.cit.-, F. IWAND: Elsässische Adelige auf der Universität Straßburg in den Jahren 1621-1789, op.cit.-,F. JAFFE: Der einheimische Adel an der Universität Straßburg, S. 515-517, 563f. Als Basis für den Neuadel dienten 35 Familien, von denen im 18. Jahrhundert 168 Personen ihr Studium in Straßburg aufnahmen. Vgl. F. JAFFE: Elsässer Adel auf deutschen Hochschulen, S. 360f.

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Matricula Serenissorum et Illustrissimorum ein. Die meisten Hörer zogen bereits die gewöhnlichen „bürgerlichen" Fakultätsmatrikel vor. Den größten Zuspruch erhielt die juristische Fakultät, woraus sich die große Bereitschaft ablesen läßt, in den Staatsdienst gehen zu wollen. Dagegen nahmen die rein schöngeistigen Neigungen des Adels, die sie bisher durch ein Philosophiestudium befriedigt hatten, stark ab. Vom Altadel stellten die von Berckheim, von Gottesheim und von Rathsamhausen die meisten Studienanfänger. Beim Neuadel dominierten die Familien Dietrich, KJinglin, Franck und Neubeck. Vermutlich zählten die meisten adligen Studenten zu den Hörern der einzelnen Fakultäten. Wie ernst trotzdem eine Reihe von ihnen ihr Studium aufgenommen hat, wird daran deutlich, daß eine beträchtliche Anzahl von Dissertationen zur Disputation gestellt wurden. Die Themen waren keineswegs beliebig, sondern hatten stets konkret mit ihren jeweiligen Fachinteressen oder späteren Arbeitsbereichen zu tun. Ein von Alt- wie Neuadel bevorzugtes akademisches Arbeitsfeld war bezeichnenderweise das Lehnsrecht und die ethisch-juristische Diskussion um die Adelsprivilegien. Der Baron Franz Anton von Andlau verteidigte 1722 seine These unter dem Titel De privilegis militum, Anton Siegfried von Bernhold promovierte 1719 über das Thema De personis feudi capacibus und Philipp Friedrich von Berckheim fertigte eine Schrift über die gemeinen Rittertage De comitiis nobilium an 123 . Dagegen interessierte sich der Neuadel für anspruchvollere Themen mit größerem Aktualitätsbezug. Der oberste Archiwerwalter im Elsaß, Jean-David de Papelier, legte 1739 im Alter von 22 Jahren eine Dissertatio de Mundato Wissenburgensi vor124, der spätere Prätor Gérard schrieb 1749 eine Abhandlung über die Amtsstellung des bailli unter dem Titel De ballivis, sein jüngerer Bruder Louis-Armand disputierte 1757 über den Wucher De usurisns und der grandbailli von Landser, François-Joseph-Antoine Hell, schloß sein Studium an der Straßburger Universität mit einer Arbeit über das feudale Erbrecht De successione feudali ab126. Die Bedeutung, die Straßburg seit den 30 er und 40 er Jahren des 18. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der sozial-kulturellen Anpassung des Adels an den französischen Standard erlangt, ist vielfach aufgezeigt worden 127 . Straßburg wurde für den elsässischen Adel zum Zentrum der Eleganz und der „welschen Verführung" zugleich. Die zahlreichen adligen Salons waren über die Provinzgrenzen hinaus bekannt. Sie zogen unter anderem so unterschiedliche Charaktere wie Cagliostro, Mesmer und Casanova an. Das Straßburger Theater erlangte nach dem Pariser den größten binnenfranzösischen Zuspruch. 1769 gründete der Prätor eine königliche Akademie und zusätzlich entstanden eine Fülle von Lesegesellschaften und literarische Zirkel. Vor allem der in Straßburg 123 124 125 126 127

Vgl. F. IWAND: Elsässische Adelige, S. 7-9. Vgl. E. SITZMANN: Dictionnaire, Bd. 2, S. 422. N.D.B.A.,S. 1149,1151. E. SITZMANN: Dictionnaire, Bd. 2, S. 740. Zuletzt am Beispiel der weiblichen Galanterie in der Histoire de Strasbourg, Bd. 3, S. 322.

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überdurchschnittlich stark vertretene Militäradel fand großen Gefallen an der kulturellen Abwechslung. An vorderster Stelle förderten hohe Persönlichkeiten wie der Marschall de Contades, der Kardinal von Rohan und die Prinzessin Christine von Sachsen, eine Tante Ludwigs XVI., das kulturelle Leben in der Stadt und zogen damit gleichzeitig den Adel in ihren Bann128. Obwohl nach wie vor beide Sprachen parallel gesprochen wurden, setzte sich das Französische in den oberen Gesellschaftsschichten allmählich durch. Die im deutschen Adelsstift Herwarden erzogene Madame Oberkirch schrieb mit der größten Selbstverständlichkeit ihre Memoiren in französischer Sprache129. Wie sehr der elsässische Adel die französische Kultur absorbierte, zeigt ein Blick in seine Bibliotheken. Schon der junge Frankfurter Studiosus Johann Friedrich von Uffenbach war zu Beginn des Jahrhunderts von den reichhaltigen Sammlungen der Prätorenfamilie von Klinglin sowie der wertvollen Bibliothek des Baron von Rathsamhausen in Straßburg fasziniert. Letzterer verfügte über einen Bibliotheksbestand von nicht weniger als 18 000 Bänden, wohlgeordnet nach Nationen130. Aber auch der schloßgesessene Adel schrieb im 18. Jahrhundert Bildung sehr groß. Die Bibliothek des Grafen Philippe-Joseph-Antoine de Montjoie umfaßte in seinem Todesjahr (1757) 774 Titel oder 1475 Bände, diejenige der Baronin JulienneBarbe de Schauenbourg kam 1774 auf 175 Titel (285 Bände) und schließlich erstreckte sich 1783 der Bibliotheksbestand des Grafen von Waldner in Ollwiller auf beachtliche 880 Titel in 2094 Bänden131. Nach einzelnen Sprachen aufgeteilt, dominierte bereits eindeutig das Französische: Im Zeitraum von 1750 bis 1770 waren 81,3% in französischer, 12,1% in lateinischer und lediglich 6,2% in deutscher Sprache abgefaßt. Der Anteil des Französischen stieg nochmals von 1771 bis 1791 kräfxg an: Französisch (94,4%), Deutsch (2,8%) und Latein (2,6%)132. Welche Themenschwerpunkte lassen sich feststellen, für welche Literaturbereiche interessierte sich der Adel besonders? Eine Analyse von neun Adelsbibliotheken im Raum Colmar mit einem Gesamtumfang von 4439 Bänden kommt zu folgendem Ergebnis: Prozentual den größten Anteil umfaßte die schöngeistige Literatur (43,4%), gefolgt von Werken zur Geschichte und Kunst (36%) sowie mit weitem Abstand die religiöse Literatur (5,7%). In den Bibliotheken gab es nur wenige Bücher über politische und ökonomische Themen (4%), kaum vorhanden waren juristische Abhand-

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Vgl. dazu SABORIN DE NANTON: Les salons du Prince Cardinal de Rohan, in: R.A. 22 (1872), S.278-293. Konsequenterweise sind diese berühmten Memoiren bis heute nicht in deutscher Sprache erschienen. Ebenso konsequent brach Mme. Oberkirch die Niederschrift ihrer Memoiren im Jahre 1789 ab. Hatte sie in vorrevolutionärer Zeit kaum etwas von den wahren sozialen Realitäten und Veränderungen wahrgenommen, so bewies sie nach 1789 wenigstens ein „stummes Verständnis" für die revolutionären Zeitläufe. Sie starb im Jahre 1803. Vgl. J. F. v. UFFENBACH : Das Straßburger Tagebuch, S. 90f., 93 ff. ADHR, 4 E Colmar, Étude Werner 1758, registres Besson N° 1374; ebd. Étude Werner 1774, registres Meyer (septembre-décembre); ebd. Étude Rencker 1783 (juillet-août). Vgl. D.Reboul: Livre et société à Colmar, S. 31 f. Ebd., S. 102 f.

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lungen (2%)133. Die gerade erst begonnene Universitätsausbildung hatte sich noch nicht praktisch in Form von Fachliteratur niedergeschlagen. Über eine umfangreiche Bibliothek verfügte ebenfalls die Gräfin von Rosen auf Schloß Bollwiller. Aus einem anläßlich der Versteigerung ihrer Bibliothek im Jahre 1776 erstellten Inventar geht hervor, was für eine gutsortierte Bibliothek diese Familie innerhalb ihrer Schloßmauern beherbergte. Neben dem 4 bändigen Dictionnaire historique et critique von Pierre Bayle standen u. a. der fünf Bände umfassende Dictionnaire universelle de Commerce, d'histoire naturelle et des arts et métiers von Jacques Savary des Bruslons, ein Dictionnaire portatif des Règles de la Languefrançaise, eine Chronologie de l'Empire in deutscher Sprache sowie Werke klassischer Autoren wie Vergil, Horaz, Lukrez, Catull, Martial, Juvenal und ein Kommentar zu Caesars Gallischem Krieg zum Verkauf an. Englischsprachige Autoren wie Edmund Spencer, Hume und Milton waren ebenso vertreten wie die hohe Schule der französischen Literatur mit Corneille, Racine, Boileau, La Fontaine, Rousseau und Crébillon. Beim restlichen Bestand überwogen historische, genealogische, religiöse und kriegsgeschichtliche Werke134. Die kulturelle Erfahrung, die der Adel im 18. Jahrhundert auf breiter Front machte, waren für ihn enorm wichtig, gelang es ihm doch auf diese Weise, sowohl seinen sozialen Rang zu halten, als auch gleichzeitig eine neue Dienstperspektive zu erlangen. Das er in der Wahl seiner Stellen aufgrund der günstigen politisch-geographischen Lage des Elsasses zwischen den beiden Kulturen nicht ausschließlich auf die Angebote des französischen Souveräns zurückgriff, sondern auch öfter in die Dienste kleiner deutscher Territorialfürsten trat, oder gar wie der Baron Dagobert Sigismond von Wurmser dem Kaiser den Gefolgschaftseid leistete135, ist in diesem Zusammenhang von sekundärer Bedeutung. Wichtig war die neu gewönne soziale und kulturelle Flexibilität des elsässischen Adels im 18. Jahrhundert. Zwar führte er sein jahrhundertealtes charakteristisches Landleben in einer finanziell aufwendigeren Weise weiter, war aber gleichzeitig darauf bedacht, Neuigkeiten zu erfahren, um sie eventuell zu einem persönlichen Vorteil nutzen zu können. So bestand letztlich die Motivation zur Veränderung in einem ständigen Oszillieren zwischen der Beibehaltung traditioneller Elemente und der gleichzeitigen Öffnung gegenüber den neuen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Perspektiven.

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Ebd., S. 88. ADHR, 2 E187. Vgl. E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 3, S. 245.

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3.4. Gruppensolidarität und Konflikte Obwohl die französische Politik im Ancien Régime auf Vereinheitlichung, Systematisierung und Reglementierung angelegt war, ist es ihr nicht gelungen, dem elsässischen Adel das Gefühl einer gemeinsamen Einheit zu vermitteln. Stets wurden die französischen Verwaltungsbeamten mit den verschiedenen historischen Traditionen beider Landesteile konfrontiert, so daß Trennendes leichter und vor allem schneller in Politik zu transponieren war als Gemeinsames. Zudem führten beim Adel unterschiedliche Rangstufen, Einkommen und Vermögen zu einer ausgeprägten Binnendifferenzierung, die eine gemeinsame Aktion fast unmöglich machten. Infolgedessen legte die Krone bei den einzelnen Adelsgruppen unterschiedliche Maßstäbe an. Die mächtigen Reichsfürsten im Elsaß sowie die institutionell verankerte Reichsritterschaft wurden bevorzugt behandelt, während der mediate Adel im Oberelsaß bei Hof kaum Gehör fand. Dabei blieb die unterschiedliche Behandlung und die damit verbundene politische Zurücksetzung dem niederen Landadel keineswegs verborgen. Er reagierte im 18. Jahrhundert mit sozial agressivem Verhalten nach unten, d.h. gegenüber seinen Untertanen, und mit Trotzigkeit und Widerstand nach oben, d. h. gegenüber der Krone. Zur Durchsetzung seiner grundherrschaftlichen und feudalen Rechte bemühte er meistens die eigenen Patrimonialgerichte. Schwierigkeiten traten nur manchmal bei Appellationen vor dem Gerichtshof in Colmar auf, der gelegentlich zu Gunsten der Bauern entschied. Der Streit zwischen Adel und staatlichen Behörden entzündete sich an der Frage nach einer Beteiligung oder Nichtbeteiligung des Adels an der taille, wobei stets strittig blieb, ob sie auf dem Grundbesitz ( taille réelle) oder auf der Person ( taille personelle) erhoben werden sollte 136 . Zwar wurden im Elsaß neben der taille weitere direkte Steuern erhoben (seit 1661 die subvention13?, seit 1695 die capitation und ab 1710 der dixième), jedoch konnten sich viele Adlige einer Steuerleistung weitgehend entziehen, da es keine festen steuerlichen Regelungen für die Güter des Adels und der Kirche gab. Gegen diese ungleiche Behandlung sowie gegen die zahlreichen Möglichkeiten, sich der Steuer zu entziehen, formierte sich alsbald der Widerstand der Gemeinden und der bürgerlichen Schichten. Ihre Klagen richteten sich nicht in erster Linie gegen die gängige Regel, nach der die biens de roture der Steuer unterworfen, die biens nobles dagegen befreit waren. Hauptstreitpunkt war viel136

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Die taille wurde im Elsaß meist Gewerf genannt (C. H O F F M A N N : L'Alsace au XVIII e siècle, Bd. 3, S. 483-502). Die subvention wurde erstmals im Juli 1661 im Elsaß erhoben. Da gleichzeitig das System der Steuerpachten eingeführt wurde, bedeutete dies die Außerkraftsetzung der Ständeversammlung im Oberelsaß. Die Landstände wurden bis zur Revolution nicht mehr einberufen (G. LIVET: L'Intendance d'Alsace, S. 218-221). Obwohl sich der oberelsässische Adel in einer Denkschrift unter dem Titel Griefs présentées par la Noblesse de la haute alsace à la Chambre souveraine du Roy (BNUS, Ms. 1066, f° 75r°-81 v°) zur Wehr setzte, blieb der Intendant bei seiner Entscheidung. Anschließend forderten der Adel und die Städte im Oberelsaß in einer Eingabe an den König vom 26.1.1662 die Bestätigung ihrer „anciennes status franchises, privilèges et libertés" (AD Belfort, Archives de Delle AA1/28), die ihnen ebenfalls nicht zugestanden wurden.

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mehr die Umgehung der Steuerbestimmungen durch die Grundherren, indem diese ihre nichtadligen Güter einfach zu biens nobles erklärten und somit ihre Pächter in stillschweigenden Verträgen von deren Steuerleistung, der portion colonique, befreiten 138 . Die Krone reagierte auf den wachsenden Unmut in der Provinz und ernannte mit Bauyn d'Angervilliers einen neuen Intendanten, der sich ab 1716 gezielt diesem Problem annahm. Während seiner neunjährigen Tätigkeit im Elsaß sagte er der willkürlichen Steuererhebung den Kampf an. Seine erste Bestandsaufnahme führte zu dem alarmierenden Ergebnis, daß nicht nur der Adel sondern auch das privilegierte Bürgertum sich die Steuerexemption zu eigen machen wollte139. Am 10. August 1716 schrieb er an den Staatsrat und Siegelbewahrer d'Armenonville in Paris: „Je viens à la question de l'exemption des impositions du Roy, je ne mets pas en doute que les officiers du Conseil de Colmar ne doivent jouir des mêmes privilèges que les Gentilshommes pour les biens qu'ils exploitent par leurs mains ; mais on se plaint généralement dans la Province que la pluspart des nobles passent leurs baux, sous signature privée, pour avoir moyen de les tenir cachés et exempter leurs biens, en disant qu'ils les font valoir par des Domestiques"140.

Kaum hatte der neue Intendant elsässischen Boden betreten und die Initiative in Sachen adliger Privilegien ergriffen, formierte sich der Widerstand des oberelsässischen Adels. Bereits im Frühjahr 1716 trafen sich in Wittelsheim bei Mülhausen zahlreiche Adlige unter der Führung des Grafen von Montjoie sowie der Barone von Reinach-Hirtzbach, von Schauenbourg aus Niederhergheim, Waldner von Freundstein und Zu Rhein aus Pfastatt, um über die Wiedereinsetzung ihrer von Ludwig XIV. aufgehobenen Ritterschaftsversammlung zu beraten 141 . Offenbar erblickten sie in der Reaktivierung ihrer alten Institution ein probates Mittel, um der anstehenden Steuerforderung nachhaltig entgegnen zu können. Dies wurde ein knappes Jahr später deutlich, als sie dem Intendanten eine Denkschrift vorlegten, worin eine Steuerbefreiung für alle ihre Güter verlangt wurde. Zur Begründung ihrer Forderung verwiesen sie auf ihre ehemals unmittelbare Stellung zum Kaiser sowie auf den großen Landhunger der roturiers, „qui s'enrichissent tous les jours par toutes sortes d'entreprises" 142 . Zwar gab der Intendant unverzüglich alle Eingaben mit seinem Plazet nach Paris weiter, doch zunächst hielt sich die staatliche Seite bedeckt. Bewegung in die Auseinandersetzung kam erst Ende 1717, als der Fürstabt von Murbach die ruhige Situation zu 138

Ein Beispiel unter vielen weiteren: 1747 kaufte der Gerichtsschreiber von Soultz, Philippe Remy, vom verschuldeten Freiherrn Ludwig Truchsess von Rheinfelden gegen Rentenabtretung und die beträchliche Summe von 34500 livres das adlige Gut und Schloß Orschwihr. Ein Jahr später beantragte er die Steuerbefreiung. Er begründete seinen Antrag mit dem gleichzeitigen Erwerb von Schloß Orschwihr: „ce corps de biens forme avec le château un territoire distinct." (ADHR, 1 J14). 13 ' In der Tat wurde die Steuerexemption am 28.9.1722 auch auf die Magistrate und die Beamten der Colmarer Gerichtsbehörde sowie auf die Offiziere der königlichen Truppen ausgeweitet (vgl. DE BOUG: Ordonnances d'Alsace, Bd. 1, S. 580) 140 D'ANGERVILLIERS: Lettres écrites à la cour, S. 32. AM Mülhausen, Fonds Scey-Ferrette 56, f° 38. Die Adligen trafen sich am 17.3.1716 in Wittelsheim. 142 ADHR, 16 J175 (Memorandum vom 17.2.1717).

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seinen Gunsten ausnutzen wollte, um eine eigene Régence für seinen Herrschaftsbereich zu fordern 143 . Durch diese Initiative ermutigt traf sich der oberelsässische Adel erneut Mitte September 1718, diesmal in Illfurth. Die Pläne für eine eigene Ritterschaftskorporation hatten inzwischen konkrete Formen angenommen. Zu diesem Zweck wurde der Straßburger Anwalt Frédéric Zentaroue mit der Erstellung einer Denkschrift beauftragt, die dieser umgehend auf direktem Weg dem Regenten von Orléans zukommen ließ. Die darin erhobenen Forderungen waren enorm. Der oberelsässische Adel verlangte nicht nur die Wiedererrichtung einer eigenen Ritterschaft mit Direktorium, Matrikel und Tagungsraum sondern forderte ebenfalls eine eigenständige Gerichts-, Polizeiund Steuerkompetenz 144 . Die Pariser Behörden ließen sich durch diesen überdimensionierten Vorstoß nicht irritieren. Bereits Mitte Februar 1719 stellte d'Armenonville unmißverständlich klar: „La demande des gentilshommes de la Haute-Alsace est contraire à l'interest du Roy à celui du peuple de la province et à leur propre interest.145"

Nun ergriff d'Armenonville erneut die Initiative und beabsichtigte gemeinsam mit dem Gouverneur des Elsaß, dem Marschall d'Huxelles, gegen den Landund Robenadel vorzugehen. Am 3. April 1719 instruierte er Huxelles über die zahlreichen steuerlichen Mißbräuche sowie die Klagen der Bauern. Ein ähnlich rigoroses Vorgehen wie 1706 in der Franche-Comté hielt er auch im Elsaß für angebracht: „J'ay verifïié que cy devant quelques Gentilshommes de la haute alsace ont payé la subvention pour les biens roturiers qu'ils possedoient. J'ay trouvé que d'autres ont sçu s'en exempter, c'etoit l'effet du plus ou moins de credit que chaque Seigneur avoit sur des paysans. Quant aux Conseillers de Colmar, il n'est pas douteux qu'aucun Bailly n'oseroit les faire comprendre dans les Rolles. [...] Il est cependant arrivé que quelques Gentilshommes riches ont acquis des biens roturières, à toutes mains. Je vous citeray M. de Foussemagne et j'en pourrais citer d'autres. [...] Les paysans pressés se sont elevé et se sont pourvus à moy pour avoir justice. Je ne m'en suis pas tenu à examiner les réglés de l'Empire, j'ai cherché ce que se pratiquoit en franche Comté.146"

Der Adel blieb nicht tatenlos sondern überreichte am 24. April 1719 eine Namensliste von hundert „Gentilshommes de la haute alsace et du Sountgau", welche die Absicht bekundeten, der neuen Ritterschaft beizutreten 147 . Trotzdem ließen die Behörden in Paris und Straßburg Gelassenheit walten. Der Intendant konnte es sich im sicheren Wissen um seine politischen Befugnisse und die allgemeine Rechtslage sogar erlauben, im Mai die Bäder in Plombières aufzusu-

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Vgl. D'ANGERVILLIERS: Lettres écrites à la cour, S. 64ff. BM Colmar, Ms. 583. Ein weiteres, unvollständiges Exemplar befindet sich in der BM Straßburg, Ms. 620. Am 2. Mai 1719 fordert der Adel einen eigenen Gerichtsschreiber für die Abfassung der Verträge (ADBR, 43 J 67). BM Colmar, Ms. 640, P 8r°. D'ANGERVILLIERS: Lettres écrites à la cour, S. 113. ADHR, 16 J175.

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chen, nachdem er zuvor seine Instruktionen an die Minister d'Argenson und d'Armenonville abgeschickt hatte148. Als die Eingabe bei den amtlichen Stellen nicht richtig vorankam, erbot sich Jean-Jacques de Ferrette im November 1719, anläßlich eines privaten Aufenthalts in Paris in der Projektangelegenheit vor Ort zu sondieren149. Im März des folgenden Jahres schlug der Intendant ein neues Reglement für die Steuerexemption vor. Es besagte, daß der Adel für seine Lehen und Freigüter von der subvention befreit werde, soweit er sie selbst bewirtschafte. Falls er sie verpachtet habe, müßten die Pächter die portion colonique entrichten, was der halben Taxierung als Eigentümer entsprach. Die Regelung sah ebenfalls vor, die Güter der Parlamentsbourgeoisie in Colmar in gleicher Weise zu behandeln wie die des Adels. Ferner setzte der Intendant zum erstenmal einen Steuertermin fest: die Steuer sollte jährlich im Oktober in dem Ort erhoben werden, in dem die besagten Güter lagen150. Sogleich versuchte der Adel, diesen Vermittlungsvorschlag zu torpedieren. In Paris sollten die beiden Anwälte de Montalet und Desbois erneut ihre Arbeit aufnehmen und der Chevalier de Betz wurde beauflagt, beim Grafen von Béthune vorzusprechen151. Obwohl alle Bemühungen, die amtliche Regelung zu entschärfen, erfolglos blieben152, unternahmen die officiers am Colmarer Gerichtshof Ende Januar 1721 einen weiteren Vorstoß in der Frage der Steuerexemption. Mit Verweis auf ihre Statute, auf entsprechende kaiserliche Erlasse (!) sowie das Edikt vom 19.3.1704, das die subvention als „personelle" klassifizierte, unternahmen die Beamten einen letzten Versuch. Der oberelsässische Adel sekundierte mit einer gleichlautenden Eingabe eine Woche später153. Obwohl das vorläufige Reglement die adlige Steuerbefreiung dekretiert hatte, setzte der Adel sich nochmals vehement für seine Pächter ein: „Vous empecherez par-là, Monsieur, la Noblesse de tomber dans le dernier mépris accompagné d'une ruine totale [...] en cas que le Reglement provisionel devint définitif

[,..r 1M . Die französische Verwaltung beharrte auf ihrem Standpunkt und erließ in zwei königlichen arrêts Ende 1721 die neuen Steuerbestimmungen155. Mit viel Gespür 148 149

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AM Mülhausen, Fonds Scey-Ferrette 56, f° 71 r°. Ebd. P 38 ff. Der Baron de Ferrette forderte anschließend - sehr zur Überraschung der anderen Adligen - eine Entschädigung in Höhe von 3346 livres für seinen Paris-Aufenthalt. Der sich entzündende Streit um die proportionale Aufteilung der Summe mußte im Jahre 1724 gerichtlich entschieden werden. ANP, G'.83. AM Mülhausen, Fonds Scey-Ferrette 56, f° 60r°-61v° (Brief vom 4.3.1720). Die Adligen ließen sich die vielen Eingaben und Sondierungen in Paris etwas kosten. De Montalet wurde mit 1000 L und Desbois, der von Zentaroue bereits 600 L erhalten, sollte nochmals mit 500 /. entschädigt werden. Am 11.11.1720 erließ der Regent eine provisorische Entscheidung „au sujet des Impositions en Alsace", zusammen mit einem Ausführungsauftrag für den Intendanten (DE BOUG: Ordonnances d'Alsace, Bd. 1,S. 556f.). ANP, G 7 .83 (Denkschriften vom 28.1. und 7.2.1721). Ebd. Vgl. DE BOUG: Ordonnances d'Alsace, Bd. 1, S. 562«". Am 12.11.1721 wurde durch Beschluß des Staatsrates die Steuerbefreiung für die adligen Güter der Reichsritterschaft und am 30.12.1721 die

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für die prekäre Situation der oberen Gesellschaftsschichten im Elsaß - der Adel wurde mit dem privilegierten Bürgertum gleichgestellt - war es der Krone gelungen, sowohl eine neue Steuerregelung einzuführen, als auch den politischen Ambitionen des oberelsässischen Adels eine endgültige Absage zu erteilen. Die Ruhe war jedoch nicht von langer Dauer. Als der receveur général des domaines d'Alsace, Jean-Sébastien de Salomon (1689-1745)156, Ende 1739 in einer Eingabe an den Intendanten eine Registrierung aller adligen Lehen und seiner Freigüter forderte 157 , erhob sich erneut ein Aufschrei der Entrüstung aus den Reihen des oberelsässischen Adels. In einer Denkschrift wiesen sie die Bemühungen de Salomons „par un pur esprit de résistance 158 " zurück und verwahrten sich gegen die schematische Behandlung, die er ihnen als Lehnsinhaber und Vasallen des französischen Königs zukommen ließ: „La noblesse a lieu d'esperer, que sur la qualité des fiefs de cette province cydessus établie, la façon de les reprendre, d'indiquer la consistance de la conservation le tout contradictoirement avec la partie publique, Moyens, qui établissent plus solidement les droits du Seigneur direct, qu'un simple ensaissinement, qu'un reteneur ne peut contredire, n'ayant pour objet que la perception des droits de Sa Majesté, elle voudra bien luy imposer silence" 1S9 .

Die Aktion de Salomons war offensichtlich mit Paris abgestimmt 160 , stieß jedoch wie zu Beginn der zwanziger Jahre auf den Widerstand des Conseil Souverain d'Alsace. In mehreren Schreiben forderte der Finanzminister Philibert d'Orry den Präsidenten des Gerichtshofes, Nicolas de Corberon, auf, de Salomon zu unterstützen. Als dies nicht fruchtete und auch die Reichsritterschaft im Unterelsaß sich mit einer Denkschrift zu Wort gemeldet hatte161, schaltete sich der König persönlich in den Streit ein. Er lobte die Wachsamkeit seines Beamten de Salomon, der sich für den Zusammenhalt seiner Domänen große Verdienste erworben habe. Die Auswüchse hätten jedoch schlimme Formen angenommen und müßten eingedämmt werden : „que plusieurs mesme des vassaux ne iouissoient pas de tous les domaines et droits relevans de V. M. dépendans de leurs fiefs, que d'autres en disposaient en fraude du domaine, et que dans la suite des temps on usurperoit insensiblement les biens domaniaux [.. ,]"162.

Exemption für die Güter des oberelsässischen Adels, der Parlamentsbourgeoisie sowie des Magistrats der Stadt Straßburg dekretiert. 156 Gleichzeitig besaß er von 1711 bis zu seinem Tode ein Ratsamt am Conseil Souverain d'Alsace. Er war mit der Bürgerlichen Anne-Marie Fries verheiratet. 157 Gemeint ist das droit d'ensaisinement. Dieses Feudalrecht stand allein dem Souzerain zu. Danach konnte er einen Lehnsmann mittels Urkunde in den Besitz einweisen. Zur Aktion de Salomons gegen den Adel vgl. StB Trier, Ms. 1307/525, P 179r°-247r°. 158 APP Monaco, T 967, P 157r°. 159 Ebd. P 157r°-v°. 1< " ADHR, 1 B5,f° 168r°. 161 AM Haguenau, JJ 225 (10). Vgl. die Denkschrift für Salomon ebd., JJ 225 (11). 162 ADHR.1 B5,f° 172r°.

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Das Hauptübel lag nach wie vor in den stillschweigenden Abmachungen zwischen Grundherr und Pächter, „qui mis les choses dans l'état moderne, principe qui autorise les usurpations" 163 . Nachdem Land- und Robenadel erkennen mußten, daß diese im Elsaß übliche Praxis sich mittlerweile bereits bis nach Versailles herumgesprochen hatte, lenkten sie ein164. Als Gegenleistung blieben die Steuerprivilegien des Adels auch weiterhin bestehen. Erst 1749 mit der Einführung des vingtième, einer 5%igen direkten Einkommensteuer, wurde die Steuerfreiheit des Adels entscheidend durchbrochen. Allerdings blieben die Mißbräuche weiterhin bestehen, im übrigen ebenso wie die Verbitterung der steuerzahlenden Bourgeoisie. Der Gerichtsschreiber von Ferrette, Schwindenhammer, berichtete im Jahre 1788: „II n'est pas moins vrai, que plusieurs de M M . de nobles, surtout les forains comme sujets à la portion colonique, ne paient les vingtièmes qu'arbitrairement, aux rôles des communautés dans les bans desquelles se trouvent leurs fonds" 165 .

Während sich auf der einen Seite der Adel - wenn auch wenig erfolgreich - in der Verteidigung seiner Steuerprivilegien zu einer Solidargemeinschaft gegen den französischen Souverän formierte, so kennzeichneten andererseits Uneinigkeit, soziale Ängste und persönliche Rivalitäten seine innere Verfassung. Die strenge Hierarchie innerhalb des eigenen Standes sowie die Begrenztheit der zur Verteilung anstehenden Renten und Abgaben schufen ein gewaltiges Konfliktpotential. In den meisten Fällen stritten sich die jeweiligen Adelsparteien um grundherrliche Abgaben, um Grenzziehungen bei ihren Grundstücken, um Ehrenvorrechte sowie um die seigneurialen Zugriffsrechte auf die Allmende. Die Intensität und das Ausmaß der einzelnen Streitfalle variierten regional außerordentlich, so daß eine repräsentative Auswahl sinnvoll scheint. Die Auseinandersetzungen zwischen der Gemeinde Hégenheim und ihrem Seigneur von Bärenfels um Waldanteilsrechte in der Gemarkung Les Trois Hayes hatten eine lange Tradition. Sie reichten bis ins Jahr 1528 zurück 166 .1744 erhob die Familie Barbier, die im gleichen Ort wohnte, ebenfalls Ansprüche und bestritt die Version der Bärenfels, wonach sie den Wald als Lehen des Fürstbischofs von Basel empfangen hätten. Die Barbier wandten sich an den Conseil Souverain d'Alsace, und die Bärenfels baten ihren fürstlichen „très honoré Patron" um Beistand: „J'espère qu'il aura attention à l'axiome du droit féodal, qui appelle le seigneur ad paria et de traitter le vassal comme son fils et accordera très gracieusement l'intervention suppliante" 167 .

,ö 164 ,6S 166 167

E b d . P 172v°. Vgl. ebd., 1 B 5, f° 173r° : Letzte Aufforderung des Finanzministers vom 13.9.1740. ADHR, C 1527. AAEB Porrentruy, B 237/38 : Lehnsrequisitionen Bärenfels, Mappe 3. Ebd.

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Fünf Jahre später, am 10.11.1749, wurde der Prozeß mit einem Vergleich beendet. Wie in den meisten Fällen, wurden auch hier die Nutzungsrechte zwischen den streitenden Parteien aufgeteilt. Dem Streit zwischen dem Herzog von Broglie und dem Rat am Gerichtshof in Colmar, Jacques-Michel de Michelet, lag keine wirtschaftliche sondern eine soziale Dimension zugrunde. Konkreter Anlaß zur Auseinandersetzung bildete ein Eigentumsanteil an der Straße, die um das Schloß Bollwiller führte. Diese wiederum grenzte an ein Lehen, mit welchem der Rat 1784 investiert worden war. Zum Nachteil des Neuadligen verfügte er jedoch über keine eigene Patrimonialgerichtsbarkeit, so daß de Broglie sogleich gerichtlich gegen ihn vorging. Offenbar war die Präsenz des parvenu parlementaire in der unmittelbaren Umgebung des Hochadligen eine Zumutung. In dem 1787 ergangenen Gerichtsbeschluß wurde Michelet verurteilt „à se désister de la chaussée exterieure du fossé qui entoure le château de Bollwiller"168. Zwar wurde dem Neuadligen mit diesem Urteil die soziale Ausgrenzung offenkundig vor Augen geführt, jedoch konnte er es sich erlauben - im Gegensatz zu weniger vermögenden Familien -, den „Renten"-Standort zu wechseln. Dagegen zeigt das Beispiel der Barbaud de Florimont sehr eindrucksvoll, welche wirtschaftlichen und sozialen Abgründe sich innerhalb des elsässischen Adels im Ancien Régime auftaten169. Die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Pächter der Hüttenbetriebe in Beifort und Giromagny aufgestiegenen Barbaud, konnten diesen Erfolg auf Dauer nicht halten. Zwar hatte das Engagement im metallverarbeitenden Bereich dem protestantischen Firmengründer Gaspard Barbaud 1672 die Herrschaft Florimont und 1675 den Adelstitel eingebracht, dennoch geriet das Unternehmen aufgrund der schwedischen Eisenkonkurrenz und bedingt durch den Ausbruch des spanischen Erbfolgekrieges in große finanzielle Schwierigkeiten. Der Firmenbankrott schien unvermeidlich und erfolgte im Jahre 1701. Anschließend stritten sich die einzelnen Familienangehörigen um den Restbesitz, der 1719 in die alleinige Verfügungsgewalt von Jean-Abraham-Gaspard de Barbaud überging. Permanente Schulden und ein auf den seigneurialen Landbesitz reduzierter Aktionsradius veranlaßten den Urenkel des erfolgreichen Industriellen zur Flucht nach vorn. Während seiner fünf Jahrzehnte dauernden Herrschaft drangsalierte er die Gemeinden und die in Florimont seit Jahrhunderten seßhaften von Ferrette170. Mit beharrlicher 168 169

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ADHR, 2 E16 (Urteil vom 9.5.1787). Zum Streit der Familien de Barbaud und de Ferrette im 18. Jahrhundert vgl. A. LERCH-BOYER: Florimont, S. 31 ff. Um die eigenen Interessen vor Gericht besser durchsetzen zu können, wurden in der ersten Phase der Auseinandersetzungen unter beträchtlichem finanziellen Aufwand Denkschriften von beiden Familien drucken lassen und in Umlauf gebracht: État au juste de l'instance pendante par-devant Nosseigneurs du Conseil souverain d'Alsace. Entre.. .Philippe Larcher.. .en qualité de Curateur établi à l'Enfant mineur du Y Gaspard Barbaut.. .contre le & Beat Frédéric de Ferrette, [1733] (BNUS : M 32 834) ; Relevé des raisons du Sr. Gaspard Barbaut.. .contre les Sieurs de Ferrette, 1738 (ADHR, 1 E 9/4); Mémoire pour les Sieurs.. .de Ferrette... contre le Sieur Jean Gaspard Barbaut, [1739] (BNUS: M 37970).

Gruppensolidarität und Konflikte

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Konsequenz strebte er immer wieder von neuem Prozesse um die Aufrechterhaltung und Aneignung von Renten, Gütern und Ehrenrechten an. 1757 waren vor dem Conseil Souverain d'Alsace acht Streitobjekte anhängig171. Zwölf Jahre später belief sich die Zahl der vor Gericht auszutragenen Konflikte sogar auf 18172. Nicht nur finanzielle Gründe motivierten zur Prozeßmanie, vor allem ging es ihm um die Gewährleistung der grundherrschaftlichen Ehrenrechte. Um seine Rechte in der Kirche von Courtelevant gegenüber der ritterbürtigen Familie von Ferrette demonstrieren zu können, konvertierte der Protestant 1740 zum katholischen Glauben173. Immer wieder standen neue Konflikte zwischen den beiden Familien an. Sie zeigen im Detail zwei antagonistische Adelsfamilien, die sich wechselseitig in ihrer Kleinherzigkeit überboten: man stritt sich über das Fischrecht im Bach von Florimont, über den Gemüse- und Obstgarten der Barbaud, die beide durch eine Flußstauung überschwemmt worden waren sowie über eine von den Barbaud auf dem Gemeindeweg errichtete Mauer174. Die wirtschaftlich bessergestellten Ferrette saßen stets am längeren Hebel. Ausdauernd und nicht weniger streitsüchtig als die Barbaud kauften sie im Laufe des 18. Jahrhundert scheibchenweise die Seigneurie Florimont auf. Zuletzt erwarben sie 1780 den Meierhof Fahy175 und 1785 den noch verbliebenen restlichen Anteil der Barbaud an der Seigneurie176. Schließlich kommt neben dem wirtschaftlichen Aspekt der konkurrierenden Adelsfamilien ein sozialer hinzu: Trotz der aristokratischen Allüren der Barbaud wurden sie von der altadligen Familie Ferrette nicht akzeptiert. Aufgrund ihrer vornehmen Herkunft und der besonderen Reputation, die sie innerhalb der elsässischen Adelkreise genossen, konnten sie es sich im Gegensatz zu den Barbaud erlauben, den vom französischen König verliehenen Barontitel weitgehend zu ignorieren. Stattdessen zogen sie die „schlichtere" Bezeichnung eines Chevalier de Ferrette vor177. Die Streitigkeiten zwischen dem Fürstbischof von Straßburg und einzelnen Grundherren, die kleine Enklaven in der Mundat Rouffach besaßen, beschäftigten ebenfalls die Gerichte über die ganze Dauer des 18. Jahrhunderts. Zwischen 1731 und 1739 stritten die Barone von Schauenbourg aus Niederhergheim um die Justizrechte in ihren Territorien178, und von 1741 bis 1750 führte der Fürstbischof mit der Familie Waldner von Freundstein einen Prozeß um die zuständige 171 172 173

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AM Mülhausen, Fonds Scey-Ferrette 6, P 348. Ebd., P 346f. Vgl. P. MIEG : Mulhouse et les Barbaud, S. 46. Der Streit zwischen den beiden rivalisierenden Familien um die erste Bank in der Kirche währte seit 1724 und dauerte 20 Jahre. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung ließ Barbaud eine neue Bank vor derjenigen der Familie von Ferrette errichten (AM Mülhausen, Fonds Scey-Ferrette 3, P 142). Ebd., Fonds Scey-Ferrette 3, P 1 lOff. ; ebd. 2, P 354; ebd. P 353-355 (zit. bei A. LERCH-BOYER: Florimont, S. 67). Ebd., Fonds Scey-Ferrette 6, P 165-168: Am 29.4.1780 verkaufte Gaspard-Nicolas de Barbaud den Meierhof für 9400 livres an Marie-Anne-Thérèse d'Eptingen, Ehefrau von François-Xavier de Ferrette. ADHR, 1 B 965, P 572. Vgl. A. LERCH-BOYER: Florimont, S. 55. ADHR, 3 G 59.

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Familienklientel, Akkulturation und Herrschaftsstrategien

Gerichtsbarkeit für Schloß Ollwiller179. Kurz zuvor hatte er den Waldner bereits untersagt, im Forst von Hartmannswiller zu jagen 180 . Nicht nur um Nutzungsrechte und Einkünfte wurde gestritten, vor allem um das Eigentum in Form von Lehen, Allodien und Renten sowie den dazugehörenden Rechten entbrannte oftmals ein erbitterter Streit. Insbesondere wenn Lehen vakant zu werden drohten, setzte eine rege Nachfrage hinsichtlich der Nachfolge ein. So versuchte z. B. der Herzog de La Meilleraye, der Familie von Riboulet das von ihr soeben erworbene Lehen Auxelles-Haut wieder zu entreißen. Als Grund gab er die hohen Schulden der Schwiegermutter des Lehnsherrn an, mit der diese bei seiner Familie in Paris zu Buche stand: „Ce cependant la dame de Frottey belle mère du suppl1 est depuis deux ans et trois mois aux pieds de la Cour où elle depense plus que le fief ne vaut.181" 1689 hatte es den Hauptmann Philippe-Athanase de Riboulet über eine Heiratsverbindungen ins Elsaß verschlagen, woraufhin er 1701 via Erbanfall von der Familie Heid de Heydenbourg in den Besitz des Lehens Auxelles-Haut gelangte' 82 . Die Auseinandersetzungen der Familien Reinach-Foussemagne und Klinglin um die Nachfolge im Lehen Roppe beschäftigten den Colmarer Gerichtshof über ein halbes Jahrhundert. Bereits seit Beginn des 18. Jahrhunderts entfalteten mehrere Adelsfamilien im Sundgau rege Aktivitäten, um sich die Nachfolge der vom Aussterben bedrohten Familie von Roppe zu sichern. Da das Lehen seit 1507 als Ganerbenbesitz unter den Wessenberg, Reinach und Roppe aufgeteilt war, ließ sich eine weitere Aufteilung nicht einfach bewerkstelligen. Zwar waren im März 1716 die beiden Familien Reinach und Wessenberg übereingekommen, den Lehnsanteil der Roppe zu veräußern, allerdings stimmten die Roppe diesem Vorschlag nicht zu. Nach dem Scheitern der Verkaufspläne, kauften die von Wessenberg kurzentschlossen als „Ersatz" das Dorf Liebentzwiller183. 1729 starb die alteingesessene Familie von Roppe im direkten Mannesstamm aus184. Anschließend wurde der Baron François-Joseph-Ignace von Reinach-Foussemagne belehnt. In der Folgezeit versuchten die Reinach im Einklang mit dem Grafen von Glaubitz die letzte Erbberechtigte der Familie von Roppe hinausauszudrängen 185 . Als die Tochter Leopolds von Roppe 1739 den

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ADHR, 3 G 53. ADHR, 3 G 6 1 . ANP, Q'.979. Nach dem Tode des letzten Heid de Heydenbourg im Jahre 1676 fiel das Lehen Auxelles-Haut zunächst an die Familie de Buget und 1701 an die de Riboulet (ANP, Q'.979; vgl. R. BOIGEOL: Recherches sur la famille Heid des Heydenbourg, S. 42 f.) ANP, Q'.979. Vertrag vom 23.9.1717 gegen 10000 livres. Ab Mai 1733 versuchte die Familie von Wessenberg vergeblich, das Dorf wieder zu verkaufen. Über die Verkaufsverhandlungen siehe ADHR, 108 J 226 (10-17). Um den Besitz vor dem Verkauf zu schützen, hatten François-Leopold de Roppe und sein Vetter François-Conrad ihre Lehen und Allodien reuniert (ANP, Q',979 : Lehensaufstellung vom 18.12.1716 sowie das Bestandsverzeichnis der Freigüter vom 29.7.1721). Vgl. F. SCHAEDELIN: Le fief de Roppe, S. 77.

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Sohn des Straßburger Prätors von Klinglin heiratete, entbrannte der Streit um das Roppe-Erbe von neuem. Marie-Louise de Roppe starb bereits 1755, ihr Mann ein Jahr später im Staatsgefängnis von Pierre-Encise zu Lyon, nachdem er in den politischen Strudel hineingeraten war, den der Sturz seines Vaters ausgelöst hatte. Dadurch wurde der Abschluß des Prozesses lange hinausgeschoben. Erst 1781 wurde duch königliche Ordonnanz eine Einigung erzielt: die Familie Klinglin bekam 5/8, und die Reinach 3/8 der Seigneurie zugesprochen 186 . Die internen Auseinandersetzungen des Adels um Rangfragen oder um territoriale und ökonomische Anteilsrechte im grundherrschaftlichen oder feudalen Bereich zeigen in signifikanter Weise die relative Ohnmacht einer aktiven Feudalklasse, die befürchten mußte, von der sozioökonomischen Entwicklung überrollt zu werden. Teils orientierungslos, teils ohne realistische Perspektive sahen viele Adlige in der hartnäckigen Abwehr ihrer Standesprivilegien eine Chance, der drohenden Bedeutungslosigkeit zu entkommen. Ihr Interesse galt deshalb der Konservierung der Lehen, vor allem aber den grundherrlichen Rechten als letzte wirtschaftliche Basis ihrer eigenen Existenz. Die Vitalisierung des Feudalapparates entsprach somit sowohl einer ökonomischen Notwendigkeit als auch einer schärferen sozialen Binnenprofilierung. Wie kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe wurde der elsässische Altadel im Laufe des 18. Jahrhunderts mit Öffnungen und Grenzen konfrontiert, strömten von außen neue Elemente und Wertvorstellungen in sein vormals geschlossenes Weltbild ein. Die Definitionen des Adels im 18. Jahrhundert 187 dürfen zweierlei nicht übersehen: Zum einen gab es eine enorme Hierarchisierung, d.h. Binnendifferenzierung innerhalb des Standes, und zum anderen eine Reihe von Aufstiegschancen für ein breites Reservoir des Dritten Standes. François Furet bringt diesen Sachverhalt auf die knappe aber zutreffende Formel: „Der wichtigste Schlüssel zum Verständnis der politisch-sozialen Krise des 18. Jahrhunderts [war] nicht eine hypothetische Verschließung des Adels, noch dessen globale Verfeinerung gegenüber der Bourgeoisie im N a m e n einer imaginären Feudalität, sondern im Gegenteil seine Öffnung, die für den Zusammenhang des Standes allzu breit war, für den Wohlstand des Jahrhunderts aber allzu eng" 188 .

Der soziale Kontakt zwischen dem Adel und Teilen der städtischen Bourgeoisie hatte im Elsaß eine jahrhundertealte Tradition und äußerte sich am augenscheinlichsten darin, daß viele Adelsfamilien im Besitz städtischer Bürgerrechte waren. Die enge Beziehung, die Adel und Bourgeoisie miteinander verband, gibt infolgedessen nicht nur Aufschluß über den jeweiligen Grad der Privilegierung sondern vermittelt in erster Linie ein tieferes Verständnis hinsichtlich der Elitenproblematik im Vorfeld der Französischen Revolution.

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ADHR, 2 E 111/10 (Ordonnanz vom 26.11.1781). Vgl. ebenso F. SCHAEDELIN: Le fief de Roppe, S. 83. Zu den einzelnen Definitionen zeitgenössischer Autoren wie La Roque, Chérin und Guyot vgl. R. MOUSNIER: Les Institutions de la France, Bd. 1, S. 101-104. F. FURET: Der revolutionäre Katechismus, S. 67.

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3.5. Adel versus Ancien Regime? Im Laufe seiner langen Regierungszeit war es Ludwig XIV. gelungen, den Adel politisch zu entmachten, indem er ihn in Versailles um sich scharte, ihn sozial und wirtschaftlich saturierte, ihn in Wirklichkeit jedoch domestizierte189. Wenn der Adel auch auf diese Weise als innenpolitischer Machtfaktor seine frühere Bedeutung verlor, so war er doch als Stand die tonangebende Gesellschaftsschicht geblieben. Dies zeigte sich bereits unmittelbar nach dem Tod des Sonnenkönigs: die französische Aristokratie setzte sofort alle nur erdenklichen Möglichkeiten in Bewegung, um wieder in die alten Stellungen in Justiz, Armee und Verwaltung zu gelangen. Aufgrund seiner staatsrechtlichen Legitimation als Herrschaftsstand, aber auch aus Gründen einer tiefen politischen Kränkung, unternahm der Adel seit 1715 einen permanenten Angriff auf den fürstlichen Absolutismus, unter dessen Erschütterungen die Monarchie schließlich zusammenbrechen sollte. Das adlige Bewußtsein, auf der Basis legitimer Rechte zu handeln, wurde bereits zu Lebzeiten Ludwigs XIV. von einzelnen Theoretikern ideologisch untermauert und war Thema zahlreicher Adelstraktate in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Es entzündete sich eine scharfe Kontroverse, in der vor allem über die Natur des Adels sowie über den Nobilitierungsnachweis gestritten wurde190. Bereits 1685 hatte der Jesuit Claude-François Ménestrier (1631-1705) insistiert, dem Adel müsse aufgrund seiner spezifischen Erziehung eine besondere Stellung in Staat und Gesellschaft zukommen191, und drei Jahre später beschwor der Gelehrte und Genealoge Gilles-André de La Roque (1598-1686) in seinem Traité de la noblesse die biologische Begründung der adligen Sonderrolle. Dieser Traktat wurde 1710 und 1734 neu aufgelegt, was auf ein reges Interesse an diesem Thema schließen läßt192. Den fraglos durchschlagendsten Erfolg erzielte der Graf Henri de Boulainvilliers (1658-1722) mit der historischen Herleitung der Adelsansprüche, die in der Folgezeit als theoretischer Boden der sogenannten „feudalen Reaktion" diente, aber auch zur Begründung einer adli-

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Vgl. hieizu N. ELIAS: Die höfische Gesellschaft, S. 222ff. Vgl. dazu die knappen Textauszüge bei G. CHAUSSINAND-NOGARET (Hg.): Une histoire des élites, S. 24f. Vgl. ebenso M. REINHARD: Élite et noblesse dans la seconde moitié du XVIII e siècle, in: R. H. M. C. 3 (1956), S. 5-37. D. RICHET: Autour des origines idéologiques lointaines de la Révolution française. Élites et despotisme (1969), in : E. SCHMITT (Hg.) : Die Französische Revolution. Darmstadt 1973, S.329-358, bes. S. 336ff.. R. MOUSNIER: Les institutions de la France sous la monarchie absolue, Bd. 1, Paris 1974, S. 101 ff.; S. 153ff. A. JOUANNA: Die Legitimierung des Adels und die Erhebung in den Adelsstand in Frankreich (16.-18 Jahrhundert), in: W. SCHULZE (Hg.): Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität, München 1988, S. 165-177, bes. S. 172ff. Zum aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion vgl. D. VENTURINO: L'ideologia nobiliaire nella Francia di Antico Regime,in: Studi storici 29 (1988), S. 61-101. C.-F.MÉNESTRIER: Les Diverses espèces de noblesse et les manières d'en dresser les preuves, Paris 1685. G.-A. LA RÖQUE: Traité de la noblesse, des ses différentes espèces, Paris 1678 (Neuauflagen 1710 und 1734 jeweils in Rouen)

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147

gen Vorrangstellung gegenüber dem Dritten Stand herangezogen wurde193. Diese manifeste Artikulation der Adelsideologie provozierte geradezu die Reaktion der aufgeklärten, politisch gemäßigten Gegenseite. Der Marquis RenéLouis d'Argenson (1694-1757), ein Sohn des Siegelbewahrers Ludwigs XIV., verfaßte 1737 seine Considérations sur le gouvernement, die, aufgrund ihrer Brisanz, erst nach seinem Tode 1764 in Amsterdam erscheinen konnten194. D'Argenson plädierte in seiner Schrift für die Abschaffung des erblichen Adels, der für ihn die Quelle allen Übels in Staat und Gesellschaft war. Um die Obstruktion durch den Adel zu überwinden, schlug er die Einrichtung einer „königlichen Demokratie" vor. Einen nicht weniger radikalen Beitrag zur vieldiskutierten Adelsfrage im Ancien Régime lieferte der Abbé Gabriel-François Coyer in seinem 1756 in London erschienenen Traktat La Noblesse commerçante195. Der Abbé regte an, daß der Adel seine jahrhundertealten Vorurteile gegenüber einer wirtschaftlichen Betätigung endlich überwinden sollte, um zusammen mit der Kaufmannschaft das ökonomisch angeschlagene Land aus der Talsohle herauszuführen. Gegen diese Forderungen wandte sich kurze Zeit später - in der im selben Jahr erschienenen Schrift La Noblesse militaire, ou le Patriote français - der Chevalier d'Arcq196, der in sentimentaler Verbrämung mittelalterlicher Rittertugenden den Adel vor den Verlockungen des Geldes zu retten suchte und seinen Platz vorrangig im Militärdienst sehen wollte197. Wie zahlreiche andere Autoren waren auch d'Argenson und Coyer durch die Aufklärung und ihre Problematisierung der Ständeordnung inspiriert worden. Diese ursprünglich von den philosophes initiierte Diskussion erfaßte sehr schnell m

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Boulainvilliers schrieb insgesamt zwei Adelstraktate: 1717 erschien ohne Orts- und Verlagsangabe der Mémoire pour la noblesse de France contre les ducs et pairs und 1732 in Amsterdam der Essai sur ta noblesse de France. Zur Person und zum Werk Boulainvilliers vgl. F. FURET/M. OZOUF: Deux légitimations historiques de la société française au XVIII e siècle, in: Annales. E.S. C. 34 (1979), S. 438-450. G. GERHARDI: L'idéologie du sang chez Boulainvilliers et sa reception au 18e siècle, in: Etudes sur le XVIIIe siècle 11 (1984), S. 11-20. Harold A. ELLIS: Boulainvilliers and the French monarchiy. Aristocratie politics in early eighteenth-century France, Ithaca, N. Y. 1988. Vgl. R.-L.d'ARGENSON : Politische Schriften (1737), übersetzt und kommentiert von Herbert Hömig, München 1985. Zu d'Argenson vgl. Peter GESSLER: René Louis d'Argenson (1694-1757). Seine Ideen über Selbstverwaltung, Einheitsstaat, Wohlfahrt und Freiheit in biographischem Zusammenhang, Basel 1957. H.HÖMIG: Absolutismus und Demokratie. Das Reformprogramm des Marquis d'Argenson (1737), in : H. Z. 226 (1978), S. 349-380. Neil JOHNSON : L'idéologie politique du marquis d'Argenson, d'après ses oeuvres inédites, in: Etudes sur le XVIIIe siècleW (1984),S. 21-28. Das Werk wurde im selben Jahr von Heinrich Gottlob von JUSTI unter dem Titel Der handelnde Adel, dem der kriegerische Adel entgegen gesetztes wird. Zwey Abhandlungen über die Frage: ob es der Wohlfarth des Staats gemäß sey, daß der Adel Kaufmannschaft triebe?übersetzt und erschien bei Vandenhoeck in Göttingen. Zu Inhalt und Wirkung der Schrift des Abbé Coyer vgl. Jacqueline HECHT: Un problème de population active au XVIII e siècle en France. La querelle de la noblesse commerçante, in : Population 19 (1964), S. 267-290. Für den deutschen Hintergrund vgl. neuerdings Barbara STOLLBERG-RILINGER: Handelsgeist und Adelsethos. Zur Diskussion um das Handelsverbot für den deutschen Adel vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Z. H. F. 15 (1988), S. 273-309. Die Schrift des Philippe-Auguste de Sainte-Foix, chevalier d'ARCQ, erschien 1756 ohne Orts- und Verlagsangabe in mehreren Auflagen. Vgl. P. BECHU: Noblesse d'épée et tradition militaire au XVIII e siècle, in: Histoire, économie et société 2 (1983), S. 507-548.

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breite Teile der gebildeten Gesellschaft und machte selbst vor den reformwilligen Ministern Ludwigs XVI. nicht halt. Vor allem letztere scheuten nicht davor zurück, zur Durchsetzung ihrer Reformziele, die gesamte Bevölkerung für staatliche, wirtschaftspolitische und gesellschaftliche Angelegenheiten zu interessieren, wodurch die Diskussion unausweichlich einen explizit politischen Charakter annahm. In diese Richtung zielten z.B. die von Malesherbes in seiner Eigenschaft als Präsident des Finanzgerichtshofes (cour des aides) immer wieder vorgebrachten Vorschläge zur Beseitigung der steuerlichen Ungerechtigkeiten bei der Erhebung und Eintreibung 198 , sowie der vom Finanzminister Jacques Necker in tausendfacher Auflage verbreitete berühmte Compte rendu au roi von 1781, worin erstmals am Beispiel der höchsten politischen Würdenträger der Umfang der staatlichen Geldzuweisungen an die Privilegierten öffentlich bekannt wurde 199 . Kurze Zeit später legte sein Nachfolger Calonne das genaue Ausmaß der Staatsverschuldung offen zutage. Dadurch wurden vor allem der Adel und seine exklusive Stellung in Staat und Gesellschaft zu zentralen Angriffspunkten einer kritischen Öffentlichkeit, die ihren politisch-sozialen Unmut in einer umfangreichen Flugschriftenkampagne zum Ausdruck brachte 200 . Als spätestens die eigens zur Verhinderung des Staatsbankrottes einberufene Notabeinversammlung nach erfolglosen Verhandlungen im Mai 1787 scheiterte, und der König in höchster innenpolitischer Not am 8. August 1788 nicht mehr umhin konnte, die Generalstände einzuberufen, sah sich der Adel auf gefährliche Weise in die Defensive gedrängt. Um als Stand wieder manövrierfähig zu werden, aber auch um die politische Macht wieder zurückzugewinnen, ergriffen vor allem aufgeklärte, liberale Adlige die Initiative und drängten zur Aufgabe alter Privilegien, um in Zeiten „nationaler Not" auch als Stand Verantwortung zu tragen. Kernpunkt der öffentlichen Diskussion bildete die Aufhebung der adligen Steuervorrechte. In die wissenschaftliche Literatur hat diese politische Krise der Jahre 1787/88 unter der Bezeichnung „aristokratische Reaktion" oder „révolte nobiliaire" Eingang gefunden 201 . Seit den wegweisenden Thesen von François Furet und Denis Richet aus dem Jahre 1965 wird zudem der direkte Zusammenhang zwischen der Prärevolution und den Ereignissen ab Sommer 1789 betont 202 . Folglich gilt es zu fragen: Hat diese Bewegung auch im 198

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Vgl. J.EGRET: Malesherbes, premier président de la cour des aides, 1750-1775, in: R. H. M. C. 3 (1956), S. 97-119. Über die finanzpolitischen Hintergründe dieses Etatplans sowie über die fehlerhaften Berechnungen informiert umfassend R.D. HARRIS: Necker's Compte Rendu of 1781. A Reconsideration, in: J. M. H. 42 (1970), S. 161-183. Zum „Krieg gegen den Adel" vgl. H. CARRÉ : La noblesse de France, S. 325 ff. Vgl. J. EGRET: L'opposition aristocratique, op. cit. DERS.: La Pré-Révolution française, S. 290ff. Allgemein zum Ständekonflikt der Jahre 1788/89 vgl. E.SCHMITT: Repräsentation und Revolution, S. 147ff. Ebenso A. GOODWIN: Die Französische Revolution, S. 22-34. Aus der Perspektive seit 1715 vgl. R. R. PALMER: Das Zeitalter der demokratischen Revolution, S. 489-496. Eine Relativierung dieser These erfolgte durch W. DOYLE : Was there an Aristocratie Reaction in Pre-Revolutionary France? S.lOff. F. FURET/D. RICHET: Die Französische Revolution, S. 56ff.

Adel versus Ancien Régime ?

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Elsaß ihre Spuren hinterlassen? Zu diesem Zweck ist es notwendig, zunächst auf die rechtliche Sonderrolle des Elsasses einzugehen. Zwar wurde das Elsaß in den späten 80 er Jahren ebenfalls von einer allgemeinen Aufbruchstimmung erfaßt, jedoch waren hier die Rahmenbedingungen gänzlich andere als im übrigen Frankreich. Seit 1683 hatten auf französischen Druck hin die freien Reichsstände im Elsaß keine Versammlungen mehr abgehalten 203 . Ständeversammlungen nach französischem Vorbild, d.h. wirkliche Volksvertretungen, hatte es ohnehin nie gegeben, weil nach den Rechtsgrundsätzen der absoluten Monarchie das französische Staatsrecht keine territoriale Landeshoheit und keine Reichsunmittelbarkeit kannte. Als ausgleichende Gerechtigkeit müssen daher die Elsässer die Tatsache verstanden haben, daß auch in Innerfrankreich die politische Macht der Stände längst gebrochen war204. Die Einrichtung einer elsässischen Assemblée provinciale (Provinzialversammlung) 205 im Jahre 1787 wiederum wurde im Elsaß freudigst begrüßt. In ihr arbeiteten zwei Jahre lang Vertreter des Adels und des Bürgertums eng zusammen, so daß es zu keinerlei Feindschaft zwischen den beiden privilegierten Ständen und dem Dritten Stand kommen konnte 206 . Als 1788 der Wunsch nach Provinzialständen laut wurde, brach ein jahrhundertealter Gegensatz zwischen der unterelsässischen Ritterschaft und den Reichsstädten und Fürsten auf 207 . Um sich dem alten Gegner zu beweisen, aber auch, um in der Provinz eine führende Stellung zu erlangen, trat die Ritterschaft alsbald in die neue Provinzialverwaltung ein und erklärte sich - unter dem Staunen der übrigen Reichsstände - zum freiwilligen Verzicht auf die Steuervorrechte bereit208. Da der König Anfang August 1788 den Termin für die Eröffnung der Generalstände auf den 5. Mai 1789 festgelegt hatte, verblieb den einzelnen Ständen nur wenig Zeit für ihre Vorbereitungen. Am 20. Januar 1789 ließ das Direktorium der unterelsässischen Ritterschaft den immatrikulierten Mitgliedern einen Fragebogen zukommen, worin es jeden einzelnen um eine schriftliche Antwort sowie eine persönliche Stellungnahme zur anstehenden Steuerfrage bat. In solch elementaren Angelegenheiten zeigte sich das oberste Ritterschaftsgremium des Unterelsasses empfänglich für kon203 204 205

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Vgl. F. W.MÜLLER: Die elsässischen Landstände, S. 151 ff. Vgl. F. LANGENBECK: Die Politik der elsässischen Selbstverwaltung, S. 187. Vgl. C. HOFFMANN: La Haute-Alsace à la veille de la Révolution, Bd. 1/2, S. 43ff. F. LANGENBECK: Die Politik der elsässischen Selbstverwaltung 1787-1789, in: E. L.Jb. 11 (1932), S. 179-229. A.ARNAUD: L'Assemblée provinciale. Prelude, en Alsace, de la Révolution française, in: Anciens Pays et Assemblées d'États 24 (1962), S. 211-229. Die mentale Breitenwirkung der Reform von 1787, ihre langfristigen Wirkungen sowie die Mobilisierung des politischen Führungspersonals untersucht im überregionalen Vergleich R. REICHARDT: Die revolutionäre Wirkung der Reform der Provinzialverwaltung in Frankreich 1787-1791, in: E. HINRICHS/E. SCHMITT/R. VIERHAUS (Hgg.): Vom Ancien Régime zur Revolution, Göttingen 1978, S. 66-124. Vgl. A. ARNAUD: L'assemblée provinciale, S. 217f. Im Gegensatz zu den Fürsten und Reichsstädten besaß die Ritterschaft keine Reichsstandschaft, so daß sich ein fortdauernder Rangstreit entwickelte. Vgl. F. LANGENBECK: Selbstverwaltung, S. 191. Der Syndikus der Ritterschaft, Schwendt, hatte sich bereits 1787 in drei Steuerreferaten geäußert, vgl. DERS.: Beiträge zur Steuerpolitik der elässischen Selbstverwaltung 1787-1789, in : E. L.Jb. 12 (1933), S. 205.

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krete Vorschläge. Dabei setzte es demonstrativ der offenkundigen Verweigerungshaltung des Hochadels und der Standeskollegen aus anderen Provinzen ein gemäßigt-liberales Konzept entgegen. Auf eine höchst eigentümliche, ja trügerische Weise hatte der Text des Fragebogens sprachlich und inhaltlich das Ancien Régime bereits verlassen: „Les circonstances nous ont mis dans le cas de délibérer, s'il ne seroit pas honorable au Corps & avantageux à la Chose publique d'offrir à nos concitoyens, comme une nouvelle preuve de notre attachement à l'État, de contribuer aux impositions à l'instar des autres individus. [...] Nous pensons en conséquence, qu'un hommage & un sacrifice libre de nos exemptions doit être satifaisant pour nous, & préférable à une résistance que tout nous indique devoir être inutile, & qui pourrait même paraître odieuse"209.

Um Fehlinterpretationen vorzubeugen aber auch zur näheren Erläuterung dieser Blitzumfrage, ließ der Syndikus der Ritterschaft, Étienne-François-Joseph Schwendt, vier Tage später ein zweites Schreiben folgen. Die Antworten eines Großteils der Ritterschaftsmitglieder ließen nicht lange auf sich warten. Innerhalb von vierzehn Tagen schrieben insgesamt 24 Adlige zurück210. Die unterschiedlichen Stellungnahmen skizzieren ein interessantes und aufschlußreiches Fresko der elsässischen Adelsmentalität am Vorabend der Revolution. Gleichfalls geht aus ihnen hervor, welche inhaltliche Position der Adel in dieser delikaten Angelegenheit gegenüber dem Ancien Régime einnahm. Die meisten Antwortschreiben sind in einem von Vorsicht bis Mißtrauen gekennzeichneten Tenor abgefaßt. Die ungewohnte Form der Meinungsumfrage und die Brisanz des angesprochenen Themas veranlaßten viele zu persönlicher Zurückhaltung. Besonders deutlich brachte der Baron François-Othon de Wurmser de Vendenheim (1741-1831) diese Haltung zum Ausdruck. Er gab vor, nur zwei Denkschriften des Hochadels zu kennen, die allerdings keine breite Unterstützung gefunden hätten. Im übrigen sei es Aufgabe der Generalstände, den allgemeinen Wunsch zu sondieren, weshalb er es auch ablehne, sich voreilig und zudem schriftlich zu diesem Thema zu äußern : „La matière est d'ailleurs trop délicate pour être mise en délibération individuelle il pourrait même paraître insidieux à plusieurs, la demande que vous leurs faites de donner leur voeu par Écrit"211.

Ähnlich vorsichtig und abwartend äußerten sich auch die geistlichen Mitglieder der Ritterschaft. Der Kardinal de Rohan, der Chordirektor der ehemaligen Benediktinerabtei Murbach, Joseph-Vincent de Rathsamhausen und die Gebrüm

2.0

2.1

AM Haguenau, „Assemblée provinciale". Dieses lange Zeit verschollene Dokument wurde von Roland Marx wiederentdeckt. Allerdings ist ihm dabei ein Fehler in der Datierung (10.1.1789) unterlaufen, vgl. R. MARX: Recherches, S. 28. Eine inhaltliche Zusammenfassung des „circulaire" gibt C. HOFFMANN: La Haute-Alsace, Bd. 3, S. 270. Es existieren zwei Sammlungen von Briefen (vgl. ADBR, E1344; E1402). Die Barone von Dettlingen, ancien colonel d'infanterie (26.1./30.1.89), und Eckbrecht de Durckheim (26.1./25.3.89) schrieben jeweils zwei Briefe an das Direktorium (vgl. R. MARX: Recherches, S. 28-31). Ebd. E1344 (Brief aus Straßburg vom 25.1.1789).

Adel versus Ancien Regime ?

151

der von Andlau-Birseck, die beide in Diensten des Basler Domkapitels standen 212 , schlugen eine gemeinsame Versammlung von Adel und Geistlichkeit vor. Letztere berichteten von einer eigens zu diesem Zweck am 29. Januar 1789 in Huningue erfolgten Zusammenkunft des oberelsässischen Adels. Gleichwohl bedienten sie sich in völliger Verkennung der aktuellen Sachlage der klassischen adligen Abwehrphraseologie, indem sie betonten, die Familie Andlau könne nicht Adressat derartiger Forderungen sein, da sie ausschließlich über steuerfreie Lehen verfüge. In diesem traditionell konservativen Denken standen die Andlau allerdings allein, denn die Mehrheit der Ritterschaftsmitglieder plädierte für ein schnelles Treffen aller Privilegierten, um die gemeinsame Strategie für die anstehende Versammlung der Generalstände zu erörtern 213 . Der gemäßigte Baron Jean-Jacques-Dominique de Wangen (1720-1795)214 brachte diesen Sachverhalt am klarsten zum Ausdruck, und in seinen Worten klang bereits vieles von dem an, was in der berühmten Nacht des 4. August zum Durchbruch kommen sollte: „Je pense que cette matière est trop importante, pour quelle puisse être discutée légalement autrement que dans une assemblée générale de tout le corps, et s'il n'en étoit pas ainsi, je ne doute par qu'il n'y eût des protestations, je présumé, que le corps assemblé ne se refusera pas à faire librement tous les sacrifices conforme au besoin réel de l'Etat [...]".

Der Baron François-Joseph Haffner von Wasslenheim (1719-1792) sowie die beiden Brüder Charles-Siegfried (1735-1797)215 und Auguste-Samson von Oberkirch (1739-1811) signalisierten ein finanzielles Entgegenkommen in Form des kirchlichen don gratuit. Das dies allerdings aus Gründen des Standeserhalts geschehen sollte, gab August-Samson von Oberkirch ohne Umschweife zu erkennen: „J'observerai d'abord, [...] qu'une Corps de Noblesse a des raisons bien plus pressantes encore d'être très soigneux et très attentif à maintenir des franchises et exemptions qui caractérisent particulièrement son Etat et le distinguent de celuy du bas peuple, puisque la Noblesse personnelle sans prérogatives elle n'est regardée communément que comme un chimère vaine sans considération [.. ,]"216. 212

213

2,4

215 216

Beide nahmen sowohl kirchliche als auch weltliche Stellungen ein. Philipp Franz Hartmann von Andlau (1720-1791) fungierte als Domherr zu Basel und Franz Anton Eusebius Karl von Andlau (1727-1792) war fürstbischöflicher Rat und Oberamtmann zu Birseck. In diesem Sinne äußerten sich ein Vertreter der katholischen Linie von Oberkirch aus Molsheim, Antoine-Louis-Ferdinand de Müllenheim (1742-1823), Obeljägermeister des Fürstbischofs von Straßburg in Saverne und seit 1787 Mitglied der Provinzialsammlung, Jean-François-Zénobie und AntoineFrançois-René d'Ichtratzheim, Philippe-Jacques Joham de Mundolsheim (1742-1792) sowie CharlesGuillaume-Maximilien de Güntzer. Die Familie von Wangen spielte in der Vorrevolution und in späterer Zeit in Straßburg und im Elsaß eine bedeutende Rolle. Louis-Conrad-Béat de Wangen (1717-1790), ein Vetter des obengenannten, war Direktor der unterelsässischen Ritterschaft und Mitglied der Provinzialversammlung. Sein Sohn Louis-Gonzague de Wangen (1760-1836) wurde 1787 zum Mitglied der Distriktversammlung von Haguenau gewählt und stieg unter Napoleon zum Bürgermeister von Straßburg auf (1806-1810). (Vgl. F.-J. HIMLY: Chronologie, S. 82; E. LEHR: L'Alsace noble, Bd. 2, S. 192 f.). Er war der Ehemann der berühmten Madame d'Oberkirch. Ebd. E 1344 (Brief aus Straßburg vom 29.1.1789).

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Familienklientel, Akkulturation und Herrschaftsstrategien

Andere wiederum wie der Baron Eckbrecht de Dürckheim gingen der eigentlichen Frage geschickt aus dem Weg, und versuchten die Probleme abzuwälzen. Natürlich war auch Dürckheim für eine gleiche Besteuerung, und er schlug vor, nur der Adel solle befugt sein, sie zu erheben, allerdings nur vorübergehend. Auf seine eigene Situation anspielend meinte er, seine Familie hätte ihre Lehen von auswärtigen Fürsten in Empfang genommen, die Frage einer Steueregalisierung würde ihn infolgedessen als Vasallen nicht beschäftigen sondern die Oberlehnsherrn217. Eine gehörige Portion Zynismus klang aus den Worten des Barons Chrétien-Louis-Samson de Rathsamhausen-Ehenweyer (1727-1790) aus der Nonnenweyer Nebenlinie. Auch er äußerte sich im „neuen" nationalen Sinne, in Zukunft müßten alle „Citoyens" den gleichen Steuersatz leisten. Jedoch nahm er seine „revolutionäre" Geste im nächstfolgenden Satz gleich wieder zurück, indem er betonte, ein jeder sollte lediglich eine „portion gardée de leurs facultés, de leurs ressources" beisteuern. Als Begründung führte er an, der Adel erbrächte bereits wegen seiner Geburt genügend „Opfer" im Militärdienst, was ihn unmöglich in die Lage versetzen könnte, über die gleichen Geldmittel zu verfügen wie der Dritte Stand218. Den wortgewaltigsten und mit Sicherheit reaktionärsten Ton schlug der Baron François-Louis Waldner de Freundstein (1710-1779) aus Sierentz an. Seine Äußerungen kennzeichnen ihn als einen Mann, der zwar Montesquieus De l'esprit des lois gelesen hatte, der aber trotz unverkennbarer Veränderungen im politisch-sozialen Bereich stoisch am überlieferten Adelsprivileg festhielt und Neuerungen prinzipiell ablehnte. Noch 1773 hatte er in einer Denkschrift auf die gemeinsame grundherrschaftliche Funktion von Adel und Stadtbürgertum hingewiesen, deren Steuerbeitrag sich nur proportional zu dem ihrer Vasallen ermitteln lasse. Da dieser Vorschlag keine größere Akzeptanz gefunden hatte und nicht zuletzt von seinen Adelskollegen heftig kritisiert worden war, verzichtete er auf die ursprünglich geplante Publikation. Dessenungeachtet vertrat er 1789 die gleiche Position. Überzeugt vor der historischen Legitimität und der Bedeutung des Adels für Staat und Gesellschaft definierte er, aus dezidiert ständischer Sicht, seine Rolle im monarchischen Staat als Mittlerstellung zwischen König und Volk: „Je considère le Corps de la noblesse dans un Gouvernement Monarchique c o m m e le Corps intermédiaire entre le Prince qui doit commander et le peuple qui doit agir" 2 1 9 .

Bezüglich einer eventuellen Steuerbeteiligung des Adels verwob er argumentativ elsässische Autonomiegedanken mit spätfeudalen Macht-und Hierarchieansprüchen:

217 218 2,9

Ebd. E1344(Briefvom 25.3.89). Ebd.(Briefvom31.1.1789aus Bouxwiller). Ebd. (Brief vom 28.1.1789).

Adel versus Ancien Régime?

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„La conservation de leurs vassaux est le point de l'équilibre de la balance politique: Elle assure la distinction des qualités dans le Gouvernement Monarchique, mais cette conservation éxige des soins paternels, une surveillance continuelle sur le bien [...]. Cette obligation est une charge inhérente, qu'il faut mettre dans la classe de l'impôt public, que le noble doit étendre à mesure qu'il peut se rendre util. Dans cette considération, [...] je souscrirai à tous les engagemens rélatifs à mes possessions en alsace, et contribuerai à tous les secours dont le Gouvernement aura besoin, si cette contribution est regardée comme un contingent proportionel, des dépenses de l'Empire françois et de la côte-part de la province d'alsace, si les rôles de cès dépenses générales tout commuriiquées au Corps Provincial, qui seul doit s'imposer, et faire l'assiètte des impots qui porteront sur les vassaux."

Wie sehr seine Gesinnung und Weltanschauung dem Stil der aristokratischen Reaktion verpflichtet war, machte er in einem Postskriptum deutlich, worin er eine persönliche Steuerleistung mit einem Hinweis auf die Friedensverträge von 1648 und ein separates Abkommen zwischen dem französischen König und den Schweizer Kantonen verweigerte: „je ne ferai qu'y ajouter en m'expliquant d'avantage, que s'il s'agit d'impôts personels que je ne peut consentir à aucun [...] sans manquer aux traités qui ont attachés l'alsace à la couronne de France, et à ceux qui ont mis les Roi en aliance avec la République de l'Helvetie".

In vielerlei Hinsicht war der Baron Waldner von Freundstein mit seiner Meinung in elsässischen Adelskreisen eine Ausnahme und nicht die Regel. Das Gros seiner Kollegen legte sich zwar nicht definitiv fest, erkannte jedoch die politische Bedeutung der Steuerfrage in Bezug auf ihr eigenes, zukünftiges Schicksal. Die progressiven Stimmen kamen vor allem aus Kreisen des beamteten Alt- und Neuadels. Évrard-Henri Truchsess de Rheinfelden, Präsident des Direktoriums der unterelsässischen Ritterschaft und Vizedomus des Bischofs von Straßburg in Saverne, François-Alexandre Espiard de Colonge, französischer Offizier bei der königlichen Manufaktur in Klingenthal, und sein Neffe Henri-André de Gail schlössen sich vorbehaltlos der liberalen Linie des Ritterschaftsdirektoriums an und plädierten für „nationale Opfer". De Gail, Hauptmann im Régiment d'Alsace, dessen Familie sich seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in hohen kirchlichen, königlichen und städtischen Ämtern in Straßburg hervorgetan hatte220, machte selbst aus seiner Frankophilie keinen Hehl: „Je me plais à croire que la noblesse d'Alsace qui de tous tems a montré le plus grand dévouement pour sa Majesté, ne se refusera pas dans la circonstance présente, à prévenir ses vues bienfaisantes et à lui donner de nouvelles preuves de son attachement"221.

Sein Schwager François-Charles de Weitersheim (1742-1827), ehemaliger Oberst im Regiment Royal-Bavière, fügte sich gar aus tieferer Einsicht oder aus Besitzkalkül den aktuellen Anforderungen: 220 221

Vgl. J.BRAUN u.a.: La famille de Gail, S. lOf. Ebd. E1402 (Brief vom 27.1.1789 aus Straßburg).

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Familienklientel, Akkulturation und Herrschaftsstrategien

„J'ai mûrement refléchi sur cet objet, et ne puis dissimulier, qu'il n'est point en m o n pouvoir de me désister de mes privilèges, que j'ai hérité de mes ancêtres" 222 .

Als einer der wenigen schlug er konkret vor, der Adel sollte in den nächsten zehn Jahren einen festen Steuersatz zahlen, damit die Abzahlung der Staatsschulden vorankäme. Seine Überlegung begründete er ökonomisch, denn nach seiner eigenen Erfahrung 223 verkauften sich die Lehen im 18. Jahrhundert doppelt so gut wie die freien Güter. An diesem Punkt wird seine wahre Absicht deutlich: die vorgeschlagene Beteiligung des Adels am nationalen Steueraufkommen war für ihn nur ein Vehikel zur Konservierung des Familienbesitzes in den Händen seiner Nachkommenschaft. In seiner Vorstellung bildeten die mit dem Adel verbundenen Titel und Besitzungen ein heiliges Depot, das geschlossen an die Erbberechtigten weiterzugeben und somit den Lebenden nur zum Nießbrauch anvertraut sei224. Deshalb plädierte er für die grundsätzliche Beibehaltung der privilegierten Lehen und wollte auf diese Weise einem möglichen Preissturz und damit einem finanziellen Verfall zuvorkommen. In diesem Anliegen traf er sich mit seinem Verwandten, dem Baron von Dettlingen, der eine Geldzahlung in einer Summe oder in Raten vorschlug. Wie Weitersheim so versprach sich auch Dettlingen von dieser Aktion in erster Linie persönliche Standesvorteile: „Par ce moiens, la noblesse ne se trouverait pas confondue avec le peuple, ce qui serait le comble du malheur et de l'humiliation, et nos privilèges resteraient en vigueur" 225 .

Ohne Zweifel bestimmten überwiegend materielle Aspekte das Denken und Empfinden der meisten unterelsässischen Ritter am Vorabend der Revolution. In politisch unsicheren Zeiten war kein Platz für ethisch-philosophische Grundsatzüberlegungen, falls sie überhaupt für derartige Gedanken das nötige Vorverständnis, d.h. einen entsprechend intellektuellen Zugang gehabt hätten. Auf recht augenfällige Weise bildete die argumentative Janusköpfigkeit das eigentliche Grundcharakteristikum in der Steuerdiskussion: auf der einen Seite war ein Großteil des Adels zur Aufgabe alter Privilegien bereit, um auf diese Weise der gesamten Öffentlichkeit unter Beweis zu stellen, daß auch er zur Nation gehöre und sich mit ihr identifiziere. Andererseits fanden diese politischen Absichtserklärungen vor einem konkreten, ökonomischen Hintergrund statt: gegen Aufgabe des Steuerprivilegs sollten die wirtschaftlich ungemein wichtigen droits seigneuriaux gerettet werden 226 . Wie sehr dieser finanzielle Aspekt die Haltung der Ritterschaft bestimmte, wurde im August 1789 deutlich, als sich mit dem Verlust der Feudalrechte auch die Stimmung im exklusiven Adelskorps grundlegend wandelte. Nach dem Scheitern ihrer teils konservativen, teils liberalen 222 223 224 225 226

Ebd. E1344 (Brief vom 25.1.1789 aus Straßburg). Er hatte erst kürzlich den neunten Teil seiner Seigneurie für 30000 livres käuflich erworben. Vgl. R. MARX: Recherches, S. 28. Ebd. E1344 (Brief vom 26.1.1789 aus Straßburg). Vgl. R. MARX: Recherches, S. 30.

Adel versus Ancien Régime?

155

politischen Taktik setzte die Ritterschaft nun erneut auf die „deutsche Karte" und reihte sich in die reichsständische Abwehrfront ein227: „Ersagte Ritterschaft hat die Aufmerksamkeit gebraucht, ihren Lehens-Nexum ohngeachtet ihrer Unterwerfung an die Cron Frankreich, auch seither immergegen Hochgedachte ihre Lehenherren, beyzubehalten, und beruft sich deswegen ganz dreist auf das Zeugniß der verschiedenen Lehen-Höfen"228.

Sicherlich bleibt zu fragen, wie repräsentativ 24 Stellungnahmen aus dem Kreis der finanziell gutgestellten Ritterschaft sind. In welchem Umfang drückt ihre Haltung auch die Gesamtmentalität des Adels aus? Hätten sich andere Adlige, die über ein bescheideneres Familienbudget verfügten, nicht gänzlich anders bezüglich zukünftiger Steuerleistungen ausgesprochen? Einen allgemeingültigen Gesamteindruck gewinnt man erst bei der Durchsicht der Protokolle der Wahlversammlungen zu den États Généraux vom 26. März 1789 sowie der Beschwerdehefte. Immerhin stimmten auf der Adelsversammlung des Distriktes Colmar/ Schlettstadt 153 Personen und auf der von Haguenau/Weissenburg gar 185 über den genauen Wortlaut des Beschwerdeheftes ab229. Die unter dem Vorsitz des Bailli d'Épée von Andlau geführte Versammlung von Haguenau und Weissenburg entschied sich ganz im Sinne der von der unterelsässischen Ritterschaft geführten Diskussion für die Aufgabe des Steuerprivilegs und verkündete: „[...] qu'il déclaré se Soumettre à l'imposition, telle que les Etats Généraux lâ détermineront"230.

Dagegen knüpften die Adligen im Beschwerdeheft des Distrikts Beifort und Huningue ihre Entscheidung an gewisse Auflagen und Nachfragen: beispielsweise verlangten sie in Artikel 13 nähere Auskünfte über das genaue Ausmaß des Defizits und forderten sowohl einen detaillierten Plan zur momentanen Finanzsituation als auch eine jährliche Veröffentlichung der staatlichen Ein- und Ausgaben. Den interessantesten Vorschlag unterbreiteten die Adelsvertreter des Distrikts Colmar und Schlettstadt. Im Artikel 6 ihres 25 Punkte umfassenden Beschwerdeheftes verlangten sie eine auf monarchischer Grundlage fußende neue, ständeübergreifende Eigentumsordnung, bei gleichzeitiger Beibehaltung ihrer Standeswürde und Adelsvorrechte: „Iis demanderont que les prérogatives de rang, d'honneur et de privilège personnel ne puissent être attaqués, attendu qu'ils sont inséparables de la constitution monarchique, et qu'il soit statué par une loi confirmative des anciennes, que les droits de fiefs et de seigneuries que intéressent également les possesseurs de la commune et ceux des ordres du clergé et de la noblesse, sont des priorités placées sous la sauvegarde des loix, de même que toutes les autres"231. 227 228 229

230 231

Vgl. F. LANGENBECK: Selbstverwaltung, S. 192 f. Pro Memoria derfrey ohnmittelbaren Ritterschaft im untern Elsaß, 1789, S. 4. Procès- Verbal de la séance de l'Ordre de la Noblesse des deux Districts réunis de Colmar » a ; C O J I ^ o —, yj

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