Eine Szene im Wandel? Rap-Männlichkeiten zwischen Tradition und Transformation [1. ed.] 9783593513881, 9783593447148, 9783593449036


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German Pages 513 Year 2021

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Eine Szene im Wandel? Rap-Männlichkeiten zwischen Tradition und Transformation [1. ed.]
 9783593513881, 9783593447148, 9783593449036

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Eine Szene im Wandel?

Hildesheimer Geschlechterforschung Band 3

Heidi Süß, Dr. phil., arbeitet als freiberufliche Wissenschaftlerin und Referentin und lebt in Berlin.

Heidi Süß

Eine Szene im Wandel? Rap-Männlichkeiten zwischen Tradition und Transformation

Campus Verlag Frankfurt/New York

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT. Eine Publikation des Zentrums für Geschlechterforschung (ZfG), Hildesheim Publiziert mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Universität Hildesheim

Vorstand: Meike Sophia Baader Ulrike Bohle-Jurok Stefani Brusberg-Kiermeier Annemarie Matzke Toni Tholen

Hil 2 ISBN 978-3-593-51388-1 Print ISBN 978-3-593-44714-8 E-Book (PDF) ISBN 978-3-593-44903-6 E-Book (EPUB) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehmen wir keine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich. Copyright © 2021. Alle Rechte bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main. Umschlaggestaltung: Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main Satz: publish4you, Roßleben-Wiehe Gesetzt aus der Garamond Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Printed in Germany www.campus.de

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.

Real talk – Reflexionen über Standpunkte und Perspektiven . . 19 2.1 Von »HipHop-Depressionen« und Lesarten . . . . . . . . . . 20 2.2 Theory as liberatory practice – HipHop-Wunden lecken . 25 2.3 »Mir egal welche Theorie du hast« – Die ›eigene‹ Szene beforschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.4 HipHop und die Wissenschaft – »Eine Welt, zwei Parallelen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.5 »Lass Fotzen reden« – Wenn Frauen auf (Rap-)Männer starren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

3.

Beobachten – Analysieren – Verstehen-Wollen – Zur Method(ologi)e. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3.1 Verstehen als wissenschaftliche Methode?. . . . . . . . . . . . . 43 3.2 Hermeneutik und die Kunst des Verstehen-Wollens. . . . . 44 3.2.1 Lebenswelt und sozialwissenschaftliche Hermeneutik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.2.2 Beispiele für literarisches Interpretieren. . . . . . . . . 52 3.2.3 Rap(texte) verstehen wollen und Interpretieren als Kunst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.3 Ethnografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.3.1 Ethnografische Praxis im digitalen Raum und andere Komplexitäten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.3.2 (Teilnehmend) Beobachten und lurken. . . . . . . . . 64

6 Inhalt 3.4 Diskurslinguistik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.4.1 Genderlinguistische Diskursanalyse. . . . . . . . . . . . 70 3.4.2 Kritische Diskursanalyse und Strukturmerkmale von Diskursen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.4.3 Diskursanalyse als Mehrebenenanalyse . . . . . . . . . 76 4.

Rap als Szene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4.1 Sub- und Jugendkulturen – Geschichte und Perspektiven. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4.2 (Juvenile) Szenen als posttraditionale Gemeinschaften. . . 88 4.3 Die Rap-Szene als sozialer Ort männlicher Vergesellschaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

5.

Rap und Geschlecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5.1 Männerszene Rap. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5.2 HipHop Studies als Gender Studies. . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5.3 Perspektiven auf Geschlecht im deutschsprachigen Rap. . . . 103 5.4 Perspektiven auf Männlichkeit im deutschsprachigen Rap . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

6.

Männlichkeit: Theorien und aktuelle Diskurse. . . . . . . . . . . . . 117 6.1 Bourdieus männliche Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 6.2 Connells hegemoniale Männlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 132 6.3 Hegemoniale Männlichkeit zwischen Krise und Strukturwandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 6.3.1 Die Krise der Männlichkeit – Positionen im Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 6.3.2 Die ›ambivaloxe Dialektik‹ der Modernisierung von Männlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

7.

Analyseperspektiven auf Rap-Männlichkeiten . . . . . . . . . . . . . 175 7.1 Männlichkeiten erforschen – Fallstricke. . . . . . . . . . . . . . 175 7.2 Rap-Männlichkeit als Diskurs und Performance. . . . . . . . 177 7.3 Intersektionale Perspektiven auf Rap-Männlichkeit . . . . . 184

Inhalt

7

7.4 Überlegungen zur Feldspezifik von Rap-Männlichkeit. . . 188 7.5 Doing (German) rap masculinity. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 8.

Verstehensdimensionen deutschsprachiger Rap-Männlichkeit . 203 8.1 Globale Kontexte: Schwarze (Rap-)Männlichkeiten . . . . 203 8.1.1 Die Lebenswelten der Schwarzen hip-hop generation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 8.1.2 Coolness als Überlebensstrategie. . . . . . . . . . . . . . 207 8.1.3 Complex coolness – Schwarze Rap-Männlichkeiten zwischen Tradition und Transformation . . . 209 8.1.4 Niggas, hustlers, playas, pimps – Dimensionen Schwarzer Rap-Männlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . 212 8.2 Lokale Kontexte: Deutschland als Migrationsgesellschaft. . . 214 8.2.1 Deutscher Rap als Migrationsgeschichte . . . . . . . . 215 8.2.2 Deutschsprachiger Gangsta-Rap (als Migrationsgeschichte). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 8.2.3 Rap-Männlichkeit zwischen kulturell-religiöser Prägung und Bewältigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 8.3 Authentizität, Herkunft und die ›Marginalitätsdividende‹ des Rap . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 8.3.1 Black rap als real rap . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 8.3.2 Eminem und alternative Authentifizierung via class struggle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 8.3.3 Der cult of the thug und die Bedeutung der hood. . . . 248 8.3.4 Performing marginality oder die ›Marginalitätsdividende‹ des Rap . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 8.3.5 Die Marginalitätsdividende in der Diskussion um eine Hegemoniale Weiblichkeit. . . . . . . . . . . . 257 8.4 Ficken und gefickt werden – Rap-Männlichkeit und Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 8.4.1 Woher kommt Rap? Historische Vorläufer . . . . . . 264 8.4.2 Wer spricht? Die Debatte um Realität und Fiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

8 Inhalt 8.4.3 Doing gangsta als doing hegemony – Zur Textsorte Gangsta-Rap. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 8.4.4 Dissen – Die libido dominandi des (Gangsta-)Rap . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 8.4.5 Gangsta-Sprech als hegemonialer Sprachcode . . . . 286 8.5 Braun, grün, gelb, lila – Verstehensdimension Neoliberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 8.5.1 Business Deutschrap. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 8.5.2 Rap-Männlichkeit und Authentizität in Zeiten allgemeiner Kommerzialisierung. . . . . . . . . . . . . . 298 8.5.3 Der Gangsta-Rapper als rap business masculinity?  . . . 302 8.5.4 Alternative Rap-Männlichkeiten. . . . . . . . . . . . . . 312 9.

Zeiten gendern dich: Die Rap-Szene im Wandel? . . . . . . . . . . 321 9.1 Szene – Wandel – Geschlecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 9.2 Globale Kontexte: Der ›Gender Shift‹ im US-amerikanischen Rap. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 9.3 Die deutschsprachige Rap-Szene im Wandel? Ethnografische Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 9.3.1 Let’s talk about … gender – Der (neue) Geschlechterdiskurs im Rap . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 9.3.2 Der Aufstieg von Frauen in die ›Szene-Elite‹ . . . . . 339 9.3.3 Zur Diskursivierung von Männlichkeit im deutschsprachigen Rap . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 9.3.4 Von Hipster- und Cloud-Rappern – Zur Pluralisierung von Rap-Männlichkeiten. . . . . 356 9.3.5 Singen, tanzen, kochen: Die Diversifizierung der Gangsta-Männlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 9.3.6 Irritierte Maskulinisten und emanzipationsfeindliche ›Ausländer‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 9.3.7 Melodiöse Misogyne … muss man sich leisten können. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 9.3.8 Sexuelle Belästigung in der Rap-Szene. . . . . . . . . . 389

Inhalt

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9.3.9 Gangs, Teams, Bros – Die Renaissance homosozialer Männergemeinschaften . . . . . . . . . . 394 9.3.10 Boxer, Krieger und die Bedeutung des Rap-Männer-Körpers in Zeiten allgemeiner Verunsicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 10. Wie ein Mann? – Rap-Männlichkeiten zwischen Tradition und Transformation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 10.1 »Ich bin nämlich der König in diesem Land« – Hegemonie und Unterordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 10.2 »Wir müssen die Teller und manchmal auch Gläser füll’n« – Traditionelle Rap-Männerwelten . . . . . . . . . . . . 423 10.3 »Im Endeffekt ging ich durch Krisen wie ein Mann« – Brüche und Ambivalenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 10.4 Von Schlampen, Coolness und Diamanten – Performing rap masculinity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 11. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509

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Vorwort

Es ist wahrlich kein leichtes Unterfangen ein popkulturelles Phänomen und eine derart umtriebige Szene, wie die deutschsprachige Rap-Szene zu beforschen. Vor allem dann nicht, wenn das Nachspüren von Trends, Umbrüchen und Transformationen den forschungsleitenden Impetus bildet. Tagtäglich werden neue Tracks releast, neue Musikvideos hochgeladen, neue Posts und Rezensionen verfasst. Jeden Tag tauchen neue Artists mit neuen Inhalten, Stilen und Ästhetiken auf. Die einen bleiben, andere verschwinden wieder. Beginnt man des morgens seine Forschung, so kann man sich nie sicher sein, ob die neuen Sterne am Rap-Himmel – denen man tags zuvor noch einige Seiten Analyse widmete – nicht bereits wieder verglüht und in der digitalen Bedeutungslosigkeit verschollen sind. Womöglich also doch kein anschauliches Exempel für die zuvor aufgestellte Hypothese. Alles klar. STRG+A, Entf. Diese Arbeit entstand schwerpunktmäßig zwischen Mitte 2015 und Ende 2018 und darf mit Recht als Momentaufnahme bezeichnet werden. Kurz nach Einreichung der Dissertation fiel mir Kate Mannes Down Girl. Die Logik der Misogynie (2019) in die Hände. In einem Abschnitt namens Wie man mit Mord durchkommt heißt es dort: »Die von mir angeführten Beispiele entstammen der Gegenwart, da ich in diesem und im folgenden Kapitel vorgehe wie ein philosophischer Laubenvogel, der glitzernde Fundstücke für seinen Nestbau sammelt. Im Folgenden beziehe ich meine Beispiele aus Fernsehen, Politik, Nachrichten, Romanen, Sozialwissenschaften und Ethnographien, die etwa um die gleiche Zeit im gleichen Verbreitungsgebiet erschienen sind und daher Teil eines Kulturmoments sind, den ich miterlebt habe. Aber die in diesem Kapitel beschriebene Dynamik ist ebenso alt wie das Patriarchat …« (Manne 2019: 288f.)

Mit diesem tüchtigen Laubvogel, der sich wacker durch das transdisziplinär verworrene Dickicht zeitgenössischer, männlicher Herrschaft kämpft, kann ich mich sehr gut identifizieren!

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Eine Szene im Wandel?

Es ist der Komplexität ethnografischer Forschung, der Schnelllebigkeit des Gegenstandes und nicht zuletzt der m. E. wenig zeitgemäßen Funktionsweise wissenschaftlichen Publizierens geschuldet, dass viele Ereignisse keinen Eingang mehr in diese Monografie finden konnten. So etwa Reyhan Şahins Sachbuch Yalla Feminismus! (2019), in dem die Sprach- und Geschlechterwissenschaftlerin nebst HipHop-Feminismus auf viele Vorfälle zu sprechen kommt, die auch in dieser Arbeit verhandelt werden. Auch die umfangreiche Chronologie Könnt ihr uns hören? (2019) der Rap-Journalisten Jan Wehn und Davide Bortot, die sich unter anderem der steigenden Anzahl weiblicher Rapperinnen widmet, blieb als Literaturquelle außen vor. Schließlich haben sich zwischen Abgabe und Publikation dieser Dissertation  – einem Zeitraum, der immerhin über zwei Jahre umfasst  – zahlreiche weitere interessante Dinge in der schillernden »Deutschrap-Blase« zugetragen, die in einer geschlechter- und männlichkeitstheoretischen Abhandlung einen berechtigten Platz hätten einnehmen können: Im April 2019 wurde Rapper und Multimillionär Raf Camora zum Beispiel auf das Cover des deutschen Forbes Magazins gehoben (Stichwort business masculinity). Kurze Zeit später geriet Rap-Kumpel Gzuz (187 Strassenbande) wegen sexueller Belästigung und häuslicher Gewalt in die Schlagzeilen und die Frauenzeitschrift EMMA kürte Kollegah zum »Sexist Man Alive« 2019. Auch auf der »anderen« Seite des Geschlechterspektrums ist in der Zwischenzeit viel passiert. Influencerin Loredana, die Mitte 2018 recht plötzlich mit dem Überraschungs-Hit ›Sonnenbrille‹ auf dem Rap-Radar erschien, erhält Ende 2019 einen MTV Europe Music Award als »Best Swiss Act«. »Best German Act« wird Juju  – ein Teil der ehemaligen Rap-Formation SXTN. Währenddessen taucht mit Shirin David eine neue ehemalige Influencerin im Rap-Business auf und bricht prompt sämtliche Rekorde: Als erste deutsche Rapperin überhaupt schafft sie es mit ihrem Debütalbum auf Platz 1 der Charts und gewinnt Ende 2019 den Bambi in der Kategorie »Shootingstar«. Unterdessen gibt Deutschlands Aushängeschild für queeren Rap Sookee ihr Karriereende bekannt und Spotify kürt deutschen Rap zum prominentesten Musikgenre 2019. Und während Shirin David in diesem Moment bereits von Influencerin und Newcomer-Rapperin Katja Krasavice abgelöst wird, geschieht selbiges an der Medienfront: Tiktok ist der neue »heiße Scheiß« und könnte – ähnlich wie vormals Spotify – einen nachhaltigen Einfluss auf die Rap-Musikszene hinterlassen. Oder auch nicht.

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1. Einleitung

Rapmusik ist das Pop-Phänomen der Stunde und steht Ende 2020 im absoluten Zenit ihres Erfolgs. Online-Plattformen wie Youtube verzeichnen Klicks im dreistelligen Millionenbereich. Mit mehreren Milliarden (!) Streams zählen die rappenden Popstars zu den weltweit erfolgreichsten Künstler_innen bei Streaming-Diensten wie Spotify oder Apple Music. Rapper_innen sind Multimillionär_innen und Werbeträger_innen angesagter Luxusmarken. Sie sitzen in den Jurys beliebter Casting-Shows, fungieren als Spruchgeber_innen für politische Wahlplakate und brillieren als Schauspieler_innen in international ausgezeichneten Serien, während ihre Autobiografien oder Ratgeber schonmal auf Platz 1 der Bestseller-Listen landen. Dabei ist die Rede hier nicht von US-amerikanischen Superstars wie Jay-Z, Eminem oder Drake. Den US-Mainstream hat Rapmusik schließlich bereits seit gut zwei Jahrzehnten fest im Griff. Was hier skizziert wird, ist die Bedeutung von Rap auf dem deutschsprachigen Musikmarkt, der Einfluss von Rapper_innen innerhalb der deutschen Gesellschaft. Denn was in den späten 1980er Jahren noch verstreut im sog. Untergrund vor sich hin brodelte, Die Fantastischen Vier Anfang der 1990er erstmals in den Mainstream beförderten; was Gruppen um Fettes Brot, Freundeskreis oder Die Absoluten Beginner ab 1995 weitererzählten und was schließlich zur Jahrtausendwende in den bis heute erfolgreichen, deutschsprachigen Gangsta-Rap mündete, ist gegenwärtig zum wohl angesagtesten Musikgenre Deutschlands avanciert. Deutschsprachige Rapmusik1 steuert zielsicher ihrer fünften Dekade entgegen und ist dabei so omnipräsent, so vielfältig und 1 Die Formulierung ›deutschsprachige Rapmusik/deutschsprachiger Rap/deutschsprachige Rap-Szene‹, wie sie in dieser Arbeit verwendet wird, setzt das Deutsche als Matrixsprache (matrix language) voraus. In Anlehnung an Myers-Scotton (1993a, 1993b) ist damit jene Sprache gemeint, die in der Sprechsituation die herrschende Stellung einnimmt und entsprechend mehr Morpheme aufweist als etwa eine eingebettete Sprache (embedded language) (die demnach als untergeordnete Sprache gelten kann).

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Eine Szene im Wandel?

gleichzeitig so kommerziell erfolgreich wie nie zuvor. Während ›alte Hasen‹ wie Die Fantastischen Vier im Jahr 2014 ihr 25-jähriges Bandbestehen feiern und Gangsta-Rapper wie Bushido aktuell ihr immerhin 13tes Solo-Album veröffentlichen, sprießen tagtäglich neue, rappende Newcomer_innen aus dem digitalen Boden und brechen dabei einen Rekord nach dem anderen. Bonez MC, Gzuz, Olexesh, Ufo361, Bausa oder Capital Bra. Rapper, die vor 2016 wohl nur eingefleischten Rap-Fans ein Begriff waren, zählen heute zu den Shooting-Stars der deutschsprachigen Popmusik, spielen ausverkaufte Konzert-Touren, werden millionenfach geklickt und – wie im Fall von Raf Camora – milliardenfach gestreamt.2 »Rap ist Pop« konstatiert Dietrich (2016: 9) im Jahr 2016 in seiner Bestandsaufnahme des Rap im 21. Jahrhundert. Nichts, was man »aus dem Untergrund ›herausethnographieren‹« müsste (ebd.). Die Omnipräsenz der Musikrichtung ändert jedoch offensichtlich wenig an der gesamtdeutschen und insgesamt recht ambivalenten Rezeptionshaltung gegenüber Rapmusik und ihren Repräsentant_innen. Denn einerseits avancieren einzelne GenreVertreter_innen wie Haftbefehl oder Rapperin Haiyti immer wieder mal zu den Lieblingen des deutschen Feuilletons, sind Rapper_innen gern gesehene Stammgäste angesagter Late Night Shows von Circus Halli Galli bis Late Night Berlin und bescheren so manchem Schlagersternchen seinen bis dato erfolgreichsten Hit (vgl. die Kollabo von Vanessa Mai feat. Olexesh ›Wir 2 immer 1‹).3 Andererseits reißen Interviewanfragen à la ›Hat Rap ein Sexis­ mus-Problem?‹ auch nach fast 40 Jahren deutscher HipHop-Geschichte nicht ab und sind es auch heute noch immer wieder die Bushidos, Kollegahs und Farid Bangs und eben nicht die Mark Forsters oder Vanessa Mais der Nation, deren Texte, Videos und Aktionen die deutsche Gesamtgesellschaft in regelmäßigen Abständen mit einem Gefühlsgemisch aus Spott, Ekel, Faszination und allgemeinem Unverständnis zurücklassen. Warum sich mit Zeilen wie »Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen« oder »Fuck mich ab und ich ficke deine schwangere Frau« (beide auf dem umstrittenen, weil antisemitischen ›0815‹-Song von Kollegah und Farid Bang) derart viel Geld verdienen lässt, das vermag auch diese Arbeit nicht zu beantworten (und wäre wohl eher ein Fall für die Massen- oder Ge 2 Raf Camora ist der erste deutschsprachige Rapper, dessen Musik zuletzt eine Milliarde Streams (also Abrufe) bei dem Streamingdienst Spotify erreichen konnte. 3 ›Wir 2 immer 1‹ (2018) ist die bislang erfolgreichste Single von Schlagersängerin Mai. Das Musikvideo erreicht derzeit acht Millionen Aufrufe auf der Online-Plattform Youtube. [Stand Februar 2019]

Vorwort 

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sellschaftspsychologie?). Die nachfolgenden Seiten verstehen sich stattdessen als Versuch, unterschiedliche disziplinäre Stränge, Perspektiven und Konzepte zusammenzutragen, um das komplexe Phänomen Rap, sowie das (Sprach) Handeln seiner Akteur_innen möglichst multiperspektivisch aufzuschlüsseln und dadurch nachvollziehbarer zu machen. Der wagemutige Streifzug an der Schnittstelle von Sprach- und Literaturwissenschaft, Cultural- und Postcolonial Studies, Soziologie, Philosophie, Migrations-, Geschlechter-, Männlichkeits- und nicht zuletzt HipHop-Forschung gruppiert sich dabei um jene Subjekte, denen gemeinhin die einflussreichsten Sprecherpositionen innerhalb der Szene zugedacht werden: Männer beziehungsweise Männlichkeiten im Rap.4 Bei einem Blick in den gegenwärtigen akademischen Diskurs zum Thema Männlichkeit erweist sich der Fokus auf Rap-Männlichkeiten als nachgerade drängend: Was ist das für 1 Männlichkeit? titelt eine von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Gunda-Werner-Institut ausgerichtete Tagung im Spätsommer 2017. Anlässlich der Kölner Silvesternacht wurde sich hier aus einer intersektionalen Perspektive mit Männlichkeiten zwischen Selbst- und Fremdbildern beschäftigt. Auch der Arbeitskreis für interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung (AIM Gender) stellt Männlichkeiten zwischen Kulturen im Juni 2017 ins Zentrum der jährlich stattfindenden Konferenzreihe. Eine Zusammenschau der verschiedenen Impulsreferate, Vorträge und Anschlussdiskussionen bekräftigt dabei nicht nur die Historizität, Pluralität und Widersprüchlichkeit von (hegemonialen) Männlichkeit(en), die Erhart (2016: 14ff.) als zentrale Prämissen deutschsprachiger Männlichkeitsforschung benennt. Ferner wird auch hier deutlich, dass Männlichkeit nicht in Isolation, sondern stets in Wechselwirkung mit anderen machtvollen Kategorien wie etwa Herkunft zu denken ist und dass diese »viel zu selten mitgedachte Intersektionalität« (Horlacher u. a. 2016: 6), gerade im Kontext einer sich zunehmend ausdifferenzierenden und globalisierenden Gesellschaft wohl auch künftig zu den wichtigsten Herausforderungen bei der Erforschung von Männlichkeit gehören wird und muss. 4 Im Sinne geschlechtergerechter Sprache und Schreibweise wird in dieser Arbeit auf den Gender-Gap zurückgegriffen. Er soll anzeigen, dass alle sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten in dem jeweiligen Zusammenhang mitgemeint sind. Wird sich jedoch dezidiert auf männliche Rapper bzw.  – wie hier  – auf mit Männlichkeit assoziierte Verhältnisse und Strukturen bezogen, so findet das generische Maskulinum Verwendung.

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Eine Szene im Wandel?

Es sei an dieser Stelle die etwas kühne These aufzustellen erlaubt, dass wohl kaum ein Objektbereich die Desiderata gegenwärtiger Männlichkeitsforschung derart zu bündeln im Stande ist, wie es die gegenwärtige deutschsprachige Rap-Szene zu tun vermag! Denn wer verstehen will, was das für 1 Männlichkeit im Rap ist – um die obige, passenderweise jugend- beziehungsweise hiphop-sprachliche Formulierung wiederaufzunehmen5  – der/ die kommt um die in den Men’s Studies allerorts eingeforderte Transdisziplinarität und Intersektionalität schwerlich herum (vgl. zum Beispiel ebd.: 7; Meuser 2016: 230; Huxel 2014: 25ff.; Martschukat/Stieglitz 2008: 164 u.v.m.). HipHop- beziehungsweise Rap-Forschung ist »Transdisziplinarität in Aktion« (Androutsopoulos 2003a: 13). Eine intersektionale Perspektive geradezu das Kennzeichen der internationalen HipHop Studies (vgl. Forman 2012a: 3f.; Seeliger/Dietrich 2017: 14; Dietrich 2018: 7ff.). Wenn das Ghetto ferner zum zentralen »mythische[n] Ort« und der »[S]chwarze männliche HipHopper zur zentrale[n] mythische[n] Gestalt« des HipHop/Rap6 5 Die Schreibpraxis, arabische Zahlen wie ›1‹ anstatt des unbestimmten Artikels ›ein_e‹ zu verwenden, avancierte im Jahr 2016 zu einem Netzphänomen, das sich größtenteils durch soziale Medien verbreitete. Obgleich bereits in anderen Kontexten und Sprachgemeinschaften (und dabei mitunter aus sprach- bzw. schreibökonomischen Gründen) benutzt, fand die kryptische Schreibweise vor allem über den österreichischen Rapper Moneyboy Einzug in die deutschsprachige HipHop-, Jugend- und Mediensprache (insbesondere die Aussage Was ist das für 1 Life? soll auf den Rapper zurückgehen). 6 Diese Arbeit untersucht Transformationsprozesse von Männlichkeit am Beispiel der deutschsprachigen Rap-Szene, nicht der HipHop-Szene (Männlichkeiten im Graffiti, Breaking o. ä. sind also nicht mitgemeint, vgl. dazu auch Kap. 4). Die Schreibweise HipHop/Rap wird in dieser Arbeit dennoch hin und wieder verwendet und zwar aus zwei Gründen: 1. Um Gütekriterien wissenschaftlichen Arbeitens nicht zu missachten (Stichwort Zitation und Reformulierung): Ein Großteil der (älteren wie neueren) Arbeiten aus dem Bereich der HipHop Studies verwendet (noch immer) den Begriff ›HipHop‹. Entweder sind Rap und die übrigen Elemente in solchen Fällen mitgemeint (zum Beispiel bei Klein/ Friedrich 2003a Is this real) oder aber – und hier haben wir es mit einigen terminologischen Unschärfen zu tun – es wird über ›HipHop‹ geschrieben, wenn jedoch eigentlich ›Rap‹ gemeint ist (zum Beispiel bei Brown 2006, der über ›hip-hop masculinities‹ schreibt aber eigentlich Rapper, also rap masculinities analysiert, oder Neumann 2009, der über HipHop-Skits schreibt aber eigentlich Skits im Rap (und nicht etwa im Graffiti) meinen dürfte). Wird sich auf derartige (Vor)Arbeiten bezogen, so wird die Schreibweise ›HipHop/Rap‹ verwendet. 2. Gibt es Zusammenhänge, in denen davon auszugehen ist, dass die beschriebenen Phänomene, (Sprach-)Handlungen usw. auch für die übrigen ›Elemente‹ des HipHop gelten (zum Beispiel das Wettbewerbsprinzip). Wenn die Gesamtheit der HipHop-Kultur also dezidiert mitgemeint ist, wird ebenso die Schreibweise ›HipHop/Rap‹ verwendet.

Vorwort 

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erhoben wird (Klein/Friedrich 2003a: 24), so ist es unabdingbar die Analyse des doing rap masculinity um eine postkoloniale und für den deutschen Kontext insbesondere migrationstheoretische Perspektive zu erweitern. Auch dadurch wird wichtigen Desiderata der (europäischen) Männlichkeitsforschung nachgekommen (vgl. zum Beispiel Horlacher u. a. 2016: 7; Huxel 2014: 25ff.; Tunç 2012a u.v.m.). Der forschungsleitende Impetus dieses transdisziplinären Streifzugs besteht jedoch weniger in der Verengung etwaiger Forschungslücken, als vielmehr darin, den eingangs skizzierten, rapide verlaufenden Transformationsprozessen im Rap nachzuspüren und diese kritisch auf ihr wechselseitiges Verhältnis mit Konstruktionsmodi von Rap-Männlichkeit zu befragen. Dem Sozialwissenschaftler und HipHop-Forscher Dietrich (2016: 15) ist zuzustimmen, wenn er konstatiert, dass sich der gegenwärtige Rap unter anderem aufgrund veränderter medialer Zugänge und Angebote phänomenologisch stark von jenem der 1990er Jahre unterscheidet (angesichts der Schnelllebigkeit des popkulturellen Phänomens ließe sich sogar behaupten, dass sich der jetzige Rap bereits gehörig von jenem Rap zu Zeiten Dietrichs’ Bestandsaufnahme unterscheidet, liegt diese bei Publikation dieser Arbeit doch immerhin bereits fünf Jahre zurück). Vor allem ist die Kulturexpansion des Rap nicht ohne die ökonomischen Triebkräfte zu denken, wie Dietrich (ebd.: 14) richtigerweise anmerkt und wie sie die deutschsprachige RapLandschaft insbesondere innerhalb der letzten Jahre massiv verändert haben. Aber auch das fortgeschrittene Alter der Szene, die Ausdifferenzierung und Pluralisierung seiner Genres, Publika, Stile und Ästhetiken, sowie der sukzessive Zuwachs von Frauen auf dem Feld, lassen sich zu den Transformationsprozessen im gegenwärtigen Rap rechnen. Veränderungen, die übrigens nicht etwa aus dem akademischen Elfenbeinturm herausattestiert, sondern vielmehr diskursives Produkt der Szene selbst sind – befördert der ethnografisch geschulte Blick doch allerlei selbstgestellte Transformationsdiagnosen hervor (»Novum«, »Paradigmenwechsel«, »Wandel« usw.). Apropos selbstgestellte Transformationsdiagnosen: Wenn sich ein männlich-homosozial strukturiertes, transnational vernetztes Feld wie die RapSzene im Wandel befindet, ja sich sogar selbst im Wandel wähnt, so ist auch dies überaus anschlussfähig an die zentralen theoretischen Fragestellungen gegenwärtiger Männlichkeitsforschung. Angesichts von Globalisierungsprozessen, dem (neoliberal forcierten) Strukturwandel im Erwerbssystem, einem sukzessiven Zutritt von Frauen und homosexuellen Männern in einflussreiche gesellschaftliche Sphären beziehungsweise Positionen und

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anderen Entwicklungen steht Connells Konzept hegemonialer Männlichkeit dort bereits seit einiger Zeit auf dem Prüfstand. Von einer »Krise der Männlichkeit« oder einem »Strukturwandel hegemonialer Männlichkeit« (vgl. Meuser/Scholz 2011) ist die Rede. Ein Diskurs, der sichtbar macht, »was ansonsten eher verdeckt ist: dass Hegemonie nicht etwas Statisches ist, sondern in sozialen Auseinandersetzungen ständig erneuert, verteidigt und modifiziert werden muss. Daraus resultiert die (Notwendigkeit der) Diskursivierung von Männlichkeit, wie sie in den Medien verstärkt zu beobachten ist.« (Meuser 2016: 213) Dass männliche Hegemonie auch im Bereich Rap ein fragiles Gebilde ist, zeigt – neben dutzenden weiteren Ereignissen und Phänomenen, die in dieser Dissertation herausgearbeitet werden – die Diskursivierung von (Rap-) Männlichkeit, wie sie sich in den medialen Diskursen der gegenwärtigen deutschsprachigen Rap-Szene materialisiert. Sie wird zum Anlass genommen die skizzierten Transformationsprozesse um Kommerzialisierung, Digitalisierung und Frauenzuwachs männlichkeitstheoretisch zu befragen. Der ›Wie ein Mann – Prachtkerle-Remix‹ bildet daher das empirische Zentrum dieser Arbeit. In dem im Jahr 2016 veröffentlichten sog. ›Allstar-Track‹ stellen sich neun selbsternannte ›Prachtkerle‹ um Rapper Pedaz über acht Minuten Länge, der – mitunter feldspezifischen – illusio, das heißt der Idee vom (Rap-) Mann (vgl. Bourdieu 2016). Die Analyse dieses Raptextes (inkl. Musikvideo) ist auch insofern aufschlussreich, als dass die Interpretation des Materials grundsätzliche Rückschlüsse auf den Konstruktionsmodus von Männlichkeit im deutschsprachigen Rap erlaubt; Erkenntnisse, wie sie bislang nur sehr vereinzelt und überdies äußerst verstreut vorliegen.

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2. Real talk – Reflexionen über Standpunkte und Perspektiven

Nicht nur weil der Objektivitätsanspruch von Wissenschaft in dieser Arbeit grundsätzlich in Frage gestellt wird, sondern vor allem weil dieses Kapitel unter den Vorzeichen der Selbstreflexion steht, sind nachfolgende Absätze aus der Ich-Perspektive formuliert. Dazu ein kurzer Exkurs: Wie ein kursorischer Blick durch deutschsprachige Publikationen zum wissenschaftlichen Schreiben offenbart, wird von einem Schreibstil aus der Ich-Perspektive weitestgehend abgeraten. Unsachlich, »nicht gerne gesehen« oder »in Ausnahmefällen akzeptiert« heißt es etwa im »LEITFADEN zur Erstellung wissenschaftlicher Arbeiten« der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln (Ziemen/Fornefeld 2012: 14). Kornmeier (2010: 235) ist der Ansicht, Formulierungen in der 1. Person Singular seien »aufgesetzt«, »aufdringlich, ja sogar peinlich« – bezieht dies jedoch auf die Gesamtheit wissenschaftlichen Schreibens und nicht auf gesonderte Kapitel, die einen solchen Schreibstil ggfls. nahelegen. Darüber hinaus trifft man in Bezug auf Wissenschaftsstile auf Begriffe wie »Ich-Tabu« (Kretzenbacher 1995) und »Ich-Verbot« (Weinrich 1989). Während die Ich-Perspektive innerhalb englischer Wissenschaftstexte gebräuchlicher ist, wird sie im deutschsprachigen Raum eher vereinzelt und etwa auch in Abhängigkeit von Disziplin oder Textsorte verwendet (vgl. Steinhoff 2007: 3f.). Der Germanist Steinhoff kritisiert diesen defizitorientierten Blick und plädiert für eine »neue Sicht auf den ich-Gebrauch in wissenschaftlichen Texten« (ebd.: 2). Ferner unterscheidet er die drei Ich-Typen Verfasser-Ich, Forscher-Ich, Erzähler-Ich, wobei es in meinem Fall insbesondere kurz auf das Erzähler-Ich einzugehen gilt: Vor allem in »autobiographischen narrativen Textpassagen« auffindbar, sei dieses innerhalb der »schriftlichen Wissenschaftskommunikation nur sehr selten zu finden« (ebd.: 21). Historiker_innen würden zwar durchaus erzählen, »aber nicht von sich« (ebd.: 22). Besonders die Auto-Narration sei deswegen eher untypisch. Steinhoff führt dies unter anderem darauf zurück, »dass ›private‹ Erfahrungen für

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die wissenschaftliche Darstellung, von der erwartet wird, verallgemeinerbare Forschungsergebnisse zu präsentieren, nicht relevant sind« (ebd.). Insofern, wie im vorliegenden Fall, private Erfahrungen einer wissenschaftlichen Theoretisierung jedoch gewissermaßen vorgängig sind und dieses Verhältnis hier eine selbstreflexive Verschriftlichung erfährt, erscheint es mir konsequent, für diesen Abschnitt einen Perspektivenwechsel hin zu einem Erzählerinnen-Ich vorzunehmen. Wenn Bungarten (1989) argumentiert, das »Ich-Tabu« trage dazu bei den/die Wissenschaftler_in als Person und Individuum zu vernachlässigen, so dass er/sie »zum rationalen Wesen zu verkrüppeln [droht]«, so sollen sich nachfolgende Abschnitte dieser Wissenschaftsdystopie zumindest zeitweise verwehren (Bungarten 1989: 35, zit. nach Steinhoff 2007: 4).

2.1 Von »HipHop-Depressionen« und Lesarten »Ich hab Aggro, gegen die Frauen! Zieh dich nackig aus und fang an zu saugen! Meine Wohnung soll sauber sein, Nutte ich hab Hunger! Nimm dein’ Kochlöffel und koch mir endlich Hummer! Fotze! Ich ficke dein Arsch während du kochst! Wie siehst du eigentlich aus? Geh ins Bad und mach dich hübsch! Dumme Nutte, ich bin Frauenfeind! King Orgasmus One, Sonny Black, Frank White! Ich geh fremd, weil man lebt nur einmal! Scheiß auf Beziehung, jede Frau ist eine Hure! Frauen schreien, wenn ich ihr Arschloch ficke! Halt dein Maul sonst gibt’s gleich ’ne Schelle! Mach was ich dir sage und zick mir nicht rum! Leg dich hin und nimm mein Schwanz in den Mund!« (Bushido feat. King Orgasmus One, ›Drogen, Sex, Gangbang‹, auf dem Album Carlo Cokxxx Nutten, 2002)

HipHop ist eine alternative, kreative und allein aufgrund seiner Entstehungsgeschichte in der New Yorker Bronx per se politische Kultur. HipHop als vielseitiges Ausdrucksmedium marginalisierter, ökonomisch deprivilegierter junger Menschen (of Color); Rapmusik als Möglichkeit sich Gehör zu verschaffen, mit Worten statt mit Gewalt. HipHop als globale Gemein-



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schaft Gleichgesinnter, als Subkultur mit einem identitäts- und sinnstiftenden Normen- und Wertekanon, der keine Hautfarbe und Nationen kennt. Respekt, Wertschätzung, Loyalität, Produktivität, Kreativität. Rap als Widerstandsform, als Solidarität mit Minderheiten und rebellisches Empowerment gegen das Establishment, kurzum: Rap als »the Black CNN«, wie es der viel zitierte Rapper Chuck D der Rap-Formation Public Enemy einst ausdrückte. So weit, so mythisch. Viele junge Menschen haben sich hierzulande entsprechend dieses tradierten und diffusen, weil nirgendwo festgeschriebenen, sog. ›Ursprungsmythos‹, der irgendwann Anfang/Mitte der 1980er Jahre über die Medien nach Deutschland schwappte, selbstsozialisiert. Auch ich. HipHop-Sozialisation ist jedoch nicht gleich HipHop-Sozialisation, sondern muss in Abhängigkeit von Alter und Generationenzugehörigkeit, Geschlecht, Körper, Herkunft (hier auch Stadt/Land) und vielerlei Faktoren mehr gedacht werden. Wer Jahrgang 1971 ist, für den mögen Filme wie Wild Style (1982) oder Beat Street (1984) richtungweisende Meilensteine gewesen sein. HipHop erscheint dort als Kultur unterschiedlichster Elemente wie Graffiti oder Breaking, so dass das parallele Praktizieren möglichst vieler dieser Elemente für sog. Old-Schooler_innen oft selbstverständlich war/ist. Jahrgänge zwischen 1970 und 1980 mögen ferner mit der sog. Zulu Nation, einer von Afrika Bambaataa gegründeten HipHop-Friedensvereinigung vertraut und mit der entsprechenden Mentalität hiphop-sozialisiert sein.1 Für hiphop-sozialisierte Menschen ab Jahrgang 1990 wiederum mag Eminems Biopic 8 Mile ein prägendes Ereignis gewesen sein, ein Film, der gänzlich um harten Battle-Rap herumgruppiert ist und andere Elemente des HipHop weitestgehend ausklammert, während Rap-Fans ab Jahrgang 2005 womöglich weder den Namen Afrika Bambaataa noch Eminem kennen und die Begriffe ›HipHop‹ und ›Rap‹ wohl kaum zu differenzieren wissen usw. 1 Die Zulu Nation ist ein »Zusammenschluss aktiver HipHops, die sich für Gewaltlosigkeit, Drogenfreiheit und gegenseitigen Respekt stark machten« (Verlan/Loh 2015: 285). Der Legende nach wurde sie von Ex-Gang-Mitglied Bambaataa gegründet, um die Wut junger Menschen durch Musik, Tanz oder Graffiti zu kanalisieren. Auch in Deutschland fand die Bewegung schnell Sympathisant_innen, etwa im Umfeld von Rapper Torch und der Heidelberger Gruppe Advanced Chemistry. Vielen deutschen HipHop-Fans war die Zulu-Attitüde aber bereits damals zu dogmatisch. So gründete sich im Dortmund der späten 1980er Jahre die sog. ›Silo-Nation‹, die sich gegen die politische Korrektheit der Alten Schule wandte und das Motto ›Trink, rauch, mach, was du willst. Mehr nicht‹ ausgab (ebd.: 412).

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Irgendwann haben die transnational flows des HipHop auch mich erreicht und fanden über Musiksender wie MTV ihren Weg in mein Kinder- beziehungsweise Jugendzimmer im Nordosten Bayerns. Es war das Jahr 1996. Noch war Rap ein Teilelement des HipHop und wurde auf sogenannten ›Jams‹ in sogenannten ›Jugendzentren‹ als Teil einer globalen Community und Wertegemeinschaft praktiziert. Die Stimmung war gut. Mit weißdeutschen Gruppen wie Die Fantastischen Vier, Fettes Brot, EinsZwo, Absolute Beginner aber auch dem eher kosmopolitisch ausgerichteten Freundeskreis war deutschsprachiger Rap gerade auf dem Weg in den musikalischen Mainstream. Gleichgesinnte – zu erkennen an weiten Hosen, einer bestimmten Sprache, Gangart oder auch Lackresten auf dem Kapuzenpullover (Stichwort Graffiti) – mussten dennoch mühselig ausgekundschaftet, CDs und Platten akribisch recherchiert und physisch erstanden werden – zumindest in der nordostbayerischen Provinz. Diese aus meiner Perspektive beschauliche und kreative Atmosphäre  – irgendwo zwischen Raptexte-Schreiben und ›A-N-N-A‹ von Freundeskreis – wurde jäh unterbrochen, als sich Deutschlands Rap-Achse etwa um die Jahrtausendwende von der Vertikalen (Hamburg/Stuttgart) in die Horizontale (Frankfurt/ Berlin) zu verlagern begann (vgl. Verlan/Loh 2006: 21). Denn anstatt der behaglichen Reimkunst à la Freundeskreis und Co schallten nunmehr brachiale ›Mutterficker-Texte‹ aus Deutschlands Hauptstadt aus den Boxen. Es war der Beginn dessen, was später unter dem Label ›Gangsta-Rap‹ bekannt werden sollte. Ein Auszug: »Fotze! Ich ficke dein Arsch während du kochst! Wie siehst du eigentlich aus? Geh ins Bad und mach dich hübsch! Dumme Nutte, ich bin Frauenfeind!« (auf dem Album CCN, siehe einführendes Textzitat) oder auch »Mir egal mein Ding ist breit, der Nigger macht die Muschi breit, sie ist heiß, sie ist feucht, sie läuft aus, der Neger beißt in den Hals, Doggystyle, wir bumsen, schwitzen, geil, im Club, im Auto, im Bett, egal wo er steht wie ein Brett« (›Bums mich!‹, B-Tight, 2003). Zumindest zum damaligen Zeitpunkt war HipHop (noch) keine kommerzialisierte Freizeitkultur und keine ›hop on/hop off‹-Szene, der man je nach Gusto einfach mal so den Rücken zukehren konnte, oder wie die Kulturwissenschaftlerin Menrath (2001: 67) schreibt: »HipHop läßt sich nicht einfach als künstlerische Freizeitbeschäftigung verstehen, die man je nach Lust und Laune praktiziert oder es bleiben läßt. HipHop bildet vielmehr einen Sozialkomplex, in dem man sich mit Persönlichkeiten/Identitäten verortet, die sich nicht einfach wieder ›ausziehen‹ lassen«. Man kann sich



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also vorstellen, dass nicht jede_r zwischen 1970 und ca. 1990 hiphop-sozialisierte Mensch mit diesem Paradigmenwechsel gleichermaßen gut zurecht kam. »HipHop will doch die Leute aufrütteln, sich Gedanken über diese Welt zu machen und sie zu verändern. Das ist die große Botschaft der HipHop-Bewegung. Und da ist es fatal, dass ausgerechnet so was wie Gangsta-Rap zum Hit wird, dieses Missverständnis der Battle-Kultur«, meint DJ Cutsfaster im Interview mit den Szene-Chronisten Verlan/Loh (2006: 158). Auch Denyo  – Mitglied der Absoluten Beginner  – gibt sich rückblickend desillusioniert: »Dann kam eine Variante Hip-Hop dazu, die man jetzt vielleicht unter GangstaRap, Straßen-Rap, Proleten-Rap, Asi-Rap oder wie auch immer nennen möchte – da gibt es tolle, richtig tolle Variationen, Haftbefehl und so weiter. Aber es gibt eben auch sehr viel, womit ich überhaupt nichts anfangen kann, und ich bin in so eine Depression gekommen, weil ich dachte: Mann, das soll jetzt deutscher Hip-Hop sein? Das ist das Gesicht vom deutschen Hip-Hop? Wie schade, das ist mir irgendwie zu wenig. Ich bin erwachsen geworden in der Zeit, ich habe mir die Frage gestellt, ob Hip-Hop vielleicht simpler gestrickt ist, als ich es bin«,

kommentiert er 2015 gegenüber dem Deutschlandfunk.2 Auch HipHopJournalist Falk Schacht hat sich längst zu seiner anfänglichen Antipathie gegenüber dem neuen Gangsta-Rap rund um das Berliner Label Aggro Berlin bekannt: »Für mich hat AGGRO BERLIN damals HipHop getötet. Ich wollte aufhören und nichts mehr mit dieser Szene zu tun haben« so Schacht in einem Facebook-Post.3 Schließlich waren die misogynen, sexistischen, homophoben und gewaltverherrlichen Raptexte und die aggressiven Männlichkeitsperformances von Bushido, B-Tight und Co vor allem für weiblich sozialisierte HipHop-Fans nur schwer verdaulich. Das prominenteste Beispiel ist an dieser Stelle sicherlich die queere Rapperin Sookee, die die Schwierigkeiten weiblicher resp. queerer HipHop-Sozialisation bis heute kritisch in ihren Texten verhandelt, zum Beispiel im Track ›Die Freundin von‹ (2017) oder auch auf ›Vorläufiger Abschiedsbrief‹ (2014) wo es unter anderem heißt: »Rap war selten gut zu mir, Rap hat mich immer geboxt, hab viel zu oft mit Stift und Blatt in meinem Zimmer gehockt, ich hab niemals geefrestyled, ich hab mich niemals getraut, ich wollte lieber MC sein doch war immer wieder nur Frau«. 2 Reimann, 04.11.2020, https://www.deutschlandfunk.de/rapper-denyo-ich-hatte-einehip-hop-depression.807.de.html?dram:article_id=318732 3 Schacht, 04.11.2020, https://www.Facebook.com/FalkSchacht/posts/1221268441219850

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Die plötzliche und vor allem schonungslose Konfrontation mit Frauenhass, männlichem Dominanzgebaren und dergleichen mehr hinterließ jede Menge verbrannte Erde auf Deutschlands Rap-Landkarte und zeitigte unterschiedliche Strategien des Umgangs. Einige – wie zum Beispiel Denyo – wandten sich zunächst anderer Musik zu (»habe so eine Art Singsang-Rap mit Gitarre gemacht, so ein Singer/Songwriter-Album. […] Und das war auch schön. Das hat mir auch sehr viel gegeben«), bevor sie einige Jahre später dann doch wieder bei Rapmusik landeten. Andere, wie Sookee oder auch Falk Schacht begannen sich auf sehr unterschiedliche Weise reflexiv mit den Inhalten dieser neuen Spielart und ihren Protagonisten auseinanderzusetzen: »Ich habe mich dann hingesetzt und habe nachgedacht und brauchte ca. 1 Jahr und länger um zu begreifen das ich unrecht hatte. […] Gangsta Rap hat mich viel gelehrt was in diesem Land politisch falsch läuft. Und es hat mich auch über HipHop etwas gelehrt. Diese Kultur ist mehr als das was ich Beigebracht [sic] bekommen haben [sic]«, resümiert Schacht im selben Facebook-Post. Kurzum: Der Aggro Berlin-Tsunami wirbelte Deutschlands friedliche HipHop-Landschaft ab dem Jahr 2000 zwar gehörig durcheinander, verursachte ›HipHop-Depressionen‹ und ebnete so manchen fragwürdigen Inhalten letztlich den Weg in den Mainstream (vgl. Loh/Güngör 2002). Positiv gewendet, hat er jedoch so manche_n HipHop-Fan aufgerüttelt und für den ein oder anderen gesellschaftlichen Zusammenhang, wie zum Beispiel soziale Ungleichheit, Migration usw. sensibilisiert. Auch die Idee der Lesart fand dadurch mehr oder weniger reflexiven Eingang in so manches SzeneBewusstsein. HipHop ist kein ›uniformes Handlungsprogramm‹, das von Dj Cutsfaster, Falk Schacht, Denyo, Sookee, Bushido oder Fler auf die gleiche Art und Weise abgespult wird. Im Gegenteil hält die Szene »einen Symbolkosmos bereit, der in den jeweiligen Gruppen zu einer eigenen Wirklichkeit verarbeitet wird« und entsprechend unterschiedlichen Interpretationen unterliegt, wie es Wetzstein u. a. (2000: 140) bereits 2000 am Beispiel dreier ›HipHop-Gruppen‹ feststellten (Writer, Breaker, Rapper). Alter, Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung und vielerlei Faktoren mehr spielen dabei eine entscheidende Rolle!



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2.2 Theory as liberatory practice – HipHop-Wunden lecken »Die sehr häufig erscheinende Bezeichnung ›Fotze‹ als textinterne Ansprache (2. Person) oder Bezeichnung (3. Person) für Frauen stellt eine Pars-pro-Toto-Reduktion dar, die das penetrierbare weibliche Sexualorgan fokussiert. Dadurch wird die Frau in der Aufmerksamkeit der Adressat* innen/Leser*innen/Hörer*innen durch diese Hervorhebung auf das Thema Sexualität beschränkt«,

schreiben die Germanst_innen Pustka/Grassel (2018: 30) über die Texte der Rapper King Orgasmus One und Frauenarzt. In den Texten des Porno-Rap – die Übergänge zum Gangsta-Rap sind zumindest zum damaligen Zeitpunkt fließend  – ist die Frau ein Sexobjekt und wird als Fotze, Hure oder auch Schlampe angerufen (ebd.: 30f.). »Über das weibliche Geschlechtsorgan wird in der Regel mittels Pejorativa (›Fotze‹, ›Muschi‹) gesprochen, worin sich gerade in dieser Bezeichnung die Benennung eines Geschlechtsorgans mit der Pars-pro-Toto-Bezeichnung für ›Frau‹ im Allgemeinen überlagert und eine Homonymie beider Ausdrücke hervorbringt« (ebd.: 31). Tatsächlich ist bei dem Musikgemisch, das ab dem Jahr 2000 über Rap-Deutschland hereinbrach nicht immer eindeutig auszumachen, ob nun eigentlich die Frau als Ganzes oder nur ihr Geschlechtsorgan gemeint ist (vgl. auch Bukop/Hüpper 2012: 167). Sprechhandlungen à la »Fotze, ich fick dein Arsch, während du kochst« usw. jedoch sind – das muss an dieser Stelle betont werden – nicht per se für jede_n gleichermaßen verletzend. Bei vielen Frauen und jungen Mädchen stieß der pornografische Gangsta-Rap von King Orgasmus One, Bushido, B-Tight und Co damals auf große Begeisterung, wie die Studie von Manzke (2007) eindrücklich belegt (vgl. Kap. 5.3). Mir ging das anders. Als leidenschaftlicher Rap-Fan konnte ich den Anfängen dieser neuen Spielart  – zum Beispiel Kool Savas’ ›Pimp Legionär‹ (2000) – im zarten Alter von 14 Jahren zwar noch einiges abgewinnen (vermutlich war es der krasse Kontrast zu Freundeskreis und Co und/oder die Rebellion gegenüber dem Elternhaus). Aus mehrerlei Gründen wich diese anfängliche Begeisterung jedoch schnell einem gehörigen Unbehagen: Erstens stand die neue Lesart von HipHop in Konflikt mit meiner eigenen, war HipHop für mich doch der Inbegriff von gegenseitigem Respekt, Solidarität, Antirassismus usw. Zweitens desillusionierte mich der unreflektierte, affirmative Umgang mit derart misogynen Textpassagen innerhalb meiner eigenen, weitestgehend männlich dominierten Peergroup, in der ›Bitch‹ schon bald zum Synonym für die eigene ›Freundin‹ avancierte. Und drittens entstamme ich einem gewissermaßen feministisch-vorstrukturierten Haushalt,

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stand also recht früh vor der Herausforderung, die hypermaskulinen und (-femininen) Diskurse und Performances mit jenem Selbst- und Weltbild zu harmonisieren, wie ich es von Zuhause – mehr oder weniger bewusst – gelernt hatte.4 Meine persönliche Strategie um mit dem Mentalitätswechsel im deutschsprachigen Rap zurechtzukommen ist der von Sookee, Falk Schacht, Denyo und Co letztlich nicht ganz unähnlich. Auf der Hinterbühne (quasi im Kinder-/Jugendzimmer) begann ich mich schreibenderweise reflexiv mit den Inhalten auseinanderzusetzen,5 während ich mich auf der Vorderbühne (in der Peergroup) um eine mimetische Annäherung an den männlichen Habitus bemühte.6 Diese zweifelsfrei ambivalente ›Überlebensstrategie‹ ermöglichte mir zwar eine relativ bruchlose Weiter-Identifikation mit der von mir so geliebten HipHop-Kultur/Rapmusik und sicherte mir einen respektablen Platz in der rap-affinen, männlichen Peergroup, jedoch auf Kosten feministischer Kritik und einer entsprechend selbstbewussten Positionierung. An dieser Stelle spielt sicherlich auch der Faktor Region, das heißt die Provinz/Peripherie eine Rolle. Eine Solidarisierung mit etwaigen Gleichgesinnten und/ oder eine konstruktive Auseinandersetzung mit alternativen Lesarten des HipHop ist im prä- beziehungsweise semi-digitalisierten, männlichen Szene-Umfeld einer bayerischen Kleinstadt schlichtweg nicht möglich gewesen. Um es abzukürzen: Die ambivalente (und quasi-schizophrene) ›Überlebensstrategie‹ fruchtete bedingt, so dass auch ich irgendwann begann mich zeitweise in benachbarte Musikgenres (R&B, Soul) zu flüchten und Rapmusik 4 Als weiß-deutsches, relativ behütetet aufgewachsenes Lehrerinnenkind waren es sicher auch die in den Gangsta-Rap-Texten geschilderten Lebenswelten zwischen Migrationserfahrung, sozialer Benachteiligung und Alltagsrassismus, mit denen ich mich schwer identifizieren konnte – deren politischer Gehalt aber auch durch die aggressiven Inszenierungen und Performances verunklart wurde. 5 Dieser Prozess war relativ kräftezehrend, sorgte aber auch für ein erhöhtes Bewusstsein über die Performativität und (Verletzungs-)Macht von Sprache oder die Vielseitigkeit von Geschlecht- und Männlichkeitsperformances. Außerdem galt es sich mancherlei kritische Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Wieso kann ich Lauryn Hill und Lil Kim gleichermaßen gut hören? Inwiefern kann/darf ich mich mit ihren Schwarzen Existenzweisen überhaupt identifizieren? Kann ich Text xy mitrappen oder eher nicht? Falls ja, lasse ich dann bestimmte Begriffe bewusst aus oder ist das übertriebene political correctness? Weshalb verletzt mich Begriff xy, Begriff z aber nicht? Wie ist es möglich, dass andere weiblich sozialisierte Personen bestimmte Texte gänzlich unproblematisch finden und wie ist das unkritische Verhalten der eigenen männlichen Peergroup einzuordnen, wenn deren Affirmation offensichtlich nicht mit Bildung korreliert (die meisten von uns besuchten ein Gymnasium) usw. 6 Zu den Begriffen der Hinter- und Vorderbühne vgl. bei Goffman (2003)



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für einige wenige Jahre komplett den Rücken zu kehren. Spätestens im Studium stellte ich fest, dass HipHop-Identität aber dann doch keine Jacke ist, die sich »einfach wieder ›ausziehen‹« lässt (Menrath 2001: 67) und schrieb meine Magisterarbeit über Gangsta-Rap im Migrationskontext (Süß 2012). Tatsächlich war deutschsprachiger (Gangsta-)Rap ab ca. 2007 nicht mehr ganz so aggressiv und pornografisch aufgeladen und für mich persönlich weitaus besser hörbar als zur Jahrtausendwende. Sexismus war zwar immer noch präsent, wurde jedoch zunehmend ironisch und parodistisch verhandelt (K.I.Z.), bis zur imagebildenden Unkenntlichkeit überspitzt (Kollegah) oder war in abgeschwächter Form in die authentischen Straßengeschichten eines Haftbefehl oder Nate57 verwoben – die man natürlich ihrerseits kritisieren kann. Mir ist bewusst, dass es eine recht privilegierte Strategie ist, das mit und durch HipHop/Rap Erlebte zu theoretisieren, mit Hilfe unterschiedlicher Literatur in seine jeweiligen Kontexte zurückzubinden und so letztendlich besser zu verstehen und ›ertragen‹ zu können. Dennoch ist es eben dieser wissenschaftliche Ort, von dem aus ich heute spreche oder sprechen darf. In einem meiner Textbücher aus Teenagerzeiten steht in großen schwarzen Lettern: »Let a Black woman be the first«. Weshalb ich das geschrieben habe und worauf sich das bezogen hat, vermag ich heute nicht mehr zu erinnern.7 Jedenfalls ist es bezeichnend, dass ich im Zuge meiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung recht schnell auf die afroamerikanische Feministin und Literaturwissenschaftlerin bell hooks und ihre theory as liberatory practice stieß. Dort heißt es unter anderem: »Let me begin by saying that I came to theory because I was hurting – the pain within me was so intense that I could not go on living. I came to theory desperate, wanting to comprehend – to grasp what was happening around and within me. Most importantly, I wanted to make the hurt go away. I saw in theory then a location for healing« (hooks 1991: 1). Gleichwohl hooks hier nicht auf sexistische Verletzungen durch Rapmusik, sondern auf körperliche Missbrauchserfahrung in ihrer Kindheit 7 Womöglich betrieb ich hier bereits einige unbemerkte feministische Theoriebildung, noch ohne den Terminus ›Intersektionalität‹ je gehört zu haben. Vgl. dazu abermals hooks (1991: 2f.), die erzählt: »When I was a child, I certainly did not describe the processes of thought and critique I engaged in as ›theorizing‹. […] [T]he possession of a term does not bring a process or practice into being; concurrently one may practice theorizing without ever knowing/possessing the term just as we can live and act in feminist resistance without ever using the word ›feminism‹«.

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Bezug nimmt, sind mir die genannten Erfahrungen und Motive auf eine Art und Weise vertraut. Insbesondere das wanting to comprehend, also ein vorurteilsbewusstes und ernstgemeintes Verstehen-wollen anstatt eines bloßen affektgetriebenen Verurteilens, erscheinen angesichts meiner Sprecherinnenposition als hiphop-sozialisierte Männer-Wissenschaftlerin mit Feminismushintergrund anschlussfähig. Letztlich war es aber weniger hooks selbst, als vielmehr die Schwarzen Aktivistinnen und Theoretikerinnen des sog. HipHop-Feminismus, deren Gedanken eine heilsame, weil lebensweltlich kompatible Wirkung auf mich hatten: »Wie viele andere AkademikerInnen und KritikerInnen ›schwarzer‹ Popkultur, die über Rap schreiben, liebe ich HipHop und Rap. Diese Liebe hielt mich eine Zeit lang davon ab, darüber zu schreiben, aber jetzt ermutigt sie mich, Rap auf konstruktive Weise zu kritisieren und zu untersuchen«, schreibt Gwendolyn Pough (2007c: 66) aus einer US-amerikanischen Perspektive in ihrer Kritik der Liebe. Und weiter: »Wenn ich über HipHop und die Bilder von ›Niggas‹ und ›Bitches‹ nachdenke, die diese Form von Selbstliebe und Selbstrespekt beinhalten, werde ich mit Fragen konfrontiert, die die Formierung von Subjekten betreffen, die nicht nur überleben müssen, sondern zu politischen Subjekten werden – zu Subjekten, die eine Veränderung in der Öffentlichkeit bewirken und unterdrückte Konstrukte durchbrechen. All diese Themen beeinflussen meine Kritik an HipHop. Und ich bin besonders an Liebe im Rap interessiert, die durch Hass produziert wurde – an Liebe, die von einer rassistischen und sexistischen Gesellschaft genährt wird. Es ist eine Liebe, die trotz Unterdrückung gewachsen, aber dennoch davon geprägt ist.« (Pough 2007c: 67)

Die Entdeckung der hiphop-informierten, feministischen Sichtweise von Pough und Co war ein Erweckungserlebnis. Rückblickend betrachtet, ist HipHop-Feminismus der missing link. Die heilsbringende Lösung, um das generationale und identitäre Dilemma zu entwirren, wie es sich einst anschaulich zwischen der vermeintlichen ideologischen Unvereinbarkeit des EMMA-Zeitschriftenstapels meiner Mutter und den dutzenden HipHopMagazinen aufspannte, die sich ab 1996 in meinem Jugendzimmer gen Decke zu türmen begannen. Joan Morgan soll den Begriff des in Deutschland bislang kaum rezipierten HipHop-Feminismus geprägt haben. Sie fordert einen Feminismus, »brave enough to fuck with the grays. And this was not my foremothers’ feminism« (Morgan 1999: 59). Eine Perspektive, die HipHop/Rap einseitig misogyn oder sexistisch straft, lehnen viele HipHop-Feministinnen ab,



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verkenne sie doch die Komplexität des historisch und insbesondere intersektional zu kontextualisierenden Kulturphänomens und seiner strukturellen Verwobenheiten: »It is not just about counting the ›bitches‹ and ›hoes‹ in each rap song. It is about exploring the nature of Black male and female relationships. These new Black feminists acknowledge that sexism exists in rap music. But they also recognize that sexism exists in America.« (Pough 2007a: 29) Aktivist_innen des HipHop-Feminismus verstehen sich als hiphopund zumeist weiblich sozialisierte Persons of Color, die in den feministischen Diskursen des second-wave black feminism oder des critical race feminism keine Antworten auf die drängenden Fragen ihrer Generation finden (vgl. Peoples 2008: 39). Die Lebenswelten der Schwarzen HipHop-Generation sind auf das Engste mit den Diskursen, Bildwelten und Ästhetiken der HipHop-Kultur verbunden. Eine der zentralen Herausforderungen des HipHop-Feminismus besteht deshalb unter anderem darin, die auf den ersten Blick unvereinbaren Konzepte Feminismus und HipHop auf eine politisch sinnvolle und -stiftende Art und Weise zu vereinen (»in politically meaningful ways«, Pough 2007b: 91). Als grundlegende Herausforderung gilt es sich dabei Fragen zu stellen wie »what it means to be a woman who participates in and loves a culture that doesn’t always love you; and how you deal with it when some of the hatred aimed at you becomes internalized and affects how you treat others and how you feel about yourself« (ebd.: 90; vgl. auch Süß 2016b). Gleichwohl sich der hip-hop feminism als Teil des third-wave (Black) feminism im US-amerikanischen Raum herausgebildet hat, kann er maßgebliches zur HipHop-Theoriebildung in Deutschland beitragen, etwa wenn es um die Kritik an einem männlichen HipHop-Kanon und die Sichtbarmachung weiblicher Pionierinnen im Rap geht. Auch die Reflexion und kritische Positionierung der eigenen (meist weißen, akademischen und oft männlich-heterosexuellen) Forscher_innenperson kommt hierzulande immer noch zu kurz. Gleichzeitig wächst auch in Deutschland längst eine Generation heran, deren Lebenswelten – insbesondere im Migrationskontext  – eng mit den Ästhetiken, Diskursen und Bildwelten des Rap verwoben sind. Es reicht deshalb auch hierzulande nicht aus, lediglich die ›Fotzen‹ und ›kahbas‹ in Raptexten zu zählen. Stattdessen muss es um die intersektionale Kontextualisierung und strukturelle Einordnung von Hypermaskulinität, Homophobie oder Sexismus im Rap und nicht um deren bloße Verurteilung gehen.

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2.3 »Mir egal welche Theorie du hast«8 – Die ›eigene‹ Szene beforschen Mit der Theoretisierung von Geschlecht und dem Verstehen-Wollen von (Rap-)Männlichkeit habe ich mich  – wenn man so will  – dem oft vergessenen, sogenannten ›fünften Element‹ des HipHop verschrieben: knowledge (vgl. dazu bei Forman 2007: 33 oder auch Pough 2007b: 79ff.). Gleichzeitig bildet die Akkumulation von Wissen oder besser gesagt die Erarbeitung von Erkenntnissen den Kern von Wissenschaft, ist die Universität doch als »Ort akademischer Erkenntnis« zu verstehen und stark zu machen (Brand 2011: 8).9 Von welchem sozialen Ort also spricht man als hiphop-sozialisierte HipHop-Wissenschaftlerin? Wen adressiert man und in welchem (sprachlichen) Habitus? Während der elaborierte Code über die Legitimität des Sprechenden in der Wissenschaft entscheidet, ist es selbiger Code, der eine_n als authentische_n HipHop-(Für-)Sprecher_in aus Sicht der Szene disqualifiziert. Als Kultur der Stimmlosen und aus Bildung und sozialer Teilhabe Ausgeschlossenen hat HipHop einen traditionell toxischen Bildungsbegriff. Eine Antihaltung, die dutzende von Rap-Songs zum Ausdruck bringen (Stichwort: ›Fick die Schule/Uni‹ usw., vgl. bei Wolbring 2015: 439). »Unter HipHopAktivisten und -Künstlern genießen Universitäten einen ähnlich schlechten Ruf wie wirtschaftliche Konzerne« schreibt der US-HipHop-Forscher Forman (2007: 21) noch im Jahr 2007. »Sie gelten als eine andere Form von institutioneller Autorität, die sich HipHop-Kultur aneignet.« (ebd.) Während wirtschaftliche Konzerne ihren schlechten Ruf aus heutiger Sicht sicherlich weitestgehend eingebüßt haben, werden Bildungsinstitutionen und deren Sprecher_innen nach wie vor kritisch gesehen. Auch deutschsprachige HipHop-Forscher_innen sahen sich früh zu einer Auseinandersetzung mit ihrer Rolle ›zwischen den Feldern‹ veranlasst: 8 »… hab für deine Theorie kein Platz. Digga, lass ma’, hör bitte auf, zu reden. Alles, was ich weiß, du liegst daneben« heißt es auf ›Daneben‹ (2016) von Bonez MC, Raf Camora feat. Trettmann 9 vgl. die begriffliche Differenzierung von Wissen vs. Erkenntnis in Brandts Kritik am Universitätssystem: »Erkenntnis entspringt der Auseinandersetzung und stellt sich der Kritik. Das Wissen dagegen wird im Alltag oder in besonderen Institutionen erworben und kann weitergegeben oder angewendet werden. Es bedarf keiner Begründung, sondern bewährt sich. Wissen kann akkumuliert und notfalls quantifiziert und vermessen werden, Erkenntnis dagegen beruht auf einer eigenen Tätigkeit und ist gegen jede Vermessung immun. Wissensmanagement ja, Erkenntnis stemmt sich dagegen.« (Brandt 2011: 9)



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»Aus Sicht der Szene wird die Differenz zwischen ›Insidern‹ und ›Outsidern‹ maximiert, Letzteren die Legitimierung einer reflexiven Auseinandersetzung mit HipHop bisweilen abgesprochen – nach dem Motto: Nur wenn man in der Szene gewachsen und mit ihr organisch verbunden ist, kann man überhaupt wissen, ›was geht‹. Abgelehnt wird vor allem ein akademischer Diskurs, der HipHop bloß als Illustration einer bestimmten kultur- oder sozialwissenschaftlichen Theorie heranzieht, ohne die tatsächlichen Relevanzstrukturen der Kultur zu kennen. Im Extremfall wird jede neue akademische Publikation über HipHop mit dem Verdacht konfrontiert, an der Realität vorbei zu reden.« (Androutsopoulos 2003a: 10)

Abgesehen davon, dass aus heutiger Sicht zunächst geklärt werden müsste, mit welcher Teil-Szene des HipHop man sozialisiert ist (Stichwort Lesart) – inwiefern quasi eine Sozialisation mit Graffiti das Sprechen über GangstaRap legitimiert usw.10 – und abgesehen davon, dass die Feldergrenzen zwischen der Wissenschaft und der HipHop/Rap-Szene ohnehin diffus sind und immer schon waren (Stichwort: intellektueller ›Message-Rap‹), ist den Vorbehalten der Szene gegenüber akademischen Eindringlingen aus HipHop-Sicht durchaus etwas abzugewinnen. Es ist in der Tat befremdlich in wissenschaftlichen Publikationen über HipHop von ›Kids‹, ›Rapper-Gruppen‹, ›HipHop-Bands‹ oder ›HipHops‹ zu lesen – da dies mit den Selbstbezeichnungspraktiken der Szene bedingt kompatibel ist. Auch der Ausdruck zu wissen ›was geht‹ (siehe das obige Zitat von Androutsopoulos) dürfte heute kaum noch Verwendung finden. Aus HipHop-Sicht stimmt man Linguist von Advanced Chemistry also durchaus zu, wenn er die Legitimität eines Journalisten wie Günther Jacob in Frage stellt: »Ich habe den Günther Jacob noch nie rappen gehört und ich habe den nie sich auf dem Kopf drehen sehen. Insofern weiß ich nicht, woher er seine Legitimität bezieht. Die einzigen Experten sind die Leute, die HipHop betreiben. Mit denen muss man reden, wenn man darüber schreiben will« (Verlan/Loh 2006: 321). Auch über 20 Jahre später ist die Frage der ›Eigentümerschaft‹ (vgl. Forman 2007: 21ff.) beziehungsweise Deutungsmacht von andauernder Aktualität und bildet – wenn man so will – gar einen eigenen Diskursstrang im Rap: »Sie reden über Rapper da im ZDF, sie philosophier’n über Newcomer 10 In Zeiten der Ausdifferenzierung von Szenen und Stilen stellen sich prinzipiell noch viel differenziertere Fragen, etwa ob ein_e Hall-Maler_in (also ein_e Graffiti-Künstler_in, der/die legale Wände malt) sich überhaupt legitimerweise über das Trainwriting (illegales Züge bemalen) äußern darf/kann oder ob jemand, der/die mit Gangsta-Rap sozialisiert ist, den Rapstil und Inhalt einer linkspolitischen queeren Rapperin wie Sookee beurteilen kann usw.

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wie Eko Fresh. Für die ist Peter Fox ’n Gangsta-Rapper, ihr Opfer lasst HipHop in Ruhe, nehmt die Hände weg da!« rappt Sido auf ›Masafaka‹ (2016), während sich Kool Savas im selben Track halb belustigt, halb empört über gescheiterte Nachahmungsversuche des körperlichen und sprachlichen HipHop-Habitus mokiert: »Sie reden über HipHop, imitier’n unseren Slang, machen ein’n auf ›yo, yo, yo!‹, seltsame Moves mit ihren Händen«. Als Rapper Megaloh im Jahr 2013 in der Sendung Markus Lanz zu Gast war und dort zu einem spontanen Freestyle ermutigt wurde, goutierte der ebenfalls anwesende Kai Pflaume dies mit einer gutgemeinten Handbewegung. Allerdings ist die ›Hang Loose‹-Geste (abgespreizter Daumen und kleiner Finger) eher dem Zeichenkosmos des Surfsports und weniger dem HipHop zuzurechnen. Der Rapper quittierte den Vorfall mit dem Song ›Kai Pflaume‹ (2013), wo es unter anderem heißt: »War bei Markus Lanz, da war Kai Pflaume, es gab Rap als Rezept gegen scheiß Laune«. Der ›HipHopper‹ – so könnte man übersetzen – wird gerne eingeladen um – und auch das sind Worte, die in diesem Zusammenhang häufig genutzt werden – eine Szenerie mal so richtig ›aufzumischen‹ oder ›aufzupeppen‹. Coolness, Juvenilität und der Charme des Devianten bilden die Eckpfeiler dieser oftmals rassistischen, medialen Aufmerksamkeitsökonomie. Man möchte meinen, dass sich das auf dem Feld der Wissenschaft anders verhält.

2.4 HipHop und die Wissenschaft – »Eine Welt, zwei Parallelen«11 Ob HipHop-Wissenschaftler oder wissenschaftlicher ›HipHopper‹. Es scheint als ließe keines der Felder eine vollgültige Mitgliedschaft dieser offensichtlich noch immer exotischen Existenzweise zu: »Noch heute muss ich mir bei fast jedem Vortrag die Frage gefallen lassen, ob ich nun was vorrappen wolle. Häufig auch begleitet von dieser enervierenden ›Yo‹-Handgeste, die nur Leute machen, die Rap von Comedians kennen, die gerne mal ihre ›Schirmmütze‹ rumdrehen«, schreibt HipHop-Forscher Dietrich im Jahr 2014 spürbar genervt auf einem Blog des Szene-Magazins Allgood (Dietrich 2014).

11 ›Parallelen‹ (2012) von Celo & Abdi feat. Haftbefehl



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Ich teile diese Erfahrung. Tatsächlich ist man auf wissenschaftlichen Tagungen, Workshops und dergleichen immer wieder aufgefordert, sich auf irgendeine Art und Weise ›authentisch‹ zum Gegenstand zu verhalten oder aber diesen ganz selbstverständlich zu problematisieren  – eine Forderung, die besonders oft an weibliche Forscherinnen herangetragen werden mag (dazu später mehr). Gleichzeitig wird man quer durch die Hierarchiestufen mit allerlei, sicherlich gut gemeinten Interessensbekundungen traktiert: »Mein Sohn hört ja auch Bushido« heißt es da von Professor xy oder »mein kleiner Bruder findet dein Projekt am coolsten« von Doktorandin xy. Bittet ein etwa 45-jähriger Tagungsteilnehmer dann darum, ob man sich bitte nochmals zum Vortragsteil über ›Jaj Zett‹ äußern könne (gemeint ist natürlich US Rapper und Multimilliardär Jay-Z), so beginnt man sich doch die ein oder andere Frage zu stellen: Hat die immerhin bald 20-jährige deutschsprachige HipHop-Forschung wirklich akademische Legitimität erreicht? Oder gilt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit HipHop (als Teil der Populärkultur) auch heute noch als unwissenschaftlich, unterkomplex und methodisch schwach, wie es Forman (2007: 24) mit Blick auf die USA konstatiert? Was hat die HipHopForschung zur Aufklärung über ihren Gegenstand beigetragen, wenn dieser auch 2018 noch auf Bushido und jugendliche Coolness reduziert wird (man bedenke, dass HipHop in Deutschland seit fast 30 Jahren existiert und viele Protagonist_innen längst das 40. Lebensjahr überschritten haben; auch Bushido). Zweifelsohne sind derartige Verkürzungen auch Produkt (boulevard)medialer Berichterstattung, was jedoch im Umkehrschluss bedeutet, dass sich die (HipHop-)Wissenschaft an dieser Stelle einer ihrer ureigensten Aufgaben, nämlich dem Dialog mit der Gesellschaft entzogen hat und den Transfer von Wissen damit einem Feld überlässt, das qua Feldlogik weder an Differenziertheit noch an Wahrheit interessiert und stattdessen den Logiken des Marktes unterworfen ist, der freilich nach eindimensionaler Unterhaltung verlangt. Das Dilemma in dem sich die (deutschsprachigen) HipHop Studies hier befinden, ist sicherlich schwer aufzulösen. Einerseits ist Forman (ebd.: 26) beizupflichten, wenn er die HipHop-Wissenschaftsgemeinde dazu aufruft, »keine pseudo-wissenschaftlichen Erkenntnisse zu liefern, die Wasser auf die Mühlen der Kritiker und ›Hasser‹ gießen würden« (Stichwort: akademische Legitimität). Andererseits bedeutet HipHop-Wissenschaft – vor allem wenn sie sich mit Rapmusik beschäftigt – immer auch Populärkulturanalyse. Damit steht ein Massenphänomen im Fokus, das im Zentrum des Alltags vieler

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(junger) Menschen steht. Es müsste also vielmehr um den Transfer von Erkenntnissen in konkrete Lebenswelten, als um eine Verwissenschaftlichung der HipHop-Forschung gehen. »Wenn wir, die wir innerhalb der institutionellen Grenzen des Universitätsbetrieb über HipHop theoretisch und analytisch arbeiten, unser Wissen als HipHop-ForscherInnen auch in die Öffentlichkeit tragen, dann wird dies idealerweise politische Wirkungen haben, einen Bezug zu den lokalen empirischen Bedingungen herstellen, aber auch globale Auswirkungen anregen. Dies sollte das Ziel von HipHop-Forschung sein. Alles andere wäre nur eine Geste ohne jeden Wert abseits vom Campus.« (Forman 2007: 33)

Die Trennung zwischen einem akademischen Diskurs und dem HipHopSzenediskurs ist in den Vereinigten Statten seit Anbeginn weniger strikt als in Deutschland. Tricia Rose Klassiker Black noise (1994) oder David Toops Rap Attack (1984) nennt Androutsopoulos (2003: 10) als wichtige Beispiele für »diesen ›Crossover‹«. Hier werde sich »nah an der untersuchten Kultur« orientiert, jedoch ohne dabei »theoretische[n] Ansprüche aufzugeben« (ebd.). Auch die hiesige HipHop-Forschung ist um einen Brückenschlag zwischen den Diskurswelten bemüht, so zum Beispiel die Sammelbände von Androutsopoulos (2003) Globale Kultur, lokale Praktiken, Schischmanjan/Wünsch (2007) über female hiphop oder Dietrich (2016) über Rap im 21. Jahrhundert, die sowohl wissenschaftliche Positionen als auch Rapper_innen, Aktivist_innen und/oder Journalist_innen aus der Szene selbst zu Wort kommen lassen. »Die akademische Welt braucht den HipHop viel mehr als der HipHop die akademische Welt« lotet Forman (2007: 33) das Verhältnis zwischen HipHop-Wissenschaft und HipHop-Szene aus. Es sollte deshalb darum gehen, »produktive Allianzen« zu bilden um die »Kluft zwischen hood und Universität [zu] überbrücken« (ebd.). Im Kontext aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen wie politischer Radikalisierung (Stichwort: Extremismus oder auch Verschwörungstheorien), die sich zunehmend auch innerhalb der deutschsprachigen Rap-Szene mit ihrer insgesamt eher jungen Altersstruktur abzeichnet, kann man dieser Forderung mit Blick auf die Zukunft der HipHop Studies nur zustimmen.



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2.5 »Lass Fotzen reden«12 – Wenn Frauen auf (Rap-)Männer starren Wie bereits angemerkt, ist man als HipHop-Wissenschaftlerin mit allerlei Erwartungshalten konfrontiert (Stichwort: ›etwas vorrappen sollen‹), die meiner Erfahrung nach deutlich vergeschlechtlicht (aber nicht minder ethnisiert und klassisiert) sind. So ist man etwa dazu angehalten, männliche Rapper wie beispielsweise Bushido13 per se für ›Idioten‹ zu halten, den Objektbereich HipHop/Rap ganz selbstverständlich zu problematisieren und sich mit der Perspektive der (in solchen Fällen meist ebenfalls weiblichen und/ oder weißdeutschen) kritischen Sprecherin zu solidarisieren. Abgesehen von den latenten antimuslimischen Ressentiments, die hier zugrunde liegen, basieren derartige – sowohl in- als auch außerhalb der Akademien anzutreffende – vergeschlechtlichte Erwartungshaltungen auf mehrerlei Verkürzungen.14 Angefangen von der undifferenzierten Ineinssetzung von HipHop/Rap/ Gangsta-Rap und der Reduktion letzteren Gegenstands auf Gangsta-Rapper Bushido, wird Rapmusik hier als anti-intellektuelle, genuin sexistische Musikkultur vorausgesetzt. Eine Vorstellung, die ferner nicht nur ein relativ eindimensionales Verständnis von Männlichkeit impliziert, sondern auch an eine ebenso eindimensionale Rezeptionshaltung geknüpft ist, wird doch erwartet, Rapmusik als weiblicher Hörerin per se ablehnend oder zumindest hochgradig skeptisch gegenüberzustehen. Besonders abseits der Universität ist man – besser gesagt Frau – zudem aufgefordert, sich affirmativ zu der politisch-ideologischen Rahmung der jeweiligen Veranstaltung zu verhalten und (zumindest theoretisch) einen gewissen (feministischen) Aktivismus walten zu lassen. Die feministische Grundhaltung, die einzunehmen hier wiederum 12 Nimo – ›LFR‹ (Lass Fotzen reden) (2017) 13 Tatsächlich scheint Bushido für die allermeisten Menschen noch immer der Inbegriff eines Rappers zu sein resp. der einzige Rapper, der namentlich bekannt ist. Das ist insofern erstaunlich als dass Bushido ›innerhalb‹ der Szene zwar ein respektabler Platz eingeräumt wird, er jedoch bereits seit einigen Jahren weniger aufgrund seiner Musik, als vielmehr wegen seiner mafiösen Verstrickungen in die Berliner Clanwelt zur Debatte steht. Wenn es um kommerziellen Erfolg, musikalische Innovationen oder allgemeine Relevanz geht, hat Bushido das Feld aus heutiger Sicht längst anderen überlassen (müssen). 14 Zur stereotypisierenden Medienberichterstattung um »gewaltbereite[n], männliche[n] Jugendliche[n] aus sogenannten Problembezirken« und die Rolle und Funktion des Rappers Bushido in diesem Diskurs, vgl. einen kritischen Beitrag von Lenz/Paetau (2012: 113).

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abverlangt wird, ist dabei nicht minder normativ, gilt es die queer-feministische Rapperin Sookee doch grundsätzlich ›gut‹ zu finden, während SXTN oder auch Shirin David gerne als weniger kompatibel oder ›wertvoll‹ im Hinblick auf Herrschaftskritik und dergleichen eingestuft werden (sollen). Gleichwohl ich nahezu alles, worüber ich schreibe auch privat (und höchst freiwillig) höre und natürlich über einen persönlichen Musikgeschmack verfüge, finde ich die Erwartungshaltung, den Objektbereich Rapmusik samt seiner Protagonist_innen unaufhörlich (auch geschmacklich) bewerten beziehungsweise innerhalb einer feministisch akkreditierten Bewertungsskala einordnen zu müssen, schwierig und problematisch. Zwar ist mir bewusst, dass die Frauen- und Geschlechterforschung historisch eng mit dem Feminismus als politischer und sozialer Bewegung verknüpft ist beziehungsweise aus diesem hervorging, dass Begriffe wie ›Patriarchat‹ wichtige und hart erarbeitete Instrumente für die Analyse männlicher Macht darstellen und sich auch die kritische Männlichkeitsforschung letztlich feministisch positioniert und positionieren muss (vgl. bei Hearn/Morgan 1990). Mit meinem Wissenschaftsverständnis und meiner – zugegeben recht speziellen – Sprecherinnenpositionen als hiphop-sozialisierte (weißdeutsche) Rap-Männlichkeitsforscherin mit Feminismushintergrund geht all das jedoch nur bedingt zusammen oder bedarf zumindest einer steten reflexiven Aushandlung. Wenngleich der Objektivitätsanspruch von Wissenschaft grundsätzlich fragwürdig ist (vgl. bei Weber 1904; Popper 1989), bemühe ich mich als qualitative Sozialforscherin um größtmögliche Neutralität in der Analyse von Rap-Männlichkeiten. Ein hiphop-feministisches, das heißt intersektionales und vorurteilsbewusstes Verstehen-Wollen dieses komplexen und eng mit meiner Biografie verwobenen Zusammenhangs ist jedoch ohne Vorwissen als grundlegender Bedingung von Verstehen nicht möglich (vgl. bei Gadamer 1960; Habermas 1981; Brühl 2017 usw. beziehungsweise Kapitel 3). Mein (Vor-)Wissen wiederum ist eng an mein soziales Geschlecht und meinen (heterosexuellen, weiblichen usw.) Geschlechtskörper geknüpft, dessen Involvierung in den HipHop-Theoretisierungsprozess wohl kaum zu negieren ist. Zwar wird der Berücksichtigung von Emotionen im (deutschen) Wissenschaftsbetrieb nicht minder kritisch begegnet wie dem Schreiben aus der Ich-Perspektive, dennoch ermunterte bereits der Psychoanalytiker Devereux (1973) dazu, ›Störungen‹ im Feld (wie zum Beispiel Ängste) erkenntnisfördernd zu nutzen, den Resonanzen am eigenen Körper nachzuspüren und diese als Verstehensmethodik zu konzipieren (vgl. Breuer 2010: 125). Dass (vergeschlechtlichte) Emotionen von politischer Bedeutung sind, ha-



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ben nicht zuletzt feministische Theoretikerinnen wie Butler oder Ahmed herausgearbeitet. »Whether I perceive something as beneficial or harmful clearly depends upon how I am affected by something. This dependence opens up a gap in the determination of feeling: whether something is beneficial or harmful involves thought and evaluation, at the same time that it is ›felt‹ by the body. The process of attributing an object as being or not being beneficial or harmful, which may become translated into good or bad, clearly involves reading the contact we have with objects in a certain way.« (Ahmed 2014: 6)

Insofern nachgerade jede_r, der/die über HipHop schreibt oder forscht auf irgendeine Art und Weise mit dem Gegenstand resoniert und/oder über szene-sozialisations-bedingte Vorannahmen und Verwobenheiten verfügt, wäre es epistemologisch betrachtet gewinnbringend, diese wissenschaftliche Position als solche anzuerkennen und (theoretisch) weiter auszubuchstabieren. Auch eine stärkere kritische Reflexion der eigenen (meist weißdeutschen, oft männlichen) sozialen Sprecher_innenposition im HipHop-Wissenschaftsdiskurs bleibt im deutschsprachigen Raum bislang weitestgehend aus (Stichwort: Critical Whiteness). Andernorts gibt man sich diesbezüglich weniger bedeckt. So positioniert sich US-HipHop Studies-Pionierin Tricia Rose (1994: xiii) in ihrem Standardwerk als »pro-black, biracial, ex-working-class, New York-based feminist« und »left cultural critic«, der Sprachwissenschaftler Newman (2009) in einem Beitrag als »gay«, während der schwedische Jugend-, HipHop- und Männlichkeitsforscher Berggren (2014: 28) seine bisexuelle Geschlechtsidentität sogar als »helpful in considering hetero- and homosexuality as unstable and accomplished categories« beschreibt. Ich möchte abschließend kurz auf die Kategorien race, class und gender Bezug nehmen, da diese die Spezifik meiner Sprecherinnenposition im Spannungsfeld von HipHop-Szene und HipHop-Forschung maßgeblich mitkonstituieren und der thematischen Akzentuierung auf Männlichkeiten zusätzliche Brisanz innewohnt. Aus einer substantialistischen Perspektive ist HipHop beziehungsweise Rapmusik black cultural expression, eng mit Marginalisierung und Prekarität verbunden, männlich dominiert und urban. Als weißdeutsche, weibliche Akademikerin, sozialisiert in der bayerischen Provinz, befinde ich mich  – soziodemografisch gesehen  – gewissermaßen am anderen Ende der HipHop-Authentizitätsskala (vgl. McLeod 1999) und bin – feldtheoretisch betrachtet  – keine legitime Sprecherin (aus Wissenschaftssicht korreliert die

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›Zugehörigkeit‹ oder Identifikation zu/mit einem Feld freilich nicht mit dessen legitimer Beforschung. Im Gegenteil muss der ›Insider‹ aus ethnografischer Perspektive vielmehr darum bemüht sein eine »artifizielle Einstellungsänderung« vorzunehmen, um das ›Fremde‹ in der ›eigenen‹ Gesellschaft/ Szene erst wieder entdecken zu können, vgl. Honer 2012: 196). Tatsächlich differenziert sich der bereits erwähnte ›Insider-Outsider-Diskurs‹ um ›kulturelle Eindringlinge‹ im HipHop entlang weiterer Identitätskategorien wie race, class, age, gender und sexuality aus, die nach Ansicht vieler Aktivist_innen (und teilweise auch Theoretiker_innen) über die Legitimität und Authentizität der jeweiligen Sprecher_innenposition entscheiden. Aus nordamerikanischer Perspektive expliziert Forman entsprechende Vorbehalte am Beispiel Universität: »In den Augen junger Studierender ist es unvermeidlich, dass ältere ProfessorInnen den Kontakt zu den kulturellen Werten der Jugend verlieren – egal, wie sehr sich die ProfessorInnen auch bemühen oder wie ihre (privaten) Interessen auch gelagert sein mögen. Sie verbringen weniger Zeit in den Clubs, in Tauschbörsen, an der Straßenecke oder an anderen sozialen Plätzen, wo HipHop gelebt wird. Schwarzen ProfessorInnen wird vorgeworfen, dass sie, indem sie eine gute Ausbildung genossen und jetzt ein Mittelklassegehalt verdienen, jegliche bedeutsame Verbindung zur ›Hood‹ verloren haben, falls diese überhaupt jemals bestanden hat. Weißen Professoren wird vorgeworfen, dass ihre Verbindungen zu HipHop nur akademisch sein können  – jetzt und in alle Ewigkeit. Traurigerweise werden Dozentinnen aggressiver als ihre männlichen Kollegen herausgefordert. Teilweise ist dies der Fall, weil Frauen durch die männliche Dominanz im HipHop gemeinhin aus der Kulturpraxis des HipHop ausgeschlossen sind oder weil ihnen vorgeworfen wird, dass sie HipHop nur aus einer radikal feministischen (und daher verzerrten) theoretischen Perspektive betrachten können.« (Forman 2007: 20)

Ob das Ausgeschlossen-Sein aus einer Kulturpraxis wie dem weitestgehend männlich dominierten Feld des Rap per se in eine radikalfeministische Antihaltung oder illegitime Sprecherinnenposition mündet, möchte ich bezweifeln. Im Gegenteil. Wer selbst mitspielt (oder mitspielen muss), kann kaum gleichzeitig beobachten. Wer jedoch am Spielfeldrand sitzt (ob nun freiwillig oder nicht), der ist das Privileg zuteil, dem Spektakel in aller Ruhe beizuwohnen und einen analytischen, von Gewinninteressen ungetrübten Blick zu entwickeln. Über die Rolle der Frauen in den ›ernsten Spielen des (männlichen) Wettbewerbs‹ schreibt Bourdieu: »Die Frauen haben ihrerseits das gänzlich negative Privileg, von den Spielen, bei denen um die Privilegien gestritten wird, nicht getäuscht zu werden und den Großteil der Zeit zumindest nicht unmittelbar, in eigener Person, in sie involviert zu sein. Ja,



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sie vermögen deren Eitelkeit zu durchschauen und, solange sie nicht über andere in sie hineingezogen werden, mit amüsierter Nachsicht die verzweifelten Anstrengungen des ›Kind-Mannes‹, den Mann zu spielen, und die Anfälle von Verzweiflung, in die ihn sein Scheitern stürzt, zu betrachten. Noch so ernsten Spielen gegenüber können sie den distanzierten Standpunkt des Betrachters einnehmen, der das Unwetter vom sicheren Ufer aus beobachtet […].« (Bourdieu 2016: 134)15

15 Ähnliche Überlegungen stellt der Kulturwissenschaftler und Poptheoretiker Diederichsen (2010) übrigens entlang der Kategorien Urbanität/Provinz an, was mit Blick auf HipHop nicht minder passfähig ist (vgl. das Ghetto als einziger Ort, von dem aus authentisches Sprechen möglich ist, Dietrich 2015c). In ›Sexbeat‹ unterscheidet er zwischen Hipstern und Hip-Intellektuellen und typologisiert damit die Protagonist_innen der subkulturellen Landschaft (= Bohemia) der 1970er Jahre. »Die Hip-Intellektuellen sind die Maler, die Hipster das Sujet« (ebd.: 63). Als ›Leserbriefschreiber aus der Provinz‹, sei der Hip-Intellektuelle meist ein Zugezogener der »das Treiben in Bohemia« gewissermaßen aus sicherer Entfernung betrachte, oder aber »hin und wieder zum Zuschauen in die Stadt« käme (ebd.). Ähnlich wie ›provinzielle Sprecher_innen‹ im Bereich HipHop/Rap, so ist der Hip-Intellektuelle in der Hierarchie zwar eher unten angesiedelt, sorge jedoch vermittels Vokabular, Ideologie und Diskursen für den Überbau der Szene, deren Qualität sich letztlich aus einem Mischverhältnis aus Hipstern und HipIntellektuellen ergäbe (ebd.: 65).

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3. Beobachten – Analysieren – VerstehenWollen – Zur Method(ologi)e »Ich bin superproduktiv indem ich verschiedene Dinge verbinde, ich tu dies das, einfach so verschiedene Dinge, läuft bei mir« (Dexter feat. Yassin & Audio88 ›Dies, das‹, 2014)

Der französische Ethnologe Lévi-Strauss prägte den Begriff der ›Bricolage‹ (dt. Bastelei). Ein Konzept, das im Bereich der Cultural Studies sowohl auf den untersuchten Objektbereich und dessen Protagonist_innen (vgl. das Beispiel Mode bei Hebdige 1979), als auch auf das method(olog)ische Vorgehen der Forscher_innen selbst übertragen wurde. »Für ein besonderes Forschungsprojekt werden aus verschiedenen wissenschaftlichen Feldern Theorien und Methoden nach pragmatischen und strategischen Gesichtspunkten ausgewählt, kombiniert und angewendet. Wenn es die Forschungsfrage erfordert, werden auch, aufbauend auf dem Verfügbaren, neue Theorien und Methoden ›gebastelt‹ oder entwickelt.« (Winter 2012: 205)

Mit diesem auf den ersten Blick willkürlich anmutenden Vorgehen erfüllen die Cultural Studies eines der zentralen Kriterien qualitativer Forschung, die weder die eine Methode kennt, noch eine Art obligatorische Kausalbeziehung zwischen Fragestellung und zu verwendender Methodik formuliert. ›Gegenstandsangemessenheit‹ gilt dagegen als wichtiges Credo, das bedeutet, »dass der Gegenstand und die an ihn herangetragene Fragestellung den Bezugspunkt für die Auswahl und Bewertung von Methoden darstellen und nicht […] das [sic!] aus der Forschung ausgeschlossen bleibt, was mit bestimmten Methoden nicht untersucht werden kann« (Flick u. a. 2012: 22f.). Welche Methodenwahl ergibt sich also im Hinblick auf den Gegenstand [Rap-Szene] und die an ihn herangetragene männlichkeitstheoretische Fragestellung? Diese Fragen sind nicht einfach zu beantworten beziehungsweise wird eine eindeutige Beantwortung durch die Interdisziplinarität des Forschungsthemas und den zirkulären Forschungsprozess dieser Arbeit deutlich erschwert. Gemäß dem Prinzip der Offenheit (vgl. ebd.: 23) ergab sich die männlichkeitstheoretische Fragestellung und der Fokus auf Transformationen erst nach und nach, das heißt aus dem Wechselspiel zwischen ethnografischer Beobachtung, Literaturanalyse, Datensammlung, Auswertung usw., wobei vor allem die Beobachtung eines popkulturellen moving targets wie

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Rap ein relativ zeitintensives Unterfangen darstellt. Eine gegenstandsangemessene Beschäftigung mit Rap-Männlichkeit und eine Spurensuche nach Transformationen und Krisenmomenten bedeutet nebst Literaturstudium vor allem eines: online-sein. Damit wurde – eher unbemerkt – nicht nur die Methode der (Online/Offline-)Ethnografie relevant, sondern auch – eher zufällig – das Diskursfragment ›Wie ein Mann – Prachtkerle Remix‹ entdeckt. Ein Forschungsprojekt über deutschsprachige Rap-Männlichkeiten kommt ferner nicht umhin Konzepte, Theorien und Methoden unterschiedlicher wissenschaftlicher und disziplinärer Felder auszuwählen und nach pragmatischen und strategischen Gesichtspunkten zu kombinieren (vgl. Winter 2012: 205), darunter Geschlechter- und Männlichkeitsforschung, Cultural und Postcolonial Studies, Jugend-, Szene- und Migrationsforschung, HipHopForschung oder Sprach- und Literaturwissenschaften. Kurzum: Die Analyse von Transformationsprozessen von Männlichkeit in der deutschsprachigen Rap-Szene ist eine transdisziplinäre, multiple Theoretisierungen und Konzepte aufrufende Fragestellung, deren Bearbeitung geradezu zwangsläufig mit einer Absage an einen Methodengehorsam einhergehen muss. Damit steht das Projekt im Hinblick auf eine zu verwendende Methodik postmodernen Argumentationen nahe, die Bewertungs- und Qualitätskriterien qualitativer Forschung grundsätzlich in Frage stellen: »Die Nichtkompatibilität wird mit der Unmöglichkeit, ein festes Referenzsystem anzugeben, begründet. Diese Annahme leitet sich aus der konsequent sozial-konstruktivistischen Haltung ab, die davon ausgeht, dass nicht unser Wissen über die Welt, sondern diese selbst sozial konstruiert ist. Mit dieser konsequent konstruktivistischen Haltung sei nicht vereinbar, dass es irgendwelche Standards für die Bewertung von Erkenntnisansprüchen gebe«,

so Freikamp (2008: 218; vgl. dazu zusammenfassend auch Steinke 2012: 321).1 ›Wege auf ein Ziel hin‹ (gr. méthodos) hat die vorliegende Arbeit freilich dennoch beschritten und sich dabei insbesondere an ethnografischen 1 Steinke und Freikamp argumentieren hier jeweils in Anlehnung an Richardson (1994) und Shotter (1990). Letzterer argumentiert, »dass die Annahme, die Welt sei sozial konstruiert, nicht mit Standards für die Bewertung von Erkenntnisansprüchen vereinbar ist, da damit die Grundlage des sozialen Konstruktivismus verlassen werde« (Shotter 1990: 69, zit. nach Steinke 2012: 321). Im Hinblick auf die methodologische Bricolage der Cultural Studies argumentiert auch Winter (2012: 212f.), dass die Anwendung (post) positivistischer Kriterien hier wenig sinnvoll sei, da die Cultural Studies konstruktivistisch und kritisch orientiert seien.



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und diskurslinguistischen ›Werkzeugen‹ bedient.2 Den grundlegenden forschungsleitenden Impetus und prinzipiellen Zweck einer jeden Methode bildet jedoch ein ›Verstehen-Wollen‹, weshalb sich nachfolgend zunächst etwas intensiver mit dieser in der Tradition der Hermeneutik stehenden wissenschaftlichen Grundhaltung beschäftigt werden soll.

3.1 Verstehen als wissenschaftliche Methode? »Let me begin by saying that I came to theory because I was hurting – the pain within me was so intense that I could not go on living. I came to theory desperate, wanting to comprehend – to grasp what was happening around and within me. Most importantly, I wanted to make the hurt go away. I saw in theory then a location for healing«, schreibt hooks (1991: 1) in ihrer theory as liberatory practice (siehe Kap. 2.2). Mit den dieser Aussage zugrunde liegenden Polen des Selbstverstehens (›within me‹) und Fremdverstehens (›around me‹) sind bereits wichtige Prämissen einer Phänomenologie des Verstehens benannt, wie sie den erkenntnisleitenden Grundtenor qualitativer Forschung im Allgemeinen bilden. Empirisch sei Selbstverstehen ein Produkt der »Übertragung des Verstehens anderer auf mein Bewusstsein« wie Soeffner (2012: 165) mit Rekurs auf den Symbolischen Interaktionismus erklärt. Als prinzipiell unzweifelhafter Akt sei Selbstverstehen kontinuierlich und vollständig möglich, während Fremdverstehen nur diskontinuierlich und partiell gelingen könne. Der prinzipiell zweifelhafte Akt des Fremdverstehens dagegen geschähe lediglich in »Auffassungsperspektiven« und basiere darüber hinaus auf den eigenen Erlebnissen und Erfahrungen des Anderen. Um Alter Ego vollumfänglich verstehen zu können, müssten sowohl dessen subjektive Motive ausgelegt, als auch der objektive, subjektive und okkasionelle Sinn der Zeichen, durch die sich das Bewusstsein des Alter Egos präsentiert, rekonstruiert werden. Folglich bliebe zu resümieren, dass »Verstehen fremden Sinns nur annäherungsweise gelingen kann« (ebd.: 166) oder, 2 Vgl. das viel zitierte Foucault-Zitat: »Alle meine Bücher […] sind, wenn Sie so wollen, kleine Werkzeugkisten. Wenn die Leute sie aufmachen wollen oder diesen oder jenen Satz, diese oder jene Idee oder Analyse als Schraubenzieher verwenden, um die Machtsysteme kurzuschließen, zu demontieren oder zu sprengen, einschließlich vielleicht derjenigen Machtsysteme, aus denen diese meine Bücher hervorgegangen sind- nun gut, umso besser.« (Foucault 1976: 53)

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wie der Literaturwissenschaftler Jauß (1994: 18) es formuliert, das Verstehen immer einen »Rest des Nicht-Verstehens hinterläßt«. Wenn ich fremden Sinn nur annäherungsweise verstehen kann und Verstehen darüber hinaus eine ständig und von jedem/jeder »praktizierte Alltagsroutine« ist (Soeffner 2012: 167), wie begründe ich dann meine Interpretationen und was ist dann wissenschaftlich am Akt des Verstehens? Wer verstehen will, muss deuten. Dazu muss er/sie in einen Handlungsoder Kommunikationsprozess eindringen. Weil dieser dadurch immer auch verändert wird, konstatiert Habermas (1981: 165), dass der »Verstehensprozeß […] auf ungeklärte Weise mit einem Hervorbringungsprozeß rückgekoppelt« sei. Daraus resultiere die zentrale Frage der Verstehensproblematik, nämlich: »[W]ie läßt sich die Objektivität des Verstehens mit der performativen Einstellung dessen, der an einem Verständigungsprozeß teilnimmt, vereinbaren?« (ebd.). Zur Erörterung dieser und anderer Fragen lohnt ein historisch informierter Blick auf den transdisziplinär geführten Diskurs zur Problematik des Verstehen-Wollens, der gemeinhin unter dem Terminus ›Hermeneutik‹ firmiert.

3.2 Hermeneutik und die Kunst des Verstehen-Wollens Seit der Antike wird der Diskurs zum Verstehen vor allem von hermeneutischen Ansätzen beherrscht (vgl. Rusch 2008: 746), wobei sich der Begriff der Hermeneutik sowohl auf die literarisch-philosophische (Kunst-)Lehre der Textinterpretation, als auch auf die philosophische Theorie des Auslegens und Verstehens bezieht (vgl. Ahrens 2008: 281). Bereits an dieser Stelle beginnt es kompliziert zu werden, sind Bezugnahmen auf das Verstehen – etwa seitens Habermas, Schütz oder Staiger  – nur sehr unscharf einem spezifischen hermeneutischen ›Lager‹, also etwa der ›hermeneutischen Philosophie‹ oder der ›literarischen Hermeneutik‹ zuordenbar. Es sei deshalb bemerkt, dass erstens sämtliche nachfolgenden Ausführungen lediglich einen Exkurs in die Problematik darstellen können und dass sich dies wiederum zweitens, durch eine – wie es scheint intersubjektiv geteilte – grundlegende Erkenntnis des Diskurses zur Hermeneutik begründet. Anders formuliert: Wenn es »[a] llem Verstehen eigentümlich [ist], daß es einen Rest des Nicht-Verstehens hinterläßt«, wie es Jauß (1994: 18) mit Bezug auf Humboldt und Schleiermacher formuliert, so muss dies freilich auch im Hinblick auf das Verste-



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hen-Wollen des Diskurses zum Verstehen-Wollen gelten, datiert dieser doch nicht nur bis in die Antike zurück, sondern wird als travelling concept (vgl. bei Bal 2002) gewissermaßen transdisziplinär und dabei höchst konfliktuös geführt.3 Ahrens (2008: 281), der eine »klare Trennung« zwischen hermeneutischer Philosophie und literarischer Hermeneutik für »wünschenswert« erachtet, definiert die Auslegung von Gesetzen, des humanistischen Textkanons, philosophischer und biblischer Schriften sowie tradierter Kunstformen und gesellschaftlicher Überlieferungen als traditionelle Beschäftigung der ›literarischen Hermeneutik‹. Eine Beschäftigung, die mit den Stoikern in der Antike begann, im Mittelalter verstärkt theoretisiert wurde und in der romantischen Hermeneutik des 18. und 19. Jahrhunderts einem Universalisierungsprozess anheimfiel, im Zuge dessen auch weltliche Literatur Beachtung fand. Auf die literarische Hermeneutik, die stärker auf die Interpretation und Auslegung von Texten abzielt, soll in Abhängigkeit des hier zu untersuchenden resp. verstehenden Rap später erneut eingegangen werden. Zuvörderst sollen einige Ausführungen zu jener Form der Hermeneutik diskutiert werden, wie sie ab dem 20. Jahrhundert verstärkt in den Mittelpunkt rückt und die sich unter der Sammelbezeichnung ›hermeneutische Philosophie‹ vor allem mit der erkenntnistheoretischen Fundierung des Verstehens (weniger dem Verstehen von Texten) beschäftigt (ebd.). Ahrens hebt an dieser Stelle die nicht zu unterschätzende Bedeutung des Martin Heidegger hervor (Sein und Zeit, 1927), der nebst Schüler Gadamer auch die literatur- und kulturwissenschaftlichen Theorien von Derrida, Ricœur oder Habermas beeinflusste. Verstehen definierte Heidegger als »primäre Weise des In-der Welt-Seins«, wobei Texte als Träger von Seinsmöglichkeiten gelten (Ahrens 2008: 282). Die sprachliche Fundierung des Verstehens wurde von Heidegger kritisiert, insofern den Worten innewohnende Wertauslegungen die Wahrheit verunmöglichten.4 Hermeneutik meint nach dieser Lesart »die Analyse der verschiedenen Aspekte der Verstehensprozesse« (ebd.).

3 vgl. beispielhaft eine Abhandlung von Tholen (1999) (Hg.), Erfahrung und Interpretation. Der Streit zwischen Hermeneutik und Dekonstruktion 4 vgl. dazu Heidegger (1959: 179): »Wir sprechen und sprechen von der Sprache. Das, wovon wir sprechen, die Sprache, ist uns stets schon voraus. Wir sprechen ihr ständig nur nach. So hängen wir fortwährend hinter dem zurück, was wir zuvor zu uns eingeholt haben müßten, um davon zu sprechen. Demnach bleiben wir, von der Sprache sprechend, in ein immerfort unzureichendes Sprechen verstrickt. Diese Verstrickung sperrt uns gegen das ab, was ich dem Denken kundgeben soll.«

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Geht der Neologismus ›Hermeneutik‹ auf Dannhauer zurück,5 so prägte Gadamer (Wahrheit und Methode, 1960) schließlich den Begriff der ›philosophischen Hermeneutik‹ (vgl. Brühl 2017: 92). Für Gadamer sind Interpretation und Wahrheit nur subjektiv zu denken, weil sie bezogen auf die Welterfahrung des Einzelnen auch nur für diesen gültig sind. Verstehen wird folglich als »›Verschmelzung der Horizonte‹ von Text und Leser« definiert (Ahrens 2008: 282). Wichtig ist an dieser Stelle der Begriff des Vorwissens, das als ›hermeneutischer Zirkel‹ bereits seit Heidegger im Hermeneutik-Diskurs Verwendung findet und das »Verhältnis des Ganzen und seiner Teile als Strukturmerkmal jeden Verstehens« und zwar unabhängig einer Textbezogenheit, konzipiert (ebd.). Ohne Vorwissen sei demnach kein Verstehen möglich, oder wie Brühl (2017: 111) zur ›Bedeutung des Vorwissens‹ definiert: »Wenn davon ausgegangen wird, dass, um zu verstehen, Interpretationshypothesen aufgestellt, verifiziert oder falsifiziert werden, dann lässt sich weiterhin annehmen, dass ohne Vorwissen das Aufstellen von Interpretationshypothesen nicht möglich ist.« Gadamer, der diesbezüglich auch den Begriff des ›Vorurteils‹ oder ›Vorverständnisses‹ verwendet, erhebt dieses gar zur ersten aller hermeneutischen Bedingungen (vgl. ›Rehabilitierung des Vorurteils‹ bei Tholen 1999: 109). »Erst das Scheitern des Versuchs, das Gesagte als wahr gelten zu lassen, führt zu dem Bestreben, den Text als die Meinung eines anderen – psychologisch oder historisch – ›zu verstehen‹. Das Vorurteil der Vollkommenheit enthält also nicht nur dies Formale, daß ein Text seine Meinung vollkommen aussprechen soll, sondern auch, daß das, was er sagt, die Wahrheit ist. Auch hier bewährt sich, daß Verstehen primär heißt: sich in der Sache verstehen, und erst sekundär: die Meinung des anderen als solche abheben und verstehen. Die erste aller hermeneutischen Bedingungen bleibt somit das Vorverständnis, das dem Zu-tun-haben mit der gleichen Sache entspringt«. (Gadamer 1960: 278)

Das Vorwissen wird zwar als grundlegende Verstehensbedingung vorausgesetzt und sei »wesenhaft nicht hintergehbar«, es müsse sich aber dennoch als solches bewusst gemacht und etwa versucht werden, sich jedwedem Text mit Offenheit zu nähern (zum Beispiel ›hermeneutisches Gespräch‹, vgl. bei Ahrens 2008: 283, vgl. auch Tholen 1999: 124ff.). Erst nach einer Horizontverschmelzung von Text und Leser_in sei sodann eine kritisch-objektivierende Betrachtung möglich, wobei die dem vorauszugehende (historische) Horizonterschließung als prinzipiell nicht einlösbar erkannt wird. Der Be 5 Hermeneutica sacra sive methodus exponendarum sacrum litterarum (Dannhauer 1654)



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griff der Horizontverschmelzung weist dabei eine temporale Komponente auf.6 So fördere der historische Abstand zwischen Werk und Leser_in etwa neue Verstehensmöglichkeiten zutage, während Vorurteile des ›alten‹ Verstehenszusammenhangs zerstört werden könnten (ebd.). Habermas kritisiert das Verstehensmodell Gadamers als »einseitig«. Seiner Meinung nach bliebe der Philosoph dabei der »Erfahrung des Philologen verhaftet, der mit klassischen Texten umgeht« (Habermas 1981: 193).7 Die Annahme, das im Text verkörperte Wissen sei dem des/der Interpret_in grundsätzlich überlegen, widerspräche einer anthropologischen Perspektivierung, die der/dem Interpret_in gegenüber einer Überlieferung keinesfalls stets eine unterlegende Position einräume: »In einem solchen kontrafaktischen zeitenüberwindenden Verständigungsvorgang müßte sich der Autor aus seinem zeitgenössischen Horizont in ähnlicher Weise lösen, wie wir als Interpreten, indem wir uns auf seinen Text einlassen, unseren eigenen Horizont erweitern« (ebd.). Die »eigentlich theoretische[n] Aufgabe« der Interpretation läge stattdessen darin »der Dezentrierung des Weltverständnisses zu folgen und zu begreifen, wie sich auf diesem Wege die Prozesse des Lernens und des Verlernens verschränkt haben« (ebd.: 194). Um nicht in »schieren Relativismus« zu verfallen, bedürfe es zudem einer systematischen Geschichte der Rationalität. Für Habermas hat der/die Interpret_in die Rolle eines/einer ›virtuellen Teilnehmer_in‹ inne, der/die die Bedeutung einer Sprechhandlung deshalb versteht, weil kommunikative Akte in den Kontext verständigungsorientierten Handelns eingebettet sind. Es gelte, die Bedingungen der Gültigkeit einer verständigungsorientierten Sprechhandlung zu kennen, weshalb sich der semantische Gehalt einer Äußerung nicht unabhängig eines Handlungskontextes erschließen könne (ebd.: 168f.).8 Von einem objektivierenden Beob 6 Die Geschichtlichkeit allen Verstehens ist ohnehin ein wichtiges Merkmal von Gadamers Hermeneutik. Vgl. dazu Tholen (1999: 122): »Jeder Historiker und Philologe, der denkt, den Sinn des Textes zu rekonstruieren, indem er versucht, die Meinung des Autors zu dechiffrieren, überspringt den geschichtlichen Abstand, der zwischen ihm und dem Text liegt. Wer jedoch den Sinn des Textes hermeneutisch versteht, rechnet mit der grundsätzlichen Unabschließbarkeit des Sinnhorizontes. Denn es liegt ja gerade im Geschehenscharakter des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins, daß das Verstehen selbst geschichtlich ist, und das impliziert, daß nach uns andere immer anders verstehen«. 7 Zur ›Philologischen Interpretation‹ vgl. auch Hiebel (2017: 48ff.), der den Begriff auf den Literaturwissenschaftler Ter-Nedden zurückführt und sich intensiv mit dessen Unterscheidung zwischen Interpretation und Rezeption auseinandersetzt. 8 Habermas’ Ansatz konfligiert hier womöglich im Hinblick auf unterschiedliche zugrunde liegende Textbegriffe mit jenem Gadamers’, unterscheidet letzterer doch zwischen verständigungsorientierten, lesbaren Texten einerseits und Texten der Literatur (›emi-

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achter_innenstatus aus, blieben interne Sinnzusammenhänge unzugänglich. Die Lebenswelten von Autor_in und Zeitgenoss_innen seien »systematisch mit der eigenen Lebenswelt in Beziehung zu setzen« (ebd.: 194). 3.2.1 Lebenswelt und sozialwissenschaftliche Hermeneutik Mit dem Begriff der ›Lebenswelt‹ und dem hermeneutischen Diskursstrang, der vor allem das Verstehen von Handlungen in den Blick nimmt, lässt sich eine Brücke zur sozialwissenschaftlichen Hermeneutik schlagen (vgl. Brühl 2017: 99). Auch unter dem Begriff der ›hermeneutischen Wissenssoziologie‹ geführt, gehört die sozialwissenschaftliche Hermeneutik zum Wissenschaftsprogramm der verstehenden Soziologie, die in den Arbeiten von Weber als solche beschrieben und ausgearbeitet wird (vgl. Reichertz 2012: 519; auch Brühl 2017: 104). Für Weber (1922: 1) ist Soziologie »eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursachlich erklären will«. Dazu gelte es den ›subjektiv gemeinten Sinn‹ herauszuarbeiten, den die Handelnden mit ihrem Handeln verbinden. Mit Rekurs auf Husserl hat sich vor allem Schütz mit Webers Auffassung einer verstehenden Soziologie auseinandergesetzt. Für Schütz findet der Akt des Verstehens »in einer Selbstauslegung des Deutenden auf der Basis seines biographisch bestimmten Wissensvorrats und ausgerichtet an seinem situativen Relevanzsystem« statt (Hitzler/ Eberle 2012: 113). Sinndeutungen variieren demnach in Abhängigkeit von Zeitpunkt, biografiespezifischem Wissensvorrat und dem situativen Interesse an der Auslegung und können stets nur Näherungswerte sein. Für Schütz kann der/die Interpret_in durch einen Wechsel der Relevanzsysteme (zum Beispiel Subsystem Wissenschaft) eine theoretische Einstellung einnehmen und somit zu einem/einer ›uninteressierten Beobachter_in‹ werden, wodurch die lebensweltliche Perspektive neutralisiert werden könne (vgl. Schütz 1971: 45f.). Mit dem ›Postulat der subjektiven Interpretation‹ und dem ›Postulat der Adäquanz‹ werden sodann handlungsleitende Prämissen formuliert, die helfen sollen, die wissenschaftlichen Konstruktionen an die Konstruktionen der Alltagshandelnden rückführbar zu machen (vgl. nente Texte‹) andererseits. »Erst diese sind die eigentlichen Texte, da sie ihr Textsein, das heißt ihre ästhetische Form zum Thema haben. Sie sind gegenüber anderen, nicht-literarischen Formen des Geschriebenen ausgezeichnet, weil sie eben nicht im Ausgesagten verschwinden, sondern allem Verstehen gegenüber mit normativem Anspruch dastehen.« (Tholen 1999: 126)



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Hitzler/Eberle 2012: 113). Verstehen bleibt dabei auch insofern keine ›Privatangelegenheit‹ des/der Forschenden, als dass es »zumindest in dem Maß überprüfbar [ist], in dem die privaten Sinneswahrnehmungen eines Individuums durch andere Individuen unter bestimmten Bedingungen kontrolliert werden können« (Schütz 1971: 64f.). Damit ist ein bedeutender Aspekt und ein zentrales Problem sozialwissenschaftlichen Verstehens berührt, das in der Vorinterpretiertheit der Daten besteht. So liegt der Unterschied zwischen wissenschaftlichem und alltäglichem Verstehen weniger im Akt des Verstehens selbst, sondern er besteht vielmehr darin, dass der/die wissenschaftliche Interpret_in Konstruktionen ›zweiter Ordnung‹ entwirft, die als »kontrollierte, methodisch überprüfte und überprüfbare, verstehende Rekonstruktionen der Konstruktionen ›erster Ordnung‹« definierbar sind (Soeffner 2012: 167). Auf der grundlegenden epistemologischen Annahme des Konstruktivismus basierend, wird davon ausgegangen, dass es sich bei den zu untersuchenden Daten stets um bereits vorinterpretierte Daten handelt. Die Konstruktionen des/der Sozialwissenschaftler_in sind also als Konstruktionen von Konstruktionen zu begreifen, denn »[de]r Sozialwissenschaftler trifft symbolisch vorstrukturierte Gegenstände an; sie verkörpern Strukturen desjenigen vortheoretischen Wissens, mit dessen Hilfe sprach- und handlungsfähige Subjekte diese Gegenstände erzeugt haben« (Habermas 1981: 159).9 Der/die Forschende deutet Wahrnehmungen und Handlungen anderer also »als Verweise auf einen ihnen zugrunde liegenden Sinn hin« (Soeffner 2012: 167) und versucht dabei, sich Klarheit über die Voraussetzungen und Methoden dieses Verstehensprozesses zu verschaffen. Dadurch unterscheidet sich der Verstehensprozess des/ der Sozialwissenschaftler_in von jenem des ›Alltagsmenschen‹ und Verstehen wird zu einer wissenschaftlichen Methode. Reichertz/Hitzler/Schröer (1999: 9) sprechen in diesem Zusammenhang von der »Differenz zwischen der Deutung der Akte einerseits und den Akten der Deutung und ihren spezifischen Ausformungen und Arbeitsweisen andererseits« und weiter:

9 Gildemeister (2012: 222) weist darauf hin, dass sich das Problem der ›doppelten Hermeneutik‹ (Giddens) ganz besonders für die Frauen- und Geschlechterforschung ergäbe: »Einerseits werde der Objektbereich selbst durch die gesellschaftlich Handelnden konstituiert, und die Sozialwissenschaften rekonstruieren und reinterpretieren deren Bedeutungsrahmen mit den eigenen Theoriekonzepten. Andererseits gebe es ein fortwährendes ›Abrutschen‹ der in der Soziologie geschaffenen Begriffe in die Sprache jener, deren Handeln und Verhalten mit ebenjenen Begriffen ›eigentlich‹ analysiert werden sollte.«

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»Wer über die Akte der Deutung nichts weiß und sich über ihre Prämissen und Ablaufstrukturen keine Rechenschaftspflicht auferlegt, interpretiert auf der Grundlage impliziter alltäglicher Deutungsroutinen und Plausibilitätskriterien. Das heißt er interpretiert – im Hinblick auf wissenschaftliche Überprüfungspflicht – einfältig. […] Erst von einem ›Verstehen des Verstehens‹ aus lassen sich demgemäß systematisch Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen alltäglichem und wissenschaftlichem Verstehen aufweisen.« (Reichertz u. a. 1999: 10f.)

Die Probleme sozialwissenschaftlichen Verstehens ergeben sich also zum einen aus der Vorinterpretiertheit der Daten (»keine ›nackten Tatsachen‹«, Soeffner 2012: 171), zum anderen aus der Tatsache, dass die zu untersuchende Konstruktion erster Ordnung eine bereits abgeschlossene Handlung darstellt, die der/die Forschende freilich nicht »kongenial nachvollziehen« kann, sondern stattdessen bemüht ist »›rekonstruktiv-hermeneutisch‹ Möglichkeitsmodelle der Handlungsabläufe und der Handelnden« zu entwerfen (ebd.: 168). Für das Verstehen von Handlungen, die als ›sozial‹, das heißt als auf das Handeln anderer Akteur_innen bezogen verstanden werden, gilt es sprachliche Äußerungen heranzuziehen, die aufgezeichnet beziehungsweise als Text ›fixiert‹ werden müssen. Sozialwissenschaftliche Hermeneutik ist damit letztlich eine Text- und Sprachwissenschaft, da sie sich mit der Analyse von Sprache auf das wichtigste gesellschaftliche Symbolsystem stützt (vgl. bei Brühl 2017: 105). Der Text wird als geschriebener und fixierter Diskurs verstanden, der bereits vollzogene und damit nicht revidierbare Handlungen von Akteur_innen dokumentiert (ebd.).10 Das auf der Basis von Texten stattfindende, sozialwissenschaftliche Verstehen erfolgt nun weniger durch den Rückgriff auf Alltagswissen, sondern vielmehr durch das Zugreifen auf einen gewissen Vorrat an »professionellem Sonderwissen« (Soeffner 2012: 168.). Daraus leitet sich die ›prekäre Lage‹ der wissenssoziologischen Hermeneutik ab, die in der Auseinandersetzung mit dem ›konstruktivistischen Charakter‹ von Beobachtung und Interpretation begründet liegt, insofern sich Konstruktionen ›zweiter Deutung‹ strukturell ja nicht von Konstruktionen ›erster Ordnung‹ unterscheiden (vgl. Reichertz 2012: 521). Auch für Habermas (1981: 159f.) gewinnt die Verstehensproblematik in den Geistes- und Sozialwissenschaften vor allem deshalb methodologische Bedeutung, »weil 10 Im Medium der Schrift liegt auch für Schleiermacher die Lösung für das hermeneutische Anfangsproblem. Nur die verschriftlichte Form einer gesprochenen Rede ermögliche eine wiederholte Lektüre »des Anfangs vom Ende her«. Gleichzeitig ermöglicht die Verschriftlichung eine »allgemeine Übersicht«, um das Ganze besser in den Blick nehmen zu können (Polaschegg 2007: 93).



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der Wissenschaftler zur symbolisch vorstrukturierten Wirklichkeit über Beobachtung allein keinen Zutritt erhält und weil Sinnverstehen methodisch nicht in ähnlicher Weise unter Kontrolle zu bringen ist wie die Beobachtung im Experiment«. Gleichwohl über keinen grundsätzlich anderen Zugang zur Lebenswelt verfügend wie der/die sozialwissenschaftliche Laie/Laiin, so ist die Zugehörigkeit zu dieser dennoch Voraussetzung für deren Beschreibung, oder mit den Worten Habermas‹: »Um sie zu beschreiben, muß er sie verstehen können; um sie zu verstehen, muß er grundsätzlich an ihrer Erzeugung teilnehmen können; und Teilnahme setzt Zugehörigkeit voraus« (ebd.: 160). Zugang zur Lebenswelt erhält ein Subjekt nach Habermas grundsätzlich nur durch den Gebrauch seiner Sprach- und Handlungskompetenz, wobei Sprechen und Handeln für Habermas »nicht dasselbe sind« und weiter: »Die unmittelbar Beteiligten verfolgen in der kommunikativen Alltagspraxis Handlungsabsichten; die Teilnahme am kooperativen Deutungsprozeß dient der Herstellung eines Konsenses, auf dessen Grundlage sie ihre Handlungspläne koordinieren und ihre jeweiligen Absichten realisieren können. Handlungsabsichten dieser Art verfolgt der sozialwissenschaftliche Interpret nicht. Er beteiligt sich am Prozeß der Verständigung um des Verstehens und nicht um eines Zweckes willen, für den das zielgerichtete Handeln des Interpreten mit dem zielgerichteten Handeln der unmittelbar Beteiligten koordiniert werden müßte. Das Handlungssystem, in dem sich der Sozialwissenschaftler als Aktor bewegt, liegt auf einer anderen Ebene; es ist in der Regel ein Segment des Wissenschaftssystems, deckt sich jedenfalls nicht mit dem beobachteten Handlungssystem. An diesem nimmt der Sozialwissenschaftler gleichsam unter Abzug seiner Aktoreigenschaften teil, indem er sich als Sprecher und Hörer ausschließlich auf den Prozeß der Verständigung konzentriert.« (Habermas 1981: 167)

Habermas’ ›Handlungssystem‹ erinnert an dieser Stelle an Schütz’ ›Relevanzsystem‹ und die Rolle des/der Forscher_in als ›uninteressierter Beobachter_ in‹, eine Perspektive, die Habermas jedoch als unbefriedigend zurückweist. Denn wenn eine theoretische Einstellung allein durch den Wechsel in das ›Relevanzsystem Wissenschaft‹ zustande käme, so müsse geklärt werden, welche methodologische Rolle dieser speziellen Wertorientierung zukäme. Die »Bedingungen der Objektivität des Verstehens« seien vielmehr »in den allgemeinen Strukturen der Verständigungsprozesse« zu suchen, auf die der/die Forschende sich einlasse (ebd.: 179). Anstatt sich also an einen »extramundanen Ort« außerhalb dieses kommunikativen Zusammenhangs zu flüchten, gelte es sich in Kenntnis dieser Bedingungen der Implikationen der eigenen Teilnahme reflexiv zu vergewissern.

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3.2.2 Beispiele für literarisches Interpretieren In Anbetracht der zu interpretierenden und verstehenden Texte des Rap als »einflussreichster Lyrikform der Gegenwart« (Wolbring 2015: 11) und auch angesichts der Infragestellung der Sinnhaftigkeit methodischer Korsettierung, soll an dieser Stelle eine Brücke zu einem anderen hermeneutischen ›Lager‹, nämlich der ›literarischen Hermeneutik‹ geschlagen werden. Für den Literaturwissenschaftler Schutte gelten die Thesen Habermas’, für den kommunikative Handlungen stets einer rationalen Deutung bedürfen, ebenso für literarisches Interpretieren, »weil sowohl die Produktion als auch die Rezeption (literarischer) Texte kommunikative Handlungen sind« (Schutte 2005: 31). Dennoch gelte es mit Blick auf die literarische Hermeneutik aufgrund der Eigenart literarischer Texte, sowie hinsichtlich des Charakters sinnverstehender Tätigkeit zu differenzieren. Die Auslegung literarischer Werke sei als »historisch und sozial variabel« zu verstehen, da ein literarisches Werk unterschiedliche Lesarten mit demselben Anspruch auf Gültigkeit zulasse (ebd.). Schutte bezeichnet den unaufhebbaren Unterschied zwischen der Intention eines produzierenden Subjekts und dem Verständnis eines rezipierenden Subjekts als »hermeneutische[n] Differenz« (ebd.: 32). Diese Differenz könne zwar unterschiedlich groß sein, verschwinde jedoch in keinem Fall gänzlich. Nun gibt es verschiedene interpretative Herangehensweisen an literarische Werke, die die Konzepte des/der Autor_in, des Textes, sowie des/der Rezipient_in oder Leser_in sehr unterschiedlich innerhalb der hermeneutischen Matrix verorten, was wiederum mit der jeweiligen disziplinären und/ oder erkenntnistheoretischen Perspektivierung zusammenhängt. Als »erkenntnistheoretischen Rückschritt« bezeichnet Ahrens (2008: 283) die literarische Hermeneutik von Hirsch, der in Rekurs auf Schleiermacher und Dilthey die Notwendigkeit der Annäherung an die Originalbedeutung eines Textes akzentuiert. Die Erfassung der ursprünglichen Bedeutung eines Textes (meaning) sei demnach objektiv möglich, wobei die Absicht des/der Autor_in als zentraler und einzig gültiger Maßstab der Erkenntnis gelten müsse. Nicht die privaten Gedanken eines/einer Autor_in seien dabei erschließbar, sondern vielmehr der Textsinn und »die im Text manifeste Intention« (Hiebel 2017: 126). Während meaning als textinhärent und konstant aufzufassen sei, variiere die Bedeutung (significance) für den/die Leser_in in Abhängigkeit von Auslegungsperspektive und -interesse (vgl. bei Zapf 2008: 287). Während Hirsch für Zapf damit eine »objektivierende, deskriptivwertfrei verfahrende Literaturwissenschaft« präferiere und eine »traditionellhermeneutische Position« bezöge (ebd.), verortet ihn Hiebel (2017: 123) im



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Spektrum der sog. »Intentionalisten«.11 Einen Anspruch auf Gültigkeit im Sinne einer Richtigkeit der Interpretation formuliert Hirsch dabei nur bedingt. Stattdessen müsse »Wahrscheinlichkeit« als Kriterium der »Geltungsprüfung« (explizit nicht der »Verifizierung«) gelten (ebd.: 148). Würden bei der Interpretation Haupt- und Subhypothesen aufgestellt, so gelte es letztlich durch das Abwägen des (textimmanenten und äußerlichen) Beweismaterials ein Wahrscheinlichkeitsurteil zu fällen, das bestimmte Hypothesen stütze oder eben widerlege. Wenn Hirsch eine im Text manifeste Intention zu finden trachtet und diese überdies bei dem/der Autor_in verortet, so ist Ahrens (2008: 283) zuzustimmen, wenn er den US-amerikanischen Literaturkritiker mit poststrukturalistischen und dekonstruktivistischen Ansätzen in Konflikt sieht, zielt die Dekonstruktion – etwa eines Derrida – doch gerade darauf ab »die Sinneinheit von Texten zu bestreiten« (Tholen 1999: 180). Von Schutte (2005: 22f.) im Bereich strukturalistischer Ansätze beziehungsweise der Linguistischen Poetik verortet, ist im Hinblick auf die Interpretation literarischer Texte nebst Derrida, beispielhaft vor allem auch auf den Semiologen und Literaturtheoretiker Barthes zu verweisen.12 Steht für Hirsch der/die Autor_in im Zentrum hermeneutischer Interpretation, so wird diese Position aus einer poststrukturalistischen Perspektive, die das Subjekt als in der Sprache gefangenes und ihr damit unterworfenes Zeichenprodukt neudefiniert, fragwürdig. Unter dem Schlagwort ›Tod des Autors‹ firmieren verschiedene autorkritische Ansätze, die jedoch insbesondere auf Barthes (1974) und dessen Studie S/Z zurückgehen, die sich mit Balzacs Novelle Sarrasine (1831) beschäftigt. Die Abkehr vom Subjektbegriff, als welche sich der von Barthes propagierte ›Tod des Autors‹ darstellt, sei als direkte Folge des Intertextualitätsmodells zu verstehen, »das die Vorstellung eines aus sich selbst heraus schöpfenden Subjekts, als das der Autor im traditionellen Verständnis gedacht werden muß, hinfällig macht« (Brune 2003: 146). An die Stelle des/der Autor_in tritt sodann die Schrift. Der/die Autor_in dagegen wird zum ›scriptor‹, der/die zeitgleich mit seinem/ihrem Schreiben geboren wird, das wiederum als »reine Zitations- und Kompilationstechnik innerhalb des Intertextes als texte générale zu verstehen ist« (ebd.). Literarisches Schreiben findet demnach also in einem multidimensionalen intertextuellen Raum, einem Netz aus Zitaten und Zeichen als »Neuarrangement vorgefundener Prätexte« statt und kann deshalb »weder Origi 11 Zur literarischen Hermeneutik von Hirsch vgl. ausführlich bei Hiebel (2017: 123-151). 12 Zur Dekonstruktion Derridas und deren Gegenüberstellung mit der Hermeneutik Gadamers vgl. ausführlich bei Tholen (1999).

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nalität noch Authentizität für sich beanspruchen« (ebd.). Als entschlüsselnde Instanz gewinnt sodann der/die Leser_in an Bedeutung, der/die zur Träger_in der Bedeutungskonstitution wird; weshalb der ›Tod des Autors‹ zumeist im Zusammenhang mit der ›Geburt des Lesers‹ genannt wird. Gleichwohl Barthes aus Sicht von Schutte (2005: 22f.) nicht im Bereich der ›Rezeptionsästhetik‹ zu verorten ist, so gilt der ›Tod des Autors‹ doch als »Geburtsstunde des Rezipienten« und entstand zeitgleich mit der sich Ende der 1960er Jahre in Deutschland entwickelnden ›Rezeptionsästhetik‹ (vgl. Antor 2008: 719). Wie interpretiert nun aber Barthes und welche Techniken finden dabei – etwa in S/Z – Verwendung? Als (Post)Strukturalist geht es ihm grundsätzlich nicht darum eine ›Interpretation‹ (und damit einen Anspruch auf Wahrheit) zu erarbeiten, sondern vielmehr darum eine »Strukturierung« vorzuschlagen, so Hiebel (2017: 191).13 Barthes (1974: 5) selbst formuliert: »To interpret a text is not to give it a (more or less justified, more or less free) meaning, but on the contrary to appreciate what plural constitutes it«. Barthes, der sich als Autor des Textes bereits zu Beginn ausstreicht, strukturiert Balzacs Poetik in fünf Kategorien, die er ›Codes‹ nennt und die gewissermaßen das Strukturalistische an diesem Verfahren ausmachen (das Barthes in Anlehnung an Nietzsche ›Auslegung‹ nennt, vgl. bei Brune 2003: 151). Weiterhin unterteilt er das Werk in 561 Leseeinheiten (›Lexien‹), die einzelne Worte oder ganze Sätze umfassen und wiederum unter dem Aspekt der Codes analysiert werden, die als »Zufahrtsstraßen des Sinns« dem Lektüreprozess eine potenzielle Ausrichtung geben (Brune 2003: 155). Mit der Segmentierung in ›Lexien‹ sollen Textelemente aus ihrem Kontext gelöst werden, wodurch sich eine »polyphone Perspektive« öffne, die den Text zum Echoraum unterschiedlichster Stimmen mache und eine produktive Lektüre ermögliche (ebd.: 154). Die Lexien werden mehreren Codes zugeordnet, so dass eine Art ›Hyper-Text‹ entsteht und sich verschiedene analytische Stränge auf verschiedenen Ebenen parallel entfalten können. Die Grenzen zwischen den Codes sind dabei nicht nur fließend, sondern die zugeordneten Elemente auch unterschiedlich reversibel: »The five codes mentioned, frequently heard simultaneously, in fact endow the text with a kind of plural quality (the text is actually polyphonic), but of the fixe codes, only three establish pennutable, reversible connections, outside the constraint of time (the semic, cultural, and symbolic codes); the other two impose their terms 13 Hiebel (2017: 191) zufolge bezieht sich Barthes auf Nietzsches Interpretations-Begriff, der gültige, wahre Interpretationen ebenso ablehnt und ›Interpretation‹ als ›subjektives Zurechtmachen‹ versteht.



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according to an irreversible order (the hermeneutic and proairetic codes)«. (Barthes 1974: 30)

Der/die Leser_in wird grundsätzlich als »Verkörperung der Codes« angesehen, so dass die Lektüre nur durch diese/n komplettiert werden kann. Weder Text noch Leser_in haben dabei Anspruch auf Originalität, sondern entstehen als »intertextuelle Konstrukte« erst »über das Zusammenspiel verschiedener Text-Spuren« (Brune 2003: 152). Trotz Struktur (Codes) gibt es für Barthes also unzählige Zugänge zu Sarrasine, was das poststrukturalistische Moment an dem Vorgehen markiert. Ungeachtet der über den Text zerstreuten Elemente gibt es für Barthes – so Hiebel (2017: 192) – dennoch eine Art Kernerzählung in Sarrasine, die den symbolischen Code beherrscht: Der Erzählkern, die ›Kastration‹ und die Antithese, die différence von maskulin und feminin werde dabei einerseits strukturalistisch behandelt, andererseits »im Sinn einer ›dissémination‹ – poststrukturalistisch aufgesplittert« und weiter: »Jedenfalls umgeht Barthes jede ›Interpretation‹ mit Wahrheitsanspruch, aber es kommt zu keiner ›Abdrift‹, da die – freilich mit Unmengen von Assoziationen ausgestattete – Lektüre sich streng an die Abfolge der ›Lexien‹ hält und diese nach Maßgabe der fünf Codes aufdröselt. Strukturalismus und Poststrukturalismus halten sich die Waage«. (Hiebel 2017: 192)14

Dem interpretativen Vorgehen Barthes liegt also ein poststrukturalistischer Textbegriff zugrunde, der diesen nach dem Modell Schuttes (2005: 22) als »transistorische[n] Schnittpunkt von Bedeutungen« versteht. Als (Post) Strukturalist interessiert er sich zwar für die Machart des Textes (›Wie ist der Text gemacht?‹, ebd.), geht bei der Interpretation jedoch über den Text hinaus. Die »Bedeutungsverästelung« (ebd.: 23) und »intertextuelle Offenheit« des Textes stehen im Mittelpunkt des Verfahrens, ebenso wie die Dekonstruktion vermeintlich feststehender Bedeutungen. Als einer solchen Auffassung und Vorgehensweise geradezu diametral gegenüberstehend, lässt sich ein Erkenntnisinteresse und dementsprechendes Vorgehen formulieren, das die Autonomie des Sprachkunstwerks betont und »das allersubjektivste Gefühl« zur Basis wissenschaftlichen Arbeitens und literarischen Interpretierens erhebt (Schutte 2005: 23; vgl. auch Greif 2008). Als prominentester Vertreter einer ›werkimmanenten Interpretation‹ gilt

14 vgl. an dieser Stelle auch eine Formulierung von Tholen (1999: 188) über die »methodische Zweideutigkeit von Hermeneutik und Dekonstruktion« die letztlich als »methodisch-antimethodisch« bezeichnet werden könnten.

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Emil Staiger, der seine interpretative Methode15 in der Studie Die Kunst der Interpretation (1955) am Beispiel von Mörikes Gedicht ›Auf eine Lampe‹ expliziert. Weniger zirkulär oder einer gewissen Zeitlichkeit folgend, vollzieht sich das Verstehen für Staiger bei der ersten »Begegnung« mit dem Kunstwerk, die bereits vor dessen Lektüre einsetzt und den/die Interpret_in mit einem gewissen ›Geist‹ beseelt. Das Vorgehen seiner Interpretation ist dabei, wie das nachfolgende Zitat verdeutlicht, von einer Entzeitlichung und Entlinearisierung des sprachlichen Kunstwerks gekennzeichnet: »Was nehmen wir denn bei der ersten Begegnung mit Dichtungen wahr? Es ist noch nicht der volle Gehalt, den erst ein gründliches Lesen erschließt. Es sind auch nicht nur Einzelheiten, obwohl sich Einzelnes sicher schon einprägt. Es ist ein Geist, der das Ganze beseelt und – wie wir deutlich fühlen […] – sich rein in den einzelnen Zügen bewährt. ›Rhythmus‹ nenne ich dieses Gefühl […]. Fühlt sich unser Herz vom Rhythmus eines Gedichts berührt, […] so nehmen wir schon im Ganzen seine eigentümliche Schönheit wahr. Diese Wahrnehmung abzuklären zu einer mitteilbaren Erkenntnis und sie im Einzelnen nachzuweisen, ist die Aufgabe der Interpretation.« (Staiger 1955: 13, zit. nach Polaschegg 2007: 94)

Der Ausdruck ›Gefühl‹ galt vielen Kritiker_innen (zum Beispiel Heidegger) in diesem Zusammenhang als irrational,16 kann aber positiv formuliert als »(freilich verunklärende) Mischung aus gedanklichen und emotionalen Komponenten beim ersten Eindruck einer Rezeption (in interpretierender Absicht)« verstanden werden (Hiebel 2017: 97). Analog zu Schleiermachers ›Übersicht‹ ist für Staiger also das ›Gefühl‹ bei der ersten Begegnung mit dem Text und damit im hermeneutischen Tun zentral: »In der Vorerkenntnis des ersten Gefühls und in dem Nachweis, daß es stimmt, erfüllt sich der hermeneutische Zirkel der Interpretation.« (Staiger 1955: 18, zit. nach Polaschegg 2007: 94) Zwar kritisiert Hiebel (2017: 95) die Kritik an der werkimmanenten Interpretation als »überholt« oder »vergänglich«, will sie jedoch »trotz ihrer Beschränktheit – als unumgängliche, unüberspringbare erste Annäherung an einen literarischen Text […]« gelten lassen: »Die ›werkimmanente Methode‹ ist keine ›Methode‹, keine Methode neben anderen Methoden. Sie ist und soll sein: ›methodisch‹. 15 Auch für Staiger gibt es keine Methoden der Interpretation, sondern lediglich ein methodisches Vorgehen, oder methodisches Interpretieren, so Hiebel (2017: 95). 16 In dem bekannt gewordenen Briefwechsel von Heidegger und Staiger zum Gedicht von Mörike, entgegnet ersterer dem ›Gefühl‹ mit dem ironischen Konter eines ominösen ›Vorgefühls‹. Heidegger schreibt: »Ihr Vorgefühl findet die Stimmung der Wehmut im Gedicht Mörikes. Ich folge Ihrem Vorgefühl. Doch die Frage bleibt: was wird von der Wehmut be-stimmt?« (Staiger 1955: 47, zit. nach Polaschegg 2007: 94)



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Sie ist zumindest der unhintergehbare und unvermeidliche erste Schritt einer Interpretation. Sie sucht Bedeutungen der intratextuellen Metaphorik, der inneren Verweise, der inneren Sinnkomplexe zu klären« (ebd.: 99). Wendet sich Staiger mit seinem Ansatz gerade gegen eine Literaturwissenschaft, die sich zu sehr an Geschichtsschreibung oder Psychologie angenähert hat (vgl. Greif 2008: 674), so stellt Hiebel am Beispiel Staigers den Wert der Bedeutung der Immanenz heraus, sei sie es doch, auf die jede sozial-, geistes- oder philosophiegeschichtliche, sowie jede psychologische Interpretation zunächst aufbauen müsse (Hiebel 2017: 99). Schließlich argumentieren sowohl Hiebel als auch Polaschegg in ihrer Auseinandersetzung mit Staigers Kunst der Interpretation, dass hermeneutisches Vorgehen hier durchaus abseits der Werkimmanenz zu denken ist, etwa wenn Staiger bestimmte Termini aus Mörikes Gedicht (zum Beispiel ›Kunstgebild‹) mit Verweis auf andere Autoren (Goethe, Schiller) interpretiert (vgl. Hiebel 2017: 94). Anstatt einer Argumentation vertrete er dabei – laut Polaschegg (2007: 97) – eine »Technik der Zitation«. Zur Interpretation von Mörikes ›Auf eine Lampe‹ ziehe Staiger sowohl Sätze und Verse aus anderen Gedichten Mörikes, als auch solche anderer Dichter (zum Beispiel Hölderlin) heran, »um mit ihnen epochen- und stilgeschichtliche Analogien oder Differenzen zu Mörikes Auf eine Lampe augenscheinlich werden zu lassen« (ebd.). Für Greif wollte Staiger gerade durch die Würdigung dieser historischen Zusammenhänge jenen Einwänden entgegentreten, die in seiner Werkästhetik eine Enthistorisierung und Verwillkürlichung von Dichtung und Literatur sahen (vgl. Greif 2008: 674). 3.2.3 Rap(texte) verstehen wollen und Interpretieren als Kunst Es sollte nicht verwundern, wenn sich angesichts der Unschärfe der verschiedensten ›Verfahren‹ und deren erkenntnistheoretischen Ineinandergreifen, recht viele Prämissen für das Verstehen und interpretative Durchdringen von Rap(texten) ableiten lassen. Ganz sicher etwa bedarf es einer werkimmanenten Erstbeschau, eines Überblicks über den Text, der sich schon deshalb besonders anbietet, weil es sich bei einem Raptext wie dem ›Prachtkerle-Remix‹ um Literatur ›auf einen Blick‹ handelt. Ein Verweilen beim Einzelvers, einem Strophenübergang und ein »optisches Vor- und Zurückspringen im Schriftbild« (Polaschegg 2007: 108) erlauben hier also eine beliebig wiederholbare, schnelle Lektüre, die im Sinne eines close reading erforderlich ist, um sodann in einem zweiten Schritt, erste theoriegeleitete Rückbindungen vornehmen zu können.

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Dabei offenbart bereits das close reading eines Raptextes dessen intertextuelle sowie interpersonale Dimensionen, denen auch Staiger auf der Spur ist, wenn er Termini Mörikes in Bezug zu den Termini anderer Dichter setzt und zum besseren Verständnis von Mörikes Gedicht ›Auf eine Lampe‹ andere Verse desselben, sowie anderer Dichter (zum Beispiel Hölderlin) heranzieht »um mit ihnen epochen- und stilgeschichtliche Analogien oder Differenzen zu Mörikes ›Auf eine Lampe‹ augenscheinlich werden zu lassen« (ebd.: 97). »Wurd’ zum Dealer, dabei war ich nie ein Drogenlieferant« rappt MoTrip im ›Prachtkerle-Remix‹ (2016). Diese auf den ersten Blick widersprüchliche Zeile ist nur unter Hinzunahme anderer Tracks desselben Rappers zu verstehen. ›Wie ein Dealer‹ aus dem Jahr 2015 nämlich behandelt eben gerade nicht den allzu gerne mit migrantischen Rap-Männlichkeiten assoziierten Drogen- und Devianz-Topos. ›Gedealt‹ wird darin stattdessen mit MoTrips eigentlichem (sub)kulturellem Kapital, nämlich mit ›Lines‹ und ›Flows‹, das heißt also Rap-Fähigkeiten (zum Flow vgl. bei Wolbring 2015: 286ff.). »HipHop schafft in seinen Tracks ein intertextuelles Referenzsystem, das permanent auf den kulturellen Kontext und die eigenen Praktiken verweist« formuliert Mikos (2003: 73). Als »selbstreferentielles und selbstreflexives Universum« (ebd.) stellen Raps somit immer auch eine Textsortenreferenz dar, da sie auf Stile wie Funk oder Soul und damit Musikepochengeschichtliches verweisen. Ein »›Hinausgehen‹ aus der ›Immanenz‹« (Hiebel 2017: 98) bedeutet im Fall der Interpretation eines Raptextes in methodischer Hinsicht nicht zwangsläufig eine Abkehr von immanenten Interpretationsweisen, »da man das von außen Herangebrachte ja am Text als dem Parameter der Interpretation misst«. Auch wenn die im ›Prachtkerle-Remix‹ wiederkehrende Diamanten-Metapher also als kulturelle Referenz auf RapUS-Superstar Jay-Z dechiffriert und entsprechend verstanden werden kann, so kehrt man nach dieser ›Verstehensleistung‹ dennoch vom »Draußen zum Drinnen zurück« (ebd.) um die Bedeutung der Metapher im Zusammenhang mit Rap-Männlichkeit einer weiteren Interpretation zuzuführen (wofür man freilich erneut aus der Immanenz, nämlich in die Männlichkeitsliteratur ›hinausgehen‹ muss). Letztlich nämlich entscheidet der Text  – so auch Hiebel – ob das an ihn herangetragene Vorwissen dessen Immanenz erhellt oder nicht. Ein Plädoyer für eine werkimmanente Interpretation kann an dieser Stelle allerdings ebenso wenig formuliert werden, ist einem Raptext doch sowohl aus einer poststrukturalistischen als auch Cultural Studies informierten Perspektive jeglicher Anspruch auf Originalität, Authentizität oder gar Eindeutigkeit abzusprechen. Als popkultureller, global zirkulieren-



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der, literarischer Text mit verweisender Funktion, realisiert sich die Bedeutung des Textsinns im Bereich HipHop/Rap stets in Abhängigkeit verschiedenster Kontexte, oder wie Mikos formuliert: »Da in verschiedenen lebensweltlichen, sozialen und kulturellen Kontexten aber auch verschiedene Bedeutungen und Formen des Vergnügens zirkulieren, können populärkulturelle Produkte beziehungsweise Texte in verschiedenen Kontexten auch verschiedene Bedeutungen erlangen. Erst der Kontext, in dem die Realisation steht, strukturiert und thematisiert ihren Sinn für den sozialen Aufbau der Wirklichkeit und der Welt. Die Erfahrungen der Menschen in der sozialen Welt strukturieren die Aneignung der Populärkultur.« (Mikos 2000: 105)

Raptexte sind also – ebenso wie andere im Diskursuniversum Rap prozessierende Diskursfragmente – ›vorinterpretierte Daten‹. Als kulturindustrielle Produkte mögen sie zwar eine gewisse Form der Aneignung oder auch eine bestimmte Lesart vorstrukturieren (vgl. dazu bei Wetzstein u. a. 2000), diese ist jedoch nicht ohne Bezug auf »[d]ie Erfahrungen der Menschen in der sozialen Welt«, das heißt ohne Berücksichtigung der jeweiligen Lebenswelt der (sprach)handelnden Autor_innen verstehbar (Mikos 2000: 105). »An meine Haare lass ich keine Frauen ran, wie ein Mann« rappt Sinan G. im ›Prachtkerle-Remix‹, eine Zeile, die ohne das Wissen um Sinan G.s iranische Migrationsgeschichte oder die symbolische Bedeutung von Marginalisierung und race im HipHop/Rap-Kontext sicher einiger wichtiger Verstehensdimensionen beraubt würde. Wie ist das Verstehen-Wollen von Männlichkeitskonstruktionen im Rap nun innerhalb der komplexen hermeneutischen Verstehensmatrix einzuordnen, wenn Fremdverstehen prinzipiell unmöglich und Texte grundsätzlich polysem sind? Hinterlässt letztlich auch das Verstehen-Wollen von Rap-Männlichkeiten einen »Rest des Nicht-Verstehens« (Jauß 1994: 18)? Die Antwort ist: ja. Zwar zielt die Interpretation des doing rap masculinity durchaus auf das Finden intersubjektiver Bedeutungen von (Sprach-)Handlungen ab, einem pragmatischen und gleichsam konstruktivistischen Wahrheitsanspruch folgend, meint ›intersubjektiv‹ dabei jedoch weder ›allgemein gültig‹ noch ›wahr‹. Wenn überhaupt kann es nur um jene Bedeutung gehen »welche durch eine (sprachliche) Handlung innerhalb einer bestimmten Interaktionsgemeinschaft erzeugt wird« (Reichertz 2012: 522). Wenn diese Arbeit auf das Verstehen-Wollen der Texte männlicher Rapper im Kontext von Wandel und Transformation zielt, so geht es letztlich um die Frage: »Wie steht der Text in den dominanten Diskursen seiner Zeit?«, die sich mit Schutte (2005: 22) als primäres Erkenntnisinteresse einer dis-

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kursanalytisch akzentuierten Hermeneutik verstehen lässt (vgl. Kap. 3.4) – eine Methode, die freilich ebenso wenig vollgültige Wahrheiten zu liefern im Stande ist, kann der Wahrheitsgehalt von Äußerungen doch seinerseits lediglich »auf das in den Diskursen vorhandene Wissen bezogen werden« (Jäger 2008: 379). Womöglich besteht die ›Kunst des Interpretierens‹ – wie es Bude (2012) in einem gleichnamigen Beitrag formuliert – letztendlich in der denktheoretischen Einsicht über die Unvollständigkeit von Begründungen, denn: »Wissenschaft kann der Originalität des Unbekannten ebenso wenig habhaft werden wie der Paradoxien der Selbstbegründung. Es gehört daher zur Kunst der Wissenschaft, Zufälle zu nutzen und Unentscheidbarkeiten ertragen zu können. Wer sich von der Wissenschaft nur die Sicherheit von Methoden und die Gewissheit von Begründungen erwartet, bringt sich von vornherein um den Reiz der Forschung, der da beginnt, wo man mit Methodengehorsam und Begründungsidealität nicht mehr weiterkommt.« (Bude 2012: 571)

Gerade in der »Nichtmethodisierbarkeit einer forscherischen Haltung« käme demnach der Moment der Kunst in die Wissenschaft (ebd.). Das Auffinden der einen gültigen Deutung wird auch in dieser Arbeit zugunsten einer Anerkennung der Vielfalt möglicher miteinander konkurrierender, sich gar widersprechender Lesarten verworfen, denen auch im Sinne eines literaturwissenschaftlichen Methodenpluralismus »ein gleiches Maß an Berechtigung« zugestanden werden muss (Wenzel 2008: 576). Die Erforschung von Rap-Männlichkeiten wird dabei sehr wohl kritisch (etwa intersektional, postkolonial usw.), jedoch insgesamt als ›Entdeckungszusammenhang‹ perspektiviert, dessen Analyse weniger universell gültige Ergebnisse, als vielmehr »kontextualistische Erklärungen [hervorbringt] die von befristeter Gültigkeit, lokaler Anwendbarkeit und von perspektivischer Relevanz sind« (Bude 2012: 576).

3.3 Ethnografie Die Ethnografie der deutschsprachigen Rap-Szene ist als soziologische Ethnografie zu klassifizieren, findet sie doch weniger in einer ›fremden‹ als vielmehr innerhalb der ›eigenen‹ Kultur und Gesellschaft statt. An dieser Stelle ist an das bereits erörtere Problem der Konstruktionen ›zweiter Ordnung‹ zu erinnern, ist doch auch die ›eigene‹ Kultur als Konstruktionsleistung zu betrachten beziehungsweise wird doch der Forschungsgegenstand Rap-Sze-



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ne durch seine Beforschung gewissermaßen erst als solcher hervorgebracht. Aufgrund des biografisch bedingten Vorwissens, das heißt der eigene SzeneSozialisation, ging es anfangs weniger um eine Felderschließung im klassischen Sinne oder um ein Vertrautmachen mit den Relevanzstrukturen der im Feld Handelnden, als vielmehr um das Erlangen einer »artifizielle[n] Einstellungsänderung« (Honer 2012: 196) um das Fremde im Vertrauten wiederentdecken zu können. Diese prinzipiell unlösbare Aufgabe bedeutet gleichsam nicht, interpretativ wertvolle Vorkenntnisse zu negieren oder gar zu vergessen, sondern vielmehr deren »Relativität zu erkennen und interpretativ zu berücksichtigen« (ebd.). Während die primäre Phase der Felderschließung quasi übersprungen wurde, blieb die sekundäre Felderschließung aufgrund der Zirkularität des Forschungsprozesses, der vielen unterschiedlichen (digitalen) Diskurssphären, innerhalb deren die Szene sich tagtäglich kommunikativ als solche erzeugt (vgl. dazu Androutsopoulos 2003b, 2009) und der Diffusität der Szenegrenzen (»›wolkige‹ Formationen«, Hitzler/Niederbacher 2010: 183) ein die Forschung bis zuletzt begleitender Prozess. 3.3.1 Ethnografische Praxis im digitalen Raum und andere Komplexitäten Die Frage der Art und Weise des Feldzugangs bedarf im Hinblick auf die gegenwärtige deutschsprachige Rap-Szene einiger Reflexion. Zwar verfügt die Szene über typische Treffpunkte, an denen sich die Kultur der Szene manifestiert und reproduziert (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010: 19) jedoch haben sich diese im Kontext von Medialisierung und Digitalisierung nicht nur hochgradig ausdifferenziert, sondern auch größtenteils in den digitalen Raum verlagert. Gleichwohl diesbezüglich sicherlich regionalspezifisch17 und mentalitätsgeschichtlich18 differenziert werden muss, so sind es gegen 17 Damit ist gemeint, dass einem Jugendzentrum oder einer Bushaltestelle im ländlichen Raum eine andere vergemeinschaftende Bedeutung zukommen kann als im urbanen Raum. Gleichzeitig verfügen Szenegänger_innen im urbanen Raum sicherlich über mehr Möglichkeiten, physische Treffpunkte wie Konzerte oder Autogrammstunden aufzusuchen. Die Verlagerung der Diskurse in den digitalen Raum mag wiederum insbesondere auf Szenegänger_innen aus der Provinz inkludierend wirken, können diese doch nun vom heimischen Schreibtisch aus aktiv am Szenegeschehen teilnehmen usw. 18 Damit ist die jeweilige Mentalität bzw. ideologische Einstellung resp. Lesart des HipHop gemeint, die nicht selten mit dem Alter des/der jeweiligen Szenegänger_in korreliert. So mögen sich Menschen, die sich einem traditionellen HipHop-Verständnis verschreiben, durchaus auch heute noch auf Jams zusammenfinden, um dort möglichst

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wärtig kaum noch Jams,19 Plattenläden oder Jugendzentren an denen RapSzenegänger_innen zusammenkommen, wie es Peters (Hitzler/Niederbacher 2010: 88), Menrath (2003: 87) oder (Klein/Friedrich 2003a: 44ff.) vor über zehn Jahren und mit Blick auf die (damalige) HipHop-Szene beschreiben. Stattdessen findet ein »Großteil szenischer Vergemeinschaftung […] mittlerweile […] virtuell – im Netz« statt (Dietrich 2016: 14). So gesehen könnte man die aktuelle Rap-Szene auch als eine Art virtuelle Community bezeichnen, womit gemeinhin »Gruppenbildungen im Internet« gemeint sind »die zum Zwecke der Kommunikation, des Spielens und/oder der Kollaboration entstehen und demzufolge auch ethnografisch untersucht werden können« (Marotzki 2003: 153). Für die ethnografische Beobachtung der digitalisierten Rap-Szene gilt es also eine zeitgemäße Modifikation ›klassischer‹ Ethnografie hin zu digitalen Formen anzustellen, die unter dem Schlagwort Online-Ethnografie (vgl. zum Beispiel Marotzki 2003), Online/Offline-Ethnografie oder auch virtuelle Ethnografie diskutiert werden. Der Cyberspace beziehungsweise das Internet ist zwar ein (relativ neuer) Kulturraum mit je eigenen Strukturen, Relevanzen und Kommunikationsmaximen, jedoch ist er – auch und gerade im Fall der Rap-Szene – nicht unabhängig »von den realen Lebenssituationen, Biografien und Körpern der Nutzer/innen« zu verstehen (Greschke 2007: 11). Im Gegenteil »sind sowohl die Gestaltung des Cyberspace als auch seine sinnhafte Auslegung unvermeidlich mit der physischen, lebensweltlichen Situation der Einzelnen verknüpft, so wie auch die virtuellen Aktivitäten in deren Alltag hineinwirken« (ebd.). Die Frage der ethnografischen Beobachtung der quasi-virtuellen RapSzene tangiert des Weiteren die Frage nach dem gemeinsamen Thema der Szene, auf das sich die Interessen und Aktivitäten der Szenegänger_innen zum gegenwärtigen Zeitpunkt eigentlich ausrichten (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010: 16). Nimmt man Rapmusik als zentrales Thema der Szene an, so findet die gemeinsame Orientierung an diesem Oberthema nicht nur entlang unterschiedlich gelagerter (zum Beispiel stilistischer) Interessen und Aktivitätsgrade oder vermittels unterschiedlicher Medien (Youtube, iPod, Poviele ›Elemente‹ des HipHop zu praktizieren oder Praktizierenden dabei zuzusehen. HipHop-Millenials dagegen präferieren möglicherweise ein Online-Forum oder die Plattform Youtube, um sich mit anderen per Kommentarfunktion über HipHop/Rap auszutauschen usw. 19 Die sog. Jams waren die HipHop-Veranstaltungen der 1980er und 1990er Jahre und vereinten meist alle ›Elemente‹ des HipHop. Ausführlichere Eindrücke von der ›Jam-Kultur‹ siehe zum Beispiel bei Verlan/Loh (2015: 329ff.).



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dcasts …), sondern vor allem auch aus diversen sozialen Diskurspositionen heraus, statt. Wer also die aktuelle deutschsprachige Rap-Szene beobachten will und dabei eine zunächst grob männlichkeitstheoretische Fragestellung an sie richtet, der/die wird mit dem bloßen Hören von Rapmusik lediglich einen Bruchteil jenes subjektiv gemeinten Sinns herausarbeiten können, den die in ihr (Sprach-)Handelnden Männlichkeiten mit ihrem (Sprach-)Handeln verbinden. Abgesehen davon birgt bereits die Entscheidung ›relevante‹ aktuelle Rapmusik hören zu wollen erste Komplexitäten, etwa die Frage vermittels welchen Mediums (Notebook, Smartphone, …) oder Anbieters (Spotify, Youtube …). Von der nicht minder kräftezehrenden Aufgabe des Bemühens um Geschmacksneutralität erst gar nicht zu sprechen. Spätestens bei der letztlich zufällig getroffenen Wahl der zu rezipierenden Musik beginnt ethnographische wissenschaftliche Praxis zu einer künstlerischen zu werden, gilt es angesichts der Komplexität der Felderschließung doch Zufälle zu nutzen und Unentscheidbarkeiten zu ertragen (vgl. Bude 2012: 571) und sich letzten Endes schlichtweg affektgeleitet dem Material hinzugeben (vgl. auch Lüders 2012: 394f.). Im Hinblick auf die forschungsleitende Akzentuierung der männlichkeitstheoretischen Fragestellung hin zu Wandel und Transformation sind zudem weitere forschungspragmatische Fragen im Rahmen ethnografischer Beobachtung zu stellen, zum Beispiel: Ist es überhaupt ausreichend ›lediglich‹ die neuesten Meldungen und Musikveröffentlichungen zu rezipieren? Oder gilt es sich nebenbei weiteres historisches Wissen anzueignen, tiefer zu ›diggen‹ (um im Szenejargon zu sprechen), da sich Transformationen ja relational nur im Verhältnis zu Gewesenem definieren können? Schließlich gilt es auch die ›sekundäre Diskurssphäre‹ (vgl. Androutsopoulos 2003b: 122ff.), das heißt Kommentare, Rezensionen oder Interviews des (weitestgehend männlichen) Szene-Journalismus im Blick zu behalten, wobei sich auch hier die Frage stellt welchem und wie vielen HipHop-Szenemedien man in welchem Turnus sein ›Vertrauen‹ schenkt (rap. de, hiphop.de, 16bars  …?). Neben dutzenden Podcasts, Kurzfilmen und Dokumentationen, die etwa die Plattform Youtube zum Thema bereithält, posten und kommentieren heutzutage zudem nicht mehr nur Rap-Fans (vgl. ›Fan-Kommunikation‹ bei Androutsopoulos 2003b: 126ff.), sondern vor allem Rapper_innen selbst (Stichwort: Online-Selbstvermarktung, vgl. Dietrich 2016: 20). Damit werden weitere Plattformen (Soziale Medien …) und Diskursfragmente relevant, die wiederum nicht losgelöst von »den realen Lebenssituationen, Biografien und Körpern« (Greschke 2007:

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11) von Rapper_innen und Rap-Fans gleichermaßen gedacht werden können, weswegen der ein oder andere klassische Konzert- oder Festivalbesuch der ethnografischen Rap-Forschung sicherlich ebenso wenig schadet, wie die Beobachtung gewisser Körperhaltungen und Sprechweisen junger Männer in Berlin-Kreuzberg usw. Es lässt sich an dieser Stelle also festhalten, dass es sich bei der (sekundären) Felderschließung der gegenwärtigen deutschsprachigen Rap-Szene um ein komplexes und vor allen Dingen zeitintensives Unterfangen handelt, das überdies nicht immer Ergebnis einer bewusst getroffenen Entscheidung ist. Dass die kaum zu überblickende Menge und Komplexität der Stile, Regeln und Prozesse einer Musikszene den Forschungsalltag alles andere als unterkomplex gestaltet, bemerken auch die Jugendsoziologen Lorig/Vogelmann, denen man nur zustimmen kann wenn sie am Beispiel der ›Hardcore-Szene‹ feststellen: »Bei den Recherchen in den Off- wie Online-Communities wähnt man sich als Jugendsoziologe immer häufiger in der Rolle jenes Gehetzten, den uns Ludwig Bechstein in seinem Märchen vom Hasen und Igel so meisterhaft vor Augen stellt: ›Ick bin allda,‹ rufen die gestandenen jugendlichen Szenegänger, und die hinterherhinkende Forschergemeinde kann nur lapidar feststellen: ›Wir nicht!‹« (Lorig/Vogelmann 2011: 370)

Als omnipräsentes Popkulturphänomen ist Rap gegenwärtig nichts, was man »aus dem Untergrund ›herausethnographieren‹« müsste, schreibt Dietrich (2016: 9) zurecht über den ›Rap im 21. Jahrhundert‹. Tatsächlich besteht die ethnografische Schwierigkeit im Fall des Rap aktuell eher weniger darin einen ›Weg ins Feld‹ zu finden als vielmehr einen Weg heraus. 3.3.2 (Teilnehmend) Beobachten und lurken Fragen des Feldzugangs tangieren schließlich weitere Aspekte, die im Rahmen ethnografischer Forschung relevant sind, etwa die Überlegung, ob man sich einem zu untersuchenden Feld offen oder verdeckt nähert (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 56ff.). Anders als ein Swingerclub, ein Anglerverein oder die an der Grenze zur Legalität agierende Hooligan-Szene ist die ›wolkige‹ und größtenteils virtuelle, kommunikative Formation der Rap-Szene ein offener Ort, den im Prinzip jede_r zu jedem beliebigen Zeitpunkt betreten und – zum Beispiel mit dem Zuklappen des Notebooks – auch wieder verlassen kann. Da demnach keine verdeckte Forschung stattfinden muss oder



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kann, ist die Frage nach einem ›Outing‹ als Forscher_in – etwa aus ethischen Gründen – hinfällig. Insofern auf die Erhebung von Interviewmaterial verzichtet, Szenegänger_innen oder Rapper_innen also nicht zu einer Art Mitwirkung oder Mitarbeit bewegt werden sollten, konnten zudem einige weitere Probleme ethnographischer Forschung umgangen werden, zum Beispiel die Kommunikation mit und/oder der Beziehungsaufbau zu Schlüsselinformant_innen, Gatekeeper_innen oder anderen möglichen ›Forschungsverhinder_innen‹ (vgl. Wolff 2012: 336ff.). Zwar materialisierte sich die ethnographische Praxis in allerlei Feldnotizen und Gedächtnisprotokollen, die bei der Rezeption von Interviews und Musikvideos, oder nach dem Besuch von Konzerten angefertigt wurden. Auf eine Auswertung im Sinne einer Analyse dieser Notizen, wie es im Falle von Feldprotokollen üblich ist, wurde jedoch verzichtet. Stattdessen stand vor allem die Praxis des Beobachtens selbst im Mittelpunkt, die in diesem Fall – anders als die ›teilnehmende Beobachtung‹ – im Prinzip keine direkte physische ›Intervention‹ in das Forschungsfeld impliziert (vgl. Mikos 2005: 315). »Die sozialwissenschaftliche Forscher/innen, deren Feld sich über das Internet konstituiert, müssen sich – so scheint es auf den ersten Blick – über den Feldzugang keine Sorgen machen. Ohne ihren Schreibtisch zu verlassen, tun sie nichts weiter, als den Browser ihres Computers zu starten, und schon können sie bequem von ihrem Lehnstuhl aus fremde Welten erkunden«,

schreibt Greschke (2007: 9), die diesbezüglich auf den Begriff des lurkens20 zu sprechen kommt und die Trennung zwischen teilnehmender und nichtteilnehmender Beobachtung im Fall der Online/Offline-Ethnografie zurecht kritisiert: »In der virtuellen Ethnografie wird teilnehmende von nicht-teilnehmender Beobachtung unterschieden. Diese Unterscheidung erscheint mir ebenso problematisch wie die Entscheidung für oder gegen nur eine dieser Formen der Beobachtung. Ethnografische Forschung hat das Ziel, soziale Formationen aus der Perspektive der Akteur/innen selbst zu verstehen. Da das Lurken eine etablierte soziale Praktik in öffentlich zugänglichen internetbasierten Kontexten ist, erlaubt die nicht-teilnehmende Beobachtung Zugang zu den Dimensionen des computervermittelten sozialen Lebens, die sich einem Lurker eröffnen, und die in gewisser Weise auch an ihn adressiert sind. Das heißt, lurken ist eine Praktik des Feldes selbst, die deshalb 20 Der Duden definiert lurken als schwaches Verb mit der Bedeutung: »Artikel, Nachrichten (zum Beispiel einer Onlinekonferenz) empfangen und lesen, ohne sich an der Diskussion zu beteiligen«. Duden, 11.11.2020, https://www.duden.de/rechtschreibung/ lurken

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auch von den Forschenden praktiziert werden kann. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob überhaupt von nicht-teilnehmender Beobachtung gesprochen werden kann, wenn die Rolle des anonymen Beobachtens im Feld vorgesehen ist.« (Greschke 2007: 16)

Zwar galt HipHop/Rap lange Zeit als »Kultur der Produzenten« (vgl. Klein/ Friedrich 2003a: 10), im Zuge der Digitalisierung sind die Grenzen zwischen Rap-Produzierenden und -Rezipierenden jedoch sukzessive verwischt (vgl. den Begriff des ›Prosumers‹), während Rap(musik) im Kontext rapider Kommerzialisierung längst zum Massenphänomen geworden ist. Nicht-Teilnehmende Beobachtung oder ›lurken‹ ist damit auch im Rap eine feldimmanente Praxis. Wann eine Beobachtung zu einer ›teilnehmenden Beobachtung‹ wird und wie dieses Verfahren konkret vonstattengehen soll, darüber ist sich die Forschung offenkundig uneins. Tatsächlich ist ethnografische Forschung nicht nur methodenoffen, sondern folgt keinem konkret definierten und exakt zu durchlaufenden Forschungsprozesses oder things to do. Im Zentrum ethnografischer Neugierde stünde dagegen »die Frage, wie die jeweiligen Wirklichkeiten praktisch ›erzeugt‹ werden; es geht ihr also um die situativ eingesetzten Mittel zur Konstitution sozialer Phänomene aus der teilnehmenden Perspektive« wie Lüders (2012: 390) formuliert. Für Mikos (2005: 315) wird nicht die Beobachtung selbst, sondern erst eine ›teilnehmende Beobachtung‹ zu einer Intervention. Bei Hitzler/Gothe (2015: 10) gilt die teilnehmende Beobachtung dagegen als »das ethnographische Basisverhalten schlechthin« und dient vor allem dazu »Sinneseindrücke zu gewinnen, Erfahrungen zu machen und Phänomene zu registrieren« und weiter: »Teilnehmende Beobachtung lässt sich folglich generell als eine Beobachtungsform beschreiben, bei der die Art des Beobachtens nicht von vornherein festgelegt ist und bei der Teilnahme deshalb und insoweit stattfindet, als sie notwendig ist, um Beobachtungen überhaupt durchführen zu können. Fokussiert werden Beobachtungen idealerweise theoriebildungsgeleitet während des Forschungsprozesses  – und zwar tendenziell zunehmend. Das heißt, dass die Beobachtungen im Verlauf des Forschungsprozesses wie in einem Trichter zusammengeführt und präzisiert und im Weiteren dann auch systematisiert werden.« (Hitzler/Gothe 2015: 10f.)

In Anlehnung an Honer formuliert das Autor_innenpaar das Verfahren der ›beobachtenden Teilnahme‹ aus, das den/die lebensweltanalytisch arbeitende_n Ethnograf_in im Besonderen auszeichne und in einem intensiven Hineingehen ins Feld »bis hinein in sprachliche und habituelle Besonderheiten« beste-



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he (ebd.: 11). Tatsächlich ist sich letzterem im konkreten Fall aufgrund eigener habitueller Verwobenheiten eher zu entziehen als hinzugeben, kann es doch im Fall der kritischen Analyse deutschsprachiger Rap-Männlichkeiten bedingt Ziel sein, »zu versuchen, den Menschen, mit denen man dann symptomatischer Weise zu tun hat, möglichst ähnlich zu werden« (ebd.). Die besondere ethnografische Herausforderung liegt stattdessen vielmehr in der steten Reflexion der eigenen Rolle im Feld (vgl. bei Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 58ff.) und dem vorurteilsbewussten Changieren zwischen Nähe und Distanz mit dem Ziel der Erkenntnisoptimierung (vgl. Hitzler/Honer 2015: 11). (Teilnehmendes) Beobachten wird in dieser Arbeit in erster Linie als ergänzendes und insbesondere exploratives Erhebungsverfahren verstanden (vgl. Lüders 2012: 388). Anstatt einem genauen Forschungsprogramm zu folgen, wurden die vermittels Beobachtung gewonnenen Erkenntnisse sukzessive »wie in einem Trichter zusammengeführt« (Hitzler/Gothe 2015: 11), wobei – eher unbemerkt – verschiedene Phasen durchlaufen wurden. Mit einer lediglich groben Fragestellung [Gibt es Transformationen/Wandel?] wurde das Feld in einer deskriptiven Phase zunächst sondiert und in seiner (digitalen) Komplexität erfasst, was vor allem der Präzisierung der Forschungsfrage diente. Durch eine fokussierte Beobachtung gelangten sodann einige »besonders wichtige[n] Aktionen, Prozesse und Interaktionen in den Blick« (Mikos 2005: 316), etwa der kommerzielle Erfolg weiblicher Rapperinnen, Podcasts zum Thema ›Sexismus im Rap‹ etc. Schließlich galt es im Rahmen einer selektiven Beobachtung weitere Beispiele und Belege für die in der zweiten Phase gefundenen Abläufe oder Ereignisse zu finden (ebd.: 316f.). In diesem Zusammenhang wurde sich beispielsweise verstärkt mit Musik, Interviews und anderem Material der an dem hier untersuchten ›Prachtkerle-Remix‹ beteiligten Rapper auseinandergesetzt usw. Analytisch ›ausgewertet‹ beziehungsweise sich einem Verstehen angenähert wurde sich den ausgewählten Diskursfragmenten, insbesondere dem ›Prachtkerle-Remix‹ sodann mittels diskursanalytischer Verfahren.

3.4 Diskurslinguistik »Im Anschluss an die klassische Hermeneutik wird Linguistik als eine verstehende, etwas erkennende und dieses Erkannte anderen erklärende Wissenschaft erläutert. Dieses auf jeglichen linguistischen Gegenstand (Wörter, Gespräche, Reden, Texte) bezogene

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Programm wird mit ›Diskurshermeneutik‹ auf Diskurse ausgeweitet. Als konstitutiv für die Diskurshermeneutik kann die Methode des Arbeitens angesehen werden, die Hermanns (2007) als Reflektion dessen, was DiskurslinguistInnen in ihrer Praxis immer schon tun, darstellt: von der Definition des Themas über die Zusammenstellung des Korpus und das ›verstehende‹ Lesen der Texte unter bestimmten Aspekten bis hin zum schreibenden Erklären der gewonnenen Erkenntnisse.« (Wengeler 2014: 110)

Das einleitende Zitat soll Diskurslinguistik als hermeneutisches Verfahren konzipieren. Wie mit Rekurs auf Schutte (2005: 22) bereits erwähnt, eignen sich die Werkzeuge der Diskursanalyse besonders im Hinblick auf ein Erkenntnisinteresse, das sich für die Position des Textes in den »dominanten Diskursen seiner Zeit« interessiert. Wie also stehen die in dieser Arbeit diskutierten Diskursfragmente und der näher untersuchte ›Prachtkerle Remix‹ in den dominanten Diskursen ihrer Zeit und inwiefern eignet sich ein diskurslinguistischer Ansatz, um diese und angrenzende Fragen zu erhellen? Sprache und sprachlich-kommunikatives Handeln werden in dieser Arbeit als grundlegende Instrumente der Herstellung sozialer Wirklichkeit angenommen. In Anbetracht der männlichkeitstheoretischen Fragestellung lässt sich das Forschungsprojekt deshalb im Bereich der Genderlinguistik verorten (vgl. Spieß 2016), die einen nichtessentialisierten Geschlechterbegriff voraussetzt und davon ausgeht, dass Geschlecht beziehungsweise Männlichkeit durch Diskurse in ihren verschiedenen Dimensionen und dadurch auch als Subjektivierungsweise erzeugt wird (vgl. auch bei Spieß u. a. 2012). ›Männlichkeit‹ repräsentiert demnach nicht etwa einen bestimmten Typus Mann, sondern »a way that men position themselves through discursive practices« wie die Männlichkeitssoziolog_innen Connell/Messerschmidt (2005: 841) formulieren. Die hier zugrunde liegende (situative, kontextuelle, plurale, kulturell bedingte etc.) Konzeptualisierung von Männlichkeit entspricht einem grundlegenden Konsens innerhalb der linguistischen Erforschung von Männlichkeit, hat sich hier doch ein Forschungsparadigma durchgesetzt, das Männlichkeit multifaktoriell in den Blick nimmt und die Herstellung von Männlichkeit überdies auch von Bedingungen nicht-sprachlicher Art abhängig sieht (vgl. Spieß 2016: 130). Die ungleichheitssensible Akzentuierung und die Kontextualisierung von Männlichkeit unter den Vorzeichen eines strukturellen Wandels, lassen ferner eine Verortung der Arbeit im Bereich der Kritischen Diskursanalyse zu. Spieß (2012: 55), die die verschiedenen Ansätze der Diskurslinguistik in zwei Hauptrichtungen mit eigenen Zielsetzungen unterteilt, sieht das Ansinnen kritischer Arbeiten vor allem im Bereich der Ideologiekritik und der Veränderung von



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Machtverhältnissen, weshalb sich festhalten ließe, dass kritische Diskursanalyse »ihren kritischen Impetus zugleich als explizit formulierte, politische Aufgabe versteht«. Tatsächlich ist das Verfolgen politischer Ziele beziehungsweise vor allem eine moralisch-ethische Bewertung von Sachverhalten (ebd.: 54) nur bedingt mit der hier zugrunde liegenden forscherischen Haltung vereinbar. Insofern scheint die Nähe zu der zweiten großen Stoßrichtung der Diskurslinguistik ungleich gegebener: Die deskriptiv verfahrende, diskurssemantische Diskursanalyse sieht »ihre Ziele und Aufgaben ausschließlich in der deskriptiven Offenlegung sprachlicher Strukturen und Denkmuster« (ebd.: 55)  – wobei Spieß zuzustimmen ist, wenn sie in einer Fußnote auch die Verfahrensweise der Deskription als »Form der weltanschaulichen Voraussetzung« beschreibt. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Diskursanalyse nicht nur »kein genuin linguistisches Unterfangen« (Spitzmüller/Warnke 2011: 4) darstellt, sondern auch innerhalb der Linguistik selbst höchst unterschiedliche diskurstheoretische Perspektivierungen und Konzeptualisierungen des Diskursbegriffs vorherrschen. Eine »interdisziplinäre[n] Minimaldefinition« von Diskurs als »naturally occuring talk« (Diaz-Bone 2005: 538) kann für die Analyse der diskursiven Herstellungspraxis von Männlichkeit sicherlich als unterspezifiziert gelten. Nach Spieß (2012: 53) zeichnen sich beide Richtungen der Diskurslinguistik (kritisch und diskurssemantisch) dagegen durch ihre Orientierung an der ›Kritischen Theorie‹, sowie am Diskursbegriff Foucaults aus, der definiert: »Diskurs wird man eine Menge von Aussagen nennen, insoweit sie zur selben diskursiven Formation gehören. Er bildet keine rhetorische oder formale, unbeschränkt wiederholbare Einheit, deren Auftauchen oder Verwendung in der Geschichte man signalisieren (und gegebenenfalls erklären) könnte. Er wird durch eine begrenzte Zahl von Aussagen konstituiert, für die man eine Menge von Existenzbedingungen definieren kann.« (Foucault 2013: 170)

Dieser grundlegenden Definition entsprechend, wählen diskurslinguistisch inspirierte Analysen eine Aussage und/oder Text als ersten Zugang zum Diskurs, wobei der Einzeltext »als dynamische und flexible Handlungseinheit und Grundkonstituens von Diskursen und damit als Materialisierung des diskursiven Wissens begriffen [wird]. Texte stellen somit eine Analyseeinheit dar, mithilfe derer die Kategorie Geschlecht in ihrer jeweiligen Ausprägung konstruiert und kolportiert wird« (Spieß 2012: 59f.). Eine diskurslinguistische Perspektivierung interessiert sich folglich dafür, wie sich diskursive Konstruktionen von Männlichkeit textübergreifend und durch unterschiedliche sprachliche Phänomene etablieren und berücksichtigt darüber hinaus auch außersprachliche

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›überindividuelle‹ Faktoren, wie zum Beispiel Kleidungsstile (vgl. Spieß 2016: 132). Zwar sind Diskursanalysen, ungeachtet einer möglichen linguistischen Präzisierung, nicht als Auswertungsmethoden im klassischen Sinne begreifbar und können stattdessen sowohl in einem gegenstandsbezogenen, theoretischepistemologischen oder methodisch-analytischen Sinn verstanden werden (vgl. Angermuller 2014: 84), dennoch erweisen sich die Ausführungen verschiedener Autor_innen als geeignete Werkzeuge für die Analyse des empirischen Textmaterials unter Berücksichtigung der forschungsleitenden Fragestellungen. Mit Spieß (2011, 2012, 2016), Jäger (2008) und Spitzmüller/Warnke (2011) werden dabei vor allem solche Ansätze berücksichtigt, die Diskursanalysen explizit für geschlechtertheoretische Fragestellungen nutzbar machen und/ oder als »methodologisches Integrationsmodell« eine Orientierung im Diskurs der Diskursforschung ermöglichen (ebd.: 199). 3.4.1 Genderlinguistische Diskursanalyse Die Genderlinguistin Spieß schlägt vor, die diskurssemantische resp. deskriptive Ausprägung der Diskurslinguistik verstärkt für genderlinguistische Fragestellungen zu nutzen. Da sich auch diese Form der Diskursanalyse letztlich auf Foucault beziehe, sei sie mit poststrukturalistischen und konstruktivistischen Theorien von Geschlecht kompatibel (vgl. Spieß 2012: 55). Im Anschluss an Foucault werden Diskurse demnach als Wissensformationen gedacht und aus linguistischer Sicht »als sprachliches und versprachlichtes Wissen konzeptualisiert« (ebd.: 60). Mit Berger/Luckmann (2004) und deren Akzentuierung des Zusammenhangs von Sprache, Wissen und Gesellschaft lässt sich die Wissenskategorie Geschlecht als »immer schon durch Sprache vermittelt« begreifen und deshalb für diskurslinguistische Fragestellungen nutzbar machen (Spieß 2012: 61). Durch die kognitive Dimension von Wissen, wie sie zum Beispiel die Frame-Theorien betonen, werden schließlich auch außersprachliche Aspekte von (Geschlechter-)Wissen relevant.21 Um nun mehrere Wissensebenen in die Analyse integrieren zu können, schlägt Spieß vor, den Diskursbegriff um den Begriff des Dispositivs zu erweitern. Den Dispositivbegriff führte Foucault erst in seinem Spätwerk ein, um das Beziehungsgefüge aus diskursiven und nicht-diskursiven Prakti 21 Als Beispiel nennt Spieß (2012: 61f.) den Begriff ›Mutter‹, der den Hintergrund-Frame um Elemente wie Familie, Mann, Vater, Kinder voraussetze, wobei diese sprachlichen Elemente wiederum auf Außersprachliches wie etwa Rollenerwartungen, Gesetze etc. verweisen.



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ken beschreiben zu können, das als machtvolles Bedingungs- und Abhängigkeitsverhältnis zu verstehen sei. Ein Dispositiv sei ein »heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfasst. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann« (Foucault 1978: 120).

Insofern ein pragmatischer Sprachbegriff ohnehin eine Berücksichtigung des Außersprachlichen benötigt, bietet sich eine Erweiterung diskurslinguistischer Fragestellungen um den Dispositivbegriff an. Für die Genderlinguistik sei das insofern weiterführend, als dass der Dispositivbegriff »der Erklärung des Zusammenhangs von institutionellen, gesellschaftlichen Faktoren und sprachlicher Konstitution von Geschlecht«, sowie »der Erklärung von Handlungsbereichen, die gleichermaßen sprachlich und nicht-sprachlich […], geordnet sind« diene (Spieß 2012: 64). Es wird also davon ausgegangen, dass sich Diskurse in Gegenständen materialisieren, diese Materialisierungen wiederum zurück auf die Diskurse wirken, diskursive Praktiken, Subjektpositionen bedingen und diese Subjektpositionen wiederum Diskurse produzieren. Das Dispositiv stellt dabei eine Art Infrastruktur oder Wirkzusammenhang dar, innerhalb dessen die verschiedenen Elemente zusammenspielen und sich dabei stets wechselseitig bedingen. Für eine genderlinguistische Analyse seien mit Spieß sodann vor allem die Untersuchungsgegenstände der Grammatik, Lexik, Handlungsmuster, Topoi, Metaphern sowie kommunikative Gattungen und Textsorten relevant. Damit konzipiert Spieß Diskurslinguistik ähnlich wie Spitzmüller/Warnke (2011) als Mehrebenenanalyse (vgl. auch Spieß 2011). Auf der Grundlage verschiedener Beschreibungsdimensionen (kulturelle, situativ-kontextuelle, funktionale, semantische und oberflächenstrukturelle Dimension) sollen die sprachlichen Phänomene dann auf ihre »außersprachlichen und außerdiskursiven Verflechtung[en]« hin untersucht werden (Spieß 2012: 65). Gendertheoretisch nuanciert ergeben sich daraus beispielhaft folgende Fragestellungen, die auch den diskurslinguistischen Analysen des doing rap masculinity in dieser Arbeit zugrunde liegen: »In welchen Kontexten wird Gender relevant gesetzt und in welchen nicht? Welche Ausschließungsmechanismen und damit Diskriminierungsstrategien werden sprachlich vollzogen und in welchem Zusammenhang stehen sie mit Objektivationen und Subjektivationen, also außersprachlichen Prozessen der Subjektbildung, und Vergegenständlichungen? Wie schlagen sich gesellschaftliche Strukturen sprachlich nieder bzw. wie werden sie durch Sprache konstituiert?« (ebd.: 63).

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Insofern Vergegenständlichungen und Subjektivationen als sedimentierte Diskurse verstanden werden, erfolgt der diskurslinguistische »Zugriff« (auch auf Außersprachliches) über Sprache beziehungsweise Diskurse, sowie deren Kontexte und Kontextualisierungen, wobei sich Spieß hier an den Kontextebenen von Busse (2007) orientiert.22 Durch die Integration des Dispositivbegriffs in die Diskurslinguistik würden verschiedene Perspektiven auf den Konstruktionscharakter von Geschlecht, wie er Konzepten um doing gender, indexing gender und performing gender zugrunde liegt, genderlinguistisch vereinbar. So müsse etwa der Körper nicht zwangsläufig und im Butler’schen Sinne als diskursiv angenommen und damit in seiner Materialität verleugnet werden. Vielmehr stelle er stattdessen eine »historisierte Materialisierung bzw. einen historisch sedimentierten Effekt sowohl diskursiver als auch nicht-diskursiver Praktiken dar« (Spieß 2012: 67). Das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente erläutert Spieß am Beispiel des Geschlechterdispositivs, innerhalb dessen sie den konkreten sprachlichen Ausschnitt um die Verwendung der Determinativkomposita ›Karrieremann‹ und ›Karrierefrau‹ untersucht. Dabei kann sie unter anderem zeigen, in welchen Kontexten (›Kookkurenzen‹) das Lexem ›Karrierefrau‹ in einem Korpus erscheint und dass sich die sprachlichen Bezüge zu Wissenstypen, Subjektivationen oder Vergegenständlichungen dabei im Verhältnis zum ›Karreriemann‹ unterscheiden.23 Wird die ›Karrierefrau‹ etwa – anders als der ›Karrieremann‹ – häufig über den Familienframe hergestellt, so wird die Bedeutung der ›Karrierefrau‹ dadurch langfristig semantisch fixiert (nämlich über den Familienframe). Dies gäbe wiederum Aufschluss über vorreflexive Wissensbestände und »nichtreflektierte Selbstverständlichkeiten«, wie sie in der Gesellschaft verankert seien (ebd.: 78). Für die Analyse von Männlichkeiten der Rap-Szene ist aufschlussreich, welche Bedeutung Spieß der Funktion und Rolle der Medien zuweist, die 22 Mit Busse (2007; 1991) ergäben sich sodann verschiedene Kontextualisierungstypen, zum Beispiel ›rahmenbezogene‹ und ›topologische‹ Kontextualisierung. Erstere gehe über das Sprachliche hinaus, während letztere sich auf die Satzebene bezöge (Spieß 2012: 67). 23 Bei dem ›Karrieremann‹ beispielsweise sind die semantischen Felder um Kind, Familie oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kaum nachzeichenbar. Letzterer Zusammenhang bleibt demnach im Diskurs ungenannt, wodurch berufstätige Männer, die ebenfalls unter einer Form von Doppelbelastung leiden, nicht thematisiert würden. Die ›Karrierefrau‹ dagegen erscheint im Korpus vor allem als erfolgreich, ehrgeizig, alleinstehend oder auch als ›berufstätige Mutter‹ und wird entlang von ›Kinder und Familie‹, ›Kinderlosigkeit‹ oder ›Erfolg‹ semantisch spezifiziert (Spieß 2012: 69ff.).



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»in besonderer Weise Akteure des Diskurses« seien (ebd.: 77; Spieß 2016: 132f.). So legten einige Textausschnitte nahe, dass die ›Karrierefrau‹ besonders zur Verfilmung, im Theater oder auf andere Weise zur Fiktionalisierung tauge, die gleichzeitig durch Dramatisierung und Utopien gekennzeichnet sei (starke Überzeichnung etc.). Wird die ›Karrierefrau‹ medial als kühl, sinnlich, kontrolliert oder nüchtern (re)produziert, so wäre es im Kontext eines ›Krisendiskurses um migrantische Männlichkeiten‹ an dieser Stelle interessant, medial produzierte Attribuierungen des Lexems ›Gangsta-Rapper‹ zu untersuchen. Insbesondere am Beispiel der Skandalisierung ethnischer Differenz, wie sie hinsichtlich der Sozialfigur des Gangsta-Rappers konstatiert und darüber hinaus als vergeschlechtlicht gelten kann (vgl. Seeliger 2013), wird deutlich, dass die medialen Konstruktionen hier nicht nur spezifischen »systemlogischen Kriterien der Aufmerksamkeitserregung und -steuerung« durch bestimmte Nachrichtenwerte folgen (Spieß 2012: 77). Attribuierungen wie ›jung‹, ›männlich‹, ›muslimisch‹ ›gewalttätig‹, ›düster‹, ›sexistisch‹ oder auch ›Bushido‹, wie sie korpuslinguistisch diesbezüglich heraufbefördert werden dürften, sind als sprachliche Manifestationen gesellschaftlich sedimentierten Wissens verstehbar und geben zum Beispiel Aufschluss über nichtreflektierten, antimuslimischen Rassismus, wie er innerhalb der deutschen Gesamtgesellschaft verankert ist. Als zentrale Akteure des Diskurses sind die Medien dabei nicht nur diskurslinguistisch, sondern auch männlichkeitstheoretisch relevant, ist der mediale Diskurs über die (migrantische) marginalisierte Männlichkeit (des Gangsta-Rappers) doch Teil der Konstruktion deutscher resp. autochthoner Männlichkeit, die sich erst durch das Negativbild des Anderen resp. Fremden als hegemonial stabilisieren kann (vgl. zum Beispiel Scheibelhofer 2008). 3.4.2 Kritische Diskursanalyse und Strukturmerkmale von Diskursen Jäger, die sich im Bereich der Kritischen Diskursanalyse verorten lässt (vgl. Meier 2014: 87f.), schlägt Diskursanalyse  – mit Rekurs auf Foucault und Link – als ein Verfahren zur kritischen Rekonstruktion von Machtbeziehungen vor. Als gesellschaftliche und institutionalisierte Redeweisen seien Diskurse an veränderbare Regeln geknüpft und deshalb als machtvoll zu denken, »weil und sofern sie Handeln von Menschen bestimmen« und weiter: »Sprache fungiert dabei als ein Mittel, mit dem Gegenständen, Ereignissen, Personen etc. Bedeutungen durch das im sozialen Zusammenhang tätige Subjekt zugewiesen werden. Diese Bedeutungen werden im Diskurs dadurch

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konventionalisiert, dass sie mit bestimmten Zeichen und Lauten verkoppelt werden« (Jäger 2008: 378). Die Analyse von Diskursen  – die mit der Metapher eines ›Flusses von Wissen‹ umschrieben werden – könne die Frage danach beantworten, »was zu einem bestimmten Zeitpunkt von wem wie sagbar war bzw. sagbar ist« (ebd.). Bereits aufgrund dieser machttheoretischen Akzentuierung sei ein diskursanalytisches Vorgehen für geschlechtertheoretische Fragestellungen besonders geeignet. Für Jäger (ebd.: 379) führen Diskurse gegenüber der Wirklichkeit ein »Eigenleben« und seien – in Anlehnung an Link – als »vollgültige Materialitäten ersten Grades unter den anderen« zu denken (Link 1992: 40, zit. nach Jäger 2008: 379). Diese materialistische Lesart der Diskurstheorie sei insofern bedeutsam, als dass dadurch klar würde, dass Diskursanalysen nicht danach fragten »ob das, was Personen sagen, ›stimmt‹«, sondern vielmehr die Wirkung diskursiver Äußerungen im Blick hätten. Auch der Wahrheitsgehalt einer Äußerung könne »nur auf das in den Diskursen vorhandene Wissen bezogen werden« (ebd.). Entgegen der Kritik am Verschwinden des Subjekts definiert Jäger das Verhältnis von Subjekt und Diskurs als sich wechselseitig bedingend: »Ohne Subjekte gibt es keinen Diskurs, und ohne den Diskurs gäbe es keine Subjekte« (ebd.: 380). Einen ersten ordnungsstiftenden Zugang zum zentralen empirischen Material dieser Arbeit – dem ›Wie ein Mann – Prachtkerle Remix‹ – ermöglichen Jägers ›Strukturmerkmale von Diskursen‹. So geht der Duisburger Ansatz der Diskursanalyse von verschiedenen Diskurssträngen aus, in die sich der gesellschaftliche Gesamtdiskurs analytisch unterteilen ließe und die als »zusammenhängende Menge von Diskursfragmenten gleichen Themas« vorstellbar seien (Reisigl 2014: 119f.). Als Beispiel nennt Jäger (2008: 380) etwa den ökologischen oder auch medizinischen Diskurs. Diskursstränge wiederum prozessierten auf verschiedenen »Diskursebenen« oder auch »diskursiven Ebenen«, die stark ineinander verflochten seien und zusammengenommen den Gesamtdiskurs der Gesellschaft konstituierten. Eine Diskursebene ließe sich dabei als sozialer Ort beschreiben, von dem aus gesprochen wird, was beispielsweise Medien, Wissenschaft, die Literatur oder auch der Alltag sein könnten. Weiterhin könnten sich auf den Diskursebenen unterschiedliche Diskurspositionen manifestieren (vgl. ebd.: 105.). Die Bestimmung von Diskurssträngen soll eine möglichst ›neutrale‹ Annäherung an den Gegenstand gewährleisten, der in seiner »gesamten Aussagebreite« erfasst werden soll und nicht etwa im Hinblick auf einzelne zum Beispiel sexistische Fragmente (Jäger 2008: 380). Als kleinstes Glied definiert die Kritische Diskursanalyse der



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Duisburger Schule das sog. »Diskursfragment«, das sich als einzelne Aussage definieren lässt, deren Gesamtheit wiederum einen Diskursstrang bildet. »Mehrere Diskursfragmente zum selben Thema bilden einen Diskursstrang […]. Das Erfassen von Diskursfragmenten ist Grundlage für die Bestimmung von Aussagen, die als gemeinsame thematische Nenner aus Sätzen und Texten extrahiert werden können.« (Reisigl 2014: 107) Überträgt man diese erste strukturelle Analytik auf das in dieser Arbeit untersuchte empirische Datenmaterial, so ließen sich folgende Definitionen vornehmen: Als Diskursebene, das heißt als sozialer Ort, von dem aus der Text ›Prachtkerle-Remix‹ gesprochen wird, ließe sich analog zu Wissenschaft, Literatur oder Medien und das popkulturelle Feld der deutschsprachige Rap-Szene fassen, die freilich als mit anderen Diskursebenen verflochten gelten muss. Als Text, der ein bestimmtes Thema behandelt (Männlichkeit) lässt sich der ›Wie ein Mann – Prachtkerle-Remix‹ als Diskursfragment definieren, gleichwohl der Text zur Aufrufung von Männlichkeit auch weitere ›Themen‹ relevant setzt und insofern auch als aus mehreren Diskursfragmenten bestehend, definiert werden könnte. Wenn mehrere Diskursfragmente zum selben Thema einen Diskursstrang bilden, so kann als solcher jener thematische Ausschnitt aus dem historischen Gesamtdiskurs gelten, der Fragen von Geschlecht verhandelt. Mit Foucaults Dispositivbegriff könnte man an dieser Stelle auch das ›Geschlechterdispositiv‹ anführen. Analog zum ›Frauen- und Geschlechterdiskurs‹, den auch Jäger (vgl. 2008: 380) als Beispiel für einen Diskursstrang anführt, ließe sich der ›Prachtkerle-Remix‹ einem Rap-Diskurstrang zuordnen, der all jene Diskursfragmente umfasst, die sich kritisch mit der Verhandlung von Geschlecht/Männlichkeit, sowie angrenzenden Themen wie Sexismus, Homophobie oder Hypermaskulinität auseinandersetzen. In Bezug auf das methodische, diskursanalytische Vorgehen formuliert Jäger (2008: 381) einige Grundprinzipien, die es in Abhängigkeit des jeweiligen Untersuchungsgegenstands zu wählen gilt. Auch in dieser Arbeit erfolgte noch vor der eigentlichen Analyse eine ›Erschließung des diskursiven Kontextes‹ (vgl. zum Beispiel der Remix des ›Wie ein Mann‹-Tracks der Rapperin Antifuchs usw.) sowie einige Struktur- und vor allem Feinanalysen des Textmaterials. Als dezidiert ungleichheitskritischer Ansatz ist für eine kritische Diskursanalyse nach Jäger sicherlich auf die Bedeutung der sog. »Diskursposition« hinzuweisen, durch deren Berücksichtigung die »Vieldimensionalität und Relativität von Machtbeziehungen« analytisch eingefangen werden kann (ebd.). Als unverzichtbare analytische Kategorie wird diese dabei wie folgt definiert:

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»Unter einer Diskursposition soll der Ort verstanden werden, von dem aus Einzelne oder Gruppen und Institutionen Diskurse produzieren und bewerten. Mit ihr kann gekennzeichnet werden, wie die diskursiv vermittelten jeweiligen Lebenslagen die inhaltliche Stellung zum Diskurs, das heißt seine Kenntnis und Bewertung bestimmen. Auf diese Weise können subjektive und kollektive Verstrickungen in dem jeweiligen Diskurs und die Mehrdimensionalität von Machtbeziehungen deutlich werden.« (Jäger 2008: 381)

Der Aspekt der »Diskursposition« schließt letztlich an die Foucault’sche (2013: 75ff.) Leitfrage nach den Möglichkeitsbedingungen von Aussagen an, was im Hinblick auf das Datenmaterial die Frage aufwirft, wer ›Wie ein Mann‹ (aus)spricht, wer »begründet über diese Art von Sprache« (ebd.: 75) verfügt und weshalb diese Aussage zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt getätigt wird/werden kann und es nicht schon vorher einen achtminütigen Track zum Thema Männlichkeit im Rap gab. 3.4.3 Diskursanalyse als Mehrebenenanalyse Mit der Diskurslinguistischen Mehr-Ebenen-Analyse (DIMEAN) will das Autorenpaar Spitzmüller/Warnke (2011: 78ff.) einen »Vorschlag zur methodologischen Synthese zentraler diskurslinguistischer Phänomene und Analysegegenstände« abseits »linguistischer Lagerbildung« machen (ebd.: 197ff.). Dabei halten sie es für »angebracht«, dass sich diskursanalytische Untersuchungen zu der oben genannten Leitfrage von Foucault »erklären« und dadurch »ein Fundament des eigenen Interesses am Diskurs erkennbar machen« (ebd.: 123). Wenngleich nicht geschlechtertheoretisch nuanciert, so ermöglicht die DIMEAN ungeachtet Foucault’scher Verunklarung (ebd.: 65ff.) Orientierung im Diskurs und erfüllt durch ihren Mehrebenenansatz zugleich eine der zentralen Prämissen linguistischer Männlichkeitsforschung, die in einer »plurifaktoriellen Analyse des Sprachmaterials« besteht (Spieß 2016: 130). Nicht zuletzt das Ansinnen, ein gewissermaßen intradisziplinär verwendbares Instrumentarium abseits »holzschnittartiger Gegenüberstellungen vom Typ ›deskriptiv vs. kritisch‹ herauszuarbeiten« macht die DIMEAN zu einem für diese Arbeit fruchtbaren methodologischen Leitfaden, dessen wichtigste Prämissen und forschungsleitenden Werkzeuge nachfolgend vorgestellt werden sollen (Spitzmüller/Warnke 2011: 118). Das Autorenpaar schlägt drei Ebenen für diskurslinguistische Analysen vor, die intratextuelle Ebene, die Akteursebene, sowie die transtextuelle Ebene. Dabei ist – wie bei sämtlichen weiteren Ausführungen zur DIMEAN  – mitzudenken, dass Spitz-



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müller/Warnke hierbei explizit eine ›Methodologie‹ und keine ›Methode‹ im Sinne eines unmittelbar oder gar schrittweise umsetzbaren Verfahrens vorschlagen (ebd.: 135). Ein solches fixiertes Vorgehen wird stattdessen als mit der Multimodalität und Heterogenität von Diskursen unvereinbar eingeschätzt. Als kleinste Einheit müssten linguistische Diskursanalysen ungeachtet ihrer transtextuellen Ausrichtung stets auch die einzelne Aussage und damit die Rückbindung an die Mikroebene im Blick behalten. Dieser Auffassung sollen Analysen auf der »intratextuellen Ebene« Rechnung tragen, wofür Spitzmüller/Warnke nachfolgenden Textbegriff voraussetzen, der auch als Textverständnis dieser Arbeit gelten soll: »Unter einem ›Text‹ verstehen wir also eine Vielheit von Aussagen mit syntaktisch-semantischen Bezügen und einem/mehreren thematischen Zentrum/Zentren in einer formalen oder situationellen Rahmung […]. Gespräche sind in unserem Verständnis ebenso Texte wie Zeitungsartikel, Bücher, Verordnungen, Plakate, Graffiti, Transparente, Website-Inhalte u. v. a. m.« (Spitzmüller/Warnke 2011: 137)

Das Zugrundelegen eines weiten Textverständnisses ist dabei insbesondere im Hinblick auf die plurifaktorielle Analyse von Männlichkeiten weiterführend, finden in dieser Arbeit doch nebst Raptexten auch Musikvideos und Bilder, Website-Inhalte oder Posts innerhalb von Social Media eine diskurslinguistische Berücksichtigung. Damit wird gleichsam einem Desiderat der transdisziplinären Männlichkeitsforschung nachgekommen, innerhalb der sowohl die mangelnde Berücksichtigung massenmedialer Formate und audiovisueller Medien (Literaturwissenschaft, Tholen 2016: 284), als auch der ungenügende Einbezug von Bildmaterial kritisiert wird (Soziologie, Scholz 2015: 63). Mit Schröder/Soll (2015: 13) leisten »Bilder der Künste und vor allem Bilder der Massenmedien« aufgrund ihrer stark affektiven Wirkung und der körperlichen Adressierung von Rezipient_innen einen »aktiven Beitrag« zur »Täuschung«, als welche hegemoniale (beziehungsweise normative) Männlichkeit aus einer psychoanalytischen Perspektive auch konzipiert wird. Als ›bildbegleitete Musik‹ (vgl. bei Bullerjahn 2005: 484) verdichten Rapmusikvideos »semiotische[n] Ressourcen wie bewegte Bilder, gesprochene und geschriebene Sprache, Geräusche, Musik, Farben, aber auch solche Gestaltungsdimensionen wie Einstellungsgrößen, Kameraführung und Schnitt zu fein ausdifferenzierten Zeichenkomplexen«, wie es Klemm/Stöckl (2011: 10) in ihrem Band zur Bildlinguistik für Filme im Allgemeinen formulieren. Rapmusikvideos – das wird angesichts dieser Ausführungen deutlich – sind bei der Rekonstruktion von Männlichkeitskonstruktionen und -performances im Rap deshalb dringend analytisch zu berücksichtigen (vgl. Rapmusikvideoanalysen aus den HipHop Studies zum Beispiel bei Rappe 2010; Dietrich 2015a, 2015b).

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Die intratextuelle Ebene in dem DIMEAN-Modell von Spitzmüller/ Warnke (2011: 137ff.) unterteilt sich in drei Analyseebenen, die als ›wortorientiert‹, ›propositionsorientiert‹ und ›textorientiert‹ bezeichnet werden. Neben der wortorientierten Analyse, die beispielsweise Schlüsselwörter oder auch Stigmawörter umfasst, ist im Hinblick auf die Textsorte Raptext sicherlich vor allem die propositionsorientierte Analyse von Bedeutung. Darunter lassen sich unter anderem rhetorische Tropen und Figuren, syntaktische Muster oder auch Sprechakte fassen. Auch eine ›textorientierte Analyse‹ erscheint mit Blick auf das empirische Material sinnhaft, lassen sich die im ›Prachtkerle-Remix‹ aufgerufenen Begriffe ›Sandkorn‹, ›Diamant‹, ›Apfel‹, ›Pferd‹ oder ›Luft‹ doch als »Klassen von Wörtern mit gemeinsamen Merkmalen« und damit als ›lexikalisches Feld‹ beschreiben usw. (ebd.: 164). Mit der Konzeption der »Akteursebene« als zentralem Scharnier zwischen intra- und transtextueller Ebene, werden Spitzmüller/Warnke einer der grundlegenden diskurslinguistischen Fragestellungen gerecht, wie sie zuvor bereits mit dem Foucault’schen ›Wer spricht‹? benannt wurde. Wie auch Jäger (2008: 380) (ohne Subjekte kein Diskurs, kein Diskurs ohne Subjekte), so setzen auch Spitzmüller/Warnke die (Sprach-)Handelnden im Diskurs zentral, sind sie es doch, die das Wissen hervor oder eben zum Verschwinden bringen. Mit der Berücksichtigung der Diskurshandlungen trägt das Autorenpaar vor allem Ansätzen der Kritischen Diskursanalyse Rechnung und bedient sich mit dem Akteurs-Begriff eines dezidiert sozialwissenschaftlichen Konzeptes, das dabei wie folgt definiert wird: »Der Akteur als Actor, als Handelnder, ist zunächst einmal nicht notwendigerweise eine personale Größe. Akteure können Individuen, Gruppen von Individuen, Netzwerke von Individuen, aber auch nicht-personale Handlungsinstanzen wie Institutionen, Parteien, Medien etc. sein.« (Spitzmüller/Warnke 2011: 172) Mit dem sog. ›Text-Diskurs-Filter‹ wollen die Autoren deutlich machen, dass die Akteursebene als »Filter für die Zugehörigkeit von singulären Texten zu Diskursen« fungiert (ebd.: 173). Diese Filterung erfolgt in zwei Richtungen. Zum einen filtern Diskurshandlungen »welche Aussagen in einen Diskurs überhaupt eingehen«, wobei sich die ›Diskursregeln‹ hier als entscheidend erweisen. Zum anderen erfolgt eine Filterung durch die ›Diskursprägung‹, insofern jeder Text als per se diskursiv geprägt verstanden werden müsse. Die Linguisten unterteilen die Akteursebene sodann in drei Ebenen: Medialität, Diskurspositionen und Interaktionsrollen. Unter die Diskurs-



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positionen werden unter anderem das Konzept der voice (vgl. Blommaert 2005), sowie die sog. ideology brokers subsumiert. Dabei rekurrieren die Autoren auf den belgischen Soziolinguisten Blommaert (2005: 5) der voice definiert als »the way in which people manage to make themselves understood or fail to do so. In doing so, they have to draw upon and deploy discursive means which they have at their disposal, and they have to use them in contexts that are specified as to conditions of use. Consequently, if these conditions are not met, people ›don’t make sense‹ – they fail to make themselves understood- and the actual reasons for this are manifold.« Der voice-Ansatz, der unter anderem mit Hymes und Bernstein auf die ungleichheitsstiftende Funktion von Sprache abzielt, erweist sich für die diskurslinguistische Untersuchung des doing rap masculinity als nicht minder passfähig. Blommaert bezeichnet die »Fähigkeit sprachlicher Zeichen, auf spezifische sozialsymbolische Werte zu verweisen«, als indexicality (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011: 112). Das Wissen darum, sowie die Fähigkeit, die entsprechenden Sprachzeichen angemessen zu nutzen, statte den/die jeweilige_n Sprecher_in mit der sog. voice aus, denn »[t]hrough indexicality, every utterance tells something about the person who utters it – man, woman, young, old, educated, from a particular region, or belonging to a particular group etc. – and about the kind of person we encounter – we make character judgements all the time …« (Blommaert 2005: 11). Während also ein bestimmtes Sprachregister, wie zum Beispiel der ›Gangsta-Sprech‹, in dem einen Kontext als ›degeneriert‹ gilt, so mag es in einem anderen zum sozialen Erfolg des/der Sprecher_in beitragen. Mit Rückbezug auf Foucault lässt sich daher auch mit Blick auf die deutschsprachige Rap-Szene formulieren, dass bestimmte indexikalische Ordnungen bestimmen, was im Diskurs von wem wie gesagt werden kann. Schließlich eignet sich auch das Konzept der ideology brokers für die machtkritische Untersuchung der Akteursebene im Rap. Als Akteur, der versucht durch die Affirmation seiner eigenen Diskursposition andere zu schwächen um daraus ›diskursiven Profit‹ zu erzielen (vgl. Spitzmüller/ Warnke 2011: 180), lässt sich der ideology broker insbesondere für die Analyse von Männlichkeitskonstruktionen fruchtbar machen, ist die (Neu)Verhandlung hegemonialer Männlichkeit im Rap doch ebenso als ›semantischer Kampf‹ beschreibbar. Der ideology broker, dem vermittels »Autoritätenverweise, Betonungen eigener Expertise oder sprachliche[r] Bewertungsstrategien« aufzuspüren sei, liest sich dabei freilich gleichsam als Verkörperung raptextsortenspezifischer Anforderungen (ebd.: 181; vgl. auch Wolbring 2015: 427ff.). Das Konzept bedürfe demnach einer kontext- und sprachgemein-

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schaftsabhängigen Modifikation.24 Die Akteursebene umfasst schließlich auch die wichtige Dimension der Medialität, worunter unter anderem die ›Medien‹ gefasst werden, die die Zugänge zum Diskurs steuern und einen unerlässlichen Aspekt diskursanalytischer Untersuchungen darstellen. Schließlich soll auf die wichtige dritte Ebene der DIMEAN Bezug genommen werden, die Spitzmüller/Warnke als »transtextuell« definieren: »Eine transtextuelle Analyse ist dann transtextuell, wenn sie nicht nur einzelne bzw. vereinzelte Texte untersucht – was auch eine traditionelle Aufgabe der Rhetorik und Stilistik oder Textlinguistik sein könnte –, sondern wenn sie eine Mehrzahl, besser: Vielzahl von Texten bzw. Aussagen in verschiedenen Texten, verschiedenen Medien, von verschiedenen Akteuren usw. analysiert, und zwar eine Vielzahl, die strukturelle Übereinstimmungen und Handlungsbezüge aufweist.« (Spitzmüller/Warnke 2011: 187f.)

Mit den Unterkategorien Intertextualität, Frames, Topoi, ›Diskurssemantische Grundfiguren‹, ›Indexikalische Ordnungen, Sozialsymbolik‹, ›Historizität‹ und ›Ideologien, Gouvernementalität, Mentalitäten‹ unterteilen die Verfasser diese Ebene in insgesamt sieben Kategorien. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die verschiedenen ›Schulen‹ der Diskursanalyse in unterschiedlicher Art und Weise für diese transtextuellen Kategorien interessieren. Den Intertextualitätsbegriff formulieren die Verfasser – wie übrigens auch Barthes – in Anlehnung an Kristeva (1967), insofern jeder Text als intertextuell aufzufassen sei und sich Intertextualität damit letztlich als »das offensichtlichste Kennzeichen der diskursiven Verfasstheit von Sprache« bezeichnen ließe (Spitzmüller/Warnke 2011: 189). Auf die Bedeutung der Intertextualität in Bezug auf Rap wurde andernorts mit Rekurs auf Mikos (2003) bereits eingegangen. In Abhängigkeit von Textsorte und der männlichkeitstheoretischen Fragestellung soll stattdessen auf den wichtigen Aspekt der Historizität eingegangen werden. Die Berücksichtigung von Historizität innerhalb diskurslinguistischer Analysen bezieht sich zum einen auf die Bewusstwerdung der eigenen Geschichtlichkeit, sowie jener des behandelten Objektbereichs oder Datenmaterials. Die Historizität von Aussagen gibt den Blick auf historisch geteiltes Wissen frei, wie es innerhalb einer Diskursgemeinschaft als Gewissheit angenommen wird (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011: 194). Dass das Körper-, Geschlechter- und/oder Sprachwissen der immerhin bald 40-jährigen deutschsprachigen HipHop/Rap-Szene nicht ahistorisch ist, sondern auf einen globalen und dabei vor allem auch postkoloni 24 Zum ideology broker vgl. auch Schmidt-Brücken (2014).



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alen historischen Kontext verweist, wird in dieser Arbeit an mehreren Stellen deutlich und materialisiert sich nicht zuletzt in der Annahme der ›glokalen Dimension‹ männlicher HipHop/Rap-Identitätsarbeit. »Und muss es sein, dann fick’ ich Feinde wie ein Pferd, nicht wie ein Mann« (Blut&Kasse, vgl. Kap. 8.4.4) sind Aussagen, die immer auch im Kontext historischer Bedingungen zu analysieren sind und darüber hinaus auf indexikalische Ordnungen verweisen, insofern Schlüsselwörter wie ›fick(en)‹ im Sinne eines maximalen Tabubruchs immer auch machtvolle Symbole der Zugehörigkeit, etwa zu einem Subgenre und dem damit verbundenen Männlichkeitsmodell, darstellen. Schließlich findet auch das Konzept des ›Topos‹, das Wengeler aus der Rhetorik in die Diskurslinguistik überführt hat, und das von Spitzmüller/Warnke (2011: 191) ebenso auf der transtextuellen Ebene verortet wird, in den Analysen der vorliegenden Arbeit Verwendung. Mit Wengeler geben Topoi »Aufschlüsse über kollektives, gesellschaftliches Wissen […], welches im Rahmen thematisch bestimmter öffentlicher Diskurse entweder explizit zur Sprache kommt oder in sprachlichen Äußerungen in Texten als verstehensrelevantes Hintergrundwissen zugrunde gelegt und evoziert wird« (Wengeler 2007: 165, zit. nach Spitzmüller/Warnke 2011: 191). Geht man (etwa mit Bourdieu oder auch mit Foucault/Spieß) von einem kollektiv geteilten und gesellschaftlich sedimentierten Geschlechterwissen aus, so lässt sich die Assoziation von Männlichkeit mit Härte oder Risikohandeln als verstehensrelevantes Hintergrundwissen voraussetzen, das im doing rap masculinity etwa vermittels des Drogen-Topos implizit »zur Sprache kommt«. Ein Topos wiederum, das sich erst durch eine wortorientierte Analyse als solches herausarbeiten lässt (›Plus machen‹, ›Blunt‹, etc.).

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4. Rap als Szene

In der Publikation ›Leben in Szenen. Formen juveniler Vergemeinschaftung heute‹ beschreiben Hitzler/Niederbacher (2010) gemeinsam mit einschlägigen Szene-Expert_innen insgesamt 20 Szenen, darunter die Antifa-, Black Metal-, Indie-, LAN-Gaming, Parkour- oder auch Veganer-Szene. Die »›Kartografie‹ der Szenelandschaft« folgt dabei einem spezifischen Kriterienkatalog, der eine vergleichende Darstellung der »komplexen Jugendkultur›Landschaft‹« ermöglichen soll (ebd.: 27). Als wichtige ›Erlebniselemente‹ zur Beschreibung von Szenen werden dabei definiert: Thematischer Fokus, Einstellungen, Lifestyle, Symbole und Rituale, Treffpunkte und Events, sowie Medien. Ferner werden Kriterien wie der geschichtliche Hintergrund (history), ›Facts und Trends‹, Strukturen und Szeneüberschneidungen (relations) herausgearbeitet (ebd.: 27ff.). Zwar wird die Hip-Hop-Szene dort bereits einer näheren Betrachtung unterzogen (ebd.: 84–89), allerdings hält diese Beschreibung dem gegenwärtigen Selbstverständnis der Szene aus heutiger Sicht aus mehrerlei Gründen nicht mehr stand. Wenn HipHop-Fans und Szenegänger_innen heute von ›HipHop‹ sprechen – der Terminus wird durchaus noch benutzt – dann sind Graffiti oder Breaking (zum Bedauern vieler älterer, traditionsbewusster Szenegänger_innen) schlichtweg nicht (mehr) mitgemeint. Von den Medien längst synonym mit ›HipHop‹ verwendet, hat ›Rap‹ als kommerziell erfolgreichste Ausdrucksform des HipHop die übrigen ›Elemente‹ – zumindest im Diskursuniversum des Szene-Mainstreams – längst in die Bedeutungslosigkeit verabschiedet. Auch im HipHopJournalismus liegt der thematische Fokus auf Rap, während Graffiti oder Breaking – wenn überhaupt – nur noch eine Randnotiz darstellen (gleichwohl der Name eines der größten Szenemedien hiphop.de hier anderes vermuten lässt). Der Sozialwissenschaftler Seeliger (2013: 16) stellt zurecht fest, dass eine Annahme von HipHop entlang der Vier-Elemente-Logik »der heute in Deutschland vorherrschenden Verfasstheit von HipHop-Kultur nicht unbedingt entspricht«. Abgesehen von weiteren kulturellen Praktiken, die

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ebenso mal mehr mal weniger zu den ›Elementen‹ des HipHop gerechnet würden (Producing, Beatboxing, Knowledge …), spiegle die in den HipHop Studies übliche »unkritische Übernahme der genannten Elemente eine substanzialistische Perspektive auf Kultur […], der es nicht gelingt, die Dynamiken der machtgebundenen Herstellung kultureller Formen in ihrer komplexen Zusammensetzung zu erfassen« (ebd.). Aus Perspektive der Cultural Studies ist dieser Diagnose nur zuzustimmen, lehnen diese »monolithische und essenzialistische Konzeptionen von Kultur« doch dezidiert zugunsten einer Anerkennung der Vielfalt der Kulturen und ihrer Werte ab (Winter 2012: 208). Als eigentliches Grundelement der HipHop-Kultur, so Seeliger weiter, müsse vielmehr der ständige Bezug auf die ›vier Elemente‹, als die Elemente selbst gelten (vgl. Seeliger 2013: 16). Vor diesem Hintergrund und in Anerkennung der Tatsache, dass sich große Teile der Szene selbst als ›Rap-Szene‹ (und weniger als HipHop-Szene) begreifen, der Terminus also im Sinne einer Selbstbezeichnung Verwendung findet,1 wird vorgeschlagen die ›Hip-Hop-Szene‹ (Hitzler/Niederbacher 2010: 84ff.) zur ›Rap-Szene‹ zu differenzieren und entlang der von Hitzler/Niederbacher entworfenen Kriterien zu beschreiben (vgl. Süß 2016a). Der Steckbrief zur ›Rap-Szene‹ ist bereits seit 2017 auf der Website jugendszenen.com verfügbar, ein Internetportal, das der Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie der Universität Dortmund um Ronald Hitzler und Arne Niederbacher als Schnittstelle zwischen Szeneforschung einerseits und an Jugendszenen interessierten Pädagog_innen und anderen Fachleuten versteht und bereitstellt.2 Die Wissenschaftler_innen und Autor_innen des Projekts setzen dabei auf eine »rezeptionsfreundliche Darstellungsform«, um die Ergebnisse auch nicht-wissenschaftlich arbeitenden Menschen verfüg- und verstehbar zu machen. Der Duktus der online abrufbaren Ausführungen, bei denen es sich um eine leicht aktualisierte Form handelt, unterscheidet sich deshalb vom Duktus der meisten übrigen Kapitel dieser Arbeit.3

1 Für den Begriff des sog. ›Szenegängers‹, der ebenfalls von Hitzler/Niederbacher verwendet wird, kann das m. E. eher weniger gelten. Zur Bezeichnung von Anhänger_innen der Rap-Szene findet er in dieser Arbeit dennoch Verwendung. 2 Der Online-Steckbrief zur Rap-Szene findet sich unter nachfolgendem Link, 13.11.2020, Süß 2016a, http://www.jugendszenen.com/?portfolio=rap 3 Ein Exkurs zur deutschsprachigen Rap-Szene kann online abgerufen werden unter: http://www.campus.de/pdf/9783593513881.pdf



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4.1 Sub- und Jugendkulturen – Geschichte und Perspektiven Bevor sich nachfolgend mit der modernisierungstheoretischen Rahmung des vor allem im deutschsprachigen Raum verwendeten Szenekonzepts beschäftigt und dabei einige angrenzenden Überlegungen angestellt werden sollen, folgen zunächst einige historische Schlaglichter auf das insgesamt recht ausdifferenzierte Feld der Beforschung jugend-, sub- und/oder gegenkultureller Vergemeinschaftungen. Als Pionier_innen (stadt)soziologischer und ethnografischer Annäherungen an (nicht nur aber auch) jugendkulturelle Phänomene werden gemeinhin die Arbeiten der sog. Chicago School am Anfang des 20. Jahrhunderts gezählt. Studien wie The Polish Peasant in Europe and America (vgl. Znaniecki/Thomas 1918) Street Corner Society (vgl. Whyte 1943) oder auch The Jack-Roller (vgl. Shaw 1930) gelten als wichtige Klassiker und gleichsam Beispiele dafür, dass jugendkulturelle Vergemeinschaftungen früh im Zusammenhang mit Delinquenz erforscht wurden (vgl. Hodkinson 2007: 3). Im Bereich der Jugendkulturforschung stößt man des Weiteren recht schnell auf den US-amerikanischen Soziologen Talcott Parsons, auf den der Begriff der ›Jugendkultur‹ beziehungsweise ›Youth Culture‹ zurückgehen soll und der die Phase der Jugend als wichtiges Übergangsstadium zum Erwachsenenalter konzipierte: »[Y]outh culture has imporant positive functions in easing the transition from the security of childhood in the family of orientation to that of full adult in marriage and occupational status.« (Parsons 1949: 101, zit. nach Hodkinson 2007: 2) Neben diese US-amerikanische und strukturfunktionalistische Perspektivierung von Jugendkulturen trat wenig später das Centre of Contemporary Cultural Studies (CCCS) der Universität Birmingham, das bis heute als »intellektuelles Zentrum« der sog. Cultural Studies gilt (Winter 2012: 205, vgl. auch Dietrich 2016: 10). Die sehr unterschiedlichen Ansätze dieser ›Schule‹ teilen die gemeinsame Erkenntnis, »dass die Kultur eine zentrale Bedeutung in der Gegenwart hat und dass sie nur im Kontext von Macht und Politik angemessen analysiert werden kann« (Winter 2012: 205). Die Unterscheidung zwischen Hoch- und Populärkultur wird von Theoretiker_innen der Cultural Studies als Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse entlarvt und entsprechend kritisiert. In Anlehnung an wichtige intellektuelle Vordenker wie Gramsci oder auch Foucault wird Kultur als Feld sozialer Ungleichheit verstanden, woraus die machtkritische Beschäftigung mit sozialen Problemlagen (zum Beispiel der Arbeiterklasse) oder auch aktuellen popkulturellen Fragestellungen, zum Beispiel zur geschlechtsspezifischen Nutzung von Medien, resultiert (vgl. zum

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Beispiel Villa u. a. 2012). Insbesondere die Studien zu jugendlichen Subkulturen und den musikalischen und stilistischen Distinktionspraktiken von Teds, Mods, Skinheads oder Punks erlangten dabei größere Bekanntheit (vgl. z. B. Hall/Jefferson 1976; Willis 1978). Hodkinson (2007: 4) sieht eine grundlegende Gemeinsamkeit der sehr unterschiedlichen Studien darin, »that subcultures represented an enactment of stylistic resistance; a subversive reaction by young people to a contradictory situation in respect of both age and class«. Neben der Aufwertung von Sub- und Alltagskulturen zählt auch die Auffassung einer aktiven und produktiven Aneignung von Kultur und Medientexten (vgl. v. a. Hall 1980) sowie eine damit einhergehende Kritik an der Reduktion kultureller Globalisierung auf den Konsum der US-amerikanischen Kulturindustrie zu den Errungenschaften der Cultural Studies (vgl. Winter 2006: 385f.). Als wegweisendes Prinzip der transdisziplinären Forschungsansätze gilt ferner die Idee der Bricolage (vgl. Lévi-Strauss 1962). Mit ›Bastelei‹ ist im Hinblick auf Subund Jugendkulturen vor allem »die Dekontextualisierung und Reintegration von Zeichen und/oder Artefakten« gemeint, wie Dietrich (2016: 10) formuliert und als Beispiel auf die im Rap verbreitete Produktionstechnik des Sampling verweist. Auch die Kleidungspraxis von Punks, die bestehende Elemente und Alltagsgegenstände kreativ kollagieren und zu etwas Neuem zusammenführen wird aus Sicht der Cultural Studies als intentionale Handlung begriffen, die als gegenhegemonialer Akt des Widerstands lesbar ist (vgl. Hebdige 1979). Die neo-marxistisch geprägten Interpretationsweisen des CCCS, die eine direkte Verbindung zwischen der Klassenlage einer bestimmten sozialen Gruppe und der Hinwendung zu spezifischen (Musik-)Stilen ausmachen wollten, gerieten jedoch auch in die Kritik. So sei die Berücksichtigung von Lebenslagen bei der Analyse von Musik zwar sinnvoll, da gewisse soziale Bedingungen bestimmte musikalische Entwicklungen durchaus wahrscheinlicher machten, von einer deterministischen Position sei jedoch abzusehen (vgl. Friedrich 2010: 189ff.). Auch könne man nicht von präzise lokalisierbaren Subkulturen ausgehen, die sich als eine Art ›Teilsegment‹ zur Gesamtgesellschaft verhielten oder gar in deren ›unteren‹ (sub-) Bereich anzusiedeln seien (Baacke 2004: 133ff.; auch Dietrich 2016: 12).4 Nebst eines mangelnden Bezugs zur empirischen Realität vieler subcultural participants wurden die Studien des CCCS auch für ihren Fokus auf die spektakulären, die sog. »›card carrying‹ subcultural members« kritisiert, was unter anderem die Vernachlässigung all jener Gruppierungen zur Folge hatte, 4 Punks etwa, so Baacke, seien weder ›links‹ noch ›rechts‹; teils kommerziell, teils unabhängig und daher insgesamt keinem einheitlichen Raster zuzufügen (vgl. Baacke 2004: 133ff.).



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die sich eben nicht durch übermäßigen Drogenkonsum oder Straßenkriminalität auszeichneten (Hodkinson 2007: 7). Aus feministischer und geschlechtertheoretischer Perspektive geriet auch die Exklusion weiblicher Akteurinnen aus den Subkulturstudien in die Kritik (vgl. McRobbie/Garber 1976). Während der englische Begriff ›Youth Culture‹ gemeinhin mit Talcott Parsons assoziiert wird, geht das deutsche Pendant ›Jugendkultur‹ auf den Pädagogen Gustav Wyneken (1875–1964) zurück, der in der Jugendphase die Zeit »der größten Offenheit für alle hohen ethischen Werte und Haltungen« sah (Baacke 2004: 141f.). Für Wyneken war die Schule der Ort an dem die Jugend fernab elterlicher Zwänge und Entrechtung eine »Pflanz- und Freistätte« bekommen sollte. Demnach solle sie mehr als lediglich eine Unterrichtsanstalt sein (ebd.: 142). Gleichwohl das Bildungssystem auch heute noch als zentraler Vermittler kulturellen Wissens gilt, werden Jugendkulturen heute vor allem im außerschulischen Freizeitbereich angesiedelt (ebd.: 143). Mit der Wandervogel- und Scoutbewegung gab es bereits Anfang des 20. Jahrhunderts erste jugendkulturelle Gesellungsformen in Deutschland. Ein Trend, der sich mit den Wilden Cliquen der Weimarer Republik, den Swinger- und Edelweißpiraten während der NS-Zeit und nicht zuletzt einem starken Boom von Jugendkulturen ab dem Zweiten Weltkrieg fortzeichnen lässt (vgl. Lorig/Vogelsang 2011: 371). Diskutierte man Jugendkulturen in den 1960 und 1970er Jahren noch unter den Vorzeichen von Rebellion und politischem Widerstand (Subkultur-Begriff), ging man im Anschluss sukzessive dazu über, Jugendkulturen in enger Verwobenheit mit medialen Pop- und Konsumkulturen zu denken (ebd.: 125; Großegger/ Heinzlmeier 2004: 6f.). (Massen-)Medien wurden als wichtiges Trägerelement von Jugendkulturen erkannt, da sie nicht nur zu deren Internationalisierung, sondern auch zur Konstitution vieler Jugendkulturen beigetragen haben und beitragen (vgl. Baacke 2004: 145ff.; auch Lorig/Vogelsang 2011). Hinsichtlich der Medien spielt vor allem die Musik eine entscheidende Rolle, da die meisten Jugendkulturen heute über Musikrichtungen eingeteilt werden. Da Musikkulturen wie Techno oder auch HipHop/Rap eng mit der Produktion, sowie der Vermarktung von Spektakeln verbunden sind, stellt sich für viele Forscher_innen die Frage, inwiefern eine Unterscheidung zwischen kommerziellen, unpolitischen Mainstream-Kulturen auf der einen und unkommerziellen, politischen Subkulturen auf der anderen Seite (noch) sinnvoll ist, beziehungsweise ob »subkulturelle und subversive Relevanz mit Mainstream(erfolg) kollidieren müssen« (Dietrich 2016: 13; vgl. auch Friedrich 2010: 188).

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4.2 (Juvenile) Szenen als posttraditionale Gemeinschaften Die wissenschaftliche Diskussion um Jugend- und Subkulturen ist im deutschen Raum seit den 1980er Jahren stark modernisierungstheoretisch geprägt (vgl. Dietrich 2016: 10f.). Sozialstrukturelle Veränderungen, wie die Bildungsexpansion, Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt und damit zusammenhängend, eine Zunahme von Freizeit bei gleichzeitig steigendem Einkommen, führen zu hochgradig individualisierten Gegenwartsgesellschaften, die den/die Einzelne_n im Hinblick auf seine/ihre gesellschaftliche Positionierung zunehmend selbstverantwortlich, eben zum »Planungsbüro in Bezug auf seinen eigenen Lebenslauf« macht (Beck 1986: 217). Im Anschluss an Becks Gesellschaftsdiagnosen der Pluralisierung, Ausdifferenzierung und Individualisierung von Lebensstilen, die den Übergang in eine ›andere Moderne‹ markieren, ging man im Bereich der Jugendkulturforschung sukzessive dazu über, tradierte Konzepte und Begriffe um Klasse, Schicht oder Jugend zu modifizieren und die sinnstiftende Bedeutung klassischer Gesellungsformen wie Kirchen, Nachbarschaft oder Vereine zu hinterfragen. Nach Ansicht von Hitzler u. a. (2008: 9) würden diese sukzessive durch neue Vergemeinschaftungsmuster abgelöst, »deren wesentlichstes Kennzeichen darin besteht, dass sich ihre vergemeinschaftende Kraft nicht länger auf ähnliche soziale Lagen, sondern vielmehr auf ähnliche Lebensstile und ähnliche ästhetische Ausdrucksformen« gründet. Einen Vergemeinschaftungstrend entlang individueller und eben nicht mehr herkunftsabhängiger Interessensorientierung konstatieren auch die Jugendforscher Lorig/Vogelsang: »Mit der Expansion des Jugend- und Medienkulturmarktes zu Beginn der 1980er Jahre und der freien Wählbarkeit von kulturellen Mustern und Gruppierungen, verlieren klassenkulturell orientierte Stilbildungsprozesse an Bedeutung. Nicht mehr die Verankerung von jugendlichen Lebensformen in der herkunftsspezifischen ›parent culture‹ ist bestimmend für die heutigen Jugendkulturen und -szenen, sondern viel eher modische Stilbasteleien, die als postmoderne, identitätsstiftende Bezugspunkte tendenziell allen Jugendlichen verfügbar sind.« (Lorig/ Vogelsang 2011: 373)

Die »›Antwort‹ auf eine allgemeine gesellschaftliche Verunsicherung« seien die sog. ›posttraditionalen Vergemeinschaftungen‹ (Hitzler u. a. 2008: 18). Zwar verfügen auch sie über gewisse Regeln und geteilte Weltsichten, »allerdings mit Lebensbereichs-, Themen- und/oder gar situations-spezifisch beschränkter, also auf jeden Fall ›partieller, nicht-exkludierender Geltung«



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(Hitzler/Niederbacher 2010: 14). Die Verantwortung einer (guten) Lebensführung und Sinnsuche liegen also auch hier beim einzelnen Individuum, sind jedoch weniger verbindlich und alternativlos. Der Soziologe Hitzler betrachtet ›Szenen‹ als den Prototyp solcher ›posttraditionaler Gemeinschaften‹ und diskutiert den Szenebegriff folgerichtig auch im Zusammenhang der ›Entgrenzung der Jugendphase‹. Viele Lebensereignisse, die vormals das Jugendalter markierten  – etwa der Auszug aus dem Elternhaus – verlagern sich heute in das dritte Lebensjahrzehnt.5 Aber auch andere Grenzen im Leben junger Menschen beginn sich sukzessive zu verschieben und/oder ineinander überzugehen, so etwa jene zwischen Arbeit und Freizeit oder Bildung und Familienleben (vgl. Schröer 2004). Heutzutage werden Jugendliche beispielsweise deutlich früher mit den Logiken der Erwerbsarbeit konfrontiert. Böhnisch spricht in diesem Zusammenhang von einer immer früher einsetzenden Biografisierung im Sinne eines ›ich muss mich früh um mich selbst kümmern‹ (vgl. Böhnisch 2009: 29). Die Entgrenzung der Arbeitsgesellschaft hat demnach auch eine »Entgrenzung der Jugend als lebenslauftypischer Entwicklungsphase« zur Folge (Böhnisch 2013: 116). Junge Menschen – so auch Hitzler/Niederbacher – stünden angesichts der skizzierten Strukturveränderungen unter ganz besonderem Druck, denn der neu gewonnene Freiraum sei ein »zwiespältiges Moratorium, […] an dessen – immer unklarer werdendem, gleichwohl aber anvisiertem – Ende im kulturell und politisch erwünschten ›Normalfall‹ schließlich unter anderem dann offenbar doch (wieder) jene Kompetenzen erworben sein sollten, die den Zugang zur ›Sonnenseite‹ der Individualisierung möglichen machen« (Hitzler/Niederbacher 2010: 12). Im Kontext der Zerdehnung der Jugendphase mit all ihren sozialstrukturellen Konsequenzen und Komplexitäten gewönnen im Hinblick auf individuelle Sinnsuche nun vor allem freizeitliche Sozialräume an Bedeutung. Da der jugendsoziologische Begriff der ›Peer-Group‹ die strukturellen Veränderungen des neuen jugendlichen Erfahrungsraums (inkl. neuer Medien, Bedeutungsverlust von Herkunft usw.) nicht fassen könne, schlagen Hitzler/Niederbacher (2010: 15) den Begriff der ›(juvenilen) Szene‹ vor – der sich überdies auch im alltäglichen Sprachgebrauch Jugendlicher wiederfinden ließe (vgl. ›Rap-Szene‹, Süß 2016a) und jungen Menschen heute als selbstverständlicher, sozialer Ort der

5 Die Literatur zum Thema geht deshalb seit einiger Zeit dazu über, nebst ›Jugendlichen‹ auch von ›jungen Erwachsenen‹ zu sprechen.

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Sinnfindung diene.6 Szenen begegnen also den gesellschaftlichen Individualisierungstendenzen und Entbettungsgefühlen (vgl. Keupp u. a. 1999: 46ff.) mit frei wählbaren, klassen- und altersunabhängigen Angeboten der Zugehörigkeit und Identifikation. Hitzler/Niederbacher definieren: »Unter einer Szene soll verstanden werden: Form von lockerem Netzwerk; einem Netzwerk, in dem sich unbestimmt viele beteiligte Personen und Personengruppen vergemeinschaften. In eine Szene wird man nicht hineingeboren oder hineinsozialisiert, sondern man sucht sie sich aufgrund irgendwelcher Interessen selber aus und fühlt sich in ihr eine Zeit lang mehr oder weniger ›zu Hause‹. Eine Szene weist typischerweise lokale Einfärbungen und Besonderheiten auf, ist jedoch nicht lokal begrenzt, sondern, zumindest im Prinzip, ein weltumspannendes, globales […] Gesellungsgebilde bzw. eine ›globale Mikrokultur‹. Und natürlich gibt es in einer Szene keine förmlichen Mitgliedschaften.« (Hitzler/Niederbacher 2010: 15f.)7

Szenen begegnen schließlich nicht nur Jugendlichen mit Identifikationsangeboten, sondern sind als mehr oder weniger altersunspezifische Gesinnungsgemeinschaften zu verstehen. Wenn Hitzler/Niederbacher in diesem Zusammenhang den Begriff der Juvenilität in die Diskussion einbringen, so ist an dieser Stelle nicht nur auf den Konstruktionscharakter von Jugend, sondern auch auf dessen psychisch-affektuelle Dimension verwiesen. Ein Aspekt, den auch Bennett (2007: 29f.) in einem Beitrag hervorhebt, wenn er Jugend als »a way of feeling, rather than of being« beschreibt. In sog. ›juvenilen Szenen‹ gruppierten sich auch Menschen mit einer ›juvenilen‹ mentalen Disposition, Menschen, »denen die ›erwachsene‹ Welt ziemlich gleichgültig ist, weil sie einfach ›ihr Ding machen‹ wollen« (Hitzler/Niederbacher 2010: 196) und weiter: »Das Phänomen Juvenilität, mit seinen Konnotationen von Vitalität und Erlebnisorientierung, ist immer weniger eine Frage des Alters und immer mehr eine Frage der Einstellung zur Welt. Diese Einstellung zur Welt, diese ›mentale Disposition‹, ist dadurch gekennzeichnet, dass man weder (mehr) kindisch ist, noch erwachsen, sondern dass man in einem komplizierten Zusammenhang von ›eigenen‹, nicht etwa von individuellen, sondern von einfach nicht-erwachsenen-typischen Wichtigkeiten 6 An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Dortmunder Soziologen und Szeneforscher den Begriff der ›Szene‹ freilich nicht erfunden haben, sondern dieser im Bereich der Popkulturforschung sogar recht häufig (mal mehr mal weniger konzeptuell begründet) Verwendung findet (vgl. Friedrich 2010: 193; Straw 1991; Peterson/Bennett 2004). 7 Das Szene-Konzept trägt damit dem Gedanken der ›(musikalischen) Selbstsozialisation‹ resp. Selbst-Bildung, wie er etwa von Binas-Preisendörfer (2012) für das »Zeitalter medialer Multioptionalität« ausformuliert wurde, Rechnung; vgl. dazu auch Rhein/Müller (2006).



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lebt. […] Juvenilität als mit einer bestimmten Geisteshaltung korrelierende Lebensform wird zur prinzipiellen kulturellen Alternative gegenüber der Lebensform des Erwachsenseins – und damit für zunehmend mehr Menschen nachgerade jeden Alters zu einer ›echten‹ existenziellen Option.« (Hitzler/Niederbacher 2010: 196)

Neben ihrem thematischen Fokus (Rap), um den sich die Aktivitäten der Szene weitestgehend herumgruppieren (vgl. ebd.: 16f.), ihrem eigenen (wenn auch zunehmend in die Massen- beziehungsweise Popkultur diffundierten) kulturellen Zeichen-, Handlungs- und Wertekanon (vgl. ebd.: 18f.), ihrer insgesamt labilen (vgl. ebd.: 19) und gleichsam dynamischen Struktur (vgl. ebd.: 25f.), ist es auch die Juvenilität ihrer ›Anhänger_innen‹, die Rap als Szene im Sinne von Hitzler/Niederbacher fassbar macht. Dietrich (2016: 11) stellt fest, dass es im Rap keine »klar identifizierbaren Altersgrenze[n]« gibt und im sog. ›Szenekern‹ stattdessen Akteur_innen dominieren, »die nicht klassischerweise als (biologisch) jugendlich betrachtet werden können« (ebd.: 11f.).8 Ferner darf die RapSzene geradezu als Paradebeispiel einer ›globalen Mikrokultur‹, jedoch mit »lokale[n] Einfärbungen und Besonderheiten« gelten (Hitzler/Niederbacher 2010: 16), wird HipHop – und das gilt freilich ebenso für die Teilkultur ›Rap‹ – doch von den meisten HipHop-Forschenden im Spannungsfeld von Globalem und Lokalem angesiedelt und als Prototyp einer sog. ›glokale Kultur‹ verhandelt (vgl. Klein/Friedrich 2003a; Androutsopoulos 2003a; Seeliger 2013; Dietrich 2015a, 2015b u. v. a. m.). Wenn die Dortmunder Soziologen Szenen schließlich als ›querliegend‹ zu bisherigen Gesellungsformen und institutionell verfassten Gesellschaftsbereichen wie Wirtschaft oder Politik lokalisieren (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010: 26), so gehen Bock u. a. mit ihrer ›Theorie des HipHop‹ an dieser Stelle sogar noch einen Schritt weiter: HipHop (und damit immer auch Rap) – ließe sich »nicht mehr einfach in die Chronologie sich abwechselnder Jugendkulturen« einordnen, sondern müsse vielmehr als »glokales Kulturphänomen« betrachtet werden (Bock u. a. 2007: 314). Einer kapitalistischen und (post)industriellen Gesellschaft gleich, entwickle und stabilisiere sich HipHop entlang ähnlicher (struktureller) Mechanismen, wie der Vergemeinschaftung oder Differenzierung. Aufgrund seiner »ganz eigenen Prinzipien der Produktion, Relevanzsetzung, Ausdifferenzierung, Identitätskonstruktion, Vermarktung und Distribution« sei das Kulturphänomen insofern »mit umfassenden politischen und nationalen (Kultur-)Einheiten vergleichbar« (ebd.). Eine modernisierungstheoretische Konzeptualisierung des Rap als Sze 8 vgl. auch US-HipHop-Forscher Forman (2007: 31) der sich darüber wundert, dass »der Großteil der HipHop-Forschung immer noch einen jugendlichen Charakter des HipHop als selbstverständlich annimmt«.

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ne liegt schlussendlich vor allem aufgrund der geschlechtertheoretischen Rahmung dieser Arbeit nahe, die Männlichkeit im Kontext von Krisen und Transformationen letztlich ebenso an gesellschaftliche Umbruchsituationen wie die Enttraditionalisierung von Geschlechterverhältnissen zurückbindet. Zur Kritik am Szenebegriff Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass auch das Szene-Konzept einer kritischen Reflexion bedarf und sich Rap auch hätte anders fassen lassen. Im Sammelband Rap im 21. Jahrhundert diskutiert Dietrich die Passfähigkeit der Konzepte Jugendkultur, Subkultur und Szene mit Blick auf Rap und kommt zu dem Ergebnis: »Rap scheint mir am ehesten beschreibbar als kulturelles Gebilde mit szeneartigen Zügen und dem Potenzial zur Subversion. Das heißt, es handelt sich aus Sicht der modernisierungstheoretischen Jugendkulturanalyse um ein kulturelles Netzwerk von Personen, die materiale und/oder mentale Formen der Selbststilisierung teilen und Gemeinsamkeiten an typischen Orten und zu typischen Zeiten interaktiv stabilisieren und weiterentwickeln […].« (Dietrich 2016: 14)

Während das Potenzial zur Subversion auch m. E. aus heutiger Sicht durchaus gegeben ist (vgl. zum Beispiel die Sammelbände zum deutschen Gangsta-Rap von Dietrich/Seeliger 2012 und Seeliger/Dietrich 2017), ist einer grundsätzlichen und dichotomen Trennung in Hegemonial- vs. Subkultur gegenwärtig sicherlich nur bedingt zuzustimmen (vgl. auch bei Dietrich 2016: 12). Nebst Dietrich diskutieren auch andere HipHop-Forschende die Passfähigkeit des Subkultur-Begriffs. Für Saied beispielsweise sei sowohl innerhalb der Medien als auch in der Wissenschaft »das Bewusstsein für das, was HipHop einmal war [verloren gegangen]: Party-Musik. Seine ausschließliche Reduzierung auf eine subversive Form des Widerstands berücksichtigt nicht die Entstehungs-Kontexte und Fakten, unter denen HipHop seine Anfänge in den USA nahm. […] Der Rap, der oftmals per se als das adäquate Ausdruck und Widerstandsmedium von Minoritäten dargestellt wird, entwickelte sich jedoch erst relativ spät im Gegensatz zu den übrigen Elementen des HipHop.« (2012: 13)

Auch Dietrich (2016: 13) vermutet eine »mediale und wissenschaftliche Überpointierung« der sog. Ursprungserzählung, gibt jedoch berechtigterweise zu bedenken, »dass Rap, trotz seiner Ausdifferenzierung und trotz seiner kommerziellen und kulturellen Expansion, immer wieder subversive oder politisch prekäre Semantiken auf der öffentlichen Agenda platziert« (ebd.). Für Friedrich (2010: 201), der sich in seiner stadtsoziologischen Stu-



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die ebenso mit HipHop auseinandersetzt, schafft der Szene-Begriff im Hinblick auf die Subkulturbegriffsproblematik Abhilfe, da er offener und variabler in Bezug auf Veränderungen sei. Dennoch berge er die Gefahr, Aspekte sozialer Ungleichheit und machtvoller Positionierungen außer Acht zu lassen, wie sie sich bereits in Hitzlers Begriff der sog. ›Organisationselite‹9 materialisierten: »Wie schon die Existenz von Organisationseliten zeigt, sind Szenen nicht nur durch Empathie, affektive Allianzen und inszenierte Praktiken bestimmt, sondern auch durch Abgrenzung, Hierarchien und Distinktion«, konstatiert Friedrich (2010: 199), der sich in seiner Kritik unter anderem auf Bourdieu beruft und Szenen folgerichtig als ›kontinuierliche Kampffelder‹ beschreibt. Ähnlich wie die Gesamtgesellschaft auch sind Szenen hierarchische Gebilde, innerhalb deren das Verfügen über spezifische Konsumgüter oder auch der »Konsum von bestimmter Musik sozial positionierend wirkt« (ebd.). Zurecht verweist Friedrich an dieser Stelle auch auf die Bedeutung szenespezifischen Wissens, dessen soziale Logik und Funktion als ›subkulturelles Kapital‹ Thornton (1997) bereits am Beispiel der Club-Szene herausgearbeitet hat (vgl. auch Klein/Friedrich 2003a: 187ff.). Hierarchien und Machtgefälle ergeben sich freilich vor allem aus einer geschlechter- und männlichkeitstheoretischen Perspektive auf Rap, darf die gegenüber »›normalen‹ Szenegängern relativ privilegiert[e]« sog. »Organisationselite« (Hitzler/Niederbacher 2010: 22f.) doch als weitestgehend männlich dominiert gelten und ist Geschlecht doch – in Wechselwirkung mit anderen Kategorien – maßgeblich für feldspezifische In- und Exklusionsprozesse verantwortlich. Als Teil der Populärkultur muss die Rap-Szene deshalb grundsätzlich machtkritisch analysiert und als »prominentes Feld für die Verhandlung, Austragung und […] Generierung sozialer, ökonomischer und politischer Debatten und Konflikte verstanden« werden (Villa u. a. 2012: 12). In der Diskussion um die Passfähigkeit des Szene-Konzepts darf letztlich nicht unerwähnt bleiben, dass der Szenebegriff eine Art ›verschwörerische Vergemeinschaftung‹ impliziert, die der tatsächlichen Verfasstheit der deutschsprachigen Rap-Szene nicht standhält. Anders ausgedrückt: Von ei 9 Organisationseliten »rekrutieren sich zumindest größtenteils (und essentiell) aus langjährigen Szenegängern, welche auf der Basis ihres umfangreichen Wissens um ästhetische und andere Kriterien in der Szene […] Events (vor-)produzieren und im Zuge dieser Tätigkeit zumeist kommerzielle Chancen nicht nur (er-)kennen, sondern auch nutzen« (Hitzler/Niederbacher 2010: 22). Das Autorenpaar bezeichnet die Gruppierung weiterhin als »Eliten-Netzwerk«, das gegenüber anderen Szenegänger_innen privilegiert sei und überdies als »Szenemotor« gelten könne (ebd.: 22f.).

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ner eingeschworenen oder gar solidarischen Kollektivgemeinschaft kann man im Hinblick auf die Rap-Szene tatsächlich nur bedingt sprechen. Templeton (2007: 187) meint sogar, dass sich die deutschsprachige Szene durch eine besonders gering ausgeprägte Solidarität auszeichne und verortet die innerszenischen Differenzkonstruktionen dabei vor allem entlang der Kategorie Ethnizität.10 Zwar mögen sich die gemeinsamen Aktivitäten der Szene mehr oder weniger auf das Thema Rapmusik ausrichten (vgl. Hitzler/ Niederbacher 2010: 16f.; Süß 2016a), Szene-Kennzeichen wie eine ›je eigene Kultur‹ (Hitzler/Niederbacher 2010:18f.) oder auch ›typische Treffpunkte‹ (ebd.: 19f.) sind im Kontext von Ausdifferenzierung, Eventisierung, Digitalisierung und anderer »Triebkräfte des Wandels« (Dietrich 2016: 14ff.) jedoch nur schwerlich zu attestieren. Auch der Literaturwissenschaftler und HipHop-Forscher Wolbring gibt sich diesbezüglich kritisch: »Insgesamt bewirkt die Digitalisierung […] eine massive Versprengung der Partizipienten, die es fragwürdig erscheinen lässt, überhaupt von einer Szene zu sprechen. Vielmehr handelt es sich um viele disparate Hörerschaften, die sich teils als Fangruppe um einzelne Acts und Strömungen, teils aus Cliquen und Freundeskreisen und teils aus autonomen Individuen konstituieren.« (Wolbring 2015: 51)

Tatsächlich ist es aus heutiger Sicht mindestens fraglich, inwiefern sich eine 14jährige Gangsta-Rap-Hörerin aus Berlin-Kreuzberg, ein 45-jähriger Oldschool-Rap-Liebhaber aus der rheinlandpfälzischen Provinz, eine queere Rap-Producer*in aus dem Allgäu, ein aufstrebender Rap-Podcaster aus Frankfurt am Main und jemand, der Rap nur sporadisch über Streamingdienste rezipiert, über das gemeinsame issue Rap verbunden und sich entsprechend zur gleichen Szene zugehörig fühlen – gleichwohl sie sich beim Stöbern nach neuer Musik, Rezensionen oder Veranstaltungstipps unter Umständen auf denselben szenejournalistischen Plattformen ›ins Gehege kommen‹ mögen. Allerdings steht die Funktion rap-spezifischer Medien als kommunikatives und kuratierendes Scharnier zwischen Künstler_innen und Fans ihrerseits zur Disposition.11 Eine Diskussion, die ferner die Differenzierung zwischen einer Szene einerseits und einer Art Publikum andererseits tangiert und vor allem angesichts der rapiden Kommerzialisierung von 10 Vgl. an dieser Stelle die Kritik an der Rolle der weißen Mittelstands-Rap-Gruppe Die Fantastischen Vier, die für Wolbring (2015: 52) die plausibelste Erklärung für den gering ausgebildeten Kollektivismus der deutschsprachigen Szene bildet und diese »von Beginn an spaltet«. 11 vgl. einen kritischen Beitrag zum gegenwärtigen Zustand des deutschsprachigen RapJournalismus von Dietrich/Seeliger (2018).



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Rapmusik in Deutschland mehr als diskutabel erscheint. Der Anteil jener Szenegänger_innen, die sich im sog. ›Szenekern‹ befinden und »die Szene samt den je typischen Aktivitäten, Einstellungen, Motive [sic!] und Lebensstilen maßgeblich repräsentieren« (Hitzler/Niederbacher 2010: 185), mag im Verhältnis zu einem immer größer werdenden, nur sporadisch interessierten und konsumierenden Publikum eher gering sein. Die Konsumgeprägtheit wiederum korreliert stark mit internen Differenzierungen von Szenen, was ebenso auf den Zustand der gegenwärtigen deutschsprachigen Rap-Szene zutrifft. Abgesehen davon, dass Wandel und Transformation im Szenekonzept bereits mitgedacht sind und Hitzler/Niederbacher schon im Jahr 2010 unterschiedliche ›Trends in Szenen‹ konstatieren (ebd.: 190ff.), lässt sich Wolbrings (2015: 52) Einwand starker Distinktionstendenzen zwischen verschiedenen Protagonist_innen und Hörer_innenschaften entkräften. Stratifikation und innere Diversifizierung werden im Szene-Konzept von Hitzler/ Niederbacher durchaus berücksichtigt: »Gruppierungen werden offensichtlich vor allem dadurch zu einem Teil von Szenen, dass sie sich auf der Basis gemeinsamer Interessenlagen zu anderen Gruppierungen hin öffnen und sich selbst eben nicht nur als Gruppe, sondern (auch) als Teil einer Szene begreifen. Jeder Szenegänger ist in eine oder mehrere Gruppierungen eingebunden, die als solche Teil der Szene sind.« (Hitzler/Niederbacher 2010: 20)

Um eine glühende Anhängerin des linkspolitischen, antisexistischen sog. ›Zecken-Rap‹ zu sein, braucht es – wenn man so will – den konservativ-machistischen Gangsta-Rap, da dieser die Identität des Ersteren quasi als ›verworfenes Außen‹ diskursiv mitkonstituiert und andersherum. Zwar mag die Kommunikation zwischen diesen ›Gruppierungen‹ insgesamt »vergleichsweise niedrig« sein, »[d]ennoch macht gerade die Kommunikation zwischen den Gruppen die Szene aus« (ebd.).

4.3 Die Rap-Szene als sozialer Ort männlicher Vergesellschaftung Waren es früher gesellschaftliche Domänen wie das Militär oder die Wissenschaft, »welche die Geschlechterordnung der bürgerlichen Gesellschaft als die Domänen männlichen Gestaltungswillen vorgesehen hat« (Meuser 2006b: 163), so rücken längst andere machtvolle Sphären wie das Top-

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Management, die Medien oder die Popkultur in den Blickpunkt der Geschlechter- und Männlichkeitsforschung (vgl. zum Beispiel Connell 2005; Connell/Wood 2005; Sauer 2008; Villa u. a. 2012; Scholz 2015). »In postmodernen westlichen Gesellschaften bildet populäre Musik ein zentrales Medium der Konstruktion und Verhandlung sozialer Kategorien wie Gender, Ethnizität und Class« formuliert die Kulturwissenschaftlerin Bill (2012: 23). Rapmusik – und damit das thematische Zentrum der Rap-Szene – ist populäre Musik, ihr erfolgreichstes Subgenre Gangsta-Rap gar die wohl populärste zeitgenössische Musikrichtung überhaupt, weshalb Seeliger/Dietrich (2017: 9) die Spielart zu Recht als »wichtigste[s] Subgenre der wichtigsten modernen Popmusikrichtung des 21. Jahrhunderts« bezeichnen. Eine Analyse der Männlichkeitskonstruktionen auf dem populärkulturellen Feld der Rap-Szene ist deshalb aus vielerlei Gründen bedeutsam. Die Rap-Szene ist ein zentraler sozialer Ort männlicher Vergesellschaftung, denn Szenen erscheinen heutzutage »mehr und mehr als jene ›Orte‹ im sozialen Raum, an denen Identitäten, Kompetenzen und Relevanzhierarchien aufgebaut und interaktiv stabilisiert werden, welche die Chancen zur gelingenden Bewältigung des je eigenen Lebens über die Dauer der SzeneVergemeinschaftung hinaus (also relativ dauerhaft) erhöhen« (Hitlzer/Niederbacher 2010: 26). Rapper_in ist heute ein Beruf. Rapper_in-werdenwollen eine ernstzunehmende Berufsperspektive, was im Besonderen für den populären Gangsta-Rap gelten mag. Wenn Rap heute »big business« und damit »makrosoziologisch relevant« ist – wie Dietrich (2016: 9) feststellt – was bedeutet dies dann für die Diskussion um das Konzept hegemonialer Männlichkeit? Die sog. (transnational) business masculinity wird in der Männlichkeitsforschung derzeit als die zeitgenössisch relevanteste Verkörperung hegemonialer Männlichkeit diskutiert (vgl. Kap. 6.2). Eine Prämisse, die zu einem späteren Zeitpunkt mit dem stark durchökonomisierten Feld der Rap-Szene und seiner hegemonialen Subjektposition, dem Gangsta-Rapper, zusammengedacht wird (vgl. rap business masculinity, Kap. 8.5.3). Gleichzeitig konstatieren viele Männlichkeitsforscher_innen eine zunehmende »Pluralisierung hegemonialer Männlichkeiten« (vgl. Meuser 2006b: 169; auch Scholz 2015). Ein modernisierungstheoretischer Befund, der  – wie das Szenekonzept  – auf der Annahme einer differenzierten Gesellschaft ohne konkretes singuläres, politisches oder gesellschaftliches Machtzentrum beruht (vgl. Meuser 2006b: 169). Die Pluralisierung hegemonialer Männlichkeiten ist jedoch – so Meuser – nicht mit einer »Inflation x-beliebiger hegemonialer Männlich-



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keiten« gleichzusetzen (ebd.). Nicht jedes soziale Milieu oder Subkultur bilde schließlich eine »eigene hegemoniale Männlichkeit« aus und weiter: »Der Begriff hegemonial macht nur Sinn, wenn die in dieser Weise bezeichnete Männlichkeit eine normierende Wirkung über das jeweilige soziale Feld hinaus hat. Eine solche Wirkung ist einer subkultur- und milieuspezifischen Männlichkeit nicht notwendigerweise zu eigen. Eine in einem bestimmten sozialen Milieu vorherrschende Männlichkeit ist noch keine hegemoniale. Sie ist es nur dann, wenn sie erfolgreich mit dem Anspruch milieuübergreifender Gültigkeit auftritt.« (Meuser 2006b: 169f.)

Lässt sich eine solche milieuübergreifende Gültigkeit für die hegemoniale Gangsta-Männlichkeit konstatieren? Oder herrscht diese nur in einem bestimmten ›sozialen Milieu‹, nämlich der Rap-Szene vor? Tatsächlich gründet sich die posttraditionale Gemeinschaft der Rap-Szene gerade nicht auf eine gemeinsame Klassen- oder Lebenslage, sondern vielmehr auf die milieuunabhängige »Faszination der Teilhaber durch ein ›Thema‹« (Hitzler/Niederbacher 2010: 14). Die deutschsprachige Szene gilt ferner gar als ganz besonders heterogen. Eine Diversität, die sich sowohl entlang der Kategorien Ethnizität und Klasse (vgl. zum Beispiel Mühlig 2011: 35), als auch Alter (vgl. Dietrich 2016; Forman 2007; Bennett 2007) und zunehmend Geschlecht (vgl. Szillus 2016) festmachen lässt. Während sich die innerszenische »normierende Wirkung« (Meuser 2006b: 169f.) der Gangsta-Männlichkeit an der Nachahmung gangsta-spezifischer Sprach- oder Körpercodes materialisiert (vgl. Kap. 8.4.5; Kap. 10.4), bildet sich deren außerszenische Relevanz nicht zuletzt in integrationspolitischen Debatten ab, innerhalb deren die Sozialfigur des Gangsta-Rappers zum ›symbolischen Platzhalter‹ im Krisendiskurs um migrantische Männlichkeiten avanciert ist (vgl. Seeliger 2013). Die Gangsta-Männlichkeit ist damit eine gesamtgesellschaftlich relevante männliche Orientierungsfolie, ist sie als Negativbild doch immer auch Teil der Konstruktion weißdeutscher Männlichkeit ohne Migrationshintergrund (vgl. Scheibelhofer 2008). Darüber hinaus ist es jedoch vor allem die rapide Ökonomisierung der Szene, die doing rap masculinity männlichkeitssoziologisch interessant macht. Im US-amerikanischen Raum sind HipHop-Mogule wie Multimillionär JayZ längst in der ›sozialen Elite‹ des Landes angekommen, wo sie gleichberechtigt mit hegemonialen Männlichkeiten anderer zentraler gesellschaftlicher Machtfelder, wie zum Beispiel Ex-Präsident Barack Obama, in Erscheinung treten. Auch in Deutschland gehören Rapper wie Sido, Bushido, Raf Camora oder Cro zu den Großverdienern der Popmusik (wenngleich sich die gesellschaftliche Akzeptanz vor allem im Hinblick auf Gangsta-Rap (noch)

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nicht mit US-amerikanischen Verhältnissen vergleichen lässt). Sie sind Popstars und »[d]er Star ist der Ort, an dem Weiblichkeit und Männlichkeit in idealisierter und vermeintlich authentischer Form sowohl verkörpert als auch performativ hergestellt werden.« (Fenske 2016: 242). Goßmann/Seeliger (2015: 305) verstehen Gangsta-Rapper wie Manuellsen, PA Sports und Co in einem Beitrag – gesellschaftlich und strukturell betrachtet – als marginalisierte Männlichkeiten, die sich nicht mit hegemonialen Männlichkeiten aus Politik und Co vergleichen ließen. Die Bilder der Künste und Massenmedien jedoch leisten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag, wenn es um die »Täuschung« geht, als welche hegemoniale Männlichkeit – psychoanalytisch gewendet – daherkommt (vgl. Schröder/Soll 2015: 13). Die Gangsta-Männlichkeit, die als feldspezifische Verkörperung der business masculinity mittlerweile in der ›ökonomischen Elite‹ des Landes angekommen ist, sollte in ihrer gesamtgesellschaftlichen, weil männlichkeitstheoretischen Bedeutung deshalb ernstgenommen werden.

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5. Rap und Geschlecht

5.1 Männerszene Rap »Die HipHop-Szene ist stark männlich dominiert. Zwar gibt es durchaus erfolgreiche Rapperinnen (wie zum Beispiel ›Pyranja‹ oder ›Meli‹), dennoch sind Frauen im Hip-Hop noch immer unterrepräsentiert«, schreibt SzeneExperte Peters im Jahr 2010 über die deutsche ›Hip-Hop-Szene‹ (Hitzler/ Niederbacher 2010: 85). Diese und ähnliche Feststellungen finden sich in nahezu jeder Publikation über HipHop/Rap und obgleich sich gegenwärtig ein deutlicher Zuwachs an Frauen und queeren Personen konstatieren lässt, ist die Tatsache einer zahlenmäßigen Dominanz von Männern in der gegenwärtigen Rap-Szene bis heute gültig. Männliche Überpräsenz ist jedoch kein Spezifikum der HipHop resp. Rap-Szene. Mit einigen wenigen Ausnahmen (zum Beispiel Cosplay-Szene, vgl. ebd.: 46 oder Visual Kei, vgl. Höhn 2007) gelten die meisten Szenen und Jugendkulturen als männlich dominiert, zum Beispiel auch die ›Ultras‹ (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010: 162; Neuscheler 2014), die Gaming-Szene (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010: 103; Schulz u. a. 2014), die ›Skinheads‹ (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010: 141) oder die Fitness- und Bodybuilder-Szene (vgl. Liermann 2014). Wir haben es hier also mit sozialisatorisch bedeutsamen sozialen Orten zu tun, an denen »die Beteiligten grundlegende Elemente von Männlichkeit erlernen und sich diese gegenseitig beweisen und bestätigen«, wie Goßmann (2012: 85) in Anlehnung an Meuser mit Blick auf die Rap-Szene formuliert. Wie in anderen gesellschaftlichen Kontexten auch wird männliche Hegemonie in Szenen und Jugendkulturen durch männlich konnotierte Rituale aktualisiert, beispielsweise Kampftrinken, Gewalthandlungen (vgl. Böhnisch 2014) oder andere kompetitive (Sprech)Handlungen, wie dem Sprechakt dissing im Bereich Rap (vgl. zum Beispiel Deppermann/Riecke 2006; Lüdtke 2007b). Für den Literaturwissenschaftler Wolbring (2015: 72) ist die »männliche Überpräsenz unter den Protagonisten […] im Rap stärker ausgeprägt als in den meis-

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ten anderen Popkultur-Bereichen«. Schwarz wiederum meint in Rekurs auf das Genrelexikon www.musicline.com, dass nur die Black Metal Szene hinsichtlich des Ungleichgewichts zwischen Männern und Frauen mit HipHop/ Rap konkurrieren könne (vgl. Schwarz 2007: 182). Wenngleich eine eindeutige Trennung zwischen Rap-Produzierenden und Rap-Konsumierenden nur schwerlich vorzunehmen ist, kann man festhalten, dass sich die männliche Überpräsenz im Rap vor allem im Bereich Rapschaffender und weniger stark auf Seite Raprezipierender ausmachen lässt (vgl. Wolbring 2015: 70). Warum sich so wenige Frauen für Rap begeistern, liegt für die Rapperin Pyranja an den geringen Identifikationsmöglichkeiten, die Rapmusik für Mädchen und Frauen bereithält. Es sei schlicht nicht für alle Frauen interessant, etwas verkörpern zu wollen, was sie immer wieder neu unter Beweis stellen müssen – im ständigen Versuch einer Selbstfindung zwischen Männerphantasien und weiblichen Rollenklischees« (Käckenmeister 2007: 176). Als Frau sei es deshalb einfacher, sich HipHop/Rap »als Konsumentin zu nähern« (ebd.). Tatsächlich zeigt ein Blick in die Literatur und die realen Aneignungspraxen, dass Rapmusik auf Mädchen und junge Frauen ein hohes Faszinationspotential ausübt. Die Musik sei bei dieser Geschlechtsgruppe zuweilen gar noch beliebter als bei den männlichen Altersgenossen (vgl. zum Beispiel Bofinger 2001; Price 2006). Sogar die besonders machistischen und sexistischen Subgenres Gangsta- oder Porno-Rap sind davon nicht ausgenommen: »Mädchen sind im neuen deutschen Pornorap präsenter als manche Kritikerin gerne wahrhaben möchte: Sie bauen Beats, leiten die Promotionabteilung, produzieren die Pressefotos, führen bei Videos Regie, nehmen Tracks mit Pornorappern auf, rappen verbale Abrechnungen mit den ›Bitches‹ und ›Fotzen‹ ein oder nehmen selber verschiedene Formen von ›Sex-Tracks‹ auf«,

schreibt Manzke (2007: 168). Rapper wie Bushido oder auch Sido, der die breite Öffentlichkeit im Jahr 2002 mit seinem ›Arschficksong‹ provozierte, haben ihren kommerziellen Erfolg also ebenso weiblichen Rap-Fans zu verdanken. Ihr Anteil sei seit Etablierung der ›härteren‹ Rap-Spielarten sogar eher gestiegen, denn gesunken. »Der Pornorap von heute ist für Mädchen lebensweltlich sehr relevant« (ebd.: 171). Das geschlechtliche Missverhältnis auf Seite der Rapschaffenden erklärt sich Rapperin Pyranja dadurch, dass die »aggressive Kultur der Battles und Competitions auf Mädchen nicht genauso anziehend [wirkt] wie auf Jungen« (Käckenmeister 20007: 178). Tatsächlich haben HipHop/Rap und Männlichkeit mit ihrer kompetitiven Struktur eine zentrale Gemeinsamkeit: HipHop ist battle und battle beziehungsweise Wettbewerb ein zentrales Mittel männlicher Sozialisation (vgl. Meuser 2008: 34).



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5.2 HipHop Studies als Gender Studies Wer die Männlichkeitsperformance eines deutschsprachigen Rappers wie Capital Bra oder weibliche rap role models wie die ›Gangster Rapperin‹ Schwesta Ewa verstehen will, kommt nicht umhin, auf wichtige Vorarbeiten und Erkenntnisse aus dem US-amerikanischen Raum zurückzugreifen, zumindest dann nicht, wenn man HipHop Studies als Global Studies versteht, denn: »HipHop and rap cannot be viewed simply as an expression of African American culture; it has become a vehicle for global youth affiliations and a tool for reworking local identity all over the world.« (Mitchell 2001: 1f.) Die ersten Arbeiten, die sich dem Bereich der sog. HipHop Studies zuordnen lassen, entstanden dort bereits Anfang der 1990er Jahre und diskutierten HipHop/Rapmusik vor allem als black cultural expression (vgl. Rose 1994; Wolbring 2015: 27). US-amerikanische HipHop-Forschung deshalb (zumindest in ihren Anfängen) als Black Studies zu konzipieren, greift jedoch zu kurz. Viele (Schwarze) HipHop-Aktivist_innen und Theoretiker_innen denken race seit Anbeginn mit den Kategorien gender und sexuality zusammen und kontextualisieren die Repräsentationen Schwarzer Weiblichkeit und Männlichkeit kritisch im Kontext rassistischer und sexistischer Stereotype, wie sie bis heute als Resultat europäischer Kolonialherrschaft fortbestehen (vgl. u. a. Rose 1994/2008; Morgan 1999; Kitwana 2002; Stephens/Phillips 2003; Dyson 2004; Brown 2006; Pough 2007a, 2007b, 2007c; Peoples 2008; White 2011; Jeffries 2011; Clay 2012; Keyes 2012; Neal 2012; Dyson/ Hurt 2012 u. v. a. m.). Dabei sind es – grob überschlagen – vor allem die ›beide‹ Geschlechter betreffenden rassistischen sexual scripts, die geschlechtertheoretisch befragt werden, so zum Beispiel ›the Jezebel‹, ›the Mammy‹ (vgl. Stephens/Phillips 2003) oder auch ›the hustler‹, ›the race man‹ oder ›the nigga‹ (vgl. Brown 2006; Clay 2012; Judy 2012). Aber auch Homophobie, homosexuelle und queere Geschlechtsidentitäten werden in den US-amerikanischen HipHop Gender Studies seit einiger Zeit berücksichtigt (vgl. zum Beispiel Coleman/Cobb 2007; Dunning 2009; Clay 2012; Keyes 2012; Kruse 2016). Es ist nicht Ziel dieses Unterkapitels, die US-amerikanische Forschung zum Thema Rap und Geschlecht in ihrer Gesamtheit abzubilden. Für die Theoretisierung deutschsprachiger Rap-Männlichkeiten ist jedoch relevant, dass HipHop/Rap auch in den USA größtenteils als patriarchale und sexistische Praxis konzipiert und das »phallocentric model« (hooks 1992: 94) Schwarzer (Rap-)Männlichkeiten dabei postkolonial zurückgebunden wird:

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»With the emergence of a fierce phallocentrism, a man was no longer a man because he provided care for his family. He was a man simply because he had a penis. Furthermore, his ability to use that penis in the arena of sexual conquest could bring him as much status as being a wage earner and provider. A sexually defined masculine ideal rooted in physical domination and sexual possession of women could be accessible to all men. Hence, even unemployed black men could gain status, could be seen as the embodiment of masculinity, within a phallocentric framework.« (hooks 1992: 94)

Das Zitat verdeutlicht, dass die US-amerikanische Forschung neben der wichtigen postkolonialen Theoretisierung vor allem eine dezidiert intersektionale Perspektive auf doing gender kennzeichnet, die auch die Kategorie class ungleichheitskritisch im Blick behält. Ein Aspekt, den stärker zu berücksichtigen sowohl die internationalen Masculinity Studies als auch die deutschsprachige HipHop-Forschung zunehmend einfordern (vgl. zum Beispiel Staples 1982; Martschukat/Stieglitz 2008; Connell 2015 bzw. Grimm 1998; Scharenberg 2001; Rappe 2010; Seeliger 2013; Seeliger/Dietrich 2017; Dietrich 2018 u.v.m.). Deutschsprachige HipHop-Forschung kennzeichnet zu anfangs eine ähnliche Schwerpunktsetzung, insofern sich viele Arbeiten auch hier mit kulturellen Aushandlungs- und Identitätsbildungsprozessen im Kontext von Rassismus, Migration und Adoleszenz auseinandersetzten (vgl. Seeliger/Dietrich 2017: 10ff.; Dietrich 2018: 6ff.). Die ›waghalsigen Moves‹ und riskanten Aktionen der ›HipHopper‹ (oder auch ›Breakdancer‹, ›Rapper‹ und ›Sprayer‹) werden also zunächst nicht als ›vergeschlechtlicht und vergeschlechtlichend‹ markiert (vgl. eine Formulierung von Bourdieu 1997: 167). Im Zuge einer insgesamt verzögerten Forschungsaufnahme (vgl. Dietrich 2018:4ff.) geriet der Gender-Aspekt des doing hiphop erst ab etwa 2007 verstärkt in den Blick und wurde prompt vor allem mit Weiblichkeit assoziiert (vgl. Baier 2006; Strube 2007; Leibnitz 2007a; Völker/Menrath 2007; Schwarz 2007 usw.). Entsprechend der Hypostasierung des Männlichen zum AllgemeinMenschlichen (vgl. Simmel 1985) blieb Männlichkeit als Geschlechtskategorie – mit einigen wenigen Ausnahmen (vgl. Grimm 1998; Lüdtke 2007b; Wilke 2009)  – innerhalb der deutschsprachigen HipHop-Forschung weitestgehend unmarkiert. Erst seit ca. 2012 werden Genderperformances im HipHop/Rap auch stärker männlichkeitstheoretisch befragt (vgl. Goßmann 2012; Seeliger 2013; Goßmann/Seeliger 2015; Obst 2016; Süß 2019, 2020, siehe Kap. 5.4).



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5.3 Perspektiven auf Geschlecht im deutschsprachigen Rap Die HipHop-Literatur kennt verschiedene geschlechtertheoretische Perspektiven auf HipHop/Rap, wobei ein patriarchatstheoretischer Blick sicherlich dominant ist. »HipHop ist eine patriarchal organisierte, männlich dominierte und sexistische Kulturpraxis, gekennzeichnet dadurch, daß primär zwischen Mann und Nicht-Mann unterschieden und Weiblichkeit als Projektionsfläche für männliche Phantasien begriffen wird. Das ›Subjekt Frau‹ kann sich demzufolge in der Welt des HipHop nur über die mimetische Angleichung an eine männliche Bilderwelt herstellen. Es muß sich dabei am Spektrum männlich produzierter Weiblichkeitsbilder orientieren, die der Kategorie ›Sexualität‹ entstammen«,

lautet eine oft zitierte Definition von Klein/Friedrich (2003a: 206), die wiederum (unter anderem feldtheoretisch) mit Bourdieu argumentieren, wonach eine Frau auf dem Feld des Rap als ›illegitime Sprecherin‹ erscheint. Aufgrund der männlichen Herrschaft gilt es für weibliche Sprecherinnen sich »am Spektrum männlich produzierter Weiblichkeitsbilder [zu] orientieren, die der Kategorie ›Sexualität‹ entstammen« (ebd.). Auch Völker/Menrath (2007: 9) stellen fest, dass Frauen im HipHop/Rap in erster Linie »auf ihre Sexualität und Körperlichkeit reduziert« werden, wobei Heterosexualität als Norm gilt. Sie sind – vor allem auch in Musikvideos (vgl. Leibnitz 2007b)  – Statistinnen ohne eigenständige Position. Frauenrollen im Rap sind also – zumindest aus der Sicht vieler Aktivist_innen und Autor_innen um das Jahr 2007 – restriktiv, wenig vielfältig und lassen sich letztlich in den »jahrhundertealten Dualismus von Heiliger und Hure« einordnen (Klein/ Friedrich 2003a: 207, vgl. auch bei Baier 2006). Auch die queere Rapperin Sookee (2007: 34f.) bemängelt das beschränkte Spektrum von Rap-Weiblichkeitsbildern, das sich ihrer Meinung nach zwischen »›Sister‹, ›Bitch‹ und ›pseudomännliches Gangsta-Girl‹ [bewegt], was letztlich dadurch begründet ist, dass Männer nun mal die lautesten Stimmen im Rap und damit die Definitionsgewalt haben und sich diese auch nicht nehmen lassen«. Aus einer patriarchatstheoretischen Perspektive können Frauen im Rap also zwar innerhalb männlich definierter Geschlechtsrollen stattfinden (zum Beispiel als »konsum- und mediensüchtige Chicks« »wilde Weiber« oder »folgsame Groupies« usw. vgl. Klein/Friedrich 2003a: 206) und sich dabei sogar selbstbewusst als »Schlampen« oder »Bitches« bezeichnen, dieses being bad führt jedoch zu keinem Bruch oder einer Veränderung der strukturellen Verhältnisse. Im Gegenteil  – so die Argumentation  – sind widerständige Praxen

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und bad behavior probate Inszenierungsmittel der (ihrerseits manngemachten) Popkultur und damit ebenso der HipHop-Musikindustrie. Konventionen werden also weniger durchbrochen als vielmehr reproduziert. Was auf den ersten Blick subversiv erscheint, ist nach dieser Lesart zum Scheitern verurteilt. Es ist der »fehlgeleitete Versuch einer Rückeroberung weiblicher Lebensweisen aus einer (hetero)sexistischen Geschichte, der scheitern muß, weil er innerhalb des dualistischen Prinzips männlicher Zuschreibungen verbleibt und damit selbst patriarchale Geschichte fortschreibt« (ebd.: 207). In einem Beitrag über Inszenierungen von Weiblichkeit in Rapvideos konstatiert auch Leibnitz (2007b: 55), dass es zwar innovative und sogar patriarchatskritische Performances und Diskurse gibt, diese jedoch letztlich der heterosexuellen Norm entsprächen. Während Homosexualität innerhalb anderer Musikkulturen längst kein Tabuthema mehr sei (als Beispiel wird der Kuss von Madonna, Christina Aguilera und Britney Spears bei den ›MTV Video Music Awards‹ 2003 genannt) »scheint der HipHop [….] eine stärkere Affinität zu den konservativen Werten des Patriarchats aufzuweisen als die übrige westliche Populärkultur« (ebd.). Auch die Rapperin und Geschlechterwissenschaftlerin Nora Hantzsch aka Sookee kritisiert die Homophobie innerhalb der HipHop-Szene (vgl. Hantzsch 2008) und ist sich nicht sicher, ob sprachliche und performative Emanzipationspraktiken im Rap funktionieren können. Zwar verhindere eine Selbstbezeichnung als ›Bitch‹ »von außen als Schlampe bezeichnet und sexualisiert zu werden […] Letztlich hat sie jedoch keine Chance, tatsächlich ernst genommen zu werden, geschweige denn, ihr Image zu wandeln. Das Stigma einer durch und durch sexualisierten Frau wird ihr ewig erhalten bleiben, so dass es niemals um ihre Person oder ihre Musik, sondern immer um das Image des schwanzlutschenden Luders geht« (Sookee 2007: 36).

Patriarchatstheoretische Perspektiven sind zurecht als pessimistisch einzustufen und werden der Geschichte der Popkultur »als Experimentierfeld für die Durchbrechung von Konventionen« sicherlich nicht gerecht (Klein/ Friedrich 2003a: 208; vgl. Villa u. a. 2012). Zunächst ist festzuhalten, dass längst nicht alle Weiblichkeitsbilder des Rap über die Kategorie Sexualität zu fassen sind und die bald 40-jährige Geschichte des Rap freilich differenzierte und selbstbestimmtere Rollenbilder als die ›Heilige‹ und die ›Hure‹ hervorgebracht hat. Am Beispiel der US-amerikanischen, aber auch der deutschen Szene haben Völker/Menrath (2007: 11) verschiedene weibliche role models herausgearbeitet, die zeigen, »dass es neben der ›Bitch‹ auch andere Repräsentationsformen von Frauen im HipHop gibt und Frauen sich hier durchaus nicht nur über ihren Körper definieren.« Als Vertrete-



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rin des ›Conscious-Rap‹ repräsentiert die US-Rapperin Queen Latifah Ende der 1980er Jahre das Gegenmodell zur Bitch. Die erste womanistische HipHop-Hymne ›Ladies First‹, (1989) aber auch der rap-feministische Superhit ›U.N.I.T.Y.‹ (1993) sind empowernde und gleichsam sexismuskritische Statements aus der Perspektive einer starken Schwarzen Frau. Ein (heterosexuelles) weibliches HipHop-role model, das Völker/Menrath ›Conscious Sista‹ nennen. Die Rapperin und Sängerin Lauryn Hill stehe »für den Übergang von der Conscious- zur Soul-Sister« (ebd.: 15). Politische und afrozentrische Themen würden hier – wie auch bei Erykah Badu – verstärkt auf einer persönlicheren und spirituellen Ebene verhandelt. Die ›Soul sisters‹ inszenieren eine naturverbundene Weiblichkeit, die jedoch auch kritische Reflexionen von Geschlechterverhältnissen impliziert. Aus heutiger Perspektive ließen sich in diese Tradition beispielsweise die hip-hop assoziierte Soul-Sängerin Joy Denalane oder auch die US-amerikanische Rapperin und Wahl-Kölnerin Akua Naru stellen, wobei an dieser Stelle anzumerken ist, dass Weiblichkeitskonstruktionen of Color in der deutschsprachigen HipHop-Forschung weitestgehend unterforscht sind (vgl. El-Tayeb 2003; Hartwig 2007). Eine relativ häufige Konstellation, die bereits 1979 ihren Anfang nahm, sei ferner das Modell der sogenannten ›Crew-Sahnehaube‹, eine etwas umständliche Bezeichnung für die einzige Frau innerhalb einer Männer-Crew. Sha Rock, Mitglied der Rap-Crew mit dem vielsagenden Namen Funky Four Plus One ist ein stilprägendes Beispiel für diesen Rap-Weiblichkeitstypus, in dem Bitchyness und Toughness oftmals verschmelzen: »Die Crew-Sahnehaube steht selten für sich, sondern funktioniert eigentlich nur mit ihrer Crew, in Abgrenzung zu der sie sich aber verkauft und verkauft wird. Als ›Quoten-Frau‹ legitimiert sie den männlichen Kreis des HipHop und funktioniert so auch als Alibi für ein diskriminierendes Klima.« (Völker/Menrath 2007: 16) Hier ließe sich aus heutiger Sicht das einzige weibliche Mitglied der GUnit Crew um Rapper 50Cent, die Sängerin und Rapperin Olivia anführen. Aber auch der deutschsprachige Rap hat mit Kitty Kat (AggroBerlin) und Schwesta Ewa (Alles oder Nix Records) Rapperinnen des Typs ›Crew-Sahnehaube‹ hervorgebracht. Die Frankfurter Rapperin Schwesta Ewa ließe sich jedoch ebenso dem role model der ›Gangsta-Rapperin‹ zuordnen (die RapWeiblichkeitskategorien sind als fließend zu verstehen, vgl. ebd.: 11), das in den USA bereits in den 1990ern auftauchte. »Die Gangsta-Rapperin ist gewaltbereit, gerade keine ›Pussy‹, sondern hart wie ein Mann« formulieren Völker/Menrath (ebd.: 17). Aggressiv und cool, wird hier vor allem der

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männliche Habitus imitiert, während der eigene Geschlechtskörper  – anders als bei der ›Queen Bitch‹ – eher nicht als Verkaufsargument eingesetzt würde. Die eher unbekannte Bo$$ aus Detroit sowie Gangsta-Rapperin Eve werden als Beispiele dieses Typs genannt, wobei letztere aufgrund ihrer (Hyper)Weiblichkeitsperformance als eine Art Erweiterung der ›Queen Bitch‹ gesehen werden könne. Auch Deutschlands erste Gangsta-Rapperin Schwesta Ewa ließe sich grob innerhalb dieses Spektrums lokalisieren, wenngleich sie aufgrund ihrer Inszenierung als streetkredibiler Sexarbeiterin mit Migrationsgeschichte hier sicherlich eine sehr eigene Position bekleidet (vgl. Goßmann/Seeliger 2015; Bifulco/Reuter 2017). Komplementär zur ›Bitch‹ positionieren Völker/Menrath (2007: 18ff.) die sog. ›True-School-MC‹. Ihr geht es nicht um Image, Sex oder Geld, sondern vor allem um »HipHop als Kultur« (ebd.: 18) und weiter: »Ihre Emanzipation findet nicht auf sexueller Ebene statt, sondern setzt diese Art der Emanzipation voraus  – um dann inhaltlich weitergehende Lyrics anzusetzen oder auch clevere Party-Lyrics zu formulieren« (ebd.). Die US-Amerikanerinnen MC Lyte, Jean Grae aber auch deutsche Vertreterinnen wie Cora E. oder Fiva MC werden als Beispiele einer ›True-School-MC‹ genannt – ein weibliches rap role model, mit dem sich heute am ehesten Rapperinnen aus dem linken Rap-Spektrum wie Lena Stoehrfaktor, Presslufthanna oder auch Battle-Rapperin Antifuchs assoziieren ließen (wenngleich letztere durchaus auf sexuelle Reize in ihrer Genderperformance setzt). Als queere role models (of Color) müsste man aus heutiger Sicht schließlich vor allem Djanes, Rapperinnen und Rap-Aktivistinnen wie Sookee oder auch hoe_mies ergänzen, die sich mittlerweile als feste Größe im deutschsprachigen Rap etabliert haben (vgl. Sookee 2007; Sookee/Groß 2014). Die von Völker/Menrath (2007) beschriebenen Rollenmodelle sind sicherlich holzschnittartig und können die Vielfalt aktueller Weiblichkeitsentwürfe im Rap – weder in den USA noch in Deutschland – nur bedingt abbilden. Deutlich wird jedoch, dass sich Frauen im HipHop beziehungsweise Rap bereits recht früh eigenständige und legitime Positionen erarbeitet haben und eine patriarchatstheoretische Perspektive an dieser Stelle womöglich zu kurz greift. Wenn Völker/Menrath (ebd.: 11ff.) das Modell der ›Queen Bitch‹ herausarbeiten, so ist ein Übergang zu einer weiteren nicht minder dominanten Perspektive auf Genderperformances im HipHop/Rap und der Popkultur im Allgemeinen geschaffen, die gemeinhin mit den Denkströmungen des Dekonstruktivismus und Poststrukturalismus zusammengedacht wird.



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»Diese vor allem auf Judith Butler zurückgehende Lesart fragt nach dem subversiven Potential von geschlechtlichen und sexuellen Identitäten. Sie fragt danach, wie in der Maskerade, dem Spiel mit Identitätsmustern der (hetero)sexistische Normenkodex von Weiblichkeit unterwandert wird. Demnach ahmen die Rapperinnen nicht traditionelle Bilder von Weiblichkeit nach. Sie parodieren vielmehr die männlichen Einsetzungsriten von Weiblichkeit […], indem sie konventionelle Formen mit nicht konventionellen Formeln wie Ironie, Verfremdung oder Zitat aktualisieren. Indem sie beispielsweise einen sexistischen Sprachcode übernehmen, thematisieren sie den Prozeß der Einschreibung von Geschlechternormen auf die Körper und deren Legitimierungspraxis im HipHop-Feld.« (Klein/Friedrich 2003a: 208)

Während an dieser Stelle gerne auf das Beispiel Madonna referiert wird (vgl. ebd.), lassen sich poststrukturalistische Perspektiven auf Geschlecht im Rap am besten am Phänomen der Resignifizierung beschreiben. Die ›Queen Bitch‹ á l a Lil Kim definiert sich zwar über ihren Körper und Sexualität, krönt sich dabei jedoch selbst(bewusst) zur ›Bitch‹ und kodiert den pejorativ konnotierten Begriff damit um. Sexualität wird hier sexpositiv, das heißt vom Subjekt Frau her gedeutet und zum Vehikel von Selbstermächtigung und finanzieller Unabhängigkeit. Für Leibnitz (2007a) handelt es sich bei der ›Bitch‹ um ein ›ambivalentes Weiblichkeitskonzept‹. Zwar stellen Rapperinnen wie Lil Kim oder Missy Elliott durch Übernahme dieses von beiden Geschlechtern auf sehr unterschiedliche Weise verwendeten Begriffs herkömmliche Rollenerwartungen in Frage, »zugleich aber bleiben sie durch die Adaption des Begriffs in stereotypen und auf binären Oppositionen basierenden Frauenbildern gefangen« (ebd.: 166). Immerhin Missy Elliott verweigere sich durch ihren Künstlernamen beziehungsweise Alias (Misdemeanor =  ›Fräulein schlechtes Betragen‹) und ihre geschlechtsuneindeutige Bühnenperformance einer eindeutigen Zuordnung, wie Leibnitz (2007b: 51) andernorts konstatiert. Mit ihrer teilweise asexuellen Genderperformance im »aufgeblähten Synthetikanzug« breche Missy Elliott jegliche Regeln und erscheine demnach als eine Art »Trickster der HipHop-Szene« (ebd.). In Deutschland hat sich vor allem die meist unter dem Label ›Porno-Rap‹ geführte Rapperin Lady Bitch Ray (LBR) den ›Bitch‹-Begriff zu eigen gemacht und ihn in ein popfeministisches und -migrantisches Manifest überführt. »Meine Definition einer Bitch ist nicht mehr negativ – sondern eine pussytiv konnotierte Bezeichnung für Frauen, die es sich mit Würde verdient haben, als Bitch bezeichnet zu werden. Eine Bitch verfügt über die maximale Freiheit, ihr Leben nach eigenen Prinzipien zu gestalten. Die Grundlage für diese Werte schafft sie durch ihren Verstand, ihre Intelligenz und ihre Souveränität«,

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heißt es im Sachbuch BITCHISM – Emanzipation. Integration. Masturbation (Lady Bitch Ray, 2012: 20ff.). Inwiefern der emanzipatorische Akt dieser poststrukturalistisch gemeinten Selbstsexualisierung gelingen kann, oder ob im ›Porno-Feminismus‹ nicht doch wieder binäre Geschlechtsvorstellungen, Heterosexualität und ein männliches (Blick)Regime reproduziert und festgeschrieben werden ist auch in der Wissenschaft eine viel diskutierte Frage. In Anlehnung an Mc Robbie diskutiert Villa (2012: 240ff.) die Rapperin als top girl und überlegt, inwiefern pornographisches Empowerment hier zur individuellen Überlebensstrategie im Neoliberalismus verkommt, innerhalb dessen freilich niemand ›Opfer sein‹ will. Nach Villa bediene sich LBRs sexuelle Selbstermächtigung einer »konventionelle[n] Bildsprache des Pornografischen« und erinnere an Mc Robbies ›phallische Frau‹, die sich durch die Übernahme maskulin kodierter Praxen und Positionen auszeichne (casual sex usw.) (ebd.: 240). Pornografisches Empowerment – inszeniert als Spaß und »aus freien Stücken« (ebd.: 242) – werde zum »Billet zur Erlangung von Legitimität im Spiel um Anerkennung, das insbesondere Frauen spielen müssen, um Subjekte von Gewicht (Butler) zu sein« (ebd.). Eine Lesart, die sich auch auf das weibliche Rap-Duo SXTN übertragen ließe (vgl. zum Beispiel Godlewsky 2017: 57f.). Tuzcu (2012: 204) nähert sich Lady Bitch Ray verstärkt intersektional und sieht die sexpositive Genderperformance der Rapperin »not only as a feminist act per se but primarily as an intervention of female agency that takes its thrust from its marginalized ethno-cultural position. Lady Bitch Ray’s performance reworks the supposedly rigid distinction between gendered modes of representation of different ethnicities in Germany«. Als weibliche Porno-Rapperin und ›Kanakin‹ – wie die Rapperin sich selbst bezeichnet – fordere LBR Geschlechterstereotype beider Kulturen (Türkei/Deutschland) am Nexus von Gender, Sexualität und Ethnizität explizit heraus und eröffne damit eine neue (post)feministische, weil transkulturell prozessierende Position: »[H]er ›Vagina Kunst‹ highlights and critiques binary antagonisms such as female/ male, lower class/middle-class, art/porn, migrant/local. She draws attention to integration, transcultural society and specifically to the third generation of immigrants in Germany, all through a hyper-sexualization of her hybrid existence. It is this hybridity that presents a dangerous supplement and points to the inherent paradoxes within the gendered mode of national categorization« (ebd.: 215; vgl. auch Tuzcu 2017)

Aber verbleiben Strategien der Dekonstruktion, Parodie, Überzeichnung und Umkodierung – so wirksam sie auf individueller Ebene sein mögen – letztlich nicht auch innerhalb patriarchaler Strukturen (schon deshalb, weil



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Dekonstruktion à la Derrida und Co – verstanden als Kritik an phallogozentrischer Herrschaft – ihrerseits als eine Art männliches Resouveränisierungsprojekt gelesen werden könnte, vgl. Tholen 2011: 174)? Oder ist diese Perspektive mit Blick auf die aktuelle Rap-Szene womöglich gar hinfällig? Für den Literaturwissenschaftler Wolbring hat die Vorstellung einer männlichen Hegemonie beziehungsweise von Rap als homosozialer Männergemeinschaft, die als eine Art »ideologisch homogenes und untereinander vernetztes HipHop-Kollektiv ausschlussberechtigt oder -befähigt wäre« nur noch als »Denkfigur« Relevanz (Wolbring 2015: 74). Der Realität entspräche eine solche Perspektive vor allem im Kontext der Digitalisierung nicht. Wolbring, dessen umfangreiche Studie die Praxis des Rapschaffens fokussiert, sieht diese als »freiwillige […] prinzipiell themenoffene […] und weitestgehend körperlose […] ästhetische Sprachpraxis«, die »de facto kein Privileg heterosexueller Männer ist, sondern auch den Frauen und den ebenfalls unterpräsenten (offen) homosexuellen Männern jederzeit möglich wäre« (ebd.: 75). Der Germanist versucht die weibliche Unterpräsenz im Rap über sprachästhetische Kennzeichen zu erschließen und rekurriert in seiner Analyse des Hypermaskulinitäts-Topos ebenfalls auf Lady Bitch Ray. Für Wolbring wird die Geschlechterhierarchie, die der Hypermaskulinitäts-Topos impliziert durch die Porno-Rapperin nicht affirmiert, sondern vielmehr insofern modifiziert, als dass der Topos zwar adaptiert, aber zum »weiblichen HypergeschlechtsTopos variiert« werde (ebd.: 375). In der Selbstbezeichnung als ›Bitch‹ würde die eigene weibliche Sexualität als Ausdruck von Selbstbestimmung und Sinnlichkeit begriffen, was letztlich auch bedeute, mit der eigenen weiblichen Promiskuität zu prahlen, sie also im Sinne des Sprechakts boasting im Rap einzusetzen und damit (gewissermaßen sprachästhetisch geschlechtsneutrale) Autorität zu inszenieren (ebd.). Auch die Sprachwissenschaftlerinnen Bukop/Hüpper beschäftigen sich in einem genderlinguistischen Beitrag mit der ›Porno-Rapperin‹. In ihrer vergleichenden Analyse der Raptexte von Lady Bitch Ray und Rapper Kool Savas kommen die Autorinnen zu dem Ergebnis, »dass das von Erving Goffman beschriebene Arrangement der Geschlechter in den hier untersuchten Beispielen des deutschsprachigen PornoRaps nicht greift« (Bukop/Hüpper 2012: 177). So würden weder Räume des Hofmachens noch Hofierungsrituale greifen, was anzeige, dass Frauen keineswegs als zarte, beschützenswerte Wesen (miss)verstanden werden dürften. Wie der männliche Rapper Kool Savas, so verhandle auch Lady Bitch Ray Sexualität entlang von Dimensionen wie Macht/Ohnmacht oder Verachtung/ Demütigung, was als ›mimetische Angleichung‹ an einen männlichen Habi-

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tus lesbar sei, insofern dadurch (patriarchatstheoretisch perspektiviert) eine asymmetrische Geschlechterbeziehung reproduziert würde. Dennoch erscheine die Frau bei Lady Bitch Ray als emanzipiert: »Sie ist die fordernde und gebietende Domina, die Sex als – auf die eigene Befriedigung zielgerichtetes und erfolgsbetontes – (Partner-)Spiel auslebt« (ebd.). Auch aus Sicht der Genderlinguistinnen könne letztlich jedoch nicht geklärt werden, inwiefern die Rapperin dabei zur ›Dekonstruktion der Geschlechter‹ im Butlerschen Sinne beitrüge (ebd.: 178). Die bis heute (nicht nur) im Bereich der HipHop-Literatur geführte Debatte zwischen patriarchaler Ausweglosigkeit und poststrukturalistischem Bruch (vgl. auch bei Bifulco/Reuter 2017: 82ff.; Saied 2012: 77; Psutka/ Grassel 2018: 33ff., hier auch am Beispiel von SXTN) verweist auf die Bedeutung einer dritten geschlechtertheoretischen Lesart des Rap. Aus einer aneignungstheoretischen Perspektive geht es hierbei um die konkrete lebensweltliche Bedeutung der Zeichen, Symbole und Diskurse des HipHop/Rap (vgl. Klein/Friedrich 2003a: 209ff.). Damit steht eine der zentralen Einsichten der Cultural Studies zur Debatte, die darin besteht, »dass sich von einer auch noch so gelehrten und raffinierten Interpretation eines kulturellen Textes, einer Ideologie oder eines Diskurses nicht ableiten lässt, wie diese kulturellen Formen tatsächlich im Alltag von verschiedenen Personen und sozialen Gruppen interpretiert, verwendet oder angeeignet werden« (Winter 2012: 209). Die aneignungstheoretische Perspektive und die Bedeutung von Lesarten lassen sich exemplarisch erneut am Beispiel ›Porno-Rap‹ diskutieren. »Kritiker behaupten, dass die Mädchen, die sich mit Pornorap umgeben, eine masochistische Ader und zu wenig Selbstwertgefühl haben. Doch wenn man mit den ›Sympathisantinnen‹ spricht, merkt man schnell, dass hier nicht die Lust am Unterdrückt-Werden o. ä. im Spiel ist. Die kulturellen Codes sind andere«, schreibt die Kulturwissenschaftlerin Manzke (2007: 170) über den Porno-Rap-Konsum, der für Mädchen und junge Frauen von heute »lebensweltlich sehr relevant« sei. (ebd.: 171). Zwar sei es durchaus richtig, dass Frauen auf den entsprechenden Rap-Alben sehr häufig als sexualisierte, objektifizierte und insgesamt subordinierte Objekte aufgerufen werden; sexuell diskriminiert und/oder zum schmückenden Beiwerk degradiert, fühlen sich dennoch nicht alle weiblichen Hörerinnen. Im Gegenteil sind diesbezüglich höchst unterschiedliche Rezeptionsstrategien zu beobachten. So lassen sich problematische Tracks beispielsweise mit einer entsprechenden Selektionsstrategie umgehen, die nur auf solche Songs abzielt, die ein positives Frauenbild zeichnen. Durch (Liebes)Lieder wie ›Augenblick‹,



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›Schmetterling‹ oder Engel‹ kann auch ein Rapper wie Bushido zum Lieblingskünstler junger Mädchen werden – gleichwohl selbiger Rapper bekanntermaßen auch andere Töne anschlägt (»Nur weil du eine Frau bist und man dir in den Bauch fickt, heißt es nicht, dass ich dich nicht schlage bis du blau bist«, heißt es etwa auf ›Dreckstück‹, 2003). Die umfassende (sexualisierte) Thematisierung von Weiblichkeit  – so Manzke im Anschluss an Gabriele Dietze – könne Mädchen auch mit einer Form von Macht, der sog. »Attraktivitätsmacht« ausstatten. »Ich glaube nicht, dass die Mädchen es so toll finden, als Objekte dargestellt zu werden. Aber es strahlt einen gewissen Zauber aus, wie stark, souverän und autark die Rapper sich darstellen. Und die Fixierung auf den weiblichen Körper kann interessant für die Mädchen sein. Denn von harten Jungs begehrt zu werden, bedeutet auch, eine gewisse Attraktivitätsmacht zu haben. Wer heutzutage nicht sexy ist, ist nicht souverän.« (Dietze in einem Interview mit Manzke 2007: 172)

Gleichzeitig gibt es viele (weibliche) Fans, die zwischen Rap-Persona und der realen Person differenzieren und chauvinistische Inhalte in Kenntnis von Genre- und Textsortenspezifika zum Beispiel als ironisch oder humorvoll dechiffrieren. Ferner lässt sich eine Strategie der Abstrahierung oder auch Distanzierung beobachten, insofern sich mit den auf Textebene aufgerufenen ›Schlampen‹ oftmals gar nicht identifiziert und diese im Gegenteil als eine Art ›untergeordnete Weiblichkeit‹ konstruiert würden (ebd.: 176.).1 Natürlich eignen sich sexistische Texte darüber hinaus auch für weibliche Rezipientinnen hervorragend zur Provokation und um sich von Eltern, Lehrer_innen und anderen Autoritäten abzugrenzen. Auch die Rapperin Pyranja ist der Ansicht, »dass sich die Mehrheit der Frauen und Mädchen von diesen Texten weder angesprochen noch angegriffen fühlt«, sondern sie vielmehr als »symbolische Inszenierungen« verstünden; »[d]as Spektrum der gemachten Erfahrungen ist breiter und vielschichtiger« (Käckenmeister 2007: 177). Dass Frauen (nicht) nur im Rap höchst unterschiedliche Definitionen von Feminismus und Unterdrückungserfahrung haben, verdeutlicht ein aktuelles Beispiel. Die deutschsprachige Battle-Rapperin Pilz ist sich der strukturellen Benachteiligung von Frauen in Rap und Gesellschaft zwar bewusst, kann Forderungen nach weiblicher Solidarisierung oder ›mehr Frauen im Rap‹ jedoch wenig abgewinnen: 1 »Es gibt halt solche und solche Mädchen. Jedes Mädchen gehört zu der Gattung, zu der sie sich macht. Wenn sich jemand durch Betten oder hochfickt, ist es halt ne Schlampe. Aus Liebe ficken ist halt normal.« (Tina,17 in Manzke 2007: 176).

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»Viele stellen sich so als […] Opfer irgendwie dar […]. Ich bin eine Frau und ich muss jetzt an die Macht und lasst uns alle Frauen zusammen an die Macht gehen und ich denk mir so: Ja ok, könnt ihr machen, wenn ihr Bock d’rauf habt, aber dann macht es doch einfach! […] [A]lso einerseits kann man das natürlich thematisieren und mal drüber reden, aber ich glaube, dass es viel effektiver ist – zumindest jetzt auf Musik bezogen – einfach zu machen […]«2

Pilz’ Argumentation erinnert an dieser Stelle an den Feminismus der Philosophin Svenja Flaßpöhler, die in ihrer Streitschrift Die potente Frau (2018: 39) unter anderem dazu aufruft, »von der Möglichkeit in die Aktivität zu kommen« anstatt die Frau auf ihre historisch reproduzierte Position der Schwäche festzuschreiben – wie es die Aktivistinnen der #Metoo-Debatte mit der per se belästigten Frau als per se traumatisiertes und gegenüber der männlichen Macht handlungsunfähiges Subjekt ihrer Meinung nach forcieren.3 Mit Flaßpöhler ist eine Überleitung zu einer weiteren vierten theoretischen Perspektive auf Genderperformances im Rap geschaffen, die nicht nur auf die enge Verwobenheit von HipHop/Rap mit den konkreten Lebenswelten Raprezipierender, sondern vor allem auch auf die Ambivalenzen abhebt, die sich aus feministischer und gleichsam intersektionaler Perspektive bei dem ›Genuss‹ von (machistischer) Rapmusik ergeben. Nicht wenige Schwarze HipHop-Feministinnen betonen die affektuelle, leibliche und lustbetonte Dimension bei der Rezeption von Rapmusik, so etwa Morgan (2015: 36) mit ihrem Konzept der ›politics of pleasure‹: »As black feminists theorists, we’ve made a commitment to reframe the existing narrative about black female sexuality by positioning desire, agency and black women’s engagements with pleasure as a viable theoretical paradigm«.4 Auch misogyne Rapmusik verläuft ferner nicht in einem Zeichensystem, sondern ist eine Verknüpfung unterschiedlicher Codes und Modalitäten (vgl. Klemm/Stöckl 2011: 10). Im konkreten Rezeptionsprozess kann die Vergewaltigung auf der Inhaltsebene also schonmal – bewusst oder ungewollt  – ›überhört‹ oder im Vergleich zur Soundebene anders gewichtet werden. »Shake die Muschi von Frauenarzt hat einen geilen Beat. Erst fand ich Frauenarzt und Orgi scheiße, aber jetzt find ichs cool. Wenn der Beat 2 Pilz in einer Dokumentation zum Thema ›Rappen Frauen schlechter?‹, 02.01.2019, ­https://www.youtube.com/watch?time_continue=1274&v=w2hWSdIzfnA (das Video ist inzwischen ›privat‹) 3 Die Position und Handlungsempfehlungen Flaßpöhlers, die den ›Experienzialismus‹, das heißt die leibliche Erfahrung als Mittelweg zwischen Dekonstruktion und Essentialisierung von Weiblichkeit vorschlägt, sind freilich komplexer, können und sollen an dieser Stelle aber nicht weiter ausgeführt werden. 4 Zur hiphop-feministischen Lesart vgl. auch Kap. 2.2 dieser Arbeit.



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gut ist, dann achte ich auch nicht so auf den Text« gibt die 17-jährige Tine zu Protokoll (Manzke 2007: 175). Dass das Vergnügen an der (meist männlichen) Stimme und einer bestimmte Soundästhetik die »unoriginellsten Textstrukturen« aufzuwerten im Stande ist, bemerkt auch Forman (2009: 24f.): »Man [und wohl insbesondere Frau] muss nicht notwendigerweise mögen, was da ausgesagt wird, um zu schätzen oder gar zu genießen, wie es klanglich ausgedrückt wird.« Die HipHop-Feministin Lindsey hat in diesem Zusammenhang den Begriff der ›melodiösen Misogynie‹ geprägt: »I use the term melodious misogyny to capture the sonic pleasure offered by popular music forms such as hip-hop. If we do not take seriously the pleasure girls and women derive from music, even misogynistic and sexist music, we miss an opportunity to theorize the complexities of women and girls’ pleasure and enjoyment. Understanding that we engage narratives on multiple levels helps contextualize hip-hop generation women’s continued support of music with often harmful lyrics. The sonic functions as its own narrative.« (Lindsey 2014: 63)

5.4 Perspektiven auf Männlichkeit im deutschsprachigen Rap Wie bereits angemerkt, zeichnet sich die deutschsprachige HipHop-Forschung durch eine erstaunliche zeitliche Verzögerung zwischen der intersubjektiv geteilten Annahme des HipHop/Rap als patriarchaler Kulturpraxis einerseits (vgl. Klein/Friedrich 2003a: 206) und der dezidierten Beforschung der damit einhergehenden dominanten Subjektposition ›Mann‹ und dem Konstrukt ›Männlichkeit‹ andererseits aus. Vor allem ›außerhalb‹ der HipHop Studies (eine eindeutige Grenzziehung ist hier sicherlich schwer vorzunehmen, vgl. dazu Seeliger/Dietrich 2017: 10ff.) dominiert m. E. eine problemorientierte Analyseperspektive auf Männlichkeit im HipHop/Rap, die zudem auf vielerlei Verkürzungen beruht. Dies mag zum einen dem ›Umweg‹ über Weiblichkeiten und dem damit einhergehenden Fokus auf den freilich kritikwürdigen Sexismus in der Szene geschuldet sein. Zum anderen bestechen viele Arbeiten zum Thema durch eine mangelnde Sensibilisierung gegenüber der Pluralität von Männlichkeiten, sowie eine zu geringe Kenntnis des Gegenstands HipHop/Rap, was zu diversen Missverständnissen gegenüber dem komplexen Zusammenhang führt. Recht verbreitet ist etwa die Ineinssetzung von HipHop mit Rap und Rapmusik mit Gangsta-Rap, wodurch dessen hypermaskuline Gallionsfiguren (wie zum Beispiel Bushido)

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schonmal als Repräsentanten einer ganzen Kulturpraxis ausgerufen und diese wiederum zur letzten Bastion traditioneller (wahlweise ›vormoderner‹) Männlichkeit stilisiert wird (vgl. etwa bei Wensierski 2007; Reckwitz 2010; Gerards 2013). ›Innerhalb‹ der stark in der Tradition der Cultural Studies stehenden HipHop Studies wiederum erscheint HipHop-Kultur und ebenso Gangsta-Rap »als insgesamt positiv besetzter Forschungsgegenstand« (Seeliger/Dietrich 2017: 18). Eine Lesart des Rap als »Ästhetik des Widerstands« (Marquart 2015 zit. nach Seeliger/Dietrich 2017: 18) wiederum ist zwar möglich und ebenso nachvollziehbar, kommt jedoch angesichts der »Homophobie, den häufig sexistischen Darstellungen, der Bestätigung männlich geprägter Heldenverehrung und einer immer wieder ins Menschenverachtende abdriftenden Elitenfeindlichkeit« einseitig optimistisch daher, wie die Sozialwissenschaftler Seeliger/Dietrich (ebd.) mit Blick auf den deutschen Gangsta-Rap zurecht bemerken. Eine kritische Auseinandersetzung mit rapmännlichem Sexismus, Homophobie oder auch Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit kommt derweil zunächst vor allem aus der Szene selbst, etwa von der bereits erwähnten Rapperin und Geschlechterwissenschaftlerin Sookee (vgl. Hantzsch 2008) und anderen Aktivist_innen und HipHopChronist_innen wie Loh/Güngör (2002), Stüttgen (2007), Loh/Verlan (2015: 492ff.). Erste dezidiertere wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Männlichkeit im Rap liefern – freilich ohne Anspruch auf Vollständigkeit – Grimm (1998), Lüdtke (2007b) oder Wilke (2009), wobei sich der Fokus auf das prominenteste Rap-Männlichkeitsmodell des Gangsta-Rappers hier bereits abzuzeichnen beginnt. Wenn das Subgenre Gangsta-Rap sodann das thematische Zentrum zweier Sammelbände bildet, so ist das  – nicht zuletzt aufgrund der enormen Popularität dieser Rap-Spielart – nicht minder nachvollziehbar (Dietrich/Seeliger 2012; Seeliger/Dietrich 2017). Angesichts der Diagnosen als ›sexistisch‹, ›homophob‹ und ›männlich-heroisch‹ ist es erstaunlich, dass es den meisten der insgesamt 26 Beiträge an einer explizit männlichkeitstheoretischen Perspektive auf das hypermaskuline Gangsta-Rap-Genre zunächst ermangelt (vgl. Ausnahmen wie Goßmann 2012; Seeliger 2017). Näheres, etwa zu ›Rap als homosozialer Männergemeinschaft‹ oder männlicher Verunsicherung durch weibliche Gangsta-Rapperinnen erfahren wir von Goßmann (2012) und Goßmann/Seeliger (2015), während Seeliger (2013) mit seiner Monografie zum deutschen Gangsta-Rap ›zwischen Affirmation und Empowerment‹ wohl die bis dato umfangreichste Abhandlung zum Thema Männlichkeit im Rap liefert. Das Autorenpaar Jung/Schmidt (2014) stellt ferner subversive, zum Beispiel homosexuelle



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Männlichkeitsbilder im Rap vor – wenngleich sich in dem Beitrag vor allem auf die US-amerikanische Szene bezogen wird. Analog zu der postkolonialen Theoretisierung von Männlichkeit im US-amerikanischen Raum dominiert in deutschsprachigen Arbeiten zum Thema berechtigterweise der Analyserahmen der Migration(sgesellschaft) (vgl. zum Beispiel Saied 2012; Lenz/Paeteau 2012; Gossmann 2012; Seeliger 2013; Güngör/Loh 2017 u.v.m.). Dies zeichnet die begrüßenswerte Folge, dass sich der hypermaskulinen Subjektposition des Gangsta-Rappers in der deutschsprachigen HipHop-Forschung seit einiger Zeit verstärkt intersektional und ungleichheitstheoretisch genähert wird (vgl. zum Beispiel Seeliger/Knüttel 2010; Lenz/Paetau 2012; Böder/Karabulut 2017; Seeliger 2017). Männlichkeitstheoretisch nuancierte Studien begegnen dem Zusammenhang von Rap und Geschlecht weniger patriarchatstheoretisch, denn vielmehr vermittels Connells (2015) Konzept ›hegemonialer Männlichkeit‹ (vgl. Gossmann 2012; Seeliger 2013; Jung/ Schmidt 2014 usw.). So definiert Seeliger (2013: 113) in seiner Monografie zum deutschen Gangsta-Rap die »[m]ännliche Hegemonie […] als paradigmatisches Ordnungsmuster des allergrößten Teils HipHop-kultureller Formen«. Nicht nur seien die meisten einflussreichen Sprecherpositionen männlich besetzt, auch das »Set von Symbolen, Artefakten und sozialen Praktiken« sei durch »Formen einer männlichen Konnotation« geprägt (ebd.). Für Schröer (2012: 68) wird im Gangsta-Genre »ein Lebensstil glorifiziert, der an Statussymbole gekoppelt ist, die auf das Bild einer ›hegemonialen Männlichkeit‹ […] verweisen, die hier als ›marginalisierte Männlichkeit‹ […] in Erscheinung tritt.« Goßmann (2012: 100) hingegen sieht in dem Männlichkeitsmodell des Gangsta-Rappers Bushido eine »marginalisierte Männlichkeit als Verkaufsstrategie«. Ähnlich wie in der Männlichkeitsforschung ist der männliche Körper auch in den deutschsprachigen HipHop Studies weitestgehend unterforscht. Während in der englischsprachigen Literatur diesbezüglich vor allem auf Körperkonzepte wie Coolness (vgl. Jeffries 2011) oder auch Härte referiert wird, die Williams (2015: 81) als »prevalent, unquestioned, and almost an everyday index of hegemonic masculinity throughout the hiphop culture« bezeichnet,5 werden selbige Konzepte in der deutschsprachigen Literatur bislang zwar berücksichtigt, aber kaum geschlechtsspezifisch ausbuchstabiert (vgl. bei Klein/Friedrich 2003a; Liell 2003; Wolbring 2015).6 5 Im Original heißt es selbstverständlich toughness und nicht ›Härte‹. 6 Die Härte in der von Liell (2003) untersuchten ›ethnisch‹ inhomogenen HipHop-Gruppe markiere etwa sowohl die Differenz zwischen Kindheit und dem Erwachsensein. Sie deute jedoch gleichsam auch auf eine geschlechtstypische Differenz hin. »Härte beruht

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Lediglich die Arbeiten von Goßmann (2012), Goßmann/Seeliger (2015) und Seeliger (2013) nehmen den männlichen Körper in den Blick und rekurrieren diesbezüglich vor allem auf das Habituskonzept, das Meuser im Anschluss an Bourdieu geschlechtlich vereindeutigt hat. Seeliger (2013: 119ff.) berücksichtigt die Kategorien Körper und Sexualität ferner in seiner intersektionale Analyse des Gangsta-Rappers. Gleichwohl sich Connells Konzept hegemonialer Männlichkeit inzwischen einiger Beliebtheit erfreut, wird die binnengeschlechtliche Dimension und die Vielfalt deutschsprachiger RapMännlichkeiten – anders als im englischsprachigen Raum – bislang kaum machtkritisch in den Blick genommen.7 Lediglich Goßmann (2012: 98) analysiert die Männlichkeitskonstruktionen von Bushido und KIZ im Vergleich und stellt mit Blick auf ersteren fest, dass sich das doing masculinity des Gangsta-Rappers vor allem in der »Abgrenzung von anderen Männlichkeiten« herausbildet und dabei sogar »eine größere Rolle als die Abgrenzung zu Weiblichkeit« spiele (ebd.). Auch Stetten/Wysocki (2017) setzen sich jüngst mit dem zwischenmännlichen Verhältnis von Rap-Männlichkeiten auseinander, wenn sie die gangsta-rap-kritische Perspektive des Rap-Duos Huss und Hodn analysieren. Ohnehin zeichnet sich innerhalb der letzten Jahre ein stärkeres und differenziertes Interesse für den Themenbereich Männlichkeit ab. So wird diese (unter anderem anerkennungstheoretisch) im Spannungsfeld von Prekarität und Neoliberalismus diskutiert (vgl. Lütten/Seeliger 2017; Bendel/Röper 2017) und sukzessive unter den Vorzeichen von Wandel und Transformation gedacht (vgl. Goßmann/Seeliger 2015; Obst 2016; Szillus 2016; Süß 2019, 2020). Aus aktuellem Anlass gerät jüngst auch wieder der Antisemitismus im Rap in den Blick, den Bloching/Landschoff (2018) am Beispiel des Skandalalbums JBG3 der Rapper Kollegah und Farid Bang ebenso männlichkeitstheoretisch analysieren. offenbar auf einem fundamentalen Akt der Verhüllung des Selbst: Das (emotionale, ›weiche‹) Innere wird verdeckt, während nach außen, also in sozialen Interaktionen der Akteur sich als ›hart‹ präsentiert; es ist ein ›Image‹. Zugleich wird deutlich, dass dieser Habitus durch die Akteure inkorporiert wird und ihre Körperlichkeit prägt, bis hin zu ihrer Art zu gehen.« (Liell 2003: 131) 7 Für Boggs sind Gangsta-Rapper wie Eminem oder Dr. Dre aufgrund der Performance von »toughness and irreverence« als Vertreter einer hegemonialen Männlichkeit zu verstehen, die weniger erfolgreichen und damit marginalisierten Rap-Männlichkeiten wie Talib Kwali gegenübergestellt werden könnten: »Marginalized masculinity operates on the outer edges of the assemblage and maintains a conspicuous distance from the hegemonic. Marginalized hip hop ist best embodied by socially conscious artists like The Roots, Talib Kweli, dead prez, and a host of others who never make it into the mass market.« (Boggs 2015: 68)

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6. Männlichkeit: Theorien und aktuelle Diskurse

Neben Pierre Bourdieus Theorie männlicher Herrschaft liegt den männlichkeitstheoretischen Analysen dieser Arbeit vor allem Raewyn Connells breit rezipiertes Konzept hegemonialer Männlichkeit zugrunde. Nachfolgend werden die Eckpunkte beider Theorien skizziert und jeweils auf ihre blinden Flecken hin befragt. Aufgrund der forschungsleitenden Fragestellung und dem Konstruktionsmodus von Rap-Männlichkeit werden zudem einige angrenzende Überlegungen beider Konzepte in den Blick genommen, so zum Beispiel der männliche Habitus, sowie die Diskussionen um eine transnational business masculinity. Abschließend erfolgt eine transdisziplinäre Skizze des Diskursphänomens um eine sogenannte Krise der Männlichkeit. Neben einigen wichtigen Positionen im Diskurs wird mit der ›ambivaloxen Dialektik‹ anschließend das wohl zentralste Merkmal der Modernisierung von Männlichkeit herausgearbeitet. Kapitel 9 und 10 diskutieren die hier vorgestellten Theorien und Prämissen schließlich anhand von einigem empirischen Material aus dem Diskursuniversum der deutschsprachigen Rap-Szene.

6.1 Bourdieus männliche Herrschaft Sensibilisiert durch die feministische Forschung hat sich Bourdieu erst in seinem Spätwerk Ende der 1980er Jahre dezidiert mit der Bedeutung von Geschlecht für die gesellschaftliche Ordnung auseinandergesetzt. Diese wird von ihm als immer schon vergeschlechtlicht verstanden, wodurch er seinen bis dato ausgearbeiteten Theorien über den Habitus und die symbolische Ordnung ein geschlechtstheoretisches Fundament verleiht. »Bourdieus Theorie männlicher Herrschaft ist eine Art logischer Schlusspunkt seiner Forschung. Ohne sie wäre seine Gesellschaftstheorie unausgeführt geblieben«, konstatieren Jäger u. a. (2012: 16). Werfen wir also einen Blick auf Bourdieus

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zentrale Überlegungen zur männlichen Herrschaft, auf wichtige Begriffe und Konzepte sowie den Kontext, in dem Bourdieus Theorie entstand. Um nicht selbst den Denkweisen aufzusitzen, die Produkt männlicher Herrschaft sind, nutzt Bourdieu für seine Analysen den Umweg über das ›Fremde‹ und entwickelt seine Theorie auf Basis ethnografischer Forschungen über die Bergbauern der Kabylei (Algerien).1 Die dortige kulturelle Tradition stelle einerseits »eine paradigmatische Realisation der mediterranen Tradition dar. […] Zum anderen partizipiert die ganze europäische Kultur unzweifelhaft an dieser Tradition«, erklärt der Soziologe seine Wahl (Bourdieu 2016: 15). Bourdieu interessiert (und irritiert) in seiner Forschung vor allem die Frage, wie es zur Kontinuität von Herrschaft kommen kann und wie es möglich ist, dass die »Weltordnung« trotz ihrer ungerechten Verteilung von Privilegien so mühelos und ohne direkten Zwang oder Gewalteinwirkung akzeptiert wird. Er bringt diese Verwunderung durch den Begriff der »Paradox der doxa« zum Ausdruck (ebd.: 7). Durch die Analyse der kabylischen Gesellschaft gelangt er zu der Auffassung, männliche Herrschaft (re)produziere sich vor allen Dingen durch zwei Mechanismen: durch ihre Objektivierung in der sozialen Welt und ihre Inkorporierung in den Habitus der Individuen. Die Objektivierung sei dabei als Ergebnis eines universellen Visions- und Divisionsprinzips (sehen + einteilen) zu verstehen. Sämtliche Gegenstände und Praktiken der kabylischen Gesellschaft nämlich stünden in einer symbolischen Polarität zueinander und würden anhand des Gegensatzpaares männlich/weiblich klassifiziert, wobei das Männliche stets als das Überlegenere gelte. Dieser prinzipiell willkürlichen Einteilung (hoch/ tief, unten/oben, links/rechts, gerade/krumm usw.) lägen Denkschemata zugrunde, die stets nur die in der »Natur der Dinge« liegenden Unterschiede registrierten (Bourdieu 2016: 19; vgl. auch Scholz 2015: 29). Hier allerdings, so Bourdieu, sei eine Verkehrung von Ursache und Wirkung zu verzeichnen, da es sich bei der Einteilung in zwei Geschlechter um eine gesellschaftliche Konstruktion handele, die sich durch Bezug auf einen anatomischen Unterschied als natürlich ausweise und dadurch eine entsprechende Arbeitsteilung legitimiere. Die Herrschaft vollziehe sich demnach in einem ›Modus der Naturalisierung‹, der »Verwandlung der Geschichte in Natur, des 1 Bourdieu (2016: 11) formuliert: »Dieser Umweg über eine fremdartige Tradition ist unvermeidlich, um das Verhältnis trügerischer Vertrautheit aufzubrechen, das uns mit unserer eigenen Tradition verbindet.« (Es handelt sich hierbei um denselben empirischen Hintergrund auf dem auch Bourdieus Habitustheorie entstand; vgl. Meuser 1998: 110).



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kulturell Willkürlichen in Natürliches« (Bourdieu 2016: 8; vgl. auch Villa 2011: 54). Diese Einteilung der sozialen Welt würde durch bestimmte Einsetzungsriten der untersuchten Gesellschaft schließlich fortwährend (re)produziert und schreibe sich in die Denk- und Wahrnehmungsschemata, vor allem aber in die vergeschlechtlichten Körper der Individuen ein. Bourdieu bezeichnet diese Habitualisierung als Ergebnis einer »ungeheuren kollektiven Sozialisationsarbeit« (Bourdieu 2016: 45). Die männliche Herrschaft realisiert sich bei Bourdieu vor allem durch die von ihm bereits herausgearbeitete symbolische Gewalt. Die »Art und Weise, wie sie aufgezwungen und erduldet wird« bezeichnet er gar als »Beispiel schlechthin für diese paradoxe Unterwerfung […], die ein Effekt dessen ist, was ich symbolische Gewalt nenne« (ebd.: 8). In seinen Meditationen schreibt er über die symbolische Macht (Bourdieu verwendet die Termini ›Macht‹ und ›Gewalt‹ zuweilen synonym): »Selbst dann, wenn Herrschaft auf nackter Gewalt – der der Waffen oder der des Geldes – beruht, hat sie stets auch eine symbolische Dimension, und die Akte der Unterwerfung und des Gehorsams sind Akte des Erkennens und Anerkennens, die als solche kognitive Strukturen einsetzen, die auf alle Dinge der Welt passen, und insbesondere auf soziale Strukturen.« (Bourdieu 2001: 220)

Der Mechanismus der symbolischen Gewalt, als Form welcher sich die männliche Herrschaft darstellt, benötige das Einverständnis seitens der Beherrschten (Akte des Erkennens und Anerkennens). Dieses jedoch erfolge weniger bewusst, als vielmehr aus einer habitualisierten, vorreflexiven Unterwerfung heraus.2 Die weibliche Unterwerfung ist als Form dieser Anerkennung in Bourdieus Theorie zwar zentral, jedoch konzipiert er auch die Herrscher selbst als Teil des Mechanismus, da sie im Anschluss an Marx ebenso »von ihrer Herrschaft beherrscht« würden (Bourdieu 2016: 122).3 Bourdieu erklärt diesen Umstand mit seinem Konzept der ›ernsten Spiele des Wettbewerbs‹, die auf all jenen Feldern gespielt würden, »welche die Geschlechterordnung der bürgerlichen Gesellschaft als die Domänen männlichen Gestaltungswillens vorgesehen hat: In der Ökonomie, der Politik, der Wissenschaft, den religiösen Institutionen, im Militär sowie in sonstigen nicht-privaten Handlungsfeldern« (Meuser 2001a: 5). Die Idee vom Mann, der es sich zu stellen gelte, verlange nun die 2 Andernorts spricht Bourdieu (2001: 222) dabei auch von einer »unüberwindliche[n] Unterwürfigkeit, die alle sozialen Akteure mit der sozialen Welt verbindet, deren Produkte sie im Guten wie im Schlechten sind.« 3 vgl. auch die Formulierung einer »Mittäterschaft des Akteurs« bei Bourdieu/Wacquant (1996: 204)

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Teilnahme, vor allem aber den Glauben, die sog. »Basis-illusio« an diese agonal konzipierten Spiele (Bourdieu 2016: 132).4 »Die ursprüngliche, für die Männlichkeit konstitutive illusio liegt sicherlich der libido dominandi in all den spezifischen Formen in den verschiedenen Feldern zugrunde. Diese illusio bewirkt, daß die Männer (im Gegensatz zu den Frauen) gesellschaftlich so konstruiert und konditioniert sind, daß sie sich wie Kinder von allen ihnen gesellschaftlich zugewiesenen Spielen packen lassen, deren Form par excellence der Krieg ist.« (Bourdieu 2016: 133)

In den Spielen des Wettbewerbs, innerhalb deren den Frauen »das gänzlich negative Privileg« des Ausgeschlossen-seins zukomme, bildet sich letztlich das aus, was Meuser in Erweiterung an Bourdieu als männlichen Habitus beschreibt (ebd.: 133f.).5 Essentiell ist dabei die von Bourdieu so benannte libido dominandi des Mannes, also der Wunsch, andere Männer (und letztlich auch Frauen) zu dominieren (das dafür nötige Einverständnis seitens der Beherrschten nennt Bourdieu konsequent libido dominantis, ebd.: 141). Hier wird deutlich, dass der doppelte Charakter männlicher Herrschaft, wie er auch Connells (2015) Konzept hegemonialer Männlichkeit zugrunde liegt, auch in Bourdieus Theorie bereits angelegt ist, insofern sich der männliche Habitus innerhalb eines »den Männern vorbehaltenen Raum [ausbildet], in dem sich, unter Männern, die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen« (Bourdieu 1997a: 203). Das homosoziale Verhältnis zwischen den am Spiel beteiligten Männlichkeiten bezeichnet Bourdieu als jenes der sog. »PartnerGegner« (Bourdieu 2016: 83) und unterstreicht damit letztlich nicht nur die kompetitive Struktur von Männlichkeit, sondern auch die homosoziale Dimension der Felder, auf denen gespielt wird (vgl. auch Meuser 2008: 34). Mit Blick auf die männlich dominierte Rap-Szene die mit Hitzler/Niederbacher (2010) als Form juveniler Vergemeinschaftung verstanden werden 4 In ihrer Feldertheorie schreiben Bourdieu/Wacquant (1996: 127f.) dazu: »So gibt es Einsätze bei diesem Spiel, Interessensobjekte, die im wesentlichen das Produkt der Konkurrenz der Spieler untereinander sind; eine Investition in das Spiel, eine Besetzung (im psychoanalytischen Sinn) des Spiels, die illusio […]: Die Spieler sind im Spiel befangen, sie spielen, wie brutal auch immer, nur deshalb gegeneinander weil sie alle den Glauben (doxa) an das Spiel und den entsprechenden Einsatz, die nicht weiter zu hinterfragende Anerkennung teilen (es gibt keinen ›Vertrag‹, in dem die Spieler unterschreiben, daß sich das Spiel lohnt, daß es der Mühe wert ist; das tun sie, indem sie mitspielen), und dieses heimliche Einverständnis ist der Ursprung ihrer Konkurrenz und ihrer Konflikte.« 5 Als paradigmatisches Beispiel für derartige Spiele weist Meuser (2001a: 6) auf die Institution des Duells hin, das im 19. Jahrhundert dazu diente, die ›männliche Ehre‹ bei Leib und Leben zu verteidigen. vgl. auch Meuser (2008).



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kann und deren kulturelle Praktiken sich entlang einer kompetitiven Logik ausrichten, ist an dieser Stelle Meusers angrenzende These interessant, den Wettbewerb als zentrales Mittel männlicher Sozialisation zu begreifen (vgl. Kap. 5.1). Viele Männlichkeitsrituale seien durch eine Simultaneität von Gegen- und Miteinander gekennzeichnet, insofern wirke der Wettkampf nicht nur als trennendes, sondern auch als vereinendes Element männlicher Vergemeinschaftung (vgl. Meuser 2008: 34). »Es sind die ernsten Spiele des Wettbewerbs, in denen Männlichkeit sich formt, und die homosoziale Gemeinschaft sorgt dafür, dass die Spielregeln in das inkorporierte Geschlechtswissen der männlichen Akteure eingehen.« (Meuser 2008: 38)

Wenn Meuser hier von ›inkorporierten Geschlechtswissen‹ spricht, so ist gleichsam ein weiterer wichtiger Aspekt in Bourdieus Theorie(n) zur symbolischen resp. männlichen Herrschaft angesprochen, werde letztere doch vor allem durch die körperliche Hexis »als somatische Dimension eines feldspezifischen Habitus« stabilisiert (Villa 2011: 54). Bereits in Sozialer Sinn überträgt Bourdieu diesen Gedanken auf die Geschlechtskörper und formuliert: »Die körperliche Hexis ist die realisierte, einverleibte, zur dauerhaften Disposition, zur stabilen Art und Weise der Körperhaltung, des Redens, Gehens und damit des Fühlens und Denkens gewordene politische Mythologie. Der Gegensatz zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen realisiert sich darin, wie man sich hält, in der Körperhaltung, im Verhalten, und zwar in Gestalt des Gegensatzes zwischen dem Geraden und dem Krummen (Verbeugung), zwischen Festigkeit, Geradheit, Freimut (ins Gesicht sehen, die Stirn bieten und geradewegs aufs Ziel blicken oder losschlagen) einerseits und Bescheidenheit, Zurückhaltung, Nachgiebigkeit andererseits.« (Bourdieu 1993: 129)

An den Körper (nicht an den Intellekt) richteten sich »die strengsten sozialen Befehle«, demzufolge der Körper wie eine »Gedächtnisstütze« behandelt werde, so Bourdieu in seiner Habitustheorie, innerhalb der er ebenfalls bereits auf die Bedeutung der Geschlechterdifferenz hinweist und von der ›Erlernung‹ von Männlichkeit und Weiblichkeit spricht (Bourdieu 2001: 181). Die Art und Weise wie die Einsetzungsriten die sozialen Klassifizierungen nachhaltig in die Körper beziehungsweise die körperliche Hexis einschreiben, formuliert er hier besonders deterministisch: »wie unauslöschliche Tätowierungen eingebrannte[n] Dispositionen« (ebd.).6 Diese Gedanken nimmt Bourdieu schließlich auch in seiner Theorie männlicher Herrschaft wieder auf: 6 Das Beharrungsvermögen des Habitus beschreibt Bourdieu (1993: 116) andernorts auch als »Effekt der Hysteresis«.

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»Die symbolische Kraft ist eine Form von Macht, die jenseits allen physischen Zwangs unmittelbar und wie durch Magie auf die Körper ausgeübt wird. Wirkung aber erzielt diese Magie nur, indem sie sich auf Dispositionen stützt, die wie Triebfedern in die Tiefe der Körper eingelassen sind. […] Die Akte des praktischen Erkennens und Anerkennens der magischen Grenze zwischen den Herrschenden und den Beherrschten […] nehmen häufig die Form von Leidenschaften oder Gefühlen (Liebe, Bewunderung, Respekt) oder körperlichen Emotionen (Scham, Erniedrigung, Schüchternheit, Beklemmung, Ängstlichkeit, aber auch Zorn oder ohnmächtige Wut) an.« (Bourdieu 2016: 71f.)

Die Theorie von der männlichen Herrschaft behandelt schließlich auch Fragen nach einer möglichen Veränderung der beschriebenen Verhältnisse. In seinem Kapitel über ›die gesellschaftliche Konstruktion der Körper‹ etwa, schreibt Bourdieu mit Blick auf die Beherrschten, es bliebe »Raum für die kognitive Auseinandersetzung um die Bedeutung der Dinge, insbesondere die der sexuellen Realitäten. Die partielle Unbestimmtheit bestimmter Gegenstände erlaubt gegensätzliche Deutungen, die den Beherrschten die Möglichkeit zum Widerstand gegen den symbolischen Aufzwingungseffekt bieten« (ebd.: 28). Derartige Überlegungen erinnern an poststrukturalistische Perspektiven auf Geschlecht, die etwa in Rekurs auf Derrida oder Foucault von einer allgemeinen Uneindeutigkeit von Diskursen und einer immanenten Instabilität von Signifikanten ausgehen. Begreift man Subjekte mit Butler (2001: 15) als »sprachliche Kategorien« dann muss eine eindeutige Anrufung der Subjektposition (zum Beispiel als Geschlechtswesen) entsprechend dieser Lesart zwangsläufig scheitern, woraus die Möglichkeit der Neu- beziehungsweise Umdeutung und damit der Verschiebung und Veränderung der Verhältnisse erwachse.7 Gleichwohl Bourdieu die männliche Herrschaft als seit Jahrtausenden in die sozialen und mentalen Strukturen eingeschrieben versteht, scheint ihm eine Veränderung dieser Strukturen dennoch möglich: »Das Fundament der symbolischen Gewalt liegt ja nicht in einem mystifizierten Bewusstsein, das es nur aufzuklären gälte, sondern in Dispositionen, die an die Herrschaftsstrukturen, ihr Produkt, angepasst sind. Infolgedessen kann man eine Aufkündigung des Einverständnisses der Opfer der symbolischen Gewalt mit den Herrschenden allein von einer radikalen Umgestaltung der gesellschaftlichen Produktionsbedingungen erwarten, die die Beherrschten dazu bringen, den Herrschenden und sich selbst gegenüber den Standpunkt der Herrschenden einzunehmen.« (Bourdieu 2016: 77) 7 Für einen Vergleich der symbolischen Herrschaft mit Bezug auf Geschlecht zwischen Butler und Bourdieu siehe Villa (2011).



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Erreicht werden könne eine solche ›radikale Umgestaltung‹ durch eine geschichtliche »Enthistorisierungsarbeit« (ebd.: 144), die darin bestünde, die Geschichte der Institutionen und Akteure zu rekonstruieren, die die Permanenz der Herrschaftsverhältnisse sicherstellten. Als strukturgebende Institutionen und Akteure benennt er dabei Familie, Kirche, Staat, Wissenschaft und das Schulsystem (ebd.: 144ff.). Gleichzeitig merkt er an, dass insbesondere durch die Arbeit der feministischen Bewegung bereits ein Wandel zu verzeichnen wäre, insofern Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt und tiefgreifende Veränderungen hinsichtlich der Situation von Frauen in der Gesellschaft stattgefunden hätten (ebd.: 154ff.). Andernorts erwähnt Bourdieu die Möglichkeit einer »symbolischen Revolution« zur Überwindung symbolischer Gewalt resp. männlicher Herrschaft: »Die männliche Herrschaft beruht somit auf der Logik der Ökonomie des symbolischen Tauschs, das heißt auf der Asymmetrie zwischen Männern und Frauen, die in der sozialen Konstruktion von Verwandtschaft und Heirat, Subjekt und Objekt, Akteur und Instrument festgeschrieben ist. Durch die relative Autonomie der Ökonomie der symbolischen Güter erklärt sich dann, daß die männliche Herrschaft trotz des Wandels der Produktionsweisen weiter bestehen kann. Daraus folgt, daß eine echte Befreiung der Frauen nur von einem kollektiven Handeln zu erwarten ist, das darauf abzielt, die unmittelbare Übereinstimmung von inkorporierten und objektiven Strukturen praktisch aufzubrechen, das heißt von einer symbolischen Revolution, die imstande ist, an den Grundlagen der Produktion und Reproduktion des symbolischen Kapitals und insbesondere an der Dialektik von Anspruch und Distinktion zu rütteln, die die eigentliche Wurzel der Produktion und des Konsums von kulturellen Gütern als Distinktionsmerkmalen ist.« (Bourdieu/Wacquant 1996: 211)

Schließlich benennt er einen weiteren möglichen Raum der Aufhebung geschlechtlicher Machtverhältnisse: die Liebe. So sinniert er in seinem abschließenden Kapitel Postskriptum über die Herrschaft und die Liebe: »Ist die Liebe eine Ausnahme vom Gesetz der männlichen Herrschaft, die einzige, aber äußerst bedeutsame, eine Aufhebung der symbolischen Gewalt, oder ist sie die höchste, weil subtilste und unsichtbarste Form dieser Gewalt?« (Bourdieu 2016: 187) In der Liebe – insbesondere der ›reinen Liebe‹, der l’art pour l’art – sieht Bourdieu die Möglichkeit einer »Art wunderbaren Waffenstillstandes«, in der Gewalt und Macht suspendiert werden könnten (ebd.: 188). Gekennzeichnet durch ihre völlige Reziprozität und frei von jeglicher Instrumentalisierung könne diese – ob ihrer idealtypischen Verklärung wohlgemerkt selten anzutreffende  – tatsächlich zu einem »Bruch mit der gewöhnlichen Ordnung« führen (ebd.: 189).

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Diskussion Bourdieus Theorien werden bereits seit Mitte der 1980er Jahre in der Frauen- und Geschlechterforschung rezipiert und für die Analyse von Geschlechterverhältnissen fruchtbar gemacht, so etwa die Konzepte des Habitus, des Feldes oder der symbolischen Gewalt (vgl. zum Beispiel Meuser 1998; Brandes 2002; Dölling 2004; Engler 2013; Heitzmann 2014 usw.). Bourdieus männliche Herrschaft hingegen spielte im Mainstream der Gender Studies lange Zeit eine eher marginale Rolle (vgl. Engler 2013: 248). Wie Jäger u. a. (2012: 17) konstatieren, bezögen sich die vereinzelten Arbeiten diesbezüglich ausschließlich auf die Aufsatzfassung aus dem Jahr 1997. Eine ausführliche Rezeption der Buchversion, die erst einige Jahre später veröffentlicht wurde, stünde hingegen – zumindest in Deutschland – noch aus (ebd.: 18).8 Gleichwohl Bourdieu die Theorie männlicher Herrschaft unter dem Einfluss feministisch-frauenpolitischer Interventionen entwickelte (deren positive Errungenschaften er nicht müde wird, zu betonen, vgl. zum Beispiel Bourdieu 1997c: 218) und obwohl sich der Soziologe bereits im selben Jahr kritisch gegenüber einigen gestalterischen Mängeln seiner Theorie äußerte (vgl. Bourdieu 1997b, 1997c; Meuser 2001a: 5), erntete er mit seiner Abhandlung von ebendort, harsche Kritik. Während die einen dies auf Bourdieus Skepsis9 gegenüber den dort stark rezipierten Strömungen der Psychoanalyse, des Dekonstruktivismus, sowie des Poststrukturalismus zurückführen (vgl. zum Beispiel Ziege 2005),10 betonen andere die Besonderheit des Bourdieuschen Denkstils, würde den Arbeiten des Soziologen doch mit eben »je 8 An dieser Stelle sei angemerkt, dass der vorliegenden Arbeit vor allem Bourdieus Monografie (2016) [2005] und weniger der gleichnamige Aufsatz aus dem Jahr 1997 zugrunde liegt. Die attestierte Rezeptionslücke wird dadurch also zumindest ein wenig weiter verengt. 9 vgl. zum Beispiel Bourdieu (2016: 178), (2001: 138) oder (1997b: 98) 10 Unter der Überschrift Die Macht der Struktur gibt Bourdieu (2016: 178) kritisch zu Bedenken, dass diese eben »nicht aus einem bloßen Benennungseffekt hervorgegangen« seien und demnach auch »nicht durch einen Akt performativer Magie aufgehoben werden« könnten. Vielmehr sei es die Geschlechterordnung, auf der jene Performativität erst gründe »und sie ist es auch, die gegen die pseudorevolutionären Umdefinitionen des subversiven Voluntarismus resistent ist« (ebd.). Um die Wirklichkeit zu ändern, genügt es mit Bourdieu also nicht, am Bewusstsein anzusetzen oder alles zur performativ hervorgebrachten sozialen Konstruktion zu ernennen. Im Gegenteil hält er diese Vorstellung für gefährlich und naiv, denn sie verkenne, dass jegliche Kategorisierung wie die der ›Rasse‹, der Nation oder eben des Geschlechts – seien sie nun konstruiert oder nicht – letztlich »doch der Objektivität der Institutionen, das heißt der Dinge und der Körper, aufgeprägt wurde« (Bourdieu 2001: 138).



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nem sozialwissenschaftlichem Denken [begegnet], gegen das Bourdieu seine Konzepte entwickelt hat« (Engler 2013: 247; auch Kremer 2014: 33f ). In einer ausführlichen Rezension mutmaßt Ziege (2005: 10), dass die teilweise Ablehnung des Buches auch in einem »Ekel vor dem Leichten« begründet sein könnte. So sei die Theorie männlicher Herrschaft – ungleich anderer Arbeiten des Autors – in einem allgemein verständlichen Duktus geschrieben und erscheine vielen deshalb womöglich zu »einfach« und »ohne Tiefe«. Jäger u. a. (2012: 18) merken an, dass Bourdieu insbesondere im französischen Raum eine mangelnde Beschäftigung mit anderen wissenschaftlichen Erkenntnissen etwa aus Soziologie, Ethnologie oder Geschichtswissenschaft vorgeworfen wurde. Eine Tatsache, der sich Bourdieu (1997b) nach eigenen Aussagen durchaus bewusst war, wie er in Männliche Herrschaft revisited ausführt.11 Freilich bezog sich ein Großteil der Kritik jedoch auf Inhaltliches: Rademacher (2002: 149) listet einige »problematische[n] Basisannahmen« der Theorie auf und bemängelt dabei unter anderem die Ausblendung von Transformationsprozessen kapitalistischer Gesellschaften, »die auch die Geschlechterungleichheit beeinflussen«. Auch die Konzeptionierung der Frauen als Zuschauerinnen (der ernsten Spiele), sowie die Engführung der Befreiung der Frau auf eine ›symbolische Revolution‹ wird kritisiert, würde eine solche »Alles-oder-nichts-Position« doch jeglicher Geschlechterpolitik die Grundlage entziehen (ebd.: 154). Für Kröhnert-Othman/Lenz (2002: 167) stellt Bourdieus Fokussierung auf die kabylische Gesellschaft eine universalistische und ahistorische Verkürzung dar. Unbeantwortet bliebe weiterhin die Frage nach dem Beginn der männlichen Herrschaft. Auch Scholz (2015: 31) verweist auf »bestimmte Engführungen« in Bourdieus Theorie und konstatiert »Komplexitätsreduzierungen« im Hinblick auf dessen Analyseperspektive und -instrumentarium. Perrot u. a. (2002: 286) beipflichtend, geriere sich Bourdieus Analysemethode für die Soziologin als »Maschine mit Gebrauchsanleitung […], bei der man sich fragt, ob sie nicht auf eine unausweichliche Erklärung hin programmiert worden ist« (Perrot u. a. 2002: 286, zit. nach Scholz 2015: 31). Viele Arbeiten nehmen dennoch auf produktive Weise Bezug auf Bourdieus Theorie, zählt diese doch (neben jener von Connell) zu den »theore 11 Bourdieu (1997b: 92) war der Ansicht, dass sich »die besten zu diesem Thema vorhandenen Werke« anschließend in seine Theorie männlicher Herrschaft würden integrieren lassen. »Werke, von denen ich die meisten erst las, nachdem ich meine eigene Untersuchung durchgeführt hatte, aus Angst, ich könnte abgelenkt werden, in Richtungen, die durch das männliche Unbewußte, an dem sie alle teilhaben, vorgegeben sind«.

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tisch anspruchsvollste[n]« und »soziologisch ertragreichste[n]« Beiträgen im Bereich der Analyse männlicher Herrschaft (Meuser 1998: 110).12 Auch Engler (2013: 248), Peter (2004) und Scholz (2015: 31) betonen den Mehrwert der Bourdieu’schen Denkwerkzeuge. Gerade weil sich moderne Gesellschaften durch einen Bedeutungsverlust physischer Gewalt auszeichneten, sei das Konzept der symbolischen Gewalt für die Analyse moderner Herrschaftsverhältnisse geeignet. Männliche Herrschaft müsse dabei freilich als eine unter vielen Formen symbolischer Herrschaft diskutiert werden. Eine Verknüpfung der Analysen zu neoliberalen Diskursen und der Theorie männlicher Herrschaft – die in Bourdieus Werk, wie bereits angemerkt, einer gegenseitigen Bezugnahme ermangeln  – nimmt weiterhin Dölling (2004) vor. Im Zuge der Individualisierung und Flexibilisierung von Geschlechtervorstellungen konstatiert sie einen Verkennungseffekt, der darin bestünde, Erfolg und Versagen sich selbst zuzuschreiben, anstatt ihn an gesellschaftliche Bedingungen zu knüpfen. Letztere kämen unter dem Deckmantel der Gleichheit als »universalistischer Kode« daher, der jedoch nach wie vor männlich codiert sei (Dölling 2004: 79).13 Für Jäger u. a. (2012) bietet die Theorie männlicher Herrschaft insofern produktive Ansatzpunkte, als dass Bourdieu dort viele seiner gesellschaftstheoretischen Konzepte (Habitus, symbolische Gewalt) nochmals ausarbeite und somit Gesellschaftsund Geschlechtertheorie systematisch verschränke – ein Aspekt, der Bourdieus Theorie besonders für die Analyse des doing rap masculinity interessant macht. Neben der kaum stattfindenden Rezeption der Monografie bemängeln die Autorinnen auch deren fehlende Lektüre unter gesellschaftstheoretischen Implikationen (ebd.: 15). In Bourdieus Ausführungen zum Geschlechtskörper sehen sie gar eine »dekonstruktivistische Wende« am Werk, da der Autor die Existenz zweier Geschlechter selbst als Ergebnis männlicher Herrschaft begreife und die Körper, nicht als natürlich, sondern als naturalisiert definiere (ebd.: 22). Obgleich Jäger u. a. (ebd.: 29ff.) sechs Thesen formulieren, die produktive Anknüpfungspunkte für eine kritische Gesellschaftstheorie des Geschlechts böten, bemerken auch sie, dass Bourdieus These von der »Permanenz im und durch den Wandel« der aktuellen »Kom 12 Meuser (1998: 109) spricht hier von einem »Artikel« und spielt vermutlich ebenso auf Bourdieus Aufsatz und nicht auf seine erst später publizierte Monografie zum Thema an. 13 Dölling (2004: 79) schreibt: »Der spezifische Verkennungseffekt des ›universalistischen Kodes‹ besteht darin, dass sozial produzierte Differenzen bzw. Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in den Hintergrund der Wahrnehmung treten bzw. ihre (geschlechterpolitische) Artikulation delegitimiert wird, wie sich aktuell beobachten lässt.«



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plexität der Prozesse« nicht gerecht würde (ebd.: 33). Nicht zuletzt aufgrund dieses nachvollziehbaren Kritikpunkts wird die Analyse von Rap-Männlichkeiten im Kontext von Krise und Transformation in dieser Arbeit auch auf das theoretische Fundament von Connells Konzept hegemonialer Männlichkeit gestellt, das männliche Dominanz resp. Hegemonie im Anschluss an Gramsci nicht nur als »historisch bewegliche Relation« konzipiert (Connell 2015: 131), sondern das unlängst auch um Überlegungen zur neoliberalen und transnational agierenden business masculinity erweitert wurde (zum Beispiel Connell 2005; Connell/Wood 2005; Sauer 2011; Scholz 2015). Weil sich die performativ-körperliche Ebene für die Analyse von Rap-Männlichkeiten als unerlässliche Analysedimension darstellt, soll jedoch zuvörderst auf einige Überlegungen zum männlichen Habitus eingegangen werden. »There are few cultures as reliant on habitus as hip-hop, a culture where identity is paramount«, schreiben die HipHop-Forscher Gunn/Scanell (2013: 54) und verdeutlichen damit einmal mehr, dass die Weiterentwicklung dieses Bourdieuschen Theoriebausteins wohl eine der wichtigsten und fruchtbarsten Anknüpfungspunkte an der Schnittstelle von HipHop- und Männlichkeitsforschung darstellt. Der männliche Habitus Als »Scharnier zwischen Körper und Gesellschaft, zwischen Handlung und Struktur« eigne sich Bourdieus Habituskonzept gut, um einige Unschärfen in Connells Theorie hegemonialer Männlichkeit zu beseitigen, so die Meinung der Historiker Martschukat/Stieglitz (2008: 44). Auch die prinzipielle Offenheit vieler Bourdieuscher Begriffe und Konzepte ist einer männlichkeitstheoretischen Weiterentwicklung der Habitus-Theorie dabei dienlich, wie nicht zuletzt Meusers (1998: 108ff.) Erweiterung zum ›männlichen Habitus‹ zeigt.14 Bourdieu selbst bringt den Habitus zum ersten Mal in seinem Aufsatz über die männliche Herrschaft aus dem Jahr 1997 mit Geschlecht in Zusammenhang. Dort schreibt er von einem »vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus« (Bourdieu 1997a: 167) und spricht diesem eine ähnliche Wirkmächtigkeit wie dem Klassenhabitus zu, insofern jener gleichsam als gesellschaftlicher Orientierungssinn fungiere (vgl. Meuser 14 Die Offenheit von Bourdieus Konzepten wird vielerorts betont und dabei nicht nur kritisch gesehen. Besonders die Anschlüsse an Bourdieus Theorie symbolischer Gewalt zeigten die »enorme Produktivität seiner ›begrifflichen Werkzeuge‹« (Villa 2011: 52). vgl. dazu auch Schmidt/Woltersdorff (2008)

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1998: 110).15 Der Begriff des Geschlechtshabitus bliebe bei Bourdieu dennoch zunächst unspezifiziert, insofern das Geschlechterverhältnis, so Meuser (ebd.: 111) im »Status eines heuristischen Hilfsmittels [verbleibe], um zentrale Elemente des Habitusbegriffs zu entwickeln«. Um Meusers Weiterentwicklung nachvollziehen zu können, ist es nötig, kurz auf Bourdieus Verständnis des Habitus einzugehen, wie er ihn an mehrerlei Orten seines Gesamtwerkes definiert. So heißt es in Sozialer Sinn beispielsweise: »Der Habitus ist nichts anderes als jenes immanente Gesetz, jene den Leibern durch identische Geschichte(n) aufgeprägte lex insita, welche Bedingung nicht nur der Abstimmung der Praktiken, sondern auch der Praktiken der Abstimmung ist.« (Bourdieu 1993: 111) Auf die historische Dimension des Habitus kommt er dabei immer wieder zu sprechen und schreibt: »Als einverleibte, zur Natur gewordene und damit als solche vergessene Geschichte ist der Habitus wirkende Präsenz der gesamten Vergangenheit, die ihn erzeugt hat.« (Bourdieu 1993: 105) Für Meuser (1998: 113) ist der geschlechtliche Habitus »verkörperte und naturalisierte Praxis par excellence«. Im Anschluss an Bourdieu, der den Körper selbst als Wissensträger und »Gedächtnisstütze«16 (Bourdieu 2001: 181), beschreibt und darüber sinniert, wie Männlichkeit und Weiblichkeit resp. die Geschlechterdifferenz in Form einer bestimmten Art und Weise des Gehens, Sprechens oder sich Verhaltens den Körpern eingeprägt würde, ist auch für Meuser die Geschlechtlichkeit im Körper habitualisiert und zwar stärker noch – so mutmaßt er – als die Klassenlage (vgl. Meuser 1998: 113). Unter Rekurs auf handlungstheoretische Prämissen und das ethnomethodologische doing gender-Konzept von West/Fenstermaker (1995) definiert er Geschlecht als im Rahmen des Habitus vollzogenes Tun, resp. den geschlechtlichen Habitus als Basis von doing gender (vgl. Meuser 1998: 113). Der Habitus sei weiterhin als (singuläres) ›generierendes Prinzip‹ verstehbar, dem gegenüber durchaus eine Pluralität von Männlichkeiten (oder Weiblichkeiten), im Sinne verschiedener Ausdrucksformen gegenüberstehen könne. »Es gibt pro Geschlecht einen Habitus, also einen männlichen und einen weiblichen. Der jeweilige Habitus manifestiert sich nicht in einer Uniformität von Handlungen, Einstellungen, Attributen; es gibt vielmehr unterschiedliche Ausprägungen von Femininität und Maskulinität, wobei soziales Milieu, Generationszugehörigkeit, Ent 15 Meuser (1998: 110) verweist auf die Unentschlossenheit Bourdieus vom Klassenhabitus in ähnlicher Weise zu sprechen wie vom Geschlechtshabitus. 16 »Wir lernen durch den Körper.« (Bourdieu 2001: 181)



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wicklungsphase und familiäre Situation sich als lebensweltliche Erfahrungshintergründe erweisen, deren Relevanzstrukturen Einfluß auf die Muster haben, in denen sich der geschlechtliche Habitus manifestiert.« (Meuser 1998: 115)

Zur Ausarbeitung eines spezifisch männlichen Habitus sei die Erkenntnis vonnöten, dass sich der geschlechtliche Habitus stets entlang zweier Dimensionen ausdrücke, die Meuser als ›Dimension der Differenz‹ (doing difference) und ›Dimension der Ungleichheit‹ bezeichnet. Über die Herstellung von Differenz, etwa gegenüber Frauen, entstehe männliche Dominanz, die wiederum die Position im Geschlechtergefüge manifestiere. Unter Rückgriff auf Simmel erklärt Meuser die ›Invisibilisierung des Geschlechtlichen‹ zur entscheidenden Strategie des doing masculinity und damit zum Bestimmungselement des männlichen Habitus (Meuser 1998: 117). Schließlich arbeitet der Soziologe den männlichen Habitus unter Bezugnahme auf Connells Konzept der hegemonialen Männlichkeit weiter aus. Insbesondere die Hervorhebung der Relationalität von Geschlecht sowie die Konzeption hegemonialer Männlichkeit als Handlungspraxis mache die Theorie für das Habituskonzept anschlussfähig: »Hegemoniale Männlichkeit ist der Kern des männlichen Habitus, ist das Erzeugungsprinzip eines vom männlichen Habitus generierten doing gender bzw. ›doing masculinity‹, Erzeugungsprinzip und nicht die Praxis selbst.« (Meuser 1998: 118) Für die binnengeschlechtliche Analyse von Männlichkeiten ist an dieser Stelle interessant, dass der männliche Habitus zwar gänzlich unterschiedliche Formen annehmen könne (hypermaskulin, gewalttätig, liebevoll beschützend usw.), ›Mann‹ jedoch stets seitens anderer Männer »an dessen Gültigkeit« erinnert werde und auch ein offensichtliches ›Zuwiderhandeln‹ entgegen der Parameter soziale Sanktionen nach sich ziehe (etwa durch sprachliche Effeminierung als »Weichei«) (ebd.: 119; vgl. dazu auch Connell 2015: 132 oder Kimmel 2008: 48). Entsprechende Habitusvariationen erscheinen schließlich auch mit Blick auf Connells (2015) Differenzierung in hegemoniale, marginalisierte, komplizenhafte und unterdrückte Männlichkeiten relevant. Abschließend soll kurz auf den Begriff der ›Sicherheit‹ eingegangen werden, den Meuser (1998: 119ff.) im Anschluss an Bourdieu und unter Abgrenzung von Giddens (1991) Begriff der ›ontologischen Sicherheit‹ zur ›habituellen Sicherheit/Unsicherheit‹ im Hinblick auf Männlichkeit ausbuchstabiert. Wenn »ein Leben gemäß dem (männlichen) Habitus […] habituelle Sicherheit« erzeuge, die wiederum mit der Stabilität des sozialen Systems und dort

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insbesondere jenem der Zweigeschlechtlichkeit korreliere, dann müssten sich Zeiten der Instabilität der Geschlechterordnung auch habituell bemerkbar machen, so Meuser (1998: 119), der diesen Zustand folglich als ›habituelle Verunsicherung‹ beschreibt. Letztere äußere sich dabei nicht nur höchst unterschiedlich, sondern sei darüber hinaus milieu- und generationsspezifisch zu differenzieren. Den Soziologen interessieren dabei auch die spezifischen Strategien, die bestimmte Akteure zur Aufrechterhaltung habitueller Sicherheit anwenden (zum Beispiel Normalisierung und Nihilierung bei den in der Tradition verankerten Männern.). Meuser (ebd.: 121) hebt an dieser Stelle besonders die »fundamentale Bedeutung de[r] leibgebundenen Expressionen« hervor, insofern sich habituelle Verunsicherung tendenziell vor allem in die (Männer-)Körper einschreibe. Ein Befund, den auch Martschukat/Stieglitz (2008: 70) teilen und dabei aus einer historischen Perspektive auf die Studie von Bederman (1995) verweisen. Krisengeschüttelten Männern, so Meuser (1998: 121) weiter, sei »der geschlechtliche Habitus von einer Vorgabe zu einer Aufgabe geworden«, was sich unter anderem in der Sehnsucht »nach einer am Körper eindeutig ablesbaren Männlichkeit« ablesen lasse. Gleichwohl eine erwartbare Zukunft letztlich auch für die in der Tradition verankerten Männer auf gewisse Weise vernichtet sei, träfe die Diagnose habitueller Verunsicherung jedoch nur für einen kleinen Teil der in Meusers Studie untersuchten Männer zu. Unabhängig von Meuser versucht sich auch Brandes (2002: 9) an einer männlichkeitstheoretischen Nuancierung des Habitus-Konzepts, dessen größter Vorzug es sei, »Körperlichkeit und Gesellschaftlichkeit sowie Individualität und Kollektivität bezogen auf Geschlechterfragen zu verbinden«. Auf Grundlage dieser Perspektivierung sei es möglich, »kulturspezifische, milieuspezifische und generationsspezifische Formungen von Männlichkeit, männlichem Verhalten, Denken und Fühlen« besser zu verstehen und in den »Kontext der Frage nach den Möglichkeiten der Veränderung männlichen Verhaltens« zu stellen (ebd.). Die Herausbildung des männlichen Habitus erfolgt bei Brandes dezidiert in Wechselwirkung mit anderen machtvollen Differenzkategorien wie Klasse, Ethnizität, Generationszugehörigkeit17 oder auch in Abhängigkeit religiöser Traditionen. Für Brandes, der die definitorische Vieldeutigkeit und Unschärfe des Männlichkeitsbe 17 Der »vernachlässigte[n] Fragestellung« (Brandes 2002: 10) zwischen männlicher Identität, Generation und Lebensalter widmet sich Brandes zusammen mit Wolfgang Lenz in einem eigenen, gleichnamigen Kapitel. vgl. zu diesem Zusammenhang auch Böhnisch (2018: 219ff.).



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griffs problematisiert und Männlichkeit als mehrdimensionales Konstrukt denkt,18 bildet der Habitus die »fundamentalste Dimension« von Männlichkeit, deren Zuschreibung vor allem aufgrund einer »körperliche[n] Haltung« erfolgt. »Im Alltag kommt diese habituelle Dimension am deutlichsten in auf den Körper und seine Aktivität bezogene Anweisungen zum Ausdruck wie beispielsweise: ›Halte dich wie ein Mann …‹ oder ›Ein Mann tut so etwas nicht …‹. Auf dieser Dimension ist ›Männlichkeit‹ gleichzusetzen mit der Verleiblichung einer bestimmten sozialen Praxis, die sich entlang der Grenzen geschlechtlicher Arbeitsteilung bildet. Diese Dimension ist den Subjekten nur begrenzt bewusst zugänglich ist [sic!] und berührt das Gefühl zum eigenen Körper ebenso wie Geschmack, intellektuelle Vorlieben und praktische Neigungen.« (Brandes 2002: 86)

Die Unterscheidung zwischen den drei verschiedenen Männlichkeitsdimensionen ›Habitus‹, ›Identität‹, ›Einstellungen und Urteile zum Geschlechterverhältnis‹ dürfe nicht »verabsolutiert«, sondern müsse vielmehr als ineinander verwoben gedacht werden (ebd.: 87). Da sowohl Meuser als auch Brandes verschiedene soziale Zugehörigkeiten bei der Formierung des männlichen Habitus berücksichtigen, eigenen sich beide Ansätze als Grundlage für die intersektionale Analyse von Männlichkeit – gleichwohl Tunç den Ethnizitätsbegriff beider Theoretiker in diesem Zusammenhang als kulturalistisch zurückweist (vgl. 2012a: 5, 2006, 2012b). Mit Blick auf die veränderten Lebenslagen von Frauen (Bildungsmobilisierung, sozialstaatliche Gleichstellungspolitik usw.) und die Pluralisierung der körperlichen Repräsentationen von Weiblichkeit und Männlichkeit verweist Böhnisch auf die Notwendigkeit, das Geschlechtshabitus-Konzept auf die jeweilige Lebenslage zurück zu beziehen. Gesellschaftliche Strukturen und geschlechtliche Habitusmuster entsprächen sich »längst nicht mehr so eindeutig […] wie das bis weit ins zwanzigste Jahrhundert in der Durchgängigkeit der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung und der daran anknüpfenden geschlechtsdualen Konnotation von Männlichkeit und Weiblichkeit der Fall war« (Böhnisch 2013: 54). Der Soziologe schlägt deshalb vor, nicht länger von einem eindeutigen männlichen (oder weiblichen) Habitus zu sprechen. Männlichkeit (und Weiblichkeit) sollten stattdessen als »Bewältigungsmuster 18 Brandes (2002: 86) schlägt drei Dimensionen von ›Männlichkeit‹ vor, die allerdings im Alltagsgebrauch oft verschmelzen würden: »die körperliche Dimension des männlichen Habitus«, »die Dimension der männlichen Geschlechtsidentität« und »die Dimension bewusster Einstellungen und Urteile zu Fragen des Geschlechterverhältnisses«. Das Drei-Dimensionen-Modell soll als »heuristisches Arbeitsmodell« dienen (ebd.: 87).

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im Streben nach biografischer Handlungsfähigkeit betrachtet werden, die aktiviert werden, wenn es Druck und Dynamik der Lebenslagenkonstellation erfordert« (ebd.).

6.2 Connells hegemoniale Männlichkeit Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit wurde von der australischen Soziologin Raewyn Connell geprägt und gehört zu den meist beachteten Theorien in der Analyse von Männlichkeit, Macht und Herrschaft. Das Paradigma hat den traditionellen Patriarchatsbegriff abgelöst und der Männerforschung einen eigenständigen, offenen Theorie- und Forschungshorizont abseits feministisch geprägter Theoriebildung eröffnet (vgl. Böhnisch 2013: 30; Meuser 1998: 93).19 Ausgangspunkt von Connells Überlegungen ist die Annahme einer gesellschaftlichen Dominanz von Männern gegenüber Frauen, die sie als Tatsache voraussetzt und mit Rückgriff auf feministische und postmarxistische Theorien herausarbeitet. Für Connell (2015: 124) ist Geschlecht »eine Art und Weise, in der soziale Praxis geordnet ist«, während Männlichkeit als »Position im Geschlechterverhältnis« definiert wird (und nicht etwa als Charaktereigenschaft o. ä.).20 Hegemoniale Männlichkeit konzipiert Connell darüber hinaus als ›geschlechtsbezogene Praxis‹. Für den Historiker und Männlichkeitsforscher Dinges (2005: 8) steht damit deutlich das Handeln, das heißt die Interaktion im Zentrum des Konzepts. Nach Connell sind Geschlechterverhältnisse entlang vierer fundamentaler Strukturen organisiert: Macht/Machtbeziehungen, Arbeitsteilung/Produktionsbeziehungen, emotionale Bindungsstrukturen/libidonöse Besetzung (Kathexis) sowie Symbolisierungen (Connell 2015: 139ff. und 317ff.).21 Diesen Strukturen wiederum lägen verschiedene ›Organisationsprinzipien‹ 19 Klassische Patriarchatsanalysen werden innerhalb der Men’s Studies am entscheidendsten durch den britischen Soziologen Jeff Hearn vertreten (vgl. Meuser 1998: 93). Jedoch sei auch Connells Position gegenüber Patriarchatstheorien letztlich nicht ganz eindeutig (ebd.: 97). 20 Männlichkeiten sind für Connell des Weiteren »materiell« und demnach nicht nur auf einer individuellen und körperlichen, sondern auch einer kulturellen, institutionellen und milieuspezifischen Ebene zu verorten (vgl. Scholz 2004: 36). 21 Mit dem Element der emotionalen Bindungsstrukturen reiht sich Connell für Dinges (2005: 11) »in die Kritik an ökonomischen und politischen Verkürzungen der Analyse von Herrschaft ein.«



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zugrunde, die Meuser (1998: 98) als »Trennung (Arbeitsteilung), ungleiche Integration (Über- und Unterordnung) und emotionale Bindung« zusammenfasst. Macht lässt sich als primordiale Kategorie in Connells Theorie ausmachen, insofern sich männliche Macht (bei Connell mit dem HegemonieBegriff gefasst) sowohl in den Produktionsbeziehungen, als auch im Bereich emotionaler Bindungen äußert. Demnach verwundert es nicht, wenn sich Transformationsprozesse im Geschlechtergefüge am deutlichsten im Bereich der Machtbeziehungen zeigten, etwa an der De-Legitimation patriarchaler Macht durch die weltweite Bewegung der (Frauen)Emanzipation (vgl. Connell 2015: 139). Aber auch andernorts zeichne sich ein Wandel auf der Strukturebene ab, im Bereich der ›Produktion‹ etwa durch den Neoliberalismus und die verstärkte Berufstätigkeit von Frauen, bei den ›emotionalen Bindungsstrukturen‹ beispielsweise durch die Etablierung lesbischer und schwuler Sexualität (ebd.: 139f.). Soweit ein erster Überblick. Beschäftigen wir uns nun eingehender mit den zugrunde liegenden Theorien, den zentralen Eckpunkten und der kritischen Rezeption, die Connells Theorie hegemonialer Männlichkeit über die Jahre erfahren hat. Das Konzept hegemonialer Männlichkeit gründet vor allem auf der Idee beziehungsweise dem Begriff der Hegemonie, den Connell den Theorien des italienischen Politikers und marxistischen Philosophen Antonio Gramsci (1971/2009) entlehnt und die dieser vor allem zur Analyse der Beziehung gesellschaftlicher Klassen entwarf. Als hegemoniale Gruppe, die eine Führungsposition im gesellschaftlichen Leben einnimmt und aufrechterhält, wird demnach eine historisch konkrete, sogenannte ›hegemoniale Männlichkeit‹ angenommen. ›Historisch konkret‹ meint dabei keinesfalls ahistorisch, stattdessen nimmt Connell eine historische Kontextualisierung vor, die hegemoniale Männlichkeit als eine »Erscheinung der okzidentalen Moderne« begreift, zu deren Konstituierung wiederum vor allem zwei Aspekte bedeutsam seien: »die Etablierung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und die Herausbildung der Sozialordnung der Zweigeschlechtlichkeit mit den Merkmalen der Heteronormativität sowie der entlang der Geschlechtergrenze vollzogenen Trennung der Sphären von Privatheit und Öffentlichkeit« (Meuser 2012: 148f.). Für den Soziologen Meuser setzt hegemoniale Männlichkeit nach Connells Theorie demnach ein autonom handlungsfähiges Subjekt voraus und könne als »die Männlichkeit des bürgerlichen Individuums« begriffen werden (ebd.). Connell steht zwar zuweilen für ihre zurückhaltende historische Kontextualisierung in der Kritik (siehe dazu später mehr), kritisiert jedoch ihrerseits die Ahistorizität konkurrierender Konzepte

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wie des Patriarchatskonzepts (vgl. Meuser 1998: 97). Insgesamt räumt Connell der Historizität von Geschlecht/Männlichkeit eine große Bedeutung innerhalb der Theorie hegemonialer Männlichkeit ein und übernimmt ferner die bereits bei Gramsci (1971/2009) anklingende Perspektive der Dynamik, das heißt der potentiellen Veränderbarkeit kultureller Hegemonie.22 »›Hegemoniale Männlichkeit‹ ist kein starr, über Zeit und Raum unveränderlicher Charakter. Es ist vielmehr jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt, eine Position allerdings, die jederzeit in Frage gestellt werden kann. […] Hegemoniale Männlichkeit kann man als jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis definieren, welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder gewährleisten soll). (Connell 2015: 130)

Diese Akzentuierung verdeutlicht das bei Connell wichtige Moment der agency, also der Handlungsfähigkeit oder Handlungsmacht. Anders als in Bourdieus Habitustheorie nämlich liegt dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit die Annahme zugrunde, dass Akteur_innen über die Möglichkeit verfügen, Geschlechterverhältnisse aktiv zu gestalten und damit auch zu verändern.23 Die Vorherrschaft einer jeden Gruppe könne durch andere, neue Gruppen in Frage gestellt werden, wodurch sich neue Formen der Hegemonie konstruieren ließen und weswegen letztere stets als »historisch bewegliche Relation« zu betrachten sei (ebd.: 131).24 22 vgl. dazu bei Gramsci (2009: 76): »In other words, the dominant group is coordinated concretely with the general interests of the subordinate group, and the life of the State is conceived of as a continous process of formation and superseding of unstable equilibria (on the juridical plane) between the interests of the fundamental group and those of the subordinate groups – equilibria in which the interests of the dominant group prevail, but only up to a certain point, i. e. stopping short of narrowly corporate economic interest.« 23 Böhnisch (2013: 52) bemerkt, dass Bourdieu dem Vorwurf, das Habituskonzept sei deterministisch, stets widersprochen habe. Nach Schwingel würden die gesellschaftlichen Strukturen lediglich »die Grenzen möglicher und unmöglicher Praktiken festlegen, nicht aber die Praktiken an sich« (Schwingel 2000: 67; zit. nach Böhnisch 2013: 52). Auch Villa (2011: 62) schreibt über Bourdieus Habitusbegriff, dass der Grad der Determinierung bzgl. der Einverleibungsprozesse »eine anhaltende Debatte in der Soziologie« sei. Schließlich bleibt anzumerken, dass Connell selbst eben jenen Aspekt der agency in Bourdieus Theorie vermisst. Auch wenn es den ›großen Theorien der Männlichkeit‹ [gemeint sind Connell und Bourdieu] sonst insgesamt an wechselseitiger Bezugnahme ermangelt (›wechselseitige Nichtbeachtung‹) (vgl. Meuser 2006b: 161). 24 Dass die »Offenheit des Sozialen« als Voraussetzung einer jeden hegemonialen Praxis gelten könne, betonen auch Laclau/Mouffe (2006: 184) in ihrer kulturtheoretischen Auseinandersetzung mit Gramscis Hegemoniebegriff (vgl. dazu auch Reckwitz 2006).



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Die Theorie hegemonialer Männlichkeit zeichnet sich vor allem durch ihre ›doppelte Distinktions- und Dominanzstruktur‹ aus, wobei die Machtrelation zwischen Männern und Frauen als zentral gilt (Connell 2015; Meuser 2001a: 7; Meuser/Scholz 2005: 218).25 Connell denkt Männlichkeit im doppelten Sinne ›relational‹, da sie davon ausgeht, dass sich Männlichkeit nicht nur in Abgrenzung zu Weiblichkeit, sondern vor allem auch in Abgrenzung zu anderen Männlichkeiten konstruiert und reproduziert (vgl. Connell 2015: 129f.). »Ohne den Kontrastbegriff ›Weiblichkeit‹ existiert ›Männlichkeit‹ nicht. Eine Kultur, die Frauen und Männer nicht als Träger und Trägerinnen polarisierter Charaktereigenschaften betrachtet, hat kein Konzept von Männlichkeit im Sinne der modernen westlichen Kultur.« (Connell 2015: 120) Durch das Prinzip der doppelten Abgrenzung wird es erstmals möglich, auch Machtbeziehungen unter Männern zu analysieren. Eine Dimension, die das Patriarchatskonzept nicht zu fassen im Stande sei (vgl. Meuser 1998: 76ff.; Scholz 2015: 23).26 Die Hauptachse Männlichkeit/Weiblichkeit wird also durch eine zweite Achse überlagert, »von einer Hierarchie von Autoritäten innerhalb der dominanten Geschlechterkategorie« (Meuser 1998: 98). In der Annahme dieser zwei Achsen und der damit einhergehenden Vorstellung unterschiedlicher Männlichkeiten, deren Verhältnis durch bestimmte Hierarchien gekennzeichnet ist, liegt für viele Männlichkeitsforscher_ innen die hohe Attraktivität des Konzepts (vgl. zum Beispiel Scholz 2015: 23; Frey 2014: 13f.). Bevor wir uns nachfolgend genauer mit diesem hierarchisch strukturierten Männlichkeitengefüge beschäftigen, wollen wir uns zunächst ansehen, worauf sich Hegemonie bei Connell genau stützt, wie sie sich durchsetzt und welche weiteren Begrifflichkeiten Connell für ihre Theorie ausarbeitet. Als zentrale Stütze hegemonialer Männlichkeit fungiert ein kulturelles Deutungsmuster, das auf den ›anatomischen Unterschied zwischen den Geschlechtsorganen‹ im Sinne Bourdieus (2016: 23) verweist, beziehungsweise »das das physiologische Fundiertsein der Geschlechterdifferenz betont« 25 Für Meuser/Scholz (2005: 218) ist diese gegengeschlechtliche Zentralsetzung erstaunlich, da es genau die bislang kaum konzeptuell erfassten hierarchischen Verhältnisse im binnengeschlechtlichen Gefüge, also zwischen Männern sind, die durch Connells Theorie in den Blick der Forschung geraten. 26 Martschukat/Stieglitz (2008: 43) merken an, dass eine von Connell inspirierte Männlichkeitsforschung nicht nur dem Determinismus des Patriarchatskonzepts, sondern auch der »Realitätsferne des Rollenmodells« entgehe.

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(Meuser 1998: 99). Geschlecht wird demnach über das binäre Gegensatzpaar Natur vs. Kultur hergestellt, wobei dem Mann »als Gestalter der Kultur […] die Vorherrschaft gegenüber der der Diktatur der Körperlichkeit unterworfenen Frau« gebührt (ebd.). Daraus ergibt sich ein weiteres zentrales Kennzeichen der Theorie, nämlich jenes der heterosexuellen Orientierung hegemonialer Maskulinität. Ein Aspekt, der sich – so Meuser – am sichtbarsten an der Institution der Ehe zeige.27 Grundsätzlich gilt es hegemoniale Männlichkeit als attraktives ›kulturelles Ideal‹ mit potentiell fiktivem Charakter zu begreifen, eine Art verbindliches Orientierungsmuster, welches dem männlichen doing gender zugrunde liegt (vgl. Meuser 1998: 98). »Thus, hegemonic masculinities can be constructed that do not correspond closely to the lives of any actual men. Yet these models do, in various ways, express widespread ideals, fantasies, and desires.« (Connell/Messerschmidt 2005: 838) Nur eine geringe Anzahl an Männern kann das abstrakte Ideal hegemonialer Männlichkeit in der Praxis vollständig verwirklichen, so die allgemeine Annahme (dass viele Männer das allerdings auch gar nicht erst beabsichtigen würden, liegt den unterschiedlich argumentierenden Modifizierungen von Tunç (2012a), Anderson/McGuire (2010) oder auch Elliott (2016) zugrunde. Gleichzeitig gelte es für alle Männer, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu dieser normativen Männlichkeit zu positionieren. Psychoanalytische Ansätze verstehen diese normative und idealtypische Form von Männlichkeit (normative masculinity bei Silverman) als eine Art dominante Fiktion, die an das Unterbewusstsein appelliert und im Rahmen männlicher Identitätsarbeit als Spiegel fungiert, der den Mangel des Selbst sichtbar mache (vgl. Schröder/Söll 2015: 12f.). Wenn hegemoniale Männlichkeit eine abstrakte Fiktion und ein kaum zu verkörpernder Idealtypus ist, lassen sich dann überhaupt Attributionen oder Merkmale benennen, anhand deren wir diesen hegemonialen und mächtigen Handlungstypus erkennen können? Gleichwohl sich freilich nicht von einem »männlichen Wesen« sprechen lässt »dessen Erscheinungsformen in allen Gesellschaften wir generalisieren könnten« (Connell 2015: 93), so fördert ein Blick in die wissenschaftliche Männlichkeitsliteratur doch einige Eckpfeiler hegemonialer Männlichkeit zutage, die innerhalb westlicher Gesellschaften des 21. Jahrhunderts als inter 27 vgl. auch die Definition von Martschukat/Stieglitz (2008: 43), die als zentrale Merkmale moderner hegemonialer Männlichkeit die »Biologisierung von Geschlechtsunterschieden sowie die heterosexuelle Dominanz« definieren, und die, wie auch Meuser, als entscheidende Stützen neben der Institution der Ehe auch homosoziale »›männerbündnische‹ Zusammenschlüsse« anführen.



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subjektiv geteilt gelten könnten. Als solche macht die Germanistin und Geschlechterforscherin Schwanke (2017: 5) folgende traditionell-bürgerlichen Werte und Normen aus: Autonomie (Unabhängigkeit, insbesondere von Weiblichkeit), Macht, ökonomisches Kapital und das Ein-Ernährer-Modell, Vernunft, Stärke und damit verbunden ›der Mann als Beschützer‹, ein unversehrter Körper, cis-Männlichkeit, Weiß-sein, sowie Heterosexualität und sexuelle Potenz. Das also ließe sich im Anschluss an Meuser (1998: 118f.) als Kern des hegemonial-männlichen Habitus definieren und damit als jener Maßstab, den Männer an das Handeln anderer Männer herantragen. Wenn hier von ›intersubjektiv‹ geteilten Werten oder Attributen gesprochen wird, so gilt es zu ergründen, woher diese vermeintliche Übereinstimmung rührt. Wie kommt die Hegemonie der hegemonialen Männlichkeit zustande und wie lässt sich das kulturell erzeugte ›Einverständnis‹ der nichthegemonialen Formen von Männlichkeit mit ihrer Subordination verstehen und konzeptualisieren? An dieser Stelle kommen die übrigen Dimensionen der hegemonialen Männlichkeitstheorie ins Spiel, konzipiert Connell doch nebst Hegemonie einige weitere Relationen, die die Hierarchie der Autoritäten im männlich-gleichgeschlechtlichen Beziehungsgefüge begrifflich-konzeptionell abbilden sollen. So kann als diametral zur Relation der Hegemonie jene der Unterordnung gelten. Ein Verhältnis, wie es sich in gegenwärtigen, westlichen Gesellschaften am anschaulichsten in der Dominanz heterosexueller Männer gegenüber der Unterordnung homosexueller Männer ausdrückt (vgl. Connell 2015: 131; auch Kimmel 2008: 47ff.). Die Dimension der Unterordnung reduziert sich nicht auf kulturelle Stigmatisierung, sondern manifestiert sich für Connell entlang einer Reihe von Praktiken, wie alltäglicher, politischer oder wirtschaftlicher Diskriminierung, staatlicher Gewalt oder Boykottierung als Person. Dadurch ließen sich homosexuelle Männlichkeiten – die freilich nicht als einzige Form untergeordneter Männlichkeiten gelten können – am untersten Ende der männlichen Geschlechterhierarchie verorten (vgl. dazu kritisch Heilmann 2011). »Alles, was die patriarchale Ideologie aus der hegemonialen Männlichkeit ausschließt, wird dem Schwul-sein zugeordnet; das reicht von einem anspruchsvollen innenarchitektonischen Geschmack bis zu lustvoll-passiver analer Sexualität.« (Connell 2015: 132) Als weitere wichtige Dimension der hegemonialen Männlichkeitstheorie benennt Connell jene der Komplizenschaft, denn »[w]enn eine große Anzahl von Männern mit der hegemonialen Männlichkeit in Verbindung steht, sie aber nicht verkörpern, brauchen wir ein theoretisches Konzept, das diese Si-

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tuation erfassen kann« (Connell 2015: 133).28 In diesem Zusammenhang ist ein weiteres Konstrukt von Bedeutung, das Connell als ›patriarchale Dividende‹ bezeichnet: Es ist der allgemeine Vorteil, der Männern (gleich welcher ›Hierarchiestufe‹) aus der Unterdrückung von Frauen erwächst, was gleichsam als Erklärung der libido dominantis29 der nicht-hegemonialen Männlichkeitstypen dient. Der Aspekt des Einverständnisses der Beherrschten mit der (symbolischen) Macht der Herrschenden ist konstitutiv für das Konzept der hegemonialen Männlichkeit und klingt auch bei Gramsci (1971/2009) oder Bourdieu bereits an. Der Soziologe Böhnisch reformuliert die Idee der patriarchalen Dividende und deren Bedeutung für die Permanenz männlicher Hegemonie wie folgt: »Dass sich männliche Macht in modernen Gesellschaften nicht nur halten, sondern immer wieder neu durchsetzen kann, männliche Machtgruppen auch von vielen anderen Männern gewollt oder ungewollt unterstützt werden und damit ihre hegemoniale Funktion behaupten, wird einem kulturell wie tiefenpsychisch wirksamen Bindungsverhältnis unter Männern zugeschrieben, das als patriarchale Dividende bezeichnet wird. Mit diesem Begriff ist die allen Männern gleichsam kulturgenetisch eingeschriebene, in der Entwicklungsdynamik des Kindes- und Jugendalters immer wieder aktivierte und habituell inkorporierte Grunddisposition gemeint, dass der Mann ›im Grunde‹ doch der Frau überlegen sei, egal ob das der Überprüfung durch die soziale Wirklichkeit auch standhält.« (Böhnisch 2013: 31)30

Von dem Machtvorteil der patriarchalen Dividende profitierten auch solche Männer, die sich kompromissbereit zeigten, Dominanz und Gewalt ablehnten oder Engagement, etwa im häuslichen Bereich, zeigten, so Connell. Auch progressive Männer kämen auf den ersten Blick »nur allzu leicht zu dem Schluss, dass Feministinnen büstenhalterverbrennende Extremistinnen sein müssen« (Connell 2015: 133). Für den Soziologen Meuser (1998: 102) gelingt Connell mit der Dimension der Komplizenschaft eine gelungene Differenzierung zwischen kulturellem Ideal und alltäglicher Realität. Ähnlich wie Böhnisch, verweist auch er in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung homosozialer Männerbünde, die er als »entscheidende institu 28 Die komplizenhafte Männlichkeit stelle damit prinzipiell den »Regelfall« dar, so Meuser (2006b: 165). 29 Zur Erinnerung: Bourdieu (2016: 141) benutzt diesen Begriff zur Bezeichnung des vermeintlichen ›Beherrscht-werden-wollens‹ der Frauen. 30 Aus der Beratungspraxis zeige sich – so Böhnisch – dass die patriarchale Dividende in kritischen Lebensphasen quer durch alle Schichten aktiviert würde. Es sei jedoch von den »sozialen Spielräumen der jeweiligen Lebenslage« abhängig, ob Männer auf ihre Aktivierung angewiesen seien oder nicht (Böhnisch 2013: 31).



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tionelle Stütze« entsprechender Wirklichkeitskonstruktionen versteht (vgl. dazu auch Martschukat/Stieglitz 2008: 43). Neben Hegemonie, Unterordnung und Komplizenschaft, die für die Männlichkeitssoziologin Scholz (2015: 25) weniger als »in sich konsistente Formen«, denn vielmehr als »interne Relationen der Geschlechterordnung« zu verstehen seien, fügt Connell einen weiteren Relationstypus hinzu, der die Theorie hegemonialer Männlichkeit schließlich um eine intersektionale Perspektive erweitert: ›Marginalisierung vs. Ermächtigung‹ (vgl. Connell 2015: 133f.). Durch die Interaktion von Geschlecht mit anderen Strukturen wie Klasse oder race nämlich, ergeben sich weitere Beziehungsmuster im binnengeschlechtlichen Gefüge der Männlichkeiten. Eine Relation, die gerade für die Analyse von Rap-Männlichkeiten bedeutsam ist (vgl. Kap. 7.3). Mit dem Begriff der ›Marginalisierung‹31 ließen sich die Beziehungen zwischen Männlichkeiten über- oder untergeordneter ethnischer oder sozialer Gruppen beschreiben, wobei ›Marginalisierung‹ stets relativ zur ›Ermächtigung‹ der jeweils hegemonialen Gruppe entstünde (vgl. Connell 2015: 134). Als Beispiel führt Connell einen erfolgreichen US-amerikanischen Schwarzen Sportler an, der zwar durchaus als Vorbild einer hegemonialen Männlichkeit tauge, dessen individueller Ruhm jedoch nicht auf die Gesamtheit Schwarzer Männer im Sinne eines Autoritätsgewinns ausstrahle. Dies ließe sich mit Blick auf den Objektbereich Rap insoweit übersetzen, als dass das Ansehen, das die migrantisch gelesene Gangsta-Männlichkeit bei vielen (post)adoleszenten und erwachsenen (weißen) Männern (und Frauen freilich gleichermaßen) genießt, keinesfalls einen Autoritätsgewinn auf Seiten ›migrantischer Männlichkeiten‹ im gesamtgesellschaftlichen Kontext bedeutet. In Relation zur herrschenden Männlichkeitsform bleiben sie – um mit Scholz (2015: 54) zu sprechen – als Besonderheit ›markiert‹, da sie »in ihren jeweiligen sozialstrukturellen Bezügen erkennbar sind – als sog. türkische, proletarische ( …) usw. Männlichkeit«. Wie jedoch materialisiert sich diese ›Markierung‹? Wie genau findet die soziale Platzzuweisung im hierarchischen Beziehungsgefüge der Männlichkeiten statt und wie funktioniert demnach der Konstruktionsmechanismus hegemonialer Männlichkeit? 31 Connell selbst hält den Begriff der ›Marginalisierung‹ für »nicht ideal« und auch Scholz (2015: 25) macht darauf aufmerksam, dass der genaue Unterschied zwischen ›untergeordnet‹ und ›marginalisiert‹ in Connells Konzept bis heute unklar sei. Die Definition Connells, es handle sich dabei weniger um ›Formen‹ als um ›Typen von Relationen‹ sei ›in sich nicht stimmig‹ und hätte in der Rezeption für viel Verwirrung gesorgt.

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Ähnlich wie bei Bourdieus Konzept symbolischer Macht zeichnet sich die Hegemonie bei Connell nicht durch direkte Gewalt aus, »sondern durch ihren erfolgreich erhobenen Anspruch auf Autorität« (Connell 2015: 131).32 Die Unterordnung ›homosexueller Männlichkeiten‹ geschähe beispielsweise vermittels »einer Reihe recht handfester Praktiken«, wie politischem und kulturellem Ausschluss, staatlicher oder wirtschaftlicher Gewalt, Gewalt auf den Straßen, sowie der »Boykottierung als Person« (ebd.: 132). Connell spricht hierbei auch von einem »reichhaltigen Vokabular an Schimpfwörtern« wie Schwächling, Muttersöhnchen, Waschlappen und dergleichen, was auf die Bedeutung der Macht der Sprache bei der Konstruktion von Männlichkeit verweist (vgl. hierzu auch Kimmel 2008: 48). Wie letztere Aufzählung bereits nahelegt, erweist sich die sprachliche Strategie der Effeminierung zur Konstruktion untergeordneter Männlichkeiten dabei als nachdrücklich effektiv, was für die Rap-Szene im Besonderen gelten kann (vgl. dazu Süß 2019: 31ff.; vgl. Kap. 8.4.4). Für Meuser (1998: 101) wirke hegemoniale Männlichkeit im Sinne »einer Strategie der Ausschließung« als deren Merkmal im Allgemeinen gelten kann »daß der oder die Andere als völlig anders definiert wird. Im Fall des männlichen Geschlechts heißt das mitunter: als weiblich, als effeminiert«. Da sich der männliche Habitus vor allem innerhalb homosozialer Räume und entlang einer kompetitiven Strukturlogik ausbildet, ist hier auch an die ›ernsten Spiele des Wettbewerbs‹ und die möglichen Formen des gleichgeschlechtlichen Wettkampfes zu erinnern. Neben verbalem und teil-ironischem Wettstreit, zählt hierzu auch mann-männliches Gewalthandeln inkl. physischer Gewalt (zum Beispiel Meuser 2006a, 2006b, 2008). Connell (2015: 138) merkt an, dass Zwang und Gewalt auch heute noch als Herrschaftsmittel eingesetzt werden und in Krisenzeiten geradezu ein Maß für die Mangelhaftigkeit des (männlichen) Unterdrückungssystems darstellten. Eine Tatsache, die nicht zuletzt die Studien von Kimmel bestätigen (vgl. violence as restoration bei Kimmel 2008: 55ff. beziehungsweise ›restaurative Gewalt‹ Kimmel 2013: 214ff.; vgl. Kap. 9.3.8).

32 Meuser/Scholz (2005: 224) weisen allerdings zurecht darauf hin, dass »[a]ktive Konsensund Bündnisbildung« keine ausreichende Erklärung der Reproduktion und Persistenz männlicher Hegemonie darstellten. Das Autor_innenpaar benennt einen zentralen Unterschied zwischen Connell und Bourdieu, insofern die Zustimmung der Beherrschten bei Letzterem nicht auf einer freiwilligen, reflexiven Entscheidung beruhe, sondern auf der ›vorreflexiven Unterwerfung der sozialisierten Körper‹.



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Diskussion Der Begriff der hegemonialen Männlichkeit ist zur Leitkategorie, zum catchall-Begriff innerhalb der internationalen Men’s Studies avanciert. Als »Erfolgsgeschichte«, die ihresgleichen sucht, habe das Konzept die gesamte sozial- und geisteswissenschaftliche Männerforschung geprägt (Meuser 2006b: 160; Meuser/Scholz 2005: 211). Freilich ist die Rezeption der Theorie – die Dinges (2005: 12) als ›locker gestrickten Ansatz‹ bezeichnet  – dabei nicht unkritisch vonstattengegangen, wurde das Konzept doch unter anderem als zu simplifizierend, zu rigide und überdies vor allem für seine »eigentümliche Unbestimmtheit« kritisiert (Meuser/Scholz 2005: 211; vgl. auch Frey 2014: 18). So herrsche etwa Unklarheit über die Wirklichkeitsebene innerhalb der das Konzept anzusetzen sei (Struktur-, Repräsentations- oder Alltagsebene?) (zum Beispiel Hearn 2004). Weiterhin verwende Connell den zentralen Begriff der hegemonialen Männlichkeit teilweise undifferenziert und multipel. Die Soziologin Scholz (2015: 25) wirft deshalb zurecht die Frage auf: »Ist hegemoniale Männlichkeit ein Ideal, ein Idealtypus, ein Handlungsmodell, ein Handlungstypus?« Auch sei nicht deutlich, ob es sich bei der Unterscheidung Hegemonie/Dominanz/Unterordnung und Marginalisierung/Ermächtigung um Formen oder um Relationen handele und worin genau der Unterschied zwischen ›marginalisierten‹ und ›untergeordneten‹ Männlichkeiten liege. Auch die Annahme, letztere seien per se als untergeordnet zu konzeptualisieren, steht zur Disposition. Heilmann (2011) etwa argumentiert, dass im Falle männlicher Homosexualität nicht von einem antagonistischen Gegensatz zur hegemonialen Männlichkeit auszugehen sei. Am Beispiel der ›Outings‹ prominenter und erfolgreicher homosexueller Politiker wie Wowereit oder Westerwelle will der Sozialwissenschaftler eine Normalisierung homosexueller Männlichkeit (›auf Bewährung‹) erkennen. Für Meuser (2006b: 165) verdeutlicht die Bezeichnung ›marginalisiert‹, wie Connell sie für ethnische Gruppen, aber auch andere untergeordnete Männlichkeiten verwendet, die begrifflichen Unschärfen des Konzepts in ganz besonderem Maße, denn »untergeordnet sind all diese Männlichkeiten, und marginalisiert ist eher die homosexuelle Männlichkeit als diejenige der Arbeiterklasse, welche sich im Sinne Connells durchaus als komplizenhaft verstehen ließe«. An dieser Stelle sei die Kritik von Bereswill/Neuber (2011: 13) angeführt, die die »homosoziale Schieflage« vieler (hegemonialer) Männlichkeitsanalysen nach Connell bemängeln, da die Geschlechterbeziehungen oft zu wenig auf die »Wechselwirkung von homo- und heterosozialen Konstellationen« hin ausgeleuchtet würden.

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Ein Großteil der Kritik stammt derweil von postmodern und poststrukturalistisch argumentierenden Theoretiker_innen, die die Fluidität von Geschlechtsidentitäten und die Diskursivierung des Sozialen bei der Analyse von Männlichkeiten berücksichtigt wissen wollen (vgl. zum Beispiel Bauer u. a. 2007; Degele 2007). Connell (2015: 23) entgegnet dieser Kritik durch den Hinweis auf eine Verflachung der Realität auf die Ebene von Diskursen, denn »für eine tragfähige Vorstellung von Geschlecht brauchen wir institutionelle Macht, ökonomische Ungleichheit, die materiale Umgebung und lebendige Körper«. Die Theorie hegemonialer Männlichkeit zeichne keineswegs statische Männlichkeitsmodelle. Vielmehr verweise sie auf die historische, sich verändernde und dabei stets widersprüchliche Struktur von Geschlecht und dessen Krisentendenzen (ebd.). Unterdessen wird Connells Theorie zunehmend um poststrukturalistische Theoriebildung erweitert, etwa wenn sich auf die poststrukturalistische Hegemonietheorie von Laclau/ Mouffe (2006) zur Analyse von Männlichkeiten bezogen wird (vgl. Scholz 2015: 24; auch Spies 2010; Heilmann 2011). Connell hat sich zusammen mit dem Kriminologen und Männlichkeitsforscher James Messerschmidt überdies selbst an der kritischen Weiterentwicklung des Konzepts hegemonialer Männlichkeit beteiligt und dabei besonders dessen gesellschafts- und globalisierungstheoretische Dimension betont. So sei es nicht nur als »a simple model of cultural control« zu verstehen und einseitig auf Geschlechterrelationen zu beziehen, sondern umfasse ebenso den strukturellen Wandel in Bezug auf Klassen (»the mobilization and demobilization of whole classes«) (Connell/Messerschmidt 2005: 831). Damit stelle sich auch die »alte Frage nach dem Verhältnis von Klasse und Geschlecht neu« wie Bereswill/Neuber (2011: 11) in Bezug auf Connell/ Messerschmidt formulieren: »Sind Frauen innerhalb einer Klasse Männern möglicherweise nicht mehr untergeordnet, sondern gleichgestellt  – haben sie als Führungskräfte aufgeholt und sind nun auf Augenhöhe platziert? Sind strukturelle Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen überwunden oder mindestens brüchig?« (Bereswill/Neuber 2011: 11) Das Autorinnenpaar konstatiert an dieser Stelle ein Desiderat, da derartige Fragen bislang noch zu wenig in den Blick genommen würden. Darüber hinaus bemängeln sie die zu einseitige handlungstheoretische Auslegung des Konzepts, wodurch unklar bliebe, »ob wir es mit Strukturbrüchen, variablen Konfigurationen oder mit kontextspezifischen Einzelphänomenen zu tun haben« (ebd.).



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Ein zentraler Kritikpunkt ist schließlich die Außerachtlassung der Kehrseite männlicher Hegemonie. So seien Männer zwar an der Herstellung und Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen beteiligt, ihnen jedoch gleichzeitig auch unterworfen, etwa als Opfer der kapitalistischen Verwertungslogik innerhalb deren sie keinerlei Rückzugsmöglichkeiten besäßen. Die Seite der »männlichen Verfügbarkeit und Verletzlichkeit, der abhängigen Verstrickung des Mannes in den industriekapitalistischen Verwertungsprozess« sei das Konzept nicht im Stande abzudecken, so beispielsweise Böhnisch (2013: 33).33 Es laufe deshalb Gefahr, selbst zum »Verdeckungszusammenhang« zu werden, da das Leiden innerhalb des Konzepts schwerlich thematisiert werden könne. Innerhalb industriegesellschaftlicher Systeme konstituierte sich hegemoniale Männlichkeit, so Böhnisch, demnach vielmehr »in der Dialektik von männlicher Dominanz und Verfügbarkeit« (ebd.). Wenn (Hyper-) Männlichkeit außerdem als Mittel der Lebensbewältigung in Krisensituationen diene, so sei es laut Böhnisch sinnvoll, vermehrt tiefenpsychologische Perspektiven innerhalb der Männlichkeitsforschung zu bemühen. Hieran lässt sich die Kritik von Dinges (2005: 20f.) schließen, der in der »unzureichende[n] Beachtung psychosozialer Aspekte von Männlichkeit« besonderen Nachholbedarf bei Connells Theorie sieht. Der Historiker ist der Auffassung, dass der Funktionsweise der Herrschaft von Männern mit einem rein soziologischen Instrumentarium nur unzureichend beizukommen ist. »Da die Abwertung von Frauen durch Männer sowie deren Herrschsucht gegenüber Frauen entwicklungspsychologisch lokalisierbare Ursachen hat und nach Gilmore transkulturell – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – zu beobachten ist, wird man sich genauer mit den psychischen Aspekten der Sozialisation in den jeweiligen sozialen und politischen Geschlechterverhältnissen befassen müssen.« (Dinges 2005: 21)

Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive regt Dinges ferner eine historische Differenzierung des hegemonialen Männlichkeitsmodells an und schlägt vor, zwischen »dominanter«, frühmoderner »hegemonialer« oder 33 vgl. zu diesem Zusammenhang auch den noch jungen Diskursstrang zum Zusammenhang von Männlichkeit und Care, insbesondere dem Bereich der Väterforschung, in dem die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Persistenz traditioneller Geschlechtsrollenmodelle auch an den Erwartungen festgemacht werden, die an die Verkörperung des hegemonial-männlichen Handlungstypus gestellt werden. Selbst wenn Männer etwa bereit wären, mehr Zeit im Bereich der Familie zu investieren, so stehe dieser Wunsch der eingeforderten »Arbeitsmarktverfügbarkeit des Mannes« diametral entgegen (Born/Krüger 2002: 138), vgl. auch Böhnisch (2018: 171ff.).

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»moderner hegemonialer Männlichkeit« zu unterscheiden (ebd.: 20). Auch die Historiker Martschukat/Stieglitz (2008: 43) befürworten eine dezidiertere Auseinandersetzung der epochenübergreifenden Passfähigkeit des Konzepts und erachten es diesbezüglich als »heuristisch sinnvoller […], das Konzept hegemonialer Männlichkeit zunächst inhaltlich unbestimmt zu lassen«. Auf diese Weise ließen sich historisch spezifische Aushandlungsprozesse von Männlichkeit dann auch in ihrer Wechselwirkung mit soziokulturellen Machtstrukturen zusammendenken. Schließlich entspannt sich ein weiterer Diskurs um die Kompatibilität von Connells Konzept mit dem Paradigma der Intersektionalität, dessen Grundannahme in der Theorie jedoch bereits angelegt ist (vgl. ›Marginalisierung/Ermächtigung‹). Für den Migrations- und Männlichkeitsforscher Tunç (2012a: 4) reiche der Begriff der ›marginalisierten Männlichkeit‹ nicht um aufzuschlüsseln, aufgrund welcher Differenzkategorie ein Mann marginalisiert würde (zum Beispiel Ethnizität? Klasse? Alter?). Weiterhin gelte es das »spannungsreiche wie komplexe Verhältnis von Benachteiligung und Ressource zu klären«, also etwa die Frage zu stellen, wann sich eine bestimmte subjektive Zugehörigkeit als Ressource und wann als nachteilig für Männer auswirke und welche Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Differenzkategorien bestehen (ebd.: 6). Tunç konstatiert sodann eine »begriffliche Lücke«, die sich aus der noch zu wenig entwickelten intersektionalen Männlichkeitsforschung ergäbe und auch Konzepte wie jenes von Connell weder begrifflich noch inhaltlich abzubilden im Stande wären. Es geht dem Sozialpädagogen dabei insbesondere um die begriffliche Präzisierung nichthegemonialer Orientierungen von Männern, worunter er emanzipative, progressive und (pro)feministische Verhaltensweisen subsumiert. Tunç schlägt sodann den Begriff der ›progressiven Männlichkeiten‹ vor, der eine Brücke zwischen (intersektionaler) Männlichkeitsforschung und politischer Praxis, das heißt dem »Empowerment marginalisierter Männlichkeiten« bilden soll. »Ich schlage daher vor, progressive Männlichkeiten als eigenständiges Deutungsmuster der Männlichkeitsforschung zu verstehen, auf das sich Männer bestimmter Milieus und in bestimmten Kontexten beziehen, um Lebensentwürfe zu gestalten, die mit möglichst wenig Macht über andere Menschen und möglichst geringer Orientierung an hegemonialen Männlichkeiten umsetzbar sind.« (Tunç 2012a: 8)

Eine ähnliche Perspektive liegt den britischen Sportsoziologen und Männlichkeitsforschern Anderson (2009), Anderson/McGuire (2010), Anderson/ McCormack (2015), Robinson/Anderson/White (2017) zugrunde, die die Idee einer sog. inclusive masculinity, also einer inklusiven Männlichkeit zur



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Diskussion stellen. In Zeiten abnehmender Homophobie (›decline of homohysteria‹) – so die grundlegende These – seien nunmehr zwei koexistierende Formen hegemonialer Männlichkeit zu beobachten. Während sich die (hegemoniale) sog. ›orthodoxe‹ Männlichkeit weiterhin entlang von Dominanz und Distinktion ausbilde (das heißt auf Homophobie, Misogynie und maskuline Physis gründe) und damit durchaus Connells hegemonialer Männlichkeit entspräche, unterminiere die (hegemoniale) ›inklusive‹ Männlichkeit ebenjene Attribute, indem sie sich dem Wunsch zu beherrschen, gewissermaßen verweigere: »Here, one or more forms of inclusive masculinity are shown to dominate numerically, but they are not hegemonically dominating. In other words, when inclusive masculinity (as an archetype) proliferates, it does not seem to also ›dominate‹«. (Anderson/McGuire 2010: 251)34 Die Vorschläge und Modifikationen von ›progressiven‹ oder auch ›inklusiven‹ Männlichkeiten leiten zu dem noch wenig erforschten Zusammenhang von Männlichkeiten und Care beziehungsweise Sorgearbeit über. Ein Forschungszusammenhang, der Connells Theorie vor allem aufgrund ihrer konzeptuellen Leerstelle im Hinblick auf Vaterschaft und Fürsorge kritisiert. Caring masculinities werden auch hier unter anderem durch die Zurückweisung von Dominanz und die Inkludierung emotionaler Beziehungsdimensionen definiert (vgl. Elliott 2016) und dem Connellschen Modell hegemonialer Männlichkeit zuweilen als gleichwertig gegenübergestellt (vgl. zum Beispiel Scambor u. a. 2016; vgl. außerdem Heilmann/Scholz 2017). Einige wichtige und auch für diese Arbeit hilfreiche, konzeptuelle Erweiterungen nehmen sodann die Soziolog_innen Meuser und Scholz vor, die das Connellsche Begriffsinstrumentarium mit der Theoriebildung Bourdieus verknüpfen. Zwar handle man sich mit Bourdieu eine gewisse »Persistenz sozialer Strukturen« ein, diese scheint der Empirie der Männlichkeiten jedoch angemessener als »Connells Optimismus hinsichtlich einer intentional herbeigeführten Veränderung hegemonialer Männlichkeitskonstruktionen oder von Herrschaftsstrukturen« (Meuser/Scholz 2005: 212). Eine Verbindung von Bourdieu und Connell sei auch deshalb »möglich«, da beide von einer »Theorie der Praxis« ausgingen (ebd.). In seiner Kritik setzt Meuser (2006b: 165) unter anderem an Connells Begriff der Komplizenschaft an, der die 34 Die Überlegungen von Anderson und Co gründen auf ethnografischen Beobachtungen und Interviewmaterial mit angelsächsischen Sportlern (zum Beispiel Rugby). Den Konzepten von Tunç (2012a) oder Anderson/McGuire (2010) ist anzulasten, dass eine kritische (zum Beispiel profeministische) Positionierung gegenüber dem hegemonialen Männlichkeitsideal in Connells Theorie bereits angelegt ist.

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»Vorstellung einer intentional erfolgenden Unterstützung einer ›Tat‹« evoziere, was »dem komplexen Gefüge der Konstruktion von Männlichkeit nicht gerecht« würde. Stattdessen wird vorgeschlagen von hegemonialer Männlichkeit als ›generativem Prinzip‹ des doing masculinity zu sprechen. Dieser Idee liegt die durch Bourdieu inspirierte Annahme zugrunde, dass sich der männliche Habitus vor allem im homosozialen Raum herausbilde und diese Aushandlung einer kompetitiven Logik folge, ein Aspekt den Connell in ihrem Konzept vernachlässige (vgl. Meuser/Scholz 2005: 221). Der im Rahmen männlicher Sozialisation »frühzeitig eingeübt[e]« Wettbewerb sei der »Modus, in dem unterschiedliche Männlichkeiten sich in ein hierarchisches Verhältnis zueinander setzen« (ebd.).35 Dabei sei es weniger entscheidend, ob ein Mann im Alltag männliche Hegemonie praktiziere(n) (könne) oder nicht, oder ob er einer ›marginalisierten‹ Gruppe von Männlichkeiten angehöre oder nicht. Entscheidend sei vielmehr die »wechselseitige Verpflichtung« auf das Orientierungsmuster der hegemonialen Männlichkeit. Diese nämlich würde in den Spielen der Männer als »Münze« fungieren, »mit der Distinktionsgewinne in der homosozialen Gemeinschaft erzielt werden« (Meuser 2006b: 165). Das männliche Hegemoniebestreben (libido dominandi) sei dabei stets durch eine homo- und heterosoziale Dimension bestimmt, da die »(beanspruchte) Hegemonie in der heterosozialen Dimension […] immer auch ›Spieleinsatz‹ in den ernsten Spielen des Wettbewerbs [ist], den die Männer unter sich austragen« (ebd.: 166f.). Als Beispiel für ritualisierte Formen eines solchen Wettbewerbs36 nennen Meuser/Scholz (2005: 219f.) unter anderem Studien über türkische Jugendliche (vgl. Tertilt 1996), die zeigten, wie eng geschlechtlicher und ethnischer Habitus verschränkt seien und wie beides wechselseitig als Ressource zur Konstruktion von Differenz genutzt würde: Bei der Verteidigung der männlichen Ehre unter türkischen Jugendlichen wird die Geschlechterdifferenz (gegenüber den zu beschützenden resp. zu kontrollierenden ›eigenen‹ Frauen) genutzt, um (gegenüber ›biodeutschen‹ Männern) ethnische Differenz zu markieren. Umgekehrt nötige die ethnische Zugehörigkeit zur Durchsetzung entsprechend rigider Vorstellungen geschlechtsadäquaten Verhaltens (ebd.: 220). Die jungen Türken erzeugten damit zwar eine ›untergeordnete Männlichkeit‹ (insofern die Stan 35 Die Autor_innen weisen darauf hin, dass jener Wettbewerb nicht nur der Distinktion, sondern explizit auch als Mittel männlicher Vergemeinschaftung diene (vgl. Meuser/ Scholz 2005: 221). 36 »Über das Ritual wird der Wettbewerb von persönlichen Motiven entkoppelt« (Meuser/ Scholz 2005: 221).



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dards der Kontrolle und Verfügung über die Frau in Deutschland unüblich sind), dem Erzeugungsprinzip liegt jedoch hegemoniale Männlichkeit zugrunde, da diese via Dominanz gegenüber Frauen sowie gegenüber anderen Männern hergestellt wird (vgl. auch Kap. 8.2.3). Hegemoniale Männlichkeit wird somit als das generative Prinzip von Männlichkeit begreifbar. Das Beispiel mache deutlich, wie stark binnengeschlechtliche Machtrelationen unter Männern mit anderen sozialen Dimensionen verwoben seien und betone sowohl die Notwendigkeit einer intersektionalen Perspektive als auch die Relationalität des Hegemoniekonzepts. »Hegemonie ist wie Geschlecht eine relationale Kategorie; hegemoniale Männlichkeit kann es in der homosozialen Dimension nur in Relation zu anderen Lagen sozialer Ungleichheit geben, vor allem zu Klassen-, Generations-, ethnischen Lagen und im Verhältnis sexueller Orientierungen.« (Meuser/Scholz 2005: 220) Um die historisch konkreten Formen hegemonialer Männlichkeit rekonstruieren zu können und sie als normativ-kulturelles Muster zu erfassen, schlägt das Autor_innenpaar weiterhin den Begriff der ›institutionalisierten Praxis‹ vor: »Hegemoniale Männlichkeit wird als institutionalisierte Praxis in den sozialen Feldern konstituiert, in denen, historisch variabel und von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich, die zentralen Machtkämpfe ausgetragen und gesellschaftliche Einflusszonen festgelegt werden.« (Meuser 2006b: 169) Als solche dienten im 19. Jahrhundert das Militär oder in der globalisierten neoliberalen Gesellschaft das Milieu der Top-Manager, sowie Massenmedien. Hegemoniale Männlichkeit würde dabei weder von einzelnen Mitgliedern einer Elite noch in einem intentionalen Akt definiert; vielmehr bilde sich »in der sozialen Praxis der Elite […] ein Muster von Männlichkeit aus, das kraft der sozialen Position der Elite hegemonial wird. Hegemoniale Männlichkeit ist an gesellschaftliche Macht und Herrschaft gebunden« (Meuser/Scholz 2005: 216). Am Beispiel der DDR arbeitet Scholz heraus, wie hegemoniale Männlichkeit durch die Erschaffung von Heldenfiguren37 seitens einer politischen Machtelite konstruiert wurde. In einem ›asymmetrischen Kommunikationsprozess‹ zwischen Elite und Bevölkerung dienten Helden als Vermittler von Botschaften der politischen Führung, die deren Macht legitimieren sollten. Ein Vermittlungsprozess, innerhalb dessen die Massenmedien eine zentrale Rolle spielten. Die Bürger_innen eigneten sich diese 37 Als solche nennt Scholz (2015: 27) den ›Held der Arbeit‹ Adolf Hennecke und den Kosmonaut Sigmund Jähn.

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Figuren schließlich in unterschiedlichen Kontexten an und so waren Staat, Medien und Bevölkerung letztlich gemeinsam am Konstruktionsprozess hegemonialer Figuren beteiligt (vgl. Scholz 2015: 27).38 Für die Analyse von Rap-Männlichkeiten unter feldspezifischen Vorzeichen sowie im Kontext eines Strukturwandels ist abschließend ein weiterer Diskursstrang von Interesse, der sich in der Rezeption und Modifikation der Theorie hegemonialer Männlichkeit herausgebildet hat. So wird das Modell etwa im Hinblick auf seine Kompatibilität mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen diskutiert und im Zuge dessen gar als »Auslaufmodell« hinterfragt (Meuser 2010a: 415). Angesichts zunehmender Diskontinuitäten männlicher Erwerbsbiografien, dem Bedeutungsverlust von Ehe und Ein-Ernährermodell sowie im Kontext einer allgemeinen Pluralisierung von Lebensstilen, werden Fragen nach einer Pluralität hegemonialer Männlichkeiten immer relevanter. In differenzierten Gesellschaften, die über kein singuläres Zentrum politischer oder gesellschaftlicher Macht verfügen,39 müsse deshalb zwischen verschiedenen Ebenen hegemonialer Männlichkeit differenziert werden, wie es Connell/Messerschmidt (2005: 849) mit der Unterscheidung in lokale, regionale und globale Ebenen vorschlagen.40 Es sei davon auszugehen, dass es verschiedene hegemoniale Männlichkeiten gäbe, die innerhalb sozialer Felder miteinander konkurrierten beziehungsweise vielschichtige Überschneidungen aufwiesen. Konkurrierende Männlichkeitsideale seien ferner als »verräumlicht« zu verstehen, womit deutlich würde, dass Prozesse von Globalisierung und solche der Re-regionalisierung parallel verliefen (vgl. Meuser/Scholz 2005: 213f.). Weiterhin wird eine Dynamisierung und Kontextualisierung von Herrschaftsverhältnissen diskutiert. So geht Scholz (2015: 34) davon aus, das männliche Herrschaft innerhalb spätmoderner Gesellschaften nicht mehr die einzige Machtachse sei, sondern vielmehr in Bezug zu anderen Herrschaftsphänomenen analysiert werden müsse.41 Als Ergebnis ihrer Studie über 38 Scholz (2015: 27) verweist in diesem Kontext auch auf die Studie von Satjukow/Gries (2002). 39 Anders als in der industriegesellschaftlichen Moderne, als zivile und militärische Macht noch eng verknüpft waren (vgl. Meuser 2006b: 169). 40 Für die Autor_innen bleibt hegemoniale Männlichkeit dennoch gewissermaßen singulär, da die verschiedenen hegemonialen Männlichkeiten eine »Familienähnlichkeit« aufwiesen, so etwa die Managermännlichkeit auf lokaler Ebene, mit jener auf globaler Ebene (Connell/Messerschmidt 2005: 850; vgl. auch Scholz 2015: 33). 41 Im Kontext der Debatten um einen allgemeinen Bedeutungsverlust männlicher Hegemonie bzw. der zunehmenden De-Legitimation männlicher Herrschaft, gibt es auch



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Männlichkeitskonstruktionen auf den Feldern Arbeit, Politik und Militär kommt sie unter anderem zum dem Ergebnis, dass in unterschiedlichen gesellschaftlichen Machtfeldern verschiedene Konstruktionen von Männlichkeit um die hegemoniale Position konkurrieren (ebd.: 252).42 Dass hegemoniale Männlichkeit vermehrt kontextgebunden verstanden werden müsse, darauf verweist neben Scholz auch Meuser, der am Beispiel von Hooligans herausarbeitet, wie eine in einem bestimmten Kontext gültige, hegemoniale Männlichkeit im gesamtgesellschaftlichen Rahmen als untergeordnet gelten kann. So folge das Gewalthandeln der Hooligans zwar innerszenisch der Logik hegemonialer Männlichkeit, außerhalb der Szene wäre damit jedoch nicht der Anspruch auf gesellschaftliche Ressourcen wie Geld oder symbolische Anerkennung verbunden (vgl. Meuser 2001a: 21ff.). Die gesamtgesellschaftliche, hierarchisch strukturierte Geschlechterordnung lasse sich vor allem durch diese Vielfalt an konkurrierenden und koexistierenden hegemonialen Männlichkeiten erklären, durch die die Überlegenheit von Männlichkeit immer wieder reproduziert würde. Dass bedeutet auch, dass unabhängig eines Bedeutungsverlustes einer singulären hegemonialen Männlichkeit, Männlichkeit weiterhin als gesellschaftlicher Ordnungsfaktor relevant bleibt. »Sie wird in den unterschiedlichen Machtfeldern, insbesondere im ökonomischen und militärischen Feld, neu aufgefordert. Dabei löst sich Männlichkeit zunehmend von realen Männern ab, sie bleibt ein Taktgeber der gesellschaftlichen Entwicklung, verliert aber ihre Unsichtbarkeit als ›Allgemein-Menschliches‹, die für die organisierte Moderne konstitutiv war.« (Scholz 2015: 252)

Mit Rückgriff auf die Theorien Connells, Bourdieus und Rommelspachers Konzept der Dominanzkultur, schlagen Meuser/Scholz (2005: 223) sodann vor, künftig von ›männlicher Hegemonie‹, anstatt von männlicher Herrschaft zu sprechen, da sich Dominanz und Geschlechterungleichheit weniger durch direkte Herrschaft als vielmehr durch Hegemonie, verstanden als »die Dominanz männlicher Wert- und Ordnungssysteme, Interessen, Diskussionen darum, wie Weiblichkeit besser in das Konzept Connells integriert werden könne. Paradigmatisch sei an dieser Stelle das Konzept einer ›hegemonialen Weiblichkeit‹ genannt, das v. a. seitens Scholz (2015) ausformuliert wurde. vgl. weiterhin Stückler (2013) oder Gruhlich (2013). Ein Begriff für weibliche Macht ist jedoch auch bereits bei Connell (1987) angelegt, die von einer emphasized femininity spricht, damit jedoch das Einverständnis der Frauen mit der eigenen Unterordnung meint und Weiblichkeit damit als komplizenhaft ausweist (vgl. dazu auch Meuser 1998: 98f.) 42 Auch andernorts betont Scholz (2004: 40) die Kontextgebundenheit hegemonialer Männlichkeit und verweist in diesem Zusammenhang auf Studien von Cockburn (1991), Barrett (1999), Höyng/Puchter (1998) und Engler (2000).

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Verhaltenslogiken und Kommunikationsstile« konzipierten. Diese würde schließlich durch die Produktion einer hierarchischen Zweigeschlechtlichkeit aufrechterhalten, wobei die Vorstellung von Männlichkeit innerhalb der sozialen Praxen zwar differiere, letztlich jedoch einen gemeinsamen Kern aufwiese: »das Männliche gilt als Norm und gegenüber dem Weiblichen als überlegen« (Scholz 2004: 41; Meuser/Scholz 2005: 223). Durch einen Rückgriff auf Bourdieus Theorie symbolischer Gewalt ließen sich schließlich auch die Persistenz und die geringen Brüche hegemonialer Männlichkeit resp. männlicher Überlegenheit erklären, deren symbolische Mächtigkeit Connell verkenne. Die vergeschlechtlichte Zweiteilung der sozialen Welt und die männliche Überlegenheit sei in die kognitiven Strukturen und Körper der Individuen eingeschrieben. »Connells Vertrauen in die befreiende Kraft der Bewußtwerdung stellt sich in einer habitustheoretischen, an Bourdieu orientierten Perspektive mehr als von einem politischen Veränderungswillen geprägt als von nüchterner soziologischer Analyse gestützt dar.« (Meuser/ Scholz 2005: 225) Die (transnational) business masculinity Einen zentralen Strang in der Theoriediskussion gegenwärtiger Männlichkeitsforschung stellt – wie obige Ausführungen bereits deutlich machen – die Revision des Konzepts der hegemonialen Männlichkeit und hier insbesondere die Überlegungen zur transnational business masculinity dar, ein Begriff »mit dem Connell eine Antwort auf die Veränderung von Männlichkeitskonstruktionen im Zuge von Globalisierungsprozessen zu geben versucht« (Meuser 2016: 231). Bereits seit der Jahrtausendwende werden Männlichkeiten innerhalb der Men’s Studies vermehrt auf der Folie von Globalisierung und Ökonomie diskutiert. Der sozialen Elite des (Top-)Managements darin eine herausragende Bedeutung zuzuweisen, ergibt sich dabei zum einen aus der allgemeinen ›Ökonomisierung des Sozialen‹, also dem zunehmenden Einfluss der Wirtschaft innerhalb der öffentlichen wie privaten Sphäre, sowie aus der Annahme, hegemoniale Männlichkeit werde durch die soziale Praxis gesellschaftlicher Eliten definiert (vgl. Meuser 2012: 156).43 Die Männlichkeitsforschung interessiert sich nun insbesondere für den zunehmenden 43 In seinen (nicht geschlechtertheoretisch nuancierten) Ausführungen zur ›Sozialfigur des Managers‹ schreibt auch der Soziologe Baecker (2010: 262): »Die Kritik der immerhin verbesserbaren Verhältnisse und die Ironie der doch nie vollkommenen Profession fallen zusammen und erweisen sich als nicht enden wollende Aufgaben, deren Bewältigung



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Einfluss der globalen kapitalistischen Ökonomie auf die Konstruktion und Transformation von Männlichkeit, wobei allgemein dazu tendiert wird, sich von einem einseitigen Hierarchiemodell männlicher Dominanz zu verabschieden und stattdessen zu analysieren, »wie Männlichkeit in die nun globalisierten Machtstrukturen ambivalent verstrickt ist« (Böhnisch 2013: 69). »Global history and contemporary globalization must be part of our understanding of masculinities. Locally situated lives are (and were) powerfully influenced by geopolitical struggles, Western imperial expansion and colonial empires, global markets, multinational corporations, labor migration, and transnational media.« (Connell 2005: 71f.)

Connell betrachtet die historischen Prozesse, die die globale Weltgesellschaft hervorgebracht haben von Beginn an als vergeschlechtlicht. Die Soziologin geht davon aus, dass sich innerhalb transnationaler Räume wie Ökonomie, Medien oder Politik eine »world gender order« herausbildet (ebd.: 72). Transnationale Kooperationen würden darin eine Art ›lokal entbettetes Gender-Regime‹ etablieren, das jenseits von Nationalität oder race durch einen männlichen Code zusammengehalten würde und dabei in einem komplexen Wechselverhältnis mit Geschlechterordnungen auf der lokalen oder regionalen Ebene stünde (vgl. ebd.; auch Böhnisch 2013: 69). Böhnisch betont an dieser Stelle den Aspekt der sozialen Entbettung, der diese Prozesse im Besonderen kennzeichne. Die globalisierte Männlichkeit ist gewissermaßen abstrakt, lebensweltlich nicht greifbar und könne sich den »local pressures« somit entziehen: »[…] hegemoniale Männlichkeit scheint sich zunehmend in Sphären zu verlagern, die sich den sozialen Beziehungen entziehen und dort ihre Legitimation begründen: in den Sphären sozial entbetteter Technologie und Ökonomie. Eine globalisierte und technologisierte Männlichkeit des ›Sachzwangs‹« (ebd.).44 Auch Connell denkt Globalisierung unter öko-

mit dem Lebensvollzug selber zusammenfällt. Das absorbiert dann auch den einst vielleicht einmal so wichtigen, weil widerständigen Unterschied der Geschlechter«. 44 vgl. dazu auch die Beschreibung der Tätigkeit australischer Manager in der Studie von Connell/Wood (2005: 354): »As the work of managers is increasingly integrated with and performed through complex computer systems, the relationship with material production and the direct producers grows even more indirect and abstract. People like Angus and Charles need never see a widget from one year’s end to the next. […] It is also increasingly embedded in technology. ›All day long on e-mails‹ is only the start. In a multinational firm like Charles’s, a manager anywhere in the world can tap into the firm’s global system, ›which is an e-mail system plus a database of all the work we have ever done for anybody.‹«

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nomischen, das heißt kapitalistischen Vorzeichen45 und konzipiert die ›neoliberal agenda‹ als vergeschlechtlicht (»neoliberalism has an implicit gender politics«, vgl. Connell 2005: 76). Die world gender order brächte eine »globalizing masculinity« hervor, die zwar (etwa auf lokaler Ebene) verschiedene Formen annehmen könne, letztlich aber in der »transnational business masculinity« aufgehe. »It seems particularly important, then, to examine the masculinity associated with those who control the dominant institutions of the world economy: the capitalists and business executives who operate in global markets and the political executives who interact (and in many contexts merge) with them. I call this ›transnational business masculinity‹.« (Connell 2005: 76f.)46

Als zeithistorische Zäsur für die Entstehung dieser Männlichkeit macht Connell den Zusammenbruch des Stalinismus und das Ende des Kalten Krieges aus. So betrat nach der eher starren, kontrollierten militärischen Männlichkeit sodann die »more flexible, calculating, egocentric masculinity of the new capitalist entrepreneur« die Weltbühne (Connell 2005:84). Mit Rekurs auf diverse Studien listet Connell verschiedene Merkmale der business masculinity auf, darunter emotionale Isolation (»emotional isolation«), eine Zunahme körperlicher Ertüchtigung/Abhärtung (»deliberate toughening of boys in the course of growing up«) sowie materiellen Überfluss bei gleichzeitiger Überzeugung der eigenen Überlegenheit und Anspruchsberechtigung (»entitlement«) (vgl. ebd.: 77).47 Neuere Studien zum Thema würden in diesem Zusammenhang teils ambivalente ›neue‹ Männlichkeitsmodelle sichtbar machen, die einerseits mit überkommenen patriarchalen Business-Männlichkeiten brechen (zum Beispiel genderliberal, offen für Menschen anderer Kulturen usw., vgl. Connell/Wood 2005: 359f.) und gleichzeitig Überreste kolonialistischer Einstellungen gegenüber einer sich modernisierenden Welt

45 »Globalization is best understood as centering on a set of linked economic changes characteristic of the current stage of capitalism. The main changes are the expansion of worldwide markets, the restructuring of local economies under the pressure of the world economy, and the creation of new economic institutions« (Connell 2005: 72f.). 46 Scholz (2015: 33) verwendet in ihren Studien den Begriff der ›Managermännlichkeit‹ und kritisiert, dass Connell die Begriffe ›Manager‹ und ›Unternehmer‹ in ihren Texten »nicht trennscharf benutzt«. 47 Scholz (2015: 82) reformuliert: »eine begrenzte technische Rationalität, ein gesteigerter Egozentrismus, relativierte Loyalitäten gegenüber der eigenen Firma, ein sinkendes Verantwortungsgefühl für andere außer zur Imagepflege sowie eine libertine Sexualität mit einer Tendenz zu käuflichen Beziehungen zu Frauen«.



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aufwiesen.48 So brächte die analytische Durchsicht ökonomischer Fachzeitschriften (zum Beispiel The Economist) oder Lehrbücher zum einen »a cooperative, teamwork-based style of management« hervor, zeichne zum anderen aber auch ein individualistisches Bild, gekennzeichnet von steilen Hierarchien und schnellen Berufswechseln. Der Wandel materialisiere sich dabei auch am männlichen Körper (»embodiment of masculinity«). Besonders die Aspekte Sport, Fitness, äußeres Erscheinungsbild so wie eine libertäre Sexualität (»libertarian sexuality«)49 würden die körperliche Dimension der business masculinity dabei auszeichnen: »It would seem that the deliberate cultivation of the body has become a significant practice helping to define contemporary business masculinity.« (Connell 2005: 77)50 Unter dem Druck und den Verheißungen globaler Märkte erwachse schließlich auch auf lokaler Ebene das Bedürfnis der Teilhabe, wodurch es zu Transformationen der lokalen Geschlechterordnungen und Männlichkeiten käme. Ein Prozess, der auch die aktive Beteiligung von Frauen impliziere und im interkulturellen Vergleich aufgrund unterschiedlich gelagerter Männlichkeitskonzepte und Geschlechterverhältnisse als ungleichmäßig zu verstehen sei. Ungeachtet lokaler Differenzierungen geht Connell jedoch von einer allgemeinen Privilegierung von Männern gegenüber Frauen aus, die dazu beitrüge das Konzept der hegemonialen Männlichkeit auf einer globalen Ebene zu stabilisieren. Durch insgesamt höhere Löhne, ungleiche Besitzverhältnisse und einen besseren Zugang zu Machtressourcen profitierten Männer der Industrienationen weltweit von der ›patriarchalen Dividende‹ (ebd.: 82). Die transnational business masculinity sei schließlich nicht als homogen zu verstehen. Im Gegenteil befänden sich deren politischen wie ökonomischen Verkörperungen in einem konfliktuösen Verhältnis. Im Zuge des Strukturwandels der Erwerbsarbeit und deren Auswirkungen auf Konstruktionen von Männlichkeit, haben sich zahlreiche Männ 48 vgl. dazu auch Böhnisch (2018: 233ff.) der den Zusammenhang der Globalisierung mit verschiedenen Tendenzen der Remaskulinisierung in Verbindung bringt: »Die Welt teilt sich in eine männlich-pazifizierte und eine maskulin-aggressive Hemisphäre, in der es entsprechend maskulin-aggressiv brodelt.« 49 »One of our respondents described himself in a sexual ›duality‹, maintaining a marriage at home but having casual sex on the road. The scale of sexual services available to traveling businessmen, from pornographic videos in hotel rooms to organized prostitution, suggest that this is not an isolated case.« (Connell/Wood 2005: 357). 50 Dass die business masculinity im Zuge ihres Arbeitsmodells damit nicht wirklich gesund lebt, beschreiben auch Connell/Wood (2005) und nennen dabei vor allem lange Arbeitszeiten, die sitzende Tätigkeit und die häufigen Geschäftsreisen.

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lichkeitsforscher_innen mit Connells transnational business masculinity auseinandergesetzt. Für Scholz (2015: 91), die mit dem Begriff der ›Managermännlichkeit‹ arbeitet, bildet der nationale, neue Managementstil durchaus jene übergreifende »Charakteristika einer globalisierten, nachindustriellen hegemonialen Männlichkeit« ab. Als zentrale Merkmale fügt Scholz gewissermaßen die psychosoziale Dimension der Resilienz hinzu, also die Fähigkeit »den starken Druck auszuhalten, der mit wachsenden Unsicherheitszonen einer globalen Ökonomie einhergeht, und damit, dass die eigene Karriere alles andere als institutionell gesichert ist« (ebd.; vgl. auch Meuser/ Scholz 2011).51 Meuser (2012: 158) konstatiert in diesem Zusammenhang, dass sich diese hegemoniale Männlichkeit womöglich durch weniger ›habituelle Sicherheit‹ auszeichne als jene von Führungskräften des industriegesellschaftlichen Typus. Scholz (2015: 34), die die Zentralsetzung der transnationalen Managermännlichkeit seitens Connells aufgrund ihrer Engführung auf Männlichkeit als Herrschaftskategorie kritisiert, verweist in Anlehnung an Hartmann (zum Beispiel 1995) auf die Bedeutung eines klassenspezifischen Habitus (vgl. Scholz 2015: 92): Die deutsche Wirtschaftselite reproduziere sich demnach als männliche und klassenspezifische Elite. Auch die soziale Dimension der ethnischen Herkunft, das heißt die »nationale Homogenität« sei im Zuge dessen beachtenswert, kämen doch nur neun von 100 in Deutschland arbeitenden Spitzenmanagern aus dem Ausland, eine Tendenz die sich auch innerhalb anderer westlicher Industrienationen wie Japan, Frankreich oder den USA zeige (ebd.: 93). Ein Blick in die Literatur zeigt, dass viele Autor_innen in der Figur des Finanzjongleurs oder Brokers eine geradezu idealtypische Darstellung der transnational business masculinity sehen.52 An der Filmfigur des Gordon Gekko aus Wallstreet 1 würde anschaulich deutlich, wie der parternalistische 51 An dieser Stelle sei einmal mehr auf die Studie von Connell/Wood (2005: 361) verwiesen. Unter den interviewten Managern beobachtet das Autorenpaar neben der Ästhetisierung des Körpers auch eine Hinwendung zu »New Age therapies«, sowie Eheberatung, Psychotherapie und Gruppentherapien im Geschäftskontext. Auch die Fülle der »business self-help books« wie sie an internationalen Flughäfen angeboten werden, sprächen dafür, dass die Managermännlichkeiten den Anforderungen des globalen Kapitalismus nicht ohne professionelle Hilfe gewachsen wären«. Für Meuser (2012: 158) ist dies auch als Anzeichen dafür zu bewerten, »dass hegemoniale Männlichkeit selbstreflexiv zu werden beginnt«. 52 Vgl. dazu die Finanzkrise als ›männliche Krise‹ im journalistischen Diskurs, den Sauer (2011: 81) in einer Einleitung zur ›Finanzkrise als Krise neoliberaler Männlichkeit?‹ überblicksartig darstellt.



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Stil durch den wettbewerbszentrierten Managerstil verdrängt worden sei, ein Stil, der sich vor allem an raschen und hohen Gewinnen orientiere (vgl. ebd.).53 Das Beispiel Finanzmarkt bekräftigt die These des Soziologen Stücklers (2011), dass hegemoniale Männlichkeit »gegenwärtig aus den Strukturen des Finanzmarkt-Kapitalismus« hervorgehe. »Es handelt sich dabei also nicht um ein Männlichkeitsideal, das sich dort in den Finanzmarkteliten herausbildet, und zudem sich jede andere Männlichkeit positionieren muss. Vielmehr ist davon auszugehen, dass in den Strukturen des Finanzmarkt-Kapitalismus jene Prämissen angelegt sind, die die Konstruktion hegemonialer Männlichkeit maßgeblich bestimmen.« (Stückler 2011: 9)

Die Überlegungen zur transnational business masculinity befeuern letztlich die aktuellen Debatten um eine weitere Gültigkeit des Hegemonialitätskonzepts als Leitkategorie der Männlichkeitsforschung (vgl. Meuser/Scholz 2011; Frey 2014: 20ff.). Dabei stellt sich beispielsweise die Frage, inwiefern eine sozial entbettete, globale Managermännlichkeit zum hegemonialen Vorbild sozial benachteiligter Männer werden könne (vgl. Böhnisch 2013: 32). Angesichts des ›Turbokapitalismus‹ kritisiert Böhnisch, inwiefern sich das Konzept der hegemonialen Männlichkeit als Erscheinungsform des Industriekapitalismus des 20. Jahrhunderts überhaupt in die gegenwärtige globalgesellschaftliche Situation ›hinein verlängern‹ ließe. Die neue globale Ökonomie habe vielmehr ein »geschlechtsindifferentes Leitbild« hervorgebracht, den sog. abstract worker (vgl. ebd.: 238ff.). Auch Sauer (2011: 97), die die globale »Weltmännlichkeit« aus politikwissenschaftlicher Perspektive beleuchtet, resümiert in einem Beitrag, dass sich eine einst auf dem Feld der Ökonomie entwickelnde Form ›neoliberaler Männlichkeit‹ unterdessen zur »Subjektivierungsform und Lebensweise für alle anderen gesellschaftlichen Bereiche und Teilsysteme« entwickelt habe. Sie sei aufgrund dessen nicht mehr nur einer kleinen sozialen Elite vorbehalten, sondern erweise sich gar als »zwingend für alle Menschen«, das heißt auch für Frauen oder marginalisierte resp. untergeordnete Männlichkeiten im Sinne Connells. »Das Denken in Kompetitivität, der Gestus der Ausgrenzung und Benachteiligung von ›Anderen‹, das kalkulierende Handeln unter der Vorgabe von Effizienz und Effektivität sowie aktive Prozesse der Entsolidarisierung sollen im Zuge neoliberaler Umgestaltung der westlichen Gesellschaften für alle Menschen selbstverständlich also zur hegemonialen Subjektivierungsform werden.« (Sauer 2011: 97) 53 Das Managermagazin sieht Gordon Gekko gar als prägende Identifikationsfigur einer ganzen Generation von Bankern und Managern (Scholz 2015: 83).

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Männlich codierte Orientierungen und Verhaltensweisen, so Sauer weiter, würden dadurch zu den »einzig lebbaren« avancieren und dadurch letztlich hegemonial (ebd.). Damit ist gleichermaßen der noch wenig beforschte Diskursstrang um eine sog. ›hegemoniale Weiblichkeit‹ angesprochen, den insbesondere Scholz (2010) in die Debatte einbrachte. Auch in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob das Eindringen von Frauen in soziale Spitzenpositionen Weiblichkeit zur Orientierungsgröße werden lässt, oder ob diese ›hegemoniale Weiblichkeit‹ als soziale Praxis vielmehr im generativen Prinzip aufgeht, das hegemonialer Männlichkeit zugrunde liegt (vgl. Stückler 2013; Gruhlich 2013). Als weitere mögliche Erklärung für die Hartnäckigkeit der neoliberalen Männlichkeit schlägt Sauer (2011: 99f.) deren Diversifizierung vor. So würden etwa zunehmend feminisierte Merkmale in den neoliberalen männlichen Handlungstypus integriert. Zwar würden Emotionen oder Schwäche seitens des homo oeconomicus dabei zunehmend enttabuisiert und damit lebbar gemacht, gleichzeitig jedoch im Sinne eines maskulinistischen Diskurses rückerobert. Etwa wenn der Suizid eines hochrangigen Arzneimittelherstellers als konsequentes Handeln inszeniert wird, da er als Folge eines Scheiterns aufgrund risikoreicher ökonomischer Strategien und damit als Teil hegemonialer Männlichkeit präsentiert wird (vgl. dazu auch die Ausführungen von Scholz 2015: 103 zur Maskulinisierung diskontinuierlicher Erwerbsmodelle vermittels der Pioniermetapher). Für Scholz (2015: 250f.) konstituiert sich die transnational business masculinity letztlich nur im ökonomischen Feld. Gleichwohl eine generelle Ökonomisierung anderer gesellschaftlicher Sphären konstatierbar sei, weise die transnationale Managermännlichkeit »keine hinreichende ›Familienähnlichkeit‹« mit jenen Männlichkeitskonstruktionen auf, die im politischen wie militärischen Feld beobachtbar seien (ebd.: 250f.). Stattdessen müsse von »parallelen Konstruktionen von hegemonialer Männlichkeit in unterschiedlichen gesellschaftlichen Machtfeldern auf nationaler Ebene und in globalen Konstellationen unterschieden werden« (ebd.: 251). Die global agierende, als hegemonial diskutierte Manager-Männlichkeit ist letztlich nur ein beispielhaftes Destillat einer Entwicklung, die gemein mit dem ›Strukturwandel des Erwerbssystems‹ oder auch der Chiffre von der »Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses« zu fassen versucht wird (Meuser 2012: 151; auch Meuser/Scholz 2011). Dieser für das männliche Selbstverständnis noch zu wenig untersuchte Bereich veranlasse angesichts bisheriger Studien zu der Annahme, dass hierin erfahrene Verunsicherung (zum



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Beispiel Prekarisierung von Arbeit, Entgrenzung von Arbeit und Leben) oftmals durch Rückgriff auf tradierte Männlichkeitsmodelle zu bewältigen versucht wird (vgl. auch Frey 2014: 23). Ein Muster, das Verunsicherungen möglicherweise eher befördert, denn lindert, so Meuser (2012: 156). Mit dem Kapitel zur Krise der Männlichkeit, das die theoretische Klammer dieser Arbeit bildet, werden diese und angrenzende Überlegungen nachfolgend wiederaufgenommen.

6.3 Hegemoniale Männlichkeit zwischen Krise und Strukturwandel Bereits seit den 1980er Jahren kursieren in unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären Debatten um eine sogenannte Krise der Männlichkeit. Eine Krise, die sich im Kontext des ersten PISA Bildungsberichts im Jahr 2000, sowie im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise um das Jahr 2008 zusätzlich verschärft habe (vgl. Pohl 2011: 108). Im Zentrum dieses diffusen Diskurses stehen sehr unterschiedliche Phänomene. Zum Beispiel Bildungsrückstände von Jungen gegenüber Mädchen, die Erosion des männlichen Normalarbeitsverhältnisses, veränderte Ansprüche an die Vaterrolle oder auch der Gesundheitszustand von Männern, der sich im Gegensatz zu jenem der Frauen als insgesamt schlechter darstelle (vgl. zum Beispiel Pohl 2011: 108; Scholz 2015: 20).54 Die »publizistisch und populärwissenschaftlich« (Meuser/Scholz 2011: 56) geführte Diskussion um eine Krise der Männlichkeit stellt auch einen zentralen Topos gegenwärtiger Männlichkeitsforschung dar, die größtenteils darum bemüht ist, den Krisendiskurs zu relativieren und zu kontextualisieren, indem sie ihn diskurs- und herrschaftskritisch analysiert und auf seine Bedeutung für die Manifestation männlicher Hegemonie befragt (vgl. Meuser 2016: 230). Gleichwohl der Begriff der Krise oft unscharf verwendet wird und dabei zu oft – so eine Kritik von Scholz (2015: 20) – von einer subjektiven auf eine gesellschaftliche Dimension geschlossen würde, so lässt sich dennoch eine allgemeine Beobachtung festhalten, die gewissermaßen 54 Eine angloamerikanisch perspektivierte Auflistung zahlreicher Phänomene, die unter die Krise der Männlichkeit gefasst werden, liefert Beynon (2002: 77ff.). Im Zusammenhang mit schlechteren schulischen Leistungen von Jungen wird hier interessanterweise auch der Einfluss der rap culture angeführt (ebd.: 79).

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das Hintergrundrauschen vieler Beiträge zum Thema darstellt: Wir haben es derzeit mit einem schleichenden Wandel im Geschlechterverhältnis zu tun, der auch Konzepte von Männlichkeit (und Weiblichkeit) verändert. In welchem Wechselverhältnis dieser Geschlechterwandel mit Transformationen in der Gesellschaft steht ist dabei »jedoch alles andere als klar« (ebd.). So könnten sowohl ›äußere‹, das heißt politisch, ökonomisch, kulturell usw. bedingte Veränderungen zur ›Krise‹ der Geschlechterordnung beziehungsweise Männlichkeit führen, als auch spezifische Geschlechterkonzepte zum Auslöser gesellschaftlicher Ereignisse wie etwa Kriege werden (vgl. Martschukat/ Stieglitz 2008: 68f.; auch Scholz 2015: 20). Wie bereits im Zuge der Erläuterung unterschiedlicher Theorien und Konzepte von Männlichkeit deutlich wurde, spannt sich der Transformationsprozess im (auch binnengeschlechtlichen) Beziehungsgefüge der Geschlechter zwischen verschiedenen Dimensionen auf und wirkt sich dabei auch auf Männlichkeiten und das Konzept hegemonialer Männlichkeit aus. Deshalb jedoch von einer Krise der Männlichkeit zu sprechen lehnt die Soziologin Connell (2015: 138) ab, setze der Krisenbegriff doch »irgendein kohärentes System voraus, das als Resultat der Krise zerstört oder wiederhergestellt wird«.55 Männlichkeit jedoch sei weniger als System, sondern vielmehr als Konfiguration von Praxis innerhalb eines Systems von Geschlechterverhältnissen verstehbar. »Wir können schon rein logisch nicht von der Krise einer Konfiguration sprechen, sondern eher von ihrer Erschütterung oder Transformation. Wir können aber von der Krise der gesamten Geschlechterordnung und von ihrer Krisentendenz sprechen.« (Connell 2015: 138) Um derzeitige Männlichkeitsausprägungen besser verstehen zu können, müsse die Krisenanfälligkeit der Geschlechterordnung analysiert werden, die sich auf den Ebenen der Machtbeziehungen, Produktionsbeziehungen und emotionalen Bindungsstrukturen manifestiere. Damit sind wichtige Dimensionen im Diskurs um die sog. Krise der Männlichkeit angesprochen. So haben wir es im Zuge der reflexiven Modernisierung mit einem Zerfallsprozess einstiger Gewissheiten zu tun, innerhalb dessen auch der Feminismus und die Frauenbewegung als wichtiger Erosionsfaktor bei der Infragestellung männlicher Macht gelten können.

55 Tatsächlich ist hier und da zu lesen, dass die deutsche Übersetzung von Connells’ Kassenschlager Masculinities in Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten etwas unglücklich ist.



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»Fraglosigkeiten (ver-)schwinden, eine Vielfalt von Sinnlieferanten versucht die Leerstellen auszufüllen, die brüchig gewordene Traditionen und Ligaturen hinterlassen haben. […] Diese Tendenzen der Enttraditionalisierung machen vor dem Geschlechterverhältnis nicht halt, und sie machen sich, folgt man der Diagnose von Beck und Beck-Gernsheim (1990) insbesondere in den privaten Beziehungen von Frau und Mann bemerkbar.« (Meuser 1998: 124)56

Aus den »quasi-ständischen Bindungen« (ebd.) entlassen kommt es zur Infragestellung traditioneller Verbürgtheiten seitens der Frauen, die nunmehr nicht länger die Funktion ›schmeichelnder Spiegel‹ erfüllen, wie es Bourdieu (1997: 203) in Anlehnung an Virginia Wolf formuliert. Im Gegenteil dringen Frauen in zunehmendem Maße in gesellschaftliche und oftmals männlich-homosozial strukturierte Machtfelder vor und nehmen Teil an den ›ernsten Spielen des Wettbewerbs‹, aus denen sie vormals weitestgehend ausgeschlossen waren (vgl. Bourdieu 2016: 133f.). Besonders die neoliberal ausgerichtete Ökonomie und Gesellschaftsformation wird als wichtiger Faktor des Strukturwandels im Geschlechterverhältnis und damit einhergehend, dem Konzept hegemonialer Männlichkeit benannt (vgl. zum Beispiel Connell 2005; Tholen 2011; Sauer 2011; Meuser 2012; Scholz 2015; Heilmann/ Scholz 2017; Böhnisch 2018; Dinges 2020; Höyng 2020 u. v. a. m.). So wirkten sich Veränderungen der Produktionsweise beispielsweise auf viele soziale Felder aus und mündeten in eine allgemeine »Ökonomisierung des Sozialen« (Scholz 2015: 45). Der Wandel im Erwerbsystem – den Scholz mit den Schlagworten ›Vermarktlichung‹, ›Subjektivierung von Arbeit‹ und ›Prekarisierung‹ charakterisiert  – verändert demnach auch den »Integrationsmodus der Geschlechter in das Erwerbsystem« (ebd.).57 Dies führt dazu, dass (nebst Frauen) auch immer mehr Männer von Prekarisierung, Arbeitslosigkeit und (arbeits)biografischen Diskontinuitäten betroffen sind, was angesichts der engen Verknüpfung von Erwerbsarbeit und Männlichkeit zu Fragilitäten und Unsicherheiten innerhalb männlicher Identitätsbildung führt. Wie bereits angemerkt, ist gleichzeitig eine Zunahme qualifizierter Frauen 56 Beck und Beck-Gernsheim (1990) sprechen von einer ›erlittenen Emanzipation‹ der Männer. 57 Meuser (2012: 151), der den Strukturwandel der Erwerbsarbeit mit der Chiffre von der »Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses« fasst, benennt folgende Dimensionen, die traditionelle Männlichkeitskonstruktionen in Frage stellen würden: Die Flexibilisierung von Arbeitszeiten und -orten, die wachsende Inklusion von Frauen in vormals v. a. männlich besetzte Berufe und damit einhergehend, die Auflösung männlich-homosozialer Berufswelten, die Subjektivierung von Arbeit, sowie die Entgrenzung von Arbeit und Leben (ebd.: 152ff.).

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im Erwerbsbereich feststellbar (›Feminisierung der Arbeitswelt‹) die dadurch nicht nur das tradierte männliche Ein-Ernährermodell, sondern gleichsam die Ehe als ökonomische Grundlage partnerschaftlichen Zusammenlebens zur Disposition stellen. An diesem Punkt wird deutlich, dass Strukturveränderungen im Geschlechterverhältnis und daraus resultierende Ungleichheitslagen auch mit der Klassenfrage korrespondieren, worauf unter anderem die Geschlechterforscherinnen Bereswill/Neuber (2011) hinweisen. Das Autorinnenpaar warnt in diesem Zusammenhang davor, die »Krise der Arbeitsgesellschaft« zu einseitig auf die »Krise der Männlichkeit« zu beziehen, reproduziere dies doch »eine androzentrische Perspektive auf Arbeit und gesellschaftliche Wandlungsprozesse sowie Beharrungsmomente« (ebd.: 13). 6.3.1 Die Krise der Männlichkeit – Positionen im Diskurs Nach diesem skizzenhaften Einstieg sollen nun einige der zahlreichen und höchst uneinheitlichen Positionen58 im Diskurs um eine Krise der Männlichkeit dargelegt werden, dessen zentrales Deutungsmuster Meuser dabei (nicht unkritisch) wie folgt umschreibt: »Die These unterstellt, dass tendenziell sämtliche Angehörige des männlichen Geschlechts, wenn auch in unterschiedlichem Maße, in den Prozess der Auflösung von Sicherheiten involviert sind. Männer scheinen in einer radikalen Weise mit den Ambivalenzen der Moderne konfrontiert zu sein. Gefangen in einem Netz von Konfusionen, Zweifeln, Unsicherheiten und Ängsten, scheint es nur wenige Hoffnungen und positive Erwartungen zu geben. Folgt man dieser Diagnose, finden sich die Männer gegenwärtig auf der Schattenseite gesellschaftlicher Modernisierung wieder, sind sie nicht mehr die Protagonisten von Modernisierung, sondern deren Opfer.« (Meuser 2001a: 9f.)

Schuld an der »Entmännlichung«, so ein Begriff des umstrittenen, bewegungsorientierten Männerforschers Hollstein (1988: 16ff.), sei nebst einer allgemeinen Technisierung der Welt, die emanzipatorische Freiheitsbewegung der Frauenbewegung beziehungsweise der Feminismus. Der historische Aufstieg der Frauen münde nämlich in den historischen Abstieg der Männer, infolgedessen es zu Brüchen und Diffusionen in der männlichen 58 Pohl (2011: 109) unterscheidet zwischen »männerbewegt-radikalen«, moderaten Ansätzen, sowie Gegenpositionen, »die den Krisendiskurs insgesamt oder in Einzelfragen aus soziologischen, sozialpsychologischen, psychoanalytischen und geschlechtertheoretischen Perspektiven kritisch hinterfragen.«



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Identitätsbildung käme (ebd.: 23). Da es auf Seiten der Männer keine vergleichbare Bewegung oder Reflexivwerdung der eigenen sozialen Position gegeben habe, mangle es ihnen an den entsprechenden Werkzeugen, Denkfiguren und Begriffen, um ihre eigene Unterdrückungserfahrung benennen zu können. In dieser »Erfahrung von Unterdrückung, die den Unterdrücker nicht dingfest machen kann, weil dieser sich in abstrakte Strukturen verflüchtigt«, kulminiert für Hollstein die Krise des Mannes, wie Meuser (1998: 304) es zusammenfasst. Hollstein ließe sich damit den ›männerbewegt-radikalen‹ Ansätzen innerhalb des Diskurses zuordnen, die parteilich für die Sache der Jungen resp. des Mannes eintreten (vgl. Pohl 2011: 109). Der Feminismus wird darin nicht zwangsläufig als solcher diskreditiert oder seine Errungenschaften in Abrede gestellt. Vielmehr gilt er vielen als gewissermaßen erfolgreich abgeschlossenes Projekt, insofern die Gleichberechtigung der Frau erreicht beziehungsweise mehr noch die »gesamte Öffentlichkeit feministisch indoktriniert« sei (ebd.: 111).59 Eine Defizitperspektive auf Männer resp. Männlichkeit beklagen auch andere Forschende. So berichtet Scholz (2015: 9ff.) von kontroversen Diskussionen auf dem 34. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, der das Thema mit dem Titel Neue Unsicherheiten – Männer auf verlorenem Posten im Rahmen der Abschlussveranstaltung diskutierte. Die Podiumsteilnehmerin und Psychotherapeutin Ziegert konstatierte dort eine ›Gesellschaft, die Männlichkeit nicht mehr wertschätze‹, während Löw statt einer frauen- eine nunmehr männerfeindliche Gesellschaft ausmachen will, innerhalb der Männer »systematisch« abgewertet würden und überdies vermeintlich weibliche Eigenschaften wie Empathie konsequent abgesprochen bekämen (Löw 2010: 949, zit. nach Scholz 2015: 11).60 Innerhalb eines ähnlichen Stranges der Männerforschung lässt sich die französische Soziologin und Philosophin Badinter (1993) verorten, die Männer bereits Anfang der 1990er Jahre in einer misslichen Lage wähnte (›männlich =  misslich‹) und mit dem männlichen Identitätsverlust unter anderem Potenzprobleme, Fetischismus und sogar Drogenprobleme einhergehen sah (vgl. Meuser 1998: 304). Entsprechende Defizitprognosen relativierend, bemühen sich andere Perspektiven um eine differenziertere, kritische und überdies gesellschaftshistorische Rückbindung. Der Krisendiskurs sei demnach keinesfalls auf die Gegenwart zu beschränken, sondern datiere auf vergangene Epochen zurück, insofern tradierte Männlichkeitsmuster 59 Zu ›Frauen als Zielscheibe‹ vgl. auch Kimmel (2013: 206ff.). 60 Man ist geneigt an dieser Stelle an das umstrittene Pamphlet Der dressierte Mann von Esther Vilar (1971) zu denken.

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etwa infolge wirtschaftlicher Umbrüche oder Kriege immer wieder in Frage gestellt wurden (vgl. zum Beispiel Kimmel 1987; Beynon 2002; Martschukat/Stieglitz 2008: 70f ). Die Krise der Männlichkeit dauere so gesehen schon so lange an »wie die Moderne selbst« und könne prinzipiell als konstitutiver Bestandteil von Erzählungen über Männlichkeit generell aufgefasst werden (vgl. Tholen 2011: 171; Erhart 2005; auch Schröder/Soll 2015: 9). Mit einem literaturwissenschaftlich geschärften Blick auf männliche Subjektkonstruktionen des Sturm und Drang, bemerkt auch Tholen (2015:46), dass die Krise der Männlichkeit der kulturellen Moderne »schon lange als Topos und Diskurs eingeschrieben« sei, wenngleich »nicht immer explizit unter dem Stichwort einer ›Krise der Männlichkeit‹ bzw. ›des Mannes‹«. Aus einer geschichtswissenschaftlichen Perspektive attestieren auch Martschukat/Stieglitz (2008: 64) der Krisendiagnose eine »schöne[r] Regelmäßigkeit«, wurde in den USA doch bereits in den 1830er, 1890er, 1930er und 1950er Jahren eine Krise der Männlichkeit diagnostiziert; ein Befund, der sich auch für die deutsche Geschichte und die beiden Nachkriegszeiten formulieren ließe. Um Entdramatisierung bemüht sich ferner auch Meuser (2001a: 11), der im Wandel des derzeitigen Geschlechterverhältnisses keine Krise erkennen mag. Aus der ›erlittenen Emanzipation‹ (Beck/Beck-Gernsheim 1990) der Männer und den Strukturveränderungen, die sich durch die Frauenbewegung für das Geschlechterverhältnis ergaben, resultiere für Männer vielmehr der Druck »ihren Ort in den alltäglichen Geschlechterbeziehungen neu bzw. bewußt zu definieren« (Meuser 1998: 12). Wie für Umbruchs- und Krisensituationen typisch, »kommt es dabei zu einer erhöhten lebensweltlichen Reflexivität, als deren Folge Deutungsmuster zumindest zeitweise manifest werden« (ebd.). Sogenannte ›Männerkrankheiten‹ wie Magengeschwüre, Herzprobleme oder Alkoholismus sind demnach vielmehr als Ausdruck hegemonialer Männlichkeitsskripte zu verstehen. Durch eine entsprechend geschlechtliche Konnotation könnten sie zwar zur individuellen, jedoch noch nicht zu einer gesellschaftlichen, umfassenden Krise der Männlichkeit erhoben werden (vgl. auch Meuser/Scholz 2011: 59). Wenn überhaupt so beträfe jene Krise nur eine Minderheit der Männer (vgl. Meuser 2001a: 12). Was jedoch durchaus stattfände, so Meuser weiter, sei eine »Modernisierung von Männlichkeit«, insofern sich neue alternative Männlichkeitsformen beobachten ließen. Dass dies jedoch nicht zwangsläufig in eine Bedrohung männlicher Hegemonie münde, sondern gleichsam die Entwicklung dominanter Muster von Männlichkeit zur Folge habe, zeige der ›Maskulinismus‹ als Teildiskurs der gegenwärtigen Männerverständigungsliteratur (vgl. Meuser 1998: 305f.). Für die



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Männlichkeitssoziologen Meuser/Scholz (2011: 58) verweist das Diskursphänomen von der Krise der Männlichkeit vor allen Dingen auf »einen Strukturwandel von hegemonialer Männlichkeit«, der sich wiederum auf drei Ebenen abzeichnen ließe: Erstens verlöre hegemoniale Männlichkeit den Status als unmarkierte Männlichkeit, wird also demaskiert und im Zuge dessen reflexiv. Zweitens deute die ›Krise‹ darauf hin, dass hegemoniale Männlichkeit nicht mehr in einem nationalstaatlichen Rahmen, sondern vielmehr unter Globalisierungsbedingungen gefasst werden müsse und drittens sei innerhalb verschiedener sozialer Felder eine Öffnung hegemonialer Männlichkeit zu beobachten. Frauen oder homosexuelle Männlichkeiten erhielten im Zuge dessen zunehmend Zugang zu sozialen Eliten und prägten damit auch die Konstruktion hegemonialer Männlichkeit (ebd.: 64). Ein weiterer Diskursstrang ergeht sich in einer kritischen Begriffsdiskussion. Darin wird zur Debatte gestellt, inwiefern der Begriff der ›Krise‹ überhaupt adäquat sei, um mögliche Auswirkungen geschlechtlicher Transformationsprozesse auf Konstruktionen von Männlichkeit zu beschreiben. Mit Koselleck, der den Begriff im Rahmen der modernen Geschichtsschreibung geprägt hat, ist unter ›Krise‹ eine offene Situation zu verstehen, die eine Entscheidung verlange, die noch nicht gefallen sei (vgl. Schröder/Söll 2015: 7). Der Begriff impliziert damit einen zeitlich begrenzten Moment der Unsicherheit, »verbunden mit einem existenziellen Druck, der von einem ›Kampf um Leben oder Tod‹ begleitet sein kann« (ebd.: 8f.). Anders als die Konzepte vom Wandel oder der Transformation umfasse der Krisenbegriff damit sowohl die zeitlich begrenzte Zuspitzung einer Situation, als auch einen dauer- und prozesshaften Zustand. In dieser doppelten Form (als »Daueroder Zustandskategorie«) habe sich das Krisenkonzept als »analytisches Instrument der Geschichtsschreibung« auch in der Männlichkeitsforschung etablieren können, so die Kunstwissenschaftler_innen Schröder/Söll (2015: 8). Aus einer soziologischen Perspektive bedarf der Krisenbegriff ebenso einer differenzierten Betrachtung. Nach Rammstedt (1978) würde eine Krise ›erwartbare Zukunft vernichten‹, sei also dann zu konstatieren »wenn […] Handlungsroutinen nicht mehr den gewohnten Effekt zeitigen, Habitualisierungen gleichsam ›vernichtet‹ werden und wenn dies eine Erfahrung ist, die nicht nur einzelne Individuen machen, sondern die für die Angehörigen einer sozialen Gruppe zu einer typischen Erfahrung wird« (Meuser 2001a: 11; Meuser 1998: 306). Dementsprechend wäre weder jede Verunsicherung noch jede Reaktion auf die Veränderung sozialer Verhältnisse als Krise definierbar. Schon deshalb nicht, da Verunsicherungen durchaus aufgefangen

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und/oder kreativ umgedeutet werden könnten (vgl. Meuser 2001a: 11). Eine Krisentendenz, wie sie etwa Connell (2015: 138) durchaus erkenn mag, würde diesem soziologischen Verständnis einer Krise gerecht werden, so Meuser (1998: 306), der eine Krise des Mannes resp. der Männlichkeit nur bei den von ihn untersuchten Männergruppen ausmachen will, da diese eine »›Vernichtung‹ geschlechtlicher Habitualisierungen« erführen. Für Meuser/ Scholz (2011: 59) könne man im soziologischen Sinne demnach erst dann von einer Krise sprechen »wenn den habituellen Männlichkeitspraktiken das Merkmal des Doxischen abhanden kommt und damit eine Krise der männlichen Hegemonie entsteht«, wie das Autor_innenpaar im Anschluss an Bourdieu formuliert. Auch die Kunstwissenschaftler_innen Schröder/Söll (2015: 9f.), die Krisen als diskursive Produkte beschreiben, betonen, dass es nicht ausreiche, diese ausschließlich als destruktive Momente zu untersuchen. Krisen von Männlichkeit zeichneten sich vielmehr auch durch einen emanzipatorischen Charakter aus, insofern sie bekämpft, überwunden oder künstlerisch-kreativ genutzt werden könnten. Wenn ›Krise‹ schließlich als Heuristik und weniger als historische Beschreibungskategorie genutzt würde, so die Erziehungswissenschaftlerin Fegter (2012: 70f.), könne man untersuchen, welche Zuschreibungen im Krisendiskurs vorgenommen würden und wie diese mit impliziten Handlungsaufforderungen verknüpft seien. Auch die Historiker Martschukat/Stieglitz (2008: 69), die den Krisenbegriff für die Beschreibung historischer Realitäten als ungeeignet einstufen, schlagen vor, »das Konzept als heuristisches Instrumentarium« zu fassen. Als »Quellenbegriff« könne die Krise als Erfahrung historischer Zeitgenossen verstanden werden. »Die Frage wäre dann nicht, ob es zu bestimmten Zeiten unter bestimmten Bedingungen tatsächlich eine Krise gegeben hat, sondern inwieweit bestimmte historische Verschiebungen Effekte mit sich brachten, die mit Blick auf Männlichkeitsentwürfe als krisenhaft artikuliert bzw. empfunden werden.« (Martschukat/Stieglitz 2008: 69) Die Perspektivierung der Krise müsse »relational angelegt sein«, insofern zum Beispiel gezeigt werden sollte, welche Gruppierungen welche Männlichkeitsentwürfe zu welchem Zeitpunkt als krisenhaft einstuften. Auch weitere Strukturkategorien wären nach Meinung der Historiker dabei zu berücksichtigen (ebd.). Letztlich wird die Männlichkeitenkrise auch kritisch unter den Vorzeichen einer Resouveränisierung diskutiert, ein Aspekt der vor allem von Forster (2006) in den Diskurs eingebracht wurde. Für den Erziehungswissenschaftler ist die Männlichkeitskrise aufgrund ihrer Klischeehaftigkeit eine



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Art »gut funktionierendes Axiom«, wodurch letztlich ein »Reich ›imperialer Souveränität‹« errichtet werde (Hardt/Negri 2003, zit. nach Forster 2006: 201). »Ungeachtet dessen, ob eine Männlichkeitskrise diagnostiziert oder ein neues männliches Selbstbewusstsein proklamiert wird, darf die Popularisierung des Männlichkeitsdiskurses politisch nicht ignoriert werden, weil sie, mehr oder weniger verschämt, die ›Wiederkehr des Mannes‹ feiert«, so Casale/Forster (2006: 187). Poststrukturalist_innen wiederum merken an, dass eine Krise durch ihre sprachliche Anrufung erst als solche hervorgebracht wird und unter dem Deckmantel einer ›Viktimisierung von Männern‹ als narrative Strategie dient, um hegemoniale Männlichkeit zu (re)stabilisieren (vgl. Fegter 2012: 69). Auch die Literaturwissenschaftlerin Kappert (2008: 11) dechiffriert das »massentaugliche Narrativ vom ›Mann in der Krise‹«: Ihrer Ansicht nach dient es als »Kode, um auf gewinnbringende Weise eine in der Luft liegende Angst angesichts von Veränderungen in der gesellschaftlichen Ordnung zu kommunizieren. Die Bündelung einer diffusen Angst in einer fassbaren Figur wiederum scheint den Diskurs vom ›Mann in der Krise‹ für ein breites Publikum attraktiv zu machen. Und zwar unabhängig davon, ob die Szenarien nun die tatsächlichen Verhältnisse angemessen widerspiegeln oder das Drama vom unmännlichen Mann willfährig überzeichnen« (ebd.).

Die real konstatierbare Benachteiligung von Frauen, wie sie sich etwa am Beispiel des Armutsrisikos alleinerziehender Frauen oder einer insgesamt geringeren Entlohnung materialisiere, würde innerhalb dieses »Diskursregimes« keinerlei Erwähnung finden. Zudem macht Kappert die wichtige Feststellung, dass der Diskurs um eine Krise der Männlichkeit vor allem den weißen Mann meint, der sich nicht nur durch Frauen, sondern auch durch den Schwarzen Mann und dessen Gleichberechtigungsansprüche verunsichert fühle.61 Ein Aspekt, auf den auch Martschukat/Stieglitz (2008) verweisen, die in diesem Zusammenhang auch von einer »Dauerkrise« afro 61 Auch in populären Filmen wie Fight Club oder American Beauty steht ein weißer, heterosexueller und vor allem unauffälliger Mann in der Mitte der populären und medialen Krisenerzählung. Die Vielzahl ähnlicher Hollywoodproduktionen zeige, welche Popularität dem Thema verfehlter oder prekärer Männlichkeit zukomme. Man könnte deshalb schon beinahe von der Etablierung eines eigenen Genres sprechen, so Kappert. Im Bereich der Literatur sei es v. a. der französische Schriftsteller Houellebecq, der mit seinen Romanen die Figur des Krisenmannes populär werden ließ (vgl. Kappert 2008: 11ff.). Zur Verunsicherung des weißen Mannes (nicht nur aber auch) durch die Gleichheitsansprüche Schwarzer Männlichkeiten vgl. die populär gewordene Studie über die Angry White Men der USA von Kimmel (2013).

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amerikanischer oder auch jüdischer Männer sprechen, die »über Defizite in Relation zu dem hegemonialen Modell von Männlichkeit konzipiert ist«, das dadurch freilich als normative, vermeintlich kohärent-stabile Orientierungsfolie reproduziert wird. Auf die Problematik dieses Verdeckungszusammenhangs und die »Reproduktion männlicher Hegemonialität« die der Krise als »Ideologem« zugrunde liegt, verweist auch Tholen (2015: 47). Für den Literaturwissenschaftler fungiert die Krise gleichsam als »Symptom« für ein Ausbleiben, insofern sich Männlichkeit trotz feministischer Kritik weiterhin in Bezug auf soziale Beziehungen dysfunktional gestalte. Tholen vermisst an dieser Stelle eine konstruktive, zwischengeschlechtliche Dialogkultur, die auch männlicherseits zu initiieren wäre. Zwar seien vereinzelte Spuren einer solchen »dialogischen Subjektivität« konstatierbar, diese hätten sich jedoch nicht durchsetzen können und müssten daher im Status einer »utopischen Figur« verbleiben (Tholen 2011: 173). Die multiperspektivische und interdisziplinäre Skizze zur Krise der Männlichkeit soll mit einem Zitat von Meuser beschlossen werden. Für den Soziologen zeigt der Diskurs um den (Krisen-)Diskurs letztlich vor allem eines an, nämlich die (reflexive) Diskursivierung und damit einhergehend die Demaskierung von Männlichkeit, deren hegemoniale Deutungsmuster sich offenbar in einer Krise befinden: »Der an Zahl der Stimmen und Diagnosen anwachsende Diskurs einer Krise des Mannes bzw. der Männlichkeit verweist auf einen Wandel der gesellschaftlichen Wahrnehmung und insbesondere der medialen Darstellung der Geschlechterverhältnisse, in welchen der Mann seiner vormals privilegierten Position enthoben wird und zunehmend in die (diskursive) Defensive gerät. […] Die vermeintliche Krise der Männlichkeit ist eine Krise der hegemonialen Deutungsmuster von Männlichkeit, eine Unsicherheit über die angemessene Interpretation der Veränderungen männlicher Subjektpositionen. Der Krisendiskurs macht sichtbar, was ansonsten eher verdeckt ist: dass Hegemonie nicht etwas Statisches ist, sondern in sozialen Auseinandersetzungen ständig erneuert, verteidigt und modifiziert werden muss. Daraus resultiert die (Notwendigkeit der) Diskursivierung von Männlichkeit, wie sie in den Medien gegenwärtig verstärkt zu beobachten ist. Im medialen Männlichkeitsdiskurs kommt es zu einer reflexiven Verflüssigung von vormals fraglos Gegebenem; zugleich stellen große Teile dieses Diskurses ein Bemühen um die Rückerlangung männlicher Souveränität dar.« (Meuser 2016: 230f.)

Der Diskursivierung von Männlichkeit wird in dieser Arbeit am Beispiel des ›Prachtkerle-Remix‹ ›Wie ein Mann‹ von Rapper Pedaz empirisch und am Beispiel der deutschsprachigen Rap-Szene nachgespürt (vgl. Kap. 9.3.3 und v. a. 10).



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6.3.2 Die ›ambivaloxe Dialektik‹ der Modernisierung von Männlichkeit Prozesse von Modernisierung – das zeigt auch die Analyse der gegenwärtigen Rap-Szene – verlaufen höchst uneinheitlich und bringen höchst ambivalente, zum Teil gar paradoxe Entwicklungen und Zustände hervor. In ihrer gendersensiblen Modernisierungstheorie sprechen Degele/Dries (2005: 30) deshalb auch von der ›ambivaloxen Dialektik der Moderne‹. Ambivalenz, so die Soziolog_innen, könne gar als das Strukturmerkmal der Moderne schlechthin gelten. Gleichzeitig stehe der Begriff für die Mehrdeutigkeit von Modernisierungsprozessen und die Notwendigkeit, diese stets aus mehreren Perspektiven zu betrachten. Der Begriff des ›Paradoxen‹ wiederum, zeige die »innere Widersprüchlichkeit einzelner Modernisierungsprozesse an« (ebd.). Modernisierung in all ihren Facetten ließe sich demnach als »dialektischer Prozess« beschreiben: »›Positive‹ Strömungen schlagen um in ›negative‹ und vice versa, durchdringen, stimulieren und hemmen sich gegenseitig.« (ebd.: 31) Ein Blick in die Literatur zur ›Krise‹ und Strukturwandel (hegemonialer) Männlichkeit veranlasst zu der Überlegung, die Formulierung einer ›ambivaloxen Dialektik‹ auch auf Transformations- und Modernisierungsprozesse von Männlichkeit zu übertragen. Für Meuser (1998: 125) beispielsweise, sind die Reaktionen von Männern auf die bereits beschriebenen Veränderungsprozesse gar ein »›Anschauungsobjekt‹ par excellence, an dem sich die Ungleichzeitigkeiten von Modernisierungsprozessen und Widerstände gegen eine Auflösung von Sicherheiten deutlich beobachten lassen«. Die ›ambivaloxe Dialektik‹ der Modernisierung von Männlichkeit verdichtet sich in den Diskursen der Männlichkeitsforschung oftmals in der Zustandsbeschreibung einer ›Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‹. Ein Ausdruck, den Ernst Bloch in Bezug auf den Nationalsozialismus prägte. Für Friebel (2015) materialisiert sich die Widersprüchlichkeit gegenwärtiger Männlichkeitsrepräsentationen und -modelle anschaulich am Beispiel zweier Ereignisse aus den Jahren 2013 und 2014: Während in Berlin fast 700.000 Menschen den Christopher Street Day und damit den Siegeszug homosexueller und queerer Geschlechtsidentitäten feierten, protestierten im Jahr darauf im nur wenige tausend Kilometer entfernten Paris fast 1,5 Millionen Menschen gegen die Einführung der sog. ›Homo-Ehe‹ (vgl. Friebel 2015: 111). Auch der von Connell (2005: 77) beziehungsweise Connell/Wood (2005: 359f.) beschriebene hegemonial-männliche Typus der globalizing masculinitiy ist in sich gewissermaßen ›ambivalox‹, zeichnet er sich doch durch die Gleichzeitigkeit patriarchaler beziehungsweise kolonialistischer und genderliberaler Mentalitäten aus.

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Für den Objektbereich Rap ist es ferner interessant, dass sich die innere Widersprüchlichkeit hegemonialer Männlichkeit ferner in den Textkulturen der Gegenwart beobachten lässt, in denen »nie nur ein männliches Subjekt existiert […] sondern unterschiedliche Gestalten männlicher Subjektivität, die sich aufeinander beziehen« (Tholen 2011: 173). Wie Tholen unter anderem am Beispiel des Romans Paradiso von Klupp herausarbeitet, tritt eine sich selbst genügende autonome Männlichkeit hier zwar durchaus als Krisenfigur und damit als »Negativ hegemonialer Männlichkeit« in Erscheinung, wird in der gegenwärtigen Literatur jedoch gleichsam positiviert und damit zum zeitgenössischen Träger hegemonialer Männlichkeit. So wird dem Protagonisten Alex Böhm  – ein starkes, sexsüchtiges und nomadisierendes Subjekt – seitens eines medialen Rezeptionsdiskurses etwa ein ›männliches Identifikationspotential‹ attestiert (im Sinne eines ›wir-[Männer]-sind-dochalle-kleine-Dreckskerle‹). Für Tholen stellen Figuren wie Alex Böhm dabei einen Typus Mann dar, dem man heutzutage durchaus begegnen könne und der auf lokaler Ebene jenen neoliberalen Männlichkeitstypus repräsentiere, wie ihn Connell unter anderem für die transnationale Ebene herausarbeiten: »Wir haben es bei Alex Böhm mit einem männlichen Subjekt zu tun, das sich schon von Jugend an in die zeitgenössische Repräsentationsform der hegemonialen Männlichkeit initiiert. Die derzeitige Repräsentationsfigur der hegemonialen Männlichkeit ist der nomadisierende, bindungslose und aggressiv-erfolgsorientierte global player, der Beziehungen, vor allem zu Frauen, einzig und allein zur Befriedigung seiner Projektionen und zur Steigerung seiner Lust pflegt.« (Tholen 2011: 181)

»›Positive‹ Strömungen schlagen um in ›negative‹ und vice versa, durchdringen, stimulieren und hemmen sich gegenseitig«, schreiben Degele/Dries (2005: 31) mit Blick auf Prozesse der Modernisierung. Auch diese Beschreibung lässt sich auf Transformationen der Geschlechterordnung übertragen, denkt man etwa an die männlichen Resouveränisierungs- und Remaskulinisierungsstrategien infolge frauenpolitischer und feministischer Errungenschaften. Dass Krisen und neue Unsicherheiten zum Wiederaufleben dominanter, zuweilen aggressiv-gewalttätiger Männlichkeitsmodelle führen, belegen zahlreiche Studien aus dem Bereich der Männlichkeitsforschung (vgl. zum Beispiel Kimmel 1987, 2013; Meuser 1998; Theweleit 1980 usw.). Reckwitz (2010: 72f.) will gar ›vitalistisch-aggressive‹ Maskulinitäten beobachten. Diesen seien Ausdruck eines sog. regendering, das heißt einer Art Backlash, der der eigentlich vorherrschenden Affektkultur der Postmoderne dem sog. degendering als konterkarierendes Element gegenüberstünde. Manifestation dieser männlichen Subjektivierung sei die Erfindung des tough guy, ein vitalistischer und authentizitätsorientier-



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ter Männlichkeitstypus der unter anderem »die Befreiung einer vorgeblichen maskulinen Affektivität« einfordere (ebd.: 73). Der naturalisierende Rückbezug auf eine ›ursprüngliche‹, archaische oder ›wahre‹ Männlichkeit, der auch ein Wiedererstarken von als defizitär gelabelten, männlichen Attributen umfasst, könne als konstitutiv für dieses sog. regendering gelten. Diese Annahme deckt sich mit den Ausführungen von Pohl, der am Beispiel moderater Männerrechtler auf Tendenzen einer Essentialisierung von Männlichkeit aufmerksam macht. Pohl (2011: 121ff.) unterscheidet diesbezüglich zwischen einer kulturalistischen und einer biologistischen Variante. Während sich erstere auf die Suche nach dem ›Wesen des Mannes‹ begebe und sich dabei unter anderem an der esoterisch anmutenden Archetypenlehre C. G. Jungs orientiere,62 berufe sich letztere auf Erkenntnisse der Hirnforschung, Neuro- und Evolutionsbiologie, um die männliche Dominanzkultur zu erklären und als solche zu legitimieren. Die Ursache der männlichen Hegemonie würde dabei letztlich »mythologisch verschleiert« (ebd.: 124). Welche Konsequenzen die Diskursivierung des Mannseins für die Habitualisierung von Männlichkeit zeitigt, untersucht auch Meuser (1998), der am Beispiel der Männerverständigungsliteratur diesbezüglich drei unterschiedliche Teildiskurse ausmacht: den Defizitdiskurs, den Maskulinismusdiskurs, sowie den Differenzdiskurs. Während ersterer die Geschlechtlichkeit des Mannes problematisiert und zum »Gegenstand einer reflexiven Therapeutisierung« macht, wollten Verfechter_innen eines Maskulinismusdiskurses zurück zur alten und als gefährdet geglaubten »Männerherrlichkeit« (ebd.: 126). Dieser Diskurs, der als Reaktion zum vorgängigen Defizitdiskurs zu verstehen ist, findet seinen politischen Niederschlag innerhalb der bereits erwähnten (radikalen) Männergruppen und -bewegungen, wie etwa bei den sich seit Ende der 1980er Jahre etablierenden sog. Maskulinisten, zu denen auch Hollstein zu rechnen ist. Nebst antifeministischer Polemik kennzeichnet diesen Diskurs ein Bezug auf naturalistische Deutungsmuster, die den Mann als triebgesteuertes Wesen darstellen und eine essentielle Fremdheit zwischen beiden Geschlechtern konstruieren (vgl. ebd.: 149). Auch die Abwesenheit des Vaters als Identifikationsfigur in der Erziehung und/oder Adoleszenz oder dessen Bedeutungsverlust als Haupternährer innerhalb eines traditionellen Familienmodells werden von Maskulinisten problematisiert. Den Differenzdiskurs dagegen kennzeichnet vor allem die ›Suche nach 62 Als Beispiele nennt Pohl (2011: 121) Vertreter wie Hollstein aber auch den Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler Hurrelmann.

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authentischer Männlichkeit‹. Aufgrund seines Ziels der »Wiedergewinnung einer ursprünglichen ›Männerenergie‹«, infolgedessen sich der Mann auch gewissen »Gefahren und wilder Natur« aussetzen müsse, wird dieser Teildiskurs häufig als ›mythopoetisch‹ bezeichnet (ebd.: 156). In Form einer »Inkorporierung von kulturellen Symbolgehalten« kommt in diesem Teildiskurs auch dem Männerkörper eine erhöhte Bedeutung zu (ebd.: 161). Die Rückbesinnung auf den Körper als Differenzmerkmal, wie sie oft in Formen von Hypermaskulinität aufgeht, deutet Meuser dabei als Ausdruck habitueller Verunsicherung (vgl. auch Martschukat/Stieglitz 2008: 70). Durch die zusätzliche Analyse von Gruppendiskussionen kommt Meuser in seiner Studie zu dem Schluss, dass einem Großteil der Männer ihre eigene Geschlechtlichkeit milieuübergreifend (Arbeitermilieu, bürgerliches Milieu) fraglos gegeben ist. Auf Veränderungen im Geschlechterverhältnis würde zwar reagiert, jedoch resultierten daraus »keine fundamentalen Irritationen« (Meuser 1998: 126). Stattdessen seien Strategien der Normalisierung und Nihilierung zu beobachten, die vor allem die in der Tradition verwurzelten Männer anwendeten und die als Reaktion auf »Krisenerscheinungen der Geschlechterordnung zu verstehen« seien (ebd.: 306).63 Auch die sicherheitsstiftende Funk 63 Mit dem der Ethnomethodologie entlehnten Begriff der ›Normalisierungsstrategie‹ soll gefasst werden, »wie Handelnde auf Störungen der ›normalen‹ Ordnung reagieren« (Meuser 1998: 192). Ungewöhnliche Ereignisse (etwa die (Ehe-)Frau als Haupternährerin) werden durch den Verweis auf weibliche familiäre Pflichten und die Gebärfähigkeit der Frau insofern normalisiert, als dass der ›Ausflug in das Erwerbsleben‹ seitens der Frau letztlich ein temporärer bleiben müsse, da nach der Geburt von Kindern ohnehin erneut der Mann als Ernährer gefragt sei. Neben der Strategie der Naturalisierung, die dadurch gleichsam vollzogen wird, verweist Meuser hier auch auf die Bedeutung der Sprache und des männlichen Kollektivs bei der Konstruktion hegemonialer Männlichkeit. Normalisierungsstrategien, die nicht nur im ›privaten‹, sondern auch mit Bezug auf den öffentlichen Raum eingesetzt werden, fungieren als eine Art ›Immunschutz‹. Sie verhinderten, dass »die tradierte Position des Mannes durch veränderte Verhältnisse […] geschwächt wird« (ebd.: 194). Mit der von Berger/Luckmann entlehnten Bezeichnung der ›Nihilierung‹ sollen schließlich solche Strategien bezeichnet werden, die auf die Leugnung der Wirklichkeit von Phänomenen abzielt, die mit der eigenen Sinnwelt nicht kompatibel sind. Als Beispiel könne man die Unterdrückung der Frau anführen, deren Problematisierung  – etwa durch Feministinnen – als »nicht ›wirklich‹ existent« abgetan, für unsinnig erklärt und nicht selten mit eigenen sinnigeren Ansichten konfrontiert würden (ebd.: 195f.). »Nihilierung ist die kognitive Strategie, mit der die der Tradition verhafteten Männer aus dem bürgerlichen Milieu sich gegen Irritationen zu immunisieren versuchen« (ebd.: 196f.). Abschließend soll erwähnt werden, dass beide Strategien in Abhängigkeit von Milieu und mit Bezug auf unterschiedlich lebensweltlich relevante Bereiche angewandt werden, letztlich jedoch beide zur Absicherung eines traditionellen männlichen Habitus dienen.



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tion der homosozialen Männergemeinschaft scheint in Krisenzeiten von erhöhter Bedeutung zu sein. Gerade wenn sich vormals männlich organisierte, soziale Orte durch den Einzug von Frauen aufzulösen beginnen, kommt männlich-homosozialen Vergemeinschaftungen eine wichtige Funktion zu, da sich an diesem lebensweltlichen Ort wechselseitig der eigenen Normalität vergewissert wird (Meuser 1998: 281ff.; Meuser 2001a; Meuser 2012: 152). Es ist an dieser Stelle bedeutsam darauf hinzuweisen, dass Strategien und Praktiken der Überwindung einer ›Krise‹ mit der jeweiligen »Subsinnwelt« der Männer korrelieren und entsprechend unterschiedlich ausgeprägt sind. So bemerkt Meuser (1998: 289ff.), dass die Ausprägung maskuliner Orientierungen in Abhängigkeit von sozialem Milieu, Generation und lebensgeschichtlicher Entwicklungsphase zu verstehen sei. In der Diskussion um eine ›ambivaloxe Dialektik‹ männlicher Modernisierung gilt es schließlich auch die andere Seite der ›Modernisierungsmedialle‹, das heißt die ›Erfindung‹ und Etablierung alternativer männlicher Geschlechtsmodelle und -vorstellungen, sowie die produktiven Umgangsweisen mit Transformationsprozessen von Geschlecht und Männlichkeit in den Blick zu nehmen. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass sich die Männlichkeitsforschung diesbezüglich in terminologischer Unklarheit übt, sind neben den sog. ›nicht-hegemonialen‹ Männlichkeiten, doch ebenso ›alternative‹ (zum Beispiel bei Scholz 2015: 95ff.), ›profeministische‹ und ›progressive‹ (vgl. zum Beispiel bei Friebel 2015: 112 oder Tunç 2012a: 7ff.), als auch ›andere‹ (zum Beispiel Tholen 2015: 195ff.) ›inklusive‹ (Anderson 2009; Anderson/McGuire 2010 und Co) oder auch ›neue‹ (zum Beispiel ›neue Väter‹, vgl. zum Beispiel Kassner 2008) Männlichkeiten anzutreffen. Vielen dieser Vorschläge ist die Konstatierung einer nicht wenig verbreiteten Form der Ablehnung und/oder Kritik an hegemonialen (im Sinne von unterdrückerisch-patriarchalen) Männlichkeitsformen gemein, wie sie sich zum Beispiel aus einer Solidarisierung mit dem Feminismus, oder aus entsprechend negativen Erfahrungen innerhalb männlicher Macht- und Hierarchieverhältnisse speist. Dabei finden etwa Strategien der Umdeutung statt, wie sie Scholz (2015: 108f.) am Beispiel der positiven Neudeutung des Scheiterns im Kontext zunehmender männlicher Prekarisierung beobachtet. Auch Formen der Integration nicht-hegemonialer, das heißt ›weicher‹ und feminin konnotierter Attribute in klassische Männlichkeitskonstrukte werden immer häufiger beobachtet (vgl. zum Beispiel den Diskursstrang zu ›Männlichkeit und Care‹, Elliott 2016; Scambor u. a. 2016; Heilmann/Scholz 2017; aber auch Robinson u. a. 2017 zur bromance). Die Inkludierung ›weicher‹ Aspekte be-

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obachtet Scholz auch am Beispiel des ›Soldat im Einsatz‹, den sie als mögliches neues Leitbild auf dem Feld des Militärs diskutiert. So gelte die Auseinandersetzung mit Tod und Verletzlichkeit hier und damit in der Bundeswehr im Allgemeinen zunehmend als legitim (vgl. Scholz 2015: 239). Transformationen von Männlichkeit werden ohnehin häufig mit Blick auf Emotionen und Affekte behandelt, wobei Tendenzen der Ver- und Entgeschlechtlichung von Affektivität auch kulturhistorisch nachzuzeichnen sind (vgl. dazu zum Beispiel Tholen 2015; Reckwitz 2010). Dass dabei stets die »jeweiligen ästhetischen Traditionen, Formen, Regeln und Lizenzen, innerhalb derer Gefühle artikuliert werden, zu berücksichtigen« sind und diese mithin genre- und sogar textspezifisch variieren, darauf macht nicht zuletzt Tholen (2015: 35) aufmerksam. Der Literaturwissenschaftler spürt in der Gegenwart durchaus »Texte von Männern [auf ], die einer von Liebe und Zuwendung getragenen männlichen Subjektivität sprachliche Gestalt geben« (Tholen 2011: 184). Autoren wie Ortheil und Handke würden in ihren Werken die Vereinbarkeit von Vaterschaft resp. Familiendasein mit künstlerisch-literarischer Arbeit thematisieren und dabei reflexiv verarbeiten. Im Falle Ortheils »resultiert daraus ein neues Verständnis und Verhältnis von Familienmännlichkeit und Autorschaft und damit eine männliche Subjektivität, die aus der Zuwendung zu den eigenen Kindern lebt und diese als Quelle neuer poetischer Formen produktiv werden lässt« (ebd.: 185). Die erfahrene Verunsicherung, die der Intellektuelle in seiner Rolle als Familienvater erlebe, sei zugleich »Auslöser einer Öffnung«, die einen neuen Blick des »schreibenden Mannes auf sich selbst« ermögliche (ebd.: 186; vgl. auch Tholen 2017). Auch im Bereich der Väterforschung werden alternative Männlichkeitskonstruktionen diskutiert (vgl. zum Beispiel Erhart 2004), wobei auch hier die Bedeutung der Milieuspezifik hervorgehoben wird (vgl. zum Beispiel Buschmeyer 2008). In einem Fallbeispiel macht der Soziologe Kassner (2008: 154) etwa eine »spezifische Form pragmatischer Modernisierung« aus, die den Thesen um eine bloße »rhetorische Modernisierung« zu widersprechen scheint. Im untersuchten Fall galt Familienorientierung und Fürsorge von vornherein als selbstverständlich, infolgedessen die Praxis als ›neuer Vater‹ nicht als Verunsicherung von Männlichkeit erlebt wurde. Fürsorge sei in dem Fall als »integraler Bestandteil einer gelebten Form von Männlichkeit [zu verstehen] in der die habituelle Verankerung hegemonialer Muster an Bedeutung zu verlieren scheint« (ebd.). Auf »pragmatische Arrangements jenseits von Tradition und Verunsicherung« macht schließlich auch Meuser (1998: 260) aufmerksam, insofern modernisierte Männlichkeit auch



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schlichtweg eine »unbeabsichtigte Folge innerhalb pragmatischer Arrangements« darstellen könne, deren Gestaltung weniger geschlechterpolitisch begründet sei. Bei den von ihm untersuchten jungen Facharbeitern etwa, sei eine Tendenz der ›Desexuierung des Handelns‹ (zum Beispiel Hausarbeit) feststellbar, die mangels geschlechterpolitischen Anspruchs auch nicht als habituelle Verunsicherung erfahren würde. Nicht unerwähnt bleiben dürfen letztlich auch Normalisierungstendenzen hinsichtlich homosexueller Geschlechtsidentitäten (vgl. u. a. Anderson 2009; Heilmann 2011; McCormack 2012). Angesichts der Norm der Heterosexualität als Konstante innerhalb männlicher Sozialisation und der fortwährenden Existenz antihomosexueller Gewalt, müsse diese Normalisierung als paradoxes Verhältnis der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« gelten, wie Heilmann (2011: 14) ausführt. Die ›ambivaloxe‹ Dialektik der Modernisierung von Männlichkeit im Kontext des Strukturwandels im Geschlechterverhältnis führt letztlich zurück zur Diskussion um das Leitkonzept der Männlichkeitsforschung (hegemoniale Männlichkeit) und der Frage nach dessen Passfähigkeit mit lebensweltlichen, feldspezifischen wie globalen Logiken und Relevanzen.

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7. Analyseperspektiven auf Rap-Männlichkeiten

Bei der Erforschung von Männlichkeitskonstruktionen im deutschsprachigen Rap stellt sich, wie auch innerhalb anderer gesellschaftlicher Bereiche, die Frage nach der Definition von beziehungsweise der Analyseperspektive auf Männlichkeit. Denn wie lässt sich Männlichkeit empirisch untersuchen? »Konstituiert alles, was Männer tun, Männlichkeit?« (Scholz 2015: 52). Welche Rolle spielt der konkrete Objektbereich ›Rap‹ diesbezüglich? Wie ist Rap-Männlichkeit konzeptuell zu fassen? Vollzieht sich die Konstruktion von Männlichkeiten im Rap unter anderen, gewissermaßen feldspezifischen Vorzeichen? Doing masculinity ≠ doing rap masculinity? Nachfolgend eine interdisziplinäre Annäherung.

7.1 Männlichkeiten erforschen – Fallstricke Bei der Erforschung von Geschlecht und Männlichkeit ergeben sich diverse analytisch-konzeptionelle Fallstricke, die auf das zentrale Problem sozialwissenschaftlichen Verstehens und die grundlegende epistemologische Annahme des Konstruktivismus zurückverweisen. Für die Frauen- und Geschlechterforschung konstatiert die Soziologin Gildemeister in Anlehnung an Giddens (1984) eine besondere Schärfe des Problems der ›doppelten Hermeneutik‹, denn: »Einerseits werde der Objektbereich selbst durch die gesellschaftlich Handelnden konstituiert, und die Sozialwissenschaften rekonstruieren und reinterpretieren deren Bedeutungsrahmen mit den eigenen Theoriekonzepten. Andererseits gebe es ein fortwährendes ›Abrutschen‹ der in der Soziologie geschaffenen Begriffe in die Sprache jener, deren Handeln und Verhalten mit ebenjenen Begriffen ›eigentlich‹ analysiert werden sollte. Dieses ›Abrutschen‹ könne dazu führen, dass diese Begriffe wesentliche Grundzüge ebendieses zu analysierenden Verhaltens bestimmten.« (Gildemeister 2012: 222)

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Dieses forscherische Dilemma wurde und wird auch in der Männerforschung ausdauernd reflektiert: »Um überhaupt von ›Männlichkeit‹ sprechen zu können, stellen wir auf kulturell spezifische Weise ›Geschlecht‹ her. Das sollte man im Kopf behalten, wenn man beansprucht, universelle Wahrheiten über Männlichkeit und über das Mannsein entdeckt zu haben«, formuliert die Männlichkeitssoziologin Connell (2015: 120). Auch Bourdieu (1997: 153) warnt davor, »Wahrnehmungs- und Denkkategorien als Erkenntnismittel zu verwenden, die […] als Erkenntnisgegenstände zu behandeln« wären. Entsprechenden Schwierigkeiten gewahr, benennt Scholz in ihrer ›Männlichkeitssoziologie‹ das sog. ›Differenzierungsproblem‹ und das ›Entschlüsselungsproblem‹. Ersteres basiere auf der Unterscheidung zwischen ›Männern‹ und ›Männlichkeiten‹, insofern »nicht alle Dimensionen des Handelns von Männern« ›Männlichkeit‹ konstituierten (Scholz 2015: 52). In Anlehnung an Connells (2015: 124) Definition von Männlichkeit als »Position im Geschlechterverhältnis; die Praktiken, durch die Männer und Frauen diese Position einnehmen, und die Auswirkungen dieser Praktiken auf die körperliche Erfahrung, auf Persönlichkeit und Kultur«, argumentiert Scholz, dass beide Geschlechter »als männlich angesehene Verhaltensweisen und Tätigkeiten ausüben« und damit Positionen einnehmen könnten, »die als ›männlich‹ gelten« (Scholz 2015: 52). Um dieser Differenzierung forschungspraktisch nachkommen zu können, verweist Scholz auf Ausführungen von Dölling (1999), die vorschlägt, Geschlecht als ›analytische Kategorie‹ anstatt als Strukturkategorie zu fassen (vgl. Scholz 2015: 53). Damit entspricht der Ansatz Scholz’ auch neueren Ansätzen der Linguistik, die Unterschiede zwischen sprachlich konstruierten Männlichkeiten und Weiblichkeiten als graduell und sich überschneidend auffassen und sie nicht (mehr) als entgegengesetzte Pole verstehen. Als Grundkonsens linguistischer Männlichkeitsforschung definiert Spieß (2016: 132) stattdessen die »Pluralität der Geschlechtskonstruktionen«. Eine weitere Schwierigkeit, die sich für die Männlichkeitssoziologin Scholz aus der Analyse von Männlichkeit ergibt, sei das sog. ›Entschlüsselungsproblem‹. Da bei der Erforschung von Geschlecht nämlich nach implizitem, vorreflexivem Wissen gefragt werde, sei der/die Forschende angehalten, unreflektiert-unbewusstes Geschlechterwissen zu identifizieren. Daraus resultiere schließlich das viel debattierte Reifizierungsproblem, also die »Gefahr […], die von den Interviewten oder Beobachteten vorgenommenen Klassifikationen mit dem eigenen Expertenwissen und dem professionellen, gender-geschäften Blick in einer bestimmten Weise als Vergeschlechtlichungen zu deuten und



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so unter der Hand nicht allein die eigene Sicht zu verallgemeinern, sondern damit zugleich auch den Deutungsgehalt von Geschlechterklassifikationen zu reifizieren« (Scholz 2015: 54).

Ein Problem, dass sich auch für andere soziale Klassifizierungen stelle. Eine besondere Brisanz ergebe sich in diesem Zusammenhang bei der Erforschung von hegemonialer Männlichkeit, sei diese doch eine »nicht-markierte Männlichkeit«, in deren Hypostasierung zum ›Allgemein-Menschlichen‹ bereits Simmel (1985) den Grund für deren Unkenntlichkeit ausmachte. Auch Meuser setzt sich mit dieser Problematik in seiner Männlichkeitsforschung auseinander und kommt zu dem Schluss, dass sich das fraglos Gegebene insbesondere in Zeiten des Umbruchs zum Sprechen bringen lässt: »Das fraglos Gegebene ist nicht nur darin selbstverständlich, daß es routinisierte, in tausendfacher Interaktion eingeschliffene, sprich habitualisierte Handlungspraxis ist, es hat zudem normative Kraft. So auch beim Geschlecht. Wenn es dennoch zum Sprechen gebracht werden kann, dann in Situationen oder in historischen Konstellationen, in denen es aufbricht. […] Eine wissenssoziologische Analyse von kulturellen Deutungsmustern und kollektiven Orientierungen ist auf gesellschaftliche Umbrüche verwiesen.« (Meuser 1998: 175)

Das viel diskutierte Reifizierungsproblem der Geschlechterforschung ist letztlich schwer lösbar, kann aber  – dieser Ansicht ist auch Scholz (2015: 54) – durch eine methodisch kontrollierte, stetige Reflexion der eigenen forscherischen Rolle zumindest abgemildert werden (siehe dazu Kap. 2).

7.2 Rap-Männlichkeit als Diskurs und Performance In der Geschlechter- und Männlichkeitsforschung wird Geschlecht nicht etwa als Eigenschaft, sondern als soziale Konstruktion und folgenreiche Herstellungspraxis definiert. Als Analyseperspektive liegt vielen Arbeiten das von West/Zimmerman (1987) formulierte doing gender-Konzept zugrunde. Der Ansatz, der vor dem Hintergrund soziologischer Analysen um Transsexualität entstand, argumentiert interaktionstheoretisch. Geschlechtszugehörigkeit und Geschlechtsidentität werden als andauernder sozialer Herstellungsprozess verstanden (vgl. Gildemeister 2004: 132). »We contend that the ›doing‹ of gender is undertaken by women and men whose competence as members of society is hostage to its production. Doing gender involves a

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complex of socially guided perceptual, interactional, and micropolitical activities that cast particular pursuits as expressions of masculine and feminine ›natures‹.« (West/Zimmerman 1987: 126) Auch die Männlichkeitsforschung arbeitet mit dem aus der Ethnomethodologie (Garfinkel) beziehungsweise interaktionstheoretischen Soziologie (Goffman) stammenden Konzept (doing masculinity). Wenn Connell (2015: 125) Männlichkeit etwa als Konfiguration von Geschlechterpraxis konzipiert, dann ist damit eben dieses »Prozesshafte« und damit zugleich auch die temporale und historische Dimension von Männlichkeit (und männlicher Hegemonie gleichermaßen) angesprochen. Perspektiviert man Männlichkeit also als konstruktive Praxis, so bedeutet das gleichsam eine ›Prozessualisierung‹ des Geschlechtsbegriffs und eine Verabschiedung der Annahme, ›Mann-Sein‹ sei als eine Art Eigenschaft im Individuum verankert. Vielmehr ist Männlichkeit »a way that men position themselves through discursive practices«, wie Connell/Messerschmidt (2005: 841) formulieren. Damit ist nicht nur die Pluralität von Männlichkeiten (»men«) sondern auch die Tatsache angesprochen, dass Männlichkeit in ihren verschiedenen Dimensionen durch Diskurse (»discursive practices«) präfiguriert und erst durch sie als Subjektivierungsweise hervorgebracht wird. Gleichwohl sich Foucault nie deutlich im Bereich der Geschlechterforschung positioniert hat, beziehen sich zahlreiche geschlechtertheoretische Studien an dieser Stelle auf dessen (verstreute) Diskurstheorie und deren zentrale Annahme, »Erkenntnis und Wissen [könne] nicht unabhängig von der gesellschaftlichen, kulturellen und historischen Situation, in der sich das erkennende Subjekt befindet, betrachtet werden« (Spitzmüller/Warnke 2011: 67). Eine geschlechtertheoretisch ausgerichtete, machtkritische Wissensresp. Diskursanalyse nach Foucault interessiert sich im Besonderen für die Möglichkeitsbedingungen von Aussagen. Das heißt es geht darum »die Aussage in der Enge und Besonderheit ihres Ereignisses zu erfassen; die Bedingungen ihrer Existenz zu bestimmen, auf das Genaueste ihre Grenzen zu fixieren, ihre Korrelationen mit den anderen Aussagen aufzustellen, die mit ihm verbunden sein können, zu zeigen, welche anderen Formen der Äußerung sie ausschließt. […] man muß zeigen, warum er nicht anders sein konnte als er war, worin er gegenüber jedem anderen exklusiv ist, wie er inmitten der anderen und in Beziehung zu ihnen einen Platz einnimmt, den kein anderer besetzen könnte« (Foucault 2013: 43).1 1 Zu den ›Prozeduren der Ausschließung‹ schreibt Foucault (2010: 11) in Die Ordnung der Dinge: »In einer Gesellschaft wie der unseren kennt man sehr wohl Prozeduren der Ausschließung. Die sichtbarste und vertrauteste ist das Verbot. Man weiß, daß man



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Für eine Diskursanalyse gilt es folglich die Frage zu stellen: »was ist das also für eine sonderbare Existenz, die in dem ans Licht kommt, was gesagt wird – und nirgendwo sonst?« (ebd.). Als »Praktiken« bilden Diskurse dabei nicht nur »systematisch die Gegenstände […], von denen sie sprechen« (ebd.: 74), sondern vermitteln auch gültige ›Wahrheiten‹, die machtvoll zur Umsetzung in gesellschaftliches Handeln drängen. Geschlecht resp. Männlichkeit ist demnach im Anschluss an Foucault als Effekt von Macht und damit als gesellschaftlich bedingt zu verstehen (vgl. Spieß 2012: 56). Die Ablehnung universaler Konzepte von Geschlecht und Subjektivität, sowie die Kritik an »normativen Letztbegründungen« (ebd.) macht Foucaults (und auch Butlers) in der Tradition des Poststrukturalismus stehenden Überlegungen besonders anschlussfähig für geschlechter- resp. männlichkeitstheoretische Analysen (vgl. zum Beispiel bei Scholz 2015; Fegter 2012). Dennoch beziehen sich Arbeiten aus den Gender- und/oder Masculinity Studies in sehr unterschiedlichem Maße auf Foucault oder Butler – was der jeweiligen Disziplinenzugehörigkeit geschuldet ist.2 Freilich ist in diesem Zusammenhang auch nicht ganz irrelevant, dass Butler – anders als Foucault – die vor-diskursive Materialität des (Geschlechts)Körpers in Frage stellt (vgl. Spieß 2012: 56). Im Anschluss an und gleichsam Abgrenzung zu Foucault definiert die US-amerikanische Philosophin: »The notion that there might be a ›truth‹ of sex, as Foucault ironically terms it, is produced precisely through the regulatory practices that generate coherent identities through the matrix of coherent gender norms. The heterosexualization of desire requires and institutes the production of discrete and asymetrical oppositions between ›feminine‹ and ›masculine‹, where these are understood as expressive attributes of nicht das Recht hat, alles zu sagen, daß man nicht bei jeder Gelegenheit von allem sprechen kann, daß schließlich nicht jeder beliebige über alles beliebige reden kann. Tabu des Gegenstandes, Ritual der Umstände, bevorzugtes oder ausschließliches Recht des sprechenden Subjekts  – dies sind die drei Typen von Verboten, die sich überschneiden, verstärken oder ausgleichen und so einen komplexen Raster bilden, der sich ständig ändert.« 2 Die Genderlinguistik bezieht sich in ihrer theoretischen Fundierung zum Beispiel kaum auf Butler oder Foucault, während die literatur- und kulturwissenschaftlichen Gender Studies häufig poststrukturalistisch argumentieren (vgl. Spieß u. a. 2012: 7; Erhart 2016: 17). Im Mainstream der deutschen Männlichkeitsforschung hingegen, sei die »konstruktivistische Variante der Gender-Theorie« à la Judith Butler, laut Martschukat/Stieglitz (2008: 44) »[n]och nicht recht ›angekommen‹«. Für das Autorenpaar liegt das unter anderem daran, dass die Arbeiten Butlers – zumindest in ihrer missverständlichen Lesart als »Entkörperlichung« – nur schwer mit den Konzepten Connells und Bourdieus zusammenzudenken sind.

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›male‹ and ›female‹. The cultural matrix through which gender identity has become intelligible requires that certain kinds of ›identitites‹ cannot ›exist‹ – that is, those in which gender does not follow from sex and those in which the practices of desire do not ›follow‹ from either sex or gender.« (Butler 2007: 23f.)

Die Unterscheidung von sex und gender lässt sich als Erweiterung des doing gender-Konzepts verstehen, insofern Butler (wie zum Beispiel auch Hirschauer) nun auch den (Geschlechts)Körper als diskursives Produkt konzipiert. Dieses ließe sich nicht durch den Rückbezug auf die Natur (sex) bestimmen, da bereits die Differenz zwischen Natur und Kultur als diskursiv erzeugt gelten müsse. Aufgrund seiner sprechakttheoretischen Rahmung stellt der aus dieser Annahme resultierende, sog. performing gender-Ansatz das zweite zentrale theoretische Konzept dar, auf das sich linguistische Analysen von Männlichkeit beziehen (vgl. Spieß 2016: 127). Auch für die (diskurs- und soziolinguistische) Analyse von Männlichkeiten im Rap scheint diese Perspektive passfähig, wird unter Gender hier doch sowohl der Körper als Materialität samt seiner sexuellen Praktiken, als auch »ein Bündel von Attributionen von Eigenschaften und Handlungsmustern, Erwartungen, Wahrnehmungen, Verhaltensweisen und Körperpraktiken« verstanden (ebd.: 128). Der Kommunikationswissenschaftler Streeck (2002: 538) spricht von Rap als »Familie von Sprechakten, deren Beherrschung einem gestattet an kulturellen (Re-) Konstruktionen von Wirklichkeit teilzuhaben« und hebt damit die performative Dimension von Identitäten im HipHop/Rap hervor. Auch Grimm (1998: 94) betont die zentrale Bedeutung der Performanz und der »Inszenierung des Selbst« im Rap. Aus poststrukturalistischer Sicht ist Rap-Männlichkeit – im Sinne von performing masculinity – also Ergebnis machtvoller Diskurse, woraus sich auch ihr Veränderungspotenzial ergibt. Denn im Anschluss an Derridas sprachphilosophisches Konzept der Iterativität wird die Handlungsmacht der Subjekte in der Fülle der freiwerdenden Signifikanten verortet. Der ständigen Wiederholung und Reinszenierung liegen demnach stets Momente der Veränderung durch Neukontextualisierungen und -codierungen zugrunde. Auf die Ebene geschlechtlicher Konstruktionsprozesse übersetzt, wird dadurch eine »Vielfalt an Geschlechtsidentitäten propagiert, die permanent neu hergestellt werden können« (Spieß 2012: 58). Fasst man die rap-männliche Geschlechtsidentität als Produkt und Effekt von Diskursen, so muss dies freilich auch für den rap-männlichen Körper gelten, der dieser Auffassung nach als allem Diskursivem untergeordnetes Zeichensystem aufzufassen wäre. Ein Blick in die Männlichkeits- und HipHop-Forschung lässt eine derartige Konzeptualisierung allerdings als diskutabel er-



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scheinen, wird die körperliche Präsenz und damit der (männliche) Körper innerhalb letzterer doch zum »entscheidende[n] Moment der Performance« erhoben (Klein/Friedrich 2003a: 157; vgl. auch Grimm 1998: 94ff.). Auch die Soziologin Connell (2015: 111) positioniert sich in ihrer hegemonialen Männlichkeitstheorie kritisch gegenüber der Diskurstheorie da sie die »Körper zu Objekten symbolischer Praxis und Machtausübung […], aber nicht zu deren Teilnehmern« mache. Das Bezeichnete (der Körper) würde dabei zugunsten des Bezeichnenden (symbolische Praxis) vernachlässigt. Der Körper sei stattdessen in seiner Materialität und reinen Stofflichkeit bedeutsam, da das männliche Geschlecht etwa auch »ein bestimmtes Hautgefühl, bestimmte Formen und Spannungen der Muskeln, bestimmte Körperhaltungen und Bewegungen, bestimmte Möglichkeiten beim Sex« bedeuten würde und der Körper in der sozialen Praxis (zum Beispiel Sport, Sexualität) eine nicht unwesentliche Rolle spiele (Connell 2015: 104). Sie plädiert deshalb in der Folge dafür, »sich die aktive Mitwirkung (agency) von Körpern bei sozialen Prozessen bewusst zu machen«. Körper sind für Connell zu Recht Teilnehmer am sozialen Geschehen, deren Materialität stets bedeutsam bleibt und die sich »nicht in Symbole, Zeichen oder Positionen im Diskurs« verwandeln (ebd.: 116). Geschlechtliches Handeln wird damit zwar im Sinne eines doing gender als sozial konstruiert verstanden, jedoch an die Materialität des Körpers als ›körperreflexive Praxis‹ zurückgebunden. »Wenn Körper sowohl Objekte als auch Agenten der Praxis sind, und aus der Praxis wiederum die Strukturen entstehen, innerhalb derer die Körper definiert und angepasst werden, haben wir es mit einem Muster zu tun, das von der derzeitigen sozialen Theorie nicht erfasst wird. Dieses Muster könnte man körperreflexive Praxis nennen«. (Connell 2015: 113) Körperreflexive Praxen konstituieren für Connell zwar eine Welt mit einer körperlichen Dimension, diese sei aber nicht biologistisch determiniert (ebd.: 117). Damit ist auch bei Connell angelegt, was Bourdieu mit dem Habitus-Begriff als inkorporierte soziale Struktur zu fassen versucht. Ohnehin wird die Körperlichkeit von Männlichkeit innerhalb der Men’s Studies vor allem über das Habitus-Konzept und die hegemoniale Männlichkeitstheorie konzeptuell erfasst (vgl. Böhnisch 2013: 39; außerdem Meuser 1998: 117ff.; Brandes 2002 usw.). Auf diese Fährte begibt sich, obgleich keine männlichkeitstheoretische Perspektivierung vornehmend, auch die Kulturwissenschaftlerin Menrath (2001), die sich mit der Performativität von Identitäten im HipHop beschäftigt und deren Überlegungen den hier zugrunde liegenden, analyti-

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schen Kitt zwischen Männlichkeits- und HipHop-Forschung bereitstellen. Nach einer geschlechtertheoretisch nuancierten Abhandlung von Foucault und insbesondere Butler, kommt sie zu dem Ergebnis, dass beide Theoretiker_innen Körperpraktiken zwar zentral setzten, diese jedoch »nur als ›verlängerten Arm‹ einer (zentralen oder eben zerstreuten) Macht« behandelten (Menrath 2001: 27f.). ›HipHopper‹ dagegen sprächen ihren Körperpraktiken eine eigene Logik zu, die sich nicht in diskursive Strukturen zwängen ließe und stattdessen eine stärkere Betrachtung nicht-diskursiver Praktiken erforderten: »Meiner Ansicht nach wird aber der Körper ebenso wie der Diskurs sowohl von der Macht beeinflußt, als er in seiner Materialität selbst ein Mittel zur Machtausübung (ohne Umweg über das Sprachlich-Diskursive) darstellen kann. In Teilen verstehen HipHopper ihre Identitätspositionen auch als körperlich-materielle Performanzen: Identitäten entstehen auch in materieller Form an Körpern und beziehen sich auf andere materielle, nicht sprachlich-diskursive Konstrukte.« (Menrath 2001: 28)

In diesem Zusammenhang sei es sinnvoll auf die Logik der Praxis und damit auf Bourdieus Konzept des Habitus zurückzugreifen. Für die Subjektbildung im HipHop/Rap seien körperlich-habituelle Handlungen ebenso zentral wie sprachlich-performative Äußerungen und verfahre die habituelle Konstitution von Subjekten ebenso performativ wie die sprachliche. Menrath schlägt schließlich vor von einer »Performativität des Habitus« zu sprechen (ebd.: 29). In ihrem Standardwerk zum deutschen HipHop Is this real? setzen sich auch Klein/Friedrich (2003a: 198ff.) intensiv mit der Performativität von Identitäten im HipHop auseinander. Feldtheoretisch nuanciert, setzen auch sie dazu die Theorien von Butler und Bourdieu miteinander ins Verhältnis: »In der körperlichen Inszenierung des Habitus […] nehmen die über Anrufung inkorporierten Spielregeln eine ästhetische Form an. Gesten, Mimiken, Köperhaltung und Bewegungsmuster äußern sich über den praktischen Sinn als eine materiale Funktionsweise von Performativität. Der Prozeß der Habitualisierung, von Bourdieu lediglich als Sozialisationsvorgang beschrieben, läßt sich aus dieser performativitätstheoretischen Perspektive als Ergebnis eines Spiels von Sprechakten und Verleiblichungen beschreiben. Verleiblichung, verstanden als mimetische Identifikation, erfolgt über ›Anrufung‹.« (Klein/Friedrich 2003a: 203)

Ahmt ein_e Rap-Szenegänger_in und/oder ein_e Rapper_in also bestimmte szene- oder feldspezifische Habitusmuster nach, wie sie durch global und medial zirkulierende Bilder, Diskurse und Repräsentationen dargeboten werden, dann werden dabei nicht nur die feldimmanenten Spielregeln einge-



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übt, sondern in der mimetischen Aneignung würden sie als szenespezifischer Habitus sichtbar und damit gleichsam aktualisiert und potentiell transformiert (ebd.: 204). Entsprechend eigne sich eine poststrukturalistisch perspektivierte Performativitätstheorie im Besonderen, um das Spannungsverhältnis zu erklären, dass sich im Falle des HipHop zwischen Globalität und Lokalität ergebe: »Über das gelungene Praxis-Werden des Globalen im theatralen Feld des Lokalen erklärt sich die langlebige Dynamik der HipHopSzene« (ebd.: 205). Den Begriff der ›Mimesis‹ verwenden auch die Literaturwissenschaftler_ innen Herrmann/Erhart (2002: 33) in ihren Überlegungen zu »Männlichkeit als Performance«. Vor allem für moderne und postmoderne Männlichkeit bezeichne die performance demnach eine notwendige Geschlechterpraxis. Der Begriff der Inszenierung geschlechtsspezifischer Praktiken ziele dabei »auf eine grundlegende Doppelung von Geschlechter-enactment und Geschlechter-embodiment: Praktiken dessen, was im Englischen doing gender heißt und sich im Deutschen vielleicht nur unvollkommen übersetzen ließe mit ›als Geschlecht auftreten oder handeln‹« (ebd.: 34). Auch Männlichkeit erweise sich zunehmend als Maskerade, »als das In-Szene-Setzen eines maskulinen Originals«, das es freilich nicht gibt und das außerdem nirgendwo sichtbarer zitiert würde als im hier untersuchten Bereich der Populärmusik (ebd.: 37). Aber auch in der Literatur »taucht […] die wahre Männlichkeit zumindest rhetorisch wieder ins Stahlbad ein«, wie das Autor_innenpaar am Beispiel von Feridun Zaimoglu, Maxim Biller, Helmut Krausser oder auch Thomas Brussigs Roman Helden wie Wir (1995) herausarbeitet (der Protagonist erzählt die Geschichte des Mauerfalls hier als ›Geschichte meines Pinsels‹, ebd.: 47). Eine interessante Parallele zu den Performances gegenwärtiger Rap-Männlichkeiten ist ferner die Feststellung, dass das Modell des Boxers in der neuen deutschen Literatur wieder verstärkt Einzug hält (vgl. Kap. 9.3.10). Literarisches performing masculinity verfolgt für Herrmann/Erhart schließlich zwei Strategien: »Auch Männlichkeit in der Schrift scheint im Kampf um den Phallus – haben, wenn schon nicht sein; zu sein vorgeben, wenn nicht haben – vor allem zwei Strategien performativer Aneignung zu kennen: demonstratives Muskelspiel und sexuelle Hyperbeln. […] Jedoch bildet Männlichkeit auch und gerade in der Literatur und in der Schrift weniger den Ausdruck eines spezifischen Körpers, seines embodiments und seiner Ökonomie, sondern konstituiert sich erneut aus rhetorischen Figuren eines acting male.« (Herrmann/Erhart 2002: 47)

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7.3 Intersektionale Perspektiven auf Rap-Männlichkeit Den Begriff der ›Intersektionalität‹ führte einst die amerikanische Juristin Crenshaw (1989) in die Geschlechterdebatte ein, um mit der Metapher der Kreuzung (engl. intersection) auf die Verschränkung unterschiedlicher Diskriminierungsformen in einer Person aufmerksam zu machen. Die Diskussion um die Sichtbarmachung von Mehrfachdiskriminierung und die Infragestellung von Gender als ungleichheitsgenerierender Masterkategorie ist dabei keinesfalls traditionslos. Bereits in 1970er und 1980er Jahren befassten sich Schwarze Aktivist_innen und feministische Theoretiker_innen gleichermaßen mit der historischen Verknüpfung von Rassismen und Klassenverhältnissen, ökonomischer Ungleichheit und der kritischen Infragestellung eines Kollektivsubjekts Frau (vgl. zum Beispiel hooks 1981; Davis 1981; Collins 2000). Angeregt durch die Diskurse und Vertreter_innen des Black Feminism begann auch die deutschsprachige (feministische) Frauenforschung ab den 1980er und 1990er Jahren verstärkt damit Differenzen und Ungleichheiten innerhalb der Genus-Gruppe Frau zu berücksichtigen. »Der feministische Blick auf das Geschlechterverhältnis als die zentrale Konfliktlinie übersieht oder vernachlässigt andere wichtige gesellschaftliche Konfliktlinien und damit auch wesentliche Differenzen zwischen Frauen.« (Klinger 1995: 802) Schließlich waren es auch in Deutschland vor allem Schwarze Theoretiker_innen, Migrant_innen oder Frauen mit Behinderung die intersektionale Perspektiven in die feministischen Debatten einbrachten (vgl. zum Beispiel Raab 2007; Walgenbach 2007; Jacob u. a. 2010). Aufgrund der vielen unterschiedlichen transdisziplinären Perspektiven und zahlreichen Vorschläge und Modifikationen ist die Forschungslandschaft zum Thema insgesamt nur schwer zu überblicken. Nicht ganz zu Unrecht wird das Paradigma der Intersektionalität deshalb auch als work in progress bezeichnet. Als wichtige Diskussionslinie in der Debatte könnte man die Annahme formulieren, soziale Ungleichheiten zwar nicht gegeneinander auszuspielen, sie jedoch auch nicht als additiv zu begreifen. Stattdessen müsse danach gefragt werden, wie sich welche Kategorien wechselseitig in ihrer Wirkung verstärken oder auch abschwächen (vgl. zum Beispiel Degele/Winker 2010). In diesem Zusammenhang wird sodann auch die Metapher der Kreuzung kritisiert, da diese einen genuinen Kern sozialer Kategorien impliziere. Walgenbach (2007) schlägt stattdessen vor von ›interdependenten Kategorien‹ auszugehen, das heißt die Kategorien selbst als interdependent zu verstehen, anstatt ›nur‹ von wechselseitigen Interaktionen zwischen den Kategorien auszugehen. Auch



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die Triade race-class-gender bildet einen zentralen Diskussionsgegenstand, ist doch ungeklärt, welche und wie viele Kategorien wann mit welcher Gewichtung Berücksichtigung finden sollen. Ein Umstand, den auch Butler (2007) kommentiert, indem sie ironisch auf das meist hintan gestellte Kürzel ›etc.‹ verweist.3 Gleichwohl Connells hegemoniale Männlichkeitstheorie Anknüpfungspunkte für intersektionale Analysen bereithält, wird das Paradigma im Bereich der Männlichkeitsforschung bislang eher wenig berücksichtigt. Allerdings ist auch hier Veränderung im Gange. Noch im Jahr 2009 subsumiert Gail Lewis (2009: 209) auf einer Tagung Männlichkeiten unter die »missing elements« im Bereich der Intersektionalitätsforschung, während die Herausgeber_innen des interdisziplinären Handbuchs ›Männlichkeit‹ nur sieben Jahre später konstatieren, dass »Bestrebungen über den Tellerrand der eigenen Disziplin hinauszuschauen und soziale Differenzkategorien wie Geschlecht zudem nicht in Isolation zu denken, […] zunehmend das Selbstverständnis der Männlichkeitsforschung als immer stärker interdisziplinär und intersektional vorgehende Disziplin« prägen würde (Horlacher u. a. 2016: 3). Männlichkeiten ungleichheitstheoretisch auch mit anderen sozialen Strukturen zusammenzudenken ist in vielen zentralen Konzepten von Connell bis Bourdieu bereits angelegt, worauf auch der Erziehungswissenschaftler Tunç (2012a: 2ff.) aufmerksam macht. Während der britische Soziologe Hearn (2010) die Engführung auf die oben erwähnte Triade race-class-sex/gender kritisiert, ist Geschlecht auch für die Historiker Martschukat/Stieglitz (2008: 55) »niemals allein wirksam«. Race, class und gender, aber auch andere, freilich ebenso instabile Identitätskategorien wie Sexualität, Religion, Region oder Alter sollten stattdessen in ihrer machtvollen Verschränkung gedacht werden. In Erweiterung von Bourdieus Habitustheorie setzen darüber hinaus auch Meuser (zum Beispiel 1998: 115), Meuser/Scholz (2005) sowie Brandes (2002) unterschiedliche Zugehörigkeiten bei der Analyse von Männlichkeit relevant. Intersektionale Zugänge zu Männlichkeit haben sich im deutschsprachigen Raum derweil vor allem an der Schnittstelle zur Migrationsforschung etabliert (vgl. Huxel 2008; Tuider/ Huxel 2010; Spies 2010; Scheibelhofer 2011; Tunç 2012a, 2012b; Huxel 2014 3 »The theories of feminist identity that elaborate predicates of color, sexuality, ethnicity, class, and able-bodieness invariably close with an embarassed ›etc.‹ at the end of the list. Through this horizontal trajectory of adjectives, these positions strive to encompass a situated subject, but invariably fail to be complete. This failure, however, is instructive: what political impetus is to be derived from the exasperated ›etc.‹ that so often occurs at the end of such lines?« (Butler 2007: 196)

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usw.). Weil marginalisierte Männlichkeiten im Connellschen Sinne durch die ›patriarchale Dividende‹ jedoch ebenfalls Zugang zu Machtressourcen hätten, müsse man eine intersektionale Perspektive auf Männlichkeiten anders theoretisieren als innerhalb feministisch inspirierter Konzepte um Mehrfachdiskriminierung. Für Tunç (2012a: 5f.) sei es dabei vor allem wichtig, »das spannungsreiche wie komplexe Verhältnis von Benachteiligung und Ressource zu klären, das heißt die Frage, in welchem Kontext bestimmte subjektive Zugehörigkeiten von Männern mehr Ressource sind/sein können oder wann sie zu Nachteilen/Diskriminierungen führen (können).« Weiterhin gelte es auch ambivalente und widersprüchliche Positionierungen von Männlichkeiten sichtbar zu machen und zu untersuchen, »wie Positionierungen der Subjekte kontextabhängig und situationsbedingt von je anderen Differenzkonstellationen strukturiert sind und welche wechselnden Überlagerungen auftreten« (ebd.: 6). Wenn Tunç sodann ein defizitäres Begriffsinstrumentarium bemängelt, das Empowerment untergeordneter und marginalisierter Männlichkeiten nicht abzubilden im Stande ist und im Gegenzug den Begriff der ›progressiven Männlichkeit‹ vorschlägt, so ist an dieser Stelle eine Überleitung zur hier untersuchten Rap-Szene geschaffen. Vor allem im Bereich der nordamerikanischen HipHop Studies, die sich ja nicht selten als Black Studies verstehen (vgl. Wolbring 2015: 27f.), werden Repräsentationen von gender von Anfang an mit race zusammengedacht (vgl. zum Beispiel Rose 1994, beziehungsweise Kap. 5.2). Neben der postkolonialen Kritik an rassifizierten und vergeschlechtlichen Repräsentationen und Identitätsskripten gibt es zahlreiche Arbeiten, die auf die Handlungsmacht der Akteur_innen verweisen und etwa Strategien des Empowerment im Kontext einer weißen Dominanzkultur beziehungsweise gegenüber patriarchaler Kategorisierungsmacht herausarbeiten (vgl. zum Beispiel Perry 1994; Keyes 2012; Peoples 2008; Jeffries 2011; Dyson 2004). Für den schwedischen HipHop- und Männlichkeitsforscher Berggren (2013: 191) sind intersektionale Fragestellungen im Bereich der HipHop-Forschung allerdings immer noch unterrepräsentiert: »[a]lthough racial or ethnic aspects are often addressed in their shifting contexts, questions of gender and/or intersectionality have been given limited attention in the international hip hop literature available in English«. Diese Kritik lässt sich auch auf den deutschsprachigen Raum übertragen, wobei insbesondere Publikationen um das Phänomen GangstaRap diesen verstärkt ungleichheitskritisch perspektivieren und sich eine intersektionale Perspektive auch deshalb langsam durchzusetzen beginnt (vgl. zum Beispiel Seeliger/Knüttel 2010; Seeliger 2013; Seeliger/Dietrich 2017;



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Bifulco/Reuter 2017 usw.). An dieser Stelle sind vor allem die Arbeiten des Sozialwissenschaftlers Seeliger zu nennen, der das Phänomen des deutschen Gangsta-Rap in einer Studie aus einer dezidiert intersektionalen Perspektive untersucht und dabei die wechselseitige Verschränkung der Dimensionen Geschlecht, Klasse, Ethnizität und Körper/Sexualität in den Blick nimmt. Aus seiner Sicht wird Männlichkeit in der Intersektionalitätsforschung nicht nur viel zu oft ausgeklammert, sondern auch zu defizitär konzeptualisiert. Ein übermäßiger Fokus auf Benachteiligungsverhältnisse führe demnach »häufig zu einer pathologisierenden Konnotation der Situation der Betroffenen« (Seeliger 2013: 102). Der Perspektive Tunçs nicht unähnlich, schlägt der Sozialwissenschaftler deshalb vor, vermehrt Handlungsspielräume und Ermächtigungsstrategien herauszuarbeiten und verweist im Zuge dessen auf den Agency-Begriff, der insbesondere im Bereich der transkulturellen Genderforschung Verwendung fände. Vor dem Hintergrund des hier nur sehr kursorisch ausgeführten Forschungsstandes zur Intersektionalität wird deutlich, dass eine Analyse von Männlichkeitskonstruktionen im deutschsprachigen Rap nicht ohne eine intersektionale Perspektive auskommen kann, zumindest dann, wenn sie sich im Sinne kritischer Männlichkeits- und Diskursforschung versteht. Für die Analyse von Zeilen wie »in meiner Welt ist Mustafa arm, aber Frank reich« ist es schlichtweg relevant, dass der Diskursakteur Sinan G. über eine iranische Migrationsgeschichte verfügt und doing masculinity, doing ethnicity und doing class hier wechselseitig als Ressourcen eingesetzt werden (zur empirischen Analyse siehe Kap. 10). In Anbetracht der untersuchten Szene und ihrer spezifisch gelagerten Relevanzen und Identitätshierarchien ist ferner die Frage zu klären, inwiefern sich Männlichkeit beziehungsweise männliche Hegemonie hier als »paradigmatisches Ordnungsmuster des allergrößten Teils HipHop-kultureller Formen« (Seeliger 2013: 113) beschreiben und damit quasi als eine Art Strukturkategorie begreifen lässt. Oder ob es nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zugrunde liegenden Fragestellung um einen Strukturwandel hegemonialer Männlichkeit überlegenswert ist, Geschlecht im Anschluss an Scholz (2015: 53) und Dölling (1999) als ›analytische Kategorie‹ zu begreifen. Die Soziologin Dölling (1999: 23) sieht die Zukunft der Frauen- und Geschlechterforschung bereits Ende der 1990er Jahre davon abhängig »wie sie ihr Erkenntnismittel ›Geschlecht‹ bestimmt«. Die Konzeptualisierung von Geschlecht als ›Strukturkategorie‹ diskutiert sie dabei vor allem vor dem Hintergrund sozialen Wandels und der »Veränderungen und Verschiebungen des Geschlechterarrangements«, wie sie sich etwa durch die Erosion des

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Normalarbeitsverhältnisses im Kontext der »›Entfesselung‹ des zunehmend global agierenden Kapitalismus« ergeben (ebd.: 21f.). Geschlecht bliebe dabei zwar eine gewichtige Ungleichheitskategorie, müsse aber zunehmend »in Relation zu anderen Differenzierungsfaktoren« betrachtet werden, durch die es sowohl verstärkt, als auch abgemildert werden könne (ebd.: 22). Dieser neuen Komplexität würde die Idee von Geschlecht als homogenisierender Strukturkategorie jedoch nicht gerecht. Stattdessen sei Geschlecht in Anlehnung an Scott als ›analytische Kategorie‹ zu fassen, wodurch vermieden werden könne, die »Setzung eines Gegebenen zu reproduzieren« die eine »›Omnipräsenz‹ des Geschlechtlichen« voraussetze. »›Geschlecht‹ als analytische Kategorie sozialwissenschaftlicher Frauen- und Geschlechterforschung würde für mich, bezogen auf empirische Untersuchungen zum Beispiel heißen, konkret aufzuzeigen, wie und in welchen Figurationen, in Relation zu welchen anderen Faktoren ›Geschlecht‹ ungleichheitsbegründend wirkt bzw. allgemeiner: als mächtiger, hierarchisierender Modus soziale Bereiche, Prozesse mitstrukturiert.« (Dölling 1999: 22)

Auch wenn patriarchatstheoretische Perspektiven auf HipHop beziehungsweise Rap, die Kategorie Geschlecht nicht unbegründet als Masterkategorie voraussetzen (Klein/Friedrich 2003a; Leibnitz 2007a usw. vgl. Kap. 5.3), so gilt es diese Setzung m. E. insofern zu überdenken, als dass es insbesondere die Kategorien race und class sind, die (nicht nur, aber vor allem) männliche Rap-Sprecher als Ressource zur authentischen Inszenierung als marginalisiertes (weil im HipHop/Rap hegemoniales) Subjekt nutzen. Herkunft, genauer gesagt, marginalisierte Herkunft, gilt im HipHop/Rap als »subkulturelles Kapital« wie es der Sozialwissenschaftler und HipHop-Forscher Dietrich (2015c) bereits in Anlehnung an Thornton (1997) für deutschen Gangsta-Rap formuliert. Diese Idee wird in einem späteren Kapitel mit Rekurs auf das Begriffsinstrumentarium Connells männlichkeitstheoretisch nuanciert und mit Blick auf einige feldspezifische Besonderheiten ausbuchstabiert (vgl. Kap. 8.3.4)

7.4 Überlegungen zur Feldspezifik von Rap-Männlichkeit Im Anschluss an Meuser/Scholz (2005) lässt sich zunächst formulieren, dass die Konstitution von Männlichkeit im Bereich Rap im selben Modus erfolgt, wie in anderen gesellschaftlichen Machtfeldern. Auch hier bildet sich



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der männliche Habitus entlang einer kompetitiven Struktur innerhalb eines homosozialen Raumes aus und auch hier ist das männliche Hegemoniestreben durch eine homo- und eine heterosoziale Dimension gekennzeichnet. Hegemoniale Männlichkeit wird somit auch im Rap als ›generatives Prinzip‹ des doing masculinity fassbar. Dennoch ist die illusio, also die ›Idee vom Mann‹ (vgl. Bourdieu 2016) der es sich auf dem Feld des Rap zu stellen gilt, nicht dieselbe, wie beispielsweise im Militär, in der Politik oder innerhalb der Cosplay-Szene. Um diesen Gedanken weiterzuführen, soll sich erneut auf die Männlichkeitssoziologie von Sylka Scholz (2015) bezogen werden, die konkurrierende hegemoniale Männlichkeiten auf den Feldern der Erwerbsarbeit, der Politik und des Militärs untersucht und sich dazu an Bourdieus Feldbegriff orientiert. Wie der Soziologe und Männlichkeitsforscher Meuser (vgl. 2006b: 169), so geht auch Scholz (2015: 33) nicht von einer Singularität hegemonialer Männlichkeit aus, sondern untersucht, wie sich die aktuellen Transformationsprozesse von Geschlecht (etwa im Erwerbssystem) in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen männlichkeitstheoretisch niederschlagen. Nun hat Bourdieu selbst zwar keine Verknüpfung zwischen Feldtheorie und männlicher Herrschaft hergestellt, dennoch eignet sich die ›Logik der Felder‹ um die soziale Differenzierung der Gesellschaft auch männlichkeitstheoretisch zurückzubinden: »In hochdifferenzierten Gesellschaften besteht der soziale Kosmos aus der Gesamtheit dieser relativ autonomen sozialen Mikrokosmen, dieser Räume der objektiven Relationen, dieser Orte einer jeweils spezifischen Logik und Notwendigkeit, die sich nicht auf die für andere Felder geltenden reduzieren lassen.« (Bourdieu/Wacquant 1996: 127) Inwiefern soziale Felder innerhalb einer sozial differenzierten und interdependenten Gesellschaft ›relativ autonom‹ sein können, ist zwar durchaus diskutabel. Die transnationale Vernetzung der Musikszene ›Rap‹ schließt jedoch nicht aus, dass wir es hier mit einer spezifischen Logik der Subjektkonstitution zu tun haben, die am Nexus von Globalem und Lokalem stattfindet und aus den spezifischen Spielregeln und dem Habitus resultiert, den die Individuen mit dem Eintritt in das jeweilige Feld inkorporieren. Der feldspezifische Habitus ist dabei auch im Rap als »vergeschlechtlicht« und gleichsam »vergeschlechtlichend« anzunehmen (vgl. Scholz 2015: 35; auch Bourdieu 1997a: 167). Die sozialen Positionen der Feldakteur_innen korrelieren mit dem Verfügen über bestimmte Kapitalsorten, sowie mit der Beherrschung der Spielregeln, was Bourdieus Felder als hierarchisch strukturiert ausweist. In jedem Feld bilde sich ferner eine spezifische illusio aus, in die die Feld-

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akteur_innen im Glauben (doxa) an das Spiel unablässig investierten (vgl. Bourdieu/Wacquant 1996: 128). Da sich das Feld außerdem durch das praktische Handeln der Akteur_innen reproduziere, könnten die Spielregeln durch den Eintritt neuer Akteur_innen verschoben werden. Diesen kursorischen Überblick zu Bourdieus Feldtheorie zugrunde legend, untersucht die Männlichkeitssoziologin Scholz (2015: 35) nun »die eigenlogischen Entwicklungsprozesse« in den drei sozialen Feldern Arbeit, Militär und Politik. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass in diesen unterschiedlichen gesellschaftlichen Machtfeldern zwar verschiedene Konstruktionen von Männlichkeit miteinander konkurrieren, sich die Transformation feldspezifischer hegemonialer Männlichkeiten jedoch zunehmend in einem globalisierten Rahmen vollzieht (ebd.: 252). Um die deutschsprachige Rap-Szene als eigenlogisches, gesellschaftliches Machtfeld im Hinblick auf Männlichkeitskonstruktionen zu denken, erscheint der Umweg über Bourdieus Feldtheorie nur konsequent. Auch für die Sozialwissenschaftler Klein und Friedrich ist die lokale HipHop-Szene im Anschluss an Bourdieu ein »sozialer Teilraum […] im Raum der Popkultur«, innerhalb dessen sich unterschiedlich gewichtete Kapitalsorten ausmachen lassen (Klein/Friedrich 2003a: 187). Darüber hinaus existierten dort gewisse feldimmanente Regeln, die unter anderem bestimmte Werte umfassen und die  – gleichwohl nirgends explizit formuliert oder schriftlich fixiert – entsprechend Bourdieus illusio, von den Teilnehmer_innen des Feldes akzeptiert würden. Der Glaube an diese Spielregeln wird im Laufe der Rap-Szene-Sozialisation verleiblicht, während das Handeln der Akteur_innen, das durch den sens pratique geleitet wird, das inkorporierte Wissen schließlich immer wieder aktualisiert und dabei bestimmte situationsadäquate Handlungen, wie Begrüßungsformeln, Körperhaltungen usw. aktiviert. Letztlich entscheide vor allem das Wissen um die Spielregeln und der Grad deren Inkorporation darüber, wer diese glaubhaft ausführen kann, denn »[f ]eldspezifische Inklusion und Exklusion erfolgen auch im HipHop über die Verkörperung des habitualisierten Wissens.« (Klein/Friedrich 2003a: 191) Dem Feld des HipHop/Rap4 lässt sich also eine feldspezifische Logik und ein entsprechender Habitus zuschreiben, den man mit Rekurs auf die Männlichkeitstheorien von Bourdieu (1997: 167), Scholz (2015: 35) und nicht zuletzt Meuser (1998: 108ff.) als »vergeschlechtlicht« und »vergeschlechtlichend« bezeichnen kann. Ebenfalls mit Bezug auf Bourdieu 4 Zur Schreibweise HipHop/Rap vgl. Fußnote 6 in der Einleitung in dieser Arbeit.



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sprechen Klein/Friedrich (2003a: 195ff.) von ›Habitualisierungen als mimetischer Identifikation‹. Sie gehen davon aus, dass die Inkorporation des Habitus durch »mimetische Annäherung an das Vorbild« erfolgt (ebd.). Performativitätstheoretisch gewendet geht es ihnen dabei jedoch nicht um eine »blinde[n] Imitatio«, sondern vielmehr um einen Konstruktionsvorgang der »als theatrale Herstellung des Fremden im Eigenen verstanden werden soll« (ebd.: 195). Weil Aneignung dadurch als leiblicher Vorgang beschrieben werden könne, sieht das Autor_innenpaar hier auch eine Modifikation aneignungstheoretischer Prämissen der Cultural Studies. Die Überlegungen zur mimetischen Identifikation, die als performativer Akt der Neukontextualisierung beschreibbar ist, gründen auf der Annahme des HipHop/Rap als glokaler Kulturpraxis, die Klein/Friedrich (2003a: 85ff.) in Abgrenzung zu kulturtheoretischen Thesen der Amerikanisierung resp. McDonaldisierung dezidiert für die deutschsprachige Szene ausformuliert haben. Diese glokale Dimension des Rap resp. des feldspezifischen Habitus wird soll nun geschlechtlich vereindeutigt und für Männlichkeitskonstruktionen im Rap ausbuchstabiert werden. Im Anschluss an Meuser (vgl. 1998: 117ff.) wird dabei davon ausgegangen, dass sich der feldspezifische rap-männliche Geschlechtshabitus durch Inkorporation der feldimmanenten Spielregeln im Spannungsfeld von Globalem und Lokalem herausbildet, wobei der Kontext der Migrationsgesellschaft zum Verständnis deutschsprachiger Rap-Männlichkeiten als zentral gelten kann (vgl. Kap. 8.2). Die Vorbilder dieses mimetischen Identifikationsprozesses bilden – ungeachtet einiger (zum Beispiel sprachlicher) Emanzipationsprozesse – bis heute Schwarze Rap-Männlichkeiten der hegemonialen US-amerikanischen Szene, deren Diskurse, Lebenswelten und (Körper) Performances es postkolonial und intersektional bei der Analyse des doing (German) rap masculinity mitzudenken gilt (vgl. Kap. 8.1). Habitustheoretisch gewendet, verwundert die fortwährende Bedeutung dieser Vorbilder wenig, beschreibt Bourdieu (1993: 105) den Habitus doch als »einverleibte, zur Natur gewordene und damit als solche vergessene Geschichte« und »wirkende Präsenz der gesamten Vergangenheit, die ihn erzeugt hat«. Schließlich spielt Sprache in diesem feldspezifischen rap-männlichen Identitätsbildungsprozess keine unbedeutende Rolle, lässt sich die Bourdieusche Habitualisierung im Anschluss an Butler doch als »Ergebnis des Spiels von Sprechakten und Verleiblichungen (verstanden als mimetische Neukonstruktionen)« konzipieren, wie es Klein (2001: 32) andernorts formuliert (zu Rap-Männlichkeit und Sprache vgl. Kap. 8.4.). Besonders im doing rap masculinity ist

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das Verfügen über und Beherrschen der ›linguistic features‹ zentral, wie der Genderlinguist Milani mit Blick auf südafrikanische Rap-Männlichkeiten formuliert: »Of course what is required of a man to be at the top of the masculine pecking order is not universal or stable […]. Whereas having a musculuar body makes one a man’s man in contemporary American texts, the deployment of linguistic features from different non-standard dialects, languages, and styles seems to be more relevant for activating hegemonic masculine personas in South African hip-hop performances and Scottish educational settings.« (Milani 2015: 14)

Wichtige Verstehensdimensionen hinsichtlich Rap-Männlichkeitskonstruktionen bilden ferner einige weitere feldspezifische Besonderheiten, wie die symbolische Bedeutung von Herkunft und Authentizität (vgl. Kap. 8.3) sowie der Einfluss des Neoliberalismus, der seinerseits Auswirkungen auf die Praktiken des doing gender in dem stark ökonomisierten Feld der Rap-Szene zeitigt (vgl. Kap. 8.5).

7.5 Doing (German) rap masculinity »Wenn das Ghetto der mythische Ort des HipHop ist, dann ist der schwarze männliche HipHopper die zentrale mythische Gestalt«, schreiben Klein und Friedrich (2003a: 24) vor über 15 Jahren in ihrem Standardwerk über den deutschsprachigen HipHop. Der enorme Kommerzialisierungsschub den deutschsprachige Rapmusik seither erfahren hat und auch die sukzessive Emanzipation von den US-amerikanischen Vorbildern, wie sie im Zuge der Rekontextualisierung des Musikgenres in Deutschland vollzogen wurde und wird,5 ändern wenig an der Tatsache, dass der US-amerikanische Schwarze 5 Als Emanzipation von den US-Vorbildern kann man beispielsweise die Respektlosigkeit interpretieren, mit dem einige Deutsch-Rapper den nordamerikanischen Szenegrößen hin und wieder begegnen. Im Track ›IHNAMG‹ (2012) etwa deutet Straßen-Rapper Haftbefehl den Diebstahl künstlerischen Eigentums an Produzent und Gangsta-RapLegende Dr. Dre an. Dort heißt es unter anderem: »Treff mich in Compton, Nutte, mit Dr. Dre, ich rippe ihm paar Beats, bleib auch Azzlack in den States«. Ein anderes Beispiel wäre ein Song von Veysel namens ›Besser als 50Cent‹ aus dem Jahr 2017. Dort rappt er: »Veysel schreibt die Hooks besser als 50 Cent«. Natürlich sind diese Sprechakte (dissing und boasting) typisch für Rap und sprechen nicht zwangsläufig dafür, dass auch die reale Person hinter der Rap-Persona sich von dem Original distanziert oder dieses gar ablehnt. Die Sozialwissenschaftler und HipHop-Forscher Dietrich und Seeliger inter­



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männliche HipHopper auch heute noch das identifikatorische Nonplusultra deutschsprachiger Rapper bildet.6 Ohnehin impliziert die Theorie der Glokalisierung und die kreative Adaption global zirkulierender Zeichen, Bilder und Diskurse im Lokalen nicht, »dass produktive Aneignungen globaler Kultur die hegemoniale Stellung der US-amerikanischen Kulturindustrie außer Kraft setzen« (Androutsopoulos 2003a: 11). Und so wird den männlichen Ikonen des Musikgenres und insbesondere den Protagonisten des USamerikanischen Gangsta-Rap auch heute noch quer durch das Diskursuniversum Deutschrap gehuldigt, ob The Notorious B.I.G oder Tupac, 50Cent oder Jay-Z, oder den Stars der jüngeren Rap-Generation wie Young Thug, Lil B., Chief Keef oder Quavo. Die Verehrung Schwarzer männlicher Genreikonen korreliert dabei unter anderem mit der jeweiligen Generationenzugehörigkeit, der Identifikation mit einem bestimmten Subgenre oder dem je subjektiven Geschmack und materialisiert sich insgesamt höchst unterschiedlich. Neben Vergleichen (»ich bin 50Cent, Bitch, ich bin Fifty«, Rin) oder imaginierten (und derzeit auch immer häufiger realisierten) Kollaborationen werden US-amerikanischen Rappern nicht selten ganze Songs gewidmet (zum Beispiel ›Migos‹ von Ufo361). Als paradigmatisches Beispiel eines (deutsch)rap-männlichen Lobgesangs lässt sich der Track ›Ich mach es wie‹ (2016) von Straßen-Rapper Nimo herausgreifen, in dem US-amerikanischen Vorbildern wie Snoop Dogg, Wiz Khalifa, 50 Cent, Jay-Z, Biggie, R.Kelly ebenso gehuldigt wird wie einigen französischen Schwarzen Rap-Legenden (zum Beispiel Booba). Die Wertschätzung US-amerikanischer Rapper und damit die nachhaltige Wirksamkeit des Ursprungsmythos um den ›echten (Schwarzen) HipHop‹ samt sozialräumlicher Verortung (Bronx) manifestiert sich aber auch abseits von Raptexten, etwa in Interviewaussagen oder innerhalb sozialer Netzwerke wie Instagram, auf denen Reisen in die Vereinigten Staaten ausdauernd fotografisch festgehalten und einem größeren Publikum präsentiert werden. Ein anschauliches Beispiel sind in diesem Zusammen-

pretieren das dissing von Ruhrpott-Rapper PA Sports gegenüber US-Gangsta-Rapper 50Cent im Rahmen von Adoption und Neukontextualisierung dennoch als »identitätsstiftende Distanzierung vom amerikanischen Original« (Dietrich 2015b: 319, vgl. außerdem Dietrich/Seeliger 2013). Ein Sprechakt, der die Authentizität des deutschen Rappers zusätzlich steigere. 6 Als innereuropäisch hegemonial darf man sicherlich die französische Szene samt ihrer ebenso Schwarzen Identifikationsfiguren begreifen (darunter Shurik’N, Booba, MC Solaar, Kaaris oder jüngst MHD). Diese wiederum ist freilich ihrerseits vom US-amerikanischen HipHop beeinflusst (vgl. dazu Güngör/Loh 2017: 213f.).

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hang sicherlich die Rapper Kool Savas oder auch Fler, der zeitweise gar eine Auswanderung in die Vereinigten Staaten plante.7 Der inszenatorische rap-männlichkeitsidentitätsstiftende Pool, wie er dem lokalen doing rap masculinity zugrunde liegt, reicht jedoch weit über das Musikgenre Rap beziehungsweise Gangsta-Rap hinaus. »Es bedarf keiner fundierten Recherche, um die expliziten Anknüpfungen von Rappern an die Gangster- und Mafiaprotagonisten zu erkennen«, schreiben Leibnitz/ Dietrich (2012: 323) in einem Beitrag über das Gangstermotiv in der amerikanischen Populärkultur am Beispiel US-amerikanischer Rapper. Realität und Fiktion würden bei den »Referenzpunkte[n] der Selbstinszenierung«, wie sie US-Rapper und Rap-Gruppen wie Kurupt, Mobb Deep, Three 6 Mafia oder Jay-Z an den Tag legten, oftmals vermischt (ebd.). Die Identifikation mit Filmfiguren wie Tony Montana (Scarface), oder Frank Lucas (American Gangsta) erfolgt dabei am Nexus von race, class und gender. Die fiktive Biografie eines Tony Montana beispielweise »bietet […] reichlich Identifikationsund Projektionsraum für Afroamerikaner, die in den Metropolen der 1980er Jahre aufgewachsen sind« (ebd.: 322). Darunter seien unter anderem ein Migrationshintergrund samt zugehöriger Diskurse und Probleme, die Affirmation eines Aufstiegsnarrativs, Hypermaskulinität, sowie Milieuverbundenheit zu subsumieren (ebd.). Mit ›American Gangster‹ widmete US-Gangster-RapIkone Jay-Z dem gleichnamigen Film im Jahr 2007 gar ein ganzes Album. Anders als im Fall von Scarface verhandelt der Film American Gangster den Aufstieg eines ›Black Man‹ vom Dealer zum Gangster- und Drogenboss von New York City. Für ein afroamerikanisches Publikum bietet die Referenz auf diesen Anti-Helden zusätzliche identifikatorische Anknüpfungspunkte, denn [a] ls Afroamerikaner aus ärmlichen Verhältnissen gelingt der Aufstieg durch den kontinuierlichen Hustle und unter Wahrung gewisser Prinzipien. Ein vormaliger Crack-Dealer aus Brooklyn [=  der Rapper Jay-Z, Anm. d. Verf.] identifiziert sich über die Eckpunkte der filmischen Biografie mit einem Hustler aus Harlem und schafft es, aus seiner Not eine Tugend zu machen.« (ebd. :338) Dass die Bezugnahmen auf das Mafia- und Gangstermotiv im Spannungsfeld von Adaption und Neukontextualisierung und keinesfalls als blo 7 Ein recht amüsanter Zusammenschnitt von Flers diesbezüglichen Aussagen findet sich unter nachfolgendem Link, 24.08.2020, https://www.youtube.com/ watch?v=J0H6RHII13o Auch der erklärte USA-Fan Kool Savas hielt einen mehrtägigen New York-Aufenthalt im Jahr 2012 publikumswirksam für das Szenemagazin 16bars.TV fest, 24.08.2020, ­https://www.Youtube.com/watch?v=x8u3ZbWJokU



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ße mimetische Angleichung gedacht werden müssen, zeige sich nach Ansicht des Autor_innenpaars bereits an der Schreibweise, denn Gangster wird zu Gangsta. »Was in diesem Kontext für das Wort ›nigga‹, einer ebenfalls anverwandelten Form eines hegemonialen Begriffs, gilt, ist auch für den Typus Gangsta charakteristisch: Man stellt auf der Zeichenebene eine gewisse inhaltliche Nähe zum Ursprungskonzept her, macht aber mit der eigenen Modifikation auf Brüche und Distanz zum Original aufmerksam. Gangsta-Rap ist demnach kein Rap, der die Grundelemente des Gangsterfilms reproduziert, sondern sie vor dem Hintergrund einer ganz eigenen sozialen, politischen und kulturellen Ausgangssituation neu besetzt.« (Leibnitz/ Dietrich 2012: 320)

Auf die zentrale hiphop/rap-sozialisatorische Bedeutung der Black Gangster Films macht auch Kitwana aufmerksam. In dem Kapitel Young, Don’t give a fuck, and Black. Black Gangster Films, beschreibt er den enormen Einfluss, den Filme wie Boyz N the Hood, Scarface, Goodfellas oder Menace II Society auf die US-amerikanische hip-hop generation haben (vgl. Kitwana 2002: 121– 141). Dabei setzt er sich auch kritisch mit den Auswirkungen entsprechender »hood films« auf zwischengeschlechtliche Beziehungen oder Repräsentationen von Black masculinity auseinander. »The elements glorified and idolized in Black gangster films, then, add fuel to the fires of gender, generational, and racial divisions. The depiction of pimping, macking, playas, bitches, and hos as integral aspects of Black youth culture breeds even greater resentment between young Black men and women.« (Kitwana 2002: 140) In dem Film New Jack City würden Schwarze Frauen ausschließlich vermittels degradierender Begriffe angerufen, darunter ›bitches‹, ›hoes‹ oder ›skeezers‹ (übersetzt etwa ›dreckige Schlampe‹). Dies beträfe auch solche Frauen, die enge intime Beziehungen zu den männlichen Hauptfiguren unterhielten (ebd.: 130). Dass die genannten Filme samt ihrer marginalisiert-männlichen Protagonisten nicht nur die Gender- und Männlichkeitsperformances der US-amerikanischen HipHop-Generation, sondern ebenso deutschsprachige Rapper nachhaltig prägen, auch dazu bedarf es – um an die Formulierung von Leibnitz/Dietrich (2012: 323) anzuschließen – keiner allzu fundierten Recherche. »Schon als Kind wollt’ ich dahin, genau so leben wie die Cocaine Cowboys« rappt Nimo in ›Lambo Diablo GT‹ (2017) und bezieht sich einige Zeilen später ganz konkret auf Titelfigur Tony Montana: »The world is yours – Antonio Montana«. In der Bridge des Songs von Capo und Nimo dagegen heißt es: »Scarface hat Köpfe gefickt«, was auf die nachhaltig negative sozialisatorische

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Prägung durch derartige Filme verweist. Auch die Diskografie des Schwarzen Ruhrpott- und Gangsta-Rappers Manuellsen enthält dutzende Bezüge auf die Black Gangster Films, darunter Alben und Tracks mit dem Namen ›New Jack City‹ oder auch ›Menace to Society‹, wo es heißt: »Wir waren Doughboy, AWax und O-Dog in klein, nur die Knarre schoss CS-Gas, der Ruhrpott war Compton in hässlich und klein, fick die Welt, wir wollen Cash haben. 2Pac, Cube und Snoop Dogg waren in uns drin wie unsere Vorfahren, ›Keep their heads ringin‹, wochenlang nur das gleiche Lied, wir waren Menace 2 Society, Menace 2 Society« (Doughboy, A-Wax und O-Dog sind Figuren aus Boyz N The Hood beziehungsweise Menace 2 Society). Mit dem kalifornischen Vorort Compton und den Rapper-Namen 2Pac, Cube, Snoop Dogg sowie der Zeile »keep their heads ringing«, einer Single von Dr. Dre, wird sich hier außerdem auf diverse Schwarze Vorbilder des US-Gangsta-Rap-Genres bezogen.8 In einem der ersten wissenschaftlichen Beiträge zum deutschen HipHop überhaupt, beschreiben auch Wetzstein u. a. (2000) die Begeisterung für bestimmte Idole und Filme als wichtiges Zeichen der Szenezugehörigkeit. Wenngleich nicht männlichkeitstheoretisch perspektiviert, machen die Autor_innen am Beispiel der geschlechtsheterogenen und multiethnischen Passagen-Posse folgende Beobachtung: »Besonders sind sie an Filmen interessiert, die das Gangsta- und HipHop-Dasein der schwarzen Amerikaner im Ghetto darstellen. Solche Filme sind etwa Boyz `N the Hood, Menace 2 Society oder New Jack City. Die schwarzen Filmhelden sind ›einfach cool‹. Sie haben lockere Sprüche drauf und ›verarschen die Weißen‹. Den Jugendlichen gefällt wie die ›Schwarzen‹ in derartigen Darstellungen ihre soziale Ohnmacht durch einen bestimmten Jargon, durch Kriminalität, Waffenbesitz und Musik kompensieren. Mit der Modewelle des HipHop avancierten einige Rapper zu tragischen Kultfiguren, die nicht selten im Kugelhagel ihr Ende fanden (zum Beispiel Tupac Shakur, Notorious B.I.G). Die Geschichte des schwarzen Kleinkriminellen, der mit Hilfe von Musik und illegalen Geschäften zum ›Big Shot‹ mit Goldketten, großklassigen Autos, teuren Appartements usw. wird, ist eine wichtige Identifikationsvorlage. Die Jugendlichen imitieren die hiphop-spezifischen Bewegungen und den Jargon dieser Stars.« (Wetzstein u. a. 2000: 31)

Dass die Ausbildung des deutschsprachigen männlichen Rap-Habitus durch mimetische Annäherung an US-amerikanische Schwarze Vorbilder erfolgt 8 Auch der französische ›Hood Film‹ La Haine hinterließ bleibenden Eindruck auf deutschsprachige Rap-Männlichkeiten, wie sich anschaulich am Umfeld um den Offenbacher Rapper Haftbefehl materialisiert, der sich mit seiner Klamottenmarke Chabos IIVII an der Ästhetik des Films und seiner Protagonisten bedient. Zur männlichkeitstheoretischen Bedeutung von La Haine und dem Cinéma Beur vgl. Fenske (2016: 246).



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und dieser Mechanismus wiederum eine postkoloniale Perspektive erfordert, zeigt auch die Dissertation von Dietrich (2015a, 2015b). Der Sozialwissenschaftler setzt sich darin mit der Adaption und Neukontextualisierung von deutschsprachigem Gangsta-Rap und dessen Verhältnis gegenüber der US-amerikanischen Szene auseinander. Unter anderem am Beispiel einer Bildreihe macht Dietrich (2015b: 304f.) deutlich, was sich – männlichkeitstheoretisch gewendet – auch als ›die glokale Dimension von Rap-Männlichkeit‹ beschreiben ließe: Der lokale (das heißt zum Beispiel deutschsprachige) männliche Habitus bildet sich im Rap über mimetische Annäherung an global zirkulierende, Schwarze männliche Vorbilder aus. Ein Prozess, der als leiblicher Vorgang und gleichsam performativer Akt sichtbar wird und dessen Ergebnis die Konstruktion einer neuen Wirklichkeit ist. Während sich US-Rap-Legende KRS-One (Mitte links) auf einem Album-Cover ikonisch auf den Schwarzen Bürgerrechtler Malcolm X bezieht (links), greift GangstaRapper Bushido (Mitte rechts) selbige Bildsprache ebenfalls für die Gestaltung eines Inlay-Covers auf. Auch Gangsta-Rapper Haftbefehl bezieht sich über das Albumcover von Unzensiert im Jahr 2015 letztlich ikonisch auf das US-amerikanische, Schwarze männliche Vorbild KRS-One (siehe Abb. 1).

Abbildung 1: Rap-männliche Ahnengalerie oder die glokale Dimension von Rap-Männlichkeit: Malcolm X < KRS-One < Bushido < Haftbefehl

Dietrich (2015b: 305) diskutiert die Bildreihe im Kontext der Genese und des Selbstverständnisses des deutschen Gangsta-Rap als »Einschreibungen in eine politische Kultur über die Stationen ›amerikanischer Gangsta-Rap‹ bzw. ›deutscher Gangsta-Rap‹«. Durch die Berufung auf das US-Vorbild KRSOne würde sich der deutsche Gangsta-Rapper Bushido indirekt auf einen politischen Subtext beziehen, »der eben durch das Zitat des Zitates angelegt ist. […] So wie KRS-1 sich musikalisch für den ›black man‹ einsetzt, so stilisiert sich Bushido zum ›Rebellen im Namen der Menschen mit Migrationshinter-

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grund« (ebd.: 305f.). Die mimetische Identifikation erfolgt schließlich auch auf einer diskursiven Ebene, was Dietrich (ebd.: 307ff.) an einer Gegenüberstellung der Raptexte der Frankfurter Rap-Formation Warheit mit jenen der US-Rapper Notorious B.I.G., Mobb Deep und Tupac herausarbeitet. Eine dezidierte Distanzierung vom Original macht Dietrich (ebd.: 312ff.)9 resp. machen Dietrich/Seeliger (2013) am Beispiel des Gangsta-Rappers PA Sports aus. Ebenfalls mit Rückgriff auf die Glokalisierungstheorie argumentieren die Autoren, dass der Ruhrpott-Rapper PA Sports sich zwar einerseits an der Bildsprache und »Grundthematik der Lyrics« an amerikanischen Genrekonventionen anlehne (Adaption), dabei jedoch gleichsam eine Neukontextualisierung stattfinde, indem sich der Rapper lyrisch von seinen Vorbildern abgrenze. Dies geschähe durch den Transfer der Grundthematik in einen spezifischen deutsch-migrantischen Ethnolekt und materialisiere sich des Weiteren an einem eigenen Dresscode, der sich ebenso von jenem der USVorbilder unterscheide (Dietrich/Seeliger 2013: 122). Dabei differiere auch die Subjektkultur. Anders als das US-Vorbild arbeite sich PA Sports nicht an historisch tradierten rassifizierten Repräsentationen Schwarzer Männlichkeit, sondern an einem Krisendiskurs um migrantische Männlichkeiten ab (ebd.: 123). Die Anforderung »den szenespezifischen Habitus als individuellen Stil zu inszenieren«, wie es Klein/Friedrich (2003a: 199) formulieren, gelänge PA Sports ferner durch eine Neukontextualisierung des Ghetto-Topos: Anstatt sich auf New York oder Los Angeles zu beziehen, würden prekäre Räume ›vor der Haustür‹ dargestellt, was zugleich eine Sichtbarmachung vormals ›nicht-präsentierter Räume‹ zur Folge habe, wie Dietrich/Seeliger (2013: 126) ungleichheitskritisch anmerken (vgl. auch Dietrich 2015c). Wenn sich der Essener Rapper PA Sports ikonisch in eine Traditionslinie mit US-amerikanischen, Schwarzen männlichen Gangsta-Rappern stellt und Dietrich (2015b: 313ff.) dabei als Leitlinien »Gangkultur«,10 »Hoodrichness«,11 und das »Bekenntnis zum Illegalen: Demonstrativer Drogenkonsum« herausarbeitet, so wird deutlich, dass der szenespezifische Habitus, der sich hier im Spannungsfeld von Adaption und Neukontextualisierung herausbildet ein 9 Die Ausführungen von Dietrich (2015b) beruhen an dieser Stelle auf einem zuvor mit Seeliger veröffentlichten Beitrag aus dem Jahr 2013 (vgl. Dietrich/Seeliger 2013) 10 »Die Demonstration von Gefährlichkeit über die Attitüde, den Dresscode und die (kollektiven) Posen« (Dietrich 2015b: 313). 11 »Der Rapper inszeniert sich über die Gestik und Imagezeichen (»Dresscode«) hybrid zwischen dem Herkunftsfeld (Hood) und den Insignien hegemonialen Reichtums (Luxusfahrzeug).« (Dietrich 2015b: 315)



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dezidiert männlicher ist, dessen Konstruktion ferner wechselseitig entlang der Kategorien Ethnizität und Klasse erfolgt. Im doing rap masculinity greift PA Sports aber nicht nur zahlreiche vergeschlechtliche Topoi, wie die ›Hood‹, ›Drogen‹ oder den Männerbund (›meine Jungs‹) auf, sondern konstruiert sich auch über den Rückgriff auf sprachliche Strategien der Effeminierung und sowie Sprechakte des localizing als Rap-Männlichkeit. »Komm hierher mit deinen Nutten und wir treffen uns am Weberplatz« ist nicht nur eine Aufforderung zum (rap-)mann-männlichen Duell der Lokalrivalen, sondern auch eine lokale Rekontextualisierung des Hood-Topos (der Essener ›Weberplatz‹). Wenn der Rapper darüber hinaus eine multiethnische homosoziale Männergemeinschaft anruft, nämlich »Perser, Kurden, Türken, Arabs«, wird deutlich, wie eng männlicher und ethnischer Habitus im Rap verschränkt sind und wie stark binnengeschlechtliche Machtrelationen (nicht nur aber auch im Rap) mit anderen sozialen Dimensionen verwoben sind, worauf unter anderem auch Meuser/Scholz (2005: 220) aufmerksam machen. Dietrichs (2015b: 323) Resümee, dass sich der deutsche Gangsta-Rapper mit Migrationshintergrund letztlich in eine Figur verwandle, »die dem US-Genre-Stereotyp des ›nigga‹ nahesteht, aber ihren eigenen Kampf mit ihren eigenen Waffen ausficht« und dies die These der Adaption und Neukontextualisierung im Hinblick auf »Identitätsfindung im Rap« von Klein/Friedrich (2003a: 84ff) schließlich als empirisch tragfähig ausweist, lässt sich also geschlechtlich vereindeutigen und für die Ausbildung eines spezifisch männlichen Rap-Habitus ausformulieren. Blickt man auf die Ebene der Signifikanten so ist es – um bei dem Beispiel PA Sports zu bleiben – tatsächlich weniger der nigga als vielmehr die Figur des thug und damit der cult of the thug, der im Zentrum glokaler rapmännlicher Identitätsarbeit steht (vgl. Terkourafi 2010b; Jeffries 2011:77ff.; vgl. Kap. 8.3.3). Dies materialisiert sich einmal mehr auf der ästhetischen Dimension der Mode, ist die Figur des thugs doch namensgebend für das vor allem im Gangsta- und Straßen-Rap beliebte HipHop- und Streetwear-Modelabel ›Thug Life‹ – ein Ausdruck, den die rap-männliche Schwarze Identifikationsfigur Tupac prägte (siehe Abb. 2).12 12 Thug Life ist ein Akronym für »The Hate U Give Little Infants Fucks Everybody« und eine Rap-Crew, der Tupac und vier weitere Rapper angehörten. Zu dem Screenshot aus dem Musikvideo von PA Sports sei angemerkt, dass die Musikvideo-Reihe ›Meine Stadt‹, in der das Rapvideo zu ›Meine Stadt Ruhrpott – Essen City‹ erschien, von dem HipHop-Klamottenlabel Thug Life Clothing präsentiert wird, das Label die Rapper also mit der zugehörigen Mode für den Videodreh ausstattet. Thug Life Clothing ist aber auch unabhängig der Musikvideo-Reihe ›Meine Stadt‹ eine beliebte Modelinie unter männlichen Gangsta-Rappern. Die Figur des thugs, ebenso wie der mit ihr assoziierte Lebens-

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Abbildung 2: PA Sports und der ›thug‹ als global zirkulierende, rap-männliche Identifikationsfigur

Wenn Männlichkeiten zunehmend in einem globalisierten Rahmen gedacht und dabei die »Verflechtungen von globalen, nationalen und regionalen Entwicklungen, die vor jeweils spezifischen historisch-politischen Hintergründen erfolgen« stärker in den Blick zu nehmen sind, wie unter anderem Scholz (2015: 252) anmerkt, dann bildet der Konstruktionsmodus von RapMännlichkeit dieses Desiderat der Männlichkeitsforschung paradigmatisch ab. Denn die oben geschilderten Ausführungen zum doing rap masculinity – das zeigt ein Blick in die internationale HipHop-Forschung – gelten nicht nur für das Beispiel USA-Deutschland, sondern folgen weltweit einem ähnlichen Prinzip. Im HipHop Studies Reader betont die Expertin für Nahoststudien Greenberg (2012) die immense Bedeutung, die Black (rap) masculinities für die Männlichkeitskonstruktionen junger arabischer Flüchtlingscamp-Bewohner im Osten Jerusalems haben: »African-American rappers, especially the late Tupac Shakur who came to codify the ›gangsta‹ rap genre, have influenced G-Town’s understanding of rap and the ways in which it is used to reclaim masculinity.« (Greenberg 2012: 375) stil des thug life wird in Raptexten quer durch das Diskursuniversum Deutschrap aufgerufen, so zum Beispiel in ›La Révolution‹ (2011) von Celo&Abdi, ›Ich rolle mit meim Besten‹ (2014) von Haftbefehl und Marteria, ›Frauen‹ (2012) von Celo&Abdi feat. Schwesta Ewa & Capo, ›Members Only‹ (2008) von Eko Fresh feat. Capkekz, Farid Bang, Ice H, Summer Cem u. v. a. m.



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Greenberg argumentiert, dass Rapper Tupac dabei als eine Art alternatives Männlichkeitsmodell für die männlichen Jugendlichen fungiere. Da er auch über institutionellen Rassismus rappte, statte er die jungen palästinensischen Männer mit einer hyper-masculinity als einer Art »coping mechanism against oppression and racism« aus (ebd.: 375). Die jungen Männer imitierten (›mimicking‹) dabei zwar dessen Handgesten, Klamottenstil und Verhaltensweisen und damit das thug life-Image, bereicherten es jedoch lokalspezifisch durch das Tragen der keffiya (›Palästinensertuch‹): »[…] the members of G-Town have constructed a new resistant and tougher masculinity that is rooted in the camp ›ghetto‹, and with which Israeli authorities are unfamiliar« (ebd.: 376). Die global zirkulierenden Männlichkeitsrepräsentationen von Tupac, N.W.A oder 50Cent erfahren jedoch auch im südafrikanischen Rap eine männlich-habituelle Neukontextualisierung, worauf der HipHop-Forscher und Linguist Williams (2015) aufmerksam macht. Aus einer dezidiert linguistischen Perspektive arbeitet er heraus, wie der hegemoniale HipHop/Rap-Habitus der tough masculinity in Freestyle Rap Performances hervorgebracht wird und dabei auf »language ideological associations of Kaaps (a working-class variety of Afrikaans), African American Vernacular English (AAVE), and the register Sabela (the speech register of the Number Gangs)« zurückgegriffen wird (ebd.: 78). Im Zuge dessen formuliert Williams auch ein Desiderat an die hip-hop linguistics, die sich in Anlehnung an Connell stärker »on local forms of toughness as indexical of local order of hegemonic masculinity« beschäftigen sollten (ebd.). Das Beispiel Williams verdeutlicht damit einmal mehr, Männlichkeit im Rap als Diskurs und Performance zu begreifen, findet die lokalspezifische Rekontextualisierung des global verfügbaren cult of the thug doch sowohl auf einer sprachlichen, als auch körperlich-habituellen Ebene statt und muss insgesamt weit komplexer gedacht werden als bisher. Der US-HipHop-Forscher Jeffries (2011: 61) betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung des signifying und formuliert im Rahmen seiner complex coolness theory, dass »complexity is not only manifest in the discourse itself but is also produced by the style and character of indirect communication during performance«.

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8. Verstehensdimensionen deutschsprachiger Rap-Männlichkeit

8.1 Globale Kontexte: Schwarze (Rap-)Männlichkeiten Um die männlichen Vorbilder deutschsprachiger Rapper von Tupac, Jay-Z bis hin zu Drake oder Quavo verstehen zu können und um deren auf außenstehende, nicht hiphop-affine Menschen oft übertrieben maskulin wirkenden Habitus besser einordnen zu können, sind vielerlei Exkurse vonnöten. Eine grundlegend intersektional und postkolonial geschärfte ›Analysebrille‹ ist dabei ratsam, denn die Kommerzialisierung Schwarzer Rapmusik und die damit einhergehende Kommodifizierung Schwarzer Körper und Sexualitäten steht in engem Wechselverhältnis mit tradierten rassifizierten und sexistischen Diskursen und Ideologien, die auf die Zeit des europäischen Kolonialismus beziehungsweise das kolonialistische Erbe der Sklaverei zurückverweisen. Der US-HipHop Forscher und Soziologe Dyson schreibt in diesem Zusammenhang: »Not surprisingly, much of the ideological legitimation for the contemporary misery of African-Americans in general, and black men in particular, derives from the historical legacy of slavery, which continues to assert its brutal presence in the untold suffering of millions of everyday black folk. […] Black men and women became sexual and economic property. Because of the arrangement of social relations, slavery was also the breeding ground for much of the mythos of black male sexuality that survives to this day: that black men are imagined as peripatetic phalluses with unrequited desire for their denied object – white women.« (Dyson 2004: 138)

Diese historisch gewachsenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse wirken bis heute auf der strukturellen Ebene nach, so dass Schwarze Männlichkeiten auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt mehrdimensional von sozialer Ungleichheit betroffen sind. Eine ›gesunde‹ Schwarze männliche Selbstachtung auszubilden (›healthy black self-regard‹), sei aufgrund der Repressionen durch die weiße männliche Dominanzkultur deshalb bis heute unmöglich. Schwarze Männer hätten stattdessen unterschiedliche performative Wider-

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standspraxen ausgebildet. Während Dyson, der auch als Prediger aktiv ist, in diesem Zusammenhang auch auf religiöse Praxen zu sprechen kommt, soll nachfolgend vor allem auf das Beispiel der cool pose eingegangen werden. Eine Schwarze Männlichkeitsperformance, die den für Rap typischen hypermaskulinen Habitus der Coolness zu erhellen vermag und diesen gleichzeitig in den Kontext von Empowerment stellt. Zuvor werfen wir jedoch einen kursorischen Blick auf einige politische Ereignisse und den soziokulturellen Kontext, der die Lebenswelten und das Aufwachsen der Schwarzen HipHop-Generation kennzeichnet. 8.1.1 Die Lebenswelten der Schwarzen hip-hop generation In seinem Buch The Hip Hop Generation. Young Blacks and the Crisis in African-American Culture untersucht der HipHop-Forscher und Kulturkritiker Kitwana (2002) die soziokulturellen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen, innerhalb deren die HipHop-Generation sozialisiert ist. Als hip-hop generation bezeichnet er US-Amerikaner_innen der Jahrgänge 1965–1984 für deren Leben das Phänomen HipHop als »defining element« gelten kann (ebd.: xiii). Kitwana identifiziert verschiedene Phänomene, die sich in den 1980er und 1990er Jahren ereigneten und die die Weltsicht und kollektive Identität der hip-hop generation maßgeblich prägten (vgl. ebd.: 9ff.). Anders als Teile der Schwarzen Mittelschicht, die von Wohlstand und höheren Löhnen im Zuge der Globalisierung profitierten, sei die allgemeine Lebensqualität des Großteils der Black Youth in diesem Zeitraum gesunken oder auf einem gleichbleibend prekären Niveau geblieben. Hohe Arbeitslosenquoten, Wohnungsnotstand, steigende Selbstmord- und AIDS-Raten und geringere Bildungschancen korrespondierten dabei mit einer zunehmenden und unfreiwilligen Hinwendung zur ›underground economy‹ (vgl. auch Dyson 2004: 137ff). Die crack epidemic, eine Drogenschwemme, die in den 1980er und 1990er Jahren viele US-amerikanische Großstädte heimsuchte, stürzte viele Mitglieder der afroamerikanischen Community in die Drogenabhängigkeit. Crack-Cocaine (umgangssprachlich auch ›rocks‹) ist mit Wasser und Backpulver vermengtes und damit rauchbares Kokain. Es ist billiger als normales Kokain, einfach in der Herstellung und nicht zuletzt aufgrund seiner sofort einsetzenden Wirkung besonders für mittellose Menschen attraktiv. Die Droge hatte jedoch nicht nur desaströse Folgen für Körper und Geist, sondern veränderte Familien, Beziehungen und ganze Sozialräume. Viele



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Vororte US-amerikanischer Städte von Los Angeles über Houston, Detroit bis New York versanken in Straßen- und Bandenkriminalität – ein Zustand, dem mit der zweifelhaften politischen Agenda des War on Drugs  – insbesondere unter Präsident Reagan – zu begegnen versucht wurde (vgl. Kitwana 2002: 14ff., 51.ff; außerdem Reinarman/Levine 1997; Goffman 2015). Rassistisch motivierte Polizeigewalt, Masseninhaftierungen und die sog. Black-on-Black-Crime waren die Folge und hinterließen tiefe Spuren in der Selbst- und Weltsicht der hip-hop generation.1 Tatsächlich markiert die crack epidemic eine entstehungsgeschichtlich bedeutsame Zäsur in der Evolution des HipHop-Musikgenres: Wird der Bau des Cross Bronx Expressway durch die New Yorker South Bronx in den 1970er Jahren oftmals als politisch-soziokulturelles Geburtsereignis des HipHop gehandelt, so bildet die CrackSchwemme den Kontext des bis heute nachhaltigsten und gerade mit Blick auf Geschlechter- und Männlichkeitsmodelle wohl zentralsten Ereignisses in der Geschichte des HipHop/Rap: der Evolution des Gangsta-Rap. Unter der Überschrift Crack Nation: The Rise of Hardcore Gangsta Culture and Music beschreibt der US-amerikanische Musikwissenschaftler und HipHop-Forscher White diesen in der Forschung oft übersehenen, jedoch nicht unerheblichen Zusammenhang wie folgt: »The intersection of hip-hop culture, street gang culture, and drug culture created by crack cocaine in the 1980s made for a perfect storm of confluences that within a few short years – from Scholly D’s ›P.S.K.What Does it Mean?‹ in 1985 to Dr. Dre’s The Chronic in 1992 – saw hardcore gangsta rap evolve as a subgenre of hip-hop music quickly move into the mainstream of American popular music, where it has mutated into a number of geographical styles. […] the rapid saturation of crack cocaine into inner-city ghettos must also be seen as an event with even more far-reaching consequences [than the Cross Bronx Expressway, Anm. d. Verf.] because it became a catastrophe of national proportions, affecting the lives of millions of mostly poor inner-city black people. It also profoundly helped to change hip-hop from a benign, party-oriented music and culture into one that was regarded as largely malevolent. In another contradiction for a musical culture that finds no shortage of them, it is inconceivable that hip-hop would have become the multibillion-dollar industry it has without the popularity of hardcore and the seminal performers that it has 1 Kitwana ist der Meinung, die ›prison crisis‹ hätte die HipHop-Generation tiefgreifend verändert. Er schreibt: »Approximately 1 million Black men are currently under some form of correctional supervision. And the hip-hop generation is suffering the greatest casualties; approximately one-third of all Black males age 20–29 are incarcerated, or on probation, or on parole. In the past two decades, few issues have altered Black life as much as the incarceration of young Blacks.« (Kitwana 2002: 54f.)

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produced over the last several decades, including Ice-T, N.W.A., Snoop Dogg, Tupac Shakur, the Notorious B.I.G., Jay-Z, 50Cent, and others. If there is a dark upside to the crack cocaine epidemic that raged through black communities beginning in the 1980s, arguably this is it, but it came at a tremendous cost and benefited relatively few people compared to the many more lives it destroyed.« (White 2011: 76)

Auch Dyson (2004: 141) bemerkt, dass sich junge Schwarze Männer in »inner city communities« im Kontext von Crack und Straßenkriminalität in einer »vicious subculture of crime« wiederfanden, die sich durch ihre gemeinschaftsstiftende und anerkennungstheoretische Dimension bezeichnenderweise selbst aufrechterhielt. Aus dieser soziokulturellen Gemengelage rührt auch der Misstrauens-Topos, der sich auf unterschiedliche Art und Weise in Raptexten rund um den Globus finden lässt. Kitwana (2002: 68ff.) spricht in diesem Zusammenhang auch von dem sog. ›snitch-factor‹: Der bewusste Einsatz Schwarzer Informanten durch die Staatsmacht schürte nämlich nicht nur eine Atmosphäre der Angst, sondern hatte ebenso gravierende Folgen auf zwischenmenschliche Beziehungen innerhalb Schwarzer Communities und Nachbarschaften: »[T]he use of informants in the war on drugs has turned lifetime friends, neighbors, and acquaintances against one another, as well as brother against brother. Given the extent to which the war on drugs has permeated the hip-hop generation – through high rates of arrest and conviction for drug crimes at the state and federal level – this has certainly challenged ideas of friendship, family loyalty, and community cohesiveness among this generation« (Kitwana 2002: 70).

Die perfide Informantenpolitik (»[t]hey’re using your cousins and brothers and friends to set you up«, ebd.: 71), unverhältnismäßig hohe Inhaftierungsraten Schwarzer Menschen und die Heftigkeit, mit der die Polizei gegen die Menschen auf den Straßen vorging, verfestigten die ohnehin bereits bestehenden Vorurteile der Black community gegenüber dem Staat und der Polizei zusätzlich. Der fuck the police-Topos, wie er seither vor allem Gangsta-Rap-Texte kennzeichnet, wurde damit endgültig in den diskursiven Kanon des Rap eingeschrieben (vgl. den legendären Song ›Fuck tha Police‹ von N.W.A). Dass Geschlechter- und vor allem Männlichkeitsperformances von dieser feindseligen Szenerie nicht unberührt blieben, sich Härte und Hypermaskulinität als geradezu überlebensnotwendige Eigenschaften entpuppten, bemerkt auch White: »Whether young black males in these areas were dealing drugs, involved in gangs, or just innocent bystanders, mistrust and the adoption of hardness as a mask and a kind of street attitude became daily armor in a culture where they learned to view each other warily, since any of them were now potential assailants, targets, drug fiends, or



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undercover narc cops. The level of deceit, distrust, macho posturing, and violence became endemic to inner-city street culture and would eventually show up in songs that mirrored the ruptures, rifts, and ensuing ›beefs‹ between rival gang members, hustlers, rappers, and sometimes entire organizations.« (White 2011: 79)

Wie White bereits ausführt, finden die geschilderten Lebensrealitäten der hiphop generation ihren konsequenten Niederschlag in abertausenden von RapTracks, wobei sich die Herangehensweisen an die Thematik durchaus unterscheiden. Kurtis Blow/Run-DMC (,8 Million Stories‹, 1984), Grandmaster Flash and the Furious Five (›The Message‹, 1982) oder Public Enemy (›Night of the living Baseheads‹, 1988)2 wiesen kritisch auf die zerstörerischen Folgen von Drogen, Gang-Kriminalität und Gewalt hin, während Gruppen wie N.W.A. ein tendenziell eher »nihilistisches Gangster-Draufgängertum« repräsentierten, das auch Frauenfeindlichkeit umfasste (Ogbar 2018: 14). Gleichwohl sich die Schwarzen Männlichkeitsrepräsentationen von Public Enemy (Ostküste) und N.W.A. (Westküste) in ihrer Härte und Kompromisslosigkeit ähnelten und beide Gangsta-Rap-Gruppen auf ihre Art und Weise zu einer Politisierung des Rapgenres beitrugen, konnte sich der Stil und das zugehörige Rap-Männlichkeitsmodell der kalifornischen Rap-Gruppe N.W.A. schließlich langfristig durchsetzen (vgl. White 2011: 74f.). Ab den 1990er Jahren avancierte der nihilistische Gangsta-Rap à la N.W.A. zum Nonplusultra in Sachen Rap und verdrängte andere Spielarten in die kommerzielle Bedeutungslosigkeit. Dr. Dre, Eazy E., DJ Yella und Co verkörperten den bad nigger street swagger (ebd.: 75) und erschufen mit dem cult of the thug letztlich ein global verfügbares, rapmännliches Rahmennarrativ, das als innerszenisch hegemonial gelten darf und dem doing rap masculinity bis heute (sprach-)handlungsleitend zugrunde liegt (vgl. Kap. 7.5 und 8.3.3). 8.1.2 Coolness als Überlebensstrategie Cool Pose: The Dilemmas of Black Manhood in America heißt eine Monografie des US-amerikanischen Autor_innenpaars Majors/Mancini Billson (1992). Die cool pose wird darin als emanzipatorische Überlebensstrategie innerhalb einer von historischem Rassismus durchdrungenen sozialen Realität definiert. Am Nexus von masculinity und race handle es sich dabei um eine »ritualized form of masculinity that entails behaviors, scripts, physical posturing, impression management, and carefully crafted performances that deli 2 Eine Analyse zu ›Night of the living Baseheads‹ findet sich bei Rose (1994: 115ff.)

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ver a single, critical message: pride, strength, and control« (Majors/Mancini Billson 1992: 4). Die cool pose sei Ergebnis einer Art ›psychologischen Kastration‹ (»psychologically castrated«) und habe sich infolge politischer, sozialer und ökonomischer Exklusion durch ein hegemoniales weißes Patriarchat ausgebildet. Exklusionspraktiken, die insofern auch als vergeschlechtlicht zu verstehen sind, als dass Schwarzen Männern die Ausübung klassischer (patriarchaler) Männlichkeitsfunktionen lange verwehrt wurde. So zum Beispiel die Rolle als Versorger beziehungsweise Ernährer oder auch Beschützer von Frau und Familie. Auch sprachliche Exklusionspraktiken, wie die infantilisierende Anrede als boy sind hierunter zu subsumieren (vgl. Scharenberg 2001: 258). Die performative Praxis der cool pose umfasst auch eine Überbetonung des Phallozentrismus. Sie ist eine Antwort auf die historisch tradierte, rassifizierte Überdeterminierung Schwarzer Sexualität, die Schwarze Männlichkeit als triebhaft oder potent essentialisiert und gleichzeitig tabuisiert und verleugnet.3 Die hypermännliche, coole Pose dient der Wiedergewinnung von Stärke und Selbstbewusstsein, sowie von Kontrolle und Sicherheit (nicht nur aber auch) über den eigenen Schwarzen Körper und die eigene Sexualität (vgl. Majors/Mancini Billson 1992: 9). Sie hat jedoch auch ihre Schattenseiten. Denn die stete Aufrechterhaltung von Coolness und Härte (›toughness‹) mündet unter anderem in eine Maskierung von Emotionalität. Dies wirkte sich negativ auf zwischenmenschliche (Liebes)Beziehungen aus, führte zu ambivalenten Weiblichkeitsvorstellungen und einer Abwehr männlicher Homosexualität (Homophobie). Auch die erhöhte Affinität zum Gangwesen, eine generelle Abneigung gegenüber Bildung oder die Ablehnung von Hilfe oder Therapie werden als Konsequenzen der Empowermentstrategie benannt (ebd.: 40ff.). An dieser Stelle ist die Kritik vieler (Schwarzer) Feminist_innen sowie HipHop- und/oder Männlichkeitstheoretiker_innen anschlussfähig, die in der hypermaskulinen Pose die Übernahme und Reproduktion einer patriarchalen, weißen und unterdrückerischen Männlichkeit sehen (zum Beispiel hooks 2004: 4; Collins 2000; Rose 1994; vgl. auch Dyson 2004: 140 oder Martschukat/Stieglitz 2008: 64ff.).4 3 Zur Darstellung Schwarzer Geschlechtsstereotype im Film vgl. zum Beispiel Bogle (1973). Zur rassisierten Medienberichterstattung im Kontext von Rap und Männlichkeit siehe zum Beispiel Browns (2006) Ausführungen zu Allen Iverson in seinem Beitrag Welcome to the Terrordome. Exploring the Contradicitions of a Hip-Hop Black Masculinity. 4 An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass ›the plight of Black men‹ weder ahistorisch, noch ohne die Bezugnahme und sensible Kontextualisierung gegenüber der ›plight of black women‹ erfolgen kann, wie Dyson (2004: 140) kritisch anmerkt, und wie es eine Annahme der Relationalität von Geschlecht notwendig macht.



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8.1.3 Complex coolness – Schwarze Rap-Männlichkeiten zwischen Tradition und Transformation Bei einem Blick in die US-amerikanische (HipHop-Studies)Literatur zeigt sich, dass die cool pose-Theorie den tatsächlichen Männlichkeitskonstruktionen vieler Schwarzer Männer nicht gerecht wird. Vor allem Schwarze und selbst HipHop-sozialisierte Autor_innen und Wissenschaftler_innen – und hier gibt es Parallelen zu den Vertreter_innen des hip-hop feminism  – verweisen auf die Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten gegenwärtiger Schwarzer Männlichkeitskonstruktionen und analysieren diese am Beispiel Rap. Auch der HipHop-Forscher und Amerikanist Jeffries (2011) sieht die Unvereinbarkeiten im doing Black rap masculinity im Modell der cool pose von Majors/Mancini Billson (1992) zu wenig berücksichtigt und kritisiert vor allem dessen problemtheoretische Perspektive. Die cool pose performance werde zu einseitig als »pathological or tragic by definition« verstanden, was Schwarzen Männlichkeitskonstruktionen im Rap nicht standhalte (Jeffries 2011: 57). Jeffries bemüht sich deshalb um eine Modifikation des Konzepts und spricht stattdessen von einer sog. complex coolness. Er rückbezieht sich dabei vor allem auf die historischen Grundlagen der cool pose Theorie, die er bei dem Vertreter der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung W.E.B. Du Bois (1903), und dem Historiker Robert Farris Thompson (1974a, 1874b, 1966) verortet (vgl. Jeffries 2011: 58ff.). Für Du Bois (1903) stellt die Black coolness vor allem eine Notwendigkeit dar, die aus der Konfrontation mit Rassismus resultiert und schließlich in eine double consciousness mündet, die sich zwischen der sozialen Exklusion aus der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft bei gleichzeitiger Mitgliedschaft innerhalb Schwarzer Communities aufspannt. Innerhalb Schwarzafrikanischer Literatur wird diese Erfahrung oft durch die Metapher des Tragens einer Maske symbolisiert. Für Thompson (1974a, 1974b, 1966) wiederum stellt die Black coolness nicht nur eine Überlebensstrategie in Verbindung mit Rassismuserfahrung, sondern auch eine künstlerische Ausdrucksform im Rahmen tradierter afrikanischer Kulturtechniken dar. Als aesthetic of the cool weise das Black coolness-Konzept von Thompson demnach vielschichtigere Ebenen, wie zum Beispiel auch spirituelle Dimensionen auf, so Jeffries. Neben der mask of the cool zählt Thompson außerdem vier weitere Aspekte zu seiner cool philosophy, nämlich »visibility, luminosity of motion, smoothness, and rebirth/reincarnation« (Thompson 1974b, zit. nach Jeffries 2011: 59). Mit seiner complex coolness-Theorie verortet sich Jeffries nun einerseits in der historischen Tradition von Du Bois und

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Thompson, bezeichnet sein Konzept jedoch andererseits auch als »a new step in cool’s evolution«, das weit über seine Vorgängermodelle hinausgehe: »Complex coolness is more transparent than previous manifestations of black coolness. It openly foregrounds and sustains the conflicts of black American masculinity rather than concealing them, saturating these struggles in an appealing marinade of pride in one’s hip-hop skills and sensibilities. That is, hip-hop’s complex coolness is what allows commercially successful representations to simultaneously contain narratives about collective racial identity, political injustice, God and the afterlife, Cadillac Escalades, strip clubs, and drug money.« (Jeffries 2011: 60)

Am Beispiel der Figur des thug,5 wofür exemplarisch der Rapper Tupac stehen könne, so wie einiger weiterer erfolgreicher US-amerikanischer Rapper, arbeitet Jeffries heraus, dass die Rap-Männlichkeitsnarration der thug masculinity immer auch Schilderungen von Leid, Schuld, Liebe und (zuweilen auch mann-männlicher) Zuneigung beinhalte.6 Letztere zum Beispiel in Gestalt einer »platonic bond among thug brothers« (ebd.: 104f.). Durch ein »alternative reading« der Texte von Rapper 50Cent und Co ließe sich herausarbeiten, was die cool pose theory lediglich als Abwehrmechanismus und Schutzschild, eben als coole Pose identifiziere, nämlich die Tatsache, dass den rap-männlichen Erzählungen über das thug life und den zugehörigen »nihilistic lifestyle«, ein bedeutendes Maß an Selbstreflexion und »thuggisch vulnerability« innewohne (ebd.: 105). Die Möglichkeit der Inszenierung einer thuggish vulnerability ist dabei eng mit der Kulturtechnik des signifying und damit der diskursiven und performativen Dimension von Männlich 5 Der thug-Tropus wird oft synonym zum Begriff des gangstas verwendet. Beide Konzepte können als assoziiert mit ökonomischer Deprivilegierung, rassisierter Kriminalisierung und illegaler Beschäftigung gelten, weisen jedoch Unterschiede in ihrer historischen Verwendung auf. Als sich das Gangsta-Rap-Genre Anfang der 1990er Jahre zu kommerzialisieren begann, entwickelten sich zwei Strömungen mit jeweils zwei unterschiedlichen idealtypischen Protagonisten. So wird mit dem G-Funk gangsta seither vor allem Rapper und Produzent Dr. Dre und der von ihm geprägte Sound in Verbindung gebracht, während es der thug Begriff ermöglichte, das gangsta-Konzept auch auf »non-GFunk-rappers« außerhalb der Westküste auszuweiten (Jeffries 2011: 86). Mit Verweis auf Todd Boyd erklärt Jeffries, der Begriff thug stünde als Epitheton für den Ausdruck nigga und impliziere eine delinquente Schwarze Männlichkeit. Als vermeintlich neutraler Begriff sei thug (anders als nigga) öffentlich aussprechbar, verfestige aufgrund der rassisierten Konnotationen jedoch gleichsam Stereotype des bedrohlichen Schwarzen Mannes. Beide Begriffe seien mittlerweile seitens afroamerikanischer Sprechgemeinschaften zurückerobert worden. Das Wort nigga beispielsweise werde, so Jeffries, mittlerweile, als »term of endearment« benutzt (ebd.: 87). 6 Zu »Tupacs place in hip-hop« vgl. zum Beispiel Dyson (2004: 306-323).



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keit verknüpft, »[…] complexity is not only manifest in the discourse itself but is also produced by the style and character of indirect communication during performance« (ebd.: 61). Mit seiner complex coolness plädiert Jeffries also sowohl für eine Anerkennung der Komplexität und Polysemie der Diskurse, Performances und Bedeutungen des HipHop/Rap, als auch dafür, die Pluralität und Diversität Schwarzer Rap-Männlichkeiten stärker zu berücksichtigen. Durch den Ansatz sollen Momente alternativer, nicht-hegemonialer Männlichkeit im Kontext von HipHop/Rap konzeptuell besser erfasst werden können. Die toxischen Anteile Schwarzer Rap-Männlichkeit, wie sie sich etwa in der Prahlerei über die Ausbeutung von Frauen oder dem Fahren teurer Autos materialisierten, dürften dabei jedoch nicht außer Acht geraten. Denn bei der complex coolness handelt es sich nicht um eine Form progressiver Schwarzer Männlichkeit, im Sinne eines Abgesangs auf Sexismus, Machismus oder Rassismus, wie Jeffries (ebd.: 62) deutlich betont. Es sind genau diese Widersprüchlichkeiten des doing Black rap masculinity, die das modifizierte Coolness-Konzept einzufangen versucht und die dessen zentralen Eckpfeiler darstellen: »a coolness that is marked by its dissonance« (ebd.: 60). Auch der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Brown setzt sich kritisch mit Schwarzen Männlichkeiten im US-amerikanischen HipHop/ Rap auseinander und verortet deren Subjektkonstitution dabei zwischen den Polen von Progressivität und Regression: »A hip-hop identity embodies both progressive elements of racial pride and masculinity as well as regressive elements drawn from American culture.« (Brown 2006: 191) Brown macht vor allem drei dominante Identitätsmodelle aus, die über Schwarze Männlichkeiten in der gegenwärtigen (Pop)Kultur zirkulieren: »the race man«, repräsentiert durch Bill Cosby, »the new black aesthetics«, beispielhaft vertreten durch den Regisseur und Schauspieler Spike Lee und »the nigga«, für den Brown keinen idealtypischen Repräsentanten ausmachen kann, dessen Funktion jedoch in »articulating the voice and lifestyle of the truly disadvantaged« besteht (ebd.: 193f.). Vor allem die gegenwärtige popkulturelle Bedeutung des niggas verdeutliche, dass die Diskussion um Schwarze Männlichkeiten längst um die Klassendimension erweitert wurde. Ein Aspekt, den auch der Politikwissenschaftler und Nordamerikaexperte Scharenberg (2001: 261) hervorhebt, für den sich die Konstruktion des Black macho – als paradigmatisches Sinnbild des Zuhälters – an »einer besonderen Schnittstelle der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse von Klasse, ›Rasse‹ und Geschlecht« bewegt. Während Brown die Schwarzen

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Identitätsmodelle des race man und der new Black aesthetics längst in die (US-amerikanische) Mehrheitsgesellschaft integriert sieht, sei die hip-hop Black masculinity als gegenkulturelles Männlichkeitsmodell zu verstehen, das eher selten unter den Vorzeichen von Progressivität gelesen werde (vgl. Brown 2006: 194). Stattdessen würden sich die Diskussionen vor allem auf negative Aspekte, wie die Glorifizierung von Hypermaskulinität, die Reproduktion von Sexismus oder Gewaltverherrlichung fokussieren. Das emanzipatorische Potential, das sich aus einer hiphop-informierten Perspektive auf Schwarze Männlichkeiten ergeben könne, etwa im Hinblick auf kreative Neudefinitionen afroamerikanischer Kulturpraktiken, werde dabei ausgeklammert. Obgleich es Brown ähnlich wie Jeffries um einen ressourcenorientierten Blick auf Schwarze Männlichkeiten geht, versäumt auch er nicht, die problematischen ›regressiven‹ Aspekte Schwarzer HipHop-Männlichkeit ernst zu nehmen, wie sie sich unter anderem an einer Reproduktion weißer patriarchaler Strukturmuster oder auch einer übertriebenen Bezugnahme auf tradierte Kultur- und Sprachpraktiken wie jener des boasting, festmachen ließen. Mit diesem Rückgriff auf die »old tools of domination« (ebd.: 208) im Spannungsfeld von race, class und gender und einem Subjektivationsmodus, der sich zwischen Tradition (›regressive‹) und Transformation (›progressive‹) ansiedeln lässt, steht die Schwarze HipHop-Männlichkeit von Brown und Jeffries paradigmatisch für die Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen, wie sie die gegenwärtige Männlichkeitsforschung als konstitutives Merkmal zeitgenössischer Männlichkeitskonstruktionen herausarbeitet (vgl. zum Beispiel Connell 2005; Tholen 2011; Tunç 2012a; Erhart 2016; Böhnisch 2018). 8.1.4 Niggas, hustlers, playas, pimps – Dimensionen Schwarzer Rap-Männlichkeit »Most of the images in hip-hop reflect and confirm larger, accepted understandings of Black masculinity: the thug, the hustler, the playa, the nigga and the inmate or ex-con. That’s it. There’s little variation in popular culture«, schreibt die Soziologin und HipHop-Forscherin Clay (2012: 351f.). Wenngleich Coolness, Hypermaskulinität und Härte sicherlich das habituelle Zentrum der Rap-Männlichkeit bilden, so kennt die HipHop-Literatur dennoch einige verschiedene genrespezifische Verkörperungen dieses hegemonialen Habitus. Als besonders hypermaskuline Schwarze Rap-Männlich-



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keitsmodelle gelten der sog. nigga7 und der playa, die beide im US-amerikanischen Mainstream-Rap repräsentiert werden (vgl. ebd.: 352). Für Angehörige der HipHop-Generation sei der nigga »a man who is ›hard‹, or hardcore, and able to withstand the toughest of times« (ebd). Weiterhin gelte er als loyal und vertrauenswürdig, eine Einstellung, die sich in der oft geäußerten Phrase ›That’s my nigga‹ materialisiere. Als typische Repräsentanten des nigga-Images nennt Clay beispielhaft die Gangsta-Rapper 50Cent und The Game. Die nigga-Identität  – darauf verweisen dutzende Arbeiten aus den HipHop Studies – ist ähnlich wie die Figur des thug am Nexus von race, class und gender zu lokalisieren. Als ›Schwarze Unterschichten-Männlichkeit‹ definiert sie sich immer auch in Abgrenzung gegenüber einer Schwarzen Mittelschicht (vgl. zum Beispiel Scharenberg 2001: 247f.). Vor allem im Diskursuniversum des Gangsta-Rap wird häufig auf die von Malcolm X etablierte Unterscheidung zwischen dem field nigga und dem house nigga zurückgegriffen. Während ersterer als real nigga begriffen und dadurch aufgewertet würde, sähe sich letzterer dem Vorwurf einer Komplizenschaft mit weißen Machtstrukturen und damit der Aufrechterhaltung von Unterdrückung ausgesetzt (vgl. ebd.: 254ff.). Ähnlich wie die Figur des niggas funktioniert das Geschlechtsmodell des playas (oder auch pimps), dessen Männlichkeit sich besonders über heterosexuelles Begehren und die Dominanz über Frauen definiert: »Like the nigga, a playa is a person who forgets feelings, but instead of focusing on emotions like anger, rage, etc., the playa is all about getting what he can be it sex, money, or women. Sometimes used interchangeably with the term ›pimp‹, a playa is most often characterized as a heterosexual male who sleeps with a lot of women, has more than one woman on his arm in public settings, and is in control of all of his interactions with women. He is the one who dominates.« (Clay 2012: 352)

Das Image des hypermaskulinen playas kommt anschaulich in einer Zeile des Rappers 50Cent zum Ausdruck: In seinem Megahit ›In da Club‹ aus dem Jahr 2003 heißt es im Refrain: »I’m into having sex, not into making love«, was den Geschlechtsakt vor allem als Ausweis männlicher Potenz und weniger als einen mit Liebe und Gefühlen assoziierten (und demnach feminin codierten) Akt menschlichen Zusammenseins ausweist. Dass diese Variation des Hypermaskulinitäts-Topos (vgl. Wolbring 2015: 368ff.) – also die Behauptung einer Unvereinbarkeit von Liebe und Sexualität  – fester Bestandteil, globaler rap-männlicher Identitätsarbeit ist, zeigt sich auch im Prachtkerle-Remix, in 7 Zu Begriff und Figur des nigga im HipHop/Rap vgl. Judy (2012).

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dem Silla rappt: »Hab für diese ganzen Schlampen keine Liebe wie ein Mann« (vgl. Kap. 10.4). Die rap-männliche Figur des pimps, die hier von 50Cent und Silla gleichermaßen affirmiert wird, taucht oftmals auch unter der Bezeichnung hustler auf und verweist auf die Zeiten der Sklaverei und den Mythos um den Schwarzen Sagenhelden Stagolee (vgl. Scharenberg 2001: 252f.). Als Widerstandskämpfer setzte dieser sich durch den Gebrauch einer Waffe über die Restriktionen und Regeln der Weißen hinweg und begründete dadurch den Mythos des sog. »baaad Nigga«, wie er seither als sinnstiftender Bestandteil afroamerikanischer (Erzähl)Traditionen gelten könne. Im Gangsta-Rap erfuhr der Begriff nigga deshalb nicht nur eine positive Umdeutung, sondern funktioniert auch als identitätsstiftendes Synonym für Unterdrückte aus den Schwarzen Unterklassen (vgl. bad nigger street swagger von N.W.A., White 2011: 75; Ogbar 2018: 13ff.). White (2011: 64ff.) macht in diesem Zusammenhang auf die notwendige Unterscheidung zwischen »the black bad man« und dem »bad nigger« aufmerksam, die von John W. Roberts vorgenommen wurde (›From Trickster to Badman‹, 1990). Während ersterer als »truly heroic« gelte, da er sich für die Belange seiner Community einsetze, würde der »bad nigger« auch innerhalb der Schwarzen Community als Bedrohung wahrgenommen. Als »outsider in both communities« kämpfe der »bad nigger« – so der Mythos – nur für seinen eigenen Vorteil und schrecke dabei nicht vor Gewalt gegenüber anderen Schwarzen zurück (ebd.: 65). Am Nexus von race und class ist schließlich auch die im Diskursuniversum Rap vielfach zitierte rap-männliche Identifikationsfigur des sog. hustlers zu verorten, die sich grob als ›kleinkrimineller Tagelöhner‹ beschreiben lässt (vgl. Seeliger 2013: 108). Dieses feldspezifische Männlichkeitsmodell wird zu einem späteren Zeitpunkt dieser Arbeit auch mit dem ›Projektemacher‹ zusammen diskutiert, den Scholz (2015: 108f.) im Zuge des Wandels im Erwerbssystem als alternative-Männlichkeit herausarbeitet (vgl. Kap. 8.5.4).

8.2 Lokale Kontexte: Deutschland als Migrationsgesellschaft Im Hinblick auf deutschsprachige Rap-Männlichkeitskonstruktionen bilden die soziokulturellen und politischen Rahmenbedingungen der deutschen Migrationsgesellschaft eine wichtige Verstehensdimension. Als ›hybride Kultur‹ ist HipHop/Rap »geprägt durch ein kulturelles Spannungsfeld zwischen afroamerikanischer ›Ghetto-Kultur‹ und lokaler Kulturtradition sowie zwi-



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schen US-amerikanischer Popkultur und der Herkunftskultur der Jugendlichen« (Klein/Friedrich 2003a: 9). Will man deutschsprachige Rap-Männlichkeitskonstruktionen verstehen, gilt es also im Blick zu behalten, dass der Ursprung dieser Kultur in der »Erfahrung ethnischer Differenz« gesehen wird (ebd.: 82), was die Erfahrung von Klassenantagonismen, wie sie andere Musikszenen und Subkulturen kennzeichnet, freilich nicht obsolet macht. Dass der Kontext der Migration für die Entwicklung des deutschsprachigen HipHop, Rap und insbesondere Gangsta-Rap von enormer Bedeutung ist, darf mit Recht als Konsens innerhalb der deutschsprachigen HipHop-Forschung bezeichnet werden. Im Gegenteil ist es nicht unüblich, die Genese des Musikgenres in Zusammenschau mit migrationspolitisch relevanten Ereignissen zu erzählen (vgl. z. B. Loh/Güngör 2002; Verlan/Loh 2006; Androutsopoulos 2010; Saied 2012; Seeliger 2013 u. v. a. m.). 8.2.1 Deutscher Rap als Migrationsgeschichte Besonders die HipHop-Chronisten Verlan, Loh und Güngör verweisen in ihren Publikationen eindringlich auf die Pionierleistung junger Menschen mit Migrationsgeschichte, auf die das Musikgenre von Anfang an eine enorme Faszination ausübte: »HipHop hatte von Beginn an eine besondere Anziehungskraft auf die Söhne und Töchter der zweiten Migrantengeneration. Weit über die Hälfte der HipHops waren junge Türken, Kurden, Jugoslawen, Griechen oder Italiener. Für sie tauchten plötzlich mit Crazy Legs oder Melle Mel Figuren auf, wie sie im sauber abgesteckten Kulturrahmen in Deutschland nicht vorkamen; in Beat Street und Wild Style begegneten ihnen Charaktere, die ein Leben führten, das dem ihren nicht unähnlich war: keine großen, weißen Wohnungen, wo Mama und Papa ihren Kindern abends aus Märchenbüchern vorlasen, keine sauberen Vorortwohngegenden, sondern allein erziehende Mütter, enge Zimmer und viel Straße.« (Verlan/Loh 2006: 162f.)

Die Erfahrung einer intersubjektiv geteilten, gesellschaftlich marginalisierten Daseinsform, die alltagskulturelle Konfrontation mit Rassismus und Ausgrenzung, aber auch die Niedrigschwelligkeit der hiphop-kulturellen Elemente gelten als ausschlaggebend für die besonders hohe Attraktivität des HipHop/Rap unter jungen, meist männlichen Menschen mit Migrationsgeschichte (vgl. zum Beispiel Androutsopoulos 2003a: 12; Loh/Güngör 2002: 91ff). Raptexte, die sich im weitesten Sinne mit dem Aufwachsen in der Migrationssituation beschäftigen, sind deshalb bereits lange vor Etablierung des Gangsta-Subgenres konstitutiver Bestandteil des Diskursuniversums Deutschrap. Bemerkens-

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wert ist, dass diese Erfahrungen anfangs nicht etwa auf Deutsch, sondern in der Sprache der jeweiligen elterlichen Herkunftsländer oder in englischer Sprache realisiert wurden (vgl. Loh/Güngör 2002: 52; auch Seeliger 2013: 61). In Anlehnung an Güngör/Loh (2002) definiert der Soziolinguist Androutsopoulos (2010: 22f.) drei zeithistorische Phasen des sog. migrant hiphop8 in Deutschland. Die späten 1980er und frühen 1990er Jahre standen demnach vor dem Hintergrund der fremdenfeindlichen Ereignisse in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, wodurch in dieser ersten Phase das Subgenre ›Message-Rap‹ dominierte. Der Titel ›Fremd im eigenen Land‹ (1992) der Heidelberger Rap-Crew Advanced Chemistry gilt als paradigmatisch für diese Zeitspanne. Die Kulturwissenschaftlerin Menrath (2001: 58) konstatiert, dass dieser Track »für lange Zeit eines der wenigen explizit antirassistischen Stücke sein [sollte], die größeren Erfolg in den Medien hatten.« In den darauffolgenden Jahren ist deutschsprachiger Rap nach Androutsopoulos von einem ›reaktiven Nationalismus‹ gekennzeichnet (›reactive nationalism‹): Infolge des wiedererstarkenden Nationalismus innerhalb der deutschen Aufnahmegesellschaft verweisen viele Rapper_innen mit Migrationsgeschichte in dieser Zeitspanne explizit auf ihre nicht-deutsche Herkunft. Diese zweite Phase (ca. Mitte der 1990er Jahre) kennzeichne eine erhöhte Experimentierfreude, für die das Sampling orientalischer Versatzstücke oder das Rappen in der jeweiligen Herkunftssprache charakteristisch sei. In dieser Zeit etablierte sich das (medial (re)produzierte) Label ›Oriental Rap‹, das fortan zur Bezeichnung all jener Produktionen verwendet wurde, die den Anschein von Exotismus und/oder Orientalismus erweckten. Bezeichnungen wie ›Oriental Rap‹ oder auch ›Türkenrap‹ deuten bereits an, dass sich türkische/türkischdeutsche Rap-Gruppen Mitte der 1990er Jahre mit allerlei Zuschreibungen konfrontiert sahen: »Türkischer HipHop scheint qua Lebenssituation per se politisch«, schreiben Klein/Friedrich (2003a: 73), die bezüglich der Wahrnehmung des deutsch-türkischen HipHop vor allem die Assoziationskette ›Ghetto – Aggression – Kriminalität – Gewalt‹ konstatieren. Zwar wurde Rap von ethnischen Minderheiten einerseits als authentischer eingestuft, gleichzeitig warf man türkischen Rap-Gruppen eine unreflektierte Identifikation mit dem 8 Der Oberbegriff migrant hiphop bezieht sich weniger auf demografische Fakten von Szenegänger_innen, als vielmehr auf deren Selbstidentifikation mit einer ethnischen Gruppe, sowie auf Narrationen die sich im weitesten Sinne mit dem Themenkomplex ›Migration‹ und damit potentiell einhergehenden Erfahrungen wie Diskriminierung, Rassismus und (hybrider) Identitätsarbeit auseinandersetzen (vgl. Androutsopoulos 2010: 21f.).



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US-amerikanischen Rap vor, die sich unter anderem in der Rückeroberung des ›Kanaken-Begriffs‹ manifestiere (vgl. auch Weller 2003: 31f.; auch Loh/ Güngör 2002: 28ff.). Verlan, Loh und Güngör sprechen in diesem Zusammenhang von einer (medial forcierten) Homogenisierung, die eine Spaltung von Rapmusik in ›Deutschrap‹ auf der einen und ›Oriental HipHop‹ auf der anderen Seite zur Folge hatte. Ersterer wurde vor allem von Gruppen wie Die Fantastischen Vier repräsentiert, denen ein Großteil der damaligen Szene (auch deshalb) eher kritisch gegenüberstand (Verlan/Loh 2006: 229f.; Loh/Güngör 2002: 184; vgl. auch Klein/Friedrich 2003a: 53ff.).9 Kaya (2003: 254) sieht in dem ›Oriental Rap‹ türkischer Gruppen wie Islamic Force eine »musikalische Form der Bricolage«, in der sich lokale türkische Volks- und Popmusiktraditionen sowie Arabeske mit den globalen Rhythmen und Beats von Rapmusik vermischten. Für Verlan/Loh (2015: 94) liefert die deutsch-türkische Rap-Gruppe Cartel die »konsequenteste Antwort auf die Nationalisierung von Rap in Deutschland«. Auch weil sie mit ihren türkischen Texten besonders jene jungen Migrant_innen begeisterte, die sich im »deutschen Sprechgesang« à la Fanta 4 und Co nicht wiederfanden.10 Mit ihrem gleichnamigen Album konnten Cartel im Jahr 1995 9 Den kommerziellen Erfolg des ›Mittelstands-Rap‹ à la Die Fantastischen Vier Anfang der 1990er Jahre empfanden viele Szenegänger_innen als Zäsur. Nicht nur gelangte auf diese Weise die bis dato wenig relevante Kategorie der nationalen Identität bzw. das DeutschSein in den Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit. Auch überlagerte der Erfolg der Gruppe, die sich wenig mit den Werten des HipHop identifizierten, die Pionierleistung vieler junger Menschen mit Migrationsgeschichte. Dazu die HipHop-Chronisten Verlan/Loh (2015: 271f.): »Vergessen wurde aber, dass es benachteiligte Jugendliche auch in Deutschland gibt, die HipHop aus ihrer sozialen Situation heraus für sich entdeckt hatten. Die Unterschiede zwischen den Fantastischen Vier und dem Rest der Szene hätten größer kaum sein können. Erst mit dem Erfolg der Fantastischen Vier kam dann auch die Frage auf, was HipHop hier in Deutschland eigentlich zu suchen hat, diese Protestkultur von benachteiligten ethnischen Minderheiten aus den US-amerikanischen Großstadtgettos. Dieses Legitimationsproblem hatte es vorher in der Szene nie gegeben. Die HipHops aus Deutschland waren ein selbstverständlicher Teil einer weltweit verbreiteten Jugendkultur […], da gab es keine nationalen Grenzen, schon gar keine nationale Abgrenzung. Alle waren sich einig über die gemeinsamen Grundwerte, jeder wurde gleichermaßen anerkannt, egal, woher er kam. […] Da aber die Fantastischen Vier von den Medien als Repräsentanten der neuen Kultur angesehen wurden, mussten sich plötzlich auch die übrigen HipHops in Deutschland rechtfertigen. […] Sie wurden zum Maßstab und machten immer wieder klar: HipHop in Deutschland ist etwas ganz anderes als in den USA.« 10 Nebst Cartel bezogen zu jener Zeit auch zahlreiche weitere afrodeutsche und deutsch-türkische Rap-Gruppen explizit Stellung und äußerten sich infolge der rassistischen Pogrome kritisch. Darunter Fresh Familee, TCA/Microphone Mafia oder die Asiatic Warriors.

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zwar sowohl in Deutschland als auch in der Türkei große Erfolge feiern. Der kommerzielle Rap-Mainstream blieb hierzulande aber dennoch von weißen Rappern ohne Migrationsgeschichte dominiert. Etwa ab der Jahrtausendwende setzte eine Diversifizierung des deutschsprachigen Rap ein, in deren Folge auch Rapper mit Migrationshintergrund zu erhöhter Sichtbarkeit im Mainstream gelangten (vgl. Androutsopoulos 2010: 22). Im Hinblick auf die Thematisierung migrationsspezifischer Topoi zeichne sich diese dritte Phase des migrant hiphop durch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen aus. Dem rassismuskritischen Zusammenschluss um die sog. Brothers Keepers und ihrer Auseinandersetzung mit afrodeutschen Identitäten stehen hier insbesondere die Berliner und Frankfurter Rap-Szene gegenüber, deren Protagonisten sich vornehmlich im Bereich Battle- und Gangsta-Rap verorten lassen. Die Auseinandersetzung mit der jeweiligen Migrationssituation fand zu dieser Zeit eher beiläufig statt beziehungsweise wich der Überbetonung der lokalen Identität beziehungsweise der Relevanzsetzung der Kategorie Sozialraum, was gleichzeitig den zentralen thematischen Bezugspunkt der Sprechakte des Subgenres Gangsta-Rap darstellt (vgl. ebd.: 23; auch Seeliger 2013: 50ff; Wolbring 2015: 380f. oder Dietrich 2015b: 302ff.). Dennoch gibt es auch ab dem Jahr 2000 Rap-Künstler, die ihre Migrationsgeschichte mehr oder weniger explizit zum Thema machen, wie zum Beispiel der Rapper Eko Fresh (vgl. Androutsopoulos 2010: 23). Während Menrath (2001: 59) im Jahr 2001 noch konstatiert, dass es vor allem einen kommerziell sichtbaren deutschsprachigen Rap-Mainstream und »eine kaum vermarktbare MigrantInnenHipHop-Szene« gibt, so änderte sich diese Situation ab der Jahrtausendwende schlagartig. In diesem Zusammenhang wird oft auf den Frankfurter Rapper Azad und dessen Single ›Napalm‹ verwiesen. Sein aggressiver Rapstil und die bedrohliche, düstere Ästhetik, die das zugehörige Musikvideo transportierte, gelten als wegweisend für das zu diesem Zeitpunkt gerade in Entstehung befindliche, deutschsprachige Gangsta-Rap-Genre und führten zu einer nachhaltigen Veränderung der Repräsentationsverhältnisse des deutschsprachigen Rap: »Auf dem Zenit der medialen Selbstverliebtheit in das folgsame Ziehkind ›DeutschRap‹ kippte allerdings die Stimmung. Die kleinen Brüder der gutmütigen Alis, die man freundlich für ihr multikulturelles Engagement gelobt und dann beiseite geschoben hatte, kehrten zurück. Und sie kamen nicht, um sich zu beschweren. Sie kamen als wütende ›Kanaken‹ mit Baseballschläger und Hassmaske« (Verlan/Loh 2015: 94).



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8.2.2 Deutschsprachiger Gangsta-Rap (als Migrationsgeschichte) Die Soziolinguistin Terkourafi (2010a: 330) definiert Gangsta-Rap als »a style of rap that portrays ghetto life, characterized by violence, criminal activity, and urban ghetto experience.« In der Literatur kursieren recht unterschiedliche Begrifflichkeiten um diese Spielart des Rap begrifflich zu fassen, so zum Beispiel street rap (also ›Straßen-Rap‹), reality rap oder auch hardcore rap. Das AutorenDuo Verlan/Loh (2006: 126) bezeichnet Gangsta-Rap als »die dunkle Seite des Message Rap«, während die Kategorisierung eines Raps als Gangsta-Rap für den Musikjournalisten Szillus letztlich eine Frage der Perspektive ist: »Wenn man von Gangsta-Rap spricht, dann geht es in erster Linie um ein Gefühl. Nicht – wie man meinen könnte – um ein festes Genre, dessen Substanz und Charakteristika man trennscharf abgrenzen könnte. Sondern um ein Subgenre der HipHop-Kultur respektive der Rap-Musik, das sich vor allem über bestimmte Stilmittel, Themenfelder und Sprachcodes definiert. Ob ein Song oder ein Künstler als Gangsta-Rap(per) zu kategorisieren ist, liegt in vielen Fällen im Auge des Betrachters und ist damit auch von dessen Sozialisation und Perspektive abhängig.« (Szillus 2012: 41)

In den Vereinigten Staaten begannen Rapper und Rap-Gruppen wie Ice-T oder KRS-One bereits ab Mitte der 1980er Jahre »den rohen Tonfall der Straße in ihre Musik zu integrieren«, während die Niggaz Wit Attitudes (N.W.A.) mit ›Straight Outta Compton‹ (1988) einige Jahre später letztlich die Blaupause des Gangsta-Rap lieferten (Szillus 2012: 42).11 Es mag aus heutiger Sicht überraschend klingen, aber tatsächlich gab es in Deutschland vor dem Jahr 1993 schlichtweg nichts, was man mit dem Label ›Gangsta-Rap‹ hätte versehen können »und auch keine Ansätze für die Adaption dieses Phänomens« (Szillus 2012: 42). Erst mit fast einer Dekade Verzögerung wurde das Subgenre des Gangsta-Rap von deutschsprachigen Künstlern adaptiert und rekontextualisiert. Als Gründe für diese Verzögerung kann zum einen über eine wahrgenommene Unvereinbarkeit des Gangsta-Rap mit den Werten der HipHop-Kultur spekuliert werden. Eine Ansicht, die nachfolgendes Zitat von DJ Cutsfaster wohl am eindrücklichsten beschreibt: »HipHop will doch die Leute aufrütteln, sich Gedanken über diese Welt zu machen und sie zu verändern. Das ist die große Botschaft der HipHop-Bewegung. Und da ist es fatal, dass ausgerechnet so was wie Gangsta- Rap zum Hit wird, dieses Missverständnis der Battle- Kultur.« (Verlan/Loh 2006: 158)

11 Eine kurze Geschichte des US-amerikanischen Gangsta-Rap findet sich zum Beispiel bei Saied (2012: 38ff.) oder Dietrich (2015a: 229ff.). vgl. außerdem kritisch Rose (2008).

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Zum anderen wird eine zu geringe Identifikation mit den im US-Gangsta-Genre porträtierten Lebenswelten vermutet, bildeten Gang-Kriege, Crack-Babies oder minderjährige drogensüchtige Mütter den Alltag deutscher Großstädte doch nur bedingt ab und ging man doch davon aus, »dass Eazy-E und Ice Cube tatsächlich raubend, mordend, plündernd und brandschatzend durch ihr Viertel in Los Angeles zogen, in dem die Polizei nichts zu melden hatte, solange sie nicht selbst ihre berufsethischen Regeln über Bord warf und die brutalen Methoden der Gang-Mitglieder übernahm« (Szillus 2012: 43).12 Für Güngör/Loh (2017: 215f.) war die Entwicklung eines deutschen Gangsta-Rap-Ablegers vor allem aufgrund zweier Diskurse blockiert: Erstens aufgrund der Assoziation von Rap mit der Gruppe Die Fantastischen Vier und der damit einhergehenden Annahme, Rap von der Straße könne in Deutschland nicht authentisch sein. Und zweitens aufgrund der Unterstellung, Rapper mit Migrationshintergrund würden Rap per se als (politisches) Sprachrohr im Identitätsdilemma zwischen Herkunfts- und Aufnahmegesellschaft nutzen (vgl. Klein/Friedrich 2003a: 70ff.). In etwa um das Jahr 1993 konnte der neue Rap-Stil um N.W.A, Snoop Doog, Tupac und Notorious B.I.G. schließlich doch allmählich Fuß fassen und lieferte dabei im deutschen Kontext vor allem zwei wichtige Identifikationsfolien: »Auf der Ebene der kollektiven und sozialen Ordnung die Streetgang, auf der Ebene der individuellen und ökonomischen Ordnung die Figur des Hustlers« (Güngör/Loh 2017: 215). Auch Dietrich (2015b: 307f.), der den deutschsprachigen Gangsta-Rap auf der Folie von Adaption und Neukontextualisierung des US-amerikanischen Vorbilds diskutiert, arbeitet das Narrativ des ›from nothing to something‹ (mit kriminellen Mitteln) und die Funktion der ›Hood‹ als Raum »an dem abweichende Praxen und Orientierungen die Regel darstellen« und der letztlich die Opposition zwischen Schwarz und weiß symbolisiert, als grundlegende Merkmale der deutschen Gangsta-RapVariante heraus.13

12 Wobei es natürlich auch innerhalb deutscher Großstädte multiethnische Jugendbanden und Straßengangs gab. vgl. dazu die Studie von Tertilt (1996) zu den Turkish Power Boys. Zu ›HipHop und Gangkultur‹ vgl. auch Verlan/Loh (2015: 188ff.). 13 Als ›grundlegende Inszenierungsfigur‹ benennt Dietrich (2015b: 308) ferner einen »demonstrative[n] Stolz auf die Devianz als Subversionsstrategie« sowie gewisse »Fähigkeiten des Rappers«, die vor allem »Herkunftsbewusstsein, Härte, Beherrschung feldspezifischer Sprachspiele und Praxen« umfassten.



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Pionier_innen Laut Musikjournalist Szillus (2012: 44ff.) fand der US-amerikanische Gangsta-Rap mit dem Frankfurter Rödelheim Hartreim Projekt (RHP) seine ersten deutschsprachigen Nachahmer. Als diametraler Gegenspieler zu Die Fantastischen Vier stieß RHP zwar ebenfalls zunächst auf Ablehnung innerhalb der Szene. Dennoch konnte die Formation um Rapper und Produzent Moses P. mit ihrem ungewohnt harten Straßenslang und rüpelhaften Auftreten im Stil US-amerikanischer Vorbilder einige kurzlebige Achtungserfolge im Mainstream feiern. Für das Album Direkt aus Rödelheim (1994) erhielten die Frankfurter immerhin eine Goldene Schallplatte (> 250.000 verkaufte Exemplare). Unter dem Pseudonym Schwester S. veröffentlichte zu dieser Zeit außerdem Sabrina Setlur ihr Debütalbum S ist soweit (1995). Mit Bomberjacke, Baggy Pants und grimmiger Mimik rappte die Tochter indischer Einwanderer darauf Zeilen wie: »Wie Trauben zerquetsch ich dich mit einer Hand … […] Who the fuck are you?« (›Hier kommt die Schwester‹, 1995). Sabrina Setlur kann deshalb ungeachtet ihrer späteren musikalischen Entwicklung in Richtung Pop ebenso zu den Wegbereiter_innen des Subgenres gezählt werden und stellte außerdem eine erste wichtige weibliche Identifikations- und Repräsentationsfigur (of Color) im Rap bereit. Auch dem Sprechgesangs-Trio TicTacToe darf man im Hinblick auf Attitüde, Ästhetik und (Sprach-)Stil eine gewisse weibliche Pionierleistung zuschreiben, wenngleich es sich bei Jazzy, Ricky und Lee, deren Erfolge vor allem um 1996/1997 stattfanden, um eine gecastete sog. ›Girl Group‹ ohne HipHop-Bezug handelte. Szillus, dessen chronologische Rekonstruktion des deutschen GangstaRap-Subgenres weitgehend ohne die Nennung weiblicher Akteurinnen auskommt, zählt als nächstes die Rap-Crew 4 4 Da Mess (beziehungsweise später Da Fource) um Rapper Charnell zu den Wegbereitern des Genres (vgl. auch Templeton 2007: 190ff.).14 Schließlich wird der bereits erwähnte in Iran geborene, Frankfurter Rapper Azad als wichtiger Pionier des Subgenres genannt, obgleich dessen kommerzieller Erfolg erst mit einigen bis heute bekannten Berliner Künstlern einsetzte (vgl. Azads bahnbrechende Sin 14 Unter Berücksichtigung weiterer feldspezifisch relevanter Kategorien wie zum Beispiel ›Region‹ könnte man sicherlich diverse weitere Rapper_innen und Rap-Crews zu den Pionier_innen des Subgenres Gangsta-Rap rechnen. Aus einer bayerischen Perspektive etwa die Münchner Rap-Crew Feinkost Paranoia, die bereits ab 1995 Einblicke in süddeutsche Lebensprekaritäten gab und mit ihren roughen und pornographischen Texten – auch außerhalb Bayerns – für Aufmerksamkeit in der noch kleinen deutschsprachigen Rap-Szene sorgte.

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gle ›Napalm‹ aus dem Jahr 2000). Neben RHP, Da Fource und Azad muss laut Szillus (2012: 50ff.) auch eine gewisse ›Berliner Untergrund-Ursuppe‹ zu den Wegbereitern des heutigen Gangsta-Rap gerechnet werden. In Deutschlands Hauptstadt nämlich »brodelte« es bereits seit Ende der neunziger Jahre (ebd.). Hier koexistierten und kollaborierten verschiedentlich organisierte, lose Netzwerke wie die »Graffiti- und Randale-Crew Berlin Crime (BC)«, das Label Bassboxxx,15 aber auch der sog. Royal Bunker, eine Art FreestyleCafé, das später in ein gleichnamiges Label überführt und von HipHop-Aktivist Marcus Staiger gemanagt wurde. Nach einigen Untergrund-Veröffentlichungen, die vor allem über Musikkassetten und Mixtapes16 Verbreitung fanden, war es vor allem Battle-Rapper Kool Savas, der als lyrischer Tabubrecher zu einem weiteren wichtigen Pionier der neuen deutschsprachigen Spielart avancierte. Als Duo Westberlin Maskulin veröffentlichte er zusammen mit dem afrodeutschen MC Taktlo$$ Ende der Neunziger Jahre stilprägende Battle-Rap-Platten, die sich grundlegend von den damaligen RapMainstream-Produktionen um Freundeskreis, Fünf Sterne Deluxe oder Die Absolute Beginner unterschieden. Kool Savas’ Songs ›Lutsch meinen Schwanz‹ (auch ›LMS‹) (1999) oder ›Schwule Rapper‹ (1999) ließen die Tabugrenze des Sagbaren im Diskursuniversum Deutschrap auf einen nie dagewesenen Tiefstand sinken und gelten bis heute als legendäre Untergrund-Hymnen. Die HipHop-Geschichtsschreiber Verlan/Loh (2015) und Güngör/Loh (2002) kritisieren diese ›neue Härte‹ im deutschsprachigen Rap auch insofern, als dass sie unterschiedlichen Formen von Diskriminierung wie zum Beispiel auch Antisemitismus, Tür und Tor öffnete. Zur sicherlich unbestrittenen Pionierleistung des Battle-Rappers Kool Savas ist m. E. hinzuzufügen, dass dieser über lange Jahre von einer Frau, nämlich der Berlinerin Melbeatz produziert wurde. Die ehemalige Graffiti-Sprüherin produzierte auch für andere männliche Berliner Untergrundlegenden und darf ebenso zu den Pionier_innen des Subgenres gerechnet werden. 15 Zum labelartigen Zusammenschluss Bassboxx und seiner Bedeutung für deutschsprachigen Rap vgl. einen umfassend recherchierten Artikel von Lehrke (2018) in der Zeitschrift Juice. 16 Zum Medium des Mixtapes schreibt Wolbring (2015: 309): »Mixtapes sind eine besondere, raptypische Veröffentlichungsform. Ursprünglich über Musikkassetten […] vertrieben, haben sie normalerweise eine ähnliche Spielzeit wie Alben. Das besondere an Mixtapes ist, dass die Rap-Songs oder auch einzelne Rap-Parts so aneinander gemischt werden, dass sie weitestgehend bruchlos ineinander übergehen. […] Insgesamt stehen sie in dem Ruf, weniger ambitionierte und ausgefeilte Raps bzw. Rap-Songs zu enthalten als Alben.«



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Gangsta-Rap à la Aggro Berlin Was heute gemeinhin mit dem Label ›Gangsta-Rap‹ assoziiert wird, gründet vor allem auf einem weiteren, höchst erfolgreichen Phänomen, das sich aus der bereits genannten ›Berliner Untergrund-Ursuppe‹ heraus entwickelte. Es ebnete den Weg eines Subgenres, das in der Folge nicht nur alle übrigen ›Elemente‹ des HipHop, sondern auch sämtliche andere Rap-Spielarten aufmerksamkeitsökonomisch überlagern sollte: Die Rede ist von Gangsta-Rap à la Aggro Berlin. Das 2001 gegründete Berliner Label kann mit Szillus (2012: 52) als erstes Label gelten, das »es schaffte, die inhaltlichen Innovationen der Jahrtausendwende in kommerziell verwertbare Produkte zu kanalisieren«. Mit der Etablierung provokativer Images (Rapper B-Tight als ›Neger‹, Rapper Fler als weißer Unterschichts-Proll, Bushido als kleinkrimineller Ausländer usw.), aggressiver Ästhetik und Inhalten, die bewusst die Grenze des Sag- und Tolerierbaren ausloteten, erlangte das Label über Jahre hinweg breite mediale Aufmerksamkeit. Auch die Rapperin Kitty Kat war Teil des männlich geführten und dominierten Labels. Bereits ab 2006 war sie auf verschiedenen Veröffentlichungen als Feature zu hören und erregte vor allem durch ihre sexualisierten Punchlines Aufsehen (z. B. ›Weihnachtssong‹-Remix, 2006). In einer geschlechtersensiblen Geschichtsschreibung des deutschen Gangsta-Rap darf die Aggro Berlin-Rapperin sicherlich nicht fehlen – auch deshalb nicht, weil sie mit ausgefeilten Rap-Fähigkeiten bestechen konnte. Güngör/Loh (2017: 216) sprechen im Fall von Aggro Berlin von einer Verschiebung der Sprecherposition im Deutschrap, die auch durch den Erfolgssong ›Mein Block‹ von Rapper Sido ausgelöst wurde, denn »[j]etzt rückt das ›Getto‹, der ›soziale Brennpunkt‹ in den Fokus und konfrontiert die Mehrheitsgesellschaft mit den realen und imaginierten prekären Orten und Menschen im eigenen Land« (Güngör/Loh 2017: 216). Durch das bewusste Bedienen rassistischer und klassistischer Klischees über (Post-)Migranten wurde die Sozialfigur des Gangsta-Rappers auch zum ›symbolischen Platzhalter‹ eines ohnehin seit Jahren defizitär geführten Diskurses über migrantische Männlichkeiten, aus dessen Diskursuniversum sich die kulturellen Referenzen des Subgenres gleichsam speisen (vgl. dazu Seeliger/Dietrich 2012: 32ff.; Seeliger 2013: 93ff.). Dabei zeitigt die deutsche Variante des migrantisch dominierten Gangsta-Rap eine ähnliche Wirkung wie jene des vornehmlich Schwarzen US-Gangsta-Rap, nämlich »eine Begeisterung der jungen bürgerlichen Kids für die Musik der Gangsta-Rapper« (Güngör/Loh 2017: 216; vgl. für die USA v. a. Rose 2008). Nebst Sido, der mit der Verkörperung des ›Outlaw-Typus‹ zur Identifikationsfläche vieler Jugendlicher »mit

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ihrem typischen Drang zur Abgrenzung vom gesellschaftlichen Establishment« (Szillus 2012: 54) avancierte, gab es zu dieser Zeit nur einen Rapper, der ähnlich viele Platten verkaufen konnte und sich damit zwischenzeitlich zum größten Gegenspieler Sidos entwickelte: Bushido. Bereits in der Kindheit mit Gewalt und elterlichem Alkoholismus konfrontiert (vgl. Seeliger 2017: 44; Bendel/Röper 2017: 110), verdingte sich das »größte Phänomen, das deutscher Gangsta-Rap hervorgebracht hat« in seiner Jugendzeit zunächst als Kleinkrimineller (Szillus 2012: 55). In einem Ausbildungsheim lernte der Sohn einer deutschen Mutter und eines tunesischen Vaters schließlich den Graffiti-Sprüher und späteren Rap-Kollegen Fler kennen. Das gemeinsame Album Carlo, Cokxxx, Nutten (kurz CCN), das die beiden Rapper unter den Pseudonymen Sonny Black (Bushido) und Frank White (Fler) im Jahr 2002 bei dem Label Aggro Berlin veröffentlichten, gilt bis heute als stilprägend für deutschsprachigen Gangsta-Rap. Tatsächlich vermitteln die auf CCN transportierten Messages und Bildwelten nicht nur eine aggressive Atmosphäre, die »den Hörer in eine dunkle, gefühllose Parallelwelt [entführten], in der schneller Sex und harte Drogen regierten« (Szillus 2012: 55), sondern öffneten mit Tracks wie ›Drogen, Sex, Gangbang‹ auch einer neuen Form von Sexismus und Misogyne Tür und Tor (»Fotze! Ich ficke dein Arsch während du kochst! Wie siehst du eigentlich aus? Geh ins Bad und mach dich hübsch!«). Den Höhepunkt seiner damaligen Karriere erreichte Bushido mit dem Album Vom Bordstein bis zur Skyline (2003), das unter vielen Szenegänger_innen bis heute Kultstatus genießt. Mit Electro Ghetto (2004), Staatsfeind Nr. 1 (2005), Heavy Metal Payback (2008), Sonny Black (2014) oder Black Friday (2017) veröffentlichte Bushido in der Folge bei Universal sowie beim Majorlabel Sony BMG zahlreiche weitere Alben, die ihm nebst kommerziellem Erfolg auch zahlreiche Musikpreise einbrachten. Der enorme Erfolg eines Bushido und die mit dem Gangsta-Subgenre einhergehende Zentrierung auf das eigene Viertel führte dazu, dass sich spätestens ab dem Jahr 2005 in ganz Deutschland lokale Rap-Formationen herausbildeten, die die ›gangstahafte‹ Repräsentation des eigenen Randbezirks ins Zentrum ihres Rapschaffens stellten. Dazu gehört auch Rapper und Wahlberliner Massiv, der nach seinem erfolgreichen ›Ghettolied‹ (2006) einen Vertrag bei Sony BMG erhielt und bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits 13 Alben veröffentlichte [Stand 2018]. Zur ›gangstahaften‹ Repräsentation sei angemerkt, dass die lokale Variante des Gangsta-Rap in Deutschland höchst unterschiedliche Lesarten und Entwicklungen zeitigt. Kleiner/Nieland (2007: 215–244) beispielsweise untersuchen die Künstler des Berliner



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Labels Shok Muzik in einem Beitrag unter dem Aspekt ›HipHop und Gewalt‹. Dabei stellen sie fest, dass sich diese zwar in der Tradition des Gangsta-Rap verorten (etwa indem sie die Ghetto-Symbolik bedienen), sich aber nicht mit den bislang gültigen Kriterien greifen lassen. Anders als bei Rappern wie Sido, hätten sich die ›Shokker‹ keine »Gewalt-Attitüde aus Vermarktungsgründen« zugelegt, ihr Horizont beschränke sich stattdessen auf die ›Jungs‹ (teilweise auch Mädels) aus dem Viertel (ebd.: 240). Eine Flucht aus letzterem wiederum würde dabei erst gar nicht angestrebt. Die geringe Reichweite von Shok Muzik erlaube »keine Zuordnung der Shokker in das ›Kanak-Attack/Spraak-Universum‹« (Quelle). Auch der Adressatenkreis der Gruppe differiere, weswegen das Autorenduo in einer Fußnote die Frage formuliert: »Warum wird Shok-Muzik nicht von der weißen Mittelschicht gefeiert (wie dies etwa beim Gangsta-Rap in den USA der Fall ist)?« (ebd.: 240). Den Eindruck mangelnden kommerziellen Erfolgs der ›Shokker‹ bestätigt auch Szillus (2012: 58). In seinem Beitrag über die Geschichte des deutschen Gangsta-Rap beschreibt er Shok-Muzik als »kurzzeitig halbwegs professionell organisierter und talentierter Haufen«, der es »trotz eines Major-Deals bei Warner Music nicht [schaffte], an die Erfolge von Aggro Berlin und Bushido anzuknüpfen.« Gangsta-Rap im Post-Aggro-Berlin-Zeitalter Verfolgt man die Geschichte deutschsprachiger Gangsta-Rapmusik weiter, so sorgen schließlich vor allem die Jahre 2008 und 2009 dafür, dass »Porno- und Gangsta-Rap, die zusammen nicht mehr als vielleicht ein Viertel der deutschsprachigen Rap-Produktion ausmachen, […] 90 Prozent der Berichterstattung über Rap in deutschsprachigen Popularmedien [dominierten]« wie Jugendforscher Farin (2009: 2) es überspitzt formuliert. HipHopJournalist Szillus (2012: 59ff.) spricht bezüglich dieser Zeitspanne von der »Eskalation der Jahre 2008/2009« und fasst darunter eine Phase, innerhalb der Gangsta-Rapper medienwirksam in Messerattacken, Schusswechsel, Prügeleien und – im Fall des Rappers Xatar aus Bonn – sogar in einen Überfall auf einen Goldtransporter verwickelt waren. Die Vorkommnisse spiegelten dabei nicht nur »gewisse Verschränkungen von organisierter Kriminalität und der Gangsta-Rap-Szene« (ebd.: 59), sie manifestierten letztlich auch eine kollektive Wahrnehmung und Gleichsetzung von HipHop resp. Rap mit Gangsta-Rap und von dem Gangsta-Rapper »als schwulenverachtender (Gewalt-)Krimineller mit Migrations- und ohne Bildungshintergrund, der

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sich v. a. über seine physische Durchsetzungskraft definiert« (Seeliger 2013: 96). Wenn Farin (siehe oben) die überproportionale Berichterstattung über ›Porno-Rap‹ im Zeitraum 2008/2009 erwähnt, so ist an dieser Stelle auch Lady Bitch Ray (LBR) und damit eine weitere wichtige weibliche Akteurin in die Geschichtsschreibung des Gangsta-Rap-Subgenres aufzunehmen. Die inzwischen promovierte Sprachwissenschaftlerin transportierte zwar weniger das ›Lebensgefühl der Straße‹ und erfüllte bestimmte Qualitätskriterien wie skillz (= Rap-Fähigkeiten) aus Sicht vieler Szenegänger_innen nur unzureichend, dennoch hinterließen Veröffentlichungen wie die Fick mich-EP (2006) oder Singles wie ›Ich hasse dich‹ oder ›Deutsche Schwänze‹ einen bleibenden Eindruck in der Szene. Gleichwohl LBR nie größere kommerzielle Erfolge verbuchen konnte, etablierte die Tochter alevitischer Eltern mit ihrem aggressiven und sexpositiven Porno-Feminismus und der Rückeroberung des Bitch-Begriffs eine bis dato nicht dagewesene weibliche Sprecherposition im deutschsprachigen Rap (vgl. Lady Bitch Ray 2012; Villa 2012; Tuzku 2012/2017; Bukop/Hüpper 2012; Kap. 5.3). Nach den großen Erfolgen der Aggro Berlin-Rapper,17 der »Eskalation« um 2008/2009 und einer erhöhten Popularität grundverschiedener RapSpielarten um das Jahr 2010 (zum Beispiel von Casper, Marteria oder Peter Fox), betrat schließlich eine neue Generation von Gangsta-Rappern die Bühne. Obgleich oft als ›Straßen-Rapper‹ bezeichnet, sind hier zunächst vor allem Nate57 (Stress aufm Kiez, 2010) aus Hamburg und der Rapper Haftbefehl aus Offenbach zu nennen, der mit seiner markant hohen Stimmlage und der Selbstinszenierung als Azzlack sogar das deutsche Feuilleton begeistern konnte (Azzlack Stereotyp 2010).18 Eine Befragung von Jugendlichen durch das Autor_innenpaar Böder/Karabulut (2017) ergab, dass diese ins Positive verkehrte sprachliche Selbstbezeichnung als Verschiebung von Repräsenta 17 Das Label Aggro Berlin wurde im Jahr 2009 aufgelöst bzw. beendete die Vermarktung der noch verbleibenden Rapper_innen. Rückläufige Absatzzahlen in Folge steigender illegaler Downloads, sowie einige Streitigkeiten und Unzufriedenheiten von Künstler_innen werden mitunter als Gründe angeführt. Mit einem modifizierten Geschäftsmodell bleibt Aggro Berlin jedoch als Firma bestehen. Vor allem der Launch der Videoplattform AggroTv, der unterschiedlichen Rap-Künstler_innen eine Plattform gibt, ist an dieser Stelle zu nennen. 18 Der Begriff Azzlack ist ein durch das Umfeld um Haftbefehl geprägter Neologismus und kann als Kompositum der Begriffe ›asozial‹ und ›Kanake‹ verstanden werden. Der Begriff ist seit Haftbefehls Debütalbum Azzlack Stereotyp (2010) nicht mehr aus dem Diskursuniversum des deutschsprachigen Rap wegzudenken. Zum deutschen Gangsta-Rap im Feuilleton vgl. einen Beitrag von Burkhart (2017).



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tionsverhältnissen erfahren wird. Haftbefehl gelänge »eine Veränderung im Sprechen über das Kollektiv, in dem er die Attribuierung als asoziale Kanaken ausgehend von der negativen Fremdbezeichnung mimetisch umkehrt und als positive Selbstbezeichnung des Kollektivs verwendet« (ebd.: 278).19 Auch durch Sichtbarmachung vermittels Sprache könne man Haftbefehl deshalb unter anderem »[d]ie Verbreitung eines gesellschaftlichen Wissens um die Existenz und Bedeutung von ›Kurden‹« attestieren (ebd.: 279). Ein weiteres nicht unbedeutendes Ereignis in der Geschichte des deutschsprachigen Gangsta-Rap ist sicherlich der Erfolg von Gangsta-Rapperin Schwesta Ewa, die das Subgenre seit Ende 2011 bedient und dabei um neue Narrative an der Schnittstelle von Ethnizität, Klasse und weiblicher Sexualität/Sexarbeit erweitert. Letzteres materialisiert sich dabei auch in der Selbstbezeichnung als Kurwa, dem polnischen Ausdruck für ›Prostituierte‹, den die gebürtige Polin und Sexarbeiterin Ewa Malanda in ihren Texten und Images verwendet.20 Die Frankfurterin hat bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Mixtape und zwei Studioalben veröffentlicht [Stand 2018]. Zwar konstatiert Wolbring (2015: 61) eine »außergewöhnliche ethnische Durchmischung unter den deutschsprachigen Rapschaffenden« und es ist Kleiner/Nieland (2007: 240) zuzustimmen, wenn sie der Ansicht sind, deutscher Gangsta-Rap ließe sich nicht in den 1990er-Jahre-Dualismus ›Deutschrap vs. Migranten-Rap‹ einordnen, dennoch bilden Migrationsund Fluchthintergrund, sowie damit in Verbindung stehende Erfahrungen von Rassismus und sozialer Marginalisierung bis heute ein zentrales, verbindendes Element deutschsprachiger Gangsta-Rap-Akeur_innen oder wie Güngör/Loh es ausdrücken: »Die Erfahrung von Migration und Marginalisierung in der postfordistischen Gesellschaft ist konstituierend für GangstaRap.« (Güngör/Loh 2017: 219) Obgleich unterschiedlicher Herkunft, materialisiert sich dies auch am Beispiel der Selbstbezeichnung als Kanake21 oder Azzlack, die im Diskursuniversum Gangsta-Rap bewusst als politische Vokabel benutzt werden und dabei nicht nur die Verschränkung der sozialen Dimensionen Männlichkeit, 19 Zur ›Selbstethnisierung‹ als »postmigrantische[r] Verortungsstrategie« vgl. auch Yildiz (2018: 28ff.) 20 Männlichkeitstheoretisch nuancierte Ausführungen zu Schwesta Ewa im Kontext des Gangsta-Rap vgl. Goßmann/Seeliger (2015), aus feministischer Perspektive vgl. Bifulco/ Reuter (2017). 21 vgl. dazu auch die Ausführungen zu Kanak Attack von Verlan/Loh (2015: 386ff.) und Kanak-Sprak von Güngör/Loh (2017: 207f.) oder auch Kaya (2003: 253f.).

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Klasse und Ethnizität, sondern auch eine »einheitsstiftende Bedeutung für unterschiedliche ethnische und religiöse Gruppen« anzeigen, wie Böder/ Karabulut (2017: 279) am Beispiel des Azzlack-Begriffs formulieren. Religiöse oder ethnische Differenzen würden dabei zwar nicht aufgelöst, jedoch »durch die Exponierung der gemeinsamen Erfahrung als Migrationsandere« enthierarchisiert, so das Autorenpaar (ebd.). Für Güngör/Loh (2017: 214) lässt sich die Zeitspanne zwischen 2009 und 2017, die etwa mit dem Erscheinen von Rapper Haftbefehl ihren Anfang nahm, als »Phase des Umbruchs, der Regionalisierung und der künstlerischen Erneuerung« beschreiben: 22 »Während das Feuilleton das Ende von deutschem Gangsta-Rap verkündet, taucht eine neue Generation von Straßen-Rappern auf, die das Genre vielfältiger macht und künstlerisch so verändert, dass sich ab 2015 bürgerliche Medien immer öfter auch mit der ästhetischen Qualität von Gangsta-Rap auseinandersetzen.« (Güngör/Loh 2017: 214) Die Autoren arbeiten heraus, dass Künstler, die dem Genre seit 2010 den »Stempel« aufdrücken etwa zwischen 1980 und 1990 geboren wurden und oftmals eine Fluchtgeschichte aufweisen (und nicht, wie vormals angenommen, Repräsentanten der dritten Einwanderer-, das heißt Gastarbeitergeneration sind). Mit Fard, Kurdo, Xatar, Bero Bass, Nazar, Zuna (KMN Gang), Farid Bang, Ssio, Majoe oder KC Rebell seien viele der gegenwärtig bekannten und erfolgreichen Gangsta-Rapper einst als Flüchtlingskinder nach Deutschland migriert. Wieder andere, darunter Rapper wie Manuellsen oder PA Sports, wurden erst nach der Flucht ihrer Eltern in der BRD geboren. Daraus ergäbe sich nicht nur ein (zuweilen hoch artifizieller) multilingualer Sprachmix, sondern auch das Erneuerungspotenzial des Subgenres, insofern »Gangsta-Rap (nicht nur in Deutschland) seine Erneuerungskraft aus der Diaspora-Erfahrung seiner Protagonisten schöpft« (ebd.: 217) und mehr noch »[d]ie Erfahrung von Migration und Marginalisierung in der postfordistischen Gesellschaft […] konstituierend für Gangsta-Rap [ist]« (ebd.: 219). Abgesehen von den durchaus problematischen Inhalten vieler Texte, fände die Erfahrung von Migration und/oder Marginalisierung beziehungsweise eine Auseinandersetzung mit entsprechenden Themen, durchaus ihren Niederschlag in den Diskursen dieser neuen Gangsta-Generation. Güngör/ Loh (2017: 217f.) nennen verschiedene Künstler, die das Verhältnis zwischen 22 Die Autoren beschäftigen sich in einem Beitrag ebenso mit der Genese des deutschen Gangsta-Rap und bezeichnen die vorausgehenden Phasen als »Inkubationsphase« (1990– 2000) und »Phase der Gestaltung und Kommerzialisierung« (2001–2008) (Güngör/Loh 2017: 214).



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»Peripherie und Zentrum« thematisierten und dezidiert Stellung gegenüber Rassismus und Ausgrenzung bezögen, darunter Mert (›Ausländer‹,2015), Chima Ede (›Wir sind das Volk‹, 2016), Jaysus (›Kanacke sein‹, 2014), Haftbefehl und Xatar (›AFD‹, 2016), Kurdo (›Wir sind nicht wie du‹, 2011) u.v.m.23 Ab ca. 2015/2016 werden ähnliche Topoi auch im Rahmen von Trap und Afro-Trap verhandelt, zwei Spielarten, die aus den USA beziehungsweise Frankreich adaptiert und im deutschen Kontext kreativ angeeignet wurden. Beide Rap-Varianten unterscheiden sich vor allem soundästhetisch vom bis dahin klassischen deutschen Gangsta- und Straßen-Rap. Besonders der durch Raf Camora und Bonez MC beziehungsweise deren Erfolgsalbum Palmen aus Plastik (2016) in Deutschland etablierte ›Afro-Trap‹, ein sehr tanzbarer Rap-Stil, der westafrikanische Samples mit Trap-Elementen kombiniert, erfreut sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt bei Rappern mit Migrationsresp. Fluchtgeschichte großer Beliebtheit (zum Beispiel bei der KMN Gang, Mero, Veysel, Nimo, Capital Bra u.v.m.). Güngör/Loh (2017: 214) machen an dieser Stelle zu Recht darauf aufmerksam, dass der Erfolg dieser Spielart auch auf neue Migrationsbiografien der gegenwärtigen deutschen GangstaRap-Generation zurückzuführen sei, da viele Afro-Trap-Protagonisten selbst eine Fluchtgeschichte aus afrikanischen Staaten aufweisen und/oder zeitweise in Frankreich lebten. Der Gangsta-Rap-Geschichtsschreibung von Güngör/Loh, die mit den Jahren 2016/2017 abschließt, ist aus heutiger Sicht unbedingt der Erfolg des weiblichen Rap-Duos SXTN aus Berlin hinzuzufügen (gleichwohl sich die Gruppe im Jahr 2019 auflöste und die Rapperinnen Juju und Nura seither als erfolgreiche Einzelkünstlerinnen agieren). Mit einem Themenspektrum rund um Prekarität, Kriminalität, Sex und Partys und einer hör- und sichtbaren Verortung im Diskursuniversum des (Berliner) (Gangsta-)Rap sind SXTN zweifellos Bestandteil des deutschsprachigen Gangsta-Rap-Kanons (vgl. das Album Leben am Limit, 2017). Nicht nur aufgrund ihres kommerziellen Erfolgs, sondern auch durch das selbstbewusste Reclaiming des Begriffs Fotze (›FTZN im Club‹, 2017) leisteten SXTN einen wichtigen Beitrag zur Sichtbarmachung von Frauen (of Color) im deutsch 23 Güngör/Loh (2017: 218f.) weisen darauf hin, dass deutscher Gangsta-Rap ungeachtet seiner gegenwärtigen Salonfähigkeit (Stichwort Feuilleton) zunehmend auch von der Neuen Rechten um AFD und Pegida »für die Verrohung der deutschen Jugend und den Untergang einer weißen, abendländischen Kultur« verantwortlich gemacht werde. Die Autoren fühlen sich angesichts dieser rassistischen Diskursstrategien an die politische Situation der 1970er und 1980er Jahre erinnert, als ›kulturfremde‹ ethnische Minderheiten ebenfalls als Sündenböcke für wirtschaftspolitische Versäumnisse gebrandmarkt wurden.

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sprachigen (Gangsta-)Rap (vgl. zum Beispiel ›Ich bin Schwarz‹ 2016). Rapperinnen wie Haiyti oder Eunique, die das Subgenre seit 2016 (Haiyti) beziehungsweise 2017 (Eunique) mit ihren ganz individuellen Rapstilen und Ästhetiken bereichern, dürfen schließlich ebenso zur gegenwärtigen Generation deutschsprachiger Gangsta-Rapper_innen gerechnet werden. Auch ihr Werk kennzeichnet die genrekonstitutive (und inszenatorisch bedeutsame) »Erfahrung von Migration und Marginalisierung« (Güngör/Loh 2017: 219). Abschließend bleibt zu erwähnen, das während der Entstehung dieser Arbeit stündlich neue Protagonist_innen die Bühne betreten, die das Subgenre Gangsta-Rap auf ihre ganz eigene Weise und dabei mal mehr, mal weniger als Migrations- und Fluchtgeschichte fortschreiben, darunter Capital Bra, OG Keemo, Gringo, Dardan, Samra, Luciano oder Pashanim. 8.2.3 Rap-Männlichkeit zwischen kulturell-religiöser Prägung und Bewältigung Erzählt man deutschsprachigen Rap als Migrationsgeschichte, so ist es nachgerade konsequent auch Deutschraps Männlichkeiten an der Schnittstelle zur Migrationsforschung in den Blick zu nehmen. Da das Anwerbeabkommen mit der Türkei (1961) im Zuge der Gastarbeiter_innenmigration die meisten Einwander_innen nach sich zog, setzt sich ein Großteil der Literatur mit Menschen türkischer Herkunft und damit der insgesamt zahlenstärksten Migrant_innengruppe in der Bundesrepublik Deutschland auseinander (vgl. zum Beispiel Oltmer 2010: 52f.; Terkessidis 2000: 24). Allerdings gilt es bereits hier zu differenzieren, denn die meisten türkischen Migrant_innen wanderten nicht etwa aus urbanen Zentren, sondern aus ländlichen, stark patriarchal geprägten Gebieten (v. a. Anatolien) nach Deutschland ein. Ferner ist es in diesem Zusammenhang notwendig, einige essentialisierende Konzepte und Begriffe zu reflektieren, denn weder gibt es eine homogene ›migrantische Männlichkeit‹, noch verfügen Kategorien wie ›muslimisch‹ oder ›türkisch‹ über einen genuinen Kern (ebenso wie es freilich für andere Identitätskategorien gelten muss, vgl. Walgenbach 2007). Ein Blick in die Literatur zeigt, dass Kategorisierungsprobleme durchaus benannt und kritisch diskutiert werden. Bei ihren Untersuchungen zur Identitätskonstruktion ›türkischer Jugendlicher‹ in Deutschland bemerkt AicherJakob (2010: 45f.) etwa, dass es angesichts multipler sozialer, geschlechtlicher oder religiöser Zugehörigkeiten verkürzt sei, eine ›türkische Identität‹ herausarbeiten zu wollen. Stattdessen müsse man von einer ›Sonderstellung‹



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türkischer Jugendlicher im Kontext der dritten Gastarbeiter-Generation ausgehen, die in sich wiederum so vielfältig sei, wie ihre Repräsentant_innen selbst. Auch die Islamwissenschaftlerin Spielhaus (2018: 131ff.) beschäftigt sich mit ›kategorialen Verwechslungen‹ und rückt dabei besonders die Denkfigur des »muslimischen Migranten« in den Fokus: »Als muslimische Migranten werden dabei häufig gleichermaßen selbst Zugewanderte und Personen mit Migrationshintergrund aber ohne eigene Migrationserfahrung bezeichnet. Menschen islamischer Religionszugehörgikeit wird Einwanderung so zeitlich unbegrenzt zugeschrieben und Muslime gleichzeitig als Untergruppe der Migranten konzipiert« (ebd.: 132). Es gelte demnach auch (und gerade) für den akademischen Diskurs, die verwendeten Begrifflichkeiten zu reflektieren um keine dominanten Vorannahmen zu reproduzieren. Weil sich nachfolgend häufiger auf die Publikation Junge Muslime in Deutschland. Lebenslagen, Aufwachsprozesse und Jugendkulturen aus dem Jahr 2007 bezogen wird und Arbeiten aus der Männlichkeitsforschung bezüglich ihrer verwendeten Begriffe und Konzepte eher weniger Differenzierungsarbeit geleistet haben mögen, soll in Anlehnung an Spielhaus vorausgeschickt werden, dass: »Nicht alle Migrant_innen sind Muslime, nicht alle Muslim_innen Migranten oder auch nur Menschen mit Migrationshintergrund« (ebd.: 135). Ohnehin sei der Islam, so Spielhaus mit Rekurs auf den niederländischen Ethnologen Sunier, zu einer Art »Platzhalter für eine große Bandbreite von Phänomenen, Einstellungen und Entwicklungen in der Forschung geworden« (ebd.: 136). Da es dabei oftmals gar nicht um religiöse Praxen gehe, sei zu prüfen, »ob es im konkreten Fall wirklich um Islam oder Muslim_innen geht, bevor er [= der Islam, Anm. d. Verf.] in diesem Themenfeld verankert wird« (ebd.). Für die Analyse der Identitätsarbeit im diasporischen Kontext wird sich in der – diesbezüglich jedoch wenig geschlechtersensiblen – HipHop-Forschung meist auf jene Kulturtheorien bezogen, die die Hybridität des Subjekts in den Vordergrund stellen (vgl. zum Beispiel Kaya 2003; Birken-Silverman 2003; Nohl 2003). Im Zuge der Identitätsarbeit im sog. ›dritten Raum‹ bilde sich dabei – grob überschlagen – zwar eine einzigartige Subjektivität aus, diese könne jedoch nicht vollständig losgelöst von der Herkunftskultur gedacht werden. Die Identitäts-Bricolage zwischen Aufnahmegesellschaft und Elterngeneration bestehe für Jugendliche mit Migrationsgeschichte immer auch zu einem gewissen Grad in einer Übernahme und Beibehaltung bestimmter ethnischer oder kultureller Traditionen, die seitens der Elterngeneration im Migrationskontext konserviert wurden (vgl. zum Beispiel Schäfer/Schwarz 2007; Mertol 2007).

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Foroutan (2013: 91) spricht in diesem Zusammenhang von der »Gleichzeitigkeit von (identitären) Referenzsystemen«, die ein besonderes Maß an sozialer Aushandlung vonnöten mache. Eine Aushandlungsprozess, der ebenso Vorstellungen von Geschlecht und Männlichkeit umfasst. Hypermaskulinität als kulturell-religiöse Prägung? Im Hinblick auf Geschlecht und Sexualität sei die Untersuchung muslimischer Sexualmoral eine Art sozialwissenschaftliches Déjà-vu, da sie eine »Wiederbegegnung mit der bundesdeutschen Sexualmoral der 1950er Jahre« darstelle, schreiben Schäfer/Schwarz (2007: 252) in einem Beitrag über die Sexualität junger Muslime ›zwischen Tabu und Liberalisierung‹. Konfrontiert mit Sexualkundeunterricht und der allgemeinen Medialisierung und Kommerzialisierung von Sexualität befänden sich junge Muslime in Deutschland demnach häufig in einem Dilemma zwischen der elterlichen Sexualmoral der 50er Jahre und jener modernen Moral, wie sie die deutsche Öffentlichkeit der 1990er Jahre auszeichne (ebd.). Auch der Soziologe Bochow (2007: 320) weist darauf hin, dass die Liberalisierung der Sexualmoral, wie sie in den 1970er Jahren in Deutschland einsetzte, nicht auf muslimisch-türkische Communities abfärbte, so dass deren Normen, Werte und Traditionen diesbezüglich weitestgehend unverändert blieben. In Familien mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland herrsche demnach auch heute noch eine geschlechtsspezifische Erziehung. So würden Söhne traditionellerweise bereits ab dem dritten Lebensjahr zum Mann erzogen und fortan mit entsprechenden Rollenmustern vertraut gemacht (vgl. auch Mertol 2007: 175f.). Nebst der uneingeschränkten autoritären Stellung, die dem Vater auch heute noch als Familienoberhaupt innerhalb der türkischen und kurdischen Familienordnung zukommt, konstatiert die Forschung vor allem im Hinblick auf das Thema Sexualität eine geschlechtliche Doppelmoral (vgl. Bochow 2007: 322; von Wensierski 2007: 64).24 Nicht nur sei sowohl männliche wie weibliche Sexualität weitestgehend an das Heteronormativitätsgebot geknüpft, auch erscheine Sexualität nicht etwa als zentraler 24 Zum Thema patriarchaler Männlichkeitsbilder im türkisch-deutschen Migrationskontext ist eine Unterscheidung von Yumul (1999) interessant, der bezüglich der Männlichkeitskonstruktionen auf den Aspekt innertürkischer Binnenmigration hinweist und auf die Unterscheidung ›White Turks‹ vs. ›Black Turks‹ aufmerksam macht. Die ›re-machoisation of masculinity‹ (Bartwuchs, traditionelle Männlichkeit) durch ländliche Arbeitsmigranten (›Black Turks‹) sei demnach auch als positive Rückeroberung negativer



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Wert der individuellen Identitätsbildung »sondern als eine religiös definierte Funktion der Reproduktion der islamischen Familie und ihrer patriarchalen Sozialordnung« (Aicher-Jakob 2010: 63).25 Vor allem das vielschichtige Konzept der Ehre, das laut Männlichkeitsforscher Böhnisch (2013: 144) innerhalb der türkischen Herkunftsgesellschaft eine Art »normative[n] Kitt der sozialen und sexuellen Ordnung und Rollenteilung« bilde, kontrolliere das Sexualverhalten junger Muslime. Beide Geschlechter sind davon jedoch höchst unterschiedlich betroffen: Für das weibliche Geschlecht gelten rigide Virginitätsvorgaben, die die sexuellen Entwicklungsmöglichkeiten stark reduzierten und die bei Nichtbeachtung familiäre Sanktionen und Prestigeverlust zur Folge hätten. Für Männer scheinen derartige Vorgaben jedoch eher den Charakter eines »unverbindlichen Orientierungsmuster[s]« zu haben (Schäfer/Schwarz 2007: 273). Freilich sind aber auch Angehörige des männlichen Geschlechts bezüglich tradierter Wertvorstellungen in der Pflicht, gilt Zuschreibungen durch städtische, eher westlich orientierte, männliche Türken (›White Turks‹) zu verstehen. Veraltete Rollenbilder erhielten dadurch bei den ›Black Turks‹ einen höheren Stellenwert. Bezüglich der Modernisierung von Männlichkeit in der Türkei verweist Aicher-Jakob (2010: 51) auch auf die Rolle von Atatürk. So ließ sich der Staatsmann sowohl in klassisch männlich konnotierter Militäruniform, als auch ›unmännlich‹ (zum Beispiel als Tänzer) in westlicher Kleidung darstellen und irritierte dadurch das traditionelle türkische Männerbild. Während man sich vor allem im städtischen Bereich an diesem europäischen Männerbild orientierte, wurde im östlichen Teil bzw. in ländlichen Gebieten der Türkei ein tendenziell herkömmliches Männlichkeitsbild gepflegt. Als Materialisation für letzteres wird dabei häufig der Schnurrbart genannt. 25 Selbstverständlich hängt der Spielraum, über den muslimische Jugendliche im Migrationskontext dahingehend verfügen vom Grad der Individualisierung, Modernisierung und Säkularisierung der jeweiligen Familie ab (vgl. Aicher-Jakob 2010: 66). Für die zweite Generation seien beispielsweise bereits Liberalisierungsprozesse festzustellen, wobei zentrale Werte, wie etwa das Jungfräulichkeitsverbot, davon weitestgehend verschont blieben (vgl. ebd.: 63). Zum Zusammenhang zwischen Religion und Sexualität im (türkisch-muslimischen) Migrationskontext finden sich in der Forschung recht unterschiedliche Angaben. Karakaşoğlu/Öztürk (2007: 161) konstatieren, dass Religion innerhalb türkisch-muslimischer Migrantenfamilien intergenerationell einen hohen identifikatorischen Stellenwert besäße, der sich auch in der Erziehung abbilde. Viele junge Muslim_innen würden sich dahingehend sogar selbst weiterbilden, da ihnen die religiöse Erziehung durch die Eltern oft als ungenügend erscheine (ebd.: 167). Bei Raths (2009: 98f.) wiederum ist nachzulesen, dass sich die persönliche Religiosität türkischer Jugendlicher in Deutschland höchst unterschiedlich gestalte. Der Islamwissenschaftler Nordbruch (2014: 217) stellt hingegen fest, »dass ein Großteil der Muslime in Deutschland der Religion keine zentrale Rolle in ihrem Alltag und Selbstverständnis zumisst. Für viele Männer, die sich selbst als muslimisch beschreiben, sind die […] Rollenbilder schlicht irrelevant.«

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es die Sexualität der weiblichen Familienmitglieder doch zugunsten einer intakten Männlichkeit zu kontrollieren (vgl. dazu auch Schiffauer 1983). Der Erziehungswissenschaftler Mertol schreibt in diesem Zusammenhang: »Ehre als sozialer Wert bleibt unabdingbar an die Familie und ihre männlichen Angehörigen gekoppelt. Die Ehre der Familie kann nicht durch die Solidarität und Unterstützung externer Freunde wiederhergestellt werden. Hier sind vielmehr die männlichen Familienangehörigen selbst zur Handlungsinitiative verpflichtet. An diesem Beispiel wird die traditionale Struktur des Ehrbegriffs sichtbar: Ehre und Sanktion der Ehrverletzung dienen der sozialen Kontrolle und Integration von familialen Abstammungsgemeinschaften im Kontext einer übergeordneten  – aber nicht staatlichen – patriarchalen sozialen Ordnung. Die Blutsbande sichert dabei gewissermaßen das Subsidiaritätsprinzip einer familieneigenen Solidarität. Im Umkehrschluss kann die familiäre Ehre aber sehr wohl durch den eigenen Freund verletzt werden – etwa durch illegitime Sexualität mit einer Frau der Familie.« (Mertol 2007: 181)

Wenn der Essener Gangsta-Rapper und gläubige Muslim mit iranischer Migrationsgeschichte PA Sports die weibliche Gangsta-Rapperin und Sexarbeiterin Schwesta Ewa als »eine Beleidigung für jede Frau die Ehre hat« beschreibt (vgl. bei Goßmann/Seeliger 2015: 297), Rapper Manuellsen im Track ›Messerstich‹ (2012) darüber rappt, für die Ehre seiner Frau zu morden26 oder PA Sports zusammen mit Rapper Alpa Gun27 die gesamte Rap-Szene im gleichnamigen Track als ›ehrenlos‹ (2015) beschimpft, so bildet sich die Inkorporation des Ehr-Prinzips und damit die Reproduktion dieser tradierten, religiös-patriarchalen Ordnung anschaulich im Diskursuniversum des deutschsprachigen Gangsta-Rap ab. Auch die vor allem von Rapper Haftbefehl kultivierte Figur des ›babo‹ (zazaisch für ›Vater‹)28 verweist auf konservative und im Migrationskontext konservierte Männlichkeitsmodelle,29 ein Aspekt auf den auch Verlan/Loh hinweisen und dabei Mitredakteur und HipHop-Chronist Güngör rezitieren: »›Die imaginäre Figur des Babo, des Vaters, wird bei Haftbefehl reaktionär zugespitzt. Der Babo ist in einer traditionellen kurdisch/türkischen Gesellschaft das zu 26 Manuellsen wurde wie PA Sports als Kind geflüchteter Eltern in der BRD geboren. Weil seine ghanaische Mutter abgeschoben wurde, wuchs Emanuel Twellmann aka Manuellsen bei einer Pflegefamilie in Mühlheim a.d. Ruhr auf. Der Rapper konvertierte 2010 zum Islam. 27 Alpa Gun ist in Berlin-Schöneberg geboren und hat eine türkische Migrationsgeschichte. 28 Zaza oder zazaisch wird vor allem im Osten Anatoliens gesprochen und gehört zur iranischen Sprachfamilie. 29 Zur Konservierung von Traditionen und Werten der Herkunftskultur im Kontext von Migration vgl. auch bei Terkessidis (2000) oder Gottschlich u. a. (2005).



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tiefst rückständige Rollenmodell eines Clanführers, der kontrolliert und lenkt. Es ist eine extrem konservative Konstruktion von Männlichkeit, die weibliche Selbstverwirklichung und Homosexualität als Bedrohung wahrnimmt und aggressiv ausgrenzt‹.« (Verlan/Loh 2015: 36)

Die moralische Ablehnung von Homosexualität ist tatsächlich insbesondere unter Gangsta-Rappern verbreitet und materialisiert sich auf einer diskursiven Ebene nicht selten in dem Gegensatzpaar des ›ficken und gefickt werdens‹ (vgl. Kap. 8.4). Zwar lassen sich diese Sprechakte an die Textsorte Rap zurückbinden (dissing und boasting), jedoch stellt die Migrationssituation, das heißt die Neuverhandlung von Männlichkeit im diasporischen Kontext auch hier eine wichtige Verstehensdimension dar. Homosexualität als Bedrohung wahrzunehmen, ist selbstverständlich nicht nur auf religiöse, sondern ebenso auf klassenspezifische Orientierungen zurückzuführen und verweist insgesamt auf soziale Konstrukte traditioneller Männlichkeit als Ergebnis patriarchaler Strukturen (vgl. Bochow 2007: 328f.; auch Connell 2015: 132; Martschukat/Stieglitz 2008: 137ff. oder Keupp u. a. 1999: 147). Dennoch scheint die moralische Ablehnung männlicher Homosexualität unter jungen Muslimen der zweiten und dritten Einwanderergeneration laut Schäfer/Schwarz (2007: 278) insgesamt relativ verbreitet zu sein. Bochow (2007: 327) macht diesbezüglich auf eine bedeutsame Differenzierung aufmerksam, die entlang des Gegensatzpaares aktiv/passiv verläuft. MannMännliche Sexualpraktiken seien aus Sicht junger Muslime nämlich nicht per se moralisch verwerflich. Die Missbilligung männlicher Homosexualität beträfe nur jene Männer, die rezeptiven Analverkehr vollzögen, denn »Aktivität und Passivität konstituieren die Paradigmen des Männlichen und des Weiblichen in den arabischen Ländern und in der Türkei. Ein aktiver Mann und eine passive Frau verhalten sich in Übereinstimmung mit dem ›Schöpfungsplan‹, unabhängig vom Geschlecht ihrer Sexualpartner. […] Vor allem Männer werden über ihre Sexualpraktiken, aber nicht über das Geschlecht ihrer Sexualpartner definiert. Bestimmte Sexualpraktiken mit männlichen Jugendlichen oder erwachsenen Männern unterliegen nicht zwangsläufig scharfen negativen sozialen und moralischen Sanktionen. Insertiver (eindringender) Verkehr kann mit allen möglichen Lebewesen praktiziert werden, die geeignete Körperöffnungen vorweisen.« (Bochow 2007: 327f.) 30

30 vgl. hierzu auch Bourdieu (2016: 34) in seinen Ausführungen zur gesellschaftlichen Konstruktion der Körper am Beispiel der kabylischen Gesellschaft: »Der Körper hat sein Vorne, den Ort des Geschlechtsunterschieds, und sein sexuell undifferenziertes Hinten, das potentiell weiblich, das heißt passiv, unterworfen, ist, woran die Verhöhnung der Homosexualität, durch Gesten oder Worte, in den Mittelmeerländern erinnert.«

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Dass sich dieses Prinzip auch im diskursiven doing masculinity türkischer Jugendlicher abbildet, bemerken zahlreiche Studien an der Schnittstelle von Geschlechter- beziehungsweise Männlichkeits-, Identitäts- und Migrationsforschung und beziehen sich dabei mit Vorliebe auf die sog. ›türkischen Rededuelle‹ (vgl. zum Beispiel Duerr 1993; Tertilt 1996; Meuser/Scholz 2005; Raths 2009; Meuser 2008 usw.). Während man innerhalb der türkischen Gleichaltrigengruppe seine Männlichkeit dadurch unter Beweis stelle, dass man alles ›fickt‹ »was normalerweise Respekt verlangt, aber der Verwirklichung der eigenen Interessen im Wege steht« (Raths 2009: 72), wird Ethnizität im Aufeinandertreffen mit deutschen Jugendlichen gleichsam als Ressource zur Markierung von Differenz und zur Konstruktion hegemonialer Männlichkeit genutzt. Der geschlechtsdifferente Umgang autochthoner männlicher Jugendlicher (ohne Migrationshintergrund) im Hinblick auf weibliche Sexualität werde dabei – da er nicht dem türkischen Orientierungsrahmen entspräche – als unmännlich markiert. Für Meuser/Scholz (2005: 219f.) liegt dem Erzeugungsprinzip der sich selbst ethnisierenden, ›untergeordneten (türkischen) Männlichkeit‹ hier dennoch das Prinzip hegemonialer Männlichkeit zugrunde, da sich diese auch hier entsprechend der doppelten Distinktions- und Dominanzstruktur ausbilde. Hegemoniale Männlichkeit sei deshalb als das ›generative Prinzip‹ von Männlichkeit zu verstehen. Hypermaskulinität als Bewältigungsstrategie? Wenn Rapper Haftbefehl die konservative ›Babo‹-Männlichkeit mimt und Verlan/Loh (2015: 36) im gegenwärtigen Gangsta-Rap Tendenzen einer ReNationalisierung feststellen, die sich beispielhaft in einem vermehrten Auftauchen von Nationalflaggen in Rapvideos materialisiert, dann gilt es die Hypermaskulinität der Gangsta-Rap-Männlichkeit auch im Kontext verwehrter (kultureller/nationaler) Zugehörigkeit und sozialer Teilhabe zu denken und als Ausdruck von Selbstermächtigung zu diskutieren. Denn wenngleich die in den Bild- und Textwelten des Gangsta-Rap inszenierte Situation der sozialen Marginalisierung stilistisch überfrachtet und diskursiv überhöht daherkommt, so entbehrt die darin grundsätzlich enthaltene Behauptung sozialer Ungleichheit keiner empirischen Evidenz. Im Vergleich zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund sind junge Menschen mit Migrationshintergrund auf dem deutschen Schul- und Bildungssektor gravierend benachteiligt (vgl. Ramirez-Rodriguez/Dohmen 2010; Diehl/Fick 2011). Sie



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besuchen seltener ein Gymnasium (13,9 % vs. 32,3 %) und doppelt so oft eine Hauptschule wie ihre Mitschüler_innen ohne Migrationshintergrund (43,8 % vs. 18,6 %) (die Daten beziehen sich hier auf die Jahre 2002/2003, vgl. Below/Karakoyun 2007: 36f.). Auch von Arbeitslosigkeit sind sie insgesamt häufiger betroffen, ein Aspekt, der eng mit dem ungleichheitsgenerierenden Faktor der Religion zusammenhängt: »Jugendliche mit islamischer Konfessionszugehörigkeit haben gegenüber Jugendlichen anderer Konfessionen geringere Chancen, eine Ausbildung zu realisieren oder weiter zur Schule zu gehen. Entsprechend laufen sie, im Unterschied zu Jugendlichen anderer Konfessionen, Gefahr, kurz nach Verlassen der Schule in Nichterwerbstätigkeit/Ausbildungslosigkeit zu münden.« (Granato/Skrobanek 2007: 245).

Menschen mit Migrationshintergrund sind in Deutschland aber auch sozialräumlich benachteiligt. Die Ansiedlung innerhalb deutscher Ballungszentren (und dort wiederum in unmittelbarer Nähe zum Arbeitsort) während der Gastarbeitermigration führte zu sukzessiver stadträumlicher Isolation und den oft als ›Problembezirken‹ gebrandmarkten, ethnisch verdichteten Wohnvierteln. Aber auch heute noch leben Migrantenfamilien in durchschnittlich kleineren Wohnungen bei insgesamt höherer Mietbelastung, wohnen öfter in Mehrfamilienhäusern und sind seltener Eigentümer_innen von Wohnungen oder Eigenheimen als Menschen ohne Migrationsgeschichte (vgl. Below/Karakoyun 2007: 34f.). Die stadträumliche Segregation, deren Strukturschwäche durch günstige Mieten und den Zuzug verarmter Haushalte zusätzlich verschärft wird, findet in der Symbolik des ›Ghettos‹ ihre sinnbildliche Entsprechung. »Die über Jahrzehnte erfahrene Ausgrenzung als ›Gastarbeiter‹ oder ›Ausländer‹ führte bei vielen Migranten aus der Türkei zum Rückzug in ein ›Ghetto‹, das in Berliner Bezirken wie Wedding, Kreuzberg oder Nord-Neukölln einerseits stadträumlich zu verstehen ist, das jedoch andererseits für viele Türkischstämmige auch in einem übertragenen Sinn bestand und besteht. Dieses (mentale) Ghetto hatte und hat die sozialintegrative Funktion einer kulturellen Enklave für Einwanderer, denen täglich bedeutet wurde, dass sie nicht zur deutschen Mehrheitsgesellschaft gehören und nur geduldet sind.« (Bochow 2007: 320)

Soziale Ungleichheiten werden ferner auf einer diskursiven und repräsentativen Ebene reproduziert, wie etwa HipHop-Forscher Seeliger (2013: 85ff.) herausarbeitet, wenn er die Sozialfigur des Gangsta-Rappers in den Kontext eines ›Krisendiskurses um migrantische Männlichkeiten‹ stellt. Dieser Krisen- oder Defizitdiskurs reicht zurück bis in die Anfänge der Gastarbeiter_innenmigration, denn das politische Selbstverständnis als ›Einwanderungsland‹ setzte in der Bundesrepublik Deutschland erst mit einiger Verzögerung ein (vgl. Terkessi-

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dis 2000: 56; Buchow 2007: 319). Lange wurden die Angehörigen der ersten Generation als »Gruppe von ›Fremden‹ auf der Durchreise« und Bedrohung der ›eigenen‹ Arbeit, Gesundheit und sogar Frauen wahrgenommen (Terkessidis 2000: 56). Auch mangelnde Bildung und Integrationswilligkeit, sowie die Assoziation mit Kriminalität gehören zu den Vorurteilen, denen Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte bis heute begegnen. Die rassistischen Zuschreibungspraxen materialisieren sich schließlich in unterschiedlichen abwertenden Begrifflichkeiten wie ›Asylant‹, ›Gastarbeiter‹, ›Ausländer‹ oder ›Kanake‹, die Menschen mit Migrationshintergrund als abweichendes Anderes gegenüber einer weißen Mehrheitsgesellschaft konstruieren. Saied rekurriert in diesem Zusammenhang auf den Ethnologen Sökefeld, der dabei auf die gesellschaftliche Praxis des Othering verweist: »Othering meint, dass per kollektiv zugeschriebener kultureller Charakterisierung Individuen als anders, different dargestellt werden, und zwar unabhängig davon, ob sich diese Differenz tatsächlich in jedem einzelnen Fall nachweisen lässt. Othering kann etwa darin bestehen, Einwanderern aus der Türkei das Ehrkonzept zuzuschreiben, ohne zu fragen, ob sie das Konzept akzeptieren, praktizieren oder nicht. Per Zuschreibung wird der Einwanderer zum Anderen gemacht, ver-›andert‹ – und damit verändert: Er wird nicht als Individuum wahrgenommen, sondern als Exemplar einer Kultur.« (Sökefeld 2004: 24, zit. nach Saied 2012: 149)

Seeliger (2013: 90ff.) bettet den pathologisierenden, insbesondere medial geführten Defizitdiskurs in den Kontext des zeitgenössischen Repräsentationsregimes ein, innerhalb dessen er sich unter anderem mit dem Diskursphänomen einer ›neuen Unterschicht‹ vermengt. Nicht zuletzt durch die Thesen Thilo Sarrazins re-ethnisiert, kulminiere dieses letztlich in der Stigmatisierung einer spezifischen Teilgruppe: der männlichen migrantischen Jugendlichen.31 Unter anderem mit Bezug auf Foucault spricht Seeliger (2013: 86) bezüglich dieser Dynamik als Effekt eines Dispositivs, das die Möglichkeiten des gültigen Wissens über diese soziale Gruppierung zu einem bestimmten Zeitpunkt bestimmt: »In der Bevölkerung vertretene Auffassungen über individuelle Eigenschaften wie Charakter oder Fähigkeitenspektrum aber auch überindividuelle Aspekte (gesell 31 Saied (2012: 151) verweist in diesem Zusammenhang auf die verschiedenen »Phasen der Namensgebung für Jugendliche« und rekonstruiert diesbezüglich einen bruchlosen Otheringprozess. Die Bezeichnung als ›Gastarbeiterkinder‹ (1970er), ›Ausländer-Kinder‹ (1980er) oder ›Migranten-Kinder‹ (1990er) diene letztlich dazu eine imaginierte Differenzlinie aufrechtzuerhalten, »die sich in alle gesellschaftlichen Teilsysteme erstreckt« (ebd.: 152). Zu einer kritischen Abhandlung von Sarrazins Thesen vgl. Foroutan (2010)



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schaftliche Bedeutung) gewinnen ihren Bestand also unter Bezug auf ein medial in Szene gesetztes Schauspiel, welches für sich beansprucht, die ›Realität der deutschen Einwanderungsgesellschaft‹ in ihren zahlreichen Facetten abzubilden. Dass dieser Anspruch vor dem Hintergrund der sozial-medialen Praxis in der Bundesrepublik allenfalls als rhetorisches Regulativ angesehen werden kann […], zeigt sich vor dem Hintergrund, dass in Bezug auf die genannte Gruppe migrantischer Jugendlicher (und insbesondere junger Männer) keine besonders ausgewogene Berichterstattung genossen werden kann.« (Seeliger 2013: 87)

Auffällig ist dabei besonders die wiederkehrende Assoziation mit Gewalt, Kriminalität und Delinquenz, wobei das deviante Verhalten türkischer Jugendlicher meist auf eine patriarchalisch und islamisch strukturierte Sozialisation zurückgeführt und weniger in den Kontext von Bewältigung gestellt wird. Die (Re-)Produktion der Diskursfigur einer ›stigmatisierten Männlichkeit‹ (vgl. Ewing 2008) – die in der Sozialfigur des Gangsta-Rappers ihre paradigmatische und gleichsam medienwirksame Verkörperung findet – dient dabei letztlich der Stabilisierung der eigenen, ›bio-deutschen‹ Männlichkeit. Der Soziologe Scheibelhofer (2008: 183) definiert den Diskurs über »den Türkisch-muslimischen Mann« deshalb auch als »Teil der Konstruktion von Männlichkeit in Deutschland«. »Türkische Männlichkeit wird hier zu einem Negativbild für all das, was ›der Deutsche‹ nicht (mehr) ist und von dem er sich durch diesen Diskurs absetzen kann.« (Scheibelhofer 2008: 183)32 Bei der Annäherung an türkisch-muslimische Jungen und Männer würde allzu oft auf simple Erklärungsmodelle zurückgegriffen, die jene als »geleitet durch ›ihre Kultur‹« verstünden, die wiederum vor allem durch den Islam geprägt sei und als Grund für patriarchale und mithin gewalttätige Orientierungen ausgemacht würde (ebd.). Die ›männliche Ehre‹ avanciere dabei zur »zentralen Beschreibungsmetapher für das, was ›türkische Männlichkeit‹ ausmacht«, kritisiert Scheibelhofer (ebd.). Auch die Erziehungswissenschaftlerin Huxel (2008: 61) konstatiert, dass Männlichkeit im Diskurs um Migration insbesondere als negative Ressource erscheint und Männern mit Migrationshintergrund ein grundsätzliches Traditionsbewusstsein und eine Verwurzelung in rückständigen Herkunftskulturen attestiert würde. Tatsächlich erscheint eine derart eindimensionale Perspektivierung auch insofern interessant, als dass gerade der Migrationskontext andernorts nicht selten als Katalysator für den Wandel und die Infragestellung tradierter Ge 32 Scheibelhofer (2011) spricht andernorts auch von controlling images. Ein Konzept, das er von Patricia Hill-Collins übernimmt und auf die Situation türkisch-migrantischer Männlichkeiten in Österreich überträgt.

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schlechterarrangements angeführt wird (vgl. Nordbruch 2014: 217). Scheibelhofer und Huxel resümieren letztlich, dass entsprechende eurozentrische Vorstellungen zugunsten einer intersektionalen Perspektive aufgegeben werden müssten. So sei verstärkt die »Eingebundenheit der Männer in generationelle, familiale Strukturen und ihre diesbezüglichen Einstellungen, sowie ihre Erfahrungen von Ein- und Ausschlüssen, mit (strukturellen) Rassismen« (Huxel 2008: 61), sowie die »Komplexität und Widersprüchlichkeit der Lebenswelten, in der Männer mit Migrationshintergrund leben« (Scheibelhofer 2008: 197) anzuerkennen und die Analyse des Weiteren an der Schnittstelle von Männlichkeits- und Migrationsforschung anzusetzen. Letztlich sei es vor allem eines, dass Männer mit Migrationshintergrund von jenen ohne Migrationshintergrund unterscheide, nämlich »die stetige Konfrontation mit ethnisierenden Zuschreibungen, die über die Figur der ethisch-kulturell bestimmten Männlichkeit Einfluss auf ihre narrative Männlichkeitskonstruktion nehmen« (Huxel 2008: 65). Die Überbetonung von Männlichkeit durch junge Männer mit Migrationsgeschichte gilt es also ungleichheitssensibel und abseits kulturalisierender Zuschreibungen zu denken. Dieser Meinung ist auch der Soziologe und Männlichkeitsforscher Böhnisch, für den die Maskulinität junger Männer mit (türkischem) Migrationshintergrund einen doppelten Grund hat: Erstens würde Maskulinität »im Zuge einer besonderen interkulturellen Dynamik freigesetzt« (Böhnisch 2013: 144). Zwar sei Maskulinität im Heimatland in bestimmte »religiössoziale Ordnungen« eingebunden, diese verselbstständigten sich jedoch erst, wenn jene Ordnungen »in der Migrationssituation zurückgelassen und im Einwanderungsland aufgelöst sind« (ebd.). Böhnisch, der diesbezüglich am Nexus von Ethnizität, Männlichkeit und Alter argumentiert, definiert überhöhte Männlichkeit schließlich als »eigendynamische[s] Mittel der Bewältigung«, das dazu diene, sich sowohl gegenüber den gleichaltrigen männlichen Jungen ohne Migrationshintergrund, als auch von den erwachsenen Männern der eigenen Ethnie zu behaupten. »Über maskulines Dominanz- und Abgrenzungsverhalten wird Selbstwert geschöpft, Anerkennung gesucht und Selbstwirksamkeit inszeniert, die junge Migranten in einer gesellschaftlichen Umgebung handlungsfähig werden lassen, in der sie sich sozial und kulturell entwertet fühlen.« (Böhnisch 2013: 144) Der zweite Grund, den Böhnisch zur Dechiffrierung der Hypermaskulinität junger Migranten anführt, ist anschlussfähig an die Ausführungen Scheibelhofers. Die gesamtdeutsche Wahrnehmung des ›Ausländers‹ nämlich sei laut Böhnisch als vergeschlechtlicht zu begreifen: »Junger Türke und



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Macho. Das gehört doch irgendwie zusammen« laute eine weit verbreitete Annahme (ebd.). Das maskuline Verhalten würde dabei entlang deutscher Männlichkeitsvorstellungen gedeutet und dabei »entsprechend missdeutet«: »Hier, in diesen missglückten Deutungen und Konstruktionen baut sich der ›Kulturkonflikt‹ – besser das interkulturelle Missverständnis – auf, nicht in der Migration selbst.« (Böhnisch 2013: 144) Auch Böhnisch führt den Kontext der männlichen Ehre als wichtigen Verstehenszusammenhang im Hinblick auf maskulin-aggressives Verhalten junger Migranten an, eine »Fixierung«, die auch bei als kulturell integrierten und in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen mit türkischen Migrationshintergrund ausgeprägt sei (ebd.: 145). Die erhöhte Maskulinität, die sich dabei wesentlich stärker als jene der Vätergeneration geriere, verweise schließlich auf das »Zusammenspiel von sozialer Benachteiligung und ethnischer Abwertung« (ebd.: 145). Für unseren Zusammenhang ist ferner interessant, dass sich die Hinwendung zu überhöhter Maskulinität, die sich auch (aber nicht nur) in Gewalt äußert, nicht als genuin migrantenspezifische Bewältigungsstrategie dechiffrieren lässt, sondern auch bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund zu finden ist, etwa wenn diese aus sozial benachteiligten Verhältnissen stammen (ebd.: 148; Uslucan 2008).

8.3 Authentizität, Herkunft und die ›Marginalitätsdividende‹ des Rap »Der erste tighte Weiße seit dem letzten tighten Nigger, Deutschrapper mussten Ausländer sein, deswegen wollte niemand an mich glauben, doch ich übte Rap in meinem Zimmer, meine Mama hat mich jeden Morgen aus dem Bett geworfen mit den Worten: ›Such’n Job, du faules Schwein!‹ Ich sagte: ›Nein, ich werde Rapper!‹ Sie: ›Halts Maul, du bist weiß!‹« (DCVDNS – ›Der erste tighte Wei$$e‹, 2017)

Der Track ›Der erste tighte Wei$$e‹ des Rappers DCVDNS entfachte, samt gleichnamigem Album, im Jahr 2017 die immer mal wieder und mit unterschiedlicher Intensität geführte, sog. ›N-Wort-Debatte‹ im Diskursuniversum der deutschsprachigen Rap-Szene. Innerhalb unterschiedlichster Medi-

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en debattierten Rapper_innen, Journalist_innen und andere Akteur_innen über die Frage, wer den rassistisch konnotierten Begriff mit welcher Legitimität benutzen dürfe. Diese Diskussion soll hier nicht weiterverfolgt werden. Stattdessen sollen die Zeilen des Saarländer Battle-Rappers DCVDNS Anlass geben, den historisch komplexen Zusammenhang von Herkunft und Authentizität im HipHop/Rap zu beleuchten und mit Geschlechter- und Männlichkeitskonstruktionen auf dem Feld zusammenzudenken. Um es vorwegzunehmen: Die Behauptung, deutsch und gleichzeitig kommerziell erfolgreich zu sein, würde negativ korrelieren, entbehrt natürlich jeglicher Grundlage. Blickt man in die Geschichte des deutschsprachigen Rap, so war der erste kommerzielle Erfolg schließlich der ›Mittelstands-Gruppe‹ Die Fantastischen Vier und gerade nicht den vielen hiphop-assoziierten Pionier_innen mit Migrationsgeschichte vergönnt (vgl. zum Beispiel Loh/Güngör 2002; Verlan/Loh 2015). Auch die späten 1990er und frühen 2000er Jahre standen größtenteils im Zeichen weiß-deutscher Rapper_innen und Rap-Gruppen wie Fünf Sterne Deluxe, EinsZwo, Fettes Brot, Freundeskreis oder Absolute Beginner (wenngleich letztere vor allem aufgrund ihrer jeweiligen ›Frontmänner‹ Max Herre und Jan Delay einen derartigen Eindruck im Mainstream hinterlassen haben dürften). Und auch in den HipHop-Charts der letzten zehn Jahre finden sich mit Casper, Marteria, Cro, Trettmann oder Fler bis heute dutzende weiß gelesene Personen ohne Migrationshintergrund, die mit Rapmusik enorm erfolgreich sind. Wie also gelangen weiß deutsche Rapper wie DCVDNS (oder auch Fler) zu der Annahme, einer symbolisch minderwertigen, weil ›bio-deutschen‹ Minorität im Deutschrap anzugehören und sind der Meinung ›Deutschrapper müssten Ausländer sein, um glaubhaft zu sein‹ (siehe das Textzitat oben)? 8.3.1 Black rap als real rap Spürt man diesen Fragen nach so gelangt man in das Zentrum der sog. authenticity debates – einem der lebhaftesten und kontroversesten Diskursstränge innerhalb der internationalen HipHop Studies (vgl. u. a. McLeod 1999; Klein/Friedrich 2003; Schuegraf 2007; Hörner 2009; Judy 2012; Kahf 2012; Kimminich 2012; Kelley 2012; Wang 2012; Dietrich 2015a, 2015b u. v. a. m.). Immerhin eines dürfte in dieser Diskussion mittlerweile Konsens sein, nämlich die Annahme, dass Authentizität (oder ›realness‹) über keinen festen semantischen Kern verfügt, sondern ihre Bedeutung im jeweiligen Kontext verändert. Die Soziolinguistin Terkourafi (2010b: 12) bezeichnet Authenti-



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zität im HipHop deshalb als »multivalent notion«, während der viel zitierte Kommunikationswissenschaftler McLeod (1999: 139) von einem »floating signifier« spricht. ›Authentisches Sprechen‹ ist im HipHop/Rap auf unterschiedliche und recht komplexe Art und Weise mit der Herkunft des/der jeweiligen Sprecher_in verwoben und hat bis heute eine rassisierte Dimension. Und auch wenn das Standardwerk zum deutschen HipHop Is this real nunmehr über 15 Jahre zurückdatiert, hat sich wenig daran geändert, dass viele Rap-Szenegänger_innen den »Transfer der schwarzen Kultur HipHop in andere Kulturen als eine reine, zumeist kommerzialisierte Nachahmung des Originals« verstehen (Klein/Friedrich 2003a: 57).33 Wie Klein/Friedrich richtigerweise anmerken, wird diese Position im akademischen Diskurs vor allem von Vetreter_innen der Black Studies eingenommen (vgl. auch bei Wolbring 2015: 27f.). Beispielhaft sei hier auf die afroamerikanische Kulturwissenschaftlerin und HipHop Studies-Pionierin Tricia Rose verwiesen, die Rap als originär subversiv-ästhetisches Medium des Widerstandes versteht und dieses ungeachtet seiner Kommerzialisierung und weltweiten Re-Kontextualisierungen an marginalisierte Schwarze Sprecher_innenpositionen knüpft (Rose 1994: 19).34 Gleichwohl Klein/Friedrich (2003a: 62) das als sog. ›Ursprungserzählung‹ in den HipHop-(Wissenschafts-)Kanon eingegangene Narrativ als »mythische Erzählung« dechiffrieren und die Essentialisierung des Ethnischen diesbezüglich problematisieren, bleibt die Authentifizierung über den Ursprungsmythos und die mit ihm assoziierten Sprecher_innenpositionen bis heute zentraler Identitätsbaustein des globalen doing hiphop, denn »[ü] ber die Ursprungserzählung wird HipHop essentialisiert und der Glaube an Authentizität hergestellt« (Klein/Friedrich 2003a: 62). Die enge Verknüpfung von realness und race verweist auf die historische Kommodifizierung Schwarzer Kultur durch eine weiße Musikindustrie und lässt sich am besten am Beispiel der US-amerikanischen Rap-Szene diskutieren. Für viele Schwarze Rapper_innen und Aktivist_innen ist Authentizität hier eng mit »Black cultural expression« verbunden (McLeod 1999: 140). In einem Interview mit der Literaturwissenschaftlerin bell hooks erklärt Rapper Ice Cube  – ehemals Mitglied der berühmten Gangsta-Rap-Formation N.W.A. – dass sich seine Musik an ein explizit Schwarzes Publikum richte. 33 Zum Beispiel das Rap-Duo Huss und Hodn (vgl. von Stetten/Wysocki 2017). 34 »The drawing power of rap is precisely its musical and narrative committment to black youth and cultural resistance, and nothing in rap’s commercial position and cross-cultural appeal contradicts this fact.« (Rose 1994: 19)

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Weiße Zuhörer_innen dagegen akzeptiere er lediglich als ›Lauschende‹ (›eavesdropping‹) (vgl. Hess 2005: 386). Das stolze Bekenntnis zur eigenen afroamerikanischen Identität im Kontext der Kommodifizierung Schwarzer Rap-Musik ist ein bedeutender politischer und selbstermächtigender Akt. Eine Distanzierung (›disassociate‹) von der eigenen Blackness dagegen berge das Risiko, sich innerhalb der eigenen Community Vorwürfe um Ausverkauf (›sell-out‹) einzuhandeln (vgl. McLeod 1999: 141).35 Die Aneignung Schwarzer Kultur und Ästhetiken durch eine weiße Dominanzkultur wird mit einem Kontrollverlust über die eigenen Repräsentationen und einer Verwässerung afroamerikanischer Kulturtraditionen assoziiert (vgl. auch Hess 2005: 375f.). Die HipHop-Forscherin Rose schreibt in diesem Zusammenhang: »Given the racially discriminatory context within which cultural syncretism takes place, some rappers have equated white participation with a process of dilution and subsequent theft of black culture. Although the terms dilution and theft do not capture the complexity of cultural incorporation and syncretism, this interpretation has more than a grain of truth in it. There is abundant evidence that white artists imitating black styles have greater economic opportunity and access to larger audiences than black innovators.« (Rose 1994: 5f.)

Besonders im Gangsta-Rap-Diskurs gilt der weiße Hegemon entstehungsgeschichtlich »als historischer Kultur- und Klassenfeind […] mit konstant rassistischen Motiven sowie als antagonistische Staatsmacht, die den ›schwarzen Mann‹ jagt und einsperrt« (Dietrich 2015b: 17). Weißsein ließ sich innerhalb der HipHop-Authentizitätsmatrix deshalb lange Zeit nur schwer mit Kredibilität vereinbaren. Black galt als ›real‹ (McLeod 1999: 139), weiß dagegen weckte Assoziationen mit Appropriation, Imitation und Fälschung. Umso erstaunlicher erscheint in diesem Lichte die beispiellose Erfolgstory des weißen Rappers Eminem. 8.3.2 Eminem und alternative Authentifizierung via class struggle Um den Erfolg und die Authentizitätsdebatten rund um Eminem verstehen zu können, ist vorauszuschicken, dass eine legitime, lies authentische weiße Sprecher_innenposition im Rap lange Zeit durch den Skandal um Vanilla 35 Erinnere an dieser Stelle an die historisch tradierte Unterscheidung zwischen dem field nigga und dem house nigga. Bis heute wird privilegierten (Mittelschichts-)Schwarzen innerhalb der Schwarzen Community eine Komplizenschaft mit weißen Machtstrukturen vorgeworfen, während der field nigga als real nigga gelte (vgl. Scharenberg 2001).



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Ice verunmöglicht wurde. Mit der Single ›Ice Ice Baby‹ (1989) veröffentlichte der weiße Rapper aus Florida den ersten Rap-Song, der es in die US-amerikanischen Billboard Charts schaffte. Aufgrund seiner »fabricated biography« avancierte der erfolgreiche Rapper jedoch schon bald zu »rap’s most discredited [artist]« (Hess 2005: 372f.). Zugunsten einer authentischen ›Straßenbiografie‹ hatte er unter anderem seine Kindheit in einem Vorort von Dallas und den Besuch einer wohlhabenden High School unterschlagen. Die Causa Vanilla Ice bestätigte somit nicht nur die ohnehin bestehenden Vorbehalte gegenüber weißen Rap-Sprecher_innen, sondern festigte auch die semantische Verknüpfung von Blackness und realness. Weiße Rap-Sprecher_innen waren nach diesem Ereignis zunächst endgültig aus dem Rap-Mainstream ausgeschlossen (vgl. ebd.: 375). Erst Eminem schaffte es zur Jahrtausendwende diesen Bann zu durchbrechen und entfachte die authenticity debates des HipHop damit von neuem.36 Für Klein/Friedrich (2003a: 29) stellt der weiße US-Rapper »die Gangsta-Rap-Variante des white negro« dar, wobei sich die Autor_innen hier auf Norman Mailers (1957/1971) Essay The White Negro beziehen. Der US-HipHop- und Popkulturforscher Hess versteht Eminems Performance dagegen keineswegs als Imitation: »Rather than imitate a model of hip-hop blackness, Eminem emphasizes the autobiographical basis of his lyrics and his struggle to succeed as a rap artist; he presents a new model of white hip-hop authenticity in which being true to yourself and to your lived experiences can eclipse notions of hiphop as explicitly black-owned.« (Hess 2005: 373) Da der HipHop-Authentizitätsdualismus des ›Schwarz vs. weiß‹ auch eine klassisierte Dimension aufweise, die sich als deprivilegiert vs. privilegiert übersetzen ließe, ergäbe sich für weiße Sprecher_innen die Möglichkeit einer alternativen Authentifizierung und weiter: »Because hip-hop’s representations of racial identity are so tied to class, each of these white artists tells stories of his class struggle to counter hip-hop’s representations of white privilege« (Hess 2005: 372). Auch Hess bezieht sich in seinen Ausführungen auf die HipHop-Authentizitätsmatrix von McLeod (1999) (siehe Abb. 3).37 36 Natürlich gab und gibt es immer wieder vereinzelt erfolgreiche weiße Rapper oder RapGruppen wie die Beastie Boys oder 3rd Bass (vgl. dazu ausführlich bei Dietrich 2015b). Eminems Rolle und Erfolg gilt jedoch als beispiellos, da der Rapper eine »revolutionäre Wirkung für die Etablierung weißer Rapper im US-Rap« hatte (Dietrich 2015b: 193). 37 Des Weiteren bezieht sich Hess auf Armstrong (2004), der sich ebenfalls an McLeod orientiert und einige weitere Authentizitätsaspekte formuliert. So gelte es etwa »local allegiances and territorial identities« zu behaupten und sich fortwährend zum Ursprungsmythos zu bekennen (»original source of rap«) (Armstrong 2004, zit. nach Hess 2012: 641).

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Abbildung 3: Die HipHop-Authentizitätsmatrix nach McLeod (1999)

Im Falle Eminem konstatiert er jedoch semantische Verschiebungen innerhalb der Dimension ›racial‹: Mit ›immersion‹, ›imitation‹ und ›inversion‹ arbeitet er eine Chronologie der Authentifizierungsstrategien weißer Künstler heraus, die zu verschiedenen Zeitpunkten der Geschichte des Rap unterschiedlich erfolgreich verfolgt wurden: »As notions of hip-hop authenticity have changed, white artists have moved from immersing themselves in a nascent music culture to imitating an explicit model of the black authentic, to inverting the narratives of black artists to frame their whiteness as a career disadvantage in a form that remains dominated by black artists.« (Hess 2005: 375) Die erfolgreiche Authentifizierung des weißen Eminem führt Hess dabei nicht nur auf dessen deprivilegierte soziale Herkunft zurück, die sich – anders als bei Vanilla Ice – mit seiner »actual biography within a poor urban location« decke (ebd.: 382). Auch dessen historisch informierte Sensibilität für die eigene weiße Sprecherposition innerhalb einer Schwarzen Kultur und die »rhetorical strategy of anticipation«, mit der er Vorbehalten (nicht nur) gegenüber seiner whiteness bereits im Vorhinein begegnet, werden als Gründe für Eminems nachhaltigen Erfolg angeführt (ebd.: 383).38 Schließlich betone der in Detroit sozialisierte US-Rapper immer wieder seine aufrichtige Liebe zu HipHop und werde nicht zuletzt durch den Rückhalt eines Dr. Dre authentifiziert: Die Schwarze Rap-Legende und Mitglied der berüchtigten Gangsta-Rap-Formation N.W.A. gilt als Entdecker und Förderer des weißen MCs, wodurch die Repräsentation des weißen Künstlers, das heißt so 38 Im Bewusstsein über seine ›white marketability‹ rappt Eminem auf dem Track ›White America‹ (2002) beispielsweise: »Look at my sales, let’s do the math, if I was black, I would’ve sold half.«. Überdies vermeidet der Künstler in seinem Werk den im Diskursuniversum Rap häufig verwendeten Begriff ›nigger‹ (Hess 2005: 383f., auch Rodman 2012: 191f.).



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wohl Musik-, Text- oder Filmproduktionen (8 Mile)39 gewissermaßen unter Schwarzer Kontrolle waren (ebd.: 382f.). Zu ähnlichen Ergebnissen wie Hess (2005) gelangt auch Dietrich (2015b), der im Fall Eminem ebenso eine Umdeutung des HipHop-Realness-Gebots am Werk sieht und diesbezüglich von einer sog. ›White Trash Realness‹ spricht. Statt auf das mythisch verklärte Ghetto oder Narrative des sozialen Aufstiegs im Sinne einer ›Straßenreportage‹, setze Eminem auf die »Stilisierung der Trostlosigkeit der weißen abgehängten Unterschicht« und bleibe dem Grundnarrativ des Outsiders damit treu (ebd.: 249f.).40 Zwar ist die sog. race question zum Verständnis aller Formen US-amerikanischer Popmusik von entscheidender Bedeutung (vgl. zum Beispiel auch Rodman 2012: 187). Der immense Erfolg eines Eminem, ebenso wie jener anderer weißer Rap-Gruppen wie der Beastie Boys, House of Pain oder 3rd Bass zeigt jedoch, wie mehrdeutig (›multivalent‹, siehe Terkourafi 2010b: 12) Authentizität im Rap sein kann und wie die verschiedenen semantischen Dimensionen in Abhängigkeit von Zeit, Kontext, sozialer Position und vielen Faktoren mehr immer wieder variieren. Auch in einer für viele originär Schwarzen Kultur wie HipHop/Rap folgt Authentizität nicht per se den »rules of race«, wie der Soziologe und HipHop-Forscher Dyson (2004: 368) formuliert. Weiße Künstler/Gruppen könnten sich ebenso durch ihren Sound oder entsprechende thematische Nuancierungen (»sounds and themes«) als Rap-Sprecher authentifizieren. Während Schwarze Künstler wie MC Hammer oder Fresh Prince nicht per se authentisch sein müssen, sondern im Gegenteil auch schonmal aufgrund ihrer musikalischen Nähe zum PopMainstream diskreditiert würden (ebd.).41 Auch der deutsche HipHop-Forscher Dietrich (2015b: 277) konstatiert in seiner Dissertation eine »Öffnung der Rap-Kultur für Akteure, die mit der Ursprungserzählung des HipHop 39 8Mile (2002) ist ein auf autobiografischen Details basierender Kinofilm über das Aufwachsen und die ersten Karriereschritte des Rappers Eminem (im Film Jimmy Smith aka ›rabbit‹ – gespielt von Eminem selbst). Eine kritische Analyse des Films findet sich bei Rodmann (2012: 190). 40 Als weitere Inszenierungsstrategien des erfolgreichen weißen Rappers arbeitet Dietrich eine »Rollen- und Comedy-Performance«, die »sozial- und medienkritische[n] Inszenierung« sowie dessen »selbstreflexiv-bekennende[n] Performance« heraus (Dietrich 2015b: 193f.). 41 Tatsächlich wurde die Musik von MC Hammer, ebenso wie der Rap von Vanilla Ice abwertend als ›Bubblegum-Rap‹ bezeichnet (Ogbar 2018: 16). Dass die Diskreditierung der Schwarzen Künstler MC Hammer und Fresh Prince aufgrund ihres MainstreamErfolgs ebenso entlang der Kategorie race verläuft, scheint Dyson an dieser Stelle offensichtlich zu entgehen.

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nur wenig zu tun haben.« Zwar bliebe die Hautfarbe nach wie vor ein effektives Kriterium der Markierung von Differenz, gleichzeitig dokumentiere sich in dem Erfolg eines Eminem und anderer weißer Rapper »ein kultureller Zugang, der latent hautfarbenorientierte Selektionsprozesse durch Kriterien der Kreativität und glaubwürdigen Kunstfertigkeit ersetzten möchte« (ebd.: 278f.). Schließlich spiele auch die Erschließung von Rapmusik durch die Kulturindustrie, sowie eine insgesamt verbesserte gesamtpolitische Lage hinsichtlich des langsamen Aufbrechens der politisch-historisch bedingten Exklusionsmechanismen des Rap dahingehend eine Rolle.42 8.3.3 Der cult of the thug und die Bedeutung der hood Wenn sich Eminem über seine Klassenzugehörigkeit authentifiziert (›White Trash‹) und es – anders als im Fall von Vanilla Ice – vor allem auch die »autobiographical basis« (Hess 20015: 385) seiner Texte ist, die ihn im HipHopKosmos glaubwürdig erscheinen lässt, dann ist damit einmal mehr das spannungsreiche Verhältnis von Autobiografie, Inszenierung und Authentizität im Rap angesprochen. Für Klein/Friedrich (2003a: 82) muss Authentizität im HipHop/Rap nicht über erlebte soziale Marginalisierung, sondern über das ›Lebensgefühl HipHop‹ hergestellt werden. Die Ursprungserzählung als Mythos vorausgesetzt, werde das Bild des Schwarzen Ghettos zum theatralen Mittel, das in den Bild- und Diskurswelten des HipHop/Rap »als inszenatorischer Verweis auf Tradition dient.« Dem »Vorgang der Essentialisierung« käme dabei eine bedeutende Rolle zu: »Das Bild [vom Ghetto, Anm. d. Verf.] wird essentialisiert, indem es sich als Glaube an die Wirklichkeit, als ›Illusio‹ in den körperlichen Habitus einschreibt: Nicht mehr die soziale Erfahrung einer ethnischen Minderheit gilt nunmehr als Garant von Authentizität, sondern das scheinbar qua Natur gegebene Lebensgefühl.« (Klein/Friedrich 2003a: 82f.) Als Inszenierungsstrategie verliert Authentizität damit nicht an lebensweltlicher Bedeutung, muss das was real ist doch in der performativen Aufführung immer wieder neu hervorgebracht und als soziales Konstruktionsprinzip zwischen Akteur_innen innerhalb verschiedenster lokaler Kontexte ausgehandelt und glaubwürdig gemacht werden (vgl. Klein/Friedrich 2003b: 98).43 Der Li 42 Zu den Analogien und Differenzen der Inszenierung Schwarzer und weißer Rapper vgl. ausführlich bei Dietrich (2015b: 281ff.). Eine männlichkeitstheoretische Analyse der Rap-Persönlichkeiten Eminems findet sich bei Hickey-Moody (2009). 43 Zur Inszenierung und Authentizität von Eminem vgl. Schuegraf (2007: 171–183).



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teraturwissenschaftler Wolbring formuliert für Rap einen sog. ›weiten autobiographischen Authentizitätsanspruch‹. Dieser setze nicht voraus, dass die in den Texten geschilderten Handlungen tatsächlich Erlebtem entsprechen, verlange aber, dass die dadurch geäußerte Haltung in lebensweltlichen Zusammenhängen tatsächlich vertreten wird (Wolbring 2015: 160ff.). Mit dem Ausdruck des representing fände sich im Vokabular des HipHop/Rap sogar ein Terminus, der dieses »authentische repräsentieren, vertreten und verkörpern bezeichnet« (ebd.: 163). Für Terkourafi (2010b: 12) verfügt das keepin‹ it real to the street des HipHop/Rap über diverse ›glokalisierte‹ Übersetzungen (»glocalized outcomes«), so dass selbst innerhalb eines Landes unterschiedlichste Interpretationen von Authentizität koexistieren könnten. Eine wie auch immer geartete realness könne zum Beispiel ebenso im metaphorischen Sinne interpretiert und auf eine fiktionalisierte Straße bezogen werden. Die Authentizitätsdebatte betrifft zwar alle Disziplinen des HipHop und alle Subgenres des Rap, dennoch sehen sich die Protagonist_innen des Gangsta-Rap  – vor allem seit der enormen Kommerzialisierung des Genres  – in ganz besonderem Maße mit der Frage nach der Glaubwürdigkeit ihres Schaffens konfrontiert (Wolbring 2010: 155). Dazu ein kurzer historischer Exkurs: Nach einer Phase erfolgreicher Schwarzer und weißer Mittelstands-Gruppen (Run DMC, Beastie Boys) Mitte der 1980er Jahre, die das Rap-Genre zunehmend für weiße Zuhörer_innen öffneten, begann Ende der 1980er Jahre der Siegeszug des Gangsta-Rap. Durch dessen Protagonisten, allen voran die kalifornische Rap-Crew N.W.A., sollte das Rap-Genre wieder als explizit Schwarz zurückerobert werden. Wie in Kap. 8.1.1/8.1.4 ausgeführt, repräsentierte N.W.A. tradierte rassifizierte Stereotype um den bad nigger, die ihre Verkörperung – gleich einer Selffulfilling Prophecy – in der Sozialfigur des thugs fanden. Eine afroamerikanische Sozialfigur am Nexus von race, class und masculinity die Terkourafi (2010a: 333) als »criminal or threatening« definiert (vgl. auch Jeffries 2011: 77ff.). Für das Verständnis gegenwärtiger (deutschsprachiger) Rap-Männlichkeitskonstruktionen ist die Evolution dieser Genre-Figur zentral, öffnete sie doch neue Möglichkeitsräume der Authentifizierung und avancierte zur hegemonial-männlichen Orientierungsfolie im globalen doing rap masculinity (vgl. Kap. 7.5): »The ›cult of the thug‹ embodied in 1990s gangsta rap follows as a self-fulfilling prophecy. Once this new interpretation of authenticity was available, it also became available to hip hoppers worldwide, who capitalized on it in different ways, to different extents, and to multiple indexical effects […].« (Terkourafi 2010b: 11)

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Der cult of the thug bietet alternative Authentifizierungsmöglichkeiten für Rap-Sprecher_innen, die über keine real erlebte Erfahrung mit Straßengewalt und/oder Kriminalität ›verfügen‹. Terkourafi spricht in diesem Zusammenhang auch von einem keepin‹ it real to the genre. Eine Authentifizierungsstrategie, die durch die Berücksichtigung des genretypischen Hyperbolismus, des ›larger than life‹-Ethos und anderer antagonistischer Elemente eingelöst werden könne, denn: »keepin it real to the genre can serve to re-emphasize the elements of verbal skill and wit found in hip hop’s lineage in African American sounding practices – but also in corresponding traditions elsewhere – injecting the genre with a (renewed) potential for social critique that can also target itself, as in self-parody […]« (ebd.: 12). Wenn männliche Rapper (mit oder ohne Migrationshintergrund) heute also über Straßengewalt rappen oder diese gar verherrlichen, so lässt sich dies nicht zwangsläufig auf real erlebte Erfahrungen oder wahrhaftig geteilte Einstellungen zurückführen, wie der Linguist Newman (2009) am Beispiel einer Interviewstudie herausarbeitet. Eine Annahme, die sich auch auf misogyne und homophobe Aussagen übertragen lässt: Die (hyperbolische) Abwertung von Weiblichkeit als keepin it real to the genre. Obwohl kaum einer der von Newman befragten Hardcore-Rapper44 reale Begegnungen mit Straßenkriminalität o. ä. hatte, steht deren lyrisches System der Gewalt in Beziehung zum cult of the thug (Newman 2009: 208). Das auf Außenstehende oft deplatziert und politisch unkorrekt wirkende Rap-Männlichkeitsgebaren ist also auch Ergebnis von Genrezwängen, erfordere letzteres doch »a verbal expression of ›street conscious identity‹« (ebd.; vgl. auch Kap. 8.4.2–8.4.4). Die Figur des thugs biete außerdem eine lebensweltkompatible Möglichkeit der Ausbildung einer ›stabilen‹ lokalen Identität innerhalb der inner city community. Für viele (junge) männliche Rapper  – die oftmals tatsächlich einkommensschwachen Schichten entstammen – avanciert die Straße auf diese Weise zum Symbol (›icon‹). Die thuggish elements (Gewaltlyrik, Misogynie etc.) müssten daher  – so Newman – eher als lebensweltlicher Hintergrund vor dem das Narrativ funktioniere, denn als Kern des Narrativs selbst (›point of the narrative‹) betrachtet werden (ebd.: 209f.). Dass der Bezug zur Straße authentisches Sprechen im Rap erst ermöglicht, darf als Konsens innerhalb der HipHop Studies gelten. Auch für Mc 44 In der US-amerikanischen Literatur wird Hardcore-Rap oft synonym mit Gangsta-Rap verwendet.



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Leod (1999) hat Authentizität eine soziolokale Dimension (›social locational‹), während HipHop-Forscher Forman der ›hood‹ sogar eine zentrale Bedeutung im doing gangsta einräumt: »The criminal activities that are described in gangsta rap’s intense lyrical forms are almost always subordinate to the definitions of space and place within which they are set. It is, therefore, the spatialities of the ›hood‹ that constitute the ascendant concept and are ultimately deserving of discursive pre-eminence.« (Forman 2012b: 259) Der Rekurs auf den ›segregierten Raum‹ ist auch im deutschsprachigen Gangsta-Rap ein entscheidender Bezugspunkt, meint Dietrich (2015a: 95f.), für den das being real als being hood bis heute eine zentrale Rolle in den inszenatorischen Praxen des Rap spielt: »Die Hood-Referenz ist immer auch gezielte Demonstration der eigenen Kompetenz, die sich daraus ableitet, aus dem Ghetto zu kommen und somit glaubwürdiger Gewährsmann der verbreiteten Inhalte zu sein. Hier garantiert die Herkunft den Glaubwürdigkeitsstatus. Rapper, die sich auf die Hood beziehen, beanspruchen nicht nur Authentizität und all die Merkmale, die die Gegend auszumachen scheinen, sondern sie schreiben sich zudem in die HipHop-Tradition ein – Rap entstand in der Hood und wird auch innerhalb dieses Milieus reproduziert.« (Dietrich 2015a: 97)

Machttheoretisch betrachtet, ist es auf dem Feld des Rap demnach von »Vorteil« aus einem sozialen Brennpunkt resp. einer sozial deprivilegierten Gegend zu kommen, zumindest wenn es – wie im Gangsta-Rap – darum gehen soll, als Repräsentant_in einer marginalisierten Gruppe authentisch über das Leben in der ›Hood‹ oder dem ›Ghetto‹ zu sprechen (vgl. auch Dietrich 2015a: 85). Neben dem Wissen um spezifische (Mode-)Trends oder andere rapspezifische Konventionen und Werte sei für die soziale Positionierung des/der Gangstarapsprecher_in vor allem »das (inszenierte) Wissen um die Funktionsweise und Regeln jenes sozialen Teilraums« relevant, wie Dietrich (2015c: 234) mit Blick auf den deutschen Kontext formuliert: »Der Verweis auf und die Behauptung von ›authentischen‹, biografisch gesättigten Erfahrungen im Straßenmilieu ist die Kernressource des G-Rappers zur Positionierung in der Szene.« (ebd.) Nicht nur weil die Möglichkeit besteht diesen gewinnbringend an Fans zu adressieren und damit symbolisches in ökonomisches Kapital zu transferieren, sondern auch weil die Performances als »Chancen der kompensatorischen, sublimierenden Wirkung« gelesen werden könnten, sei der (inszenierte) segregierte Raum als Chancenraum begreifbar; würde Herkunft im Sinne Thorntons (1997) zum ›subkulturellen Kapital‹ im Gangsta-Rap (Dietrich 2015c:

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251). Diese Überlegung soll nachfolgend feld-, und männlichkeitstheoretisch diskutiert werden. 8.3.4 Performing marginality oder die ›Marginalitätsdividende‹ des Rap Die zentrale Bedeutung der ›Straße‹ und der mit ihr assoziierten marginalisierten Sprecher_innenposition gibt Anlass, einige kategoriale Überlegungen mit Blick auf das Feld des Rap anzustellen. Wenn »die Kernressource des G-Rappers zur Positionierung in der Szene« in dem Verweis und/oder der Behauptung von Straßenerfahrungen besteht und diese vor allem dann authentisch geglaubt werden, wenn sie sich an die Biografie zurückbinden lassen (Dietrich 2015c: 234), so wird die ›marginalisierte Männlichkeit‹ – in einem ersten Denkschritt – zur ›hegemonialen Männlichkeit‹ auf dem Feld. Angesichts der Bedeutung von Herkunft im HipHop/Rap ließe sich Männlichkeit in einem zweiten Schritt jedoch als Masterkategorie hinterfragen: Ist Männlichkeit resp. Geschlecht womöglich nur eine von vielen Machtachsen auf dem Feld? Inwiefern wirkt Herkunft hier herrschaftskonstituierend, bedeutet being real doch vor allem being hood und nicht etwa being male? Der Begriff des Feldes taucht in Bourdieus Theorie männlicher Herrschaft nicht auf, woraus sich nach Jäger u. a. (2012: 24) schließen lasse, dass der Geschlechtshabitus nicht auf ein bestimmtes Feld zu begrenzen sei: »Er durchzieht vielmehr alle gesellschaftlichen Felder gleichermaßen und als solcher ist er in die Analyse aller sozialen Felder einzubeziehen.« (ebd.: 24) Damit ist jedoch nicht die Frage geklärt, ob Geschlecht in unterschiedlichen Feldern nicht auch eine unterschiedliche Gewichtung zukommt. Im Gegenteil scheint Hegemonie, das heißt der ›erfolgreich erhobene Anspruch auf Autorität‹ (Connell 2015: 131) im gegenwärtigen Rap  – und dort insbesondere im hegemonialen Genre Gangsta-Rap  – in enger Wechselwirkung mit marginalisierter Herkunft zu stehen. Eine Marginalisierung, die über den Bezug zum ›Ursprungsmythos‹ beziehungsweise über die Anrufung segregierter Räume konstruiert wird (vgl. Dietrich 2015c). Insofern die Ghetto-Symbolik jedoch nicht nur durch eine geschlechtliche (lies männliche), sondern auch durch eine ethnisierte sowie klassenspezifische Konnotation gekennzeichnet ist (vgl. Seeliger 2013: 118), steht die ›Kapitalsorte‹ der marginalisierten Herkunft unterschiedlichen Subjektpositionen zur Verfü-



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gung.45 Sie ist entlang verschiedener Semantiken einlösbar und entsprechend divers an die jeweilige Biografie zurückbindbar. Analog zu dem cult of the thug könnte man hier auch von einem cult of struggling sprechen: Es geht um die möglichst glaubwürdige Inszenierung und Performance einer (vermeintlich) unverschuldeten, randständigen Existenzweise. Mit Blick auf Gangsta-Rap dechiffriert Seeliger diese Inszenierungsstrategie als Teil des hegemonialen Männlichkeitsprojekts, denn »[i]ndem das eigene biografische Projekt zur Geschichte der permanenten Bewältigung gesellschaftlich induzierter Widrigkeiten stilisiert wird, schaffen sich Gangstarapsprecher einen kulturellen Ausgangspunkt ihrer Selbstdarstellung, auf den sie als (vermeintlich) etablierte und erfolgreiche Geschäftsleute als Beweis ihrer außergewöhnlichen Leistungsfähigkeit verweisen können.« (Seeliger 2013: 128) Fällt die Straße und die mit ihr assoziierten, symbolisch bedeutsamen Erfahrungen von Alltagsrassismus oder sozialer Benachteiligung jedoch als Referenzrahmen dieser Bewältigungsgeschichte aus und kann nicht am eigenen Körper (zum Beispiel der Hautfarbe) glaubhaft gemacht werden, so muss das hegemoniale, weil marginalisierte Subjekt durch Rückgriff auf alternative Semantiken angerufen und (zum Beispiel körperlichhabituell) authentifiziert werden. Performing marginality  – wie man diese Inszenierungsstrategie nennen könnte – umfasst demnach sämtliche Topoi, die den Eindruck einer randständigen und/oder prekären Existenzweise entstehen lassen, darunter Krankheit (die eigene oder die der Geschwister/Eltern), das Aufwachsen bei einem alleinerziehenden Elter (meist der Mutter), Bildungsmisserfolg, Medikamenten- oder Alkoholmissbrauch (auch im Elternhaus) oder auch ein häufiges Wechseln des Wohnorts im familiären Zusammenhang (= Heimatlosigkeit). Vor allem weißdeutsche Rapper ohne Migrationshintergrund greifen in ihrer Rap-Identitätsarbeit auf diese Strategie zurück, etwa wenn Gangsta-Rapper Fler seine ›deutsche Herkunft‹ zum Ausgangspunkt für Diskriminierung innerhalb einer migrantisch dominierten Szene stilisiert.46 Auch der ausdauernde Verweis auf seine Sozialisation als

45 »Ein Kapital oder eine Kapitalsorte ist das, was in einem bestimmten Feld zugleich als Waffe und als umkämpftes Objekt wirksam ist, das, was es seinem Besitzer erlaubt, Macht oder Einfluß auszuüben, also in einem bestimmten Feld zu existieren und nicht bloß eine ›quantité négligeable‹ zu sein.« (Bourdieu/Wacquant 1996: 128) 46 Vgl. unter anderem Alben wie Neue Deutsche Welle (2005) oder Fremd im eigenen Land (2008) und die dazugehörige Berichterstattung. Darüber hinaus auch ein Dossier von TickTickBoom (2015) zum Thema ›Deutscher Nationalismus im Rap – Ein Zwischenstand‹, in dem der ›Deutsch-Patriotismus‹ des Rappers Fler kritisch diskutiert wird.

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›Heimkind‹ ist Teil seiner Marginalitätsperformance (vgl. den Song ›Heimkind‹, 2005). Aber auch abseits des Gangsta-Subgenres wird ein mangelnder Bezug zur Straße und der mit ihr assoziierten, marginalisierten Existenzweise durch alternative Authentifizierungsstrategien zu kompensieren versucht. Der weiß gelesene Rostocker Rapper Marteria beispielsweise affirmiert das hegemoniale marginalisierte Subjekt über die häufige Referenz auf seine Sozialisation in der Deutschen Demokratischen Republik (vgl. zum Beispiel ›Mein Rostock‹ 2014) – eine Strategie, die sich auch bei anderen weiß gelesenen Rappern wie Sido (›Geuner‹, 2016) oder Trettmann (›Grauer Beton‹, 2017) finden lässt. Ferner stilisiert auch er seine vergleichsweise privilegierte Biografie als jugendlicher Aspirant auf die Fußball-Nationalmannschaft, Nachwuchsmodel in New York oder Absolvent einer Schauspielausbildung als »Geschichte der permanenten Bewältigung« (vgl. Seeliger 2013: 128), indem er das Model-Dasein mit dem Kriminalitäts-Topos verbindet oder die Entscheidung zur Schauspielausbildung als unfreiwilliges Resultat einer nicht abgeschlossenen Schulbildung diskursiviert.47 Auch der prominente weiße Rapper Casper authentifiziert sich durch den Verweis auf die dem Erfolg vorgängige Prekarität: »Hatten nie viel Geld, aber jeden Tag mega Brand, Rewe-Markt, Rotwein im Tetrapack für den Weg gezockt«, heißt es im Track ›Michael X‹ (2011), während in ›Auf und davon‹ (2011) ein Lebensentwurf zwischen »Mahnung und Ratenabzahlung« entfaltet wird. Caspers männliche Marginalitätsperformance erinnert hier an Hess’ (2005: 372) Ausführungen über die Authentifizierungsstrategien weißer Rapper: »Because hip-hop’s representations of racial identity are so tied to class, each of these white artists tells stories of his class struggle to counter hip-hop’s representations of white privilege.« Auch der Rapper Manuel Marc Jungclaussen alias Sierra Kidd liefert im Interview mit dem Szenemedium 16bars.tv eine geradezu theatralische Marginalitätsperformance. Ebenfalls nicht im Gangsta-Subgenre verortbar, rekurriert Sierra Kidd vor allem auf den Krankheits- und Drogen-Topos und bettet seine missliche Lage schließlich in einen familienbiografischen RahZum Deutsch-Sein als »problematisches Konzept« in der HipHop-Szene vgl. außerdem Templeton (2007: 185-195). 47 Im Track ›Endboss‹ (2010) etwa heißt es: »Ich hau ab, geh mit 18 nach Manhattan, will nur feiern und vom Dach springen auf Tabletten, denk’ ich bin ein Star alles dreht sich um mich, häng’ an der Bar alles dreht sich um mich. Komm’ zurück und zieh nach Berlin, was macht man ohne Abi? Schauspiel studier’n …«.



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men ein. Authentizität wird hier sodann  – ähnlich wie bei White-TrashRapper Eminem und Deutschrap-Kollege Casper – über das Narrativ von der abgehängten Unterschicht zu erreichen versucht. Menschen, die ihn nicht für real halten und ihn im Rap-Genre nicht ›haben wollen‹ entgegnet er im Interview wie folgt: »Jungs, was soll ich euch erzählen, ich hab’ mich im Gesicht tätowiert, ich bin wirklich von ganz ganz unten. Ich und meine Geschwister haben in einem bedroom geschlafen saulange Zeit, ich war arm […] wir hatten kein Strom […] Zuhause. Jungs, und ich bin der einzige der darüber offen redet. Ich schäme mich nicht dafür, sondern ich trage das wie eine Bürde […] ich trage das wie einen Orden auf mir drauf. Ich bin arm auf die Welt gekommen. So. Ich bin nicht aus reichem Elternhaus, sondern ich habe diese ganze Scheiße mir selber beigebracht …«.

Die Äußerungen von Sierra Kidd, die der Rapper im Interview mit auslandender, geradezu dramatischer Gestik performt,48 und die auf Kausalität anspielende Argumentation zwischen Prekarität (›von ganz ganz unten‹) und Körper (›im Gesicht tätowiert‹) setzt letzteren als »Garant der Authentizität« (Duttweiler 2013: 20) relevant, der die Materialisation des fleischgewordenen HipHop-Habitus anzeigen soll (siehe Abb. 4).49

48 Bei der Aussage »ich bin arm auf die Welt gekommen« fasst er sich beispielsweise mit der linken Hand mehrmals auf die Brust/das Herz, wohl um die Aussage in ihrer Glaubwürdigkeit zu verstärken. 16bars, 01.12.2020, https://www.Youtube.com/watch?v=BZjykMGbWFk [ab Minute 19:45] 49 Sierra Kidds Gesichtstattoo ist übrigens dem US-Rapper und erklärtem Vorbild 21Savage nachempfunden, der den tätowierten Dolch allerdings nicht wie Sierra Kidd unter der linken Wange, sondern zwischen den Augen trägt. Es sei an dieser Stelle der Vollständigkeit halber angemerkt, dass das hier zitierte VideoInterview sowie einige weitere Interviews von Sierra Kidd inzwischen szeneintern als ›episch‹ gelten. Viele Szenegänger_innen und Rap-Fans – darunter Sierra Kidd höchst selbst – stufen dessen Auftreten zur Zeit des Interviews als peinlich ein, was vor allem an der übermäßigen Verwendung von Anglizismen (›Denglisch‹) festgemacht wird (zum Beispiel »We strapped, aber wir sind nicht violent«). Sein damaliger Zustand erkläre sich – so der Rapper rückblickend – durch übermäßigen Drogenkonsum und psychische Probleme (was erneut der hier entfalteten, feldspezifischen Subjektivierungslogik entspricht). Die Szenekritik an Sierra Kidds ›overacting‹ zeigt ferner an, dass auch die Performance von Marginalisierung der feldspezifischen Logik der Coolness folgen muss, das heißt einem »Habitus, der jegliche Emphase vermeidet« (Wolbring 2015: 443). Denn wer allzu verbissen behauptet marginalisiert (gewesen) zu sein, wird ob der Überstrapazierung der Marginalitätsdividende schnell als unauthentisch (oder eben ›peinlich‹) entlarvt.

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Abbildung 4: »Ich bin wirklich von ganz ganz unten …!« Sierra Kidds Marginalitätsperformance

»Wenn das Ghetto der mythische Ort des HipHop ist, dann ist der schwarze männliche HipHopper die zentrale mythische Gestalt«, formulieren Klein/ Friedrich (2003a: 24). Gerade in seinen glokalen Übersetzungen hat sich die hegemoniale Subjektkultur des HipHop/Rap sukzessive von einem konkreten (Schwarzen) Geschlechtskörper gelöst und um die gemeinsam geteilte Erfahrung von Marginalisierung herumgruppiert. Osumare (2007: 61ff.) spricht in diesem Zusammenhang von dem concept of connective marginalities. Der historische Rassismus der USA bleibe dabei zwar innerhalb der globalen HipHop-Szenen als symbolischer Referenzrahmen bestehen, Blackness werde jedoch lokalspezifisch reformuliert, »to signify parallel issues of marginality and difference« (ebd.: 62). Damit steht das marginalisierte Subjekt, nicht aber die marginalisierte Männlichkeit im Zentrum des feldspezifischen Hegemonieprojekts. Die Beispiele Fler, Marteria, Casper und Sierra Kidd zeigen, dass die Stilisierung des »eigene[n] biografische[n] Projekt[s] zur Geschichte der permanenten Bewältigung gesellschaftlich induzierter Widrigkeiten« nicht nur Teil des hegemonialen Gangsta-Männlichkeitsprojekts ist (Seeliger 2013: 128), sondern auch der Positionierung innerhalb der Szene dient. Hegemoniale Sprecher_innenpositionen werden im Rap am Nexus verschiedener Kategorien verhandelt. (Marginalisierte) Herkunft stellt dabei eine entstehungsgeschichtlich begründete, machtvolle Ressource in den ›ernsten Spielen des HipHop/Rap‹ dar. Für ›real‹ marginalisierte Subjekte, die es ›vermögen‹ die Hood-Referenz an »biografisch gesättigte[n] Erfahrungen im Straßenmilieu« zurückzubinden (Dietrich 2015c: 234), eröffnet sich auf diese Weise ein Möglichkeitsraum, in dem Herkunft zum Kapital und Vehikel für den (realen) sozialen Aufstieg wird (vgl. Seeliger 2013). Für das Feld des Rap ließe sich demnach im Anschluss an Connells (2015: 133) ›patriarchale Dividende‹ die sog. ›Marginalitätsdividende‹ formulieren. Die Marginalitätsdividende des Rap ist der allgemeine Vorteil, der einem/einer Rap-Sprecher_in aus einer (möglichst authentischen) Selbstinszenierung als marginalisiertes Subjekt auf dem Feld des Rap erwächst. Da



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nun den meisten deutschsprachigen Szeneakteur_innen reale Erfahrungen von Marginalisierung im Sinne der ›HipHop-Ursprungserzählung‹ (freilich glücklicherweise) fehlen (etwa Erfahrungen mit Straßenkriminalität, Ganggewalt usw.), werden verschiedene alternative Semantiken von Marginalisierung zur eigenen Authentifizierung genutzt. Mit dem Connellschen (2015: 133) Begriffsinstrumentarium wäre dies als Strategie der Komplizenschaft lesbar: »Als komplizenhaft verstehen wir in diesem Sinne Männlichkeiten marginalisierte Subjekte, die zwar die patriarchale Dividende Marginalitätsdividende bekommen, sich aber nicht den Spannungen und Risiken an der vordersten Frontlinie des Patriarchats sozialer Ungleichheit entlang der Dimensionen Ethnizität und Klasse aussetzen.« (Herv. durch Durchstreichen und Kursivsetzung durch d. Verf.)

Der sog. ›Gangsta-Sprech‹ vieler weißdeutscher Rapper_innen und RapJournalisten ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie diese feldspezifische Herstellungspraxis von Hegemonie auf einer diskursiven Ebene funktioniert (vgl. Kap. 8.4.5). 8.3.5 Die Marginalitätsdividende in der Diskussion um eine Hegemoniale Weiblichkeit Wie andernorts bereits erwähnt, zählt der sukzessive Aufstieg und enorme kommerzielle Erfolg weiblicher Rapperinnen zu den bedeutendsten Trends, den die deutschsprachige Rap-Szene innerhalb der letzten Jahre durchlaufen hat (vgl. Kap. 9.3.2). Blickt man sich Deutschraps Erfolgs-Frauen der letzten Jahre näher an, so wird man feststellen, dass es mit Schwesta Ewa, SXTN, Eunique, Haiyti und jüngst Loredana ausschließlich Rapperinnen of Color beziehungsweise mit Migrations- oder Prekaritätshintergrund sind, die sich als legitime Rap-Sprecherinnen etablieren konnten.50 Damit steht die Frage im Raum, ob ›marginalisierte Weiblichkeit‹ über die Kategorie Herkunft nicht ebenfalls erfolgreich Anspruch auf Autorität auf dem Feld erheben kann 50 Schwesta Ewa ist eine (ehemalige) Sexarbeiterin und aus Polen nach Deutschland migriert. SXTN bzw. die heute als Solo-Künstlerinnen auftretenden Rapperinnen Juju und Nura haben eine marokkanische bzw. eritreische Migrationsgeschichte. Die Hamburgerin Eunique ist laut Wikipedia Tochter eines US-Amerikaners mit trinidadischen Wurzeln und einer Ghanaerin, während sich die ebenfalls aus Hamburg stammende Haiyti durch ihre Kiezgeschichten rund um St. Pauli gerne als Arbeiterkind inszeniert. Die weiß gelesene Schweizer Rapperin Loredana ist laut Wikipedia Kind albanischer Eltern.

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und inwiefern Geschlecht als machtvolle Differenzlinie in den Alltagspraktiken der Szene hinter der Bedeutung der Kategorie Herkunft zurückbleibt.51 Dazu zunächst ein Blick in die Theorie: Sowohl das Konzept hegemonialer Männlichkeit (Connell 2015), als auch Bourdieus (2016) Theorie männlicher Herrschaft setzen ein prinzi­piell asymmetrisches Machtverhältnis der Geschlechter voraus, innerhalb dessen Frauen Männern per se untergeordnet sind. Als emphasized femininities (Connell 1987) werden Weiblichkeiten dabei zwar mitgedacht, insgesamt jedoch als Stütze und Komplizinnen der männlichen Herrschaft/Hegemonie konzipiert (libido dominantis bei Bourdieu 2016: 141). Kritik und Aufbegehren (being bad) ist demnach zwar möglich, verbleibt aber innerhalb männlich codierter Strukturen: »[d]as bedeutet, daß Frauen den Spieß zwar umdrehen können, der Spieß aber eigentlich nicht ihrer ist«, wie Klein/ Friedrich (2003a: 208) mit Blick auf HipHop im Speziellen formulieren. Gleichzeitig diskutiert die HipHop-Literatur den (möglichst biografisch ›nachweisbaren‹) Bezug zur Hood als zentrale Kernressource des doing hiphop (Forman 2012b; Seeliger 2013; Dietrich 2015a, 2015b, 2015c usw.) – wodurch die (am Nexus von race oder class marginalisierte) Herkunft und nicht etwa das (männliche) Geschlecht als Herrschaftskategorie erscheint. Being real als being hood erscheint zudem als nicht geschlechtsexklusiv: Authentizität wird im HipHop zwar eine vergeschlechtliche Dimension zugeschrieben (›gender-sexual‹, McLeod 1999), diese wird jedoch keinem spezifischen Gender attestiert (zum Beispiel m/w), sondern vielmehr in den geschlechtlich codierten Verhaltensdualismus ›hard vs. soft‹ unterteilt (hard =  real, soft =  fake). Härte wiederum lässt sich sicherlich mit Männlichkeit, jedoch ebenso mit Herkunft assoziieren, zumindest wenn diese – wie im Fall unserer Rap-Sprecherinnen – Erfahrungen von Prekarität und Rassismus impliziert. Im Kontext eines (neoliberal/erwerbsstrukturell forcierten) Wandels von Geschlechterverhältnissen diskutierten Soziologie und Kulturwissenschaften zeitgenössische Repräsentationen von Weiblichkeit zuweilen unterschiedlich:

51 Die nachfolgenden Überlegungen mögen insofern ein wenig gewagt sein, als dass es ebenjene Kategorienüberkreuzungen sind, entlang deren viele der genannten Rapperinnen auch Diskriminierung erfahren (mit Vorliebe in den Kommentarleisten auf Youtube oder via Soziale Medien). Besonders verbreitet ist in diesem Zusammenhang die Diskriminierung entlang der Kategorien race, class, gender, body/sexuality und religion. Der (männliche) Vorwurf lautet, offensives und hedonistisches Verhalten inklusive Alkoholgenuss, Gangsta-Rap, Pöbelei, Selbstsexualisierung und dergleichen mehr seien ›haram‹ (also verboten).



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Aus Sicht von McRobbie (2010: 93ff.) sind die neuen weibliche Rapperinnen top girls und vor allem deshalb erfolgreich, weil sie sich mit feministischer Kritik zurückhalten und sich ihr Erfolg innerhalb jener ›luminösen Aufmerksamkeitsräume‹ bewegt, die dem modernen weiblichen Subjekt im Rahmen einer neoliberalen Konsumkultur zur Verfügung gestellt werden, zum Beispiel innerhalb des Mode- und Schönheitskomplexes. Auch eine ironisch gemeinte Hyperweiblichkeit oder männlich codiertes Verhalten wie es die Rapperinnen von SXTN an den Tag legen, ändert wenig daran, dass die vermeintlichen Vorbotinnen gesellschaftlicher Transformationen letztlich doch zu einer Stabilisierung der heterosexuellen Matrix und männlichen Hegemonie beitragen, denn »[e]ine Luminosität fällt auf die Frau, die sich einen männlichen Habitus zulegt, die exzessiv trinkt, pöbelt, raucht, sich prügelt, unverbindlichen Sex hat, ihre Brüste in der Öffentlichkeit entblößt, verhaftet wird, Pornographie konsumiert, gerne in Stripclubs geht etc., die dabei aber weiterhin für Männer begehrenswert bleibt. Eine solche scheinbare Männlichkeit macht sie sogar noch begehrenswerter, weil sie ähnlich viel Lust auf Sex hat wie ihre männlichen Pendants«,

wie McRobbie (2010: 122) die ›phallische Frau‹ beschreibt. Die Soziologie diskutiert die neuen Erfolgsfrauen derzeit unter dem Schlagwort einer ›hegemonialen Weiblichkeit‹. Ein Konzept, das die Männlichkeitssoziologin Scholz in den Diskurs einführte. Anhand des politischen Feldes formuliert sie: »Einer kleinen Gruppe von Frauen gelingt es, in die soziale Elite des politischen Feldes aufzusteigen und neue Leitbilder von Weiblichkeit zu kreieren, die sich nicht mehr, wie das Konstrukt der betonten Weiblichkeit, aus einem Einverständnis mit der Subordination des eigenen Geschlechts und einer Ausrichtung auf männliche Interessen auszeichnen. In der heterosozialen Dimension kann demnach nicht länger von einer klaren Geschlechterasymmetrie zu Gunsten von Männern gesprochen werden, die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern beginnen sich zu durchkreuzen.« (Scholz 2010: 397)

Am Beispiel Angela Merkel betont Scholz in ihrer Skizze zur hegemonialen Weiblichkeit auch die Bedeutung der »Dichotomie des Geschlechtskörpers« (ebd.). So zeige Merkels beinahe legendärer Auftritt im Abendkleid auf der Osloer Oper im Jahr 2008 beziehungsweise die sich daran angrenzende mediale Berichterstattung um das Dekolleté der Kanzlerin, dass diese (obgleich einen qua Feld zuweilen männlichen Habitus an den Tag legend) dennoch ›als Frau‹ wahrgenommen und anerkannt werde.

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Scholz Idee einer hegemonialen Weiblichkeit ist aus kulturwissenschaftlicher (vgl. Mc Robbie 2010), jedoch ebenso aus soziologischer Perspektive kritisierbar. Nach Ansicht des Soziologen Stückler (2013: 119) müsse man im Fall von Scholz ›hegemonialer Weiblichkeit‹ beispielsweise vielmehr von einer Verkörperung hegemonialer Männlichkeit durch Frauen sprechen, die zwar nicht Männlichkeit selbst repräsentierten, jedoch bestimmte »Ideale« verkörperten, »die in der jeweiligen Institution historisch gewachsen sind und welchen zutiefst männliche bzw. mit der Konstruktion hegemonialer Männlichkeit eng verbundene Werte inkorporieren«. Als »offenkundige Selbsttäuschung« (ebd.: 127) affirmiere die Idee der hegemonialen Weiblichkeit, wie Scholz sie definiert, letztlich jene Phänomene, die insbesondere die Geschlechterforschung zu problematisieren angetreten sei, nämlich »Hegemonie, Macht, soziale Eliten (und damit stets zusammenhängend: soziale Ungleichheit)« (ebd.: 123). Blicken wir zurück in die Rap-Szene so könnte man an der Schnittstelle von Männlichkeits-, Geschlechter und HipHop-Forschung folgende Überlegungen anstellen: Mit Schwesta Ewa, SXTN und Haiyti – um drei Beispiele herauszugreifen – hat es hier eine kleine Gruppe von Frauen geschafft, in die soziale Elite des Rap-Feldes vorzudringen (um im Vokabular von Scholz zu sprechen). Dass vor allem die Rapperinnen Juju und Nura (ehemals SXTN) dabei neue Leitbilder für Weiblichkeit im Rap kreiert haben, ist nicht zuletzt angesichts des enorm positiven Feedbacks junger Mädchen und Frauen in den Kommentarleisten auf Youtube oder Instagram ersichtlich. Obgleich man Schwesta Ewa, SXTN und Co die Affirmation oder Ausrichtung auf einen männlichen Habitus vorwerfen kann, so bleibt auch in der Wahrnehmung der genannten Rapperinnen die »Dichotomie des Geschlechtskörpers« zentral (Scholz 2010: 397) – weswegen man im Scholzschen Sinne eben nicht von einer hegemonialen Männlichkeit im Gewand des Weiblichen, sondern eben einer hegemonialen Weiblichkeit sprechen müsste. Mehr noch ist es gerade der Geschlechtskörper, der in den empowernden Genderperformances der ehemaligen Sexarbeiterin Schwesta Ewa und den sexpositiven Rapperinnen SXTN eine bedeutende Rolle spielt (vgl. zum Beispiel den Track ›Er will Sex‹, wo es unter anderem heißt: »Du willst mich ficken? Aber du darfst es nicht, weil ich’s verbiete! Ich bin zu für dich! Du willst an meine Titten? Aber du darfst es nicht, weil ich’s verbiete« usw.). Feldtheoretisch nuanciert, wäre nun zu überlegen, ob man die Machtfolie ›Männlichkeit‹  – die beiden Argumentationslinien McRobbie/Stückler und Scholz zugrunde liegt  – nicht intersektional befragt und mit den obigen Ausführungen zur Marginalitätsdividende des Rap zusammendenkt.



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Die »Luminositäten der Weiblichkeit« sind nach McRobbies (2010: 106) Theorie »selbstbewusst und unabänderlich weiß«. Das Andere würde zwar »in einem genau abgesteckten Rahmen« einen Platz zugewiesen bekommen (vgl. Schwarze Celebrities als Stilikonen auf Zeitschriften), »[a]ber im Großen und Ganzen setzt die postfeministische Maskerade implizit normatives Weißsein wieder ein, schließt Diversität und Otherness brutal aus, erweckt vergeschlechtlichte und rassifizierte Grenzziehungen im Kulturbereich zu neuem Leben und verleiht ihnen eine neue Stärke« (ebd.: 107). Für den Kulturbereich Rap scheint das jedoch bedingt zu gelten, hat das Feld doch bis heute keine einzige kommerziell erfolgreiche weiße Künstlerin hervorgebracht. In den ›ernsten Spielen des HipHop/Rap‹ dagegen spielen Diversität und Otherness eine entstehungsgeschichtlich begründete, zentrale Rolle. Vielleicht muss der Spieß – verstanden als phallisches Symbol für die historisch gewachsene männliche Herrschaft – also erst gar nicht umgedreht werden, da er nur einen Machthebel unter vielen anderen auf dem Feld des Rap repräsentiert – um an die patriarchatstheoretische Formulierung von Klein/ Friedrich (2003a: 208) anzuknüpfen? Wenn wir das marginalisierte Subjekt als das hegemoniale Subjekt auf dem Feld annehmen, vielleicht sind es dann weniger männliche als vielmehr Marginalisierung und Prekarität affirmierende Handlungspraxen, die Schwesta Ewa und SXTN oder die weißdeutsche Haiyti mit ihrer White-Trash-Realness zwischen Kiezgeschichten und Drogenexzessen performieren? Auch in den offensichtlich erfolgreichen Inszenierungen der genannten Rapperinnen kommt dem Körper eine bedeutende Rolle zu, wobei sich Geschlecht und Herkunft auch hier überkreuzen. Wie ihre männlichen Gangsta-Rap-Kollegen auch »thematisiert sie [= Schwesta Ewa, Anm. d. Verf.] eine Lebenssituation, die von Marginalisierungserfahrungen im Kontext von Ethnizität und Klasse geprägt ist. Gleichzeitig präsentiert sie sich als berechnende und (soweit möglich) selbstständige Geschäftsfrau und eignet sich damit Ausdrucksformen hegemonialer Männlichkeit an. An die Stelle des skrupellosen Zuhälters oder erfolgreichen Dealers tritt hier allerdings die gut verdienende Sexarbeiterin, die selbstbewusst und prahlend aus ihrem Leben berichtet.« (Goßmann/Seeliger 2015: 295f.)

Der hegemoniale Gangsta-Körper hat jedoch – ebenso wie die Ghetto-Symbolik – nicht nur eine geschlechtliche beziehungsweise männliche, sondern vor allem auch ethnisierte und klassisierte Dimension (vgl. Seeliger 2013: 121). Für weibliche Rapperinnen wie Schwesta Ewa oder SXTN entsteht hier ein Möglichkeitsraum, da sie sich qua sozialer und ethnischer Herkunft

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glaubwürdig auf die Straße beziehen und sich damit legitimerweise in die HipHop/Rap-Tradition einschreiben können. Am Nexus von race und class wird der weibliche Geschlechtskörper dabei zum Authentizitätsgaranten: Auf Albumcovern und anderem Pressematerial mimt Schwesta Ewa selbstbewusst die tätowierte (und osteuropäische) Sexarbeiterin in Netzstrumpfhosen (vgl. die Selbstbezeichnung als ›Kurwa‹) – ein Image, das spätestens mit ihrer Verurteilung wegen Körperverletzung und anderer Delikte und der anschließenden Haftstrafe die nötige lebensweltliche Relevanz und biografische Sättigung erhielt. Auch SXTN setzen in ihren Weiblichkeitsperformances auf die Verschränkung von gender, race und class, etwa wenn sich die Rapperinnen of Color diskursiv auf den global zirkulierenden Ursprungsmythos und das (geschlechtslose) concept of connective marginalities (vgl. Ogbar 2007) beziehen: »Kanaken und Schwarze haben HipHop erfunden, doch Türsteher lässt sie nicht rein« (vgl. ›Von Party zu Party‹, 2017). Im Fall der weißdeutschen Rapperin Haiyti sind es unter anderem die krächzende Stimme und die individuellen Ad-libs52  – die an das Geräusch des sich Erbrechens erinnern – die Prekarität evozierenden Kiez- und Crimegeschichten der Hamburgerin als habitualisierte Wirklichkeit erscheinen lassen. Es geht hier bedingt um die Affirmation eines männlichen Habitus, sondern um die möglichst glaubwürdige Inszenierung und Performance einer (vermeintlich) unverschuldeten, randständigen Existenzweise – eine hegemoniale Subjektposition, die freilich beiden resp. allen Geschlechtern ›zugänglich‹ ist. Männlichkeit wäre demnach zwar durchaus als mächtiger, jedoch nicht als einziger Machtmodus im HipHop/Rap begreifbar und müsste hinsichtlich der feldspezifischen Herstellungspraxen von Hegemonie mindestens mit der Kategorie Herkunft zusammengedacht werden. Die Rapperinnen (of Color) verfügen über die ›richtigen‹ subjektiven Zugehörigkeiten um das symbolisch prestigeträchtige, hegemoniale marginalisierte Subjekt glaubwürdig inszenieren zu können – eine Authentifizierung, die über den weiblichen Körper verläuft. In Anlehnung an Scholz (2015: 174) könnte man also in etwa reformulieren: »Die Dichotomie des Geschlechtskörpers bleibt in der Wahrnehmung und Deutung von Politikerinnen Rapperinnen weiterhin zentral. Merkel Schwesta Ewa wird als Po 52 Zum Ad-Libbing bzw. den sog. Ad-Libs, auch Doppler oder Overdubs genannt, vgl. zum Beispiel Wolbring (2015: 231). Es handelt sich dabei um zusätzlich eingemischte Tonspuren, auf denen ein_e Rapper_in bestimmte Silben, Laute oder Exklamationen von sich gibt, die das auf der eigentlichen Tonspur Gerappte betonen oder besonders hervorheben sollen.



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litikern Rapperin anerkannt, weil sie als ›Frau‹ politisch mit Rap Erfolg hat, weil es ihr als ›Frau‹ gelingt, auf dem politischen Parkett der Welt Deutschland das marginalisierte Subjekt innerhalb der Rap-Szene angemessen zu repräsentieren.« (Herv. durch Durchstreichen und Kursivsetzung durch d. Verf.)

8.4 Ficken und gefickt werden – Rap-Männlichkeit und Sprache Dem Konstruktionsmodus von Rap-Männlichkeit ist nur aus einer transdisziplinären Perspektive beizukommen. Neben soziologischen und kulturwissenschaftlichen Zugängen gilt es doing rap masculinity vor allem auch literatur- und sprachwissenschaftlich in den Blick zu nehmen, denn die diskursiven und performativen Praktiken, durch die sich Männlichkeit im Rap herstellt, verweisen auf afroamerikanische Sprach- und Kulturpraktiken – zumindest wenn man HipHop Studies als Black Studies konzipiert (vgl. Toop 1984; Rose 1994). Für Wolbring (2015: 473) könnte man Rap ebenso auf »anthropologische Universalien« zurückführen, ist die Faszination für Rhythmen doch kulturübergreifend zu beobachten und keineswegs eine exklusive »schwarze[n] Wesensart« (ebd.). Auch Verlan (2003: 141f.) kritisiert eine afrozentrische Lesart des Rap, da sich Formen literarischen Wettkampfs und dichterischer Improvisation auch in anderen oralen Kulturen wie der Türkei, Grönland oder Tirol finden ließen und ohnehin »einmal fester Bestandteil literarischen Lebens« waren (vgl. Agon im antiken Griechenland, Minnedichter im Mittelalter usw). Für die Soziolinguistin Terkourafi (2010b: 4) eigenen sich HipHop’s »stylistic features«, bestehend aus break, flow, sampling und mixing, durch ihren heterogenen strukturellen beziehungsweise formalen Rahmen ganz besonders für die Eingemeindung (›incorporation‹) in unterschiedlichste (Sprach-)Kulturen. Nicht zuletzt deshalb wird HipHop/ Rap auch aus soziolinguistischer Perspektive als hybride Kultur verstanden. Einige Forscher_innen sind sogar der Meinung, dass es nicht länger fruchtbar sei, die Wurzeln des HipHop/Rap in einem US-amerikanischen Ghetto oder afrikanischen Dorf zu suchen. Vielmehr kehre eine re-kontextualisierte, kulturelle Form den Prozess der Aneignung um und stünde sodann mit mehreren Welten in Verbindung (vgl. Ibrahim 2009: 233f.) oder wie Pennycook/Mitchell formulieren:

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»Global Hip Hops do not have one point of origin (whether that be in African griots, New York ghettoes, Parisian suburbs, the Black Atlantic, or Indigenous Australia) but rather multiple, copresent, global origins. Similarly, global Englishes are not what they are because English has spread and been adopted but because language users refashion themselves, their languages, their histories, and their cultures. Just as Hip Hop has always been Aboriginal, so has English. Such an understanding of Hip Hop as dusty foot philosophy, we are suggesting, radically reshapes the ways in which we can understand global and local cultural and linguistic formations.« (Pennycook/Mitchell 2009: 40)

Arbeiten an der Schnittstelle von Sprachwissenschaft, HipHop- und Männlichkeitsforschung ist zu entnehmen, dass der weltweiten Aushandlung von Männlichkeit im Rap vor allem das Muster der Hypermaskulinität zugrundeliegt. »In the global linguistic flow of hip-hop, [the] figure of tough masculinity has become part of the local masculine orders in various local hiphop contexts«, wie der Linguist und HipHop-Forscher Williams (2015: 88) am Beispiel von Freestyle Rap Performances in Kapstadt formuliert. Welche Formen nimmt die Verhandlung dieser tough masculinity im deutschsprachigen Rap an? Welche historischen Vorläufer und vergeschlechtlichten Genrezwänge müssen wir mitdenken, wenn sich Gangsta-Rapper wie KC Rebell oder Kollegah in ihren Texten als ›Alphas‹ behaupten oder sich unaufhörlich in der Erniedrigung Anderer ergehen? Wie erhebt die hegemoniale GangstaMännlichkeit »erfolgreich […] Anspruch auf Autorität« (Connell 2015: 131) und setzt ihre Herrschaft damit auf sprachlicher Ebene durch? Nachfolgend soll versucht werden diesen komplexen Zusammenhang zu erhellen. 8.4.1 Woher kommt Rap? Historische Vorläufer Der Begriff ›rap‹ lässt sich unterschiedlich herleiten und ist insgesamt »äußerst bedeutungsvariant« (Wolbring 2015: 15). Eine in der Literatur sehr häufig anzutreffende Definition assoziiert ›rap‹ mit dem englischen Verb ›to rap‹, was so viel bedeutet wie ›schlagen‹, ›klopfen‹, ›pochen‹ (ebd.; Dietrich 2015a: 76). Im afroamerikanischen Slang wird ›to rap‹ auch synonym mit ›reden‹ oder ›sprechen‹ verwendet, taucht aber auch im britischen Englisch, etwa dem ›British prison slang‹ auf. Geht es um die historische Kontextualisierung des Phänomens Rap so bezieht sich ein Großteil der HipHop-Literatur auf eine Publikation von Toop (Rap Attack 1984), der Rap in die Tradition afroamerikanischer Sprach- und Kulturpraktiken stellt. Nebst Toop konzipieren aber auch Rose (1994: 2) und viele weitere Theo-



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retiker_innen aus dem Bereich der Black Studies Rapmusik als »black cultural expression«. Zentrale historische Vorläufer des Rap sind die Sprachpraktiken playin the dozens, sowie das signifying oder signifying monkey. Lüdtke (2007a: 36f ) listet weiterhin die verbalen Routinen des boasting, bragging, sounding und talking that talk auf. Playin’ the dozens ist eine afroamerikanische Sprachpraxis mit kompetitiver Logik, bei der es darum geht, eine_n Gegner_in verbal auszustechen oder zu erniedrigen. An diesem bis in die 1950er Jahre zurückreichenden, vor allem im öffentlichen Raum praktizierten Ritual waren in erster Linie Männer aus prekären sozialen Verhältnissen beziehungsweise proletarischer Herkunft beteiligt (vgl. Kage 2002: 42). Eine besonders beliebte sprachliche Strategie innerhalb derartiger Beleidigungswettbewerbe ist die Erniedrigung der Mutter des Gegenübers. Dabei wird meist auf das stilistische Mittel des Vergleichs zurückgegriffen, etwa wenn die jeweilige Mutter mit etwas Hässlichem oder Abstoßendem verglichen wird (vgl. Deppermann/Riecke 2006: 158). Nicht selten sind derartige Vergleiche im lexikalischen Feld ›Sexualität‹ anzusiedeln und demnach als sexuelle Tabubrüche klassifizierbar. Im Spiel der dozens gilt die Behauptung, man habe es mit der Mutter des anderen getrieben als »effektivste[r] Zug«, so Streeck (2002: 546). Wenig verwunderlich, dass die sog. ›mother insults‹ unter männlichen Rap-Sprechern insgesamt häufiger eingesetzt werden, als bei weiblichen Sprecherinnen (vgl. Lüdtke 2007b: 184). Playin’ the dozens wird oft im Zusammenhang mit dem sounding des African American English aufgeführt. Mit Rekurs auf Labov arbeitet Terkourafi (2010b: 9f.) dabei ein wiederkehrendes Muster im Rahmen der performativen rituellen Beleidigungen heraus: ›T(B) is so X that P‹.53 »Target (T) is a relative of the addressee (B). Property (X) may be attributed and proposition (P) is obviously untrue« (vgl. ebd.). Das ›target‹ T fällt dabei – wie erwähnt – meist mit der Mutter oder einer anderen weiblichen Verwandten des/der Gegner_in zusammen. Die kompetitive Sprachpraxis des playin’ the dozens findet ihren Niederschlag vor allem in jenen Spielarten des Rap, in denen die Beleidigung des/der Gegner_in bei gleichzeitiger Erhöhung des eigenen, lyrischen Ichs zu den genrekonstitutiven Merkmalen gehört, wie etwa beim Battle-Rap. »Battles bestehen im Wesentlichen nur aus zwei Sprechakten, 53 Man kennt dieses rituelle Muster auch von den sog. motherjokes (Mutterwitzen). Zum Beispiel: »Deine Mutter ist so alt, sie hat Spinnennetze unter ihren Armen.« usw.

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dem hyperbolischen boasting mit der eigenen verbalen (und/oder sexuellen) Potenz und dem korrespondierenden dissing (disrespecting) des Gegners.« (Streeck 2002: 544) Die Ironie, die beide Sprechakte kennzeichnet, ist eine Variante des signifying, womit eine weitere afro-amerikanische Tradition benannt ist, die gemeinhin zu den Vorläufern des heutigen Rap gerechnet wird (vgl. ebd.). Die auf die Schwarze Mythologie zurückgehende Figur des Signifying Monkey ist ein Trickster, der als Vehikel der Erzählung selbst fungiert (vgl. Gates 1988). Signifying ist demnach als Sprache der Tricks, das heißt der Indirektheit und der Umschreibung verstehbar (vgl. Mikos 2000: 114f.; Deppermann/Riecke 2006: 158). Bei dieser performativen Sprachpraxis geht es also weniger um den Austausch konkreter Informationen, als vielmehr um bildliches, ›uneigentliches Sprechen‹ mit zum Teil expliziter Lyrik: »These kind of narrative poems are called toasts. They are rhyming stories, often lengthy, which are told mostly amongst men. Violent, scatalogical, obscene, misogynist, they have been used for decades to while away time in situations of enforced boredom, wether prison, armed service or streetcorner life.« (Toop 2000: 29) Die subversive Kommunikationsform des signifying muss in engem Zusammenhang mit emanzipatorischen Körper- und Sprachpraxen der Black coolness gedacht werden. Im Kontext der Sklaverei erlaubte sie ein Sprechen abseits hegemonialer weißer Codes, wie u. a. Potter (1995: 6) ausführt: »[A]ware that their cultural capital bore an inverse relation to their material wealth, Black Americans have frequently deployed the arts of Signifyin(g), giving white audiences what they thought they wanted, while at the same time giving themselves what they needed: a mode of communication which could signal solidarity.« Mit seinen Subkategorien wie dem toasting, rapping oder talkin shit geht es beim signifying also vor allem um die Umdeutung und Umkodierung von Begrifflichkeiten. Beispielhaft sei hier auf die Bezeichnung und Rückeroberung des Ausdrucks nigger verwiesen, die – nicht nur im US-amerikanischen Gangsta-Rap und mitunter leicht abgewandelt als nigga – eine wichtige identitätsstiftende Funktion erfüllt (vgl. zum Beispiel Scharenberg 2001: 253; auch Clay 2012; Judy 2012; Leibnitz/Dietrich 2012). Nebst Ironie und Umkodierung gehören auch die für Rap typischen kulturellen Referenzen zu den Kennzeichen des signifying, die zusammen mit der Intertextualität zu den wichtigsten Merkmalen der Textsorte Rap gerechnet werden (Mikos 2000: 114f.; Androutsopoulos/Scholz 2002: 20; Mikos 2003).



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Neben dem playin the dozens und dem signifying lassen sich heutige Rapper_innen auch in die Tradition der sog. Griots stellen, angesehene afrikanische Kunstschaffende, die mündliches Wissen übermittelten und als Ärzte, Schamanen oder auch Zauberer fungierten (vgl. Wolbring 2015: 468ff.; auch Toop 2000: 31ff.). Wolbring (2015: 471) entdeckt hier unter anderem sprachliche Parallelen wie (Halb)Reime, idiomatisierte Wendungen, ebenso wie Verständigungsorientierung und den Aspekt der Privilegierung. Die ebenso meist männlichen Griots galten als Autoritäten und übermittelten ihr Wissen (ähnlich wie Rapper_innen) vor einer zum Schweigen angeleiteten Gruppe. Auch die Tatsache, dass das Reden der Griots ebenfalls »rhythmusbegleitet und sprechrhythmisch auf den Begleitrhythmus abgestimmt« und wie Rap als Sprechgesang bezeichnet wird, spräche laut dem Germanisten Wolbring für ein gewisses Vorläufertum (ebd.). Selbstverständlich gehören auch zahlreiche Musikstile und andere Sprechkulturen zu den historischen Vorläufern des Rap, darunter Jazz, Funk, Disco und Soul oder Sprach- und Moderationspraktiken jamaikanischer Radio-DJs (vgl. dazu ausführlich Toop 2000, kritisch auch Dietrich 2015a: 71ff.). Überdies existierten vor dem ›Geburtsjahr‹ dessen was heute als Rap bezeichnet wird (das heißt vor dem Jahr 1974) noch weitere Sprechund Musikkulturen im urbanen amerikanischen Raum, die Ähnlichkeiten zu Rap aufweisen. Wolbring (2015: 462) erwähnt in diesem Zusammenhang etwa die spoken-word-poetry Szene, die unter anderem durch Gruppen wie The Last Poets etabliert wurde und als Vorstufe der späteren Poetry Slams gelten kann.54 8.4.2 Wer spricht? Die Debatte um Realität und Fiktion Die Diskussion um die Fiktionalität des Rap, das heißt um die Unterscheidung zwischen Rap-Persona und realer Person gehört zu den am häufigsten an Rap und seine meist männlichen Protagonisten herangetragenen Streitfragen. Vor allem wenn es um hip-hop’s most notorious problems Sexismus, Gewalt, Misogynie und Homophobie geht und das Argument der Kunstfreiheit in das Zentrum der Debatte rückt. Einigkeit herrscht hier zumindest insofern, als dass es wohl kaum einen anderen Bereich der Popkultur gibt, der einer vergleichbaren Rezeptionshaltung unterliegt und nirgendwo sonst eine 54 Zu Geschichte, Ursprung und Theorie des signifying und den unterschiedlichen musikalischen Vorläufern des Rap vgl. auch ausführlich Rappe (2010).

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derart enge Verquickung von Kunst und Leben beziehungsweise Biografie eingefordert wird, wie im authentizitätsaffinen Musikgenre Rap. Ein Blick in die Literatur zeigt, dass Rap-Fans und Protagonist_innen rund um den Globus recht unterschiedliche und zuweilen konfligierende Lesarten bezüglich des Dualismus Fiktion vs. Realität an den Tag legen (vgl. zum Beispiel Manzke 2007; Newman 2009; Jeffries 2011; Saied 2017; Psutka/Grassel 2018 u.v.m.). Für die interviewten Jugendlichen in Saids (2017) Studie muss Rap eng an Biografie und tatsächlich Erlebtes geknüpft sein, um ›real‹ zu sein, wie sie bei der Einordnung von Gangsta- und StraßenRappern zu verstehen geben. »Ich finde diese 187 sind wirklich so richtige Straßen-Rapper. Und Shindy, KC Rebell, Bushido, Farid Bang sind eher so Image-Rapper. Das sieht man im Internet, an dem Style und so«, heißt es dort (ebd.: 229). »That’s all concept, it’s nothing real«, kommentiert ein junger MC in Newmans (2009: 197) Studie, als er zu den homophoben und sexistischen Texten des Rappers Eminem befragt wird. »I think it’s just slang. […] I think everybody would want to keep it real, they might just say it different. That person might want to keep it real to themselves, it’s just a hip-hop thing«, meint wiederum Interviewteilnehmer Ryan in Jeffries (2011: 137) Untersuchung. Aber nicht nur Rap-Fans, sondern auch Rapschaffende selbst legen diesbezüglich unterschiedliche Kriterien an. Die Rap-Crews in Wellers Vergleichsstudie etwa nutzen Rap weniger zur Inszenierung eines marktförmigen Images als vielmehr als Instrument zur Bewältigung biografischer Diskontinuitäten: »Das Besondere am Medium Rap ist jedoch die unmittelbare Bezugnahme auf diese Themen in Form von offen formulierter Kritik: Mehr als Spaß und Konsum wird Rap als ein Instrument gesehen, das die ›Wahrheit‹ unverfälscht ans Licht bringt und einen realistischen Blick auf die Probleme der Alltagsexistenz wirft.« (Weller 2003: 184) Während die einen – wie zum Beispiel Farid Bang – auf eine Verschmelzung der Personae anspielen (O-Ton: »Die Kunstfigur Farid Bang gibt es nicht wirklich«, Wolbring 2015: 168), betonen andere den metaphorischen Gehalt, den eindeutigen Unernst und die unterhaltende Funktion ihrer Aussagen und beharren auf die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Kunstfigur/Rap-Persona und realer Person. Für Klein/Friedrich (2003a: 147) wird der »Mythos HipHop […] Wirklichkeit, indem er theatral dargebracht wird.« Dem spezifisch gelagerten Inszenierungsbegriff des HipHop/Rap sei am ehesten mit zwei Wirklichkeitsbegriffen, das heißt mit der Unterscheidung zwischen einer ›wirklichen Wirklichkeit‹ und der ›Schein-Wirklichkeit‹ beizukommen:



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»Erste, so die Annahme, wird in der Nicht-Inszenierung als unmittelbar erfahren, sie ist ›echt‹ und substantiell gegeben, die zweite wird über die Inszenierung erlebt, sie ist hergestellt, sie ist Theater. Die ›wirkliche‹ Wirklichkeit ist essentiell vorhanden, die Schein-Wirklichkeit medial produziert und theatral inszeniert. Folgt man diesem begrifflichen Dualismus, ließe sich die HipHop-Kultur zum einen als eine theatrale Erhöhung des Alltäglichen, zum anderen als Scheinwirklichkeit kennzeichnen. Beide Vorstellungen widersprechen aber dem Selbstverständnis des HipHop als einer Realworld. ›Realworld‹ meint eine Wirklichkeit, die sich gerade dadurch auszeichnet, daß sie weniger zwischen Sein und Schein als zwischen gelungener und mißlungener Inszenierung unterscheidet. Aus Sicht der HipHop-Kultur kommt dem Charakter des Theatralen und mit ihm der Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit der Inszenierung zentrale Bedeutung zu.« (Klein/Friedrich 2003a: 148)

Andernorts verweisen die Autor_innen auf die »wirklichkeitsschaffende Bedeutungsproduktion im Rap« und geben zu bedenken, dass der Text nicht notwendig die Lebenswirklichkeit des/der Rapper_in repräsentiere, sondern diese als Bild vielmehr in einem performativen Akt herstelle (und dadurch nicht zuletzt auch sich selbst als Rapper_in) (ebd.: 152). Die Frage einer Trennung zwischen ›realer Person‹ (›real person‹) und ›Performance-Person‹ (›performance personae‹) (vgl. Auslander 2004: 11) stellt sich beim Blick auf die stark durchökonomisierte Rap-Szene in besonderem Maße, da neben (vergeschlechtlichen) Genrekonventionen (vgl. cult of the thug usw.) zunehmend musikindustrielle Instanzen wie das jeweilige Management (inkl. Pressematerial etc.) an der Künstler_innen-Performance teilhaben, oder wie Auslander diesbezüglich formuliert: »the performers are not the sole authors of the personae they perform in these contexts: producers, managers, agents, publicists, and the entire machinery of the music industry collaborate with artists, and sometimes coerce them, in the construction and performance of their personae. It does not follow from this for me […] that these aspects of pop music performance have everything to do with marketing and commodification and nothing to do with artistry and musical aesthetics.« (Auslander 2004: 9)

Gerade Rap beziehungsweise noch deutlicher Gangsta-Rap-Performances sind als Inszenierungen zu begreifen, die sprach- und kulturhistorischen Traditionen, sowie »bestimmten subkulturell verbindlichen Formen der Darstellung unterliegen« (Dietrich 2015a: 83). Die oben genannten ritualisierten Beleidigungs- und Schlagfertigkeitsduelle gehören ebenso zu diesen Formen wie das bedeutungsvariante Gebot der Authentizität oder das ›Fremdinterpretationstabu‹, also die gebotene »Personalunion von Autor und Sprecher« (Wolbring 2015: 147). In seinen Ausführungen zum Autorschaftsmodell

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des Rap erklärt der Germanist Wolbring einen ›weiten autobiographischen Authentizitätsanspruch‹ als rap-typisch, der nicht verlange, »dass die ausgestellten Handlungen des Rapschaffenden tatsächlich so stattgefunden haben, allerdings […] durchaus, dass die durch diese Handlungen ausgestellten Haltungen von den Rapschaffenden tatsächlich auch in lebensweltlichen Zusammenhängen vertreten werden« (ebd.: 162). Daraus ergäbe sich auch die rapspezifische Nicht-Unterscheidung zwischen Autor_in/Verfasser_in und Sprecher_in/Interpret_in/lyrischem Ich, das heißt Rap-Persona. Zwar sei letztere durch bestimmte Namensgebungspraktiken als Rolle ausgewiesen, dennoch könne die Rap-Persona als »konstante Persona, das heißt als text-konstituierte ›Maske‹ des Autors mit lebenswirklicher Relevanz« verstanden werden (ebd.: 167). »Konstant ist sie, weil sie normalerweise in allen Raps des Rapschaffenden angenommen wird; lebenswirklich relevant ist sie, weil sie nicht auf die Textwelt bzw. Aufführungssituation beschränkt bleibt, sondern auch in sozialen Kontexten zum Einsatz kommt« (ebd., gemeint ist, dass ein Rapper wie Megaloh als Megaloh bei ›Markus Lanz‹ sitzt und nicht etwa als Uchenna van Capelleveen, wie der Rapper laut Wikipedia mit bürgerlichem Namen heißt). Der durchaus als ambivalent zu bezeichnende Status der Rap-Persona sei letztlich als ›soziale Rolle‹ im Sinne Goffmans aufzufassen, das heißt als Rolle, die »nur in bestimmten lebenswirklichen Bereichen bekleidet wird und grundsätzlich für bestimmte Personengruppen intendiert ist«, was mit der Authentizitätsverpflichtung der zu vertretenden Rolle jedoch nicht konfligiere, bleibe sie doch »dem Menschen zugeordnet« (ebd.: 172). Die Diskussion des komplexen Verhältnisses zwischen Autor_in, RapPersona und sozialer Rolle soll an dieser Stelle nicht weiterverfolgt werden. Stattdessen scheint es angesichts der forschungsleitenden Fragestellung dieser Arbeit angebracht, das doing masculinity der untersuchten Rapper angemessen innerhalb dieses Konflikts zu verorten. Anders ausgedrückt: Wie ›ernst‹ sind ›männlichkeitstheoretisch relevante Aussagen‹, die von einer als männlich definierten Rap-Persona, wie zum Beispiel MoTrip getätigt werden, überhaupt zu nehmen? Stellt sich der Rapper mit plakativ-ironischen Aussagen wie »Ich bau ein Haus mit einem Hammer wie ein Mann« nicht vielmehr in die Tradition des Signifying, des uneigentlichen Sprechens, des talkin shit? Ist der in Kap. 10 analysierte ›Prachtkerle-Remix‹ demnach nicht mehr als ein ›Fun-Track‹ einer befreundeten (und zufällig auch rappenden) Männergruppe? Haben die in Raptexten geäußerten Vorstellungen von Männlichkeit (oder Weiblichkeit) grundsätzlich gänzlich wenig mit der Le-



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bensrealität und den ›wahren‹ Einstellungen der realen Person Mohamed El Moussaoui gemein; sind also vielmehr schein-wirkliches Theater, das wenig über ›wahre‹ Geschlechterbilder aussagt? Oder besitzen derartige Äußerungen vielleicht nur innerhalb der Diskursgemeinschaft der Rap-Szene Gültigkeit? Verhandelt ein Raptext mit dem Titel ›Wie ein Mann‹ womöglich ›nur‹ das Wie-ein-Mann-Sein als Rap-Persona; stellt sich MoTrip also der feldspezifischen illusio des Rap-Mann-seins; verkörpert aber ›in Wirklichkeit‹ ein gänzlich anderes Männlichkeitsmodell? Oder dient Rap hier als Instrument und Ausdrucksmittel »das die ›Wahrheit‹ unverfälscht ans Licht bringt und einen realistischen Blick auf die Probleme der Alltagsexistenz wirft« (Weller 2003: 184), so wie sie die ›reale‹ männliche Person Mohamed El Moussaoui auch hinter der ›Kunstfigur‹ MoTrip erlebt? Abgesehen davon, dass männliche Rapper gegenwärtig zu einflussreichen Popstars avancieren, deren Aussagen und Performances von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Analyse zeitgenössischer Männlichkeiten sind und ungeachtet dessen, dass Popkulturanalyse immer auch Gesellschaftsanalyse ist und sein sollte, sind derlei Fragen aus einer diskurstheoretischen resp. -linguistischen Perspektive quasi unbeantwortbar beziehungsweise schlichtweg falsch gestellt. Bei der Analyse von Männlichkeitskonstruktionen im Rap kann es nicht darum gehen von Gesagtem auf Gemeintes zu schließen oder darum, den ›Wirklichkeitsgehalt‹ der jeweiligen Aussagen herausinterpretieren zu wollen (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011: 50f.). Vielmehr wird hier im Anschluss an wissenssoziologische Perspektiven davon ausgegangen, dass (nicht nur aber auch) durch die Praxis des Aussagens die Gegenstände des Sagens und Schreibens erst als Wirklichkeiten hervorgebracht werden, dass also in und vermittels Diskursen Wissen (über vergeschlechtlichte soziale Wirklichkeit) konstruiert wird. Ein abbildtheoretisches Verständnis des Verhältnisses von Diskurs und Wirklichkeit kann dennoch nicht gelten, führen Diskurse gegenüber der Wirklichkeit doch vielmehr ein ›Eigenleben‹ als dass sie diese 1:1 widerspiegeln. An dieser Stelle sei an die Ausführungen von Jäger (2008) verwiesen, die Diskurse als ›Materialitäten ersten Grades unter den anderen‹ bestimmt und formuliert: »Eine solche Fassung von Diskurs als Teil von Realität leugnet natürlich nicht andere Realitäten und auch nicht, dass die Bedeutungen, die diesen Realitäten zugewiesen werden, in Diskurse einfließen. Sie sind Elemente von Diskursen. Doch das ist nicht das, was den Diskurs wesentlich ausmacht. Als Diskurs funktioniert er, insofern er Vorbilder produziert; und deshalb ist er eng mit Machtwirkungen verbunden. [….] Sie [die Diskurse, Anm. d. Verf.] sind nicht nur ›bloße Ideologie‹, sie produzieren

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Subjekte und – vermittelt über diese – gesellschaftliche Wirklichkeiten. […] das bedeutet, dass nicht analysiert wird, ob Aussagen, das was in der Realität geschieht, richtig wiedergeben. Diskursanalyse fragt nicht danach, ob das, was Personen sagen, ›stimmt‹. Diskursanalyse fragt danach, was die diskursiven Äußerungen bewirken. Ob die Äußerung ›wahr‹ ist, kann ohnehin nur auf das in den Diskursen vorhandene Wissen bezogen werden.« (Jäger 2008: 379)

Wenn diskursive (Rap-)Sprecher_innenpositionen nicht in einfachen personalen Rollen aufgehen, das heißt Akteur_innen stets mit verschiedenen Stimmen sprechen, so kann das im Rap Gesprochene/Geschriebene/Performierte  – auch wenn es zuweilen feldspezifisch verbindlichen Formen der Darstellung unterliegt – als Destillat der sozialisatorischen Aneignung von (Geschlechter-)Wissen gelten, das eine Gesellschaft, ebenso wie eine in sie eingelassene Szene, hervorbringt und als (inszenatorischen) Vorrat zur Verfügung stellt. Unterschiedliche (Szene-)Sozialisationen und Aneignungsprozesse – etwa im Kontext von Migration – bedingen schließlich differierende Aktualisierungen dieses habitualisierten Wissens, so dass das doing rap masculinity stets intersektional, das heißt am Nexus unterschiedlicher Zugehörigkeitsachsen gedacht und analysiert werden muss. Das Foucaultsche ›Wer spricht?‹ gilt es in Anbetracht der Fragestellung dann auch um die Frage nach dem raumzeitlichen Kontext, das heißt den Möglichkeitsbedingungen der Aussagen zu erweitern, denn »wie kommt es, daß eine bestimmte Aussage erschienen ist und keine andere an ihrer Stelle?« (Foucault 2013: 42) Wie kommt es, dass das Männlich-Sein im Rap im Jahr 2016 plötzlich zum Thema eines immerhin achtminütigen Rap-Tracks samt Musikvideo wird und kein anderes, ›klassisches‹ Rap-Thema für einen gemeinsamen ›Allstar-Track‹ bemüht wird, der Männlich-Sein als Menschlich-Sein, wie sonst üblich, schlichtweg voraussetzt? Die Veränderungen der Möglichkeitsbedingungen werden in dieser Arbeit an die Theoriedebatten um Transformationsprozesse der Geschlechterordnung und die Diskursivierung von Männlichkeit gestellt, deren Implikationen für die Rap-Szene (nicht nur, aber auch) am Beispiel des Diskursfragments ›Wie ein Mann – Prachtkerle Remix‹ diskutiert werden. 8.4.3 Doing gangsta als doing hegemony – Zur Textsorte Gangsta-Rap »[A]ls populärster Sprechakt im Rap überhaupt« (Wolbring 2015: 390) gilt das sog. boasting, das Sprachhandlungen des Angebens, des Prahlens und der Selbstüberhöhung umfasst. Zur Realisation dieses Sprechaktes wird auf



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verschiedene linguistische Strategien und rhetorische Mittel wie Komparative, Superlative, sowie entsprechende Metaphern, Hyperbeln und Vergleiche zurückgegriffen (vgl. zum Beispiel Androutsopoulos/Scholz 2002: 16). So wird beispielsweise mit den eigenen Rap-Fähigkeiten geprahlt, wobei unter anderem Drogen- oder Kriegsmetaphorik eingesetzt wird (vgl. auch Lüdtke 2007a: 173ff.). Im boasting – ebenso wie in anderen Sprechakten wie dem dissing  – materialisiert sich die kompetitive Struktur sämtlicher HipHopkultureller Formen auf sprachlicher Ebene, denn im HipHop ist »jeder Rap eine Kampfansage, jeder Move ein Angriff, jedes Graffiti ein Raumgewinn« (Klein/Friedrich 2003a: 47). Anspruch auf Autorität zu erheben erscheint damit nicht nur als konstitutiver Bestandteil der Textsorte, sondern wird im Rap auch derart auf die Spitze getrieben, als dass es Rapper gibt, »die die Technik der Selbsterhöhung noch multiplizieren, indem sie vorgeben, derjenige zu sein, der am überlegensten behauptet, überlegen zu sein« (ebd.: 39). Wolbring (2015: 390) konstatiert, dass der Sprechakt des boasting dem ›Bescheidenheits-Topos‹ und damit einer »gesamtgesellschaftlich stark etablierten Sprechverhaltensnorm« widerspricht. Er ließe sich folglich als »eine schwach ausgebildete Form des (konventionalisierten) Tabubruchs werten« (ebd.). Man darf mit Recht behaupten, dass die in allen Formen des HipHop verbreitete Prahlerei, das bragging, zu den größten Missverständnissen in der (gesellschaftlichen) Wahrnehmung gegenüber HipHop beziehungsweise Rap-Sprecher_innen gehört (vgl. dazu auch Bradley 2009). In seinem Buch How to rap rechnet Edwards (2009: 25) die HipHop-Kulturtechniken des bragging und boasting  – oftmals als braggadocio gefasst  – zu den ›content forms‹ des Rap und dort speziell zur Kategorie des Battling. »Braggadocio rhmyes can take a number of different forms, from simply saying that you’re the best MC ever to getting deeper and wittier with the boasting. […] Different artists have their own ideas about what inspires the braggadocio form, from the competitive nature of hip-hop to the struggles of young black men in America« (ebd.: 25f.). Interessant bezüglich der einführenden Alpha-Beispiele von KC Rebell (»Ich bin Alpha!«, 2016) und Kollegah (»Das ist Alpha!«, 2018) ist an dieser Stelle der Schwarze US-Rapper Rakim, dessen Song ›No Omega‹ laut Edwards beispielhaft für die Kulturtechnik des braggadocio ist. Dort heißt es: »I’m the Alpha, with no Omega, beginning without the end …«. Positive Selbstattribuierungen im Stil des braggadocio lassen sich in sämtlichen Subgenres des Rap finden. Speziell im Battle-Rap wird etwa gerne mit

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den eigenen Rap-skills geprahlt (ebd.: 27ff.; vgl. auch Deppermann/Riecke 2006). Das subjektkonstitutive larger-than-life-Ethos bricht sich jedoch vor allem im Subgenre Gangsta-Rap Bahn. Auch Seeliger (2013: 93) bezeichnet »die überhöhte Darstellung des lyrischen Ich« als zentrales Merkmal von Gangsta-Rap-Texten, denn »[w]ährend derartige Motive zwar auch für die allgemein kompetitiv ausgerichtete HipHop-Kultur gelten, kommt entsprechenden Äußerungen im symbolischen Kosmos des Gangstarap ein besonderer Stellenwert zu.« Die Selbsterhöhung erfolgt im Gangsta-Rap vor allem durch Rückgriff auf Attribute der Hypermaskulinität (vgl. Wolbring 2015: 391), wie sie im Diskursuniversum des Rap transnational zirkulieren (transnational toughness, Williams 2015: 84) und lokalspezifisch rekontextualisiert oder -lokalisiert werden (ebd.). Das auf Außenstehende oft unverhältnismäßig wirkende sprachliche ›hyper‹ der Gangsta-Hyper-Männlichkeit lässt sich somit auch im Sinne eines keepin it real to the genre verstehen (vgl. Terkourafi 2010b; Newman 2009). Anders ausgedrückt: Deutschsprachige Gangsta-Rapper unterliegen Genrezwängen und das Gangsta-Subgenre erfordert »a verbal expression of ›street conscious identity‹« (Newman 2009: 208) – die Erwähnung von »Waffenhandhabung und -besitz« inklusive (Lüdtke 2007b: 179). Der Tabubruch mit gesellschaftlichen (Sprech)Normen ist dabei intendiert und wird in der HipHop Literatur als flipping the terms bezeichnet (vgl. Alim 2006: 13). Vor dem historischen Entstehungshintergrund des Schwarzen US-amerikanischen Gangsta-Rap im Kontext von crack epidemic, Bandenkriegen, Black-on-Black-crime und rassistischer Polizeigewalt (vgl. Kap. 8.1) ergibt sich ein transnational zirkulierender Topoi-Bestand, dessen Realisation »in anderen Kontexten allerdings durchaus irritierend wirken kann« wie Wolbring (2015: 361) es für Rap-Topoi im Allgemeinen formuliert. Neben anderen gangstarap-spezifischen Topoi wie Drogen, dem Misstrauen gegenüber anderen Männern/ehemaligen Freunden (›snitch-factor‹), Frauen im Allgemeinen oder der Polizei (›Fuck-the-police‹), ist der Ghetto- oder HoodTopos für das doing gangsta rap masculinity zentral. Die Selbststilisierung im Gangsta-Rap setzt »auf das Vermögen, sich erfolgreich in einem sozialen Brennpunkt, dessen Emblem die ›Hood‹ […] ist, zu behaupten« (Seeliger/ Dietrich 2012: 29; vgl. dazu auch Forman 2012b). Die genrekonstitutive, transnational zirkulierende »hood centric« (Verlan/Loh 2015: 28f.) – deren stilprägendste Re-Lokalisation sicherlich Sidos ›Mein Block‹ aus dem Jahr 2004 ist – dient gerade im migrantisch geprägten deutschsprachigen Gangs-



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ta-Rap als wichtige Quelle lokaler Identität. Was Androutsopoulos/Scholz (2002: 15) den Sprechakt des localizing nennen, nämlich »rappers’ references to geographical and social context« ist im Gangsta-Rap evaluativ und ambivalent zugleich, »das ›Heimat-Ghetto‹ wird nämlich je nach Bedarf bzw. thematischer Ausrichtung des Songs mal als glorifizierter ›place to be‹ und mal als wahrer Schreckensort der Verwahrlosung und ›Deponie aller Hoffnungen‹ inszeniert«, wie Wolbring (2015: 381) mit Bezug auf mehrere Autor_innen ausführt. Die authentische Diskursivierung der Gangsta-Rap-Topoi ist übrigens nicht zwangsläufig an männliche Sprecherpositionen geknüpft und damit Teil der Konstruktion von Rap-Männlichkeit: »FFM Straßenstrich, meine Nutten makellos, fick Minaj,55 ihr Barbie-Flow, schick sie anschaffen« rappt Deutschlands erste kommerziell erfolgreiche Gangsta-Rapperin Schwesta Ewa, die sich als Gangsta-Rap-Sprecherin freilich ebenso authentisch zum Genre verhalten muss und kann (vgl. Kap. 8.3.5). Tatsächlich kann also gelten, was Wolbring am Beispiel des Hypermaskulinitäts-Topos formuliert: »In der Praxis erweist sich der Hypermaskulinitäts-Topos […] als weniger geschlechtsexklusiv als er zunächst den Anschein hat. Schließlich thematisiert er weniger das eigene Geschlecht als die Attribute, die diesem implizit zugesprochen werden. Je nach Definition fallen unter ihn durchaus unterschiedliche Verhaltensweisen und Selbstzuschreibungen, die in einem bestimmten Kontext als ›männlich‹ gelten. […] Zur Bedienung des Topos eignen sich diverse Varianten von Bekundungen übertriebener und überlegener Potenz: Zumeist wird offenkundig die sexuelle Potenz im heterosexuellen Verkehr attribuiert, sowie körperliche Potenz im Sinne von Kraft und Gewaltvermögen, aber auch ökonomische und in selteneren Fällen sogar intellektuelle Potenz. Wer den Topos der Hypermaskulinität bedient, erzählt mehr noch als von seiner übertriebenen Männlichkeit von seiner Autonomie, Souveränität und Überlegenheit. Als solcher ist der Topos grundsätzlich kein männliches Monopol, sondern erscheint durchaus auch für weibliche Rapschaffende adaptierbar und attraktiv. Auch die Referenz des männlichen Geschlechts ist zwar üblich, aber nicht verpflichtend, so dass für Frauen grundsätzlich die Möglichkeit der Teiladaption besteht. Sogar die tendenziell misogyne Metaphorik erweist sich als adaptierbar.« (Wolbring 2015: 378)

Die hegemoniale Männlichkeit steht also im Prinzip auch Frauen offen, wobei das diskursive und performative doing hegemony an den Geschlechtskörper gebunden bleibt. Auf einem Feld, das von »gewaltförmigen […] Darstellungen« geprägt und auf dem die »physische Durchsetzungsfähigkeit« 55 Gemeint ist die überaus erfolgreiche US-Rapperin Nicki Minaj.

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(Seeliger 2013: 120) demnach eine besonders herausragende Rolle spielt, wird der Frauenkörper jedoch vor allem sexualisiert und dient mehr als »Symbolträger männlicher Herrschaft« (ebd.: 122) denn als Ausweis von Authentizität oder gar körperlicher Überlegenheit. Obgleich die Durchsetzung von Autorität und Hegemonie heutzutage keine direkte (körperliche) Gewalt mehr vonnöten macht (vgl. Connell 2015: 131), so ist das Verfügen über einen als männlich lesbaren Körper an dieser Stelle dennoch von Vorteil. Denn wer die Muss-, Soll- und Kann-Erwartungen an den Gangsta-Körper sichtbar erfüllt (sportlich, durchtrainiert usw., vgl. Seeliger 2013: 121), der kann – um es umgangssprachlich auszudrücken – besser und vor allem glaubwürdiger »Welle machen«. Das rapspezifische ›Ansagen-machen‹  – wie es Wolbring (2015: 431f.) am Beispiel einer Formulierung aus dem Umfeld Aggro Berlin expliziert und das ohnehin als »typisch männliches Sprechverhalten gilt« (vgl. auch Lüdtke 2007b: 183ff.) – wird durch einen entsprechenden Körper in seiner Wirkmächtigkeit verstärkt (womöglich ein Grund für die hohe Kampfsportaffinität unter Gangsta- und Straßen-Rappern, vgl. Kap. 9.3.10). Aber auch andere Spezifika der Textsorte gereichen dem Gangsta-RapSprecher zur Konstruktion von Autorität und hegemonialer Männlichkeit auf dem Feld des Rap. »Raps eignen sich wirkungsdispositional besonders gut dazu, ihre Sprecher als überzeugte Sprecher auszuweisen, das heißt als Sprecher, die von der Richtigkeit und Angemessenheit ihrer Äußerungen überzeugt sind. Dadurch können sie auch helfen, den Sprecher als Autorität zu inszenieren.« (Wolbring 2015: 427f.) Die meisten Raps sind deutlich an ein mehr oder weniger spezifiziertes Gegenüber adressiert. Durch diese »fingierte Kommunikationssituation« ergibt sich eine Gesprächsasymmetrie, die den jeweiligen Rapper zwangsläufig mit dem alleinigen Sprechermonopol ausstatte, wohingegen sein Gegenüber zumeist stimmlos verbliebe (ebd.: 385). Auch Wolbring knüpft das Gelingen dieses autoritären Sprech- oder besser Rapverhaltens letztlich an die körperlich-performative Dimension, insofern »die meisten Raps von sicheren, festen, bevorzugt tiefen, männlichen Stimmen intoniert werden, wobei eine emotional distanzierte, coole Sprechweise besonders beliebt ist« (ebd.: 430). Die »stimmliche Überzeugtheit« wiederum korrespondiere mit der »rhythmisch-lautlichen Geschlossenheit« des Rap, dessen Akzentuierungen auf den zweiten beziehungsweise vierten Schlag des 4/4 Taktes gesetzt würden (ebd.). Ein unsicherer Sprechmodus würde dadurch praktisch ausgeschlossen, so dass die Sätze des Rap der Betonung nach »stets Aussage- oder Behauptungssätze« seien und weiter:



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»Mit diesem geschlossenen Betonungsprinzip geht auch die rap-typische Paarreimbindung am Zeilenende einher. Zusammengenommen bewirken sie das in sich geschlossene Korrespondenz-Prinzip von Zeile und Gegenzeile, bei dem erstere in Erwartung der kommenden eine Spannung erzeugt, die letztere unumstößlich und zwangsläufig auflöst. Das Gesagte bekommt dadurch eine unterschwellig wirkende lautliche Legitimation. […] Gesprächsorganisatorisch lässt eine solche Rhythmusführung keinen Raum für Einwände und Gegenstimmen.« (Wolbring 2015: 430f.)

Erfolgreiches doing hegemony steht im Rap also in enger Wechselwirkung mit anderen Differenzkategorien wie der Stimme und damit dem Körper des Sprechenden, dessen martialische Inszenierung insbesondere im Gangsta-Rap »ein ausgeprägtes Gewaltpotential« signalisiert (Seeliger 2013: 122). Durch das äußere Erscheinungsbild in seiner Wirkmächtigkeit verstärkt, ließe sich formulieren, dass sich der männliche Gangsta-Rap-Sprecher vor allem als hegemoniale Subjektposition auf dem Feld des Rap diskursiviert, sich also durch die Autoritätsbehauptung erst als solche hervorbringt. Global zirkulierende Genrekonventionen (tough masculinity/cult of the thug), als auch die Spezifika der Textsorte stützen das (kulturelle) Hegemonieprojekt der Gangsta-Männlichkeit dabei zusätzlich, denn »[e]ine kulturelle Hegemonie zeichnet sich ab« – so Reckwitz (2006: 343) im Anschluss an die diskurstheoretische Hegemonietheorie von Laclau/Mouffe (2006) – »wenn es einem Diskurs gelingt, sich zumindest vorübergehend als universal und alternativenlos zu präsentieren und zu instituieren. Kulturelle Hegemonien verarbeiten notwendigerweise ›partikulare‹, das heißt historisch-regional spezifische, Differenzsysteme und Subjektpositionen, aber sie präsentieren diese über spezifische rhetorische Strategien als einen universalen Horizont, sie betreiben eine erfolgreiche Universalisierungsstrategie. Diese Universalisierung und Hegemonialisierung beruht nicht allein auf Zwang, sondern muss bestimmte Identitäten als erstrebenswert und attraktiv vermitteln, sie muss damit auch klassenübergreifend – gewissermaßen ›populistisch‹ – ausgerichtet sein, um sich installieren zu können«.

Eine klassenübergreifende, populistische – oder besser opportunistische – Ausrichtung ist der Gangsta-Männlichkeit fürwahr nicht abzusprechen, schon deshalb nicht, weil sich der Erfolg des Musikgenres maßgeblich durch seine klassenübergreifende Attraktivität (innerhalb wie außerhalb der Rap-Szene) bemisst. Stabilisiert wird das gangsta-männliche Hegemonieprojekt schließlich im Sinne Laclau/Mouffes durch die Konstruktion einer Differenz, »die Abgrenzung von einem Außen, über den ›negativistischen‹ Weg der Verwerfung eines radikalen Anderen, der damit zum paradoxen ›konstitutiven Außen‹ avanciert« (ebd.: 344). Auf Rap bezogen,

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umfasst dieses Außen letztlich all jene Subjektpositionen, die sich außerhalb der Logik des ›hyper‹ (also der Hypermaskulinität) befinden  – eine Logik, die anderen Subgenres historisch weit weniger eingeschrieben ist56 – was schließlich zur Folge hat, dass alle schmächtigen, weiblichen resp. unmännlichen, nicht-migrantischen, windigen oder anderswie unsicheren Existenzweisen diskursiv auf ihre untergeordneten Plätze verwiesen werden (vgl. die gangstarap-männlichen Feindbilder wie ›Almans‹, ›Studentenrapper‹ oder auch ›Röhrenjeans-Rapper‹). Da wir uns trotz rapider Ökonomisierung im Fall des Rap jedoch immer noch auf einem künstlerischen Feld befinden,57 ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass auch das gangstaspezifische Hegemonieprojekt letztlich gewissen künstlerisch-ästhetischen Bedingungen unterliegt. Zwar muss man nicht zwangsläufig wie ein Gangsta aussehen, vereinfacht gesprochen, sollte man aber reden resp. rappen können wie einer. Denn »[a]uch bei der dezidiert hypermaskulin orientierten Selbstpreisung spielt die anspruchsvolle sprachliche Ausgestaltung […] eine entscheidende Rolle«, wie Wolbring (2015: 392) zum Thema boasting schreibt. »[Z]usammen mit den Spezifika des überzeugten Sprechens« kann diese auch »als Schein- oder Ersatzbeleg für die behaupteten Attribute« dienen (ebd.). Der Erfolg des Hegemonieprojekts der Gangsta-Männlichkeit ist also auch davon abhängig, ob der jeweilige Sprecher über skills58 und style59 verfügt, um den Anspruch auf Autorität gemäß textsorten- und genrespezifischer Vorgaben angemessen auszuschmücken. 56 Wenngleich es dezidierten linguistischen Abhandlungen zu Textsorten wie ›Sozialkritischer‹ oder ›Party/Fun‹- Rap derzeit ermangelt, so ist anzunehmen, dass sich deren Sprecher_innen auch deshalb nicht als hegemoniale Subjekte auf dem Feld präsentieren, da es den jeweiligen Subgenres an einer ähnlich wirkmächtigen Genre-Identifikationsfigur analog des cult of the thug ermangelt und sich die Behauptung von Autorität oder Hypermaskulinität aufgrund anders gelagerter Topoi und Sprechhandlungen demnach als wenig angemessen bzw. kohärent darstellt. 57 vgl. bei Bourdieu/Wacquant (1996: 127), dass sich das ›künstlerische Feld‹ – anders als das ökonomische – »in der und über die Ablehnung bzw. Umkehrung des Gesetzes des materiellen Profits gebildet« hat. 58 Zum Thema skillz bzw. Rap-Fähigkeiten vgl. zum Beispiel bei Streeck (2002: 547f.): »Skills sind der wichtigste, authentische Identitätsbestandteil des M.C.; sein Prestige wächst mit seiner Fähigkeit, möglichst viele Silben in einem beat unterzubringen, das Sprechtempo zu variieren, den beat mit der Stimme zu synkopieren, und so fort. Skills machen die verkörperte Identität des M.C. aus, sie sind Engramme ständigen Trainings und nicht zu simulieren.« 59 Zur Bedeutung von style im HipHop/Rap vgl. Menrath (2001: 71) die diesen im Anschluss an Rose (1994: 36) u. a. als »Werkzeug der Identitätsbildung für HipHopper« bezeichnet.



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8.4.4 Dissen – Die libido dominandi des (Gangsta-)Rap Als relationales Konzept ist Hegemonie stets auf eine subordinierte Gruppe verwiesen, die zunächst als solche konstruiert werden muss und die mit der Dominanz der herrschenden kulturellen Gruppe ›einverstanden‹ ist. In seiner ›männlichen Herrschaft‹ bezeichnet Bourdieu (2016: 141) den Wunsch des Mannes, andere Männer (und auch Frauen) zu beherrschen als ›libido dominandi‹. Im Rap materialisiert sich diese Form symbolischer Gewalt sprechakttheoretisch im sog. dissing, der Konstruktion untergeordneter Sprecher_innen. »In general terms, dissing (a clipped form of the verb to disrespect) can be defined as a verbal attack and symbolic humiliation of an opponent.« (Androutsopoulos/Scholz 2002: 16) Dissing, also der Sprechakt des Beleidigens, Herabsetzens und Bedrohens eines jeweils adressierten Gegenübers ist das Pendant zum boasting. Wie viele andere Rap-Sprechakte wird dissing in der Literatur mit afroamerikanischen Sprach- und Kulturpraktiken wie the dozens, sounding und signifying in Zusammenhang gebracht (zum Beispiel Potter 1995; Mikos 2000; Toop 2000; Streeck 2002; Deppermann/Riecke 2006; Rappe 2010; Wolbring 2015 u. v. a. m.). Innerhalb der ritualisierten afroamerikanischen Beleidigungs- und Schlagfertigkeitswettbewerbe versuchen sich die meist männlichen Beteiligten mit Ironie, Humor und sprachlicher Kreativität gegenseitig auszustechen (vgl. Deppermann/Riecke 2006: 157f.). Für Wolbring (2015: 393) ist die rituelle Sprachhandlung des dissing »sui generis (anti-)sozial und im Gegensatz zum boasting zwangsläufig aggressiv«. Auch das dissing folgt dabei einer vergeschlechtlichten Logik, denn das adressierte Gegenüber wird vor allem entlang der Kategorien Geschlecht, Körper und Sexualität gedemütigt. Weil sich Gangsta-Rap entstehungsgeschichtlich durch den sprachlichen und kulturellen Tabubruch definiert und dessen hegemoniale Subjektposition in der feldspezifischen Tradition der (marginalisierten) tough masculinity steht, geraten (männliche) Gangsta-Rap-Sprecher seit Anbeginn ganz besonders für ihre diskriminierenden Aussagen in die Kritik (vgl. Rose 2008). Dass diese freilich immer auf real geteilte Einstellungen und Mentalitäten verweisen können, kann und soll hier nicht in Abrede gestellt oder gar entschuldigt werden (vgl. Kap. 8.4.2). Dennoch gilt es Sprach- und Genrezwänge beim doing gangsta rap masculinity stets mitzudenken, denn »[l]ike a rap battle that transfers a beef from the physical to the virtual realm, hardcore rap affords a verbal expression of ›street conscious identity‹ instead of a behavioral one that is risky for oneself and harmful to others« (Newman

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2009: 208).60 Homophobe oder sexistische Reime dienen – so Newman am Beispiel der von ihm untersuchten männlichen MCs – als »verbal substitutes for the destructive features in the street« und »semiotic representations of street reality, closely associated with the cult of the thug« und weiter: »By participating in Hip Hop, the MCs constructed identities for themselves as inner city community members. The argument I wish to make is that the problematic motifs served to help locate that identity through the figure of the thug. To understand how this worked, it is useful to see thuggish elements as backgrounds; that is, as the environment in which a narrative takes place rather than the point of the narrative. Thug action and the thug ethos mark the agonistic nature of that environment. The warrior MC moves in that harsh environment but always defeats opponents through some form of penetration and collects trophies: hos, money, and other symbols of dominance. Almost like an avatar in a role-playing computer game, the MC acts out sequences of events involving survival and success in a stylized universe. […] The opaque use of sexist and violent themes rooted the MC’s lyrics in the agonistic world of the street. The lyrics connected their creators to this potentially hostile environment, while allowing them to remain at relatively safe distance from its physical and moral dangers. The motifs were resources in identity construction as well as tools for creative self-expression.« (Newman 2009: 209f.)

Gangsta-Rap will nicht pädagogisch sein, sondern ist als »radikaler Bruch mit den gesellschaftlichen Konventionen der Dominanzkultur« zu verstehen (Kleiner/Nieland (2007:218). Die diskursive Degradierung von Frauen, Homosexuellen oder auch Juden ist ein solcher Bruch und  – wenngleich kritikwürdig – Teil der Identitätsarbeit und des Hegemonieprojekts der Gangsta-Männlichkeit: ›Empowerment through taboo‹, wie die Linguisten Littlejohn/Putnam (2010) das sprachliche Ermächtigungsprojekt auch überbeschreiben. »Die Präsentation des Fremden dient der Abgrenzung und Selbstdefinition von Rappern«, meint auch die Sprachwissenschaftlerin Lüdtke (2007b: 182) in diesem Zusammenhang. Dass die Absolutsetzung des Mannes im Rap (boasting) mit der gleichzeitigen Erniedrigung der Frau einhergeht (dissing) und sich zu diesem Zwecke ein recht umfangreiches Vokabular im Rap gebildet hat, konnten Bukop/Hüpper (20102: 170) bereits am Beispiel der von ihnen als ›Porno-Rapper‹ klassifizierten Rapper_innen Kool Savas und Lady Bitch Ray herausarbeiten. Für die Erniedrigung weiblicher Personengruppen greifen Rapper tatsächlich meist auf eindimensionale, antiquierte Weiblichkeits 60 Im US-amerikanischen Raum wird der Ausdruck hardcore rap auch synonym mit Gangsta-Rap verwendet.



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modelle zurück (zum Beispiel LX auf ›Optimal‹: »Ich auf der Couch und die Frau hinter’m Herd«, 2016). Diese bewegen sich im weitesten Sinne entlang des Dualismus der Heiligen vs. Hure, wobei die Aufrufung letzterer vermittels differenzierter Pejorativa erfolgt (vgl. ebd.). Der radikale und gezielt herbeigeführte Tabubruch, wie er sich durch expliziten Sexismus erreichen lässt, kann dabei »wirkungsdispositional den Eindruck von Souveränität unterstützen«, so Wolbring (2015: 373) über den Hypermaskulinitäts-Topos im Rap. Was geschlechtertheoretische Analysen des deutschsprachigen HipHop/Rap angesichts der Gleichsetzung von Geschlecht mit Weiblichkeit und einer mangelnden Differenzierung der Pluralität und Komplexität von Männlichkeiten m. E. bislang zu wenig berücksichtigen, ist die Tatsache, dass sich – der doppelten Distinktions- und Dominanzlogik hegemonialer Männlichkeit entsprechend – ebenso ein nicht minder differenziertes Vokabular zur Konstruktion untergeordneter Männlichkeiten im Rap ausgebildet hat. Connell (2015: 132) spricht in ihrer hegemonialen Männlichkeitstheorie von einem Ausschluss schwuler, aber auch heterosexueller Männlichkeiten »aus dem Kreis der Legitimierten« und führt sodann beispielhaft Begriffe wie »Schwächling, Schlappschwanz, Muttersöhnchen, Waschlappen, Feigling« oder auch »Brillenschlange« oder »Milchbrötchen« an. Es mag kaum verwundern, dass die diskursive Exklusionspraxis innerhalb der männlich-binnengeschlechtlichen Dimension im Bereich Rap diesbezüglich deutlich radikaler daherkommt. Zu finden sind dort unter anderem Pejorativa wie: Nutten-/Hurensohn, Mutterficker, (Über-/Ober-)Opfer/Opferkind, (Schnitt-)Lauch, Schwanz/Schwanzgesicht/Schwanzlutscher, Stricher, Jude, Keck, Punk, Schwuchtel(-Rapper)/ibne/Homo, Rookie, Spast, Spack/ Spacko, Basstard, Pisser, Kiffer, Kunde, Heuchler, Blender, Snitch/31er, Bonze/Bonzensohn, Hund/Hundesohn, Schmutz, Fotzenlecker, Muschikopf, Bitch, Vogel, Hemd, Lappen, Untermensch, Picko, Fotze u.v.m. Die kursorisch zusammengetragenen Termini zeigen, dass Gangsta-Rap-Sprecher sich im dissing an etablierten Exklusionslinien wie der Stigmatisierung von Homosexualität orientieren, was vor allem im männlich homosozialen Raum der Rap-Szene als größtmögliche Beleidigung gilt. Pejorativa wie ›Fotze‹ oder andere Sexismen sind dabei oft nur Vehikel, die weniger die Frau oder eine nicht näher definierte Weiblichkeit adressieren, sondern vielmehr zur Unterordnung des alleinig satisfaktionsfähigen, weil männlichen Gegenübers dienen:

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»The greatest insult from one man to another in hip hop (and beyond) is to imply that he’s less than a man by calling him a derogatory term usually reserved for women or gay men: ›bitch‹, ›ho‹, ›punk‹, ›fag‹. It’s an act of enhanced degradation because injury is added to insult with the double negative of being dissed to begin with and then being assigned a gender or sexual orientation epithet to boot. These epithets place a male lower on the totem pole of masculine identity by classifying him with the already degraded female or gay male.« (Dyson/Hurt 2012: 367)61

Die Textsorte des deutschsprachigen Gangsta-Rap zeichnet sich weiterhin durch klassisierte und ethnisierte pejorative Personenbezeichnungen aus. So werden die ausschließlich als männlich diskursivierten Feindbilder des ›Studenten-Rappers‹ oder auch ›Hipster-Rappers‹ entlang der Differenzlinien Klasse und Ethnizität abgewertet, während letzterer als ›RöhrenjeansRapper‹ zusätzlich entlang der Kategorie des männlichen Körpers sowie der Materialität der Kleidung diskriminiert wird (vgl. dazu Süß 2019). Eine als monetär privilegiert und/oder (zum Beispiel körperlich) unterlegen diskursivierte ›bio-deutsche‹ Männlichkeit ohne Migrationshintergrund wird weiterhin durch deutsch kodierte männliche Vornamen wie Rudi, Markus, Frank,62 Otto, Hans oder Martin angerufen. Als eine Art Überkategorie fungiert darüber hinaus das ethnisierte Appellativum Alman, der türkische Ausdruck für ›Deutsche/r‹, der im migrantisch dominierten Diskursuniversum Gangsta-Rap ebenfalls zur Adressierung und gleichfalls Abwertung einer nicht näher definierten, nicht-migrantischen und meist männlichen Personengruppe dient. Nicht wenige Pejorativa, die im Bereich Gangsta-Rap Verwendung finden, kookurrieren darüber hinaus mit dem Verb ›ficken‹ und rufen nebst einem heterosexuellen, auch einen homosexuellen Geschlechtsakt auf, der zur Konstruktion sexueller Autorität des jeweiligen Sprechers dient. An dieser Stelle sei an die kompetitiven Beleidigungsrituale männlicher deutsch-türkischer Jugendlicher erinnert, die in der Literatur häufig als Beispiel für die Aushandlung von (migrantischer) Männlichkeit und sexueller Identität angeführt werden und innerhalb deren dem Begriffspaar des ›ficken vs. gefickt‹werdens eine ebenso wichtige Bedeutung zukommt (vgl. Tertilt 1996; Meu 61 vgl. dazu auch eine Aussage von Rapper Eminem: »The lowest degrading thing you can say to a man when you’re battling him is to call him a faggot and try to take away his manhood. Call him a sissy, call him a punk. ›Faggot‹ to me doesn’t necessarily mean gay people. ›Faggot‹ to me just means taking away your manhood.« (Kimmel 2008: 49) 62 vgl. die Zeile von Sinan G.im ›Prachtkerle-Remix‹: »In meiner Welt ist Mustafa arm, aber Frank reich« (vgl. Kap. 10.1).



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ser/Scholz 2005). ›Gefickt‹ wird dort nämlich alles, »was normalerweise Respekt verlangt, aber der Verwirklichung der eigenen Interessen im Wege steht« (Raths 2009: 72). Häufiges Zielobjekt dieser kompetitiven Sprachhandlung ist im Gangsta-Rap (neben der gegnerischen Mutter/Schwester) etwa die Polizei (zum Beispiel ›Fick die Polizei‹ von 18 Karat, 2017), die Szene (zum Beispiel ›Wir ficken die Szene‹ von Farid Band & Kollegah, 2009), die Medien/Presse (zum Beispiel ›halt die Fresse, fick die Presse‹ in ›Stress ohne Grund‹ von Shindy/Bushido, 2013), ebenso wie die Verkehrsbetriebe (zum Beispiel ›Wir ficken die BVG‹, K.I.Z., 2007), das Leben (der anderen) (zum Beispiel ›Fick dein Leben‹, Olli Banjo, 2010), die Welt (zum Beispiel ›Fick die Welt‹ von Nate57, 2010) oder schlichtweg Alle (zum Beispiel ›Ich ficke alle‹, Massiv feat. Afrob, 2013). In den ›ernsten Spielen des (Gangsta-)Rap‹ werden – um mit Bourdieu zu sprechen – jedoch mit Vorliebe andere Männlichkeiten ›gefickt‹, mit dem ›Geficktwerden‹ bedroht oder mit homosexuellen Handlungen in Verbindung gebracht. Ein anschauliches Beispiel liefert der Allstar-Track ›Chabos‹ (2015) aus dem Umfeld des Offenbacher Rappers Haftbefehl. Dort heißt es von Rapper Milonair: »Du Nutte hast Yarak gerochen, in meiner Gegend wird für paar Gramm geschossen, fick dein’ Vater, du Fotze, halt mal Abstand […] du wirst sonst gefickt von dem Azzlack«. Während Nimo rappt: »Ende aus mit Skinny Mode, Oberteile bis zum Knie! Ibne, geh mir aus dem Weg bevor ich dir ’nen Besen schieb’«.63 Das effeminierungsstrategisch eingesetzte Verb ›ficken‹ dient hier zur Erniedrigung eines gleichgeschlechtlichen Gegenübers und weist den Sprecher dabei gleichzeitig als sexuell potente Autorität aus. Gleichzeitig erfolgt doing rap masculinity hier in Wechselwirkung mit doing ethnicity: Beide Rapper haben eine iranische Migrations- beziehungsweise Fluchtgeschichte und die Missbilligung männlicher Homosexualität – zumindest solcher Männer, die rezeptiven Analverkehr vollziehen – ist innerhalb arabischer Länder sowie im diasporischen Kontext besonders stark verbreitet (vgl. Schäfer/Schwarz 2007; Bochow 2007; Bourdieu 2016; vgl. Kap. 8.2.3). In den Symbolwelten des Gangsta-Rap, so stellt auch Seeliger (2013: 123) fest, wirkt »ein strikter Bezug auf heterosexuelle Ordnungsvorstellungen als zentrales Orientierungsmuster. Hier dient die Unterstellung von Homosexualität an einen imaginierten oder realen Kontrahenten seiner Abwertung. Einher mit der Bezeichnung als 63 Yarak (türk.) =  Penis, ibne (türk.) =  Schwuchtel.

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›schwul‹, ›Homo‹, ›Arschficker‹ etc. geht die Zuschreibung ›unmännlicher‹ Eigenschaften wie Schwäche oder Verweichlichung sowie genereller Negativ-Abweichung von der gesellschaftlichen Norm. In der Selbstdarstellung des Sprechers als zweifelsfrei heterosexuell ist ein Moment der Selbstaufwertung begründet.«

Jemanden abwertend als ›schwul‹ zu bezeichnen ist freilich kein Alleinstellungsmerkmal des Rap, sondern ein gesamtgesellschaftlich verbreitetes Schimpfwort, das Männer, die nicht dem gesellschaftlichen Ordnungsprinzip der Heterosexualität entsprechen für ›abweichend‹, ›nicht männlich‹ usw. erklärt. Für unseren Zusammenhang ist ferner die Tatsache interessant, dass Schwulenfeindlichkeit vor allem unter sozial benachteiligten Jugendlichen und jungen Männern recht verbreitet ist (vgl. Böhnisch 2013: 126) und überdies auf eine lange kulturhistorische Tradition verweist. »Und muss es sein, dann fick’ ich Feinde wie ein Pferd, nicht wie ein Mann«, rappt Blut&Kasse im ›Prachtkerle-Remix Wie ein Mann‹. Unter der Überschrift ›Das ›Ficken‹ von Feinden und Rivalen‹ arbeitet der Ethnologe Duerr (1993) heraus, dass das Feinde-ficken insbesondere im kriegerischen Kontext auf eine jahrhundertealte, kulturübergreifende Tradition zurückzuführen ist (ebd.: 242). So wurden Kampfesunwillige oder feige Gegner durch den Zwang zur Frauenkleidung oder sexuellen Dienstleistungen nicht nur ›entmännlicht‹, sondern posthum zusätzlich gedemütigt, in dem den bereits auf dem Schlachtfeld verendeten Rivalen spitze Gegenstände in den After eingeführt wurden.64 Die Entehrung des männlichen Rivalen konnte dabei sowohl durch reale Penetration (mittels Gegenständen oder dem Penis) oder auch durch bloße Androhung des ›Geficktwerdens‹ erfolgen, wodurch der Mann symbolisch zur Frau gemacht wurde (ebd.: 246). Auch Duerr geht im Zuge dessen auf die rituellen Beleidigungsduelle türkischer Jugendlicher ein: »[…] und wenn in den ›Rededuellen‹ der türkischen Jugendlichen jemandem auf eine ›phallische Beleidigung‹, mit welcher ihm, seiner Mutter oder seiner älteren Schwester scherzhaft das Geficktwerden in Mund, After und Vagina angedroht wird, keine passende Retourkutsche einfällt, gilt er als ›verbal gefickt‹« (ebd.: 253).65 Auch der Begriff ›ibne‹ (türk.: Schwuler) sei 64 Die Ausführungen beziehen sich auf das Nordamerika des 16. Jahrhunderts, insbesondere die Krieger der Timucua in Florida (Duerr 1993: 242). 65 Es ist interessant an dieser Stelle anzumerken, dass auch das Rasieren männlicher Schambehaarung kulturhistorisch als symbolisches ›zur Frau machen‹ funktionierte: »Freilich gab es noch andere Mittel, mit Hilfe deren die Israeliten ihre Feinde ›zu Weibern machten‹. Dazu gehörte vor allem, daß sie den unterlegenen Männern ›das Haar der Füße‹ […] schoren, wobei das Wort ›Füße‹ […] ›Genitalien‹ bedeutet, das heißt sie rasierten den Feinden das Schamhaar ab und machten sie so symbolisch zu Frauen, da



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demzufolge ein häufig gebrauchter Begriff unter türkischen Jugendlichen. An dieser Stelle wird einmal mehr deutlich, dass ritualisierte und kompetitive Beleidigungsduelle kulturübergreifend feststellbar sind und eine historische Analyse und Klassifizierung des Rap als Black cultural expression zu kurz greift. Sexistische Raptexte und solche, in denen Feinde, Polizisten oder andere Gegner (oftmals höchst beiläufig) ›gefickt‹ und damit degradiert und untergeordnet werden, sind Teil der Rap-Männlichkeitskonstruktion und gehören zum sprachlichen Habitus des Subgenres Gangsta-Rap und seiner hegemonialen (meist männlichen und oft migrantischen) Sprecher. HipHop- oder spezifisch Gangsta-Rap-sozialisierte Jugendliche und junge Menschen lassen derartige Texte – zum Unverständnis vieler Außenstehender und ›Erwachsener‹ – meist wenig irritiert zurück. Als deutschsprachige Gangsta-Rapper stehen Gzuz, Kollegah und Co jedoch in der Tradition einer transnational zirkulierenden Männlichkeitserzählung, dem cult of the thug, den man mit dem Soziolinguisten Blommaert auch als text tracetory bezeichnen könnte, da dessen Bedeutung und Funktion sich im Zuge der Re-Kontextualisierung verändert: »Whenever discourses travel across the globe, what is carried with them is their shape, but their value, meaning, or function do not often travel along. Value, meaning, and function are a matter of uptake, they have to be granted by others on the basis of prevailing orders of indexicality, and increasingly also on the basis of their real potential ›market value‹ as a cultural commodity.« (Blommaert 2005: 72)

Der Gangsta-Rapper mag auf den ersten Blick als »schwulenverachtender (Gewalt-)Krimineller mit Migrations- und ohne Bildungshintergrund« daherkommen, wie Seeliger (2013: 96) nicht minder kritisch bemerkt. Seine meist platten und wenig elaborierten Sexismen, homophoben Äußerungen und Gewaltphantasien gilt es jedoch auch im Lichte der Textsorte, ihrer historischen Entstehungskontexte und (männlich-)identitätsstiftenden Genrefiguren zu betrachten. Speziell für das (deutschsprachige) doing (gangsta)rap nur die Frauen ihr Genitalhaar zu epilieren pflegten« (Duerr 1993:247f.). Das Verb ›rasieren‹ wird im Rap in einer ähnlichen, wenn auch etwas abgeschwächteren Form wie das Verb ›ficken‹ verwendet. Zumeist in der Partizip Perfekt-Form benutzt, bezieht es sich dabei jedoch weniger auf (verfeindete) Personen, als vielmehr auf mehr oder weniger abstrakte Gegen- oder Umstände. So können beispielsweise die Charts oder auch die Szene ›rasiert‹ werden, was so viel bedeutet wie sie ›dominiert‹ zu haben, im Sinne eines ›es allen gezeigt‹ zu haben. Zum Beispiel: »Bitch, wir sind back und die Szene wird akkurat rasiert wie’n Kanakenbart« im Track ›Ave Maria‹ von Kollegah & Farid Bang (2017).

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masculinity im Spannungsfeld von Globalem und Lokalem muss gelten, dass »some of the biggest errors (and injustices) may be committed by simply projecting locally valid functions onto the ways of speaking of people who are involved in transnational flows« (Blommaert 2005: 72). 8.4.5 Gangsta-Sprech als hegemonialer Sprachcode Die unterschiedlichen Diskriminierungsformen, wie wir sie heute im deutschsprachigen Rap und insbesondere im Battle- und Gangsta-Rap finden, sind ein insgesamt eher neues Phänomen. Anders als im US-amerikanischen Rap, der den Topos der Hypermaskulinität laut Wolbring (2015: 373) bereits »von Anfang an« kennt, etablierte sich dieser in Deutschland erst ab dem Jahr 2000 und blieb ab dann zunächst auf die ›härteren‹ Spielarten des Gangsta- oder Battle-Rap beschränkt. Erst durch den kommerziellen Erfolg des deutschsprachigen Gangsta-Rap um das Label Aggro Berlin und seine Zugpferde Bushido, Sido und Fler begann sich das Themenspektrum des Deutschrap sukzessive um sexistische, homophobe, gewaltverherrlichende oder antisemitische Inhalte zu erweitern (vgl. Loh/Güngör 2002; Littlejohn/Putnam 2010). Auch die verschiedenen Ethnolekte, wie sie die Textsorte des gegenwärtigen Rap kennzeichnen, erlangten erst durch den Siegeszug deutschsprachiger Gangsta-Rapper wie Haftbefehl, Massiv, PA Sports, Farid Bang, Kurdo oder Majoe symbolische Bedeutung. »Gangsta-Slang«, wie die HipHop-Chronisten Güngör/Loh (2017: 209f.) den multilingualen Sprachmix nennen, ist heute längst milieuübergreifend en vouge. Sprachliche Versatzstücke aus dem Diskursuniversum Gangsta-Rap nicht mehr aus der Alltag- und Jugendsprache wegzudenken.66 »Mit dem Erfolg des Independent Rap-Labels Aggro-Berlin macht sich Gangsta-Rap in Deutschland seit der Jahrtausendwende auf den Weg, den Mainstream aufzumischen. Die Protagonisten dieses neuen Genres sprechen eine Sprache, die den Jugendlichen in den ›sozialen Brennpunkten‹ vertraut ist. Die meisten Fans sind aber deutsche Jugendliche aus bürgerlichen Haushalten, die sich bemühen, Slang und Haltung ihrer Vorbilder in ihren Habitus einfließen zu lassen. Damit drehen sich die Verhältnisse um: Alle wollen plötzlich reden wie die Gangsta-Rapper in den Videos, doch nicht alle verstehen die Begriffe und Wortspiele ihrer Stars.« (Güngör/ Loh 2017: 209) 66 vgl. die zahlreichen zum ›Jugendwort des Jahres‹ gekürten Termini des Langenscheidt Lexikons, die nicht selten dem Diskursuniversum Gangsta-Rap entstammen, zum Beispiel Babo (2013), Yalla (Platz 3., 2011) oder Ehrenmann/Ehrenfrau (2018).



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Während der streetkredibile Gangsta-Sprech außerszenisch zur Inszenierung von Coolness, Juvenilität und (in Abhängigkeit des jeweiligen Popularitätsgrades) einer gewissen down-to-earth-Mentalität genutzt wird, ist die symbolische und sozial positionierende Bedeutung des ›GangstaSprech‹ auch innerszenisch offenkundig. Nicht nur jugendliche Rap-Fans, sondern auch Vertreter_innen anderer Rap-Spielarten und/oder weiß gelesene Szene-Journalist_innen imitieren den multilingualen Sprachmix der hegemonialen migrantischen Gangsta-Männlichkeit und betreiben  – je nach Kenntnisstand – ein mitunter recht umfängliches code-switching, das freilich höchst beiläufig stattfinden (muss) um nicht mit dem raptypischen Habitus der Coolness zu konfligieren. So bezeichnen sich nicht wenige HipHop-Journalist_innen ohne Migrationshintergrund etwa selbst als ›Alman‹ (türk. Deutscher), holen sich ihr ›hak‹ (türk. Gerechtigkeit, Recht, Anteil) oder kommentieren Aussagen mit ›çüş‹ (türk. = krass/heftig). Der Wechsel in den restringierten resp. ethnisierten Code, der sich zwischen Versatzstücken aus dem türkischen, arabischen oder serbokroatischen Sprachraum, ebenso wie benachbarten Sprachregistern wie der Jugend-, oder Drogensprache aufspannt, lässt sich als diskursive Affirmation des symbolisch bedeutsamen marginalisierten Subjekts im HipHop/ Rap im Sinne der Marginalitätsdividende verstehen und bekräftigt gleichsam die Hegemonie der Gangsta-Männlichkeit auf dem Feld. Mit dem Soziolinguisten Blommaert (2005) ließe sich argumentieren, dass die Aktivierung des Gangsta-Sprech, die Sprechenden mit der (stets kontextabhängigen) voice ausstattet, einer kommunikativen Ressource, die in anderen Kontexten ›degeneriert‹ wirken mag, im Bereich der Rap-Szene und angrenzender juveniler und popkultureller Sprachgemeinschaften, jedoch sozial positionierend wirkt und sozialen Erfolg ermöglichen kann. »Voice stands for the way in which people manage to make themselves understood or fail to do so. In doing so, they have to draw upon and deploy discur­ sive means which they have at their disposal, and they have to use them in contexts that are specified as to conditions of use.« (Blommaert 2005: 5)67 Der hegemoniale Sprachcode des Gangsta-Sprech und seine milieuübergreifende Imitation und Affirmation ist dabei durchaus kritisch in den Blick zu nehmen, transportieren Signifikanten wie zum Beispiel ›sharmuta‹, ›para‹ 67 Dass sprachliche Zeichen auch bestimmte Werte oder Sachverhalte indizieren, bezeichnet Blommaert (2005: 11) als Indexikalität (›indexicality‹). »Das Wissen darum und die Fähigkeit, die Zeichen adäquat zu nutzen, ist die ›voice‹« wie die Linguisten Spitzmüller/Warnke (2011: 112) rezitieren.

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oder ›hak‹ doch auf der Inhaltsseite immer auch entsprechende Wertvorstellungen, die insbesondere im Hinblick auf Geschlechtsmodelle eher selten progressiv daherkommen.68 Die inner- wie außerszenische Strahlkraft und symbolische Bedeutung des Gangsta-Sprech, der sich zu großen Teilen aus Anleihen der türkischen Sprache generiert, erinnert an die ›türkischen Routinen‹, das heißt an spezifische jugendliche Sprechweisen, wie sie die Germanistin Dirim (2005) am Beispiel von Jugendlichen eines Hamburger Bezirks mit hohen Ausländeranteil beobachtet. Vor allem in Gebieten mit multiethnischer Bevölkerungszusammensetzung seien ›türkische Routinen‹ zu einem festen Bestandteil jugendlichen Sprechens geworden. Der Begriff ›türkische Routinen‹ meint dabei den Gebrauch einzelner türkische Wörter oder auch längerer Äußerungssequenzen,69 die nicht nur von türkischstämmigen Sprecher_innen, sondern auch seitens Jugendlicher ohne Migrationsgeschichte verwendet würden. Das Beherrschen zumindest floskelhafter Türkischkenntnisse sei für die ortsansässigen Jugendlichen unerlässlich, um in ihrem sozialen Umfeld akzeptiert zu werden (ebd.: 20). Je enger und intensiver der Kontakt zu einer türkischen Community, desto höher und routinisierter sei der Gebrauch türkischer Routinen zu beobachten, wenngleich diese auch bei Jugendlichen vorkämen, die in weniger von Türken bevölkerten Wohngebieten lebten. Mit der Übernahme türkischer Sprachregister gehe dabei auch eine Orientierung an türkischen Wertvorstellungen einher, wobei ein gemeinsamer religiöser Hintergrund besonders identifikationsstiftend wirke. Dirim betont dabei besonders die identitäts- und gemeinschaftsstiftende Bedeutung der Sprechweisen: »Die Verwendung türkischer Routinen (auch, wo sie nur im ›backchannel‹ des sprachlichen Handelns auftreten) können zweifellos als ›acts of identity‹ auf-

68 sharmuta (arab.) = Prostituierte; para (türk.) = Geld; hak (türk.) = Gerechtigkeit/(An-)Recht. Der Begriff ›hak‹ wird im Diskursuniversum Deutschrap nicht etwa aus einer demokratisch-sozialistischen Motivation der Umverteilung heraus, sondern vielmehr im Sinne eines ›sich (zurück) holen was einem zusteht‹ benutzt (zum Beispiel ›hol dir dein hak!‹). Im Kontext von Migration und sozialer Deprivilegierung mutet diese Forderung zwar nachvollziehbar und angemessen an. Durch eine männlichkeitstheoretische Perspektivierung erscheint der Sprechakt jedoch in einem anderen Licht: Die culture of entitlement gilt hier auch als maskulinistisches Motiv und wird im Sinne einer (Re-)Stabilisierung männlicher Hegemonie diskutiert (vgl. zum Beispiel bei Kimmel 2008; 2013) 69 Als Beispiel sei hier die Erkundigung nach der Uhrzeit, oder auch türkische Anredeelemente wie ›lan‹ (= Alter) oder ›abi‹ (= älterer Bruder) genannt, die auch im deutschsprachigen Rap verwendet werden.



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gefasst werden, die die Affinität des Sprechers bzw. der Sprecherin mit bestimmten sozialen Gruppen ausdrücken.« (Dirim 2005: 45) Aus einer medienlinguistischen Perspektive muss die symbolische Bedeutung ›türkischer Routinen‹ und/oder des ›Gangsta-Sprech‹ außerdem in einen weiteren zeithistorischen Kontext eingebettet werden. Güngör/Loh (2017: 206ff.) und Androutsopoulos (2001: 2) zeichnen die ›Medienkarriere‹ des ›Türkendeutsch‹ – wahlweise als ›Kanaksprak‹, ›Ausländisch‹, ›Ghettosprache‹, ›Ausländerslang‹ oder ›Streetslang‹ bezeichnet – auch entlang der Entstehung erster Ethnolekte unter Migrantenjugendlichen der zweiten und dritten Gastarbeitergeneration nach. Güngör/Loh (2017: 206) etwa unterscheiden ›Gastarbeiterdeutsch‹, ›Kanak-Sprak‹, ›Comedy Kanak-Sprak‹ und ›Gangsta-Slang und Kiezdeutsch‹ und schreiben zu letzterer ›Entwicklungsstufe‹: »Begriffe und Wendungen aus dem Türkischen, Kurdischen, Arabischen oder Romanes im Gangsta-Rap verhelfen einem neuen Gangsta-Slang zu jugendkultureller Dominanz. Nach und nach werden Begriffe des Gangsta-Slang Teil der deutschen Kiezsprache.« Tatsächlich trug auch die »Verulkung« durch mediale Ereignisse, Comedians und/oder Filme wie ›Erkan und Stefan‹ zum gesamtgesellschaftlichen Bekanntheitsgrad des ›Türkendeutsch‹ bei, wobei das Autorenpaar an dieser Stelle zurecht einen Vergleich mit den rassistischen Minstrel-Shows des 19. Jahrhunderts zieht, denn »[i]m Lachen über den ›kanakischen‹ Trottel vergewissert sich das Publikum seiner deutschen Identität und seines sozialen Vorsprungs« (ebd.: 209). Gerade die größtenteils weißdeutsch besetzte Community des Szene-Journalismus wäre m. E. gut beraten, die zuweilen exzessive Affirmation des ›Gangsta-Sprech‹ und das diesbezüglich vorgebrachte Argument der gutgemeinten Solidaritätsbekundung kritisch zu reflektieren.

8.5 Braun, grün, gelb, lila – Verstehensdimension Neoliberalismus Noch im Jahr 2003 halten Klein/Friedrich (2003a: 188) die lokalen HipHop-Szenen für »aus ökonomischer Perspektive wenig exklusiv«. Gut 15 Jahre nach dieser Publikation ist diese Zustandsbeschreibung sicherlich nicht mehr gültig. »Rap ist eine Ökonomie, ist ›big business‹«, schreibt HipHopForscher Dietrich (2016: 9) in seiner Einführung über den Rap im 21. Jahrhundert. Einst lose vernetzte, undergroundige Subkultur ist HipHop resp.

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Rapmusik heute eine der kommerziell erfolgreichsten Musikrichtungen weltweit. Ein Drittel aller in den USA gestreamten Tracks sind Raptracks. Damit ist Rap »das meistgehörte Musikgenre in den Vereinigten Staaten«, wie HipHop-Journalist Schieferdecker (2018: 56) in seinem Jahresrückblick 2017 resümiert. Zum ersten Mal seit Datenerhebung durch das Marktforschungsinstitut Nielsen im Jahr 1991 läge das Genre damit vor der zeitlos beliebten Rockmusik. Die Top 20 der US-amerikanischen HipHop-Künstler, darunter Sean »Diddy« Combs, Drake oder Jay-Z, verdienten laut Forbes Magazine zwischen Juni 2016 und Juni 2017 zusammen ca. 619,5 Millionen Dollar.70 Dabei errechnen sich die Verdienste erfolgreicher Rap-Musiker_innen längst nicht mehr nur aus dem Verkauf von Rapmusik. Als Besitzer_innen von Plattenlabels, eigenen Modelinien, Nachtclubs, Restaurants, Streaming-Plattformen oder als Werbeträger_innen teurer Luxusmarken haben Rapper_innen längst einen Prozess der ökonomischen Professionalisierung durchlaufen; ist Rapper_in-Sein ›von der Berufung zum Beruf‹ geworden, wie es Dichter und DJ Michael Bach im Interview mit den HipHop-Forschern Verlan/Loh (2006: 293) bereits im Jahr 2006 prognostiziert. Gleichwohl sich sowohl im US-amerikanischen, als auch im hier untersuchten deutschsprachigen Rap einige bedeutende zeithistorische Ereignisse festhalten lassen, die den kommerziellen Erfolg der Kultur des HipHop und vor allem der Musikrichtung Rap maßgeblich beeinflussten, so muss der Kommerzialisierungsprozess insgesamt als schleichend bezeichnet werden. Wenig überraschend begann die Kommerzialisierung von Rapmusik im ›Mutterland‹ der Kultur, den USA, bereits sehr viel früher als in Deutschland. So konstatiert Rose bereits im Jahr 1994: »Rap music and hip hop style have become common ad campaign hooks for McDonald’s, Burger King, Coke, Pepsi, several athletic shoe companies, clothing chain stores, MTV, antidrug campaigns, and other global corporate efforts ad nauseam. Rap music has grown into a multimillion dollar record, magazine, and video industry with multiplatinum world renowned rappers, disc jockeys, and entertainers.« (Rose 1994: 17)71

Viele Kritiker_innen sehen in der zunehmenden Kommerzialisierung eine Entpolitisierung der einst widerständigen und gegenkulturellen Bewegung 70 O’Malley Greenburg, 09.06.2020, https://www.forbes.com/sites/zackomalleygreenburg/2017/09/27/the-worlds-highest-paid-hip-hop-artists-2017/?sh=3201f35b15d1 71 Eine umfassende Monografie zum Business des US-amerikanischen Rap liefert zum Beispiel Charnas (2010)



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des HipHop (zum Beispiel Rose 2008; Bock u. a. 2007: 314). Die (Über-) Betonung von Reichtum und Konsum, wie sie viele Rapper_innen propagieren, überdecke das ›Wesen‹ des HipHop als kreative Ausdrucksform und münde in eine Vernachlässigung seiner übrigen ›Elemente‹, so eine verbreitete Ansicht (vgl. Verlan/Loh 2006: 221). Wieder andere betrachten die Entwicklung mehr ressourcenorientiert und perspektivieren die Kommerzialisierung von (Musik-)Szenen als Nährboden von Kreativität (vgl. Hitzler/ Niederbacher 2010: 193). Wenn es um die kritische Reflexion der Vereinnahmung durch die kapitalistische Marktlogik geht, komme der HipHopKultur gar ein Alleinstellungsmerkmal zu, meint Hess mit Blick auf die USamerikanische Szene: »Hip hop is unique among popular music forms in the extent to which its artists confront the commercial nature of their music. This critique often takes place within the music itself. This attention to the commercial is one of the most vital aspects of hip hop, and though artists cannot escape hip hop’s commercial nature (and many in fact embrace it), they critique its position through their unprecedented artistic attention to the stories of their careers.« (Hess 2012: 636f.)

Aber auch im europäischen Rap zählt die Kritik an der Musikindustrie zu den am häufigsten behandelten Themen in Rapsongs, ein Diskursstrang, den Androutsopoulos/Scholz (2002: 10) in ihrer Studie unter den sog. scene discourse subsumieren. Fast 20 Jahre nach dieser Studie zeigt sich die deutschsprachige Szene bezüglich ihrer Vermarktung deutlich affirmativer. 8.5.1 Business Deutschrap Das Diskursuniversum des gegenwärtigen deutschsprachigen Rap ist ein überaus farbenfrohes: ›Braun‹, ›grün‹, ›gelb‹, ›bunt‹ und vor allem: ›lila‹  – die Farbe der 500 Euro-Note – sind die lexikalischen Kennzeichen gegenwärtiger (Gangsta-)Raptexte und überaus gern genutzte Chiffren für den Traum vom sozialen Aufstieg. Gleichwohl die hiesige Dimension der Kommerzialisierung von Rap ein zahlenmäßig kleineres Ausmaß annimmt und der deutschsprachige Raum nicht mit einem vergleichbaren hip-hop billion dollar couple à la Jay-Z und Beyoncé aufwarten kann, so stellt die Produktion und Distribution von Rapmusik doch seit einigen Jahren auch hierzulande einen überaus lukrativen Geschäftszweig dar. Längst ist die anti-kommerzielle Mentalität aus prä-digitalen Zeiten einem neoliberalen Aufstiegsimperativ gewichen. Ist der ›Sell-out‹-Vorwurf

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ein Relikt vergangener Tage und die Deutschrap-Szene zu einem von ökonomischen Interessen an materieller Profitmaximierung durchdrungenen Feld avanciert: »2011 Rap-Geschäft es geht um Cash, was juckt mich dein Breakdance, Graffiti oder Text? Der Stärkere gewinnt  …«, rappt Shooting-Star und Gangsta-Rapper Haftbefehl im Jahr 2011 und fasst die neuen Relevanzen der sich rapide kommerzialisierenden Szene damit anschaulich zusammen. Wie bereits erwähnt, ist der Kommerzialisierungsprozess deutschsprachiger Rapmusik insgesamt schleichend vonstattengegangen. Dennoch lassen sich einige entstehungsgeschichtlich bedeutsame Ereignisse herausgreifen, die den kommerziellen Erfolg von Rapmusik maßgeblich vorangetrieben und Rap zu einem ernstzunehmenden wirtschaftlichen Faktor in Deutschland haben werden lassen. Zunächst ist dabei auf die deutsche Blaupause der US-amerikanischen Sugarhill Gang, die Stuttgarter Rap-Gruppe Die Fantastischen Vier hinzuweisen, die dem deutschsprachigen Sprechgesang mit ihrem Hit ›Die da!?!‹ im Jahr 1992 den ersten Charterfolg bescherte. Gleichwohl die damalige Szene ihre Berührungsängste mit der poppigen und kaum in der globalen HipHop-Bewegung verwurzelten Band hatte, so verhalfen die vier Stuttgarter deutschem Sprechgesang zweifelsohne zu einem ersten wirtschaftlichen Achtungserfolg.72 Als zweite Zäsur im Kommerzialisierungsprozess deutscher Rapmusik lassen sich die Jahre 1997 und 1998 ausmachen. Mit 276,4 Millionen verkauften Tonträgern habe deutschsprachige Rapmusik zu diesem Zeitpunkt »das absolute Maximum aller Zeiten erreicht«, wie Wolbring (2015: 46) mit Bezug auf Mahlmann (2003) konstatiert. Gruppen wie Freundeskreis (Quadratur des Kreises, 1997) oder die Hamburger Rap-Crew Absolute Beginner (Bambule, 1998) gehörten damals zu den populärsten Rap-Formationen in Deutschland. Als wegbereitend für deren Erfolg zeichneten sich wiederum die Vertreter der sogenannten Neuen Schule, so zum Beispiel Fettes Brot (Auf einem Auge blöd, 1995; Außen Top Hits, innen Geschmack, 1996) oder Der Tobi und das Bo (Is mir egal (Scheiß egal), 1996) (vgl. Wolbring 2015: 22f.). Vor allem die Spielarten des Battle- und Gangsta-Rap waren es schließlich, die deutschsprachigen Rap nach einer kurzen Flaute ab dem Jahr 2001 zu-

72 Für die HipHop-Chronisten Verlan/Loh (2006: 289) gelang den Fantastischen Vier durch die Gründung des Labels Four Music im Jahr 1996 »der Schulterschluss mit der Szene, zumindest in Stuttgart«. Dank Four Music schafften zahlreiche Rap-Künstler_ innen den Sprung in den Musik-Mainstream, darunter beispielhaft Marteria oder auch Ace Tee.



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rück in den musikalischen Mainstream transportierten.73 Das Berliner Label Aggro Berlin gilt es in diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben, war es doch das erste Label, das es schaffte »die inhaltlichen Innovationen der Jahrtausendwende in kommerziell verwertbare Produkte zu kanalisieren« (Szillus 2012: 52). Mit Bushido oder Sido gingen aus diesem Umfeld Deutschlands erste kommerziell erfolgreiche Gangsta-Rapper hervor. Bis heute gehören beide zu Deutschraps Großverdienern (vgl. Kap. 8.2.2). Es ist wichtig zu wissen, dass sich die Popularität deutschsprachiger Rapmusik nicht zwangsläufig anhand von Verkaufszahlen bemessen lässt. So ist um die Jahrtausendwende gar ein deutlicher Marktrückgang zu verzeichnen, was unter anderem an der Bedeutung illegaler Downloadplattformen festzumachen ist.74 Der Siegeszug des Internets und Web 2.0 – und damit die Digitalisierung – zeitigt jedoch langfristig vor allem eine ›positive‹ Wirkung hinsichtlich des Kommerzialisierungsprozesses von Rapmusik: OnlineDistributionsplattformen wie Soundcloud, Streaming-Dienste wie Spotify oder Apple Music, soziale Medien und Online-Plattformen wie Facebook, 73 Der kommerzielle Erfolg deutschsprachiger Rapmusik verlief insgesamt wellenförmig, insofern sich profitable Phasen mit eher mäßig gewinnbringenden Phasen abwechselten. Die obige Darstellung muss deshalb als verkürzte Form dieses Prozesses gelten. Rap-Journalist Falk Schacht, der den Zustand des Deutschrap im Jahr 2014 auf einer Podiumsdiskussion als »so richtig dufte« bezeichnet, fasst das monetäre Auf und Ab des deutschen Rap wie folgt zusammen: »Ende der 90er Jahre gab’s einen Hype, dann folgte die große Krise. Es gab einen Signing-Stopp, Universal hat gesagt ›wir signen keinen Deutschrap mehr, es funktioniert einfach nicht‹. […] Nach dieser Krise folgte ein weiteres Hoch durch ein Label namens Aggro Berlin, das folgte wieder in die nächste Krise. Jetzt sind wir wieder auf der Bergspitze«. Schacht, Podiumsdiskussion, 12.06.2020, https://www.mixcloud.com/FalkSchacht/ major-is-the-new-indie-ist-der-hiphop-hype-eine-neue-blase-die-bald-platzt/ 74 Bushidos Album 7 aus dem Jahr 2007 wurde einzig auf der Plattform Fettrap.com 73.430 illegal heruntergeladen, erklärt Wolbring (2015: 47). Da es sich bei einem Großteil deutschsprachiger Rap-Rezipient_innen um sog. digital natives handelt, sei davon auszugehen, dass die Popularität des Rap weit höher einzuschätzen ist, als es bloße Verkaufszahlen vermuten lassen, so der Literaturwissenschaftler. Besonders die Musiktauschbörse Napster wird häufig im Kontext des Einbruchs von Umsatzzahlen im Bereich der Musikindustrie angeführt. Die Plattform auf der man mp3-Dateien hochund herunterladen konnte verzeichnete im Jahr 2001 etwa 80 Millionen Nutzer_innen weltweit. Der (Musik)Journalist Janko Röttgers (2003: 20) beschreibt das Phänomen und die Faszination Napster in seiner Publikation Mix, Burn & R.I.P. unter anderem wie folgt: »Für seine Nutzer ging mit Napster ein Traum in Erfüllung. Die Zahl der verfügbaren MP3s wuchs schnell ins Unüberschaubare. Egal, ob Chart-Topper, obskurer Indie-Geheimtipp oder seit Jahren vergriffene Rarität – bei Napster gab es fast alles, und das zu einem verführerischen Preis: vollkommen umsonst.«

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Twitter, Instagram, Youtube und neuerdings TikTok tragen – da sind sich HipHop-Forscher_innen hierzulande weitestgehend einig – maßgeblich zur Popularität und kommerziellen Relevanz des Musikgenres bei (vgl. zum Beispiel Dietrich 2016: 19). Die neue Währung im Rap ist digital und berechnet sich über Follower_innen, Likes, Streams, Plays und Klickzahlen, wie Wolbring bereits vor einigen Jahren am Beispiel aggro.tv feststellt: »Das auf deutschsprachigen Rap spezialisierte Internet-Video-Portal aggro.tv verleiht zum Beispiel selbstgestaltete goldene Schallplatten für Videos, die über drei Millionen Mal angeklickt wurden. Nach solchen Indikatoren erscheint deutschsprachiger Rap ungemein populär. Auch Rap-Acts, die kaum oder gar keine Tonträger absetzen, haben oft hunderttausende von Klicks und Plays.« (Wolbring 2015: 47)

Seit der Dissertation von Wolbring aus dem Jahr 2015 haben Musik-Streaming-Dienste einigen beinahe schon altgedienten Plattformen wie Youtube jedoch längst den Rang abgelaufen. Seit etwa 2018 generiert sich ein Gros der Einnahmen deutschsprachiger Rapper_innen über Streaminganbieter wie dem schwedischen Branchenpionier Spotify. »Bei einer Million Klicks verdient man 3000 Euro. Das ist drei Mal so viel wie bei Youtube«, erklärt Rapper Raf Camora das für viele undurchsichtige Geschäftsmodell des aus Rapper_innenSicht äußerst lukrativen Streaming-Dienstes gegenüber dem Magazin noisey.75 Wenngleich das Gangsta-Subgenre die kommerzielle Erfolgsgeschichte des deutschsprachigen Rap seit der Jahrtausendwende maßgeblich mitverantwortet, so konnten sich innerhalb der letzten zehn Jahre und im Zuge einer sukzessiven stilistischen Ausdifferenzierung auch immer wieder Protagonist_innen anderer Rap-Spielarten im Mainstream durchsetzen. Künstler wie Marteria, Cro, Casper aber auch Peter Fox feiern etwa seit dem Jahr 2008 beachtliche kommerzielle Erfolge und erreichten mit ihren Alben teilweise mehrfachen Platinstatus.76 Alle vier bewegen sich abseits des Gangsta-Rap 75 Ferkova, 12.06.2020, https://www.vice.com/de/article/pamzg9/aufgeschnittenemenschen-sind-noch-schlimmer-als-koks-ein-interview-mit-raf-camora 76 Peter Fox, Mitglied der Berliner Band Seeed, belegt mit dem Album Stadtaffe (2008) Platz 1 der meistverkauften Rap-Alben Deutschlands. Der Rostocker Rapper Marteria wurde vor allem durch sein Album Zum Glück in die Zukunft bekannt, das im Jahr 2010 Goldstatus erreichte. Das Nachfolgealbum Zum Glück in die Zukunft II konnte vier Jahre später sogar Platinstatus erlangen. Die Rapper Casper und Cro feierten vor allem in den Jahren 2011 und 2012 große kommerzielle Erfolge. Casper, dessen Rapstil sich auch Elementen aus Punk oder Rock bedient, konnte mit dem Album XOXO im Jahr 2011 einen Achtungserfolg erzielen (Platin) und setze diesen mit dem Album Hinterland im Jahr 2013 fort (ebenfalls Platin). Der Rapper Cro ist schließlich vor allem durch seinen Hit ›Easy‹ aus dem Jahr 2011/12 bekannt geworden, der sich über 450.000 Mal verkaufte



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und lassen sich irgendwo zwischen ›Mainstream-Rap‹ (Marteria, Peter Fox), ›Hipster‹/›Emo-Rap‹ (Cro und Casper) oder ggfls. ›Crossover-Rap‹ verorten (v. a. Casper oder Peter Fox). Bis heute tragen jedoch maßgeblich die Protagonist_innen der ›härteren‹ Subgenres zum Erfolg deutschsprachiger Rapmusik bei. So zum Beispiel Kollegah und Farid Bang, die als Battle-Rap-Duo mit JBG3 im Jahr 2017 das dritte gemeinsame Album veröffentlichten und damit bereits acht Tage vor dem offiziellen Veröffentlichungstermin Goldstatus erreichten. Die Jahre 2016 und 2017 standen dagegen vor allem im Zeichen des Duos Raf Camora und Bonez MC, die mit ihrem Dancehall-Rap-Album Palmen aus Plastik (2016) mehrfachen Gold- und Platinstatus erreichten. Das Album hielt sich insgesamt über sechzig Wochen in den Charts und überschritt laut dem Marktforschungsunternehmen GFK Entertainment schließlich die 100 Millionen-Marke bei den sog. Premium-Streams.77 Auch die Fortsetzung des Erfolgsalbums Palmen aus Plastik 2 brach sämtliche Rekorde und wurde bereits am Tag der Veröffentlichung 9,5 Millionen Mal auf Spotify gestreamt. Rapper Raf Camora avancierte dadurch mit insgesamt 1 Milliarde Streams zum meistgestreamten deutschsprachigen Rapper. Einen weiteren Rekord stellte Ende 2017 der Rapper Bausa auf, der sich mit dem Song ›Was du Liebe nennst‹ insgesamt neun Wochen auf Platz 1 der deutschen Single-Charts platzierte. Mit über einer Million verkauften Singles erhielt der Künstler als erster deutscher Rapper überhaupt eine Diamant-Schallplatte (= über 1 Million verkaufte Einheiten). Insgesamt konnten es im Jahr 2017 ganze 65 RapAlben in die Top Ten der Offiziellen Deutschen Charts schaffen, 15 davon erreichten Platz 1 (vgl. Schieferdecker 2018: 56). Auch wenn ›Pop&Rock‹Musik in Deutschland offiziell als beliebteste Musikrichtung gilt, konstatiert das Marktforschungsunternehmen GFK einen insgesamt steigenden Erfolg von Rapmusik in Deutschland.78 Ein »Aufschwung« der um ca. 2010 eingeund sich insgesamt 47 Wochen in den Top 100 der deutschen Charts halten konnte. Das zugehörige Album Raop (2012), wie auch das Nachfolgealbum Melodie (2014) erreichten Platinstatus (zur Erinnerung: Platin bedeutet mehr als 200.000 (Album) bzw. 400.000 (Single) Einheiten verkauft zu haben). 77 Premium-Streams sind bezahlte (das heißt kostenpflichtig abonnierte) Musik-Streams die seit 2016 in die offizielle Chartrechnung miteinfließen. GFK Entertainment, 12.06.2020, http://www.gfk-entertainment.com/news/palmen-aus-plastik-knackt-100millionen-marke-bei-premium-streams.html 78 Dass die Bezeichnung ›Rock&Pop‹ sehr grob ist und – anders als Rap – kaum eine eindeutige Musikrichtung beschreibt, wird auch im Szenemagazin Juice bemängelt und als Grund für eine Verzerrung von Verkaufszahlen vermutet.

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setzt hätte, so Pressesprecher Schmucker im Interview mit dem Szenemagazin Juice (ebd.). Wenngleich in weitaus geringerem Umfang als in den USA, so hat inzwischen auch Deutschland einige Dutzend Rap-Millionäre hervorgebracht (mit Sido und Raf Camora sind zwei dieser Schwergewichte auch am ›PrachtkerleRemix – Wie ein Mann‹ beteiligt, vgl. Kap. 10). Wie im US-amerikanischen Raum auch bildet der alleinige Verkauf von Rapmusik jedoch auch hierzulande längst nicht die einzige Einnahmequelle der rap business masculinity. Eine besonders weit verbreitete Verkaufsstrategie im Bereich Deutschrap sind beispielsweise die sog. ›Limited Deluxe Boxen‹. Ein laut rap.de-Redakteur Skinny »rein deutsche[s] Phänomen«, das darin besteht, der eigentlich verkauften CD noch »überteuerten Firlefanz« beizulegen (zum Beispiel Brillen, Feuerzeuge etc.), um das Produkt als ›limitierte Fan-Box‹ insgesamt in seinem Wert zu steigern (vgl. Skinny 2015).79 Die bis zu 50 Euro teuren Boxen sorgen – zum Unmut vieler Kritiker_innen80 – gleichzeitig für eine höhere Chartplatzierung, da diese über Umsatz und nicht über verkaufte Einheiten errechnet wird.81 Neben mit Rapmusik assoziierten Umsätzen wie dem Verkauf von Boxen oder den Erträgen, die durch Konzerte, Festivals und neuerdings insbesondere Streamingdienste eingespielt werden, verdienen deutschsprachige Rapper_innen auch am Verkauf von Merchandising-Artikeln, wie zum Beispiel Mode. Auch eigene Modemarken (zum Beispiel Corbo von Raf Camora, 79 Skinny, 16.09.2020, https://rap.de/meinung/60482-skinnys-abrechnung-7-limiteddeluxe-boxen/. Die erste Box wurde angeblich 2009 vom Label Selfmade Records anlässlich des ersten Kollabo-Albums der Rapper Kollegah und Farid Bang JBG 1 produziert, so Kristof Jansen, Labelmanager und A&R beim Label Groove Attack in einer Diskussionsrunde, 24.06.2020, https://www.youtube.com/watch?list=PLNHhL_ c0YfMybj2WgGFKnGtehpkt-ywk2&v=-FTg0R7haCU 80 Nebst rap.de Redakteur Skinny beschwert sich auch Ralf Theil vom Szenemagazin Juice über die »Boxen-Tickerei« und steigt in einen Artikel zum Thema mit den Worten ein: »Kennt ihr den schon? Treffen sich ein Benzinfeuerzeug, drei Kondome, ein Schal, ein Anglerhut und ein Kartenspiel in den Albumcharts.« Theil, 24.06.2020, https://juice.de/ the-mystery-of-unboxing-wie-Deutschrap-sich-seinen-weg-in-die-charts-bahnt-kommentar/ 81 Skinny von rap.de erklärt: »In Deutschland sind 14 Euro Umsatz eine verkaufte Einheit. Eine Limited Box für 42 Euro zählt also drei verkaufte Einheiten. Wenn der geneigte Fan sich eine Box zulegt, dann zählt das etwa so viel wie drei CDs.« (Quelle siehe vorletzte Fußnote). Eine weitere Zuspitzung erfährt das ›Boxen-Phänomen‹ übrigens seit einiger Zeit durch damit verbundene Gewinnspiele. So verloste Rapper Bushido im Jahr 2017 beispielsweise ein Wohnzimmerkonzert, während Kollegah und Farid Bang im Zuge der ›Promo-Phase‹ des Skandal-Albums JBG3 eine Rolex und einen Mercedes AMG verlosten.



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Chabos IIVII von Haftbefehl oder VIOVIO von Cro), Schmuck (zum Beispiel von Kollegah), Restaurants (zum Beispiel von Samy Deluxe), Kopfhörer (zum Beispiel von Sido, Eko Fresh), Wodka (z.B ›Kabumm‹ von Sido), Ernährungsund Fitnessprogramme und -produkte (zum Beispiel die ›Boss-Transformation‹ von Kollegah), Tattoo-Studios (Sido), Shisha Bars und Tabak (zum Beispiel von Xatar oder KC Rebell), eigene Autobiografien (zum Beispiel von Bushido, Fler, Xatar, Haftbefehl, Cro u. v. a. m.) oder Rollen in TV- und Kinoproduktionen (zum Beispiel Eko Fresh, Sido oder jüngst Rapper_innen wie Veysel, Massiv, Eunique, Gzuz und Damion Davis in der deutschen Serienproduktion ›4 Blocks‹) gehören zu den Einnahmequellen deutschsprachiger Rapper_innen. Weiterhin sind viele inzwischen gefragte Werbeträger_innen, so etwa Rapper Cro für Mc Donalds, Adidas oder Mercedes Benz oder schließen lukrative Verträge mit Sportartikelherstellern ab, so zum Beispiel Rapper_innen wie Capital Bra oder Eunique mit Nike. Dutzende deutschsprachige Rapper_innen haben darüber hinaus eigene Plattenfirmen gegründet, die mehr oder weniger abhängig von den Strukturen der Musikindustrie, das heißt der großen Majorlabels wie Universal Music Group, Sony Music oder die Warner Music Group agieren. Viele Labels wie ersguterJunge, Selfmade Records oder die Maskulin Music Group kooperieren beispielsweise über den Abschluss sog. Vertriebsdeals mit großen Musikunternehmen. Darüber hinaus gibt es auch in Deutschland zahlreiche unabhängige Plattenlabels, sog. Independent Labels, wie das überaus erfolgreiche Stuttgarter Label Chimperator Productions oder auch Alles oder Nix Records aus Bonn. So profitabel das Geschäft mit deutschsprachiger Rapmusik bis hierher erscheint und so sehr sich vor allem Deutschlands Gangsta-Rapper zurecht »als Unternehmer im großen Stil« (Seeliger 2013: 109) inszenieren, so darf nicht unerwähnt bleiben, dass es nur ein Bruchteil deutschsprachiger Rapper_innen schafft, Rapmusik und ein dazugehöriges Image langfristig als Businessmodell zu etablieren. In einem Beitrag des Szenemagazins Juice mit der Überschrift »Business as unusual. Das Geschäft als Teil der Kultur« formuliert Götz Gottschalk, Manager und Geschäftsführer beim Musiklabel Nesola diesen Umstand wie folgt: »Die Kunst zu betreiben ist anfangs vergleichsweise einfach, das Geschäft damit aber wahnsinnig schwer. Das vielbeschworene ›Geld machen im Game‹ geht daher mit viel gefährlicherem Halbwissen einher, die meisten verbuchen wohl eher Umsatz als Gewinn. Wer also reich werden will, sollte lieber was anderes machen. […] Rein buchhalterisch machen mit HipHop aber auch nur einige wenige richtig viel Gewinn – wie überall anders auch. Was es im HipHop im Gegensatz zu anderen Gen-

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res aber gibt, ist eine größere Menge von, ich nenne es mal, wirtschaftlicher Mittelschicht, die gut davon leben kann. Aber die wenigsten, die über fette Kohle reden, haben auch nachhaltig fette Kohle gemacht.« (Schieferdecker 2017: 68)

8.5.2 Rap-Männlichkeit und Authentizität in Zeiten allgemeiner Kommerzialisierung Bevor lokale Rap-Männlichkeit als rap business masculinity und feldspezifische Verkörperung der hegemonialen transnational business masculinity (Connell 2005: 76f.) diskutiert werden kann, gilt es zuvörderst einige feldspezifische Besonderheiten zu beleuchten. Wie in der Einleitung dieses Unterkapitels bereits angedeutet, befindet sich die erfolgreiche Rap-Männlichkeit gewissermaßen in einem Identitätsdilemma wieder, denn kommerzieller Erfolg, Mainstream oder das Befolgen von Massentrends (›following mass trends‹) gelten in der Authentizitätsmatrix des HipHop eigentlich als ›fake‹ (McLeod 1999: 139). Nicht wenige erfolgreiche Rap-Künstler_innen sahen sich in der Geschichte des HipHop dem sog. ›Sell-Out‹-Vorwurf und einer damit einhergehenden, feindlichen Mentalität aus der ›eigenen‹ Schwarzen community ausgesetzt. »One significant kind of sell-out is going ›commercial‹, that is, the distancing of an artist’s music and persona from an independently owned network of distribution (the underground) and repositioning oneself within a music business culture dominated by the big five multinational corporations that control the U.S. music industry.« (McLeod 1999: 141)82 Wie in Kap. 8.3.1 ausgeführt, sind die Dilemmata von Rap-Männlichkeit in diesem Zusammenhang aus einer postkolonialen Perspektive zu denken. Als Phänomen moderner Popkultur ist Rapmusik immer ein »politischer Kampf um Repräsentation, Zeichen und Symbole«, wie Scharenberg formuliert (2001: 243). Das Verhältnis zwischen weißer Musikindustrie und Schwarzen Rap-Künstler_innen ist bis heute ambivalent, datiert die Geschichte der 82 Zur ›Massive Corporate Consolidation‹ des US-amerikanischen Rap siehe auch bei Rose (2008: 17ff.): »The four biggest music conglomerats […] are Warner Music, EMI, Sony/ BMG, and Universal Music Group. Together they control about 70 percent of the music market worldwide and about 80 percent of the music market in America. A multitude of artists have contracts with the companies that fall within these vast media categories. While rappers seem to be on a wide variety of labels and in different and competing camps and groups of subaffiliated artists, in fact many artists labor underneath one large corporate umbrella.«



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Kommodifizierung Schwarzer Körper und Kultur doch bis in die Zeiten der Sklaverei zurück (vgl. hooks 1994). »Rap mags try and use my black ass, so advertisers can give ’em more cash for ads« rappt Jay-Z im Track ›99 Problems‹. Der immense Erfolg des US-amerikanischen Gangsta-Rap – so auch HipHopFeministin Peoples (2008: 24) – begründe sich bis dato vor allem dadurch, »because it represents ideas of blackness that are in line with dominant racist and sexist ideologies; it has economic potential only because it works hand-in-hand with long established ideas about the sexual, social, and moral nature of black people. In other words, the images of black male violence and aggression that dominate mainstream rap music are highly marketable in America because of already existing ideologies of racism that long ago named the black male as supreme aggressor and physical and sexual threat«.

Dass Schwarze Rapper_innen ihre rassistisch begründete, sozioökonomische Deprivilegierung dennoch seit Anbeginn mit dem Drang nach wirtschaftlichem Erfolg und damit immer auch der Affirmation weißer Machtstrukturen beantworten, verweist auf die Klassenfrage und die Entstehungsgeschichte der US-amerikanischen Gesellschaft. Der Gründungsmythos des American Dream ist klassen- und milieuübergreifend wirkmächtig. Paradoxerweise wird er insbesondere von sozial marginalisierten Gruppen und/oder Mitgliedern der Schwarzen working-class geglaubt und gleichsam reproduziert (vgl. Jeffries 2011: 71; Hochschild 1996). Mit Bezug auf verschiedene Studien erklärt der Soziologe und HipHop-Forscher Jeffries (2011: 71), dass etwa 60 Prozent der US-amerikanischen Schwarzen – ungeachtet ihrer ›faktisch nachgewiesenen‹ sozialen Benachteiligung – an Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit glaubten, »[a] cynical explanation for hip-hop’s resolution of the spectacular/authenticity paradox is that the folk are blinded by their belief in the ›American Dream‹ and intoxicated by conspicous consumption. That is, hood residents do not celebrate flashy clothes and expensive cars because they are embedded in a noble and uniquely expressive black culture; they celebrate luxury items because they are denied traditional paths to positive self-image, and self- and social esteem can only be achieved through purchase and ownership of these goods as a coping strategy.«

Die auf (weiße) Außenstehende zuweilen übertrieben wirkende, exzessive Zurschaustellung von Reichtum und Luxusartikeln seitens Schwarzer (Gangsta-)Rapper_innen erscheint hier als Bewältigungsstrategie infolge struktureller und rassistisch motivierter Ressourcenverweigerung. ›Traditionelle‹ Anerkennungsformen, die die Ausbildung eines positiven Schwarzen Selbstbildes hätten nach sich ziehen können, wurden Schwarzen Menschen

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in den Vereinigten Staaten seit Jahrhunderten vorenthalten.83 Der enorme Erfolg Schwarzer Rap-Superstars wie 50Cent oder Jay-Z gilt vielen black community members zudem als Beweis, dass es auch Schwarze ›underdogs‹ im amerikanischen Kapitalismus zu etwas bringen könnten. Ein Trugschluss, wie Jeffries (2011: 71) sowohl die aggressive neoliberale Mentalität vieler neureicher Rapper_innen, als auch das unreflektierte Nacheifern vieler Schwarzer Rap-Fans kritisiert, realisiere sich der American Dream doch für die allerwenigsten von ihnen. Im Gegenteil avanciere die im US-Mainstream-Rap geradezu obligatorische Huldigung des amerikanischen Mythos insbesondere bei der black thuggish masculinity zur Drucksituation und münde in die Hinwendung und gleichzeitige Idealisierung (klein)krimineller Tätigkeiten: »The pressure to be self-made is pressure to gain status, but without the traditional pathways to status attainment, black men self-make themselves through more objectionable means« (ebd.: 144). Eine Überinszenierung der hypermaskulinen outlaw coolness und eine Geringschätzung traditioneller Bildungs- und Karrierewege seien die Folge (ebd: 145).84 Zurück zum Thema männlicher Rap-Authentizität in Zeiten rapider Ökonomisierung. Blickt man auf die gegenwärtige Rap-Szene und ihre millionenschweren Vertreter_innen, so wird man schnell feststellen, dass weder Mainstream noch kommerziell-sein heute als ›fake‹ geahndet werden (vgl. McLeod 1999). Jay-Z mag hier einmal mehr als paradigmatisches Beispiel dienen, denn keiner der von Jeffries interviewten Schwarzen männlichen Interviewteilnehmer hält den rappenden Multimillionär für ›fake‹.85 Ganz im Gegenteil. Zwar legen die Interviewten großen Wert auf Authentizität und knüpfen diese sogar an die Ablehnung von weiß codiertem Kommerz und Reichtum, dennoch wird das ›Über-Geld-Sprechen‹ als integraler Bestand 83 vgl. dazu auch Konzepte um das raptypische ›Bling Bling‹, das heißt das demonstrative Zurschaustellen von teurem Schmuck und dergleichen als visuelle, körperlich-materielle Empowermentstrategie (Bok 2005; Thompson 2015). 84 Viele von Jeffries Studienteilnehmern thematisieren diese Restriktionen und schätzen sie als insgesamt eher schädlich für die Black Afro-American community ein. Dennoch gelänge es vielen nicht, die Missstände strukturell rückzubinden und das Wechselverhältnis zwischen (musik)marktindustriellen Interessen und Repräsentationsregimen herzustellen, wie der Autor nicht ohne Bedauern konstatiert (vgl. Jeffries 2011: 149). 85 Jeffries (2011: 27-34) interviewte junge Männer im Großraum Boston, die regelmäßig kommerziell erfolgreiche Rapmusik hören. Er unterteilte die Männer in seiner Befragung entlang der Achsen class und race um herauszufinden, inwiefern sich die HipHopLesarten und Bedeutungszuschreibungen zum Beispiel Schwarzer Männer »with impoverished neighborhood experience« von jenen weißer Männer »without impoverished neighborhood experience« unterscheiden.



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teil männlicher Rap-Identität verstanden und befürwortet: »It is important to note the contradictions embedded in these evaluations – a rapper’s talking about money is not grounds for dismissing him as fake. […] The fact that ›inauthentic‹ themes are manifest in Jay-Z’s songs does not impede his ability to build sincere, subjective connections with listeners, remaining ›authentic‹ in their eyes.« (Jeffries 2011: 136) Das Beispiel Jay-Z – bekannt für den Ausspruch »I’m not a businessman, I’m a bussines, man!« – verdeutlicht die Feldspezifik der hegemonialen RapMännlichkeitskonstruktion. »In hip hop, money equals power, and making money is celebrated as long as it happens on the artist’s own terms«, formuliert Hess (2012: 635). Um eine im hiphopschen Sinne authentische, Schwarze Rap-Männlichkeit zu sein, geht es also weniger darum weiß codierten Erfolg oder Kommerz abzulehnen. Schon deshalb nicht, weil freilich auch der untergeordneten Schwarzen Männlichkeit das Leitbild der (weißen) hegemonialen Männlichkeit als ›generatives Prinzip‹ des männlichen Habitus zugrunde liegt (vgl. Meuser/Scholz 2011). Vielmehr geht es wohl darum, sich im Zuge des ›getting rich‹ auf einer sozial-psychologischen Ebene selbst treu zu bleiben. Für Hess ist es besonders die ›being true to yourself‹-Dimension in McLeods Authentizitätsmatrix, die im Kontext der Kommerzialisierung zum Tragen kommt: »I argue that it is the dimension most called into question by the artist’s interaction with the music industry« (Hess 2012: 641).86 Hess arbeitet in diesem Zusammenhang ein neues Narrativ heraus, das überdies auch weiße Rapper bemühen, um sich im Spannungsfeld von Authentizität und Kommerzialisierung zu positionieren: Den Topos der hiphop/rap-career (vgl. auch Hess 2005: 382) – eine Art heilsbringende Subjektivierungsstrategie im identitären HipHop-Dilemma von Authentizität und Kommerz: »Rap music becomes a vehicle for self-advancement, but at the same time artists must prove their dedication to preserving hip hop’s original culture, rather than selling it out to the mainstream. Through narratives of the hip hop career, artists assert their commitment to an ongoing body of musical work and link their work to agendas of survival, wealth, and philantrophy, which find roots within a larger body of African-American literature.« (Hess 2012: 636) 86 Zur Erinnerung: McLeod (1999) arbeitet sechs semantische Dimensionen von Authentizität im HipHop heraus: ›social-psychological‹, ›racial‹, ›political economic‹, ›gendersexual‹, ›social-locational‹ und ›cultural‹. In der sozial-psychologischen Dimension unterscheidet er zwischen ›staying true to yourself‹ (=  real) und ›following mass trends‹ (= fake) (siehe auch Abb. 3).

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Raplyrics, die sich zu diesem Narrativ rechnen lassen, zeichnen sich zum Beispiel dadurch aus, dass Rapper ihre Rolle im Produktions- und Distributionsprozess thematisieren – ein Aspekt, der innerhalb anderer Musikgenres kaum eine Rolle spielt. Durch das Transparent-machen der männlich-weiß codierten business role könne die damit assoziierte Machtposition einverleibt und als ›kreativ‹ zurückerobert werden. Ein diskursiver Kunstgriff, durch den sich Rapper_innen gegenüber der Black Community als eine Art ›HipHop-Abgesandte‹ (»hip hop emissaries«) innerhalb der Welt der Konzerne (»corporate world«) rahmten (ebd.).87 Wir kennen ähnliche Authentifizierungsstrategien aus dem Bereich des deutschsprachigen Rap, etwa wenn Rapper Denyo von Die Absoluten Beginner auf einer ihrer ersten kommerziell erfolgreichen Singles ›Rock on‹ im Jahr 1998 rappt: »Verträge unterschreib ich mit ’nem tag« (also mit einer Graffiti-Signatur). Ein weiteres Beispiel ist Gangsta-Rapper Haftbefehl. Auf dem Track ›Saudi Arabi Money Rich‹ (2014) verkündet er zwar stolz sein Signing bei einem Major Label, lässt es sich jedoch nicht nehmen, auf die streetkredibile Art und Weise zu verweisen, in der die Vertragsunterzeichnung angeblich vonstattenging: »Ich soll ihnen erzählen von meinem MajorDeal, den ich mit Penis unterschrieb, à la Neffi signt Messi, Zeit ist Geld, Habibi«88. Doing (authentic) rap business masculinity eben. 8.5.3 Der Gangsta-Rapper als rap business masculinity? Das Wettbewerbs- und Kreativitätsprinzip ist eine Triebfeder der HipHopKultur und wird von vielen für die Langlebigkeit der Szene verantwortlich gemacht. Nicht umsonst beschreiben Klein/Friedrich (2003a: 10) HipHop in ihrem Standardwerk Is this real? als »Kultur der Produzenten«. Subjektbil-

87 Eine zunehmende reflexive Diskursivierung um Topoi wie Karriereplanung oder Business-Management stellt auch Negus (2012: 657) fest. Rapper_innen seien heutzutage längst nicht mehr nur mit der ›Straße‹ oder mit Randständigkeit assoziierbar, sondern würden zunehmend als Führungskräfte (»executives«) diskursiviert, wie der Musiksoziologe am Beispiel von Zeitschriften (The Source, Vibe, Billboard) analysiert »[…] rap is, potentially, not ›outside‹ or bursting out from the periphery but central to the development of the practices and aesthetics of the contemporary music industry« (ebd.: 658). 88 Neffi Temur ist A&R bei Universal Music (und Messi ist natürlich ein international erfolgreicher argentinischer Fußballer, mit dem sich Haftbefehl im gangsta-typischen ›larger-than-life-Ethos‹ hier verglichen wissen will).



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dung findet im HipHop/Rap also bereits seit Anbeginn über die Identifikation mit Arbeit im Sinne eines Produktiv-seins statt, denn: »Um ein HipHopper zu sein, reicht es nicht, korrekt angezogen und dabei zu sein. HipHop ist performativ, eine Kultur des Machens und Produzierens: Selber texten, malen, tanzen oder Platten auflegen, eine Party organisieren, einen Plattenladen betreiben oder ein Fanzine publizieren – in der Verpflichtung, aktiv zu sein, besteht die normative Kraft des Faktischen. Gerade diese Aktivitäten Einzelner begründen die soziale Verbundenheit der lokalen Szenen und deren Dynamik.« (Klein/Friedrich 2003a: 38f.)

Auch für den Soziolinguisten und HipHop-Forscher Androutsopoulos (2003a: 12) begründen »die Arbeit an Style« sowie »das Prinzip des Wettbewerbs« die Nachhaltigkeit des HipHop: »Die Beteiligten entwickeln ihren Style in einem permanenten, offenen Wettstreit mit Gleichgesinnten«. Der unermüdliche Aktivismus und der Wettbewerbstopos, die nicht nur (aber vor allem) das Diskursuniversum Gangsta-Rap kennzeichnen, erscheinen so gesehen als immanenter Teil der HipHop-Kultur. Dennoch hat der gesamtgesellschaftliche Trend zur Ökonomisierung und Vermarktlichung den feldspezifischen Modus der Subjektkonstitution insofern verändert, als dass sich zwar bis heute am Prinzip des Produktiv-Seins und der Weiterentwicklung des individuellen Style orientiert wird, sich die Motivation dahinter jedoch weit weniger idealistisch, als vielmehr ökonomisch zu begründen scheint. Einen sukzessiven Sinneswandel im Hinblick auf die Akkumulation ökonomischen Kapitels konstatiert auch Wolbring, der diesen zu Recht mit der Evolution des Gangsta-Subgenres in Verbindung bringt: »Popularität im Sinne von kommerziellem Erfolg galt lange Zeit nicht als legitimes Qualitätskriterium im Rap, sondern im Gegenteil eher als Indikator für Ausverkauf und Irrelevanz […], hat aber insbesondere im Zuge der wachsenden Popularität des offen kapitalistisch orientierten Gangsta-Rap an Wertigkeit gewonnen […].« (Wolbring 2015: 149) Bereits ein kursorischer Blick in das Diskursuniversum Gangsta-Rap verdeutlicht, dass die meisten aktuellen Rapper_innen keinen Hehl aus ihrer neoliberalen Einstellung gegenüber dem Rapschaffen89 machen und sich überdies nicht scheuen, die Orientierung an den originären Werten der HipHop-Kultur diesbezüglich hintanzustellen oder gar vollends zugunsten kapitalistischer Prinzipien zu verwerfen. Viele erfolgreiche Straßenrapper jucke 89 Zur Erinnerung: ›Rapschaffen‹ ist ein Neologismus von Wolbring (2015: 15) und meint die »Erstellung eines Rap«.

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es überhaupt nicht, »ob ihre Geschäftspartner einen HipHop-Background haben«, da es den meisten ohnehin nicht »um die Kultur« ginge, so Patrick Thiede, Geschäftsführer des Labels Auf!Keinen!Fall gegenüber dem Juice Magazin (Schieferdecker 2017: 68). Diese Mentalitätenverschiebung bildet sich anschaulich in einer Gegenüberstellung zweier Raptexte aus dem Jahr 2000 und 2012 ab. In ›Zehn Rap Gesetze‹ (2000) rappt der für damalige Verhältnisse recht erfolgreiche und szeneintern angesehene Rapper Curse: »[…] Nummer Sieben: Du musst HipHop lieben als wärst du immer nur Fan geblieben, der Fame und die ganze Scheiße ist geil und man soll’s genießen, doch ohne Basistypen wäre keiner von uns gestiegen. Nummer Acht ist so ähnlich wie sieben und ziemlich easy: Gib Respekt an die Breaker, die DJs und an Graffiti«. Nur 12 Jahre später verkündet Straßen-Rapper Haftbefehl deutlich andere Relevanzen und rappt in subgenrekonstitutiver ›I don’t give a fuck‹-Attitüde: »Respekt kriegen nur ein paar, so wie Sido und Savas, mein Bruder Farid Bang, Bushido und Azad. Du fragst dich bestimmt, wieso Props an Bushido? Der Beste ist der, der am meisten verdient, Cho. 2011 Rap Geschäft, es geht um Cash, was juckt mich dein Breakdance, Graffiti oder Text?«90 (›IHNAMG‹, 2012). Wenngleich zögerlich, so wurde die offen kapitalistische Orientierung von Gangsta-Rap-Sprecher_innen im Bereich der deutschsprachigen HipHop-Forschung bereits unter (mehr oder weniger) männlichkeitstheoretischen Vorzeichen in den Blick genommen. Das Gros der Autor_innen sieht in dem Gangsta-Rapper dabei eine Verkörperung hegemonialer Männlichkeit im Sinne Connells (vgl. zum Beispiel Schröer 2012; Goßmann 2012; Seeliger 2013/2017). Wie auch bei Connell (2015), so folgen die Argumentationen dabei einer ökonomistischen Logik, insofern der Gangsta-Rapper einen »Lebensstil glorifiziert, der an Statussymbole gekoppelt ist, die auf das Bild einer ›hegemonialen Männlichkeit‹ […] verweisen« (Schröer 2012: 68). Auch Seeliger (2013: 125) bezieht sich auf Connell (2015) und Meuser (1998) wenn er »dem auf Leistungsfähigkeit basierenden beruflichen Erfolg 90 Zur Verdeutlichung: Mit Savas, Sido, Azad, Bushido und Co wird hier nicht den Pionier_innen der HipHop-Kultur, sondern ›lediglich‹ jenen, des von ersteren oft kritisch beäugten Gangsta-Rap gehuldigt. ›Props‹ ist ein Slang-Begriff aus dem Englischen und eine Abkürzung für ›proper respect‹. Es bedeutet so viel wie jemandem Anerkennung oder Respekt zollen. ›Cho‹ ist ein aus dem arabischen Sprachraum stammendes Slangwort für ›Bruder‹. Es ist nicht eindeutig zu hören/zu recherchieren, ob hier ›Text‹, ›Tag‹ (Graffiti-Kürzel) oder ›Tape‹ (engl. Kassette) gerappt wird, jedoch stellen alle drei Begriffe einen symbolischen Bezug zur OldSchool dar und stehen im Prinzip für dieselbe Aussage.



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eine zentrale Bedeutung für die Konstitution hegemonialer Männlichkeit zu[weist]« und in dem »anhaltenden Verweis der [Gangsta-Rap-]Sprecher auf den wirtschaftlichen Erfolg« eine Affirmation hegemonialer Männlichkeit erkennen will. Die meisten Arbeiten zum Thema perspektivieren die (Über-)Inszenierung von (wirtschaftlicher) Stärke intersektional, binden das Hegemonieprojekt des Gangsta-Rappers also ungleichheitssensibel an den Kontext der Migration zurück und denken Männlichkeit dabei in Verschränkung mit sozialen Dimensionen wie Klasse und Ethnizität (vgl. v. a. Seeliger 2013; auch Dietrich 2015a, 2015b; Bifulco/Reuter 2017). Als marginalisierte Männlichkeit gelingt dem Gangsta-Rap-Sprecher – dessen Subjektkonstitution Seeliger (2013) zwischen Affirmation und Empowerment verortet – ein besonderer ›Kunstgriff‹, denn: »Indem Gangstarapsprecher unter Bezug auf die vier im Rahmen der intersektionalen Analyse behandelten Kategorien [Geschlecht, Ethnizität, Klasse, Körper/Sexualität, Anm.d.Verf.] einerseits die eigene Stigmatisierung zum Ausgangspunkt machen, schaffen sie sich andererseits die Grundlage für die Legitimierung ihrer Vertreterschaft durch den Verweis auf ihre eigene Leistungsfähigkeit als Kernelement hegemonialer Männlichkeit. […] Indem das eigene biografische Projekt zur Geschichte der permanenten Bewältigung gesellschaftlich induzierter Widrigkeiten stilisiert wird, schaffen sich Gangstasprecher einen kulturellen Ausgangspunkt ihrer Selbstdarstellung, auf den sie als (vermeintlich) etablierte und erfolgreiche Geschäftsleute als Beweis ihrer außergewöhnlichen Leistungsfähigkeit verweisen können.« (Seeliger 2013: 128)

Dass Gangsta-Rap-Sprecher unverhohlen kapitalistische Verwertungslogiken affirmieren, lässt sich zwar insgesamt als Allgemeinplatz im Bereich der HipHop Studies bezeichnen (vgl. u. a. Rose 1994), jedoch wird die aggressive neoliberale Mentalität im Zuge neuerer Publikationen zum deutschen Gangsta-Rap immer häufiger kritisch in den Blick genommen (vgl. Seeliger 2013; Lütten/Seeliger 2017; Bendel/Röper 2017). Lütten/Seeliger (2017: 101) argumentieren hierbei prekaritätstheoretisch und arbeiten den »klassenpolitischen Charakter von Straßen- und Gangsta-Rap« heraus. Die Analyse der Texte zeige, dass »Prekarität keineswegs mehr als gesellschaftliches Randphänomen zu interpretieren ist«. Vielmehr konterkariere die Mainstream-Relevanz des Rap eine verbreite Annahme, der zufolge »Prekarisierte im gesellschaftlichen Diskurs weitgehend ausgeschlossen sind« (ebd.: 102). Ähnlich wie Jeffries mit Blick auf die US-Szene, so konstatieren auch Lütten/Seeliger bezüglich der exzessiven Affirmation neoliberaler Werte eine »eigentümliche Ambivalenz«, da die systemische Ordnung gleichzeitig zurückgewiesen würde (ebd.).

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Auch das Autorenpaar Bendel/Röper (2017: 105) sieht »kongruente Weltanschauungen« zwischen Neoliberalismus und Gangsta-Rap, denn »Materialismus, Individualismus, Konkurrenzaffinität, körperliche Selbstoptimierung, Entrepreneurmentalität und der Glaube an Leistungsgerechtigkeit umreißen gleichermaßen das zugrundeliegende Wertesystem von GangstaRap und Neoliberalismus.« Dass sich diese Mentalität nicht nur auf Raptexte und die zugehörigen Rap-Personae beschränkt, sondern auch außerhalb der Aufführungssituation relevant gesetzt wird, belegen die inzwischen zahlreichen Autobiographien deutschsprachiger Gangsta- und Straßen-Rapper (zum Beispiel die Aufstiegsträume von Wasim Taha aka Massiv, vgl. Seeliger 2017: 49ff.). Das ich-bezogene, ›Jeder-ist-seines-Glückes-Schmied‹-Credo des hegemonialen Gangsta-Subgenres spiegelt den Trend der Subjektivierung von Arbeit wider, der neben der allgemeinen Ökonomisierung und Vermarktlichung ein wichtiges Charakteristikum des Wandels der Erwerbsarbeit darstellt (Scholz 2015: 84). Anders als im fordistischen Industrialismus rücken dabei subjektive Faktoren in den Vordergrund, die als »Potentiale der Rationalisierung« gelten und die Eigenverantwortung stärker dem Individuum übertragen (ebd.). Wenn Arbeitsorganisation und Regulierung vermehrt der Initiative der Subjekte unterliegen, so bedeutet das zwar mehr Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung, gleichzeitig gilt es jedoch eigenverantwortlich zwischen Arbeit und Freizeit zu balancieren und dabei möglichst flexibel und mobil zu bleiben. Prozesse der Subjektivierung werden deshalb, so Böhnisch (2013: 240), »von der ideologischen Durchsetzung eines neoliberalen Vergesellschaftungsmodells von Arbeit [flankiert], das die Bürger selbst zu verantwortlichen Akteuren ihrer eigenen arbeitsgesellschaftlichen Integration erklärt«. Das Individuum wird zum »Unternehmer seiner Arbeitskraft« (ebd.). Wie in Kap. 6.2/6.3 ausgeführt, bildet der Wandel im Erwerbssystem einen zentralen Referenzrahmen der gegenwärtigen Theoriediskussion innerhalb der Männlichkeitsforschung. Angesichts neuer Unsicherheiten, etwa dem Trend zur Projektarbeit, kommt es gehäuft zu erwerbsbiografischer Instabilität. Eine Existenzweise, die vor allem die eng an Erwerbsarbeit gekoppelte männliche Identität vor neue Herausforderungen stellt. Gleichzeitig bildet sich ein neuer aggressiver Managementstil heraus, den Connell (2005) in den transnational agierenden Wirtschafts- und Politikeliten verortet und den die Soziologin transnational business masculinity, also ›transnationale Wirtschaftsmännlichkeit‹ nennt. Dieser in sich freilich nicht homogene, jedoch als global zirkulierendes, hegemoniales Handlungsmuster verstandene Männlichkeitsty-



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pus zeichnet sich unter anderem durch kalkulierten Egozentrismus, eine Kultur der Anspruchshaltung, besonders exzessive körperliche Abhärtung, sexuelle Freizügigkeit (›schnellen Sex gegen Bezahlung‹), aber auch emotionale Isolation aus. Wenngleich einigermaßen abstrakt und »sozial entbettet« (Böhnisch 2013: 32), das heißt abgekoppelt von realen Männerleben, so zeigt sich am Beispiel der sich rapide ökonomisierenden Rap-Szene wie unter einem Brennglas, dass diese ›neoliberale Männlichkeit‹ (Sauer 2011) zu einer zentralen und überdies geschlechts- und herkunftsindifferenten Subjektivierungsweise avanciert ist. Als Teil des ebenso vergeschlechtlichten Repräsentationsregimes der globalen Pop- und Medienkultur verkörpert die Figur des Gangsta-Rappers eine lokale Variante der Connellschen transnational business masculinity, die rap business masculinity. Werfen wir einen kursorischen Blick in das Diskursuniversum Gangsta-Rap, um diesen Eindruck empirisch zu unterfüttern. Bendel/Röper arbeiten die kongruenten Weltanschauungen zwischen dem Neoliberalismus und dem Wertesystem des Gangsta-Rap am Beispiel von Gangsta-Rapper Bushido heraus. Der »Glaube an Leistungsgerechtigkeit« stellt sich dabei als ambivalentestes neoliberales Charakteristikum heraus (Bendel/Röper 2017: 114). In seinen Aussagen (nebst Raptexten wurde auch die Autobiografie des Rappers untersucht) mäandere Bushido zwischen der Feststellung der eigentlichen Chancenlosigkeit qua sozialer Marginalisierung und der Möglichkeit eines »Aufstieg[s] für alle« (ebd.: 117). »Solange Talent auf Willenskraft trifft, kann es jeder nach oben schaffen«, fassen die Autoren die Mentalität des Rappers zusammen, der für gesellschaftlich Gescheiterte überdies wenig Mitgefühl an den Tag legt (»Egal ob Heroin-, Kokain- oder Alkohol-Junkies oder diese Methadon-Typen – für mich sind das alles Opfer«, ebd.: 115).91 Das Autorenduo theoretisiert die neoliberale Affirmation des Gangsta-Rappers dabei anerkennungstheoretisch und im Kontext sozialer Ungleichheit: »Im Rahmen eines Kampfes um Anerkennung bemüht Bushido explizit neoliberale Inhalte wie Materialismus, Individualismus, Konkurrenzaffinität, Entrepreneurmentalität und Leistungsgerechtigkeit. In überkompensatorischer Art und Weise betont Bushido dadurch, dass er ›es zu etwas gebracht hat‹ und fordert implizit die bis dato ausgebliebene gesellschaftliche Anerkennung ein.« (Bendel/Röper 2017: 128) 91 Den Grund für den eigenen Erfolg macht Bushido schließlich ambivalenterweise »zwischen der Chancenarmut seines Milieus, persönlichem Exzeptionalismus, verwunderlicher ›passiver Fähigkeiten‹, erzieherischem Glück und der Kraft der eigenen Vision« aus. Auch »religiöse Vorherbestimmung« sei Teil seines Deutungsmusters im Hinblick auf dessen Karriere (Bendel/Röper 2017: 118).

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Das Beispiel Bushido zeige letztlich, wie »vorherrschende Ideologien ihre Dominanz auch gegenüber den von ihnen marginalisierten Gruppen aufrechterhalten können« (ebd.). Als Fahnenträger eines sie selbst unterdrückenden neoliberalen Regimes stünden Gangsta-Rapper, so Bendel/Röper mit Bezug auf Seeliger, daher nicht symbolisch für einen Klassenkampf, sondern trügen im Gegenteil zur Erhaltung jenes Systems bei. Man trachte nicht danach, »die besitzende Klasse abzuschaffen, sondern [will] vielmehr Teil derselben sein« (ebd.). Diese durchaus zutreffenden Analysen und Problembeschreibungen beider Autoren lassen sich mühelos auf zahlreiche weitere männliche (und weibliche!) Vertreter_innen des Gangsta-Subgenres übertragen. »Beweg dein Arsch« heißt es etwa im gleichnamigen Track von Sido (feat. Kitty Kat, Tony D. und Scooter, 2009) in dem die Verantwortung für ein gelungenes (Arbeits-)Leben ebenfalls dem Einzelnen übertragen und überdies zahlreiche weitere Topoi aus dem Wertesystem des Neoliberalismus aufgerufen werden. Dabei inszeniert sich auch Gangsta-Rapper Sido seit Anbeginn seiner Karriere als marginalisiertes Subjekt und Opfer äußerer Umstände (vgl. ›Mein Block‹ 2004, oder ›Strassenjunge‹ 2006 usw.). Sido rappt: »Ich kann nur hoffen du bist hart im Nehmen, denn es ist ein harter steiniger Weg bis zum Garten Eden. Von nichts kommt nichts, ohne Fleiß kein Preis. Was soll schon passieren, wenn du den ganzen Tag Daheim bleibst? […] Hier gibt’s kein’ ›ich hab’ jetzt kein Bock‹, es liegt in deiner Hand«. Und Rapperin Kitty Kat – ebenfalls Teil der Gangsta-Clique um Aggro Berlin – fügt hinzu: »Du kannst gucken, aber du könntest auch machen, es könnte floppen, aber es könnte auch klappen. Wenn du nichts probierst, verlierst du nichts, stimmt, aber du willst doch gewinnen also beweg dein’ Arsch!«. Noch sehr viel ausgeprägter widmet sich Rapper Raf Camora der neuen Selbstverantwortlichkeit und veröffentlichte im Jahr 2012 einen Track mit dem vielsagenden Titel ›Selbst schuld‹. Unter anderem am Beispiel einer minderjährigen Schwangeren, eines Drogenabhängigen und eines Spielsüchtigen reiht der Rapper dort verschiedene, als ›hässlich‹ gelabelte Existenzweisen aneinander, die er als Ergebnis individueller Fehlentscheidungen diskursiviert. Ähnlich wie bei Sido, so werden die Einzelschicksale auch hier nicht etwa in den Rahmen struktureller sozialer Ungleichheit zurückgebunden, sondern entlang einer eigenverantwortlichen Gewinner/Verlierer-Skala angesiedelt. Raf Camora rappt: »Ihr sucht den Grund für euer hässliches Dasein, doch ehrlich Schuld seid ihr. Ja genau du, die jammert mit dem Kind im Arm, mit 15 schwanger doch deine Mom kann es nicht bezahlen. Du bist selbst schuld, dein Vater hat



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dich leider gewarnt. Du hattest Sex, der Typ ist weg, es lag in deiner Gewalt. Auch du daneben, Mann, ich weiß genau wie traurig du bist, 50 Kilo schwer, rote Augen, blaues Gesicht. Du bist selbst schuld, Opfer deiner eigenen Meinung, aus Gras wurde Heroin, doch es war deine Entscheidung«. Und im Refrain heißt es: »Und ihr meint alle dass es Pech ist? Nein! Ihr seid selbst schuld, alle krank vor Selbstmitleid. Ihr seid selbst schuld! Heult weiter, schiebt es auf die Welt. Ihr seid selbst schuld. Doch die Verlierer seid ihr selbst!«. Der offensichtlich weit verbreitete Glaube an Leistungsgerechtigkeit mündet, gepaart mit einem ausgeprägten Individualismus und einer hohen Affinität zum Wettbewerbsdenken sodann in eine relativ verbreitete Mentalität der Entsolidarisierung, sowie einen häufig anzutreffenden Unwillen der gerechten Umverteilung erzielter Gewinne. Wenn die Politikwissenschaftlerin Sauer (2011: 97) ›neoliberale Männlichkeit‹ mit einem »Denken in Kompetitivität«, einem »Gestus der Abgrenzung und Benachteiligung von ›Anderen‹«, sowie »aktive[n] Prozesse[n] der Entsolidarisierung« in Zusammenhang bringt, so finden wir auch hierfür Beispiele im deutschsprachigen Rap und zwar längst nicht nur bei Bushido (vgl. Bendel/ Röper 2017: 112) Sido oder Raf Camora. Glaubt man den Texten deutschsprachiger Rapper, so werden Geldbeträge hier entweder direkt in materielle (Luxus-)Güter zur höchst eigenen Nutzung transferiert (zum Beispiel »AMG vor dem Haus ist das Ziel« in ›Patte fließt‹ von Azet, 2016) oder aber im eigenen sozialen Umfeld verteilt. Wobei hier meist vor allem die eigene Mutter (zum Beispiel: »Bevor ich Autos kauf ’, badet meine Mom haushoch in Cash« in ›Genozid‹ von Kollegah, 2015) sowie der eng gesteckte Kreis der homosozialen Männergemeinschaft als Profiteure hervorgehen (zum Beispiel »Ich reite bei dir ein mit den Jungs (brutal!) und dann wird der Scheiß geteilt mit den Jungs (tek-tek)« in ›Mit den Jungs‹ der 187 Strassenbande, 2017). Gut 15 Jahre nach Is this real? ist im HipHop- resp. der Rap-Szene nicht mehr der »Gemeinschaftsgedanke wichtig«, wie Klein/ Friedrich (2003a: 51) es vor über 15 Jahren formulierten. Respekt gebührt heute nicht mehr denen, »die sich in der lokalen HipHop-Community engagieren, sowie den Pionieren der ersten Generation, die noch die ursprünglichen Ideale und Werte des HipHop verkörpern« (ebd.: 40). Die soziale Position eines/einer Feldspieler_innen bemisst sich aktuell nicht mehr durch einen originellen Style oder besondere Rap-Fähigkeiten (skills). Stattdessen bricht sich auch in der durchökonomisierten Rap-Szene längst eine antisoziale, geradezu aggressiv-neoliberale Einstellung Bahn, die sich (überkompensatorisch) an Werten wie Individualismus und Konkurrenz-

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affinität orientiert. Feldakteuer_innen werden entlang einer ökonomisch bemessenen Gewinner/Verlierer-Skala eingeordnet und der »beste ist der, der am meisten verdient«, wie Haftbefehl auf dem Song ›IHNAMG‹ rappt. Das doing rap business masculinity von Sido, Raf Camora und Co fügt sich dabei bruchlos in transnational zirkulierende Rap-Männlichkeitsnarrative ein, denn »[t]he imagines and real uses of money to help one’s friends, family, and neighborhood occupies a prominent spot in gangsta rap lyrics and lifestyles« (Dyson 2004: 413). Aufgrund des zuvor skizzierten Spannungsfeldes von HipHop/RapIdentität, Kommerzialisierung und Authentizität, folgt die Konstruktionslogik der rap business masculinity einer gewissen feldspezifischen Logik. Ähnlich wie es Hess (2012: 636) für den US-amerikanischen Zusammenhang herausarbeitet, greifen auch deutschsprachige Gangsta-Rapper im doing rap business masculinity auf das authentifizierende Narrativ der rap-career zurück. Ob Sido, Raf Camora oder Straßen-Rapper und Shooting-Star der Jahre 2016/2017 Ufo361: Die (oft recht detailgetreue) Retrospektive auf die eigene Karriere und die Art und Weise wie diese auf verschiedensten Ebenen mit dem jeweiligen Lebensentwurf verwoben ist, lässt sich als wiederkehrender Topos im Diskursuniversum Gangsta-Rap herausarbeiten. Aber nicht nur das Karriere-machen selbst, auch die Daseinsform der (bereits erfolgreichen) Rap-Business-Männlichkeit wird als gewissermaßen prekäre Existenzweise stilisiert, stürzt sie den Rapper doch qua plötzlicher Finanzierbarkeit von Luxusgütern und Suchtmitteln aller Art in unterschiedlichste Abhängigkeits-, Überforderungs- und sogar Angstzustände.92 Auch der Neid Anderer ist in diesem Zusammenhang ein häufig aufgerufener Topos im diskursiven doing rap business masculinity.93 Nicht zuletzt aufgrund der selbstreferentiellen Dimension des Karriere-Topos ließe sich Gangsta-Rap mit Fröhlich/Röder (2017) hier auch als »populärkultureller Biografiegenerator« verstehen, insofern das Subgenre als »Kultur der Selbstproduktion« immer auch zur »Subjektivierung seiner Akteure« 92 vgl. dazu unterschiedliche Tracks des Rappers Ufo361 wie zum Beispiel ›Alpträume‹ (2018), ›Stay high 2.0.‹ (2018), ›Acker jeden Tag‹ (2018) usw. 93 Der Neid-Topos materialisiert sich dabei oftmals in der codierten Phrase des ›Auge machens‹. vgl. dazu den Track ›Auge‹ (2016) von Kool Savas, dort heißt es unter anderem: »Sie machen Auge auf mein Haus, Auge auf meine Frau, seh’n mich im Auto und werfen’s drauf wie ’n giftigen Pfeil, guck, sie machen Auge, […] Auge auf den Erfolg, Auge auf den Besitz«. Auch das Symbol der Schlange erfreut sich in diesem Zusammenhang recht großer Beliebtheit, denn »die Schlangen siehst du erst wenn du dein Rasen mähst« (Ufo361, ›Acker jeden Tag‹, 2018).



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beiträgt und weiter: »Nicht nur die Themen des Gangsta-Raps – das heißt beispielsweise Körperarbeit, Leistungsbereitschaft, finanzieller Erfolg und andere Spielarten des Neoliberalismus  – verweisen auf die Technologien des Selbst, sondern die Arbeit am Selbst setzt vielmehr eine Ebene höher ein: auf dem Akt des Aussprechens an sich.« (Fröhlich/Röder 2017: 138) Der männliche, meist migrantische deutschsprachige Gangsta-Rapper mag die neoliberale Männlichkeit im Rap aktuell zwar am aggressivsten (und mitunter am nachvollziehbarsten) verkörpern, jedoch scheint sich die neue neoliberale Subjektivierungsweise sukzessive in allen Subgenres des Rap als hegemonial durchzusetzen. (Sehr) Reich werden wollen nämlich auch andere Rapper_innen und zwar – wie es scheint – weitestgehend losgelöst von Klasse, Ethnizität oder Geschlecht. Das Relevanzsystem des Stuttgarters Cro – gemeinhin im Bereich Hipster-Rap beziehungsweise Pop verortet – mutet nicht minder neoliberal an als jenes seiner hegemonial-männlichen GangstaKollegen. Es wird lediglich unter anderen subgenrespezifischen Vorzeichen erzählt, etwa wenn der Geld-Topos mit dem Liebes- anstatt dem Kriminalitätstopos verbunden wird: »Sie will in Geld baden und sie will Pelz tragen und sie will schnell fahren, einmal um die Welt fahren. Sie kann sich kaufen was sie wollte doch nie hatte, denn ich hab’ jetzt die American Express und zwar die Schwarze«, heißt es im Song ›Einmal um die Welt‹ (2011). Auch der weiß gelesene Schmuse-Rapper Bausa möchte derweil »aus der Kacke direkt zur Million« (›Baron‹, 2017), so dass man im Anschluss an Lütten/Seeliger (2017: 102) rückfolgern möchte, dass Prekarität offensichtlich längst kein gesellschaftliches Randphänomen mehr darstellt. Tatsächlich lässt sich am Beispiel Rap auch die grundsätzliche Geschlechtsoffenheit der neuen neoliberalen Subjektivierungsweise beobachten: »Ihr leckt alle meinen Arsch – V.I.P, laufe undercover durch mein’ Kiez und mache Para, Para, Para wie noch nie. Mir geht es gut, ich kann nicht klagen, wenn du mich buchen willst, 20k Gage, Bitches sie tanzen jetzt nach meiner Nase, weil ich sie bezahle«.94 ›Tabledance‹ (2018) – ein gemeinsamer Track von Deutschlands weiblicher Gangsta- und Straßen-Rap-Elite Schwesta Ewa und SXTN – enthält zwar ebenso starke und emanzipatorische Momente. Gleichzeitig steht er jedoch paradigmatisch für die offensichtlich einzig lebbare Subjektkultur im Neoliberalismus.

94 ›Para‹ türk. für Geld. Der Buchstabe‹ ›k‹ steht für Kilogramm und ist eine (nicht nur) im Rap häufig genutzte Abkürzung für die Zahl 1000.

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»Durch den Abbau von Sozialstaatlichkeit […] durch die Ökonomisierung und Finanzialisierung aller Lebensbereiche erscheinen die damit verbundenen männlich codierten Orientierungen und Verhaltensweisen als die einzig lebbaren. Sie werden damit normalisiert und hegemonial. Der ›Unternehmer seiner Selbst‹ und die ›Unternehmerin ihrer Selbst‹ sind gezwungen, neoliberale Männlichkeit zumindest zu simulieren und Wettbewerb, Risikobereitschaft und Ausgrenzung zu ihren eigenen Praktiken zu machen, um im Alltags- und Überlebenskampf zu bestehen.« (Sauer 2011: 97)

Wie es scheint ist ganz Deutschrap Ende 2018 im ›Modus Mio‹ – eine Abkürzung für ›Modus Million‹ – und bezeichnenderweise auch der Name von Deutschlands größter Rap-Playlist bei dem Streamingdienst Spotify.95 Ganz Deutschrap … ? 8.5.4 Alternative Rap-Männlichkeiten Die Männlichkeitssoziologin Scholz beobachtet im Zuge des Strukturwandels der Erwerbsarbeit auch Konstruktionen alternativer Männlichkeit und untersucht diese am Beispiel eines neuen Diskurses der Gescheiterten (Scholz 2015: 95ff.). Wenn prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Langzeitarbeitslosigkeit und dergleichen mehr zum neuen Normalzustand avancieren – so die Argumentation – entstehe eine gesamtgesellschaftliche »Nachfrage nach Deutungsmustern für berufliches Scheitern« (ebd.: 95). Gerade in der Sphäre von Kunst und Kultur, so Scholz mit Rekurs auf mehrere Autor_ innen, könne Raum für alternative Männlichkeitsentwürfe entstehen, denn »[d]ie gesellschaftlichen Vorstellungen vom Künstler scheinen […] geradezu zwingend mit Scheitern und Versagen verknüpft zu sein; Scheitern gilt oft als Voraussetzung für künstlerische Kreativität« (ebd.: 108). 95 Der Einfluss von Streaming Diensten wie Spotify und die damit einhergehende, rapide Kommerzialisierung deutschsprachiger Rapmusik wird Ende 2018 zusehends kritisch und unter den Vorzeichen kultureller Homogenisierung und Verwässerung von Inhalten diskutiert (›Masse statt Klasse‹). So schreibt Rap-Journalist Skinny (2019: 58) in der Szene-Zeitschrift Juice Anfang 2019: »Als Rapper ist es wahnsinnig wichtig, in großen, von Spotify-Redakteuren kuratierten Playlisten wie dem Spitzenreiter ›Modus Mio‹ […] stattzufinden. Und genau da liegt der Hund begraben: Diese Playlisten folgen stets einer bestimmten Ästhetik, meist einem einheitlichen Soundbild. Ist das erklärte Ziel für einen Rapper also ein Platz in einer solchen Playlist, biedert er sich ihrem Sound an. In den meisten Fällen heißt das: Afrikanisch beeinflusster Dance-Riddim, unbeflissen geträllerte Autotune-Hook und irgendein Feelgood-Thema, das eigentlich gar keines ist. So findet der x-te Afro-Trap-Song seinen Platz in der Playlist, wodurch sich deren Linie weiter verhärtet: ein Perpetuum mobile des seichten Sommerhits.«



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Nun ist das Scheitern oder gar Versagen zwar kein explizit artikulierter Topos im Diskursuniversum Rap,96 sondern steht der sozialdarwinistischen Gewinnermentalität geradezu diametral gegenüber. Gegen den Strich gelesen, erscheinen Raptexte aber durchaus als ›Diskurse der Gescheiterten‹ und zwar insofern, als dass ein Versagen oder eben Scheitern innerhalb dominanzkultureller Zusammenhänge (zum Beispiel innerhalb des formalen Schulsystems) das Hegemonieprojekt der Gangsta-Männlichkeit als stigmatisierte Männlichkeit ja erst begründet.97 In ihrer Fallstudie fand die Soziologin Scholz heraus, dass sich viele im künstlerisch-kulturellen Bereich arbeitende Menschen zwangsläufig »mit zeitlich begrenzten biographischen Projekten im Erwerbsbereich« zu identifizieren beginnen (ebd.: 102). In der dabei zentralen Figur des »Projektemachers«, als jemand »der kreativ eigene Projekte entwickelt und diese umsetzt« sieht sie eine Form der Aufwertung und gleichsam Maskulinisierung dieses neuen diskontinuierlichen Erwerbsmodells (ebd.: 103). Maskulinisierung auch insofern, als dass die Figur des Projektmachers mit der männlich konnotierten Pioniermetapher aufgewertet würde, die mit Abenteuerei und territorialer Eroberung assoziiert sei. »Das Deutungsmuster Scheitern bleibt also trotz des Versuches einer positiven Wendung an den beruflichen Bereich gebunden, der positive Bezugspunkt ist der aktive (Projekte-)Macher, der sein Leben in die Hand nimmt und sich selbst verwirklicht.« (Scholz 2015: 103) Mit Rekurs auf Neckel argumentiert Seeliger (Neckel 2008 zit. nach Seeliger 2013: 108), dass sich in der Figur des Gangstas die prekäre Lebenslage des Künstlers, das heißt selbstständigen Musikers materialisiere, wie sie im flexiblen Kapitalismus zur neuen Leitfigur avanciere. Zurecht verweist Seeliger in diesem Zusammenhang auf die im Rap vielzitierte Figur des ›Hustlers‹, »also des kleinkriminellen Tagelöhners, der seinen Lebensunterhalt im (meist ethnisch segmentierten) Milieu mit allerlei Gaunereien verdient« 96 In der Studie von Scholz (2015: 101ff.) wird das Scheitern explizit diskursiviert etwa in der ›Show des Scheiterns‹ innerhalb der ›Gescheiterte‹ bestimmte (meist berufliche und eben gescheiterte) Projekte vorstellen und sich mit dem eigenen Scheitern auseinandersetzen. Das Scheitern wird hier gewissermaßen positiv umgedeutet (›Scheitern ist positiv‹). 97 Erinnere die Formulierung von Seeliger (2013: 128): »Indem das eigene biografische Projekt zur Geschichte der permanenten Bewältigung gesellschaftlich induzierter Widrigkeiten stilisiert wird, schaffen sich Gangstarapsprecher einen kulturellen Ausgangspunkt ihrer Selbstdarstellung, auf den sie als (vermeintlich) etablierte und erfolgreiche Geschäftsleute als Beweis ihrer außergewöhnlichen Leistungsfähigkeit verweisen können.«

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(ebd.). Der ›Hustler‹, den man mit Scholz auch als ›devianten Projektemacher‹ beschreiben könnte, wird im Rap vor allem über Topoi um Kriminalität remaskulinisiert. Er ist ein Männlichkeitsmodell, das insbesondere im Bereich des sog. Straßen-Rap anzutreffen ist – einer von vielen als ›authentischer‹ geglaubte Variante des Gangsta-Rap. Die Figur des ›Hustlers‹ ist nicht nur eine global zirkulierende Rap-Männlichkeitserzählung, sondern offenbart auch die Brüche und Ambivalenzen der rap-männlichen Existenzweise: »Many rappers have come to use the narrative of the street hustler, always working and surviving by any means necessary, as a story easily transferable to their lives in the music industry. As a tactic to confirm their authenticity as authentic ghetto subjects, many performers insist that drug dealing was their profession prior to making it as an artist. But there is more depth to the narrative of the drug-dealing hustler than affirmation of one’s status as a mercenary capitalist, as performances reveal struggles with regret, depression, and vulnerability as a result of the drug trade.« (Jeffries 2011: 96)

Celo & Abdi – Husteln als Scheitern? Um den ›devianten Projektemacher‹ als alternative rap-männliche Existenzweise zu konzipieren, blicken wir beispielhaft in das Diskursuniversum Straßen-Rap und den (relativ codierten) Track ›Über Wasser halten‹ (2012) des Frankfurter Duos Celo & Abdi. Dort heißt es: »Montag, 8 Uhr morgens auf dem Sofa, voll stoned, kein Bock, Totalschaden, Koma, 24/7, Matrix, aufsteh’n, ready for action, Doppelleben, rausgeh’n, Baustelle in Kauf neh’m, 8 Stunden hart schuften, nach Feierabend weiter machen und dann Drugs pushen, everyday I’m hustlin’, über Wasser halten, Ganja98 anpflanzen für Cash in den Taschen […] Handel und Tijara,99 jeder fragt nach irgendwas, FFM, schnelles Geld in der freien Marktwirtschaft, Capitalista, dampf ’ Twizla100 beim Schnapp101 zähl’n. Criminal Mind, mit ei’m Bein in der Knastzelle, Monatslohn an Anwälte, Strafgelder, Ratenzahlung, Strom und Wohnung, was bleibt noch dann zum Atmen?«

Ähnlich wie bei Scholz’ (2015: 102) Projektemachern wird hier der ›organization man‹ und damit das »hegemoniale männliche Identitäts- und Biographiemodell der Industriegesellschaft« als Gegenmännlichkeit konstruiert. 98 Slangbegriff für Marihuana. 99 arab. für Handel. 100 Slangbegriff für ›Tblisa Hash‹ eine marokkanische Haschischsorte. 101 Slangbegriff für Geld.



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»24/7, Matrix, aufsteh’n, ready for action, Doppelleben, rausgeh’n …« verweist auf die enge Verstrickung des (Rap-)Mannes in die kapitalistische Logik, die konsequenterweise in den Kontext der Bankenstadt Frankfurt am Main gestellt wird (die gleichsam die Heimatstadt der Rapper ist): »FFM, schnelles Geld in der freien Marktwirtschaft«. Das als prekär inszenierte Männlichkeitsprojekt des ›Hustlers‹ wird ferner entlang zweier beruflicher Sphären angesiedelt. Mit der Erzählung eines ›Doppellebens‹ wird der Beruf des Rappers in den Kontext der Prekarisierung von Arbeit und einer damit einhergehenden biografischen Diskontinuität gestellt, die zu allerlei (kriminellen) Nebenprojekten nötigt. Die geschilderte Subjektivationsweise zwischen Teilzeit-Rapper und »drug-dealing hustler« (Jeffries 2011: 96) scheint überdies mit der Versehrtheit des männlichen (Rapper-)Körpers beziehungsweise der Gesundheit zu konfligieren: »Montag, 8 Uhr morgens auf dem Sofa, voll stoned, kein Bock, Totalschaden, Koma […], jeder fragt nach irgendwas, […] was bleibt noch dann zum Atmen?«. Man denkt unweigerlich an Drogenprobleme, Schlafmangel, Burnout, Stress und Atemnot. Celo & Abdi dürften sich zwar mittlerweile durch Rapmusik ihren Lebensunterhalt finanzieren können. Dennoch verweist dieses Beispiel anschaulich auf die Pluralisierung und Ambivalenz von Männlichkeiten im Rap, die freilich ebenso von einem Wandel im Erwerbssystem und den dadurch entstehenden neuen Unsicherheiten betroffen sind. Das Rap-Business ist ein schnelllebiges Geschäft. Eine Rap-Karriere im Prinzip eine Aneinanderreihung von mehr oder weniger rentablen Projekten. »Wer reich werden will, sollte lieber was anderes machen«, »Straßenrapper haben [nur] eine begrenzte Halbwertszeit« und »rein buchhalterisch machen mit HipHop […] nur einige wenige richtig viel Gewinn« lauten die Aussagen von Musikmanagern, Promoterinnen und anderen Insidern im Interview mit dem HipHop-Magazin Juice Anfang 2018 (Schieferdecker 2017: 66ff.). Die hegemoniale Männlichkeit der rap business masculinity bleibt für die meisten Rapper_innen also ein kaum erreichbares Ideal. Um sich längerfristig als Rapper_in in Deutschland etablieren zu können, gilt es, sich von Albumproduktion zu Albumproduktion zu ›hangeln‹ (auch wenn das Albumformat angesichts von Streamingdiensten gegenwärtig als überholt gilt), diese entsprechend aufwendig zu bewerben (›Promo-Phase‹; erinnere das Phänomen der Album-Boxen) und den geneigten Fan währenddessen mit der Veröffentlichung einzelner Singles samt Musikvideos (die zunächst mal gedreht werden müssen), sowie Interviews mit verschiedensten Szenemedien ›bei der Stange zu halten‹. Je nach individueller Auslastung und ökonomischer Motivation erscheint es marketingstrategisch

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sinnvoll, sich darüber hinaus der Realisierung einiger weiterer Projekte zu widmen, wie zum Beispiel der Kreation einer Modelinie, der Gründung eines eigenen Musiklabels inkl. Aufbau vielversprechender Newcomer_innen, oder dem Verfassen von Autobiografien, Büchern oder Hörspielen. Auch Engagements als Werbeträger_innen und/oder Schauspieler_innen gehören zu den zahlreichen Nebenprojekten der rap business masculinity. Besonders in puncto Fanbindung sieht sich der/die Rapper_in von heute vor neue Aufgaben gestellt, gilt es im Kontext von Digitalisierung und »Online-Selbstvermarktung« (Dietrich 2016: 20), doch nicht nur Wohnzimmerkonzerte zu verlosen und an diversen Autogrammstunden teilzunehmen, sondern v. a. eine möglichst regelmäßige Nutzung sozialer Medien von Twitter, Facebook, Instagram und dergleichen mehr zu betreiben. »Die meiste Arbeit hat ein Rapper mit Kommentaren, mit Nachrichten, Kopffick!«, meint Rapper Sinan G. gegenüber Szenemedium hiphop.de. 102 Inwiefern es sich bei dem Textbeispiel von Celo & Abdi um Versatzstücke einer alternativen Männlichkeitskonstruktion beziehungsweise um eine ernstgemeinte Kritik an einer neoliberalen Männlichkeit handelt, verbleibt letzten Endes eine Frage der Lesart und interpretativen Herangehensweise. Die »mangelnde Sinnstiftung prekärer Arbeit« und die damit einhergehenden körperlichen Belastungen etwa, werden auch im Song ›Loser‹ (2013) von Rapper Megaloh thematisiert; ein Song, der die erwerbsmäßige Schichtarbeit bei einem Paketlieferdienst verhandelt, mit dem der bis dato eher wenig erfolgreiche Rapper seinen Lebensunterhalt verdient (Seeliger/Lütten 2017: 98). In dem Track – der im Refrain in das Credo »Ich bin kein Loser!« mündet – würden »[h]egemoniale Rollenmuster und Eigenverantwortung sowie die Notwendigkeit von Lohnarbeit […] zwar reflektiert und als mitunter belastend markiert, letztlich jedoch affirmiert und nicht in Frage gestellt. Der Sprecher wählt […] nicht den Weg des […] Protests gegen Prekarität und die Strapazen der Erwerbsarbeit, sondern nimmt deren Notwendigkeit als gegeben hin und bemüht sich um eine gelungene individuelle Anpassungsleistung.« (ebd.: 99)

Wie so oft im Diskursuniversum des deutschsprachigen Rap wird der ›Loser‹ auch hier zur »negativen Referenz« (ebd.) innerhalb des hegemonialen Deutungsrahmens der rap business masculinity. Dieser Lesart entsprechend versuchen sich freilich auch Celo & Abdi mit ihrem unermüdlichen husteln in

102 Hiphop.de, 31.08.2020, https://www.Youtube.com/watch?v=F6YCHFDmgHA



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einer möglichst gelungenen Anpassungsleistung, anstatt ihre Prekarität zum Anlass einer Kritik an den bestehenden Verhältnisse zu nehmen. Dexter, Audio88 & Yassin – ›Dies, das‹ als Kritik an der kapitalistischen Verwertungslogik? In der Diskussion um eine Hegemonie der rap business masculinity im Bereich der deutschsprachigen Rap-Szene dürfen Sprecher_innen, die sich einer Vermarktung nach kapitalistischen Prinzipien dezidiert verweigern und/ oder sich in einer expliziten Kritik an Gangsta-Rap-Sprecher_innen üben, schlussendlich nicht unberücksichtigt bleiben. Ungeachtet der fortschreitenden Kommerzialisierung von Rapmusik gilt in einigen Bereichen der Szene bis heute die Prämisse, dass sich subkulturelles Kapital (vgl. Thornton 1997) eben gerade nicht entlang einer ökonomistischen Logik generieren lässt. Eine Szene-Mentalität, die sich in Abhängigkeit von Alter/Generation, HipHopSozialisation, Subgenre-Identifikation und einem damit in Zusammenhang stehenden, spezifisch gelagerten, tradierten und präkommerziellen Wertesystem des HipHop ergibt.103 Tatsächlich gibt es zahlreiche Rapper_innen und Szene-Akteur_innen, die sich ironisch-humorvoll und dabei mehr oder weniger politisch motiviert mit der Propagierung des neoliberalen Wertesystems durch Gangsta-Rap-Sprecher_innen auseinandersetzen. Viele von ihnen sind dem politisch linken Spektrum zuzuordnen (sog. ›Zecken-Rap‹) und oftmals abseits des Rap-Mainstream anzutreffen. Neben der (inzwischen kommerziell sehr erfolgreichen) Berliner Rap-Formation K.I.Z. (vgl. Goßmann 2012) sind hier beispielhaft so unterschiedliche Acts wie Amewu, Refpolk, Swiss, Spezial K., Antilopen Gang, Neonschwarz, Zugezogen Maskulin, Lena Stoehrfaktor, Sir Mantis, Fatoni, Juse Ju, Audio 88 & Yassin oder die Kölner Huss und Hodn zu nennen. Im Track ›Dies, das‹ (2014) von Dexter, Yassin und Audio 88104 beispielsweise wird eine im deutschsprachigen Gangsta-Rap oft geäußerte Phrase zum Anlass genommen, um die darin implizierte (und oft mystisch verklär 103 vgl. an dieser Stelle den sog. ›Backpacker-Rap‹ oder auch ›Rucksack-Rap‹: »Als ›Backpacker‹ versteht die Szene Rapfans, die den ideologischen Eckpunkten der True School etwas abgewinnen können: Rap wird als Kunstform verstanden, bei der man sein Handwerk unter Beweis stellen muss. Die Leistung am Mikrofon wird höher eingeschätzt als die Image-Zeichen.« (Dietrich 2015b: 295) 104 Die ›88‹ steht hier nicht für den Nazi-Code ›HH‹, also ›Heil Hitler‹, sondern meint ›HipHop‹.

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te) Geschäftigkeit zu parodieren, wie sie mit der Figur des ›Hustlers‹ von vielen Gangsta- und Straßen-Rapper ausdauern (re)produziert wird. Anstatt sich jedoch im nächtlichen Großstadtdschungel mit dem Verkauf von Drogen und dergleichen zu verdingen, sieht man die Rapper Dexter, Yassin & Audio88 im zugehörigen Musikvideo gut gelaunt beim nachmittäglichen Eis essen und gemeinsamen Minigolf spielen. Das neoliberale Relevanzsystem der hegemonialen rap business masculinity wird dabei auch auf der Inhaltsebene maximal kontrastiert. So werden Albumveröffentlichungen ganz entspannt aufgeschoben, Musik zum Selbstzweck aufgenommen oder sich mit den Jungs getroffen »um einfach nichts zu tun«. Die Kritik an der kapitalistischen Verwertungslogik mündet schließlich in die Parodie der von vielen Gangsta- und Straßen-Rappern inszenierten, geradezu »darwinistische[n] Überlebensdramatik« (Bendel/Röper 2017:111), wenn Dexter rappt: »Erwisch mich dabei, wie ich Dinge machen tu zur Mittagszeit, ich tu Feature-Dinge mit Berlinern für ein bisschen Hype. Ganz normale Dinge, nichts was ihr nicht auch macht. Dinge tun ist bosshaft, keine Dinge tun ist grauenhaft. Also schau’ dass du deine Dinge tust, noch bevor es deine Frau macht. Dies das, ich hab’ schon Dinge getan als ich klein war im Laufrad, Dinge tun ist en vogue und wer heute seine Dinge nicht richtig erledigt kriegt ist morgen vielleicht schon tot.«105

Der hegemonialen Rap-Business-Männlichkeit wird hier selbstbewusst eine alternative, nämlich mittellos-prekäre männliche Existenzweise als Gegenmännlichkeit gegenübergestellt. Man fühlt sich an Scholz’ (2015: 108f.) alternatives Männlichkeitsmodell des ›Projektemachers‹ erinnert, wie es im Kontext der Prekarisierung von Arbeit vor allem im Bereich von Kunst und Kultur anzutreffen ist. Die rap-männliche Existenzweise des ›Dies, das‹ ist jedoch – zumindest im Fall der weißdeutsch gelesenen Rapper Dexter und Audio 88 – mit Vorsicht zu interpretieren, denn das privilegierte Nichts-tun muss man sich selbstverständlich leisten können. Anders als viele migrantische und/oder sozial benachteiligte Akteur_innen aus dem Gangsta-Spektrum sind Dexter und Co keiner strukturellen Diskriminierung aufgrund von Herkunft oder Hautfarbe ausgesetzt – ein lebensweltlicher Hintergrund, der auch für das nächste Beispiel, die Battle- und Message-Rapper Huss und Hodn gelten muss.

105 Zur ›darwinistischen Überlebensdramatik‹ im G-Rap vgl. das Beispiel Bushido: »Ich mach im Endeffekt das, was ein Hai tut. Fressen, um zu überleben.« (Bendel/Röper 2017: 111).



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Huss und Hodn – Die Anti-Gangsta Obwohl die Kölner Huss und Hodn auf eine kommerzielle Vermarktung ihrer Produkte verzichten, scharen sie bereits seit 2007 eine relativ stabile Fangemeinde um sich. Das weiß-deutsche Rap-Duo, das die kritisch-ironische Abarbeitung am Gangsta-Rap gewissermaßen ins Zentrum seines künstlerischen Schaffens stellt,106 spricht dem Phänomen als bloßer Adaption amerikanischer Vorbilder jegliche Authentizität und damit Existenzberechtigung im deutschen Rap ab: »Auf humoristische Weise zerlegen sie die Inszenierungen selbsternannter deutscher Gangsta-Rapper, deren Selbstdarstellungen und zugeschriebenen Identitäten sie letztendlich als bloße Geschäftsmodelle anprangern. Der Sozialraum des Ghettos, die Figur des Gangsters und alle damit verbundenen Praktiken erscheinen so als bloße Werbekampagne, die Rap und HipHop-Kultur weiter im Mainstream etablieren sollen, ohne dass dies mit der ›eigentlichen‹ Bedeutung, also dem Entstehungskontext in urbanen Räumen der USA etwas zu tun hätte.« (von Stetten/Wysocki 2017: 243)

Für die Rapper, deren Stil sich an der sog. ›Oldschool‹ orientiert, hat der selbsternannte Gangsta-Rap »nichts mit HipHop-Kultur gemein, sondern ist eine von medialer Öffentlichkeit und Marktmechanismen konstruierte kulturelle Identität, die zwischen Authentizität, Inszenierung und bloßer Simulation nicht mehr unterscheiden kann und muss« (ebd.: 258). Die linkspolitischen Huss und Hodn parodieren die hegemoniale Gangsta-Männlichkeit ambivalenterweise auch indem sie deren oft erhöhtes Körperbewusstsein als ›schwul‹ labeln. Für das Autorenpaar von Stetten/Wysocki (ebd.: 249) könne man das Rap-Duo demnach als »parodistisch gewendete entlarvende hegemoniale Gegenmännlichkeit« verstehen, obgleich die Verwendung des Begriffs ›schwul‹ hier einem Paradox unterliegt, da die damit zu erzielende Beleidigung freilich nur auf Grundlage einer bereits existierenden Unterordnung von homosexuellen Männlichkeiten (im Rap) funktionieren kann und diese damit gleichsam reproduziert. Ein Umstand, der dem Duo durchaus bewusst sei und von Rapper Retrogott als »kognitive Dissonanz« beschrie-

106 Die Rapper des Duos Huss & Hodn sind seit 2013 unter den Namen Retrogott und Hulk Hodn bekannt. In ihrem Beitrag machen von Stetten/Wysocki auf eine unterschiedliche Relevantsetzung der Gangsta-Topoi aufmerksam, insofern Begriffe wie ›Gangsta‹ oder ›Ghetto‹ im Werk von Huss und Hodn weit mehr Raum einnähmen, als in späteren Werken, die unter den Pseudonymen Retrogott und Hulk Hodn entstanden sind (von Stetten/ Wysocki 2017: 249f.).

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ben wird (ebd.: 249).107 Die Parodie und Ironisierung des Gangsta-Rap und dessen Sprecher_innen mündet im Werk von Huss und Hodn in eine allgemeine Szene-Kritik, deren symbolischer Kampf als »politisches Machtspiel« bezeichnet wird, »das in das kapitalistische Gesamtsystem eingewoben ist« (ebd.: 250). So heißt es im Track ›Geldsucht‹ (2016) beispielsweise: »Eigentlich geht es nicht um Kohle, das eigentliche Statussymbol ist der Status der Symbole«. Wo genau das Duo mit seiner Kritik an der neoliberalen Gangsta-Männlichkeit im machtvollen Gefüge der Rap-Männlichkeiten damit zu verorten ist, bleibt letztlich diskutabel. Wie von Stetten/Wysocki (ebd.: 265) anmerken, stehen sich kritische Analyse und der Wille zur Konservierung eines orthodoxen HipHop/Rap hier gegenüber, »zu glauben, dass das Duo an großer Gesellschaftsanalyse und politischem Rap-Gestus interessiert wäre, führt auf eine falsche Fährte«. Ebenso könne man den Rappern etwa »bürgerliche Blindheit« (ebd.: 264) gegenüber den politischen Errungenschaften des HipHop und Gangsta-Rap im Besonderen vorwerfen, fände letzterer seinen Ausdruck doch »auch an ethnischen, ökonomischen und sozialen Konfliktlinien« (ebd.: 243). Durch das hohe Reflexionsniveau, und die verwendeten Stilmittel der Parodie und Ironie, könnte man Rapper und RapGruppen wie Dexter, Audio88 & Yassin, Huss und Hodn oder die ebenso als Gegenprojekt zum Gangsta-Rap gehandelten Berliner K.I.Z (vgl. Goßmann 2012) auch als ›aufgeklärte hegemoniale‹ Männlichkeiten im Sinne Meusers (2001b) beschreiben. Allerdings wird männliche Hegemonie im Fall von Huss und Hodn bedingt entlang einer ökonomischen Logik verhandelt. Im Gegenteil weisen die Rapper eine solche dezidiert zugunsten einer künstlerisch-ideologischen Machtlogik zurück (›anti-kommerzieller OldSchoolHipHop‹). Insofern wäre zu überlegen, ob man für das Feld der Rap-Szene an dieser Stelle womöglich von mindestens zwei koexistierenden hegemonialen Männlichkeiten sprechen könnte (siehe die ›inklusive Männlichkeitstheorie‹ von Anderson (2009) oder auch Elliotts (2016) caring masculinity, die ebensolche Überlegungen anstellen).

107 Das Autorenpaar weist darauf hin, dass sich das ausgeprägte gendersensible Reflexionsniveau der beiden Rapper im Lauf der Zeit verändert habe. So hätten Retrogott und Hulk Hodn Begriffe wie ›schwuler Rap‹, oder ›Homorap‹ innerhalb von Live-Konzerten sukzessive zugunsten alternierender Bezeichnungen wie ›Idiotenrap‹ ersetzt. Die Reflexion gegenüber der Wortwahl habe sich laut Angaben der Rapper auch durch Diskussionen mit Freunden und Fans ergeben (von Stetten/Wysocki 2017: 248f.).

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9. Zeiten gendern dich:1 Die Rap-Szene im Wandel?

Nachdem die männlichkeitstheoretischen Grundlagen und die auf Krise und Strukturwandel hin akzentuierte Fragestellung erörtert wurde und der Konstruktionsmodus von Rap-Männlichkeit freigelegt ist, sollen diese Erkenntnisse in den letzten beiden Kapiteln dieser Arbeit zusammengeführt und an konkretem empirischem Material überprüft werden. Inwiefern lassen sich die Diagnosen über eine sog. Krise der Männlichkeit auf das Beispiel Rap übertragen? Kann man die ›ambivaloxe Dialektik‹ der Modernisierung von Männlichkeit, wie man die in den Men’s Studies oft zitierte ›Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‹ in Anlehnung an Degele/Dries auch konzipieren könnte, in der gegenwärtigen deutschsprachigen Rap-Szene beobachten? Wie beständig ist die männliche Hegemonie auf dem Feld der Rap-Szene, wie eindeutig ihre Männlichkeitsmodelle? Gibt es Ereignisse und Anzeichen, die auf Brüche und Fragilitäten verweisen? Ist die Rap-Szene im Geschlechterwandel? Für die Soziolog_innen Meuser/Scholz verweist das Diskursphänomen einer ›Krise der Männlichkeit‹ vor allem auf einen Strukturwandel hegemonialer Männlichkeit, der sich auf drei Ebenen zeigen ließe: Erstens verlöre hegemoniale Männlichkeit derzeit »ihren unhinterfragten, fraglos gegebenen Status« und werde im Zuge dessen »zu einer sichtbaren, besonderen, geschlechtlich markierten Position im Geschlechterverhältnis« (Meuser/Scholz 2011: 64). Zweitens könne man hegemoniale Männlichkeitskonstruktionen heute nicht mehr angemessen in einem nationalstaatlichen Rahmen denken, sondern müsse doing masculinity verstärkt in einem globalen Rahmen verstehen. Und drittens ließe sich derzeit eine Öffnung hegemonialer Männlichkeit beobachten: »Frauen und homosexuelle Männer […] erlangen Zutritt zu den sozialen Eliten und prägen damit auch die Konstruktion hegemonialer Männlichkeit« (ebd.). 1 In Anlehnung an Bushidos Filmbiografie Zeiten ändern dich aus dem Jahr 2010.

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Bevor versucht wird, diese Überlegungen auf die gegenwärtige RapSzene zu übertragen und einige ethnografische Beobachtungen angestellt werden, stellt sich zunächst die Frage, wie sich ein ›Szenewandel‹ konzeptionell fassen lässt und welche Bedeutung dem Faktor Geschlecht dabei zukommt.

9.1 Szene – Wandel – Geschlecht Die Vorstellung von Wandel und Transformation ist dem Szenekonzept (ebenso wie dem Kulturkonzept) bereits inhärent. Hitzler/Niederbacher (2010: 17) beschreiben Szenen als dynamische, labile Gebilde und kommunikative Gesellungsformen, deren Existenz an die »ständige kommunikative Erzeugung gemeinsamer Interessen seitens der Szenegänger« gebunden ist. Dieser diskursive Mechanismus mag im Besonderen für die ›glokale‹ RapSzene gelten, deren (selbsterhaltende) Dynamik sich ferner aus einem feldspezifischen Wertekanon und dem allen kulturellen Praktiken eingeschriebenen Wettbewerbsprinzip ergibt: »Im HipHop ist die Dynamik des Feldes zum einen der Effekt einer engen Verzahnung von globalen und lokalen Produktionen, die in einem akzelerierenden Prozeß immer wieder neue lokale Stile entstehen läßt. Zum anderen liegt die Dynamik der HipHop-Kultur in ihrem Wertekanon begründet: Es ist eine der wichtigsten Regeln des HipHop, Stile nicht zu kopieren, sondern zu modifizieren. Diese Verpflichtung trägt zu einer permanenten Erneuerung bei, zu einem ständigen Wettstreit zwischen Älteren und Jüngeren, Etablierten und Nicht-Etablierten, Respektpersonen und solchen, die Respekt haben wollen.« (Klein/Friedrich 2003a: 190)

Bereits aufgrund dieser symbolischen Verpflichtung zur permanenten Erneuerung ergibt sich aus heutiger Sicht ein gänzlich anderes Phänomen ›Rap‹ als Mitte/Ende der 1980er Jahre, als die Ausdrucksform ihre ersten Nachahmer_ innen in Deutschland fand. HipHop, so formulieren Bock u. a. (2007: 314) ist nicht nur eine »soziale performative Praxis«, sondern Ausdruck eines »allgemeinen soziokulturellen Wandels unter den Bedingungen einer globalen Vernetzung von postkolonialen, postindustriellen und kapitalistischen Gesellschaften«. Das glokale Kulturphänomen sei aufgrund seiner »ganz eigenen Prinzipien der Produktion, Relevanzsetzung, Ausdifferenzierung, Identitätskonstruktion, Vermarktung und Distribution eher mit umfassenden politischen und nationalen (Kultur-)Einheiten vergleichbar« (ebd.). Auch



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die modernisierungstheoretisch argumentierenden Szeneforscher Hitzler/ Niederbacher (2010: 190ff.) konstatieren zuletzt einige Trends, die (juvenile) Szenen in unterschiedlichem Maße beträfen, darunter Medialisierung, Differenzierung, Ästhetisierung, Eventisierung und Kommerzialisierung. Diese Trends oder Modernisierungsfaktoren wirken auch auf das hier untersuchte glokale Kulturphänomen Rap, wobei es besonders die Trends der Kommerzialisierung sowie der Medialisierung beziehungsweise Digitalisierung sind, die den heutigen Rap von jenem der 1980er, 1990er und auch 2000er Jahre unterscheidet. In seinem Sammelband Rap im 21. Jahrhundert. Eine (Sub-)Kultur im Wandel beschäftigt sich auch HipHop-Forscher Dietrich mit Fragen des Wandels und der Transformation. Seiner Meinung nach sind es besonders »die durch die Innovationen veränderten medialen Zugänge und Angebote, die Rap phänomenologisch von den 1990er Jahren unterscheiden« (Dietrich 2016: 15). Tatsächlich führen Prozesse der Digitalisierung und Technologisierung zu neuen Produktions-, Rezeptions- und Vermarktungspraktiken im Bereich Rap. Heutzutage wird Rapmusik nicht mehr ›auf Platte‹ (oder CD) im Plattenladen des jeweiligen Vertrauens gekauft, sondern vor allen Dingen gestreamt. Verbesserte und (auch finanziell) leichter zugängliche Software bietet gleichzeitig neue Möglichkeiten der Musikproduktion, während es die digitale Infrastruktur ermöglicht, in Echtzeit mit anderen Rap-Akteur_innen rund um den Globus in Kontakt zu treten, sich auszutauschen und/oder zu kollaborieren. Dutzende online-Plattformen und soziale Netzwerke stellen außerdem neue Wege der (Selbst-)Inszenierung bereit. Dabei erfolgt die quasi-obligatorische »Online-Selbstvermarktung« heute auch abseits großer Musik- und Kulturunternehmen, nämlich in ›guter alter‹ DIYManier vor dem heimischen Computer (ebd.: 20).2 Dass diese Entwicklungen nicht unabhängig von anderen modernisierungstheoretischen Faktoren verstanden werden können, reflektiert auch Dietrich: »Sind die skizzierten Bedingungen hinsichtlich der Produktion, Distribution und Kollaboration bei der gleichzeitigen und damit verbundenen Expansion von Rap erst einmal gegeben, dann muss es zur stärkeren Heterogenität des Genres und seiner mitunter zeitdiagnostisch oder gesellschaftskritischen Semantiken kommen.« (Dietrich 2016: 20)

2 Zu den ›Eckpunkten eines kulturellen Wandels‹ siehe ausführlicher bei Dietrich (2016: 16ff.).

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Zurecht bringt Dietrich die »stärkere[n] Heterogenität des Genres« hier mit der »Expansion von Rap«, das heißt der sukzessiven Kommerzialisierung und Popularisierung der Musikszene in Verbindung (ebd.: 20). Was ›Heterogenität‹ in diesem Fall jedoch genau bedeutet und welche Rolle Geschlecht in dem kulturellen Wandel der Szene spielt, wird nicht weiter ausbuchstabiert. Tatsächlich weisen nicht wenige Abhandlungen des (Rap-)Szenewandels diesbezüglich einen blinden Fleck auf, insofern der Aspekt Geschlecht zwar – etwa im Zusammenhang mit Medialisierung beziehungsweise dem Internet – behandelt (vgl. Obst 2016; Szillus 2016), jedoch nicht als gleichwertiger Modernisierungsfaktor (an)erkannt und/oder mit anderen Faktoren ins Verhältnis gesetzt wird. Dabei ließe sich Vergeschlechtlichung im Hinblick auf Szenen durchaus als eigenständiger Modernisierungsfaktor begreifen. In ihrer gendersensiblen Modernisierungstheorie machen Degele/Dries (2005: 27) den Faktor Geschlecht als »blinden Fleck[en] der Soziologie seit ihrer Begründung durch die Klassiker« aus. Die vier Modernisierungsfaktoren von Loo/van Reijen (1997) Differenzierung, Rationalisierung, Domestizierung, Individualisierung ergänzen sie deshalb um vier weitere Aspekte, nämlich Beschleunigung, Globalisierung, Vergeschlechtlichung und Integration (Degele/Dries 2005: 23ff.). Erstere Faktoren repräsentierten dabei »die Entwicklungen auf den vier grundlegenden Ebenen der Struktur, Kultur, Person und Natur«, während die übrigen ›neuen‹ Faktoren diese aus einer Meta-Perspektive gewissermaßen rahmten, da sie »starke Bezüge zu allen diesen Ebenen« aufwiesen, jedoch »meist nicht ausreichend als eigenständige Modernisierungsfaktoren thematisiert« würden (ebd.: 27) und weiter: »Beschleunigung, Globalisierung, Vergeschlechtlichung und Integration liegen ›quer‹ zu den vier klassischen Mechanismen des Modells, üben aber dennoch auf allen Ebenen des Modernisierungsquadrats – implizit oder explizit – so starke Einflüsse aus, dass sie eine separate Betrachtung als eigenständige Modernisierungsfaktoren rechtfertigen. Sie sind für Modernisierung genauso konstitutiv wie die ersten vier Faktoren des herkömmlichen Modernisierungsquadrats.« (Degele/Dries 2005: 27f.)

Mit diesem ›Acht-Faktoren-Modell der Modernisierung‹ ergäbe sich ein umfassenderes und vollständigeres Bild der Modernisierung, da diese aus dem Blickwinkel jedes der genannten Faktoren erzählt werden könne. Zentral ist dabei ebenso die Annahme der sog. ›ambivaloxen Dialektik‹. Modernisierungsprozesse  – so Degele/Dries  – müssen als multidimensional, ambivalent und paradox gedacht werden. Sie verlaufen in jeweils unterschiedlichen Tempi und überkreuzen sich dabei auf vielfältige Weise, wer also »›Moder-



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nisierung‹ sagt, muss ›Interdependenz‹ mitdenken« (ebd.: 29). Die Gendersensibilität dieser Modernisierungstheorie liegt nun vor allem darin, dass das Autor_innenpaar Geschlecht als konstitutiven und gleichwertigen Modernisierungsfaktor denkt. Den Aspekt der Vergeschlechtlichung definieren sie dabei wie folgt: »Mit der Einführung dieses Faktors behaupten wir, dass Modernisierung in grundlegender Weise mit einer Geschlechterdifferenzierung verbunden ist, die genau (und ausschließlich) zwei Geschlechter als natürliche Tatsache konstruiert. Entscheidend ist dabei, dass gesellschaftliche Teilsysteme, Organisationen, Interessengruppen und Interaktionsformen den Mechanismus der Vergeschlechtlichung mit der Überführung von (Geschlechter-)Differenz in Hierarchie für weitere Modernisierungsprozesse nutzen. Dabei sind Macht und Hierarchie keine abstrakten und geschlechtsfreien Größen, sondern treten vergeschlechtlicht in Erscheinung, das heißt in Form sozial ungleich verteilter Ressourcen, Strukturen und Institutionen.« (Degele/Dries 2005: 26)

Nicht nur weil das ebenfalls modernisierungstheoretische Szenekonzept soziale Hierarchien und Machtgefälle bislang weitestgehend unberücksichtigt lässt, sondern auch weil Szene-Trends wie Medialisierung, Kommerzialisierung, Differenzierung usw. nicht unabhängig von Geschlecht gedacht werden können, scheint es naheliegend, Vergeschlechtlichung als eigenständigen Modernisierungsfaktor von Szenen ernst zu nehmen. Die Beiträge von Obst (2016) und Szillus (2016) – beide in Dietrichs Sammelband zum Rap im 21. Jahrhundert – zeigen deutlich, wie eng Medialisierung/Digitalisierung und Transformationsprozesse von Geschlecht und Männlichkeit im Rap verwoben sind und wie diese wiederum auf unterschiedliche Art und Weise mit der Ausdifferenzierung und Kommerzialisierung der Szene zusammenhängen. Ohne digitale Plattformen, Memes und dergleichen mehr wäre der kanadische Rapper Drake (oder auch Lil B.) wohl nicht zu einem ›Vorboten inklusiver Männlichkeit im Internetzeitalter‹ geworden (vgl. Obst 2016). Gleichzeitig wäre die Evolution und der globale Siegeszug neuer Spielarten wie ›Weirdo-Rap‹ oder ›Cloud-Rap‹ samt ihrer progressiven anything goesMentalität ohne das Internet, Social Media und »die Demokratisierung der Vertriebswege in der Musikindustrie« kaum in dieser Geschwindigkeit vonstattengegangen (Szillus 2016: 91; zu Drake, Lil B. und Co vgl. im nächsten Abschnitt). Vor allem für Frauen und queere Personen (of Color) öffnen sich durch soziale Medien neue, demokratische Möglichkeitsräume um Geschlecht oder Sexualität auch außerhalb hegemonialer Normen und Skripte selbstbestimmt inszenieren zu können. Neue Technologien wie zum Beispiel

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Instagram können auf diese Weise zur Dekonstruktion von Machtverhältnissen beitragen, diese jedoch immer auch verstärken und stabilisieren (vgl. zum Beispiel Godlewsky 2017; Caldeira u. a. 2018). Bei der Analyse von Rap-Männlichkeitskonstruktionen im Kontext von Wandel und Transformation spielen also verschiedene Faktoren wie Differenzierung, Medialisierung/Digitalisierung, Kommerzialisierung, Vergeschlechtlichung und nicht zuletzt Globalisierung zusammen. Gerade das Beispiel der ›glokalen‹ Rap-Szene zeigt anschaulich, was Männlichkeitssoziolog_innen wie Meuser, Scholz oder auch Connell bereits seit längerem mit Blick auf ihren Gegenstand einfordern, nämlich lokale Männlichkeiten verstärkt in einem globalen Rahmen zu analysieren und diesen wiederum als vergeschlechtlicht zu denken.

9.2 Globale Kontexte: Der ›Gender Shift‹ im US-amerikanischen Rap Rap ist eine globale Medienkultur innerhalb der die US-amerikanische Szene – ungeachtet der kreativen (unter anderem sprachlichen) lokalen Rekontextualisierungen  – bis heute eine hegemoniale Rolle einnimmt (vgl. Androutsopoulos 2003: 11). Mit einigen wenigen (vorwiegend französischen) Ausnahmen haben sämtliche Ästhetiken, Diskurse und Stile, die sich im deutschsprachigen Rap ausmachen lassen, ihre US-amerikanischen Vorläufer_innen. Fanden Phänomene wie der Gangsta-Rap noch mit bis zu einer Dekade Verzögerung ihren Weg über den ›großen Teich‹ (vgl. Szillus 2012), so ist die internationale Rap-Szene in Zeiten von Twitter, Youtube, Instagram und Co heute so vernetzt wie nie (vgl. Dietrich 2016). Die Songs, Performances und Postings eines Rap-Superstars wie Drake zirkulieren gegenwärtig in Echtzeit um den Globus und hinterlassen einen unmittelbaren Eindruck bei Fans und Rapper_innen gleichermaßen. Auch neuere Subgenres wie der US-amerikanische Hipster- oder Cloud-Rap werden – samt ihrer jeweiligen Repräsentationsfiguren – schneller in Deutschland adaptiert und finden ihre Nachahmer_innen. Transformationsprozesse von Geschlecht und Männlichkeit im deutschsprachigen Rap sind deshalb ohne einen Blick auf den popkulturellen Hegemon der USA nur bedingt zu verstehen. Ein kursorischer Blick in die Literatur zeigt, dass auch die US-amerikanische Rap-Szene innerhalb der letzten Jahre einen Wandel im Hinblick



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auf Geschlechterrepräsentationen durchlaufen hat. Als erstes Beispiel mag an dieser Stelle die Spielart des sog. Cloud-Rap dienen, eine Art Internetphänomen, das sich neben seiner atmosphärischen Soundästhetik vor allem durch die Do-it-Yourself-Mentalität seiner Protagonist_innen kennzeichnet. Die ›Vaterfigur‹ dieser Rap-Spielart ist der US-amerikanische Rapper Lil B., der durch die exzessive Nutzung sozialer Netzwerke und digitaler Plattformen zu höherer Bekanntheit gelangte. Wie Rap-Journalist Szillus (2016: 89) ausführt, avancierte Lil. B schnell zum »Held der neuen Generation DIY« und prägte »eine ganze Generation von Independent-Künstlern, die nicht mehr darauf wartete, von einer großen Plattenfirma entdeckt zu werden«. Mit seinem lebensbejahenden Motto des ›based‹, das sich als Forderung nach mehr Positivität, Toleranz und einem allgemeinen Gelten-lassen übersetzen ließe und provokativen Albumtiteln wie I’m gay (I’m happy)3 ist Szillus und Obst durchaus zuzustimmen, wenn sie das Männlichkeitsmodell des Lil B. für den Bereich HipHop/Rap als »klares Statement« (Szillus 2016: 89) und »höchst progressiv« (Obst 2016: 74) bezeichnen.4 Szillus fasst alternative Rap-Männlichkeiten wie Lil. B in einem Beitrag unter dem Label ›Weirdo-Rap‹ zusammen. Während männliche HipHop/ Rap-Identität lange Zeit entlang von Stärke und Coolness definiert wurde, übernähmen gegenwärtig die sog. ›Weirdos‹, das heißt die Nerds, Stubenhocker, Bücherwürmer und Schmächtigen die Kontrolle im Rap-Mainstream: 3 Was hier zunächst allzu progressiv anmutet, wurde von Lil B selbst insofern entkräftet, als dass er nicht müde wurde zu betonen, nicht homosexuell zu sein, sondern den Begriff ›gay‹ in seiner ursprünglichen Bedeutung zu benutzen (gay =  happy). 4 Man denke an dieser Stelle an das besonders unter Schwarzen Männlichkeiten ausgeprägte Homosexualitätstabu und dessen männlichkeitsbedrohendes Potential. »The greatest insult from one man to another in hip hop (and beyond) is to imply that he’s less than a man by calling him a derogatory term usually reserved for women or gay men: ›bitch‹, ›ho‹, ›punk‹, ›fag‹. It’s an act of enhanced degradation because injury is added to insult with the double negative of being dissed to begin with and then being assigned a gender or sexual orientation epithet to boot. These epithets place a male lower on the totem pole of masculine identity by classifying him with the already degraded female or gay male.« (Dyson/Hurt 2012: 367) Es darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass es im Bereich Rap auch vor Lil B. alternative Strömungen und Identitätsmodelle gab. So rief die Rap-Formation De La Soul bereits 1989 das sog. ›Daisy Age‹ (Gänseblümchen-Zeitalter) aus, während The Roots mit dem Videoclip zum Song ›What They Do‹ im Jahr 1996 die hypermaskulinen Repräsentationen in Gangsta-Rap-Videos parodierten. Schließlich stand vor allem die sog. Native Tongues-Bewegung für die Verbreitung einer politischen und afrozentristischen Agenda im HipHop/Rap und der Gesellschaft im Allgemeinen (vgl. Szillus 2016: 84f., auch Menrath 2001: 55).

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»Längst ist es angesagt, ›anders‹ zu sein«, konstatiert der ehemalige Chefredakteur der HipHop-Zeitschrift Juice (Szillus 2016: 83). Auch Shooting-Star Young Thug sprengt aktuell Geschlechterklischees, tritt der Schwarze Rapper doch öffentlich mit gefärbten Haaren, Piercings und Kleid in Erscheinung und »löst in Auftreten und Ästhetik sowohl Genres als auch traditionelle Geschlechterrollen auf« (ebd.: 88). Für den Musikjournalisten wäre die anything goes-Mentalität, wie sie sich derzeit im HipHop/Rap Bahn zu brechen scheint, ohne das Internet und die Demokratisierung von Vertriebswegen in diesem Umfang nicht möglich gewesen. Eine Feststellung die – wie bereits zuvor bemerkt – auf die Interdependenz von Modernisierungsfaktoren wie Globalisierung, Vergeschlechtlichung, Differenzierung und Medialisierung verweist. »Was vor Jahren noch undenkbar schien, wurde durch das Internet plötzlich Normalität: Nerds und Freaks, Outsider und Marginalisierte bekamen eine wichtige Stimme innerhalb der HipHop-Kultur. Die Kunstform öffnete sich dadurch für andere Erzählstränge und Narrative als das ewig gleiche Ghettolied und die zwanghafte Betonung der eigenen Maskulinität. Lil B löste im Internet eine Welle von Nachahmern aus, die von der Leichtigkeit seiner Musik und der Einfachheit seiner Videos angestachelt wurden. […] Wenn das Internet eine Idee im HipHop verankert hat, dann die der Gleichberechtigung. Frauen dürfen rappen. Mittelstandskinder dürfen rappen, Veganer dürfen rappen, Skater dürfen rappen, Rocker dürfen rappen, vermeintliche ›Softies‹ dürfen rappen. Und sie alle finden ein Publikum, wenn sie ihre Narrative überzeugend genug vermitteln.« (Szillus 2016: 90f.)

Zu einer ähnlichen Feststellung wie Szillus gelangt der Amerikanist Obst (2016: 55–80), für den der kanadische Rapper Drake einen Vorboten inklusiver Männlichkeit im Rap des Internetzeitalters darstellt. Neben Lil B.s Cloud- beziehungsweise Weirdo-Rap ist Drake ein weiteres Beispiel für Transformationsprozesse von (Rap-)Männlichkeit in der US-amerikanischen Szene. In Anlehnung an Andersons (2009) inklusive Männlichkeitstheorie bilde Drake für Obst eine Art Gegenstück zu ›orthodoxen‹ HipHopMännlichkeiten wie 50Cent, denn »[d]ie hybride, emotional geprägte und sich stellenweise Schwäche eingestehende Männlichkeit, die Drake verkörpert und als kommerziell erfolgreichster Rapper der Jetztzeit in die Welt trägt, könnte als Archetyp für ein alternatives Männlichkeitsmodell einen gleichgestellten Stellenwert abseits der orthodoxen HipHop Männlichkeit dienen.« (Obst 2016: 75)

Als Ermöglichungsraum dieser inklusiven Männlichkeit führt Obst das Internet an und bezieht sich dabei auf den Soziologen McCormack (2012), für den das World Wide Web eine wichtige Bedeutung bei der Abnahme von Homo-



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phobie in gegenwärtigen Gesellschaften spielt. In Kenntnis zentraler Theorien aus der US-amerikanischen HipHop-Forschung versäumt Obst jedoch nicht Drakes progressive Momente, die sich in unter anderem in einem Bekenntnis zu Emotionen, psychischer Instabilität oder auch der Hinwendung zum feminin konnotierten R&B und Gesang materialisieren,5 mit destruktiven Elementen seiner Männlichkeitskonstruktion ins Verhältnis zu setzen. Dabei bezieht sich Obst auch auf den US-Forscher Brown (2006), der HipHopMännlichkeiten zwischen progressiven und regressiven Elementen diskutiert. Drakes regressive Männlichkeit zeige sich beispielhaft an den mitunter misogynen Weiblichkeitsrepräsentationen seiner Musikvideos, die die Frau im Sinne des male gaze objektifizieren, während Drake sich als hypermaskuliner Gangsta in Szene setze (vgl. Obst 2016: 76). Die ambivalente Rap-Männlichkeitskonstruktion des Drake nimmt Obst schließlich zum Anlass um das strapazierte Authentizitätspostulat des HipHop diesbezüglich kritisch zu befragen. Am Beispiel Drake ließe sich zeigen, wie sehr die Gegensatzpaare des real vs. fake im gegenwärtigen Rap hybridisiert würden (Obst bezieht sich hier auf die Authentizitätsmatrix von McLeod 1999): Der Rapper vereine Narrative der softness mit jenen der hardness, bekenne sich zur OldSchool, repräsentiere jedoch gleichsam den Mainstream usw. Gerade durch die Anerkennung dieser Widersprüche gelänge ihm dabei die Authentifizierung (ebd.: 72). Obst fasst die ambivalente Rap-Männlichkeitskonstruktion des Schwarzen Rappers letztlich mit der complex coolness-Theorie von Jeffries (2011): »Die ›complex coolness‹, die bereits seit den 90er Jahren durch Rapper wie 2Pac ein alternatives Modell zur reduktionistischen ›cool pose‹ liefert, erreicht im kulturellen Kontext des Internetzeitalters gesteigerte Komplexitätsstufen. Virtuelle Kommunikation folgt Regeln, die Individualitätsinszenierung vorantreibt und mitunter hegemoniale Hierarchien in Frage stellt. Dadurch eröffnen sich in der Hip-Hop-Kultur Alternativen zu orthodoxen Männlichkeitskonstrukten, die das Potential progressiver Modelle hervorheben. […] Drakes Männlichkeitsmodell ist von Widersprüchen geprägt, die die Fluidität und den inszenierten Konstrukt-Charakter von Männlichkeit offenbaren. Als populäres Aushängeschild von Hip-Hop im 21. Jahrhundert liefert Drake sowohl innerhalb der Hip-Hop-Kultur als auch im Allgemeinen ein alternatives Männlichkeitsmodell für afroamerikanische Männer, das mit Stereotypen bricht. Für die zeitgenössische Popkultur, in der Hip-Hop eine übergeordnete Rolle spielt – sowie für zeitgenössische Diskurse zu Authentizität, Ethnizität und Maskuli 5 »›Find your love‹ is an extremely vulnerable song. And it’s actually a huge risk. It almost feels like the song should be performed by a woman. I’m just hoping that men really hear the song and they’re honest with themselves. I know a lot of men feel that way.« (Obst 2016: 69)

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nität – ist es wichtig, die regressiven Elemente von Drakes Männlichkeitskonstruktion zwar anzuerkennen, aber auch die progressiven Elemente wertzuschätzen – denn so kann sich Hip-Hop im Internetzeitalter potenziell von hegemonialer Männlichkeit lösen und inklusiver Männlichkeit zuwenden.« (Obst 2016: 77f.)

Drake oder Lil B. sind nicht die einzigen zeitgenössischen Schwarzen Rapper, die sich auf der Folie einer inklusiven oder alternativen Männlichkeit diskutieren ließen. Auch die Texte von Kanye West, Kendrick Lamar, Kid Cudi, Mac Miller oder Earl Sweatshirt kommen jüngst alles andere als hypermaskulin oder gangstahaft daher. Immer häufiger geht es stattdessen um Suizidgedanken, Depressionen und allgemeine emotionale Instabilität. Unter dem Titel ›Raps große Depression‹ widmete das deutsche Szenemagazin Juice dieser Thematik Anfang 2017 mehrere Seiten. Rap-Journalist Kawelke begrüßt die neue Offenheit männlicher US-Rapper und sieht in der Entwicklung eine ›Szene im Wandel‹. »Mit jeder Zeile bricht das Stigma ein Stück mehr. Rapper sind starke, selbstsichere Typen. Und nichts beweist mehr Stärke, als zu seinen Schwächen zu stehen.« (Kawelke 2017: 61) Die Liberalisierung im Hinblick auf Geschlecht und (heterosexuelle) Männlichkeit, ebenso wie die starke Hinwendung zu den digitalen Medien und Netzwerken im Rap, diskutiert die US-amerikanische HipHop-Forschung auch in Wechselwirkung mit Ereignissen innerhalb der politischen Sphäre. Vor allem die Kandidatur des ersten Schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten Barack Obama wird in diesem Zusammenhang genannt, führte sie doch zu einer Repolitisierung der hip-hop generation, die im Zuge der digital democracy die Möglichkeiten des World Wide Web für sich zu entdecken begann: »hip hop now occupies decentralized, virtual communities that stretch far beyond the hyper-local real spaces and places that have been paramount to the culture for so many years«, formulieren Nielson/ Gosa (2015: 15) im HipHop & Obama Reader. Auch die US-amerikanischen HipHop-Forscher bringen die Digitalisierung mit einer Heterogenisierung und Ausdifferenzierung des Musikgenres und seiner Semantiken in Verbindung, eine Entwicklung, die das Spiel mit alternativen Geschlechtsmodellen begünstige.6 Vielen Schwarzen Rap-Fans und Künstler_innen galt Barack 6 Als Beispiel für progressive, sozialpolitische und teils radikale Diskurse führen Nielson/ Gosa den selbsternannten »Pan Africanist Gangster Rapper, Civic Leader & Activist« Killer Mike an, der es auch ohne Majordeal geschafft habe, seine ungleichheits- und szenekritischen Inhalte einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Sein Album Run the Jewels 2 wurde zum »most critically acclaimed rap album of 2014« ernannt. (Nielson/ Gosa 2015: 17)



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Obama als eine Art Heilsbringer. Seine Bedeutung als Identifikationsfigur der Schwarzen HipHop-Generation materialisierte sich in tausenden Solidaritätsbekundungen im digitalen Raum (zum Beispiel via Twitter). Obama war aber nicht nur aufgrund seiner Blackness und seines juvenilen Habitus beliebt. Seine Figur ist auch männlichkeitstheoretisch interessant. Da er sich einem traditionellen Schwarzen Männlichkeitsbild weitestgehend verweigert, gilt der leidenschaftliche Rap-Fan Obama vielen HipHop-Forscher_innen als progressiv und höchst einflussreich, wenn es um zeitgenössische Repräsentationen Schwarzer (Rap-)Männlichkeiten geht: »President Obama’s performance of black masculinity – thoughtful, adaptable, and even progressive (if we consider the stance on same-sex marriage) has given many male rap artists the covert to explore the nuance of their manhood.« (Tesfamarian 2012, zit. nach Nielson/Gosa 2015: 17) Der dokumentarische Kurzfilm Barack & Curtis: Manhood, Power & Respect (2008) des Schwarzen Filmemachers Bryon Hurt bestätigt diesen Eindruck. Hurt kontrastiert darin die Männlichkeitsmodelle von Barack Obama und dem Rapper 50 Cent. Der Film zeigt anschaulich, wie global zirkulierende hegemoniale Männlichkeitsmodelle unterschiedlicher gesellschaftlicher Machtfelder (in diesem Fall Rap und Politik) koexistieren und lokale Männlichkeitskonstruktionen auf ihre je eigene Art und Weise mitformen. Auf seiner Website erklärt Hurt seinen dokumentarischen Männlichkeitenvergleich wie folgt: »Why would I compare/contrast the masculinity of Barack Obama, an ›upstanding‹ statesman-like presidential candidate, with 50 Cent, a ›lowly‹ gangsta rapper, right? Well, because Barack Obama is THE MAN right now, who is shattering so many myths about black masculinity, and because 50 Cent, who was just named Forbes Magazine’s top-earning rapper, currently embodies gangsta Hip-Hop masculinity like no other. Both are successful Black men. Both are rock stars. Both are admired and feared.«7

Der Rap- und R&B-Künstler Frank Ocean soll neben Lil B., Drake und dem ›außerszenischen‹ Phänomen um Barack Obama als viertes Beispiel für den schleichenden Transformationsprozess von Männlichkeit innerhalb der USamerikanischen Rap-Szene dienen. Dessen offenes Bekenntnis zur Bisexualität im Jahr 2012 – das übrigens ebenfalls in die Amtszeit Barack Obamas fällt  – gilt vielen HipHop-Forscher_innen als »Präzedenzfall« (Obst 2016: 70; auch Nielson/Gosa 2015: 16). Dazu ist vorauszuschicken, dass Frank 7 Hurt, 23.09.2020, http://www.bhurt.com/films/view/barack_and_curtis

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Ocean nicht der erste offen bi- oder homosexuelle Rap-Künstler der USA ist. Mit der sog. Homohop-Szene existiert bereits seit den 2000er Jahren ein Netzwerk im US-amerikanischen HipHop/Rap, dessen Aktivist_innen sich als Teil der LGBT-Community verstehen. Abseits des Mainstreams findet man hier zum Beispiel die selbsternannten ›Homogangster‹ Deadlee oder Johnny Dangerous (»faggot MC«), die die heterosexuellen Images des Gangsta-Rap konterkarieren und durch Bilder schwulen Begehrens ersetzen (vgl. auch Stüttgen 2007: 138f.; Jung/Schmidt 2014: 58f.). Auf die Bedeutung queerer Körper und Identitäten im HipHop/Rap macht auch US HipHopForscher Hill (2012: 385f.) aufmerksam, denn »queer bodies have always been indispensable but typically silent partners in hip-hop’s cultural infrastructure. Within mainstream hip-hop culture, openly gay men and women literally work behind the scenes […].« Der HipHop/Rap-Untergrund sei geradezu voll von avantgardistischen Rap-Gruppen wie dem Deep Dickcollective oder Rainbow Flava. Allerdings blieben offen schwule oder lesbische Akteur_innen im Mainstream bislang praktisch unsichtbar. »No way of seeing« resümieren auch Coleman/Cobb (2007) in ihrer Analyse zum New Yorker Rapper Caushun, der als homo-thug8 zwar als erster offen homosexueller Rapper einen großen Plattenvertrag erhielt, jedoch nie ein Album veröffentlichte.9 Es ist nach diesem kurzen Exkurs also nicht verwunderlich, wenn Nielson/Gosa (2015: 16) den Fall Frank Ocean gar als crack in the foundation des HipHop/Rap bezeichnen. Das Besondere an dem öffentlichen ›Outing‹ des erfolgreichen Künstlers ist ferner, dass Frank Ocean nicht etwa aus dem LGBTQ-Umfeld oder der Homohop-Szene stammt, sondern Teil der 8 Für Hill ist der Ausdruck homo thug problematisch und zudem irreführend, da er einerseits eine humoristisch-ironische Konnotation habe und andererseits impliziere, homo und thug seien konkurrierende unvereinbare Identitäten. In seinem äußeren Erscheinungsbild unterscheidet sich der homo thug tatsächlich wenig von anderen hip-hop generation males, da er sich mit den Insignien des hypermaskulinen Mainstream-hip-hop identifiziere. Der einzige Unterschied bestehe demnach in dessen gleichgeschlechtlichen Begehren. »As such, the homothug often represents a human punch line, a walking contradiction that could be looked to for easy insults and quick laughter.« (Hill 2012: 393) 9 Internetrecherchen ergeben, dass es sich bei der Rap-Persona Caushun angeblich um einen ›Prank‹, das heißt um einen Scherz handelte. Der Songschreiber und Producer Ivan Matias soll demnach für sämtliche Texte des parody artist Caushun verantwortlich sein und – als das Medieninteresse bzgl. der Rap-Persona anstieg – Jason Herndon mit der Übernahme der Rolle beauftragt haben. Last FM, 31.08.2020, https://www.last.fm/music/Caushun/+wiki Wikipedia, 31.08.2020, https://en.wikipedia.org/wiki/Ivan_Matias#Caushun_The_ Gay_Rapper



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sog. Odd-Future-Crew ist. Eine HipHop-Gang, die sich vormals (und immer noch) »durch ihren homophoben Sprachgebrauch in ein regressives Licht rückte« (Obst 2016: 70). Außerdem bemerkenswert waren die vielen positiven Reaktionen auf Oceans Bisexualität. (Gangsta-)Rap-Superstars wie Tyler the Creator, Jay-Z, Action Bronson, Ice Cube oder 50Cent zählten zu den prominenten Unterstützern und bekundeten öffentlich ihre Solidarität. Die Diversifizierung von Rap-Männlichkeit und die allmähliche Öffnung für alternative und queere Geschlechtsidentitäten im HipHop/Rap wird von dem parallel verlaufenden Siegeszug des Pop-Feminismus flankiert, als dessen prominenteste Vertreterin (of Color) derzeit sicherlich die R&BKünstlerin Beyoncé Knowles gelten kann. Auf der US-amerikanischen Großveranstaltung MTV Video Music Awards posierte die millionenschwere Sängerin und Ehefrau von Gangsta-Rap-Superstar Jay-Z im Jahr 2014 vor einer meterhohen Leinwand, die den Begriff ›Feminist‹ projizierte. Bereits ein Jahr zuvor war auf ihrem Song ›Flawless‹ ein gesprochenes Sample der nigerianischen und feministischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie zu hören. Dort heißt es: »We teach girls to shrink themselves, to make themselves smaller. We say to girls: ›You can have ambition, but not too much. You should aim to be successful, but not too successful. Otherwise, you will threaten the man.‹ […] We raise girls to see each other as competitors, not for jobs or for accomplishments, which I think can be a good thing, but for the attention of men. We teach girls that they cannot be sexual beings in the way that boys are. Feminist: a person who believes in the social, political and economic equality of the sexes.«

Der Song ›Flawless‹ hat aktuell über 60 Millionen Aufrufe auf der OnlinePlattform Youtube. Auch auf der Black Power-Hymne ›Formation‹ (2016), die Beyoncé auf dem millionenschweren US-Sport-Massenspektaktel Super Bowl performte, präsentiert sich die R&B-Künstlerin als selbstbewusste Woman of Color und bezieht im Musikvideo unter anderem Stellung gegenüber rassistischer Polizeigewalt. Gleichwohl Beyoncé mit ihrem unerwarteten Bekenntnis zum (Schwarzen) Feminismus stark polarisierte10 und die Vereinnahmung und Verwässerung des Feminismus durch den Neoli 10 Das Bekenntnis führte zu weitreichenden, insbesondere netzfeministisch geprägten Diskussionen. Auf ihrer Website veröffentlichte hooks ein Statement, in dem sie ihre erste Reaktion auf das Album als »WOW—this is the business of capitalist money making at its best« einführt. Die feministische Kultur- und Literaturkritikerin wirft der Künstlerin unter anderem die Ausbeutung und Kommodifizierung Schwarzer weiblicher Körper vor (»It’s all about the body, and the body as commodity«), deren visuelle

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beralismus im Bereich der Geschlechterforschung kritisch diskutiert wird (vgl. McRobbie 2010), tragen hiphop-assoziierte Identifikationsfiguren wie Beyoncé maßgeblich zur Geschlechterreflexivität der insgesamt eher konservativen HipHop/Rap-Szene bei. Neben Beyoncé gibt es außerdem zahlreiche weitere erfolgreiche weibliche oder queere US-Künstlerinnen, die sich innerhalb der letzten Jahre eine diskursmächtige Position im US-amerikanischen Rap-Mainstream erarbeitet haben. Mit einem Einkommen von 16 Millionen Dollar gehört Rapperin Nicki Minaj laut Forbes Magazine zu den bestbezahltesten HipHop-Künstler_innen des Jahres 2017. Dabei fügt sich die Rapperin keineswegs bruchlos in traditionelle Weiblichkeitsmodelle ein. »[A]ls männerfressendes Monster mit Comic-Schminke und Po-Implantaten« (Szillus 2016: 88) verqueert Nicki Minaj die heterosexuellen Gendernormen des Rap zum Beispiel mit ihrem männlich-homosexuellen Alias Roman Zolanski. Auch Azealia Banks, Cardi B oder Rapperinnen, die sich abseits der heterosexuellen Norm definieren, wie Angel Haze, Rico Nasty oder Princess Nokia sind nicht mehr aus dem US-amerikanischen Rap wegzudenken. Mit dem Song ›OOOUUU‹ sprengt derzeit außerdem die lesbische New Yorker Rapperin Young M.A. sämtliche Rekorde.11 Der Song verzeichnet aktuell über 288 Millionen Klicks auf der Online Plattform Youtube [Stand Januar 2019]. Im Outro des Songs heißt es selbstbewusst: »These haters on my body, shake ’em off. I could never lose, what you thought?«.

Repräsentation keineswegs mit sexistischen Konstruktionen Schwarzer weiblicher Identität brächen. hooks, 31.08.2020, http://www.bellhooksinstitute.com/blog/2016/5/9/moving-beyondpain hooks Beitrag führte dabei abermals zu Diskussionen, die sich v. a. an der Schnittstelle zwischen second und third wave-feministischen Perspektiven bewegen. Einige Gegenpositionen werden etwa auf feministing.com zusammengestellt. Adelman, 31.08.2020, http://feministing.com/2016/05/11/a-feminist-roundtable-onbell-hooks-beyonce-and-moving-beyond-pain/ 11 Die Weiblichkeitskategorie ›lesbian‹ tauchte nach Keyes (2012: 407) bereits gegen Ende der 1990er Jahre im HipHop/Rap auf. Als eine der ersten, die einen ›lesbian lifestyle from a Black woman’s perspective‹ äußerte, zählt die Rapperin Queen Pen, die sich mit ihrem Song ›Girlfriend‹ (1997) explizit zur Thematik positionierte.



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9.3 Die deutschsprachige Rap-Szene im Wandel? Ethnografische Beobachtungen Dass sich auch in der deutschsprachigen Rap-Szene gewisse Diskurs- und Mentalitätsverschiebungen im Hinblick auf Männlichkeit und tradierte Geschlechterordnungen nachzeichnen lassen, soll nachfolgend am Beispiel einiger ethnografischer Beobachtungen dargelegt werden. Dabei zeigt sich, dass verschiedene parallel verlaufende Modernisierungsprozesse und Trends wie Digitalisierung oder Kommerzialisierung ineinandergreifen und welche Bedeutung Kategorien wie Alter oder auch Genre in diesem komplexen Zusammenspiel zukommt. Auch die ambivaloxe Dialektik der Modernisierung von Männlichkeit lässt sich am Beispiel der deutschsprachigen Rap-Szene rekonstruieren, zeitigen viele positive diskursive Ereignisse auf dem Feld doch auch gegenteilige Entwicklungen. 9.3.1 Let’s talk about … gender – Der (neue) Geschlechterdiskurs im Rap »In den Diskussionen innerhalb der Rapszene spielt ›gender‹ eine relativ untergeordnete Rolle. Außer der Kritik, die einige weibliche Rapperinnen an der Repräsentation von schwarzen Frauen artikulieren, wird das Thema ›Geschlechteridentität‹ kaum behandelt«, schreibt Grimm (1998: 124) vor mittlerweile über 20 Jahren in ihrer Studie über Die Repräsentation von Männlichkeit im Punk und Rap. Auch in Deutschland sind es anfangs vor allem weibliche Rapperinnen und Aktivistinnen, die sich zu einer Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschlechtsidentität und/oder mit Weiblichkeitsrepräsentationen innerhalb der männlich dominierten Szene genötigt fühlten, die Veranstaltungen organisieren oder Bündnisse bilden. Diskursfragmente dieses Rap-Geschlechterdiskurses bilden Songs wie ›Und der MC ist weiblich‹ (1997) von Cora E., ›Hier kommt die Schwester‹ (1995) von Schwester S., ›Doppel-X-Chromosom‹ (2001) von Nina MC oder ›Status Quo‹ (2001) von Fiva MC (vgl. Baier 2006) ebenso wie Netzwerktreffen wie das We B*Girlz Festival (2008) oder Sammelbände wie female hiphop von Schischmanjan/Wünsch (2007). Aufgrund der randständigen Position von Frauen im Rap fand die kritische Auseinandersetzung mit Sexismus, Homophobie oder toxischen Männlichkeitskulten lange Zeit ›on the margins‹, das heißt nicht im Mainstream der Szene statt. Auch langjährige Aktivistinnen wie Lady Bitch Ray oder Sookee vermochten diesen Zustand trotz zahlloser Teil-

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nahmen an Podien, dutzender kritischer Raptexte und öffentlichkeitswirksamer TV-Aufritte nicht zu ändern.12 Zu progressiv und hypersexualisiert die eine, zu differenziert und soziologisch überfrachtet die andere – so die grob überschlagene (männliche) Szenemeinung. Über 20 Jahre nach Grimms Studie spielen Genderthemen in der gegenwärtigen Rap-Szene jedoch keine untergeordnete Rolle mehr, sondern haben sich sukzessive von der Peripherie ins Zentrum des Szenediskurses verlagert. Flankiert von mehrerlei parallel verlaufenden Entwicklungen, allen voran der Digitalisierung und einer gesamtgesellschaftlichen Diskursverschiebung bezüglich Gender-Themen (als Beispiele sei die Diskussion über Genderschreibweisen oder den Gender Pay Gap, die rechtliche Gleichstellung der Homo-Ehe oder auch die #MeTooDebatte genannt), beginnt sich auch im Mainstream-Rap-Diskurs eine gewisse Sensibilisierung gegenüber vormals meist weiblichen Personen vorbehaltenen Themen wie Sexismus einzustellen. Besonders anschaulich lässt sich diese begrüßenswerte Mentalitätenverschiebung am Beispiel der HipHopMillenials ablesen, das heißt jener ›jungen‹ HipHop-Generation, die mit Rapmusik im Internetzeitalter sozialisiert ist (man bedenke an dieser Stelle, dass viele Rap-Hörer_innen von heute noch nie einen männlichen Bundeskanzler erlebt haben und rappende Frauen für alles andere als befremdlich halten). Längst nämlich monieren Nachwuchs-Rapper wie Juicy Gay, Edgar Wasser oder MC Smook den Sexismus oder die Hypermaskulinität ihrer Geschlechtsgenossen aus dem Gangsta-Rap-Spektrum (›Bad Boy‹ von Edgar Wasser, 2014), amüsieren sich L Goony oder 3Plusss über den Wertekonservatismus der Szene (›Ich habe HipHop nicht verstanden‹ von 3Plusss, 2014) oder thematisieren junge Nachwuchsjournalisten wie Jan Kawelke männliche Depressionen und Selbstzweifel im Rap (vgl. den Artikel Raps große Depression im dt. HipHop-Magazin Juice Anfang 2017).13 Debatten über Sexismus im Rap finden heutzutage ferner nicht mehr (nur) im Rahmen unterfinanzierter Veranstaltungen in linken Szenecafés, sondern im Kontext größerer Events (zum Beispiel Reeperbahnfestival) oder innerhalb sozialer Medien (zum Beispiel auf Twitter) und vielgehörter Podcasts statt (zum Beispiel in ›Deine Homegirls‹ von Josi Miller und Helen Fares oder ›Schacht 12 Man erinnere den ›Skandal-Auftritt‹ von Lady Bitch Ray bei dem Fernsehformat Schmidt & Pocher im Jahr 2008, bei dem die ›Porno-Rapperin‹ einem sichtlich überforderten Oliver Pocher eine Dose ›Fotzensekret‹ überreichte. 13 Für die Reportage Raps große Depression – My own worst enemy erhielt Autor Jan Kawelke im Jahr 2017 eine Auszeichnung für die ›beste musikjournalistische Arbeit U30‹ beim International Music Journalism Award.



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und Wasabi‹ von Falk Schacht und Jule Wasabi, v. a. Folge 53). Ein weiteres Beispiel für den neuen Geschlechterdiskurs im gegenwärtigen Rap ist der Umgang mit der Kategorie des sog. ›Frauen-Rap‹. Über 20 Jahre von männlichen Rappern und Rap-Journalisten gleichermaßen ausdauernd als solches (re)produziert,14 wird das abwertend gemeinte Label von einer neuen Generation kritisch zurückgewiesen, so zum Beispiel von rap.de-Journalist Alexander Barbian. Bei einem Jahresrückblick des Szenemediums Ende 2017 äußert dieser sein Unverständnis gegenüber einer Klassifizierung von Rapschaffenden nach Geschlechtsklassen. Ein Erfolgsalbum wie Leben am Limit des weiblichen Rap-Duos SXTN werde heute völlig unabhängig von deren Geschlechtsidentität bewertet: »die hebeln das halt derbe aus so«, kommentiert Barbian diese »positive Entwicklung«.15 Auch HipHop Millenial und Juice-Autor Fionn Birr findet, dass Rapperin Haiyti mit ihrem Mixtape City Tarif »endgültig mit dem schwachsinnigen Subgenre ›Frauenrap‹ aufräumt!«, während Vice-Redakteur Tristan Heming seinen Artikel über die Hamburger Rapperin mit den Worten beginnt: »Haiyti ist vermutlich die beste und innovativste deutsche Rapperin zurzeit und das mit einer großen Selbstverständlichkeit. Nirgends muss irgendwie extra betont werden, dass sie eine Frau ist oder dass selbiges im Rapkontext ansatzweise ungewöhnlich sei. Haiyti ist einfach Rapperin.«16 Auch Haiytis männliche Rap-Kollegen geben sich ob des Geschlechts ihrer Kollegin unbeeindruckt. »Bei Haiytis Musik spielen Geschlechter wirklich keine Rolle« meint Producer AsadJohn. Und Juicy Gay kommentiert: »Wenn ich das höre, denke ich mir auch nicht, ›Boah, ich höre jetzt eine weibliche Rapperin‹, sondern ich höre einfach Rap«.17 Die Art und Weise wie vor allem junge männliche Rapper und RapJournalisten hier auf eine (rhetorische) Gleichheit der Geschlechter abzielen, verweist auch auf die Bedeutung von Alter und Generation im Hinblick auf Transformationsprozesse von Geschlecht und Männlichkeit. Dass der HipHop-Generationenkonflikt ein vergeschlechtlichter ist, geht auch aus Szillus’ (2016) Ausführungen zum kreativen und non-konformen ›Weirdo-Rap‹ hervor. 14 vgl. eine Zeile von Dynamite Deluxe aus dem Jahr 2000 in der es heißt: »Und obwohl da’n paar Typen rappen, hört sich’s an wie Frauenrap« (vgl. Verlan/Loh 2015: 485ff.) 15 rap.de, 25.09.2020, https://www.youtube.com/watch?v=6tBHEVdlCEk 16 Birr, 25.09.2020, https://Juice.de/haiyti-city-tarif-review/ Heming, 31.08.2020, https://noisey.vice.com/de/article/65pken/wenn-die-mdels-nichtaus-dem-arsch-kommen-haiyti-interview-462 17 splashmag, 27.10.2018, http://splash-mag.de/asadjohn-interview/ [der Link ist inzwischen offline]

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»Während HipHop-Traditionalisten auch in Deutschland die Bewahrung eines Formats und seiner gelernten Geschichten einfordern, drängen seit Jahren neue Figuren in die Szene, die neue Geschichten mitbringen und HipHop primär als freie Kunst begreifen, in der zunächst einmal alles erlaubt ist. [….] Die meisten von ihnen lieben es, wenn sie von traditionalistisch veranlagten HipHop-Fans abgelehnt werden«,

schreibt der Rap-Journalist und konstatiert wenig später, dass »das ewig gleiche Ghettolied und die zwanghafte Betonung der eigenen Maskulinität« heutzutage einfach nicht mehr angesagt seien (ebd.: 89f.). Der Soziologe Meuser (1998: 291) macht kollektive Orientierungen von Männern in seiner Studie auch daran fest, in welchem Maße deren Sozialisationsgeschichte mit der Frauenfreiheitsbewegung verknüpft ist oder nicht. Hält man sich vor Augen, dass die gegenwärtige Generation der HipHop-Millenials mit einer weiblichen Bundeskanzlerin und in Zeiten des Pop- und Netzfeminismus à la Beyoncé und #MeToo sozialisiert ist, so lassen sich Meusers Überlegungen durchaus auf unseren Zusammenhang übertragen, denn vor allem jüngere Szenegänger_innen scheinen »eine Konstellation als selbstverständlich [zu] erleben, welche die Älteren als eine dramatische Veränderung tradierter Verhältnisse thematisieren. Folglich brauchen die Jungen nicht zu normalisieren; die ökonomische und arbeitsteilige Egalität von Mann und Frau ist ihnen das Normale« (ebd.: 292).18 Auch die Aussagen der queeren Rapperin und Szenekritikerin Sookee bestätigen den Eindruck einer sukzessiven Normalisierung bezüglich der Existenzweise von Frauen im Rap und einer Liberalisierung gegenüber non-binären Genderidentitäten. Im Zuge der Veröffentlichung ihres vierten Studioalbums macht Sookee nach fast 15 Jahren aktiven Rapschaffens Anfang 2017 eine verblüffende Feststellung: »In über 40 Interviews in linkspolitisch-feministischen, in HipHop-Kontexten sowie dem Feuilleton wurde ich überrascht: Die ›Wie-es-denn-so-ist‹ [als Frau im Rap, Anm. d. Verf.] -Frage kam nicht. Stattdessen ging es um Produktionsprozesse des Albums, thematische Bezüge zu Gegenwartspolitiken […] oder vereinzelt auch um meine Einschätzung zu möglichen Liberalisierungstendenzen im HipHop, was Heterosexismus anbelangt oder so. Nun ist ungeklärt für mich: Wird nicht mehr gefragt, weil die Frage so unhip ist oder Machtverhältnisse uninteressant geworden 18 Anders als bei Meuser wird die Generation der HipHop-Millennials hier allerdings nicht milieuspezifisch differenziert. Zur Erinnerung: ›Normalisieren‹ bezieht sich hier auf den aus der Ethnomethodologie entlehnten Begriff der ›Normalisierung‹ und bezeichnet kurz gesagt die Art und Weise »wie Handelnde auf Störungen der ›normalen‹ Ordnung reagieren.« Eine Normalisierungsstrategie verhindert, »daß ungewöhnliche Ereignisse die Routinen eines eingespielten Interaktionsgefüges zerstören.« (Meuser 1998: 192)



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sind oder tatsächlich Frauen als Musiker*innen akzeptiert werden? Sind wir, wenn es um Frauen geht, bei der Anerkennung von Skills angekommen? Trotz aller Hassliebe für strukturelle Kämpfe habe ich es unheimlich genossen nach über zehn Jahren zum ersten Mal vor allem über mein Release, über meine Musik sprechen zu dürfen. Gleichzeitig fanden auf journalistischer Seite Begriffe wie ›queer‹, ›feministisch‹ und ›links‹ ohne Ausspracheschwierigkeiten Verwendung. Selbst in bürgerlicheren Medien. Auch dass bei mir und auf der neuen Platte, ›Links‹, ›antifaschistisch‹ und ›feministisch‹ kein EntwederOder ist, wurde anerkannt, meistens. Nicht ob, sondern wie man als Mann feministisch sein könne, auch das sollte ich erklären. Oder man wollte ein Szenario von mir gegen den Rechtsruck. Welche musikalischen Empfehlungen ich aussprechen würde. Was mich beim Schreiben inspiriere. Kurzum: Ich wurde nach meiner Arbeit gefragt und was mir zur politischen Fragen einfällt. Das sollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht. Aber vielleicht sind wir wirklich einen Schritt weitergekommen. Vielleicht ist Veränderung im Gange.«19

Kurze Zeit später sitzt die für ihre soziologievorlesungsähnlichen Raptexte vielgescholtene Sookee beim Mainstream-Rap-Format TV Strassensound und plaudert mit Gangsta-Rap-Legende MC Bogy über Feminismus als wäre es das Normalste der Welt. 9.3.2 Der Aufstieg von Frauen in die ›Szene-Elite‹ Die Soziolog_innen Meuser/Scholz (2011) sind der Ansicht, dass sich derzeit ein Strukturwandel hegemonialer Männlichkeit auf drei Ebenen nachzeichnen lässt. Eine dieser Ebenen betrifft die sukzessive Auflösung vormals männlich dominierter und strukturierter Felder, denn »in gewissen sozialen Feldern [findet] eine Öffnung hegemonialer Männlichkeit statt: Frauen und homosexuelle Männer, bei Connell per se untergeordnet, erlangen Zutritt zu den sozialen Eliten und prägen damit auch die Konstruktion hegemonialer Männlichkeit« (ebd.: 64). Eine derartige Öffnung lässt sich auch auf dem sozialen Feld der deutschsprachigen Rap-Szene beobachten, das sich innerhalb der letzten Jahre deutlich inklusiver gegenüber alternativen Männlichkeiten, weiblichen und queeren Sprecher_innen zeigt. Während das Subjekt Frau lange Zeit als marginalisierte Subjektposition galt und die Geschichte des deutschsprachigen Rap nur sehr vereinzelt Frauen hervorbrachte, deren

19 Sookee, 31.08.2020, http://www.gwi-boell.de/de/2017/04/13/hey-mir-wird-kompetenzzugestanden-was-ist-passiert

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Leistung symbolisch20 und/oder kommerziell21 honoriert wurde, zeichnet sich die gegenwärtige Szene durch eine nie da gewesene Sichtbarkeit und Anerkennung unterschiedlicher Entwürfe von Weiblichkeit aus. Analog zu ihren männlichen Kollegen agieren Frauen heute innerhalb sämtlicher Sub- und Nischengenres des Rap, mäandern zwischen Untergrund und Mainstream, besetzen immer häufiger diskursmächtige Positionen im Bereich des SzeneJournalismus und agieren erfolgreich als Producerinnen und DJanes. Auch innerhalb besonders männlich konnotierter Subgenres wie dem Gangsta-Rap oder auch dem auf Wettkampf basierenden Battle-Rap, konnten sich Frauen in der deutschsprachigen Rap-Szene mittlerweile als ernstzunehmende Kontrahentinnen innerhalb der ›ernsten Spiele‹ etablieren. Mit der Gangsta-Rapperin und ehemaligen Prostituierten Schwesta Ewa beispielsweise gelangten seit dem Jahr 2012 erstmalig Perspektiven einer weiblichen Sexarbeiterin in den Rap-Diskurs. Ein Novum, das bei den bis dato ausschließlich männlichen Gangsta-Rap-Sprechern für habituelle Verunsicherung sorgt (vgl. Goßmann/Seeliger 2015). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann Schwesta Ewa mit Recht als diskursmächtige Akteurin innerhalb der deutschsprachigen Szene gelten. Beide Alben der Frankfurterin platzierten sich in den Top 15 der Albumcharts (Kurwa 2015, Aywa 2018), während sowohl die Musikvideos als auch die Interviews der Rapperin millionenfach auf Youtube geklickt werden. Mit dem Rap-Duo SXTN etablierten sich kurze Zeit später zwei weitere Frauen of Color innerhalb der männlich dominierten Rap-Spektren des Gangstabeziehungsweise Straßen-Rap. Die EP Asozialisierungsprogramm,22 die unter anderem Hits wie ›Fotzen im Club‹ enthielt, sorgte 2016 in Szene wie Feuilleton gleichermaßen für Aufsehen, während das Debütalbum der Berlinerinnen Leben am Limit im Jahr 2017 auf Platz 8 der deutschen Albumcharts einstieg. Die Musikvideos von SXTN, wie zum Beispiel ›Von Party zu Party‹ erreichen gegenwärtig über 26 Millionen Aufrufe bei Youtube [Stand Ende 20 Als einzige Frau etwa wird die Rapperin Cora E. zu den Pionier_innen des deutschsprachigen HipHop/Rap gerechnet. 21 Zu den kommerziell erfolgreichsten weiblichen Rapperinnen gehören bis heute Sabrina Setlur und die Rap-Gruppe Tic Tac Toe. Aufgrund ihrer poppigen Ausrichtung wurden letztere jedoch nicht als zugehörig zur HipHop/Rap-Szene diskursiviert. An die Spitze der Single-Charts schaffte es im Jahr 2015 als dritte deutschsprachige Frau im Bereich HipHop/Rap außerdem Namika mit dem Song ›Lieblingsmensch‹, der jedoch mehr im Bereich Pop und R&B anzusiedeln ist. 22 EP ist eine Abkürzung für Extended Play und bezeichnet eine Veröffentlichung, die sich zwischen einer Single und einem Album eingruppieren lässt. EPs verfügen demnach meist nur über einige wenige Titel.



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2018], während sämtliche Konzerte ihrer Kann-sein-dass-Scheiße-wird-Tour im Jahr 2017 bereits Monate im Voraus ausverkauft waren. Neben anderen erfolgreichen männlichen Rappern wie Raf Camora oder Cro, gehörte SXTN zu den Nominierten in der Kategorie ›Bester Hip-Hop Act 2017‹ bei der Verleihung der sog. 1Live Krone, einem beliebten Radiopreis. Bereits vor ihrer Trennung Ende 2018 traten die Bandmitglieder Juju und Nura auch einzeln als Rapperinnen in Erscheinung, etwa als Feature-Gäste bekannter männlicher Kollegen wie Taktlo$$ oder Capital Bra. Als ›Beste Künstlerin‹ wurde Rapperin Nura 2018 schließlich erneut von den Radio-Hörer_innen für die 1Live Krone nominiert und setzte sich erfolgreich gegenüber ihren Kontrahentinnen aus Rock, Pop und Soul durch. Wenngleich SXTNs Œuvre aus einer feministischen Perspektive zuweilen polarisiert, insofern die Rapperinnen neben der Rückeroberung des Pejorativums Fotze ebenso Versatzstücke einer unterdrückerischen Männlichkeit affirmieren (vgl. zum Beispiel Godlewsky 2017: 57f.; Psutka/Grassel 2018), so trägt der enorme Erfolg des Duos insgesamt zu einer erhöhten Sichtbarkeit weiblicher Subjektpositionen (of Color) auf dem Feld der Rap-Szene bei. Haiyti  – eine Rapperin, die ab etwa 2015/2016 in Erscheinung trat  – kann als drittes Beispiel für den sukzessiven Zutritt von Frauen in die ›Szene-Elite‹ des Rap herausgegriffen werden. Die zunächst unter verschiedenen Aliassen (zum Beispiel Ovadoze und Robbery) auftretende Hamburgerin löste mit dem Youtube-Video zum Track ›Szeneviertel‹ und dem darauffolgenden, kostenlos über das Internet bereitgestellten Mixtape City Tarif bereits im Jahr 2016 einen ersten Hype in der Szene aus. Haiyti beeindruckte vor allem durch ihren eigenwilligen, originellen Rap-Stil und Sound, der unter anderem vom US-amerikanischen Südstaaten- und Trap-Rap beeinflusst ist. Mit ihrer krächzenden Stimme, »schizophrenen Pöbel-Adlibs« (Birr 2016) und dem exorbitanten Einsatz der Autotune-Technik galt sie schnell als Deutschlands ›Trap-Queen‹ und wurde umgehend auch vom deutschen Feuilleton zur neuen ›Pop-Revolution‹ stilisiert. Gleichwohl die Rapperin schnell unter das Nischengenre ›Cloud-Rap‹ subsumiert wurde – eine Labelung, die auch durch Kollaborationen mit Rappern wie Moneyboy zustande kam – ist der Hamburgerin mit Rap-Genre-Kategorien nur schwer beizukommen, vermengt Haiyti doch stilistisch »die Energie des Punks, die Coolness der Neuen Deutschen Welle, [und] die Melancholie des Chansons, so wie ihn die Knef gesungen hat« (Haas 2016).23 Mit ihren Kiezgeschichten zwischen 23 Haas, 31.08.2020, https://www.zeit.de/2016/40/haiyti-saengerin-rap-punk-lyrik

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Eckkneipe, Nightliner, Graffiti-Yards24 und Koksgeschäften bedient der selbsternannte ›Girl Boss Gangster‹ darüber hinaus sämtliche Narrative des Gangsta-Subgenres. Als ›Deutschraps Zukunft‹ zierte Haiyti Anfang 2017 zusammen mit anderen Rap-Newcomern (darunter die gegenwärtig sehr erfolgreichen Rapper Ufo 361 oder Rin) das Titelblatt der HipHop-Zeitschrift Juice #178, bevor sie ein Jahr später als erste deutschsprachige Frau auf das prestigeträchtige Cover der Szene-Zeitschrift gehoben wurde.25 Nach einigen Mixtapes, EPs und Singles, die meist als Download über das Internet verfügbar waren, erreichte die Rapperin – inzwischen bei dem Majorlabel Universal unter Vertrag – mit ihrem zweiten Album Montenegro Zero (2018) erstmals die deutschen Albumcharts (Platz 25). In den Jahresabschluss-Charts, den sog. ›Redaktions-Charts‹ der Zeitschrift Juice, belegte Montenegro Zero Anfang 2019 Platz 1 (›Album des Jahres‹ national) und verwies die Alben erfolgreicher männlicher Kollegen von Marteria und Casper, UFO 361 oder Haze auf die hinteren Plätze. Für das Album erhielt Haiyti außerdem den Echo in der Kategorie ›Kritikerpreis national‹. Schwesta Ewa, SXTN und Haiyti gehören zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicherlich zu den diskursmächtigsten Rapperinnen Deutschlands und konnten sich mit ihrem jeweiligen Werk im popkulturellen Mainstream etablieren. Dennoch sollen die drei Beispiele nicht über die symbolische Bedeutung und den kommerziellen Erfolg anderer weiblicher Rapperinnen hinwegtäuschen. Lumaraa, ÉSMaticx, Antifuchs oder Pilz überzeugen bereits seit einigen Jahren auf unterschiedlichen Plattformen im Bereich Battle-Rap, während Sängerinnen wie Mine, Lary oder Namika mit Pop, Soul- und R&B-Balladen teilweise hohe Chartplatzierungen erringen. Thematisiert Schwesta Ewa Weiblichkeitspositionen um Sexarbeit am Nexus von Körper, Geschlecht, Ethnizität und Klasse, so bekennt sich ÉSMaticx dezidiert zu ihrer Homosexualität, während sich Leila Akinyi, Eunique, Nura (SXTN) oder Ace-Tee auf unterschiedliche Weise mit afrodeutscher Identität auseinandersetzen und damit auch Schwarze Weiblichkeiten im Bereich der Rap-Sze 24 Im Graffiti-Jargon wird das Gelände, auf dem sich Personen- und Güterzüge befinden auch yard (engl. Hof, Lagerplatz) genannt. 25 Haiyti ist allerdings erst die dritte Frau überhaupt, die es in der immerhin 20-jährigen Geschichte der Zeitschrift auf das Cover schaffte, eine Tatsache, die durchaus Kritik hervorrief. Ein_e Autor_in des online-Magazins laut.de hält dieses Novum für eine »Mitteilung, angesichts derer ich wirklich nicht weiß, ob ich lachen, weinen oder Amok laufen soll« und resümiert kritisch: »Rap, du bist eine Würstchenparty. Immer noch.« Laut.de, 31.08.2020, https://www.laut.de/News/Doubletime-Das-Ende-der-Pimmelparade-14-12-2017-14243/Seite-22



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ne insgesamt sichtbarer machen. Gegen rassistische Polizeigewalt, antimuslimischen Sexismus und ein neues Selbstbewusstsein migrantisch gelesener People of Color setzt sich außerdem die Wiener Rapperin Ebow ein. »Wiens neue Sissi, Berlins neue Dietrich, Nazis wollen Beef, kriegen Beef mit den Habibtis. […] Schmeck mein Blut, Junge, schmeck mein Blut« heißt es auf ›Schmeck mein Blut‹ (2018). Dank Online-Plattformen und StreamingDiensten landete Mitte 2018 außerdem die im Rap bis dahin gänzlich unbekannte Schweizer Influencerin Loredana einen Hit: ›Sonnenbrille‹ wurde bis dato 60 Millionen Mal auf der Online-Plattform Youtube aufgerufen [Stand 31.08.2020]. Mit hoe_mies starteten die Berlinerinnen Gizem Adiyaman und Lucia Luciano im Jahr 2017 eine queer-feministische HipHop-Partyreihe, die marginalisierten Subjektpositionen und LGBTQ-Personen innerhalb der Szene zu mehr Sichtbarkeit verhelfen soll. Neben anderen weiblichen Acts gehörte das Kollektiv im Jahr 2018 bereits zum Line-Up des Splash-Festivals, einem der größten HipHop-Festivals Europas. Die HipHop-Aktivistin und Promoterin Lina Burghausen setzt sich mit ihrem Projekt 365 Female MCs ebenfalls für mehr Sichtbarkeit weiblicher und queerer Rapperinnen ein. Ihr Blog-Projekt präsentiert für jeden Tag des Jahres eine weibliche beziehungsweise queere Rapperin samt Musikbeispiel und Steckbrief. Die Rap-Journalisten Falk Schacht und Niko vom Szene-Magazin Backspin zählen das Projekt zu den wichtigsten Ereignissen des Jahres 2018, was einmal mehr auf die erhöhte Geschlechtersensibilität männlicher Rap-Akteure verweist. Frauen sind aber nicht nur als Rapperinnen, Promoterinnen oder Veranstalterinnen innerhalb der Rap-Szene präsenter geworden. Auch im Producing und DJing haben sich die Repräsentationsverhältnisse innerhalb der letzten Jahre verändert. Mit Nicole Schettler ist immerhin ein Drittel des erfolgreichen Produzent_innenkollektivs Kitschkrieg weiblich besetzt und dass ein erfolgreicher, rap-assoziierter Künstler wie Trettmann mit der Leipzigerin Josi Miller einen weiblichen Tour-DJ engagiert, wäre vor einigen Jahren wohl auch kaum denkbar gewesen. Eine weitere Sphäre innerhalb der Frauen im Rap immer mehr an Einfluss gewinnen, ist sicherlich jene des Journalismus. Vor allem die Radio- und Rap-Moderatorin Visa Vie hat in diesem Bereich mit ihren Video-Interviews beim Szenemedium 16bars.de »innerhalb der Szene-Berichterstattung Maßstäbe gesetzt«, so Nachwuchs-Rap-Journalist Barbian 2018.26 Längere Zeit 26 Barbian, 31.08.2020, https://rap.de/rap-de-tv/138230-visa-vie-amsterdam-mit-raf-camora-ny-mit-savas-praktikum-bei-staiger-real-rap-stories/

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war die ehemalige Rapperin Visa Vie die einzige sichtbare weibliche Akteurin im stark männlich dominierten Rap-Journalismus. Seit ihrem ersten Interview im Jahr 2010 hat sich jedoch auch innerhalb der journalistischen Sphäre ein Wandel vollzogen. Salwa Houmsi, Helen Fares, Jule Wasabi, Vero Gottschling, Ana Ryue, Miriam Davoudvandi, Lisa Ludwig oder Saskia Meister sind (Chef-)Redakteurinnen, Moderatorinnen, Podcasterinnen, Interviewerinnen und teilweise auch DJanes und arbeiten für zentrale Szenemedien wie das splash-mag.de, 16bars.de, rap.de oder hiphop.de. Die neue Heterogenität im Rap-Journalismus mündet nicht nur in eine insgesamt ausgewogenere Berichterstattung. Auch wichtige Themen wie etwa Sexismus oder Erfahrungen mit sexueller Belästigung im Bereich Deutschrap oder der Musikindustrie generell werden so immer öfter relevant gesetzt, rap-weibliche Existenzweisen dadurch auch im Mainstream der Rap-Szene stärker abgebildet. 9.3.3 Zur Diskursivierung von Männlichkeit im deutschsprachigen Rap Es gilt als zentrales Kennzeichen von Männlichkeit, dass diese in ihrer Geschlechtlichkeit unmarkiert bleibt. Die Invisibilisierung des Geschlechtlichen ist die entscheidende Strategie des doing masculinity und bestimmt den männlichen Habitus, wie Meuser (1998: 117) mit Simmel erklärt. Als fraglos Gegebenes lässt sich über die eigene Männlichkeit nur schwer ins Gespräch kommen, vor allem dann nicht, wenn man(n) einem traditionellen Geschlechterverständnis anhängt. So kommt es, dass wir es mit der deutschsprachigen Rap-Szene zwar mit einer historisch gewachsenen »Form der homosozialen Männergemeinschaft« zu tun haben (Goßmann 2012: 85; auch Goßmann/Seeliger 2015: 294), einen reflexiven Diskurs über Männlichkeit oder das Mann-Sein finden wir hier jedoch gerade deswegen eher nicht. Oder etwa doch? Die Diskursivierung von Männlichkeit zeugt davon, »dass die gesellschaftliche Position des Mannes den Status einer fraglosen Gegebenheit zu verlieren beginnt«, formuliert Meuser (2001b: 219). Sie verweist auf einen Umbruch und einen Strukturwandel hegemonialer Männlichkeit (vgl. Meuser/Scholz 2011: 64). Wenn auch die gegenwärtige Rap-Männlichkeit in der Krise ist, wie im Rahmen dieser Arbeit behauptet wird, dann müsste sich eine Diskursivierung und Reflexivwerdung von Männlichkeit auch im Diskursuniversum Rap abbilden. Woran aber lässt sich dies festmachen? Die reflexive Verhandlung männlicher Geschlechtsidentität kann selbstverständlich vielerlei Formen annehmen. Über das Scheitern im Berufskontext



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beispielsweise lässt sich auf dutzende Arten und Weisen rappen ohne den Begriff ›Scheitern‹ oder gar ›Männlichkeit‹ auch nur einmal zu erwähnen. Gleiches gilt für sämtliche weitere Männlichkeitsdimensionen wie Männergesundheit, -sexualität oder Vaterschaft. Gleichzeitig muss ein Raptext, der Begriffe wie ›ficken‹ oder ›Penis‹ enthält, längst keine reflexive Verhandlung mit männlicher Sexualität bedeuten, sondern wird aller Wahrscheinlichkeit nach der klassischen Textlogik des maximalen Tabubruchs folgen und ein nicht näher bestimmtes Gegenüber ›dissen‹ (vgl. Deppermann/Riecke 2006; Lüdtke 2007b; Wolbring 2015 usw.). Selbst Texte, die den Terminus ›Mann‹, oder ›männlich‹ enthalten, deuten nicht gleich auf eine diskursive Verhandlung des Mann-Seins hin. Im Track ›Ihr seid keine Männer‹ (2013) setzen sich Sinan G. und Eko Fresh deshalb ebenso wenig mit ihrer eigenen Männlichkeit auseinander wie Porno-Rapper King Orgasmus One auf seinem Album ›Mein Kampf – Musik für Männer‹ (2002). Interessant ist im Rap vor allem die Männlichkeit anderer Männer, denen das Mann-Sein freilich abgesprochen wird, während die eigene Männlichkeit als Allgemein-Menschliches zugrunde liegt. Die nachfolgende Aneinanderreihung von Diskursfragmenten lässt sich als Teildiskurs des Geschlechterdiskurses im Rap, also des reflexiven Sprechens/Rappens über Geschlecht und Männlichkeit im Rap, begreifen (siehe Kap. 9.3.1). Es handelt sich um eine überblicksartige, gewissermaßen korpuslinguistisch inspirierte Sammlung, die als Ergebnis eigener Recherchen über die Suchmaschine Google sowie das Portal Genius.com zu verstehen ist. Genius.com ist eine Online-Datenbank, auf der Nutzer_innen aus aller Welt Lyrics von Raptexten zusammentragen. Wenngleich aus genannten Gründen nur bedingt fruchtbar, so wurde dabei unter anderem nach den Termini ›Mann‹/›Männlichkeit‹/›männlich‹/›maskulin‹ o. ä. gesucht. Die kursorische Auflistung ergibt sich ferner aus dem subjektiven Wissensvorrat der Autorin und einem thematisch fokussierten Beobachten und Registrieren männlichkeitsrelevanter diskursiver Ereignisse auf dem Feld. Keinesfalls erheben die nachfolgenden Beispiele dabei Anspruch auf Vollständigkeit. Von Penissen, Alpträumen und abwesenden Vätern – Die Diskursivierung von Männlichkeit im Rap. Bereits im Jahr 1995 veröffentlichte die Hamburger Rap-Gruppe Fettes Brot einen Track mit dem Titel ›Männer‹. Mit Zeilen wie »Ich bin dein Freund und nicht dein Feind, doch viele meinen, ein Mann sei ein Softie, […] weil

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ihn etwas traurig stimmt. Erklimmt ein Mann nicht die Leiter der Karriere, das wäre eine schwere Schwächung seiner Ehre. Muck auf und spuck auf den gesellschaftlichen Druck«, setzt sich die Gruppe dezidiert kritisch mit traditionellen Männlichkeitsmodellen auseinander. Neben Emotionen und Schwäche wird hier auch die enge Verknüpfung von Männlichkeit und Erwerbsarbeit thematisiert.27 Lüdtke (2007a: 56) subsumiert den Song unter der Kategorie ›Charakterisierung von Männern/Frauen‹. Es ist der einzige Text in dem untersuchten Korpus, den die Linguistin in ihrer mittlerweile elf Jahre alten Studie als ›kritisch‹ einstuft. Auch der für seine nachdenklichen Texte bekannte Rapper Curse veröffentlichte im Jahr 2005 einen Track mit dem Titel ›Männer‹. Mit Zeilen wie »Wir sind Männer, die gerne ficken, obwohl wir Liebe vermissen« oder »Männer sind Denker, doch ändert sich nix beim Denken« ist auch dieser Song als reflexive Auseinandersetzung mit dem eigenen Mann-Sein sowie normativen gesellschaftlichen Männlichkeitsbildern verstehbar. Eine signifikante Auseinandersetzung mit dem Thema Männlichkeit lässt sich sodann im Fall von Rapper Samy Deluxe konstatieren. Der Hamburger, der sich verschiedenen Rap-Subgenres von Sozialkritischem, bis Party- und Battle-Rap zuordnen lässt (zu den RapGenres vgl. auch Dietrich 2015b: 285ff.), veröffentlichte im Jahr 2014 ein Album mit dem Titel Männlich. Die zugehörige Tour lief unter dem vielsagenden Titel Testosteron-Tour. Auf dem ›Männersender‹ DMAX erhielt der Rapper mit Männlich Deluxe sogar eine eigene, sechstteilige Dokumentation, in der er unter anderem zusammen mit Freunden, verschiedene Facetten von Männlichkeit erprobte/durchlebte. Die einzelnen Episoden titeln dabei wie folgt: Kampf, Wille, Adrenalin, Träume, Reisen, Freunde. Mit ›Penis‹, ›Verbotene Früchte‹ oder ›Mann muss tun‹ enthält das Album Männlich zudem mehrere Tracks, die sich im engeren Sinne mit männlicher Identität auseinandersetzen. Männlichkeit wird dabei unter anderem unter den Vorzeichen von Sexualität/Triebhaftigkeit, Sozialisation, aber auch entlang von Emotionen verhandelt – auch wenn die Thematisierung letzterer der diskursiven Logik der tough masculinity folgt: »Kein Schwanz der Welt ist härter als Liebe und Vertrauen« usw. Der Duktus des Albums Männlich oszilliert, so lässt sich zusammenfassend formulieren, zwischen reflexiven, (selbst)ironischen und rational-ernsthaften Momenten.

27 Vgl. dazu auch die Musikwissenschaftlerin Gerards (2013: 63) für die der Track ›Männer‹ von Fettes Brot einen ersten differenzierten Umgang mit dem Thema Männlichkeit im HipHop anzeigt.



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Dem Thema männlicher Emotionen widmet sich auch ein gemeinsamer Track von R&B-Sänger Adesse und Rapper Sido. In ›Männer weinen nicht‹ (2016) setzt sich das Musiker-Duo ebenso mit traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit auseinander. Männliche Härte wird dabei als inkorporierte Bürde dargestellt, die das Zeigen von Schwäche und Emotionen verunmögliche und dabei letztlich auch die heterosexuelle Paarbeziehung gefährde: »Ich wollt’ doch anders sein, ich wollt’ Gefühle zeigen und für dich anders sein […] Männer weinen nicht, ich mein sie leiden, doch sie zeigens nicht, denn eigentlich denkt ein Mann immer stark zu sein ist seine Pflicht und wenn er weint, verliert er sein Gesicht«. Dass die Erziehung zur Härte und Abwehr von Emotionen konstitutiver Bestandteil männlicher Sozialisation ist und bereits im frühen Jungenalter einsetzt, erfahren wir auch im Song ›Ein Junge weint hier nicht‹ (2006) von Kollegah, Slick One und Tarek. In dem für seine Protagonisten aus dem Gangsta- und Straßen-Rap-Bereich ungewöhnlich emotionalen Track werden prekäre Lebens- und Wohnverhältnisse, sowie häusliche Gewalt für die Hinwendung zu Aggression, Devianz und allgemein externalisierendem Verhalten verantwortlich gemacht: »Jeden Morgen wisch’ ich Mom ihre Tränen ab, Paps ist nicht da, schläft wo anderes, wie jede Nacht. Das Geld ist knapp, die Welt fuckt mich ab […]. Ich war gerade acht, Schläge hab’ ich viel kassiert, jeden hab’ ich mir gemerkt, jeden hab’ ich registriert. Ich wurde älter und meine Eltern arbeitslos, Mutter hatte keine Hoffnung, Vater gab mir keinen Trost. Ich reiß mich los, das Leben macht mich aggressiv. Ich bin wie ein Tier in einer Ecke das keinen Ausweg sieht. Wie mit 13 als sich Mutter scheiden ließ und ich aus Frust keine Scheiße bleiben ließ …«.

Erwartungsgemäß tauchen Begriffe wie ›Mann‹, ›Männer‹ oder ›maskulin‹ vor allem innerhalb der besonders männlich konnotierten Subgenres des deutschsprachigen Rap, das heißt im Gangsta-, Straßen- oder Battle-Rap auf. So firmierte ein den deutschen (Gangsta-)Rap nachhaltig prägendes Künstler-Duo aus Berlin bereits im Jahr 1997 unter dem Namen Westberlin Maskulin (vgl. dazu Szillus 2012).28 In Anlehnung daran erschien im Jahr 2008 ein Rap-Album mit dem Titel Südberlin Maskulin der Berliner Rapper Silla und Fler, auf das vier Jahre später die Nachfolgeversion Südberlin Maskulin II folgte. Letzteres wurde wiederum über das von Gangsta-Rapper Fler gegründete Musiklabel Maskulin (beziehungsweise Maskulin Music Group) veröffentlicht. Auch die Sampler Maskulin Mixtapes Vol. I-IV erschienen 28 Das Duo bestand aus den Rappern Kool Savas und Taktlo$$, die seither vor allem als Solo-Künstler agieren.

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über dieses Label. Eine reflexive Auseinandersetzung mit männlicher Identität resp. dem Mann-Sein findet im Rahmen der genannten Berliner RapVeröffentlichungen jedoch nicht statt. Männlichkeit wird stattdessen in klassischer Battle- resp. Gangsta-Rap-Manier entlang vergeschlechtlichter Topoi wie Geld/(beruflicher)Erfolg, Straße, Kriminalität, Frauen und dergleichen mehr verhandelt, das heißt als mehr oder weniger unmarkiert vorausgesetzt. Dies gilt auch für einzelne Songs aus dem ›Maskulin-Universum‹, die das Lexem ›Mann‹ explizit im Titel tragen, wie beispielsweise ›Der Mann macht das Geld‹ (Maskulin Mixtape Vol. 4) oder ›Echte Männer‹ (Fler, Silla, Jihad, erschienen auf Flers Album Blaues Blut, 2013). Fler, so sei an dieser Stelle abschließend bemerkt, vertreibt auch eigene Mode unter dem Label Maskulin. Die Ästhetik der vermarkteten Produkte orientiert sich dabei an einer comichaften, archaischen Darstellung von Maskulinität.29 Eine vergleichsweise reflexive Verhandlung erfährt Männlichkeit seitens einer jüngeren Rap-Generation. Seit ca. 2010 beispielsweise ist das Rap-Duo Zugezogen Maskulin, bestehend aus den Berliner Rappern Testo und Grim104 einem größeren Publikum bekannt. Im selben Jahr gründete sich mit Meskalin Maskulin ein weiteres Rap-Duo der Generation der HipHop-Millenials, dessen Gründer sich in puncto Namensgebung ebenfalls an der Berliner Gangsta-Tradition orientiert (siehe Westberlin Maskulin und Südberlin Maskulin). Im Song ›Maskulin, Maskulin‹ (2012), einem gemeinsamen Track beider Duos wird deutlich, dass sich die Rap-Gruppen zwar namentlich auf die Gangsta-Rap-Pioniere Taktlo$$ oder Fler beziehen, sich inhaltlich jedoch maximal von diesen abgrenzen und stattdessen eine Gegenmännlichkeit zur hypermaskulinen Gangsta-Männlichkeit entwerfen. Dort heißt es: »Rapper, die Kastraten und unsichere Jungs sind, labern am meisten von Straßen um zu vertuschen, so wie Jungfrauen vom Bumsen. Hochsensible Maskeraden, geht mal alle offline …! […] Meine Männlichkeit muss ich euch Hunden nicht beweisen, Maskulin Maskulin, meine Crew kriegt feuchte Scheiden«. Im klassischen Battle-Rap-Duktus wird die hypermaskuline Gangsta-Männlichkeit hier als unsicher, infantil und als ›hochsensible Maskerade‹ entlarvt und der eigenen, quasi ›eigentlichen‹ und überdies feminin codierten (»feuchte Scheiden«) hegemonialen Männlichkeit im Sinne Meusers (1998: 298) gegenübergestellt, denn »Männern, denen ihr Geschlecht im Modus 29 Zu sehen ist ein nackter, muskelbepackter Männer-Oberkörper im Profil, der in Kämpfer resp. Wrestler-Manier seinen Oberarm anspannt. Die Farbgebung ist dabei bezeichnenderweise in schwarz, rot und weiß gehalten. Zum Begriff der Archaisierung im Zusammenhang mit Männlichkeit vgl. auch Böhm (2017).



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der habituellen Sicherheit gegeben ist, sind Ausdrucksformen von Hypermaskulinität […] fremd«. Zwischen den Polen von Reflexivierung und Resouveränisierung lassen sich schließlich Songs wie ›Männersache‹ (2018) verorten, in dem die HipHop-Millenials MC Bomber und DCVDNS Rapmusik auf der Inhaltsebene dezidiert als homosoziale Männergemeinschaft zurückerobern. »Es ist ein Naturgesetz, dass ich euch Penner hasse, leg’ das Mic zur Seite, Rap ist nach wie vor eine Männersache« heißt es dort in gewohnt aggressiver Battle-Rap-Manier. Während es auf der Textebene vor allem um die Aushandlung von Männlichkeit im binnengeschlechtlichen Gefüge geht und dazu auf allerlei Diskriminierungsstrategien zurückgegriffen wird (›dissing‹), lassen sowohl die Bildebene des zugehörigen Musikvideos, als auch eine Kontextualisierung im Rahmen des Gesamtwerks beider Rapper jedoch auch eine alternative Interpretation im Rahmen von (Selbst)Ironie und Reflexion zu. Als »Helge Schneider des Raps« ist DCVDNS30 für sein GangstaRap-kritisches Image bekannt. Auch Battle-Rapper MC Bomber provoziert mit bewusst überspitzten Texten, in denen er nebst Berliner Bürgerlichkeit immer wieder gegen den Feminismus und/oder politische korrekte Raptexte von Kolleg_innen beiderlei Geschlechts eifert, während er sich abseits seiner Rap-Persona als sexpositiver Feminist diskursiviert, der zwischen Realität und Fiktion durchaus zu unterscheiden weiß. »Nur weil ich über Sex rede und wie ich gerne Sex habe oder haben würde, bin ich kein Sexist. Ich bin Feminist«, so der Rapper im Interview mit dem Magazin noisey.31 Eine eindeutige Interpretation von ›Männersache‹ wird auch durch Hinzunahme der Bildebene des zugehörigen Musikvideos erschwert. Dort nämlich wird die Rückeroberung männlicher Herrschaft im Rap von einer deutlich als weiblich lesbaren Frau eingefordert, deren Körperperformance wiederum einen explizit männlichen Habitus affirmiert. Angesichts des übermäßigen Rückgriffs auf Ironie und der bewussten Überspitzung von Geschlechterklischees ließen sich MC Bomber und DCVDNS womöglich als ›aufgeklärte hegemoniale Männlichkeiten‹ im Sinne Meusers (2001b) bezeichnen. Die Männlichkeitsbilder im Track ›Männersache‹ ähneln jenen der Zeitschrift Men’s Health, die eine »distanzierte Souveränität inszeniert, die insofern ty 30 Die Abkürzung DCVDNS steht für ›Der Coole von der neuen Schule‹ und ist angesichts der Gangsta-Rap-kritischen Texte des Rappers auch als Abgrenzung von der sog. ›Alten Schule‹, das heißt also von vorherigen Rap-Generationen und deren Männlichkeitsmodellen verstehbar. 31 Damsch, 08.12.2020, https://noisey.vice.com/de/article/nne3ng/sexistische-kackscheissemach-ich-nur-auf-tontragernmit-mc-bomber-auf-der-venus

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pisch männlich ist, als sie sich nicht beirren lässt von den ›Aufgeregtheiten‹ der Frauen. Man(n) steht drüber« (Meuser 2001b: 234). Während Meuser diesen Männlichkeitstypus als ›aufgeklärte‹ hegemoniale Männlichkeit beschreibt, buchstabiert Goßmann (2012: 102) diese Bezeichnung mit Blick auf die von ihm untersuchten Rapper K.I.Z. zur ›aufgeklärten marginalisierten Männlichkeit‹ aus. Der von Goßmann diskutierte Track ›Das System‹ (2009) von K.I.Z feat. Sido bildet sodann ein weiteres diskursives Ereignis im Hinblick auf die Reflexivierung von Männlichkeit im deutschsprachigen Rap: Die für ihre parodistischen und zuweilen (selbst)kritischen Texte bekannten Berliner Rapper verhandeln dort auf ironische Art und Weise das Thema männliche Sexualität, indem sie sich über ihre viel zu kleinen Penisse mokieren. Eine Tatsache, die für Goßmann auf habituelle Sicherheit verweist: »Der distanzierte Umgang mit der Bedeutung des männlichen Geschlechtsorgans geschieht hier weniger aus Ablehnung dieser Bedeutung, sondern vielmehr aus einer Vertrautheit mit ihr. Gewissermaßen können es sich K.I.Z. […] gerade dank ihrer habituellen Sicherheit leisten, in ironischer Form auf ihren  – vermeintlich  – kleinen Penis hinzuweisen« (Goßmann 2012: 96). Sehr viel kritischer als die ›Männersache‹ von MC Bomber und DCVDNS setzt sich ferner auch HipHop-Millenial Edgar Wasser mit der männlichen Homosozialität der Szene auseinander. Ironisch verhandelt der Track ›bad boy‹ (2014) außerdem Themen wie rape culture und die Objektifizierung von Frauen(körpern) in Rap-Videos: »Im Hip-Hop gibt es keine Frauenrechte, das ist ein Hotel und alle Nutten müssen auschecken. Wobei, das stimmt nicht, ihr könnt ins Hotelzimmer rein und in die Musikvideos auch, außer wenn ihr hässlich seid. Ich will nur sagen, es wär toll, wenn ihr respektiert, dass man euch hier nicht respektiert«. Der Song endet mit einer Hommage an weibliche Rap-Ikonen wie Lauryn Hill oder MC Lyte. Freilich taucht Männlichkeit begrifflich auch in den Texten der neuen Gangsta-Rap-Generation auf, wenngleich Geschlechterverhältnisse dort nicht selten auf Grundlage traditionell-patriarchaler, zuweilen religiös-fundamentaler Vorstellungen verhandelt werden. So verurteilt GangstaRapper Veysel im Track ›Kein Mann‹ (2013) zwar männlichen Treuebruch oder Glücksspiel, knüpft das Mann-Sein jedoch unwiederbringlich an das Ein-Ernährer-Modell, die heterosexuelle Kernfamilie und den Glauben an Gott (zum Beispiel »Du bist kein Mann, wenn du kein Brot nach Hause bringst«). Auch die Rolle der Frau betreffend, hat Veysel klare Vorstellungen, die nebst bedingungsloser Treue, auch Bescheidenheit, sowie den Verzicht auf außereheliche Sexualität umfasst. Prinzipien, die aus Dankbarkeit



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gegenüber dem erwerbstätigen Mann einzuhalten seien und das Begehren der Frau darüber hinaus in Relation zum ökonomischen Kapital des Mannes definieren, denn »du bist keine Frau, wenn du deinem Mann fremd gehst und das nur weil vor der Tür kein Benz steht, während der Mann 40 Stunden in der Woche schuftet, bist du in Discos, Bistros am lutschen …«. Der gangsta-rap-typische Heilige-Hure-Dualismus gipfelt schließlich in der Verurteilung von Prostitution samt klarer und religiös begründeter Handlungsempfehlung: »Du bist keine Frau, wenn du hinter’m Fenster stehst, im roten Licht, was willst du deinem Kind erzählen, wenn es mal groß ist, […] also änder’ dich, Gott hilft dir wenn du in Not bist …«. ›Wie ein Mann‹ ist schließlich nicht nur der Titel des Allstar-Tracks von Rapper Pedaz und acht weiteren Rappern, der als paradigmatisches Exempel der Diskursivierung von Männlichkeit im Rap zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert wird (vgl. Kap. 10), sondern auch der Titel einer 2018 erschienenen EP des Gangsta-Rappers Jigzaw. Obgleich die Veröffentlichung mit einer gleichnamigen Single (›Wie ein Mann‹) daherkommt, so lässt sich keinem der insgesamt fünf Tracks eine reflexive Auseinandersetzung mit dem Männlich-Sein attestieren. Stattdessen wird Männlichkeit über Topoi wie Waffen, Gewalt, Kriminalität und Drogen implizit mitverhandelt und sich dabei vor allem Dingen als hypermaskuliner Gangsta inszeniert.32 Ähnlich verhält es sich bei dem Ende 2018 veröffentlichten Album Mann im Haus. Ein Soul-Album von Sänger Samy, der mit dem Gangsta-RapLabel ›Alles oder Nix‹ von Gangsta-Rapper Xatar assoziiert ist. Mit Kriminalität, Drogen, Gewalt und Reichtum ruft auch Samy klassische GangstaTopoi am Nexus von Männlichkeit und marginalisierter Herkunft auf und konstruiert sich durch über die Abgrenzung zur freilich promiskuitiven Weiblichkeit vor allem als Playa oder Pimp. Der gleichnamige Song ›Mann im Haus‹ verhandelt dagegen die Flucht der Familie aus dem kriegsgebeutelten Palästina sowie den schmerzvollen Verlust des eigenen Vaters, dessen patriarchal-traditionelle Rolle einzunehmen Samy auf affirmative Weise als »nicht leicht« beklagt: »Wallah nein, es ist nicht leicht als Mann im Haus, seitdem du weg bist, bin ich da, egal, was Mama braucht. Ich kann dich seh’n, jede Nacht im Traum und erzähl’ dir alles, gut, ich pass’ auf alle auf …« Mit ›Mann im Spiegel‹ (2013), ein Song, auf dem sich Rap 32 Im Refrain von ›Wie ein Mann‹ (2018) von Rapper Jigzaw heißt es etwa: »Wie ein Mann, wie ein Mann, ich lauf ’ durch deine City, Diggi und tick’ Kokain. Glaub mir Bruder, wie ein Mann, wie ein Mann. Jeder dieser Wörter, die ich spitte, ist ein Projektil. Glaub mir, Digga, wie ein Mann, wie ein Mann …«.

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per Haftbefehl von einer ungewohnt selbstreflexiven Seite zeigt, finden sich im Gangsta-Rap jedoch auch alternative Männlichkeitserzählungen. Mehr sprechend als rappend, reflektiert der Rapper darin retrospektiv seine bisherige Karriere und entwirft dabei einige mögliche Szenarien des Scheiterns: »Guck dich an, du bist alt, krank und müde« prognostiziert er seinen körperlichen Verfall, der wenig später in den Befund einer Selbstentfremdung mündet: »Du bist doch ein Spiegel, doch wer ist dieser Mann? Ich hab’ ihn nicht erkannt und so langsam krieg ich Angst […]«. Für die Diskursivierung nicht-hegemonialer Männlichkeitsdimensionen wie Angst, Selbstzweifel oder Depressionen hat sich im Rap überdies längst eine eigene Genrebezeichnung etabliert, die gerade im deutschsprachigen Raum gerne mit dem Rapper Casper assoziiert wird: Emo-Rap. Trauer, Verletzlichkeit, Angst, Depressionen und dergleichen mehr werden dabei oft im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch oder auch steigenden Anforderungen im Erwerbskontext verhandelt. Besonders der plötzliche kommerzielle Erfolg macht vielen jungen männlichen Rappern zu schaffen, so zum Beispiel Ufo361 der im Track ›Alpträume‹ (2018) rappt: »Ja, ich hatte Angst, Angst vor mir selbst, dass ich scheiter’ und den andern es gefällt, ich hatte Angst meine Fam zu enttäuschen, war zu selten für euch da, sondern nur für meine Freunde, ja. Ich hatte Angst, wollte nicht mehr leben, nein, saß im Dunkeln und fühlte mich elend, ich hatte Angst, konnte nächtelang nicht schlafen. Ja, ich hab’ mich so gefühlt, als würd’ ich längst schon begraben.«

Auf seinem Album mit dem bezeichnenden Titel ›Angst‹ setzt sich auch Battle-Rapper Lance Butters mit Tod und Sterben auseinander: »Mein Glas nie halb voll, sondern leer, Mama sagt, ich hab’s von Papa geerbt und wer weiß, vielleicht ist da noch etwas mehr, vielleicht wird es passier’n, dass ich auch so früh sterbe wie er …« heißt es auf ›So schön‹. Zu dem Diskursstrang ›Männlichkeit, Emotionen und Care‹ gehören freilich auch sämtliche Liebeslieder (zum Beispiel ›Mit dir‹ von Freundeskreis 1999, oder ›Die Eine‹ von Die Firma 2005 usw.) oder jene, die die eigene Mutter als wichtigste Bezugsperson im Leben des männlichen Rappers adressieren. »Mama steht hinter mir und ich geh’ meinen Weg, der verläuft zwar schräg neben der Realität, doch ich weiß, Mama hat verstanden, worum es mir geht« rappt Sido auf ›Mama ist stolz‹ (2004), während GangstaRapper Massiv ehrfürchtig den »Boden [küsst] auf dem Mama läuft« (vgl. den Song mit dem etwas umständlichen Titel ›Küss den Boden auf dem Mama läuft‹, 2015). Während es weiterhin zahlreiche Rap-Songs gibt, die die freundschaftliche Liebe zu gleichgeschlechtlichen Freunden (zum Bei-



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spiel ›Für meine Brüder‹ von Alpa Gun 2015) oder zur eigenen Schwester verhandeln (›Schwesterherz‹ von Xatar 2018), nimmt die Diskursivierung von Vaterschaft derzeit einen immer größeren Raum in der alternden RapSzene ein. Dabei wird die Rolle des Vaters auch in der intergenerationalen Dimension beleuchtet, das heißt nicht nur das eigene Vater-Sein, sondern ebenso die Beziehung zum (oftmals absenten) eigenen Vater thematisiert; ein Reflexionsprozess, der nicht selten durch die eigene neue Vaterschaftsrolle angestoßen wird (vgl. Songs zum eigenen Vater-Sein wie ›Louis‹ von Marteria 2010, ›Embryo‹ von MoTrip 2012, ›Papa ist da‹ von Sido 2016 oder ›Papa‹ von Bushido 2017, vgl. dazu auch Süß 2020; zum eigenen Vater vgl. Songs wie ›Vatertag‹ von Samy Deluxe 2009 usw.). Der Track ›Sand in die Augen‹ (2018) des sozialkritischen Rappers Danger Dan verbindet den Vaterschafts-Topos mit einer expliziten Kritik an struktureller Ungleichheit entlang der Kategorie Geschlecht und behandelt ferner auch Themen wie geschlechtsspezifische Lohnunterschiede, Objektifizierung und sexuelle Belästigung von Frauen(körpern). Ob der gesellschaftlichen Benachteiligung von Frauen wähnt sich der junge Vater einer Tochter in Erklärungsnot und rappt: »Wie soll ich ihr erklären, wo liegt da der Unterschied? Der die einen oben hält und die ander’n runterzieht. Wie soll ich ihr erklären, wo liegt da der Unterschied? Man redet nicht darüber, denn man macht sich unbeliebt.« Auf der Bildebene zitiert Danger Dan mit Sportwagen und halbnackten Frauen eine klassische Gangsta-Rap-Ästhetik, die die gesellschafts- und szenekritischen Aussagen auf der Textebene konterkariert und die ambivalente Identitätsposition des Daniel Pongratz markiert: Als Rapper und Mann ist er Teil einer weitestgehend patriarchal und sexistisch strukturierten Szene (und Gesellschaft) und profitiert als feministischer Vater freilich dennoch von der patriarchalen Dividende, also dem allgemeinen Mann-Sein (vgl. Connell 2015, speziell zu ›Sand in die Augen‹ Süß 2020). Ein weiteres prägnantes Beispiel für den Vaterschafts-Topos im deutschsprachigen Rap ist sicherlich das Album Der Mann im Haus (2010) von Rapper Harris, auf dem sich der als Party-Rapper bekannte Berliner auch (aber nicht nur) mit Themen wie Liebe/Trennung (›Dein Mann sein‹; ›Es tut so weh‹), der Bedeutung von Familie (›Für die Familie‹) und vor allem mit Vaterschaft beziehungsweise Vater-sein und Verantwortung auseinandersetzt. Auch hier zeugt die Verhandlung der eigenen Vaterrolle von einiger Ambivalenz und wird im Spannungsfeld zwischen Schwäche und Versagensängsten (»manchmal hab’ ich Angst als Vater zu versagen«) sowie dem ultimativen Lebensglück besungen beziehungsweise berappt (»Freu-

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dentränen«). Harris affirmiert auf Der Mann im Haus ein insgesamt traditionelles Männlichkeitsbild, das freilich auch nicht ohne eine Sexualisierung und Idealisierung der Frau samt weiblichem Geschlechtsteil auskommt: »Ne gute Pussy muss man hegen und pflegen, sonst zerstört die Pussy mal eben dein Leben, Männer können nicht ohne Pussy und deswegen, müssen Männer immer über Pussy reden«, heißt es auf ›Urinstinkt‹ (2010). Und andernorts: »Stell dir eine Welt vor, ganz ohne Frauen, n’ Haufen trauriger Männer mit ganz roten Augen, durchgeweinte Tränenreiche, Nächte ohne jeden Zweifel, Blumenhändler gehen Pleite, so wäre det Leben scheiße!« (›Stell dir eine Welt vor‹, 2010). Gleichzeitig präsentiert der Rapper das Männlichkeitsmodell eines liebenden Haus- und Ehemanns als erstrebenswerte, weil selbstgewählte und autark-männliche Alternative: »Manche denken Ehemänner wie ich seien Luschen, aber ich bin mein Boss und du musst vor dei’m kuschen«. Die alternative Weitererzählung hegemonialer Rap-Männlichkeit findet seine konsequente Entsprechung schließlich auf der visuell-ästhetischen Ebene. Auf dem zugehörigen Albumcover inszeniert sich der stolze Rap-Vater Harris als Teil einer (gangsta-)rap-männlichen Ahnengalerie. Anders als Malcom X, KRS One, Bushido oder Haftbefehl lugt er dabei jedoch nicht schwer bewaffnet und in Erwartung eines feindlichen Übergriffes aus dem Fenster. Im Gegenteil erweckt Harris’ Pose in lila Kochschürze, links Fläschchen, rechts das schlafende Baby auf Händen, eher die Assoziation: Fürsorglicher Hausmann wartet mit fertig zubereitetem Abendessen auf die Rückkehr der berufstätigen Frau und Mutter (siehe Abb. 5).

Abbildung 5: Fläschchen statt Knarre. Harris und die alternative Weitererzählung hegemo­nialer Rap-Männlichkeit?

Schließlich beschränkt sich die Diskursivierung von Männlichkeit im Rap nicht auf die Primärtexte der Szene, sondern findet auch im Bereich anderer diskursiver Sphären des HipHop/Rap statt, so zum Beispiel innerhalb des journalistischen Diskurses (vgl. ›sekundäre Texte‹ bei Androutsopoulos 2003b:



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122ff.).33 Broadly, das Online-Frauenmagazin der Lifestyle Zeitschrift Vice, veröffentlichte Mitte 2016 einen Artikel mit dem Titel Wir haben deutsche Rapper gefragt, was sie unter Männlichkeit verstehen.34 Rap-Journalist Jan Wehn befragte dazu neun Rapper_innen/Rap-Crews zu ihren Vorstellungen von Männlichkeit. Das Bild der Frau bewege sich im HipHop zwar weitestgehend innerhalb des Heilige/Hure-Dualismus – so die Einleitung des Artikels – »[a]ndererseits haben, gerade in den letzten Jahren, auch einige Rapper_innen mit ihrer Musik bewiesen, dass oben genannte Rollenbilder der Vergangenheit angehören. Kitty Kat adaptierte bereits vor Jahren die bis dahin rein männliche ›Lutsch mein’ Schwanz‹-Rhetorik, SXTN kündigten dieses Jahr an, Mütter ›auch ohne Schwanz‹ zu ficken und auch bei den Kollegen mit Penis scheint es nicht mehr ganz so en vogue zu sein, hinter jeder reflektierten Aussage ein panisches ›no homo!‹ folgen zu lassen«,

konstatiert Wehn. Mit Frauenarzt, MC Bomber, SXTN, Maeckes, Kontra K, Megaloh, Chefket, Muso und Shneezin sind die zum Thema Männlichkeit interviewten Rapper_innen sehr unterschiedlichen Subgenres von Gangsta-, Battle- bis hin zu Sozialkritischem Rap zuzuordnen. Auch ihre Perspektiven auf das Thema sind insgesamt divers, schwanken die Rapper_innen doch zwischen traditionellen und feministischen Ansichten oder lehnen eine Kategorisierung von Menschen in die Binarität männlich/weiblich gänzlich ab. Als typisch männliche Eigenschaften werden sodann zum Beispiel Ehrlichkeit, Loyalität und Integrität, aber auch Rationalität, Überlegenheit und Selbstbewusstsein genannt. Im Hinblick auf männliche Gefühle wünschen sich einige Rapper_ innen dagegen mehr Offenheit und Selbstbewusstsein, ein Wunsch, den nebst SXTN auch die Battle- und Porno-Rapper MC Bomber und Frauenarzt artikulieren. Interessant sind an dieser Stelle auch die Aussagen von Chefket, Muso und Shneezin. Während Chefket Mann-Werdung über die feministisch informierte Beschäftigung mit Frauen/Weiblichkeit definiert,35 verweist Muso auf Männlichkeit als »vielschichtiges Konstrukt unserer Gesellschaft«. Der Rapper, der »keiner allgemein gewünschten Männlichkeit entsprechen« will, sieht die 33 Zur primären Sphäre der Texte des Diskursuniversum Rap würden nach Androutsopoulos (2003b) nebst Musikvideos sicherlich auch Filme oder Autobiografien von Rappern gehören, die hier jedoch nicht berücksichtig werden (vgl. dazu Seeliger 2017). Auch Posts innerhalb sozialer Medien wären freilich zu den primären Texten zu rechnen. 34 Wehn, 08.12.2020, https://broadly.vice.com/de/article/mbq5zy/wir-haben-deutscherapper-gefragt-was-sie-unter-maennlichkeit-verstehen 35 Chefket: »Ich weiß nicht was Männlichkeit wirklich bedeutet. Ich habe mich immer nur mit Frauen beschäftigt und von ihnen gelernt. Vielleicht ist das meine Männlichkeit« (Quelle s. o.)

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Möglichkeit gesellschaftlichen Friedens in der Anerkennung dieser Diversität. Eine ähnlich progressive Perspektive lässt sich Rapper Shneezin attestieren. Dieser kritisiert die ›kultische Männlichkeit‹ des Rap und macht diese ob ihres »aufgeblasene[n] Gehabe[s]« und der Hierarchien, für verschiedene Formen der Ausgrenzung verantwortlich. »[S]ehr männlich« sei stattdessen »[a]uch mal die Eier zu haben, einen Pipimann in den Mund zu nehmen«, womit Shneezin auf das im patriarchal-heteronormativen HipHop/Rap besonders wirkmächtige, gesellschaftliche Homosexualitätstabu anspielt (dieses jedoch durch die Assoziation mit Härte (›Eier haben‹) gleichzeitig zu vermännlichen versucht). Schließlich ist sicherlich auch die bereits mehrmals erwähnte Reportage zum Thema Rap & Depression des Szenemagazins Juice unter die Diskursivierung von Männlichkeit im Rap im Bereich des Szene-Journalismus zu subsumieren. Und auch zum thematischen Fokus einer Veranstaltung hat es das Thema Männlichkeit inzwischen geschafft: Während sonst über Sexismus oder ›Frauen im Rap‹ diskutiert wird (z. B. auf dem Hamburger ›Reeperbahnfestival‹), firmierte eine Frankfurter »Hip Hop Konferenz« im Jahr 2017 unter dem Titel Sex, Money & Respect: Männlichkeit zwischen Gangsta- und Queerrap und brachte so unterschiedliche Stimmen wie Straßen-Rapper Celo und QueerRapperin Sookee ins Gespräch. 9.3.4 Von Hipster- und Cloud-Rappern – Zur Pluralisierung von Rap-Männlichkeiten Rap im 21. Jahrhundert umfasst eine »unüberschaubare Anzahl an Strömungen«, stellt Dietrich (2016: 7) richtigerweise fest. Neben Backpack-, Zecken-, Message-, Porno-, Hipster- und Studentenrap gibt es Straßen- und Gangsta-Rap, Trap, Emo-Rap, Queer-Rap oder weniger prominente ›Mikrogenres‹ wie Hyphy, Crunk, Baltimore Club oder ›New Orleans Bounc‹. Ferner neuere Spielarten wie Cloud-Rap, Afro-Trap, Drill und dergleichen mehr, so dass man letzten Endes beinahe resigniert festhalten muss, dass »Versuche, alle Spielarten und Subgenres bis in die Gegenwart einmal zu inventarisieren oder gar zu systematisieren [….] fast unmöglich [sind]« (ebd.: 8).36 Wie andernorts ausgeführt, gilt es die Ausdifferenzierung, Ästhetisierung und neue Heterogenität des Rap-Genres auch unter den Vorzeichen von Geschlecht 36 Der Literaturwissenschaftler Wolbring (2015: 351ff.) stellt zurecht fest, dass sich die thematische Unterteilung von Rap-Spielarten im Prinzip beliebig erweitern ließe und man dementsprechend auch von Essens-Rap, Drogen-Rap, Mode-Rap, Werbe-Rap u. v. a. m. sprechen könnte.



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und Männlichkeit zu denken. Rap-Spielarten wie Hipster- und Cloud-Rap etwa definieren sich durch andere thematische, stilistische oder soundästhetische Schwerpunkte wodurch neue Möglichkeitsräume für die Inszenierung von Rap-Männlichkeit  – auch abseits des hegemonialen Handlungstypus der tough masculinity – entstehen. Die relativ jungen Subgenres Hipster-Rap und Cloud-Rap sollen deshalb als Beispiele für die Pluralisierung deutschsprachiger Rap-Männlichkeit dienen und gleichzeitig die enge Verzahnung von Männlichkeit, Alter, Hegemonie und Genre im Rap verdeutlichen. Vom Online-Magazin Broadly zu ihrer Definition von Männlichkeit befragt, äußern sich die Rapperinnen Juju und Nura (damals noch SXTN) zum Thema ›Männlichkeit und Gefühle‹ im Jahr 2016 wie folgt: »Juju: Männer haben eben über die Jahre gelernt, ihre Gefühle zu unterdrücken, weil es immer hieß, dass man das nicht darf und es unmännlich ist. Aber langsam verstehen sie auch, dass es total lappenmäßig ist, wenn sie das alles immer hinterm Berg halten. Nura: Es gibt genau so starke Frauen, die scheinbar männliche Eigenschaften haben. Heutzutage kann und soll man da einfach nicht mehr so genau unterscheiden. Juju: Vielleicht kam das durch die Skinny Jeans. Nura: Das kam durch Cro. Juju: Ja, durch ihn und Casper – die haben uns alle gerettet! Nura: Cro war sozusagen der David Hasselhoff des Rap, der die Mauer zum Einsturz gebracht hat.«37

Aufgrund ihrer alternativen Männlichkeit (Gefühle zulassen) und ihres liberalen Kleidungsstils (Skinny Jeans) werden die Rapper Cro und Casper hier als Heilsbringer einer sich verschiebenden Geschlechterordnung im Rap angeführt. Als »David Hasselhoff des Rap« habe Rapper Cro »die Mauer zum Einsturz gebracht« und damit »uns alle gerettet«. Metaphorischer könnte man Connells Theorie hegemonialer Männlichkeit wohl kaum umschreiben, betont die australische Soziologin doch »dass in der hegemonialen Männlichkeit eine ›derzeitig akzeptierte‹ Strategie verkörpert ist. Sobald sich die Bedingungen für die Verteidigung des Patriarchats verändern, wird dadurch auch die Basis für die Vorherrschaft einer bestimmten Männlichkeit ausgehöhlt. Neue Gruppen können dann alte Lösungen in Frage stellen und eine neue Hegemonie konstruieren. Die Vorherrschaft jeder Gruppe von Männern kann von den Frauen herausgefordert werden. Hegemonie ist deshalb eine historisch bewegliche Relation« (Connell 2015: 131). 37 Wehn, 08.12.2020, https://broadly.vice.com/de/article/mbq5zy/wir-haben-deutscherapper-gefragt-was-sie-unter-maennlichkeit-verstehen

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Werfen wir einen genaueren Blick auf die männliche Hegemonie im Rap im Kontext des Szenewandels. Hat die alternative Hipster-Männlichkeit hier tatsächlich eine Mauer zum Einsturz gebracht? Hipster- und Röhrenjeans-Rapper Die Spielart des hipster rap oder hipster hop taucht in den USA etwa um 2008 auf und findet seit dem Jahr 2011 auch in Deutschland Nachahmer. Im Diskursuniversum des deutschsprachigen Rap ist der Ausdruck Hipster-Rapper (ähnlich des Studenten-Rappers) ein Pejorativum und dient im hegemonialen Gangsta- resp. Szene-Sprech zur diskursiven Unterordnung anderer männlicher Rapper. Als Hipster-Rapper gilt gemeinhin, wer auf einer inhaltlich-semantischen und/oder ästhetischen Ebene mit traditionellen Versatzstücken der tough masculinity bricht. Anstatt entlang von Härte und Dominanz bildet sich die untergeordnete Hipster-Männlichkeit über Stile, Praktiken und Handlungsweisen heraus, die mit der unmännlichen und weiß-privilegiert gelesenen Hipster-Szene assoziiert werden, darunter Mode, Kunst, Bildung oder auch Emotionen wie Liebe. Freilich werden entsprechende Stile und Topoi auch innerhalb des hegemonialen Gangsta-Genres verhandelt, weshalb die Männlichkeitsfigur des Hipster-Rappers vor allem auf der materiell-ästhetischen Ebene der Mode greif- und verletzbar wird. Der Hipster-Rapper nämlich irritiert die vergeschlechtlichte Kleiderordnung des HipHop/Rap durch das Tragen enger und als weiblich gelesener Hosen/Jeans.38 Mit seiner engen skinny jeans oder dt. Röhrenjeans repräsentiert er somit das ästhetische Gegenstück zur Gangsta-Männlichkeit, für dessen männliche Sprecher die maskulin konnotierte sog. Baggy Pants als angemessenes Kleidungstück vorgesehen ist. »Die klassische Hip-Hop-Hose muss dabei historisch kontextualisiert werden, da sich der unterhüftige Sitz unfreiwillig durch das Verbot des Tragens von Gürteln im (v. a. amerik.) Gefängniskontext ergab […]. Auch weil weite Kleidung das Mitführen verbotener Gegenstände (z. B. Waffen) erleichtert, entsteht dabei insgesamt eine Assoziation mit männlichem Risikohandeln […], sodass der Bezug auf die Baggy als probates Distinktionsmittel gegenüber der als effeminiert ausgewiesenen HipsterMännlichkeit fungieren kann. Gemäß der binären Geschlechtslogik des HipHop wird als Gegenstück zur weiten, maskulinen Baggy, die enge Hose bzw. ihre idealtypische Repräsentation, die Röhrenjeans aufgerufen. Vertretern hypermaskuliner 38 Zu den geschlechtsspezifischen Kleidungsstilen und -praktiken im HipHop vgl. auch Grimm (1998: 104f.)



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Subgenres gilt sie als effeminiert, da die Betonung der Beinsilhouette im patriarchalheteronormativ strukturierten HipHop als weibliche und sexualisierte ästhetische Praxis gelesen wird.« (Süß 2019: 33)

Die diskursive Aufrufung der Röhrenjeans – etwa im Rahmen des Sprechakts dissing – wird seit einiger Zeit als wirkungsvolle Effeminierungsstrategie im doing rap masculinity eingesetzt und dient der Konstruktion untergeordneter Rap-Männlichkeiten. Dadurch avanciert nicht nur die vergeschlechtlichte Materialität der Kleidung zur innerszenischen Differenzkategorie im männlich-binnengeschlechtlichen Gefüge, auch der männliche RapperKörper wird dadurch als Seismograph gesellschaftlicher (Un)Ordnung (vgl. dazu Reuter 2011: 65–83) beziehungsweise eines (vergeschlechtlichten) Szenewandels lesbar. Mit Meuser gesprochen, führt die Abweichung von der geschlechtlich binär codierten (Kleidungs-)Norm durch den Hipster-Rapper zu habitueller Verunsicherung auf Seiten traditioneller Rap-Männlichkeiten, die sodann auf verschiedene Re-Maskulinisierungsstrategien zurückgreifen. Ein anschauliches Beispiel liefert an dieser Stelle der Gangsta-Rapper Fler, der der Unterordnung der Hipster-Männlichkeit mit seinem ›Hipster Hass‹ (2014) gleich einen ganzen Song widmet. Dort heißt es unter anderem: »Hinterm Rücken quatscht du heimlich über Prolls, doch sitzt da wie eine Schwuchtel, mit den Beinen überkreuzt, Nutte. […] Maskulin, wir tragen keine Röhrenjeans.« Interessant ist nun, dass die Hipster-Männlichkeit durch den kommerziellen Erfolg von Rappern wie Casper oder Cro39 als ernstzunehmende und legitime Männlichkeit im Spiel der Partner/Gegner40 erfahren wird beziehungsweise werden muss. Und so findet man im Gesamtwerk von Gangsta 39 Die Rapper Cro und Casper feiern seit circa 2011/2012 große kommerzielle Erfolge im Rap-Mainstream (wobei ihre Rapstile nicht wirklich zu vergleichen sind, da sich Cro mehr in Richtung Pop und Casper eher in Richtung Punk orientiert). Beide sind nicht nur ein fester Bestandteil der deutschsprachigen Rap-Szene, sondern gehören auch zu Deutschraps Großverdienern. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es sich bei dem Etikett ›Hipster-Rap(per)‹ vor allem um eine Zuschreibung von außen und weniger um eine Form der Selbstbezeichnung handelt. »Der Signifikant Hipster dient […] zum einen als sprachlicher Differenzmarker, zum anderen wird das Feindbild auch durch bestimmte Objekte und Materialitäten aufgerufen und dabei meist als untergeordnet konstruiert. Hipster-Rap ist damit weniger ein klar abgrenzbares Subgenre, als vielmehr ein meist pejorativ verwendeter Sammelbegriff zur Bezeichnung alternativer HipHop-Narrationen und -Ästhetiken abseits hypermaskuliner Normen.« (Süß 2019: 29) 40 Bourdieus Formulierung der ›Partner/Gegner‹ (Bourdieu 2016; Meuser 2006a) meint die enge Verzahnung von Wettbewerb und Solidarität, die Männlichkeitskonstruktionen zugrunde liegt.

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Rappern wie Haftbefehl oder Kollegah sowohl Disses als auch Features, das heißt Kollaborationen mit der Hipster-Rap-Männlichkeit (vgl. Tracks wie ›Karate‹ von Kollegah & Casper oder ›8kmh‹ von Haftbefehl & Cro, beide 2014). Die ambivalente Anerkennung der Hipster-Männlichkeit ergibt sich dabei aufgrund ähnlich gelagerter Relevanzsysteme und der engen Verknüpfung von Rap-Männlichkeit, Anerkennung und ökonomischer Herrschaft, denn »am besten ist der, der am meisten verdient« [Zitat Haftbefehl aus ›IHNAMG‹ 2012]. Ungeachtet seiner alternativen, weil als hiphop-untypisch und effeminiert geltenden Männlichkeitsdimensionen (zum Beispiel Röhrenjeans, Emotionen etc.) geht der erfolgreiche Hipster-Rapper im hegemonialen Handlungstypus der (rap) business masculinity auf und kann demnach von dessen hypermaskuliner Genre-Verkörperung, dem Gangsta-Rapper, als satisfaktionsfähige Männlichkeit akzeptiert werden (vgl. dazu Meuser 2008: 35).41 Die Verkörperung der business masculinity erscheint damit losgelöst von Genre und zeigt außerdem eine Abstufung der Relevanz weiterer ungleichheitsgenerierender Differenzkategorien wie Körper und Kleidung im Hinblick auf hegemoniale Männlichkeitskonstruktionen im Rap an. Gleichzeitig imitieren sowohl Cro als auch Casper den hegemonialen Gangsta-Sprech samt zugehöriger Topoi und affirmieren somit das im Bereich HipHop/Rap symbolisch hegemoniale marginalisierte Subjekt.42 Die Gangsta-Männlichkeit wird damit einmal mehr als hegemoniale Männlichkeit im Rap ausgewiesen.

41 vgl. an dieser Stelle den Track ›8kmh‹ von Hipster-Rapper Cro und Gangsta-Rapper Haftbefehl, der das geteilte Relevanzsystem verdeutlicht. Dort ›cruisen‹ die beiden Rapper in teuren Autos (›Maserati‹, ›Bugatti‹, ›Mercedes‹, ›Ferrari‹) durch die Straßen, geben vor »international unterwegs« zu sein und vergnügen sich auf ihren Reisen nebst Drogen (Gras, Koks) vor allem auch mit unterschiedlichen Frauen, die freilich als ›Mädchen‹, ›Bitches‹ und ›Schlampen‹ aufgerufen werden. Die Inszenierung eines derartigen Lifestyles erinnert an die Studie von Connell/Wood (2005: 357), die das ›having casual sex on the road‹ unter anderem als ein Kennzeichen der globalisierten Business Masculinities herausarbeiten. 42 »Hatten nie viel Geld, aber jeden Tag mega Brand, Rewe-Markt, Rotwein im Tetrapack für den Weg gezockt« (Casper auf ›Michael X‹ 2011). Zum Sexismus von Rapper Cro vgl. einen kritischen Artikel von Yenirce im feministischen Magazin missy. Yenirce, 08.12.2020, https://missy-magazine.de/blog/2016/10/26/nicht-die-schlampensind-wack-sondern-cro/



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Cloud-Rap und die Abnahme von Homophobie Auch das Genre-Phänomen Cloud-Rap wird im Diskursuniversum Deutschrap jüngst im Rahmen eines ›Paradigmenwechsels‹ (Journalist Falk Schacht) diskutiert  – wobei sich dabei vor allem auf Genrespezifika wie Sound oder Ästhetik und nur sehr implizit auf Geschlechterkonstruktionen bezogen wird.43 Ähnlich wie Hipster-Rap ist Cloud-Rap ein »unscharfe[r] Begriff« (Szillus 2016: 89) und lässt sich schwer als eigenes Subgenre mit spezifischen Kennzeichen definieren. Die ›Cloud-Rap-Bewegung‹ nahm ihren Anfang etwa um das Jahr 2008 in den USA. Dort werden unter anderem Künstler wie Lil B. und A$AP Rocky mit der Musik assoziiert. Über das Internet gelangte Cloud-Rap schnell über Schweden (zum Beispiel Yung Lean) nach Österreich (zum Beispiel Young Hurn, Crack Ignaz) und Deutschland, wo der Stil von Künstler_innen wie L Goony, Haiyti oder auch Rin adaptiert und auf je eigene Art und Weise rekontextualisiert wurde. Cloud-Rap ist ein Rap-Musikstil, der sich vor allem durch sein sphärisches Soundbild kennzeichnet. Nebst Synthesizern und der stimmverzerrenden Autotune-Technik bedient sich Cloud-Rap auch der Elemente des Trap, ein Rapstil aus den Südstaaten der USA, den Bortot vom Juice-Magazin als »Sound mit den kolossalen Kickdrums, den scheppernden Snares, den hektischen Hi-Hats und den irre ignoranten Texten« bezeichnet.44 In der Literatur wird Cloud-Rap und dessen US-Galionsfigur Lil B. in engem Zusammenhang mit der Digitalisierung von Rapmusik diskutiert: »Als Lil B. zum Solokünstler wurde, begann seine Metamorphose zum Lieblingsrapper aller Internet-Nerds: Durch einen niemals abreißenden Strom von selbstgebastelten Freestyle-Mixtapes, Low-Budget-Videos und absurden Twitter-Nachrichten, in denen er stets von sich selbst in der dritten Person sprach, wurde Lil B. zu einem Held der neuen Generation DIY.« (Szillus 2016: 89)

An dieser Stelle wird einmal mehr deutlich, wie eng die Pluralisierung und Diversifizierung von (nicht nur, aber auch) männlichen Subjektpositionen im Rap mit Genre und der Kategorie Alter in Verbindung steht. Inspiriert durch männliche Vorbilder wie Lil B., den Szillus (2016) unter das Label ›Weirdo-Rap‹ fasst und Obst (2016) als inklusive Männlichkeit im Rap diskutiert, beginnen viele deutschsprachige HipHop-Millenials ab dem Jahr 2015 »die Grenzen dessen, was HipHop bedeuten kann, […] neu aus[zu] 43 Schacht, 08.12.2020, https://juice.de/purple-is-the-new-black-falk-schacht-ueber-denhype-um-trap-und-cloudrap/ 44 Bortot, 08.12.2020, https://Juice.de/trap-spezial-Juice-147/

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loten und dabei auch [zu] verschieben. Im Kern geht es bei ihnen um Eskapismus und freien kreativen Ausdruck. Die meisten von ihnen lieben es, wenn sie von traditionalistisch veranlagten HipHop-Fans abgelehnt werden« (Szillus 2016: 89). Tatsächlich können traditionelle Rap-Männlichkeiten wie Kool Savas, der als Mitbegründer des Battle-Rap und Pionier des deutschsprachigen Gangsta-Rap gilt, dem neuen Genre samt seiner alternativen Protagonisten nur wenig abgewinnen. Szene-Medien zitieren den selbsternannten ›King of Rap‹ mit den Worten: »Einige dieser sogenannten Rapper sind auch noch stolz auf ihre Ignoranz. Euer Cloud oder wie diese Musik heisst soll euch f*cken.«45 Interessanterweise weist das semantische Spektrum des Cloud-Rap zahlreiche Parallelen zu dem Subgenre GangstaRap auf, geht es in den Texten von Young Hurn oder LGoony doch vor allen Dingen um Drogen (v. a. Codein), Reichtum und einen exzessiven, mitunter devianten Lifestyle. Allerdings offenbart ein close reading der Texte einiger deutschsprachiger Cloud-Rapper_innen auch kritisches Potential. Die Texte und Musikvideos von HipHop-Millenial LGoony etwa führen das hegemoniale und gangsta-rap-spezifische larger than life-Ethos ad absurdum. »Ich fahr in mei’m Bugatti bis zum Mars« rappt LGoony auf ›Bugatti‹ (2016) und auf ›Millionen Euro‹ (2014) heißt es: »Ich bin so reich, Millionen Euro in der Schweiz«, während der kommerziell wenig erfolgreiche Kölner seinen vermeintlichen Reichtum im zugehörigen Musikvideo im Setting einer – freilich wenig streetkredibilen – örtlichen Sparkasse performt (siehe Abb. 6).

Abbildung 6: »Ich bin sooo reich …!« LGoony und die Parodie des gangsta-rap-typischen larger than life-Ethos

45 Molke, 08.12.2020, https://hiphop.de/magazin/wtf/was-kool-savas-an-sogennantenrappern-richtig-auf-sack-geht-294044#.V6xNXPmLSUl



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Die Kritik an der hegemonialen rap business masculinity wird hier über die Zitation hypermaskulin konnotierter Praktiken, Narrationen, Ästhetiken und Materialitäten realisiert, die durch Entfremdung, Rekontextualisierung oder Übertreibung als solche sichtbar gemacht und gleichsam parodiert werden.46 Insgesamt gibt sich LGoony auffällig emotional, was die häufige Verwendung des Verbs ›fühlen‹ in seinen Texten anzeigt, wobei er sich dabei unter anderem auch auf US-Idol Lil B und dessen inklusiven based-Lifestyle bezieht.47 Das Beispiel LGoony verweist damit einmal mehr auf die Logik des ›Glokalen‹ und die Bedeutung Schwarzer Rap-Männlichkeiten im doing rap masculinity. Vor allem durch ein Feature mit dem Österreicher Weirdo-Rap-Phänomen Moneyboy48 gelangte auch Rapper Juicy Gay zu größerer Bekannt 46 Inwiefern es sich im Fall von LGoony letzten Endes um eine bewusste und ernstgemeinte Kritik handelt, muss letztendlich offenbleiben. In Interviews übt sich LGoony nämlich in maximaler Verunklarung. So beschreibt er seine Musik gegenüber dem Szenemedium allgood.de als »vollkommen ernst gemeint«, fügt dem jedoch hinzu, dass »inhaltlich […] natürlich nicht alles ernst zu nehmen [sei]«, dies jedoch »etwas anderes« wäre. Wehn, 08.12.2020, https://allgood.de/features/interviews/ meine-musik-ist-vollkommen-ernst-gemeint/ 47 Zum Beispiel: »Yeah, ich fühl mich wie Lil B, so based, ich schwebe grade« (›Babylon‹, 2016) oder »Fühle mich wie die Offenbarung« (›Kanye West‹, 2016), »Fühl mich als wär ich Rihanna« (›Hochhaus‹, 2016), »Fühl mich so wie Ayrton Senna« (›Backstage‹, 2016), »Yeah, ich fühle mich so wie Gucci Mane« (›Heilig‹, 2016), »Ich schwebe durch den Wald und fühl mich wie im Traum« (›Nebel‹, 2015) usw. 48 Der Österreicher Rapper Moneyboy wurde im Jahr 2010 durch den Song ›Dreh den Swag auf‹ bekannt, ein Coversong des Tracks ›Turn my swag on‹ des US-amerikanischen Rappers Soulja Boy. Moneyboy wurde zunächst vor allem aufgrund seines dilettantischen Rap-Stils, dem übermäßigen, für viele peinlich wirkenden Gebrauch von Anglizismen, sowie durch den Rückgriff auf allerlei HipHop-Klischees, vom XXL-Shirt bis zur Goldkette zum Szene-Hype stilisiert. Die sich daran anschließende Debatte diskutierte den Rapper vor allem zwischen den Polen eines gescheiterten, jedoch ernst gemeinten Versuchs und lupenreiner Parodie, stellte sich der Wiener doch schon bald als Akademiker heraus. Moneyboy (der zuweilen auch seinen Alias wechselte), den Dietrich (2015b: 293f.) unter ›Fun- und Party-Rap‹ subsumiert, betreibt eine exzessive Nutzung sozialer Medien, veröffentlichte zahlreiche Mixtapes, EPS und Singles und war in dutzenden Medienformaten zu Gast. Der Rapper tritt darüber hinaus oft mit Mitgliedern der von ihm gegründeten sog. Glo Up Dinero Gang in Erscheinung, zu der nebst Hustensaft Jüngling und Medikamenten Manfred auch LGoony und Juicy Gay (= assoziiertes Mitglied) zählen. Das ›Phänomen Moneyboy‹ lässt sich seit 2010 als fester Bestandteil der deutschsprachigen Rap-Szene bezeichnen und wird heute gleichberechtigt mit anderen Rapper_innen seitens einschlägiger Szenemedien verhandelt. Ein Artikel, der das Thema auch unter dem Aspekt der Kunst verhandelt und Moneyboy vor allem für sein unermüdliches Herzblut Respekt zollt, findet sich etwa beim Szenemagazin splash-mag.de, 22.08.2018,

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heit in der deutschsprachigen Rap-Szene. Juicy Gay, dessen Name eine Anspielung an das US-amerikanische Schwarze Vorbild Juicy J darstellt, spielte vor allem zu Anfang seiner Karriere mit dem Image des Homosexuellen, wodurch er schnell als »der erste offen schwule Rapper Deutschlands« galt und als ›Novum‹ diskutiert wurde (so etwa von Rap-Journalist Falk Schacht).49 Wenngleich sich Juicy Gays Homosexualität schon bald als provokatives Image und nicht als wahrhaftige Geschlechtsidentität herausstellte, so lässt sich dennoch festhalten, dass das Homosexualitätstabu des Rap zu keinem anderen Zeitpunkt der Geschichte des deutschsprachigen Rap eine derartige Irritation und offensichtliche Parodie erfuhr.50 Es ist Szillus (2016: 91) deshalb zuzustimmen, wenn er bemerkt, dass eine ›schwule Kunstfigur‹ wie Juicy Gay im Bereich Rap vor einigen Jahren »mindestens so undenkbar gewesen [wäre] wie das Outing eines Bundesliga-Profis«. Homophobe Deutschrap-Klassiker wie ›Schwule Rapper‹ von Battle-Rap-Legende Kool Savas werden von Juicy Gay zitiert und »konsequent zu Ende gedacht«, so Rap-Journalist Falk Schacht, etwa wenn Juicy Gay im Song ›Schwule Rapper 1‹ homoerotische Zärtlichkeiten mit RapKoryphäen wie Kool Savas, Farid Bang oder Samy Deluxe auszutauschen vorgibt. Auch die Kritik des selbsternannten ›Trapgaylords‹ Juicy Gay äußert sich in der ironischen Zitation hypermaskuliner Versatzstücke, die durch Entfremdung und Rekontextualisierung parodiert werden. So tritt der Rapper in einem Musikvideo mit Capri Sonne und rosa Bade-Shorts in Erscheinung und bedroht ein nicht näher definiertes männliches Gegenüber mit seiner Wasserpistole: »Ich spritze mit meiner Wasserpistole in dein Gesicht.« (siehe Abb. 7).

­https://splash-mag.de/das-phaenomen-money-boy-oder-eine-propagandaschrift-desdadaismus/ [dieser Link ist inzwischen offline] 49 Schacht, 08.12.2020, https://www.spiegel.de/kultur/musik/interview-mit-juicy-gayder-erste-offen-schwule-rapper-deutschlands-a-00000000-0003-0001-0000000000245540 50 An dieser Stelle sei der Vollständigkeit halber angemerkt, dass es mit dem Song ›Schwule Mädchen‹ von Fettes Brot bereits im Jahr 2001 einen deutlich homophobie-kritischen Song im Bereich Rap gab. Die queere Rapperin Sookee hielt den Song in einer Publikation aus dem Jahr 2008 gar für das bis dato einzige szeneinterne Statement zum Thema (vgl. Hantzsch 2008). Zur Homophobie im HipHop vgl. die Beiträge von Stüttgen (2007) und Jung/Schmidt (2014)



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Abbildung 7: »Trapgaylord« Juicy Gay und das ironische Spiel mit dem Homosexualitätstabu des Rap

Eine Aussage, die angesichts des demonstrativ zur Schau gestellten, eher schmächtigen Männerkörpers nur bedingt bedrohlich daherkommt (zu den Anforderungen an den Gangsta-Rap-Körper vgl. bei Seeliger 2013: 119ff.). Auch Juicy Gay verortet sich im transnationalen Diskursuniversum Rap und bezieht sich unverkennbar auf US-amerikanische alternative Männlichkeitsvorbilder: Juicy Gays Mixtape I’m Lil B. (I’m Happy) aus dem Jahr 2016 ist eine deutliche kulturelle Referenz auf das Album I’m gay (I’m happy) des USamerikanischen Cloud-Rappers Lil B. aus dem Jahr 2011. Auch das Albumcover ist jenen des Weirdo-Rappers in Stil und Ästhetik deutlich nachempfunden. Anders als andere gesellschaftliche (Macht-)Felder, wie die Politik oder der Sport hat sich zumindest der Mainstream der deutschsprachigen Rap-Szene bislang noch nicht für homosexuelle Männlichkeiten geöffnet. Der Umgang mit Juicy Gays Homosexualitäts-Image ist dennoch ein Gradmesser für eine sukzessive Liberalisierung. Zwar ist auch Juicy Gay nicht dem deutschsprachigen Rap-Mainstream zuzuordnen, dennoch findet sein mitunter höchst politischer51 Rap-Stil »zwischen Trap, Cloud Rap, R’n’B, Swag Rap und Boom Bap« (Falk Schacht) sein Publikum in der heterogenen und höchst ausdifferenzierten Rap-Szene. Dazu kommen zahlreiche Kollaborationen mit diskursmächtigeren Rap-Künstler_innen wie Moneyboy, Asadjohn oder Haiyti und eine – nach anfänglichen Berührungsängsten – insgesamt positive Berichterstattung seitens männlicher wie weiblicher Rap-Szene-

51 vgl. etwa den Track ›444/Nazis raus‹ (2015) auf dem er sich »auf einem eigenhändig produzierten Beat der Flüchtlingsthematik und der wieder aufkeimenden Salonfähigkeit von rechtem Gedankengut annimmt« wie Journalist Skinny von rap.de formuliert. Skinny, 08.12.2020, https://rap.de/soundandvideo/63809-juicy-gay-444nazis-raus-video/

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Journalist_innen.52 Wenn Obst (2016) am Beispiel der US-amerikanischen Rap-Szene Liberalisierungstendenzen im Hinblick auf männliche Homosexualität feststellt und inklusive Rap-Männlichkeiten wie Drake, Frank Ocean oder Lil B. eng mit der Digitalisierung beziehungsweise dem Siegeszug des Internets zusammendenkt, so lässt sich diese Annahme mit einiger Vorsicht auf den deutschsprachigen Raum übertragen. Das Beispiel Cloud-Rap verdeutlicht außerdem wie unabdingbar eine Analyse von lokalen (Rap-)Männlichkeiten in einem globalen Rahmen ist und in welch enger Wechselwirkung Faktoren wie Globalisierung, Digitalisierung usw. mit Konstruktionen von Geschlecht stehen. 9.3.5 Singen, tanzen, kochen: Die Diversifizierung der Gangsta-Männlichkeit Zweifellos ist Gangsta-Rap das kommerziell erfolgreichste Subgenre und die Subjektposition des männlichen Gangsta-Rappers die hegemoniale Männlichkeit im Rap. Gleichzeitig ist Gangsta-Rap jedoch eine höchst »ambivalente Subjektkultur«, wie Dietrich/Seeliger (2013) herausarbeiten. Eine Ambivalenz, die sich besonders anschaulich an dem Männlichkeitsmodell des Gangsta-Rap ablesen lässt, das bei genauerem Hinsehen tatsächlich weitaus mehr Dimensionen als die typisch männlichen Attribute der Härte, Dominanz und übertriebenen Coolness umfasst. Insbesondere innerhalb der letzten Jahre ist im Bereich des maskulin konnotierten deutschsprachigen Gangsta-Rap eine Inkludierung feminin konnotierter Attribute, Praktiken und Handlungsweisen in das hegemoniale Männlichkeitsmodell zu beobachten. Wie wir später sehen werden, steht auch dieser Liberalisierungsprozess in einer engen Wechselwirkung mit den Diskursen und Männlichkeitsmodellen der US-amerikanischen Szene. Zur Erinnerung: Für den Rap-Autor und Amerikanist Obst (2016: 77) sind US-amerikanische Rapper wie Lil B., Drake oder Frank Ocean Beispiele für »eine neue, einfühlsame Verkörperung von Männlichkeit [im zeitgenössischen HipHop], die sich alten Mustern widersetzt und progressive Züge annimmt«. Gegenwärtige Rap-Männlichkeiten wie Drake seien fluide und »von Widersprüchen geprägt« (ebd.: 52 vgl. etwa einen Artikel mit der Überschrift »Hört auf, Juicy Gay auf seine Sexualität zu reduzieren!« aus dem Jahr 2016 in dem Autor und HipHop Millenial Skinny des Szenemediums rap.de explizit Stellung nimmt. Skinny, 08.12.2020, https://rap.de/allgemein/82230-skinnys-abrechnung-27-hoert-aufjuicy-gay-auf-seine-sexualitaet-zu-reduzieren/



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78). Gerade im Zeitalter des Internets erreichten Männlichkeiten im Rap gar »gesteigerte Komplexitätsstufen« (ebd.: 77). Obsts Beobachtungen der US-Szene fügen sich bruchlos in die aktuellen Debatten der internationalen Männlichkeitenforschung ein, gilt die Widersprüchlichkeit doch geradezu als Kennzeichen gegenwärtiger Männlichkeitskonstruktionen (vgl. zum Beispiel Horlacher u. a. 2016; Erhart 2016). Die Pluralisierung von Männlichkeit im Rap, wie sie bereits am Beispiel der Hipster- und Cloud-Rapper diskutiert wurde, lässt sich also nicht nur genreübergreifend herausarbeiten. Auch innerhalb von Genregrenzen beginnt sich Rap’s letzte Bastion traditioneller Männlichkeit zu diversifizieren, sind Deutschlands Gangsta-Rapper doch neuerdings beim fröhlichen tanzen, singen und kochen zu beobachten: Mit dem Song ›Kokaina‹ landete die Dresdener Straßen-Rap-Formation KMN Gang den Rap-Hit des Jahres 2016 und ist seither nicht mehr aus dem Diskursuniversum Deutschrap wegzudenken. In dem Song werden klassische Topoi des Gangsta-Rap um Drogenhandel und Prostitution verhandelt: »Zwei Kilo Kokaina, direkt aus Costa Rica, alles rein wie Mona Lisa, bald bin ich Großverdiener …«, heißt es im Refrain, der jedoch, wie die meisten anderen Strophen des Songs gesungen und nicht gerappt wird. Für den Bereich des deutschsprachigen Gangsta-Rap ist das ein Novum. So ein Gangsta-Rap-Song überhaupt über gesungene Strophen oder Refrains verfügt, so werden diese entweder von einer Frau oder aber einem explizit dem R&B oder Soul zugehörigen männlicher Künstler performt/eingesungen (zum Beispiel Xavier Naidoo oder jüngst Adel Tawil). Singen galt in der patriarchal-heteronormativ strukturierten Rap-Szene lange Zeit als explizit feminin codierte ästhetische Praxis. Es ist der KMN Gang deshalb zuzustimmen, wenn sie im Interview mit dem Szenemagazin Juice behauptet, dass ein derartiger Erfolg wenige Jahre zuvor wohl kaum denkbar gewesen wäre: »Damals hat dieser Sound […] noch Mut und ein dickes Fell erfordert. Wir haben viel Hate bekommen, nach dem Motto: ›Warum singt ihr? Das ist schwul!‹. Aber wir waren überzeugt davon« (Voigt 2017: 34). Es ist interessant, dass Deutschrap-Vorbild Drake einige Jahre zuvor einen ähnlichen ›Wandel‹ im Hinblick auf Rap und Gesang vollzogen hat. Der Track ›Find your love‹ (2010) ist maßgeblich verantwortlich dafür, dass der kanadische Rapper und Multimillionär als ›softer Rapper‹ rezipiert wird, so Obst (2016: 69): »Drake wendet sich auf diesem Song in der Vortragsweise komplett vom Rap ab und dem R&B zu«. Die »Genderung von emotionalen R&B-Liedern in der Hip-Hop Welt« sei ihm dabei durchaus bewusst (ebd.). ›Find your love‹ zu veröffentlichen sei »actually a huge risk«, so der Rapper in einem Interview. »It almost feels like the song should be performed by a

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woman« (ebd.). Rap business masculinity Drake gehört nicht nur zu den bestverdienendsten Rappern der Welt, sondern ist (wohl auch deshalb) eine zentrale männliche Identifikationsfigur deutschsprachiger Rapper.53 »Hitmaschine so wie Drizzy Drake«54 vergleicht sich KMN Gang-Mitglied Miami Yacine mit dem US-Superstar. Durch die Popularität der alternativen Rap-Männlichkeit Drake wird die vormals effeminiert geltende Praxis des Singens legitimiert und auch in das deutschsprachige Gangsta-Männlichkeitsmodell inkludierbar. Wenngleich die Gesangsstimme freilich – wie im Fall von KMN – zur Erzählung stark maskulin geprägter und mitunter menschenverachtender Inhalte um Drogenhandel, Prostitution und dergleichen eingesetzt wird. An dieser Stelle sei an den US-HipHop-Forscher Jeffries (2011) erinnert, auf den sich auch Obst (2016) bezieht und dessen complex coolness-Theorie an dieser Stelle gut auf deutsche Gangsta-Rap-Männlichkeiten übertragbar ist: »[H]ip-hop’s complex coolness is what allows commercially successful representations to simultaneously contain narratives about collective racial identity, political injustice, God and the afterlife, Cadillac Escalades, strip clubs, and drug money.« (Jeffries 2011: 60) Tatsächlich ist es nicht nur die Praxis des Singens, sondern auch jene des Tanzens, die derzeit zunehmend in die deutschsprachige Gangsta-Männlichkeitserzählung integrierbar wird. Auch hinsichtlich dieser körperbetonten und ebenso weiblich konnotierten Praxis zeigt sich die deutsche Szene von globalen Rap-Männlichkeiten wie Drake beeinflusst, gilt letzterer doch nicht nur als begnadeter Sänger, sondern prägte auch verschiedene, körperbetonte Tanzstile und Posen, die nunmehr auch im deutschen Raum zu beobachten sind (siehe. Abb. 8 + 9).

Abbildung 8: Tanzen wie Drake (links) I: Zuna/KMN Gang (Mitte) und Raf Camora & Bonez MC (rechts) beim Tänzeln mit ausgebreiteten Armen

53 Laut forbes magazine verdiente Drake im Jahr 2018 100 Millionen Dollar. Forbes Magazine, 08.12.2020, https://www.forbes.com/pictures/5a8f3a6b31358e79a2 8a0433/4-drake-100-million-tie/?sh=2487441e1112 54 Drizzy ist ein Spitzname des Rappers Drake.



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Abbildung 9: Tanzen wie Drake (links) II: Straßen-Rapper Veysel (rechts) mit ungewohnt leidenschaftlichen Tanzbewegungen

Die inklusiven männlichen Körperpraktiken deutschsprachiger GangstaRapper sind erneut eng mit der Kategorie Genre zusammenzudenken. Denn der heutige Gangsta-Rap-Sound unterscheidet sich deutlich von jenem Sound, den das Label Aggro Berlin deutschsprachigem Gangsta-Rap ab 2001 aufprägte und der stark an der US-amerikanischen Westküste um Gruppen wie N.W.A. orientiert war (vgl. dazu Szillus 2012). ›Afro-Trap‹ oder auch ›Gangsta-Pop‹ heißt der neue Rapstil, der sich weniger inhaltlich, als vielmehr soundästhetisch vom klassischen Gangsta-Rap unterscheidet und der deutschsprachige Gangsta-Rap-Männlichkeiten zu allerlei ungewöhnlichen Affekten und Körperpraktiken veranlasst, wie Rap-Journalist Schacht in einem Podcast im Spätsommer 2017 feststellt: »Es ist Sommer, Sonne, Sonnenschein. Das ist auf gewisse Art und Weise gemächliche Musik. Also gemächlich im Sinne von Sommer, Sonne, Sonnenschein, chillig und so weiter. Und es hat so eine Pop- und Hit-Qualität. Und dann hab’ ich angefangen darüber nachzudenken, dass ich immer mehr Straßen- und Gangsta-Rapper sehe, die Musik machen, die Sommer, Sonne, Sonnenschein-hitverdächtig ist […] Ich nenn das jetzt mal ›Gangsta-Pop‹ und da hab’ ich mich halt gefragt, was ist da eigentlich los? Also es werden immer noch Drogen getickt, es werden immer noch Mütter gefickt, aber jetzt kannst du dazu tanzen auf Ibiza. Früher war das düster, dunkel und gefährlich und heute […] ich hatte immer das Gefühl tanzen is’ für die Jungs immer unmännlich und uncool und jetzt is’ so booty-time angesagt. Und natürlich die Frage woran liegt das? Und ich hab so gedacht: ›Du schließt dich manchmal heimlich ein auf dem Klo und schaust Yo!‹.55 Was ich damit sagen will ist: Heimlich haben die glaub ich schon immer getanzt und Tonnen von 55 Diese Aussage bezieht sich auf den Absolute Beginner-Track ›Rock on‹ (1998). Dort heißt es: »Seid doch mal ehrlich, ihr seid zwar überhaupt nicht locker. Doch ich weiß tief in euch drin, wärt ihr doch auch gerne ’n Rocker. Denn ihr zieht euch doch heimlich auch mal ’ne Daunenjacke an und schließt euch ein auf ’m Klo und hört Rap Radio, oder guckt Yo!« (›Yo! MTV Raps‹ war eine HipHop-Sendung in den 1980er und 90er Jahren).

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R&B gehört […] und ich glaub halt, dass Drake, französische Rapper und dann in Deutschland natürlich Raf mit Bonez und ›Palmen aus Plastik‹ dafür verantwortlich sind, dass das jetzt alles passiert. […] Sie [Rapper im Allgemeinen; Anm. d. Verf.] sind immer sehr stark auf ihr Image bedacht und auf das öffentliche Bild, das sie abgeben, weil das ist das einzige was sie sozusagen haben. Sie sind darauf angewiesen, dass sie glaubhaft sind und dass man ihnen die Rolle oder das Rap-Wesen, das sie innehaben, abnimmt. Und ich glaube, dass früher viele solche Sachen aus Furcht nicht gemacht hätten, weil das sofort verschrien worden wäre und man ihnen gesagt hätte ›äh das ist nicht hart, das ist nicht Gangsta‹ und jetzt ist es offensichtlich möglich, dass Gangsta auch eine, ich nenn das jetzt mal ›weichere Seite‹ von sich zeigen können, eine spaßigere Seite und musikalisch eben auch eine poppigere Seite ohne, dass sie verlieren …«.56

Auch Schacht stellt die Transformationen deutschsprachiger Gangsta-Männlichkeit in einen globalen Rahmen und macht nebst Rapper Drake auch die französische Szene für die hiesigen Entwicklungen mitverantwortlich.57 Tatsächlich ist der sog. ›Afro-Trap‹58 (oder ›Gangsta-Pop‹) maßgeblich von dem Schwarzen französischen Rapper MHD inspiriert. Es handelt sich dabei um eine musikalische Hybridform aus dem US-amerikanischen Südstaaten-Trap und der westafrikanischen Musik- und Tanzform Coupé Décalé. Der Stil Die Klo-Zeile wiederum rekurriert auf Udo Lindenbergs ›Sonderzug nach Pankow‹ wo es statt ›Rap Radio‹ ›West Radio‹ heißt. 56 Schacht & Wasabi (Folge 33), 08.12.2020, https://www.Youtube.com/watch?v=Ki2T6T8Vfc [Min. 56:19–59:37] (bereinigtes Zitat) 57 Die Literatur zur französischen Rap-Szene, deren lokale Re-Kontextualisierungs- und Emanzipationspraxis ebenfalls den US-amerikanischen Rap zum Vorbild hat, ist recht umfangreich. Allgemeine Ausführungen finden sich zum Beispiel bei Bazin (1985), Boucher (1998), Milon (1999) oder Prevós (1996). Sprachwissenschaftlich nuancierte Arbeiten etwa bei Kimminich (2001), Scholz (2003) oder auch Maierhofer-Lischka (2013). 58 Für einen kritischen Kommentar zum Begriff des ›Afro-Trap‹ vgl. einen Artikel von Rap-Journalist Raabe im Magazin Juice, der diesen unter den Vorzeichen kultureller Aneignung und künstlerischer Stagnation diskutiert: »Vieles von dem, was in Deutschland als Afro-Trap bezeichnet wird, kann und sollte kritisiert werden. Der Afro-TrapBoom geht mit dem größten kommerziellen Erfolg von Deutschrap, gleichzeitig aber auch mit der größten kreativen Stagnation im kommerziell erfolgreichen Deutschrap einher. […] Wenn ein Begriff wie ›Afro-Trap‹ geschöpft oder ein Begriff wie ›Dancehall‹ umgedeutet wird, weil Youtube-Kommentatoren glauben, ihn auf Tracks von Summer Cem oder Bausa anwenden zu können, findet eine Dissoziation mit kulturellen Ursprüngen statt, und die Genres werden zu einer generischen neuen Masse. Diese Tendenz, Dinge ohne großes Nachdenken zu vereinnahmen, ist eine Eigenschaft der kapitalistischen Kulturindustrie, die man weder Produzenten noch Konsumenten vorwerfen kann.« Raabe, 08.12.2020, https://juice.de/afro-trap-in-alemania-feature/



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wird vorwiegend von Schwarzen Franzosen mit (west)afrikanischer Migrationsgeschichte produziert und ging durch Shooting-Star MHD und dessen Youtube-Hit ›Afro-Trap pt.1 (La Moula)‹ um das Jahr 2015 viral. Auch für den Entstehungsprozess des deutschen Erfolgsalbums Palmen aus Plastik (2016) stand MHD Pate, wenngleich die deutschsprachigen Rapper Raf Camora und Bonez MC bereits zuvor jeweils mit musikalischen Versatzstücken aus dem Reggae und Dancehall experimentierten.59 Weshalb Afro-Trap in Deutschland insbesondere von Gangsta-Rappern mit Migrationsgeschichte adaptiert und rekontextualisiert wurde, erklärt sich für das Autorenpaar Güngör/Loh zum einen durch die innereuropäische Hegemonie des französischen Rap, zum anderen sei die Begeisterung für den tanzbaren Sound auf »neue Migrationsbiografien« zurückzuführen, die die gegenwärtige GangstaGeneration von vorherigen unterscheidet: »Die Übernahme der musikalischen und ästhetischen Versatzstücke garantiert fast immer den Erfolg beim Publikum und kommt in manchen Fällen dem Plagiat recht nahe. So sind die Anleihen von Haftbefehl bei den Pariser Rappern Booba oder Kaaris nicht zu übersehen, aber auch der beeindruckende Erfolg der KMN-Crew um die Rapper Azet, Nash, Zuna, und Miami Yacine sowie die Berliner Locosquad oder der 385ideal-Schützling Nimo wären ohne die französischen Vorbilder kaum denkbar. Auf der anderen Seite ist der Erfolg des (Afro-)Trap in Deutschland auch auf neue Migrationsbiografien zurückzuführen, die sich von denen der vorangegangen Gangsta-Rap-Generation unterscheiden. Viele der aktuellen Rapper dieser Spielart sind als Flüchtlinge aus afrikanischen Staaten nach Deutschland gekommen, einige haben mit ihren Familien vorher in Frankreich oder Belgien gelebt und dort den französischen Straßen-Rap kennen gelernt. Der französisch-afrikanische Einfluss auf das deutsche Genre Gangsta-Rap ist in vielen Bereichen greifbar.« (Güngör/Loh 2017: 213f.)

Die Nachahmung der Schwarzen französischen Vorbilder materialisiert sich nicht nur auf der körperlich-habituellen, sondern auch auf der Ebene der Mode. Besonders beliebt ist beispielsweise das Tragen von Fußballtrikots, was auf die Bedeutung rap-männlicher Identifikationsfiguren aus dem gesellschaftlichen Machtfeld Sport verweist. International erfolgreiche Profi-Fußballer – vor allem solche aus deprivilegierten Verhältnissen wie Neymar oder Ribéry – haben als Verkörperungen der business masculinity insbesondere im europäisch-diasporischen Migrations- und Gangsta-Rap-Kontext enorme Strahlkraft, sind sie

59 Palmen aus Plastik (2016) von Raf Camora und Bonez MC erhielt mehrere Platin-Auszeichnungen zählt und zu den bestverkauften Rap-Alben der letzten Jahre.

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doch der lebende Beweis dafür, dass auch die marginalisierte Männlichkeit den Aufstieg in die soziale Elite schaffen kann (siehe Abb. 10).60

Abbildung 10: MHD (links), Miami Yacine/KMN Gang (Mitte) und Raf Camora (rechts): Das Fußball-Trikot und die Huldigung der sports business masculinity

Schließlich werden auch andere modische Accessoires von deutschsprachigen ›Afro-Trappern‹ übernommen, wie zum Beispiel Ganzkörper-Trainingsanzüge, Bucket Hats (auch bekannt als Fischer- oder Angler-Mütze) oder Bauchtaschen. Wiederkehrende Materialitäten wie billige Plastikbecher oder Motorroller sorgen schließlich für die nötige Streetkredibilität der AfroTrap-Männlichkeit und stellen den Bezug zum symbolträchtigen (französischen) Ghetto beziehungsweise der Straße und damit gleichsam dem marginalisierten Subjekt her. Es ist interessant an dieser Stelle anzumerken, dass die tanzende und singende Gangsta-beziehungsweise Afro-Trap-Männlichkeit bereits weitere Differenz- und Distinktionspraktiken innerhalb des binnengeschlechtlichen Gefüges im Bereich Gangsta-Rap zeitigt. Während einige ›klassische‹ Gangsta- und Straßen-Rapper und Ikonen wie Azad oder Massiv ebenfalls mit Elementen des trendigen Afro-Trap zu experimentieren beginnen, grenzen sich andere wie Kollegah und Farid Bang deutlich von den Afro-Trap-Gangstern ab. Im Musikvideo zu ›Zieh den Rucksack aus‹ (2017) parodieren die Protagonisten des Skandal-Albums JBG3 ihre Genre-Konkurrenten indem sie mit Fußballtrikot, Bucket Hat und Bauchtasche vor einer Tankstelle herumtänzeln und sich mit Ausrufen wie ›Olé, olé‹ über den tanzbaren Sound des neuen Mikrogenres lustig machen. Der gegenwärtigen Gangsta- und Straßen-Rap-Generation ist überdies nicht nur beim Singen und Tanzen beizuwohnen. Auch Koch- und Backtätigkeiten scheinen neuerdings ihr männlichkeitsbedrohendes Potential verloren zu haben. Innerhalb verschiedener Youtube-Formate begeben sich Gangsta- und Straßen-Rapper wie Celo & Abdi, Ssio oder Olexesh mittlerwei 60 vgl. beispielhaft Tracks wie ›Neymar‹ (2018) von Gangsta-Rappern Capital Bra und Ufo361 oder ›Ribéry‹ (2014) von Gangsta-Rapper Massiv, die die jeweiligen Fußballstars besingen oder sich mit diesen verglichen wird.



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le in die traditionell weibliche Sphäre der Küche und fachsimpeln dort über Rezepte, Zutaten, Zubereitungsweisen und Garstufen (siehe Abb. 11).

Abbildung 11: »Das Brot ist baba!« Straßen-Rapper Celo & Abdi (links) und Ssio (rechts) beim kochen und backen mit Rap-Moderatorin Visa Vie (man beachte das Thug Life-T-Shirt bei Celo, Dritter von links)

Aber auch im Kontext von Vaterschaft zeigen sich innerhalb von Männlichkeitskonzepten gewisse Transformationen, denn »[w]enn Beruf und Erwerbsarbeit ihre dominante Rolle in den Männlichkeitsentwürfen verlieren, rückt mit Familie und Vaterschaft nicht nur die Sphäre des Privaten auf eine historisch neue Weise ins Zentrum der Konstruktion von Männlichkeit, vielmehr bilden sich neue Konfliktlinien im Verhältnis von Männlichkeit und Väterlichkeit, in deren Gefolge sich historische gegenwärtige Männlichkeitsentwürfe verschieben und ablösen.« (Erhart 2016: 16)

Der immer häufiger diskursivierte Vaterschafts-Topos soll deshalb als abschließendes Beispiel für die interne Diversifizierung und Ambivalenz der Gangsta-Männlichkeit angeführt werden. Im Song ›Papa‹ (2017) beispielsweise »oszilliert Bushido zwischen der Inszenierung als zärtlich-involvierter Vater und der Affirmation des traditionellen Familienernährers« (Süß 2020: 239). Einerseits nutzt Bushido seine Sprecherposition als Vater um sein Image als geächteter, krimineller Outlaw zu manifestieren: Auf der Textebene inszeniert sich der Rapper als Opfer permanenter Ausgrenzungserfahrung, so dass der Karriereweg des Gangstas (auch vor den Kindern, an die der Track adressiert ist) als einzig möglicher Ausweg und logische Konsequenz erscheint. Der ›marginalisierte Gangsta-Papa‹ wird dabei als maximaler Gegenhorizont zu den Daseinsformen anderer (weiß-privilegierter) Väter entworfen, etwa wenn es heißt: »Andere Papas tragen keine Jogginghosen oder Sneakers« oder »Andere Papas werden morgens nicht geweckt von Polizisten«. Gleichzeitig affirmiert Bushido die hegemoniale Männlichkeit beziehungsweise Vaterschaft, indem er sich auf der Bildebene als aktiver Vater und

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Erzieher in Szene setzt, dessen familiales Engagement sich in gemeinsamen Ponyreiten und Fahrrad fahren materialisiert (siehe Abb. 12).

Abbildung 12: Ponyreiten und Fahrradfahren. Bushidos aktive Vaterschaft

Passend zur neuen, fürsorglichen Dimension von Bushidos Gangsta-Männlichkeit bricht das Musikvideo mit der klassischen Gangsta-Rap-Ästhetik: Statt inmitten urbaner Häuserschluchten und finster dreinblickender Männergemeinschaften schlendert Bushido in ›Papa‹ im strahlend weißen Pullover durch sommerliche Wiesen und Felder (siehe Abb. 13). Die Einspielung gesprochener Kinderstimmen, die Papa Bushido als liebenden Vater und ›besten Freund‹ diskursivieren, sowie die Einblendung von Kinderzeichnungen komplettieren das doing gangsta papa, dessen Ambivalenz sich zwischen hypermaskulinen Genrezwängen, gesellschaftlichen Erwartungen und neuen Anforderungen an fürsorgliche Väterlichkeit gleichermaßen aufspannt.

Abbildung 13: Doing gangsta papa: Papa Bushido mit weißer Weste im Kornfeld

Die Kehrseite der Gender-Modernisierungsmedaille im Rap Modernisierung, so formulieren es die Soziolog_innen Degele/Dries (2005) in ihrer gendersensiblen Modernisierungstheorie, ist ein ›dialektischer Prozess‹: »›Positive‹ Strömungen schlagen um in ›negative‹ und vice versa, durchdringen, stimulieren und hemmen sich gegenseitig« (ebd.: 31). Es darf deshalb wenig verwundern, wenn positive Entwicklungen wie der neue reflexive



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Geschlechterdiskurs im Rap, der Aufstieg von Frauen oder die Pluralisierung von Rap-Männlichkeiten von negativen Strömungen und Ereignissen flankiert werden. Mit dem Wiedererstarken eines besonders aggressiven Maskulinitätstypus, antifeministischen Ressentiments oder einer Renaissance der homosozialen Männergemeinschaft spiegelt die deutschsprachige Rap-Szene jenen Backlash wider, den auch die Männlichkeitsforschung für Männlichkeitskonstruktionen in Zeiten (globaler) Krisen und Umbrüche konstatiert und der letztlich auf eine Restabilisierung männlicher Herrschaft abzielt (vgl. zum Beispiel Kimmel 1987, 2013; Meuser 1998; Reckwitz 2010; Pohl 2011; Sauer 2011; Connell 2015 u. v. a. m.). Ein Rundumblick in das Diskursuniversum Deutschrap offenbart, dass es besonders männliche Akteure der ›härteren‹ Rap-Spielarten, das heißt also Gangsta-, Straßen und Battle-Rapper sind, die dem Strukturwandel im Geschlechterverhältnis mit Irritation sowie unterschiedlichen Strategien der Remaskulinisierung begegnen. Eine Entwicklung, wie sie Goßmann/Seeliger (2015) bereits am Beispiel von Schwesta Ewas Eindringen in das hypermaskuline und vormals strikt männlich-homosozial strukturierte Feld des Gangsta-Rap herausarbeiten. Wie vorherige Ausführungen bereits deutlich gemacht haben sollten, erobern seit Schwesta Ewa immer mehr weibliche Rapperinnen die männlich dominierten Sphären des Rap und machen diese als solche sicht- und angreifbar. »Ich rieche bei Rappern den Angstschweiß« rappt Juju (ehemals SXTN) auf dem Track ›Die Fotzen sind wieder da‹ im Jahr 2017 und fordert die nicht näher definierte männliche Konkurrenz wenig später zur weiblich codierten Hausarbeit auf: »Du kannst gerne mal bei mir abwaschen, Image kann euch nicht krass machen, denn ihr gebt mir die Hand wie Waschlappen«. Wie wir gleich sehen werden, empfinden nicht wenige deutschsprachige Gangsta-Rapper derart selbstbewusst vorgetragene diskursive Effeminierungen als Affront und Angriff auf die Integrität der eigenen Männlichkeit – zumal sie neuerdings seitens weiblicher Rap-Sprecherinnen und nicht mehr – wie gewohnt – durch satisfaktionsfähige männliche Konkurrenten realisiert werden. Hegemonie wird auf dem Feld des Rap nunmehr zwischen den Geschlechtern und nicht mehr innerhalb des männlichbinnengeschlechtlichen Gefüges ausgehandelt. 9.3.6 Irritierte Maskulinisten und emanzipationsfeindliche ›Ausländer‹ Im Folgenden werden einige diskursive Ereignisse der Jahre 2016 und 2017 skizziert. Hauptakteure sind die Rapper Bass Sultan Hengzt (BSH), sowie Kurdo, Majoe, Kollegah und Farid Bang. Alle Rapper lassen sich den ›härteren

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Subgenres‹ des Rap, das heißt den Spektren des Gangsta-, Straßen- und Battle-Rap sowie mit Connell (2015: 134ff.) dem Handlungsmuster marginalisierter (weil migrantischer) Männlichkeiten zuordnen. Im Anschluss an Meuser (1998) kann die habituelle Sicherheit dieser Rapper ferner als prekär bezeichnet werden. Einerseits ist davon auszugehen, dass die »Reflektion über die Bedeutung des Mannseins […] nicht in den lebensweltlichen Relevanzen dieser Gruppe verankert [ist]« (Meuser 1998: 204). Andererseits werden nunmehr auch BSH und Co ähnlich des männlich-studentischen Milieus in Meusers Studie zunehmend »mit den Herausforderungen des Feminismus konfrontiert« und zwar innerhalb der ›eigenen‹ Szene und auf eine raptypische, konfrontativ-aggressive Art und Weise (ebd.: 205) (vgl. etwa eine Zeile von SXTNRapperin Nura: »Körbchengröße G wie ein G« usw.).61 Der Geschlechtsstatus ist den Rappern also – mit Meuser gesprochen – »in einer ambivalenten Weise gegeben: zwischen Fraglosigkeit und Reflektion« (ebd.: 203). Trotz seiner insgesamt acht Studioalben [Stand Mitte 2018] ist der Rapper Bass Sultan Hengzt keine sonderlich populäre oder kommerziell relevante Person innerhalb der deutschsprachigen Rap-Szene. Durch Veröffentlichungen und Kollaborationen bei dem Untergrund-Label Bassboxxx sowie im Dunstkreis von Bushido, Fler und Aggro Berlin zehrt BSH jedoch – zumindest in Deutschlands Hauptstadt – von einem gewissen Untergrundruhm. Größere Aufmerksamkeit erreichte der Battle-Rapper, dessen Eltern aus der Türkei und Italien nach Deutschland migrierten, im Jahr 2016 mit der Veröffentlichung des Tracks ›Stute‹. Der Song ist eine Reaktion auf das Empowerment-Lied ›Hengstin‹ der deutschsprachigen Rockband Jennifer Rostock. Auf ›Hengstin‹ sind Zeilen zu hören wie: »Ich glaube nicht daran, dass mein Geschlecht das schwache ist, […] ich glaube nicht, dass mein Körper deine Sache ist« oder auch »Ich seh’ so viele Männer und so wenig Eier«. FrontSängerin Jennifer Weist performt die Zeilen im zugehörigen Musikvideo in einer Mischung aus Rap und Gesang und mit einer selbstbewusst-aggressiven Attitüde. Mehr noch ist die großflächig tätowierte Sängerin im Video teilweise gänzlich nackt zu sehen und blickt – ihre Scham lediglich durch Hände und Arme bedeckt  – aus einer rapvideo-typischen, untersichtigen Perspektive fordernd in die Kamera (siehe Abb. 14). ›Hengstin‹ enthält jedoch noch mehr Referenzen auf den deutschsprachigen Rap: Im zugehörigen Musikvideo sind unter anderem die Producerin Melbeatz, DJane Josi Miller sowie Rap-Moderatorin Visa Vie zu sehen, die das pop 61 Das große G (engl. ausgesprochen ›gee‹) steht im Rap-Diskurs für ›Gangsta‹.



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feministische Statement der Rock-Band und deren Kritik an der männlich dominierten Musikindustrie durch ihre visuelle Präsenz unterstützen (vgl. die Zeilen »Plattenfirma, Chefetage, alles voller VIPs, Very Important Penises, wo sind die Ladies im Business?«). Jennifer Rostock versammelt mit ihrem feministischen und musikindustriekritischen Song ›Hengstin‹ demnach einige diskursmächtige weibliche Sprecherinnen aus dem Bereich Deutschrap. Der im aktuellen deutschsprachigen Rap sonst eher wenig umtriebige Battle-Rapper Bass Sultan Hengzt übersetzte ›Hengstin‹ ganz offensichtlich als Kampfansage mit männlichkeits- und statusbedrohendem Potential und veröffentlichte prompt den Antwort-Song ›Stute‹. Seiner geringen Popularität gewahr, beginnt der Track mit einer gesprochenen Vorstellung des Rappers: »Yo, mein Name ist Bass Sultan Hengzt. Ich hab’ mir letztens einen gekeult und nachdem ich so gekommen bin, dacht’ ich mir: ›Ey, geiler Beat, darauf rapp’ ich‹«. Im zugehörigen Musikvideo sieht man den Rapper dabei breitbeinig in einen Sessel zurückgelehnt, mit Sonnenbrille und dunkler Kapuze. ›Stute‹ wird damit von Beginn an sowohl auf visueller, das heißt körperlich-habitueller, als auch auf diskursiver Ebene als männliches Resouveränisierungsprojekt lesbar: Die eigentliche Motivation des Antwort-Songs, nämlich der Affront einer feministischen Kampfansage – noch dazu durch Übernahme ›eigener‹ Genre- und Männlichkeitskonventionen (=  ›Hengstin‹) – wird als nichtiges (weil eher spontanes) Nebenprodukt sexueller Befriedigung gerahmt (»einen gekeult«). Der Habitus der Coolness (breitbeinig, Sonnenbrille …) soll die männliche Unaufgeregtheit freilich zusätzlich verstärken und BSH durch die untersichtige Kamera zurück in die ihm angestammte Rolle versetzen. Tatsächlich bricht sich die Ambivalenz der Männlichkeitsperformance bereits in den ersten zwei Zeilen des Tracks Bahn: Abgesehen davon, dass BSH den Beat des feministischen ›Hengstin‹ offensichtlich »geil« findet, bekennt er nunmehr wörtlich, den Song als »Provokation« zu erfahren, nur um in der darauffolgenden Zeile sein erneutes Desinteresse zu bekunden: »Letztens hat mich ein Video zum Klick provoziert, irgend so ein Thema, hat mich nicht interessiert …«. Auf ›Stute‹ wird nachfolgend über zwei Strophen eine Art maskulinistischer Gegenhorizont entfaltet, der vor allem durch eine antifeministische und misogyne Polemik gekennzeichnet ist. Weist wird zum Sexobjekt degradiert, objektifiziert und auf ironisch-überspitzte Art und Weise an ihre traditionell-weibliche Rolle und Funktion erinnert: »Müsste sie nicht in der Küche sein? Finde ich ihre Brüste klein?«. Ferner wird Weists Feminismus als Produkt von Frigidität und daraus resultierender, sexueller Abhängigkeit von männlicher Macht und Po-

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tenz dargestellt: »Du laberst von Feminismus, doch ich hör nur raus, dass du an den Dick musst«. Feminismus und feministische Kritik, so könnte man interpretieren, mag ein Rapper wie BHS vormals eher abstrakt, etwa über die Medien vermittelt bekommen haben. Durch ›Hengstin‹ jedoch wird er hautnah erfahren und erinnert an die Reaktionen des männlich-studentischen Milieus in Meusers Studie, die den ›Emanzen‹ im Uni-Alltag ebenfalls mit einem Gemisch aus »ironische[r] Distanzierung [und] heftigeren Formen der Abgrenzung« begegnen (Meuser 1998:214). Während Meusers männliche Studenten immerhin zwischen ›Emanzen‹ beziehungsweise ›Feministinnen‹ und selbstbewussten ›emanzipierten Frauen‹ unterscheiden und letztere keinesfalls auf Küche oder Kinder reduzieren wollen, geht Bass Sultan Hengzt in ›Stute‹ einen Schritt weiter (oder besser gesagt ›zurück‹). So wird das feministische Relevanzsystem von Jennifer Rostocks ›Hengstin‹ auch auf der visuellen Ebene maximal mit jenem des Gangsta-Rappers kontrastiert: Statt konfrontativer, selbstbewusst-aggressiver Gestik à la Jennifer Weist ist im Musikvideo zum Antwort-Song ›Stute‹ zwar ebenfalls eine leicht bekleidete Frau zu sehen. Allerdings wird diese in die weiblich-traditionelle Sphäre der Küche, sowie das sexuell aufgeladene Schlafzimmer beziehungsweise Bett verbannt, wo sie in Reizwäsche und durch lasziv-rezeptive (also die bevorstehende Penetration aufnehmende/erwartende) Posen in die Nähe von Prostitution und dem Rap-Weiblichkeitsmodell der Bitch gerückt wird (vgl. dazu Leibnitz 2007a; Gossmann/Seeliger 2015: 304). Die rap-männliche Vorstellung vom ›Objekt Frau‹ wird dadurch unmissverständlich zurückerobert (siehe Abb. 14).

Abbildung 14: Hengstin vs. Stute. Jennifer Weists emanzipatorisches Statement gegen Sexismus in der Musikindustrie (links) und Bass Sultan Hengzts maskulinistische Anrichtung der Frau ›wie sie sein soll‹ in ›Stute‹

In der Gesamtschau ist Bass Sultan Hengzts ›Stute‹ aus dem Jahr 2016 ein paradigmatisches Beispiel für einen – freilich wenig elaborierten – Antifeminismus und eine Weiblichkeitsabwehr im Kontext der Krise der Männ-



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lichkeit. Dabei handelt es sich um Strategien und Verhaltensmuster, die manche Männer (darunter Maskulinisten und Männerrechtler) im Kontext gesellschaftlicher Transformationsprozesse entwickeln, um mit der Erschütterung der traditionellen Geschlechterordnung, wie sie durch den Feminismus und/oder das sukzessive Vordringen von Frauen in männlich dominierte Domänen vonstattengeht, umgehen zu können. Die ständige – wenngleich diskursive und nicht tatsächlich-physische – Androhung männlicher Penetration (»du willst meinen Namen nehmen und umdrehen? Ich will dir den Samen in den Mund geben«), der ironische und gleichsam polemische Duktus im Battle-Rap-Stil (»vom zu vielen blasen auf den Knien reißt der Meniskus …«) und der affektbegleitete, unbedingte Wiederherstellungswillen der ins Wanken geratenen Ordnung (»Ich bin der echte Hengzt!«), sind Strategien der Resouveränisierung infolge erfahrener Verunsicherung und Irritation. Mit dem ›Feindbild Frau‹ und dem Thema ›Weiblichkeitsabwehr und Antifeminismus im Diskurs über die Krise der Männlichkeit‹ beschäftigt sich auch der Soziologe Pohl (2011), dessen Ausführungen sich an nicht wenigen Stellen auf das Beispiel BSH übertragen lassen. Ähnlich der antifeministischen Diskurse vieler Männer- und Väterrechtler kennzeichnet auch ›Stute‹ ein »durchgängig polemische[r] Stil, ein aggressiver Anklagegestus und eine projektiv erzeugte, von starken Affekten begleitete Feindbildkonstruktion« (Pohl 2011: 114) – wobei Stil und Anklagegestus in unserem Fall im Wissen um Spezifika der Textsorte (Battle-)Rap interpretiert werden müssen. In Wirklichkeit – so ließe sich ›Stute‹ stellenweise übersetzen – will die hässliche Feministin Weist (»sie ist ’ne gute drei, oder ’ne ganz knappe vier«) doch nur eines, nämlich den starken, potenten Mann, der es ihr so richtig ›besorgt‹ (»Ich geb’ dir auch nen Klaps auf dein Po, du willst es doch auch«). Damit ähnelt BSHs Welt- und Frauenbild jenem des Soziologen und Männerrechtlers Amendt, mit dem sich auch Pohl im Zuge seiner antifeministischen Recherche auseinandersetzt. Jener nämlich vertrete die »These von der heimlichen rückwärtsgerichteten Erwartung der ›opferverliebten‹ Frauen, Männer mögen doch bitte weiterhin stark sein, ihre Kräfte aber auch zur Befriedigung der weiblichen Bedürfnisse einsetzen« (Pohl 2011: 115). »Der Wunsch, dass Männer die allmächtigen Besorger [sic!] sein mögen, ist als Subtext in allen feministischen Schriften enthalten« (Amend 2009: 44, zit. nach Pohl 2011: 115). Auch die Essentialisierung von Männlichkeit als hormon- und triebgesteuert, sowie ein Lamentieren der allgemeinen Situation der Männer als das eigentlich unterdrückte Geschlecht, sind maskulinistische Denkmuster,

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die sich im Track ›Stute‹ von Bass Sultan Hengzt finden lassen (»nur weil ich ficken liebe, bin ich doch kein schlechter Mensch«).62 Wie eingangs erwähnt, ist der Berliner Bass Sultan Hengzt nicht der einzige Rapper, dem die Erschütterung in der Geschlechterordnung des Rap zu schaffen macht. Auch andere männliche Protagonisten aus dem Battle-, Straßen- und Gangsta-Rap fühlen sich ob der zahlreichen feministischen und/ oder erfolgreichen weiblichen (Rap-)Sprecherinnen bedroht und greifen in ihrer Weiblichkeitsabwehr auf plumpen Sexismus und andere Gewaltphantasien zurück. Auf die Band Jennifer Rostock – die im Diskursuniversum Rap sonst tatsächlich keine große Rolle spielt – haben es etwa auch die Battle- und Gangsta-Rapper Kollegah und Farid Bang abgesehen. Auf dem Track ›0815‹ heißt es: »Und Jennifer Rostock schwingt nach ’ner Schelle den Kochtopf, bringt dann die Säcke zum Kompost und blowt den prächtigen BossCock«.63 Schließlich ruft auch das Selbstbewusstsein weiblicher Akteurinnen aus der ›eigenen‹ Szene einigen Unmut hervor, so zum Beispiel das erfolgreiche Berliner Rap-Duo SXTN. Im Track ›Maserati‹ (2017) der Gangsta-Rapper Kurdo und Majoe etwa heißt es: »Nimm mein Schwanz in den Mund wie 62 Zu den Songs ›Hengstin‹ und dem Antwort-Song ›Stute‹ sei angemerkt, dass beide Tracks und Musikvideos auf unterschiedliche Art und Weise in die Kritik gerieten. So wurde Weist vor allem aufgrund der für viele paradox obszönen Nacktszenen, Rapper Bass Sultan Hengzt aufgrund der degradierenden misogynen Texte angefeindet. Das sexistische Cover von ›Stute‹ wurde kurz nach Veröffentlichung auf der Plattform Youtube gesperrt, woraufhin der Rapper einen weiteren gleichnamigen Remix, zusammen mit dem Rapper King Orgasmus One veröffentlichte. Die Band Jennifer Rostock nahm in einer Version des Songs ›Neider machen Leute‹ (2016) schließlich pointiert Stellung zu der Causa. Dort heißt es: »Deutschrap-Fans zieh’n den Schwanz ein, ganz klein, Frauen, die was zu sagen haben, jagen ihnen Angst ein, keine Punchline, nur sexistisches Geballer, was’n eierloser Disstrack, Bass Sultan Wallach!« Jennifer Rostock, 27.10.2018, https://www.Youtube.com/watch?v=yiJvzR4G2g4 [der Link ist inzwischen offline] In der Folge des Hengstin vs. Stute – Eklats mischten sich auch weitere Personen aus dem Diskursuniversum Deutschrap in die Debatte ein. So veröffentlichte die queere Rapperin Sookee zusammen mit Alex Schrottgrenze ebenfalls einen Track namens ›Hengstin‹. Dort heißt es unter anderem: »Du fragst ob du ein schlechter Mensch bist, nur weil du ficken willst? Boy, du peilst die Waffen nicht, aber beginnst nen Zickenkrieg …«. 63 Zum viel kritisiertem Album JBG3 von Kollegah und Farid Bang vergleiche eine linguistische und männlichkeitstheoretische Analyse von Bloching/Landschoff (2018), die die beiden Rapper zurecht im Bereich des Maskulinismus verorten. Die für die Spielart des Battle-Rap kennzeichnende Subordination der Frau fände auf dem Album vor allem auf den folgenden vier Ebenen statt: »1) Beschreibung sexueller Erniedrigung, 2) Propagierung polygyner Praktiken, 3) offensiv antifeministische Haltung, 4) Tabubruch bei 1) bis 3)« (Bloching/Landschoff 2018: 19).



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ein Crispy-Chicken, bin kein Pädophiler, aber würde SXTN ficken, […] das ist Banger Musik, Bro, wir kennen keine Emanzipation. Fick dein Frauenrap, ich bin ein Ausländer, du willst ein Mikrofon? Hier nimm mein Dauerständer, […] ihr Nutten, wie kann man sich selber Fotze nenn?«. Im Fall von Kurdo und Majoe spannt sich die Reaktion auf das neue ›Feindbild Frau im Rap‹ zwischen männlich-sexualisierter Gewaltandrohung (»nimm mein Schwanz in den Mund«) und einer allgemeinen Absprache der Sprecherposition qua Zugehörigkeit zum minderwertigen Kollektivsubjekt ›Frau‹ auf (»fick dein Frauenrap«), das zusätzlich infantilisiert wird (»bin kein Pädophiler, aber würde SXTN ficken«).64 Die Aussage »wir kennen keine Emanzipation« kommt zwar zunächst humoristisch daher, wird unter Hinzunahme der Sprecherpositionen beider Rapper jedoch als Identitätskonstruktion am Nexus von gender und race lesbar, denn Kurdo und Majoe sind (selbsternannte) »Ausländer«. Doing rap masculinity findet hier also in Wechselwirkung mit doing ethnicity statt, insofern die ethnische Herkunft als Begründung für ein traditionelles, unterdrückerisches Männlichkeitsbild angeführt wird. Freilich wird nebst Emanzipation auch die Selbstbezeichnung von SXTN als ›Fotze‹ in Frage gestellt und durch die Degradierung zur Nutte gleichsam konterkariert (erinnere die Rückeroberung des Fotzen-Begriffs durch SXTN ›Fotzen im Club‹ 2016).65 Dass beide Rückeroberungsstrategien dabei derselben Logik folgen, entgeht den selbsternannten ›Ausländern‹ und ›Kanaken‹ offenbar (vgl. »Yeah wir sind Kanaken«, ebenfalls auf ›Maserati‹). Im Gegenteil gipfelt die Differenzkonstruktion als migrantischer Mann resp. männlicher Migrant bereits in der vorherigen Strophe in das ironisch gänzlich ungebrochene Statement: »Rap ohne Aussage, dunkle Hautfarbe, fick Rapper, denn nur echte Männer können Frau’n schlagen.« Eine Zeile, mit der sich das Duo endgültig innerhalb vormoderner Vorstellungen von Männlichkeit verortet und das freilich einmal mehr auf die Fragilität männ 64 Gangsta-Rapper Kurdo (wie auch Animus oder Manuellsen) fiel bereits negativ im Umgang mit Schwesta Ewa auf, wie Goßmann/Seeliger (2015) herausarbeiten: »Alle drei Rapper äußern sich in ironischer bis stark zynischer Form über Schwesta Ewa sowie Frauen und Sexarbeit, vor allem sind es aber Animus und Manuellsen, die sich in ihrem Dialog gegenseitig mit Witzen und Sprüchen anstacheln. Dennoch wird gleich zu Beginn deutlich, dass sie in ihrem Umgang mit der Rapperin sehr unsicher und nicht fähig sind, diese in ihre Vorstellung von Geschlecht einzuordnen« (ebd.: 297). 65 Zur Resignifizierungsstrategie von SXTN und deren Verwendung des Begriffs ›Fotze‹ vgl. auch einen Beitrag der Sprachwissenschaftler_innen Psutka/Grassel (2018). Die Irritation, die SXTN bei Rezipierenden mitunter auslösten, wertet das Autor_innenpaar dabei als Hinweis für eine gelungene Resignifizierung.

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licher Herrschaft im Bereich Rap verweist, kann diese doch offensichtlich nur noch durch den vorgeblichen Einsatz körperlicher Gewalt aufrechterhalten werden. Es ist letztlich interessant anzumerken, dass auch Kurdo und Majoe in ihrem Musikvideo auf die Strategie der Kontrastierung zurückgreifen: Wie bereits in ›Stute‹ wird der geschlechtsspezifische Soll-Zustand nämlich auch in ›Maserati‹ durch eine halbnackte, sich auf einem Bett räkelnde Frau repräsentiert. Eine visuelle Resouveränisierungs- resp. Retraditionalisierungsstrategie, der sich so oder so ähnlich auch Gangsta-Rapper Fler in dem Video zu ›Hipster Hass‹ (2014) bedient, wenn er die progressive (und demnach verachtenswerte) ›Hipster-Frau‹ mit der traditionellen (weil dienenden) ›HipHop-Frau‹ kontrastiert (vgl. Süß 2019: 35ff.). 9.3.7 Melodiöse Misogyne … muss man sich leisten können Obgleich Sexismus, Misogynie oder Homophobie seit jeher als probate stilistische Mittel in den verbalen Wettstreits des Rap dienen und entsprechende diskursive Diskriminierungsstrategien immer auch in den erweiterten (historischen) Kontext von Genre und Textsorte zu stellen sind, so zeitigt die gegenwärtige Entwicklung von Rapmusik und der zugehörigen Szene doch eine insgesamt relativ weit verbreitete, mehr oder weniger latente Akzeptanz und Affirmation machistischer Ressentiments. Zwar zeichnen sich neuere Rap-Spielarten wie der tanzlastige Afro-Trap durch eine neue, vermeintlich inklusive männliche Körperlichkeit aus, gleichzeitig transportiert der neue ›Gangsta-Pop‹ – zumindest in seiner deutschsprachigen Variante – auf der Inhaltsebene dezidiert sexistische Aussagen in den Mainstream, die in ihrer melodisch-eingängigen Verpackung schnell als solche verkannt werden. Damit wird der im Bereich der HipHop Studies bislang recht wenig erforschte Zusammenhang der Vergeschlechtlichung von Sound relevant. Aus einer Studie von Manzke (2007) zum Thema Porno-Rap wissen wir bereits, dass viele junge Mädchen kein Problem mit sexistischen Texten haben beziehungsweise ein Rezeptionsverhalten an den Tag legen, das zwischen Textinhalt und Sound differenziert: »Wenn der Beat gut ist, dann achte ich auch nicht so auf den Text« kommentiert ein 17-jähriges Mädchen dort den Song ›Shake die Muschi‹ von Rapper Frauenarzt (Manzke 2007: 175). Im Sammelband Die Stimme im HipHop von Hörner/Kautny (2009) konstatiert US-HipHop-Forscher Forman zurecht, dass das Vergnügen an Stimme oder Sound ein auditives und affektives Erlebnis ist, das die Macht hat, die »unoriginellsten Textstrukturen auf[zu]werten« (Forman 2009: 24):



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»Die Klangfarbe der Stimme und die Klarheit des Sounds tragen wesentlich zum Hörvergnügen des Publikums bei und wirken sich entscheidend darauf aus, wie das Talent eines MC eingeschätzt wird. Das Vergnügen an der Stimme und das durch sie ermöglichte auditive und affektive Erlebnis kann die unoriginellsten Textstrukturen aufwerten, über das Missbehagen an den häufig kritisierten Rap-Texten hinweghelfen oder die Besorgnis mildern, die eine Darbietung von unsozialen, nihilistischen oder schlichtweg negativen Themen nach sich ziehen mag. Man muss nicht notwendigerweise mögen, was da ausgesagt wird, um zu schätzen oder gar zu genießen, wie es klanglich ausgedrückt wird.« (Forman 2009: 24f.)

Es mag kaum verwundern, dass sich vor allem weiblich sozialisierte und/ oder queere Personen mit der Ambivalenz beschäftigen, die sich aus einem affirmativen Rezeptionsverhalten bei einer gleichzeitig kritischen Haltung gegenüber den Inhalten im Hinblick auf Rapmusik ergibt. Während eine derartige Forschungsleistung innerhalb der deutschsprachigen HipHop-Geschlechterforschung m. E. noch zu erbringen ist, findet man erste Theoretisierungen diesbezüglich vor allem im US-amerikanischen Raum, etwa bei der HipHop-Feministin und Geschlechterforscherin Lindsey, die jene Komplexität mit dem Begriff der ›melodiösen Misogynie‹ zu fassen versucht: »I use the term melodious misogyny to capture the sonic pleasure offered by popular music forms such as hip-hop. If we do not take seriously the pleasure girls and women derive from music, even misogynistic and sexist music, we miss an opportunity to theorize the complexities of women and girls’ pleasure and enjoyment. Understanding that we engage narratives on multiple levels helps contextualize hip-hop generation women’s continued support of music with often harmful lyrics. The sonic functions as its own narrative.« (Lindsey 2014: 63)

Lindseys Ausführungen ließen sich auch als Plädoyer für eine multimodale Analyse von Rap begreifen, eine Analyse also, die nicht nur die Inhaltsebene der Texte berücksichtigt, sondern einen erweiterten Textbegriff zugrunde legt, der Kommunikation als Verknüpfung unterschiedlichster Codes und Modalitäten begreift (vgl. dazu Klemm/Stöckl 2011). Bei einem männlichkeitstheoretischen Blick auf das aktuelle Diskursuniversum Deutschrap wird die Notwendigkeit einer solchen Analyseperspektive umso deutlicher: Das Erfolgsalbum Palmen aus Plastik (2016) der Rapper Raf Camora und Bonez MC wurde bereits an mehreren Stellen dieser Arbeit erwähnt und auch im Kontext einer Diversifizierung der Gangsta-Männlichkeit diskutiert. Es gilt als wegbereitend für die vom französischen Rap beeinflusste Spielart des AfroTrap und zeichnet die positive Entwicklung einer neuen Männlichkeitsperformance, die feminin codierte Praktiken des Singens und Tanzens inkludiert

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und das bis dato hypermaskuline Männlichkeitsmodell des Gangstas damit um neue Dimensionen erweitert. So weit, so progressiv. Ein genauerer Blick auf das trendsetzende Album und seine zahlreichen Nachahmer entlarvt Palmen aus Plastik jedoch schnell als den sprichwörtlichen Wolf im Schafspelz. Denn so fröhlich und tanzbar die Soundstruktur von Songs wie ›Palmen aus Plastik‹, ›Mörder‹, ›Ohne mein Team‹ oder ›Cabriolet‹ daherkommt, so fragwürdig sind die darin verbreiteten Inhalte. »Knall’ sie einfach in der Parklücke weg, wichs’ ihr in die Fresse und frag’ sie, wie’s schmeckt«, rappt Gzuz etwa auf ›Mörder‹ (2016), einer der erfolgreichsten Singles des Albums mit aktuell über 85 Millionen Klicks auf der Online Plattform Youtube [Stand 31.08.2020]. Auf der auditiven Ebene wird diese – diplomatisch ausgedrückt – unschöne und vor allem dem männlichen Lustgewinn dienliche Sexualpraxis von einem schadenfrohen Männerlachen begleitet und damit in ihrem misogynen Aussagegehalt verstärkt. Passend dazu sehen wir Gzuz’ Gesicht im zugehörigen Musikvideo im Close-Up. Belustigt nickt er in die Kamera, so als wolle er einem (männlichen?) Rezipienten die moralische Richtigkeit dieser (Sprach?) Handlung vermitteln. Die männliche Ejakulation, besser gesagt, das ›In-dieFresse-Wichsen‹, wird ferner durch einen Gewehrschuss visualisiert, was den männlichen Gewaltakt zusätzlich als bedrohlich und verletzend markiert. Drei Einstellungen später sehen wir – zeitgleich zum Verb ›schmeckt‹ auf der auditiven Ebene – ein klaffendes Fladenbrot mit einem cevapciciähnlichen Inhalt. Ob hier auf eine visuelle Assoziation mit einer weiblichen Vulva angespielt oder die auf der Textebene mit Ejakulat beträufelte Frau mit einem billigen Stück Fleisch gleichgesetzt werden soll (oder beides) und ob derartige Assoziationsketten wiederum intendiert sind, mag diskutabel sein. Die Assoziationskette ›Maskulinität – Potenz – sexuelle Gewalt – weiblicher Opfer-Körper‹ und damit letztlich der Frame ›Vergewaltigung‹ liegt bei einer multimodalen Analyse von Text, Bild und Tonspur jedoch nahe (siehe Abb. 15).

Abbildung 15: »Knall sie einfach in der Parklücke weg, wichs ihr in die Fresse und frag sie wie’s schmeckt«. Text, Bild, Ton und die multimodale Inszenierung männlich-sexueller Übergriffigkeit im Track ›Mörder‹



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Der extrem erfolgreiche ›Mörder‹-Song ist jedoch nicht der einzige Track auf dem Palmen aus Plastik-Album, der mit misogynen Botschaften daherkommt. Auch auf dem melodisch-eingängigen Track ›Cabriolet‹ werden fragwürdige Weiblichkeits- (und Männlichkeits)Bilder transportiert. Nunmehr Mitglied der High Society fährt rap business masculinity Raf Camora darin mit seinem Cabriolet Richtung »Nizza, Marseille, über Saint-Tropez« und ermuntert Frauen beziehungsweise »Chayas« aus dem Auto heraus zu Brustoperationen: »Fahre entspannt an der Küste, seh’ ’ne Chay, die ins Cabrio möchte. Baby, komm, mach dir die Brüste, ich mach’ dir den Löw und den Mario Götze«. Auch andernorts inszeniert sich der Rapper als potenter ›Besorger‹: »Camora kam nachts, seine Slut fantasiert, mieser Arsch, also wird attackiert, attackiert«, heißt es auf dem extrem erfolgreichen Song ›Attackieren‹. Einmal mehr wird (rap-)männliche Sexualität hier mit aktiver Gewalteinwirkung assoziiert. Zudem ist fraglich, ob die als schlafend/ träumend dargestellte Frau der analen(?) Penetration an dieser Stelle eingewilligt hat. Wird auch hier – ganz beiläufig – ein sexueller Übergriff geschildert? Rap-Kumpel Bonez MC rappt im selben Song: »Auf der Suche nach Sex, ein, zwei ostdeutsche Groupies im Bett« und greift damit einmal mehr auf Formen der Mehrfachdiskriminierung im doing rap masculinity zurück (man achte auch auf die objektifizierende, weil ungenaue Zahlenangabe ›ein, zwei …‹). Im zugehörigen Musikvideo sehen wir an dieser Stelle [01:05] übrigens eine nur sehr kurz eingeblendete Sequenz, die elf leicht bekleidete (Süd-Ost?)Asiatinnen vor einer Art Straßenbordell zeigt  – man denkt unweigerlich an Zwangsprostitution und das »having casual sex on the road«, ein Kennzeichen der neuen hegemonialen Business-Männlichkeit (Connell/ Wood 2005). Aufgrund seines enormen Erfolgs soll ein letzter Track des Albums Palmen aus Plastik kritisiert werden, der inzwischen Klickzahlen im dreistelligen (!) Millionenbereich aufweist (und sogar über einen eigenen Wikipedia-Eintrag verfügt): ›Ohne mein Team‹. Wie die meisten Videos des Albums wurde das zugehörige Musikvideo in südlicheren Gefilden (möglicherweise in der Karibik) gedreht. Der Sound von ›Ohne mein Team‹ ist erneut eingängig, der Refrain gesungen. Im Musikvideo sieht man Raf Camora, Bonez MC, Feature-Gast Maxwell, Rapper Hanybal und andere männliche (assoziierte) Mitglieder der Hamburger 187 Strassenbande vor traumhafter Küstenkulisse jede Menge Spaß haben. Während der Alkohol fließt, werden in regelmäßigen Abständen tanzende Frauen und Close-Ups von Hinterteilen, Brüsten und nackten Beinen eingeblendet. In der Bridge heißt es: »Zu sechst im Mercedes, weil alle Jungs müssen mit, ein bisschen

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Sekt für die Mädels und davon66 dann ein Fick, kein Gesetz, keine Regeln, lass uns Kohle verdien’, weil so lässt es sich leben und niemals ohne mein Team.« Abgesehen davon, dass die homosoziale Männergemeinschaft hier ganz offensichtlich als wichtiger Rückzugsort in Zeiten allgemeiner Verunsicherung erfahren wird (»ich kooperiere nicht ohne mein Team«) und dies mit Meuser (1998: 217) auf eine prekäre habituelle Sicherheit verweist, soll das Männlichkeitsmodell, das in ›Ohne mein Team‹ inszeniert wird erneut an die Debatten der aktuellen Männlichkeitsforschung zurückgebunden werden. Auf der Spurensuche nach gegenwärtigen Repräsentationen der transnationalen Business-Männlichkeit stößt das Soziolog_innenpaar Meuser/Scholz (2011) auf die Zeitschrift Business Punk. »Die Zeitschrift porträtiert international erfolgreich agierende Unternehmer, die ihren Erfolg nicht zuletzt einem unkonventionellen, regelverletzenden Geschäfts- und Führungsstil verdanken […] Als ein Merkmal dieser Spezies wird genannt, dass sie laut sind, dass sie erfolgreich sind und dass sie den Erfolg zeigen.« (Meuser/Scholz 2011: 68) Geschäftemachen werde von dieser Spezies Mann, wie zum Beispiel Oracle-Chef Larry Ellison, als Schlacht verstanden. Nur Siege zählen, zweite Plätze werden in den neoliberalen Spielen des Wettbewerbs – um mit Bourdieu zu sprechen – nicht akzeptiert. Zwar knüpft der neue Business-Männertypus an »tradierte Konstruktionsmuster von Männlichkeit wie die Identität von Arbeit und Leben, den Pioniergeist und die Logik der ernsten Spiele des Wettbewerbs, die diese Männer augenscheinlich mit Freude spielen [an]«, jedoch bewegt er sich dabei bewusst und demonstrativ abseits eines bürgerlichen Lebensstils (ebd.: 69). Besonders wichtig seien die »Insignien des Erfolgs«, wie teure, laute Autos und dergleichen mehr, die freilich stets eine »geschlechtliche Konnotation« aufweisen (ebd.). Ausdruck des bewussten Bruchs mit einem bürgerlichen Lebensentwurf sei der Verzicht auf politische Korrektheit, weshalb die Männlichkeitsinszenierungen der neuen Business-Männer, wie etwa jene von Richard Branson (Gründer von Virgin Recors), der sich beim Wasserski-Fahren mit einer auf den Rücken geschnallten, nackten Frau ablichten ließ, »eigentümlich überzeichnet« wirkten (ebd.). »Ein zentrales Element des Regelbruchs scheint zu sein, sich nicht um geschlechterpolitische Correctness zu bemühen, diese hingegen demonstrativ nicht zu praktizieren. In der Darstellung des beruflichen Erfolgs ist dies ein vermutlich nicht zufälliges Inszenierungsmittel. An der Spitze des Wettbewerbs zu stehen impliziert, die Regeln 66 Es ist nicht eindeutig, ob hier ›davon‹ oder ›auf hundert‹ gerappt wird (wie es die Plattform genius.com angibt), dem misogynen Aussagehalt dieser Zeile tut das jedoch keinen Abbruch.



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selbst zu bestimmen anstatt sich vorgegebenen Regeln zu fügen. Diese Männer trauen sich eben auch, politisch unkorrekte Formen der Inszenierung von Männlichkeit offen und selbstbewusst zu präsentieren. Sie zeigen, dass erfolgreiche Männer sich dies leisten können [Herv. d. Verf.]«. (Meuser/Scholz 2011: 69)

Zurück zu unseren Rap-Business-Männlichkeiten, den Multimillionären Raf Camora und Bonez MC, die sich nur allzu gut in diesen neuen hegemonialen Männlichkeitstypus einfügen, was sich an der oben zitierten Bridge besonders gut explizieren lässt (zur Erinnerung: »Zu sechst im Mercedes, weil alle Jungs müssen mit, ein bisschen Sekt für die Mädels und davon dann ein Fick, kein Gesetz, keine Regeln, lass uns Kohle verdien’, weil so lässt es sich leben und niemals ohne mein Team«). Parallel zur Zeile »davon dann ein Fick« sehen wir Bonez MC im Musikvideo [02:44] mit einem Bündel 500-Euro-Geldscheinen, die er demonstrativ entgegen der Kamera hält und einzelne Scheine dabei abzählt. Eine klassische Rap(video-) Geste freilich, die in der Zusammenschau mit der ebenfalls recht demonstrativ zur Schau gestellten käuflichen Liebe auf der Textebene, den vielen anderen Insignien des Erfolgs (Mercedes, teurer Whisky …) und der übermäßigen Inszenierung einer fast schon kindlichen Freude (die 187 Strassenbande ist bekannt für ihre Plastikpalmen und aufblasbaren Krokodile – auch im Video sind die Rapper beim Badespaß auf schwimmenden Plastik-Landschaften zu sehen) ein doch recht eindeutiges Bild ergibt: Misogynie und eine zugehörige, toxische Männlichkeit (ist spaßig und) muss man sich leisten können. Mit ihrer geradezu wahnhaften Überinszenierung von Männlichkeit wirkt das Schaffen von Raf Camora und der 187 Strassenbande (Bonez MC, Gzuz und Co) zuweilen tatsächlich ein wenig wie aus der Zeit gefallen: Waffen, Drogen, quietschende Motorräder, lautes Männergebrüll, schnelle und teure Autos, Kampfhunde, Raben, (echte und aufblasbare) Krokodile, tätowierte nackte Männer-Oberkörper, Häuserschluchten, Sonnenbrillen, Goldzähne, Kampfsportposen, Blut, halbnackte sexualisierte Frauen, Geldscheine, wagemutige Allmachtposen auf Hochhäusern und ein fortwährender Bezug auf die homosoziale Männergemeinschaft (›Ohne mein Team‹, 2016; ›Mit den Jungz‹, 2017 usw.). Zur Zelebrierung einer geradezu archaischen Männlichkeit greifen Deutschraps kommerziell erfolgreichste Akteure der Jahre 2016 und 2017 auf sämtliche zur Verfügung stehende Mittel zurück (siehe Abb. 16). Mit Reckwitz (2010: 72f.) könnte man diese neue alte männliche Subjektivierungsweise auch als ›vitalistisch-aggressiv‹ bezeichnen: Der tough guy ist zurück und er fährt schwere Geschütze auf!

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Abbildung 16: Drogen, Raben, Blut und Titten. Raf Camora, die 187 Strassenbande und die Rückkehr des tough guy

Dass sich dieser fragwürdige Männlichkeitstypus im Bereich Rap derart unbemerkt institutionalisieren konnte, ist letztlich auch einem weitestgehend männlich-homosozialen Rap-Szene-Journalismus geschuldet, der die Palmen aus Plastik-Protagonisten bis vor kurzem geradezu mit Anerkennung überhäufte (vgl. Meuser/Scholz 2011: 61f. beziehungsweise Scholz 2015: 26f., die hegemoniale Männlichkeit als ›institutionalisierte Praxis‹ konzeptualisieren).67 Die Mischung aus ›catchy hooks‹, einem ›dancehall-lastigen Soundbild‹ und ›Gangster-Attitüde on Point‹ verbreite jede Menge ›Urlaubsflair‹ und ›Gute-Laune-Feeling‹, so unterschiedliche Redakteur_innen der Medien backspin.de und rap.de.68 Das melodiös-rhythmische Soundbild, die mediterrane Visualisierung und die überzeichnete Männlichkeitsperformance zwischen Wahn, Gewaltexzessen und kindlichem Badespielzeug be 67 Einige Monate nach Abgabe dieser Arbeit gerieten einige Protagonisten der 187 Strassenbande wegen häuslicher Gewalt und sexueller Übergriffe in die Kritik, woraufhin sich viele Journalist_innen von den Rappern distanzierten. Die Berichterstattung ist seither deutlich kritischer oder findet gar nicht mehr statt (Stichwort: cancel culture). 68 Yannick, 31.08.2020, https://www.backspin.de/soundcheck-palmen-aus-plastik/rap.de, 03.09.2019, https://rap.de/reviews/90555-bonez-mc-raf-camora-palmen-aus-plastikreview/ Die Review auf rap.de wurde inzwischen offline genommen, da das Szenemedium entschieden hat, den Rappern aufgrund von Vorwürfen wegen häuslicher Gewalt keine Plattform mehr zu bieten.



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geisterte schließlich auch weniger rap-affine junge Menschen und sorgte für ausverkaufte Stadien (!) und Umsätze in Millionenhöhe. »Man muss nicht notwendigerweise mögen, was da ausgesagt wird, um zu schätzen oder gar zu genießen, wie es klanglich ausgedrückt wird«, schreibt Forman (2009: 24f.) mit Blick auf den US-amerikanischen Rap. Der Afro-Trap à la Palmen aus Plastk (der mit Veysel, Ufo361 oder der KMN Gang zahlreiche erfolgreiche Nachahmer fand) mag ein paradigmatisches Beispiel für diese reflexionsbedürftige Rezeptionshaltung sein. Reflexionsbedürftig deshalb, weil hegemoniale Männlichkeit damit (nicht nur) im Rap als Strukturmuster affirmiert und letztlich manifestiert wird und deren unterhinterfragten toxischen Dimensionen – wie die nächsten Beispiele zeigen werden – offensichtlich auch reale (sexualisierte) Gewalt zu legitimieren scheinen.69 9.3.8 Sexuelle Belästigung in der Rap-Szene »Dass Männer sich in der Szene zusammentun und Frauen nach Oberflächlichkeiten bewerten, ist fast schon wie ein fünftes Element von HipHop«, kommentiert Deutschlands dienstälteste Rap-Moderatorin Visa Vie im Jahr 2016 und attestiert ihrer ›eigenen‹ Szene prompt ein »extremes Sexismusproblem«.70 Als Journalistin, die vor allem durch Video-Interviews bei dem Szenemedium 16bars.de zu höherer Bekanntheit gelangte, erfuhr Visa Vie nach eigenen Aussagen insbesondere entlang der Kategorien Kör 69 Das Beispiel Palmen aus Plastik bzw. die damit assoziierten und größtenteils dem Gangsta-Rap zuordenbaren Akteure Bonez MC, Gzuz, Raf Camora und Co sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein derart toxisches Männlichkeitsmodell auch innerhalb anderer Subgenres des Rap reproduziert wird. Auch der enorm erfolgreiche, rap-assoziierte Schmuse-Sänger Bausa beispielsweise spaziert im Musikvideo zum Track ›Vagabund‹ (2018) mit einer halbnackten Frau über der Schulter durch die Wildnis [das Video hat fast 7 Millionen Klicks auf Youtube/Stand 02.11.2018]. Man fühlt sich hierbei einmal mehr an die transnational business masculinity Richard Branson erinnert, der sich beim Wasserski mit einer auf den Rücken geschnallten nackten Frau fotografieren ließ (vgl. Meuser/Scholz 2011: 69). Im Fall von Bausa, dessen Misogynie ebenfalls melodisch verunklart daherkommt, kann man dann auch tatsächlich von einer ›aufgeklärten‹ hegemonialen Männlichkeit sprechen, da hier – so möchte man doch vermuten – eine bewusste Stereotypisierung von Genderklischees stattfindet (ebd.). Bei Raf Camora und Co kommt die ›eigentümlich überzeichnete‹ toxische Männlichkeit jedoch an keiner Stelle ironisch gebrochen oder bewusst stereotypisiert daher. Inwiefern man dabei also von ›aufgeklärt‹ oder ›reflexiv‹ sprechen kann, ist m. E. fraglich. 70 Houmsi, 31.08.2020, https://Juice.de/Deutschrap-hat-ein-sexismus%C2%ADproblemvon-saftigkeit-und-wuerde-feature/

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per und Sexualität Diskriminierung, wobei ihre journalistische Leistung oft gänzlich unbeachtet blieb. Im Schutze der Anonymität diskutierten User_innen in Youtube-Kommentarspalten vornehmlich über die ›Fickbarkeit‹ beziehungsweise ›Saftigkeit‹ der Moderatorin, unterstellten ihr sexuelle Motive oder beleidigten sie als ›hässlich‹ oder ›Hure‹. Anfeindungen, die auch von weiblichen Akteurinnen geäußert wurden. Jahrelang hätte die Moderatorin deshalb darauf geachtet »nicht zu viel Haut« zu zeigen und sich in Interviewsituationen möglichst zurückhaltend zu präsentieren; eine »Schutzhülle« die ihr erneute Kritik einhandelte, hätte sie dadurch doch auf manche frigide und verkrampft gewirkt, wie sie im Interview mit dem Magazin Broadly beklagt.71 Visa Vies Interview und ihre Offenheit gegenüber dem omnipräsenten Sexismus-Thema im Rap schlug Wellen und ermunterte viele weitere weibliche Rap-Moderatorinnen und Journalistinnen dazu ihrem Ärger gegenüber den Verhältnissen Luft zu machen. Auch Salwa Houmsi  – Redakteurin beim Rap-Magazin splash!-mag – berichtet über sexistische Kommentare und body shaming: »Frauen aufs Abartigste nach ihrem Aussehen zu bewerten, gehört in den Kommentarspalten der Deutschrap-Welt leider zur Normalität«, schreibt Houmsi in einem Feature und berichtet über ähnliche Erfahrungen ihrer ebenfalls weiblichen Journalismus-Kolleginnen Shana Koch (vom Szene-Medium Backspin) oder Jule Wasabi (Rap-Podcast Schacht & Wasabi): »[V]on jeder meiner Gesprächspartnerinnen musste ich mir Geschichten von äußerst unangenehmen, übergriffigen Erfahrungen innerhalb der Deutschrap-Szene anhören«. Die Formen sexueller Belästigung und Übergriffigkeiten spannen sich dabei zwischen sexistischen Kommentaren im Netz, aufdringlichen Flirtversuchen im Arbeitsumfeld, bis hin zu unerbetenen Kontaktaufnahmen durch Rapper auf, die über das (ebenfalls männlich-homosozial strukturierte) Management an die private Telefonnummer einer weiblichen Moderatorin gelangten.72 »Die meisten Männer belästigen oder attackieren Frauen nicht. Aber jene, die es tun, werden ihr Verhalten kaum als deviant betrachten. Ganz im Gegenteil, sie haben das Gefühl, vollkommen im Recht zu sein. Sie fühlen sich von einer Ideologie der Suprematie ermächtigt«, schreibt die Soziologin Connell (2015: 137) über männliche Gewalt an Frauen. Männliche Homosozialität, wie sie die Rap-Szene und den Rap-Journalismus noch immer weitestgehend kennzeichnet, legitimiert 71 Ludwig, 31.08.2020, https://broadly.vice.com/de/article/xwqmq7/ich-moechte-gar-keinegeile-sau-sein-visa-vie-ueber-sexismus-im-Deutschrap 72 Houmsi, 31.08.2020, https://Juice.de/Deutschrap-hat-ein-sexismus%C2%ADproblemvon-saftigkeit-und-wuerde-feature/



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und verstärkt eine solche Ideologie zusätzlich. Ferner wird das Suprematiedenken, das Kimmel (2008: 59ff.) auch culture of entitlement nennt, von einer culture of silence, also einer Kultur des Verschweigens begleitet. »Boys and men learn to be silent in the face of other men’s violence. Silence is one of the ways boys become men« (ebd.: 61). Die unkritische Berichterstattung im Fall der 187 Strassenbande (und dutzender anderer Rapper) ist ein paradigmatisches Beispiel für diesen toxischen Aspekt männlicher Sozialisation. Die obigen Ausführungen deuten bereits an, dass sich sexuelle Gewalt im Rap nicht auf die diskursive Ebene beschränkt (Raptexte, Youtube-Kommentare …), sondern auch physische Dimensionen annimmt. Dazu einmal mehr ein Zitat der Männlichkeitssoziologin Connell: »Gewalt ist Teil eines Unterdrückungssystems, gleichzeitig ist sie aber auch ein Maß für seine Mangelhaftigkeit. Eine vollkommen legitimierte Herrschaft hätte Einschüchterung nicht nötig. Das derzeitige Ausmaß an Gewalt deutet auf die ›Krisentendenz‹ […] der modernen Geschlechterordnung.« (Connell 2015: 138) Es ist sicherlich nicht davon auszugehen, dass Sexismus und sexuelle Übergriffe im Bereich der deutschsprachigen Rap-Szene ein Novum sind. Einen Kausalzusammenhang zwischen der anhaltenden Popularität des hypermaskulinen Gangsta-Rap, der gerade in letzter Zeit enorm erfolgreichen toxischen Männlichkeitskulte um Protagonisten wie die 187 Strassenbande und den derzeitigen Transformationen im Rap herzustellen, die auf eine langsame Verschiebung von Machtverhältnissen verweisen, scheint m. E. dennoch nicht gänzlich aus der Luft gegriffen. Dass Übergriffe wie die folgenden immer häufiger öffentlich artikuliert werden (können), verweist zudem einmal mehr auf den Faktor der Digitalisierung, der den (meist weiblichen) Opfern sexualisierter Gewalt zahlreiche niedrigschwelle Plattformen zur Äußerung, Intervention und Kritik bietet. Im Jahr 2016 veranlasste ein sexueller Übergriff auf dem inzwischen sehr rapmusiklastigen Hamburger Musikfestival Spektrum die Rapperin Haszcara zu einem kritischen Facebook-Post. Mit ihrem entrüsteten Statement, in dem sie dem Täter »Scheiße an seine Grabbelhand« wünschte, erreichte das Thema sexueller Übergriffe größere Aufmerksamkeit innerhalb der Szene. Während einige Szenemedien sich dem Thema ernsthaft und kritisch annahmen, wurde die Rapperin im Kontext ihrer ›Enthüllung‹ erneut Opfer sexistischer Diffamierung. Eine ernüchternde Erfahrung, die sie wenig später auf dem Song ›Nein‹ (2017) verarbeitete und das Ereignis dabei auch in einen strukturellen Zusammenhang stellte: »Es geht hier nicht darum was dir passiert, sondern mir oder ihm und auch ihr passiert, nicht aufgrund Bier, fehlenden Manieren zu viel Trieb und Gier,

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alles was ich will ist, dass ihr’s kapiert«. Anfang 2017 gab es erneut einen Vorfall sexualisierter Gewalt im Diskursuniversum Deutschrap, als die Journalistin Jule Wasabi während der Aufzeichnung ihres Podcasts von Studiogast und Rapper Taktloss gewürgt wurde. Für die Journalistin war dieses Erlebnis nicht nur traumatisierend, sondern auch ein Wendepunkt, wie sie im Interview mit dem Magazin jetzt.de berichtet: »Während eines Interviews hat mich der Rapper Taktloss gewürgt. An dem Tag war mein Partner, mit dem ich sonst die Interviews führe, nicht da, ich war alleine. Er hat sich so verhalten, wie sich mir gegenüber noch nie ein Mann verhalten hat. Während ich gesprochen habe, hat sich Taktloss immer wieder hinter mich gestellt und mich dann plötzlich am Hals gepackt. Ich habe gemerkt, wie ich Angst bekomme, mein Puls immer schneller wurde. Ich wollte nur noch weg. Die Situation hat mich wirklich verunsichert. Jetzt im Nachhinein sagt er, dass er es nicht so gemeint hat. Bis heute habe ich diese Erfahrung noch nicht richtig verarbeitet. Der Moment mit Taktloss war aber ein Wendepunkt. Seitdem denke ich kritischer über Sexismus nach«.73

Der Vorfall ist ein weiteres Beispiel für die von Connell erwähnte Ideologie männlicher Suprematie, die eine derartige Einschüchterung offensichtlich selbst gegenüber Podcast-Kollege und Rap-Journalist Falk Schacht zu legitimieren scheint. In einem Nachgespräch zeigt dieser tatsächlich wenig Verständnis für die Situation seiner Kollegin und kommentiert das Verhalten des Rappers lediglich mit »nicht cool« und »das ist halt Taktloss«. Nachdem er schließlich bezeichnenderweise seine eigene Machtposition bekundet (»Er kann mir nix, keiner kann mir was«) beginnt er die hörbar aufgeregte Jule Wasabi mit allerlei Handlungsempfehlungen zu traktieren (»Du solltest da auch einfach anders rangehen« und »Warum hast du ihm nicht gesagt, ›fass mich nicht an!‹«). Das Verhalten der Berliner Untergrundlegende Taktloss stattdessen öffentlich zu kritisieren, wird dem ebenfalls diskursmächtigen Journalisten Schacht an dieser Stelle offensichtlich habituell verunmöglicht, dazu abermals Kimmel (2008: 61): »Silence is one of the ways boys become men. They learn not to say anything when guys make sexist comments to girls. […] They scurry silently if they’re walking down the street and some guys at a construction site […] start harassing a woman. […] They tell no parents, no teachers, no administrators. They don’t tell the police. And they

73 Abdel Aziz/Bolsinger, 31.08.2020, https://www.jetzt.de/musik/jule-wasabi-und-rogerrekless-ueber-sexismus-im-hip-hop



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certainly don’t confront the perpetrators«.74 Wenige Monate nach Taktloss’ Übergriff auf Jule Wasabi machte Rap-Journalistin Helen Fares auf Europas größtem HipHop-Festival Openair Frauenfeld eine nicht minder problematische Erfahrung, die sie ebenfalls via Facebook teilte: »In den letzten drei Tagen bin ich über zehn Männern begegnet, die mich auf sexistische Art und Weise degradiert haben. Darunter Rapper, Promoter, Tourmanager, Artist-Entourage, Sicherheitsleute. Es ging von ›Wenn dir zu warm ist, zieh dich doch einfach aus, ich freu mich dann endlich mal‹, über ekelhafte Blicke und ›Hey Süße‹ sagen beim Händeschütteln bis hin zu einem ›Du bist NOCH glücklich mit deinem Freund, ich besorg’ mir deine Nummer, ich meld’ mich dann mal und dann gucken wir doch, ob du noch so glücklich bist.‹ Das Mieseste jedoch war, dass irgendein Idiot zu mir kam und mit mir und Kolleginnen scherzte, bevor er meinen Kehlkopf anfasste. Dann sagte er, dass dieser ganz schön tief säße, und fragte: ›Du hast keinen Würgereflex, oder?‹. […] Ein Künstler hat dieses Wochenende etwas Großartiges gesagt: ›Deutschrap ist mir einfach zu unschwul.‹ Dieser Satz ist bezeichnend für aggressive Grundspannungen, die eben nicht abgelegt werden, wenn Rapper von der Bühne kommen. Er ist bezeichnend für wenig Feingefühl, ziemlich viel Schwanzvergleich und Silberrückengehabe. Ich liebe Hiphop. So sehr, dass es wehtut. […] Aber diese beschissenen sexistischen, opportunistischen und respektlosen Subgesellschaften, die sich im Hiphop gebildet haben, sind für mich nur Armutszeugnisse, und damit will ich nichts zu tun haben.«75

Dieser Facebook-Post ist in vielerlei Hinsicht vielsagend. Erstens benennt er Sexismus und sexualisierte Gewalt als strukturelles Problem, das freilich über die Rap-Szene mit ihren ohnehin diffusen Rändern hinausweist (»Rapper, Promoter, Tourmanager, Artist-Entourage, Sicherheitsleute …«). Zweitens deutet er die für Rap typische geringe Rollendistanz der Rapschaffenden zu ihren Rap-Personae an (»aggressive Grundspannungen, die eben nicht abgelegt werden, wenn Rapper von der Bühne kommen«, vgl. dazu Wolbring 2015: 167ff.). Drittens will die szenekundige, hiphop-sozialisierte Fares ungeachtet der strukturellen Komponente im Zusammenhang mit Sexismus und Übergrifflichkeiten dennoch eine gewisse Feldspezifik erkennen (»diese beschissenen sexistischen, opportunistischen und respektlosen Subgesellschaften, die sich im Hiphop gebildet haben«). Und viertens wird hier einmal mehr die Problematik männlicher Homosozialität beziehungsweise homosozialer Männergemeinschaften deutlich, die als entscheidende Stützen männlicher Hegemonie gelten und ihre besondere systemstabilisierende 74 Schacht & Wasabi, Folge 11, 12.10.2020, https://www.youtube.com/watch?v= oARynzgjmaI. Das Nachgespräch beginnt ab Minute 59:04 75 Fares, 31.08.2020, https://www.Facebook.com/helenfaress/posts/1535117719861423

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Bedeutung im Kontext von Krisen und Transformationen erhalten (vgl. zum Beispiel Martschukat/Stieglitz 2008: 43; Meuser 1998: 217ff.).76 9.3.9 Gangs, Teams, Bros – Die Renaissance homosozialer Männergemeinschaften Die Bildung von Crews, Gangs und Straßenbanden als Akt der Selbstermächtigung im Kontext von Rassismus und sozialer Deprivilegierung ist ein historisch konstitutives Merkmal des Kulturphänomens HipHop oder wie Klein/Friedrich (2003a: 51) es in ihrem Klassiker Is this real? formulieren: »HipHop ist keine Kultur von Einzelkämpfern, sondern eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Crews, jene Gruppen, deren Mitglieder miteinander üben, arbeiten und performen, oder Posses, jene lockeren sozialen Netzwerke von Freunden und Bekannten, spielen hierfür eine wichtige Rolle. Die für den Fortbestand des ›real HipHop‹ so wichtige Akzeptanz wird hier geschult«.

Vor allem im Kontext von Adoleszenz und Migration sind die sicherheits-, identitäts- und letztlich ordnungsstiftenden Solidargemeinschaften des HipHop von enormer Bedeutung und funktionieren wie eine »Ersatzfamilie« (Birken-Silverman 2003: 278; vgl. außerdem bei Tertilt 1996; Wetzstein u. a. 2000; Kaya 2003; Verlan/Loh 2015: 32f. u. v. a. m.). Abgesehen von hiphopaffinen und -assoziierten Straßengangs wie die 36 Boys aus Berlin-Kreuzberg oder die Turkish Power Boys aus Frankfurt formierten sich auch im deutschsprachigen Rap-Kosmos seit Anbeginn Rap-Crews und Kollektive wie zum Beispiel Konkret Finn, Rödelheim Hartreim Projekt, Advanced Chemistry, Die Fantastischen Vier, Absolute Beginner, Freundeskreis, Fünf Sterne Deluxe und 76 Über die männerbündnerische Politik im Festival-Kontext ärgern sich 2017 und 2018 auch weitere Frauen aus dem Bereich der Musikindustrie. »Rund 93 Prozent des splash!Line-Up waren in diesem Jahr männlich. Ziemlich ähnlich sieht es bei den anderen deutschsprachigen Hip-Hop Festivals aus. Mit einer Männer-Quote von ›nur‹ 86 Prozent fällt das Line-Up des Spektrum ein Müh ausgewogener aus« schreibt Anna S., Redakteurin beim Rap-Szene-Magazin backspin.de in einem Artikel zum Thema. Für Katja Lucker, Geschäftsführerin von Musicboard Berlin und Leiterin des Berliner Popkultur-Festivals stellt sich die Lage ungleich eindeutiger dar: »Jungs rufen halt gerne Jungs an« kommentiert sie das Missverhältnis zwischen Frauen und Männern im Bereich von Musikfestivals gegenüber Deutschlandfunk Kultur im Spätsommer 2018. Anna S., 12.10.2020, https://www.backspin.de/ueber-die-ungleichheit-auf-deutschlandsfestival-buehnen/ Ufer, 12.10.2020, https://www.deutschlandfunkkultur.de/zu-wenige-frauen-auf-musikfestivals-jungs-rufen-halt-gerne.2156.de.html?dram:article_id=427146



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so weiter. Jedoch brachte Deutschrap seit jeher und vor allem auch hunderte mehr oder weniger erfolgreiche Einzelkünstler_innen hervor, darunter Cora E., Afrob, Ferris MC, Curse, Fiva MC, Kool Savas, MoTrip, Materia, Casper, Cro. Besonders das Subgenre Gangsta-Rap bestach bislang durch seine individualistische Einzelkünstlermentalität, siehe Azad, Bushido, Sido, Fler, Massiv, Xatar, KC Rebell, PA Sports, Haftbefehl, Manuellsen oder Kollegah – wenngleich einige davon freilich einem Label angehör(t)en, das man seinerseits als eine Art kollektiver Vergemeinschaftung bezeichnen könnte (zum Beispiel Aggro Berlin). Im Spätsommer 2018 stellen die Rap-Podcaster_innen Falk Schacht und Jule Wasabi das Thema Rap, Crews & Gangs ins Zentrum ihrer Sendung Schacht & Wasabi.77 Zwar ist beiden das historische Vorläufertum der Gangs im HipHop bewusst, dennoch will Journalist Falk Schacht besonders »in den letzten Jahren« wieder »diverse Varianten« dieser Gruppenbildung erkennen. Tatsächlich lässt sich diese Beobachtung nicht nur empirisch belegen, sondern ist gerade im Kontext der Transformationsprozesse im Geschlechterverhältnis vielsagend. Die Renaissance männlich-homosozialer Vergemeinschaftung im Rap hat viele Gesichter. Sie zeigt sich beispielsweise an der gerade im männlichhomosozialen Rap-Journalismus seit einigen Jahren gängigen Praxis, Musiklabels und andere (männlich-homosoziale) Szene-Zusammenschlüsse als ›Camps‹ oder auch ›Teams‹ anzurufen. ›Das Banger-Camp signt Rapper xy‹ heißt es dann etwa, wenn sich das Musiklabel ›Banger Musik‹ (um Rapper Farid Bang) um einen Neuzugang bemüht.78 Eine diskursive männliche Anrufungspraxis, die Rap als Szene der Männergemeinschaften auch immer wieder mithervorbringt und Männlichkeit letztlich als feldspezifisches Ordnungsmuster festschreibt. Ferner sind nach einer längeren Phase individueller Rap-Einzelkünstler_innen innerhalb der letzten Jahre wieder gehäuft Crews im deutschsprachigen Rap zu beobachten, die zudem über einen längeren Zeitraum hinweg als dauerhafte Formation erfolgreich sind, so zum Beispiel KIZ, Trailerpark, Die Orsons, 257ers, KMN Gang, 102 Boyz, 187 Strassenbande, AK Ausserkontrolle usw. Auch erweiterte Netzwerke, die 77 Schacht & Wasabi (Folge 81), 08.12.2020, https://www.youtube.com/watch?v= KT9RerRTTlc [ab Min. 33:49] 78 Ferner gibt es das ›Azzlack-Team‹ (auch ›Team Azzlack‹) um Gangsta-Rapper Haftbefehl, oder das ›AoN-Lager‹ (AoN =  ›Alles oder Nix‹, das Label von Gangsta-Rapper Xatar), oder das ›Chimperator-Camp‹ (Chimperator ist ein Stuttgarter Label, das ehemals Rapper Cro unter Vertrag hatte) usw.

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über die eigentliche Crew oder Label hinausgehen, sind ein Phänomen, das in letzter Zeit enormen Aufwind erfährt, wobei sich der Rückgriff auf den Terminus ›Gang‹ diesbezüglich besonderer Beliebtheit erfreut: Und so gibt es im Diskursuniversum Deutschrap subgenreübergreifend unter anderem die Glo Up Dinero Gang (um Rapper Moneyboy), die Lazy Lizzard Gang, die Nerdy Terdy Gang, die Flavour Gang (um Rapper Jace), die Panda-Gang (um Rapper Cro), die Lichtgang (um LGoony), die dirtySpaceGang, die 520 Gang oder jüngst die RPT Gang. Die Assoziation mit dem aus dem US-amerikanischen Raum stammenden Gang-Begriff soll freilich nicht nur Zusammenhalt und Solidarität, sondern vor allem Männlichkeit und Delinquenz transportieren und affirmiert damit letztlich das hegemoniale marginalisierte Subjekt im HipHop/Rap (zu ›Gangs‹ im Speziellen vgl. zum Beispiel bei Tertilt 1996; Thiele/Taylor 1998; auch Raths 2009). Nicht minder beliebt erweist sich weiterhin die Selbstbezeichnung als ›boys‹ (oder boyz), wie bei den Saftboys, Boysindahood, Broke Boys, 102 Boyz, Gloomy Boyz oder Dopeboyz. Interessant ist ferner, dass der Topos ›Männergemeinschaft‹ nunmehr immer häufiger zum Thema von Rap-Songs wird, was einmal mehr auf die Diskursivierung und Reflexivierung von Männlichkeit im Rap verweist. ›Für die Gang‹ (Ufo361 feat. Gzuz, 2017), ›[Nie] Ohne mein Team‹ (Raf Camora, Bonez MC feat. Maxwell, 2016) oder ›Mit den Jungs‹ (187 Strassenbande, 2017) heißen die Hits der Stunde mit Youtube-Klicks im zweistelligen Millionenbereich. Wer jedoch denkt, die männliche Solidargemeinschaft wird nur im hypermaskulinen Gangsta-Rap beschworen, der/die irrt. Denn mit Rin, Cro, Mauli oder Prinz Pi huldigen derzeit Rapper aller Subgenres und Altersstufen dem sicherheitsstiftenden Männerbund (mit dem sog. Kobra Militär um Rapperin Eunique ist aktuell übrigens auch eine äußerst seltene anzutreffende weibliche Vergemeinschaftung im deutschsprachigen Rap zu beobachten).79 Auffällig ist weiterhin die gegenwärtig recht beliebte Anrufung eines männlich-gleichgeschlechtlichen Gegenübers als ›Bruder‹ (auch ›Bruda‹, ›Brudi‹ oder engl. ›bro‹). Ein Sprech, der vor allem durch seine wiederholte Verwendung im multilingualen Diskursuniversum des Gangsta-Rap (und dort als ›bra‹, ›bratan‹, ›bratko‹ ›brate‹ usw.) seine symbolische Bedeutung erhält und den/die jeweilige_n Sprecher_in als vollwertiges Mitglied dieser hegemonialen (und männlich-homosozialen) Rap-Sprachgemeinschaft authentifizieren soll (vgl. ›Gangsta-Sprech‹). Die Bruder-Metapher  – das sei an dieser 79 vgl. die Tracks ›Bros‹ (Rin, 2017), ›Meine Gang‹ (Cro, 2014), ›Meine Jungs‹ (Mauli, 2015), ›Für immer und immer‹ (Prinz Pi, 2017) usw.



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Stelle angemerkt – wurde innerhalb von Männerbünden bereits am Beginn des 20. Jahrhunderts verwendet. In den männlichen Vergemeinschaftungen, die sich auch durch antifeministische und antisemitische Einstellungen auszeichneten und sich in ihrer elitären Variante mitunter gegen den ›westlichen Liberalismus‹ oder die ›Weiberherrschaft‹ wandten, diente die Metapher als Ausdruck der Verbundenheit: »In Geselligkeitsvereinen, die das breite Mittelfeld männerbündischer Zusammenschlüsse ausmachten, redeten sich die Mitglieder mit Vereinsbruder an. Verbindungsbruder lautet die Anrede in den elitären Männergemeinschaften der studentischen Verbindungen.« (Dröge 2015: 51f.) Wie lässt sich die Renaissance männlicher Vergemeinschaftung und ihre unaufhörliche Diskursivierung im deutschsprachigen Rap theoretisieren? Der Litertaturwissenschaftler und HipHop-Forscher Wolbring (2015: 73f.) konstatiert, dass die Vorstellung einer männlich dominierten Szene, als »ideologisch homogenes und untereinander vernetztes HipHop-Kollektiv« angesichts heutiger Verhältnisse nur noch als »Denkfigur« Relevanz hätte. Mit der Realität des Rapschaffens sei diese Vorstellung im digitalen Zeitalter eher unvereinbar. Füllen die vielen Gangs, Banden, Crews, Camps, Teams, Brüder und Jungs demnach womöglich eine physische Leerstelle, die Männlichkeit in einer immer virtueller werdenden Szene (und Welt) weiterhin und auch leiblich erfahrbar werden lässt? In einer Welt, innerhalb der Männlichkeit im Kontext von Globalisierung und Ökonomisierung ohnehin nur noch als abstraktes, lebensweltlich zuweilen kaum greifbares und von ›echten‹ Männern quasi losgelöstes Prinzip existiert (das man sich immerhin durch Remaskulinisierungsvehikel wie das Auto ›(zurück)kaufen‹ kann, vgl. Böhnisch 2013: 68ff. bzw. 262 ff.)? Homosoziale Männerbünde und -gemeinschaften sind ein historisch altbekanntes und viel beforschtes Phänomen innerhalb der Männlichkeitenforschung (vgl. zum Beispiel Schurtz 1902; Lipman-Blumen 1976; Völger/ von Welck 1990; Kimmel 1996; Meuser 1998; Bourdieu 1997a, 2016, Blazek 1999; Reuleke 2001; Martschukat/Stieglitz 2008; Bruns 2008 usw.). Sie gelten als jene lebensweltlichen Orte »an denen sich Männer wechselseitig der Normalität und Angemessenheit der eigenen Weltsicht und des eigenen Gesellschaftsverständnisses vergewissern können« (Meuser 2001a: 14). Zwei Kennzeichen sind für das doing masculinity im homosozialen Raum dabei zentral: Die Distinktion gegenüber der Welt der Frauen und die »Konjunktion unter Männern« (Meuser 2010b: 430). Die homosoziale Männergemeinschaft  – die freilich vielerlei Form annehmen kann  – zeichnet sich neben

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allerlei Exklusionsstrategien außerdem durch Initiationsriten, hierarchische Strukturen, traditionell-konservative Vorstellungen von Männlichkeit (und Weiblichkeit), Frauenfeindlichkeit, Homophobie und auch Homoerotik aus (vgl. Martschukat/Stieglitz 2008: 112ff.). Angesichts dieser Merkmale ist Goßmann (2012: 85) zuzustimmen, wenn er die Rap-Szene als »Form der homosozialen Männergemeinschaft« definiert. Für unseren Zusammenhang ist ferner interessant, dass männlich-homosozialer Vergemeinschaftung besonders in Zeiten der Krise und des Umbruchs eine erhöhte Bedeutung zukommt, denn »[d]ie homosoziale Gemeinschaft fundiert habituelle Sicherheit in vielfältiger Weise. Sie stiftet Solidarität unter den Männern, versorgt sie mit symbolischen Ressourcen, verstärkt die Grenzen zwischen den Geschlechtern, denen sie ihre Existenz andererseits verdankt […]. Indem sie den Männern Gelegenheiten verschafft, sich wechselseitig der Differenz zu vergewissern, ist sie ein ›kollektiver Akteur‹ der Konstruktion der Differenz. In einer Epoche, in der die gesellschaftliche Vormachtstellung des Mannes verstärkt in Frage gestellt wird, dient die wechselseitige Vergewisserung der eigenen Normalität der Sicherung männlicher Hegemonie« (Meuser 1998: 285).

Angesichts der in dieser Arbeit geschilderten Transformationsprozesse wie dem enormen Zuwachs an Frauen im Rap oder auch der Pluralisierung von Männlichkeiten, wirkt die Renaissance der männlich-homosozialen Vergemeinschaftung und ihre repetitive Diskursivierung (›Bros‹, ›Camps‹, ›Gangs‹, ›Jungs‹ …) im Rap wie ein Versuch der Wiederherstellung verlorenen gegangener Sicherheiten (vgl. auch Goßmann/Seeliger 2015). 9.3.10 Boxer, Krieger und die Bedeutung des Rap-Männer-Körpers in Zeiten allgemeiner Verunsicherung Mit dem Siegeszug des Gangsta-Rap  – der in Deutschland kurz nach der Jahrtausendwende einsetzte und abgesehen von einigen wenigen kommerziellen Flauten und stilistischen Diversifizierungen bis heute anhält – wurde auch dem männlichen Rapper-Körper eine neue und nie dagewesene Bedeutung zuteil. Die Gründe dafür liegen auf der Hand, denn Identitäten müssen (nicht nur, aber eben gerade) im Bereich der Popmusik aufgeführt, das heißt also verkörpert werden, was für ein derart vergeschlechtlichtes Musikgenre wie HipHop/Rap im Besonderen gelten mag. Vor allem im HipHop/Rap ist die körperliche Performanz – so auch die Kulturwissenschaftlerin Menrath (2001: 51) – nicht zu unterschätzen.



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»Der Körper spielt bei der Realisierung von musikkulturellen Identitäten eine entscheidende Rolle: bei der Bühnenperformanz bzw. der streetperformance (wie zum Beispiel im HipHop), der alltäglichen oder auf der Bühne realisierten Performanz mit Hilfe eines bestimmten Kleidungsstils und der Performanz in Musikvideos, durch die Popmusik heute überhaupt erst zu ihren ›Hörern‹ gelangt.« (Menrath 2001: 46)

Über den Körper werden im Rap und insbesondere im Gangsta-Rap wichtige Distinktionsgewinne erzielt. Eine intersektionale Perspektive muss die Differenzkategorie Körper bei der Analyse des doing rap masculinity deshalb unbedingt mitdenken, denn Geschlecht resp. Männlichkeit ist ohne den Körper freilich nicht denkbar. Weil die »Inszenierung von Sexualität in den Bildwelten des Gangstarap […] im direkten Bezug zum Körper vollzogen wird« analysiert Seeliger (2013: 119) die Kategorien Körper und Sexualität im Hinblick auf Gangsta-Rapper gemeinsam. Im Anschluss an Dahrendorf diskutiert er die körperlichen Repräsentationen des G-Rappers entlang unterschiedlicher Verbindlichkeitsstufen: der Muss-, Soll- und Kann-Erwartungen (Dahrendorf 1974, zit. nach Seeliger 2013: 121). Um den kulturell-normativen Anforderungen zu entsprechen, müsse der Gangsta-Körper demnach die »sichtbare Fähigkeit [besitzen] alltägliche Handlungen ohne größere Einschränkungen vollziehen« zu können, wodurch auch die soziale Dimension ability (im Sinne von Unversehrtheit) relevant gesetzt wird. Als soziale Sanktionen entgegen der Nicht-Entsprechung dieser Anforderungen drohe »die Verweigerung sozialer Anerkennung« (ebd.). Weniger verbindlich (Soll) sei die Auflage eines schönen, sportlich-durchtrainierten Körpers, deren Nicht-Erfüllung jedoch weniger hart sanktioniert würde und überdies vermittels alternativer ImageKomponenten zu kompensieren sei (man denke hier etwa an eine männlich sonore Stimmlage oder auch ein hegemoniales Sprachregister wie den ›Gangsta-Sprech‹). Schließlich gäbe es die sog. Kann-Erwartungen, deren Erfüllung optional sei und als Beispiel deren Seeliger die Zurschaustellung bestimmter Accessoires wie zum Beispiel Kleidungsstücke nennt. Die Kategorie Körper verschränkt sich im Gangsta-Rap letztlich mit weiteren sozialen Dimensionen, wie Ethnizität oder Klasse: Der Gangsta-Körper ist ein (selbst-) ethnisierter und klassisierter Körper und dient deshalb im Diskursuniversum Deutschrap als wichtiges symbolisches Kapital (vgl. ebd.). Blickt man in die Bildwelten des aktuellen deutschsprachigen (Gangsta-)Rap, so ist man geneigt, einige Verschiebungen oder zumindest eine enorme Bedeutungsaufwertung hinsichtlich der Soll-Erwartungen an den männlichen Rapper-Körper zu erkennen. Anders ausgedrückt: Die Soll-

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Abbildung 17: Deutschlands Rap-Männlichkeiten: Trainieren für den Geschlechterkampf?

Auflage, »einen sportlichen, durchtrainierten Körper zu haben, der physische Durchsetzungsfähigkeit signalisiert und gleichzeitig einem verbreiteten Schönheitsideal entspricht« (ebd.: 121), scheint gegenwärtig von einer »Vorgabe zu einer Aufgabe« geworden zu sein – um Meusers (1998: 121) Formulierung über den geschlechtlichen Habitus einiger tief verunsicherter Männer seiner Studie zu übernehmen. Zwar mag die aggressive Personalisierung der Kamera zum (gangsta-)rapvideotypischen Standardrepertoire gehören (vgl. zum Beispiel Hörner 2009; Dietrich 2015a, 2015b), dennoch wurde in deutschen Rapmusikvideos selten so viel getreten, gekickt, geboxt und trainiert wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Dutzende Gangsta-, Straßen- oder Battle-Rapper wie Pillath, Fler, Plusmacher, Farid Bang oder Kollegah präsentieren sich in ihren Musikvideos derzeit beim Absolvieren von Trainingseinheiten oder greifen auf die Visualisierung anderer mit Kampfsport assoziierbarer Elemente zurück (vgl. zum Beispiel ein Musikvideo von Pillath aus 2017 mit dem vielsagenden Titel ›Ich bleibe‹). Aber auch abseits des fiktionalen Raumes ›Rapvideo‹ ist Deutschlands Rap-Männlichkeiten derzeit viel an der demonstrativen Visualisierung und Zurschaustellung von Kampfeslust und -bereitschaft gelegen. Und so werden Interviews mit Szenemedien schonmal in Kampfsportstudios verlegt (zum Beispiel Fler 2018), die Fanbindung beim gemeinsamen Traktieren eines Boxautomaten intensiviert (zum Beispiel Kollegah, 2018) und fleißig Bilder von Boxhandschuhen, Bandagen oder Springseilen innerhalb sozia-



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ler Netzwerke wie Instagram gepostet (unter anderem Raf Camora, Kontra K., Olli Banjo, Manuellsen u. v. a. m.) (siehe Abb. 17).80 Freilich wurde sich auch abseits der diskursiven Arenen des Rap bereits zum Schlagabtausch Mann gegen Mann herausgefordert, wenngleich der Anfang 2019 öffentlichkeitswirksam angekündigte Boxkampf zwischen Bonez MC und Fler bis heute nicht stattgefunden hat. Interessant ist ferner, dass – neben der Figur des international erfolgreichen Fußballers – auch die männliche Identifikationsfigur des Kampfsportlers, beziehungsweise Boxers oder auch Mixed-Martial-Arts-Kämpfers (MMA) derzeit verstärkt Einzug in die Diskurse des deutschsprachigen Rap hält.81 Besonders die martialische Männlichkeit des irischen MMA-Kämpfers Conor McGregor hat es deutschsprachigen Rap-Männlichkeiten offensichtlich angetan, widmeten Gangsta-Rapper Azad und Fler dem neureichen Profi-Kämpfer doch jeweils ganze Tracks und sogar EPs (vgl. die Conor EP von Fler, 2018).82 Im Refrain des Songs ›Conor McGregor‹ (2017) von Azad – ein Track, dessen Musikvideo fast ausschließlich aus Kampfszenen des international erfolgreichen MMA-Kämpfers besteht – heißt es beispielsweise: »Stapel’ die Scheine wie Conor McGregor, kämpfe alleine wie Conor McGregor, bin außer Kontrolle wie Conor McGregor, knock dich aus, wenn ich komme wie Conor McGregor …«. Die Hinwendung und Huldigung des Kampfsports samt zugehörigem Männlichkeitsmodell ließe sich beliebig weiterführen und besitzt auch außerhalb des Diskursuniversums Gangsta-Rap Strahlkraft (vgl. zum Beispiel das Album ›Mohamed Ali‹ von Ali As & MoTrip, 2018). Wie aber ist sie zu verstehen und weshalb kommt ihr im gegenwärtigen doing rap masculinity eine derartige Bedeutung zu? Blickt man in die soziologische Männlichkeitenforschung so wird mit dem Duell-Topos ein geradezu urmännliches Ritual aufgerufen, dem letztlich das Männlichkeitsmodell des Kriegers zugrunde liegt, womit ein vor allem im 19. Jahrhundert vorherrschendes Geschlechtsmodell aktiviert wird, das seinen Ausdruck ebenfalls »in einem muskulösen-männlichen Körperideal« fand (Scholz 2015: 182). Obgleich die Rolle des Militärs für kollektive 80 vgl. eine Zusammenstellung der Kampfsport-Postings beim Szenemedium hiphop.de: Unrau, 13.10.2020, https://hiphop.de/magazin/wtf/kampfsport-rapper-lassen-ihrerfreizeit-die-f%c3%a4uste-fliegen-270053#.Wmbv4HkiHIU 81 »Auch in der neuen deutschen Literatur hält das Modell des Boxers wieder Einzug« wie Herrmann/Erhart (2002: 46) feststellen. 82 Zur Erinnerung: EP steht für ›extended play‹ und bewegt sich vom Umfang her zwischen einer Single und einem Album (die Conor EP hat drei Tracks).

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Definitionen von Männlichkeit sicherlich unbestritten ist, ist es innerhalb der Forschung bislang ungeklärt, ob eine militarisierte Männlichkeit zu jener Zeit als hegemonial galt oder nicht (ebd.). Zwar kommt dem Militär beziehungsweise der militarisierten Männlichkeit einerseits ein Bedeutungsverlust innerhalb gegenwärtiger Gesellschaften zu, andererseits feiern Archetypen wie der Held oder der Krieger innerhalb des neojungianischen und vor allem mythopoetischen Differenzdiskurses derzeit eine Renaissance (vgl. auch bei Pohl 2011: 121ff.; Connell 2015: 280). Letzteren kennzeichne »ein Konglomerat aus romantisierender Vergangenheitsverklarung, Sehnsucht nach ursprünglichen Lebensformen, Mythologie, Spiritualismus, Körperkult und Naturmystik« (Meuser 1998: 163). Anders als bei den Maskulinisten werden feministische Thesen in diesem Diskurs zwar nicht abgelehnt oder verpönt, aber dennoch relativiert. Propagiertes Ziel ist die »Wiedergewinnung einer ursprünglichen ›Männerenergie‹«, da der abendländische Mann heute nicht mehr über diese verfüge, da diese im »Prozeß der industriellen Moderne verlorengegangen [sei]« (ebd.: 156). Die Reaktivierung dieser Energie könne durch die Orientierung an starken Vaterfiguren und einer »körperlichen Auseinandersetzung mit Gefahren und wilder Natur« erfolgen (vgl. die Selbstbezeichnung als ›wilde Männer‹; ebd.). Der männliche Körper spielt dabei eine wichtige Rolle, denn körperliche Kraft ist für Bly  – einem bedeutenden Vertreter dieses Diskurses  – ein zentrales Element von Männlichkeit (ebd.: 161). Bei dem Idealbild des ›disziplinierten Kriegers‹ geht es jedoch weniger um Gewaltanwendung als vielmehr um strategisches Denken und einen Körper, der in der Lage ist, jegliche Strapazen (Schlafmangel, Schmerzen, Narben, Hunger usw.) zu ertragen. Rituale spielen hierbei eine wichtige Rolle, so auch das Boxen. Grundsätzlich sind »Männern, denen ihr Geschlecht im Modus der habituellen Sicherheit gegeben ist, […] Ausdrucksformen von Hypermaskulinität, wie sie in der Figur des Rambo oder des Macho symbolisiert sind, fremd. Der Hegemonieanspruch bedarf auch keines Verweises auf körperliche Stärke und Überlegenheit, um sich Geltung zu verschaffen«, schreibt Meuser (ebd.: 298). Es sind demnach vor allem (habituell) verunsicherte Männer die martialischen Idolen wie Rambo oder John Wayne (oder eben Conor McGregor und Co) huldigen. »Auf der Folie einer defizitären Selbstdefinition entsteht die Sehnsucht nach einer für alle sichtbaren, zweifelsfreien Verkörperung des Geschlechtsstatus. Der Körper gewinnt eine Wichtigkeit als demonstratives Geschlechtszeichen« (ebd.: 299). Naheliegend, dass die Teilszene der ›wilden Männer‹ in Meuser Studie ausgerechnet das Boxen als »initiationsfördernd« entdeckt, da es ›Mannwer-



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dung‹ nicht nur als spirituellen, sondern auch als körperlichen Prozess erfahrbar macht (ebd.). Mit der Figur des Boxers wird freilich auch ein historisch tradiertes und über den mythopoetischen Differenzdiskurs hinausweisendes Männlichkeitsideal aufgerufen, das überdies auf das Zusammenspiel männlicher Psyche und Physis verweist, insofern der »Boxer als Idealtypus […] physische und psychische Stärke, Körper und Geist [in sich] vereint« (Barr 2015: 48, vgl. auch die Studie von Wacquant 2010).83 Die besondere identifikatorische Bedeutung der Boxer-Männlichkeit für deutschsprachige Rap-Männlichkeiten ist ferner auch in einen globalen und gleichsam historischen Rahmen zu stellen. Für die hegemoniale US-amerikanische Rap-Szene nämlich gehören Schwarze Boxer wie Muhammed Ali oder Mike Tyson zu den »most celebrated heroes of our generation«, wie es Kitwana (2002: 97) ausdrückt. Als marginalisierte Männlichkeiten verkörpern sie das from rags to riches-Narrativ wie kaum ein anderer männlicher Typus, haben sie sich doch sprichwörtlich ganz nach oben gekämpft. White sieht in den Männlichkeitsperformances von Rappern und Boxern – die er als Inkarnation des hard man am oberen Ende der Sportarten-Hierarchie ansiedelt – gar eine Parallele: »Risking the body in performance is something hardcore rap performers do figuratively in a variety of performance contexts. […] Boxing and battle rapping both involve demonstrations of masculine strength and aggression, the ability to absorb punishment and still retaliate, to overcome one’s opponent by beating him down. The appeal of hardcore rap and the macho posturing characteristic of battling rapping is like boxing, masculine desire as voyeurism, part fantasy, part fetish.« (White 2011: 68)

Die ›Familienähnlichkeit‹ der Männlichkeitstypen Boxer und Rapper erklärt jedoch bedingt, weshalb sich letztere derzeit gehäuft in Kämpferposen und -kontexte begeben. Tatsächlich müssen die muskulösen und allzu martialischen Rap-Männlichkeitskonstruktionen auch in den Kontext einer allgemeinen Bedeutungssteigerung des Körpers in spätmodernen Gesellschaf 83 Zum heldenhaften Typus des Boxers, der in den 1920er Jahren in vielen Gesellschaftsschichten zum Idol avancierte vgl. zum Beispiel Barr (2015: 48) »Nicht nur in der breiten Presse, auch in der Literatur, im Film und der bildenden Kunst erscheint der Boxer als Idealtypus, der in sich physische und psychische Stärke, Körper und Geist vereint – seine Figur wird regelrecht zu einem ikonischen Bild der Weimarer Gesellschaft«. Im weiteren Verlauf bezeichnet Barr die Figur des Boxers zu dieser Zeit als Identitätsbestätigung für den ›männlichen Mann‹. Auch Böhnisch (2013: 265) merkt an, dass die Männer dem sozialen kulturellen Aufstieg der Frau in den 1920er Jahren das Auto und das Boxen entgegensetzten.

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ten und der damit einhergehenden Ästhetisierung von Männlichkeit gestellt werden. Auch Männer nämlich müssen sich im Zuge der Ausbreitung eines konsumistischen Mode- und Schönheitssystems, in dem Fitnesskult und feel good zu zentralen Werten werden, zunehmend »den Zumutungen der Körperästhetik« unterwerfen (Meuser 2001b: 226). Der Soziologe Meuser beschäftigt sich mit diesem Phänomen am Beispiel der Männerzeitschrift Men’s Health, in der der Mann von heute mit dem »für eine angemessene Selbstdarstellung nötigen Körperwissen« versorgt wird, und weiter: »Dazu gehört neben Informationen zu effektiven ›Workout‹-Techniken, mit denen sich die gewünschte, am Ideal der Straffheit orientierte Körperform erarbeiten lässt […], vor allem Ratschläge zur Wahl der für den jeweiligen Anlass adäquaten Kleidung sowie sonstige Tips [sic!] zur Körperästhetik und -pflege. […] Zahlreiche Artikel vermitteln die Botschaft, dass ein auf diese Weise systematisch gestalteter Körper nicht nur das Selbstwertgefühl und die allgemeine Attraktivität des Mannes erhöht, sondern auch äußerst hilfreich, wenn nicht sogar unbedingte Voraussetzung ist, um in sämtlichen Lebensbereichen […] erfolgreich zu handeln.« (Meuser 2001b: 225)

Als Beobachter_in der Rap-Szene denkt man bei Meusers Ausführungen unweigerlich an Gangsta-Rapper und Buchautor Kollegah. Rap business masculinity Kollegah erweiterte sein Geschäftsmodell bereits 2014 um den Vertrieb verschiedener Fitness- und Ernährungsprodukte samt zugehörigem Fitnessprogramm, der sog. ›Bosstransformation‹: »Du hast genug vom Lauch-Dasein? Du willst Dich nicht länger mit den Zahnstochern in Deinen Hosenbeinen abfinden und bist die Witze Deiner Kollegen über Deine Spaghetti-Arme leid? Dann hast Du in den kommenden 12 Monaten die Chance, das ein für alle Mal zu ändern«, heißt es unter anderem auf der zugehörigen Website. Die Überinszenierung des muskelbepackten Männerkörpers finden wir nebst Kollegah auch bei Rap-Kollege Farid Bang oder Rapper Majoe, dessen Alben mitunter vielsagende Namen tragen wie ›Breiter als der Türsteher‹ (2014) oder ›Breiter als 2 Türsteher‹ (2015). In der Zusammenschau der Texte aller drei Akteure wird deutlich, dass den Rappern – bei allem ernstgemeintem Kalkül (von antisemitischen Aussagen gar nicht erst zu sprechen, vgl. Bloching/Landschoff 2018) – der Anachronismus ihrer Männlichkeitsperformance und die bewusste Stereotypisierung, die sie damit reproduzieren, durchaus bewusst ist: »Ey, doch ich bin für die Klapse zu breit, einmal Anspannen reicht und die Zwangsjacke reißt, Steroidrap, Oberkörper V-förmig […] Um mich am Rücken zu kratzen ist mein Bizeps zu groß« heißt es auf ›Stereoidrap‹ von Kollegah & Farid Bang (2013), während andernorts eindringlich von Salatkonsum abgeraten wird, denn »jeder weiß, der Bizeps schrumpft



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von Salat« (Kollegah & Majoe feat. Götzfried Girls, ›Von Salat schrumpft der Bizeps‹, 2014). Im Kampf um Distinktionsgewinne wird die eigene MuskelMännlichkeitsperformance ferner ethnisiert und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Herkunftskultur als Grund für patriarchale Rückständigkeit angeführt: »Ich bin immer der Rapper aus dem Hinterland Anaboliens […] Mein Bizeps ist mir wichtiger, als meine eigene Freundin, um Eiweiß zu sparen wird nicht onaniert« (Majoe, Skit, 2013). Das Stilmittel der Ironie – mit dem die selbsternannten ›Stereoid-Rapper‹ recht umfänglich arbeiten – findet sich auch in zeitgenössischen Männerzeitschriften wie Men’s Health. Für den Soziologen Meuser (2001b: 233) deutet es darauf hin, dass »Brüche in der tradierten Geschlechterordnung reflektiert werden« und weiter: »Ironisch kommentiert werden die Eigenheiten der Frauen, aber auch das Handeln der Männer. Ironie kommt typischerweise immer dann ins Spiel, wenn Stereotype und Klischees reproduziert werden. Diese werden bedient, aber dies geschieht in einer Weise, die eine gewisse Relativierung der Klischees herstellt, indem diese als solche kenntlich gemacht werden […] Die Stereotypisierung, die nach wie vor stattfindet […] ist insofern eine ›aufgeklärte‹, als zugleich mit dargestellt wird, dass eine Stereotypisierung stattfindet. Neue Perspektiven auf Männlichkeit und Weiblichkeit werden damit kaum eröffnet, wohl aber wird deutlich, dass die alten nicht mehr selbstverständlich reproduziert werden können.« (Meuser 2001b: 233)

Der Männlichkeitsforscher bezeichnet diesen zeitgenössischen Handlungstypus demnach als ›aufgeklärte‹ hegemoniale Männlichkeit. Inwiefern Kollegah und Co hier bewusst oder weniger bewusst ›Brüche in der tradierten Geschlechterordnung‹ reflektieren und demnach als ›aufgeklärt‹ gelten können, sei dahingestellt. Womöglich verweist die aller Orten beobachtbare Über-­ Ästhetisierung und extreme Selbstoptimierung des Rapper-Körpers auch auf die allgemein steigende Körperunzufriedenheit bei Männern und ist Ausdruck defizitärer Selbstwahrnehmung. Einst weibliches ›Privileg‹ steht im Kontext der Digitalisierung und der quasi-obligatorischen Pflicht zur (visuellen) Selbstvermarktung (Stichwort Instagram) nunmehr ja auch der männliche Rapperkörper unter »Dauerbeobachtung« (ebd.: 223). Internalisierte muskulöse Körperideale im Zuge einer sich sukzessive formierenden männlichen Körperbildindustrie in Medien und Werbung können da schonmal in die ein oder andere männliche Körperbildstörung münden, wie zum Beispiel eine Unzufriedenheit mit bestimmten Körperpartien (Brust, Taille, Gewicht  …).84 84 Zur »Zerstückelung des Körpers in geschlechtsrelevante Regionen« vgl. den Gastbeitrag von Wedel über ›Männlichkeit und Körperlichkeit‹ in Böhnisch (2013: 37-51).

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Dutzende Studien beschäftigen sich bereits mit Phänomenen wie dem ›Adonis-Komplex‹ oder auch der ›Muskeldysmorphie‹, einer zwanghaften männlichen Vorstellung, nicht muskulös genug zu sein und diesem ›Defizit‹ mit exzessiven Trainingsverhalten, rigidem Essverhalten sowie Arzneimittelmissbrauch zu begegnen (vgl. dazu Hoyt/Kogan 2001; Pope u. a. 2001 usw.).85 Von einer ›geheimgehaltenen Sorge‹ um das eigene Aussehen, wie es ein Kennzeichen des Adonis-Komplexes darstellt (vgl. Pope u. a. 2001), lässt sich im Fall der öffentlichkeitswirksamen Zurschaustellung des kampfbereiten RapperKörpers allerdings eher nicht sprechen. Vielmehr erinnert das Gebaren à la Kollegah, Majoe, Fler und Co an die Erscheinungsform des ›medialen Narziss‹, wie ihn Böhnisch (2013: 238ff.) in Rekurs auf die Psychoanalyse und im Rahmen seiner Abhandlung zum abstract worker als Produkt einer Subjektivierung von Arbeit im Kontext neoliberaler Vergesellschaftung diskutiert. Der sonst in biografischen Umbruchsituationen auftretende Narziss sei heute ein wiederkehrendes Phänomen, bei dem es darum ginge, zu spüren und wahrzunehmen wie man sich im anderen spiegele, ohne sich in den jeweiligen anderen hineinversetzen zu müssen, was zum »Motor der Entwicklung einer freilich fragilen Identität [würde], die immer neu um Anerkennung besorgt sein muss« (ebd.: 242f.). Die ständige Erregung von Aufmerksamkeit, die Suche nach Gelegenheiten der Selbstinszenierung (in Talkshows oder – bei Rappern v. a. im Internet und via Soziale Medien) ziele letztlich auf Anerkennung ab und sei anschlussfähig an ökonomisch geprägte Beziehungsstrukturen und Konkurrenzszenerien, wie sie der Neoliberalismus hervorbringt.86 Mit der »Maskulinität des neuen Narziss« würde ein überholt geglaubtes traditionelles Männlichkeitsmuster reaktiviert, das nunmehr in ›neuem‹ Gewand, nämlich ›ästhetisiert‹ daherkommt: »Die narzisstische Spiegelung wird aus dem körperlichen Habitus gespeist, zwingt das Soziale in eine verkörperlichte Aura« (ebd.: 245). Auch deshalb greift die These einer scheinbaren Nivellierung der Geschlechter für Böhnisch daher zu kurz. Stattdessen könne man eine narzisstische Schärfung der gängigen maskulinen (oder femininen) Konturen beobachten, eine Maskulinisierung, die vielen nicht bewusst sei, da sie »eingewoben ist in eine mediale Aufforderungsstruktur und Erfolgskultur, in der Männlich 85 Auch Kollegahs Bosstransformations-Paket beinhaltet exzessive Trainingseinheiten und rigide Essvorschriften wie einen Kalorienrechner, »kalorienorientierte Mahlzeitpläne zum Ausdrucken aufgeteilt nach Stoffwechseltypen« und »Rezeptbücher für Highcarb- und Lowcarb Ernährung inkl. Kochanleitungen« vgl. die zugehörige Website, 14.10.2020, https://www.boss-transformation.de/ 86 vgl. dazu auch Illouz (2007).



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keit nicht mehr als solche erscheint, sondern zum Stilmittel des Erfolgs geworden ist« (ebd.). Das ›männliche Sein‹ bliebe demnach im Anschluss an Bourdieu (2016: 112ff.) auch unter den vermeintlich veränderten Vorzeichen des ›wahrgenommen-Seins‹, gewissermaßen ein ›hegemoniales Sein‹, da es dem übergeordneten Strukturprinzip des Wettkampfes als Chiffre des Erfolgs eingeschrieben bleibt. »Die Tatsache des Wahrgenommenseins allein muss nicht einen Hegemonieverlust implizieren«, konstatiert auch Meuser (2001b: 226) und merkt an, dass die Perzeption von Wahrnehmung im Rahmen einer sozialen Typik stattfände. Verletzungsmächtigkeit und -offenheit seien an unterschiedliche Positionen im Geschlechterverhältnis geknüpft, was einer den Körper evaluierenden Äußerung unterschiedliche Bedeutungen verleihe.87 Wenn Meuser die Ästhetisierung von Männlichkeit am Beispiel der Körperbilder in Männerzeitschriften relational zu Weiblichkeit und dem female gaze denkt, so drängt sich eine solche Perspektivierung angesichts der beobachtbaren Transformationsprozesse der Rap-Szene auch für den männlichen Rapper-Körper auf. Denn zunehmend ist letzterer nunmehr auch der Evaluation durch weibliche Rap-Sprecherinnen ausgesetzt, die sich mit ihren diskursiven Bewertungs(und Diskriminierungs-)Strategien ihrerseits Distinktions- und Hegemoniegewinne versprechen.88

87 Zu den Konzepten um Verletzungsoffenheit und Verletzungsmacht als Modi der Vergesellschaftung vgl. ›Phänomene der Macht‹ von Popitz (1992). Vgl. dazu weiterführend auch Janssen (2018). 88 Erinnere die misogynen Zeilen von Kurdo und Majoe gegenüber dem weiblichen RapDuo SXTN, das internalisierte und verzerrte muskulös-männliche Körperideale wohl eher festigt, denn zu deren Auflösung beitragen, wenn sie Zeilen rappen wie: »Du kannst gerne mal bei mir abwaschen, Image kann euch nicht krass machen, denn ihr gebt mir die Hand wie Waschlappen …« (›Die Fotzen sind wieder da‹, 2017).

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10. Wie ein Mann? – Rap-Männlichkeiten zwischen Tradition und Transformation »Bei diesem Track […] ging’s darum, also so könnt ich es mir vorstellen, dass Pedaz allen geschrieben hat: ›Leute, wir machen nen Track und es muss sich halt immer auf hmhmhm …-Wie ein Mann reimen bzw. ihr sollt halt hinschreiben: […] Was versteht ihr darunter? Was macht man denn ›wie ein Mann‹? Und das spannende ist, dass jeder Part ganz anders ist, inhaltlich …« (Rap-Journalistin Jule Wasabi über den ›Prachtkerle-Remix‹)1

Samt zugehörigem Musikvideo bildet der Rap-Track ›Wie ein Mann  – Prachtkerle Remix‹ (nachfolgend nur ›Prachtkerle Remix‹) das empirische Zentrum der Dissertation. Song und Video wurden im Jahr 2016 von dem bis dato wenig bekannten Rapper Pedaz veröffentlicht.2 Bei dem achtminütigen ›Wie ein Mann – Prachtkerle Remix‹, der aktuell 3,5 Millionen Klicks auf Youtube erreicht [Stand 12.11.2018], handelt es sich um einen sog. Posse- oder auch Allstar-Track, eine seltene, wenngleich nicht ungewöhnliche Variante von Rap-Songs, bei denen mehrere Rapper_innen beteiligt sind (vgl. dazu bei Wolbring 2015: 311). Die bald 40-jährige Geschichte des deutschsprachigen Rap verzeichnet nicht wenige solcher Allstar-Tracks, zum Beispiel ›K Zwo‹ von Absolute Beginner, Dendemann und Co aus dem Jahr 1999 oder auch ›Der Beweis 2 – Mammut-Remix‹ aus dem Jahr 2008, der nebst ›Gastgeber‹ Kool Savas 17 weitere Rapper versammelt. Bei den meisten dieser Tracks handelt es sich typischerwei 1 Schacht & Wasabi (Folge 30), 31.08.2020, https://www.youtube.com/watch?v= Dhi2xG64LTM [ab Min. 01:22:20] (bereinigtes Zitat) 2 Der ›Wie ein Mann  – Prachtkerle Remix‹ erschien auf dem Album Schwermetall im Jahr 2016. Rapper Pedaz bezeichnet das Album als sein ›Debütalbum‹. Es chartete auf Platz 47 und enthält insgesamt 16 Tracks, von denen noch zwei weitere den Titel ›Wie ein Mann‹ tragen. Darunter ein Skit und ein (Solo-)Track auf dem nur Pedaz zu hören ist. Der hier untersuchte ›Prachtkerle-Remix‹ schließt das Album und wird als ›Bonus-Track‹ ausgegeben. Der Raptext findet sich am Ende dieser Arbeit. Das zugehörige Musikvideo lässt sich hier aufrufen, 21.10.2020, https://www.youtube.com/ watch?v=lWYDtLDkD6U

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se um sog. ›Representer-Tracks‹, das heißt es wird die eigene Stadt, Hood, Crew oder Rap-Persona repräsentiert. Der hier untersuchte Allstar-Track ›Wie ein Mann – Prachtkerle Remix‹ unterscheidet sich von anderen Posse-Tracks insofern, als dass die reflexive Auseinandersetzung mit Männlichkeit resp. dem ›Mann-Sein‹ das thematische Zentrum des Songs bildet. Als Diskursfragment der Diskursivierung von Männlichkeit wird ihm damit ein Alleinstellungsmerkmal im Diskursuniversum Deutschrap zuteil. Der Prachtkerle-Remix ist also – so könnte man formulieren – Teil eines Prozesses, der »davon zeugt und selber dazu beiträgt, dass die [gesellschaftliche] Position des Mannes [im Rap] den Status einer fraglosen Gegebenheit zu verlieren beginnt« (Meuser 2001b: 219). Um mit Bourdieu (2016: 132) zu sprechen, stellen sich im Jahr 2016 hier also neun Rapper über acht Minuten Länge der feldspezifischen illusio, das heißt der ›Idee vom (Rap-)Mann‹. Das ist auch insofern erstaunlich als dass Männlichkeit gerade den hiphop/rap-kulturellen Formen eigentlich als paradigmatisches Ordnungsmuster eingeschrieben ist (vgl. Seeliger 2013: 113, erinnere auch Simmels (1985) vielzitierte Formulierung der ›Hypostasierung des Männlichen zum Allgemein-Menschlichen‹). Auf dem ›Prachtkerle-Remix – Wie ein Mann‹ rappen Pedaz, Motrip, Silla, JokA, Sinan G., Raf Camora, Joshi Mizu, Blut&Kasse und Sido also über fraglose Gegebenheiten, das heißt über Dinge, die (Rap-)Männern, die über ›habituelle Sicherheit‹ verfügen, eigentlich implizit gegeben sein müssten, denn »[w]ie man sich als Mann gibt, wie man redet und was man redet, wie man seine Position in Ehe und Familie gestaltet, wie man sich Frauen gegenüber in der Öffentlichkeit verhält – all das weiß man, ohne es sich reflexiv verfügbar machen zu müssen; all das praktiziert man selbstverständlich. Dem korrespondiert ein Selbstbewußtsein, das einen angemessenen Ausdruck in der iterativ-redundanten Formel hat: ›Ein Mann ist ein Mann ist ein Mann‹ […]. [D]die Frage was es bedeutet, ein Mann zu sein, erzeugt nicht selten Reaktionen der Verwunderung, der Verwirrung und Bemerkungen, daß diese Frage keinen Sinn mache. Die Frage kommt einer Aufforderung zur Entindexikalisierung gleich […]« (Meuser 1998: 186).

Die insgesamt neun Strophen – auf Refrainpassagen wird im ›PrachtkerleRemix‹ zugunsten des Zeile für Zeile wiederkehrenden Mantras ›Wie ein Mann‹ verzichtet – eröffnen ferner nicht nur die Möglichkeit einige in dieser Arbeit formulierte Prämissen zum doing rap masculinity zu überprüfen, sondern erlauben auch eine Analyse dessen, wer oder was auf dem Feld der deutschsprachigen Rap-Szene überhaupt als hegemonial-männlich konstruiert wird. Letzteres auch deshalb, da sich mit MoTrip, Raf Camora und



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Sido mindestens drei diskursmächtige, weil im Rap-Mainstream erfolgreiche Rapper in den Reihen der ›Prachtkerle‹ befinden und hegemoniale Männlichkeit im Anschluss an Meuser und Scholz als ›institutionalisierte Praxis‹ begriffen werden kann: »[Hegemoniale Männlichkeit] wird durch die soziale Praxis der gesellschaftlichen Elite bzw. gesellschaftlicher Eliten definiert, also durch eine zahlenmäßige Minderheit der Bevölkerung. Es sind ferner nicht einzelne Mitglieder der Elite, welche in einem intentionalen Akt bewusst und gezielt definieren, was hegemoniale Männlichkeit ausmacht, in der sozialen Praxis der Elite bildet sich ein Muster von Männlichkeit aus, das kraft der sozialen Position der Elite hegemonial wird. Hegemoniale Männlichkeit ist an gesellschaftliche Macht und Herrschaft gebunden« (Scholz 2015: 26).3

Das Musikvideo des ›Prachtkerle-Remix‹ unterteilt sich in insgesamt drei Settings. Hauptschauplatz ist eine Kneipe, in der insgesamt sieben der neun Rapper abwechselnd ihre Parts zum Besten geben. Die Performances der einzelnen Rapper finden vor einer dilettantisch mit Plakaten und Aufklebern tapezierten Wand statt – eine Ästhetik, wie man sie typischerweise innerhalb von Clubs oder Kneipen vorfindet. Stehtische, auf denen halbleere Biergläser und Zigarettenschachteln zu sehen sind, sowie ein Tresen samt alkoholischem Flascheninventar und Barhockern komplettieren die bierselige und insgesamt schummrige Kneipenatmosphäre. Der jeweils performende Rapper steht im Bildvordergrund und wird durch affektive Gesten des männlichen Kollektivs im Hintergrund unterstützt. Da die Rapper MoTrip und Blut&Kasse zum Zeitpunkt des Videodrehs verhindert waren, gibt es mit der ›Straße‹ und dem ›Wettbüro‹ zwei weitere Settings, so dass sich das Musikvideo um insgesamt drei männlich konnotierte Räume herumgruppiert.

Vorbemerkung Die ursprünglichen Analysen des ›Wie ein Mann – Prachtkerle-Remix‹ erstrecken sich über mehr als 100 Seiten. Nachfolgend werden lediglich einige zentrale Erkenntnisse zusammengefasst, die den Konstruktionsmodus deutschsprachiger Rap-Männlichkeit im Allgemeinen erhellen sollen. Zwi 3 Szenemedien ist an dieser Stelle zuzustimmen, wenn sie berichten, dass sich Pedaz mit der Auswahl der ›Prachtkerle‹ »die halbe Rap-Szene« bzw. »zahlreiche Szenegrößen« ins Studio geholt hat. Lindemann, 14.10.2020, https://hiphop.de/magazin/news/zahlreiche-szenegroessenversammelt-kollaboration-geplant-286232#.WJhCa33dlm8

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schen Einreichung dieser Dissertation an der Universität Hildesheim und der Publikation beim Campus Verlag liegen mehr als zwei Jahre, innerhalb deren die deutschsprachige Rap-Szene mitnichten stillstand. Der Rapper Blut&Kasse beispielsweise nennt sich heute [=  14.10.2020] Beka, während Rapper Sinan G. durch seine Rolle als Nebendarsteller in der deutschen Netflixe-Crime-Serie Dogs of Berlin (Ende 2018) inzwischen an Bedeutung und Relevanz im Diskursuniversum Rap (und darüber hinaus) gewonnen haben mag. Rapper Raf Camora eilte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des ›Prachtkerle-Remix‹ (Anfang 2016) zwar bereits ein gewisser Ruf innerhalb der Szene voraus, das Erfolgsalbum Palmen aus Plastik machte den gebürtigen Schweizer und Wahl-Berliner jedoch erst im Laufe des Jahres 2018 zum millionenschweren Rap-Superstar.

10.1 »Ich bin nämlich der König in diesem Land« – Hegemonie und Unterordnung Für einige Männlichkeitsforscher ist die Dominanz und Abgrenzung gegenüber anderen Männlichkeiten die zentrale Dimension im doing masculinity. »Being a man among men«, fasst Kimmel (2008: 47) diese Logik zusammen, denn »[m]asculinity is largely a ›homosocial‹ experience: performed for, and judged by, other men«. Nicht zuletzt Connell hat mit dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit für die interne Diversifizierung und vor allem Hierarchisierung von Männlichkeiten sensibilisiert. »Wir müssen die Beziehungen zwischen den verschiedenen Formen untersuchen«, formuliert die Soziologin, die hegemoniale Männlichkeit als jene Männlichkeitsform beschreibt, »die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt, eine Position allerdings, die jederzeit in Frage gestellt werden kann« (Connell 2015: 130). Auch das doing masculinity von Rappern zielt letztlich – wenngleich es über die Abwertung von Weiblichkeiten verläuft (Stichwort Sexismus) – vor allem auf die Anerkennung und den Respekt anderer Rap-Männlichkeiten. Blicken wir auf die internen Machtrelationen der ›Prachtkerle‹ so rückt damit auch die diskurslinguistisch bedeutsame Ebene der Diskursakteure in den Mittelpunkt der Betrachtung, die Spitzmüller/Warnke (2011: 172ff.) als Scharnier zwischen dem Einzeltext und der transtextuellen Ebene begreifen. Machttheoretisch wird ferner erneut die Notwendigkeit einer multimodalen Textanalyse deutlich, denn Kamerafahrten und -effekte, Ausleuchtung und



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andere dramaturgische Aspekte sind an der Reproduktion von Hegemonie und Unterordnung maßgeblich beteiligt. Zunächst ist zu sagen, dass es sich bei dem ›Prachtkerle-Remix‹ nicht um eine Art kollektiver Autorschaft handelt. Stattdessen »gilt [jeder Rapschaffende] als autonomer Autor seines Parts, der eine Ganzheit an sich darstellt und weiterhin dem Autorschaftsmodell im Rap verpflichtet bleibt […]. Dies gilt auch für Rap-Gruppen mit mehreren Rapschaffenden […] das heißt dass die einzelnen Mitglieder zumeist Autoren ihrer jeweiligen Parts sind oder zumindest als solche angenommen werden« (Wolbring 2015: 311). Die Männlichkeitserzählungen der Prachtkerle unterscheiden sich deshalb nicht nur inhaltlich voneinander, sondern stehen auch in Bezug zu dem persönlichen Werk des jeweiligen Rap-Künstlers, Stichwort Selbstreferentialität – wenngleich zu dessen Dechiffrierung einiges an Szenewissen vonnöten ist. Die Zeile »wurd zum Dealer, dabei war ich nie ein Drogenlieferant« von MoTrip beispielsweise rekurriert auf MoTrips Song ›Wie ein Dealer‹ aus dem Jahr 2015, während sich auch der Medien-Topos in der Strophe von Raf Camora recht kohärent in das Gesamtwerk des Wahl-Berliners einfügt: »Ich fühle mich verlor’n auf Instagram, mach die App auf, wisch’ den Dreck aus meiner Netzhaut mit dem Kärcher wie ein Mann« rappt Raf Camora auf dem ›Prachtkerle-Remix‹ und knüpft dabei implizit an medienkritische Songs aus dem Jahr 2012 an (zum Beispiel ›Lach für mein Twitter‹, ›In meiner Zone‹). Insofern die Rapper recht unterschiedliche Subgenres des Rap vertreten, die von Battle-, Message- bis Gangsta/Straßen-Rap reichen, gilt es ferner sich sowohl diskursiv als auch körperlich-habituell authentisch zu der jeweiligen Spielart samt zugehörigem Image zu verhalten. Auch diese Anforderung wird unterschiedlich eingelöst, etwa wenn die Battle-Rapper JokA, Silla oder Blut&Kasse ein recht konfrontatives Spiel mit der Kamera betreiben (inkl. Mittelfinger-Geste), während der am wenigsten erfolgreiche, genretechnisch nur schwer zuordenbare ›Prachtkerl‹ Joshi Mizu eine insgesamt recht verhaltene Performance an den Tag legt. Es ist wichtig zu wissen, dass die situative homosoziale Vergemeinschaftung der ›Prachtkerle‹ gleichsam ein Freundesnetzwerk bildet und unterschiedliche Beteiligte bereits auf gemeinsame Kollaborationen und Veröffentlichungen zurückblicken. Dazu gehört etwa das Trio MoTrip, Silla und JokA (zum Beispiel das Kollabo-Projekt ›Schnelles Geld‹), die Freunde und Labelkollegen Raf Camora und Joshi Mizu (beide bei Indipendenza) oder auch Pedaz und Blut&Kasse (vgl. deren gemeinsames Album 100 % Macher). Ferner wurde letzterer im Rahmen des österreichischen Casting-Formats Blockstars – Sido macht Band durch Rapper Sido mittels einer Wildcard un-

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terstützt. Als Mentor nimmt der wohl diskursmächtigste Rapper der Prachtkerle Sido gegenüber Blut&Kasse demnach eine ähnliche Position ein, wie Indipendenza-Label-Gründer Raf Camora gegenüber Joshi Mizu und auch Pedaz, dessen Album Schwermetall er maßgeblich mitverantwortet. Was vorherige Kollaborationen und Zusammenarbeit betrifft, bildet einzig Sinan G. eine Ausnahme. Ungeachtet seiner fünf Studioalben ist der Essener innerhalb der Rap-Szene vor allem durch Gefängnisaufenthalte und Haftstrafen (›Free Sinan G.!‹) und weniger für herausragende Rap-Fähigkeiten oder damit assoziierbare Erfolge bekannt. Seine Aufnahme in den erlauchten Kreis der ›Prachtkerle‹ mag sich durch seinen prominenten Bruder, den Rap-Journalist und Entertainer Rooz und/oder freundschaftliche Kontakte mit dem Essener Stadt-Freund und Prachtkerle-Gastgeber Pedaz begründen. Es ist interessant zu sehen wie sich diese nur sehr kursorisch skizzierten Machtverhältnisse innerhalb der verschiedenen Zeichensysteme, das heißt auf Text-, Bild- und Soundebene des Prachtkerle-Remix abbilden und gleichsam als solche hervorgebracht werden. Bereits die Dramaturgie, also die Reihenfolge der jeweils nacheinander rappenden Akteure folgt einer machtvollen Logik. Als einer der drei diskursmächtigsten Rapper eröffnet der für seine ausgefeilte Rap-Technik bekannte MoTrip den ›Prachtkerle-Remix‹ im Teilsetting ›Straße‹. Die Youtube-Kommentare lassen erahnen, dass dies der Strukturierung von Rezipient_innenerwartungen dient, werden diese durch MoTrips‹ Glanzleistung doch in eine gewisse Erwartungshaltung versetzt: »MoTrip wie immer alles rasiert«, kommentiert User_in Gwyntorias und DEUTSCHRAP SEIN VATER rekapituliert entschlossen: »Über MoTrip muss man nichts sagen er hat mit dem Part schon alles zerstört«. Auf Eröffnungs-Rapper MoTrip folgen konsequenterweise dessen aktuell weniger erfolgreichen Freunde und RapKollegen Silla und JokA. Im darauffolgenden vierten Part stilisiert sich Mentor und ›Schwermetall‹-Producer4 Raf Camora im raptpyischen boasting zum Spiritus Rector und beendet seine Strophe mit der Zeile: »RA war da als der Beat entstand, Schwermetall getan5 wie ein Mann«. Damit beansprucht er eine gottgleiche Position gegenüber ›Schützling‹ Pedaz und konstruiert gleichsam ein Dominanz- und Abhängigkeitsverhältnis, hätte es das Album Schwermetall und damit auch die homosoziale Männergemeinschaft der ›Prachtkerle‹ doch 4 Zur Erinnerung: Schwermetall heißt Pedaz’ Debütalbum, auf dem sich auch der ›Prachtkerle-Remix‹ befindet. 5 Die Plattform genius.com will hier ›Gitter‹ anstatt ›getan‹ heraushören, was mir aber etwas unzutreffend erscheint. Tatsächlich könnte man aber darüber spekulieren, was Raf Camora (Spitzname ›RA (der Lehrer)‹) hier genau rappt.



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ohne seine Arbeit als Executive Producer nie gegeben. Parallel zu dieser Aussage auf der Textebene faltet Raf Camora im Musikvideo die Hände und blickt gen Himmel [03:18] – womöglich eine Art göttliche Dankbarkeitsgeste gegenüber der unverschuldeten Existenz als Mann. Die Männlichkeitsperformance des diskursmächtigen Raf Camora wird aber auch durch einen SchwarzlichtEffekt hervorgehoben. Der mit einem weißen Raben bedruckte, schwarze Kapuzenpulli der Eigenmarke ›Corbo‹ und damit die ›Marke Raf Camora‹ kommen dadurch besonders zur Geltung. Mit der insgesamt fünften Strophe bildet der wenig prestigeträchtige Sinan G. quasi den Mittelteil des Allstar-Tracks und authentifiziert sich prompt über diverse mit dem hegemonialen marginalisierten Subjekt des Rap assoziierte Topoi wie Kriminalität, Devianz usw. (»In meiner Welt ist Mustafa arm aber Frank reich« usw.). Seiner wenig mächtigen (und bekannten) Position innerhalb der Rap-Szene gewahr, legt der Essener ferner großen Wert darauf, nicht mit dem kleinen Bruder des diskursmächtigen Kool Savas verwechselt zu werden, der ebenfalls Sinan heißt und vor über einem Jahrzehnt ebenfalls (und nur sehr kurz) als Rapper in Erscheinung trat: »Ich bin dieser Sinan und nicht der Bruder von Savas« rappt Sinan G. und zollt dem Deutschrap-Idol Kool Savas anschließend mit einer betenden Handgeste und dem Zusatz »doch Brüder im Geiste« Tribut [03:46]. Es ist die einzige Referenz auf eine andere deutschsprachige Rap-Männlichkeit im ›PrachtkerleRemix‹. Der Rapper Kool Savas wird hier als hegemoniale Rap-Männlichkeit konstruiert, während sich Sinan G. an dieser Stelle durch die binnengeschlechtliche Differenzkonstruktion folgsam unterordnet. Obgleich sich Sinan G. auf der diskursiven Ebene durch exzessives doing gangsta zu authentifizieren versucht (»vom Haschticker zum Knastkicker« usw.), so spricht seine Körperperformance eine zuweilen andere Sprache. Szeneuntypische und zuweilen übertrieben lang ausgeführte Gesten und Handzeichen wirken angestrengt und konfligieren stellenweise mit der feldspezifischen Habituslogik der Coolness [03:50–03:52]. Sinan G.s Rap-Körperperformance deutet hier auf eine unzureichende Verleiblichung des feldspezifischen Habitus hin, denn »[f ]eldspezifische Inklusion und Exklusion erfolgen auch im HipHop über die Verkörperung des habitualisierten Wissens« (Klein/Friedrich 2003a: 191). Aber auch andere feldspezifische Differenzkriterien wie Rap-Fähigkeiten (skills) kann Sinan G. nur bedingt erfüllen, weswegen der Rapper auch von Rezipierendenseite an das Ende der Prachtkerle-Hierarchie verwiesen wird: »Sinan-G hat im rap game einfach nix verloren« schreibt austrianbmx, während andere den ›dummen Schmog‹ für »völlig aus dem Takt« halten und als »Blamage« und »Spastiker« diskriminieren. User_in Der Friedensaktivist ist gar der Meinung,

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Sinan G.s Strophe sei von Rapper MoTrip geschrieben worden (zum ›Fremdinterpretationstabu‹ im Rap, vgl. zum Beispiel Wolbring 2015: 147ff.). Die Position von Rapper Nummer 6 Joshi Mizu, ist jener von Sinan G. im Beziehungsund Machtgefüge der ›Prachtkerle‹ nicht unähnlich. Wenngleich (und ähnlich wie Sinan G.) schon länger im Rap aktiv, gilt Joshi Mizu – überspitzt formuliert – als der ewige Zweite, steht er doch bereits seit Jahren im Schatten seines erfolgreichen und szeneintern anerkannten Freundes, dem Rapper, Producer und Labelinhaber Raf Camora.6 Das Machtverhältnis zwischen beiden Rappern bildet sich anschaulich auf der Textebene ab. Zwar verläuft die Männlichkeitskonstruktion als Business-Männlichkeit bei beiden Rappern maßgeblich über den Auto-Topos, bezeichnenderweise sind beide dabei jedoch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit unterwegs: »Mache paar Geschäfte klar bei 160 km/h« rappt Joshi Mizu, während Raf Camora mit 200km/h (an seinem ›Schützling‹) vorbeizieht: »Fahre mit zweihundert, tippe dabei meinen Part mit einer Hand«. Joshi Mizu wird jedoch maßgeblich auf der visuellen Ebene als Verlierer und damit untergeordnete Männlichkeit inszeniert. Denn während Rapper Nummer 5 Sinan G. sich mit einer (immerhin) konfrontativen Geste nach links aus der Bildmitte verabschiedet, schwenkt die Kamera nach rechts und fängt Rapper Joshi Mizu ein, der vor einem Spielautomaten steht und dem/der Betrachter_in damit zunächst den Rücken zukehrt. Erst nach einer verärgerten Handgeste, die einen unglücklichen Spielausgang vermuten lässt [04:09], dreht er sich zur Kamera um, wobei sein Blick diese für einen kurzen Moment verfehlt [04:11], so dass erst mit einer Sekunde Verzögerung, Blickkontakt zum/zur Zuschauer_in aufgenommen wird (siehe Abb. 18).

Abbildung 18: Joshi Mizu: Verlieren und daneben gucken

6 vgl. auch entsprechende Aussagen des Rap-Journalisten Rooz bei einem Jahresrückblick aus dem Jahr 2017 Hiphop.de, 15.10.2020, https://www.youtube.com/watch?v=5cJSLMKFoN0 [ab Mi­ nute 31:19]



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Bereits diese erste, wenig souveräne Szene verweist auf eine gewisse Unsicherheit, die durch den parallel eingesetzten, stroboskopischen Lichteffekt zusätzlich verstärkt wird. Bezeichnenderweise beginnt er seine Strophe sodann mit dem Eingeständnis »stundenlang nur Depris« zu schieben. Möglicherweise um Ranganmaßung zu vermeiden, arbeitet sich Joshi Mizu – anders als viele der übrigen Rapper auf dem ›Prachtkerle-Remix‹  – in seiner Strophe weder an der Konstruktion untergeordneter Männlichkeiten noch der Subordination von Weiblichkeiten ab. Stattdessen mimt er den passiven Drogenkonsumenten (›Blunts rauchen‹, ›Züge machen‹ erinnere dagegen Sinan G. der sich als aktiven ›Haschticker‹ also Drogendealer inszeniert). Joshi Mizu ist zudem der einzige ›Prachtkerl‹, dessen Performance für einige kurze Momente mittels eines Kameraeffekts um 180 beziehungsweise 360 Grad auf den Kopf gedreht wird [04:15 und 04:30]. Ein Sinnbild für die neue Unordnung im Rap-Geschlechtergefüge, verliert Joshi Mizu damit doch für einen kurzen Moment den sprichwörtlichen Boden unter den Füßen (siehe Abb. 19). Es ist fraglich, ob ein derart fragilität- und chaosstiftender visueller Effekt auch im Falle eines diskursmächtigeren Rappers (wie zum Beispiel Sido) zum Einsatz gekommen wäre. Während Rapper Nummer 7 Blut&Kasse durch verschiedene Pejorativa wie ›Fotze‹ oder ›fick(en)‹ diskursives doing gangsta betreibt und damit die hegemoniale Männlichkeit auf dem Feld affirmiert, folgt mit Mentor Sido schließlich deren fleischgewordene Verkörperung. Nicht zuletzt durch seine ›Ghetto-Hymne‹ ›Mein Block‹ (2004) gehört Rapper Sido zweifelsohne zu den diskursmächtigsten und längst über die Rap-Szene hinaus bekannten Stars des deutschsprachigen Rap (vgl. Szillus 2012: 53f.). Als Repräsentation hegemonialer Männlichkeit nähert sich die Kamera dem Rapper aus einer devoten, untersichtigen Perspektive und zeigt Sido, wie er breitbeinig-saturiert auf einem Barhocker am Tresen der Kneipe sitzt. Auch er trägt Kleidung des Typs Eigenmarke (College-Jacke ›Ackan‹). Seiner hegemonialen Position gewahr kann Sido auf sprachliche Authentifizierungsstrategien wie den Drogen-, Lokalitäts- oder Delinquenztopos verzichten. Anders als im Fall von Blut&Kasse oder auch Silla, verläuft sein doing rap masculinity ferner nicht über die Kategorie Sexualität oder die Dominanz und Abgrenzung gegenüber Weiblichkeit. Stattdessen inszeniert sich Sido als problemlösungskompetent, kampfbereit und trinkfest und kann sich qua habitueller Sicherheit auch zu seinen Kochkünsten bekennen: »Ist voll normal, dass ich gut kochen kann, wie ein Mann«. Obgleich Sidos diskursmächtige Position im Bereich Rap als unbestritten gelten kann, so lässt es sich der Rapper dennoch nicht

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Abbildung 19: Joshi Mizu und die neue Unordnung im Rap-Geschlechtergefüge

nehmen, diese durch raptypisches boasting als solche zu manifestieren: »Ich bin nämlich der König in diesem Land« spricht (!) Sido, während der Beat auf der Tonspur für einen kurzen Moment aussetzt [06:00]. Es ist die einzige gesprochene Zeile im ›Prachtkerle-Remix‹ die durch einen Stimmhöhenwechsel zusätzlich an Wirkmächtigkeit gewinnt, denn anstatt Sidos eher heller Rapstimme, erklingt nun ein weitaus dunkleres Timbre. Durch die tiefe Intonation der Sprechstimme erhält das Gesagte dadurch zusätzliche Autorität (vgl. Wolbring 2015: 254ff., 427ff.). Parallel zu dieser Selbstadelung auf der Textebene formt der Rapper mit seiner rechten Hand eine Art Hahnenkamm, den er – einer Krone ähnlich – schweigend über seinem gesenkten Kopf hält. Die Grenzen – so möchte man interpretieren – sind damit klar abgesteckt; das Territorium markiert. Interessant ist ferner, dass der erfolgreiche Sido sich über den Urlaubs-Topos vor allem mit außerszenischen Männlichkeiten misst: »Voll entspannt am Strand wie ein Mann, scheiß auf dein Handtuch, ich lieg’ auf dem heißen Sand wie ein Mann«. Zumindest aktivieren die Begriffe ›Strand‹, ›Mann‹, ›Handtuch‹ ›heißer Sand‹ usw., zusammen mit Sidos Outlaw-Coolness (»scheiß auf dein Handtuch!«) den Frame ›Deutscher im Urlaub‹; eine aus Rap-Sicht (weiß-)privilegierte Position, die der neu-reiche Sido nun kompetitiv für sich beansprucht. Bezeichnenderweise wird der am Tresen sitzende ›König Sido‹ am Ende seiner Zeile von Thekenkraft Pedaz mit Bier bedient [06:32–06:36]. Dass Letzterer den ›Prachtkerle-Remix‹ beschließt, ergibt dramaturgisch gesehen ebenso viel Sinn, wie die Strophe und deren Visualisierung im Sinne einer imagebildenden Maßnahme zur Konstruktion der Arbeiter-Männlichkeit zu nutzen.



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Exkurs: Pedaz und die Arbeiter-Männlichkeit als Image Im Kontext einer sich ausdifferenzierenden Rap-Szene und angesichts der Pluralisierung von Männlichkeiten auf dem Feld, lässt sich die Männlichkeitskonstruktion des Rappers Pedaz im Prachtkerle-Remix auch im Sinne einer imagebildenden Maßnahme perspektivieren. Diese wiederum muss sich – ganz feldunspezifisch – an den allgemeinen Gesetzen des kapitalistischen Marktes orientieren, denn »[s]oziale Anerkennung ist in postindustriellen Gesellschaften mit materiellem Reichtum eng verbunden. Dies impliziert zudem ähnliche Kommunikations- und Distributionspraktiken wie in marktorientierten Verwertungssystemen generell üblich. So ist die Selbstinszenierungspraxis eines Rappers auf der Bühne nicht weit von einer medial inszenierten Imagepflege der Werbung entfernt. Diese kann unmittelbar an sein ›Gebahren‹ [sic!] anknüpfen, um den Künstler zur Marke und sein Werk zur Marke zu machen. Dies diskreditiert den Künstler nur bedingt innerhalb der Szene, die ja ebenfalls nach sozialer Anerkennung bzw. wirtschaftlichem Erfolg strebt« (Bock u. a. 2007: 322).

Auch die Selbstinszenierung des Essener Rappers Pedaz knüpft unmittelbar an lebensweltlich-habituelles ›Gebaren‹ an, arbeitet Christian Peters alias Pedaz doch als gelernter Elektroniker ›auf dem Bau‹, was eine Imagekonstruktion als Arbeiter-Männlichkeit für die Rap-Persona Pedaz nahelegt. Die regionale Zugehörigkeit zum im HipHop-Kosmos durchaus symbolträchtigen ›Ruhrpott‹7 wird auf einer sprachlichen Ebene eingelöst, was hiphopidentitätstheoretisch insofern Sinn ergibt, als dass »[h]ighlighting linguistic features […] enables rappers from a particular region to establish an identity within the hip-hop community« (Cramer/Hallett 2010: 259). Nicht nur auf dem Album Schwermetall, sondern auch auf vorherigen Veröffentlichungen konstruiert sich Pedaz vermittels verschiedener dialektaler Wendungen als zugehörig zur Sprachgemeinschaft des Ruhrgebiets. So auch im ›Prachtkerle-Remi‹, wo es heißt: »Ich muss nie mehr wat auf Raten zahlen« oder »mach passend wat nich’ passt«. Neben Pedaz’ Selbstinszenierung als »Malocher« und »Arbeiterjunge« (vgl. ›Malochermukke‹, 2012) steht die regional-männliche Zugehörigkeitskonstruktion aber auch auf anderen Ebenen seines bis dato existierenden Gesamtwerks im Zentrum seiner Rap-Männ 7 Aus ›Oldschool-Sicht‹ genießt der ›Ruhrpott‹ vor allem aufgrund von Graffiti-Hochburgen wie Dortmund Anerkennung (vgl. van Treeck 2003). Aber auch (Oldschool-)RapLegenden wie Too Strong, RAG oder etwas später Creutzfeld & Jakob und Snaga & Pillath werden mit dem Ruhrgebiet assoziiert.

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lichkeitskonstruktion: Pott für immer heißt eine EP aus dem Jahr 2012, auf deren Cover Pedaz im Schalke 04-Trikot zu sehen ist. Das Arbeiter-Image der Rap-Persona Pedaz wird schließlich vor allem über den ErwerbsarbeitsTopos konstruiert, der auf Tätigkeiten aus dem Bereich des Bauhandwerks referiert, vgl. Album- und Songtitel wie ›Schwermetall‹ (2016), ›Presslufthammer‹ (2016), ›Malocherattitüde‹ (2017) oder ›Auf den oder in den Bau‹ (2017), was den Bauhandwerkstopos gleichsam mit dem Delinquenz-Topos vermengt und Pedaz’ Affirmation der hegemonialen Gangsta-Männlichkeit bekundet. Das Image der Arbeiter-Männlichkeit wird auf dem Debütalbum ferner durch verschiedene Effekte und Akzentsetzungen auf der akustischen und visuell-ästhetischen Ebene reproduziert. Durch »brachiale Sounds« werde auf ›Schwermetall‹ eine gewisse »Baustellenatmosphäre« kreiert, so der Rapper im Interview mit rap.de.8 Auch die modische Inszenierung folgt einer proletarischen Logik, geriert sich der Rapper im ›Prachtkerle-Remix‹ doch standesgemäß, indem er sich als bierausschenkende Thekenkraft im Holzfällerhemd inszeniert und dabei ein Spültuch über der Schulter trägt (siehe Abb. 20).

8 Koch, 31.08.2020, https://rap.de/c37-interview/77765-interview-mit-Pedaz-ueberschwermetall-seinen-hirntumor-und-raf-der-brote-schmiert/ Auch gegenüber dem Szenemedium hiphop.de erklärt der Rapper das ›brachiale Soundbild‹ des Albums zum bewusst gewählten Konzept. Um diese akustische Atmosphäre zu erzeugen, wurde auch auf im Rap eher unübliche Instrumente wie E-Gitarren zurückgegriffen. Dem Image der Arbeiter-Männlichkeit entsprechend, ersetzte man die für Gangsta-Rap-Alben typischen Maschinenpistolen-Geräusche auf dem Track ›Presslufthammer‹ beispielsweise durch das Hämmern eines solchen (was nicht minder bedrohlich daherkommt). Das Image-Konzept wird schließlich über die gesamte Albumlänge durchgehalten, was nicht nur an der Themenstringenz und entsprechender Songtitel wie ›Presslufthammer‹, ›Wat muss dat muss‹ oder ›Feierabend‹, sondern auch an einer allgemeinen Bezugnahme auf das lexikalische Wortfeld ›Elektro-/Metall-/Schwer(st)arbeit‹ im weitesten Sinne abzulesen ist, darunter beispielhaft Hochofen, Malocher-Attitüde, Arbeiter, Hochspannung, übelriechende Drecksarbeit, Geigerzähler, Bau, Glaswolle, Krupp, ackern u.v.m. Auch ein Feature mit der Deutschrock-Band Haudegen fügt sich kohärent in das Albumkonzept von ›Schwermetall‹ ein. Unrau, 31.08.2020, https://hiphop.de/video/Pedaz-schwermetall-187-strassenbandeSido-sein-gehirntumor-uvm-interview-toxik-trifft#.WJhCXn3dlm8 vgl. an dieser Stelle eine Publikation von Elflein (2010) über die musikalische Sprache des Heavy Metal mit dem Titel Schwermetallanalysen.



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Abbildung 20: Holzfällerhemd, Spültuch, Tresen: Die Arbeiter-Männlichkeit Pedaz

Der homosoziale Raum der Kneipe ist dabei ebenso wenig zufällig gewählt, wie das Teilsetting ›Tresen‹ innerhalb dessen sich Pedaz im zugehörigen Musikvideo bewegt, ist die gemeinschaftliche Zusammenkunft an Letzterem doch kennzeichnend für das Arbeitermilieu (vgl. Meuser 1998: 281). Interessant ist ferner die besondere Bedeutung des Körpers in Pedaz Rap-Arbeiter-Männlichkeitskonstruktion, präsentiert er sich doch in erster Linie als stark (»Für sie [die Frau, Anm. d. Verf.] mach ich Einmachgläser auf«), kampfeslustig (»schwing die Keule«), handwerklich versiert (»schneid die Hecke wie ein Mann«), Schutz bietend (»wärm die Füße meiner Frau unter der Decke wie ein Mann«) und stinkend (»Ich überleg wat zieh ich an, seh’ da keine Jeans im Schrank, nehm die alte, rieche dran, Deo drauf wie ein Mann«). »Die Konstruktion einer Arbeiter-Männlichkeit in den Fabriken unterliegt anderen Bedingungen und Dynamiken als die Konstruktion einer Mittelklassen-Männlichkeit in einem klimatisierten Büro« konstatiert die Männlichkeitssoziologin Connell (2015: 84). Eine Studie von Donaldson (1991) habe gezeigt, wie sehr die Arbeit in Fabriken und Bergwerken die Körper der Arbeiter schände und wie sehr diese Zerstörung wiederum als »Nachweis für die eigene Männlichkeit« diene (Donaldson 1991, zit. nach Connell 2015: 84). Das Kapital der Arbeiter sei demnach deren »körperliches Leistungsvermögen« (ebd.: 106). Es ist mit Blick auf Pedaz’ Imagekonstruktion demnach nur konsequent, wenn sämtliche Albumcover den Essener Rapper als breit gebauten, muskulösen Hünen in Szene setzen. Bei der Identitätskonstruktion des Rappers verschränken sich also mehrere soziale Dimensionen wie Männlichkeit, Körper, soziale Herkunft und Region.

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Abbildung 21: Das Album Schwermetall als Feuergeburt

Schließlich orientiert sich auch die Marketingstrategie des Albums Schwermetall an dem Image der Ruhrpott-Arbeiter-Rap-Männlichkeit. Nachdem Pedaz den ›Prachtkerle-Remix‹ als letzter Rapper beschließt, dienen die verbleibenden 32 (!) Sekunden des Musikvideos der Vermarktung des Debütalbums. Dazu werden sämtliche relevante Daten bezüglich der Album-Veröffentlichung, Vorverkaufspreisen und Vorbestellungsmöglichkeiten eingeblendet. Die Präsentation der »limitierte[n] ›Schwermetall‹-Box, aus Metall gefertigt [und] mit hochwertigen 3D Stanzungen verziert«, steht dabei besonders im Mittelpunkt. Der Attraktionswert, der über zehn Sekunden eingeblendeten Album-Box wird ferner durch verschiedene visuelle Effekte gesteigert. So wird die aus unterschiedlichen Perspektiven gezeigte, schwarz-graue Box als eine Art Feuergeburt inszeniert, was durch das Sprühen von Funken aus der rechten Bildunterseite erreicht wird (siehe Abb. 21). Durch das Flimmern des Bildhintergrundes, das eine Art Gitter zeigt, entsteht zudem der Eindruck glühender Hitze, so dass der ›Schöpfungsprozess‹ des Albums Schwermetall in den visuellen Kontext von Metallbau gestellt und durch die Assoziation mit Härte zusätzlich vermännlicht wird. Wenn Herrmann/Erhart (2002: 47) mit Blick auf die neue deutsche Literatur am Ende 20. Jahrhunderts feststellen, dass »die wahre Männlichkeit zumindest rhetorisch wieder ins Stahlbad« eintauche, so gibt die gegenwärtige Rap-Szene mit ihren Männlichkeitskonstruktionen an dieser Stelle ein anschauliches Beispiel ab.



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Dem Album  – das sei der Vollständigkeit halber hinzugefügt  – liegen letztlich nicht nur drei CDs inklusive »allen Instrumentals«, sondern auch eine Bonus EP sowie weitere »Extras« bei, darunter eine Autogrammkarte und ein T-Shirt in Größe L (der Arbeiter-Körper braucht Platz). Neben diesen nicht unüblichen Beifügungen erscheint es marketingstrategisch nicht minder logisch, wenn der Album-Box auch ein Flaschenöffner (in Form eines Schraubenschlüssels) und ein Bierdeckel beiliegen, den der vielsagende Aufdruck ziert: ›Trink den Liter Pils auf Ex – Wie ein Mann‹.

10.2 »Wir müssen die Teller und manchmal auch Gläser füll’n« – Traditionelle Rap-Männerwelten Die Zusammenschau aller neun Strophen des ›Prachtkerle-Remix  – Wie ein Mann‹ ergibt ein recht eindeutiges Bild dessen, was deutschsprachige Rap-Männlichkeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausmacht, wie sie funktioniert und was ihre Relevanzen sind. Ungeachtet der Vielgestaltigkeit und unterschiedlichen Schwerpunktsetzung der insgesamt neun Männlichkeitserzählungen lässt sich zunächst festhalten, dass rap-männliche Identität eng an (Erwerbs-)Arbeit und Leistung geknüpft ist, oder wie ›Prachtkerl Nr. 1‹ MoTrip formuliert: »Wir müssen die Teller und manchmal auch Gläser füllen«. Das Ein-Ernährermodell verweist bereits in dieser ersten Strophe auf ein traditionelles Verständnis von Männlichkeit, ein Eindruck, den die übrigen Strophen bestärken. Besonders die Rapper Blut&Kasse und Pedaz ergehen sich in der Aufrechterhaltung einer traditionellen Geschlechterordnung. Entlang des vergeschlechtlichen Gegensatzpaars drinnen/draußen wird die Frau bei Pedaz vor allem als Hausfrau und in ihrer Funktion als Reproduktionsinstanz angerufen, männlicher Nachwuchs inklusive: »Für sie mach ich Einmachgläser auf, mach’ ich ein Kind wie ein Mann, dann kommt ein kleiner Pedaz raus«. Dass die Definition der Frau in einem fundamentalen Sinne »über die Hausarbeit geschieht«, ist eine männliche Vorstellung, die der Männlichkeitssoziologe Meuser (1998: 263) tatsächlich milieuübergreifend konstatiert. Legitimierung erfährt eine derartige Definition vor allem durch das »grundlegende Deutungsmuster der physiologischen Fundiertheit der Geschlechterdifferenz«, ein Muster, wie es besonders innerhalb der Sinnwelt traditioneller Männer vorherrscht (ebd.: 265). Auch die Institution der Ehe spielt für den Rapper von heute offensichtlich eine bedeutende Rolle.

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»Sag’ meiner Frau, dass ich sie lieb’ und später heirat’ wie ein Mann, und ich bin treu, doch ich träum’ von nem Dreier wie ein Mann« rappt Blut&Kasse, der diese letzte Zeile seiner Strophe mit einem schadenfreudigen (?) ›Ha!‹ quittiert.9 Bei der Institution der Ehe handelt es sich um ein wichtiges, weil männlich-sicherheitsstiftendes, lebensweltliches Handlungsfeld (ebd.: 277ff.). Es passt zur hypermaskulinen (und freilich emotionsfeindlichen) Männlichkeitskonstruktion von Blut&Kasse, dass die Ehe hier als dezidiert weiblicher Wunsch diskursiviert wird, dessen Realisierung der Verantwortung des Subjekts Mann obliegt.10 Unter die traditionellen Männlichkeitsvorstellungen der ›Prachtkerle‹ lässt sich ferner der häufig aufgerufene DuellTopos und die damit assoziierte Krieger-Männlichkeit subsumieren. »Komm in meine Hood, stell mich auf die Probe wie ein Mann« (MoTrip) »keine Glock in der Hand, ich hab zwei Fäuste wie ein Mann« (Silla) oder auch »muckst du auf […] schwing’ ich die Keule und mach’ passend, wat nicht passt, wie ein Mann« (Pedaz)  – wobei die steinzeitliche ›Keule‹ hier eher auf ein vormodernes Männlichkeitsmodell schließen lässt. Das Modell des Kämpfers oder Kriegers verweist des Weiteren auf die enorme Bedeutung des Körpers im doing rap masculinity, die im Kontext von Transformationsprozessen und Umbrüchen an Relevanz gewinnt und sich im ›PrachtkerleRemix‹ mit einen Essentialisierungs- und Naturalisierungsdiskurs vermengt. Mit dem häufig aufgerufenen Hygiene-Topos und dutzenden Begriffen, die sich dem lexikalischen Feld ›Natur‹ zuordnen lassen, vertreten unsere RapMänner eine geradezu biologistisch-deterministische Vorstellung von Geschlecht (und Männlichkeit): Haare/Bart (3x), Hand/Hände (4x), Kopf (3x), Fäuste, Fuß/Füße (2x), Sand(korn), Netzhaut, Diamanten, Rabe, Garten, Apfel, Hals, Augen, Boden, Pferd, Eier (im Sinne von Hoden), Bären, 9 Vielleicht soll diese Exklamation aber auch Freude ob der eigenen Kreativität ausdrücken, gleich zwei ›typisch männliche‹ Wunschvorstellungen mit einem (homophonen) Ausdruck benannt zu haben (der »Dreier« als BMW3 und als Sexualpraxis)? 10 Vgl. dazu bei Bourdieu (2016: 79): »Das Prinzip der Unterlegenheit und des Ausschlusses der Frau, das vom mythisch-rituellen System ratifiziert und derart in seinem Geltungsbereich ausgeweitet wird, daß es zum Einteilungsprinzip des ganzen Universums wird, ist nichts anderes als die fundamentale Asymmetrie von Subjekt und Objekt, von Akteur und Instrument, die zwischen dem Mann und der Frau auf dem Gebiet des symbolischen Tauschs, der Produktions- und Reproduktionsverhältnisse des symbolischen Kapitals, entsteht, auf denn die ganze soziale Ordnung basiert und deren zentraler Mechanismus der Heiratsmarkt ist: Die Frauen können dort nur als Objekte oder, besser, als Symbole in Erscheinung treten, deren Sinn außerhalb ihrer selbst konstituiert wird und deren Funktion es ist, zur Erhaltung oder Mehrung des den Männern gehörenden symbolischen Kapitals beizutragen.«



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Löwen, Strand, Luft, Finger, Rasensamen, Hecke. Auch Tier-Archetypen wie Pferde, Bären, Löwen oder Raben sind wiederkehrende Elemente in den Männlichkeitserzählungen der ›Prachtkerle‹ und erinnern an den von Meuser untersuchten mythopoetischen Differenzdiskurs, in dem der männliche Körper im Sinne einer Wiedergewinnung verlorengeglaubter Männerenergie eine zentrale Bedeutung spielt. Ferner wird Männlichkeit im ›Prachtkerle-Remix‹ fast durchweg als scheißend/stinkend, grobschlächtig, verdrogt, versoffen, kotzend, eklig, böse und allgemein verwahrlost diskursiviert und performt. »Wochenlang« werden da dieselben Hosen (Raf Camora) und Socken (Sido) getragen, was die Männlichkeitskonstruktionen in den Kontext männlichen Risikohandelns stellt und gleichzeitig das traditionell-männliche Körperverständnis der Körperferne transportiert (zum Beispiel Meuser 2008; vgl. auch Böhnisch/Winter 1993: 128ff.). Freilich werden hier implizit auch immer traditionelle Weiblichkeitsvorstellungen mitverhandelt: Die Tatsache, dass MoTrip sich dem Bad putzen verweigert, Sinan G. mit dem ›Smartphone scheißen geht‹ und immerhin drei von neun Rappern in ungewaschener Kleidung herumlaufen, berührt ganz offensichtlich die Elefantin im Raum, denn wo ist eigentlich die (böse?) Frau, die sich hier unverhohlen der zu verrichtenden Care-Arbeit verweigert? Tatsächlich ist ein gepflegtes Äußeres im homosozialen Umfeld der Prachtkerle aber auch gar nicht notwendig, womit auf einen weiteren Aspekt traditionell männlicher Sinnwelten verwiesen ist: die Bedeutung homosozialer Männergemeinschaften. Dass nebst der männlich codierten Räume ›Straße‹ und ›Wettbüro‹ der Drehort ›Kneipe‹ für das zugehörige Musikvideo des ›Prachtkerle-Remix‹ gewählt wurde, erweist sich im Hinblick auf das Songthema als nachgerade konsequent. »Bars und Clubs« schreibt Bourdieu (2016: 102) mit Blick auf die angelsächsische Welt, seien »vor allem für die Männer bestimmte[n] Orte[n] […] die mit ihrer Lederausstattung, ihren schweren, kantigen und dunklen Möbeln ein Bild männlicher Strenge und Härte vermitteln«. Der ›Club‹ verkörpert die männliche, öffentliche Sphäre, die der weiblichen Privatwelt als vergeschlechtlichter und gleichsam machtvoller Gegensatz gegenübersteht. Zwar erscheint die gemütliche Kneipe mit ihrer bierseligen eher weiß-deutsch codierten Atmosphäre mit Blick auf die hegemonial-männlichen Sozialräume der Szene, den grauen Betonblocks und Häuserschluchten des Ghettos, zunächst eher wenig passfähig. Perspektiviert man den ›Prachtkerle-Remix‹ jedoch als ein Art Initiationsritual, mit dem Newcomer Pedaz mithilfe der Strahlkraft einiger diskursmächtiger Freunde und Rapper in die Rap-Szene eingeführt werden soll und der ferner dazu dient, dessen in Entstehung befindliches Image als Arbei-

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ter-Männlichkeit zu stabilisieren, so könnte der Drehort ›Kneipe‹ nicht besser gewählt sein. Tatsächlich ist der soziale Ort der Kneipe und insbesondere der dort befindliche Tresen ein männlich-homosozial strukturierter Raum, der vor allem im Arbeitermilieu Bedeutung genießt und den klassenspezifisch differenzierten Gegensatz zum ›Herrenclub‹ höherer sozialer Schichten bildet (vgl. Meuser 1998: 281). Es ist demnach nur konsequent, wenn der gelernte Elektroniker und Teilzeit-Rapper Pedaz ebenjene Position ›hinter’m Tresen‹ innerhalb des Hauptsettings ›Kneipe‹ einnimmt und dort standesgemäß mit Holzfällerhemd und Spültuch in Erscheinung tritt. Meuser analysiert die Trennung in Männer- und Frauenwelten männlichkeitstheoretisch als zweiten lebensweltlichen Hintergrund habitueller Sicherheit (der erste ist die Privatsphäre von Ehe und Partnerschaft (ebd.: 277ff.)). Auf Nachfrage vermögen die von ihm befragten männlichen Facharbeiter nicht zu begründen, weshalb sie jenen sozialen Ort der Kneipe allabendlich aufsuchen. Die Frage nach dem Grund sei – so Meusers Erklärung – schlichtweg nicht in ihrem Sinnhorizont verankert, was wiederum die fraglose Gegebenheit der Tradition verdeutliche und weiter: »[d]as anfängliche Unvermögen einer rationalen Begründung ist innerhalb der Relevanzstruktur dieser Gruppe freilich völlig unproblematisch. Darin dokumentiert sich, daß diese Männer gewöhnlich nicht genötigt sind, ihre Gepflogenheiten in diesem Bereich des Alltagshandelns zu begründen. Der tägliche Kneipenbesuch ist völlig in ihren Geschlechtshabitus integriert« (Meuser 1998: 185).

Interessanterweise wüssten wir bei einer reinen Inhaltsanalyse des ›Prachtkerle-Remix‹ nicht, dass sich der Musikvideodreh in einer Kneipe zuträgt, kommt die Textebene doch ohne einen konkreten Bezug zum räumlichen Setting aus (Zeilen wie ›sitz am Tresen wie ein Mann‹ wären durchaus denkbar gewesen). Über das gleichfalls arbeitermännlich konnotierte gemeinschaftliche (Bier-)Trinken samt seiner (männlich-)risikoreichen, gesundheitlichen Konsequenzen erfahren wir dagegen umso mehr. Als »Stifter einer (weißen) Arbeiterklassenmännlichkeit« ist der in das männlich-homosoziale Kneipensetting eingelassene Alkoholkonsum ohnehin ein wichtiges, männliches Vergemeinschaftungsritual – wie die Historiker Martschukat/Stieglitz (2008: 115) am Beispiel von Jack London ausführen.11 Wenn der Schriftsteller die Beherrschung des Alkohols als »bedeutsamen Schritt hin zu einer erwachsenen Männlichkeit« (ebd.: 112) beschreibt, so findet sich diese Mentalität auch im hier untersuchten Allstar-Track wieder: »Und wenn ich 11 Zum binge drinking als Männlichkeitsritual vgl. auch Kimmel (2008: 95ff.).



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feier’ wie ein Mann, dann bis ich reiher’ wie ein Mann, am nächsten Tag dicker Kopf und dicke Eier wie ein Mann« rappt Blut&Kasse, während Sido stolz bekundet: »Pass ma’ auf, ich kann saufen, bis ich nicht mehr laufen kann, wie ein Mann«. »Mann-Werdung durch Alkohol« eben (ebd.: 112). Auf der Bildebene wird die Materialität (halbleerer) Biergläser durch regelmäßige Kamerafahrten im Kneipensetting wiederholt als solche relevant gesetzt. Die für homosoziale Männergemeinschaften konstitutive Trennung zwischen Frauen- und Männerwelten wird im ›Prachtkerle Remix‹ ferner durch eine Strategie der Kontrastierung realisiert, die sich an einem vergeschlechtlichten System homologer Gegensätze entlang der binären Kategorien männlich/weiblich abarbeitet (v. a. hell/dunkel, oben/unten, draußen/ drinnen, vgl. bei Bourdieu 2016: 18). Während die rapvideotypische untersichtige Kameraperspektive eine stete Machtasymmetrie zugunsten des männlich-homosozialen Kollektivs manifestiert, sind sämtliche Männlichkeitsperformances – den Settings Straße/Kneipe/Wettbüro entsprechend – in eine schummrig-düstere, potentiell Gefahr evozierende Atmosphäre eingelassen. Die traditionelle Trennung von Männer- und Frauenwelten wird im ›Prachtkerle-Remix‹ jedoch nicht nur räumlich, sondern vor allen Dingen symbolisch vollzogen, wobei »die symbolische Dimension […] darin besteht, dass die Ausbildung moralischer Orientierungen, politischer Einstellungen sowie von Wertsystemen primär im wechselseitigen Austausch der Geschlechtsgenossen untereinander geschieht und dass die Geschlechtsgenossen sowohl die signifikanten als auch die generalisierten Anderen sind, an denen der einzelne Mann sich orientiert« (Meuser 2001a: 14).

Obgleich sich weibliche Akteurinnen – etwa als Servicekraft oder Pole-Tänzerinnen – durchaus kohärent in das maskuline Kneipensetting hätten integrieren lassen und den Alkoholexzessen der Rap-Männer als ›schmeichelnde Spiegel‹ (vgl. Virginia Wolf in Bourdieu 1997: 203) hätten beiwohnen können, so ist die Männergemeinschaft der Prachtkerle tatsächlich eine frauenfreie Zone.12 »[L]ockere Kommunikation« und »blödes Zeug reden«, so die von Meuser (1998: 282) interviewten Männer, sei nur in Abwesenheit von Frauen möglich, deren Anwesenheit wiederum zu »hochtrabenden Gespräche[n]« nötige, die freilich wenig Vergnügen bereiteten. Auch der 12 Abgesehen von einer als weiblich lesbaren Holzpuppe, die Sinan G.am Anfang seiner Strophe körperlich adressiert, wenn er erzählt, dass er gerne mit dem Smartphone in der Hand ›scheißen‹ geht, was man sich von einer Frau selbstverständlich nicht verbieten lassen will (wie ein Mann) (vgl. bei 03:24-03:26).

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Männerbund der Prachtkerle wird als »Ort der Freiheit von Zwängen und Konventionen« diskursiviert (ebd.). Der Hygiene- und Verwahrlosungs-Topos, (vermeintlich) männlich-ordinäre Toilettenhygiene (›mit dem Smartphone scheißen gehen‹) oder auch die Erzählung gemeinschaftsstiftender Herrenwitze konstruieren eine traditionelle Männerwelt, in der allein authentisches Sprechen und Handeln möglich ist und der erneut das Deutungsmuster essentieller Geschlechterdifferenz zugrunde liegt. »Du bist Luft, das der Grund warum ich dich nicht riechen kann, hier mein Finger, zieh mal dran, kurz gefurzt wie ein Mann« rappt Pedaz und führt den Herrenwitz gleichzeitig mit der entsprechenden Geste auf. Auf der Dub-Spur13 hören wir währenddessen ein angeekeltes ›Wah!‹, das von einem geradezu wahnhaften Lachen gefolgt ist [06:47–06:50]. Die homosoziale Männergemeinschaft der ›Prachtkerle‹ wird hier einmal mehr als »Ort mit verminderten Anforderungen an Selbstbeherrschung« ausgewiesen (Meuser 2001a: 15). Aber auch auf der Textebene werden männlich-gemeinschaftsstiftende ›Wahrheiten‹ ausgetauscht, die vermutlich nicht für die Ohren von Frauen (beziehungsweise der eigenen Freundin) bestimmt sind, etwa wenn Blut&Kasse seine heimlichen Träume »von nem Dreier« verlauten lässt und damit abermals eine »›verschworene‹ Gemeinschaft porträtiert, die […] strikt darauf achtet, die geschlechtlichen Grenzen auch insoweit aufrecht zu erhalten, als man das, was man untereinander beredet, nicht dem anderen Geschlecht zu Ohren kommen läßt« (Meuser 1998:284). Um es abzukürzen: Beispiele für traditionelle Vorstellungen von Geschlecht und Männlichkeit finden sich im ›Prachtkerle-Remix‹ zuhauf. Ist HipHop/Rap also fast 20 Jahre nach Veröffentlichung des Standardwerks Is this real noch immer »eine traditionelle Geschlechterstrukturen konservierende Praxis« (Klein/Friedrich 2003a: 207)? Bis hierhin möchte man sagen, ja! Gänzlich in der Tradition verhaftet und im Hinblick auf die eigene männliche Geschlechtsidentität ›habituell sicher‹ sind unsere ›Prachtkerle‹ im Meuserschen Sinne dennoch nicht. Das Sprechen resp. Rappen über das Mann-Sein und der Einsatz des Stilmittels der Ironie verweisen vielmehr auf Brüche, Ambivalenzen und prekäre Sicherheiten im rap-männlichen Selbstverständnis. Als Überleitung zum nachfolgenden Kapitel soll der im Text verhandelte Auto-Topos dienen, der sowohl in Joshi Mizus als auch in Raf Camoras Männlichkeitserzählung relevant gesetzt wird, wenn 13 Dub-Spuren sind zusätzliche Tonspuren, auf denen ein_e Rapper_in zum Beispiel zusätzliche Silben einrappt oder die jeweils charakteristischen ›Ad-Libs‹ zum Besten gibt (vgl. Wolbring 2015: 231)



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die Rapper angeben bei (unterschiedlich) hoher Geschwindigkeit unterwegs zu sein (»Mache paar Geschäfte klar bei 160 km/h« usw., Joshi Mizu). Im Diskursuniversum Deutschrap und dort ganz speziell im Bereich des neoliberalen Gangsta-Rap (vgl. Bendel/Röper 2017) spielt das (Luxus)Auto ohnehin eine bedeutende Rolle, materialisiert sich im oft berappten Mercedes AMG oder Maserati doch der nicht minder häufig besungene soziale Aufstieg from nothing to something. Für den Soziologen Böhnisch (2013: 264) begegnen sich im Auto höchst widersprüchliche Diskurse und Symboliken, wie etwa der Gegensatz von Sicherheit und Risiko. Das Auto mediatisiere »die neuen Bewegungen im Geschlechterverhältnis«, insofern als dass es einerseits die Nivellierung der Geschlechter vorantreibe (Frauen fahren jetzt auch selbstständig, selbstfinanzierte Autos), andererseits jedoch einen Raum böte »in dem sich das männliche Prinzip ungehindert entfalten und ungeniert auch lebensweltlich wieder austoben kann« (ebd.). Während sich der ›Mythos Mann‹ also längst vom realen Mann abgelöst hätte (Prinzip der Externalisierung), würde Männlichkeit über das Konsumgut Auto weiterhin transportiert: »Männer können sich nun Männlichkeit kaufen« (ebd.: 265).14 Als »festes Statussymbol bei der Konstruktion hegemonialer Männlichkeit« (Schuhen 2013: 246) wird das Auto in Zeiten allgemeiner Verunsicherung also zu einer Art Remaskulinisierungsvehikel.

10.3 »Im Endeffekt ging ich durch Krisen wie ein Mann« – Brüche und Ambivalenzen So traditionell und beinahe überzeichnet die Männlichkeitserzählungen der ›Prachtkerle‹ mit ihren Hygiene-, Auto- und Heimwerker-Topoi und ihren eindimensionalen Vorstellungen von Weiblichkeit daherkommen, so sehr lässt ebenjene ironisch gemeinte Stereotypisierung auf ein reflexives Bewusstsein gegenüber der Unangemessenheit dieses traditionellen Männlichkeitsmodells schließen. Am deutlichsten bricht sich das Spiel mit Ironie in der Strophe des Rappers MoTrip Bahn. Dort heißt es unter anderem: »Wir müssen die Teller und manchmal auch Gläser füllen, […] ein waschechter Mann muss zu jeglicher Zeit die Klischees erfüll’n, ein Haar auf der Brust wie ein Mann, na klar hab’ ich Lust wie ein Mann« usw. Zwar 14 vgl. dazu auch eine Diplomarbeit von Vobker (2000).

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ist das Stilmittel der Ironie typisch für die Textsorte Rap (vgl. zum Beispiel Deppermann/Riecke 2006; Wolbring 2015: 333ff.), dennoch ist es männlichkeitstheoretisch interessant, dass dieses auch andernorts eingesetzt wird um traditionelle Vorstellungen von Geschlecht und Männlichkeit quasi ›über Bande‹ wieder einzusetzen. Zum Beispiel in der Männerzeitschrift Men’s Health. »Ironisch kommentiert werden die Eigenheiten der Frauen, aber auch das Handeln der Männer. Ironie kommt typischerweise immer dann in’s Spiel, wenn Stereotype und Klischees reproduziert werden. Diese werden bedient, aber dies geschieht in einer Weise, die eine gewisse Relativierung der Klischees herstellt, indem diese als solche kenntlich gemacht werden« (Meuser 2001b: 233).

Es ist ferner bezeichnend, dass der achtminütige Allstar-Track ›Wie ein Mann‹ von Pedaz ausgerechnet zum ›Prachtkerle-Remix‹ ausbuchstabiert wird, denn die Figur des ›Kerls‹ ist auch in Men’s Health eine wiederkehrende Metapher und beansprucht dort sogar eine eigene Rubrik. Nur der muskulöse Männerkörper spielt bei den darin porträtierten Männern eine weniger große Rolle als im Rap: »Das, was sie zu einem ›ganzen Kerl‹ macht, ist eine besondere, außergewöhnliche Leistung, die nur zu erbringen ist, indem man erhebliche Schwierigkeiten der unterschiedlichsten Arten überwindet und bereit ist, bis an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit zu gehen und diese immer weiter auszudehnen, dies allerdings auf der Basis einer rationalen Kalkulation der eigenen Möglichkeiten. Die Leistungen können sportlicher, beruflicher, humanitärer, prinzipiell beliebiger Art sein.« (Meuser 2001b: 228f.)

Erhebliche Schwierigkeiten jedweder Art zu überwinden und dabei wohl kalkuliert an seine Grenzen zu gehen, ist eine Männlichkeitsvorstellung, die sich auch im ›Prachtkerle-Remix‹ wiederfindet, etwa wenn Autorität, Problemlösungskompetenz, Willensstärke, (Körper)Kraft und Durchhaltevermögen als wichtige Attribute diskursiviert werden: »Probleme k-k-klär ich wie ein Mann« rappt Blut&Kasse,15 während JokA »aus’m Stegreif krumme Dinger wieder geradebiegen kann ohne in ’ne schiefe Lage zu gelang’«. Auch die hegemoniale Rap-Männlichkeit Sido gibt zu Protokoll: »Kam noch nicht vor, dass mich das Leben in die Knie zwang, denn guck, ich leiste Widerstand, wie ein Mann, wie ein Mann«. Es ist bezeichnend, dass Sido (als einziger Rapper im Track) zur leiblichen Authentifizierung seiner Widerstands 15 Zu Stotter-Effekten als Beispiel für individuelle Stimm-Modulation vgl. Wolbring (2015: 250ff.)



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fähigkeit auf die bereits diskutierte Boxer-Männlichkeit zurückgreift und analog zum Begriff ›Widerstand‹ die Verteidigungshandlung der Doppeldeckung aufführt (siehe Abb. 22). Bezeichnend deshalb, weil von dieser Verteidigungshandlung in der Box-Praxis eher abgeraten wird, denn »[d]ie Doppeldeckung ist äußerst unzweckmäßig, weil der Boxer dabei die Initiative abgibt und sie dem Gegner überlässt« (Fiedler 1983: 79). Sidos Männlichkeitsperformance steht an dieser Stelle geradezu sinnbildlich für den Bruch in der tradierten Geschlechterordnung, dem nur noch mit Ironie und überzeichnetem Kerl-Sein zu begegnen ist und den Rapper letztlich samt Körper in der handlungsunfähigen Passivität zurücklässt, der Dinge verharrend, die dort kommen mögen. Obgleich sich in der Männerzeitschrift Men’s Health »Einsprengsel« nicht-traditioneller Männlichkeitsentwürfe finden lassen, so sei insgesamt eine Orientierung »an der Handlungslogik einer traditionalen, um individuelle Leistung zentrierten Männlichkeit« festzustellen, was Meuser (2001b: 230) als Indikator dafür versteht, dass die Diskursivierung von Männlichkeit in Men’s Health »nicht mehr bruchlos an ein herkömmliches Männerbild« anknüpfen kann. Auch die Männlichkeitskonstruktionen der ›Prachtkerle‹ sind von nicht-traditionellen, das heißt nicht-hegemonial-männlichen Einsprengseln durchzogen, die auf die andere Seite der hegemonialen Männlichkeitsmedaille verweisen. Eine Seite, die Böhnisch (2013: 33) analog zur Herrschaftsseite als die »Seite der männlichen Verfügbarkeit und Verletzlichkeit« umschreibt. ›Kampf‹, ›Schmerz‹, ›Wunden‹, ›überstehen‹, ›weinend‹, ›Scheitern‹, ›Angst‹, ›Friedhof‹, ›Narben‹, ›depri‹, ›Schulden‹, ›Probleme‹ usw. Die Textebene des Prachtkerle-Remix enthält dutzende Termini, die sich zu einem lexikalischen Feld ›Krise‹ zusammenfassen ließen. Besonders die Männlichkeitskonstruktion des Rappers Silla stilisiert Mann-Werdung als täglich neu zu bewältigende, schmerzvolle Leistung, die zu erbringen dem männlichen Körper zwangsläufig Schaden zufügt: »Ich kämpfe jetzt, glänze später, wie ein Riesendiamant, Hände weg, im Endeffekt ging ich durch Krisen wie ein Mann, jeder Tag ist wie ein Kampf, den man verwundet übersteht, nach außen zeigt man kein Schmerz, mein Herz mit Wunden übersät«. Es ist ein typisch rap-männlicher rhetorischer Kunstgriff, Erfahrungen des Scheiterns als Produkt der Vergangenheit zu diskursivieren (»ging durch Krisen«). Eine diskursive Strategie, die wir auch bei den Rappern JokA und Pedaz finden. In der Strophe von Rapper JokA taucht sodann auch eine Remaskulinisierungsstrategie auf, die die Männlichkeitssoziologin Scholz im Kontext des Strukturwandels im Erwerbssystem herausarbeitet. Neue dis-

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Abbildung 22: Sido in der passiven Verteidigungshandlung der Doppeldeckung – Rap-Männlichkeit im Rückzug?

kontinuierliche Erwerbsmodelle wie der ›Projektemacher‹ werden in Scholz’ Studie durch die männlich konnotierte Pioniermetapher aufgewertet und damit positiv zurückerobert (Scholz 2015: 103). Zum besseren Verständnis dieser Interpretation blicken wir auf die vollständige Strophe des Rappers: »Diggah, gib mir mal das Mikro, es gibt bisschen was zu beichten, es war viel los, doch eigentlich, wem muss ich was beweisen? Ich bin Pilot! Höhenflug, zwei Meter Größenwahn auf hundert Kilo und das Geld, das alles möglich macht, wird unser Friedhof. Ich hab’s geseh’n, trag’ die Narben wie ein Mann, war bis nachts auf der Straße, doch ertrag’ es wie ein Mann, der aus’m Stegreif krumme Dinger wieder geradebiegen kann, ohne in ’ne schiefe Lage zu gelang’, wie ein Mann. Ich war geduldig und hab jahrelang gewartet wie ein Mann, auch aus ’nem Sandkorn wird irgendwann ein schwarzer Diamant. Die Welt dreht sich und die Jahre zieh’n ins Land, nur wer gut blufft, zeigt, dass er seine Karten spielen kann, wie ein Mann.«

Während die Profession des ›Pilots‹ männlich konnotierte Attribute um Autorität und Unabhängigkeit transportiert, lassen nachfolgende Begriffe wie der männlich-risikobehaftete ›Höhenflug‹ und ›Größenwahn‹, ebenso wie ›Sandkorn‹, ›Welt‹ und ›Diamant‹ durchaus eine Interpretation im Sinne von Scholz’ Pioniermetapher zu. JokAs zunächst nicht-hegemoniale Krisenerzählung (»trag die Narben«/»doch ertrag es wie ein Mann« usw.) erscheint sodann als Eroberungsfeldzug gegen die Widrigkeiten des Lebens, aus dem der wiedererstarkte Mann freilich nicht ganz unversehrt hervorgeht (»Narben«) – und damit gleichzeitig die Erwartungen an den hegemonialen Gangsta-Körper erfüllt (Seeliger 2013: 119ff.). Wenn JokAs Zeile



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hier dennoch ein kapitalismuskritisches Moment innewohnt (»das Geld, das alles möglich macht, wird unser Friedhof«), so verweist dies auf die Ambivalenzen und Spannungen hegemonialer Männlichkeit, die der Soziologe Böhnisch (2013: 33) zwischen den Polen der ›Dominanz‹ und ›Verfügbarkeit‹ lokalisiert. Die Herrschenden sind selbst »von ihrer Herrschaft beherrscht« schreibt Bourdieu (2016: 122) in Anlehnung an Marx in seiner Theorie männlicher Herrschaft. »Man muß deshalb die männliche Erfahrung der Herrschaft in ihren Widersprüchen untersuchen« (ebd.). Zwar sind beinahe alle Männlichkeitserzählungen der untersuchten ›Prachtkerle‹ um Leistung herumgruppiert, eine alternative Lesart offenbart jedoch, dass sowohl die »Verstrickung des Mannes in den industriekapitalistischen Verwertungsprozess« (Böhnisch 2013: 33) als auch andere hegemonial-männliche Attribute und Handlungspraxen als belastend und schädlich empfunden werden. »Wie ein Mann macht der Alltag mich fertig, doch ich wehr mich, tu als wär’ nix, wie ein Mann, sag ›ich merk nix!‹ wie ein Mann, lass den Schmerz nicht an mich ran, ich könnte jammern wie ein Mädchen, doch beherrsch mich wie ein Mann« rappt Blut&Kasse und kritisiert damit mehr oder weniger explizit die hegemonial-männliche Logik der Härte samt Homosexualitätstabu.16 In Zusammenschau mit JokAs Bluff-Zeile (»nur wer gut blufft, zeigt, dass er seine Karten spielen kann, wie ein Mann«) wird hegemoniale Männlichkeit hier zudem als Maskerade offengelegt.17 Nebst Raf Camora, der seine Überforderung angesichts der Digitalisierung und der neuen Online-Selbstvermarktungszwänge im Rap (vgl. Dietrich 2016: 20) freilich ebenso männlich-brachial zurückzuerobern trachtet (»Ich fühle mich verlor’n auf Instagram, mach die App auf, wisch’ den Dreck aus meiner Netzhaut mit dem Kärcher wie ein Mann …«), ist es vor allem Rapper Silla, dessen Strophe in der Gesamtschau keine allzu lebenswerte Gegenwartsdiagnose zeichnet. Im Gegenteil denkt man bei Zeilen wie »jeder Tag ist wie ein Kampf, den man verwundet übersteht« oder »halb Mensch, halb Maschine, verfolg meine Ziele …« an die HamsterradMetapher, die nur allzu oft im Kontext der Neoliberalisierung gebraucht wird und auf gesundheitliche Konsequenzen wie Stress, Burn-Out und allgemeine Erschöpfungszustände verweist. Sillas Zeilen sind dabei durchaus als Kritik an dem normativen Idealbild des Gewinner-Typs zu verstehen, 16 vgl. dazu zum Beispiel Kimmel (2008: 50) »The single cardinal rule of manhood, the one from which all the other characteristics – wealth, power, status, strength, physicality – are derived is to offer constant proof that you are not gay.« 17 Zu ›Männlichkeit als Maskerade‹ vgl. zum Beispiel Benthien/Stephan (2003).

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den der Rapper als kollektiv-männliches Identitätsskript diskursiviert und dessen Wirkmächtigkeit und potentielle Unerfüllbarkeit das Kollektivsubjekt Mann gar in eine Art angsterfüllten Ohnmachtszustand zu versetzen im Stande ist: »Die meisten von uns hier, sind auf Scheitern programmiert, weil sie mit Dingen nicht beginnen aus der Angst was zu verlier’n«, beendet Silla seine Strophe, in der er sich außerdem zum fröhlichen Fußgängertum bekennt, was angesichts der Bedeutung des Autos im Zusammenhang von Rap und Männlichkeit nicht minder bemerkenswert erscheint (»lieber lachend und zu Fuß, als weinend in ’nem Benz«). Das Ein-Ernähermodell, Anforderungen ständiger Mobilität aber auch die sexuelle Dauerverfügbarkeit des Mannes kritisiert auch Eröffnungs-Rapper MoTrip und rahmt seine Männlichkeitserzählung durch das Pronomen ›wir‹ ebenso als kollektive Erfahrung: »Wir müssen die Teller und manchmal auch Gläser füllen.« Sogar die untergeordnete Männlichkeitspraxis des ›Bus fahrens‹, die im Rap gerne als Gegenmännlichkeit zur business masculinity in Stellung gebracht wird,18 scheint in Zeiten prekärer Sicherheiten in Männlichkeitskonstruktionen integrierbar – wenngleich es ausgerechnet der wenig diskursmächtige Joshi Mizu ist, der sich – nicht ohne Scham – zu dieser Praxis bekennt: »Ich brauch’ Schubkraft und dreh’ ab, geb’ ein’ Schuss ab wie ein Junk, und sind die Zeiten einmal schlecht, geh’ ich auch Bus fahren wie ein Mann« rappt Joshi Mizu und zieht sich – des männlichkeitsbedrohenden Potentials dieser prekären rap-männlichen Praxis gewahr  – im Musik­ video mit gesenktem Haupt das Baseballcap in sein Gesicht [04:52– 04:53]. Es ist vielsagend, dass hiernach erneut das Geräusch eines Elektrokardiogramms ertönt, bevor der nächste Rapper mit seiner Performance beginnt. Abgesehen von dem ersten Sprecherwechsel des ›Prachtkerle-Remix‹ MoTrip → Silla wird der lange Piepton bei allen übrigen Wechseln als eine Art strukturgebendes Element eingesetzt. Da er gemeinhin einen Herzstillstand und damit den Tod eines/einer Patient_in bedeutet, könnte die Dramatik

18 Der männliche Bus fahrende (nicht der Busfahrer als Profession!) ist im Diskursuniversum Deutschrap fürwahr keine erstrebenswerte Subjektposition, wie Texte hunderter Rapper belegen. Vgl. zum Beispiel: »Dealen ist ein Muss Mann, ich seh Leute die studiert haben trotzdem mit dem Bus fahren« (Haftbefehl – ›Azzlacks sterben jung‹, 2011) oder »Ich bin all das wovor deine Eltern Dich immer gewarnt haben, doch ich hab Geld, hab Frauen, hab Spaß und du musst immer noch Bahn fahren« (Sido – ›Schlechtes Vorbild‹, 2006) oder »Lederbezüge von Louis Vuitton, ich steig in den Sitz und cruise wie Tom und du fährst mit dem Bus in die Stadt« (Kollegah – ›Wersderboss‹, 2005) u. v. a. m.



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der Lage auf der auditiven Ebene wohl kaum treffender eingefangen werden: Die männliche Herrschaft liegt im Sterben. Die hier untersuchten Männlichkeitskonstruktionen bilden die Spannungen, Pluralitäten und inneren Widersprüchlichkeiten ab, wie sie mehr und mehr als Kennzeichen hegemonialer Männlichkeit unter Globalisierungsbedingungen formuliert werden (vgl. Connell 2005; Connell/Wood 2005; Sauer 2011; Scholz 2015; Erhart 2016: 14ff. usw.). Außerdem wird deutlich, dass viele Prämissen und Konzepte der US-amerikanischen HipHop-Forschung auf den deutschsprachigen Raum übertragen werden können, so zum Beispiel Jeffries’ (2011) complex coolness, die auf die Konflikthaftigkeit und Verletzlichkeit hinter der ›hypermaskulinen Fassade‹ Schwarzer Rap-Männlichkeiten abzielt. Auch eine literaturwissenschaftliche Perspektive, die Raptexte ungleichheitssensibel in Kenntnis von Genrekonventionen denkt, kann das Verständnis für die Komplexität von RapMännlichkeitskonstruktionen erhellen. Wenn der Literaturwissenschaftler Tholen (2015: 35) mit Blick auf »geschlechtlich markierte[n] Emotionen« in der Literatur anmerkt, dass diese nicht nur in Abhängigkeit von Genre, sondern ebenfalls »von Text zu Text« variieren, so ist dem mit Blick auf den ›Prachtkerle-Remix‹, in dem sie gar von Strophe zu Strophe differieren, durchaus zuzustimmen. Mit Blick auf die US-amerikanische Szene ermahnt Hill dazu, sich von jeglichen Vorannahmen in Bezug auf GenreKlassifikationen zu verabschieden, da sich dadurch neue Interpretationsmöglichkeiten ergäben. »The construction of a conscious/commercial divide also undermines a sophisticated and evenhanded analysis of all hip-hop artists. Too often, commercial figures like Jay-Z and Ice Cube are classified as mere rappers who are only worthy of critical attention in order to expose the troubling dimensions of their music. On the other hand, ›conscious‹ rappers like Talib Kweli and Mos Def are romantically viewed as legitimate cultural workers whose work should be analyzed based on artistic merit. Such distinctions are higly problematic, however, as they obscure the complexities and contradictions that operate within every artist’s body of work.« (Hill 2009: 98)

In unserem Fall zeigt sich dies wohl am eindringlichsten am Beispiel der ›Krisenstrophe‹ des muskelbepackten Straßen-Rappers Silla. Apropos ›Krisenstrophe‹: Die Diskussion alternativer oder nicht-hegemonialer Dimensionen von Männlichkeit muss freilich kritisch, nämlich unter Berücksichtigung der Dialektik von Krise und Resouveränisierung erfolgen, wie sie vor allem Forster (2006) in den Diskurs um die Krise der Männlichkeit ein-

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brachte. Zwar wirkt die Inkludierung und Diskursivierung von Emotionen und Schwäche angesichts der kompetitiven Feldlogik um Härte und Hypermaskulinität zunächst alternativ. Gleichzeitig diskutiert die Männlichkeitsforschung die »Mobilisierung von Emotionen« auch im Kontext der Diversifizierung neoliberaler Männlichkeit, im Zuge dessen auch neue, gewissermaßen nicht-hegemoniale Aspekte von Männlichkeit integrierbar werden (Sauer 2011: 99). Am Beispiel der Suizide ›hegemonialer Männer‹ wie Fußballtorwart Robert Enke, bemerkt Sauer wie Emotionalität letztlich »in einen maskulinistischen Diskurs eingefangen wird und zur Wiederherstellung von hegemonialer Männlichkeit dient« (ebd.). Ein Remaskulinisierungsmechanismus, den auch Scholz (2015: 103) konstatiert und am Beispiel der Pioniermetapher im Kontext des Scheiterns expliziert. Diesen Überlegungen gewahr erscheint es mindestens zweifelhaft, Rapper Sido auf der Folie alternativer Männlichkeit zu diskutieren, nur weil er über die vermeintlich feminin codierte Praxis des Kochens rappt (»Is voll normal, dass ich gut kochen kann wie ein Mann«). Weniger als Affirmation einer partnerschaftlich-egalitären Arbeitsteilung, lässt sich diese Aussage vielmehr im Sinne einer Inszenierung männlichen Expertentums und einer Einverleibung und ›männlichen Adelung‹ (Bourdieu 2016: 106f.) vormals vergeschlechtlichter Praktiken verstehen. Zwar beginnt sich eine »moderne kulinarische Männlichkeit« allmählich auch im Bereich des Alltäglichen anzusiedeln, dennoch bleibt das Kochen letztlich »als symbolisch weiblich konnotiertes Feld bestehen, von dem sich sowohl traditionelle als auch moderne Männlichkeiten abgrenzen« (Baum 2012: 78).19

19 vgl. an dieser Stelle abermals Bourdieu (2016: 106f.), der über die »radikale Asymmetrie in der Bewertung männlicher und weiblicher Tätigkeiten« innerhalb der kabylischen Gesellschaft schreibt: »Abgesehen davon, daß sich der Mann, ohne sich etwas zu vergeben, zu bestimmten, sozial als geringwertig qualifizierten Tätigkeiten nicht herablassen kann (unter anderem deshalb, weil es als ausgeschlossen gilt, daß er sie verrichten könnte), können dieselben Aufgaben rühmlich und schwierig sein, wenn sie von Männern, oder leicht, belanglos und unwichtig, wenn sie von Frauen erfüllt werden. Wie es der Unterschied zeigt, der den Koch von der Köchin, den Couturier von der Schneiderin trennt, müssen Männer nur bislang als weiblich geltende Aufgaben an sich reißen und sie außerhalb der Privatsphäre erfüllen, um sie zu adeln und zu verklären.«



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10.4 Von Schlampen, Coolness und Diamanten – Performing rap masculinity Die grundsätzliche Logik der doppelten Relationalität von Männlichkeit besitzt auch auf dem Feld des Rap ihre Gültigkeit. Auch hier erfolgt doing masculinity entlang der Abgrenzung und Dominanz gegenüber anderen Männlichkeiten, sowie der Abgrenzung und Dominanz gegenüber Weiblichkeit und ist grundlegend kompetitiv strukturiert. Die feldspezifische illusio – um mit Bourdieu zu sprechen  – und damit auch die Idee vom Mann, der es sich im Rap zu stellen gilt, ist dennoch eine andere. Als erfolgreichstes Element des HipHop unterliegt Subjektwerdung im Rap entstehungsgeschichtlich bedingt anderen Voraussetzungen als innerhalb anderer gesellschaftlicher Bereiche wie der Politik, dem Militär oder auch innerhalb anderer Jugend- oder Musikszenen. Gleichwohl Rap zunehmend in die Popkultur und den gesellschaftlichen Mainstream diffundiert, besitzen gewisse feldspezifische Spielregeln, Ressourcen und Konventionen bis heute Gültigkeit und bestimmen das soziale Verhalten der Feldakteur_innen. Neben spezifischen Sprachtraditionen, Sprechweisen, Genrespezifika oder Topoi, deren Beherrschung maßgeblich über die Positionierung innerhalb der Szene entscheiden, gehört dazu auch ein feldspezifischer Habitus und damit gewisse Gesten, Mimiken und Performances, die im Zuge der Szenesozialisation einverleibt wurden und sich im Körper als Produkt der Praxis materialisieren. Doing rap masculinity mag deswegen grundsätzlich im doing masculinity aufgehen, es ist aber nicht das gleiche, wie man am Beispiel des ›PrachtkerleRemix‹ anschaulich aufzeigen kann. Zur Rap-Männlichkeitskonstruktion wird das doing masculinity im ›Wie ein Mann‹-Remix zunächst vor allem auf diskursiver Ebene ausbuchstabiert, etwa wenn die Rapper die typisch-männliche doppelte Relationalität entlang der feldspezifischen Sprechakte boasting und dissing realisieren. Wie bereits erwähnt, unterscheiden sich die neun Rap-Männlichkeitserzählungen diesbezüglich insofern voneinander, als dass die diskursiven Dominanz- und Abgrenzungspraktiken in Abhängigkeit der jeweiligen Position des Rappers innerhalb von Szene und ›Prachtkerlen‹, sowie in Abhängigkeit des jeweils bedienten Subgenres verschiedentlich zum Einsatz kommen. Es käme einer Ranganmaßung gleich, würde sich der eher wenig bekannte, relativ erfolglose Rapper Joshi Mizu im Track zum ›König‹ stilisieren – ein Sprechakt, der stattdessen selbstbewusst von hegemonialen Rap-Männlichkeiten wie Sido und implizit Raf Camora eingelöst werden darf und wird (»ich bin nämlich

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der König in diesem Land«, Sido; »RA war da als der Beat entstand«, Raf Camora). Wenn Rapper wie Blut&Kasse oder Pedaz dagegen »Feinde ficken« oder ein nicht näher definiertes Gegenüber zum Zweikampf herausfordern (»muckst du auf […] schwing ich die Keule«), agieren sie den Konventionen des von ihnen bedienten Battle-Rap entsprechend. Neben dem Wettbewerbs-Topos werden im ›Prachtkerle-Remix‹ jedoch noch weitere hegemoniale Topoi des Rap bedient, so zum Beispiel der Lokalitäts-Topos, der Hypermaskulinitäts-Topos (vgl. zu beidem Wolbring 2015: 368ff.), der Drogen beziehungsweise Kriminalitäts-Topos und der Topos vom sozialen Aufstieg (vgl. Seeliger 2013). Insofern diese Topoi in der Zusammenschau die Rahmenerzählung des Gangsta-Rap konstituieren, lässt sich das diskursive doing gangsta, wie es in allen neun Männlichkeitserzählungen zu finden ist, als Affirmation der hegemonialen Gangsta-Männlichkeit übersetzen. Das mag auch für die Weiblichkeitsbilder im ›Prachtkerle-Remix‹ gelten, die sich einmal mehr in den Dualismus um Heilige (Mutter vs. eigene Freundin/ Ehefrau oder engl. ›good sister‹ vgl. dazu zum Beispiel Dyson/Hurt 2012) und Hure (beziehungsweise Bitch, vgl. Leibnitz 2007a) einfügen. Nicht zuletzt aufgrund der prätentiösen diskursiven Anrufung als ›Schlampen‹ (vgl. bei Silla) erinnert der ›Bitch-Topos‹ hier doch stark an jene eindimensionalen Modelle, wie sie US-amerikanischer Gangsta-Rap und die ›Black Gangster Films‹ (vgl. Kitwana 2002: 121ff.) transportieren. Relativ typisch ist dabei auch die Stilisierung der Frau zur treulosen Verräterin, wie es Raf Camora durch Rekus auf die biblische Schöpfungsgeschichte realisiert (»Adam hat sich einen Garten gebaut, Eva hat sich für ’nen Apfel verkauft«). Ob als promiskuitive Schlampe wie bei Silla, oder als Verführerin/Verräterin wie bei Raf Camora, der das ›Gattungswesen Frau‹ über Eva und die Schöpfungsgeschichte konstruiert: Die rap-männliche Vorstellung von Weiblichkeit ist in beiden Fällen defizitär und knüpft mit dem (Il)Loyalitäts-Topos sowohl an biblisch-religiöse, als auch an die hegemonial-männlichen Perspektivierungen von Weiblichkeit des globalen Gangsta-Rap an (vgl. Grimm 1998: 126).20 Es ist ferner interessant, dass beide migrantischen Männlichkeiten im ›Prachtkerle-Remix‹ MoTrip und Sinan G. sich auch als solche inszenieren und 20 vgl. dazu Dyson/Hurt (2012: 365): »It’s a classic case of blaming the victim, but then there’s little difference between what men in hip hop do, and what males in mainstream religion have always done through their theologies and holy texts. […] If hip hop has a theology, it’s pretty consistent with the biblical justification of male misbehavior by blaming the seducing female.«



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dabei auf den ethnisierten Haar-Topos zurückgreifen. »Körper erscheinen in den kulturellen Formen des Gangstarap als vergeschlechtliche Merkmalsträger« schreibt Seeliger (2013: 121) zurecht in seiner intersektionalen Analyse des Subgenres. Vor allem bei Sinan G. werden doing masculinity und doing ethnicity wechselseitig als Ressourcen eingesetzt, wenn er sich über die männlich-homosoziale Sphäre des Barbiersalons als Patriarch inszeniert und rappt: »An meine Haare lass’ ich keine Frauen ran wie ein Mann.«21 Weil die (möglichst real erlebte) Marginalisierungserfahrung im HipHop/Rap symbolische Anerkennung verspricht und sich positiv auf die soziale Positionierung im ›Rapgame‹ auswirkt (Stichwort Marginalitätsdividende), authentifizieren sich nicht-migrantische Männlichkeiten wie JokA oder Pedaz über alternative prekaritätsevozierende Topoi wie Schulden oder Glückspiel. Dass Erfahrungen des Scheiterns und allgemeinen struggelns dabei mit Vorliebe in die Vergangenheit zurückdatiert werden, verweist darauf, dass das feldspezifisch hegemoniale, marginalisierte Subjekt – im Rap durch den Gangstarapsprecher repräsentiert – im Kontext der Ökonomisierung und Neoliberalisierung zunehmend im Handlungstypus der business masculinity aufgeht und aufgehen muss, denn: »Indem das eigene biografische Projekt zur Geschichte der permanenten Bewältigung gesellschaftlich induzierter Widrigkeiten stilisiert wird, schaffen sich Gangstarapsprecher einen kulturellen Ausgangspunkt ihrer Selbstdarstellung, auf den sie als (vermeintlich) etablierte und erfolgreiche Geschäftsleute als Beweis ihrer außergewöhnlichen Leistungsfähigkeit verweisen können« (ebd.: 128).

Doing rap business masculinity wiederum unterscheidet sich vom doing business masculinity insofern, als dass Rap-Männlichkeit freilich über rapszenespezifische ästhetische und künstlerische Praktiken hergestellt wird, darunter die zunehmend digital realisierte Praxis des Texteschreibens (»Fahre mit zweihundert, tippe dabei meinen Part mit einer Hand«, Raf Camora), das Nächtigen im Tourbus (Stichwort Mobilität) (»wochenlang touren, lebe nur aus meinem Koffer und schlafe im Bus wie ein Mann«, MoTrip) sowie jeder Menge halb- und illegaler Geschäfte in der prestigeträchtigen Unterwelt (doing gangsta beziehungsweise doing street hustler) (»vom Haschticker zum Knastkicker«, Sinan G.). Mit Kool Savas, Zinedine Zidane und Jay-Z werden 21 vgl. dazu Bourdieus (2016: 50) Ausführungen zur vergeschlechtlichten Praxis des Haareschneidens in der kabylischen Gesellschaft: »Ebenso beruht die Bedeutung des ersten Haareschneidens darauf, daß das Haar, das weiblich ist, als eines der symbolischen Bande gilt, durch die das Kind mit der mütterlichen Welt verbunden ist. Dem Vater obliegt es, diesen Einweihungsschnitt mit dem Rasiermesser, diesem männlichen Werkzeug […] vorzunehmen.«

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ferner ausschließlich Business Männlichkeiten mit einem Gangsta-Rap-analogen Biografieprojekt als rap-männliche Identifikationsfiguren im ›Prachtkerle-Remix‹ aufgerufen. Die Figur des Schwarzen US-Rappers Jay-Z ist dabei aus mehrerlei Gründen einer näheren Betrachtung wert: Als feldspezifische Inkarnation der business masculinity verkörpert Milliardär Jay-Z den American Dream wie kaum ein anderer US-amerikanischer Rapper. In Brooklyn geboren, verdingte sich Shawn Corey Carter aka Jay-Z bereits mit 13 Jahren als Crackdealer, bevor er dank musikalischer Fähigkeiten und eines ausgeprägten Geschäftssinns vom street hustler zum HipHop-Mogul  – einer Art US-amerikanischer Sozialfigur  – avancierte (vgl. zum Beispiel bei Hess 2012: 639 oder Smith 2012: 673). Jay-Z ist bekannt für die Aussage »I’m not a businessman, I’m a business, man!«. Neben den Einnahmen aus seinen insgesamt 13 Studioalben errechnet sich sein Vermögen unter anderem aus dem Besitz eines Plattenlabels und Musikstreaming-Dienstes, Anteilen an Sportmannschaften (Basketball) oder Nachtclubketten, eigenen Champagner- oder Parfummarken, Immobilien, aus Einnahmen der Sportsparte seines Labels Rocnation Sports oder auch aus Werbedeals mit Sportschuhen und Getränkekonzernen.22 Jay-Z ist Mitgründer des Labels Roc-a-Fella-Records beziehungsweise des Labels Roc Nation, wozu auch das Klamottenlabel Rocawear gehört. Der englische Slang-Ausdruck ›roc‹ von ›rock‹ bedeutet Diamant, aber auch Kokain und bildet das Logo des Labels. Die zugehörige Handgeste – das sog. roc symbol oder auch roc sign – wurde durch Jay-Z zu einer popkulturellen Chiffre für Erfolg, Reichtum und Macht, die inzwischen nicht nur im Diskursuniversum Rap, sondern auch darüber hinaus aufgeführt wird (etwa von Spitzensportlern wie Lebron James, Schauspielern wie Denzel Washington oder auch Politikern wie Barack Obama). Auch im ›Prachtkerle-Remix‹ wird die codierte Metapher des Diamanten als Chiffre für den Traum vom sozialen Aufstieg aufgerufen: »Auch unter Druck mach ich Kohle, Diamant« rappt MoTrip, »Ich kämpfe jetzt, glänze später, wie ein Riesendiamant« hofft Silla und auch JokA lässt hinsichtlich des Rap-Business-Männlichkeitsprojekts wohl kalkulierte Geduld walten: »Auch aus ’nem Sandkorn wird irgendwann ein schwarzer Diamant«. Das mit beiden Händen geformte Dreieck wird des Weiteren mehrmals im Musikvideo als solches aufgeführt (vgl. zum Beispiel bei 00:53, 01:03, 02:24) und verweist dabei 22 Eine kleine Auflistung von ›Jay-Z und seinen Deals‹ samt zugehörigem Beitrag über den HipHop-Mogul findet sich bei Theil (2017) im Juice Magazin Nr. #182



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einmal mehr auf die körperliche Dimension von Rap-Männlichkeitsperformances (siehe Abb. 23). Darüber hinaus verdeutlichen die diskursiven und körperlichen Referenzen und Huldigungen der rap business masculinity Jay-Z den glokalen Mechanismus des performing rap masculinity und die identitätsstiftende Bedeutung Schwarzer Rap-Männlichkeiten.

Abbildung 23: Performing rap businnes masculinity – Das ›roc sogn‹ bei Jay-Z (links), MoTrip (Mitte) und Silla (rechts)

Das roc sign ist schließlich nicht die einzige global zirkulierende, rap-habituelle Körperperformance die JokA, Silla und Co zur Konstruktion authentischer Rap-Männlichkeit aufführen. Mit der dirt-off-your-shoulder-Geste performt JokA eine weitere Geste, die durch Rap-Superstar Jay-Z in den pop- und rapkulturellen Körperkanon Eingang fand [02:05–02:06].23 Sie wird aufgeführt, indem man sich mit beiden Händen abwechselnd fiktiven Staub oder Dreck von der Schulter wischt/klopft, wobei auch der Blick die jeweilige Schulter fixiert (siehe Abb. 24).

Abbildung 24: Der rap-ästhetische Umgang mit Unsicherheiten: Jay Z, Obama, JokA bei der dirt-off-your-shoulder-Performance

Wenn der Rapper die Geste parallel zur Zeile »Ich hab’s gesehen, trag die Narben wie ein Mann« performt, so wird damit körperlich der ›Phönix-ausder-Asche‹-Topos aufgerufen, der im Diskurs- und Performanceuniversum des Rap nicht minder beliebt ist und den Rap-Mann als widerstandsfähi 23 Jay-Zs Song ›Dirt off your shoulder‹ erschien 2003 auf dem Black Album und verfügt über einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Wikipedia, 20.10.2020, https://en.wikipedia.org/wiki/Dirt_off_Your_Shoulder

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ges Steh-auf-Männchen konstruiert (erinnere an dieser Stelle auch Sidos Widerstandsperformance mit der eher unglücklich gewählten Doppeldeckung). Wenn man so will, übersetzt die dirt-off-your-shoulder-Performance den Handlungstypus der transnational business masculinity mit rap-ästhetischen Mitteln, denn »[m]it Unsicherheit produktiv umzugehen, sich vom Wandel nicht verunsichern zu lassen, sondern diesen zu gestalten, sich gleichsam an dessen Spitze zu setzen, kennzeichnet, so unsere Hypothese, hegemoniale Männlichkeiten unter den Bedingungen von Entgrenzung und wachsenden Unübersichtlichkeiten« (Meuser/Scholz 2011: 66f.).24 Nebst roc sign und dirt-off-your-shoulder-Geste finden wir im ›Prachtkerle-Remix‹ zahlreiche weitere rap-kulturelle Gesten, die einen maßgeblich von Schwarzen Gangsta-Rappern geprägten hegemonialen Körperkanon referenzieren. So zum Beispiel die ›laden-und-schießen‹-Performance [01:19], die ›Mittelfinger-‹ oder auch I-don’t-give-a-fuck-Performance [01:27] und das der Habituslogik der Coolness entsprechende ›einhändige Autofahren‹ [01:31 oder 04:26–04:27] (siehe Abb. 25).

Abbildung 25: Laden-und-schießen, I-don’t-give-a-fuck und einhändig Autofahren: Rap-Männlichkeitsperformances der Coolness und Härte

Während ›laden-und-schießen‹ den relativ unspezifischen Gewalt-Topos transportiert, wird mit dem I don’t give a fuck-Gestus mehr oder weniger implizit der Nihilismus-Topos um die US-amerikanische thug masculinity affirmiert, die HipHop-Forscher Jeffries (2011: 88ff.) beispielhaft am Beispiel der Rap-Identifikationsfigur Tupac diskutiert (vgl. auch ›nihilism unbound‹ bei Kitwana 2002: 127ff.).25

24 Der Topos der ›Wiederauferstehung‹, der dem Phönix-Motiv gewissermaßen zugrunde liegt, taucht auch als zentrales inhaltliches Motiv in der Autobiografie des Gangsta-Rappers Fler auf. »Sein offener Umgang mit Verletzlichkeit und Niederlagen ermöglicht ihm eine Dramaturgie, in dem es ihm unter widrigen Bedingungen immer wieder gelingt, gestärkt aus der Lösung seiner Probleme hervorzugehen.« (Seeliger 2017: 48) 25 Eine (möglicherweise migrantische?) Abwandlung der ›Mittelfinger‹ oder I don’t give a fuck-Geste performt übrigens Sinan G. Bei der Geste, die wir u. a. bei Minute 03:02



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Wie bereits erwähnt, umfasst die Rap-Männlichkeitsperformance selbstverständlich mehr als die situative Aufführung einzelner global zirkulierender Gesten. So ist neben der freilich ebenfalls Maskulinität evozierenden Logik der Härte vor allem auch Coolness für die authentische Performance von Rap-Männlichkeit zentral.26 Auch diese Körperpraxis lässt sich nicht losgelöst von HipHop/Raps zentraler mythischer Gestalt, das heißt von Schwarzen (Rap-)Männlichkeiten interpretieren, deren ›coole Pose‹ als Überlebensstrategie im Kontext von Rassismus theoretisiert wird (vgl. Klein/Friedrich 2003a: 24; bzw. cool pose bei Majors/Mancini Billson 1992 und complex coolness bei Jeffries 2011). »[I]m HipHop geht es relaxt zu. Man ist cool. Als cool gilt, wer sich nicht anstrengt, sich entspannt gibt, egal, was passiert. Jemand der cool ist, lässt sich nicht provozieren. Alles was er tut, macht er überlegen und ohne viel Mühe. Und erzählt er den anderen davon, geschieht das ganz nebenbei. Coolness ist Blasiertheit als Stil. Wer cool ist, schafft es, zwei Ebenen miteinander zu verbinden: Ruhe und Gelassenheit zu entwickeln und diese durch Kleidung, Körperhaltung und Verhalten in Szene zu setzen. Cool sein meint, wie das Lebensgefühl HipHop überhaupt, einen Gefühlszustand und eine Inszenierungspraxis. […] Cool im HipHop meint […] eine gefühlte Distanz zu den Reaktionen des Umfelds.« (Klein/Friedrich 2003a: 43)

In Rapvideos wird Coolness meist durch Slowmotion-Effekte in seiner Wirkung verstärkt. So auch im ›Prachtkerle-Remix‹, wenn Eröffnungs-Rapper MoTrip im Seemannsgang, die Schultern auf und ab bewegend, in Richtung der Kamera schlurft [00:01–00:12]. Mit ihren Kapuzenpullovern, Baseballcaps, behäbigen Bewegungen und zuweilen extrem zerdehnten Gesten liegt Coolness aber auch den übrigen Männlichkeitsperformances als Inszenierungsstrategie zugrunde beziehungsweise wurde im Rahmen einer ›ungeheuren kollektiven HipHop-Sozialisationsarbeit‹ inkorporiert (siehe zum Beispiel JokAs zweisekündiges ›Speichel-von-den-Mundwinkeln-abwischen‹ bei 01:46–01:48 oder Sidos männlich-grobschlächtige Andeutung des ›fiktiven-Bierschaum-entfernens‹ bei 05:46–05:49). Als Ausnahme mag hier stelsehen, ragt der Mittelfinger als einziger Finger der gespreizten Hand horizontal nach vorne, wobei der Unterarm dann mehrmals nach vorne und hinten abgewinkelt wird. Eine spontane Straßenumfrage unter männlichen Kreuzberger Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund ergab, dass dieses Handzeichen so viel bedeute wie ›jmd. ficken‹ oder auch ›gib ihm!‹. Auf Nachfrage wer diese Geste warum ausführe, entgegneten diese etwas verschämt, es handle sich dabei um »so ein Kanaken-Ding«. 26 Zur Coolness im Bereich HipHop sei angemerkt, dass es hier durchaus weiter zu differenzieren gilt, haben Rapper_innen resp. Rapschaffende doch ein zuweilen divergierendes Verständnis von Coolness als etwa Breakdancer_innen (vgl. dazu Wolbring 2015: 435).

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lenweise die Performance von Blut&Kasse gelten. Zwar fuchtelt dieser im Teilsetting ›Wettbüro‹ zunächst ›hip-hop-habituell einwandfrei‹ mit einem Kugelschreiber herum, legt jedoch insgesamt eine verhältnismäßig aggressive Körperperformance an den Tag. Das Thema ›Mann-Sein‹ – so könnte man interpretieren – bewegt ihn so sehr, dass er sich bereits nach wenigen Zeilen mittels herausfordernder Geste vom Stuhl erhebt und seine Performance sodann im Stehen beendet [05:15]. Mit der hiphop-spezifischen Coolness als »Habitus, der jegliche Emphase vermeidet« (Wolbring 2015: 443) scheint seine Performance an dieser Stelle eher wenig zu tun zu haben (siehe Abb. 26). Blicken wir auf die vielgestaltigen Männlichkeitsperformances der ›Prachtkerle‹ wird deutlich, dass HipHop respektive Rap mehr ist, als ein Set bestimmter künstlerischer oder rhetorischer Praktiken oder eine »Familie von Sprechakten, deren Beherrschung einem gestattet, an kulturellen (Re-) Konstruktionen von Wirklichkeit teilzuhaben« wie Streeck (2002: 538) formuliert. Es geht um »the performance in the text and the performance of the text« (Quinn 2005: 124 zit. nach Jeffries 2011: 20) (und um »the performance inherent in listening to the music at a particular time and place«, vgl. Dimitriadis 2001 zit. nach Jeffries 2011: 20). Der Körper wiederum ist das zentrale Moment dieser Performance (Klein/Friedrich 2003a: 157; Grimm 1998: 94ff.), weshalb es verwundert, dass dieser in der deutschen HipHopbeziehungsweise Rap-Forschung bislang weitestgehend unberücksichtigt bleibt (vgl. Mohamed 2016: 154). Auch die von HipHop-Forscher Jeffries (2011: 35) befragten Rap-Fans beschreiben HipHop als »cultural way of life«, »lifestyle« und »means of communication and expression«. Auf die Frage »What does hip-hop mean to you?« antwortet Interviewteilnehmer Damian: »Lifestyle. Music. Trying to get a point across. Clothes, your walk, the way you wear your hat« (ebd.). Die Art und Weise zu gehen, nämlich bestimmt, selbstbewusst und einem »Habitus der Härte« konform, beschreibt auch Liell in seiner ethnografischen Studie. HipHop präge die Körperlichkeit der männlichen Berliner Jugendlichen »bis hin zu ihrer Art zu gehen« (Liell 2003: 131). Analog zur Schwarzen cool pose stellt auch Liell den Habitus der Härte dabei in den Kontext einer »Verhüllung des Selbst« (ebd.), insofern die männliche Körperperformance dazu diene, das ›weiche Innere‹ zu verdecken. Denken wir an MoTrips ›Seemansgang‹ [00:01–00:12], so lässt sich die Pose des migrantischen Rappers freilich ebenso auf der Folie von Empowerment lesen. Ferner könnte man die Rap-Männlichkeitsperformance des Rappers MoTrip (und vieler anderer, nicht nur migrantischer Rapper) auch als doing street swagger übersetzen. Dabei haben wir es mit ei-



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Abbildung 26: Blut&Kasses Rap-Männlichkeitsperformance in Zeiten allgemeiner Verunsicherung: »[Kein] Habitus, der jegliche Emphase vermeidet.« (Wolbring 2015: 443)

ner Art performativ-affektuellem Konglomerat aus Coolness, Rhythmus und Style zu tun, das sich als Black aesthetics auch bei Schwarzen Jazzmusikern der 1960er Jahre beobachten lässt und durch die Kommerzialisierung des HipHop/der Rapmusik (zum Beispiel Run-DMC, Jay-Z usw.) inzwischen in den popkulturellen Mainstream diffundiert ist. »The idea of street swagger updates the idea of physical motion, cool pose, and attitude. It is to some degree both an external and an internal act of performance, as it indexes not only rhythm and style in one’s performance of physical self and personal carriage, but also suggests a high degree of self-confidence, the knowledge that one can handle himself in any situation with cool and sophistication.« (White 2011: 42)27

Doing street swagger bedeutet letztlich auch das absolute Sprechermonopol, das Rapschaffende gemeinhin auf der Textebene beanspruchen (vgl. Wolbring 2015: 427f.) über die körperlich-habituelle Ebene zu authentifizieren und einzulösen.28 Gerade im Fall von Rapper MoTrip ist dabei auch die Stimme von Bedeutung, denn um glaubwürdig Coolness zu performieren, »bedarf es zunächst einer deutlich präsenten Redeinstanz, welcher die Coolness als Attribut überhaupt zugesprochen werden kann. Dies ist im Rap durch die Stimme des Rapschaffenden gewährleistet. Das von ihr vermittelte Schallprofil gilt als sicherer Indikator der emotionalen Befindlichkeit des Sprechers und ist daher auch entscheidend an der Evokation von Coolness beteiligt« (ebd.: 443).29 27 White (2011: 43) merkt an, dass sich der Terminus swagger nicht nur zur Beschreibung männlicher Verhaltensweisen eignet: »The term is not exclusive to men, however, as I doubt anyone would suggest that Mary J. Blige does not have swagger.« 28 vgl. Wolbring (2015: 427f.): »Raps eignen sich wirkungsdispositional besonders gut dazu, ihre Sprecher als überzeugte Sprecher auszuweisen, das heißt als Sprecher, die von der Richtigkeit und Angemessenheit ihrer Äußerungen überzeugt sind. Dadurch können sie auch helfen, den Sprecher als Autorität zu inszenieren.« 29 An dieser Stelle sei abermals auf Klein/Friedrich verwiesen, die den Aushandlungs- und Zuweisungscharakter von Coolness im HipHop/Rap betonen: »Cool-Sein ist […] keine der Persönlichkeit zugehörige Eigenschaft, sondern eine Auszeichnung, die von den anderen immer wieder neu verliehen wird. Cool ist eine Zuweisungspraxis. Deshalb kann

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MoTrips Stimmlage zwischen Bariton und Bass gereicht dem Rapper dabei freilich zum Vorteil. Als Inszenierungspraxis ist Coolness übrigens nicht auf den Körper und die theatrale Aufführung verwiesen, sondern kann schlichtweg auch auf der Inhaltsebene behauptet werden. So etwa wenn MoTrip im Sinne eines I don’t give a fuck vorgibt, Geburtstagstermine zu vergessen (»Du rufst mich an, um Geburtstag zu feiern, doch ich hab’ den Tag nicht gewusst wie ein Mann«)30 oder JokA rappt, er könne »aus’m Stegreif krumme Dinger wieder g’radebiegen […] ohne in ’ne schiefe Lage zu gelang’«. Wolbring (ebd.: 445) spricht in solchen Fällen davon, dass die »Coolness des Sprechers […] mittels der Evokations-Macht der Sprache einfach behauptet [wird]«. Blicken wir als letztes in die Gesichter der ›Prachtkerle‹, denn auch in der Mimik und dem rap-typischen, abschätzigen Blick materialisieren sich global zirkulierende Rap-Männlichkeitserzählungen und zeigt sich die Performativität des Rap-Habitus oder wie Klein/Friedrich (2003a: 203) Bourdieu und Butler diesbezüglich zusammendenken: »In der körperlichen Inszenierung des Habitus […] nehmen die über Anrufung inkorporierten Spielregeln eine ästhetische Form an. Gesten, Mimiken, Köperhaltung und Bewegungsmuster äußern sich über den praktischen Sinn als eine materiale Funktionsweise von Performativität. Der Prozeß der Habitualisierung, von Bourdieu lediglich als Sozialisationsvorgang beschrieben, läßt sich aus dieser performativitätstheoretischen Perspektive als Ergebnis eines Spiels von Sprechakten und Verleiblichungen beschreiben. Verleiblichung, verstanden als mimetische Identifikation, erfolgt über ›Anrufung‹.«

So ist auch der von allen ›Prachtkerlen‹ in mehr oder minder starker Ausprägung an den Tag gelegte »gangsta/thug gaze« Ergebnis einer solchen Verleiblichung, die in dem raptypischen boasting ihr sprechakttheoretisches Pendant findet. Der Gangsta-Blick – man könnte auch ›Stresser-Blick‹ sagen – ist Teil des sog. mean mugging (vgl. White 2011: 43ff.). Damit ist ein man sich auch nicht selbst cool finden, sondern immer nur cool für ein Publikum sein.« (Klein/Friedrich 2003a: 43) 30 Sich ›Nichtigkeiten‹ wie Geburtstage merken zu können, arbeitet Bourdieu (2016: 58f.) ebenso als subtilen Mechanismus der Inkorporierung männlicher Herrschaft heraus: »Für die gewöhnlichen Tätigkeiten der alltäglichen Haushaltsführung abgestellt, scheinen sie [die Frauen, Anm. d. Verf.] an die den Nichtigkeiten des Kalküls, des Fälligkeitsdatums, des Zinses Gefallen zu finden, denen keine Beachtung zu schenken der Mann von Ehre sich schuldet. […] Den Männern (und den Frauen selbst) bleibt die Erkenntnis verschlossen, daß es die Logik des Herrschaftsverhältnisses ist, die den Frauen all jene negativen Eigenschaften, wie die List, oder auch eine vorteilhaftere, wie die Intuition, aufzuzwingen und einzuschärfen vermag, die die herrschende Sicht ihrer Natur zuschreibt«.



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bewusst provokativer, fixierender Blick gemeint, der nur darauf wartet, erwidert zu werden, um das (meist männliche) Gegenüber sodann für ebenjene Erwiderung legitimerweise mit (zum Beispiel gewalttätigen) Konsequenzen bedrohen zu können. Vergleiche dazu einen Track namens ›Stresserblick‹ (2014) der deutschsprachigen Gangsta-Rapper Kurdo & Majoe, wo es unter anderem heißt: »Es ist Ghetto, wir warten hier gezielt, Stresserblick, Messerkling‹, Schlagring in den Jeans […] Wir gucken böse weil keiner will hier Schwäche zeigen« usw.31 Über die Bedeutung von Gesichtsausdrücken für die Rap-Männlichkeitsperformance schreibt US-HipHop-Forscher White: »Facial expression has also become a critical index of masculine performance, often projected through the intense gaze referred to as mean mugging, which has become virtually a cachet with hard style of rap performance. This gaze, an affect of street attitude, is just as associated with bodily performance as are physical sings and gestures. It also articulates the distance between high and low, the city and the suburb, outsiders and the privileged; it subverts the policing of black bodies and thus may be seen as transgressive. […]. The gangsta/thug gaze signifies upon and critiques relations of race, power and media.« (White 2011: 43)

Als hiphop/rap-kulturelle Körperpraxis am Nexus von Männlichkeit, Klasse und Ethnizität ist mean mugging – wie wir es bei den ›Prachtkerlen‹, aber ebenso bei Haftbefehl, Capital Bra und Co finden  – also einerseits doing gangsta. Andererseits ist der ›Stresserblick‹ gerade im Migrationskontext auch ein politischer, weil selbstermächtigender Akt. Als Teil einer empowernden Körperperformance ist er ein wichtiges Mittel zur Konstruktion des männlich-migrantischen Geschlechtskörpers im Kontext von Rassismus und sozialer Ungleichheit.

31 vgl. dazu auch Liell (2003: 126ff). über ›Rituale der Anmache‹ bei Berliner Jugendlichen aus der HipHop-Szene: »Anmache besteht zunächst in der Unterstellung Egos, Alter habe ihn missachtet (schief angeblickt, […] ihn beleidigt). Wesentlich ist, dass diese Szene der Missachtung inszeniert ist; ob der Anmache eine tatsächliche Missachtung vorausging […] ist unentscheidbar und für die Aktion völlig irrelevant. Anmache ist keine Strategie zur Austragung eines vorgängigen Konflikts, sondern sie inszeniert und eröffnet einen Konflikt.« (ebd.: 129)

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11. Fazit

Was lässt sich abschließend aus männlichkeitstheoretischer Perspektive über den gegenwärtigen Zustand des Rap in Deutschland sagen? Ist die deutschsprachige Rap-Szene im Wandel? Woran lässt sich dieser Wandel festmachen und in welchem Verhältnis steht er mit gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozessen und Diagnosen wie zum Beispiel einer Krise der Männlichkeit? Was lässt sich über den Konstruktionsmechanismus deutschsprachiger Rap-Männlichkeit sagen? Entlang welcher Herrschaftskategorien wird Hegemonie auf dem Feld des Rap verhandelt? Was müssen wir mitdenken, wenn wir Rap-Männlichkeit verstehen wollen und was lässt sich über den Zustand der aktuellen Machtverhältnisse in der deutschsprachigen Rap-Szene berichten? Sind die Zeiten männlicher Herrschaft im Rap passé? Zusammengefasst lassen sich diese Fragen wie folgt beantworten. Rap-Männlichkeit ist ein Untersuchungsgegenstand, dem nur transdisziplinär, das heißt an der Schnittstelle unterschiedlicher Disziplinen und Denkschulen beizukommen ist. Noch bevor also eine Analyse von RapMännlichkeit im Kontext von Transformation und Wandel erfolgen kann, gilt es auszuloten, welcher Logik der Konstruktionsmodus von Männlichkeit auf dem Feld unterliegt und welche Analyseperspektive folglich im Hinblick auf doing rap masculinity einzunehmen ist. Obgleich HipHop/Rap im deutschen Wissenschaftsdiskurs seit Anbeginn als männlich dominierte, patriarchal strukturierte Kulturpraxis angenommen wird (vgl. Klein/Friedrich 2003a: 206), geriet die Kategorie Männlichkeit erst mit einiger Verzögerung in den Blick. Geschlecht wurde stattdessen lange Zeit mit der Kategorie Weiblichkeit assoziiert, weswegen es bis dato an dezidierten Abhandlungen zum Thema Männlichkeit im Rap ermangelt. Man darf deshalb behaupten, dass diese Arbeit dem androzentrischen Bias der deutschsprachigen HipHop Studies an dieser Stelle Abhilfe schafft. ›Außerhalb‹ der HipHop Studies (eine Grenze ist sicherlich schwer zu ziehen) – auch dies zählt zu den Erkenntnissen dieser Arbeit – herrscht ein

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nicht minder undifferenzierter Blick auf Männlichkeit im Rap. Dies mag dem ›Umweg‹ über Weiblichkeiten (Stichwort Sexismus) ebenso geschuldet sein, wie dem enormen Erfolg des Gangsta-Rap und einer entsprechend eindimensionalen medialen Berichterstattung. Die Ineinssetzung von HipHop mit Rap und Rapmusik mit Gangsta-Rap ist auch im akademischen Diskurs deshalb relativ verbreitet. Daraus folgt, dass hypermaskuline Gallionsfiguren (mit Vorliebe der Rapper Bushido) als Repräsentanten einer ganzen Kulturpraxis (= HipHop) ausgerufen werden und diese wiederum zur letzten Bastion traditioneller (wahlweise ›vormoderner‹) Männlichkeit stilisiert wird. Diese Annahme darf mit Recht als verzerrt bezeichnet werden! Wenn wir es hier mit einer der letzten Bastionen traditioneller Männlichkeit zu tun haben, so kann diese Diagnose – wenn überhaupt – für das Subgenre des Gangsta-Rap formuliert werden. Jedoch ist auch hier jüngst eine Diversifizierung zu beobachten, etwa wenn (zum Beispiel im Zuge von Vaterschaft) nicht-hegemoniale Dimensionen von Männlichkeit in das Männlichkeitsmodell integriert werden. Die Subjektkultur des Gangsta-Rap ist ambivalent, schreiben Dietrich/Seeliger (2013). Für den geschlechtlichen Konstruktionsmechanismus der Gangsta-Männlichkeit mag das  – gerade im Kontext von Transformationsprozessen  – im Besonderen gelten (dazu später mehr). Mit dem Subgenre Gangsta-Rap und seinen meist männlichen, oft migrantischen Sprecher_innen ist eine Überleitung zu den dieser Arbeit zugrundeliegenden Analyseperspektiven geschaffen. Durch den sozio- resp. diskurslinguistischen und kulturwissenschaftlichen Zugang wird Rap-Männlichkeit als Diskurs und Performance konzipiert. Hier konnte auf wichtige Vorarbeiten aus den HipHop Studies zurückgegriffen werden, erheben doch bereits Grimm (1998), Menrath (2001) und Klein/Friedrich (2003a) die Materialität des Körpers im Hinblick auf Genderperformances im HipHop/ Rap zum »entscheidenden Moment« (ebd.: 157). Dass Rap-Männlichkeit nur intersektional, das heißt in Wechselwirkung mit anderen Kategorien gedacht werden kann, hat Seeliger (2013) bereits am Beispiel von deutschem Gangsta-Rap herausgearbeitet und hat sich auch in dieser Studie als unumgängliche Analyseperspektive erwiesen. Welche Kategorien hier mit welcher Gewichtung in die Analyse einfließen sollen, ist eine Streitfrage, die auch künftige Arbeiten über HipHop/Rap beschäftigen sollte. Neben der Trias ›race, class, gender‹ wären mit Blick auf doing rap masculinity unbedingt die Kategorien Körper und Sexualität (vgl. Seeliger 2013: 119ff.), jedoch ebenso die wenig beforschten Kategorien wie Alter oder Region in den Blick zu

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nehmen. Eine HipHop Studies informierte Reflexion geeigneter Analyseperspektiven auf Rap-Männlichkeit veranlasst des Weiteren dazu, den Faktor der Feldspezifik geschlechtertheoretisch zu diskutieren. HipHop gilt als Paradebeispiel für die These der sogenannten ›Glokalisierung‹ (vgl. Klein/Friedrich 2003a). Global zirkulierende, alltagskulturelle (Sprach-)Praktiken werden in je unterschiedlichen lokalen Kontexten kreativ angeeignet, das heißt also ›rekontextualisiert‹ (vgl. Androutsopoulos 2003a: 11). Dass diese Praktiken freilich »vergeschlechtlicht« und »vergeschlechtlichend« sind – um mit Bourdieu (1997: 167) zu sprechen – blieb bislang weitestgehend unberücksichtigt, ist mit Blick auf das Verstehen-Wollen deutschsprachiger Rap-Männlichkeitskonstruktionen jedoch entscheidend. Im Anschluss an Butler betrachten Klein/Friedrich (2003a: 195ff.) die feldspezifischen Habitualisierungen der Szene performativitätstheoretisch und sprechen von mimetischer Identifikation. Die Inkorporation des szenespezifischen Habitus erfolgt demnach durch »mimetische Annäherung an das Vorbild«, was jedoch keiner ›blinden imitatio‹ gleichkäme, sondern als leiblicher, performativer Akt der Neukontextualisierung verstanden werden müsse (ebd.: 195). Im Anschluss an Bourdieu und Meuser lässt sich diese Überlegung männlichkeitstheoretisch differenzieren: Der feldspezifische, rap-männliche Geschlechtshabitus bildet sich durch Inkorporation der feldimmanenten Spielregeln und deren Neuinterpretation im Spannungsfeld von Globalem und Lokalem heraus. Schwarze Rap-Männlichkeiten aus der US-amerikanischen Szene können bis heute als zentrale Vorbilder dieses mimetischen Annäherungsprozesses betrachtet werden. Eine Annahme, die sich in Anlehnung an einige Vorarbeit des HipHop-Forschers und Sozialwissenschaftlers Dietrich (2015b) ergibt, der die Kategorie Männlichkeit in der Analyse glokaler Rap-Identität jedoch ausklammert und sich mit Inszenierungen von Authentizität, Ethnizität und sozialer Differenz am Beispiel US-amerikanischer und deutschsprachiger Gangsta-Rapper beschäftigt. Rap-Männlichkeitskonstruktionen sind also als Ergebnis eines mimetischen Spiels mit Sprechakten und Verleiblichungen verstehbar. Dass die vergeschlechtlichten Diskurse und Performances, die den lokalspezifischen Rekontextualisierungen von Rap-Männlichkeit dabei zugrunde liegen eng an Schwarze Ästhetiken und Identifikationsfiguren geknüpft sind, ist eine Logik, die dem doing rap masculinity weltweit zugrunde liegt, wie die Sichtung internationaler HipHop-Literatur nahelegt. Besonders die Figur des thugs – eine kriminalitätsassoziierte, afroamerikanische Sozialfigur am Nexus von race, class und masculinity – scheint seit dem Siegeszug des US-amerika-

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nischen Gangsta-Rap im Zentrum globaler rap-männlicher Identitätsarbeit zu stehen. Die identifikatorische Bedeutung Schwarzer Rap-Männlichkeiten hat eine weitere wichtige Analyseperspektive zur Folge, gilt es die Diskurse und Performances von N.W.A., 50 Cent oder Jay Z doch mit postkolonialen Theorien zusammenzudenken. Männlichkeitsperformances der Hypermaskulinität, Härte und Coolness, ebenso wie einige rap-typische Autorität und Konfrontation evozierende Sprachpraxen (bragging, boasting usw.) werden so als emanzipatorische Überlebensstrategien innerhalb einer von Rassismus und sozialer Ungleichheit durchdrungenen Realität lesbar. Einen kritischen und gleichsam hiphop-feministischen Standpunkt einnehmend, darf diese Erkenntnis jedoch nicht zur Verharmlosung oder gar Verklärung des innerhalb der Cultural Studies ohnehin (zu) positiv besetzten Forschungsgegenstands HipHop beziehungsweise Gangsta-Rap führen (vgl. dazu Seeliger/Dietrich 2017: 18). Denn die Überbetonung des Phallozentrismus mündet in die Maskierung männlicher Emotionen, die Abwehr von Homosexualität und wirkt sich insgesamt negativ auf die zwischengeschlechtlichen Beziehungen sowie die (rap-)männlichen Vorstellungen von (Schwarzer) Weiblichkeit aus (vgl. zum Beispiel hooks 1992; Rose 1994; Kitwana 2002; Pough 2007b u. v. a. m.). Zu den Verstehensdimensionen deutschsprachiger Rap-Männlichkeit gehört neben dem globalen Kontext ebenso der lokale Rahmen der deutschen Migrationsgesellschaft, innerhalb dessen die Rekontextualisierung der global zirkulierenden, hegemonialen Rap-Männlichkeitsnarrationen stattfindet. Dass dieser eine entstehungsgeschichtlich bedeutsame Rolle in der Genese des deutschen HipHop und des Subgenres Gangsta-Rap im Besonderen zukommt, darf als Konsens innerhalb der hiesigen HipHop-Forschung gelten (vgl. zum Beispiel Loh/Güngör 2002; Verlan/Loh 2006; Androutsopoulos 2010; Dietrich/Seeliger 2012; Saied 2012; Seeliger 2013; Dietrich 2015a, 2015b; Seeliger/Dietrich 2017 usw.). Jedoch kommt die Kategorie Geschlecht in der (männlich dominierten) HipHop-Geschichtsschreibung bislang zu kurz, so dass die Erzählung des deutschen Gangsta-Rap in dieser Arbeit um die ein oder andere weibliche Identifikationsfigur wie Melbeatz, Kitty Kat, Schwesta Ewa oder SXTN bereichert wird. Auch die männlichkeitstheoretische Bedeutung des Migrationskontextes für die rap-männliche Subjektkonstitution ist bislang nur stückweise erforscht. Die hegemoniale Männlichkeit des Gangsta-Rappers wird deshalb in dieser Arbeit ungleichheitssensibel und gleichsam kritisch zwischen kulturell-religiöser Prägung und Bewältigung diskutiert.

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Zwei weitere Verstehensdimensionen von Rap-Männlichkeit ergeben sich im Kontext feldspezifischer Prämissen um die Bedeutung von Authentizität und Herkunft, sowie die Rolle der Sprache im HipHop beziehungsweise Rap im Besonderen. Doing rap masculinity ist ohne Kenntnis der sogenannten authenticity debates des HipHop bedingt möglich. Im Zuge der Kommodifizierung Schwarzer Ästhetiken, Körper und Traditionen durch eine weiße Dominanzkultur war Authentizität lange an Blackness, das heißt Schwarze Rap-Sprecher_innen geknüpft. Weißsein galt als Synonym für Ausbeutung, Imitation und Fälschung. Der weiße Rapper Eminem schaffte es dennoch zu einigem Erfolg im Rap, was ihm unter anderem durch den wiederholten Bezug auf seinen class struggle gelang (White Trash). Authentizität – das zeigt das Beispiel Eminem, vor allem aber die vielen lokalen Übersetzungen – ist im globalen Rap weniger an eine sicht- oder verkörperbare Blackness, als vielmehr an eine rassismusanaloge, gemeinsam geteilte Erfahrung sozialer Marginalisierung gebunden. Rassismus bleibt dabei der symbolische Referenzrahmen, die Hood beziehungsweise Straße wird zum lokalen Identitäts- und Authentizitätsmarker. Aus entstehungsgeschichtlichen Gründen ist es im HipHop/Rap von »Vorteil« aus einem sozialen Brennpunkt zu stammen. Herkunft bedeutet – besonders im straßenassoziierten Gangsta-Rap – kulturelles Kapital, formuliert Dietrich (2015c) in einem Beitrag. Da in den ernsten Spielen des Rap jedoch nicht jeder über den feldspezifischen ›Trumpf‹ der marginalisierten Herkunft verfügt, gilt es diese (sprachlich oder körperlich) zu performen (performing marginality), zum Beispiel durch Rekurs auf Marginalität evozierende Topoi (abgebrochene Schulbildung), Sprechstile (Gangsta-Sprech) oder den Körper, der hier zum Authentizitätsgaranten avanciert (Gesichtstattoo o. ä.). Die Reflexionen über die feldspezifische Bedeutung von Herkunft im Rap werden schließlich mit soziologischen und kulturwissenschaftlichen Diskussionen um den Machtgewinn von Weiblichkeit im Kontext eines neoliberalen Wandels im Erwerbssystem zusammendacht. Mit Sabrina Setlur, Schwesta Ewa, SXTN, Ace Tee, Eunique, Loredana und Co hat deutschsprachiger Rap bis dato keine einzige erfolgreiche, weißdeutsche Rapperin hervorgebracht. Demnach steht die intersektionale Überlegung im Raum, ob nebst Geschlecht beziehungsweise Männlichkeit nicht auch (und vor allem?) (marginalisierte) Herkunft als Herrschaftskategorie im Rap sozial positionierend wirkt. Geht man nach dem Kommunikationswissenschaftler McLeod (1999) so verfügt Authentizität im HipHop/Rap zwar über eine geschlechtliche Semantik (›gender-sexual‹), diese ist jedoch keinem spezifischen Gen-

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der zugeschrieben, sondern unterteilt sich in den Verhaltensdualismus ›hard vs. soft‹. Härte wiederum, ebenso wie die Authentizität versprechende ›Straße‹ kann im HipHop/Rap nicht nur über Männlichkeit, sondern ebenso über Herkunft glaubhaft gemacht werden (being real =  being hood ≠ being male). Für weibliche Rap-Sprecherinnen wie zum Beispiel Schwesta Ewa oder SXTN, die über Erfahrungen von Prekarität und/oder Rassismus verfügen, entsteht hier ein Möglichkeitsraum, in dem Herkunft zum kulturellen Kapital wird. In den Machtspielen des Rap muss also womöglich weniger Männlichkeit, sondern vielmehr Marginalisierung affirmiert und performiert werden. Der weibliche Geschlechtskörper ist bei dieser Machtperformance zentral, da Rassismus- oder Marginalisierungserfahrungen über ihn glaubhaft gemacht werden können. Wie oben bereits angemerkt, behandelt ein weiteres Kapitel dieser Arbeit den Zusammenhang von Rap, Männlichkeit und Sprache, da letztere ein zentrales Vehikel im doing rap masculinity und letztlich der Aufrechterhaltung männlicher Hegemonie auf dem Feld darstellt. Viele Sprachpraktiken des Rap lassen sich auf afroamerikanische Kulturtraditionen wie zum Beispiel das sogenannte signifying zurückführen. Ironie, Umkodierung, Übertreibung oder auch talking shit erlaubten im Kontext der Sklaverei ein Sprechen abseits weißer Codes und können als emanzipatorische Sprechstrategien gelesen werden. Wenn deutschsprachige Rapper sich als ›Alphas‹ behaupten, alles ›ficken‹ was ihnen in die Quere kommt oder Frauen auf eine für Außenstehende geradezu groteske Art und Weise degradieren, so betreiben sie damit immer auch ein keepin it real to the genre und stellen sich in die Tradition global zirkulierender Rap-Männlichkeitsnarrationen. Rap’s populärster Sprechakt boasting, das heißt die Überhöhung des eigenen Ichs durch Prahlerei, konfligiert mit gesellschaftlichen Sprechverhaltensnormen wie dem Bescheidenheits-Topos, so der Literaturwissenschaftler Wolbring (2015: 390). Der sprachliche und kulturelle Tabubruch jedoch ist intendiert und wird mit Vorliebe über die Kategorie Sexualität realisiert (»Ich ficke deine Mutter« usw.). Aber auch antisemitische Aussagen und HitlerReferenzen bieten sich im lokalen Kontext Deutschland für den intendierten Tabubruch an (vgl. Littlejohn/Putnam 2010: 120). Grundsätzlich kann man festhalten, dass die Spezifika der Textsorte viele gesellschaftliche Missverständnisse gegenüber Rap-Sprecher_innen begründen. Raps kommen (unter anderem aufgrund des Betonungsprinzips) stets als Aussage- oder Behauptungssätze daher und weisen ihre Sprecher_innen grundsätzlich als autoritär, sicher und überzeugt aus. Ein entsprechender Körper kann den Erfolg die-

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ses genrekonstitutiven Anspruchs auf Autorität zusätzlich begünstigen. Auch der nicht minder beliebte Rap-Sprechakt dissing, also die Beleidigung eines Gegenübers ist »sui generis (anti-)sozial« (ebd.: 393). Und auch wenn die im Diskursuniversum Rap allerorten zirkulierenden ›Fotzen‹ und ›Schlampen‹ einen anderen Eindruck vermitteln mögen, so zielt der Sprechakt innerhalb der homosozialen Männerszene Rap doch in den meisten Fällen auf ein anderes, männliches Gegenüber, denn »[m]asculinity is largely a ›homosocial‹ experience: performed for, and judged by, other men« (Kimmel 2008: 47). In der deutschsprachigen Rap-Szene hat sich demnach ein nicht minder differenziertes Vokabular zur Konstruktion untergeordneter Männlichkeiten ausgebildet. Neben etablierten Exklusionslinien wie (Hetero-)Sexualität, Körper oder ability greifen hier auch die Kategorien race und class, befördert der hier als hegemonial vorgeschlagene, sogenannte ›Gangsta-Sprech‹ doch neben dem ebenfalls weißdeutsch codierten ›Studenten‹- oder ›RöhrenjeansRapper‹ doch allerlei ›Almans‹ (türk. =  Deutscher), sowie Hans, Ottos und Martins als Pejorativa hervor. Die Subjektkonstitution in der sich rapide kommerzialisierenden RapSzene wird in dieser Arbeit ferner im Kontext des Neoliberalismus diskutiert, womit Rap-Männlichkeit einmal mehr an die aktuellen Debatten der Männlichkeitsforschung angebunden wird. Rapmusik (und GangstaRap im Besonderen) ist innerhalb der letzten Jahre auch in Deutschland zu einem Millionengeschäft, Rapper_in-werden-wollen zu einer ernstzunehmenden Berufsperspektive avanciert. Im Zuge dieser Ökonomisierung haben sich auch die Relevanzen innerhalb der Rap-Szene verändert. Zwar ist HipHop/Rap seit jeher »eine Kultur des Machens und Produzierens« (Klein/Friedrich 2003a: 38), der einstige idealistische Unterbau ist inzwischen jedoch einer weitestgehend ökonomischen Motivation gewichen, was eng mit dem Siegeszug des offen kapitalistisch orientierten Gangsta-Rap zusammenhängt. Auch die rapide Kommerzialisierung hat dabei ihre semantischen Spuren in der HipHop-Authentizitätsmatrix hinterlassen: Längst ist der Schulterschluss mit der – vor allem im US-Kontext weiß codierten – Musikindustrie vollzogen, ist kommerzieller Erfolg zum neuen Gradmesser einer veritablen Szeneexistenz avanciert (und eben nicht mehr ›fake‹). Ein Rundumblick in die Diskurswelten des hegemonialen Gangsta-Rap-Subgenres bestätigt die Beobachtungen einiger HipHop-Forschender wie Seeliger (2013) oder Bendel/Röper (2017) schnell: Paradoxerweise avancieren die marginalisierten Männlichkeiten des Rap zu den Fahnenträgern ebenjenes ungerechten Systems, das deren Marginalisierung letzt-

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lich begründet und so wird durch den unbändigen Glauben an Leistungsgerechtigkeit eine neoliberale hegemoniale Männlichkeit affirmiert. Der Gangsta-Rapper verkörpert demnach eine lokale Variante dessen, was die Männlichkeitsforschung im Kontext der globalen neoliberalen und vergeschlechtlichten Agenda als transnational business masculinity diskutiert (vgl. Connell 2005: 76). Die neoliberale rap businnes masculinity scheint sich ferner gar zur einzig lebbaren Subjektkultur zu entwickeln, ist der zugehörige, männlich codierte Wertekanon um Individualismus, Wettbewerb, Ausgrenzung und Entsolidarisierung doch auch abseits des Gangsta-Subgenres und ebenso bei weiblichen Rap-Sprecherinnen nachweisbar. Ein close reading, das Männlichkeit im Kapitalismus auch zwischen »Verfügbarkeit und Verletzlichkeit« denkt (Böhnisch 2013: 33), befördert jedoch auch alternative Rap-Männlichkeitskonstruktionen hervor, etwa solche, die Kritik an der Reproduktion der kapitalistischen Verwertungslogik und zugehörigen Subjektkultur durch Gangsta-Rapper üben. Das zentrale Erkenntnisinteresse der Dissertation kulminiert nun in der Fragestellung, inwiefern sich von einer Rap-Szene im Wandel sprechen lässt, in welchem Verhältnis dieser Wandel mit Männlichkeitskonstruktionen steht und ob wir uns von dem liebgewordenen Konstrukt einer männlichen Hegemonie im Rap verabschieden müssen. Dazu lässt sich folgendes sagen: In einem Sammelband diagnostiziert Dietrich mit Blick auf Rap bereits im Jahr 2016 eine ›(Sub-)Kultur im Wandel‹. Vor allem die Digitalisierung und der Siegeszug des Internets verändern die »Produktions-, Vermarktungs- und Rezeptionspraktiken« der Szene dramatisch, wie Dietrich (2016: 15) dort richtigerweise feststellt. Dass diese ›Triebkräfte des Wandels‹ auch Spuren in den Konstruktionsmodi von Geschlecht hinterlassen, diskutieren die Beiträge von Obst (2016) und Szillus (2016) im selben Band, wobei sich der Blick hier in erster Linie auf die US-amerikanische Szene richtet (zum Beispiel auf den Rapper Drake). In dieser Arbeit wird nun dafür plädiert, auch den Faktor Geschlecht zu den Triebkräften dieses Wandels zu rechnen. ›Vergeschlechtlichung‹ kann in Anlehnung an Degele/Dries (2005) in den Stand eines eigenständigen Modernisierungsfaktors erhoben werden, der in Wechselwirkung mit anderen Faktoren wie der Digitalisierung, Globalisierung oder Kommerzialisierung auf die Rap-Szene einwirkt. Wenn die Soziolog_innen von einer ›ambivaloxen Dialektik‹ von Modernisierung sprechen, insofern Modernisierungsprozesse stets multidimensional, ambivalent und paradox gedacht werden sollten, so ist dies anschlussfähig an die aktuellen Debatten der Männlichkeitsforschung, die Ambivalenz und Wider-

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sprüchlichkeit ebenso zum zentralen Kriterium ihres Forschungsobjekts erhebt (vgl. zum Beispiel Erhart 2016). Ein recht aktuelles Diskursphänomen innerhalb der Männlichkeitsforschung ist die Debatte um eine sogenannte Krise der Männlichkeit. Sie wird auf unterschiedlichen Diskursebenen geführt (Medien, Literatur, Wissenschaft …) und gründet – grob überschlagen – auf der Annahme, dass wir es derzeit mit einer Krise der Geschlechterordnung und einer Erschütterung fragloser Gegebenheiten im Hinblick auf Geschlecht und Männlichkeit zu tun haben. Zu den ›Auslösern‹ dieser Erschütterungen und Neukonfigurierungen werden die Frauenfreiheitsbewegung/der Feminismus ebenso gerechnet wie der sukzessive Wandel im Erwerbssystem. Die Diskussionen um eine mögliche Krise von Männlichkeit (die Passfähigkeit des Krisenbegriffs ist einer von vielen Diskurssträngen dieses recht konfliktuösen Diskurses) führen letztlich ins Zentrum der Theoriedebatte der Männlichkeitsforschung zurück, gilt es Connells Konzept einer hegemonialen Männlichkeit doch kritisch auf diese neuen Entwicklungen hin zu befragen. Die Soziolog_innen Meuser und Scholz sprechen statt einer Krise von einem Strukturwandel hegemonialer Männlichkeit. Männlichkeit verändere sich derzeit insofern, als dass Frauen und homosexuelle Männer heute vermehrt Zugang zu Machtpositionen hätten und Konstruktionen hegemonialer Männlichkeit dadurch mitprägten. Ferner habe Männlichkeit ihren unmarkierten Status verloren und sei als Geschlechtskategorie sichtbar und reflexiv geworden. Und schließlich erführe sie unter Globalisierungsbedingungen eine neue Rahmung, so dass Männlichkeit heute nicht mehr in einem nationalstaatlichen Rahmen gefasst werden könne (vgl. Meuser/Scholz 2011). Diesen soziologischen Prämissen wird in der vorliegenden Arbeit ethnologisch am Beispiel der deutschsprachigen Rap-Szene nachgespürt. Auch dazu wurde der nationalstaatliche Rahmen zunächst überschritten, denn um Transformationen im deutschen Rap nachzuzeichnen, ist ein Blick in die Diskurswelten der US-amerikanischen Rap-Szene unerlässlich: Alternative Rap-Männlichkeiten wie Lil B. oder Drake, das öffentlichkeitswirksame ›Outing‹ des US-Rappers und R&B Sängers Frank Ocean oder das prominente Bekenntnis zum Feminismus durch den rap-assoziierten Superstar Beyoncé hinterlassen ihre Spuren in der hiesigen Szene, die sich seit jeher an den Gallionsfiguren der noch immer hegemonialen ›Mutterkultur‹ orientiert. Aber auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und Ereignisse wie die sukzessive Liberalisierung gegenüber nicht-binären Genderidentitäten

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oder die #MeToo-Debatte spiegeln sich in der deutschsprachigen Rap-Szene wider – einer Szene wohlgemerkt, deren Diskurse immer öfter durch eine jüngere Rap-Generation bestimmt werden, für die das Aufwachsen mit einer weiblichen Bundeskanzlerin ebenso ›normal‹ ist, wie weibliche Rapperinnen auf den Spitzenplätzen der Charts oder Chefredaktionen. Mit dem neuen reflexiven Geschlechterdiskurs im Rap, dem enormen Zuwachs an Frauen und der Normalisierung und Sichtbarkeit gegenüber non-binären Geschlechteridentitäten sind bereits einige wichtige Aspekte des Transformationsprozesses im Geschlechtergefüge des Rap benannt. Das Feld öffnet sich jedoch nicht nur für Frauen und queere Personen, auch die Pluralisierung und Diversifizierung von Rap-Männlichkeit, die sich wechselseitig mit anderen Trends wie der Ästhetisierung und Differenzierung der Szene ergibt, lässt sich unter einen Szenewandel subsumieren. Zwar kann der Gangsta-Rapper auch heute noch als feldspezifische Repräsentation hegemonialer Männlichkeit im Rap gelten, jedoch koexistieren mit männlichen Genrefiguren wie dem Hipster-Rapper, dem Emo-Rapper oder den Repräsentanten des Cloud-Rap bereits seit einiger Zeit sehr unterschiedliche Entwürfe von Männlichkeit im Rap. Während sich die einen (wie zum Beispiel die Pop- und Schmuse-Rapper Bausa oder Cro) in der Affirmation des gangsta-rap-typischen, neoliberalen Relevanzsystems ergehen und toxische Männlichkeitskulte damit reproduzieren, führen andere die hegemonialen Ästhetiken und Sprechweisen der Gangsta-Männlichkeit mit viel Ironie ad absurdum (zum Beispiel Cloud-Rapper LGoony). Und obgleich Deutschrap bis dato mit keinem ähnlich prominenten ›Outing‹ analog zu US-Rapper Frank Ocean aufwarten kann, so hat das Homosexualitätstabu des Rap doch selten eine derart selbstbewusste Parodie erfahren wie durch den selbsternannten ›Trapgaylord‹ Juicy Gay. Bei einem genaueren Blick zeigt sich ferner, dass auch das Gangsta-Männlichkeitsmodell ambivalenter ist als gemeinhin angenommen. Mit der Inkludierung feminin codierter Praktiken wie Gesang oder Tanz und der Verhandlung von (mitunter aktiver) Vaterschaft ist auch hier jüngst eine Diversifizierung zu beobachten. Die Reflexiv-Werdung und Diskursivierung von Männlichkeit wird in der Männlichkeitssoziologie als Anzeichen einer Demaskierung von Männlichkeit entlarvt. Das Sprechen und Schreiben (und eben auch Rappen) über Männlichkeit verweist demnach auf eine Krise ihrer hegemonialen Deutungsmuster und einen Wandel der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Geschlechterverhältnisse, innerhalb deren der Mann zusehends in die »(diskursive) Defensive« gelangt (Meuser 2016: 231). Ein im Jahr 2016 erschiene-

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ner sogenannter ›Allstar-Track‹ (ein Track, an dem mehrere Rapper beteiligt sind) bildet deshalb das empirische Zentrum dieser Arbeit: Der Song ›Wie ein Mann‹ von Rapper Pedaz, der den vielsagenden Zusatz ›Prachtkerle Remix‹ trägt und auf dem sich insgesamt neun Rapper über ein Thema ergehen, dass ›normalerweise‹ keiner Thematisierung bedarf, da Männlichkeit – gerade im Rap  – eigentlich eine fraglose Gegebenheit ist, die nicht ›zur Sprache gebracht‹ werden muss. Durch die männlichkeitstheoretische Analyse des ›Prachtkerle-Remix‹ konnten nicht nur viele zuvor formulierte Annahmen über den Konstruktionsmodus von Rap-Männlichkeit bestätigt werden (diskursiv, performativ, intersektional, postkolonial, glokal usw.), auch zahlreiche Gegenwartsdiagnosen der Männlichkeitsforschung fanden sich im empirischen Material wieder. So zum Beispiel die Pluralisierung und Widersprüchlichkeit von Männlichkeit, die Bedeutung der homosozialen Männergemeinschaft oder die Verstrickungen des Mannes in wirkmächtige Genderskripte und kapitalistische Zwänge. Mit rap-männlichen Perspektiven auf Weiblichkeit, die sich zwischen Sexualisierung, Care- und Reproduktionsarbeit bewegen, der Essentialisierung von Männlichkeit und einer grundlegenden Biologisierung des Geschlechtsunterschieds, bestätigen die ›Prachtkerle‹ jene Theorien, die HipHop/Rap als »eine traditionelle Geschlechterstrukturen konservierende Praxis« betrachten (Klein/Friedrich 2003a: 207). Gleichzeitig wird deutlich, was Meuser (2001b) in Men’s Health beobachtet und Goßmann/Seeliger (2015) am Beispiel der Gangsta-Rapperin Schwesta Ewa herausarbeiten: Ohne eine gehörige Portion Ironie, Humor und Überzeichnung sind derart traditionelle Männlichkeitsmodelle auch im Rap kaum noch einsetzbar (Stichwort ›Prachtkerle‹). Wirkmächtige Männlichkeitsstereotype werden dabei zwar als solche kenntlich gemacht, jedoch humoristisch verhandelt und damit letztlich reproduziert (vgl. Rapper MoTrip: »Na klar hab’ ich Lust wie ein Mann« usw.). Meuser (2001b: 233) spricht in diesem Zusammenhang von ›aufgeklärten hegemonialen Männlichkeiten‹. Während die Diskursivierung von (Rap-)Männlichkeit und der ›Prachtkerle-Remix‹ auf Brüche und Fragilitäten der Geschlechterordnung verweisen, die hoffen lassen, fördert eine geschlechter- und männlichkeitssensible Beobachtung der Rap-Szene jedoch ebenso Trends zutage, die diese positiven Entwicklungen konterkarieren. Auch im deutschsprachigen Rap bildet sich die ambivaloxe Dialektik von Männlichkeit und Modernisierung anschaulich ab. Denn obgleich sich die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern auf dem Feld des Rap langsam zu durchkreuzen beginnen, so ist die Persistenz des tough guy und einiger zentraler Strukturmerkmale, die männliche

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Hegemonie im Rap bis heute aufrechterhalten helfen, letztlich nicht von der Hand zu weisen. Kaum sind Deutschlands Rap-Männer in ihrer Geschlechtlichkeit markiert und in den ›ernsten Spielen des Rap‹ von diskursmächtigen Mitstreiterinnen wie dem weiblichen Rap-Duo SXTN umgeben, zeigen sie Zähne und greifen auf die »old tools of domination« zurück, wie HipHopForscher Brown (2006: 208) über Schwarze Rap-Männlichkeiten schreibt. Dass Deutschlands Gangsta-Rapper mit weiblichem Empowerment nur schwerlich umzugehen vermögen, haben Goßmann/Seeliger (2015) bereits am Beispiel der Gangsta-Rapperin Schwesta Ewa zeigen können. Tatsächlich sind es vor allem Vertreter des besonders männlich und größtenteils migrantisch dominerten Gangsta-Subgenres die auf hiphop-feministische Ansagen à la »Jetzt sind die Fotzen wieder da!« (SXTN) mit aggressiven, antifeministischen Statements und maskulinistischen Gegenentwürfen reagieren. Aber auch die Diversifizierung der Gangsta-Männlichkeit, die in dieser Arbeit am Beispiel des melodiösen Rapstils ›Afro-Trap‹ skizziert wird, kommt nur auf den ersten Blick inklusiv daher. Tatsächlich trägt das stilprägende Kollabo-Album von Raf Camora und Bonez MC (187 Strassenbande) Palmen aus Plastik den sprichwörtlichen Wolf im Schafspelz bereits im Titel. Denn so tanzbar und gut gelaunt millionenfach geklickte Smash-Hits wie ›Ohne mein Team‹ daherkommen und so harmlos und beinahe infantil die visuelle Inszenierung um schwimmende Plastiklandschaften und Partyspaß auch anmutet: Die neue Melodiösität ist ein perfides Vehikel, verklärt sie doch die auf der Inhaltsebene geradezu eklatante Misogynie und die ironisch gänzlich ungebrochenen, archaischen Männlichkeitsinszenierungen der neureichen Rapper. Und so startete die homosoziale Männergang um Raf Camora und die Hamburger 187 Strassenbande im Spätsommer 2016 vor allem einen Trend, nämlich ein gigantisches männliches Resouveränisierungsprojekt, das Männlichkeit auf allen erdenklichen Ebenen wieder als Dominanzstruktur einzusetzen angetreten ist. Ein Projekt übrigens, dass seinen enormen Erfolg auch einer noch immer wenig gereiften, kritischen Dialogkultur im Rap verdankt: Die weitestgehend männlich homosozial (und mehrheitlich weißdeutsch) strukturierte Sphäre des Rap-Journalismus legte bezüglich der genannten Rapper jedenfalls ein Verhalten an den Tag, das man im Anschluss an Connell mit Recht als komplizenhaft bezeichnen darf. Die nach wie vor bestehende strukturelle Schieflage im Macht- und Geschlechterverhältnis der deutschsprachigen Rap-Szene materialisiert sich ferner in nicht wenigen Berichten über sexistische Kommentare, body shaming bis hin zu sexuellen Übergriffen, wie sie von mehreren Rap-Journalistinnen

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und Aktivistinnen innerhalb der letzten Jahre öffentlich gemacht wurden. Einmal mehr wird die männliche Homosozialität der Szene dabei als zentraler Hemmschuh hinsichtlich einer grundlegenden Veränderung der Machtverhältnisse erkennbar. Tatsächlich hat die internationale Männlichkeitsforschung homosoziale Männergemeinschaften längst als entscheidende Stütze männlicher Hegemonie entlarvt (vgl. Martschukat/Stieglitz 2008: 34). Insofern der Rückzug in den sicherheitsstiftenden Männerbund mit Vorliebe in Zeiten allgemeiner Verunsicherung angetreten wird (vgl. Meuser 1998: 281ff.), verwundert es wenig, wenn sich auch in der aktuellen Rap-Szene derzeit ein neuer alter Hang zur männlichen Homosozialität beobachten lässt: Derart viele Banden, Boys und Gangs – die jene Bezeichnungen auch im Titel tragen – hat deutschsprachiger Rap selten hervorgebracht. Die neue männliche Gruppenbildung um die 102 Boyz, Glo Up Dinero Gang, KMN Gang und dergleichen wird von einer auffälligen Anzahl an Männerbundhymnen flankiert, die dem ein oder anderen Rap-Künstler in letzter Zeit gar ihren mitunter größten Hit bescherten (zum Beispiel ›Ohne mein Team‹ von Raf Camora & Bonez MC, ›Bros‹ von Rin oder auch ›Für die Gang‹ von Ufo361 feat. Gzuz). Die vitalistischen Männlichkeitsmodelle des Kriegers und Boxers, die im deutschsprachigen Rap derzeit merklich im Aufwind begriffen sind, komplettieren das vielsagende Stimmungsbild, das die gegenwärtige deutschsprachige Rap-Szene aktuell abgibt: Hegemonie ist auch im Rap »eine historisch bewegliche Relation« und die »Bedingungen für die Verteidigung des Patriarchats« (Connell 2015: 131) haben sich aktuell verändert, was die vielen skizzierten Entwicklungen und Transformationsprozesse der Szene anzeigen. Die durch den Gangsta-Rapper verkörperte hegemoniale Männlichkeit wird derzeit durch allerlei ›neue‹ Gruppen, allen voran Frauen, queere Personen und alternative Männlichkeiten herausgefordert. Sie prägen Konstruktionen hegemonialer Männlichkeit im Rap zunehmend mit, etwa in dem sie reflexive Diskurse über Macht und hegemoniale Männlichkeit im Rap anregen oder sich kritisch und ironisch mit der Gangsta-Männlichkeit auseinandersetzen. Diese Aushandlungsprozesse wiederum sind eng an die Kategorie Alter und Generation geknüpft. Einen Wandel und eine Fragilität männlicher Hegemonie im Rap darf man insofern mit Recht attestieren. Inwiefern sich dabei von strukturellen Veränderungen sprechen lässt, kann man diskutieren. Ein Großteil rap-kultureller Praxen ist nach wie vor männlich codiert und agonal strukturiert. Rap’s hegemoniale Sprachhandlungen zielen auf Autorität, Dominanz und Unterordnung, seine Körperperformances transportieren Arroganz, Cool-

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ness, Härte und Nihilismus. ›Ficken oder gefickt werden‹ ist die Devise. Ein Sammelsurium an Werten und Verhaltensweisen, das sich nur allzu gut in jene neoliberale Subjektivierungsform einfügt, wie sie im Kontext der Ökonomisierung und Finanzialisierung des Sozialen als die einzig lebbare diskutiert wird (vgl. Sauer 2011). Inwiefern männlich codierte Praktiken wie Aggression, Risikobereitschaft, Wettbewerb und Ausgrenzung jedoch zu einer nachhaltigen Veränderung oder gar Überwindung jener ungleichheitsgenerierenden Verhältnisse beitragen können, wie sie der Neoliberalismus (re)produziert, ist fraglich. Abschließend sollen einige wenige Aspekte benannt werden, die diese Studie aller Umfänglichkeit zum Trotz nicht oder kaum beleuchten konnte. Wünschenswert und mit Blick auf HipHop- und Geschlechtertheoriebildung gleichermaßen ertragreich, wäre etwa ein konsequentes Weiterdenken intersektionaler Ansätze. Kategorien wie Alter/Generation, Region oder auch feldspezifische, künstlerische Kategorien wie style/skills könnten dabei auf ihre Bedeutung und Gewichtung hinsichtlich szenekonstituierender Diskurse (Authentizität) und sozialer Positionierungen zu befragen. Ferner scheinen Männlichkeit, Alter und (marginalisierte) Herkunft im Rap ebenso eigenlogisch ineinanderzugreifen wie Weiblichkeit, Körper und (marginalisierte) Herkunft. Noch immer ist Rap-Männlichkeit zu wenig mit Sexualität und Körper zusammengedacht worden. Eine Berücksichtigung der Kategorie (dis)ability fehlt im deutschen HipHop Studies-Diskurs bislang gänzlich. Was auch in dieser Arbeit nicht ausreichend spezifiziert wurde, sind zudem Differenzierungen von Männlichkeiten nach Region (zum Beispiel Ostdeutschland) und auch race, da der Fokus auf den Migrationskontext eine angemessene analytische Berücksichtigung Schwarzer Männlichkeiten bislang verhindert. Analysen des doing rap masculinity könnten schließlich wichtige Erkenntnisse zu der noch jungen Forschung über Männlichkeiten und Sorge beitragen. Insofern doing rap fatherhood seinerseits nur intersektional denkbar ist (vgl. Bushidos doing gangsta papa), wäre hier die Schnittstelle von Väter-, Migrations- und Rassismusforschung in den Blick zu nehmen. Was die Empirie betrifft, so könnte der Einbezug der auch im Rap stark frequentierten Sozialen Medien weitere Forschungsarbeiten bereichern. HipHop don’t stop – lautet ein altes und vielzitiertes Szene-Mantra, das derzeit so aktuell wie nie erscheint. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass deutschsprachige Rapmusik auch in Zukunft noch weiter an ökonomischer und gesamtgesellschaftlicher Relevanz gewinnt und dass sich die verschie-

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denen parallel verlaufenden Modernisierungs- und Transformationsprozesse dabei in immer kürzeren Abständen in den Relevanzstrukturen der Szene und den Konstruktionsmodi von Geschlecht materialisieren. Dies weiterhin kritisch und vorurteilsbewusst zu beobachten, obliegt nachfolgenden Forscher_innengenerationen, denen ein intersektionaler, ebenso wie ein offen transdisziplinärer Zugang zum Thema dabei ausdrücklich nahegelegt sei.

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Abbildungen

Abbildung 1: https://rap.de/allgemein/71177-haftbefehl-unszensiert-mixtape-erschienen/, 12.12.2020 Abbildung 2: https://www.youtube.com/watch?v=Y9gE3T-yKrY, 12.12.2020 Abbildung 3: McLeod, Kembrew (1999), »Authenticity Within Hip-Hop and other Cultures Threatened with Assimilation«, in: Journal of Communication, 49, S. 139. Abbildung 4: https://www.youtube.com/watch?v=BZjykMGbWFk, 12.12.2020 Abbildung 5: Dietrich, Marc (2015b), Rapresent what? Zur Inszenierung von Authentizität, Ethnizität und sozialer Differenz im amerikanischen Rap-Video, Teilband II von II, Bochum: 304f. https://rap.de/allgemein/71177-haftbefehl-unszensiert-mixtape-erschienen/, 12.12.2020 https://rap.de/allgemein/53055-harris-kuendigt-neues-album/, 12.12.2020 Abbildung 6: https://www.youtube.com/watch?v=I2su-1t1wZA, 12.12.2020 Abbildung 7: https://www.youtube.com/watch?v=2oWSun45wLM Abbildung 8: links: https://www.youtube.com/watch?v=U9BwWKXjVaI, 12.12.2020 Mitte: https://www.youtube.com/watch?v=2CGv2Ud-KoE%2C, 12.12.2020 rechts: https://www.youtube.com/watch?v=7_tWN9Iei7Y, 12.12.2020 Abbildung 9: links: https://www.youtube.com/watch?v=uxpDa-c-4Mc, 12.12.2020 rechts: https://www.youtube.com/watch?v=Qk4jlrIX_2s, 12.12.2020

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Abbildung 10: links: https://www.youtube.com/watch?v=zi1D0MKWHU0, 12.12.2020 Mitte: https://www.youtube.com/watch?v=2CGv2Ud-KoE%2C, 12.12.2020 rechts: https://www.youtube.com/watch?v=hLWGlq_2qbk, 12.12.2020 Abbildung 11: links: https://www.youtube.com/watch?v=tWkJIP4lfq0, 12.12.2020 rechts: https://www.youtube.com/watch?v=fm_GOCZGrMQ, 12.12.2020 Abbildung 12: https://www.youtube.com/watch?v=1RAfrT5xG6M, 12.12.2020 Abbildung 13: https://www.youtube.com/watch?v=1RAfrT5xG6M, 12.12.2020 Abbildung 14: links: https://www.youtube.com/watch?v=aKf5jqfoxIE, 12.12.2020 rechts: https://www.youtube.com/watch?v=xWtNq7G0K-U, 12.12.2020 Abbildung 15: https://www.youtube.com/watch?v=qYRCiQ6d35w, 12.12.2020 Abbildung 16: links: https://www.youtube.com/watch?v=qYRCiQ6d35w, 12.12.2020 Mitte: https://www.youtube.com/watch?v=7_tWN9Iei7Y, 12.12.2020 rechts: https://www.youtube.com/watch?v=GuYGui5eM9s, 12.12.2020 Abbildung 17: https://www.facebook.com/105413756192758/photos/a.139799079 420892/668240366576758/?type=3%2C, 12.12.2020 https://www.facebook.com/BeroBassOffiziell/photos/a.10152022168 974305/10152644497509305/?type=%203, 12.12.2020 https://www.facebook.com/RLFighthouse/photos/a.7167553716918 72/716758811691528/?type=%203, 12.12.2020 https://www.youtube.com/watch?v=9IQWr_qA7o4&feature=emb_ title, 12.12.2020 https://www.youtube.com/watch?v=1O3bnoLle4k, 12.12.2020 https://www.youtube.com/watch?v=rFtlEhVV0os, 12.12.2020 https://www.youtube.com/watch?v=IxTOu_TPKAI, 12.12.2020 https://www.youtube.com/watch?v=sxNo-Ntz-Jk, 12.12.2020 Abbildung 18: https://www.youtube.com/watch?v=lWYDtLDkD6U, 12.12.2020

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Abbildung 19: https://www.youtube.com/watch?v=lWYDtLDkD6U, 12.12.2020 Abbildung 20: https://www.youtube.com/watch?v=lWYDtLDkD6U, 12.12.2020 Abbildung 21: https://www.youtube.com/watch?v=lWYDtLDkD6U, 12.12.2020 Abbildung 22: https://www.youtube.com/watch?v=lWYDtLDkD6U, 12.12.2020 Abbildung 23: links: https://en.wikipedia.org/wiki/The_Dynasty:_Roc_La_ Familia#/media/File:Jay-z-dynasty-roc-la-familia-2000.jpg, 12.12.2020 Mitte und rechts: https://www.youtube.com/watch?v= lWYDtLDkD6U%2C, 12.12.2020 Abbildung 24: links: https://www.youtube.com/watch?v=Oz_-VaTHpc8&list=P LJXJgQQdPBNLA9U5a3YJiwmN6iEBBK77O&index=16&t=0s, 12.12.2020 Mitte: https://www.youtube.com/watch?v=FlR9DNfqGD4, 12.12.2020 rechts: https://www.youtube.com/watch?v=lWYDtLDkD6U, 12.12.2020 Abbildung 25: https://www.youtube.com/watch?v=lWYDtLDkD6U, 12.12.2020 Abbildung 26: https://www.youtube.com/watch?v=lWYDtLDkD6U, 12.12.2020

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Anhang

Der Prachtkerle Remix ›Wie ein Mann‹ Interpreten: Pedaz feat. MoTrip, Silla, JokA, Raf Camora, Sinan G., Joshi Mizu, Blut&Kasse, Sido Erscheinungsjahr: 2016 Album: Schwermetall Produziert von: Miksu & Stereoids Musikvideo: https://www.youtube.com/watch?v=lWYDtLDkD6U (07.01.2021)

MoTrip Ah! Ich bau’ ein Haus mit einem Hammer wie ein Mann, bring’ ein Album raus und nenn’ es einfach ›Mama‹ wie ein Mann. Wir müssen die Teller und manchmal auch Glaser füll’n, doch ohne drauf kleben zu bleiben wie Tesafilm, ein waschechter Mann muss zu jeglicher Zeit die Klischees erfüll’n. Ein Haar auf der Brust wie ein Mann, na klar hab’ ich Lust wie ein Mann. Du rufst mich an, um Geburtstag zu feiern, doch ich hab’ den Tag nicht gewusst wie ein Mann. Das Bad nicht geputzt wie ein Mann. Den Bart nicht gestutzt wie ein Mann. Wochenlang tour’n, lebe nur aus meinem Koffer und schlafe im Bus wie ein Mann. Ich plane mit Plus wie ein Mann. Hab’ Dope für dieses Land. Wurd’ zum Dealer, dabei war ich nie ein Drogenlieferant. Komm in meine Hood, stell mich auf die Probe wie ein Mann. Auch unter Druck mach’ ich Kohle, Diamant.

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Eine Szene im Wandel?

Silla Ich kämpfe jetzt, glänze später, wie ein Riesendiamant. Hände weg, im Endeffekt ging ich durch Krisen wie ein Mann. Jeder Tag ist wie ein Kampf, den man verwundet übersteht. Nach außen zeigt man kein’ Schmerz, mein Herz mit Wunden übersät. Mit dem Kopf durch die Wand, Killa, Zinedine Zidane. Keine Glock in der Hand, ich hab’ zwei Fäuste wie ein Mann. Halb Mensch, halb Maschine. Verfolg’ meine Ziele. Hab’ für diese ganzen Schlampen keine Liebe wie ein Mann. Lieber lachend und zu Fuß, als weinend in ’nem Benz. Ah, Reime so potent, ah, keine Konkurrenz. Die meisten von uns hier sind auf Scheitern programmiert, weil sie mit Dingen nicht beginnen aus der Angst was zu verlier’n, ah.

JokA Diggah gib mir mal das Mikro, es gibt bisschen was zu beichten, es war viel los. Doch eigentlich: Wem muss ich was beweisen? Ich bin Pilot! Höhenflug. Zwei Meter Größenwahn auf hundert Kilo. Und das Geld, das alles möglich macht, wird unser Friedhof. Ich hab’s geseh’n, trag’ die Narben wie ein Mann. War bis nachts auf der Straße, doch ertrag’ es wie ein Mann, der aus’m Stegreif krumme Dinger wieder g’radebiegen kann, ohne in ’ne schiefe Lage zu gelang’, wie ein Mann. Ich war geduldig und hab’ jahrelang gewartet wie ein Mann. Auch aus ’nem Sandkorn wird irgendwann ein schwarzer Diamant. Die Welt dreht sich und die Jahre zieh’n ins Land. Nur wer gut blufft, zeigt, dass er seine Karten spielen kann, wie ein Mann.

Raf Camora Ah! Sie sind biologisch maskulin, aber nicht mit mir verwandt, irgendwie logisch, sie sind Fotzen wie kein Mann. Ich fühle mich verlor’n auf Instagram, mach die App auf, wisch’ den Dreck aus meiner Netzhaut mit dem Kärcher wie ein Mann. Zurück zum Thema. Hol’ DVDs ab wie ein Mann. Geb’ viel zu spät ab wie ein Mann. Zahl’ die Mahnung wie ein Mann, irgendwann. Ich könnte singen auf dem Beat, doch ich bleib’ simpel. Trag’ oft wochenlang dieselbe gottverdammte Diesel wie ein Mann.

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Dein Bodyguard, er war nie ein Mann. Der schwarze Rabe, er war nie ein Schwarm. Fahre mit zweihundert, tippe dabei meinen Part mit einer Hand. Adam hat sich einen Garten gebaut. Eva hat sich für ’nen Apfel verkauft. R A war da als der Beat entstand. Schwermetall getan, wie ein Mann.

Sinan-G Ich geh’ scheißen mit dem Smartphone in der Hand, wie ein Mann. An meine Haare lass’ ich keine Frauen ran wie ein Mann. Finger weg! Sinan-G, vom Haschticker zum Knastkicker. Wie ein Mann kauf ’ ich meine Brechstange beim Praktiker. Spastiker! Was für Knast? Sieh zu, dass du dein’ Spaß hast. Ich bin dieser Sinan und nicht der Bruder von Savas. Doch Brüder im Geiste. Ich muss wieder in den Knast und sitze bis zum Hals in der Scheiße. Sag mir, warum biten deutsche Rapper wieder Frankreich? In meiner Welt ist Mustafa arm, aber Frank reich! Wie ein Mann hat sich Sinan in die Szene eingebrannt. 16 Jahre jung, sag mir, wer ist in die Bank reingerannt?

Joshi Mizu Auch wenn ich stundenlang nur Depris schieb’. Lös’ ich eines nach dem ander’n wie ein Mann, ich hab ’n Multitasking-Defizit. Und habe ich Schulden bei der Bank, spucke ich in die Hand und acker’ dann bis ich Plus mach’ wie ein Mann. Park’ das Auto immer rückwärts, bau’ das Outdoor immer rückwärts in dein’ Blatt/Blunt (?), mach paar Züge, Augen rot, so wie ein Blood. Lebe im Traum, bleibe am Boden und ich kämpf ’, bis ich nicht kann. Gebe nicht auf, Kopf durch die Wand, weil ich denke wie ein Mann. Halt’ das Lenkrad mit ’ner Hand, bin am Handy, pass’ ’nen Blunt. Mache paar Geschäfte klar bei 160 km/h. Ich brauch’ Schubkraft und dreh’ ab. Geb’ ein Schuss ab wie ein Junk. Und sind die Zeiten einmal schlecht, geh’ ich auch Bus fahren wie ein Mann.

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Eine Szene im Wandel?

Blut & Kasse Ah! Yao, gib ihn’! Ich bin ehrlich wie ein Mann. Wie ein Mann macht der Alltag mich fertig, doch ich wehr’ mich, tu’ als wär’ nix, wie ein Mann. Sag’ ›Ich merk’ nix!‹ wie ein Mann, lass’ den Schmerz nicht an mich ran. Ich könnte jammern wie ein Mädchen, doch beherrsch’ mich wie ein Mann. Wie ein Mann, werd’ ich irgendwann beerdigt wie ein Mann. Bevor ich lebe wie ’ne Fotze geh’ und sterb’ ich wie ein Mann. Wie ein Mann. Probleme k-k-klär’ ich wie ein Mann. Und muss es sein dann fick’ ich Feinde wie ein Pferd, nicht wie ein Mann, Und wenn ich feier’ wie ein Mann, dann bis ich reiher’ wie ein Mann. Am nächsten Tag, dicker Kopf und dicke Eier wie ein Mann. Sag’ meiner Frau, dass ich sie lieb’ und später heirat’ wie ein Mann. Und ich bin treu, doch ich träum’ von dem Dreier wie ein Mann, ha!

Sido Ich bin eklig und böse so wie ein Mann. Ich weiß Probleme zu lösen so wie ein Mann. Kampf ’ gegen Bären und Löwen so wie ein Mann. Ich bin nämlich der König in diesem Land! Dieselben Socken an, wochenlang, wie ein Mann. Ist voll normal, dass ich gut kochen kann, wie ein Mann. Kam noch nicht vor, dass mich das Leben in die Knie zwang, denn guck, ich leiste Widerstand, wie ein Mann, wie ein Mann. Voll entspannt am Strand wie ein Mann, scheiß auf dein Handtuch! Ich lieg’ auf dem heißen Sand wie ein Mann. Langer Bart und tätowiert auf der Hand, wie ein Mann. Und pass ma’ auf, ich kann saufen bis ich nicht mehr laufen kann, wie ein Mann.

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Pedaz Yeah, ey. Ich überleg’ ›Wat zieh’ ich an?‹ Seh’ da keine Jeans im Schrank, nehm’ die alte, rieche dran, Deo drauf, wie ein Mann. Du bist Luft! Das der Grund, warum ich dich nicht riechen kann. Hier mein Finger, zieh ma’ dran, kurz gefurzt wie ein Mann. Ich werd’ wie ein Mann, nie mehr wat auf Raten zahlen, denn mein Kontostand kann sich sehen lassen, Rasensamen, yeah! Ich schneid’ die Hecke wie ein Mann. Wärm’ die Füße meiner Frau unter der Decke wie ein Mann, yeah! Und für sie mach’ ich Einmachgläser auf. Mach’ ich ein Kind wie ein Mann, dann kommt ein kleiner Pedaz raus. Doch muckst du auf oder kommst mit irgendeinem Firlefanz, schwing’ ich die Keule und mach’ passend, wat nicht passt, wie ein Mann.

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