Rudolf von Habsburg (1273-1291): Eine Königsherrschaft zwischen Tradition und Wandel 9783412310349, 3412041939, 9783412041939


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German Pages [216] Year 1993

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Rudolf von Habsburg (1273-1291): Eine Königsherrschaft zwischen Tradition und Wandel
 9783412310349, 3412041939, 9783412041939

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PASSAUER HISTORISCHE FORSCHUNGEN HERAUSGEGEBEN VON

W. BECKER, E. BOSHOF, TH. FRENZ, M. LANZINNER, H. WOLFF

Band 7

RUDOLF VON HABSBURG 1273-1291

Eine Königsherrschaft zwischen Tradition und Wandel

herausgegeben von Egon Boshof und Franz-Reiner Erkens

1993

BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung der Universität Passau und der Kulturabteilung des Amtes der N O Landesregierung

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Rudolf von Habsburg : 1273 - 1291 ; eine Königsherrschaft zwischen Tradition und Wandel / hrsg. von Egon Boshof und Franz-Reiner Erkens. - Köln ; Weimar ; Wien : Böhlau, 1993 Passauer historische Forschungen ; Bd. 7) ISBN 3-412-04193-9 N E : Boshof, Egon [Hrsg.]; G T

© 1993 by Böhlau Verlag G m b H & Cie, Köln Alle Rechte vorbehalten

Gesamtherstellung: Druckhaus T h o m a s Müntzer, Bad Langensalza

Printed in G e r m a n y ISBN 3-412-04193-9

Inhaltsverzeichnis Vorwort

VII

E. Boshof

Die späten Staufer und das Reich

F.-R. Erkens

Zwischen staufischer Tradition und dynastischer Orientierung:

1

Das Königtum Rudolfs von Habsburg

33

M. Bláhová

Böhmen in der Politik Rudolfs von Habsburg

59

I. Hlavácek

Die Aufenthalte Rudolfs I. in Böhmen und Mähren aus verwaltungs- und rechtsgeschichtlicher Sicht

79

Th. Frenz

Das "Kaisertum" Rudolfs von Habsburg aus italienischer Sicht

87

M. Weltin

König Rudolf und die österreichischen Landherren

103

Königslandschaft, Herzogtum oder fürstlicher Territorialstaat: Zu den Zielen und Ergebnissen der Territorialpolitik Rudolfs von Habsburg im schwäbisch-nordschweizerischen Raum

125

Rudolf von Habsburg und Norddeutschland. Zur Struktur der Reichsherrschaft in einem königsfernen Gebiet

139

J. Ehlers

Die französische Monarchie im 13. Jahrhundert

165

P. Moraw

Rudolf von Habsburg: Der 'kleine' König im europäischen Vergleich

185

F. Quarthai

Th. Vogtherr

Vorwort Das Jahr 1991 weist eine große Zahl säkularer Daten auf, die zu Feierstunden und Erinnerungsveranstaltungen Anlaß geboten haben. Eine globale Dimension gewann dabei allerdings nur das Gedächtnis von Mozarts Verewigung im Jahre 1791, während die übrigen Erinnerungsdaten eine deutlich geringere Resonanz fanden. Größer gefeiert wurde eigentlich nur noch in der Schweiz, und zwar das Jubiläum der Eidgenossenschaft von 1291, im Gedenken an ein Ereignis also, das nationale Identität zu stiften vermag, in Erinnerung an ein Geschehen aber auch, dem am 15. Juli 1291 der Tod des römisch-deutschen Königs Rudolf von Habsburg vorausgegangen war. Die siebenhundertste Wiederkehr von Rudolfs Sterben jedoch hat das historische Gedächtnis kaum besonders zu erregen vermocht - weder in der Schweiz noch in Österreich oder Deutschland. Dieses mangelnde Interesse überrascht, denn der Rang, den der erste König aus dem Hause Habsburg in der deutschen und europäischen Geschichte einnimmt, ist letztlich unbestritten, leitete er doch nach dem Ende des Interregnums die Konsolidierung der monarchischen Gewalt ein und etablierte er darüber hinaus seine Familie als Nachfolger der Babenberger und des Böhmenkönigs Ottokar Π. im Südosten des Reiches. Damit stand er am Anfang einer Entwicklung, die zwar nicht geradlinig und schon gar nicht aus einer inneren Notwendigkeit heraus verlief, an deren Ende aber das 'Haus Österreich' eine europäische Großmacht war und sogar in die Neue Welt hinübergriff. Allerdings ist es in der Wissenschaft schon längere Zeit ruhig geworden um den ersten Habsburger auf dem Königsthron, und so erschien es durchaus angebracht, ihm und seiner Regierung erneut größere Aufmerksamkeit zu widmen und vor allem die älteren Deutungen seiner Herrschaft auf den Prüfstand der neueren Forschung zu stellen. Dies ist vom 21. bis 23. November 1991 durch die Passauer Tagung "Rudolf von Habsburg. Eine Königsherrschaft zwischen Tradition und Wandel" geschehen. Die Herausgeber danken den Kollegen, die ihre auf dem Symposion gehaltenen Vorträge für die Veröffentlichung zur Verfügung gestellt haben. Daß die Referate nun, vermehrt um zwei Beiträge von M. Bláhová und I. Hlavácek, die böhmische Aspekte der Aktivitäten Rudolfs beleuchten, publiziert werden können, ist namhaften

vm

Vorwort

Zuschüssen des Freistaates Bayern und des Bundeslandes Niederösterreich zu verdanken. Dank gebührt aber auch Frau Gisela Andorfer, die die Manuskripte in eine druckfertige Form gebracht hat.

Passau, den 21. November 1992

Egon Boshof Franz-Reiner Erkens

Die späten Staufer und das Reich Von Egon Boshof Die 1927 erschienene, viel gerühmte und viel umstrittene Biographie Friedrichs Π. von Ernst Kantorowicz1 hat die weitere Forschung über den Staufer und seine Zeit wesentlich bestimmt. Fast zwangsläufig rückten die Fragen nach Friedrichs aus deutschen und sizilisch-normannischen Traditionen gespeistem Selbst- und Herrschaftsverständnis sowie den geistigen Wurzeln und der besonderen Ausprägung seiner Vorstellungen von der kaiserlichen Würde in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Bemühungen2, und gleichzeitig fand das süditalisch-sizilische Königreich ein gesteigertes Interesse als der von ihm geprägte "Modellstaat"3, der in seinem rationalen Aufbau und der Durchsetzung monarchischer Souveränität künftige Entwicklungen vorwegzunehmen und Jakob Burckhardts Wort von Friedrich, als dem "ersten modernen Menschen auf dem Throne" zu rechtfertigen schien4. Das Normannenreich ist nicht unser Thema, und auf die am Bilde vom "Modellstaat" und vom "Staat als Kunstwerk" vorgenommenen Korrekturen ist hier nicht einzu-

1 E. K a n t o r o w i c z , Kaiser Friedrich Π., Berlin 1927; Ergänzungsband Berlin 1931. Rezensionen von A. B r a c k m a n n , F. B a e t h g e n , K. H a m p e , H. G r u n d m a n n in: Stupor mundi. Zur Geschichte Friedrichs Π. von Hohenstaufen. Hrsg. v. G. Wolf (=Wege der Forschung 101), Darmstadt Π966. Vgl. auch D. A b u 1 a f i a, Kantorowicz und Frederick Π, in: History 62, 1977, S. 193-210. 2 Vgl. die in Stupor mundi (wie Anm. 1) abgedruckten Aufsätze, die z.T. in die 2. Auflage, Darmstadt 1982, übernommen worden sind, hier auch H.M. S c h a l 1er, Die Kaiseridee Friedrichs Π., S. 494-526 (zuerst erschienen: Probleme um Friedrich Π. Hrsg. v. J. Fleckenstein, Vorträge und Forschungen XVI, Sigmaringen 1974, S. 109134). Als jüngere Biographien sind besonders zu erwähnen: H.M. S c h a 11 e r, Kaiser Friedrich Π. Verwandler der Welt, (Persönlichkeit und Geschichte Bd. 34) Göttingen 21971; D. A b u l a f i a , Frederick Π. A Medieval Emperor, London 1988; W. S t ü r n e r , Friedrich Π., Bd. 1: Die Königsherrschaft in Sizilien und Deutschland 1194-1220, Darmstadt 1992. Zu den Staufern allgemein vgl. Ο. Ε η g e 1 s, Die Staufer, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 41989. 3 Dazu jetzt F. R e i c h e r t , Der sizilische Staat Friedrichs Π. in Wahrnehmung und Urteil der Zeitgenossen, in: HZ 253, 1991, S. 21-50 (mit der einschlägigen Literatur). 4 J . B u r c k h a r d t , Die Kultur der Renaissance in Italien (Ein Versuch in der Textfassung der Erstausgabe), Köln 1956, S. 2.

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Egon Boshof

gehen5. Auch Friedrichs auf Absolutismus und Zentralismus abzielende Staatsidee, die den Herrscher schließlich "ins Übermenschliche" erhob und die sich, wie H.M. Schaller bemerkt hat, in der Phase des engeren Zusammenwirkens mit dem Papsttum in den Jahren nach der Kaiserkrönung allmählich entfaltete6, dient uns nur als Folie für unsere auf Deutschland gerichteten Überlegungen. Natürlich haben derartige staatstheoretischen Vorstellungen nicht Halt gemacht vor den Grenzen des regnum Teutonicum. Sie haben ihre Spuren in den Majestätsarengen der für deutsche Empfänger ausgestellten Urkunden hinterlassen; denn auch hier ist die Rede von der kaiserlichen Vollgewalt, der plenitudo potestatis, und davon, daß Friedrich die monarchia Romanae dignitatis unmittelbar Gott verdanke, der seinen Thron über Völker und Königreiche gesetzt habe7, aber dem Kaiser ist ohne Zweifel immer bewußt gewesen, daß er in Deutschland auf die Fürsten angewiesen blieb und - anders als in Sizilien - die absolutistische Staatsidee hier nicht voll in die politische Wirklichkeit umzusetzen war. Für die deutsche Forschung stellte sich nicht erst mit dem Buch von Kantorowicz das Problem, wie sich das Verhältnis des Staufers zum deutschen Reich gestaltet habe, wie die universale Kaiseridee und die Herrschaft über das übernationale Imperium mit der Herrschaft in Deutschland zu vereinbaren gewesen sei, wie Friedrich selbst dieses Verhältnis gesehen oder ob er überhaupt eine engere Beziehung zur Heimat seiner Väter gefunden habe. Nur wenig später als die Biographie Friedrichs Π.

5 Dazu R e i c h e r t (wie Anm. 3); die Auffassung vom "Modellstaat" bei A. M a r o n g i ù , Ein "Modellstaat" im italienischen Mittelalter: Das normannisch-staufische Reich in Sizilien, in: Stupor mundi (wie Anm. 2), S. 325-348. 6 H.M. S c h a i 1er, Kanzlei und Hofkapelle Kaiser Friedrichs II., in: Jb. des ital.-deutschen hist. Instituts in Trient 2, 1976, S. 86; diese Studie (S. 75-116) faßt die Ergebnisse der zahlreichen Untersuchungen des Verfassers zur Kanzlei Friedrichs Π. zusammen (vgl. AfD 3 u. 4, 1957 u. 1958; DA 11, 12, 15, 18, 19, 1954/55, 1956, 1959, 1962, 1963). 1 Als Beispiel sei angeführt die Arenga von J.F. B ö h m e r - J . F i c k e r , Regesta imperii V, Innsbruck 1881/1882 (künftig BF mit Nr.), Nr. 1917 = MG Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, t. II, Hannover 1896, S. 191 Nr. 156: Cum Romane monarchiam dignitatis, ipso auctore per quem reges regnant et principes optinent principatus, qui super gentes et regna constituit sedem nostram, principaliter teneamus et simus in potestatis plenitudine constituti ... Zur Majestätsarenga vgl. H.M. S c h a 11 e r, Die Kanzlei Friedrichs II. Ihr Personal und Sprachstil, in: AfD 4, 1958, S. 301f.; ferner auch G. L a d n e r , Formularbehelfe in der Kanzlei Friedrichs II. und die "Briefe des Petrus de Vinea", in: MIÖG Erg.Bd. 12, 1933, S. 132 Nr. 6. Zur Arenga und ihrer Bedeutung allgemein: H. F i c h t e n a u , Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformeln ( = MIÖG Erg.Bd. 18), 1957.

Die späten Staufer und das Reich

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erschien die Monographie über Heinrich (VII.) von E. Franzel8, in der der gescheiterte Sohn, dem es mit seiner Hausmacht-, Städte-, Ministerialen- und Landfriedenspolitik um die "Festigung der königlichen Gewalt in staatsbildendem Sinne"9 gegangen sei, als der Vertreter einer deutschen Staatsidee dem Vater gegenübergestellt wird, der in Deutschland nur ein Nebenland gesehen habe, das ihm die staatsrechtliche Basis für die Erringung der Kaiserkrone und die militärischen Voraussetzungen für seine Italienpolitik bot. Erst nach Heinrichs Sturz, der in Franzeis Sicht zu einer "Schicksalsstunde der deutschen Geschichte"10 wird, habe Friedrich seine Politik geändert und nun, freilich zu spät, die Konzeption seines Sohnes übernommen. E. Rosenstock hat der These vom revolutionären Charakter des Regimentes Heinrichs (VU.) zugestimmt11, und mit seiner Auffassung, daß Deutschland für den Kaiser nur ein Nebenland, ein "Nebenschauplatz", gewesen sei, steht Franzel bis in unsere Zeit nicht allein12. Bei Kantorowicz kann der Sohn natürlich nicht aus dem übermächtigen Schatten des Vaters heraustreten: Eine eigene politische Konzeption wird dem Gescheiterten nicht zugestanden; das universale Reich, das römische Kaisertum - das waren die höheren Notwendigkeiten, denen Friedrich die deutsche Politik unterordnete, wodurch er jedoch "den festen Zusammenschluß der Deutschen zu einem "deutschen Staat" ... endgültig verhindert" habe13. H. Grundmann hat in seiner 1935 geschriebenen Kurzbiographie14 sogar ausdrücklich bezweifelt, daß Friedrich "ernsthaft in Deutschland regieren wollte"; seinen "schöpferischen und tatkräftigen Willen zur Staatsgestaltung" habe er jedenfalls auf das deutsche Reichsgebiet nicht auszudehnen gedacht15, um nicht die fürstliche Hilfe im Kampf um Italien aufs Spiel zu setzen. 8 E. F r a n z e l , König Heinrich VII. von Hohenstaufen. Studien zur Geschichte des "Staates" in Deutschland, Prag 1929. Zu Heinrich auch die Skizze von R. B ü h r l e n , König Heinrich von Hohenstaufen (VII.), in: Jb. f. schwäb.-fränk. Gesch. 28, 1976, S. 29-40, und Th. V o g t h e r r, Der bedrängte König. Beobachtungen zum Itinerar Heinrichs (VII.), in: DA 47, 1991, S. 395-439. 9 Ebd. S. 127. 10 Ebd. S. 176. H E. R o s e n s t o c k , Über "Reich", "Staat" und "Stadt" in Deutschland von 1230-1235, in: MÖIG 44, 1930, S. 401-416. 12 Vgl. etwa G. R a u c h , Die Bündnisse deutscher Herrscher mit Reichsangehörigen vom Regierungsantritt Friedrich Barbarossas bis zum Tode Rudolfs von Habsburg, Aalen 1966, S. 91 ff., oder H. S c h w a r z m a i e r, Das Ende der Stauferzeit in Schwaben: Friedrich Π. und Heinrich (VII.), in: Bausteine zur geschichtlichen Landeskunde von Baden-Württemberg. Hrsg. v. der Komm. f. gesch. Landeskde. in Baden-Württemberg, Stuttgart 1979, S. 113-127, zu oben S. 121. 13 K a n t o r o w i c z , Friedrich II. (wie Anm. 1), S. 350. 14 Vgl. Stupor mundi (wie Anm. 2), S. 22 ( = D i e Großen Deutschen I, 1935). 15 Ebd. S. 25.

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Der mehr oder weniger pauschalen Abwertung folgte der Versuch einer Rechtfertigung oder Ehrenrettung, den beispielsweise P. Kirn 1941 mit den Hinweisen auf die "Verdienste der staufischen Kaiser um das deutsche Reich" unternahm16. Nach seiner Auffassung wäre von den ohnehin nicht gravierenden Folgen der Privilegien für die Territorialfürsten "schwerlich etwas Übriggeblieben", wenn das Schicksal Friedrich ein längeres Leben vergönnt hätte17. Der plötzliche Tod des Kaisers am 13. Dezember 1250 erscheint damit als die eigentliche Katastrophe des staufischen Hauses und des Reiches; für die Beurteilung der deutschen Politik des Staufers aber gewannen die Fürstengesetze von 1220 und 1231/32 sowie der Mainzer Reichslandfriede von 1235 zentrale Bedeutung. Die intensive Diskussion18 hat hier inzwischen zu einem weitgehenden Konsens geführt: Weder die Confoederatio cum principibus ecclesiasticis19 noch das Statutum in favorem principum20 stellt einen grundsätzlich neuen Verzicht von Hoheitsrechten der Zentralgewalt dar, den Friedrich Π. zu verantworten hatte; sie kennzeichnen eher die konkrete politische Situation, den augenblicklichen Stand im Ringen zwischen Fürsten und Zentralgewalt um die Gestaltung der Reichsverfassung und des Staates in Deutschland21. Der Mainzer Reichslandfrieden22 aber, erlassen auf einem Höhepunkt der machtpolitischen Geltung Friedrichs im Reich, dokumentiert in seiner revindikatorischen Zielsetzung das Bemühen des Kaisers, verlorenen Boden gutzumachen, die Fürsten wieder stärker in den Dienst des Reiches zu 16 P. K i r n , Die Verdienste der Staufischen Kaiser um das Deutsche Reich, in: HZ 164, 1941, S. 261-284; Wiederabdruck in: Stupor mundi (wie Anm. 1), S. 194221. 17 Ebd. S. 219. 18 Zu den Fürstenprivilegien vgl. die in dem entsprechenden Artikel von W. G o e ζ in: Handwörterbuch zur dt. Rechtsgeschichte (HRG) I, 1969, Sp. 1358ff., angegebene Literatur, insbesondere E. K l i n g e l h ö f e r , Die Reichsgesetze von 1220, 1231/32 und 1235. Ihr Werden und ihre Wirkung im deutschen Staat Friedrichs Π., Weimar 1955; Auszüge in: Stupor mundi (wie Anm. 1), S. 396-419; Neufassung in: Stupor mundi (wie Anm. 2), S. 161-202 (danach zitiert); dazu E. S c h r ä d e r , Ursprünge und Wirkungen der Reichsgesetze Friedrichs II. von 1220, 1231/32 und 1235, in: ZRG Germ. Abt. 68, 1951, S. 354-396; Neufassung in: Stupor mundi (wie Anm. 1), S. 420-454. Zum Mainzer Reichslandfrieden vgl. noch unten Anm. 24. 19 MG Const. Π S. 86 Nr. 73 (1220 Apr. 26); dt. Übersetzung: Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250. Ausgewählt und übers, v. L. W e i η r i c h, (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe Bd. 32) Darmstadt 1977, S. 376 Nr. 95. 20 MG Const. Π S. 418 Nr. 304 (1231 Mai 1) u. S. 211 Nr. 171 (1232 Mai); dt. Ubers, in: Ausgewählte Quellen (wie Anm. 19), S. 434 Nr. 114. 21 G o e ζ, Fürstenprivilegien Friedrichs II. (wie Anm. 18), Sp. 1360f. 22 MG Const. Π S. 241 Nr. 196 (1235 Aug. 15); dt. Fassung S. 248 Nr. 196a; dt. Übers, in: Ausgewählte Quellen (wie Anm. 19), S. 463 Nr. 119.

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nehmen und damit im Sinne des von H. Mitteis beschriebenen Modells der "konzentrischen Konzentration"23 die Möglichkeiten für eine Staatwerdung auf der Ebene des Reiches offenzuhalten24. Es scheint sich in der Forschung auch darüber ein Konsens abzuzeichnen, daß Friedrich Π. und Heinrich (VII.) in ihren Auffassungen über Ziele und Methoden der deutschen Politik gar nicht so weit auseinanderlagen, daß aber der Kaiser andere Prioritäten setzte und vor dem Hintergrund des Konfliktes mit dem Papsttum und den lombardischen Städten auch setzen mußte25. Die Voraussetzungen, unter denen Friedrich Π. sich im Herbst des Jahres 1212 anschickte, als Kandidat des Papstes und einer Fürstengruppe, die ihn bereits im September 1211 in Nürnberg zum künftigen Kaiser erwählt hatte26, seinen weifischen Gegenspieler aus der Herrschaft zu verdrängen, schienen denkbar ungünstig. Konkrete Machtmittel standen ihm einstweilen nicht zur Verfügung, der Thronstreit hatte die Stellung der Fürsten gestärkt, die dynastische Kontinuität war abgebrochen. Aber gerade die Berufung auf seine staufischen Vorfahren und Vorgänger war ein Aktivposten, den der junge König nun im Kampf um die Macht gezielt einsetzte, wenn er die von den staufischen Herrschern erteilten Privilegien als ihr legitimer Nachfolger bestätigte, wenn er herausstellte, daß die göttliche Gnade ihn auf den Thron seiner Vorfahren erhoben

23 Vgl. dazu H. M i 11 e i s, Der Staat des hohen Mittelalters, Weimar 51955 u.ö., S. 239ff., S. 256 u. S. 351f. Auch die Überlegungen von K a n t o r o w i c z , Friedrich Π. (wie Anm. 1), S. 351, gehen in diese Richtung. 24 Zum Mainzer Reichslandfirieden vgl. H. M i 11 e i s, Zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235, in: ZRG Germ. Abt. 62, 1942, S. 13-56; Wiederabdruck in: D e r s . , Die Rechtsidee in der Geschichte. Ges. Abhandlungen und Vorträge, Weimar 1957, S. 387-417; Κ1 i η g e 1 h δ f e r, Reichsgesetze (wie Anm. 18), S. 192f.; H. A n g e r m e i e r , Landfriedenspolitik und Landfriedensgesetzgebung unter den Staufern, in: Probleme um Friedrich EL, (Vorträge u. Forschungen Bd. XVI) Sigmaringen 1974, S. 167-186; A. B u s c h m a n n , Landfriede und Verfassung. Zur Bedeutung des Mainzer Reichslandfriedens von 1235 als Verfassungsgesetz, in: Fs. f. E.C. Hellbling, Berlin 1981, S. 449-472. 25 K l i n g e l h ö f e r , Reichsgesetze (wie Anm. 18), S. 198; S c h w a r z m a i e r, Ende der Stauferzeit (wie Anm. 12), S. 120f.; S c h a 11 e r, Friedrich Π. (wie Anm. 2), S. 50; E n g e l s , Staufer (wie Anm. 2), S. 135. Vgl. ferner W. G o e z , Friedrich Π. und Deutschland, in: Κ. Friedland, W. Goez u. W.J. Müller, Politik, Wirtschaft und Kunst des staufíschen Lübecks, Lübeck 1976, S. 5-38. 26 Zur Thronerhebung Friedrichs Π. vgl. die bei Β. S c h i m m e 1 ρ f e η η i g, Die deutsche Königswahl im 13. Jahrhundert. Heft 1: Die Wahlen von 1198 bis 1247, (Historische Texte/Mittelalter, H. 9) Göttingen 1968, S. 54ff., zusammengestellten Quellentexte. Vgl. ferner E. W i n k e l m a n n , Philipp von Schwaben und Otto IV. von Braunschweig. Bd. Π: Kaiser Otto IV. von Braunschweig 1208-1218 (=Jahrbücher der dt. Geschichte), Leipzig 1878, S. 313ff.

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habe27. Dabei blieb er sich der Tatsache bewußt, daß sein Aufstieg, der wider alle Ratschläge der Großen und Erwartungen der Völker erfolgte, einem Wunder gleichkam, das der König der Könige aus der Fülle seiner Gnade an ihm gewirkt hatte, als er einen Mächtigen vom Throne stürzte, und er betont, als er diese Gedanken in der Arenga einer Urkunde des Jahres 1215 formulieren läßt, daß er seine Hoffnung allein auf die Gnade des Himmels setze: in sola spe gratie celestis nitimur28. Der wunderbare Aufstieg gab ihm Selbstvertrauen und erwies ihn vor der Welt als Heilsträger. Diese Überzeugung ist sicher eine wesentliche ideelle Grundlage seiner Herrschaft gewesen; sie wurde durch die Vorstellung von der Einzigartigkeit des staufischen Kaisergeschlechtes und seiner Sendung noch gesteigert29. Am Beginn seiner Regierung in Deutschland stehen zwei bedeutsame staatssymbolische Akte: Aus Bamberg ließ er - "auf den Rat seiner Freunde" - den Leichnam seines Oheims Philipp nach Speyer überführen und dort am Weihnachtstage 1213 feierlich "bei den Gräbern der Kaiser und Könige, seiner Vorfahren und Vorgänger", bestatten30, und am 27. Juli 1215, am Tage nach der Königskrönung in Aachen, mit der seine Thronerhebung zum Abschluß kam, legte er bei der Beisetzung der Gebeine Karls des Großen in dem gerade vollendeten Schreine selbst Hand an, indem er die letzten Verschlußnägel einschlug31. Diese Handlungen mögen auch auf Öffentlichkeitswirkung berechnet gewesen sein,

27 Vgl. etwa BF 887 (1216 Dez.); ed. J.-L.-A. H u i 11 a r d - Β r é h o 11 e s, Historia diplomatica Friderici secundi 1,2, Paris 1852, S. 488: Regi regum omnium de cuius muñere aviti regni diadema sceptrumque recepimus et in throno progenitorum nostrorum suscepti regiminis moderamur habenas ...; ferner MG Const. II S. 83 Nr. 71 (1220 Apr. 17): ... nobisque illiusProvidentia, qui in sua dispositione non fallitur, cum omni regia sublimatione in soliis patemis pacifice constitutis ... 28 BF 787 (1215 Apr. 2), für die Kirche von Palermo (mit Goldbulle); ed. H u i l l a r d - B r é h o l l e s (wie Anm. 27), S. 365: Etsi regi regum omnesfamulari debeant reges terre, nos tarnen in quibus potentie sue miracula suscitavit, cum reprobatis consiliisprincipum et cogitationibus populorum, potente deposito, nos erexit... 29 Zum dynastischen Selbstverständnis E n g e l s , Staufer (wie Anm. 2), S. 118f. ; zum sich entfaltenden Kaiserkult eingehend K a n t o r o w i c z , Friedrich Π. (wie Anm. 1), S. 47Iff. 30 BF 714 (1213 Dez. 30); ed. H u i l l a r d - B r é h o l l e s (wie Anm. 27), 1,1, Paris 1852, S. 283 (Schenkung an Speyer): quod nos eo die quo corpus carissimi patrui nostri Philippi gloriosi Romanorum regis augusti ... in Spirensi ecclesia, ad busta imperatorum et regum parentum et antecessorum nostrorum, qui ibidem sepulti sunt fecimus sepeliri. Daß dies auf den Rat seiner Freunde geschah, vermerkt Reiner von Lüttich: vgl. BF 713b. 31 BF 810; vgl. K a n t o r o w i c z , Friedrich II. (wie Anm. 1), S. 70f. Zum Karlsschrein: D. K ö t z s c h e , Zum Stand der Forschung der Goldschmiedekunst des 12. Jahrhunderts im Rhein-Maas-Gebiet, in: Rhein und Maas. Kunst und Kultur 8001400, Bd. Π, Köln 1973, S. 198; vgl. auch: Karl der Große und sein Schrein in Aachen. Eine Festschrift, hrsg. ν. H. M ü 11 e j a η s, Aachen-Mönchengladbach 1988.

Die späten Staufer und das Reich

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ihre Bedeutung erschöpft sich jedoch ohne Zweifel nicht in ihrem propagandistischen Effekt. Sie legen das Selbstverständnis des Sohnes Heinrichs VI. und der normannischen Konstanze offen: Er bekannte sich zu den salischen Herrschern und ihrer Vorstellung vom Reich; er trat ein in die karolingische Tradition, die die Geschichte dieses Reiches mitbestimmt hatte, und er führte die von seinem Großvater Friedrich Barbarossa auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem Papsttum 1165 betriebene Kanonisation Karls des Großen32 zum Abschluß. Indem alle diese Traditionsströme, karolingische, salische und staufische, gleichsam einmündeten in seine Herrschaft, sollte das verwirklicht werden, was er immer wieder programmatisch formulierte: die Wiederherstellung von Frieden und Gerechtigkeit nach den Wirren des Thronstreites und die Erneuerung des Reiches33. Wie stark im übrigen die dynastische Idee sein Denken und Handeln bestimmte, wird noch in seinem Testament deutlich: Zum Erben im Kaiserreich und im Königreich Sizilien setzte er seinen Sohn Konrad IV. ein und regelte dessen Nachfolge für den Fall, daß er ohne Söhne sterben sollte34. Das Imperium behandelte er damit als Erbreich, ohne zu berücksichtigen, daß sich das fürstliche Wahlrecht im regnum Teutonicum längst durchgesetzt hatte - eine andere als die staufische Herrschaft im Reich erschien ihm offensichtlich undenkbar. Dem Zauber des staufischen Namens und päpstlichem Gebot verdankte der puer Apuliae die ersten Erfolge. Hinzu kam die Unterstützung durch die kapetingische Monarchie, nachdem Friedrich bereits im November 1212, also noch vor der Frankfurter Wahl und der Mainzer Krö-

32 Vgl. dazu O. E n g e l s , Des Reiches heiliger Gründer. Die Kanonisation Karls des Großen und ihre Beweggründe, in: Karl der Große und sein Schrein (wie Anm. 31), S. 37-46 (mit der älteren Literatur); vgl. auch Ε. M e u t h e η, Barbarossa und Aachen, in: Rhein. Vjbll. 39, 1975, S. 28-59. 33 Vgl. etwa die Arenga der Bestallung eines Legaten für Italien: MG Const. II S. 83 Nr. 71: Post multas ac diversas imperii perturbationes, que ex obitu felicis memorie incliti patris nostri imperatoris Henrici usque ad tempora nostra in mutatione regum ubique locorum imperii procreverunt, per eius misericordiam, qui salvai sperantes in se, sedatis per totam Teotoniam scissionibus omnibus inter principes, pace quoque et quiete undique reformata ... idem propositum reformande pacis et unitatis atque concordie nobis et imperio admodum necessarie per Lonbardiam, Romaniolam et Tusciam seu totam Ytaliam firmiter habentes. Zur Reichsreform vgl. unten S. 25f. 34 MG Const. Π S. 382 Nr. 274 (1250 Dez.), dt. Übersetzung in: Ausgewählte Quellen (wie Anm. 19), S. 533 Nr. 132; zu oben Art. 2 S. 385. Zur Diskussion um das Testament vgl. G. W o l f , Die Testamente Friedrichs Π. Eine Erwiderung, in: ZRG Germ. Abt. 72, 1962; Wiederabdruck in: Stupor mundi (wie Anm. 1), S. 692-749; S c h a 11 e r, Friedrich Π. (wie Anm. 2), S. 82f.

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nung35, mit dem französischen Thronfolger Ludwig in Vaucouleurs zusammengetroffen war und ein Bündnis gegen England und Otto IV. geschlossen hatte, das ihm erhebliche finanzielle Mittel einbrachte36. Für die Festigung seiner Stellung war von entscheidender Bedeutung, daß er die Verfügungsgewalt über das Reichsgut und das staufische Hausgut gewann. Die Ausgangslage war hier sicher ungünstig, wenn man sich an das Urteil des Chronisten Burchard von Ursberg über Philipp von Schwaben hält, daß dieser, um seine Truppen zu besolden, das von Friedrich Barbarossa erworbene Gut verschleudert und an Große und Ministerialen ausgegeben habe, so daß ihm schließlich nicht mehr als der inhaltsleer gewordene Titel einer Landesherrschaft - inane nomen dominii terrae -, eine Anzahl von Städten, Märkten und wenige Burgen geblieben seien37. Besondere Schwierigkeiten ergaben sich natürlich aus dem Mangel an urbarialen Aufzeichnungen und effizienter Verwaltung, wie gelegentlich aus einer Verfügung über die dem König aus staufischem Erbe zustehende Vogtei über Güter des Klosters Kreuzlingen erkennbar wird, bei der Friedrich vorsorglich betont, daß er alles für ungültig erkläre, was er aus Unkenntnis der Verhältnisse, oder weil die Rechtslage in Vergessenheit geraten sei, falsch gemacht habe38. Freilich besserte sich die Lage schnell in dem Maße, wie sich die Reichsministerialität ihm anschloß, zumal sich ihm bereits im Sommer 1212 die Reichskanzlei unter dem Kanzler Konrad von Scharfenberg, dem Bischof von Speyer, den Friedrich nun auch mit dem Bistum Metz investierte, zur Verfügung gestellt hatte39. Mit welcher Energie und Konsequenz er an die Wiederherstellung traditioneller politischer Beziehungen und staufischer Machtpositionen ging, zeigt die - noch mit sizilischer Goldbulle besiegelte - Bestätigung der von Philipp verliehenen Königswürde für Ottokar von Böhmen 35 Vgl. BF 680a (1212 Dez. 5): Königswahl; BF 680b (1212 Dez. 9): Mainzer Krönung. 36 BF 677b u. 678; dazu W i n k e l m a n n , Philipp von Schwaben, Bd. Π (wie Anm. 26), S. 331 f. 37 Burchard v. Ursberg, Chronicon, ed. O. H o l d e r - E g g e r u . B. S i m s o n , MG SS rer. Germ. 21916, S. 91; zur Interpolation dieser Stelle S. XXX; vgl. ferner A.Chr. S c h 1 u η k, Königsmacht und Krongut. Die Machtgrundlage des deutschen Königtums im 13. Jahrhundert - und eine neue historische Methode, Stuttgart 1988, S. 26ff. 38 BF 712 (1213 Sept. 1); ed. H u i l l a r d - B r é h o l l e s (wie Anm. 27), S. 916: in irritum revocantes si quid per oblivionem seu ignorantiam.... fecisse dicimur vel videmur. Vgl. dazu auch G. K i r c h n e r , Die Steuerliste von 1241. Ein Beitrag zur Entstehung des staufischen Königsterritoriums, in: ZRG Germ. Abt. 70, 1953, S. 65. 39 W i n k e l m a n n , Philipp v. Schwaben, Bd. Π (wie Anm. 26), S. 326ff.; S c h a 11 e r, Kanzlei Friedrichs Π. (wie Anm. 6), AfD 3, 1957, S. 216; d e r s., Kanzlei und Hofkapelle (wie Anm. 6), S. 84f.

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bereits im September 121240. Ottokar erhielt darüber hinaus als Lohn für seine Ergebenheit ebenso wie sein Bruder Markgraf Heinrich von Mähren weitere Gunsterweise41. Mit der Lehnsübertragung der rheinischen Pfalzgrafschaft an den Wittelsbacher Otto, für den sein Vater, Herzog Ludwig von Bayern, die Vertretung wahrnahm, verpflichtete Friedrich sich einen weiteren der süddeutschen Fürsten42. Ludwig stattete seinen Dank sofort durch die Teilnahme am Vorstoß des Königs an den Niederrhein ab. Zu diesem Zeitpunkt stand auch Leopold von Österreich schon auf der Seite des Staufers43. Auf die in ihrer Mehrzahl traditionell staufisch gesinnten süddeutschen Bischöfe war ohnehin Verlaß. Friedrich festigte ihre Ergebenheit durch freigebig erteilte Privilegien und Absicherung ihrer Rechte. Zu seinen ersten Regierungsmaßnahmen gehörte beispielsweise, daß er dem Erzbischof Eberhard Π. von Salzburg, der ihm im Februar 1213 gehuldigt hatte, die Rechte seiner Kirche über das Suffraganbistum Gurk bestätigte und damit fürs erste die Bemühungen der Gurker Bischöfe, die Eigenständigkeit zu erlangen und in den Reichsfürstenstand aufzusteigen, vereitelte44. Der Patriarch Wolfger von Aquileja erhielt eine umfassende Bestätigung seiner landesherrlichen Stellung in Friaul und Istrien sowie der Mark Krain45; von seiner Zuverlässigkeit und Treue hing für Friedrich auch die Sicherung einer wichtigen Verbindung zwischen dem Reich und Italien ab. Dem Bischof Ulrich Π. von Passau übertrug der König die Grafschaft im Ilzgau, die ihm der vorherige Inhaber, der Herzog Ludwig von Bayern, aufgelassen hatte46. Das Hochstift Passau war von jeher eine unbedingt verläßliche Stütze der staufischen Macht im Südosten des Reiches, und Friedrich hebt die Treue des Bischofs besonders hervor. Für diesen bedeutete das Privileg die endgültige Festigung der 40 BF 671 (1212 Sept. 26); ed. MG Const. II S. 54 Nr. 43. Vgl. dazu W. W e g e n e r , Böhmen, Mähren und das Reich im Hochmittelalter, Köln-Graz 1959, S. 109ff.; H. H o f f m a n n , Böhmen und das deutsche Reich im hohen Mittelalter, in: Jb. f. d. Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 18, 1969, S. 1-62. 41 BF 672. 673. 42 Vgl. M. S c h a a b , Geschichte der Kurpfalz, Bd. I, Stuttgart-Berlin-KölnMainz 1988, S. 63 u. 71. 43 Vgl. BF 743b; Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger, Bd. I: Die Siegelurkunden der Babenberger bis 1215, bearb. v. H. F i c h t e η a u u. E. Z ö l l n e r , Wien 1950, S. 268 Nr. 193. 44 Dazu Ε. Β o s h o f, Reichsfürstenstand und Reichsreform in der Politik Friedrichs Π., in: Bll. f. dt. LG 122, 1986, S. 41-66; Wiederabdruck in: W. Heinemeyer (Hrsg.), Vom Reichsfürstenstande, Köln-Ulm 1987, S. 41-66; zu oben S. 44. 45 BF 721 (1214 Febr. 22); vgl. auch BF *722; dazu H. S c h m i d i n g e r , Patriarch und Landesherr. Die weltliche Herrschaft der Patriarchen von Aquileja bis zum Ende der Staufer, Graz-Köln 1954, S. 80ff. 46 Dazu Β o s h o f, Reichsfürstenstand (wie Anm. 44), S. 47f.

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reichsfürstlichen Stellung; die Grafschaft im Ilzgau wurde die entscheidende Basis der sich ausbildenden bischöflichen Landeshoheit. Diese Beispiele mögen genügen. In kurzer Zeit war es dem puer Apuliae gelungen, den Süden des deutschen Reiches wieder zu einer festen Bastion staufischer Macht auszubauen. Ihren Abschluß fand diese erste Etappe der Herrschaftsgewinnung und Herrschaftssicherung mit der Übertragung des Herzogtums Schwaben an seinen Sohn Heinrich, den er im Oktober 1216 nach Deutschland hatte kommen lassen47, und er griff erneut sofort zu, als sich ihm die Gelegenheit zur Ausweitung der staufischen Machtpositionen im Südwesten bot. Nach dem Erlöschen der Zähringerdynastie 1218 verlieh er seinem Sohne das Rektorat von Burgund48. Eine größere Anzahl von Urkunden, die er bereits im November 1214 in Basel für burgundische Empfänger ausgestellt hat49, läßt erkennen, daß auch dieses regnum im Imperium keineswegs außerhalb seines Blick- und Interessenfeldes geraten war. Daß der Episkopat so schnell auf seine Seite trat, hatte Friedrich natürlich auch der Unterstützung durch Innozenz ΙΠ. zu verdanken. Die Verhängung des Bannes über Otto IV. hatte den politischen Umschwung zu seinen Gunsten erst eigentlich eingeleitet50. Den Dank stattete der Staufer dem Papst mit dem Verzicht auf die aus dem Wormser Konkordat dem Königtum noch verbliebenen Rechte gegenüber der Reichskirche in der Goldenen Bulle von Eger am 12. Juli 1213 ab51. Was Otto IV. bereits 1209 in Speyer versprochen hatte52, wird nun Wort für Wort wiederholt und durch die Zustimmung der Reichsfürsten sanktioniert. Geradezu überschwenglich formuliert die Arenga die Ergebenheit gegenüber dem Papst als dem Wohltäter und Schutzherrn, dem der König nächst Gott alles - immensa et innumera beneficia - verdankt. In der seit Jahrzehnten dauernden Auseinandersetzung mit dem Papsttum um das Spolien- und Regalienrecht53 sollte der von Friedrich im Mai 1216 in Würzburg ausgesprochene Verzicht den Schlußpunkt setzen54. Aber war 47 BF 3846e. 48 BF 3847a; zum Zähringererbe vgl. unten S. 12f. 49 BF 751a und 755-*766. 50 Vgl. BF 443e (1210 Nov. 18); vgl. W i n k e l m a n n , Philipp von Schwaben, Bd. Π (wie Anm. 26), S. 248ff. 51 MG Const. II S. 57 Nr. 46-51; dt. Übers, in: Ausgewählte Quellen (wie Anm. 19), S. 359 Nr. 89. 52 MG Const. II S. 36 Nr. 31 (1209 März 22). 53 Vgl. dazu E. S c h r ä d e r , Bemerkungen zum Spolien- und Regalienrecht der d e u t s c h e n K ö n i g e i m Mittelalter, in: Z R G G e r m . A b t . 8 4 , 1967, S. 128-171.

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BF 857; ed. MG Const. Π S. 67 Nr. 56 (1216 Mai 11-13).

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dies wirklich das letzte Wort im Streit? Eine bestimmte Wendung im Privileg läßt aufhorchen. Der König entsagt, so heißt es, einer "Gewohnheit oder einem Recht, oder mit welchem Wort auch immer man das ausdrücken will" (eidem consuetudini sive iuri, vel quocumque vocabulo exprimatur, renunciamus), aus Ehrerbietung gegenüber dem Gekreuzigten, dessen Zeichen er als Kreuzfahrer trägt. Die Kanzlei tat sich offenbar schwer mit einer adäquaten Formulierung, aber sie verwendet jedenfalls einen Begriff nicht, der im Hinblick auf die Überwindung der Folgen des Thronstreites sonst üblich ist55: abusio, abusus. Friedrich konnte nicht als Mißbrauch brandmarken, was seine Vorgänger als unbezweifelbares Recht in Anspruch genommen hatten. Bekanntlich ist der Verzicht auf das ius regaliae im ersten Artikel der Confoederatio von 1220, in dem die Preisgabe des Spolienrechtes erneut verbrieft wird56, nicht wiederholt worden. Dagegen formuliert ein Fürstenspruch von 1238 über das Verbot der Regalienverlehnung durch einen geistlichen Fürsten ohne kaiserliche Erlaubnis unmißverständlich das Fortbestehen dieses Rechtes57. Offenbar war der Verzicht von 1216 schon nicht umfassend gedacht, konnte es auch nicht sein, weil sich der König dann jeglicher Verfügungsgewalt über das Reichskirchengut und seiner Hoheitsrechte begeben hätte58. In der konkreten politischen Situation dieser Jahre war das aber nicht so eindeutig zu vertreten; erst allmählich konnte das Königtum darangehen, den alten Rechtsstandpunkt wieder durchzusetzen. Das Spolienrecht war freilich nicht mehr zeitgemäß, und der Anspruch darauf war ohne Zweifel nicht länger aufrechtzuerhalten.

55 Vgl. z.B. die Arenga der Confoederatio cum principibus ecclesiasticis (wie Anm. 19), S. 89: lgitur quia in eorum gravamina quedara consuetudines, et ut verius dicamus abusiones, ex longa perturbatione imperii... inoleverant... 56 Confoederatio c. 1, ebd., S. 89: Primo prominentes, quod numquam deinceps in morte cuiusquam principis ecclesiastici reliquias suas fisco vendicabimus; inhibentes etiam, ne laicus quisquam aliquo pretextu sibi eas vendicet, sed cédant successori, si antecessor intestatus decesserit; cuius testamentum, si quod inde fecit, volumus esse ratum. 57 BF 2403; ed. Const. Π S. 285 Nr. 212 (1238 Nov.): notumfieri volumus universis, quod cum in curia nostra dictante sentencia principum et de speciali peticione conquerencium sit obtentwn, quod theloneum, moneta, officium saliteti et iudicium secutare necnon et consimilia, que principes ecclesiastici recipiunt et tenent de manu imperiali et predecessorum nostrorum, sine consensu nostro infeodari non possint, cumque quilibet imperator indicta curia percipere debet integraliter et vacantibus ecclesiis omnia usque ad concordem eleccionem habere, donee electus ab eo regalia recipiat. ...Vgl. bereits BF 2065; ed. MG Const. Π S. 228 Nr. 187 (1234 Nov.); dazu Β o s h o f, Reichsfürstenstand (wie Anm. 44), S. 56. 58 Vgl. S c h r ä d e r , Bemerkungen (wie Anm. 53), S. 165ff. u. S. 168.

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Die Behandlung beider Rechte in der Reichsgesetzgebung läßt schon etwas von den Schwierigkeiten deutlich werden, vor die sich Friedrich bei seinen Bemühungen um die Behauptung und Revindikation von Reichsgut und Reichsrechten gestellt sah. Es war in weiten Bereichen ein mühseliger Kleinkrieg um Grundbesitz, Burgen, Einkünfte, Regalien, Vogteien, um die Sicherung der finanziellen Mittel zum Ankauf von Rechten und Besitz oder zur Einlösung von Pfandschaften. Mußte sich der Staufer zunächst seine Anerkennung mit der Vergabe von Besitz und Rechten häufig erkaufen, so scheint sich das Blatt seit etwa 1218 gewendet zu haben und nun eine Konsolidierung auch des Krongutes eingetreten zu sein59. Den spektakulärsten Erfolg errang er sicherlich bei der Verteilung des Zähringererbes nach dem Tode des Herzogs Berthold V. am 18. Februar 1218, mit dem die mit den Staufern seit mehr als einem Jahrhundert rivalisierende schwäbische Dynastie im Mannesstamme erlosch60. Die Herzogswürde hat er nicht wieder verliehen; die Reichslehen, die der Zähringer innegehabt hatte, zog er an sich, Kirchenlehen und Vogteien ließ er auf sich übertragen. Daß ihm die Auflösung eines Reichsfürstentums gelang ist schwer verständlich und hat in der Forschung bisher eine befriedigende Erklärung nicht gefunden61; jedenfalls bedeutete diese Maßnahme eine Stärkung der Zentralgewalt. Im Hinblick auf das zähringische Hausgut waren die Schwestern Bertholds, die mit den Grafen Egino von Urach und Ulrich von Kiburg verheirateten Anna und Agnes, die nächstberechtigten Erben. Aber auch hier trat Friedrich mit eigenen Ansprüchen auf, die er auf die von ihm betonte Verwandtschaft mit den Urachern62 begründete und weiter dadurch abgesichert hatte, daß er den Herzögen von Teck, einer zähringischen Nebenlinie, ihre Ansprüche abgekauft hatte63. Mit dem Hauptrivalen Egino von Urach schloß er 59 Dazu S c h 1 u η c k, Königsmacht (wie Anm. 37), S. 184ff. 60 Zum folgenden vgl. B o s h o f , Reichsfürstenstand (wie Anm. 44), S. 57; K. S c h m i d , Zähringergeschichte und Zähringertradition als Themen der Zähringerforschung, in: Die Zähringer ( = Veröff. z. Zähringer-Ausstellung I), Sigmaringen 1986, S. 211-228, zu oben S. 216ff.; H.H. ( = H . H e i n e m a n n ) , Das Zähringererbe, in: Die Zähringer (=Veröff. z. Zähringer-Ausstellung II), Sigmaringen 1986, S. 114f. (mit weiterer Literatur). 61 Vgl. W. G o e ζ, Der Leihezwang. Eine Untersuchung zur Geschichte des deutschen Lehnrechtes, Tübingen 1962, S. 192 u. S. 196ff.; S c h m i d , Zähringergeschichte (wie Anm. 60), S. 216. 62 S c h m i d , Zähringergeschichte (wie Anm. 60), S. 217; vgl. schon BF 725 (1214 März 12); ed. H u i 11 a r d - Β r é h o 11 e s (wie Anm. 27), 1,1, Paris 1852, S. 294. 63 S c h m i d , Zähringergeschichte (wie Anm. 60), S. 216 mit Anm. 40.

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1219 einen Vergleich64, der ihm die wichtige Landverbindung des Kinzigtales zwischen schwäbischem und elsässischem Stauferbesitz beließ. Daß seinem Sohne Heinrich, dem schwäbischen Herzog, das aus dem Zähringererbe stammende Rektorat in Burgund zufiel, ist bereits gesagt worden. Die Entscheidung im Erbstreit brachte den Staufern also einen doppelten Erfolg: Sie stärkte das schwäbische Herzogtum und beseitigte ein gefährliches Hindernis im Aufbau eines königlichen Territoriums im Südwesten des Reiches. Die Zielstrebigkeit, mit der Friedrich zu Werke ging, läßt erkennen, daß er inzwischen eine klare Konzeption von der Konsolidierung der Königsmacht in Deutschland entwickelt hatte. Bezeichnenderweise hat er sich bei einer anderen die politischen und verfassungsrechtlichen Verhältnisse des Reiches tiefgreifend bestimmenden Angelegenheit ähnlicher Mittel bedient: in der Frage der Regelung des weifischen Erbes nämlich, als er gegenüber Otto dem Kind mit massiven Ansprüchen auf Braunschweig auftrat, die er den mit den Markgrafen Hermann von Baden und dem Herzog Otto von Bayern vermählten Töchtern des Pfalzgrafen Heinrich, Ottos Nichten also, abgekauft hatte65. Seine Bemühungen um ein gutes Verhältnis zu den Fürsten, besonders den geistlichen, hat Friedrich schon zu Beginn seines Deutschlandaufenthaltes in einer geradezu programmatischen Erklärung gegenüber dem Erzbischof Siegfried von Mainz zum Ausdruck gebracht66 und unter anderem auch in zahlreichen Schutz- und Vogteiurkunden sowie vielfältigen Gunsterweisen praktiziert. Wie sehr der König an der Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Reichskirchen interessiert war, spiegeln zwei Rechtssprüche aus dem Jahre 1219 wider, die zunächst die Kirche von Bremen betreffen, aber darüber hinaus allgemeine Geltung beanspruchen: daß nämlich beim Wechsel im Bischofsamt alles, was der Vorgänger ohne Genehmigung durch die Reichsgewalt - sine auctoritate imperii 64 BF 1056 (1219 Sept. 18); vgl. auch Η. Β ü 11 η e r, Egino von Urach-Freiburg, der Erbe der Zähringer, Ahnherr des Hauses Fürstenberg, (Veröff. aus dem Fürstl. Fürstenberg. Archiv Heft 6) Donaueschingen 1939. 65 Vgl. dazu Ε. Β o s h o f, Die Entstehung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg, in: Heinrich der Löwe. Hrsg. W.-D. Mohrmann, Göttingen 1980, S. 249-274; zu oben S. 271. 66 BF 675 (1212 Okt. 5); ed. H u i 11 a r d - Β r é h o 11 e s (wie Anm. 27), 1,1, S. 223: Ut ecclesiis et personis ecclesiasticis, maxime principibus et illis precipue qui pro nostra promotione res pariter et personas non dubitarunt exponere, non solum ea que ad ipsos pertinent libere ac pacifice dimittamus, verum etiam eadem augmentare regia munificentia studeamus, et ipsa ratio persuadet et consideratio nostri adversarii nos inducit, qui propter facta contraria prenotatis adversitatem hominum et offensam divinam meruit sustinere. Zu BF 675 vgl. auch: P. Ζ i η s m a i e r, Nachträge und Ergänzungen. J.F. Böhmer, Regesta imperii, V,4 (VI. Abt.), Köln-Wien 1983, S. 149.

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veräußert habe, dem Nachfolger widerspruchslos zurückzuerstatten sei67. Daß die Schwierigkeiten bei der Verwirklichung seiner Zielvorstellungen gewaltig und seine Auffassungen vom Wohl des Reiches nicht notwendig identisch waren mit denen seiner fürstlichen Partner und Gegenspieler, mußte Friedrich mehr als einmal erfahren. Fast resignierend beklagt er schon 1213 ihren schnell wandelbaren Sinn: ánimos principum, qui cito in diversa mutantur68. Aufschlußreich ist in dieser Hinsicht der Konflikt um die regensburgischen Reichsklöster Obermünster und Niedermünster69. Friedrich tauschte diese beiden Frauenklöster am 22. Dezember 1215 mit dem Bischof Konrad gegen die regensburgischen Besitzungen Nördlingen und Öhringen mit der dortigen Propstei und den Vogteirechten an beiden Orten ein 70 . Das darüber ausgestellte Diplom betont den beiderseitigen Vorteil, hebt aber den besonderen Nutzen für das Reich eigens hervor. Die Begründung dürfte stichhaltig gewesen sein, auch wenn beide Klöster ein nicht unbeträchtliches servitium regis leisteten71. Damit war sicher auch jenem Grundsatz Genüge getan, der schon 1192 formuliert worden war, als Heinrich VI. die Schenkung der Reichsabtei Erstein an das Hochstift Straßburg annullieren mußte: daß es nämlich nicht erlaubt sei, Reichsgut ohne Nutzen für das Reich zu veräußern72. Außerdem hatte sich der König von den Herzögen Berthold von Zähringen und Leopold von Österreich Willebriefe über das Tauschgeschäft ausstellen lassen73. Dennoch mußte es rückgängig gemacht werden, als die Äbtissinnen beider Klöster vor einer Fürstenversammlung in Würzburg energisch Protest erhoben, an die fürstliche Solidarität appellierten und schließlich einen Fürstenspruch erwirkten, der die Veräußerung eines Fürstentums vom Reich auf welche Weise auch immer ohne Zustimmung des Fürsten selbst und der Ministerialen des Fürstentums verbot74. Dem König aber blieb nichts anderes übrig, als die Verbindlichkeit dieses

67 BF 1061. 1062; ed. MG Const. Π S. 80 Nr. 67. 68 (1219 Sept. 25); vgl. dazu BF 2065; ed. MG Const. Π S. 228 Nr. 187 (1234 Nov.). 68 BF 685; ed. E. W i n k e l m a n n , Acta imperii inedita I, Innsbruck 1880, S. 785 Nr. 1008 (1213). 69 Dazu B o s h o f , Reichsfürstenstand (wie Anm. 44), S. 49f. 70 BF 840; ed. H u i l l a r d - B r é h o l l e s (wie Anm. 27), S. 432. 71 Dazu P. S c h m i d , Regensburg. Stadt der Könige und Herzöge im Mittelalter, (Regensburger Hist. Forsch. 6) Regensburg 1977, S. 133 u. 288ff. 72 Vgl. J.F. B ö h m e r - G. B a a k e n , Regesta imperii IV 3: Die Regesten des Kaiserreiches unter Heinrich VI., Köln-Wien 1972, S. 86 Nr. 210: Non est licitum, res ad imperium spectantes alienare absque imperii provenni et Militate. 73 BF 840 und Ζ i η s m a i e r, Nachträge (wie Anm. 66), S. 159. 74 BF 863; ed. MG Const. Π S. 70 Nr. 57 (1216 Mai 15); dt. Übers, in: Ausgewählte Quellen (wie Anm. 19), S. 365 Nr. 91.

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Spruches für sich und seine Nachfolger zu beurkunden mit der gleichzeitigen Verpflichtung, alle Fürstentümer des Reiches in ihren Rechten und in ihrer Ehre - in suo iure et honore - unbeeinträchtigt zu erhalten. Der Spielraum der Zentralgewalt war nicht sehr groß, wenn fürstliche Interessen berührt waren. Viel, fast alles hing davon ab, daß der König Unterstützung für seine Auffassungen und Entscheidungen bei möglichst vielen Fürsten fand. Es kommt daher nicht von ungefähr, daß nun - nach einigen mehr oder weniger deutlichen Präzedenzfällen im 12. Jahrhundert - die Fürsten stärker in die laufenden Reichsgeschäfte einbezogen wurden, indem der König sich von ihnen Willebriefe ausstellen ließ75. Für die Goldene Bulle von Eger beispielsweise fand Friedrich die allgemeine Zustimmung der Großen76; darüber hinaus versicherte er sich aber noch eigens des Einverständnisses einzelner einflußreicher Fürsten, wie die uns erhaltene Urkunde Ludwigs, des Pfalzgrafen bei Rhein und Herzogs von Bayern, zeigt, einer der ältesten Willebriefe überhaupt, in dem der Aussteller erklärt, daß der König mit seinem Mitwissen, Willen und Konsens - de volúntate nostra et conscientia et consensu nostro - gehandelt habe77. Wie der Staufer hier die Fürsten in die Mitverantwortung für eine dem Reiche nicht besonders günstige Entscheidung nahm, so ließ sich mit zunehmender Erstarkung der Zentralgewalt das Instrument der Willebriefe ohne Zweifel auch zum Vorteil der königlichen Politik einsetzen. Im politischen Kräftespiel des Reiches machte sich schließlich ein weiterer Faktor in steigendem Maße geltend: die Städte78. Auch in Deutschland schickte sich das Bürgertum an, wirtschaftliche Macht in politischen Einfluß umzumünzen. Der Thronstreit hatte die Gewichte in mancher Hinsicht zugunsten der Kommunen verschoben, und das nicht 75 Vgl. J. F i c k e r, Fürstliche Willebriefe und Mitbesiegelungen, in: MIOG 3, 1882, S. 1-62, sowie J. F i c k e r , Vom Reichsfürstenstand Ι-Π 3; Π 1-3, bearb. ν. P. P u n t s c h a r t , Innsbruck/Graz 1861-1923 (ND Aalen 1961) - zu oben Π 1, S. 93ff. Vgl. auch Β o s h o f, Reichsfürstenstand (wie Anm. 44), S. 50ff. 76 Erwähnt in BF 1112; ed. MG Const. Π S. 84 Nr. 72 (1220 April 23). 77 BF 749; ed. MG Const. Π S. 62 Nr. 51. 78 Dazu allgemein: F. K n o p p , Die Stellung Friedrichs II. und seiner beiden Söhne zu den deutschen Städten, Berlin 1928; H. S t o o b, Formen und Wandel staufischen Verhaltens zum Städtewesen, in: Fs. H. Aubin zum 80. Geburtstag, Bd. II, Wiesbaden 1965, S. 423-451; Wiederabdr. in: d e r s . , Forschungen zum Städtewesen in Europa, Bd. I, Köln 1970, S. 51-72; E. M a s c h k e, Die deutschen Städte der Stauferzeit, in: Die Zeit der Staufer. Geschichte-Kunst-Kultur (Ausstellungskatalog Stuttgart) Bd. ΠΙ, Stuttgart 1977, S. 59-73; vgl. auch B. T ö p f e r , Stellung und Aktivitäten der Bürgerschaft von Bischofsstädten während des staufisch-welfischen Thronstreits, in: Stadt und Städtebürgertum in der deutschen Geschichte des 13. Jahrhunderts, (Forsch, z. mittelalt. Geschichte 24) Berlin (Ost) 1976, S. 13-62.

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nur in den wirtschaftlichen Zentren wie Köln, das bekanntlich im welfisch-staufischen Konflikt eine überragende Rolle gespielt hatte79. Das Regierungsgeschäft war damit aber nicht leichter geworden, wie das Beispiel Cambrai verdeutlichen mag. Philipp von Schwaben hatte das von Friedrich I. Barbarossa und von Heinrich VI. verbriefte Stadtrecht bestätigt80; Otto IV. hatte jedoch diese Privilegien im Interesse des Bischofs Johann kassiert81. Noch vor der Schlacht von Bouvines und seinem Feldzug gegen die niederdeutschen Anhänger des Weifen erneuerte Friedrich Π. den Bürgern die Verbriefungen seiner staufischen Vorgänger82, widerrief aber, gestützt auf einen Fürstenspruch, diese Maßnahme 1215, nachdem sich Johann ihm angeschlossen hatte83. Das aber war nicht das letzte Wort im Streite, denn nur wenige Wochen später korrigierte der König seine Entscheidung und bestätigte den Bürgern ihre Rechte und Freiheiten unter Androhung der poena laesae maiestatis bei Zuwiderhandlung erneut84, um dann im April 1216 nach Intervention des Bischofs und wiederum auf einen Fürstenspruch hin dieses Privileg als erschlichen zu kassieren85. Die Bürger gaben nicht nach; der Konflikt schwelte weiter, bis der Kaiser im Juni 1226 von Italien aus die Privilegien der Kommune für nichtig erklärte86; wenig später beurkundete König Heinrich (VII.) dieses ebenfalls auf einen Fürstenspruch gegründete Urteil auch in seinem Namen87. Die Auseinandersetzung gewann nicht zuletzt dadurch besondere Brisanz, daß die Bürger geltend gemacht hatten, der Rechtsstreit könne nur auf einem Hoftag in Deutschland entschieden werden. Mit besonderem Nachdruck betont Friedrich dagegen die von ihnen bestrittene Auffassung, daß der deutsche Hof dort sei, wo er und die Fürsten sich aufhalten: cum ibi sit Alemannie curia, ubi persona nostra et principes

79 Vgl. H. S t e h k ä m p e r , England und die Stadt Köln als Wahlmacher Ottos IV. (1198), in: Köln, das Reich und Europa (=Mitt. aus dem Stadtarchiv von Köln, H. 60), Köln 1971, S. 213-244. 80 Die Urkunden Friedrichs I. 1181-1190. MG DD regum et imperatorum Germaniae X 4, Hannover 1990, S. 92 Nr. 858 (1184 Juni 20); B ö h m e r - B a a k e n (wie Anm. 72), S. 257 Nr. 640 (deperd.); BF 112 (1205 Juni 1). 81 BF 252 (1209 Jan. 11); vgl. BF 253 (1209 Jan. 12). 82 BF 742 (1214 Juli 19). 83 BF 816 (1215 Juli 29); vgl. BF822 (1215 Juli 31). 84 BF 835 (1215 Sept. 26); ed. H u i l l a r d - B r é h o l l e s (wie Anm. 27), S. 425: Quod si quis unquam facere attemptaverit, ipsamque serenitatis regie confirmationem verbo vel opere leserit, penam lese maiestatis se noverit incurrisse. 85 BF 852 (1216 April 12); ed. H u i l l a r d - B r é h o l l e s (wie Anm. 27), S. 449. 86 BF 1638 (1226 Juni); ed. MG Const. Π S. 134 Nr. 106. 87 BF 4025 (1226 Nov.).

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imperii nostri consistunß*. Der Versuch, Herrschaft territorial zu definieren und zu begrenzen, mußte seine Regierungspraxis in Frage stellen; Friedrich hält dem ein personales Herrschaftsverständnis entgegen, das das deutsche Reich in seiner Person und der Gesamtheit der Reichsfürsten verkörpert sah. Daß sich der Staufer gerade in den den Emanzipationsbestrebungen der Bürger abträglichen Entscheidungen immer auf das Urteil der Fürsten beruft, kennzeichnet die politische Lage im Reich: Mag er in Einzelfällen kommunalen Freiheitsforderungen entgegengekommen sein, im Konfliktfall stellte er sich auf die Seite der Stadtherren. Das den Bürgern von Basel gewährte Privileg zur Einrichtung eines Stadtrates zog er zurück, als der Bischof Heinrich auf dem Hoftag zu Ulm im September 1218 den Fürstenspruch erwirkte, daß der König in der Bischofsstadt einen Rat nicht ohne Einwilligung des Bischofs und seiner Nachfolger im Fürstentum genehmigen dürfe 89 . In der Confoederatio von 1220 verbot er die Errichtung von Städten und Burgen in fitndis ecclesiarum sowie auf Grund von Vogteirechten90 und band dadurch vor allem die Zentralgewalt selbst. Die Summe der den kommunalen Bewegungen in Bischofsstädten feindlichen Maßnahmen zogen die um die Jahreswende 1231/1232 erlassenen Verordnungen, durch die in jeder Stadt und in jedem Marktort Deutschlands die von der Gesamtheit der Bürger ohne Zustimmung der bischöflichen Stadtherren eingesetzten Räte, Bürgermeister oder sonstigen Amtsträger abgesetzt, die Zünfte verboten und die lokale Währung als einzig gültige bestätigt wurden91. Die von den Bürgern durchgesetzten Forderungen werden als schlechte Gewohnheiten verworfen, die bischöfliche Stadtherrschaft wird als altes, unverrückbares Recht deklariert und den Fürsten gleichzeitig die Vollmacht erteilt, sich dieser Rechte und weiterer vom Kaiser in seiner Huld gewährter Privilegien unangefochten und in der umfassendsten Auslegung (latissima interpreta88 Wie Anm. 86; Einlassung der Bürger von Cambrai: quod privilegia memorata (seil, die Staatrechtsprivilegien der Vorgänger Friedrichs II.) non nisi in curia Alemannie estendere tenebantur, dicentes non esse curiam Alemannie ubi nostra esset persona ... Dagegen der Kaiser: ... verbis tarnen illorum civium predictorum ... frivolis penitus reputatis, cum ibi sit Alemannie curia ubi persona nostra et principes imperii nostri consistunt... 89 BF 949; ed. MG Const. Π S. 75 Nr. 62 (1218 Sept. 13); dazu M a s c h k e, Städte der Stauferzeit (wie Anm. 78), S. 66. 90 Confoederatio c. 9 (wie Anm. 19), S. 90. 91 BF 1917; ed. MG Const. Π S. 191 Nr. 156 (1231 Dez. - 1232 Mai); dt. Übers, in: Ausgewählte Quellen (wie Anm. 19), S. 429 Nr. 113. Vgl. dazu auch die bei Z i n s m a i er, Nachträge (wie Anm. 66), unter BF 1114 aufgeführte Literatur (zur Confoederatio).

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tione) zu bedienen. Auch diese Generalkassation kommunaler Institutionen92 ist aus einer bestimmten politischen Situation erwachsen: Der Kaiser stattete den geistlichen Fürsten seinen Dank ab für die bei der Vermittlung des Friedens mit dem Papst zu San Germano geleistete Unterstützung93, und er bereitete zugleich das Feld für die unvermeidlich gewordene Abrechnung mit dem Sohne vor; zugleich aber verweist die Arenga der Urkunde auf grundsätzliche Positionen, auf eine Konzeption vom Reich, die bei aller Betonung der kaiserlichen Vollgewalt den Fürsten, die vom Herrscher ihren Glanz empfangen, umgekehrt aber seiner Herrschaft Bestand verleihen, Anteil an den herrscherlichen Aufgaben gewährt. Die von Friedrich in der so häufig verwandten Formel nos et imperium hergestellte Verbindung von kaiserlicher Person und Reich ist sicher in vielen Fällen tautologisch verstanden, sie hat aber auch den Sinn des Miteinanders von Kaiser und Fürsten. Die vielfältigen Schwierigkeiten, die eine aktive Politik gegenüber bischöflichen und fürstlichen Städten behinderten, entfielen im Bereich des Haus- und Reichsgutes; hier lag daher der eigentliche Schwerpunkt der königlichen Städtepolitik. Mit der Neugründung von Städten und ihrer weiteren Förderung steht Friedrich Π. in der Tradition seiner Vorfahren. Wie diese bedient er sich bei derartigen Maßnahmen vor allem der Reichsministerialität. Ein Paradebeispiel ist dafür die Tätigkeit des Reichsschultheißen Wolfhelm von Hagenau, von dem der Chronist Richer von Senones berichtet, daß er im Elsaß zahlreiche Städte, Burgen und andere Befestigungsanlagen für das Reich erbaut habe94. Daß diese Sachwalter königlicher Politik sich bei ihren Bemühungen um den Ausbau der Reichslande, zu denen auch die Förderung der Städte und des Handels gehörte, nicht einmal durch die derartigen Aktivitäten entgegenstehenden Bestimmungen der Fürstengesetze hemmen ließen, erhellt schlagartig aus der Verordnung Heinrichs (VII.) von 1234 an einige Amtsleute des fränkischen Raumes, darunter den Reichsbutigler von 92 Ebd.: Ut igitur talis omnino removeatur enormitas et abusus nec auctoritatis aliquo velamine pallietur, omnia privilegia, litteras apertas et clausas, quas vel nostra pietas vel predecessorum nostrorum, archiepiscoporum eciam et episcoporum super societatibus, comunibus seu consiliis in preiudicium principum et imperii sive private persone dedit sive cuilibet civitati, ab hac die in antea in irritum revocamus ac frivola penitus et inania iudicamus ... 93 Vgl. M a s c h k e , Städte der Stauferzeit (wie Anm. 78), S. 67; zum Frieden von San Germano vgl. K a n t o r o w i c z , Friedrich II. (wie Anm. 1), S. 191 ff. 94 Richen Gesta Senoniensis ecclesiae c. 6, MG SS XXV, S. 302: Hic in Alsatia plurima oppida, castra et alias munitiones regno edificavit. Zu Wolfhelm/Wölflin von Hagenau vgl. Κ. Β o s 1, Die Reichsministerialität der Salier und Staufer ( = Schriften der MGH 10), Stuttgart 1950/51, S. 194ff.

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Nürnberg, die zahlreichen, im einzelnen aufgeführten Übergriffe auf Besitz und Rechte der Würzburger Kirche einzustellen95. In zahlreichen Urkunden für seine Städte hat Friedrich das Wechselverhältnis von Treue und Gefolgschaft der Bürger und königlicher Huld und Gunst artikuliert96. Aber es ging ihm dabei nicht darum, bürgerliche Freiheiten zu fördern, im Vordergrund stand das fiskalische Interesse97. Als er im November 1235 die Städte Nürnberg und Neumarkt von dem gegenseitig zu leistenden Zoll befreite, um so ihre Treue - pura fides et grata servitia - zu belohnen, machte er den Vorbehalt, daß die Zolleinnahmen des Reiches in beiden Städten nicht verringert würden und die Begünstigung nicht auf weitere Städte ausgedehnt werde, "damit nicht die Rechte des Reiches, die zu vergrößern wir gehalten sind, dadurch vermindert werden" 98 . In Friedrichs Sicht ließen reichere Gunsterweise des Herrschers erhöhte Leistungsbereitschaft des Begünstigten erwarten. Städtepolitik war ein Teil des Aufbaus des Königsterritoriums. Die Förderung städtischer Wirtschaftskraft brachte die Finanzmittel ein, die beim Ausbau und bei der Erweiterung der terrae imperii benötigt wurden. Die sogenannte Reichssteuerliste von 1241, ein "Zeugnis für die Organisation des staufischen Königsterritoriums"99, ist e p Beleg dafür, daß diese Politik bis in den Beginn der vierziger Jahre recht erfolgreich war; nach den Untersuchungen von A. Schlunk hat djtó Reichsgut um 1240 einen Ausbaustand erreicht wie zu keinem Zeitpunkt zuvor 100 . In der Reduzierung der Städtepolitik auf Gesichtspunkte des fiskalischen und - insofern auch die Anlage von Befestigungen vorangetrieben wurde - des militärischen Nutzens unter Zurückdrängung der freiheitlichen Entwicklungen im Bürgertum liegt wohl eine gewisse Begrenztheit im politischen Denken Friedrichs 101 , ein Mangel an Weitsicht in der Beurteilung der histori95 MG Const. Π S. 434 Nr. 324 (1234 Nov. 21); dt. Übers, in: Ausgewählte Quellen (wie Anm. 19), S. 459 Nr. 118; dazu B o s l , Reichsministerialität (wie Anm. 94), S. 398f. 96 Als Beispiel: BF 1125, ed. H u i l l a r d - B r e h o l l e s (wie Anm. 27), S. 777 (1220 Mai 1): ... attendentesfidem et devotionem quam universitas Tremoniensium civium ... semper habuit, considerantes quoque grata obsequia que ipsi cives nobis exhibuerunt laudabiliter et in antea poterunt exhibere ...In primis siquidem regia benignitate ipsis civibus ... concedimus ...Ad uberioris quoque grafie nostre ... concedimus ... 97 Vgl. S t o o b, Formen und Wandel (wie Anm. 78), S. 61. 98 BF 2126; ed. H u i 11 ar d - Β r é h o 11 e s (wie Anm. 27), IV,2, Paris 1855, S. 795: ne iura imperii que tenemur augere videantur ex hoc aliquatenus minorati. 99 Vgl. K i r c h n e r , Steuerliste (wie Anm. 38), S. 70. 100 S c h l u n c k , Königsmacht (wie Anm. 37), S. 181. 101 Vgl. dazu E. S e s t a η, Il significato storico della "Constitutio in favorem principum" di Federico Π, in: Atti del Convegno Internazionale di Studi Federiciani. VII Centenario della morte di Federico Π imperatore e re di Sicilia (10-18 die. 1950), 1952,

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sehen Bedeutung dieses Faktors für den Aufbau des modernen Staates. Sein Mißtrauen gegenüber dem Phänomen "Stadt" war offenbar tief verwurzelt in den Erfahrungen, die schon sein Großvater Barbarossa in den schweren Auseinandersetzungen mit den lombardischen Städten gemacht hatte. Am Ende seines ersten Deutschlandaufenthaltes steht die Sicherung der Nachfolge im Reich. Heinrich (VII.) wurde im April 1220 zum römischen König gewählt und zwei Jahre später in Aachen gekrönt102. Das war unstreitig ein weiterer großer Erfolg Friedrichs, auch wenn er mit dem Zugeständnis der Confoederatio103 für die geistlichen Fürsten, die bei der Wahl eine entscheidende Rolle gespielt hatten, erkauft wurde. Dabei lag der Vorteil der Fürsten nicht so sehr in den konkreten Zugeständnissen der Krone; denn diese waren in der Regel schon längst durch Einzelprivilegien und Gewohnheitsrecht abgesichert. Wichtiger war aus der Sicht der Fürsten, daß sie nun in ihrer Gesamtheit privilegiert wurden und der Zentralgewalt damit als Korporation geschlossen gegenübertraten. Anderseits legte der König, indem er über Markt, Münze, Zoll und Burgen Verordnungen traf, die nicht nur ihn, sondern auch die übrigen Laienfürsten banden, klar, daß die Regalien Hoheitsrechte waren, über die er verfügte104. Unter diesem Aspekt läßt sich auch die Confoederatio in Friedrichs Bemühungen um die Konsolidierung der königlichen Gewalt einordnen. Ausbau des Königsterritoriums, Sicherung der Hoheitsrechte und enge Bindung der Fürsten an das Königtum - das sind die Grundlinien der deutschen Politik Friedrichs. Das Verhältnis von Zentralgewalt und Fürsten zueinander hat die Kanzlei des Staufers gelegentlich im Bilde des unicum corpus imperii gefaßt, in dem der Herrscher das Haupt, die Fürsten die Glieder darstellen105. Derartige Vorstellungen vom Staat als Organismus, in dem Haupt und Glieder notwendig aufeinander angewiesen

S. 473-480, besonders S. 478f.; dt. Übers, in: Stupor mundi (wie Anm. 1), S. 331-341; ferner auch S t o o b, Formen und Wandel (wie Anm. 78). 102 BF 3849c und 3873a (1222 Mai 8). 103 Wie Anm. 19; Lit. Anm. 18. 104 Vgl. auch E n g e l s , Staufer (wie Anm. 2), S. 135, und H. L ö w e , Die Staufer als Könige und Kaiser, in: Die Zeit der Staufer, Bd. III (Ausstellungskatalog Stuttgart) Stuttgart 1977, S. 21-34, zu oben S. 30. 105 Vgl. die Encyclica de Heinrico rege von 1235 Jan. 29: MG Const. II S. 236 Nr. 193; dazu B o s h o f , Reichsfürstenstand (wie Anm. 44), S. 63f.

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sind, konnten sich die Fürsten durchaus zueigen machen106. In rechtliche Kategorien umgesetzt, bedeutete dies die Betonung vasallitischer Bindungen. Daß Friedrich in seinen Privilegien immer wieder die Gegenseitigkeit des Treueverhältnisses herausstellt, dem herrscherlichen Gunsterweis, der herrscherlichen Huld (gratia specialis) die Verpflichtung des Begünstigten zu Gefolgschaft, Treue und Dienst (obsequium, fides, servitium) zuordnet, zeugt von dem Bemühen, dem seit langem sich abzeichnenden Verdinglichungsprozeß der Lehnsverhältnisse entgegenzuwirken107. Das Institut der ligesse hatte nur in den westlichen Randgebieten des Reiches Auswirkungen gehabt108; in diesem Zusammenhang erscheint erwähnenswert, daß sich hier - aber auch in anderen Gebieten des Reiches - seit den zwanziger Jahren die Beispiele für vasallitische Bindungen oder Bündnisverpflichtungen mehren, die unter dem Vorbehalt der Treue zum römischen König oder zu Kaiser und Reich eingegangen werden und sich zum Teil nicht anders als ein ligisches Lehnsverhältnis darstellen109. Ob die staufischen Herrscher diese Entwicklung nach westlichem Vorbild bewußt haben vorantreiben wollen, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen110. Insofern aber in den erwähnten Verträgen der Gedanke der persönlichen Bindung an das Reichsoberhaupt und der besonderen Verpflichtung dem Reich gegenüber betont wurde, fügen sie sich nahtlos ein in die Grundmuster der Politik Friedrichs. Das erklärt wohl auch, daß sich der Kaiser auch nach seiner Rückkehr nach Italien die Belehnung der weltlichen Reichsfürsten und wichtige lehnsrechtliche Entscheidungen, wie etwa die Eventualbelehnung Ludwigs von Thürin-

106 Vgl. Mediatio principum inter Fridericum et Heinricum, 1232 April: MG Const. II S. 210 Nr. 170: Tronus imperialis, cui velut capiti membra coniungimur, sic nostris insidet humeris et nostra compage firmatur, ut et imperium quadatn excellenti magestate premineat et noster ab eo rffilgeat principatus. Nos quoque ad subeunda secum sollicitudinis onera tenemur ... Vgl. F i c k e r - P u n t s c h a r t , Reichsfürstenstand Π 1 (wie Anm. 75), S. 118. 107 Zu den Problemen der Verdinglichung des Lehnsverhältnisses vgl. H. M i 11 e i s, Lehnrecht und Staatsgewalt, Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, Weimar 1933 (ND Darmstadt 1958), S. 522ff. 108 Vgl. dazu V. H e η η, Das ligische Lehnswesen im Westen und Nordwesten des mittelalterlichen deutschen Reiches, Phil. Diss. Bonn 1970; d e r s . , Das ligische Lehnswesen im Erzstift Trier von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des Mittelalters, in: Kurtrier. Jb. 11, 1971, S. 37-35. 109 Vgl. etwa BF 10859; 10928; 10982; 11046; 11047; 11083; 11105; 11125; 11129;11234;11272;11378;11397; 11550. 110 Vgl. H e n n , Das ligische Lehnswesen im Westen (wie Anm. 108), S. l l l f . ; dazu M i 11 e i s, Lehnrecht (wie Anm. 107), S. 580.

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gen und seines Sohnes Hermann mit der Mark Meißen111, selbst vorbehalten hat. Die Vergabe der Reichslehen stilisierte die Kanzlei als einen Gnadenakt des Herrschers, der so die Reichstreue des Vasallen und seiner Vorfahren belohnte und sich den Belehnten zu weiterem Dienst verpflichtete112. Und so kommt es nicht von ungefähr, daß bei der endgültigen Beilegung des staufisch-welfischen Konfliktes die vasallitische Huldigung Ottos des Kindes im Zentrum des Staatsaktes steht. Handgang und Treueid des Weifen, der sich ganz und ohne Vorbehalt der Gnade des Kaisers übergeben hat, erscheinen als die entscheidende Voraussetzung seiner Rangerhöhung zum Reichsfürsten und der Belehnung mit dem neu geschaffenen Herzogtum Braunschweig-Lüneburg113. Die offizielle Darstellung des Geschehens in dem darüber ausgefertigten Diplom belegt ein weiteres Mal, daß Friedrich im Lehnrecht, und zwar vor allem in der Aktivierung der personalen Bindungen, ein wesentliches Element königlicher Politik in Deutschland gesehen hat. Die in der Heerschildordnung begründete und auch durch die Kirchenlehen der weltlichen Fürsten nicht grundsätzlich in Frage gestellte Ausschließlichkeit der Lehnsbindung an die Krone gab der Vasallität der Reichsfürsten den Charakter der ligesse, oder, um es mit den Worten von H. Mitteis zu formulieren: Der Reichsfürst ist der Sache nach homo ligius des Königs. Die Abwesenheit Friedrichs von Deutschland hat - weder unter der Regentschaft Engelberts von Köln und Ludwigs von Bayern noch unter Heinrichs (VII.) selbständigem Regiment - an diesem Regierungssystem etwas geändert. Die inzwischen erreichte Stärke der königlichen Stellung wird auch daran deutlich, daß nun die Landfriedenspolitik wieder aufgenommen wurde114. Bereits im Zusammenhang mit der Wahl Heinrichs (VU.) wurde auf dem Frankfurter Hoftag vom April 1220 ein Landfriede errichtet, dessen Beeidung durch alle Untertanen Friedrich dann von Italien aus anordnete115. Dabei stand über Friedensmaßnahmen hinaus schon die Regalienpolitik zur Diskussion; König und Fürsten bemühten sich,

111 BF1710 (1227 Sept.); ed. H u i l l a r d - B r é h o l l e s (wie Anm. 27), ΙΠ, Paris 1852, S. 21; dazu E. W i n k e l m a n n , Kaiser Friedrich Π., Bd. I, Leipzig 1889, S. 378ff. ; W. G o e ζ, Der Leihezwang (wie Anm. 61), S. 82. 112 Vgl. etwa BF 1883; ed. MG Const. Π S. 189 Nr. 154 (1231 Juli; Böhmen) oder BF 1918 (1231 Dez.; Brandenburg); ed. H u i l l a r d - B r é h o l l e s (wie Anm. 27), IV, 1, Paris 1854, S. 270. 113 Dazu B o s h o f , Braunschweig-Lüneburg (wie Anm. 65), S. 271f. 114 Dazu A n g e r m e i e r , Landfriedenspolitik (wie Anm. 24), und d e r s . , Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, München 1966, S. 27ff. 115 Vgl. BF 2043* (noch zu 1234 datiert); ed. MG Const. II S. I l l Nr. 88 (1220, nach Nov. 22); dazu A n g e r m e i e r , Landfriedenspolitik (wie Anm. 24), S. 176f.

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Mißbräuche abzustellen. Der sächsische Landfriede von 1221 und die wohl auch als territorialer Landfriede zu betrachtende - Treuga Heinrici von 1224, beide im Auftrag des Kaisers beziehungsweise des Königs Heinrich unter der Ägide des Reichsverwesers Engelbert von Köln erlassen116, standen noch in der Tradition der Sicherung des öffentlichen Friedens durch Bekämpfung der Fehde und Festlegung von Strafen. Aber Friedenswahrung erschöpfte sich, wie H. Angermeier aufgewiesen hat, nicht in gesetzgeberischen Maßnahmen dieser Art; sie verwirklichte sich in vielfältigen Aktionen, die die Abstellung von Mißständen und Wiederherstellung geordneter Rechtszustände zum Ziele hatten117. Heinrichs (VII.) Reichslandfriede von 1234 knüpfte daher an die Maßnahmen von 1220 an und bezog die Fehdebekämpfung ein in eine umfassendere Gesetzgebung, die hier freilich das Königtum gegenüber den Fürsten in der Defensive zeigt118. Der Erlaß dieser Ordnung stand schon im Zeichen der sich verschärfenden Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn. Die Gründe für diesen Konflikt liegen auf der Hand. Sie sind sicher nicht in unterschiedlichen Konzeptionen von der Herrschaft im Reich, sondern in erster Linie darin zu suchen, daß Heinrich als gewählter und gekrönter römischer König staatsrechtlich zwar eigene Regierungsbefugnisse geltend machen konnte119, was sich z.B. in der Existenz einer eigenen Kanzlei120 und der Ausfertigung von Urkunden in eigenem Namen dokumentiert, der Kaiser aber auch nach seiner Rückkehr nach Italien fortwährend in deutsche Angelegenheiten hineinregierte121. Das reichte von einfacher Privilegienbestätigung - nach Empfängern breit gestreut - bis hin zu wichtigen gesetzgeberischen Akten; das betraf Fragen der auswärtigen Politik, wie etwa die Affare um den in die Gefangenschaft des Grafen 116 MG Const. Π S. 394 Nr. 280 (datiert zu 1223 Mai) u. ebd. S. 398 Nr. 284 (? 1224 Juli); dazu A n g e r m e i e r , Landfriedenspolitik (wie Anm. 24), S. 174, und J. G e r n h u b e r , Die Landfriedensbewegung in Deutschland bis zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235, Bonn 1952, S. lOOff. 117 A n g e r m e i e r , Landfriedenspolitik (wie Anm. 24), S. 177ff. 118 MG Const. Π S. 428 Nr. 319 (1234 Febr. 11); dt. Übers, in: Ausgewählte Quellen (wie Anm. 19), S. 457 Nr. 117; dazu A n g e r m e i e r , Landfriedenspolitik (wie Anm. 24), S. 174. 119 Vgl. F. B e c k e r , Das Königtum der Thronfolger im Deutschen Reich des Mittelalters, Weimar 1913, S. 61ff. 120 Vgl. Ρ. Ζ i η s m a i e r, Studien zu den Urkunden Heinrichs (VII.) und Konrads IV., in: ZfGO 100, 1952, S. 445-565, insbesondere S. 452f. u. S. 556. 121 Vgl. E. W i n k e l m a n n , Die Wahl König Heinrichs (VII.), seiire Regierungsrechte und sein Sturz, in: Forschungen z. Dt. Geschichte 1, 1862, S. 22f.; G o e z , Friedrich Π. (wie Anm. 25), S. 23f.

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Heinrich von Schwerin geratenen Königs Waldemar von Dänemark122, in die sich Friedrich von Sizilien aus einschaltete. Bekanntlich hat er selbst die für die deutsche Geschichte zukunftsträchtigsten und folgenschwersten Entscheidungen jener Jahre getroffen: die Gründung und Privilegierung des Deutschordensstaates mit der im März 1226 zu Rimini ausgefertigten Goldenen Bulle123 und die Erhebung Lübecks zur freien Reichsstadt im Juni desselben Jahres124. Das Privileg für Lübeck mag zunächst nur ein "Aktionsprogramm"125 gewesen sein; es dokumentierte gleichwohl das Interesse des Kaisers am norddeutschen Raum und seinen Willen, dem Reich einen Vorteil zu verschaffen, wenn sich eine günstige Gelegenheit ergab. Mehr war zunächst nicht möglich in einer Region, aus der sich die Zentralgewalt seit langem zurückgezogen hatte, in der aber nach dem Sturz Heinrichs des Löwen ein Machtvakuum entstanden war, das noch unübersehbare Chancen einer politischen Neugestaltung zu bieten schien. In seiner Verteidigungsschrift gegen den Vater hat Heinrich (VII.) geklagt, daß dieser ihm die volle lehnsherrliche Gewalt in Deutschland überlassen, sich dann aber an dieses Zugeständnis nicht gehalten habe126. Gegenüber den Wormser Bürgern behauptete er, daß der Vater die deutschen Lande vollständig seiner Herrschaft unterstellt habe127. Aber Friedrich kassierte die von seinem Sohne den Wormsem zugestandene Einrichtung eines Stadtrates unverzüglich128. Nichts hätte die geradezu 122 BF 1507 (1223); vgl. W i η k e 1 m a η η, Kaiser Friedrich II. (wie Anm. I l l ) , S. 422f. 123 BF 1598; zu Editionen und Literatur vgl. Ζ i η s m a i e r, Nachträge (wie Anm. 66), S. 195; dt. Übers, des Privilegs: Ausgewählte Quellen (wie Anm. 19), S. 405 Nr. 104. Vgl. ferner Β. Κ ö h 1 e r in: HRG I (wie Anm. 18), Sp. 1737-1739. >24 BF 1636; dazu O. A h l e r s , A. G r a ß m a n n , W. N e u g e b a u e r u. W. S c h a d e n d o r f (Hrsg.), Lübeck 1226. Reichsfreiheit und frühe Stadt, Lübeck 1976. - Edition u. Übers, der Urkunde von A. Graßmann S. 9ff.; vgl. auch Anm. 25. 125 So H. B o o c k m a n n , Das "Reichsfreiheitsprivileg" von 1226 in der Geschichte Lübecks, in: Lübeck 1226 (wie Anm. 124), S. 97-113. 126 MG Const. Π S. 431 Nr. 322; vgl. S. 432: Nam cum de pietate et gratia patenta et ad consilium principum sepedictus dominus imperator potestatem nobis plenariam contulisset conferendi et concedendi beneficia et feoda vacantia, ut ex hoc magnates et nobiles ad utriusque servitium promptiores et plus benivolos haberemus, idem hoc in quibusdam postmodum non servavit in nostrum preiudicium et gravamen. 127 BF 4228; ed. H u i l l a r d - B r é h o l l e s (wie Anm. 27), IV,2, S. 564 (1232 März 17): Sane quia serenissimus dominus imperator pater noster nostre ditioni deputavi terram Allamanie plenius et commisit, intendimus in ea disponere et ordinare quod nobis et fidelibus nostris videtur expediens et consultum. Ab wann die Funktionen Heinrichs ausgeweitet wurden (plenius!) - vielleicht nach Ende der Vormundschaft des Herzogs Ludwig von Bayern - läßt sich nicht sagen. 128 BF 1976 (1232 Mai); ed. H u i l l a r d - B r é h o l 1 e s (wie Anm. 27), IV, 1, S. 335.

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schreiende Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit besser verdeutlichen können. Aus der fehlenden Abgrenzung der beiderseitigen Kompetenzen erwuchs der Konflikt, der sich verschärfte, als der König mit seiner forcierten Regierungstätigkeit auf den Widerstand der Fürsten stieß und Friedrich in diese Auseinandersetzung zwangsläufig hineingezogen wurde - und dies zu einem Zeitpunkt, als er sich nach dem Frieden von San Germano ganz dem Neuaufbau seines sizilischen Erbreiches zuwandte 129 . Da er einen offenen Konflikt mit den Fürsten auf jeden Fall vermeiden mußte, hat er im Mai 1232 in Cividale das sogenannte Statutum in favorem principum, das die Großen dem Sohne auf einem Wormser Hoftag im Voijahre abgezwungen hatten, mit einigen die Positionen des Königtums geringfügig verbessernden Änderungen notgedrungen bestätigt130. Auch für dieses Gesetz gilt grundsätzlich, was bereits zur Confoederatio cum principibus ecclesiasticis gesagt worden ist 131 : Es bedeutete nicht die Preisgabe von Hoheitsrechten, die den Aufbau der fürstlichen Territorialhoheit erst ermöglicht hätte; aber es sanktionierte der Gesamtheit der Fürsten, was sie inzwischen im staatlichen Ausbau ihrer Territorien erreicht hatten, und es erlegte der königlichen Territorialpolitik empfindliche Beschränkungen auf. Selbst in der Niederlage aber hatte Heinrich (VII.) noch durch das Gesetz über die Bindung fürstlicher Verordnungen an die Zustimmung der Landstände, der meliores et maiores terrae, einer unkontrollierten Ausweitung fürstlicher Gewalt einen Riegel vorschieben können 132 . Hochverrat und Empörung des Sohnes machten die Anwesenheit Friedrichs in Deutschland erforderlich; den schnellen Sturz Heinrichs 133 hat der Kaiser zu einer Neuordnung der politischen Verhältnisse in sei129 Den sizilischen Staatsaufbau charakterisiert knapp S c h a 11 e r, Friedrich Π. (wie Anm. 2), S. 40ff.; vgl. ferner K a n t o r o w i c z , Friedrich Π. (wie Anm. 1), S. 195ff.; M a r o η g i ù, "Modellstaat" (wie Anm. 5); H. D i 1 c h e r, Die sizilische Gesetzgebung Friedrichs II., eine Synthese von Tradition und Erneuerung, in: Probleme um Friedrich Π. (wie Anm. 2), S. 23-41; N. K a m p , Die sizilischen Verwaltungsreformen Kaiser Friedrichs Π. als Problem der Sozialgeschichte, in: QFiAB 62, 1982, S. 119-142, sowie R e i c h e r t , Der sizilische Staat (wie Anm. 3). 130 Vgl. Anm. 20 mit der in Anm. 18 angegebenen Literatur. Vgl. auch H. K o l l e r , Zur Diskussion über die Reichsgesetze Friedrichs Π., in: MIOG 66, 1958, S. 43 f. 1 31 Vgl. K l i n g e l h ö f e r , Reichsgesetze (wie Anm. 18), S. 186ff.; E n g e l s , Staufer (wie Anm. 2), S. 132. 132 MG Const. Π S. 420 Nr. 305 (1231 Mai 1); dt. Übers, in: Ausgewählte Quellen (wie Anm. 19), S. 423 Nr. 108. Vgl. K l i n g e l h ö f e r , Reichsgesetze (wie Anm. 18), S. 188 (mit Literatur). 133 Vgl. dazu auch J. R o h d e n , Der Sturz Heinrichs (VII.), in: Forschungen z. Dt. Geschichte 22, 1882, S. 351-414.

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nem Sinne genutzt, die, wie sich aus mancherlei Hinweisen ergibt134, nach Festigung der Herrschaft in Sizilien und Herstellung eines Ausgleichs mit Gregor IX. wohl ohnehin seit längerem geplant war. Der Mainzer Reichstag vom August 1235 stand daher von vornherein im Zeichen der Reichsreform: pro reformatione tocius terrae status war er einberufen worden135. Die Stilisierung der im Mittelpunkt der Entscheidungen stehenden Gesetze spricht eine deutliche Sprache: Auf dem Höhepunkt seiner Geltung in Deutschland tritt für Friedrich nun die Rücksichtnahme auf die Fürsten ganz zurück hinter der Betonung des göttlichen Mandates als Grundlage seiner Herrschaft. Die Wahrung von Friede und Recht ist seine, des Kaisers Aufgabe136. Mit der Schaffung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg wurde eine verfassungsrechtliche Klärung der seit 1180/81 umstrittenen Herrschaftsverhältnisse im norddeutschen Räume herbeigeführt. Welche Bedeutung der Staufer diesem Teil der Reichsreform beimaß, ist nicht zuletzt daran zu erkennen, daß er Anweisung gab, diese Entscheidung in allen Annalen festzuhalten: eo quod tunc Romanum auxisset imperium novum principerà creando137. Ins Zentrum seines Herrschaftsverständnisses aber führt der Reichslandfriede. Daß dieses Gesetzeswerk mehr war als eine Friedensordnung herkömmlichen Stils ist bereits gesagt worden. In seiner Bewertung als Rechtskodifikation mit weitgehenden Konsequenzen weniger für Friedrichs eigene Regierungszeit als vielmehr die weitere Entwicklung des Landfriedens sowie als eine Art Reichsgrundgesetz, erlassen ad generalem statum et tranquillitatem imperii138, also zur Errichtung einer allgemeinen Rechts- und Friedensordnung im Reich, in dieser Bewertung ist sich die Forschung weitgehend einig139. Mit der Ersetzung gewohn134 Vgl. B o s h o f , Reichsfürstenstand (wie Anm. 44), S. 62f. 135 Vgl. die Urkunde über die Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg BF 2104; ed. MG Const. Π S. 263 Nr. 197: ... contingente causa nostri felicis adventos in Alamanniam et pro reformatione tocius terre status indicia Maguncie curia generali... 136 Vgl. die Arenga des Mainzer Reichsfriedens (MG Const. Π S. 241 Nr. 196), wo es u.a. heißt: Ex his enim precipue munitur auctoritas imperantis, cum in observancia pacis et execucione iusticie quantum terribilis est perversis, tantum est desiderabilis mansuetis. 137 Chron. regia Colon., Cont. IV, ed. G. Waitz, MG SS rer. Germ. 1880, S. 267. Dem entspricht, daß Friedrich bereits in der Urkunde selbst (wie Anm. 135) seiner Entscheidung diese Deutung gibt: Nos autem, qui tenemur modis omnibus imperium augmentare ...; dazu B o s h o f , Braunschweig-Lüneburg (wie Anm. 65), S. 274. 138 MG Const. Π S. 247: Ad generalem statum et tranquillitatem imperii edite et promulgate sunt hee constituciones ... Vgl. auch die Arenga S. 241. 139 Vgl. K l i n g e l h ö f e τ, Reichsgesetze (wie Anm. 18), S. 192 (mit Literatur); A n g e r m e i e r , Königtum und Landfriede (wie Anm. 24), S. 30ff.; B u s c h m a n n ,

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heitsmäßig geltenden durch geschriebenes Recht und der Errichtung von Institutionen, des Hofgerichtes und der Hofgerichtskanzlei140, sollte die Rechtssicherheit garantiert werden. In der Verfügung über die Regalien knüpfte Friedrich an den Landfrieden seines Sohnes an - nun aber ohne die fürstenfreundlichen Konzessionen, zu denen sich Heinrich (VII.) gezwungen gesehen hatte. Indem der Kaiser den Fürsten gegenüber den Pflichtcharakter der ihnen in den Privilegien von 1220 und 1231/32 überlassenen Gerechtsame einschärfte, nahm er sie wieder stärker in den Dienst des Reiches. Die revindikatorische Zielsetzung der Regalienbestimmungen ordnet sich nahtlos in die Reichslandpolitik, die Betonung des Dienstgedankens in die in den Einzelprivilegien immer wieder zum Ausdruck gebrachten Vorstellungen von der Mitverantwortung der Fürsten für die Administration des Reiches ein. Als Stichtag für die rechtmäßige Nutzung von Regalien sollte das Todesdatum Heinrichs VI. gelten; alle danach eingerichteten Zölle und Münzstätten wurden aufgehoben, wenn für sie kein eindeutiger Rechtstitel vorgewiesen werden konnte141. Die Jahrzehnte der Wirren waren nun vorbei; mit der Anknüpfung an die glanzvollste Epoche staufischer Herrschaft kehrte das Reich in der Sicht Friedrichs zur Normalität zurück. Mit der Regelung der Nachfolge nahm sich der Kaiser bis 1237 Zeit. Als er dann bei seinem Aufenthalt in Wien seinen Sohn Konrad zum König wählen ließ, haben die Fürsten, anders als 1220, keinerlei Bedingungen gestellt142 - auch das kennzeichnet die Stärke der Stellung Friedrichs in Deutschland. Konrad wurde nicht gekrönt; seine Regierungsbefugnisse, die im übrigen räumlich bechränkter waren als die seines Bruders Heinrich, leitete er aus den Vollmachten ab, die der Kaiser ihm erteilte143; Prokuratoren und ein Kronrat, in dem vor allem Ministerialen Landfriede und Verfassung (wie Anm. 24), sowie d e r s, Königtum und Landfriede (wie Anm. 114). 140 Zur Schriftlichkeit vgl. Prooemium, a.a.O., S. 241; zu Reichshofgericht und Hofgerichtskanzlei (Idem - seil, iusticiarius curiae - habebit notarium specialem ...) vgl. Art. 28 u. 29, S. 246f.; dazu F. B a t t e n b e r g in: HRG IV, 1990, Sp. 615ff. (mit Literatur). 141 Vgl. Art. 7, S. 243: Ideoque statuimus, ut omnia telonea tarn in terris quam in aquis post mortem dive memorie patris nostri imperatoris Heinrici, a quocumque et ubicumque instituía fuerint, removeantur omnino, nisi is qui habet coram imperatore probet, ut iustum est, se teloneum de iure tenere. Vgl. ferner Art. 11, S. 244 (das Münzrecht betreffend). 142 BF 4385b u. 4386; vgl. H. M i 11 e i s, Die deutsche Königswahl. Ihre Rechtsgrundlagen bis zur Goldenen Bulle, Brünn-München-Wien 21944, S. 176ff. 143 Vgl. B e c k e r , Königtum der Thronfolger (wie Anm. 119), S. 97ff.; H. H a r t m a n n , Die Urkunden Konrads IV. Beiträge zur Geschichte der Reichsverwal-

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vertreten waren, sowie eine eigene, gegenüber der seines Bruders Heinrich freilich weniger unabhängige Kanzlei standen ihm zur Seite. Für Friedrich selbst trat nun die Italienpolitik wieder in den Vordergrund: Die Auseinandersetzung mit den Lombarden und der Existenzkampf mit dem Papsttum nach seiner erneuten Exkommunikation im Jahre 1239 haben schließlich seine Kräfte völlig absorbiert. Die Behandlung der babenbergischen Frage aber läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß er an den Grundlinien seiner deutschen Politik festhielt. Auf Einzelheiten ist hier nicht einzugehen; die verschiedenen Versuche des Zugriffs auf den Südosten des Reiches von der Verheiratung seines Sohnes Heinrich mit der Babenbergerin Margarethe, die ihm die politische Partnerschaft des Herzogs Leopold VI. sicherte144, bis hin zur Bestimmung seines Testamentes, daß sein Enkel Friedrich, der Sohn Heinrichs und der Margarethe, Österreich und Steiermark von Konrad IV. erhalten solle145, paßten sich den besonderen Umständen der jeweiligen politischen Lage an 146 . Der Konflikt mit Friedrich dem Streitbaren schien 1236/37 die Maximallösung zu ermöglichen: die Unterstellung der Herzogtümer unter Reichsverwaltung, verbunden mit der Erhebung Wiens zur Reichsstadt und der Übernahme der steirischen Dienstleute in die Reichsministerialität147. Als sich der Babenberger jedoch behauptete, versuchte es der Kaiser mit einer Eheverbindung und dem eigentümlichen Plan, die Herzogtümer zu einem Erbkönigreich zu erheben. Nach dem erhaltenen Entwurf der Erhebungsurkunde sollten die Nachfolge nicht durch Wahl, sondern nach dem Prinzip der Primogenitur geregelt, Krötung in spätstaufischer Zeit, in: AUF 18, 1944, S. 38-163; Ζ i η s m a i e r, Studien (wie Anm. 120); G o e ζ, Friedrich Π. und Deutschland (wie Anm. 25), S. 30f. Vgl. ferner O.H. B e c k e r , Kaisertum, deutsche Königswahl und Legitimitätsprinzip in der Auffassung der späteren Staufer und ihres Umkreises, Frankfurt/M. 1975, S. 11-66 (vor allem zum imperialen Selbstverständnis), der gegenüber dem väterlichen Auftrag die Eigenständigkeit stärker betont. 144 Vgl. F r a n z e l , Heinrich VII. (wie Anm. 8), S. 109f.; K. L e c h n e r , Die Babenberger. Markgrafen und Herzöge von Osterreich 976-1246, Wien-Köln-Graz 1976, S. 214ff. 145 MG Const. II Nr. 274 S. 386 (Art. 4); dt. Übers, in: Ausgewählte Quellen (wie Anm. 19), S. 533 Nr. 132. Zum politischen Testament des Kaisers vgl. G . W o l f , Die Testamente Kaiser Friedrichs II., in: Stupor mundi (wie Anm. 1), S. 692-749. 146 Zum folgenden vgl. F. H a u s m a n n , Kaiser Friedrich II. und Österreich, in: Probleme um Friedrich Π. (wie Anm. 2), S. 225-308; D e r s . , Österreich unter den letzten Babenbergern (Friedrich I., Leopold VI., Friedrich II.), in: Das babenbergische Österreich (976-1246). Hrsg. v. E. Zöllner, Wien 1978, S. 54-68. 147 BF 2237 (1237 April); BF 2244 (1237 April); vgl. dazu K a n t o r o w i c z , Friedrich II. (wie Anm. 1), Erg.bd. S. 163f.; H a u s m a n n , Kaiser Friedrich II. und Osterreich (wie Anm. 146), S. 253ff.; Η. Α ρ ρ e 11, Die Rechtsstellung der ältesten steirischen Landeshauptleute, in: Zs. d. Hist. Ver. f. Steiermark 53 I, 1962, S. 15-27.

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nung und Weihe durch den Kaiser - im Falle der Weihe also wohl durch einen von ihm zu bestimmenden Geistlichen - vorgenommen werden, der Rechtsstatus des Landes sich im übrigen aber nicht ändern148. Diese verfassungsrechtlich sicher nicht unproblematische Konzeption läßt sich nicht ohne weiteres vom Vorbild des przemyslidischen Königreiches Böhmen, das zwar ins Reich eingegliedert war, aber immer eine Sonderstellung behauptete, her erklären149, sondern wohl nur von der Reichsidee Friedrichs her verstehen150. Ein Titularkönigtum Österreich-Steiermark hätte - mehr noch als die Erhebung des weifischen Herrschaftskomplexes zum Herzogtum Braunschweig-Lüneburg - den Glanz des Reiches und des staufischen Kaisertums gesteigert, zumal Friedrich ohne Zweifel an einen endgültigen Anfall des babenbergischen Erbes an sein Haus gedacht hat. Das Projekt wurde nicht verwirklicht; der kinderlose Tod Friedrichs des Streitbaren aber verschaffte dem Kaiser nun die Möglichkeit, zur Maximallösung von 1237 zurückzukehren, die babenbergischen Lande als erledigte Lehen einzuziehen und nach dem Vorbild der reichsitalischen Amtssprengel der Verwaltung von kaiserlichen Prokuratoren zu unterstellen151. Für die konsequente Mehrung des Reichsbesitzes aber gibt es auch weniger spektakuläre Beispiele wie etwa den Kauf der Grafschaft im Allgäu152, der Ortsvogtei über Oberwesel153 und der Vogtei über Stadt und Kloster Rheinau154; auch die Unterstellung der Leute von Schwyz unter des Reiches Schutz und Herrschaft gehört in diesen Zusammenhang155, 148 MG Const. Π S. 358 Nr. 261 (1245 Juni); vgl. H a u s m a n n , Kaiser Friedrich Π. und Österreich (wie Anm. 146), S. 280ff. Zur Arenga der Urkunde F i c h t e n a u , Arenga (wie Anm. 7), S. 37ff. 149 Zur Stellung Böhmens im Reich vgl. die Anm. 40 angegebene Literatur. Der Verfasser hat seine Auffassung dargelegt in einer Untersuchung: Das Salierreich und der europäische Osten (Vortrag auf einem Koll. über "Auslandsbeziehungen unter den salischen Kaisern"), die voraussichtlich in den "Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft", Speyer, erscheinen wird. 150 Vgl. auch H. K o l l e r , Das "Königreich" Österreich, Graz 1972, und U. F l o s s m a n n , Regnum Austriae, in: ZRG Germ. Abt. 89, 1972, S. 78-117, sowie G. W a g n e r , Pläne und Versuche der Erhebung Österreichs zum Königreich, in: Österreich. Von der Staatsidee zum Nationalbewußtsein. Hrsg. v. G. Wagner, Wien 1982, S. 394-432. Von der älteren Literatur noch wichtig: O. R e d l i c h , Die Pläne einer Erhebung Österreichs zum Königreich, in: Zs. d. Hist. Ver. f. Steiermark 26, 1931, S. 8799. 151 Vgl. K a n t o r o w i c z (wie Anm. 147) und H a u s m a n n , Kaiser Friedrich Π. und Österreich (wie Anm. 146), S. 285 u. S. 292ff. 152 BF 3358 (1243 April). 153 BF 5314 (1257 Juli 15; König Richard); dazu vgl. auch BF 2254 (1237). 154 BF 3204 (1241 Mai); zu den hier genannten und weiteren Fällen vgl. K i r c h n e r , Steuerliste (wie Anm. 38), S. 94f. 155

B F 3155 (1240 Dez.).

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wie schon Heinrich (VII.) einige Jahre zuvor die Leute von Uri aus der Herrschaft des Grafen von Habsburg an das Reich zurückgebracht hatte156. Die Erneuerung des Reiches, die 1235 programmatisch in die Wege geleitet worden war, aber brauchte Zeit; sie erforderte vor allem eine intensive Regierungstätigkeit, die Anwesenheit des Herrschers im Reich. Diese Voraussetzungen waren jedoch spätestens nach 1245 nicht mehr gegeben. Mit dem Abfall der Erzbischöfe von Köln und Mainz, Konrad von Hochstaden und Siegfried von Eppstein, nach der erneuten Exkommunikation des Kaisers begann der Endkampf der Staufer in Deutschland, dessen Hauptlast Konrad IV. zu tragen hatte. Territorialpolitische Fragen spielten für die Parteibildung häufig eine wesentliche Rolle157; die kuriale Agitation gegen den Gebannten tat ein übriges und gab dem Verrat die willkommene Rechtfertigung. Staufertreue Bischöfe beugten sich päpstlichem Druck158. Selbst die Reichsministerialität erwies sich nicht immer immun gegen Verlockungen und Anfechtungen; im Kampf um die Wetterau haben zum Beispiel die Münzenberger die staufischen Fahnen verlassen159. Ein Großteil der Reichsstädte und Dienstmannen jedoch hielt zu Konrad IV. in diesem mühseligen Kleinkrieg um Burgen, Dörfer und Städte, in dem die Aussicht auf einen Erfolg immer mehr dahinschwand. Der erwählte römische König hat sich diese Unterstützung freilich nicht selten durch Gunsterweise erkaufen müssen, so daß - vor allem nach der schweren Niederlage Konrads gegen Heinrich Raspe im August 1246 bei Frankfurt - die Ressourcen des Königtums sich durch Verpfändung, Verlehnung, aber auch mehr oder weniger offene Verselbständigung von Teilen der Reichsministerialität schnell er-

156 BF 4201 (1231 Mai 26). 157 Für die Situation im Rheinland vgl. z.B. O. E n g e l s , in: Rheinische Geschichte. Hrsg. v. F. Petri u. G. Droege, Bd. 3, Düsseldorf 1983, S. 259f.; ferner auch: P. T h o r a u , Territorialpolitik und fürstlicher Ehrgeiz am Niederrhein zur Zeit Kaiser Friedrichs II. und König Konrads IV.: Das Lütticher Schisma von 1238, in: Ex ipsis rerum documentis. Beiträge zur Mediävistik, Fs. f. H. Zimmermann, Sigmaringen 1991, S. 523-536. 158 Zu den Auseinandersetzungen der letzten Jahre vgl. M. S t i m m i η g, Kaiser Friedrich Π. und der Abfall der deutschen Fürsten, in: HZ 120, 1919, S. 210-249; K.E. D e m a η d t, Der Endkampf des staufischen Kaiserhauses im Rhein-Main-Gebiet, in: Hessisches Jb. f. Landesgeschichte 7, 1957, S. 102-164; H. S t e i η b a c h, Die Reichsgewalt und Niederdeutschland in nachstaufischer Zeit (1247-1308), Stuttgart 1968, S. 11 ff.; H. S c h w a r z m a i e r , Das Ende der Stauferzeit in Schwaben (wie Anm. 12); E. E n g e l , Beziehungen zwischen Königtum und Städtebürgertum unter Wilhelm von Holland (1247-1256), in; Stadt und Städtebürgertum (wie Anm. 78), S. 63-107. 159 Vgl. D e m a η d t, Endkampf (wie Anm. 158), S. 116f.

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schöpften160. Der Tod des Kaisers am 13. Dezember 1250 und Konrads Abzug nach Italien im Herbst 1251161 entschieden den Streit. Der Sohn Friedrichs Π. mag die Hoffnung gehegt haben, von Sizilien und Italien aus wie einst der Vater die Macht in Deutschland wiederzuerlangen. Sein früher Tod im Mai 1254 aber setzte den endgültigen Schlußpunkt unter die staufische Herrschaft im Reich. Der Versuch einer Bewertung der Leistung Friedrichs Π. für das deutsche Reich, dessen, was er gewollt, und dessen, was er erreicht hat, kann sich nicht auf einen Vergleich mit dem normannischen Königreich gründen. Der Staufer hat, wie schon E. Kantorowicz betont, niemals daran gedacht, das Reich nach dem sizilischen Modell zu gestalten162; dafür waren die Voraussetzungen nicht gegeben. Die strukturellen Bedingungen königlicher Herrschaft in Deutschland konnte Friedrich nicht grundsätzlich ändern. Die Staatlichkeit des Reiches konkretisierte sich vor allem in den personalen Beziehungen von Lehnsherr und Vasall, von Herr und Dienstmann. Hier setzte der Staufer an mit dem Bemühen, die vasallitischen Bindungen mit neuem Leben zu erfüllen, die Teilhabe der Fürsten an der Herrschaft zur tatkräftigen Mitverantwortung in der Administration des Reiches auszugestalten. Dieser vergleichsweise konservative Ansatz aber wurde ergänzt durch die Bemühungen um den Aufbau eines königlichen Territoriums, in dem mit dem Einsatz der Ministerialität und der Förderung der Städte Formen moderner Staatlichkeit verwirklicht wurden. Der Anspruch auf die höchste Gerichtsgewalt im Reich schließlich und die unbestreitbare Tatsache, daß das Königtum prinzipiell Ursprung und Garant aller Legitimität im Reich war, boten die Möglichkeit, die fürstliche Macht zu kontrollieren und zu beschränken. Lehnrecht, Verfügungsgewalt über das Reichsgut, Regalienrecht, Gerichtshoheit und Landfrieden waren die Elemente einer Konsolidierung der königlichen Gewalt in Deutschland. Friedrich Π. hat sie alle eingesetzt; über Erfolg oder Mißerfolg dieser Aufbauarbeit war noch nicht entschieden, als der Staufer sich in den Existenzkampf mit dem Papsttum verstrickte und die Festigung der Königsmacht in Deutschland der übernationalen Politik der Behauptung des Kaisertums untergeordnet wurde. Rudolf von Habsburg, der seine politische Karriere im Gefolge Fried160 Vgl. S c h 1 u η c k, Königsmacht (wie Anm. 37), S. 191 ff. ; dazu die aufschlußreiche Notiz in den Annales s. Rudperti Salisburgenses, MG SS IX, S. 792: Chunradus rex heres Friderici, occupatis et distractis per infeodationem sive per obligationem possessionibus suis, missis pro eo nunciis sollempnibus, in Lombardiam se transtulit. 161 BF 4563a. 162 K a n t o r o w i c z , Friedrich II. (wie Anm. 1), S. 348.

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richs Π. gemacht hat, knüpfte an diese Politik wieder an, als er nach dem sogenannten Interregnum vor die Aufgabe gestellt wurde, die königliche Autorität im Reich neu zu begründen.

Zwischen staufischer Tradition und dynastischer Orientierung: Das Königtum Rudolfs von Habsburg Von Franz-Reiner Erkens Ohne Zweifel: Rudolf von Habsburg gehört zu den populären Königen des deutschen Mittelalters. Zu seiner Beliebtheit haben nicht nur die Anekdoten beigetragen, die sich schon bald um ihn rankten1, sondern er ist dem Bildungsbürgertum vor allem auch durch Friedrich Schillers Gedicht 'Der Graf von Habsburg1 und Franz Grillparzers Schauspiel 'König Ottokars Glück und Ende' eine bekannte 'historische' Größe gewesen. Schillers Reim: "Denn geendigt nach langem verderblichen Streit War die kaiserlose, die schreckliche Zeit, Und ein Richter war wieder auf Erden. Nicht blind mehr waltet der eiserne Speer, Nicht fürchtet der Schwache, der Friedliche mehr, Des Mächtigen Beute zu werden", ist zu einem geflügelten Wort geworden, das ebenso wie Grillparzers Blankverse dazu beigetragen hat, besonders die Leistungen Rudolfs im historischen Bewußtsein zu bewahren, die ihn als Überwinder der schlimmen Folgen des sog. Interregnums und als Wahrer des Friedens wie des Rechtes zeigen. Wenn aber Grillparzer den Habsburger zu dem böhmischen König Ottokar sprechen läßt: "Geschworen hab ich: Ruh und Recht zu schirmen: Beim allessehenden, dreiein'gen Gott! Nicht so viel, sieh! Nicht eines Haares Breite

1 Vgl. W. Τ r e i c h 1 e r, Mittelalterliche Erzählungen und Anekdoten um Rudolf von Habsburg, Bern 1971, und E. K l e i n s c h m i d t , Herrscherdarstellung. Zur Disposition mittelalterlichen Aussageverhaltens, untersucht an Texten über Rudolf I. von Habsburg, Bern 1974.

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Sollst du von dem behalten, was nicht dein! Und so tret ich im Angesicht des Himmels Vor dich hin, rufend: gib, was du vom Reich!" (ΙΠ, 1809-14), dann erscheint Rudolf hier zwar auch als Schützer des Rechts und Garant der göttlichen Ordnung, gleichzeitig aber auch, denn der Ausgang ist bekannt, als Wegbereiter seines Hauses in Österreich: Am Ende des Dramas, nachdem er seinen Söhnen das erledigte Herzogtum als Reichslehen übertragen hat, erklingt dann auch der Ruf von allen: "Hoch Österreich! Habsburg für immer! " Als Wiederhersteller des Reiches und Hüter von dessen Ruhe und Sicherheit, aber auch als Begründer der habsburgischen Hausmacht in Österreich und damit - wie die Zukunft erweisen sollte - als Stammvater einer europäischen Herrscherdynastie ist Rudolf nicht nur von den Dichtern gesehen worden, sondern auch von den Historikern; so hat ihn auch Oswald Redlich in seiner monumentalen, heute noch keinesfalls überholten Biographie am Beginn unseres Jahrhunderts mit großer Meisterschaft dargestellt2. Der Habsburger habe sich, wird dabei eigens betont3, wegen der gewachsenen Fürstenmacht und der materiellen Verluste, die das Königtum nach dem Sturz der Staufer hatte hinnehmen müssen, letztlich auf das Territorium, auf den Besitz seines Hauses als Basis der Königsherrschaft verwiesen gesehen und damit einen wesentlichen Schritt hin zum Hausmachtkönigtum getan. Für viele erscheint Rudolf daher als der erste König, der seine Herrschaft vorwiegend auf die Hausmacht gründete4; und obwohl gegen diese Deutung berechtigter Einspruch erhoben worden ist5, wird sie bis in die jüngste Zeit hinein wiederholt6. 2 O. R e d l i c h , Rudolf von Habsburg. Das deutsche Reich nach dem Untergange des alten Kaisertums, Innsbruck 1903. 3 Vgl. ebd. S. 734-739. 4 Vgl. z.B. J. H a 11 e r, Die Epochen der deutschen Geschichte, Berlin 1954 u.ö., S. 74 f.; d e r s . / H . D a n n e n b a u e r , Von den Staufern zu den Habsburgern, 3 Berlin 1970, S. 24; Ο. Β r u η η e r, Kaiser und Reich im Zeitalter der Habsburger und Luxemburger, in: P. Rassow (Hg.), Deutsche Geschichte im Uberblick. 3. Aufl. hg. v. Th. Schieffer, Stuttgart 1973, S. 211-252, bes. 211-215 (Kap. I. 1257-1291: Auf dem Weg zum Hausmacht-Königtum); K. H a m p e , Herrschergestalten des deutschen Mittelalters, Heidelberg 71967, S. 231. 5 Vgl. dazu vor allem H. A n g e r m e i e r , Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, München 1966, S. 56, sowie die jüngeren Gesamtdarstellungen von H. T h o m a s , Deutsche Geschichte des Spätmittelalters. 1250-1500, Stuttgart 1983, S. 65 f., und P. M o r a w , Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter. 1250-1490, Berlin 1985, S. 211-218. 6 Vertreten wird sie sowohl in eher populärwissenschaftlichen Biographien (vgl. z.B. J. F r a n z i , Rudolf I. Der erste Habsburger auf dem deutschen Thron, Graz 1986, S. 214, 220, 283) als auch in historischen Darstellungen: vgl. etwa E. E n g e l , in: dies./B. Töpfer, Vom staufischen Imperium zum Hausmachtkönigtum. Deutsche Ge-

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Dieser Dissens gibt Anlaß, die Frage nach dem Herrschaftsverständnis des Habsburgers erneut zu stellen und sie dabei zugleich im Zusammenhang eines weiteren Problemkreises zu erörtern, in Hinblick auf die Frage nämlich, inwieweit die erste Reichsregierung nach dem Interregnum bei ihrem Bemühen um die Konsolidierung der Königsgewalt an herkömmliche Muster der Politik anknüpfte oder neue Wege beschritt, inwieweit sie traditionell handelte oder innovativ wirkte. Letztlich muß bei dieser Erörterung natürlich auch bedacht werden, in welchem Rahmen es für einen mittelalterlichen König, besonders für einen König wie Rudolf von Habsburg, der erst nach dem Zusammenbruch der gewaltig übersteigerten Herrschaft des letzten Stauferkaisers die Regierung übernahm, denn überhaupt möglich gewesen ist, die traditionellen Bahnen staufischer Reichspolitik zu verlassen.

I Wie sehr das Interregnum einen Einbruch in der Entwicklung des deutschen Königtums bedeutete, zeigt sich vor allem auch am Urkundenwesen. Die Kanzlei war praktisch die einzige Zentralbehörde, die der König seit dem früheren Mittelalter besaß; sie stellte daher sein am besten ausgebildetes Regierungsinstrument dar, war aber nach dem Sturz der Staufer zeitweise in Verfall geraten. In den ersten Jahren nach dem Interregnum besaß sie keine feste Ordnung, entsprechend uneinheitlich ist das Erscheinungsbild der Urkunden7. Zwar hatten auch die Kanzlisten der Zwischenreichskönige an das Vorbild der staufischen Kanzlei angeknüpft8, wobei die Notare Wilhelms von Holland weniger die Gepflogenheiten der Kanzlei Kaiser Friedrichs Π. als die der 'Schreibstube' König Heinrichs (VII.) zum Vorbild wählten9, und natürlich haben sich die schichte vom Wormser Konkordat 1122 bis zur Doppelwahl von 1314, Weimar 1976, S. 301 f., 313 und 335. 1 Vgl. H. v. S y b e l / T h . v . S i c k e l (Hgg.), Kaiserurkunden in Abbildungen. Text, Berlin 1891, S. 211-261 (von S. H e r z b e r g - F r ä n k e l ) , bes. 213; S. H e r z b e r g - F r ä n k e l , Geschichte der deutschen Reichskanzlei. 1246-1308. I. Die Organisation der Reichskanzlei, in: MIÖG Ergbd. 1, 1885, S. 254-297, bes. 272, 280, 287. Allg. siehe auch J . F . Böhmer, Regesta Imperii VI,1. Die Regesten des Kaiserreichs unter Rudolf, Adolf, Albrecht, Heinrich VII. 1273-1313. Neu hg. v. O. R e d l i c h . Mit einem Anhang v. C. Brühl, Hildesheim 1969 [erstmals Innsbruck 1898] (zukünftig: BR), S. 12 f. 8 Vgl. H e r z b e r g - F r ä n k e l (wie Anm. 7), S. 257. 9 Vgl. D. H ä g e r m a n n , Studien zum Urkundenwesen Wilhelms von Holland, Köln 1977, etwa S. 47, 75 ff., 136, 208, 214 f., 270, 361 f., 365.

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Notare des Habsburgers gleichfalls um Kontinuität bemüht, wobei die Kanzlei des Holländers keinesfalls bedeutungslos für sie war10; größere Stetigkeit aber gewinnt das Urkundenwesen erst wieder seit Rudolfs langem Aufenthalt in Österreich11. Nun wurde offenkundig auch verstärkt auf Gebräuche aus der spätstaufischen K a i s e r kanzlei zurückgegriffen12. Dadurch trat nicht nur der Anschluß an die staufische Tradition klarer hervor, auf diese Weise wurde vielmehr auch eine Kontinuität betont, die dem rudolfmischen Königtum eine zusätzliche Legitimation verschaffte13 und es darüber hinaus eindeutig in die Nachfolge des letzten Kaisers aus dem Geschlecht der Staufer stellte. Bewegenden und zugleich überaus deutlichen Ausdruck fand das Streben nach Anschluß an die salisch-staufische Tradition jedoch vor allem durch den Ritt des sterbenden Kaisers von Germersheim nach Speyer14, wo der Habsburger im Kaiserdom, an der Seite seiner Vorgänger im Herrscheramt, die ewige Ruhe finden wollte. Wenn Mathias von Neuenburg in der Mitte des 14. Jahrhunderts darüber hinaus berichtet, Friedrich Π. sei Rudolfs Taufpate gewesen15, dann muß dies nicht unbedingt den Tatsachen entsprechen16, zeigt aber trotzdem die Bezüge auf, in die die Zeitgenossen das habsburgische Königtum gestellt sahen; denn die staufisch-habsburgische Kontinuität konnte kaum symbolträchtiger zum 10 Vgl. ebd. S. 145-150, 365. " Vgl. Kaiserurkunden in Abbildungen (wie Anm. 7), S. 213. 12 Vgl. dazu vor allem G. L a d η e r , Formularbehelfe in der Kanzlei Kaiser Friedrichs Π. und die "Briefe des Petrus de Vinea", in: MIÖG Erg.-Bd. 12, 1933, S. 92-198, und 415, bes. 167-195, und H ä g e r m a n n (vgl. Anm. 10), der zwar berechtigte Kritik an manchem Ergebnis von Ladners Studie übt, vor allem an der Herabsetzung der Bedeutung der Interregnumskanzleien, dessen Untersuchungen aber auch zeigen, daß Rudolfs Kanzlisten offenbar stärkeren Anschluß an die Kanzlei Friedrichs II. suchten als diejenigen Wilhelms von Holland (vgl. H ä g e r m a n n [wie Anm. 9], S. 362, 364). Siehe auch H.M. S c h a 11 e r, Zur Entstehung der sogenannten Briefsammlung des Petrus de Vinea, in: DA 12, 1956, S. 114-159, bes. 151. 13 Zur herrschaftslegitimierenden Funktion solcher Kontinuitäten vgl. allg. P. M o r a w , Kanzlei und Kanzleipersonal König Ruprechts, in: AfD 15, 1969, S. 428531, bes. 434, und F.-R. E r k e n s , Uber Kanzlei und Kanzler König Sigismunds. Zum Kontinuitätsproblem in der deutschen Königskanzlei unter dem letzten Luxemburger, in: AfD 33, 1987, S. 429-458. 14 Ellenhardi chron., hg. v. Ph. J a f f é , MG SS 17, 1861, S. 134 (a. 1291); Ottokars Österreichische Reimchronik, hg. v. J. S e e m ü 11 e r, MG Dt. Chron. V, 18901893, V. 38980-39030; Die Chronik des Mathias von Neuenburg. Hg. v. A. Η o f m e i s t e r, MG SS rer. Germ. NS 4, 1924-1940, S. 45 ([c. 28]). 15 MG SS rer. Germ. NS 4, S. 9 ([c. 2]). 16 R e d l i c h (wie Anm. 2), S. 16 mit Anm. 6, geht zwar davon aus, daß die Nachricht zutrifft, doch steht sie zu vereinzelt da, um uneingeschränktes Vertrauen zu verdienen; außerdem ist sie erst Jahrzehnte nach Rudolfs Tod aufgeschrieben worden.

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Ausdruck gebracht werden als durch das Bild von dem letzten großen Repräsentanten des staufischen Kaiserhauses, der den eigenen Nachfolger und künftigen König aus der Taufe hebt. Daß Rudolf in seinen jüngeren Jahren zum Stauferanhang zählte und noch 1267/68 den jungen Konradin bei dem Versuch, das väterliche Erbe in Italien anzutreten, unterstützte und dabei sogar ein Stück Wegs ins Verderben begleitete, ist unbestreitbar und war seiner Wahl kaum hinderlich; vielmehr scheint auch den meisten Kurfürsten ein Königtum völlig ohne staufischen Hintergrund undenkbar gewesen zu sein17. Dieser Anschluß an das staufische Kaisertum war aber nicht nur ein reines Propagandamittel, das Kontinuität vortäuschte, wo keine war, und dadurch Legitimität stiftete, die zumindest anfangs über Wahl und Krönung hinaus dringend benötigt wurde; er bildete vielmehr auch ein Prinzip der politischen Praxis. So wurde schon bald nach der Krönung ein neuer Hofrichter berufen18 und damit ein Amt fortgeführt, das von Friedrich Π. 1235 eingerichtet19 worden und während des Interregnums nicht völlig untergegangen war. Mag die Ernennung Bertholds von Trauchburg auch vorrangig ein Akt der Notwendigkeit gewesen sein, durch den erst die Voraussetzung für eine erfolgreiche Rechtspflege des Königs geschaffen wurde, so diente er aber zweifellos auch dazu, die staufische Tradition zu betonen, die 'Hofgerichtskanzlei' griff nämlich rasch und mit auffälliger Selbstverständlichkeit auf Formeln aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zurück - so, als ob es während des Interregnums zu überhaupt keiner Unterbrechung gekommen wäre20. Noch deutlicher zeigt sich das Bemühen um Anschluß an die staufischen Verhältnisse bei der Revindikationspolitik, die Rudolf nicht nur aus eigener Überzeugung, sondern auch auf Geheiß der Kurfürsten21 betrieb. Schon allein die Absicht, entfremdetes Reichsgut wiederzuerwerben, mußte ja eine Rückwendung zur voraufgegangenen Epoche bewirken; 17 18 19

Vgl. ebd. S. 80-83, 113 f., 154-163. Vgl. ebd. S. 432 und BR 110 (1274 Feb. 26). MG Const. Π, hg. v. L. W e i 1 a η d, 1896, Nr. 196 (c. 28). 20 Vgl. Urkundenregesten zur Tätigkeit des deutschen Königs- und Hofgerichts bis 1451, Bd. 3. Die Zeit Rudolfs von Habsburg. 1273-1291. Bearb. v. B. D i e s t e l k a m p und U. R ö d e l , Köln 1986, S. XI. Zur Hofgerichtskanzlei allg. und ihrer Wiedereinrichtung nach dem Interregnum vgl. die entsprechenden Ausführungen von H. W o h l g e m u t h , Das Urkundenwesen des Deutschen Reichshofgerichts. 1273-1378, Köln 1973, und F. B a t t e n b e r g , Gerichtsschreiberamt und Kanzlei am Reichshofgericht. 1235-1451, Köln 1974. 21 Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 2), S. 165 f.

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entscheidender für die Entstehung von Kontinuitäten waren dabei aber die juristischen Voraussetzungen, die man für die Revindikationen schuf, und die Mittel, die man zur Rückgewinnung des verlorenen Besitzes und zu dessen künftiger Verwaltung und Sicherung einsetzte: Rechtlicher Rahmen wie praktische Umsetzung der Revindikationspolitik nahmen nämlich unmittelbar Bezug auf die Regierungszeit Friedrichs Π. Zum Normaljahr der schon im Dezember 1273 in Gang gesetzten22 Rekuperationspolitik wurde am 19. November 1274 das Jahr der Absetzung Friedrichs Π. durch Papst Innozenz IV., 1245, erklärt23. Damit wurde nicht nur auf kuriale Vorstellungen Rücksicht genommen, sondern dadurch wurden praktisch auch alle Verfügungen über Reichsgut, die zwischen 1245 und 1273 von Rudolfs Vorgängern getroffen und von diesem selbst nicht eigens anerkannt worden sind, mit einem Federstrich ungültig; 1281 ist dieses Prinzip durch einen Rechtsspruch ausdrücklich bekräftigt worden24. Die auf diese Weise geschaffene Rechtsnorm negierte die verschiedenen Regierungen des Interregnums fast völlig und bewirkte damit zumindest in der Theorie einen unmittelbaren Anschluß von Rudolfs Königtum an die Herrschaft Friedrichs Π. Deutlicher konnte das Selbstverständnis des Habsburgers, Rechtsnachfolger des letzten Stauferkaisers zu sein, kaum betont werden. Aber auch die Mittel der Revindikationspolitik lassen den Rückgriff auf spätstaufische Institutionen erkennen. Mußte die Sorge für die Verwaltung des Reichsgutes und den Wiedererwerb entfremdeten Besitzes in den königsfernen Gebieten des Reiches, in terris Saxonie, Thuringie et Slavie25, mangels anderer Möglichkeiten den Fürsten jener Regionen anvertraut werden, die damit als 'Reichsvikare'26 die Sachwalter königlicher Interessen sein sollten27, so konnte in den Kernlandschaften des staufischen Königtums, in denen sich der Reichsbesitz konzentriert hatte und auch nach dem Interregnum immer noch recht ansehnlich war, eine eigene, vom König dominierte Organisation zu Schutz und Revindikation

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BR 48a, vgl. auch Nr. *72. *73. *74 und 105. 23 MG Const. ΠΙ, hg. v. I. S c h w a 1 m, 1904-1906, Nr. 72 (c. 2), vgl. auch BR *73. 24 MG Const, m Nr. 284. 25 Ebd. Nr. 180 (1277 Sept. 27). 26 BR 1836. 27 MG Const. ΠΙ Nr. 180: ...quod iidernprincipes nostri nostro et imperii nomine ipsis terris presint salubriter et easdem dirigant sapienter et quod de ipsis possint et valeant libere ordinare et facete omnia, que nobis et imperio noverint expedire. Vgl. auch ebd. Nr. 263 (1280 Aug. 24) und R e d 1 i c h (wie Anm. 2), S. 462 f.

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des Reichsbesitzes geschaffen werden: das System der Landvogteien28. Die Reichslandvögte waren als absetzbare Stellvertreter29 des Königs für die Administration des Reichsgutes, Verwaltung der finanziellen Einkünfte, Wahrung des Landfriedens, Überwachung der Zölle sowie für den Schutz der Klöster und Juden, für die öffentliche Sicherheit und das Heeresaufgebot in einem räumlich genau umschriebenen Bezirk zuständig; sie durften die Amtleute und Schultheißen in ihrem Sprengel ein-, ab- und versetzen und waren selbstverständlich auch für die Rückforderung verlorenen Reichsbesitzes zuständig. Offenkundig knüpfte Rudolf bei dem Aufbau dieser Reichslandvogteien im Elsaß, im Speyergau, in der Wetterau und in Schwaben an die Amtsbezirke der Prokuratoren, die unter Friedrich Π. mit der Verwaltung des Reichsgutes betraut waren, an30; ebenso läßt sich die damit einhergehende Reorganisation des Reichsburgensystems, die gleichfalls der Sicherung des Reichsbesitzes wie der Herrschaft überhaupt diente, auf das staufische Vorbild zurückführen31. Der intensivste Anschluß an die staufische Tradition vollzog sich jedoch auf dem Gebiet der Landfriedenspolitik; diese stellt daher zweifellos den Höhepunkt des auf Kontinuitätsbildung bedachten Regierungsprogramms Rudolfs von Habsburg dar. Sie wird manifest in der seit 1281 mehrfach wiederholten32 Erneuerung jenes Reichslandfriedens33, den Friedrich Π. 1235 in Mainz auf dem letzten großen Hoftag der staufischen Epoche verkündet hatte. Die Sorge um den Landfrieden bewegte 28 Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 2), S. 463 f., und E. S c h u b e r t , König und Reich, Göttingen 1979, S. 189-193. 29 Vgl. neben der in Anm. 28 und 30 angeführten Literatur auch die Bestallungsurkunde vom 17. Dez. 1280: MG Const. ΠΙ Nr. 264, wo fast alle Rechte des Landvogtes aufgezählt sind und es schließlich heißt, dieser dürfe alles machen, que nos facere possemus, si presentes essemus. 30 Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 2), S. 454-462, sowie J. Β e c k e r, Geschichte der Reichslandvogtei im Eisass, Straßburg 1905, S. 6 und 10; H. S c h r e i b m ü 11 e r, Die Landvogtei im Speyergau, Kaiserslautern 1905, S. 32-40; F. S c h w i n d , Die Landvogtei in der Wetterau, Marburg 1972, S. 82-86, 90-99, 101, 268; H.-G. H o f a c k e r , Die schwäbischen Reichslandvogteien im späten Mittelalter, Stuttgart 1980, S. 103 f., 106, 129, 147 ff; Th. S c h ö n , Die Landvögte des Reiches in Ober- und Niederschwaben bis 1486, in: MIÖG Ergbd. 6, 1901, S. 280-292, bes. 289 f. 3 1 Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 2), S. 467-478, und F. S c h w i n d , Zur Verfassung und Bedeutung der Reichsburgen, vornehmlich im 12. und 13. Jahrhundert, in: VF 19, 1976, S. 85-121. 32 MG Const. ΠΙ Nr. 279. 280. 390. 459. Vgl. dazu und zum folgenden A n g e r m e i e r (wie Anm. 5), S. 53-79, und A. G e r l i e h , Studien zur Landfriedenspolitik König Rudolfs von Habsburg, Mainz 1963. 33 Vgl. Anm. 19.

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Rudolf seit seiner Thronerhebung. Schon 1276 verkündete er einen österreichischen Landfrieden, den er 1281 erneuerte34, 1277/78 wirkte er an der Aufrichtung eines mittelrheinischen Landfriedens mit35, und am 6. Juli 1281, knapp drei Wochen bevor er erstmals auf den Mainzer Frieden zurückgriff, gebot er den Fürsten aus dem lant ze Beim, die (bayerische) Landfriedensordnung zu beschwören36. Standen diese Regelungen auch alle in einem je eigenen historischen und territorialpolitischen Zusammenhang, so legen sie letztlich trotzdem Zeugnis davon ab, daß Rudolf die Friedens h o h e i t im Reich, durch die dem König alle Entscheidungen über Friedensrecht und Friedensgestaltung prinzipiell reserviert wurde, für sich beanspruchte, auch wenn ihm die reale Friedens g e w a 11, also das Recht zur tatsächlichen Durchsetzung der Friedensgebote nötigenfalls sogar durch den Einsatz von Waffen 37 , keineswegs in allen Regionen des Reiches zustand, sondern wie in Bayern von den Fürsten selbst wahrgenommen wurde. Indem der Habsburger dann schließlich die Mainzer Friedensordnung von 1235 - zunächst räumlich wie zeitlich beschränkt, 1287 und 1291 aber mit Geltung für das gesamte Reich - erneuerte, und zwar in ihrer deutschen Fassung und mit nur geringfügigen Modifikationen, gelang es ihm, die Friedenshoheit in vollem Umfange - wenn auch immer nur auf Zeit, auf drei und dann auf sechs Jahre - zu behaupten und sein Königtum dabei gleichzeitig im Sinne der staufischen Herrschaftsauffassung darzustellen; denn zweifellos bedeutete der Rückgriff auf den Reichslandfrieden Friedrichs Π. zugleich auch die uneingeschränkte Übernahme der durch diesen verkündeten Reichsordnung38. Diese aber war völlig auf den Monarchen hin ausgerichtet. In Hinblick auf die Regalien, die den Fürsten in den großen Privilegien von 1220 und 1232 überlassen worden waren39, betonte das kaiserliche Gesetzeswerk ausdrücklich das Eigentumsrecht des Reiches und schärfte dabei ein, daß die Übertragung der Hoheitsrechte nur zur Ausübung, nicht jedoch zu unbeschränktem Besitz erfolgt sei, daß deren Verwaltung im Auftrag des Rei34 MG Const. ΠΙ Nr. 122. 273. 35 Ebd. Nr. 153-157. 36 Ebd. Nr. 278. 37 Zur Unterscheidung von Friedenshoheit und -gewalt vgl. A n g e r m e i e r (wie Anm. 5), S. 11 f. 38 Vgl. dazu und zum folgenden Η. M i 11 e i s, Zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235, in: ders., Die Rechtsidee in der Geschichte, Weimar 1957, S. 387-417, bes. 414 ff. [erstmals 1942: ZRG GA 62, S. 13-56], und Ε. Κ1 i η g e 1 h ö f e r, Die Reichsgesetze von 1220, 1231/32 und 1235, Weimar 1955 (bes. Kap. ΙΠ). 39 MG Const. II Nr. 73. 171.

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ches geschehe und mit der gewährten Nutzung selbstverständlich auch Pflichten verbunden seien40. Durch diese Bestimmungen ist das Verhältnis zwischen König und Fürsten41 grundsätzlich geordnet und die Autorität des Herrschers gefestigt worden. Die Fürstengewalt erscheint als Mandat, der einzelne Fürst als Treuhänder des Reiches, der König aber als letzte Instanz jeglicher Entscheidung und Quell aller Rechte. Nicht zu Unrecht ist in dem Mainzer Reichslandfrieden daher "eine Revindikation der Reichsrechte, wenn auch zunächst [nur] auf rein ideellem Gebiet"42 gesehen worden, die der Zentralgewalt allerdings die Möglichkeit eröffnen sollte, den Nutzen aus den Aufbauleistungen der Territorialherren im Sinne einer "konzentrischen Konzentration"43 ziehen zu können. Dazu ist es nicht gekommen, und nach den Entwicklungen im Interregnum konnte auch Rudolf von Habsburg nicht mehr hoffen, dieses Programm ohne Abstriche zu verwirklichen; aber er konnte es nutzen, um die monarchische Autorität zu stärken, und diese Chance hat er ergriffen: Als Verkünder des Landfriedens und Erneuerer der Ordnung von 1235 bringt er nicht nur seine Friedenshoheit zur Geltung, sondern er erfüllt, indem er Recht und Frieden wahrt, zugleich auch die vornehmste Pflicht des Königs und legitimiert dadurch sein Königtum zusätzlich; darüber hinaus stellt er die Monarchie im Sinne Friedrichs Π. als Mittelpunkt des Reiches dar, als Ursprung der Hoheitsrechte, die, da den Fürsten nur zur treuhänderischen Nutzung anvertraut, prinzipiell immer an die königliche Zentrale angebunden bleiben - und zwar in ähnlicher Weise, wie es schon am 19. Februar 1274 in einem Weistum über die hohe Gerichtsbarkeit heißt: Über diese wurde damals nämlich festgestellt, daß sie von niemandem im Reich ausgeübt werden dürfe, wenn er sie nicht zuvor vom König selbst oder von jemand anderem, der sie jedoch seinerseits vom König besitzen müsse, erhalten habe44. Wenn es Rudolf auf der einen Seite gelungen ist, die königliche Friedenshoheit wieder im gesamten Reich zur Geltung zu bringen, so war er auf der anderen keinesfalls dazu in der Lage, auch die Friedensgewalt im gleichen Maße durchzusetzen; hierbei konnte er lediglich partielle Erfolge erringen, mußte ansonsten aber auf das erstarkte Fürstentum Rück40 Ebd. Nr. 196: c. 4. 7. 9. 11. 12. 41 Zu diesem vgl. auch Ε. Β o s h o f, Reichsfürstenstand und Reichsreform in der Politik Friedrichs II., in: Bll. f. dt. LG 122, 1986, S. 41-66. 42 M i t t e i s (wie Anm. 38), S. 416. 43 Vgl. dazu d e r s ., Der Staat des hohen Mittelalters, Darmstadt 91974, S. 351. 44 MG Const. ΙΠ Nr. 27: ... fuit ibi sentencialiter iudicatum, quod nulli altam tenere vel exercere iusticiam liceat infra ambitum regni nostri, qui earn a nobis aut ab alio ipsam a nobis tenente iusticiam non teneat memoratam.

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sieht nehmen. Die Exekution des Landfriedens blieb daher vorrangig denjenigen vorbehalten, die am nächsten da bi gesezzen sin, do der bruch [des Landfriedens] geshehen ist45, während der König letztlich nur eingreift, wenn er Mittel und Möglichkeit dazu besitzt. Da dem Herrscher weder die unumschränkte Landfriedenswahrung zustand, noch neue Instanzen geschaffen wurden, die ihm die Kontrolle der Friedensordnung garantiert hätten, dokumentieren die rudolfinischen Friedenssatzungen im Vergleich zu 1235 zweifellos eine Minderung der königlichen Friedensgewalt und eine Steigerung des Einflusses der Fürsten, denen jetzt ausdrücklich das Recht eingeräumt wird, die Bestimmungen des Landfriedens in ihren Herrschaftsräumen zusammen mit den lantherren zu ergänzen: Swaz auch die fiirsten in irem lande mit der lantherren rat setzent und machet disem lantfriden zu bezzerunge und zu vestenunge, daz mugen si wol dun und da mitte brechen sie des lantf[r]iden niht46. Trotzdem kann man Rudolfs Landfriedenspolitik den Erfolg nicht absprechen47 - nicht nur, weil der Habsburger dem Königtum die Stellung als Friedenswahrer im Reich zurückeroberte und er selbst in unermüdlichem Einsatz für den Frieden im Reich tätig war, sondern vor allem auch deshalb, weil er dem Königtum erst wieder Möglichkeiten zur Fortsetzung einer eigenen Landfriedenspolitik eröffnete. Daß diese nach seinem Tode nicht verwirklicht wurden, darf sicherlich nicht Rudolf zur Last gelegt werden. Unabhängig davon aber wird man in Rudolfs Sorge um die Revindikation von Reichsgut, die Wiederherstellung von Reichsburgen, die Einrichtung von Reichslandvogteien und die Verkündigung von Landfrieden, in allen Maßnahmen also, die dazu dienten, die Königsgewalt zu konsolidieren, den Versuch sehen dürfen, die staufische Politik wieder aufzunehmen und damit letztlich ein "Herrschaftskönigtum im staufischen Sinne"48 aufzurichten. Dieses vielfältige Bemühen um den Anschluß an die Traditionen des deutschen Königtums, besonders an das Vorbild des letzten Stauferkaisers, überrascht jedoch kaum. Es ist vielmehr verständlich, denn aus dieser Kontinuität ließ sich Legitimität gewinnen; außerdem hatte Rudolfs Verständnis und Vorstellung vom Königsamt wohl ausschließlich unter dem Eindruck der Herrschaftsauffassung und -praxis 45 46 47 S. 445. 48

Ebd. Nr. 39 c. 26, vgl. auch c. 40 und 42. Ebd. c. 43. Vgl. A n g e r m e i e r (wie Anm. 5), S. 78 f., gegen R e d l i c h (wie Anm. 2), Vgl. A n g e r m e i e r (wie Anm. 5), S. 56.

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der späten Staufer, vornehmlich Friedrichs Π., Gestalt angenommen. Als der Graf von Habsburg im Alter von fünfundfünfzig Jahren den Karlsthron in Aachen bestieg, besaß er daher neben reichhaltiger Erfahrung in der Territorialpolitik als Rüstzeug für sein Königtum eben nur ein staufisch geprägtes Bild vom Herrscheramt, an dem er sich orientierte und das er zweifellos mit seinen Wählern und den meisten Reichsfürsten teilte. Eine grundstürzend neue Herrschaftskonzeption war deshalb auch kaum von ihm zu erwarten. Selbst von der Verwaltung und Sicherung des elsässisch-alemannischen Hausbesitzes her konnten keine neuen Anstöße für eine Veränderung in den Methoden und Mitteln der Reichsherrschaft ausgehen, auf jene hat offenbar sogar eher die Reorganisation der Reichsgutverwaltung zurückgewirkt49. I I

Auf der anderen Seite wird aber auch deutlich, daß sich Rudolfs Regierung in der Praxis nicht ausschließlich an den spätstaufischen Vorgaben orientiert hat, wenn auch die Fortsetzung von Traditionen, die Friedrich Π. begründete, am ehesten ins Auge stechen. Weniger deutlich betont, mehr unterschwellig, setzen sich daneben auch Entwicklungen fort, die erst unter den - von der habsburgischen Propaganda zumeist nicht erwähnten - Nachfolgern des letzten Stauferkaisers ihren Anfang nahmen: etwa im Bereich des Urkundenwesens50; oder es wurden zumindest als brauchbar empfundene Elemente aus der Verwaltungspraxis der Zwischenreichskönige übernommen. So hat offenkundig die von Richard von Cornwall im Sinne einer Königsstellvertreterschaft eingerichtete custodia über das Reichsgut im Elsaß51 nachgewirkt bei der Ausgestaltung der Reichslandvogteien, deren Verwalter ja im Gegensatz zu den staufischen Prokuratoren vor allem auch Stellvertreter des Herrschers mit umfassenden Befugnissen waren52. Daher können die Reichslandvogteien gerade auch als Beispiel dafür dienen, wie der Anschluß an ältere 49 Vgl. dazu W. M e y e r , Die Verwaltungsorganisation des Reiches und des Hauses Habsburg-Oesterreich im Gebiet der Ostschweiz. 1264-1460, Diss. phil. Zürich 1933, etwa S. 6, 109, 115, 123, und K. C o l b e r g , Reichsreform und Reichsgut im späten Mittelalter, Diss, (masch.) Göttingen 1966, S. 131. 50 Vgl. Anm. 10. 51 Vgl. H. K a i s e r , Ein unbekanntes Mandat König Richards und die Anfänge der Landvogtei im Eisass, in: ZGOrh NF 19, 1904, S. 337 ff., sowie R e d l i c h (wie Anm. 2), S. 455, und Β e c k e r (wie Anm. 30), S. 6. 52 Vgl. Anm. 29 und 30, bes. aber S c h u b e r t (wie Anm. 28), S. 190 Anm. 3.

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Traditionen in der Praxis wohl oft aussah: Er war eben nicht nur eine reine Fortsetzung von schon bestehenden oder eine einfache Wiederbelebung untergegangener Einrichtungen, sondern aus ihm erwuchsen halt auch neue Institutionen53, und zwar offenkundig unter Einbeziehung von nachstaufischen Entwicklungen. Das habsburgische Königtum bedeutete daher keinesfalls einen glatten Bruch mit den Königsherrschaften des Zwischenreiches, es entsteht vielmehr aus einem genetischen Prozeß, in den vielfältige Traditionen verwoben waren. Wie sehr dabei auf Veränderungen Rücksicht genommen wurde, die seit dem Untergange der Staufer eingetreten waren, zeigt ja selbst die in äußerst starkem Maße am staufischen Vorbild orientierte Landfriedenspolitik. Erneuerung älterer Institutionen meint daher nicht nur Restauration, sondern immer auch Fortentwicklung oder Neuansatz. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Reorganisation des Reichsburgensystems näher betrachtet, denn Rudolf trug der seit der Staufeizeit gewachsenen Bedeutung der Städte Rechnung und gründete in oder bei ihnen wiederholt Fortifikationen wie er in anderen Fällen Städte bei Burgen anlegen ließ54. Die Verbindung von Burg und Stadt ist deshalb charakteristisch für Rudolfs Politik; sie brachte zwar mancherorts gravierende Konflikte zwischen Burgbesatzung und Bürgerschaft mit sich55, bedeutete ansonsten aber einen eindeutigen Fortschritt gegenüber den stauferzeitlichen Verhältnissen. Aber auch auf dem Gebiet des städtischen Steuerwesens versuchte der Habsburger zumindest, Neuerungen durchzusetzen. Das königliche Bederecht war von Friedrich Π. ausgestaltet worden, aber nach 1250 weitgehend außer Übung gekommen; Rudolf jedoch brachte es wieder prinzipiell gegenüber allen Städten, in denen entsprechende Rechte des Königs nachweisbar waren, zur Geltung56. Er intensivierte dabei nicht nur die Steuerforderungen, sondern er wollte darüber hinaus auch anstelle der herkömmlichen Gesamtbesteuerung, bei der der Magistrat die geforderte 53 So betonen die in Anm. 30 angeführten Autoren ausdrücklich, daß die Reichslandvogteien eine Neubildung Rudolfs seien; vgl. dazu auch S c h u b e r t (wie Anm. 28), S. 190 mit Anm. 3. 54 Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 2), S. 468 f. ; S c h w i n d , Zur Verfassung (wie Anm. 31), etwa S. 105 und 110, und Th. M. M a r t i n, Die Städtepolitik Rudolfs von Habsburg, Göttingen 1976, S. 112 ff. - Zur "Bürgemähe" des Königs vgl. auch Th. M a r t i n , Das Bild Rudolfs von Habsburg als "Bürgerkönig" in Chronistik, Dichtung und moderner Historiographie, in: BU. f. dt. LG 112, 1976, S. 203-228. 55 Vgl. dazu z.B. R e d 1 i c h (wie Anm. 2), S. 256. 56 Vgl. dazu und zum folgenden ebd. S. 486-496 sowie M a r t i n (wie Anm. 54), S. 152-168, und Κ. Ζ e u m e r , Die deutschen Städtesteuern, insbesondere die städtischen Reichssteuern im 12. und 13. Jahrhundert, Leipzig 1878, S. 121-149.

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Summe auf die Bürger umlegte, eine neue Methode der Erhebung einführen, die ihm die direkte Abschöpfung der bürgerlichen Vermögen gestattet hätte: die Vermögenssteuer57. Der König ist mit dieser Absicht an dem Widerstand der Städte gescheitert und mußte die kommunale Finanzhoheit und Verwaltungsautonomie am Ende respektieren; seine Virtuosität bei der Aufbringung der herkömmlichen Steuern ist davon aber nicht beeinträchtigt worden. Die Steuereinnahmen flössen daher so reichlich wie wohl kaum jemals zuvor. Insgesamt aber läßt die Steuerpolitik die Bereitschaft Rudolfs erkennen, die ausgetretenen Pfade der staufischen Regierungspraxis zu verlassen, wenn man sich davon einen Vorteil versprechen durfte. Besonders deutlich wird dies bei dem Bemühen, die von kirchlicher Seite postulierte Steuerfreiheit der Geistlichkeit58, auf die die Staufer noch Rücksicht genommen hatten, nach Möglichkeit abzubauen59. Nicht zu Unrecht ist dieses Vorgehen daher als eine "Wende"60 gegenüber der staufischen Steuerpolitik empfunden worden. Nun können die gerade angeführten Beispiele sicherlich nicht als Argumente gegen die zuvor ausführlich belegte Ausrichtung des habsburgischen Königtums an der staufischen Tradition dienen. Aber die durch sie deutlich werdende Fähigkeit Rudolfs, sich nötigenfalls auch von dieser zu lösen, gilt es in Erinnerung zu behalten bei der Interpretation jenes Ereignisses, das zumeist61 als rigorose Hinwendung zur Hausmachtpolitik und damit als Abkehr vom staufischen Herrschaftskönigtum gedeutet wurde: bei der Erörterung der Übertragung der Herzogtümer Österreich und Steiermark durch den Habsburger an die eigenen Söhne. Da allerdings schon Friedrich Π. versucht hatte, diese Reichslehen einzuziehen, konnte zuletzt auch deren "Gewinnung ... für das Königshaus" von der jüngeren Forschung "als Fortsetzung staufischer Reichsund Territorialpolitik"62 interpretiert werden. Diese Schlußfolgerung stößt jedoch auf Skepsis, weil es letztlich nur ein historischer Zufall war, daß sowohl Friedrich Π. als auch Rudolf von Habsburg sich um den Erwerb einunderselben Fürstentümer bemühen konnten - ein Zufall allerdings, der die Möglichkeit bietet, die Methoden und Ziele beider Monar57 BR 317a. 1850a, vgl. auch Nr. 1152. 58 Vgl. dazu E. M a c k , Die kirchliche Steuerfreiheit in Deutschland seit der Dekretalengesetzgebung, Stuttgart 1916. 59 Vgl. dazu R e d l i c h (wie Anm. 2), S. 495, und z.B. auch BR 232. 2260. 2474. 60 M a r t i n , Städtepolitik (wie Anni. 54), S. 155. 61 Vgl. Anm. 4. 62 A n g e r m e i e r (wie Anm. 5), S. 56.

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chen bei dem Ringen um das babenbergische Erbe genauer, und zwar im Vergleich, zu untersuchen. Das Problem, ob und inwieweit Rudolfs Herrschaft an der Hausmacht orientiert war, dürfte dabei einer Lösung näher gebracht werden können.

III Es gibt kaum einen Zweifel daran, daß der Habsburger von Anfang an gewillt war, die durch das Aussterben der Babenberger an das Reich heimgefallenen Lehen in den Besitz seines Hauses zu bringen63: der von ihm 1276 erlassene Landfriede für Österreich, Steiermark, Kärnten und Krain64, die Übertragung der durch die Vertreibung Ottokars von Böhmen freigewordenen Kirchenlehen an seine Söhne65 und schließlich die Ernennung66 des Erstgeborenen Albrecht zum Reichsverweser Österreichs und Steiermarks im Jahre 1281 waren wichtige, konsequent angestrebte Etappen auf dem Wege zu dem ersehnten Ziel. Erreicht wurde es, nachdem die Kurfürsten ihr Einverständnis gegeben hatten67, im Dezember 1282, als die jungen habsburgischen Grafen Albrecht und Rudolf in Augsburg mit den Herzogtümern Österreich, Steiermark und Kärnten sowie mit dem Lande Krain und der windischen Mark zur gesamten Hand belehnt wurden68. Wenige Tage später, am 27. Dezember 1282, stellte der König über diesen Vorgang eine mit Goldbulle versehene Urkunde aus69, in der er als Grund für die Erhebung seiner Kinder zu Reichsfürsten das Walten der lex nature angibt: der über jeden Menschen machtvoll gebietenden Liebe des Vaters zum eigenen Fleisch und Blut. 63 Vgl. dazu und zum folgenden R e d l i c h (wie Anm. 2), S. 334-353, 362-384. 64 MG Const. III Nr. 122; vgl. dazu A n g e r m e i e r (wie Anm. 5), S. 60 f., und A. G e r 1 i c h, Studien zur Landfriedenspolitik König Rudolfs von Habsburg, Mainz 1963, S. 16-33. 65 Vgl. dazu z.B. MG Const. ΠΙ Nr. 651. 652 sowie F.-R. E r k e n s , Die Stellung des Bistums Passau im Kräftespiel zwischen Bayern, Böhmen und Habsburg beim Ubergang der babenbergischen Länder an König Rudolf I., in: Ostbair. Grenzmarken 22, 1980, S. 5-21, bes. 14 f. 66 BR *1289. 67 MG Const. ΠΙ Nr. 340. 341. 342. 68 BR *1740b. 69 MG Const. ΙΠ Nr. 339; dazu vgl. A. L h o t s k y, Geschichte Österreichs seit der Mitte des 13. Jahrhunderts (1281-1358), Wien 1967, S. 53, und E. S ρ a η η r i η g, Die Auffassung des Königtums bei Rudolf von Habsburg. Zum Selbstverständnis des ersten deutschen Habsburger-Königs, Diss. phil. (masch.) Salzburg 1970, S. 64-71. - Zu der hier nicht interessierenden 'Kärnten-Krainer-Frage' siehe H. W i e s f l e c k e r , Meinhard der Zweite. Tirol, Kärnten und ihre Nachbarländer am Ende des 13. Jahrhunderts, Innsbruck 1955, S. 116-127.

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Die Vaterliebe als naturgesetzliches Prinzip hat Rudolfs Handeln natürlich nicht allein bestimmt; politische Erwägungen traten ihr unausgesprochen an die Seite. Die Übertragung des ius principum an die Söhne erhob diese aus dem Grafen- in den Fürstenstand; die Teilhabe am principum imperii consortium et collegium bedeutete daher ganz allgemein eine Standeserhöhung des Hauses Habsburg70, eine magnificencia status prolis nostre [seil, regis] et sublimatio ipsius: den Aufstieg des Geschlechtes in den Spitzenrang des deutschen Adels. Daher verlor Rudolf d. J., als er 1283 auf sein Recht aus der Gesamtbelehung verzichtete71, keinesfalls die Fürstenwürde und den Herzogstitel72. Der im Südosten des Reiches ungewohnten und deshalb Widerstand73 hervorrufenden Belehnung zur gesamten Hand, die allerdings der alemannischen Rechtspraxis entsprach74, fiel damit eine wichtige Rolle bei der Standeserhöhung der Dynastie und nicht nur von einzelnen ihrer Mitglieder zu. Darüber hinaus garantierte sie den Verbleib der Neuerwerbungen im Besitz des Hauses75 auch für den Fall, daß einer der Söhne starb. Die dynastische Absicht, die mit der Belehnung von 1282 verfolgt wurde, ist unverkennbar. Die feierliche Einweisung der Königssöhne in die südostdeutschen Herzogtümer besitzt deshalb eindeutig den Charakter eines hausmachtpolitischen Aktes. Der Umstand, daß der König durch keinen reichsrechtlich verankerten 'Leihezwang', durch keine gesetzliche Norm verpflichtet gewesen ist, die heimgefallenen Lehen wieder auszugeben, sondern sie auch beim Reich hätte behalten können76, unterstreicht dies ebenso wie die Tatsache, daß der Besitz der Herzogtümer durch die Übertragung an die Söhne auch für die Zeiten in den Händen der Habsburger gesichert werden sollte, in denen kein Familienmitglied mehr auf 70 Vgl. dazu S p a n n r i n g (wie Anm. 69), S. 73 f. 71 BR 1789. 72 Vgl. z.B. MG Const. ΠΙ Nr. 375: c. 2. 422. 424. 427. 73 MG Const, m Nr. 344 c. 2. 74 Vgl. L h o t s k y (wie Anm. 69), S. 55, und B. M e y e r , Studien zum habsburgischen Hausrecht II. Das Lehen zu gesamter Hand, in: Zs. f. Schweiz. Geschichte 27, 1947, S. 36-44. 75 Vgl. dazu H. v o n Z e i s s b e r g , Rudolf von Habsburg und der österreichische Staatsgedanke, in: Festschr. z. sechshundertjährigen Gedenkfeier der Belehnung des Hauses Habsburg mit Osterreich, Wien 1882, S. 1-31, bes. 24. 76 Vgl. dazu W. G o e ζ, Der Leihezwang, Tübingen 1962 (zu der Belehnung von 1282 bes. S. 147 ff.); H.-G. K r a u s e , Der Sachsenspiegel und das Problem des sogenannten Leihezwangs. Zugleich ein Beitrag zur Entstehung des Sachsenspiegels, in: ZRG GA 93, 1976, S. 21-99; K.-F. K r i e g er, Die Lehnshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter, Aalen 1979, S. 374-386, und H. L e p p i n , Untersuchungen zum Leihezwang, in: ZRG GA 105, 1988, S. 239-252.

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dem deutschen Throne saß77, für einen Fall also, der in einer Wahlmonarchie leicht eintreten konnte. Sicherlich: Rudolf wollte diesen Fall nicht eintreten lassen, hat sich intensiv um die Nachfolge eines Sohnes im Königsamt bemüht78 und ging 1282 offenkundig von einer Kontinuität des habsburgischen Königtums aus, dem die Mittel der Hausterritorien wie selbstverständlich zugeflossen wären, aber Priorität besaß für ihn doch der dynastische Nutzen: die Erhöhung des Geschlechtes und die Mehrung seines Besitzes. In diesem Sinne betrieb er Haus- und Hausmachtpolitik, als er die ledigen Lehen aus dem Südosten des Reiches an seine Söhne und deren Nachkommen gab. Friedrich Π. hingegen wurde von anderen Motiven geleitet, als er seine Hand auf diese Fürstentümer zu legen suchte. Auch er hat zeitweilig an einen Erwerb auf dynastischem Wege gedacht79, und zwar zunächst, als er sich in den vierziger Jahren (vergeblich) um die Hand der Babenbergerin Gertrud bemühte, und dann 1250, als er in seinem Testament80 bestimmte, sein gleichnamiger Enkel, der Sohn Heinrichs (VII.) und der Babenbergerin Margarethe, solle Österreich und Steiermark von Konrad IV. als Lehen erhalten; aber dieses dynastische Vorgehen war für den Kaiser nur eine Notlösung, die er immer erst dann ins Auge faßte, wenn seine eigentliche Absicht gescheitert war. Daß diese sowohl in den Jahren 1236 bis 1239, als er Friedrich den Streitbaren (erfolglos) aus dessen angestammter Herrschaft zu vertreiben trachtete, als auch nach dem Tode dieses letzten männlichen Repräsentanten des Babenbergerhauses ( f l 2 4 6 ) darin bestand81, die babenbergischen Herzogtümer als heimgefallene Lehen beim Reich zu behalten, diese also dem Reichsgut zuzuschlagen, das steht außer allem Zweifel: 77 Vgl. dazu z.B. S p a n n r i n g (wie Anm. 69), S. 74 f. 78 Vgl. R e d l i e h (wie Anm. 2), S. 683-728. 79 Vgl. dazu und zum folgenden F. H a u s m a n n , Kaiser Friedrich II. und Osterreich, in: VF 16, 1974, S. 225-308, bes. 268-284 und 301, sowie H. K o l l e r , Das "Königreich" Österreich, Graz 1972, S. 16-20, und U. F l o s s m a n n , Regnum Austriae, in: ZRG GA 89, 1972, S. 78-117, bes. 82 ff. und 95-102; O. R e d 1 i c h, Die Pläne einer Erhebung Österreichs zum Königreich, in: Zs. d. Hist. Ver. f. Steiermark 26, 1931, S. 87-99, bes. 88-91. 80 MG Const. Π Nr. 274 §4; G. W o 1 f, Ein unveröffentlichtes Testament Kaiser Friedrichs Π. (Versuch einer Edition und Interpretation), in: ZGOrh 104, 1956, S. 151, bes. 6 f. (§4) und 32 f., sowie d e r s . , Die Testamente Kaiser Friedrichs Π., in: WdF 101, 1966, S. 692-749, bes. 703 (§4), 719 und 740 ff. [erstmals 1962: ZRG KA 48, S. 314-352]. Vgl. dazu E. K a n t o r o w i c z , Zu den Rechtsgrundlagen der Kaisersage, ebd., S. 482-524, bes. 482-496 [erstmals 1957: DA 13, S. 115-150], 81 Vgl. H a u s m a n n (wie Anm. 79), S. 249-263 und 285-301.

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In den dreißiger Jahren wird dies vor allem dadurch deutlich, daß er Wien (1237) der Herrschaft des Reiches unterstellte82, die steirischen Dienstleute (ebenfalls 1237) zu Reichsministerialen erklärte83 und die Herzogtümer durch einen procurator imperii verwalten ließ84; in den vierziger Jahren zeigt es sich daran, daß der Kaiser die in Italien schon gebräuchliche Beamtenverwaltung auch in Österreich und Steiermark einzuführen versuchte85 und hier den Grafen Otto von Eberstein als sacri imperii per Austriam et Styriam capitaneus et procurator*6 einsetzte, nach dessen Scheitern in Österreich der Herzog Otto Π. von Bayern, in Steiermark der Graf Meinhard Π. von Görz nachfolgten87. Die erhaltene Bestallungsurkunde88 des Görzer Grafen ist in Stil und Charakter völlig den Dokumenten angeglichen, mit denen der Kaiser seine Statthalter in Italien ernannte; am engsten ist dabei die Verwandtschaft mit dem Schriftstück, durch das im November 1248 der Graf von Savoyen zum Generalvikar in der Lombardei ernannt worden ist89. Deutlicher kann die Absicht, die babenbergischen Herzogtümer in unmittelbarer Verwaltung des Reiches zu behalten, kaum noch zum Ausdruck kommen - und doch gibt es noch ein weiteres Zeugnis, das sie unanfechtbar belegt: das Verhalten Friedrichs Π. gegenüber dem 1248 von österreichischen und steirischen Adligen unter Führung des capitaneus et procurator Otto von Eberstein vorgebrachten Wunsch, den babenbergischen Ländern wieder einen eigenen Herrn zu geben, wobei an den Kaiserenkel Friedrich gedacht worden ist90. Der Kaiser hat diese Gesandtschaft nicht empfangen, 82

J.F. Böhmer, Regesta Imperii V , l . Die Regesten des Kaiserreichs unter Philipp, Otto IV, Friedrich II, Heinrich (VII), Conrad IV, Heinrich Raspe, Wilhelm und Richard. 1198-1272. Neu hg. v. J. F i c k e r, Hildesheim 1971 [erstmals Innsbruck 1881/82], Nr. 2237. 83 Ebd. Nr. 2244. 84 Ebd. V,2. Neu hg. v. J. F i c k e r und E. W i η k e 1 m a η η, Hildesheim 1971 [erstmals Innsbruck 1892-1894], Nr. *11207. Vgl. dazu auch Hermanni Altah. ann. a. 1236, hg. v. Ph. J a f f é , MG SS 17, 1861, S. 392 f., sowie H a u s m a η η (wie Anm. 79), S. 254 ff., und E. K a n t o r o w i c z , Kaiser Friedrich der Zweite, Hauptband 1927 u.ö., Ergänzungsband 1931 u.ö., hier: Ergbd. S. 163 ff. - Siehe auch die Feststellung der Chron. regia Col. Cont. IV a. 1237, ree. G. W a i tz, MG SS rer. Germ. 1880, S. 271: Ducatum eciam Austrie et Stirie aptid Wiennam Romano imperio adiecerat. 85 Vgl. dazu H a u s m a n n (wie Anm. 79), S. 294, und vor allem Η. Α ρ ρ e 11, Die Rechtsstellung der ältesten steierischen Landeshauptleute, in: Zs. d. Hist. Ver. f. Steiermark 53, 1962, S. 15-27. 86 Vgl. die Belege bei H a u s m a n n (wie Anm. 79), S. 293 Anm. 291. 87 Vgl. ebd. S. 297 ff. und W i e s f 1 e c k e r (wie Anm. 69), S. 20 f. 88 MG Const. Π Nr. 270 [1248], 89 Vgl. dazu Α ρ ρ e 11 (wie Anm. 85), passim, bes. aber S. 17 und 19 f. 90 Cont. Sancrucensis Π a. 1248, hg. ν. W. W a 11 e η b a c h, MG SS 9, 1851, S. 642; Ann. S. Rudberti Salisb. a. 1248, hg. ν. W. W a t t e n b a c h , ebd., S. 790; Cont.

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deren Ansinnen damit offenkundig abgelehnt und stattdessen Statthalter für Österreich und Steiermark ernannt. Erst auf dem Sterbebett hat er den zwei Jahre zuvor gemachten Vorschlag aufgegriffen, um eine aussichtslos gewordene Situation doch noch zu retten. Vergleicht man das Vorgehen Friedrichs Π. und Rudolfs I., so kommen deutliche Unterschiede zum Vorschein. Zwar hat auch der Habsburger seinen Schwiegersohn Ludwig Π., Herzog von Bayern und Pfalzgraf bei Rhein, zwischen 1276 und 1281 zum Reichsverweser für Österreich und Steiermark bestimmt91, aber das war nur eine Vorkehrung für den Fall seines Todes, denn ausschließlich vacante imperio sollte diese Bestallung wirksam werden. Sie erlosch in dem Augenblick, als über die Herzogtümer anderweitig verfügt wurde, und kann daher ebensowenig wie die zunächst in friderizianischer Tradition vorgenommene Privilegierung Wiens und der Ministerialen von Steiermark92 zu der Vermutung Anlaß geben, Rudolf hätte auch nur einen Augenblick daran gedacht, die Ottokar Π. entwundenen Länder beim Reiche zu behalten. Das Entgegenkommen für die Wiener Bürger und die steiermärkischen Dienstleute ist vielmehr Mittel einer 'captatio benevolentiae'93, durch die im Lande eine günstige Stimmung erzeugt werden sollte für die Übertragung der Herrschaft an die Königssöhne. Das unterschiedliche Verhalten des Stauferkaisers und des Habsburgerkönigs bei dem Bemühen um den Erwerb der südostdeutschen Länder, die verschiedenen Methoden, die dabei angewandt wurden, vor allem aber die abweichenden Zielsetzungen verbieten es, Rudolfs Handeln als Wiederaufnahme einer staufischen Tradition zu deuten. Wollte Friedrich Π. die Lehen zum Reichsgut schlagen und damit die materielle Basis des Königtums unmittelbar verbreitern, so hatte Rudolf von Anfang an die Übertragung an die eigenen Söhne, an sein Haus ins Auge gefaßt und damit nur noch eine indirekte Nutzung zugunsten des Reiches und seiner Garstensis a. 1248, hg. v. W. W a t t e n b a c h , ebd., S. 598. Vgl. dazu H a u s m a n n (wie Anm. 79), S. 297 f., und Κ a η t o r o w i c ζ (wie Anm. 84), S. 352 (Textbd.) und S. 163 ff. (Ergbd.). - Siehe aber auch den Brief des Kaisers aus dem Jahre 1246, hg. v. H.M. S c h a 11 e r, Unbekannte Briefe Kaiser Friedrichs Π. aus Vat. lat. 14204, in: DA 19, 1963, S. 397-433, hier: S. 421 Nr. 4, in dem das österreichische Herzogtum als ducatus ... in rebus et populis opulentus ad nostrum ... dominium, devolutus bezeichnet wird. 91 MG Const. III Nr. 121. 92 BR *803. 974 (beide für Wien). 697 (für die Ministerialen von Steiermark). Vgl. Anm. 82 und 83. 93 Vgl. Anm. 63.

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Regierung, denn Haus- und Reichsgut wurden ja gerade seit seiner Wahl deutlicher als je zuvor als zwei getrennte Bereiche betrachtet94. Beide Monarchen gingen bei ihren Plänen zwar mit Sicherheit davon aus, die Königsgewalt an ihre Nachkommen weitergeben zu können, wodurch die babenbergischen Besitzungen entweder auf die eine (nämlich staufische) oder die andere (habsburgische) Weise zur Verfügung des Reiches und gleichzeitig der Herrscherdynastie geblieben wären, der Staufer hatte ja seinen Sohn Konrad schon 1237 zum König wählen lassen und sah in seiner Familie ohnehin das berufene Kaisergeschlecht, der Habsburger hoffte noch auf die Wahl eines Sohnes zum Nachfolger; aber diese Gemeinsamkeit hebt keinesfalls die Unterschiede in den Handlungen und in den Vorstellungen von der Herrschaft, die sich in diesen spiegeln, auf: Der Staufer vertrat praktisch schon eine höhere Auffassung vom Staate9S und dachte gleichsam vom Reiche her, für den Habsburger besaß zumindest in diesem Falle das Familieninteresse Priorität. Er hätte im Sinne seiner Revindikationspolitik und im Anschluß an das friderizianische Vorbild die dem Böhmenkönig entzogenen Besitzungen ohne weiteres zum Reichsland machen können, kein Leihezwang und kein fürstlicher Widerstand hinderten ihn daran, aber seine Familie hätte dabei im Fall des Scheiterns einer habsburgischen Nachfolge den Verlust der südostdeutschen Länder in Kauf nehmen müssen. Indem Rudolf dies verhinderte, modifizierte er zugleich die Vorstellung vom sog. "Herrschaftskönigtum" staufischer Prägung96, nach der der König sein Amt vor allem von der materiellen Grundlage des Reichsguts und der ideellen Höhe monarchischer Autorität aus als Recht- und Friederiswahrer übte. Für ihn ist daneben als weitere, wenn auch nur mittelbar zu nutzende Basis seines Königtums spätestens 1282 der vom Reichsgut getrennte Besitz des eigenen Hauses getreten.

94 Vgl. H. H e i m p e l , Deutschland im späteren Mittelalter ( = O. Brandt/O. Meyer/L. Just, Handbuch der deutschen Geschichte I 5), Konstanz 1957, S. 31. 95 Vgl. zu Friedrichs Π. Herrschaftsund Staatsverständnis etwa K a n t o r o w i c z (wie Anm. 84), S. 207-238; d e r s ., Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990 [erstmals engl. 1957], S. 115-158; A. M a r o n g i ù , Ein "Modellstaat" im italienischen Mittelalter: Das normannisch-staufische Reich in Sizilien, in: WdF 101, 1966, S. 750-773, bes. 764-772 [erstmals ital. 1963: Critica Storica diretta da A. Saitta, a. II, S. 379-394]; O. E n g e l s , Die Staufer, Stuttgart 41989, S. 142-156. Vgl. jetzt aber auch F. R e i c h e r t , Der sizilische Staat Friedrichs Π. in Wahrnehmung und Urteil der Zeitgenossen, in: HZ 253, 1991, S.21-50. 96 Vgl. Anm. 48.

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Repräsentierte er entgegen der Deutung der jüngeren Forschung97 also doch schon ein Hausmachtkönigtum? Wohl kaum, wenn man darunter eine Herrschaftsform versteht, bei der das Königtum überwiegend von einer nicht zum Reichsgut zu rechnenden, sondern dem Besitz einer Dynastie zugehörenden territorialen Machtbasis aus getragen wird, wenn um es anders zu wenden - der König die Herrschaft vor allem aufgrund der Machtmittel ausübt, die ihm als Landesherr eines bedeutenden Territoriums zufließen. Dieser Zustand wurde in vollem Umfange erst unter Karl IV. in der Mitte des 14. Jahrhunderts98, vielleicht sogar erst unter Friedrich ΙΠ. im 15. Jahrhundert99 erreicht. Rudolf dagegen hat den traditionellen Elementen der Königsherrschaft im Reich lediglich eine weitere Komponente hinzugefügt, ohne damit die Hausmacht seiner Söhne zur entscheidenden Basis seines Königtums machen zu wollen. Gleichwohl erstrebte er durch den Akt von 1282 eine Festigung seiner königlichen Stellung und wies dabei den Weg zum Hausmachtkönigtum, der für seine Nachfolger immer größere Bedeutung erlangte, da die Revindikationspolitik unter Heinrich VII. praktisch zum Erliegen gekommen, das Reichsgut seit dem 14. Jahrhundert kaum mehr als Herrschaftsinstrument, sondern vorwiegend nur noch als finanziell nutzbare Manövriermasse eingesetzt100 und auch der Gedanke an eine reichsweite Ordnung des Landfriedens als eines königlichen Gesetzgebungswerkes aufgegeben worden ist101. Der Habsburger fügte dem Königtum also durchaus ein neues102 Herrschaftselement hinzu, das er selbst aber nur indirekt und eher beiläufig nutzte, das in der Zukunft jedoch eine enorme Bedeutung gewinnen sollte. Das Ungewöhnliche an dem Akt von 1282 hat Rudolf dabei offenbar selbst empfunden, zumindest hatte er Mühe, sein Handeln zu begründen: Die Arenga der Urkunde, die über die Belehnung der Königssöhne ausgestellt wurde103, besitzt imperialen Schwung. Sie nimmt auf den Kommentar Ulpians zur 'Lex Iulia et Papia' (Dig. 1,3,31) Bezug, stellt den Herrscher als imperator legibus solutus über das positive Recht104 97 Vgl. Anm. 5. 98 Vgl. T h o m a s (wie Anm. 5), S. 65 f. 99 Vgl. A n g e r m e i e r (wie Anm. 5), S. 56; S c h u b e r t (wie Anm. 28), S. 96. 100 Vgl. S c h u b e r t (wie Anm. 28), S. 165 und 153, 155, 159. 101 Vgl. A n g e r m e i e r (wie Anm. 5), S. 88-103. 102 Anders S p a n n r i n g (wie Anm. 69), S. 62. 103 Vgl. Anm. 69. 104 Zu diesem Verhältnis des Kaisers zu Recht und Gesetz vgl. K a n t o r o w i c z (wie Anm. 95), S. 120-124; L. W i c k e r t , Princeps, in: RE 22, 2, 1954, S. 1998-

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und betont zugleich in herkömmlicher Weise, daß selbstverständlich auch der Kaiser dem (von Gott geschaffenen) Naturrecht105 unterworfen sei. Dabei wird jedoch die lex nature, deren Gewalt sich der König beugen muß, weniger als eine allgemeinen Grundsätzen und verbindlichen Wertvorstellungen verpflichtete Rechtsordnung denn als natürliches, angeborenes Verhalten der Eltern gegenüber ihren Kindern, als Liebe des Vaters zu seinen Söhnen verstanden: ad instinctum, immo pocius imperium et preceptum eiusdem legis nature circa magnificenciam status prolis nostre et sublimationem ipsius studia nostra convertimus. Die Kanzlei mußte 1282, offenbar in Ermangelung einer zugkräftigen juristischen Begründung, zu diesem eigentümlichen Argument aus der Sphäre des Menschlich-Allzumenschlichen greifen, um einen ungewöhnlichen Vorgang der hohen Politik zu rechtfertigen. Dieser bestand aber nicht in der Schaffung eines Hausmachtkönigtums, sondern in der magnificencia status prolis [regiae] ... et sublimatio ipsius durch den König, der daraus einen indirekten Vorteil für seine Herrschaft ziehen konnte. Sowohl für Rudolf selbst als auch für seine Zeitgenossen ist damit aber noch nicht der traditionelle Rahmen des 'Herrschaftskönigtums' gesprengt worden. Bis in die Regierungszeit Heinrichs VU. hinein blieb es Brauch, daß ein neugewählter König zumindest formell auf seine angestammten Besitzungen zugunsten seiner Nachkommen verzichtete und die Herrschaft vorwiegend auf das Reichsgut stützte; erst die Doppelwahl von 1314, die das Reich spaltete und somit keinem der Gewählten die Nutzung des gesamten Reichsgutes ermöglichte, erzwang eine Änderung dieser Praxis: Von nun an gaben die Könige die Verwaltung ihrer 'Hausmacht' nicht mehr aus den Händen106. Wie sehr aber am Ende des 13. Jahrhunderts noch die herkömmliche Anschauung vom 'Herrschaftskönigtum1 und die Vorstellung, daß allein das Reichsgut die materielle Basis der Monarchie bilde, in Geltung waren, das belegt mit wünschenswerter Klarheit eine Urkunde des Grafen 2296, bes. 2293 ff., sowie D. W y d u c k e l , Princeps legibus solutus. Eine Untersuchung zur frühmodernen Rechts- und Staatslehre (= Schriften zur Verfassungsgesch. 30), Berlin 1979, S. 48-54. 105 Zum Naturrecht allg. vgl. Ph. D e Ih a y e, Naturrecht, in: LThK 7, 1962, S. 821-825, bes. 822; R. Ζ i ρ e 11 i u s, Naturrecht, in: HRG 3, 1984, S. 933-940, sowie R. W e i g a η d, Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten von Irnerius bis Accursius und von Gratian bis Johannes Teutonicus, München 1967, und W y d u c k e l (wie Anm. 104), S. 54-62; zur Zitation in der Belehnungsurkunde aber bes. G o e ζ (wie Anm. 76), S. 147 Anm. 33, wie auch H. K r a u s e , Kaiserrecht und Rezeption, Heidelberg 1952, S. 53 ff. 106 Vgl. T h o m a s (wie Anm. 5), S. 65.

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Ulrich von Heunburg107. Am 26. Juli 1286 bekundet der Graf eine Übereinkunft, die er mit Albrecht von Österreich und Steiermark getroffen hat, und erwähnt dabei auch die Möglichkeit, daß der Herzog vom König zu anderen Würden erhöht werden könnte. Von dieser Erhöhung, mit der nur die Wahl zum römischen König gemeint gewesen sein kann108, heißt es nun, daß sie den Verzicht auf die Herzogswürde zur Folge habe: Si vero memoratus dominus noster dux per dominum nostrum serenissimum regem Romanorum ad honores alios fiierit sublimatus, ita quod contingat eum cedere regimini terrarum Austrie et Stirie, ...

IV Zwischen staufischer Tradition und dynastischer Orientierung - wo genau ist der Standort des habsburgischen Königtums festzumachen? Rudolf und seine Zeitgenossen dachten zweifellos in den Kategorien des staufischen Herrschaftskönigtums; wegen ihrer Verwurzelung in der spätstaufischen Epoche und aufgrund ihres politischen Erfahrungshorizontes war dies auch gar nicht anders möglich. Aber der Habsburger imitierte nicht einfach nur das staufische Vorbild; er knüpfte vielmehr an dieses an, nahm Elemente der staufischen, aber eben auch der nachstaufischen Politik auf und entwickelte sie, wenn nötig, fort. Trotz aller Ausrichtung an dem eindrucksvollen Herrschertum Friedrichs Π. strebte Rudolf dem Staufer keinesfalls auf Biegen und Brechen nach: Er blieb sich stets der Realitäten bewußt und paßte diesen sein politisches Handeln in der Regel geschickt an. Dies gilt nicht nur für die Steuer- und Landfriedens-, sondern in besonderem Maße auch für die Kaiserpolitik. Erwählt, um Kaiser zu werden109, hat sich Rudolf während seiner gesamten Regierungszeit um die Kaiserkrönung bemüht110. Daß er letztlich ohne Erfolg blieb, lag an verschiedenen, nicht immer nur von ihm zu verantwortenden Umständen. Er hat nie willentlich auf die universale Würde verzichtet, wie eine be-

107 MG Const. ΠΙ Nr. 671. 108 Vgl. Α. D o ρ s e h , Zur deutschen Verfassungsfrage unter König Rudolf von Habsburg, in: Festgaben zu Ehren Max Büdinger's, Innsbruck 1898, S. 207-223, bes. 214. 109 Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 2), S. 143 f., 170-177, sowie H a 11 e r (wie Anm. 4), S. 74. 110 Vgl. dazu und zum folgenden R e d l i c h (wie Anm. 2), Π. Buch, 2. und 6. Kap.; ΠΙ. Buch, 7. Kap.

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rühmte Anekdote111 glauben machen will. Vielmehr stand er auch in Hinsicht auf das Kaisertum völlig in staufischer Tradition112. Aber anders als seine salischen und staufischen Vorgänger respektierte er den von den Päpsten geforderten Vorrang - die Zeiten hatten sich gewandelt, an dem politischen Übergewicht der Kurie war nicht zu rütteln und Rudolf versuchte dies daher auch gar nicht erst. 1279 übernahm er deshalb bedenkenlos die kuriale Auffassung von der 'translatio imperii', nach der der Papst das Kaisertum von den Griechen auf die Germanen übertragen haben soll113, und erhob ebenfalls keinen Einspruch, als die Kurfürsten im selben Jahr auf Weisung Nikolaus' m . den deutschen Herrscher als das kleinere Himmelslicht bezeichneten, das von dem größeren, dem Stellvertreter Christi, beschienen würde114. Tempora mutantur - der Habsburger hat dies erfahren und seine Konsequenzen daraus gezogen: Ihm war das Einvernehmen mit der Kurie, auf die er bei der Kaiserkrönung angewiesen war, wichtiger als ein Grundsatzkonflikt über die Gleichrangigkeit von 'Imperium' und 'Sacerdotium'. In den Zusammenhang solcher Änderungen und Anpassungen gehört ohne Zweifel auch der Belehnungsakt von 1282. Aber damals wurde zugleich auch ein neuer Weg gewiesen, an dessen Ende das 'Hausmachtkönigtum' stand. Wenn Rudolf selbst auch noch kein Repräsentant dieser Herrschaftsform war und die Hausmacht der Söhne lediglich indirekt und nur neben dem Reichsgut, keinesfalls jedoch an dessen Stelle zur materiellen Basis der Monarchie wurde, wenn der Habsburger sich darüber hinaus selbst als Vertreter eines staufisch geprägten 'Herrschaftskönigtums' empfand, dann stellt sich trotzdem die Frage, welche Bedeutung er der Hausmacht als neuer Komponente seines Herrschaftssystems beilegte. Zur Lösung dieses Problems ist ein Blick auf das schwäbische Herzogtum nützlich, das im Verlauf einer langen Geschichte mannigfache Wandlungen erfahren hat115. Im 13. Jahrhundert war das Herzogtum Schwaben nicht nur mit dem Allod der Staufer untrennbar verbunden, sondern auch mit dem Reichsiii

Vgl. Τ r e i c h 1 e r (wie Anm. 1), S. 101 Nr. 33. 112 Vgl. dazu neben Anm. 110 auch H. B o o c k m a n n , Stauferzeit und Spätes Mittelalter. Deutschland 1125-1517, Berlin 1987, S. 190. 113 MG Const. ΠΙ Nr. 222 c. 2. Vgl. dazu sowie allg. W. G o e z , Translatio Imperii, Tübingen 1958, S. 137-188, bes. 179 f. 114 MG Const, m Nr. 225. 115 Vgl. dazu H. M a u r e r , Der Herzog von Schwaben. Grundlagen, Wirkungen und Wesen seiner Herrschaft in ottonischer, salischer und staufischer Zeit, Sigmaringen 1978.

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besitz, von dem es noch bis 1198 deutlich geschieden erscheint. Als dynastisches Fürstentum, in dem Reichs-, Herzogs- und Patrimonialgut zu einer Gesamtheit verschmolzen waren, hatte sich der Dukat praktisch zu einem Territorium des Reiches gewandelt116. Die Staufer hatten also die Basis ihrer Reichsherrschaft verbreitert durch die Einbeziehung ihres Privatbesitzes, zu dem auch die Herzogsgewalt zählte. Für den Habsburger, der in so vielen Bereichen die staufische Herrschaftspraxis fortsetzte, hätte es daher auch in dieser Hinsicht einen Anknüpfungspunkt gegeben, als er die politischen Verhältnisse im Südosten des Reiches neu ordnete; aber er griff dieses Mal nicht auf das Vorbild seiner staufischen Vorgänger zurück. Er hat nicht nur darauf verzichtet, die Herzogtümer de jure zum Reichsgut zu schlagen; er hat sie nach 1282 auch nicht de facto so behandelt, als ob sie dazu gehörten, und sich lediglich auf eine indirekte Nutzung beschränkt. Er ging damit in Österreich und Steiermark andere Wege als die Staufer in Schwaben: Haus- und Reichsgut blieben getrennt. Der König beachtete damit die Norm, die seit seiner Wahl deutlicher ins Bewußtein gerückt worden war und eine strikte Scheidung von Reichs- und Patrimonialbesitz forderte. Die stärkere Beachtung dieses Grundsatzes machte aber auch erst die Bildung einer Hausmacht im eigentlichen Sinne möglich: Solange er nicht zur Geltung gebracht war, ließ sich eine Verschmelzung beider Bereiche nicht ausschließen. Nachdem dies jedoch einmal geschehen war, hatte Rudolf 1282 - anders als die Staufer am Beginn des Jahrhunderts - nur noch die Wahl zwischen Mehrung des Reichsbesitzes und Mehrung des Hausgutes. Da seine Entscheidung zugunsten des Familieninteresses fiel, gab er der Hausmacht den Vorrang und verschob damit zugleich die Gewichte der Königsherrschaft hin zum Hausmachtkönigtum. Welche Bedeutung er der Hausmacht dabei letztlich beimaß, das wurde 1290 deutlich, als er seinen Sohn Albrecht von Österreich nach dem Tode des ungarischen Herrschers Ladislaus IV. mit dessen Königreich belehnte117. Der Erwerb Ungarns ist zwar gescheitert, aber das Bemühen um die Stephanskrone beseitigt jeden Zweifel daran, daß Rudolfs Königtum nicht

116 Vgl. ebd. S. 269-277, 282 ff., 290 ff., 295. Π7 BR 2366. 2367, ed. MG Const. III Nr. 439. 440. Vgl. dazu R e d l i c h (wie Anm. 2), S.720 ff., sowie Β. Η ó m a n , Geschichte des ungarischen Mittelalters II, Berlin 1943, S. 219, und J. K a u f m a n n , Eine Studie über die Beziehungen der Habsburger zum Königreiche Ungarn in den Jahren 1278 bis 1366, Eisenstadt 1970, S. 8-29, bes. 21 ff.

Das Königtum Rudolfs von Habsburg

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auch vom Hausmachtdenken geprägt worden ist118. Da die Reichspolitik zudem öfters gerade dort ansetzte, wo habsburgische Hausinteressen berührt waren, in Schwaben119 etwa oder im Arelat120, wird man, ohne soweit gehen zu wollen wie die ältere Forschung, doch festhalten müssen, daß das 'Herrschaftskönigtum' Rudolfs von Habsburg zu einem nicht unbedeutenden Maße schon von der Hausmacht bestimmt und auf dieser begründet war. *

Abschließend läßt sich daher feststellen: Die erste Königsherrschaft nach dem Interregnum ist genetisch gewachsen aus staufischen w i e nachstaufischen Traditionen, sie nimmt herkömmliche Elemente der Regierungspraxis Friedrichs Π. auf, paßt sie zum Teil den gewandelten Verhältnissen an und formt daraus etwas Neues wie z.B. die Reichslandvogteien. Politik und Politikverständnis des Habsburgers bewegen sich dabei zwar noch weitgehend im Rahmen des 'Herrschaftskönigtums1 staufischer Prägung, ohne dieses jedoch sklavisch nachzuahmen. Deshalb kann, als während Rudolfs Regierungszeit immer schärfer zwischen Haus- und Reichsgut unterschieden wird, auch eine in die Zukunft weisende Entwicklung angestoßen und die Hausmacht als indirekt nutzbare Basis des Königtums verstärkt neben dem Reichsgut herangezogen werden. Rudolf von Habsburg ist sicherlich kein Neuerer großen Stils, kein visionär begabter Programmatiker und Verfechter progressiver Konzepte gewesen; er erscheint vielmehr als ein Pragmatiker konservativen Zuschnitts, der in der Vergangenheit wurzelt, die Probleme der Gegenwart wachen Sinnes zu meistern sucht und dabei manchmal den Weg in die Zukunft weist. Er hat die Verhältnisse im Reich nicht grundlegend neu 118 Anders S p a n n r i n g (wie Anm. 69), etwa S. 62 und 72. 119 Vgl. dazu C o l b e r g (wie Anm. 49), S. 171; H o f a c k e r (wie Anm. 30), S. 121 und 147, sowie H.E. F e i n e , Die Territorialbildung der Habsburger im deutschen Südwesten vornehmlich im späten Mittelalter, in: ZRG GA 67, 1950, S. 176-308, bes. 189-216, und K.S. B a d e r , Der deutsche Südwesten in seiner territorialstaatlichen Entwicklung, Sigmaringen 21978, S. 67 ff., und F. Q u a r t h a i , Residenz, Verwaltung und Territorialbildung in den westlichen Herrschaftsgebieten der Habsburger während des Spätmittelalters, in: Die Eidgenossen und ihre Nachbarn im Deutschen Reich des Mittelalters. Hg. v. P. Rück, Marburg 1991, S. 61-85. 120 Zur Burgundpolitik des Habsburgers vgl. B. R e s m i η i, Das Arelat im Kräftefeld der französischen, englischen und angiovinischen Politik nach 1250 und das Einwirken Rudolfs von Habsburg, Köln 1980.

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gestaltet, aber er hat sie konsolidiert und dafür gesorgt, daß seine Nachfolger manche Fäden seiner Politik weiterspinnen konnten. Den Menschen ist er deshalb in ehrenvoller Erinnerung geblieben.

Böhmen in der Politik Rudolfs von Habsburg Von Marie Bláhová Die Wahl Rudolfs von Habsburg1, Mitglieds einer alten adeligen Familie, die im 13. Jahrhundert keinen gerade geringen Besitz im südwestlichen Teil Deutschlands besaß, fand in Frankfurt am 29. September 1273 statt, und zwar ohne Teilnahme und gegen den Willen eines der mächtigsten Reichsfürsten, des Königs von Böhmen. Die folgende Krönung2 und die Weigerung Premysl Ottokars Π., Rudolf I. als König anzuerkennen, prägten die Beziehungen des neuen Königs zum Königreich und seinem Herrscher dann zusätzlich in entscheidendem Maße. Die Bemühungen Rudolfs von Habsburg um Überwindung des Interregnums, Wiederherstellung der Königsgewalt, Rückgewinnung der verloren gegangenen Reichsgüter und Wiederherstellung des Rechtes3 als 1

Von den Arbeiten über den ersten Habsburger auf dem deutschen Thron ist immer noch das Buch von O. R e d l i c h , Rudolf von Habsburg. Das deutsche Reich nach dem Untergange des alten Kaisertums, Innsbruck 1903, maßgebend. Vgl. dazu J. B. N o v á k , Redlichovo dflo "Rudolf von Habsburg", in: Cesky casopis historicky [künftig CCH] 10, 1904, S. 177-200. Mit der Zeit und Persönlichkeit Rudolfs von Habsburg beschäftigten sich auch E. S p a n n r i n g , Die Auffassung des Königtums bei Rudolf von Habsburg. Zum Selbstverständnis des ersten deutschen Habsburger-Königs, Diss, (masch.) Salzburg 1970; E. K l e i n s c h m i d t , Herrscherdarstellung. Zur Disposition des mittelalterlichen Aussageverhaltens, untersucht an den Texten über Rudolf I. von Habsburg, Bern/München 1974; Th. M. M a r t i n , Die Städtepolitik Rudolfs von Habsburg, Göttingen 1976; mit etlichen Ungenauigkeiten auch J. F r a n z i , Rudolf I. Der erste Habsburger auf dem deutschen Thron, Graz 1986. Gründliche Informationen bringen auch alle Geschichtskompendien, die diesen Zeitraum behandeln. Die böhmische Geschichte dieser Zeit behandelt vor allem F. G r a e b n e r , Böhmische Politik vom Tode Ottokars Π. bis zum Aussterben der Premysliden, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen [künftig MVGDB] 41, 1903, S. 313-344, 580-606; 42, 1904, S. 1-43, 117-168 (vgl. dazu J. Β. Ν o ν á k , Κ nové literature a novë nalezenym pramenùm o Václavu Π., in: ¿CH 12, 1906, S. 44-58, 149-169, 261-273, 397-406); J. S u s t a , Ceské dëjiny Π,Ι, Soumrak Premyslovcû a jejich dédictvi, Praha 1935; J. Ζ e m 1 i c k a , Stoleti poslednich Premyslovcû, Praha 1986. 2 Vgl. H. R o e s s l e r , Ein König für Deutschland. Die Krönung Rudolfs von Habsburg 1273, München/Wien 1960. 3 Vgl. dazu S p a n n r i n g (wie Anm. 1), S. 34-42; E. E n g e l , Rudolf von Habsburg 1273-1291, in: Deutsche Könige und Kaiser des Mittelalters, Leipzig 1989, S. 243 ff.; u.ö.

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auch das Streben nach Erweiterung der Familienbesitzungen richtete sich auch gegen die Gegner der habsburgischen Macht, vor allem gegen den stärksten unter ihnen: den böhmischen König. Das führte bald zum Konflikt mit Premysl Ottokar Π. Die Reichstage in Nürnberg und Augsburg und die folgenden Ereignisse bis hin zum entscheidenden Zusammenstoß zogen natürlich die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen im ganzen Reiche auf sich4. Der Sieg auf dem Marchfeld, den Rudolf von Habsburg als Gottesurteil für seine gerechte Sache ansah, hat schließlich die größten Probleme des Königs gelöst und seine Machtposition gestärkt5. Zugleich hat er eine neue Phase der Politik gegenüber Böhmen eröffnet. Rudolfs Gegner war tot. Der unmündige Erbe konnte angesichts der ungeregelten Zustände kaum Ansprüche stellen und noch weniger durchsetzen. Ungehindert konnte Rudolf nach Mähren ziehen und die Verwaltung des Landes übernehmen. Die mährischen Städte, die die Plünderung ihres Eigentums verhindern wollten, öffneten ihre Tore und ließen sich ihre Privilegien bestätigen: Mit Sicherheit Olmütz und Leobschütz (im damaligen Herzogtum Troppau), deren Urkunden bis heute im Original erhalten sind. Aus den Formularsammlungen Rudolfs von Habsburg sind auch die Urkunden für Znaim und Brünn bekannt, durch die die Rechte dieser Städte wesentlich erweitert werden sollten. Nach der neuesten Forschung sind diese Stücke jedoch nie ausgestellt wurden, und auch der Treueid der Stadt Iglau scheint nur als Exemplum gedient zu haben. Die Urkunden für Prerau und Pohorelitz jedoch gehören zu den berühmt-berüchtigten Fälschungen Anton Boceks6. 4 Den Nachhall solcher Ereignisse in der zeitgenössischen Annalistik verfolgt K l e i n s c h m i d t (wie Anm. 1), S. 106 ff. 5 Den Verlauf der Schlacht bei Dürnkrut, sofern er den Quellenangaben gemäß rekonstruiert werden kann, wird vor allem von R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 320 ff., und von S u s t a (wie Anm. 1), 269 ff. dargestellt. Neuerlich beschäftigt sich mit diesem kriegerischen Zusammenstoß vornehmlich vom militärischen Gesichtspunkt A. K u s t e r n i g , Probleme um die Kämpfe zwischen Rudolf und Ottokar und die Schlacht bei Dürnkrut und Jedenspeigen am 26. August 1278, in: Ottokar-Forschungen, Wien 1979, S. 226-311. Zum Begreifen des Sieges bei Rudolf von Habsburg und zu seinem Selbstverständnis vgl. S p a n n r i n g (wie Anm. 1), S. 3-33, bes. S. 21. 6 Olmütz: Regesta diplomatica nec non epistolaria Bohemiae et Moraviae [künftig RBM], ed. J. E m 1 e r , II, Pragae 1882, Nr. 1147, S. 493; Leobschütz: RBM, Nr. 1151, S. 494; Znaim: RBM Π, Nr. 139, S. 489; Brünn: RBM, Nr. 1140 und 1141, S. 490; Iglau: RBM II, Nr. 1142, S. 490 f.; Prerau: RBM Π, Nr. 1148, S. 493; Pohorelitz: RBM II, Nr. 1150, S. 494 (vgl. auch O. R e d l i c h , Regesta imperii VI, Die Regesten des Kaiserreichs unter Rudolf, Adolf, Albrecht, Heinrich VII., 1273 - 1313, Innsbruck 1898 [künftig RI], Nr. 1006a-1016, S. 255 ff.). Darüber zuletzt J. K r e j c í k o v á , Rudolf Habsbursky a moravská mèsta ν letech interregna 1278-1283, in: Sborník prací filozofické fakulty Brnënské univerzity C 32, 1985, S. 149-158, die

Böhmen in der Politik Rudolfs von Habsburg

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Auch der Olmützer Bischof Bruno huldigte dem römisch-deutschen König und bot im Interesse seiner Kirche seine Dienste an7. So konnte Rudolf wenige Wochen nach der Schlacht von Dümkrut den größten Teil Mährens besetzen. In Böhmen allerdings war die Situation weniger günstig für den römisch-deutschen König. Der Widerhall auf Rudolfs Appell an den Adel und die Städte Böhmens, sich nach dem Beispiel Mährens seiner Gnade zu unterwerfen, war offenbar äußerst gering. Zumindest gibt es keine Spuren von ihm. Rudolfs Manifest ist zwar nicht im Original, sondern nur in der Formularsammlung erhalten; aber es steht schon in der ersten Redaktion dieser in der Kanzlei entstandenen Sammlungen. Sein Erlaß wird überdies durch andere Quellen, vor allem durch die Königsaaler Chronik, bestätigt8. Welche Absichten der römisch-deutsche König mit dem Zug nach Mähren und Böhmen hegte und was für Ziele er verfolgte, liegt natürlich im Dunkel. Der König, der - wie etwas übertrieben, im Vergleich mit Premysl Ottokar Π. jedoch zutreffend formuliert worden ist - nur quinqué solidos debilis monetae gehabt haben soll, wurde gewiß durch den Reichtum Böhmens angezogen. Ein Streben nach Erweiterung seines Besitzes nicht nur in den österreichischen, sondern auch in den böhmischen Ländern erscheint völlig verständlich9. Vor allem Rudolfs Verwaltung auch ältere Literatur anführt. Vgl. auch z.B. S u s t a (wie Anm. 1), S. 289 f.; M a r t i n (wie Anm. 1), S. 78 f. Uber die Fälschungen Anton Boëeks ausführlich J. S e b á η e k , Moderni padëlky ν moravském diplomatári Boékovë do roku 1306, in: Casopis Matice moravské 60, 1936, S. 27-84 und 455-499, zu den angeblichen Urkunden Rudolfs von Habsburg für die mährischen Städte vgl. S. 475 ff. 7 Vgl. S u s t a (wie Anm. 1), S. 289; Í e m 1 i c k a (wie Anm. 1), S. 154. Zu Bruno von Schauenburg vgl. vor allem Μ. E i s 1 e r , Geschichte Brunos von Schaumburg, in: Zeitschrift des Vereines für Geschichte Mährens und Schlesiens 11, 1907, S. 95-116; Κ. Τ i 11 a c k , Studien über Bruno von Schauenburg und die Politik Ottokars Π. von Böhmen, Diss. Münster/Westf. 1959; H. S t o o b , Bruno von Olmütz, das mährische Städtenetz und die europäische Politik von 1245 bis 1281, Göttingen 1976. 8 RBM Π, Nr. 1152, S. 494; Königsaaler Chronik, Kap. IX, in: Petra ¿itavského Kronika Zbraslavská, ed. J. E m 1 e r , Fontes Rerum Bohemicarum [künftig FRB] IV, Praha 1884, S. 15. Vgl. bes. J. Β. Ν ο ν á k , in: Í C H 12 (wie Anm. 1), S. 47 (nach J. K r e t z s c h m a r , Die Formularbücher aus der Canzlei Rudolfs von Habsburg, Innsbruck 1889, S. 11). Über diese Begebenheiten informiert ausführlicher ζ. B. R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 330; S u s t a (wie Anm. 1), S. 295; F r a n z i (wie Anm. 1), S. 178. 9 In diesem Sinn interpretiert Rudolfs Handlungsweise z. B. F. G r a e b η e r , Rudolf von Habsburg gegen Otto von Brandenburg, Berlin 1901, S. 9: N o v a k (wie Anm. 1), S. 45 ff., vornehmlich S. 47; S u s t a (wie Anm.l), S. 288 f.; F r a n z i (wie Anm. 1), S. 176 ff.; auch I . H l a v á c e k , Die Aufenthalte Rudolfs I. in Böhmen und Mähren aus verwaltungs- und rechtsgeschichtlicher Sicht [in diesem Band (Text und Anm. 8)]. Entgegengesetzter Meinung ist vor allem R e d l i c h (wie Anm.

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des südlichen Teiles Mährens belegt ein erhöhtes Interesse an diesem Gebiet, das überdies von Niederösterreich aus leicht erreichbar war. Rudolfs Gerechtigkeitssinn jedoch, der es ihm angeblich nicht erlaubte, den jungen Premysliden seines Erbes zu berauben, und der in dem Manifest, mit dem der Habsburger den Kindern Premysl Ottokars Π. Gnade, Schutz und Zuflucht gewährte, ausdrücklich zur Schau gestellt wurde, entsprach dagegen kaum der Wirklichkeit. Das Fragment dieses Schriftstückes ist nur in einer Handschrift des 17. Jahrhunderts erhalten und gehört erst zu der dritten Redaktion von Rudolfs Formularsammlung. In älteren Redaktionen kommt es jedoch nicht vor. Seine Entstehung in der Kanzlei ist daher wenig wahrscheinlich. Aus dem erhaltenen Torso erkennt man im übrigen auch nicht, ob er die Überreste einer (ausgehändigten) Urkunde oder den Anfang eines nur als stilistische Übung komponierten Briefes darstellt10. Auch die Schilderung in der Königsaaler Chronik, deren Verfasser Rudolf von Habsburg allgemein als rex iustus charakterisieren11, ist einseitig und tendenziös. Rudolf von Habsburg erwarb die Sympathien ihrer Verfasser vor allem als Gegenspieler des Zawisch von Falkenstein, der von ihnen in den dunkelsten Farben geschildert wurde. Dabei spielte natürlich auch die zeitliche Distanz der Chronisten zu den Ereignissen keine unerhebliche Rolle. Auf die Königinwitwe Kunigunde jedenfalls machte Rudolfs Verhalten einen völlig anderen Eindruck. Davon zeugen ihre Briefe an den Markgrafen von Brandenburg Otto den Langen und dessen Mutter Beatrix, in denen sie die Furcht vor dem völligen Verderben von ihr selbst und von ihren Kindern ausdrückt. Diese Briefe sind zwar ebenfalls nur in Formularsammlungen erhalten, die jedoch auf Peter von Hall zurückge-

1), S. 330. Charakteristik der "Vermögensverhältnisse" Rudolfs von Habsburg bringt das Chronicon Colmariense, MGH SS XVII, S. 246. Einen Überblick über die Einkünfte des Herzogs von Osterreich, der zu den reichsten Fürsten des damaligen Mitteleuropa gehörte, ebenfalls wie die zeitgenössischen Nachrichten über den Reichtum des Königs von Böhmen führt V. N o v o t n y , Ceské dëjiny, 1,4, Rozmach ceské mod za Pfemysla Π. Otakara (1253-1271), Praha 1937, S. 389 f., an. 10 RBM II, Nr. 1155, S. 496. Dazu vor allem R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 330, und N o v á k (wie Anm. 1), S. 45 ff. Auf den Verdachtsgrund hat vor allem N o v a k (wie Anm. 1), S. 47, gestützt auf die Analyse von K r e t z s c h m a r (wie Anm. 8), S. 104, am Anfang dieses Jahrhunderts aufmerksam gemacht. 11 Vgl. Königsaaler Chronik, Kap. IX, FRB IV, S. 15 f. Zur Schilderung Rudolfs v o n H a b s b u r g in d e r K ö n i g s a a l e r C h r o n i k v g l . K l e i n s c h m i d t

190.

( w i e A n m . 1), S.

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hen, dem die Originalurkunden als Vorlage dienten, weswegen kein Verdachtsgrund vorliegt12. Daß sich die Hilfe Ottos des Langen schließlich als äußerst problematisch erweisen würde, konnte Kunigunde natürlich nicht ahnen. Zwischen ihr und dem Markgrafen kam es bald zum Bruch. Den Versuch der Königin, sich mit ihren Kindern dem Schutz Rudolfs anzuvertrauen, konnte Otto leicht mit Hilfe des böhmischen Adels verhindern. Während die verzweifelte und unentschlossene Königinwitwe versprach, sich und ihre Kinder in die Obhut Rudolfs zu begeben13, waren die böhmischen Großen und die Bürger von dieser Idee nicht gerade begeistert. Das deutsche Patriziat von Prag und der größere Teil des böhmischen Adels unterstützte vielmehr den noch von Premysl Ottokar Π. designierten Vormund des Thronerben und von dessen beiden Schwestern: Otto V. den Langen von Brandenburg14. Durch das bei Kolin (in Mittelböhmen) Ende Oktober 1278 getroffene Übereinkommen zwischen dem römisch-deutschen König und dem Markgrafen von Brandenburg und dessen böhmischen Verbündeten wurde die Vormundschaft Ottos V. über den böhmischen Thronfolger wie auch dessen Verwaltung Böhmens anerkannt, während Rudolf die Verwaltung Mährens auf fünf Jahre übernahm. Heinrich IV. von Breslau, der ebenfalls Anspruch auf die Vormundschaft erhob, wurde das Gebiet von Glatz übergegeben, und die Königin erhielt ihren Witwenanteil im Gebiet von Troppau15. Außerdem wurden die älteren Vereinbarungen über eine Wechselheirat zwischen den beiden Herrscherhäusern wiederaufgenommen. Auch die brandenburgischen Askanier sind in diesen Ausgleich einbezogen worden. Die Vereinbarungen zwischen Rudolf von Habsburg und Otto dem Langen zogen weiteren Ambitionen des römisch-deutschen Königs enge Grenzen, löschten aber Rudolfs Interesse an Böhmen keinesfalls aus, auch wenn die Intensität bei der Durchsetzung solcher Interessen zukünftig schwankte: denn das Hauptaugenmerk Rudolfs galt zweifellos den österreichischen Ländern, die er seinem Haus auf Dauer sichern wollte, aber auch anderen Reichsangelegenheiten. Schon in den ersten Monaten 12 Vgl. RBM II, Nr. 1145, S. 492 und Nr. 1144, S. 491. Dazu N o v á k (wie Anm. 1), S. 47 (nach F. F i r n h a b e r , Fontes rerum Austriacarum, Abth. Π, Bd. VI, S. 6 f.). 13 Vgl. RBM Π, Nr. 1153, S. 495 f. Dazu S u s t a (wie Anm. 1), S. 313. 14 Vgl. RBM II, Nr. 1145, S. 492. 15 Zur Entwicklung in Böhmen in dieser Zeit und zum angeführten Abkommen vgl. vor allem R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 329 ff. ; S u s t a , CD Π, 1, S. 287 ff.

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des Jahres 1279 wurden aber die Heiratsvereinbarungen verwirklicht. Anscheinend im Januar fand wahrscheinlich in Iglau 16 die Hochzeit des jungen Wenzels, des Sohnes Premysl Ottokars Π., mit der Tochter Rudolfs von Habsburg, und die des gleichnamigen Sohnes Rudolfs mit Premysls Tochter Agnes statt. Kurz darauf, im Februar, folgte in Wien die Eheschließung des jüngeren Bruders von Otto V., von Otto VI. dem Kleinen, mit Rudolfs Tochter Hedwig. Die Heiratsverbindung mit dem jungen Premysliden erleichterte dem römisch-deutschen König die "Kontrolle" und eventuell auch eine Einmischung in die böhmische Politik. Sie eröffnete dabei aber auch die Möglichkeit, die Unterstützung des böhmischen Herrschers für die habsburgische Politik zu gewinnen. Das Verhalten Ottos V. und seiner bewaffneten Scharen, die Auseinandersetzungen zwischen der Königinwitwe Kunigunde und dem Markgrafen, aber auch das unüberlegte Verhalten einiger böhmischer Adeliger, das sich oft kaum vom Auftreten des brandenburgischen Kriegsvolkes unterschied17, boten Rudolf von Habsburg bald die Gelegenheit zum erneuten Einschreiten in Böhmen. Verhandlungen mit dem Markgrafen Otto von Brandenburg waren erfolglos18. Unter dem Vorwand, die Rechte der Königin und ihrer Kinder19 zu verteidigen, zog Rudolf daher mit seinem Heer nach Böhmen, um die rebellio20 Ottos V. zu unterdrücken. Zum Kampf mit den brandenburgischen Truppen kam es jedoch nicht. In Verhandlungen erreichte Rudolf allerdings nur geringe Konzessionen von der Seite Ottos. Im Lauf der weiteren Entwicklung, die zunächst nur langsam und unter Schwierigkeiten, schließlich aber doch erfolgreich zu einer Verbesserung der Zustände führte, ergriff eine Gruppe des böhmischen Adels mit dem Prager Bischof Tobias an der Spitze die Initiative21.

16 Zur Problematik der Datierung und des Ortes vgl. vor allem S u s t a (wie Anm. 1), S. 304 f. Der Versuch R e d 1 i c h s (wie Anm. 1, S. 332 f.), die Unstimmigkeiten der Quellen zu lösen, scheint nicht gerade geglückt zu sein. 17 Dazu z. B. R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 370; S u s t a (wie Anm. 1), S. 308 f. und 312 f.; Ν o ν á k (wie Anm. 1), S. 50 f. 18 Wahrscheinlich im Sommer 1280. Vgl. S u s t a (wie Anm. 1), S. 312. 19 Vgl. RBM Π, Nr. 1215, S. 526 f. 20 ... Pro eo quod tu de rebellione, quam Otto marchio Brandenburgensis nobis procrevit, turbatus ... So Rudolf von Habsburg im Briefe an Dietrich von Landsberg, in: Eine Wiener Briefsammlung zur Geschichte des Deutschen Reiches und der österreichischen Länder aus der zweiten Hälfte des ΧΠΙ. Jahrhunderts. Nach den Abschriften von A. Starzer hrsg. v. O. R e d 1 i c h , Wien 1894, Nr. 143, S. 156 f. 21 Vgl. vor allem S u s t a (wie Anm. 1), S. 321 ff.

Böhmen in der Politik Rudolfs von Habsburg

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Im Jahr 1283 ging die brandenburgische Vormundschaft zu Ende. Am 24. Mai kehrte unter dem unermeßlichen Jubel des Volkes22 der zwölfjährige Wenzel nach Prag zurück und konnte als dominus et heres regni Bohemie et marchio Moravie, wie er in seinen Urkunden bezeichnet wurde 23 , die Regierung antreten. Auch Rudolf von Habsburg begnügte sich mit den Einkünften, die er im Laufe von fünf Jahren aus Mähren erhalten hatte24, und räumte wahrscheinlich im Herbst 128325 das Land. Die Frage, ob dies freiwillig oder unter äußerem Druck geschah, bleibt ungelöst. Auf jeden Fall aber hatte Rudolf zuvor die österreichischen Länder gewonnen und seinem Sohn Albrecht zu Lehen vergeben26. Er konnte daher kaum damit rechnen, daß die Reichsfürsten einem Versuch, auch Mähren zu gewinnen, tatenlos zusehen würden. Außerdem war Rudolf viel zu sehr mit den Angelegenheiten des Reiches und der österreichischen Länder beschäftigt, als daß er sich intensiv um die mährische Problematik hätte kümmern können. Daher hatte er schon seinen Sachwaltern in Mähren, dem Olmützer Bischof Bruno und nach dessen Tode dem Herzog Albrecht von Sachsen, freie Hand bei der Verwaltung der Markgrafschaft gelassen27. Gute Beziehungen zum jungen Böhmenherrscher und die politische Unterstützung, die Wenzel Π. seinem Schwiegervater auf manchem Gebiet gewähren konnte, waren für Rudolf von Habsburg in jedem Fall von Bedeutung. Der Habsburger kam daher dem Verlangen der böhmischen Botschafter bereitwillig entgegen und befreite Wenzel Π. von Böhmen am 23. August 1283 von allen Versprechungen und Verpfändungen, die

22 Darüber vor allem die Zweite Fortsetzung Kosmas1, ed. J. E m i e r , in: FRB Π, O zlych letech po smrti krále Otakara. B. (Annales Pragenses ΙΠ), S. 366. 23 Vgl. z. B. RBM Π, Nr. 1300, S. 561; Nr. 1302, S. 562, u.ö. 24 Die konkreten Angaben über die Ankünfte, die aus der Verwaltung Mährens flössen, sind nicht erhalten. Sie sind nur mit einer ganz allgemeinen Nachricht bezeugt (vgl. RI VI [wie Anm. 6], Nr. 1330, S. 323). 25 Näheres über die Ubergabe Mährens an Wenzel Π. ist nicht bekannt. Vgl. S u s t a (wie Anm. 1), S. 336 und Anm. 1. 26 Am 1. Juni 1283. Rudolfs Versuch Osterreich, Steiermark und Krain an seine beiden Söhne, Albrecht und Rudolf, zu übertragen, scheiterte am Widerstand des einheimischen Adels. Vgl. dazu R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 334-384; auch S u s t a (wie Anm. 1, S. 334). 27 Das spiegelt sich auch in der diplomatischen Produktion Rudolfs von Habsburg für Mähren, die nach der anfänglichen Aktivität fast aufhört. Vgl. dazu J. K r e j c í k o v á , Diplomatická cinnost ν ceském stâtë ν letech interregna, in: Sborník prací filozofické fakulty brnënské univerzity C 36/37, 1989/1990, S. 147-164 (bes. S. 149).

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dieser gegenüber dem Brandenburger eingegangen war. Rudolf erklärte sie für erzwungen und daher für ungültig und nichtig28. Der junge Herrscher seinerseits vermochte die Situation in Böhmen, vor allem die Machtkämpfe zwischen den verschiedenen Gruppen des böhmischen Adels, nicht allein zu bewältigen und bedurfte der Hilfe des Schwiegervaters. Dieser ergriff dann auch eine günstige Gelegenheit und half durch Boten, den Frieden in Böhmen wiederherzustellen. Im April 1284 Schloß Wenzel schließlich einen Waffenstillstand und begnadigte seine Gegner ... secundum quod statuti ... ser. dom. et pater noster R(udolfiis), rex Rom ...29 Die Situation in Böhmen ließ Rudolf nach wie vor nicht aus den Augen. Dabei setzte er erfolgreich auch seine Tochter Guta, die Gemahlin Wenzels Π., ein, die er zunächst nicht nach Prag reisen ließ. Boten Wenzels und Rudolfs, die jedoch nur unverbindliche Zusagen offerierten, zogen zwischen Prag und dem Hofe Rudolfs30 hin und her. Endlich willigte Rudolf ein, seine Tochter zu Wenzel Π. reisen zu lassen. Nach einem feierlichen Treffen, das im Januar 1285 in Eger stattfand, aber offenbar keinen politischen Erfolg versprach31, nahm er Guta jedoch wieder mit nach Hause. Die Bemühungen Rudolfs, die böhmische Politik zu beeinflussen, erweckten von Anfang an das Mißfallen und Mißtrauen des böhmischen Adels32. Ein besonders gefährlicher Gegner entstand dem Habsburger in seinem ehemaligen Verbündeten gegen Premysl Ottokar Π., in Zawisch von Falkenstein. Als neuer Gemahl der Königin Kunigunde und Mitglied 28 Vgl. Sententia de cassandis obligationibus vi obtentis, MGH Constitutiones et acta publica imperatorum et regum III, ed. I. S c h w a l m , Hannoverae et Lipsiae 1904-1906, Nr. 360, S. 344 f. 29 RBM U, Nr. 1311, S. 565 f.; vgl. auch RBM Π, Nr. 1312, S. 566 f., Nr. 2256, S. 980; RI VI, Nr. 1282, S. 399 f. Dazu vor allem N o v a k (wie Anm. 1), S. 57 f. Vgl. auch S u s t a (wie Anm. 1), S. 341 ff. 30 Vgl. bes. O. R e d 1 i c h , Ungedruckte Urkunden Nr. 12, in: R e d 1 i c h (wie Anm. 1), S. 762. 31 Vgl. vor allem S u s t a (wie Anm. 1), S. 349 f. Die Hypothese, daß Wenzel II. bei dieser Gelegenheit auch die böhmischen Länder zu Lehen erhielt, findet in den Quellen zwar keine Stütze, jedoch wird sie für wahrscheinlich gehalten (vgl. ebenda, Anm. 1; auch V. Ν ο ν o t η y , in: Kronika zbraslavská, preklad J. V. Nováka, úvod a pozn. V. Novotny, Praha 1905, S. 40, Anm. 1, und S. 58, Anm. 2). 32 Vgl. RBM II, Nr. 2261, 2262, S. 982 f. Dazu G r a e b η e r (wie Anm. 1), 42, S. 33; Ν ο ν á k (wie Anm. 1), S. 153 ff. Auch das Verhalten Zawischs beim Zusammentreffen in Eger, wo er vor den Stadtmauern blieb, könnte eher mit dem Mißtrauen der böhmischen Seite und mit der politischen Vorsicht des Falkensteiners zusammenhängen, als mit der Befürchtung vor dem Unwillen des Königs, wie die Verfasser der Königsaaler Chronik meinten (Kap. XIX, FRB IV, S. 26; ähnlich z. B. F r a η ζ 1 [wie Anm. 1] S. 231), erklärt werden.

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einer berühmten Adelsfamilie, der Witigonen, hatte er das entscheidende Wort am Prager Hof 33 . Trotz seiner widerspruchsvollen Rolle aber besitzt Zawisch keine geringen Verdienste um die Konsolidierung der königlichen Macht in Böhmen. Ohne Übertreibung darf man sagen, daß Zawisch in den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts den Bemühungen Rudolfs erfolgreich entgegengetreten ist und dabei seinen eigenen Einfluß auf die böhmische Politik vergrößerte. Zawisch von Falkenstein setzte als Regent und tatsächlicher Gewalthaber eine großangelegte Politik im Sinne des Königtums durch und griff dabei auch die Bestrebung um eine Erneuerung der böhmischen Herrschaft in den Alpenländern auf. Wenn schon nicht in Österreich, Steiermark und Krain, wo Rudolfs Sohn Albrecht als Herzog eingesetzt worden war, so doch wenigstens in Kärnten, wo die Lage noch unentschieden war und die böhmischen Ansprüche dank dem 1268 zwischen dem böhmischen König und dem Herzog Ulrich von Kärnten aus dem Hause Sponheim geschlossenen Erbvertrag34 besser begründet waren als in den übrigen Alpenländern. Wenigstens Kärnten also sollte wieder böhmisch werden. Zwar war dieses Herzogtum für den Grafen Meinhard von Tirol bestimmt, diesem jedoch noch nicht verliehen worden35. Die Ansprüche Böhmens auf Kärnten sind mehrmals betont worden36, allerdings ohne Erfolg. Eine solche Restitutionspolitik des böhmischen Hofes unter der Regentschaft Zawischs war für Rudolf natürlich nicht akzeptabel, und der Habsburger hat daher auch rechtzeitig Gegenmaßnahmen getroffen und Kärnten schließlich an Meinhard von Tirol übertragen37.

33 Vgl. G r a e b n e r (wie Anm. 1), 42, S. 25 ff., und vor allem die kritischen Anmerkungen Ν o ν á k s zu diesem Werk (wie Anm. 1), S. 57 f. und 149 ff. Für die Bewertung der Rolle dieser widerspruchsvollen Gestalt der böhmischen Geschichte aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts mangelt es hier an Raum. In jedem Fall verdient Zawisch von Falkenstein eine größere Aufmerksamkeit der Historiker, als ihm bisher gewidmet wurde. Zur Persönlichkeit Zawischs bes. J. S u s t a , Závis ζ Falkensteina, in: CCH 1, 1895, S. 69-75, 246-259, 287-298, 384-392. 34 Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 714; S u s t a (wie Anm. 1), S. 50 f. 35 Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 711 f. und 714. Die Zeit, in der die böhmischen Ansprüche erhoben wurden, ist wegen des Mangels an Quellen nicht genau bekannt. Auch die Erwägungen von böhmischen Ansprüchen auf alle österreichischen Länder sind mehr als hypothetisch. Vgl. Ν o ν á k (wie Anm. 1), S. 152 f. und 156; S u s t a (wie Anm. 1), S. 358 und Anm. 1. 36 Vgl. N o v á k (wie Anm. 1), S. 151 ff.) 37 Damit konnte nur die Frage der Sponnheimer Familiengüter gelöst werden, nicht jedoch der kirchlichen Lehen, die Premysl Ottokar II. von dem Bamberger Bischof erhalten hatte.

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Die durch die böhmische Politik drohende Gefahr hat Rudolf I. mit der Opposition gegen Zawisch von Falkenstein zusammengeführt, besonders mit deren Führer Nikolaus von Troppau, einem natürlichen Sohn Premysl Ottokars Π. Auch dabei kam die berühmte Heiratspolitik des Habsburgers zum Tragen. Schon kurz nach einem Zusammentreffen in Eger verpflichtete sich der römisch-deutsche König diesen Premysliden durch die Heirat mit einer seiner Nichten38. Etwas später söhnte sich aber auch Wenzel Π. mit Nikolaus von Troppau aus39. Die wirksamste Unterstützung der habsburgischen Interessen in Böhmen kam schließlich tatsächlich von den einheimischen Gegnern Zawischs. Aber auch seine Tochter Guta konnte Rudolf dabei einsetzen. Ihre Ankunft in Prag im Juli 1287 stärkte die prohabsburgische Partei in Böhmen. Die in Aussicht genommene Königskrönung des böhmischen Herrschers blieb jedoch aus40. Vielleicht fürchtete Rudolf I. das Selbstbewußtsein eines gekrönten böhmischen Königs und dessen mögliche Ansprüche: vielleicht aber war schon das Versprechen, die Königskrönung zu vollziehen, nicht ernst gemeint und sollte Wenzel Π. lediglich zufriedenstellen und von Kärnten ablenken. Jedenfalls ist Wenzel Π. nicht zu Lebzeiten seines Schwiegervaters gekrönt worden und mußte fast noch zehn Jahre, bis zum 2. Juni 1297, warten, ehe die Krönung vollzogen werden konnte. Im Verlauf der weiteren Entwicklung, in der sich auch Rudolf von Habsburg engagierte und u. a. im April 1290 seinen gleichnamigen Sohn mit einem Heer nach Böhmen entsandte, um Wenzel Π. gegen die Witigonen zu unterstützen41, kam es schließlich zum Sturz und zur Enthauptung des Zawisch von Falkenstein (am 24. August 1290). Nach der Verhaftung Zawischs (wahrscheinlich im Januar 128942) kam es zu einer Annäherung Wenzels an seinen Schwiegervater. Durch einige Privile38 Vgl. R e d l i c h (wie Anm,. 1), S. 713; S u s t a (wie Anm. 1), S. 350. 39 RBM Π, Nr. 1393, S. 598 f. 40 Uber die Ankunft Gutas vgl. vor allem die Königsaaler Chronik (wie Anm. 11), Kap. XX, FRB IV, S. 26 f. Vgl. dazu z. B. S u s t a (wie Anm. 1), S. 364 f. Zur Vorbereitung der Königskrönung vgl. die Urkunden Rudolfs I., RI VI, Nr. 2089-2091. Dazu R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 715. 41 Vgl. z. B. S u s t a (wie Anm. 1), S. 408 ff.; R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 717 f. G r a e b n e r (wie Anm. 1, 41, S. 605) setzt auch voraus, daß Rudolf von Habsburg als Schiedsrichter im Streit zwischen Zawisch von Falkenstein und Nikolaus von Troppau um das Herzogtum Tropau natürlich für Nikolaus eintrat (vgl. auch Ν o ν á k [wie Anm. 1], S. 161). 42 So S u s t a (wie Anm. 1), S. 397, Anm. 1, unter Hinweis auf G r a e b n e r (wie Anm. 1, 42, S. 6 f.), der jedoch die Verhaftung Zawischs zwischen den 10. Januar und 10. April legt.

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gien43 vermochte Rudolf sich Wenzel zu verpflichten und die Unterstützung des Böhmen für seine Politik zu gewinnen. Ebenfalls gelang es, dem politischen Kurs des Prager Hofs eine andere Richtung zu geben und ihr ein Ziel zu weisen, das auch für die habsburgische Politik von Interesse war. Die Situation in Meißen und Schlesien half dabei. Der Prager Hof entschloß sich, die Streitigkeiten unter den Wettinern auszunützen und die Macht der Premysliden nach Nord auszudehnen. Am 6. Februar 1289 Schloß Wenzel Π. mit dem jungen Wettiner Friedrich von Dresden einen Vertrag, durch den er dessen Besitzungen, aber auch die von diesem beanspruchten Fürstentümer Meißen und Niederlausitz erwarb und dafür einige Besitzungen im östlichen Böhmen, die jedoch zum Teil den Witigonen gehörten, abtrat44. Schon am 13. März desselben Jahres bestätigte Rudolf I. dieses keineswegs unanfechtbare Abkommen45. Für ihn war diese Orientierung der böhmischen Politik zweifellos weniger gefährlich als die von Zawisch von Falkenstein angeregte Ausrichtung auf Kärnten, auch wenn es dem Böhmenkönig nicht gelang, Meißen und die übrigen Besitzungen für Böhmen zu gewinnen46. Doch ließ Wenzel Π. seine Ambitionen auch später nicht fahren47. Wenzels Π. Bemühungen um eine Erweiterung der böhmischen Herrschaft nach Schlesien hinein kam Rudolf natürlich ebenfalls entgegen. Die andauernden Konflikte unter den polnischen Piasten boten dem Böhmen genügend Gelegenheit, sich in die polnischen Angelegenheiten einzumischen und in Schlesien festen Fuß zu fassen. Der erste Schritt dazu wurde am Anfang des Jahres 1289 unternommen. Herzog Kasimir von Beuthen kam damals nach Prag und trug am 10. Januar sein Ländchen an den böhmischen Herrscher auf, von dem er es von ihm wieder zu Lehen empfing48. Weitere Möglichkeiten eröffneten sich für den Premysliden im Juni 1290 nach dem Tode des mächtigsten unter den schlesischen Herzögen: des kinderlosen Heinrich IV. von Breslau. Wenzel Π. wollte sich nun in Schlesien durchsetzen und mindestens einen Teil der Erbschaft Heinrichs IV. erwerben; und die böhmische Diplomatie, 43 Vgl. hier weiter. 44 RBM Π, Nr. 1467, S. 630 ff. Vgl. auch S u s t a (wie Anm. 1), S. 399 f.; R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 671 und 717. 45 RBM Π, Nr. 1470, S. 635. 46 Vgl. G r a e b n e r (wie Anm. 1), 42, S. 5 f.; S u s t a (wie Anm. 1), S. 398 ff. 47 § u s t a (wie Anm. 1), S. 439 f. 48 RBM Π, Nr. 1466, S. 628 ff. Vgl. S u s t a (wie Anm. 1), S. 393 f.; G r a e b n e r (wie Anm. 1) 42, S. 3.

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böhmisches Geld und das böhmische Heer feierten Erfolge: Auch andere polnische Fürsten nahmen jetzt Lehnsbeziehungen zum böhmischen König auf 49 . Rudolf unterstützte diese Politik seines Schwiegersohnes schon allein deshalb, weil sie dessen Aufmerksamkeit vom österreichischen Raum ablenkte50. Am 22. Juli 1290 bestimmte er daher, daß alle Reichslehen, die durch den Tod Heinrichs IV. von Breslau ledig geworden seien, an Wenzel von Böhmen fallen sollten51; am 25. September bestätigte er Wenzels Π. Erbvertrag mit Heinrich IV. von Breslau52 und verlieh ihm die Fürstentümer Breslau und Schlesien als Reichslehen53. Rudolfs Handeln war jedoch nicht ohne Eigennutz, denn Wenzel Π. sollte gewonnen werden, die habsburgische Thronfolge im Reich zu ermöglichen, mithin die habsburgische Königsherrschaft abzusichern54. Die Sicherung der Thronfolge war ein Hauptziel der Politik Rudolfs, und der Habsburger strebte es eifrig an, sobald er seine Position im Reich einigermaßen gefestigt hatte. Nacheinander wurden alle drei erwachsenen Söhne Rudolfs als Thronfolger ausersehen, doch zwei von ihnen starben noch vor dem Vater. Der beste Weg, die dynastische Thronfolge zu sichern, war die Wahl eines Sohnes zum König noch zu Lebzeiten des Vaters. Nach dem Herkommen im Reiche war dies im 13. Jahrhundert jedoch nur üblich, nachdem der Vater zum Kaiser gekrönt worden war. Da aber alle Bemühungen Rudolfs um die Kaiserkrönung scheiterten55, sah sich der König schließlich gezwungen, die Nachfolge eines Sohnes auch ohne Kaiserkrone anzustreben. Die Wahl jedoch hing von den Kurfürsten ab, die seit einigen Jahrzehnten das ausschließliche Wahlrecht besaßen. Ursprünglich wählten alle Reichsfürsten den römisch-deutschen Kö56 nig . Erst im 13. Jahrhundert begann sich dies zu ändern57. Unter den 49 RBM Π., Nr. 1530, S. 658 f.; Nr. 1590-1592, S. 684 f. Ausführlichere Informationen bringt z. B. G r a e b n e r (wie Anm. 1), 42, S. 12 ff. ; S u s t a (wie Anm. 1), S. 384 ff. und 421 ff. 50 Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 720. 51 RBM II, Nr. 1507, S. 648. 52 Näheres über diesen Vertrag ist nicht bekannt. Vgl. z. B. S u s t a (wie Anm. 1), S. 421. 53 RBM Π, Nr. 1514, S. 652; Nr. 1516, S. 652 f. Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 719 f. 54 Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 697 ff. 55 Rudolf strebte nach der Kaiserkrone vom Beginn seiner Regierung an. Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 683 ff. Überblick über die Versuche zur Regelung seiner Nachfolge bringt z. B. S p a n n r i n g (wie Anm. 1), S. 83 f. 56

Die

Wahlformen

der

Königserhebung

bis

zum

Jahr

1198

verfolgt

U.

R e u 1 i η g , Zur Entwicklung der Wahlformen bei den hochmittelalterlichen Königser-

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Wählern tauchen nun einige Reichsfürsten auf, die ein besonderes Recht bei Wahlen besaßen, und an die sich auch der Papst mit seinen Forderungen wandte. Das Wahlrecht jedoch wurde noch nicht allein auf diese Fürsten beschränkt58. Dies geschah erst seit der Doppelwahl von 1257; von nun an war das Wahlrecht durch die sieben Kurfürsten monopolisiert, die zugleich Inhaber der sog. Erzämter waren. Im Jahre 1298 wurde die Gesamtheit der Fürsten zum ersten Mal als collegium bezeichnet59. Neben den drei rheinischen Erzbischöfen von Köln, Mainz und Trier gehörten zu diesem "Kollegium" vier Laienfürsten: der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg und der König von Böhmen. Der Grund für diese Einschränkung des Wahlrechtes auf sieben Fürsten ist nicht ganz klar zu erkennen. Man hat erwogen, ob nicht die Interesselosigkeit der übrigen Fürsten60 die Monopolisierung der Königswahl gefördert hat und ob diese Entscheidung nicht auch durch die Interessenpolitik einiger weniger Magnaten vorangetrieben worden ist 61 . Wenn auch das Interesse an der Königswahl wie am Königtum im 13. Jahrhundert schwand62, so ist die zweite Möglichkeit doch nicht völlig auszuschließen, da den Wählern nicht gerade geringe Gewinne winkten63, wenn sie ihr Recht ausübten. hebungen im Reich, in: Wahlen und Wählen im Mittelalter, hrsg. von R. Schneider/H. Zimmermann (Vorträge und Forschungen 37), Sigmaringen 1990, S. 227-275. Die Literatur zur Entstehung und Entwicklung des Kurfürstenkollegs ist bei B. C a s t o r p h , Die Entwicklung des römischen Königswahlrechtes und die Entstehung des Kurkollegs im 13. Jahrhundert, Inaugural-Diss. Mainz 1976, S. 1-5, 100-102, und H. S t e h k ä m p e r , Der Kölner Erzbischof Adolf von Altena und die deutsche Königswahl (1195-1205), in: Beiträge zur Geschichte des mittelalterlichen Königtums, hrsg. v. Th. Schieder (Historische Zeitschrift, Beiheft 2 [Neue Folge]), München 1973, S. 56 f., Anm. 3, ausführlich zusammengefaßt. 58 Ausführlich wird diese Problematik von C a s t o r p h (wie Anm. 57), S. 1936, verfolgt, wo auch die ältere Literatur angeführt ist. Vgl. auch Z. F i a l a , Pocátky ceské úCasti ν kurfirtském sboru, Sbornfk historicky VIE, 1961, S. 31 ff.; R. S c h w i n d , Die römisch-deutschen Könige und ihre Wähler 1198-1273, Diss, (masch.) Wien 1970, S. 60; u.a. 59 Auf diese Tatsache hat A. W o l f , Von den Königswählern zum Kurfürstenkolleg. Bilddenkmale als unerkannte Dokumente der Verfassungsgeschichte, in: Wahlen und Wählen im Mittelalter (wie Anm. 56), S. 227-275, aufmerksam gemacht. 60 Dazu ζ. Β. M. L i n t z e l , Die Entstehung des ausschließlichen Wahlrechts der Kurfürsten, in: ders., Ausgewählte Schriften Π, Berlin 1961, S. 459 ff.; F i a l a (wie Anm. 58), S. 64. 61 Vgl. Κ. Β o s 1 , Staat, Gesellschaft, Wirtschaft im deutschen Mittelalter, in: B. Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte hrsg. ν. H. Grundmann, 'München, s. d., 7, S. 180. 62 Vgl. M. L i n t z e l (wie Anm. 60), S. 462. 63 Die Wähler bekamen zumeist namhafte Belohnungen, Privilegien und Privilegienbestätigungen, auch Amter, oder konnten Ehebündnisse mit der neuen königlichen Familie schließen. Ausführlich darüber S c h w i n d (wie Anm. 58), S. 6 ff.

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Obwohl der böhmische Herrscher mindestens seit dem Ende des 12. Jahrhunderts64 regelmäßig an der Königs wähl teilnahm, wurde sein Wahlrecht von den deutschen Verfassungstheoretikem des 13. Jahrhunderts bestritten, ohne dabei jedoch sein Recht auf das Schenkenamt, in dem er erstmals 1114 belegt ist, in Frage zu stellen. Den Anstoß für diese ablehnende Haltung hat offenbar der Sachsenspiegier Eike von Repgow gegeben, der dem Böhmen die Vorrangstellung bei der Kur des gewählten Königs bestritt65. Der Grund dafür wurde bisher nicht aufgedeckt, doch denkt man daran, daß hier die besondere Rechtsüberzeugung einer bestimmten Gruppe66 oder auch die Konstellation in einer konkreten Situation (in der der böhmische König nicht an einer Wahl teilgenommen hat) wirksam geworden ist67. Das Recht des böhmischen Königs ist dadurch aber letztlich nicht wirklich beschnitten worden, im Gegenteil: der König von Böhmen hat bei der Wahl des römischen Königs in der Regel eine hervorragende Stellung innegehabt68. Die einzige Wahl des 13. Jahrhunderts, an der der böhmische König weder persönlich teilnahm noch später zustimmte, ist die Wahl Rudolfs von Habsburg in Frankfurt am 3. Oktober 1273 gewesen69. Premysl Ottokar Π., der sich selbst um eine Kandidatur beworben hatte, ist mit der Erwählung des Habsburgers nicht einverstanden gewesen. Seine Vertreter erschienen zwar in Frankfurt, wurden jedoch nicht zur Wahl zugelas-

64 Die älteren Belege der böhmischen Teilnahme an der Wahl (984, 1169) sind umstritten. Vgl. F i a l a (wie Anm. 58) 65 ... Die schenke des riches, der küning von Beemen, der ne hat nichenen kore, durch daz her nich dudisch nis... (Eike von Repgow, Der Sachsenspiegel, Landrecht, 3. Buch, Artikel 57, § 2). Den Überblick über die Interpretationen dieser Stelle in der Fachliteratur bringt C a s t o r p h (wie Anm. 57), S. 84 ff.; vgl. dazu noch F i a l a (wie Anm. 58), S. 37 f. Zu den Anfängen des böhmischen Erzschenkenamt vgl. V. Ν ο ν o t η y , Ceské dëjiny 1,2, Od Bretislava I. do Premysla 1., Praha 1913, S. 506. 66 So ζ. Β. Ε. Β o s h o f , Erstkurrecht und Erzämtertheorie im Sachsenspiegel, in: Beiträge zur Geschichte des mittelalterlichen deutschen Königtums (wie Anm. 57), S. 84-121. (Der Verfasser führt auch die ältere Literatur zur Problematik der böhmischen Kurstimme an.) 67 Z.B. C a s t o r p h (wie Anm. 57), S. 83-89, 159-162. Von der Interpretation dieser Stelle hängt auch die Datierung des Sachsenspiegels ab. Vgl. dazu d e r s . , 1. c., S. 88, wo auch ältere Literatur angeführt ist. - Der Verfasser selbst neigt zur Ansicht, daß Sachsenspiegel erst nach der Wahl Rudolfs von Habsburg entstanden sei (vgl. auch ebd. S. 99). R e u 1 i η g (wie Anm. 56), S. 30, hielt den betreffenden Text für eine Interpolation, die erst nach der Wahl Rudolfs von Habsburg entstand. 68 Vgl. ζ. Β. H. M i 11 e i s , Der Staat des hohen Mittelalter. Grundlinien einer vergleichenden Verfassungsgeschichte des Lehnszeitalters, ΤWeimar 1962 u.ö., S. 395. 69 Zur Wahl Rudolfs von Habsburg vgl. ζ. Β. H. G r u n d m a n n , Wahlkönigtum, Territorialpolitik und Ostbewegung im 13. und 14. Jahrhundert, 1198-1378, in: Gebhardt, Handbuch (wie Anm. 61), 5, S. 97 ff.

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sen70. An Stelle der böhmischen Stimme wurde möglicherweise die bayerische herangezogen71. Premysl Ottokar Π. appellierte gegen diese Wahl und wegen der Übergehung seines Rechtes beim Papst72. Als während des Augsburger Hoftages im Mai 1275 der Gesandte Premysls wiederum auf die Ungültigkeit der Frankfurter Wahl hinwies, kam es um das Wahlrecht zum Streit mit dem Sachwalter des (nieder)bayerischen Herzogs Heinrich, der damals noch ein Verbündeter Premysls Π. war. Rudolf klärte die komplizierte Situation durch den Hinweis, daß der bayerische Herzog zweimal den römischen König gewählt habe. Gleichzeitig setzte er jedoch fest, daß die beiden Wittelsbacher, der Pfalzgraf Ludwig bei Rhein und der Herzog Heinrich von (Nieder)Bayern, zusammen nur eine Stimme führen sollten. Dabei betonte er ausdrücklich, daß es zu dieser Entscheidung ... in presencia nuntiorum prefati regis Bohemie ..., die in der Urkunde auch namentlich angeführt sind, gekommen sei73. Obwohl Premysl I. auf diesem Hoftag Rudolfs I. alle Reichslehen und auch das Schenkenamt abgesprochen worden sind74, wurde das böhmische Wahlrecht also nicht grundsätzlich bestritten; trotz gewisser Unklarheiten scheint also die

70 Vgl. MGH Constitutiones ΠΙ, Nr. 83, S. 72. Zur Situation in der Kirche im römisch-deutschen Reich vgl. den Bericht des Olmiitzer Bischofs Bruno vom 16. Dezember (1273): Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae V/2, cond. G. Friedrich, ed. J. S e b á n e k et S. D u s k o v á , Pragae 1981, Nr. 719, S. 369 ff. - Darüber J. G o 11 , Zu Brunos von Olmütz Bericht an Papst Gregor X. (1273), in: MIOG 23, S. 487-490. 71 Wegen Quellenmangel konnte diese Frage nicht eindeutig gelöst worden. M i 11 e i s (wie Anm. 68) vertritt die Ansicht, daß der Herzog von Bayern nur zur Ausübung des Wahlrechts in diesem einen Falle zugelassen wurde. Der Anspruch auf das Stimmrecht bei der römischen Königswahl durch den bayerischen Herzog taucht in den Quellen erstmals im Zusammenhang mit dem Hoftag in Augsburg 1275 auf. Dazu vor allem C a s t o r p h (wie Anm. 57), S. 78 ff.; vgl. auch F i a l a (wie Anm. 58), S. 51 ff. 72 MGH, Constitutiones ΠΙ, Nr. 15, S.19 f. Dieses Zeugnis, das nur in der Formularsammlung überliefert ist, wurde in Zweifel gezogen. Nach der Analyse von R e d l i c h , in: MIÖG 10, S. 353 ff., scheint es jedoch echt zu sein. Vgl. auch d e r s., RI VI, Nr. 42d ( F i a l a [wie Anm. 58], S. 51, Anm. 1, hält es trotzdem nur für eine stylistische Übung). 73 Vgl. MGH Constitutiones III, Nr. 83, S. 71 f. Dazu vor allem C a s t o r p h (wie Anm. 57), S. 79. Die Anerkennung der doppelten Teilnahme an der römischen Wahl wird manchmal als Bestreitung des böhmischen Wahlrechts gedeutet. Vgl. z. B. R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 240 f.; S u s t a (wie Anm. 1), S. 171 f., F i a l a (wie Anm. 58), S. 51 f. Die Urkunde führt jedoch ausdrücklich an: ... vocibus eorundem fratrum ducum Bawarie comitum palatinorum Reni racione ducatus pro una in Septem principum ius in electione regis Rom(anorum) habendum numero conputatis ... 74 Vgl. z.B. R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 239 ff. ; S u s t a (wie Anm. 1), S. 170 ff.

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böhmische Kurstimme selbst auch in dieser Situation nicht in Frage gestellt worden zu sein. Warum Rudolf aber dem böhmischen König damals den Vorzug gab vor dem bayerischen Herzog, das kann nur noch vermutet werden. Wahrscheinlich spielte die "Tradition" eine Rolle, die begründet war durch die häufige Teilnahme des Böhmen an der Königswahl und durch das (allerdings mittlerweile aberkannte) Schenkenamt75. Auch mag die Rücksicht auf den Papst, der selbstverständlich an dem Wahlrecht des böhmischen Königs festhielt, von Bedeutung gewesen sein76. Wenn Rudolf I. schon das Kurrecht seines Feindes noch zu dessen Lebzeiten nicht grundsätzlich ablehnte, konnte er dies um so weniger nach dem Tode Premysl Ottokars Π. in Hinsicht auf dessen Nachfolger und Rudolfs Schwiegersohn tun. Wenzel Π. erfreute sich daher ebenfalls dieses Rechtes und verfügte wie die übrigen Kurfürsten auch über das Konsensrecht. 1285, nur wenige Monate nach dem Treffen mit Rudolf in Eger, sind zwei Willebriefe Wenzels zu Verfügungen seines Schwiegervaters ausgestellt worden: Am 13. April gab der Böhme nachträglich seine Zustimmung zur Verpfändung des Reichszolls von Boppard an den Grafen Eberhard von Katzenellenbogen, am 16. April zu einer Stiftung, die Rudolf am Dom von Basel zu errichten beabsichtigte77. Darin kann man aber auch eine allgemeine Anerkennung des böhmischen Wahlrechts erblicken. Die Situation im Reich war für eine habsburgische Nachfolge jedoch keinesfalls günstig. Vor allem die geistlichen Wahlfürsten waren nur schwer für Rudolfs Pläne zu gewinnen. Besonders der Erzbischof von Köln war dazu wenig geneigt78. Besser dagegen schien sich die Lage im Hinblick auf die weltlichen Wahlfürsten zu gestalten, da sich Rudolf die Loyalität durch Heiratsverbindungen gesichert hatte. Schon bei der eige75

Zur Altertümlichkeit als Rechtsargument vgl. F. K e r n , Recht und Verfassung im Mittelalter. Sonderausgabe, Darmstadt 1965, S. 11-15, 30-37. Vgl. auch R e d 1 i c h (wie Anm. 1), S. 717. 76 Vgl. z.B. die Urkunde Klemens IV. vom 7. November 1268, RBM Π, Nr. 627, S. 243 ff. 77 Vgl. RI VI, Nr. 1725, S. 379; Nr. 1943, S. 424 f. Wenzels Willebrief zur Basler Schenkung ist bei J. Τ r o u i 11 a t , Monuments de l'histoire de l'ancien évêché de Bàie Π, Porrentniy 1854, Nr. 279, S. 369 gedruckt. Dazu Κ. Ζ e u m e r , Die böhmische und die bayrische Kur im 13. Jahrhundert, in: HZ 94, 1905, S. 245; R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 717; S u s t a (wie Anm. 1), S. 401; F i a l a (wie Anm. 58), S. 54. Zum Bewußtsein der Kurfürsten und ihrem Einfluß auf die wichtigsten Aufgaben des Königs vgl. z.B. G r u n d m a n η (wie Anm. 69) S. 98 f.; C a s t o r ρ h (wie Anm. 57), S. 82. 78 Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 702 ff.

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nen Wahl wurde die Heirat der Töchter Mechtild und Gertrud mit den Kurfürsten Ludwig von der Pfalz und Albrecht von Sachsen vereinbart79. Wenzel Π. von Böhmen ist durch die Heirat mit Guta gebunden worden, während Otto der Lange von Brandenburg "nur" durch eine Ehe seines gleichnamigen Bruders mit der Habsburgerin Hedwig in dieses System eingebunden war80. Selbst Heinrich von (Nieder)Bayern gewann eine königliche Tochter für seinen Sohn Otto: die junge Katharina, die jedoch frühzeitig starb81. Aber auch die mit den Schwiegersöhnen geführten Verhandlungen um die Sohnesnachfolge waren keinesfalls ohne Probleme. In diesem Fall hatte Rudolf I. jedoch geeignete Mittel, um der Lage Herr zu werden. Besonders Wenzel Π. bereitete ihm Sorgen. Dessen Verhältnis zu Albrecht von Österreich war aus unbekannten Gründen82 auf das äußerste gespannt: Im Jahr 1287 ist es sogar zur offenen Feindschaft zwischen beiden gekommen83. Die (formale) Versöhnung, zu der wahrscheinlich Rudolf von Habsburg selbst beitrug84, führte im nächsten Jahr zur Annäherung Wenzels Π. an seinen Schwiegerväter. Dieser lud ihn nach Eger ein, wo er unter anderem85 die Frage des böhmischen Kurrechts (und des Schenkenamtes) endgültig zu lösen beabsichtigte, um auf diese Weise auch eine eventuelle Wahl seines Sohns zum römisch-deutschen König unanfechtbar zu machen86. Am 4. März 1289 bestätigte Rudolf I. dem König von Böhmen und dessen Erben das Schenkenamt und die Kurstimme ... instar aliorum principian in ipsa electione habendum ius et vocem quoad idem ius et vocem eligendi potestate parili pociantur... im römischen Reich, ... nam 79 Die Vermählung wurde am Abend des Krönungstages (am 24. Oktober) gefeiert. Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 169; S u s t a (wie Anm. 1), S. 121. Die Heiraten zwischen den fürstlichen und königlichen Familien gehörten zu den üblichen Belohnungen bei den Königswahlen. Vgl. S c h w i n d (wie Anm. 58), S. 6 ff. 80 Vgl. hier oben. 81 Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 1, S. 275; S u s t a (wie Anm. 1), S. 200. Katharina ist im Jahr 1282 gestorben. 82 Die Königsaaler Chronik (wie Anm. 11), Kap. XLV, S. 55, führt als Grund solcher Konflikte die Streitigkeiten um die Mitgift Gutas an; es scheint jedoch, daß die Ursachen tiefer lagen. Vgl. z. B. N o v o t n y (wie Anm. 31), S. 92, Anm. 1. 83 Vgl. R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 715 f.; § u s t a (wie Anm. 1), S. 368 ff. 84 In diese Zeit legt S u s t a (wie Anm. 1), S. 382, Anm. 1, den Brief Rudolfs, der in der Formularsammlung Peters von Hall überliefert ist (RBM Π, Nr. 1529, S. 657 f.). Die ältere Literatur datiert jedoch diese Streitigkeiten zwischen den beiden Schwägern in das Jahr 1291. Vgl. RI VI, Nr. 2416, S. 519; auch R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 724 f. 85 Vgl. schon hier oben. 86 Auf das Treffen in Eger bezieht die Königsaaler Chronik (wie Anm. 11), Kap. XXVm, S. 35 f., die angebliche Belehrung Rudolfs für Wenzsel Π.

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vere iustìcie virtus est, alterum non ledere, unicuique tribuere quod est suurn .., 87 . Die Arenga zeigt klar, daß Rudolf I. ältere Verfügungen, durch die er gegenüber Premysl Ottokar das böhmische Recht in Frage gestellt hatte, beiseite schiebt. Gleichzeitig werden damit alle Bedenken über die Gültigkeit und Qualität der böhmischen Stimme, die während des 13. Jahrhunderts von den verschiedenen Rechtstheoretikern ausgesprochen worden sind, beseitigt88. Diese Entscheidung war schon einen Tag vor ihrer offiziellen Verkündigung vorbereitet worden, als König Wenzel von Böhmen als princeps et pincerna des Heiligen Römischen Reichs einen Willebrief zur Verpfändung des Reichsdorfs Hochfelden ausstellte89. Eine Woche später belehnte Rudolf den Böhmen dann mit den Lehen Friedrichs von Dresden90. Im nächsten Jahr wurden die Bemühungen Rudolfs um die Nachfolge eines Sohnes endlich belohnt. Wenzel Π., der wieder in innenpolitischen Schwierigkeiten steckte, besuchte den Hoftag von Erfurt 91 . Hilfe bekam er aber nicht kostenlos. Erst nachdem er am 13. April als Kurfürst des Reiches seine Einwilligung zur Nachfolge von Rudolfs jüngerem gleichnamigen Sohn im römischen Königtum erklärt hatte92, schickte der Habsburger eine Truppe von erfahrenen Rittern mit dem jungen Herzog an der Spitze nach Prag93. Das Interesse des römisch-deutschen Königs an der Ausstellung von Wenzels Π. Urkunde ist evident. Dieses Schriftstück ist wahrscheinlich sogar eine Empfängerausfertigung der Kanzlei Rudolfs94. Auf jeden Fall aber stellte diese Urkunde einen großen Erfolg Rudolfs von Habsburg dar, dem es in dieser Zeit gelang, alle weltlichen Kurfürsten für die Nachfolge eines Sohnes zu gewinnen95. 87 MGH, Const. ΠΙ (wie Anm. 28), Nr. 415, S. 408. Beide Originale der Urkunde sind jetzt im Zentralstaatsarchiv in Prag, im Bestand "Archiv der böhmischen Krone", Nr. 31, aufbewahrt. 88 Den Uberblick bringt z.B. F i a l a (wie Anm. 58), passim; C a s t o r p h (wie Anm. 57), passim. 89 RI VI, Nr. 2211, S. 480. Der letzte bekannte Willebrief Wenzels II. wurde am 7. Juli 1291 ausgestellt (RI VI, Nr. 2463, S. 527). 90 Vgl. oben, Anm. 45. 91 Vgl. § u s t a (wie Anm. 1), S. 408 ff. Die Königsaaler Chronik, Kap. XXXIV, (wie Anm. 11) S. 42 ff., verbindet mit diesem Besuch wieder eine ausführliche Belehrung Rudolfs für seinen jungen Schwiegersohn. 92 MGH, Const. III, Nr. 427, S. 417 f. Zu dieser Urkunde vgl. vor allem S p a n n r i n g (wie Anm. 1), S. 79 und 83 f.; auch R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 718; S u s t a (wie Anm. 1), S. 409 f. 93 Vgl. z.B. S u s t a (wie Anm. 1), S. 410 f. 94 Vgl. S ρ a η η r i η g (wie Annm. 1), S. 79 und 126 f., Anm. 13. 95 Vgl. R e d l i e h (wie Anm. 1), S. 718.

Böhmen in der Politik Rudolfs von Habsburg

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Die Freude des römisch-deutschen Königs dauerte jedoch nicht lange. Am 10. Mai 1290 starb der erst neunzehnjährige Rudolf d. J. am Premyslidenhof. Dem Habsburger blieb danach nur ein einziger Sohn: Albrecht von Österreich, und Rudolf mußte wieder Hindernisse beiseite räumen, um erneut die Gunst der Kurfürsten zu gewinnen. Im Sommer versammelte er sie wieder in Erfurt. Die Situation in Böhmen hatte sich inzwischen beruhigt; Zawisch von Falkenstein war schon gefangengesetzt und wurde während Wenzels Erfurter Aufenthalt hingerichtet. Der Böhme brauchte nun keine Hilfe mehr von seinem Schwiegervater und konnte sich deshalb seine Zustimmung zur Wahl Albrechts reich entlohnen lassen. Am 22. Juli 1290 stellte Rudolf daher die schon erwähnte Urkunde über die durch den Tod Heinrichs IV. von Breslau ledig gewordenen Reichslehen aus; am 25. September 1290 erhielt Wenzel das Abkommen über Breslau bestätigt und am folgenden Tag Breslau und Schlesien als Reichslehen verliehen96. Damit begnügte er sich (oder sein Schwiegervater?) jedoch noch nicht. Am 26. September gewährte Rudolf I. noch ein weiteres Privileg zugunsten des Königs von Böhmen: die erneute Bestätigung des Schenkenamts und des Wahlrechts. Seit der Ausstellung der ersten Urkunde hatten sich die Verhältnisse im Reich gewandelt97. Herzog Heinrich von (Nieder)Bayern war tot und dessen Bruder, der Pfalzgraf Ludwig, war an der bayerischen Kurstimme wenig interessiert. Auf die Söhne Herzog Heinrichs nahm Rudolf I. keine Rücksicht. So bestätigte er nun nicht nur die Rechte, die dem König von Böhmen gehörten, und erklärte dabei wie anderthalb Jahre zuvor, daß der böhmische König selbst und seine Nachfolger das Schenkenamt, das Wahlrecht und die Kurstimme besitzen sollten, sondern er betonte auch, daß schon dessen Vorfahren diese Rechte besessen hätten98. Damit sollte zweifellos die Kontinuität der Rechte des böhmischen Königs hervorgehoben und alle Maßnahmen annulliert werden, die Rudolf gegenüber Premysl Ottokar Π. ergriffen hatte. Über eine Gegenleistung Wenzels ist jedoch nichts bekannt. Es ist aber anzunehmen, daß Schwiegervater und Schwiegersohn in bester

96 Vgl. oben, Anm. 51 und 53. 97 Vgl. z.B. R e d l i c h (wie Anm. 1), S. 720 ff. 98 ... Hec vero iura pincernatus et electionis nedum dicto regi et suis heredibus didicimus competere, sed eciam suis progenitoribus, abavis, attavis, proavis et avis iure pienissimo competebant... MGH Const. III (wie Anm. 28), Nr. 444, S. 426 f. Die Urkunde ist jetzt im Archiv der böhmischen Krone (wie Anm. 87), Nr. 37, aufbewahrt.

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Übereinstimmung auseinandergingen, ohne daß von böhmischer Seite allerdings eine verbindliche Erklärung abgegeben worden ist". Die Erfüllung seiner Träume erlebte Rudolf jedoch nicht. Seine Bemühungen um die Wahl eines Sohnes scheiterten vor allem an den geistlichen Kurfürsten. Aber auch unter den weltlichen gab es am Ende nur einen, den Pfalzgrafen Ludwig, der eine konkrete Zustimmung zur Wahl Albrechts von Habsburg verbrieft100. Nach dem Tode Rudolfs am 15. Juni 1290 respektierten jedoch weder die geistlichen noch die weltlichen Kurfürsten den Wunsch des Königs, Albrecht von Österreich zum Nachfolger zu wählen, und der König von Böhmen unterstützte schließlich die Kandidatur Adolfs von Nassau101. Die Politik Rudolfs von Habsburg gegenüber Böhmen ist nicht eindeutig zu beurteilen. Das wichtigste Ziel war ohne Zweifel die Stärkung der Machtpositionen des eigenen Hauses. Diesem Zweck ordnete der Habsburger auch seine Beziehung zu den einzelnen Fürstentümern unter. Im Falle Böhmens konnte er den Fehlschlag der Expansionspolitik Premysl Otakars Π. ausnützen. Er konnte jedoch nicht die Position Böhmens, die durch die Goldene Bulle Friedrichs Π. von 1212 begründet worden ist, ignorieren. In dem Augenblick, in dem dem römisch-deutschen König in Wenzel Π. ein gleichwertiger Gegenspieler erwuchs, mußte er die Ansprüche der Premysliden respektieren und konnte dessen Politik nur teilweise in die für die eigenen Ambitionen günstige Richtung lenken. Die Unterstützung durch den böhmischen Herrscher war für Rudolf I. letztlich ebenso wichtig wie für seine Vorgänger.

99 Vgl. z.B. S u s t a (wie Anm. 1), S. 420 f. und 430 f. 100 Vgl. z.B. R e d 1 i c h (wie Anm. 1), S. 726 ff.; S u s t a (wie Anm. 1), S. 426 f. 101 Vgl. z.B. S u s t a (wie Anm. 1), S. 431 ff., und F.-R. E r k e η s , Siegfried von Westerburg (1274-1297). Die Reichs- und Territorialpolitik eines Kölner Erzbischofs im ausgehenden 13. Jahrhundert (=Rhein. Archiv 114), Bonn 1982, S. 314-330, der die Initiative des Kölner Erzbischofs betont.

Die Aufenthalte Rudolfs I. in Böhmen und Mähren aus verwaltungs- und rechtsgeschichtlicher Sicht (Einige Bemerkungen) Von Ivan Hlavácek Die ganz einmalige Sonderstellung Böhmens im Rahmen des mittelalterlichen Imperium Romanum spiegelt sich u.a. auch in den Itineraren der römischen Kaiser und Könige wider, die bei ihrem ständigen Umherziehen zwar wiederholt die zentralen Regionen des Reiches und von Zeit zu Zeit auch die entlegeneren Gebiete ihrer Herrschaft kreuzten, die böhmischen Lande aber, d.h. besonders Böhmen und Mähren, so gut wie nie betraten1. Auf den ersten Blick überrascht das ein wenig, da wir ansonsten Informationen über enge Kontakte zu den böhmischen Herrschern in reichem Maße besitzen. Diese Lage ändert sich grundsätzlich erst in der Zeit der Luxemburger, als seit Karl IV. zwei Generationen dieses Hauses die römische wie böhmische Königswürde zugleich innehatten. In der Zeit davor werden wir nur selten Zeugen von Reisen der deutschen Herrscher nach Böhmen und Mähren; und bei den wenigen, die bezeugt sind, handelt es sich stets um Ausnahmefälle, die meist einen krisenhaften Charakter besitzen und daher besonderer Aufmerksamkeit wert sind. Es kann hier zwar nicht eine grundsätzliche Analyse dieses Phänomens geboten werden2, doch ist auch die Betrachtung der Unternehmungen Rudolfs von Habsburg allein nicht uninteressant; und dies um so mehr, wenn dabei von den Methoden der modernen Itinerarforschung ausgegangen wird, d.h., wenn dabei vor allem der verwaltungsgeschichtliche

1 Vgl. die Zusammenfassung des Materials bei W. W e g e n e r , Böhmen-Mähren und das Reich im Hochmittelalter, Köln-Graz 1959, S. 176f. Sonst ist das Werk nur mit Vorsicht zu benutzen. 2 Diese Fälle registrieren deutscherseits sorgfältig die in Betracht kommenden Bände der Jahrbücher des Deutschen Reiches, tschechischerseits dann die ersten vier Bände des ersten Teiles der Ceské dëjiny von Václav Novotny, Praha 1912-1937.

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Aspekt im Vordergrund steht3. Mit anderen Worten bedeutet dies, daß nicht nur das Itinerar allein verfolgt, sondern zugleich das dieses widerspiegelnde Urkundengut ausgewertet werden soll, und das bedeutet, nicht nur die einzelnen Urkundenempfänger nach regionaler und sozialer Herkunft zu betrachten, sondern auch die Art der getroffenen Rechtsgeschäfte zu prüfen. Über die Notwendigkeit, dabei auch die Emissionstätigkeit zu berücksichtigen, die (freilich nur im Vergleich mit den üblichen Aktivitäten) ganz besonders aussagekräftig erscheint, braucht man fast kein weiteres Wort mehr zu verlieren. Diese Problematik gilt es also für Rudolf in Hinsicht auf das Königreich Böhmen kurz zu skizzieren (wobei jedoch noch kein allgemeiner Vergleich angestellt werden kann, da Vorarbeiten dafür noch fehlen). Zu beachten ist jedoch, daß die neuzeitlichen Fälschungen des Anton Bocek, das Bild von Rudolfs erstem Aufenthalt in Mähren verzerren und deshalb eine besondere Vorsicht geboten ist4. Rudolf hat böhmisch-mährischen Boden fünf- bzw. dreimal betreten, wie eine Durchsicht der von Oswald Redlich bearbeiteten Regesten zeigt5. Die Schwankung erklärt sich durch die Unsicherheit, ob man 3 Die einschlägige Literatur habe ich in repräsentativer Auswahl in der Arbeit Κ organizad státního správního systému Václava IV. Dvë Studie o jeho itineràri a rade, Praha 1991, verzeichnet. 4 Die langwierige Entlarvung der Fälschungen dieses mährischen Historiographen des 19. Jahrhunderts ( 11847), der dutzende Fälschungen zur mährischen Geschichte fabrizierte, kann hier freilich nicht skizziert werden. Es muß genügen, darauf hinzuweisen, daß das meiste für diese Zeit schon von O. R e d l i c h in seinen Regesta Imperii [künftig: RI] VI,1, Innsbruck 1898, gemacht wurde (freilich mit Hilfe mährischer Historiker, besonders Berthold Bretholz'). In mehreren Hinsichten Endgültiges lieferte J. S e b á n e k , Moderni padëlky ν mor. diplomatári Bockovë do r. 1306, in: Casopis Matice moravské 60, 1936, S. 27-84 und 455-499 (auch Separat mit selbständiger Paginierung): Über Rudolf vgl. S. 475ff. (Separat S. 79ff.). 5 Es handelt sich um RI VI 1. Böhmischerseits soll das entsprechende Material in dem sich in Vorbereitung befindlichen Codex diplomaticus et epistolaris VI,1 zugänglich gemacht werden. Um den Apparat nicht allzu sehr anschwellen zu lassen, werden im Folgenden die RI-Nummern in Klammern direkt im Text zitiert. Aus der Literatur allgemeineren Charakters ist außer der bis heute maßgeblichen Monographie von O. R e d l i c h , Rudolf von Habsburg, Innsbruck 1903, für die Zeit nach der Schlacht auf dem Marchfeld besonders J. S u s t a , Ceské dëjiny II-l, Praha 1935, S. 285ff., heranzuziehen. Andere Biographien oder allgemeine Zusammenfassungen anzuführen, erübrigt sich, da sie in den anderen Beiträgen dieses Bandes verzeichnet sind. Völlig veraltet und teilweise irreführend ist Α. Β o c ζ e k, Mähren unter Rudolf I. (=Abhandlungen d. königlichen Gesellschaft der Wissenschaften IV), Prag 1835, dagegen lesenswert die Ausführungen von B. D u d i k in den entsprechenden Teilen seines Werkes: Mährens allgemeine Geschichte, Bd. 7, Brünn 1876. Vgl. auch J. Κ r e j c í k o ν á, Diplomatická cinnost ν ëeském státé ν letech interregna, Sborník prací filozofické fakulty Brnënské univerzity C 36-37, 1989-1990, S. 147-164, hauptsächlich S. 149, sowie D i e s . , Rudolf Habsbursky a moravská mèsta ν letech interregna 1278-1283, ibid. C 32, 1985, S.

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Die Aufenthalte Rudolfs I. in Böhmen und Mähren

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Eger, wo Rudolf sich im Januar 1285 mehr als eine ganze Woche aufhielt (1876a-1879) und 1289 sogar mindestens zwei Wochen verweilte (2209a2214), um sich mit Wenzel Π. zu treffen, zu Böhmen rechnen darf oder nicht. Zwar war Eger Reichsbesitz, aber doch seit 1266 unter Premysl Otakars Herrschaft; von Rudolf wurde der Besitzkomplex seit 1274 allerdings wieder als eigenständiges Reichsterritorium betrachtet, und er fiel erst nach gewissen Schwankungen 1322 definitiv an Böhmen. Beide Aufenthalte Rudolfs in dieser Stadt dienten darüber hinaus einem Treffen mit dem böhmischen Schwiegersohn Wenzel, erfüllten also einen ganz bestimmten Zweck, wenn dabei auch gleichzeitig ein Hoftag gehalten und verschiedene Urkunden für Reichsangehörige ausgestellt worden sind. Warum Wenzel dabei aber nicht tiefer ins Reich oder Rudolf weiter nach Böhmen hineingezogen ist, das läßt sich nur vermuten. Wahrscheinlich waren rein pragmatische Überlegungen dafür verantwortlich; jedenfalls zählen diese beiden Belege nicht zu unserem engeren Problemfeld. Anders ist dies jedoch bei den anderen Zügen Rudolfs nach Böhmen und Mähren; diese sollen daher im folgenden knapp gewürdigt werden. Am schwerwiegendsten war zweifellos der erste Aufenthalt Rudolfs in Böhmen und Mähren kurz nach der schicksalhaften Schlacht auf dem Marchfeld. Er zog sich über mehr als drei Monate hin und besaß neben der militärischen wohl auch wichtige politische Gründe. Die völlige Vernichtung der militärischen Schlagkraft des böhmischen Staates hatte Rudolf das ganze Land geöffnet, und er wußte daraus Nutzen zu ziehen. Mit seinem Gefolge - das Heer hatte er schon bald zu einem Großteil entlassen können - zog er in das Landesinnere seines gefallenen Gegenspielers. Die Urkundenemission während dieser drei Monate ist aus mehreren Gründen bezeichnend für Rudolfs politische Haltung, die ansonsten nirgendwo eindeutig formuliert worden ist. Von keiner Bedeutung sind in dieser Hinsicht die ersten Schriftstücke, die an fremde Gewalten gerichtet sind und Rudolfs Sieg preisen (994-997), oder die Privilegien für die Kirchen (999-1001), wohl aber der Schriftverkehr mit den Empfängern aus Böhmen und Mähren. Zu diesen Dokumenten zählen ein zweifellos echtes Original, das sich im Olmützer Stadtarchiv befindet6 und durch das Rudolf der Stadt, neben Brünn der wichtigsten in Mähren, alle Privilegien bestätigt und erweitert (1008), sowie eine Urkunde für die Stadt Leobschütz (1012), aber wohl auch die Privilegien für Znaim (1007), Brünn (1014) und Iglau (1016), die jedoch nur als Formel erhalten sind.

F.X. P a r s c h , Das Stadt-Archiv zu Olmütz, Olmütz 1901, S. 3 Nr. 3.

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Es kann recht leicht vermutet werden, daß auch andere Königsstädte in Mähren ein ähnliches Privileg von Rudolf verliehen haben wollten. Da diese Annahme aber nicht aus den Quellen zu belegen war, fabrizierte der schon erwähnte Anton Bocek nach dem Vorbild der angeführten Stücke ein Privileg für Prerau (1010), dessen Ausstellungsort allerdings frei erfunden worden ist (in castris apud Ozlavan, wo ein berühmtes Zisterzienserinnenkloster, jedoch keine Burg stand, deren Erwähnung allein durch die übrigen Privilegien erklärt werden kann, da diese alle in castris ausgestellt worden sind)7. Bocek gilt auch als "Vater" der Urkunden für die sonst unbedeutende südmährische Stadt Pohrlitz (1013) und für das Kloster Oslavan selbst (1011), wobei ihm als Vorlagen tatsächlich ausgestellte Urkunden dienten. Die pragmatische Haltung der mährischen Städte ist leicht zu begreifen und zu erklären. Das völlige Fehlen ähnlicher Privilegien für böhmische Städte zeigt nämlich einen gewissen Wandel der Machtverhältnisse in Mähren an und erhellt zugleich Rudolfs politische Ambitionen. Mit anderen Worten: Die echten Stücke deuten an, daß Rudolf seine Herrschaft unmittelbar nach dem Siege im böhmisch-mährischen, d.h. vornehmlich im mährischen Räume fest verankern wollte8 und wohl erst weitere Überlegungen und die allgemeine Entwicklung ihn davon abgebracht haben, denn später findet man kein vergleichbares Privileg mehr für Empfänger aus Böhmen oder Mähren. Sein persönliches Engagement hat Rudolf am Ende vielmehr durch die Knüpfung enger verwandtschaftlicher Beziehungen zu den Erben Premysl Otakars Π., zu Wenzel Π. und den Premysliden überhaupt, ersetzt, und dies ist politisch sicher weitsichtiger gewesen. Aber zurück zu dem Herbstzug Rudolfs. Rudolfs Aufenthalte in Tajax (Dyjákovice)9, Eibenschitz (Ivancice), Habry-Vilémov, Mittenberg in der Nähe von Vilémov10 und Sedlec, dem 1

Vgl. S e b á η e k (wie Anm. 4), S. 485f. (Sep. 89f.). Die Formulierungen der Urkunden betonen besonders die Unterstellung unter das Reich; dafür ist das Privileg für Znaim und mit kleinen Varianten auch jenes für Olmütz bezeichnend: civibus Znoymensibus, qui se ipsos et civitatem nostre et Romani imperii iurisdiccioni ... subiecerunt... regalis gracie plenitudinem piene contulimus ... et ut prompta eorum devotio aliis sit exemplum, ad sinum nostre clementie fiducialiter transeundi, nos ... omnes gracias ... rata habemus (Regesta diplomatica nec non epistolaria Bohemiae et Moraviae, ed. J. E m 1 e r, Pragae 1882, Nr. 1139 und 1147). Vgl. die Zusammenfassung von S u s t a (wie Anm. 2), S. 287ff., der ebenfalls zu dieser Deutung neigt. 9 Feldsberg (Valtice) zählt nicht in diesem Zusammenhang, da der Ort in dieser Zeit nicht zu Mähren gehört hat. 10 Die älteste Erwähnung wohl erst 1256, vgl. A. P r o f o u s , Místní jména ν Cechách 3, Praha 1951, S. 98. 8

Die Aufenthalte Rudolfs I. in Böhmen und Mähren

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Wendepunkt der Reise, und dann auf der Rückreise erneut in Vilémov sowie in Iglau und schließlich wieder in Eibenschitz sind zumeist durch die Ausstellung von Urkunden bezeugt, seltener dagegen durch narrative Quellen (1019 a/b). Aber nicht nur die schon erwähnten Rechtsgeschäfte für mährische Städte sind überliefert und zeugen von Rudolfs Zug nach Mähren, sondern auch ein Teil der Familienkorrespondenz (1021), die zwar für die böhmische Geschichte von nur geringem Interesse ist, aber doch zeigt, daß Rudolf auch während des mährischen Aufenthaltes seine allgemeineren Verpflichtungen zu erfüllen suchte und im ständigen Kontakt mit dem Reich und dessen Problemen stand. Wenn er Ulrich von Ramswag Geld und eine Vogtei verpfändet (1020), dem Ritter Konrad dem Sennen Gelder verspricht und Güter verpfändet (1027) oder Friedrich von Wasenstein gleichfalls Gelder verspricht und Einkünfte verpfändet (1032), dann kann man vielleicht annehmen, daß es sich bei diesen Personen um Teilnehmer seines Zuges handelt, obwohl im Text der entsprechenden Urkunden (mit einer Ausnahme) kein ausdrücklicher Hinweis auf eine Anwesenheit zu finden ist. Wenn Rudolf jedoch den Trierer Erzbischof während seines Aufenthaltes in Eibenschitz in seinen Schutz nimmt (1030 und 1030a), dann ist das eindeutig ein allgemeinpolitischer Akt gewesen. Daher kann man feststellen, daß der Kriegszug zu einer politischen Reise wurde, die schließlich in dynastische Verhandlungen einmündete. Daneben versuchte Rudolf aber auch Reichspolitik in vollem Umfange zu treiben. In Iglau wurden bekanntlich aber auch zwei Hochzeiten zwischen den Habsburgern und Premysliden gefeiert (1027a), denen intensive Verhandlungen vorausgegangen sein müssen. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß Rudolf seinen Zug nach Prag, dem ursprünglichen Hauptziel seiner Reise, nicht zu Ende gebracht hat und er rund 60 km östlich von Prag umkehrte, dann wird der Wandel in seinen Plänen noch deutlicher. Aber verfolgen wir Rudolfs übrige Aufenthalte im Land der Premysliden weiter: Der zweite Zug kann kaum als selbständiges politisches Ereignis gelten, da Rudolf kurz nach seiner Rückkehr im Januar 1279 von Wien aus nach Znaim zog, um sich von dort an den Markgrafen von Meißen zu wenden (1056), worauf er sofort wieder nach Wien zurückzog11, falls die zu Znaim ausgestellte Urkunde nicht einfach rückdatiert werden muß und somit überhaupt keinen eigenen Aufenthalt belegt. 11 Die Urkunde für das Zisterzienserkloster Klosterbruck (1055) ist wieder eine Fälschung Boceks: Vgl. dazu S e b á η e k (wie Anm. 4), S. 485 (89).

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Ein Jahr später, im September 1280, begann dann das militärische Unternehmen gegen den beutesüchtigen Landesverweser von Böhmen, gegen den Markgrafen Otto V. von Brandenburg; damit ist die ansonsten stets respektierte Integrität und Unantastbarkeit der böhmischen Kernlande jedoch nur vorübergehend verletzt worden. Urkunden für böhmische Empfänger sind dabei nicht ausgestellt worden. Das wiegt um so schwerer, als sonst in eben dieser Zeit eine sehr rege Tätigkeit von Rudolfs Kanzlei feststellbar ist: Schon in Brünn (wieder in castris) stellte er die Bestätigung eines älteren Tausches des Klosters Prüfening aus (1224), in castris bei Brod (d.h. in Deutsch-Brod, heute Havlickûv Brod) ist ein Privileg für das Kloster Interlaken mit großer Zeugenreihe, die die höfische Umgebung Rudolfs widerspiegelt (und in der bezeichnenderweise niemand aus dem böhmischen Milieu anzutreffen ist), entstanden (1227). Dann folgen weitere Urkunden für das Freisinger Domkapitel, für Otto von Liechtenstein und Johann von Burgenstein (1228-1230). Interessant scheinen dabei vor allem die Ausstellungsorte der beiden letztgenannten Urkunden zu sein; bei ihnen handelt es sich nämlich um völlig unbedeutende Siedlungen dörflichen Charakters, in denen sich das ganze Gefolge des Königs mehrere Tage aufgehalten haben muß12. Auch dieses Mal hat Rudolf die böhmisch-mährische Höhe kaum überschritten und kehrte rasch wieder in Richtung Niederösterreich zurück, wobei er in Südmähren ein Abkommen mit dem Markgrafen von Brandenburg traf (1230a). Die Kommunikation mit den mährischen Städten ist bei diesem Unternehmen nicht mehr fortgesetzt worden, dafür hat sich aber eine Formel erhalten, die direkte Kontakte mit der Stadt Prag - und wohl auch mit den anderen böhmischen Städten - bezeugt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Privilegierung, sondern nur um die Aufforderung, die Königin Kunigunde zu schützen (1225). Auch das ist ein überzeugender Beweis dafür, daß Rudolf nicht versuchte, die böhmischen Länder auf irgendeine Weise in seinen eigenen Machtbereich zu integrieren. Der indirekte Beleg für Rudolfs Aufenthalt in Klosterbruck bei Znaim ist dabei in anderer Hinsicht hochinteressant: Denn der Tiroler Graf Meinhard, der dem Gefolge Rudolfs angehörte, urkundet hier völlig selbständig (1231), was belegt, daß während dieses Zuges auch die "Verwaltung" der Großen, die Rudolf begleiteten, blühte. Unsere Fragestellung verweist freilich auch noch auf ein anderes Problem, auf die Art und Weise nämlich, wie Rudolf sonst mit dem König12 Belege bei Ρ r o f o u s, Místní jména 1, Praha 1947, S. 20 bzw. 218. (Sollte es sich in dem zweiten Fall nicht eher um Boretice handeln?)

Die Aufenthalte Rudolfs I. in Böhmen und Mähren

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reich Böhmen und seinen Gliedern kommunizierte. Darauf kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Nur andeutungsweise kann gesagt werden, daß später ein Briefwechsel stattfand, und zwar ausschließlich auf der höchsten Ebene, nämlich mit dem Haus der Premysliden und den Bischöfen. Kontakte mit den Städten, wie sie besonders nach der Schlacht auf dem Marchfeld im Herbst 1278 stattfanden, sind nicht mehr belegt und auch kaum mehr vorstellbar. Die innere Situation des Landes hat das nicht erlaubt. So wird das Itinerar Rudolfs einerseits zu einem Spiegel der inneren Verhältnisse von Böhmen und Mähren, läßt andererseits aber auch deren Konturen deutlicher hervortreten. Im übrigen erlaubt es auch, detaillierte Vorstellungen zu entwickeln über die alltäglichen Unterkunftsmöglichkeiten von Rudolfs Hof. Im Vergleich mit den Verhältnissen an anderen Orten ließen sich dabei sogar eine Reihe allgemeinerer Schlüsse ziehen, doch liegt das schon jenseits unserer Absichten.

Nachtrag zu RI VI, 1, Nr. 393 Folgende Information kann interessant sein: Dr. Jifi Kudëla fand bei der Ordnung der Registratur des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen und anderer bisher ungeordneter Bestände im Archiv der Stadt Prag das Original der Urkunde, die am 28. Juni 1275 in Konstanz für das Zisterzienserkloster Baindt ausgestellt worden ist. Da bisher nur eine neuzeitliche Kopie zur Verfügung stand, sind unsere Kenntnisse dadurch entscheidend bereichert worden. Das angekündigte Majestätssiegel fehlt jedoch. Die Aufnahme befindet sich im Institut für Osterreichische Geschichtsforschung in Wien.

Das "Kaisertum" Rudolf von Habsburgs aus italienischer Sicht Von Thomas Frenz Die 1 Geschichte der Kaiserkrönung Rudolf von Habsburgs2 ist ausgesprochen frustrierend: ein Dutzend Termine wurde in Aussicht genommen, nicht weniger als drei Tage3 wurden definitiv festgesetzt - 1275, 1 Die mündliche Fassung des Vortrags ist weitgehend beibehalten. Er ist lediglich durch einige Passagen (längere Zitate) ergänzt, die damals aus Zeitgründen wegbleiben mußten; außerdem sind Anregungen aus der Diskussion berücksichtigt. 2 Zu Rudolf von Habsburg vgl. allgemein O. R e d l i c h , Rudolf von Habsburg. Das deutsche Reich nach dem Untergange des alten Kaisertums, Innsbruck 1903 (ND Aalen 1965); H. G r u n d m a n n , Wahlkönigtum, Territorialpolitik und Ostbewegung im 13. und 14. Jahrhundert 1198-1378; in: B. Gebhard, Handbuch der deutschen Geschichte, 1973, TB-Ausgabe, Bd. 5, S. 105-110; J. F r a n z i , Rudolf I. Der erste Habsburger auf dem deutschen Thron, Graz 1986; ADB 29, S. 478-493; Ε. Ρ i s ρ i s a, Rodolfo I., in: Enciclopedia Dantesca, 4. Bd., Rom 1973, Sp. 1010 f. (Diese Arbeiten sind im folgenden in der Regel nicht einzeln zitiert.) Außerdem zum speziellen Thema dieses Beitrags A. G i e s e , Rudolf I. von Habsburg und die römische Kaiserkrone, Diss. phil. Halle-Wittenberg 1893; F. W e r t s c h , Die Beziehungen Rudolfs von Habsburg zur römischen Curie bis zum Tode Nicolaus' ΙΠ., Diss. phil. Göttingen 1880 (beide Arbeiten leider wenig ergiebig); Α. Β u s s ο η, Die Idee des deutschen Erbreichs und die ersten Habsburger, in: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien, philosophisch-historische Classe 28, 1877, Wien 1878, S. 635-725, hier bis S. 697; J. H a 11 e r, Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit, Bd. 5: Der Einsturz, TB-Ausgabe 1965, S. 20ff., 23Iff. Ferner auch H. R ö s s 1 e r, Ein König für Deutschland. Die Krönung Rudolfs von Habsburg 1273, München 1960, S. 89-98; K. H a m p e , Rudolf von Habsburg, in: ders., Herrschergestalten des deutschen Mittelalters, Darmstadt 71967 ( = Heidelberg 61955), S. 216-247, hier S. 237-242; O. H e r d i η g, Das Römisch-deutsche Reich in deutscher und italienischer Beurteilung von Rudolf von Habsburg zu Heinrich VII., (Erlanger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 25) Erlangen 1937, bes. S. 13ff., 80ff. - Als "RI" zitiere ich: Johann Friedrich Böhmer, Die Regesten des Kaiserreichs unter Rudolf, Adolf, Albrecht, Heinrich VE. 1273-1313, Teil 1: Rudolf, hgg. O. R e d l i c h / C. B r ü h l , Innsbruck 1898/Hildesheim 1969; als "Theiner": A. T h e i n e r , Codex diplomaticus dominii temporalis S. Sedis. Recueil de documents pour servir à l'histoire du gouvernement temporel des états du Saint-Siège, extraits des archives du Vatican, Bd. 1: 756-1334, Rom 1861. 3 1.11.1275: RI 327; Theiner Nr. 336; H a 11 e r (wie Anm. 2) S. 32; R e d 1 i c h S. 189; G i e s e , S. 15. - 2.2.1276: RI 438b; Theiner Nr. 346; R e d l i c h , S. 193; G i e s e , S. 25; W e r t s c h (wie Anm. 2), S. 22; F r a n z i , S. 113. - 2.2.1287: RI 2023; Theiner Nr. 452; R e d l i c h , S. 697; G i e s e , S. 65; F r a n z i , S. 242. Außerdem nennt W e r t s c h , S. 20: 26. Mai 1275 (mit Berufung auf Raynaldus, der jedoch von Himmelfahrt spricht; dieses Fest fiel 1275 aber auf den 23. Mai), H a 11 e r,

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1276, und 1287, dabei als Tagesdatum zweimal der symbolisch hochbedeutende 2. Februar4 -, aber keiner dieser Termine konnte eingehalten werden, und Rudolf ist schließlich ungekrönt gestorben. Dafür waren zunächst einmal technische Gründe maßgebend: Rudolf hatte es in den 18 Jahren seiner Regierung mit nicht weniger als acht verschiedenen Päpsten zu tun (Gregor X. 5 , Innozenz V. 6 , Hadrian V. 7 , Johannes XXI. 8 , Nikolaus m . 9 , Martin IV. 10 , Honorius IV. 11 und Nikolaus IV. 12 ). Die Herren kamen in einem Alter von durchschnittlich 65 Jahren auf den Stuhl Petri und haben durchschnittlich jeweils nur 2 Jahre und 4 Monate regiert; dazu kamen noch Sedisvakanzen von insgesamt 2 Jahren und 17 Tagen. Auch Rudolf selbst war keineswegs immer in der Lage, den Römerzug anzutreten; welche innenpolitischen und finanziellen Probleme ihn daran hinderten, haben wir in den beiden letzten Tagen mehrfach gehört. Zu diesen objektiven Schwierigkeiten kamen subjektive Hindernisse hinzu: zwar war kein Papst prinzipiell gegen eine Kaiserkrönung Rudolfs eingestellt, aber ihr Eifer war doch sehr unterschiedlich. Nur zwei Päpste, Gregor X. und Nikolaus ΙΠ., haben das Projekt nachhaltig gefördert13; die übrigen sahen, wie man heute wohl formulieren würde, "keinen Handlungsbedarf". Es wäre auch zu fragen, ob Rudolf selbst seine Krönung mit dem nötigen Nachdruck angestrebt hat oder ob ihm

S. 34: Ostern 1276, G i e s e, S. 19 mit Anm. 5 bzw. S. 27: Himmelfahrt oder Pfingsten 1276 (letzterer jedoch mit unberechtigter Berufung auf E. W i n k e l m a n n , Acta imperii inedita saeculi ΧΙΠ et XIV. Urkunden und Briefe zur Geschichte des Kaiserreichs und des Königreichs Sizilien, Bd. 2: In den Jahren 1200 bis 1400, Innsbruck 1885 (ND Aalen 1964), S. 90f. Nr. 106, wo nur davon die Rede ist, daß Rudolf an Ostern Italien besuchen und dann zur Krönung ziehen werde). 4 Dazu unten S. lOlf. 5 Papst 1.9.1271 - 10.1.1276; geboren 1210. 6 Papst 21.1.1276 -22.6.1276. 7 Papst 11.7.1276 - 18.8.1276. 8 Papst 8.9.1276 - 20.5.1277; geboren 1210. 9 Papst 25.11.1277 - 22.8.1280; geboren 1210. 10 Papst 22.2.1281 -28.3.1285. 11 Papst 2.4.1285 - 3.4.1287; geboren 1210. 12 Papst 22.2.1288 - 4.4.1292; geboren 1230. 13 Hinsichtlich Gregor X. ist dies unumstritten; hinsichtlich Nikolaus ΠΙ. wird in der Literatur aber teilweise eine abweichende Meinung vertreten, so dezidiert G i e s e (wie Anm. 2), S. 55f. : "Wir müssen daher annehmen, dass Papst Nicolaus trotz allem Wohlwollen, das er gegen Rudolf bewies, niemals die Absicht gehabt hat, Rudolf wirklich die Kaiserkrone zu gewähren. ... Nicolaus ist ... keineswegs der Wohltäter Rudolfs ... ; er weiss Rudolf vielmehr vollkommen zu täuschen ..." Ahnlich W e r t s c h (wie Anm. 2), S. 19-24, 27. Dem Papst Kabinettspolitik im Stile des 19. Jahrhunderts zu unterstellen, geht meines Erachtens zu weit. Voraussetzung von Gieses Argumentation ist auch die Ansicht, der Anspruch der Kurie auf die Romagna sei völlig unbegründet gewesen; dazu unten S. 97f.

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wenigstens zeitweise andere Pläne wichtiger waren14. Aber wie dem auch sei, schon den Zeitgenossen - vor allem den italienischen Zeitgenossen, die hier ja mein Thema sind - fiel es auf, daß es mit der Kaiserkrönung Rudolfs einfach nicht klappen wollte, und sie haben sich ihren eigenen Reim darauf gemacht. Ich komme darauf gleich zurück; zuvor müssen wir aber fragen: wer waren denn diese Zeitgenossen? Es wäre ja falsch, Rudolfs Verhältnis zu Italien allein auf seine Beziehungen zu Papst und Kurie einzuschränken. Ich möchte Ihnen deshalb ganz kurz die politische Situation Italiens im späten 13. Jahrhundert ins Gedächtnis zurückrufen. Wir haben das dreigeteilte Italien vor uns, wie es sich im 11. und 12. Jahrhundert herausgebildet hat, mit Reichsitalien im Norden, dem Kirchenstaat in der Mitte und dem Königreich Sizilien im Süden. Die Dreiteilung war durch die unio regni ad imperium unter Heinrich VI., Otto IV. und Friedrich Π. verdeckt worden; aber seit der Katastrophe der Staufer war sie wiederhergestellt. In jedem dieser drei Teile stellte sich das Problem eines Kaisers Rudolf unterschiedlich dar, so daß damit die weitere Gliederung meines Referates bereits vorgegeben ist. Die Situationsbeschreibung muß aber noch etwas verfeinert werden, denn die drei Teile Italiens waren in sich keineswegs einheitlich und standen außerdem in eigentümlichen Beziehungen zueinander, die zu beachten sind. In Reichsitalien muß man unterscheiden zwischen der Lombardei auf der einen und der Toskana auf der anderen Seite. In der Lombardei übte das Reich schon in den späteren Jahren Barbarossas15 nur noch eine formale Oberherrschaft aus und bezog gewisse Einkünfte. Beides war unabhängig davon, ob der Herrscher den Titel eines Königs oder eines Kaisers trug. Entscheidend war vielmehr, ob der Herrscher persönlich in Italien an- oder abwesend war, denn bestimmte Kategorien von Abgaben standen nur dem persönlich anwesenden Herrscher zu. Von daher mußte ein Zug Rudolfs zur Kaiserkrönung den norditalienischen Städten durchaus unerwünscht sein, zumal er sich in Deutschland ja den Ruf eines energischen Steuereintreibers erworben hatte. Andererseits konnte der König bzw. Kaiser als Bundesgenosse in den Streitigkeiten der Städte untereinander verwendet werden. Das ist jenes Netz der interkommunalen Rivalitäten, in dem sich später Heinrich VU. so tragisch verfangen sollte. Es ist kaum anzunehmen, daß Rudolf diesem Schicksal entgangen wäre, 14 Dazu u.a. W. T r e i c h l e r , Mittelalterliche Erzählungen und Anekdoten um Rudolf von Habsburg, (Geist und Werk der Zeiten. Arbeiten aus dem Hist. Seminar der Universität Zürich 26), Bern 1971, S. lOlf. 15 Zu Barbarossa jüngst (aber nicht voll befriedigend) F. Ο ρ 11, Friedrich Barbarossa (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance 1), Darmstadt 1990.

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wenn er tatsächlich nach Italien gezogen wäre. Eine ganz andere Situation als in der Lombardei bot sich in der Toskana dar. Dort haben die Staufer die Reichsrechte besonders nachdrücklich wahrnehmen können, teilweise auch gegen den Widerstand der Kurie. Nach dem Zusammenbruch der staufischen Machtstellung versuchten die Päpste eine Expansion des Kirchenstaates in die Toskana; als Rechtstitel konnte das Erbe der Markgräfin Mathilde und auch der Umstand dienen, daß die südliche Toskana zur Karolingerzeit schon einmal zum Kirchenstaat gehört hatte. Die Erfolge dieser Politik waren aber so gering, daß die Kurie 1267 beim Herannahen Konradins die Nerven verlor und den König von Sizilien, Karl von Anjou, zum Reichsvikar für die Toskana bestellte. Diese Regelung blieb auch nach dem Ende Konradins und sogar nach der Wahl Rudolfs in Kraft und wurde erst beseitigt, als Papst Nikolaus m . energisch den Romzug Rudolfs in die Wege zu leiten versuchte. Seitdem fungierte ein vom deutschen König im Einvernehmen mit der Kurie eingesetzter Reichsvikar in der Toskana, ohne allerdings eine nennenswerte Tätigkeit zu entfalten16. Das weltliche Herrschaftsgebiet der Päpste, der sog. Kirchenstaat17, beruhte auf einer doppelten Rechtsgrundlage. Zum einen gab es die Pippinische Schenkung, die unter Karl dem Großen mit gewissen Einschränkungen realisiert und von einer Reihe von Kaisern vor ihrer römischen Krönung bestätigt wurde, so etwa von Otto dem Großen und Heinrich Π. Diese Texte waren im Liber censuum18 der apostolischen Kammer bequem zugänglich; in einigen Fällen war zu Zeiten Rudolfs auch das Original noch vorhanden19. Die geographische Gestalt zeigt die charakteristische Wespentaille in Umbrien, nach Süden hin sind seine Grenzen recht unbestimmt. Zum andern hat Innozenz ΙΠ. den Kirchenstaat auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt und von Otto IV. und Friedrich 16 Vgl. unten S. 96f. 17 Dazu jüngst Th. F r e n z , Kirchenstaat, in: Theologische Realenzyklopädie XIX, S. 92-101; T.F.X. N o b l e , Kirchenstaat, in: LexMA V, S. 1180-1183. 18 L. D u c h e s n e (Hg.), Le Liber censuum de l'église Romaine (Bibliothèque des Ecoles Françaises d' Athènes et de Rome, 2. sér., 6), Paris 1905/52. Hludowicianurn : S. 363-365 Nr. LXXVII; Auszug aus dem Ottonianum : S. 365f. Nr. LXXVIII; Auszug aus dem Heinricianum : S. 366 Nr. LXXVIIII. 19 Hludowicianum : Theiner Nr. 3; A. H a h n , Das Hlodowicianum, in: AD 21, 1975, S. 15-135. - Ottonianum: MGH DD O.I. 235; Theiner Nr. 4; Th. v o n S i c k e 1, Das Privilegium Ottos I. für die römische Kirche vom Jahre 962, Innsbruck 1883; W. U l i m a n n , Die Entstehung des Ottonianum, in: H. Zimmermann (Hg.), Otto der Große, Darmstadt 1976, S. 296-324. - Heinricianum : MGH DD Η. Π. 421ff. ; Theiner Nr. 6; Η. Β 1 o c h, Die Überlieferung des Privilegs Heinrichs Π. für die römische Kirche, in: NA 25, 1900, S. 681-693.

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Π. durch das Neußer Versprechen bzw. die Goldbulle von Eger garantieren lassen20. In seinem Text findet sich die berühmte Formulierung, der Kirchenstaat reiche von Radicofani bis Ceprano21. Wenn man die beiden Beschreibungen des Kirchenstaates, diejenige der pippinischen Schenkung und diejenige Innozenz' ΙΠ., vergleicht, zeigt sich, daß sie nicht vollständig übereinstimmen; besonders in der Gegend der Romagna ergibt sich eine Differenz; ich komme auf das Problem noch zurück. Eine Sonderstellung im Kirchenstaat nahm die Stadt Rom ein. Hier war unter Innozenz Π. auf revolutionärem Wege der römische Senat wiedererrichtet worden. Aus dem Senat wurde bald ein einzelner Senator, ein Amt, zu dem auch auswärtige Herrscher berufen werden konnten. Senator von Rom war seit 1263 Karl von Anjou, der König von Sizilien. Nikolaus m . zwang ihn zum Rücktritt, indem er das Amt selbst übernahm, Martin IV. stellte den alten Zustand wieder her. Das Königreich Sizilien wurde seit 1266 von Karl von Anjou22, beherrscht. Man macht sich in der Regel nicht klar, wie weit sich der festländische Anteil dieses Reiches nach Norden erstreckte. Das ist um so wichtiger, als sich der Schwerpunkt des Reiches im 13. Jahrhundert immer mehr von der Insel aufs Festland verlagerte. Karl von Anjou hat die Insel während seiner ganzen Regierung nur zweimal für wenige Wochen betreten. Das Königreich Sizilien war formal ein Lehen des Papsttums. Aber wenn man seine Ausdehnung betrachtet; wenn man bedenkt, daß Karl Reichsvikar in der Toskana und Senator von Rom war; wenn man seine durch Heirat erworbene Herrschaft in der Provence hinzunimmt; wenn man weiß, daß er aus den Trümmern des Lateinischen Kaiserreichs Gebiete in Griechenland erworben hatte, daß er Familienbeziehungen zum lateinischen Titularkaiser von Byzanz anknüpfte und daß die Albanier ihn zum König gewählt hatten - wenn man sich das alles klar macht, dann sieht man, wer in Italien die Macht innehatte, und man kann sich schon fragen, wo da noch Platz sein sollte für ein Kaisertum eines Rudolf von Habsburg. In der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit brach Karls Machtstellung dann allerdings zusammen: er verlor das Reichsvikariat in der Toskana, er verlor die Senatur von Rom, und er verlor 1282 in der 20 Die Texte waren im Reichsregister Innozenz' ΙΠ. mühelos zugänglich, von den meisten Stücken auch die Originale; vgl. F. Κ e m ρ f, Regestum Innocenti] ΠΙ papae super negotio Romani Imperii, Rom 1947. In welchem Ausmaß Gregor X. das Archiv mit auf Reisen genommen hatte, wissen wir allerdings nicht. 21 Ad has (sc. possessiones) pertinet tota terra, que est a Radicofano usque Ceperanum ... (wie Anni. 20, Nr. 76). 22 Zu ihm grundlegend P. H e r d e , Karl von Anjou (Urban-Taschenbücher 305), Stuttgart 1979 .

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Sizilischen Vesper einen nicht unbeträchtlichen Teil seines eigenen Königreichs. Kommen wir nun zur Frage, wie sich die kommunale Staatenwelt Nord- und Mittelitaliens, wie sich Karl von Anjou und wie sich die Kurie zur Kaiserrolle Rudolf von Habsburgs gestellt haben. Die Beantwortung der ersten Frage möchte ich im Jenseits beginnen. In der Göttlichen Komödie lernt Dante im 7. Gesang des Purgatorio23 eine Gruppe von Büßern kennen, die dafür Genugtuung leisten müssen, daß sie auf Erden ihre Pflicht versäumt haben. Besonders eine Gestalt erregt sein Interesse, und über ihre Identität gibt ihm Virgil folgenden Aufschluß: Colui che più sied' alto e fa sembianti D' aver negletto ciò che far dovea E che non move bocca agli altrui canti: Ridolfo imperador fu, che potea Sanar le piaghe, c' hanno Italia morta. "Deijenige, der am höchsten sitzt und ausschaut wie einer, der das versäumt hat, was er hätte tun müssen, und der den Mund nicht mit dem Gesang der anderen bewegt: Kaiser Rudolf war er, der die Wunden hätte heilen können, an denen Italien zugrundegegangen ist." Sein Nachbar, der ihn zu trösten versucht, ist übrigens der re Ottàcchero, König Ottokar24. Ridolfo imperador - "Kaiser Rudolf" nennt Dante ihn also, und wie immer die Stelle zu interpretieren ist, der Dichter wirft ihm nicht vor, daß er nicht die Kaiserkrone erlangt hat. Dieselbe mangelnde Präzision bei der Verwendung des Kaisertitels kann man bei vielen Quellen aus Reichsitalien beobachten: die Chroniken berichten, er sei 1273 zum "Kaiser" gewählt worden (in imperatorem electus), ein Autor spricht gar von regale imperimi25. In derselben Weise wird sogar Rudolfs Nachfol23 Vers 91-95. 24 Ebd. Vers 97-100: L'altro che nella vista lui conforta, resse la terra dove l'acqua nasce che Molta in Albia e Albia in mar ne porta: Ottàcchero ebbe nome ... 25 Als imperator bezeichnen ihn u.a. Salimbene von Parma (MGH SS 32, S. 463, 489), die Annales Palmenses maiores (MGH SS 18, S. 684f.), Tholomeus von Lucca (MGH SS. rer. Germ. N.S. 8, S. 174), Memoriale Potestatum Regiensium (RIS 8, Sp. 1136 E, 1144 D). Tholomeus nennt ihn in einem Atemzug rex und imperator. Während die Annales Parmenses von imperator sprechen, heißt es in den Annales Piacentini Gibellini (MGH SS 18, S. 558) und den Annales Ianuenses (MGH SS 18, S. 281, 338) rexRomanorum, ebenso bei Saba Malaspina (G. D e 1 R e , Cronisti e scrittori sincroni napoletani, Bd. 2, Neapel 1868 [ N D Aalen 1975], S. 316), und re de' Romani bei Ricordando Malespini (RIS 8, Sp. 1018 C, 1019 D). Kurios ist der Eifer des Herausgebers

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ger Adolf von Nassau in den italienischen Quellen als Kaiser bezeichnet 26 . Das bestätigt, was ich vorhin gesagt habe, nämlich, daß die Förmlichkeit der Kaiserkrönung in Reichsitalien auf kein politisches Interesse stieß, sondern nur die Frage der Anwesenheit des Herrschers und seines Eingreifens in die Beziehungen der Kommunen untereinander27. Wenn sich die italienischen Quellen für das Kaisertum interessieren, geschieht dies unter einem ganz anderen Aspekt, nämlich dem apokalyptischen. Wiederholt weisen sie auf die Weissagung der Sibylle hin, daß mit Friedrich Π. das Kaisertum aufhören werde: In ipso quoque flnietur Imperium formuliert Salimbene von Parma28, und Brunetto Latini schreibt29: "und wenn Merlin oder die Sibylle die Wahrheit sagen, findet man in ihren Büchern, daß mit ihm die kaiserliche Würde aufhören muß". Die Brisanz dieser Prophetie ist offenkundig, denn auf das Ende des Kaisertums folgt, wie den einschlägigen mittelalterlichen Handbüchern zum Weltende30 zu entnehmen ist, unmittelbar das Auftreten des Antichristen und das Weltgericht. Unter diesem Aspekt war es nun schon beunruhigend, daß die Kaiserkrönung Rudolfs einfach nicht Zustandekommen wollte. (Ein solcher Gedankengang kommt uns heute befremdlich vor, aber man muß ihn für das 13. Jahrhundert ernst nehmen: von MGH SS 32, der S. 489 zu Salimbenes Text Et eodem tempore ad dictum concilium electos fiiit comes Rodulfits de Alamania in imperatorem Romanorum per electores imperatorum die Anmerkung macht: Minime, bone frater. 26 Tholomeus von Lucca (MGH SS rer. Germ. N.S. 8), S. 222 versio B. 27 Im sog. Abschiedsbrief Gregors X. (Migne, Patrologia latina 98, Sp. 743 Β 745 A; RI *497) verwendet sogar der Papst die Ausdrücke imperialis und Imperator. Ob dieser Text authentisch ist, muß dahingestellt bleiben; er ist nur kopial und ohne Proto- und Eschatokoll überliefert. Wenn von imperiale culmen und imperiales litterae die Rede ist (Quod imperialis culminis altitudo laetis gaudet ubique successibus ... Serenitati tarnen tuae gratiarum referimus actiones, quod de nostra infirmitate sollicitus gratum nobis solatium per imperiales litteras obtulisti ... ), so liegt dies auf derselben Ebene wie die Verwendung von imperium auch für das Reich des noch nicht zum Kaiser gekrönten Königs. Der Satz, in dem Rudolf imperator genannt wird, ist ein Wunsch für die Zunkunft (Ecclesiam ejus semper diligas et honores eique sicut princeps piissimus et Christianissimus imperator pacem conferre satagas et quietem ...!) und läßt sich durchaus als Empfehlung für die Zeit nach der Kaiserkrönung verstehen. 28 MGH SS 32 S. 349f., 629 29 Brunetto Latini, Li livres dou trésor. Edition critique par F. J. C a r m o d y , Berkeley 1948 (ND Genf 1975), S. 75 (= Buch I Kap. 94): Et se Merlins u la Sebille dient vérité, I 'en troeve en lor livres que en cesti doit άφηετ la imperiale dignités. 30 Beispielsweise dem Libellus de antichristo des Adso (vgl. D. V e r h e l s t [Hg.], De ortu et tempore Antichristi, necnon et tractatus, qui ab eo dependunt [CC cont. med. 45], Turnhout 1976, dazu R. K o n r a d , De ortu et tempore Antichristi. Antichristvorstellungen und Geschichtsbild des Abtes Adso von Montier-en-Der [Münchener Historische Studien. Abt. mittelalterliche Geschichte 1]), Kallmünz 1964, oder den Revelationes des Ps.-Methodius (vgl. E. S a c k u r, Sibyllinische Texte und Forschungen. Pseudomethodius, Adso und die tiburtinische Sibylle, Halle 1898).

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er war immerhin stark genug, 1294 eine Papstwahl31 zu dominieren.) Man kann übrigens sehr schön sehen, wie die Quellen versuchen, diese Konsequenz wegzudiskutieren. Salimbene von Parma versucht, die Bedeutung des vocabulum imperiale, wie er sich ausdrückt, herunterzuspielen32. Brunetto Latini überlegt33: "Aber ich weiß nicht, ob das nur für seine Familie gilt oder für die Deutschen oder ob es sich auf alle Kaiser zusammen bezieht". Auch aus der Sicht Karls von Anjou hatte das Problem einen apokalyptischen Aspekt34; viel wichtiger für ihn waren aber die praktischen Konsequenzen, denn sie konnten für ihn durchaus existentielle werden. In seinem Verhältnis zu einem deutschen König und künftigen römischen Kaiser im allgemeinen und zu Rudolf im speziellen lassen sich drei Phasen unterscheiden. In der ersten Phase ging es darum, die Wahl eines allgemein anerkannten Königs überhaupt zu verhindern oder wenigstens auf einen ihm genehmen Kandidaten zu lenken. Hierher gehört Karls Versuch, seinen Neffen Philipp ΙΠ. von Frankreich zu lancieren; hierher gehört meiner Ansicht nach aber auch seine Unterstützung Ottokars, der als Kandidat überqualifiziert war und deshalb selbst keine Aussichten hatte, durch seine Ambitionen aber sehr wohl eine andere Wahl verhindern konnte. Der ideale Kandidat wäre natürlich Karl selbst gewesen, aber seine Kandidatur war durch den Lehensvertrag ausgeschlossen, und die Päpste der 70er Jahre wären auch nicht bereit gewesen, diese Bestimmung aufzuheben. Martin IV. hätte Karl wohl auch diesen Gefallen getan, aber damals war die Frage nicht mehr aktuell. Mit der eindeutigen Wahl und päpstlichen Anerkennung Rudolfs war dieser Versuch gescheitert, und es begann die 2. Phase: jetzt, nachdem die Entscheidung gefallen war, galt es, aus der neuen Situation größtmöglichen Gewinn zu schlagen. Die Päpste, die Rudolfs Kaiserkrönung förderten, vor allem Gregor X. und Nikolaus ΙΠ., hatten ein vitales Interesse daran, zwischen ihm und Karl ein freundschaftliches Verhältnis oder wenigstens einen modus vivendi herbeizuführen. Besonders Gregor X. war darauf angewiesen, denn beide Herrscher sollten ja baldmöglichst zum Kreuzzug aufbrechen 35 . Rudolf war also in der Position des Bittenden, Karl in der des 31 (Päpste 32 33 de tous 34

Diejenige Cölestins V. Zu ihm grundlegend P. H e r d e , Cölestin V. (1294) und Papsttum 16), Stuttgart 1981. Wie Anm. 28. Mes je ne sais se c'est à dire de son linage solement, u des alemans, u se ce dist communalment. (wie Anm. 29) Dazu unten S. 95f. 35 Vgl. etwa Ricordando Malespini, Istoria fiorentina, in: RIS 8, Mailand 1726, Sp. 1019 DE: Il detto P-apa ( = Gregor X.) ... confermò Ridolfo Conte di Furimbur-

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Fordernden. In diese Phase gehören die Pläne von Gebietsabtretungen in Piémont und das Projekt, Karls Dynastie das Königreich Arelat zuzuwenden, indem zwischen beiden Familien eine Eheverbindung hergestellt wurde. Es verdient Aufmerksamkeit, daß Rudolf für diese Leistungen noch nicht Kaiser sein mußte, auch nicht für die Verlehnung des Arelats, daß es für Karl also möglich war, die Leistungen Rudolfs anzunehmen und dann die Gegenleistung des Papstes zu hintertreiben. Genau das versuchte er anschließend in Obstruktion gegenüber dem Italienzug Rudolfs durch Beeinflussung der Kurie und besonders durch Lenkung der Papstwahlen. Dahinter steckte allerdings mehr als nur die Sorge um Karls Einfluß in Nord- und Mittelitalien. Er nahm vielmehr als König von Sizilien die alte Ostpolitik der normannischen Könige wieder auf, die auf die Beherrschung des Heiligen Landes, vor allem aber auf die Eroberung Konstantinopels und des dortigen Kaiserthrones zielte36. Dieser Plan war bereits dreimal, unter Robert Guiskard37, unter Wilhelm Π. 38 und unter Heinrich VI. 39 , begonnen worden und jedesmal nur daran gescheitert, daß der Herrscher zu ungelegener Zeit verstarb. Heinrich VI. hatte sein Unternehmen bereits als Kreuzzug getarnt. Gegen den vom Papst propagierten Kreuzzug hatte Karl also nichts einzuwenden; nur sollte er unter seiner Leitung stehen und seinen Zielen dienen. An einem solchen Kreuzzug hätte sich wohl sogar ein König Rudolf beteiligen können. Mit einem Kaiser Rudolf sah das aber ganz anders aus: ihm wäre, schon aus religiösen Gründen, ganz von selbst die Leitung des Unternehmens zugefallen. Es gibt noch einen Grund, aus dem Karl eine Kaiserkrönung Rudolfs nicht wünschen konnte: Karl von Anjou war persönlich ein sehr frommer Mann, jedenfalls nach den Maßstäben des 13. Jahrhunderts, wenn auch nicht unbedingt nach denjenigen unserer Zeit. Das heißt aber, daß die sakramentale Wirkung von Salbung und Krönung zum römischen Kaiser für ihn von lebendiger Realität war und somit, falls Rudolf gekrönt würde, bei einem anderen eine Wirkung entfaltet hätte, die Karl für sich

go (!) eletto Re de' Romani, acciocch' egli venisse per la corona a Roma, e fosse capitano del passaggio d'oltre mare. 36 Dazu u.a. jüngst O. H a g e n e d e r , Weltherrschaft im Mittelalter, in: MIOG 93, 1985, S. 257-278. 37 Vgl. F. C h a l a n d o n , Histoire de la domination Normande en Italie et en Sicile, 2 Bde., Paris 1907, hier Bd. 1, S. 266-284. 38 Ebd. Bd. 2, S. 392-418. 39 Th. Τ o e c h e, Kaiser Heinrich VI. (Jbb. d. dt. Gesch.), Leipzig 1867, S. 457472.

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selbst begehrte. Seine Propaganda40 betont ausdrücklich, daß er aus dem eigentlichen Kaisergeschlecht, dem der Karolinger, herstamme, jenem Geschlecht, aus dem nach den schon erwähnten Prophezeiungen der letzte römische Kaiser hervorgehen wird, der vor dem Weltende noch einmal den ganzen Erdkreis unter seinem Szepter vereinigen wird. Jedenfalls war das die französische Interpretation dieser Stellen, und als weiteres Argument ließ sich anführen, daß Karl nicht zufällig mit dem ersten abendländischen Kaiser, mit Karl dem Großen, namensgleich sein konnte. Der Enkel Karls, König Robert von Neapel, hat später eine Denkschrift an den Papst abgehen lassen, in der er die Abschaffung des Kaisertums überhaupt fordert 41 . Ich glaube, man darf seine Argumente nicht auf seinen Großvater übertragen. Robert hat zwar die Norditalienpolitik Karls wiederaufgenommen, aber nach dem Verlust Siziliens war die Situation eine ganz andere, und an eine Ostpolitik, wie Karl sie geplant hatte, war damals nicht mehr zu denken. Kommen wir nun zur dritten Frage, zum Verhältnis von Papst und Kurie zu Rudolf von Habsburg. Wie schon erwähnt, stand keiner der Päpste, mit denen Rudolf zu tun hatte, einer Kaiserkrönung des Habsburgers prinzipiell ablehnend gegenüber. Die Kurie konnte aus juristischer Sicht auch kein Interesse daran haben, die Krönung zu verweigern oder zu verzögern42. Die Theorie, daß der Papst vacante imperio das Reichsvikariat innehabe, erlangt erst im 14. Jahrhundert praktische Bedeutung; sie war zwar schon formuliert und lag als mögliche Waffe im juristischen Arsenal bereit, wurde aber zu Rudolfs Zeiten noch nicht angewandt43. Ein gewisses Problem bildete die Stellung Karls von Anjou in der Toskana, aber 1. war seine Ernennung eine Notmaßnahme in der außerordentlichen Situation des Jahres 1267; 2. führte Karl den Titel "Reichsvikar" eigenmächtig (der Papst hatte ihn nur zum pacificator, zum "Friedenswahrer" ernannt); und 3. hätte er diese Stellung zweifellos aufgeben müssen, wenn Rudolf persönlich nach Italien gekommen wäre.

40 L. Β o e h m, De Karlingis imperator Karolus, princeps et monarcha totius Europae. Zur Orientpolitik Karls I. von Anjou, in: HJb 88, 1968, S. 1-35. 41 Vgl. dessen Auslassungen gegenüber Clemens V. zu diesem Thema: MGH Const. IV,2, S. 1362ff. 42 Anders G i e s e (wie Anm. 2), S. 55. 43 F. Β a e t h g e η, Der Anspruch des Papsttums auf das Reichsvikariat. Untersuchung zur Theorie und Praxis der potestas indirecta in temporalibus, in: ZRG 41 kan. 10, 1920, S. 1 6 8 - 2 6 8 = F . B . , M e d i a e v a l i a . A u f s ä t z e , N a c h r u f e , B e s p r e c h u n g e n , Bd. 1

(Schriften der MGH 17/1), Stuttgart 1960, S. 110-185.

Das "Kaisertum" Rudolf von Habsburgs

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Tatsächlich hat er sie ja auch verloren, als Nikolaus ΙΠ. ernsthaft Rudolfs Romzug betrieben hat44. Hatten Papst und Kurie also keinen Anlaß, die Krönung zu verhindern, so mußten sie umgekehrt ein geradezu vitales Interesse daran haben, sie zu fördern. Es war ja traditionsgemäß üblich, daß die Kaiser in der Vorbereitung des Romzuges die Existenz des Kirchenstaates garantierten und diese Garantien nach vollzogener Krönung auf das feierlichste bestätigten. Eine solche Garantie durch Rudolf war um so wertvoller, als sowohl Otto IV. als auch Friedrich Π. ihre Zusagen gebrochen und für nichtig erklärt hatten. Tatsächlich wurden Rudolf schon von Gregor X. die Kaiserprivilegien zur Bestätigung vorgelegt. In diesen Zusammenhang gehört das Problem der Abtretung der Romagna. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß sich die Grenzziehung des Kirchenstaates in den von Innozenz ΙΠ. verlangten Privilegien und in den uralten ottonischkarolingischen Urkunden nicht völlig deckt. Insbesondere ließ sich aus den alten Urkunden über die Grenzziehung Innozenz' ΙΠ. hinaus ein Anspruch der Päpste auf die Romagna herauslesen, der zuvor niemals realisiert und inzwischen in Vergessenheit geraten war. Rudolf wurden zur größtmöglichen Sicherheit des Kirchenstaates beide Serien von Privilegien zur Bestätigung vorgelegt und als Konsequenz die Auslieferung der Romagna verlangt45. Hier sehen wir - erstaunlich genug, aber ich komme auf die Frage gleich zurück - eine Partei an der Kurie am Werke, die Rudolfs Krönung stören wollte. Rudolf ist bekanntlich auf die Forderung eingegangen, aber wie unverständlich den Uneingeweihten der Vorgang war, zeigen die Quellen, die die abenteuerlichsten Erklärungsversuche anbieten. Ricordando Malespini schreibt im Anschluß an den Bericht über Rudolfs Wahl und Bestätigung46: "Der besagte Rudolf versprach bei Strafe der Exkommunikation binnen einer bestimmten Frist in Mailand

44 Dazu auch d e r s . , Ein Versuch Rudolfs von Habsburg, die Reichsrechte in Toskana (!) wahrzunehmen (Ende 1275), in: HVjS 22, 1923, S. 70 - 75 = F.B., Med. 1 (wie Anm. 43) S. 186-191. 45 RI 171f., 439f., 534, 955, 970-972, 999-1001, 1062-1064, 1063 A; Theiner Nr. 330f., 338, 345, 352,358, 361-363, 381, 384f., 387f., 393; MGH LL Π S. 394398, 403-406, 421f. Zum Problem der Romagna vgl. J. F i c k e r , Forschungen zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens, Bd. 2, Innsbruck 1869 (ND Aalen 1961), S. 444457 §§ 383-386, bes. S. 455f. 46 Malespini (wie Anm. 35): Lo detto Ridolfo promise sotto pena di ¿scomunicazione d'essere in Melano fra certo termine, le quali promissioni non attene di venire in Italia per sue imprese e guerre della Magna. Anzi non venne in Italia, e non ebbe la corona nè la benedizione dello imperio dal papa, ma rimase iscomunicato. E per avere poi sua pace col papa e colla chiesa e essere ricomunicato, privilegiò la contea di Romagna ... alla chiesa di Roma.

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zu sein. Dieses Versprechen, nach Italien zu kommen, hielt er nicht ein wegen seiner Unternehmungen und Kriege in Deutschland. Also kam er nicht nach Italien und empfing weder die Krone noch die Kaiserweihe vom Papst, sondern blieb exkommuniziert. Und um seinen Frieden zu machen mit dem Papst und mit der Kirche und um vom Bann losgesprochen zu werden, übergab er die Grafschaft Romagna der Römischen Kirche". Salimbene von Parma bezeichnet die Übergabe der Romagna an den Papst als erzwungenes Geschenk Rudolfs und knüpft daran Überlegungen an, die einer antiklerikalen Spitze nicht entbehren47: "Immer wollen nämlich die römischen Bischöfe dem Staat etwas wegnehmen (wörtlich: etwas aus der Nase ziehen), wenn die Kaiser zur Kaiserwürde erhoben werden. Diese können aber schicklicherweise nicht ablehnen, was von ihnen verlangt wird: sei es wegen der Höflichkeit und Freigebigkeit, die sie zu Beginn ihrer Herrschaft vor allem gegenüber der Kirche zeigen wollen; sei es, daß sie glauben, als Geschenk zu besitzen, was ihnen an Herrschaft gegeben werden soll; sei es auch, daß sie sich schämen, sich als Essig zu erweisen, bevor sie in der Weinflasche sind; sei es schließlich, damit sie nicht überhaupt eine Zurückweisung erleiden. Denn der zur Kaiserherrschaft erwählte Herr Rudolf blieb friedlich in Deutschland, und die Kirche schien sich um seine Krönung wenig zu kümmern". Noch ein weiterer Grund hätte Papst und Kurie veranlassen müssen, Rudolfs italienische Pläne nachhaltig zu fördern: die immer bedrohlicher werdende Macht Karls von Anjou. Ich habe vorhin gezeigt, wie der Kirchenstaat durch Karl kaum weniger intensiv in die Zange genommen wurde als seinerzeit durch Heinrich VI., Otto IV. und Friedrich Π. Wozu Karl im Einzelfall fähig war, haben die Kardinäle beim Konklave am eigenen Leib verspürt. Was hätte näher gelegen, als mit Rudolf ein Gegengewicht zu Karl zu schaffen? Genau das ist aber nicht geschehen, sondern die Päpste haben Karl gewähren lassen, und einige haben ihn sogar indirekt oder direkt gefördert. Warum hat die Kurie so offenkundig gegen ihre eigenen Interessen gehandelt? Ich kann mir das nur erklären als die Wirkung der geradezu traumatischen Erfahrungen, die man mit 47

MGH SS 32, S. 509: Semper enim Romani pontífices de re publica aliquid volunt emungere, cum imperatores ad imperium assumuntur. Ipsi vero convenienter negare non possunt, quod postulatur ab eis: tum propter curialitatem et liberalitatem, quam in principio imperii sui maxime erga ecclesiam volunt estendere; tum etiam, quia credunt se dono habere, quicquid de imperio dabitur eis; tum etiam, quia erubescunt se acetum estendere, antequam in cucurbita sint; tum etiam, ne omnino patiantur repulsam.

Nam domnus

Rodulfus

electus

ad imperium

ecclesia de sua coronatione parum curare

videtur.

in Alemannia

in pace

moratur,

et

Das "Kaisertum" Rudolf von Habsburgs

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den Staufern gemacht hatte. Es ist hier daran zu erinnern, daß es in Italien ein Interregnum nicht gegeben hat: nach dem Tode Friedrichs Π. regierten Konrad IV. und Manfred in Süditalien 16 Jahre lang weiter Manfred allein regierte 12 Jahre, das ist ebenso lang wie Wilhelm I. -, und dann erfolgte sofort der Übergang zu den Anjous. Außerdem war der Italienzug Konradins 1268 alles andere als eine Episode, deren Ausgang man voraussehen konnte. Keine fünf Jahre später wird dann Rudolf zum König gewählt, dessen staufische Verbindungen man kannte und der Konradin unterstützt hatte. Das staufische Trauma war also an der Kurie noch sehr lebendig, und die Sibylle sagte zu Recht über Friedrich Π.: vivit, non vivit - "er wirkt weiter, auch wenn er tot ist". Demgegenüber erschien Karl von Anjou mit seinen ganz anderen Verbindungen offenbar als die bessere Alternative. Ob man an der Kurie daran gedacht hat, das Kaisertum überhaupt abzuschaffen, muß bezweifelt werden; die Quellen geben keinen Anhaltspunkt dafür. Auch der angebliche Plan, Rudolfs Königtum auf Deutschland zu beschränken und in Reichsitalien eigene Königreiche zu errichten, bleibt zu obskur, als daß man dazu etwas sagen könnte48. Lassen Sie uns zum Abschluß die Blickrichtung ändern und fragen, wie es um Rudolfs Interesse an Italien und an der Kaiserkrönung bestellt war. Das entspricht zwar nicht ganz dem gestellten Thema, scheint als Ergänzung aber doch wertvoll. Daß Rudolf als rechtmäßiger deutscher König auch die Rechte des Reiches in Italien wahrnehmen konnte, war unbestritten; ob er dazu die Approbation des Papstes benötigte, war in der Praxis ohne Belang und blieb daher zwischen ihm und Gregor X. theoretisch unerörtert. Das Programm der Revindikation der Reichsrechte ließ sich also ohne weiteres auf Reichsitalien ausdehnen; die Kaiserkrone war dazu nicht erforderlich. Politisch durchsetzbar war es in Italien ohnehin nur in Zusammenarbeit mit der Kurie. Ich habe zu Beginn meines Referates darauf hingewiesen, daß Rudolfs Romzug hauptsächlich durch den ständigen Wechsel auf dem päpstlichen Thron verhindert worden sei. Das war nur teilweise richtig, wie folgende Überlegung zeigt: vor demselben Problem standen nämlich auch Friedrich Barbarossa und Heinrich VI. Bei beiden wurde die bereits fest vereinbarte Krönung durch den Tod des Papstes in Frage gestellt. Der Unterschied zu Rudolf ist aber der, daß sie trotzdem nach Italien gezogen sind und durch ihre persönliche Anwesenheit die Krönung erlangt haben, 48

RI 1156 a; G i e s e (wie Anm. 2), S. 74-87; Β u s s ο η (wie Anm. 2), passim.

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Heinrich VI. dabei trotz der bewußten Obstruktion Cölestins HL, der sogar seine eigene Bischofsweihe hinausschob, um Heinrich nicht krönen zu müssen. Zum persönlichen Erscheinen in Italien war Rudolf aber eben nicht in der Lage. Als Motiv für den Wunsch Rudolfs nach der Kaiserkrone wird in der Literatur stereotyp der Hinweis gegeben, nur als gekrönter Kaiser hätte man seinen Sohn zu Lebzeiten zum Nachfolger wählen lassen und damit eine Dynastie begründen können. Die urkundlichen Quellen lassen den Schluß zu, daß der Habsburger selbst ebenso gedacht hat49. Aber es ist schon beobachtet worden, daß die Tradition des Reiches seit den Zeiten Ottos des Großen eine solche Regel nicht erkennen läßt50. In diesem Zeitraum von über drei Jahrhunderten wurden 11 deutsche Könige schon zu Lebzeiten ihres Vorgängers gewählt: Otto Π., Otto ΙΠ., Heinrich ΙΠ.; Heinrich IV.; Konrad, der Sohn Heinrichs IV., Heinrich V.; Heinrich Berengar, der Sohn Konrads ΙΠ.; Heinrich VI.; Friedrich Π.; Heinrich (VE.) und Konrad IV. Von diesen sind Otto ΙΠ., Heinrich IV., Heinrich V., Heinrich VI., Friedrich Π. und Konrad IV. erst zu einem Zeitpunkt geboren, als der Vater schon längst Kaiser war, so daß sich die Frage gar nicht stellte. Otto Π. und Heinrich (VII.) wurden Mitkönige, bevor Otto der Große und Friedrich Π. zur Kaiserkrönung zogen, und Heinrich Berengars Vater Konrad HL ist überhaupt nie Kaiser geworden. Damit bleiben als "reguläre" Fälle nur Heinrich HL und Konrad, der Sohn Heinrichs IV., übrig. Rudolf hätte also durchaus schon vor der Kaiserkrönung die Wahl eines Sohnes zum Nachfolger verlangen können. Die Frage ist natürlich, ob die Kurfürsten diese Argumentation akzeptiert hätten oder ob sie darauf verwiesen hätten, daß in 8 der 11 Fälle der Vater nun einmal Kaiser gewesen ist, unabhängig vom Geburtsdatum des Sohnes. Selbstverständlich konnte Rudolf als Kaiser die Sohneswahl mit weitaus größerer Autorität fordern, zumal ja nicht nur eine einfache Nachfolge, sondern die Gründung einer neuen Dynastie geplant war.

49 Β u s s ο η (wie Anm. 2), S. 639, 659, 693. Vgl. J. E. K o p p , Geschichte der eidgenössischen Bünde I, 1 (Der Geschichten von der Wiederherstellung und dem Verfalle des heiligen römischen Reiches erstes und zweites Buch), Leipzig 1845, S. 492f., der im Anhang S. 903f. Nr. 23 eine Urkunde König Wenzels von Böhmen 1290 April 13 mitteilt, worin es heißt: ... profitemur, quod ..., postquam illustris R. Romanorum rex imperiale susceperit diadema, ... ordinet et constituât, faciat, preficiat, provideat, postulet seu eligat illustrem R. filium suum ducem Austrie et Stirie in regem fiiturum Romanorum imperatorem. 50

O. L o r e n z ,

D e u t s c h e G e s c h i c h t e im 13. u n d 14. J a h r h u n d e r t , 2 . Bd.: G e -

schichte Rudolfs von Habsburg und Adolfs von Nassau, Wien 1867, S. 512-516.

Das "Kaisertum" Rudolf von Habsburgs

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Als letzten Aspekt möchte ich einen Gedanken vortragen, der in der Literatur bisher nicht berücksichtigt wurde, aber doch wohl nicht überzogen ist: bei den drei in Aussicht genommenen präzisen Terminen für Rudolfs Kaiserkrönung war das Tagesdatum zweimal der 2. Februar, Mariä Lichtmeß. Das ist auffällig, denn der übliche Termin der Kaiserkrönung ist der Ostersonntag51, so etwa bei Konrad Π., Heinrich IV., Heinrich V. und Heinrich VI. (Eine Alternative bietet Weihnachten - Otto Π. und Heinrich ΙΠ. - in der Tradition Karls des Großen; einmal ist auch Christi Himmelfahrt gewählt - Otto ΙΠ. -, bei den übrigen Krönungen gab es militärische Probleme, so daß der geplante Termin nicht eingehalten werden konnte.) Rudolf von Habsburg wählt nun zweimal den 2. Februar, obwohl dieser Tag reisetechnisch sehr ungünstig liegt, weil er die Alpenüberquerung im Hochwinter erfordert. Der Termin 2. Februar kann also eigentlich kein Zufall sein, zumal bekannt ist, daß Rudolf in Terminfragen sehr sensibel war. Das einzige Vorbild für eine Kaiserkrönung am 2. Februar ist diejenige Ottos des Großen 96252. Ist es nun zu kühn, in der Wahl des 2. Februar eine bewußte Bezugnahme auf Otto den Großen zu sehen? Nach der Lehre von der translatio imperii wurde das Kaisertum von den Römern auf die Griechen, von den Griechen auf die Franken, von den Franken auf die Italiener und von den Italienern auf die Deutschen übertragen, letzteres durch Otto I. Rudolfs angestrebtes Kaisertum stand in Konkurrenz zu den Kaiseraspirationen Karls von Anjou. Karl stellte sich bewußt in die Nachfolge Karls des Großen und damit in die westfränkische Tradition des Kaisertums. Setzte Rudolf dem die ostfränkische Erneuerung des Kaisertums unter Otto dem Großen entgegen? Ottos Krönung beendete 962 eine 38jährige Vakanz des Imperiums und begründete eine Dynastie. Auch Rudolfs Kai-

51 An Ostern wurde später auch Karl IV. gekrönt (5.4.1355), Sigismund an Pfingsten (31.5.1433). Der Ordo schreibt übrigens statt dessen den "Rosensonntag" ( = Laetare) vor; die einzige Krönung an diesem Termin fand aber erst nach Rudolfs Zeiten statt: Friedrich ΙΠ. am 19.3.1452. 52 Vgl. J. F. B ö h m e r , Regesto imperii II, 1. Teil: Die Regesten des Kaiserreiches unter Heinrich I. und Otto I. 919-973, hg. E. von O t t e n t h a i / H.H. K a m i n s k y , Innsbruck 1893/Hildesheim 1967, Nr. 309c; R. K ö p k e / E. D ü m m l e r , Kaiser Otto der Große (Jbb. d. dt. Reiches), Leipzig 1876, S. 327-330. Das genaue Tagesdatum überliefern die Annalen von St. Gallen (deren geographische Nähe zu Rudolf bemerkenswert ist): a papa Octaviarlo benedicitur in purificatione s. Mariae, die dominico (letzteres trifft zu) und die Magdeburger Annalen. Auf einen Sonntag fiel der 2. Februar auch 1276 und 1287. - Zu erwähnen lohnt es auch den Termin, den Clemens V. für Heinrichs VII. Krönung anfänglich vorschlug: 2.2.1312 ( M G H L L H S . 496).

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serkrönung hätte eine Vakanz des Imperiums beendet und ein neues Kaisergeschlecht begründen sollen ... Ich stand bei meinem Referat vor der Schwierigkeit, die Reaktionen auf ein Ereignis darzustellen, das gar nicht stattgefunden hat. Das schuf naturgemäß logische Probleme, und ich war genötigt, in stärkerem Umfange zu spekulieren, als das sonst meine Gewohnheit ist; ich hoffe, daß ich trotzdem den Kontakt zu den Quellen nicht verloren habe. Wie es Rudolf bei einem Italienzug tatsächlich ergangen wäre, entzieht sich selbst der Spekulation. Im 14. Jahrhundert haben Heinrich VII., Ludwig der Bayer und Karl IV. drei Möglichkeiten gewissermaßen modellhaft durchgespielt - keine davon mit einem Ergebnis, das Rudolf hätte befriedigen können. Aber da sein Italienzug nun einmal nicht stattfand, konnten wir nur die Wirkung des Unereignisses beobachten. Dabei ergibt sich zusammenfassend, daß bei vielen Reaktionen - wohl bei der Mehrzahl von ihnen - die Frage, ob Rudolf nun den Kaisertitel oder nur den Königstitel trug, keine Rolle spielte. Der Wunsch nach der Kaiserkrone war nur ein zusätzlicher Ansporn für den König, sich um die Belange Italiens zu kümmern, denn der Zug nach Rom setzt nun einmal die Beherrschung Reichsitaliens oder wenigstens seine Durchquerung voraus. Die Gründe Rudolfs, nach der Kaiserkrone zu streben, lassen sich aus italienischer Sicht nicht beleuchten. Das Motiv des Kreuzzugs ist anfangs von Gewicht, verliert dann aber immer mehr an Bedeutung. Die päpstliche Haltung erscheint widersprüchlich: die Möglichkeit, den Kaiser als Gegengewicht gegen die faktische Übermacht Karls von Anjou in die Waagschale zu werfen, wird nicht genutzt; offenbar ist das staufische Trauma noch zu stark. Andererseits hält die Kurie aber in traditioneller Weise an der Existenz des Kaisertums fest. Der apokalyptische Schimmer, der das Kaiseramt von jeher umgibt, hat an Leuchtkraft noch nicht verloren; er ist noch so stark, daß der Gegenspieler Rudolfs in der Kaiserfrage sich ebenfalls mit ihm zu umgeben versucht. "Rudolf von Habsburg - eine Königsherrschaft zwischen Tradition und Wandel" lautet das Thema unserer Tagung. Wenn man nicht in der Abwesenheit ein Symptom des Wandels sehen will, dann lautet die Antwort für Italien doch recht eindeutig: Tradition. Wobei sich diese Tradition nicht auf die Zeiten Friedrichs Π. bezieht, sondern über das 13. Jahrhundert hinaus auf Friedrich Barbarossa und womöglich sogar auf Otto und Karl den Großen zurückgreift, und das unbeschadet des Umstandes, daß der Rückgriff in der Praxis fruchtlos blieb. Wer unter Rudolf I. nach Wandel sucht, muß dies nördlich der Alpen tun.

König Rudolf und die österreichischen Landherren Von Max Weltin Seit sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Historiker Ottokar Lorenz, Franz Krones, Heinrich v. Zeißberg und Alfons Huber quellenmäßig fundiert und methodisch korrekt mit den Anfängen der habsburgischen Herrschaft in Österreich beschäftigt haben, galt als unbestritten, daß König Rudolfs mehrjährigem Aufenthalt in Österreich fundamentale Bedeutung für die Entstehung der nachmals so mächtigen domus Austriae zukam. Man hat dabei freilich nicht übersehen, daß Rudolfs Wirken nicht in allen Bereichen ein glückliches gewesen ist: vor allem war sein Entgegenkommen für den österreichischen und steirischen Landherrenadel offensichtlich zu weit gegangen. An der dabei aufgelaufenen Hypothek sollte sein Sohn Albrecht noch schwer zu tragen haben. Andererseits schlug aber auch etliches Positive zu Buche: so hatte der Habsburger instinktiv richtig an den Verfassungseinrichtungen des babenbergischen Österreich angeknüpft, die wohl nicht ohne Grund schon den Zeitgenossen, wie dem steirischen Reimchronisten oder dem sogenannten "Seifried Helbling" als die schlechthin idealen erschienen waren. Als besonderes Verdienst rechnete man Rudolf auch an, daß er damit die willkürlichen Eingriffe seines Vorgängers Ottokar in die Landesverfassung rückgängig gemacht hatte. Diese vor allem waren es ja gewesen, die die genannten Gelehrten - bei aller anerkannten persönlichen Tüchtigkeit des Böhmenkönigs - dessen Regierung in Österreich bestenfalls als ein aus unglücklichen Zeitumständen geborenes Intermezzo, als "Zwischenreich" eben, beurteilen ließen. Oswald Redlich hat später dieses Bild auf ungleich breiterer Quellengrundlage aufbauend in zahlreichen Details berichtigt und vertieft, an seinen Grundzügen jedoch festgehalten und diese so für lange Zeit auch festgeschrieben. Seinem Helden ist er damit in der Hauptsache sicher gerecht geworden - gerade deshalb kann man ihm aber einen Vorwurf nicht ersparen: Die krasse Unterbewertung der immerhin fünfundzwanzigjährigen Regierungszeit Ottokars in Österreich, die auch noch auf die Dar-

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Stellungen Hugo Hantschs und Erich Zöllners abfärbte, geht doch in erheblichem Maße auf sein Rudolfbild zurück. Die habsburgische Staatsideologie die nachweisbar seit den Tagen König Rudolfs auf die Negation des "ottokarischen Zwischenreiches" hinauslief1, hat so ein bemerkenswert zähes Leben gefristet und sichtlich auch noch der modernen Historiographie zu schaffen gemacht. Immerhin wurde das Gedenkjahr 1978 österreichischerseits Anlaß für eine Aufsatzsammlung, die eine Ehrenrettung des Premysliden brachte und deren Ergebnisse in einer neueren Monographie eine ansprechende Zusammenfassung gefunden haben2. Nach diesem kleinen Exkurs zurück zum eigentlichen Thema: Da Rudolf ein statum bonum veterem reformare - wie es im Landfrieden vom Dezember 1276 heißt3 - als Maxime an den Anfang seiner Tätigkeit als Sequester des Reiches in Österreich gestellt hat, wird man sich zunächst über das Wesen dieses Status klar werden und den Entwicklungsstand der Landesverfassung zu Ende der zweihundertsiebzigjährigen Regierung des babenbergischen Fürstenhauses skizzieren müssen. Im Anschluß daran ist der Frage nachzugehen, ob Ottokar in diese Verfassung ändernd eingegriffen hat und wenn, worin diese Änderungen bestanden haben. Eine weitere Bestandsaufnahme ist dann am Ausgang der ottokarischen Herrschaft vorzunehmen, da sich Rudolf eingestandenermaßen durch den damaligen Zustand der Verfassung zu Reformen veranlaßt sah. Die Vorstellung von der Verfassung des babenbergischen Österreich hat seit den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts die Ansicht einer Gelehrtengeneration dominiert, die diese gegenüber der bis dahin herrschenden Lehrmeinung als das Ergebnis "jüngerer landesgeschichtlicher Forschung" verstanden und abgegrenzt wissen wollte. Für diese Forschungsrichtung - ihre namhaftesten Vertreter waren Otto Stowasser, Ernst Klebel und Karl Lechner - war das Verhältnis zwischen Landesfürst 1 Seit 1277 hat König Rudolf so gut wie ausschließlich nur Privilegierungen der beiden letzten Babenberger bestätigt, wobei es offenbar gleichgültig war, ob solche tatsächlich vorgelegt oder deren Existenz nur behauptet wurde (etwa die angeblichen babenbergischen Stadtrechte für Laa a. d. Thaya: Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich = BUB Π, Nrr. 502, 523). 2 "Ottokar-Forschungen" = Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich NF 44/45, 1978/79. Der Band wurde zwar von E. Z ö l l n e r in der "Geschichte Österreichs" bis zur 7. Auflage nicht zur Kenntnis genommen (vgl. meine Rezension in den Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 40, 1987, S. 442ff.), erfreulicherweise aber von einem deutschen Historiker "entdeckt" und sachkundig verwertet: J.K. Η o e η s c h, Premysl Ottokar II. von Böhmen, Wien 1989. 3 E. S c h w i n d / A. D ο ρ s c h, Ausgewählte Urkunden zur Verfassungsgeschichte der deutsch-österreichischen Erblande im Mittelalter, Innsbruck 1895, S. 106, Nr. 52, Z. 23f.

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und Landesadel von permanenten Auseinandersetzungen geprägt, wobei es vornehmlich um Gerichtsrechte und hier vor allem wieder um die Hoch- oder Blutgerichtsbarkeit gegangen sein soll4. Allerdings war das nichts Neues, konnte man ähnliches doch auch schon bei Heinrich Brunner, Georg v. Below oder Alfons Dopsch, sogar griffig beschlagwortet als "Durchsetzung der Landeshoheit", lesen. Neu war allerdings die günstige Beurteilung, die die Verhaltensweisen des Adels bei dieser "jüngeren landesgeschichtlichen Forschung" fand. Man machte ihn geradezu zum Anwalt des Reichsgedankens und sah die durchaus nicht immer ganz selbstlosen Motive seines Verfassungskampfes in dieser höheren Zielsetzung gerechtfertigt. Schließlich war es ja auch der Landesfürst, der in seinem Streben nach Landeshoheit die Bindung an das Reich zunehmend zu lockern begann, wobei der innere Widerstand des Adels diesen Prozeß jedenfalls verlangsamen konnte. Auch nach außen hin bot sich der Adel als einzige Klammer zwischen dem Reich und dem wegtriftenden Herzogtum an, war er doch nach Meinung der "jüngeren landesgeschichtlichen Forschung" entweder reichsunmittelbar oder strebte wenigstens diese, den Intentionen des Landesfürsten zuwiderlaufende Rechtsstellung an5. Als seit den siebziger Jahren der Landesbegriff Otto Brunners in seiner ganzen Tragweite die längst fällige Rezeption zu finden begann, geriet diese, wie man wohl sagen darf "Konfliktstheorie" zwangsläufig in den Bereich der Kritik. Am schwersten wog dabei der Einwand, daß ein Land im Sinne der Definition Otto Brunners speziell in den Anfangsphasen seiner Entwicklung nur im Konsens, das heißt, als Interessensgemeinschaft von Landesfürst und Adel denkbar ist. Die von den Vertretern der "Konfliktstheorie" behaupteten nahezu anarchischen Zustände im Inneren, hätten dagegen niemals zur Entstehung des nach Brunner für das Land konstitutiven adeligen Personenverbandes mit monarchischer Spitze führen können - wie man denn auch, gleichsam als Bestätigung für das Gesagte, - die von der "jüngeren landesgeschichtlichen Forschung" postulierten Konflikte vor 1230 in den Quellen vergeblich suchen wird6. 4 Vgl. dazu jetzt M. W e 11 i n, Der Begriff des Landes bei Otto Brunner und seine Rezeption durch die verfassungsgeschichtliche Forschung, in: ZRG GA 107, 1990, S. 340-376. 5 Vgl. dazu K. L e c h n e r , Die Bildung des Territoriums und die Durchsetzung der Territorialhoheit im Raum des östlichen Osterreich, in: VF 14, 1971, S. 389-462, bes. 401 ff. 6 Grundlegend: F. R e i c h e r t , Landesherrschaft, Adel und Vogtei. Zur Vorgeschichte des spätmittelalterlichen Ständestaates im Herzogtum Österreich ( = Beihefte

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Einer ähnlichen Fehlbeurteilung war man dann auch in der Frage der Gerichtsbarkeitsübung erlegen, in der man, wie erwähnt, die Hauptursache für die angeblichen Auseinandersetzungen zwischen Landesfiirst und Adel gesehen hat. Neuere Untersuchungen entwarfen dagegen ein von diesen überkommenen Vorstellungen stark abweichendes Bild: Demnach waren die stützpunktartig über das Land verteilten adeligen Herrschaftszentren geradezu das Rückgrat der Gerichtsorganisation, und der jeweilige lokale Machthaber war - ohne dazu vom Landesfürsten autorisiert werden zu müssen - allein auf Grund dieser Tatsache zum Gerichtsherrn geworden. Der Landesfürst hat das auch mit jener Selbstverständlichkeit hingenommen, die allein noch bleibt, wenn sich einem keine Alternativen anbieten. Daran hat auch der berühmte Gerichtsbarkeitsparagraph des Privilegium minus nichts geändert, der vielleicht als Anspruch gedacht, bestenfalls ein in ferner Zukunft einzulösender Wechsel sein konnte7. Darüber hinaus wird man bei der Kritik der "Konfliktstheorie" ohnehin auch die Zeitumstände - es waren die der zwanziger und dreißiger Jahre, die auf sie abgefärbt haben - miteinbeziehen müssen. Man wird dann sehr schnell sehen, daß sie zum Teil durchaus bewußt zur historischen Untermauerung der "Anschlußideologie" herangezogen wurde, was ihren Wissenschaftlichkeitsanspruch zusätzlich problematisch erscheinen läßt8. Wie schon angedeutet: Mit einer Adelsopposition hatte sich erst Friedrich Π., der letzte Babenberger, auseinanderzusetzen. Über deren eigentliche Hintergründe sind wir jetzt durch die Forschungen Folker Reicherts gut unterrichtet, der zeigte, daß Herzog und Adel über der Nutzung der finanziellen Resourcen kirchlicher Institutionen zu Rivalen geworden waren. Der Landesfürst mußte alles daransetzen, daß sich in den Klöstern größere Reichtümer, vor allem an Bargeld, ansammelten, auf die er im Bedarfsfalle jederzeit zurückgreifen konnte und, wie wir wissen, auch zurückgegriffen hat. Diese, im größeren Rahmen der sogenannten "Entvogtung" laufende, pekuniäre Umschichtung, ging in erster zum Archiv für Kulturgeschichte 23), Köln/Wien 1985, 1. Teil: Adel und Landesherrschaft im Konflikt, S. 8-127. 7 Dazu M. W e 11 i n, Zur Entstehung der niederösterreichischen Landgerichte, in: "Babenberger-Forschungen" ( = Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich NF 42), 1976, S. 276-315; d e r s . , Die Anfänge des Landgerichts Korneuburg, in: Rund um den Bisamberg (hg. vom Museumsverein Lang-Enzersdorf) 5, 1988, S. 33-44. 8 Dazu M. W e 11 i n, Die Gedichte des sogenannten "Seifried Helbling" als Quelle für die Ständebildung in Osterreich, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich NF 50/51, 1984/85, S. 342, Anm. 17.

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Linie auf Kosten der mächtigsten Geschlechter des österreichischen Landesadels, da naturgemäß nur diese über ins Gewicht fallende Nutzungsrechte am Kirchengut verfügten. Bedrohlich wurde für den Herzog der darüber entstehende Konflikt allerdings erst, als der Adel die Unterstützung des Reiches suchte, wobei sich seine Interessen mit denen des Kaisers trafen9. Der Babenberger hat die Krise zuletzt doch mit Hilfe einer Gruppe weniger bedeutender Adeliger gemeistert, mit Leuten also, die nur in verschwindendem Maße von Vogteirechten profitierten und für die der Landesfürst deshalb auch kein Konkurrent sein konnte. Sie durften sich im Gegenteil im Falle einer Parteinahme für den Herzog dessen Dankbarkeit sicher sein, was gleichbedeutend war mit Machtzuwachs und sozialem Aufstieg10. 1246, nach Herzog Friedrichs Tod, haben sich diese beiden so verschiedenen Adelsgruppen - auf der einen Seite die schon seit dem 12. Jahrhundert etablierten Geschlechter, auf der anderen die erst im letzten Jahrzehnt als Nutznießer politischer Unruhezeiten emporgekommenen homines novi - notgedrungen zum weitgehend homogenen Stand des Landherrenadels zusammengeschlossen, der, zum alleinigen Repräsentanten des Landes geworden, sich in seinem Selbstverständnis mit diesem geradezu identifizierte. Mit diesen Landherren hatte sich jeder, der die babenbergische Nachfolge anstrebte, zu arrangieren, was jedenfalls auf eine Anerkennung ihrer in der herzoglosen Zeit auf Kosten von Kirche und Niederadel zur Führungsrolle gewachsenen Position innerhalb der Landesverfassung hinauslaufen mußte. Von allen Prätendenten war schließlich Ottokar bereit, diesen Preis zu bezahlen11, über dessen Höhe uns einzig Abt Hermann von Niederalteich durch die Aufnahme der ottokarischen sogenannten "Pax Austriaca" in sein berühmtes Notizbuch unterrichtet hat. Deren wohl 1254 promulgierten 31 Artikel sind lange Zeit als einseitiger Erlaß Ottokars interpretiert worden, sie enthält aber vom Artikel 13 ab ohne Zweifel das ausformulierte Ergebnis seiner Verhandlungen mit den österreichischen Landherren. Seine Zugeständnisse waren notgedrungen sehr weitgehend. De facto hat Ottokar nämlich einem Landherrenkollegium, 9 Dazu: F. H a u s m a n n , Kaiser Friedrich Π. und Österreich, in: VF 16, 1974, S. 225-308, bes. 249ff. 10 Belege bei: M. W e 11 i n, Landesherr und Landherren. Zur Herrschaft Ottokars Π. Premysl in Osterreich, in: "Ottokar-Forschungen" (wie Anm. 2), S. 163, Anm. 14, S. 165, Anm. 23, S. 206f„ Anm. 249. 11 In der Folge werden die Ergebnisse meiner in Anm. 10 zitierten Studie referiert.

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den consiliarii per Austriam und den sich personell aus diesem Kreise rekrutierenden iudices provinciales per Austriam, die Regierung in Österreich überlassen. Wie erinnerlich waren davon vor allem die Landesklöster betroffen, denen die "Pax Austriaca" das Forum der iudices provinciales zum Gerichtsstand bestimmte. Das aber war jedenfalls ein Rückschlag in den schon recht weit gediehenen klösterlichen Entvogtungsbestrebungen. Eine ähnliche Mediatisierung mußte sich dann auch jene breite Schicht ritterlich lebender Leute gefallen lassen, die nach 1246 die besitzmäßigen Normen für eine Aufnahme in den sich formierenden Herrenstand nicht erfüllen konnten und die damit auch rechtlich zum niederen Adel geworden sind. Dazu kam noch, daß sich Ottokar mit dem in den Jahren 1246 bis 1251 erneut gewachsenem Einfluß der Landherren in den Städten abfinden und zunächst auf den direkten Kontakt zu den dort vorhandenen und nach Autonomie strebenden bürgerlichen Gruppen verzichten mußte12. Es ist klar, daß Ottokar diese ihm aufgezwungenen Beschränkungen seiner Regierungstätigkeit nicht auf Dauer bestehen lassen konnte und wollte. Tatsächlich hat er dann seine Zugeständnisse von 1254 in den sechziger Jahren Schritt für Schritt zurückgenommen. Seit 1270 regierte er zusehends straffer über einige streng weisungsgebundene einheimische Vertrauensleute, die mehrheitlich nicht dem Landherrenstand angehörten. Als sich diese Maßnahme gegen den Widerstand der Landherren als ungenügend erwies, setzte er Statthalter und Militärkommandanten aus seinem böhmischen Königreich ein. Das lief, vor allem in der Steiermark, auf ein regelrechtes Besatzungsregime hinaus, das schließlich im Ausnahmezustand der Jahre 1274/75 eskalieren sollte. Die Landherren, die die Sistierung ihrer mit der Verfassung von 1254 erlangten Vorrechte mehr oder minder ohnmächtig hatten hinnehmen müssen, sahen nun mit der Königswahl Rudolfs ihre Zeit gekommen und haben jene mit entsprechender Freude begrüßt, durften sie doch - so das Chronicon Colmariense - hoffen, a regis Bohemie dominio befreit zu werden13. Rudolf stand auch schon bald - wahrscheinlich seit 1274 - in brieflichem Kontakt mit der Adelsopposition in den südostdeutschen Herzogtümern. Er hat auch 12 Dieser, von der niederösterreichischen Stadtgeschichtsforschung lange nicht wahrgenommene Prozeß findet sich erstmal dargestellt in: M. W e 11 i n, Die "Laaer Briefsammlung". Eine Quelle zur inneren Geschichte Österreichs unter Ottokar II. Premysl ( = Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 21), Wien-Köln-Graz 1975, S. 33ff., bes. 45ff. 13 MGH SS XVII, S. 245, Z. 30 (zu 1273).

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einige von Ottokar zur Flucht genötigte Landherren bei sich aufgenommen und von diesen sicher wertvolle Detailinformationen über die in Österreich und der Steiermark herrschende Stimmung erhalten. Derartiges mußte in ihm den Eindruck verstärken, daß ein Feldzug gegen den scheinbar so mächtigen Böhmenkönig ein durchaus kalkulierbares Risiko war. Darüber hinaus sind diese Exulanten Rudolf auch später noch recht wertvoll geblieben: So weiß etwa die dem österreichischen Kriegsschauplatz doch eher entfernter stehende Erfurter Chronistik von der Trauer des Königs über den Tod Wemhards von Wolkersdorf zu berichten, quia ìpsum de Reno ad Austriam duxerat, cum pre omnibus nota sibi esset via14. Aber auch die in Österreich verbliebenen Landherren hatten wesentlichen Anteil an der schnellen und nahezu unblutigen Beendigung des Feldzuges von 1276: Die Übergabe der Stadt Enns ist nach der Continuatio Vindobonensis durch den Landherrn Konrad von Sommerau erfolgt, die dann weiter berichtet, daß auch Ybbs und Tulln und die kleineren, an der Vormarschstraße Rudolfs gelegenen Städte dem König per alios ministeriales tradiert worden sind15. Redlich hat diese Annalenstelle ohne Zweifel falsch interpretiert wenn er schreibt: "Dem Beispiel von Enns folgten die nächsten Städte an Rudolfs Weg, namentlich Ybbs und Tulln, deren Bürger selber vor den König kamen und ihm in schneller Unterwürfigkeit die Huldigung leisteten"16. Es waren dies natürlich nicht die Bürger, sondern die Landherren, die, wie schon eingangs bei der Vorstellung der "Pax Austriaca" erwähnt, als sogenannte "Stadtministerialen" nach wie vor der bestimmende innerstädtische Machtfaktor waren und so dafür sorgen konnten, daß diese Großfestungen dem vorrückenden Reichsheer nicht zum Hindernis wurden. Wenn man bedenkt, daß Ottokar 1278 den vielleicht für den Ausgang des Krieges entscheidenden Zeitvorsprung gegenüber Rudolf bei der Belagerung der Städte Drosendorf und Laa einbüßte17, dann wird man die Verdienste der Landherren um den Habsburger wohl nicht zu gering veranschlagen dürfen. 14 MGH SS rer. Germ, in us. sch. 42, ed. O. H o l d e r - E g g e r , Hannover/Leipzig 1899, S. 281, Z. 9ff. 15 MGH SS IX, S. 708, Z. 12ff. 16 O. R e d l i c h , Rudolf von Habsburg. Das Deutsche Reich nach dem Untergange des alten Kaisertums, Innsbruck 1903, S. 276f. 17 H o e n s c h , Premysl (wie Anm. 2), S. 245. Die Begründung für dieses von Militärhistorikern stets kritisierten Vorgehens wird man wohl am ehesten in Ottokars Bestrebungen zu suchen haben, sich im Falle einer Niederlage Auffangplätze zu schaffen.

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Es wurde schon erwähnt, daß Rudolf dafür gewillt war, den Landherren eine Rechtsstellung innerhalb der Landesverfassung zuzugestehen, wie diese sie angeblich zur Babenbergerzeit innegehabt hatten, und es wurde zu zeigen versucht, worin diese tatsächlich bestanden hat. Was war aber jetzt, Jahrzehnte später, unter diesem status bonus vetus zu verstehen? Mit den Bestimmungen des Landfriedens von 1276 war er wohl kaum abzudecken, die, sichtlich aus einer Augenblickssituation heraus erlassen, doch nur als ein erster ordnender Maßnahmenkatalog zur Beendigung eines Ausnahmezustandes gedacht sein konnten. Im Landfrieden werden nun immer wieder das ius terre und die consuetudo terre approbate angeführt und zwar in einem Zusammenhang, der beide geradezu zum Kriterium für die wiederherzustellende "gute alte Verfassung" werden läßt. Das wird m.E. besonders im Artikel 5 deutlich, wo es heißt, daß alles, was per vim, metum et per impressionem des Böhmenkönigs und seiner Gefolgsleute geschah, ad statum debitum secundum ius et terre consuetudinem approbatam zurückzuführen ist18. Es war nicht zuletzt auch diese Stelle, die mich seinerzeit in der Ansicht bestärkte, daß die sogenannte "kürzere Fassung" des österreichischen Landrechts während Rudolfs Aufenthalt in Wien, und zwar im Zusammenwirken zwischen König und Landherren, gewiesen und aufgezeichnet wurde. Die daraufhin von mir vorgenommene Neudatierung beider Landrechtsfassungen zu 1278 und 1298 - in extenso erstmals in einem Vortrag der Reichenauer Apriltagung 1976 - ist, soviel ich sehe, günstig aufgenommen worden und hat darüber hinaus durch Othmar Hageneder in einem wesentlichen Detail eine zusätzliche Bestätigung erfahren19. In diesem Landrechtsweistum von 1278, das sich - auch das ist für Rechtstexte aus der Zeit von Rudolfs Statthalterschaft in Österreich charakteristisch - als recht nach gewonhait des landes bei herczog Leupolten von Osterreich ausgibt, wird nun aus dem Wortlaut einer Reihe von Artikeln ersichtlich, was man Rudolf damals alles als angeblich der "guten alten Verfassung" entsprechend einreden konnte und was er auch anzuerkennen bereit war: So in erster Linie wohl die Reichsunmittelbarkeit des österreichischen herrenständischen Adels mit den damit verbundenen Appellationsmöglichkeiten. Die Landherren konnten sich dabei sogar auf 18 S c h w i n d - D o p s c h (wie Anm. 3), S. 107, Z. 9ff. 19 M. W e 11 i n, Das österreichische Landrecht des 13. Jahrhunderts im Spiegel der Verfassungsentwicklung, in: VF 23, 1977, S. 381-424; O. H a g e n e d e r , Eine Marginalie zum österreichischen Landrecht des 13. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich NF 53, 1987, S. 83-90.

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einen Rechtsstandpunkt der staufischen Kanzlei berufen, den sie in der für ihre Zwecke relevanten Formulierung im sogenannten "Manifest" Kaiser Friedrichs Π. von 1236 fanden. Mit deren sinngemäßer Aufnahme in den Landrechtstext versuchten sie zu begründen, weshalb allein Kaiser und Reich für sie die letzte Urteilsinstanz sein mußten. Damit war nun erstmals die Reichsunmittelbarkeit schriftlich fixiert und die österreichischen Landherren vermochten mit ihren steirischen Standesgenossen gleichzuziehen, die diesbezüglich ja schon seit 1237 ein Schriftstück des letzten Stauferkaisers vorweisen konnten20. Evident wird dann auch, daß die Landherren Rechtseinrichtungen, die erst die chaotische Zeit des sogenannten "österreichischen Interregnums" der Jahre 1246 bis 1251 hervorgebracht hat, als durchaus den Verhältnissen der babenbergischen Landesverfassung entsprechend ausgaben. Das war etwa die Sprengelbildung bei den sogenannten "unteren Landgerichten", die das babenbergische Österreich noch nicht kannte. Dagegen haben in den Wirren nach dem Tod Herzog Friedrichs Π., wo es allein auf militärische Stützpunkte und die Zahl der ritterlichen Gefolgsleute ankam, die bedeutendsten Landherren jeweils im Bereich ihrer dichtesten Herrschaft aus eigener Machtvollkommenheit die alleinige Ausübung der Blutgerichtsbarkeit durchgesetzt21. Wie schon vorher Ottokar, so hat jetzt auch Rudolf das als vollendete Tatsache hingenommen und nicht etwa von seiner Blutbannleihe abhängig gemacht. Dementsprechend enthält das Landrechtsweistum auch nur Bestimmungen, die die Kompetenzen zwischen den "unteren Landgerichten" und den anderen mit ihnen konkurrierenden Gerichtsständen regeln. Das waren vor allem die Dorfgerichte22, die als eine Folge der Blutgerichtssprengelbildung seit der Mitte des 13. Jahrhunderts der Niedergerichtsorganisation im Herzogtum Österreich ihr eigenartiges Gepräge zu geben begannen. Dazu eine kurze Erklärung: Es war nicht zu verhindern, daß der umfangreiche und sich zumeist über das gesamte Land verteilende Streubesitz des Landherrenadels innerhalb eines oder mehrerer dieser neugebildeten Blutgerichtssprengel zu liegen kam, dessen Herren - es war ja stets ein Standesgenosse, der seinerseits in einem anderen Blutgerichtssprengel 20 Dazu: M. W e 11 i n, Die "Georgenberger Handfeste" und ihr Stellenwert in der Geschichte der Länder ob und unter der Enns, in: Mitteilungen des Museumvereines Lauriacum Enns NF 24, 1986, S. 55-64. Abweichend davon: H a g e n e d e r , Marginalie (wie Anm. 19), S. 85f. 21 Quellenbelege in meinen in Anm. 7 und 10 zitierten Arbeiten. 22 Dazu M. W e 11 i n, Das Dorfgericht und seine Bedeutung für die Entstehung der patrimonialen Märkte in Niederösterreich, in: NÖLA. Mitteilungen aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv 1, 1977, S. 47-59.

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dieselben Probleme hatte - man selten mehr als die bloße Auslieferung eines todeswürdigen Verbrechers zugestehen wollte. Das führte offenbar zu einer gegenseitigen stillschweigenden Anerkennung der Niedergerichtsrechte unter den Landherren, die so in einer alles in allem doch recht vereinheitlichten Form geradezu zur Pertinenz des herrenständischen Besitzes werden konnte. Auch das hat König Rudolf mit dem Artikel 46 des Landrechtsweistums als der babenbergischen Gerichtsverfassung entsprechend anerkannt - ob wissentlich oder nicht muß natürlich dahingestellt bleiben. Immerhin war die Niedergerichtsbarkeit des Adels damals durchaus noch keine Selbstverständlichkeit: in Baiem etwa bedurfte es diesbezüglich noch 1311 einer regelrechten Vereinbarung mit dem Landesfürsten23. Ebensowenig entsprach natürlich auch die in mehreren Landrechtsartikeln behauptete zeitliche und örtliche Fixierung des Landtaidings demnach sollte es alle sechs Wochen und zwar nur in Korneuburg, Tulln und Mautern tagen - den tatsächlichen Zuständen zur Zeit der babenbergischen Markgrafen und Herzoge. Das Landtaiding24, so jedenfalls der Quellenbefund, konnte grundsätzlich an beliebigen Orten abgehalten werden, vorausgesetzt, der Landesfürst war dort anwesend. Daß unter den späteren Babenbergern Wien zum häufig gewählten Taidingsort wurde, lag einfach am zunehmenden Residenzcharakter dieser Stadt. Diese Situation - ich darf an das früher Gesagte erinnern - änderte sich mit dem Herrschaftsantritt Ottokars völlig: Dieser betrachtete nämlich Prag als seine eigentliche Residenz und hielt sich in Wien eher sporadisch auf 25 . Die Regierung seines Herzogtums hat er, wie schon erwähnt, deshalb auch zunächst einem Landherrenkollegium überlassen. Dessen Mitglieder dachten allerdings damals nicht an einen ständigen Aufenthalt in Wien, da ihnen die Stadt in Ermangelung eines herzoglichen Hofes oder wenigstens eines Statthaltersitzes dazu keinen Anlaß bot26. Unter diesen Umständen waren die Reiselandrichter - was immer für sie auch zum Vorbild gedient haben mochte - in der Tat eine Einrichtung, der eine gewisse Effizienz in der Rechtssprechung kaum abzuerkennen war. Als dann Otto23 Dazu: E. W o h l h a u p t e r , Hoch- und Niedergericht in der mittelalterlichen Gerichtsverfassung Bayerns ( = Deutschrechtliche Beiträge XII/2, Heidelberg 1929, S. 30 Iff. 24 Die Quellenbelege dafür finden sich zusammengestellt in: NOLA. Mitteilungen aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv 7, 1983, S. 56ff. 25 Vgl. sein Itinerar beiJ. S e b á n e k / S . D u s k o v á , Das Urkundenwesen König Ottokars II. von Böhmen, in: Archiv für Diplomatik 15, 1969, S. 399ff. 26 Dazu: W e 11 i n, Seifried Helbling (wie Anm. 8), S. 366ff.

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kar 1270 das Landherrenkollegium endgültig entmachtete, hat das folgerichtig - beide Institutionen wurden ja von denselben Personen getragen auch zur Abschaffung der Reiselandrichter geführt27. Der älteren Forschung und mit ihr auch Redlich war das entgangen; sie hatte vielmehr sogar angenommen, Rudolf habe gerade diese, so Redlich, "wichtigste Einrichtung der ottokarischen Gerichtsverfassung" übernommen28. Abgesehen davon, daß die Quellen für diese Ansicht keinerlei Hinweise enthalten, widerspricht diese auch dem ausschließlichen Zweck der Reiselandrichter, der sich eben nur aus den speziellen Bedürfnissen einer landherrlichen Kollegialregierung erklären läßt. An die Einsetzung einer solchen hat Rudolf aber sicher niemals gedacht, vielmehr stand für ihn wohl von Anfang an fest, daß er den ehemals babenbergischen Ländern früher oder später einen eigenen Landesfürsten werde geben müssen. Was sich dagegen aus ottokarischer Spätzeit tatsächlich in die habsburgische Administration herüberretten konnte, war das Amt des "oberen Landrichters", des iudex generalis oder, wie es im Artikel 70 des Landrechtsweistums heißt, des Richters, "den der landesherr seczet an sein statt". Hierin gab es mit dem Landherrn Otto von Haslau, einem der engsten Mitarbeiter Ottokars auch noch in der Zeit nach 1270 sogar ein personelles Kontinuum, auf dessen mögliche Ursache später noch einzugehen sein wird. Ein solcher "oberer Landrichter", der nicht nur im Gericht sondern auch in der Funktion eines Statthalters den abwesenden Landesfürsten vertreten konnte, entsprach offenbar Rudolfs Intentionen. Seine Installierung lag aber ebenso im Interesse der Landherren, die hier einen Standesgenossen in einflußreicher Position wußten. Allerdings dürfte ihnen auch klar gewesen sein, daß dieses mit dem herzoglichen Hof verbundene Amt zwangsläufig die landesfürstlichen Zentralisierungsbestrebungen zu fördern geeignet war. Die Aufnahme von Korneuburg, Tulln und Mautem als angeblich der "guten alten Verfassung" entsprechende Taidingsorte in das Landrechtsweistum, sollte dieser befürchteten Entwicklung wohl gegensteuern und ein gewisses Maß der unter Ottokar zunächst besessenen herrenständischen Unabhängigkeit retten helfen. Die Landherren haben die günstige Position, in der sie sich gegenüber den ihnen verpflichteten Rudolf ohnehin wußten, noch weiter genützt und 27 Dazu: W e 11 i n, Landesherr (wie Anm. 10), S. 210. 28 w i e Anm. 16, S. 349f. A. D ο ρ s c h, Zur Geschichte der Finanzverwaltung Österreichs im 13. Jh., in: ders., Gesammelte Aufsätze 1 (hg. von E. Patzelt), Wien 1928, S. 458, wollte Gozzo von Krems auch noch unter Rudolf als Landschreiber eingesetzt wissen. Das beruht allerdings auf einem Lesefehler: In der Urkunde heißt es richtig 1273 und nicht, wie Dopsch meinte, 1278!

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Mitregierungsrechte in das Landrechtsweistum reklamiert, wie sie ihnen zwar in der "Pax Austriaca", jedoch keinesfalls unter den Babenbergern und schon gar nicht in den letzten Herrschaftsjahren Ottokars zugekommen waren. Das wird m. E. etwa am Landrechtsartikel 15 ersichtlich, der die Regelung der inquisicio vulgaris, der sogenannten "Landfrage" zum Inhalt hat. Diese wird erstmals in der "Pax Austriaca" erwähnt, war also offensichtlich von Ottokar und dem Landherrenkollegium als brauchbares Mittel zur Verbrechensbekämpfung angesehen worden. Die Häufigkeit und Art ihrer Anwendung lag im freien Ermessen der Reiserichter, was in dem lapidaren Satz: Die lantrihter suln vrag haben schedelicher leute; und swer ubersagt wird, über den sol man rihten als reht ist29 auch gut zum Ausdruck kommt. Wie die "Landfrage" ab 1270, nach dem Wegfall des Reiserichtertums, gehandhabt wurde, läßt sich aus Mangel an einschlägigen Quellen nicht bestimmt sagen. Möglicherweise hat sich Ottokar ihrer aber bei der Bekämpfung der wachsenden Adelsopposition - contra pads et patrie turbatores, wie es später in diesem Zusammenhang in einer Urkunde heißen sollte30 - bedient, so daß die Erfahrungen, die damals die Landherren mit der "Landfrage" machten, keine guten gewesen sein dürften. Nur so läßt sich nämlich erklären, daß man bei der Landrechtsweisung diese zwar nicht babenbergische, im Prinzip aber als brauchbar erkannte Einrichtung in den Text aufnahm, diesen dabei aber mit recht vielsagenden Kautelen versah31. So soll der Landesfürst grundsätzlich keine "Landfrage" abhalten dürfen, da für Klagen jedweder Art ohnehin das Landtaiding zuständig ist. Eine frag auf schedleich leut, davon das Land gerainigt werde, kann er allerdings veranlassen, doch nur nach öffentlicher Kundmachung und zu bestimmten Terminen und - was auf eine regelrechte Beschneidung seiner Regierungsrechte hinausläuft - nach rat der herren in dem lande, das heißt, mit deren Einwilligung. Eine ähnlich restriktive Bestimmung enthält dann auch der Landrechtsartikel 67, der sich ausführlich mit Wehrbauten beschäftigt, von denen aus dem lande schaden geschech. War eine solche Burg von einem Aufgebot unter der Führung des "oberen Landrichters" zerstört worden, dann sollte der landesherre das haus nimmer mer erlauben ze pauen, es geschech dann nach der landherren rat. Noch im Landfrieden von 1276 war davon keine Rede, da hatte sich Rudolf die Entscheidung über die 29 30 31

MGH Const. Π, S. 608. Monumenta histórica ducatus Carinthiae V, Klagenfurt 1956, S. 237, Ζ. 24. Dazu: W e 11 i η, Landrecht (wie Anm. 19), S. 403f.

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Wiedererrichtung einer rechtmäßig zerstörten Burg vorbehalten und einfach angeordnet: Castra vero et municiones, que per sentenciam et iuris ordinem sunt destructa, reedificari nullatenus permittimus sine nostra licencia speciali?2. Ob Rudolf bei alledem wirklich der Meinung war, mit diesen doch problematischen Landrechtsbestimmungen der "guten alten babenbergischen Verfassung" zu entsprechen, oder ob er sehr wohl wußte, daß er damit nur eine im Jahre der Entscheidungsschlacht zwangsläufig gewachsene Schuld beglich, muß natürlich offen bleiben. Tatsache ist jedenfalls, daß das von Ottokar ausgeschaltete Landherrenkollegium, die consiliarii Austrie, von Rudolf wieder ins Leben gerufen wurde33 und es so seinem Sohn überlassen blieb, sich dieser lästigen Einrichtung zu entledigen. Dieses, dem künftigen Herzog notgedrungen geschaffene Präjudiz, hat Rudolf aber zum Teil wieder wettmachen können, indem er dessen Landesfürstentum auf rechtlich unanfechtbare materielle Grundlagen stellte. Schon Ottokar hatte sich um die möglichst ungeschmälerte Übernahme des babenbergischen Kammergutes bemüht34, das während des "österreichischen Interregnums" dem Zugriff der verschiedenen Prätendenten, aber auch dem einzelner Landherren ausgesetzt war. Der letztere Umstand scheint aber zum Anlaß für den Artikel 21 der "Pax Austriaca" geworden zu sein, in dem Ottokar, sicher mit Zustimmung der Landherren, festhält, daz man allez daz guet daz uns ze reht angehöret, daz wir niht geben oder verlehent haben, uns lazze mit gemache35. Er hat auch in dem durch den Frieden von Ofen neu zum Herzogtum gekommenen obderennsischen Gebietsteilen umfangreiche Urbaraufzeichnungen anlegen sowie ihm sinnvoll erscheinende Änderungen in der Ämterorganisation durchführen lassen36, Revindikationen allerdings werden weder damals noch später vorgenommen. Im Gegensatz zu Rudolf hatte es Ottokar dabei aber entschieden leichter, da er Besitzansprüche von Mitgliedern oder Verwandten des babenbergischen Fürstenhauses einfach ignorieren konnte. Auch die Kirchenlehen, die etwa ein Drittel des gesamten Kam32 S c h w i n d / D o p s c h , Ausgewählte Urkunden (wie Anm. 3), S. 108, Z. 21ff. Dazu jetzt auch: F. R e i c h e r t , Grundlagen und Entstehung des landesfürstlichen Befestigungsregals im Herzogtum Osterreich, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich NF 48/49, 1982/83, S. 1-9. 33 Dazu: W e 11 i n: Landesherr (wie Anm. 10), S. 221. 34 Quellenbelege: Ebd. S. 168ff. 35 Wie Anm. 29, S. 607. 36 Dazu: M. W e 11 i n, Kammergut und Territorium. Die Herrschaft Steyr als Beispiel landesfürstlicher Verwaltungsorganisation im 13. und 14. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26, 1973, S. 1-55, bes. 18ff.

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mergutes ausmachten, hat er ohne eigentliche substantielle Einbußen erlangt, sieht man von der Anerkennung eines ihm von Passau vorgelegten fragwürdigen Lehensbekenntnis Herzog Friedrichs und dem Verzicht auf unbedeutende Vogteirechte einmal ab37. Rudolf hat sich in diesem so wichtigen Punkt scheinbar peinlich genau an den Rechtsweg gehalten. Ze Ostereich in dem lande, da wir ze gerichte sazzen, erinnert sich der König 128838, sei eine Sentenz der Reichsfürsten und Landherren ergangen, daß er oder deijenige, den er den Ländern Österreich und Steiermark zum Herren geben werde, sich underwinden selde alles des gutes, des hertzog Vriderich von Ostereich und von Steyer bei seinen leben in sein gewalt und seiner gewer unz an sinen tot hett bracht, ez weren bürge oder dorfer oder swi ez wer genannt. Allerdings - und das war eine sehr wesentliche Einschränkung sollten Rudolf oder der neue Herzog da von zeitleich reht tun, swer auf daz selbe gut icht ze sprechen hat. Mit Hilfe der Landherren hat Rudolf das darf vorwegnehmend gesagt werden - die fatale Schlußklausel der Sentenz paralysiert, allerdings ohne dabei den Weg des Rechtes zu verlassen. Über den Vorgang selbst - sieht man von einigen doch zu allgemein gehaltenen Versen des Reimchronisten ab - gibt es keine erzählenden Berichte. Er muß deshalb auch aus dem schriftlichen Niederschlag der Maßnahmen des Königs, der Rektifizierung des landesfürstlichen Urbars vor allem aber dem sogenannten "Landbuch von Österreich und Steier" erschlossen werden. Was das Urbar betrifft, so waren aus babenbergischer Zeit, genauer vom Anfang des 13. Jahrhunderts, einschlägige Aufzeichnungen vorhanden39. Diese erhielten aber - was von der landesgeschichtlichen Forschung lange genug übersehen wurde - keineswegs den babenbergischen Gesamtbesitz, sondern nur ein allerdings sehr großes officium, das sogenannte Hubamt im Marchfeld, dem anscheinend die Versorgung des herzoglichen Hofes oblag. Daran hatte man in der chronologischen Reihenfolge ihres Anfalls diejenigen Einkünfte eingetragen, die der Herzog beim Aussterben von Grafen-, Edelfreien- oder Ministerialengeschlechtern gegen die Konkurrenz anderweitiger Erbberechtigter eben noch hatte ans Kammergut ziehen können. 37 So schon J. S t r η a d t, Die Geburt des Landes ob der Enns. Eine rechtshistorische Untersuchung über die Devolution des Landes ob der Enns an Osterreich, Linz 1886, S. 55f. 38 MGH Const. ΠΙ, S. 406, Nr. 412. 39 Edition: A. D ο ρ s c h, Die landesfürstlichen Urbare Nieder- und Oberösterreichs aus dem 13. und 14. Jahrhundert, Wien/Leipzig 1904, Einleitung S. 35ff.

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Diese Aufzeichnungen waren also genaugenommen nur Einkünfteregister von Teilen des babenbergischen Grundbesitzes, deren an sich schon geringe Übersichtlichkeit dadurch zusätzlich gemindert wurde, daß sich darunter auch die redditus aus den Kirchenlehen, und zwar ohne als solche gekennzeichnet zu sein, befanden. Keinerlei Unterlagen gab es über die sogenannten officia magna, also die Einnahmen aus der Münze, den Mauten und den herzoglichen Landgerichten. Ottokar hatte sich hierin mit Pauschalbeträgen begnügt, die ihm zuerst das Landherrenkollegium und später Finanzleute wie Gozzo von Krems, Paltram von Wien und Konr^d von Tulln als Generalpächter vorstreckten40, denen damit offenbar auch das Wissen um die einzelnen Einnahmequellen überlassen blieb. Zu allem Überfluß fehlte auch eine Auflistung der landesfürstlichen Burgen, denen als organisatorischer Mittelpunkt des Kammergutes eine über die Wehrfunktion hinausgehende Bedeutung zukam. Rudolf hat nun in dieses teils in konfuser Schriftlichkeit, teils überhaupt nur in den Köpfen einiger Insider vorhandene Wissen um den ihm sententialiter zugesprochenen babenbergischen Besitz nicht nur Ordnung gebracht, sondern diesen gleichzeitig vor zu erwartenden Ansprüchen von Drittpersonen zu sichern gewußt. Dabei war ihm die Hilfe der Landherren unentbehrlich, denn allein in diesen Kreisen dürfte man über Generationen die Kenntnis von den großen Besitzverschiebungen, unter anderem auch im Herzogshaus, die ja stets Änderungen der Machtverhältnisse mit sich brachten, bewahrt und mündlich tradiert haben. Dank seiner Konzilianz bei der Wiederherstellung der "guten alten Verfassung" durfte der König mit dem Mitwirken der Landherrn bei Rekonstruktion des nicht aus den urbariellen Aufzeichnungen ersichtlich werdenden babenbergischen Kammergutes rechnen, und er hat auch geradezu die Genesis desselben mitgeteilt erhalten. Das schriftliche Ergebnis dieser, man ist versucht zu sagen, ersten landesgeschichtlichen Bemühungen von Herrenstandsmitgliedern - so gesehen gute dreihundert Jahre vor Reichart Streun und Job Hartmann Enenkel41 -, ist meines Erachtens das schon erwähnte "Landbuch von Österreich und Steier". Es gibt, mit Ausnahme vielleicht des "Breve chronicon Mellicense" und Bischof Ottos Bericht von den "drei Grafschaften", keine Quelle für 40 W e l t in, Kammergut (wie Anra. 36), S. 24ff.; dazu jetzt auch K. L o h r m a n n , Judenrecht und Judenpolitik im mittelalterlichen Osterreich ( = Handbuch zur Geschichte der Juden in Österreich Reihe B, Bd. 1), Wien/Köln 1990, S. 85ff. 41 Dazu: A. C o r e t h, Osterreichische Geschichtsschreibung in der Barockzeit (1620-1740) ( = Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 37), Wien 1950, S. 122ff.

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die Geschichte der Babenbergerzeit, die bei der österreichischen Mediävistik mehr Unheil angerichtet hat, als das "Landbuch". Wenn es Alphons Lhotsky in seiner "Quellenkunde" als eine "eigenartige historisch-topographische Übersicht des Besitzstandes der Babenberger" bezeichnet42, dann verrät gerade das Adjektiv "eigenartig", wie wenig man im Grunde mit seinem Inhalt anzufangen wußte. Josef Lampel, der verdiente Herausgeber des "Landbuches"43, hat ihm mehrere hundert Seiten begleitender Studien gewidmet, ohne sich darin auch nur einmal die Frage nach seinem Entstehungsgrund zu stellen. Dementsprechend hat er die Kompilation auch in die letzten Regierungsjahre Herzog Friedrichs Π. datiert und das vor allem mit einer Landbuchstelle begründet, in der in subjektiver Form von mins herrn ên die Rede ist. Da mit dem ên, so Lampel, zweifellos Herzog Leopold V. gemeint sei, so könne das nur ein Mitglied der Kanzlei des letzten Babenbergers geschrieben haben. Dieser Schluß ist nun aber keineswegs so zwingend, wie es zunächst den Anschein haben könnte. Vor allem wird man nämlich nur schwer eine Erklärung für die Grundtendenz des "Landbuches", das ist der Nachweis des rechtlich einwandfreien Besitzerwerbs durch die Babenberger, finden, den Herzog Friedrich bei allen seinen sonstigen Querelen mit Kaiser und Adel denn doch nicht hätte erbringen müssen. Mit mehr Wahrscheinlichkeit liegt hier lediglich die persönliche Äußerung eines an der Landbuchredaktion Beteiligten vor, bei der - wie dies übrigens auch bei der Aufzeichnung des Landrechts geschehen ist - offenbar vergessen wurde, sie dem sonst durchweg objektiv gehaltenen Text anzugleichen. Darüber hinaus läßt sich an diese für die Datierungsfrage des "Landbuchs" scheinbar so wichtigen Stelle noch eine weitere Beobachtung knüpfen: Das dominus meus kam, das läßt sich anhand zahlreicher Urkunden belegen, zwar dem ministerialis ducis, dem späteren Landherren, als Bezeichnung für den Herzog zu44, wohl kaum aber dem subalternen Kanzleibeamten, an den Lampel dachte, dem das Abstand wahrende dominus dux vorbehalten blieb45. So gesehen scheint es also gut möglich, 42 A. L h o t s k y , Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs ( = MIÖG Erg.Bd. 19), 1963, S. 272. 43 Als Anhang zu Jansen Enikels "Weltchronik" und "Fürstenbuch" in: MGH Dt. Chr. m , S. 687ff. 44 S c h w i n d / D o p s c h , Ausgewählte Urkunden (wie Anm. 3), S. 136, Nr. 69: Die österreichischen und steirischen Landherren, durchweg Ministerialen, nennen König Rudolf dominus noster, ebenso im sogenannten "Reuner Schwur" a.a.O. S. 105, Nr. 51. 45 O. H. S t o w a s s e r, Die österreichischen Kanzleibücher vornehmlich des 14. Jahrhunderts und das Aufkommen der Kanzleivermerke, in: MIÖG 35, 1914, S. 707ff.

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daß im "Landbuch" ein Landherr vor Rudolf aus der Erinnerung von Herzog Friedrich spricht. Es müßte dies freilich ein Mann aus der engsten Umgebung des letzten Babenbergers gewesen sein, was die Zahl der dabei in Frage kommenden Personen allein altersbedingt erheblich einschränkt. Genaugenommen käme ohnehin nur der schon erwähnte und nachweisbar ungewöhnlich langlebige Otto von Haslau - 1279 soll er in Anwesenheit König Rudolfs als iam centenarius et ultra mit dem Sohn seines Großneffen ein hastiludium exerziert haben - in Frage. Er gehörte zwar durchaus nicht zu den mächtigsten österreichischen Landherren, bekleidete unter Ottokar aber, wohl auf Grund seiner Kenntnis und seiner beträchtlichen Erfahrung, wichtigste Ämter, darunter nach 1270 das eines de facto Statthalters. Als solcher ist er dem Böhmenkönig bis in den Herbst 1276 treu geblieben und hat sich im Gegensatz zum Großteil seiner Standesgenossen um Rudolf in keiner Weise verdient gemacht. Dennoch übertrug ihm dieser schon 1277 das Amt eines iudex Austrie generalis, das heißt, er machte ihn zu seinem Stellvertreter beim Land- und Hoftaiding. Man wird das unter anderem auch so erklären dürfen, daß sich Rudolf neben der enormen Verwaltungspraxis auch das fraglos vorhandene Wissen des Haslauers um den Besitz der babenbergischen Herzoge sichern wollte46. Doch, wie dem auch sei: Über diese Vermutungen hinausgehend gibt es noch ein starkes Argument für die Annahme, daß das "Landbuch" in die Reihe der Maßnahmen gestellt werden muß, mit denen Rudolf die Herrschaftsübernahme durch seine Söhne vorbereitet hat: Der das Herzogtum Österreich betreffende Teil des "Landbuchs" stellt einleitend eine Grenzbeschreibung desselben voran, die, mit Weglassung des später hinzukommenden Mondseelandes und des Innviertels, im großen ganzen den heutigen Landesgrenzen von Ober- und Niederösterreich entspricht. Allerdings mit einer merkwürdigen Ausnahme: In der Nordostecke Niederösterreichs folgt die Grenzziehung dem gesamten Lauf der Thaya über mährisches Gebiet, was unter den Babenbergern zu keiner Zeit der Fall gewesen ist47. Des Räteis Lösung findet sich im Wortlaut der wechselseitigen Friedensverträge vom 6. Mai 1277, in denen sich größere Ab46 Auf die offenbar auch Herzog Friedrich Π. 1239/40 nicht verzichten konnte, obwohl der Haslauer ein Parteigänger des Kaisers war; vgl. dazu: NOLA. Mitteilungen aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv 10, 1986/87, S. 79ff. 47 Die Thaya galt schon seit der zweiten Hälfte des 11. Jh.s als unbestrittene Landesgrenze; vgl. Cosmas von Prag (MGH Script, rerum Germanicarum NS 2, Π/35): Cum enim utrarumque provinciarum términos non silva, non montes, non aliqua obstáculo dirimant, sed rívulus nomine Dia ...

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schnitte mit der Grenzfrage beschäftigen48. Die Könige sagen einander nämlich zu, die Grenzen Böhmens, Mährens und Österreichs wieder in den Zustand zurückzuversetzen, in dem sich diese während der Regierung der Herzoge Leopold und Friedrich beziehungsweise der Vorgänger Ottokars als böhmischer König und mährischer Markgraf befunden haben. Damit verbunden war dann auch die Rückgabe von Städten, Burgen und Herrschaften, die die Anhänger Rudolfs und Ottokars jeweils im gegnerischen Machtbereich besetzt hielten. Excepto dumtaxat Nicolspurch, heißt es da allerdings, in cuius possessione Fridericus de Liehtenstain, cuius feudum esse dinoscitur, permanebit paciflce et quiete. Diese mährische Herrschaft Nikolsburg, die in der Hand eines österreichischen Landherrn verbleiben sollte, war allerdings erst 1249, also drei Jahre nach Herzog Friedrichs Tod, von Ottokar - damals noch Markgraf von Mähren - an Friedrichs Vater Heinrich von Liechtenstein zu Lehen vergeben worden49. Der Umfang dieser Herrschaft Nikolsburg deckte sich aber weitgehend mit jenem mährischen Gebietsteil, der sich im "Landbuch" durch die eigenwillige Grenzziehung zum Herzogtum Österreich geschlagen findet. Damit dürfte wohl kaum mehr zu bezweifeln sein, daß das "Landbuch" während König Rudolfs Aufenthalt in Wien zusammengestellt worden ist, und es kann auf seinen in unserem Zusammenhang wesentlichen Inhalt eingegangen werden. Unmittelbar an die soeben besprochene Grenzbeschreibung folgt die Auflistung der Lehen des österreichischen Herzogs von den bairischen Hochkirchen in Form von durch Eckpunkte und Richtungsangaben begrenzten riesigen Gebietsblöcken. Diese sogenannten drei Regensburger Luze haben nach den Angaben des "Landbuches" zusammen mit dem Passauer Luz und den ausgedehnten freisingischen Kirchenlehen im Marchfeld mehr als ein Drittel der Gesamtfläche des Herzogtums umfaßt. Das hat man unverständlicherweise auch noch in neueren Untersuchungen für bare Münze genommen50 und daraus unter anderem auch die angeblichen Besonderheiten der österreichischen Ständebildung erklären wollen. In Wirklichkeit ist natürlich nur gemeint, daß sich innerhalb der so abgesteckten Räume die Masse der Kirchenlehen verteilte, die, wie erinnerlich, zwar in den babenbergischen Urbar48 MGH Const. III, S. 124, Z. 29ff. 49 Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae IV/1, S. 285f., Nr. 174 (1249 XI 17, Brünn). 50 So vor allem M. M i 11 e r a u e r, Formen adeliger Herrschaftsbildung im hochmittelalterlichen Osterreich. Zur Frage der "autogenen Hoheitsrechte", in: MIÖG 80, 1972, S. 265-338.

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aufzeichnungen enthalten waren, allerdings ohne eben als solche gekennzeichnet zu sein. Diese Kirchenlehen betrachteten die bairischen Hochstifter post remotionem illustris principis Ottakari Boemorum regis et ipsius voluntariam cessionem auf die ehemals babenbergischen Länder als heimgefallen, und obwohl etwa Bischof Petrus von Passau Rudolf zugestand, er habe sein Bistum de iugo pessime servitutis befreit und wieder ad culmen prìstine libertatis zurückgeführt51, war der Preis, den der König für die Überlassung der Kirchenlehen bezahlen mußte beträchtlich. Man nützte eben die dann ja auch in der Tat nie mehr wiederkehrende Gelegenheit, Teile des genaugenommen schon säkularisierten Kirchenbesitzes, denn etwas anderes sind diese Lehen ja nicht gewesen, zu dominikalisieren52. Passau hat so den Markt und damals noch wichtigen Donauhafen Trübensee zurückerhalten und darüber hinaus für seine Städte und Herrschaften St. Pölten, Mautern, Zeiselmauer und Königstetten durch königliche Bannleihe die Blutgerichtsbarkeit erlangt. Freising erreichte dasselbe für Waidhofen, Ulmerfeld und Großenzersdorf und konnte zusätzlich das ihm schon in den Wirren des Investiturstreits entfremdete und später zum landesfürstlichen Lehen gewordene Probstdorf dominikalisieren53. In Anbetracht solcher Vorteile fiel es den Bistümern nicht schwer, Rudolfs außerordentlicher Grundsteuereinhebung vom kirchlichen Dominikalbesitz zuzustimmen, die 1277 bekanntlich der österreichischen Klosterannalistik zu drastischen Äußerungen Anlaß gegeben hat. Redlich meinte übrigens, daß von dieser Steuer auch der Besitz und die Grundholden des Adels erfaßt worden wären, was sicher nicht zutrifft, da dieser sogar seinen Rustikalbesitz erst im 16. Jahrhundert durch Selbstfatierung hat besteuern lassen54. Der Schadlosrevers, den Rudolf den Bischöfen ausstellte, sagt ja auch deutlich, daß die Steuer nur tarn de bonis ipsorum dominicalibus, quam de prediis monasteriorum et ecclesiarum eorum iurisdictioni eingehoben worden war55. 51 S c h w i n d / D o p s c h , Ausgewählte Urkunden (wie Anm. 3), S. 117, Nr. 56, Z. 20ff. (1277 XI 24, Wiener Neustadt). 52 Dazu M. W e 11 i n, Die Entstehung der freisingischen Herrschaft Groß-Enzersdorf, in: Hochstift Freising. Beiträge zur Besitzgeschichte (hg. von H. Glaser), München 1990, S. 271-285, bes. 282f. 53 Ebd. 54 Wie Anm. 16, S. 342. Zur Besteuerung des Adels im 16. Jh. vgl. S. P e t r i n , Zum System der Gültbesteuerung in Niederösterreich, in: Unsere Heimat. Zeitschrift des Vereins für Landeskunde von Niederösterreich 43, 1972, S. 177ff. 55 S c h w i n d / D o p s c h , Ausgewählte Urkunden (wie Anm. 3), S. I l l , Nr. 54, Z. 24f.

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Nach dem Abschnitt über die Kirchenlehen folgt der Teil des "Landbuchs", auf den es Rudolf wohl vor allem ankam, da er damit die ergänzenden Informationen zu den unvollständigen babenbergischen Urbaraufzeichnungen geboten erhielt. Es ging dabei um die großen Herrschaften, beziehungsweise, wie es im "Landbuch" heißt, "Grafschaften" mit ihren Städten und Burgen und den damit verbundenen Gerechtsamen, wobei in allen Fällen der rechtmäßige Erwerb durch die Babenberger sei es durch Heimfall, Kauf, Tausch oder Erbschaft - nachgewiesen wurde56. Rudolfs Versuch, durch die Herstellung einer schwer anfechtbaren Rechtslage die ihm in der "Sentencia de bonis ducum Austrie vacantibus" auferlegte Bedingung gar nicht erst wirksam werden zu lassen, war offensichtlich von Erfolg gekrönt. In den Quellen findet sich jedenfalls kein Hinweis, daß, von wem auch immer, Ansprüche auf babenbergischen Besitz erhoben worden wären. Denn im Fall des Grafen Ulrich von Heunburg und seiner Gattin Agnes, die 1279 von Rudolf die Grafschaft Pernegg und die Stadt Drosendorf forderten, liegen die Dinge insofern anders, als Agnes die Großnichte Herzog Friedrichs und somit eine Babenbergerin gewesen ist57. Es ist bekannt, daß Rudolf allzuviel von diesen so umsichtig zusammengebrachten babenbergischen Gütern aus politisch motivierter Rücksichtnahme sofort wieder aus der Hand gegeben hat - deshalb ist etwa der Burggraf von Nürnberg zu seinen österreichischen Besitzungen gekommen, die als quasiexterritoriale sogenannte "brandenburgische Lehen" den Habsburgern noch lange unbequem geblieben sind58. Rudolf hat sich auch, von chronischem Geldmangel gezwungen, zu der äußerst ungünstigen Generalverpachtung der Kammergutseinnahmen entschließen müssen, die lediglich den Pächter, es war Konrad von Tulln, noch reicher gemacht hat59. Bei alledem bleibt aber das Verdienst unbestritten, daß es der Habsburger gewesen ist, der dafür sorgte, daß überhaupt etwas zum Vergeben, Verleihen und Verpachten vorhanden war! Ich komme zum Schluß und fasse die Punkte, auf die es mir vor allem ankam, kurz zusammen: Durch die recht hohe Wahrscheinlichkeit, daß neben der "kürzeren Fassung" des österreichischen Landrechts auch 56 Wie Anm. 43. 57 Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger II, S. 333ff., Nr. 466. 58 Dazu: K. L e c h η e r, Ursprung und erste Anfange der burggräflich-nürnbergischen (später brandenburgischen) Lehen in Österreich, in: Mitteldeutsche Forschungen 74/1, Köln/Wien 1973, S. 286-332. 59 Dazu ist die in Anm. 36 zitierte Arbeit zu vergleichen.

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das bisher stets in die Babenbergerzeit datierte "Landbuch von Österreich und Steier" dem Zusammenwirken zwischen Rudolf und den Landherren seine Entstehung verdankt, konnte der Stellenwert dieser für die Geschichte des österreichischen Mittelalters wichtigen Quelle wohl zutreffender als bisher bestimmt werden. Der vermutete Entstehungsgrund des "Landbuchs" ließ dann wieder den Schluß auf die Hintergründe des von Rudolf den Landherren erwiesenen Entgegenkommens zu, das in der Anerkennung der während des "österreichischen Interregnums" von diesen arrogierten Vorrechten gipfelte und erheblich über eine vertretbare Entschädigung für militärische Dienste hinausging. So gesehen war das Ergebnis des Zusammenwirkens sowohl für den König, aber auch, wie sich zeigen sollte, für die Landherren zwiespältig: Denn der im Landrecht von nun ab mit der Einwilligung Rudolfs schriftlich festgehaltene Abschluß des Standes der Landherren gegenüber dem Niederadel dürfte diesen zu einer analogen Organisationsform veranlaßt haben. Es muß dies noch während Rudolfs Aufenthalt in Österreich geschehen sein, da sein Landfriede von 1281 unter anderem auch von den rittern und knappen von dem lande ze Osterrich bestätigt wird. Dieser neuformierte Ritterstand aber war es, dem Herzog Albrecht seinen Sieg in dem in den neunziger Jahren ausbrechenden Verfassungskampf mit den Landherren verdankte aber das wäre schon das Thema eines eigenen Referats60·

60 Siehe dazu: W e l t in, Landesherr (wie Anm. 10), S. 215ff., und d e r s . Seifried Helbling (wie Anm. 8), S. 348ff., 410ff.

Königslandschaft, Herzogtum oder fürstlicher Territorialstaat: Zu den Zielen und Ergebnissen der Territorialpolitik Rudolfs von Habsburg im schwäbisch-nordschweizerischen Raum1 Von Franz Quarthai Das Ziel der heutigen Tagung ist es, anläßlich der 700. Wiederkehr des Todestages König Rudolfs von Habsburg, einem der populärsten Könige in der deutschen Geschichte, zu untersuchen, inwieweit seine Regierung einen Epocheneinschnitt darstellte. Dabei ist nach den Traditionen zu fragen, in denen der Habsburger stand, sowie nach den Innovationen, die er einleitete. Daß Rudolfs Regierungsantritt einen epochalen Einschnitt bedeutete, ist sogar eher historisches Allgemeinwissen, als daß es bewiesen werden müßte. Es erübrigt sich fast, die noch heute zum Bildungskanon zählenden Verse Schillers zu zitieren: "Laut mischte sich in der Posaunen Ton Das jauchzende Rufen der Menge. 1 Die Vortragsform des Beitrages wurde beibehalten. Zur allgemeinen Literatur vgl. O. R e d l i c h , Rudolf von Habsburg. Das Deutsche Reich nach dem Untergang des alten Kaisertums, Innsbruck 1903 [ND Aalen 1965]; H.E. F e i n e , Die Territorialbildung der Habsburger im deutschen Südwesten vornehmlich im späten Mittelalter, in: ders., Territorium und Gericht. Studien zur süddeutschen Rechtsgeschichte. Hrsg. v. F. Merzbacher, Aalen 1978, S. 103-235; W. M e y e r , Die Verwaltungsorganisation des Reiches und des Hauses Habsburg-Osterreich im Gebiete der Ostschweiz 1264-1460, Diss. Zürich 1933; H.-G. H o f a c k e r , Die schwäbischen Reichsland vogteien im späten Mittelalter (= Spätmittelalter und Frühe Neuzeit 8), Stuttgart 1980; L. S c h m i d , Geschichte der Grafen von Zollem-Hohenberg und ihrer Grafschaft. Bd. 1-2, Stuttgart 1862; Chr. F. v o n S t ä l i n , Wirtembergische Geschichte. Bd. 2 u. 3, Stuttgart und Tübingen 1847-1856; F. Q u a r t h a i , Residenz, Verwaltung und Territorialbildung in den westlichen Gebieten der Habsburger während des Spätmittelalters, in: Die Eidgenossen und ihre Nachbarn im Deutschen Reich des Mittelalters. Hrsg. v. P. Rück, Marburg 1991, S. 61-86.

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Denn geendigt nach langem verderblichen Streit War die kaiserlose, die schreckliche Zeit. " Eine Zäsur, ohne Zweifel, ohne daß dies im Hinblick auf Rudolfs Königtum hier näher untersucht werden soll; dies ist bereits an anderer Stelle getan worden. Hier sollen Ziele und Ergebnisse der Territorialpolitik Rudolfs von Habsburg im schwäbisch-nordschweizerischen Raum unter den Aspekten Königslandschaft, Herzogtum oder fürstlicher Territorialstaat untersucht und dabei nach Traditionen, Brüchen und Neuansätzen in Rudolfs Politik gefragt werden. Peter Moraw hat die Verfassungsgeschichte des spätmittelalterlichen deutschen Reiches vom Untergang der Staufer bis zu den Reichsreformen zu Ende des 15. Jahrhunderts beschrieben als einen Prozeß, der von einer "offenen Verfassung" in einem lockeren, von außen ungefährdeten Zusammenhang mit einem Minimum allgemein anerkannter Verfahren zu einem neuen Stadium der Verdichtung rechtlicher Zustände um 1470 hinführte. Die Territorien waren wesentliche Bausteine und zugleich die progressiven Elemente bei der Entwicklung einer modernen Staatlichkeit innerhalb des deutschen Reiches; auch sie haben sich in ihrem Charakter verändert, freilich früher und nachdrücklicher als das Reich selbst, vollzog sich doch während dieser Periode der Übergang vom vorwiegend personenrechtlich bestimmten, auf dem Herkommen und der gentilen Verbundenheit beruhenden aristokratischen Verbandstaat zum Territorium. Elemente waren dabei: der Aufbau öffentlich-rechtlicher Institutionen, Verschriftlichung des Amtsverkehrs, der räumliche Zusammenschluß des Territoriums durch die Kumulierung von Gerichtsrechten, Vogtei, Grundherrlichkeit, Lehensherrschaft und Schirmrechten, Stadtherrschaft und Regalien. In der Mitte dieser Periode war die Verfassungswirklichkeit geprägt von einer auffälligen Mobilisierung und Kommerzialisierung von Herrschaftsrechten. Das Konglomerat unterschiedlicher Hoheitsrechte war noch nicht zur Ruhe gekommen, es wurde zunächst nur zusammengehalten durch die Person des Landesherrn. Der Aufbau der Territorien erfolgte nicht von oben nach unten. Nicht ein Land zerfiel in Ämter und wurde entsprechend aufgeteilt, sondern die Ämter wuchsen zusammen zu einem Land. Die Neuartigkeit der Ämterverfassung mit dem Einsatz einer mobilen, kündbaren Beamtenschaft, einer Kanzlei, festen Ratsgremien und anderem verführt allerdings dazu, die Verfassungsentwicklung des Territo-

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rialstaates zu eng unter dem Aspekt der Ämter und Institutionengeschichte zu sehen. Das informelle Beziehungsgeflecht, das sich aus der Bestellung zum Diener entwickelte, wie es die Einbindung in eine territoriale Abhängigkeit durch die Berufung zum Rat ermöglichte, und schließlich die Bindungen, die ein auf einen Hof konzentrierter Lehensverband schuf, waren Elemente der Territorialverfassung, die neben den reinen Ämtern und Institutionen ein beachtliches Gewicht hatten. Daß die Habsburger bereits vor Rudolfs Thronbesteigung große Territorialherren im Südwesten des Reiches waren, ist seit Oswald Redlich, Aloys Schulte und Josef Schmidlin historisches Allgemeinwissen. Ihr Hausbesitz läßt zwei deutliche Mittelpunkte, den einen im Oberelsaß, den anderen im nördlichen Aargau erkennen. Am Zusammenfluß von Aare, Reuß und Limmat lag das "Eigen", eine relativ geschlossene Masse althabsburgischen Eigenbesitzes, der im Norden durch die 1020 genannte Habsburg gesichert und im Süden durch das vor 1034 von Bischof Werner von Straßburg, seinen Bruder Ratbod und dessen Gemahlin Ita gestiftete Benediktinerkloster Muri begrenzt wurde, dessen Vogtei dem jeweils Ältesten der Familie gebührte und dessen Güter im Aar- und Zürichgau den reichen Besitz der Habsburger widerspiegeln. Im Nordwesten des "Eigen" schlossen sich weitere Besitzungen an. Das zweite Ausgangsgebiet der Habsburger - über eine Priorität der beiden kann immer noch nicht entschieden werden - lag im Oberelsaß, in der Gegend östlich und westlich des großen Hardtwaldes zwischen Basel und Straßburg und erstreckte sich auf der einen Seite bis gegen Schlettstadt einerseits und Basel andererseits. Auch hier ist es das Ausstattungsgut eines reich bestifteten Klosters, des Frauenklosters Ottmarsheim, das von Ratbod, dem jüngeren Bruder des ersten bekannten Rudolf vor 1050 gestiftet und von Papst Leo IX. geweiht worden war und dessen imperiale, an Aachen gemahnende Architektur bis heute in ihrem Anspruch nicht recht erklärt werden kann - das Ausstattungsgut selbst jedoch läßt recht gut den Umfang des habsburgischen Hausgutes im Elsaß ermessen. Seit dem Ende des 11. Jahrhunderts kamen beachtliche Vogteien wie die Straßburger Hochstiftsvogtei und die Landgrafschaft im Oberelsaß sowie, seit 1135, die Kastvogtei über Marbach hinzu, das nicht nur im Elsaß und den südlichen Vogesentälern begütert war, sondern auch mit dem Tochterkloster Luzern über umfangreiche Rechte im Zürich- und Aargau verfügte. Dazu erwarben die Habsburger in diesem Raum Hochgerichtsbarkeit, Wildbann, Geleitsrechte und andere Rechtstitel, die in den folgenden Jahrhunderten für den Ausbau der Landeshoheit wichtig werden

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sollten. Im Breisgau, auf dem rechten Rheinufer, besaßen die Habsburger Rechte auf dem Kaiserstuhl und der rheinbeherrschenden Feste Limburg bei Sasbach. Am Westhang des Schwarzwaldes folgte eine Reihe von Besitzungen bis gegen Basel. Vereinzelt war der Besitz im Frickgau auf der südlichen Seite des Hochrheins bis gegenüber von Basel. Die Herkunft des habsburgischen Besitz in Innerschwaben, vereinzelt und dünn im 11. Jahrhundert, ist nicht befriedigend zu klären. Er lag im Scherragau bei Balingen auf der Schwäbischen Alb. Redlich wollte diesen Besitz als Ausstattung der Kunigunde, Gemahlin Rudolfs I. ( 11063), einer Verwandten der ersten Zollem, erklären. In der Tat erstaunt es, die Grafen von Zollern-Hohenberg im Elsaß begütert zu finden, so daß ein genealogischer Zusammanhang mit den Habsburgern nicht unwahrscheinlich wäre. Andererseits wäre es möglich, in den Herren von Winzeln, die Besitz im Scherragau hatten, Besitznachfolger des 991 verstorbenen Grafen Landold im Thurgau zu sehen, die man als eine Nebenlinie der Grafen von Habsburg erklären wollte. Wie dem auch sei, Kloster Ottmarsheim war in Burgfelden, einem kunsthistorisch durch Wandmalereien in der Kirche im ottonischen Stil, vergleichbar nur der St. Georgskirche auf der Reichenau, herausragenden Ort, begütert, ohne daß sich bislang eine befriedigende Erklärung dafür hätte finden lassen (Teilzehnt zu Pfeffingen und eigene Leute zu Dürrwangen, Güter in Burgfelden, Dotternhausen, auch in Ebingen, Frommern, Laufen an der Eyach, Margaretenhausen, Onstmettingen und Tailfingen)2. Ein Ausbau habsburgischer Rechte erfolgte über den Erwerb von Vogteien und Grafschaftsrechten, wobei allerdings Innerschwaben zunächst noch außer Betracht blieb. In der Nordschweiz erhielten die Habsburger aus der Erbschaft der Lenzburger Grafen von Kaiser Friedrich I. die Grafschaft im Zürichgau, dazu Vogteirechte über Schwyz und Unterwaiden, ferner die Vogtei über das Frauenstift Säckingen, vielleicht auch schon die Grafschaft im Aargau. An Rang und Macht waren die Habsburger in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts den südwestdeutschen Grafenfamilien der Tübinger, der Uracher und der Kyburger vergleichbar. Erst durch die Beerbung der Kyburger und durch den Erwerb von Reichspfandschaften während des Interregnums gelang es den Habsburgern, trotz der Teilung des Hauses im Jahre 1238, alle anderen Geschlechter zu überrunden.

2 Zum einzelnen vgl.: Der Landkreis Balingen. Amtliche Kreisbeschreibung Bd. 1-2, Balingen 1960-1961.

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Die Kyburger Erbschaft ist hier im einzelnen nicht zu beschreiben. Sie brachte Habsburg den Thurgau, letztlich die Vogtei über St. Gallen neben vielen anderen Rechten. Durch die Vormundschaft über Anna von Kyburg, die Rudolf mit seinem Vetter Eberhard aus der Laufenburger Linie verheiratete, vermochte Rudolf auch diesen Teil der kyburgischen Besitzungen für sein Haus zu sichern. Durch diesen Erbfall und dessen energische, Skrupel- und rücksichtslose Inbesitznahme hatte Rudolf sein Haus zur ersten Macht in der östlichen und mittleren Schweiz gemacht. 1254 erwarb Rudolf die Vogtei über das Schwarzwaldkloster St. Blasien, womit die Grundlage für eine Herrschaft im Schwarzwald gelegt war. Zur Sicherung des gesamten Komplexes wurde die Stadt Waldshut gegründet. Mit seiner energischen Territorialpolitik geriet Rudolf in Gegensatz zu den mächtigsten Territorialherren im deutschen Südwesten, den Bischöfen von Basel und Straßburg. Erstmals seit dem Untergang der Zähringer bestand im deutschen Südwesten die Möglichkeit für die Entstehung eines geschlossenen Territorialstaates im Raum von Straßburg bis an den Fuß der Alpen, von der Aare bis zum Bodensee. Die Ordnungsmacht in Schwaben war neben allen rivalisierenden Dynastien das staufische Haus gewesen. 1246, mit der Niederlage König Konrads IV., begann der Zerfall des staufischen Ordnungssystems, wenn auch die Städte vorerst noch auf der Seite des Königs blieben. Erst der Tod König Konrads IV. leitete den endgültigen Niedergang des staufischen Schwaben ein. Konradin, obwohl er 1262 in Rückgriff auf ältere Traditionen zum Herzog von Schwaben gewählt worden war und bewußt die alten Herzogsorte Zürich und Rottweil aufsuchte und für Hoftage nutzte, konnte einen Einfluß nur noch auf Oberschwaben ausüben. Seine Stellung beruhte nur auf der Schwäche der Reichsgewalt, während die Ministerialen bereits in den dynastisch-territorialen Herrschaftsaufbau integriert wurden. Dem Grafen Ulrich von Württemberg, dem mächtigsten unter den innerschwäbischen Territorialherren, mußte Konradin zum Dank für die Anerkennung seiner Herzogswürde das Marschallamt in Schwaben übertragen. In der Folge jedoch, bis zum Ende der siebziger Jahre, löste sich das staufische Herrschaftssystem auf, wobei die Nutznießer die kleinen Dynastien und Herren waren, zum anderen aber konnten sich auch die Klöster wichtige Herrschaftselemente durch Rückkauf von Vogteirechten sichern.

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Die Habsburger, insbesondere Rudolf von Habsburg, agierten während des Interregnums trotz ihrer Staufertreue nicht anders als die sonstigen Großen Schwabens. Im Gesamtüberblick kann Schwaben während des Interregnums in drei große Abschnitte eingeteilt werden: Südlich von Rhein und Bodensee stieg Graf Rudolf von Habsburg zum bedeutendsten Territorialherrn auf und schuf sich aus Eigengut, okkupiertem Reichsgut und Reichsvogteien "Landgrafschaften" wie die im Aargau. In diesem südschwäbischen Gebiet hatten er und die Grafen von Kyburg schon vor dem endgültigen Zerfall der staufischen Herrschaftsbildung den Friedensschutz übernommen. In Oberschwaben hielten sich die Reste der staufischen Prokuration. Dies war nur möglich, weil in dieser von Städten, Klöstern und der Ministerialität geprägten Landschaft mächtige Dynastien wie im nördlichen und südlichen Schwaben zunächst fehlten. Erst nach 1265 faßte die montfortische Herrschaftsbildung hier Fuß. Im nördlichen Schwaben schwangen sich die Wirtemberger zum bedeutendsten Grafenhaus auf und begannen, ihre Herrschaft nach staufischem Vorbild zu organisieren. Mit der Königswahl war Rudolf vor neue Probleme gestellt. Bis dahin hatte er als südwestdeutscher Dynast agieren können. Nunmehr waren drei Ebenen zu berücksichtigen: König-, Herzog- und Territorialfürstentum. Als König oblag ihm die Sorge um das Reichsgut, als Herzog die Frage der Neuorganisation des staufischen Herzogssystems in Schwaben und als Territorialfürst das Bemühen um einen weiteren Ausbau des Hausgutes. Jede der drei Ebenen aber mußte zu einem Zusammenstoß mit den Nutznießern des staufischen Herrschaftssystems führen. Thomas Martin hat Rudolf von Habsburg als den ersten der für das späte Mittelalter typischen kleinen Könige mit einem entsprechenden Hof und Itinerar beschrieben. Dieser Frage soll in einem eigenen Referat nachgegangen werden und kann hier außer Betracht bleiben. Zu trennen ist jedoch der Neuaufbau einer Ordnung in Schwaben von Rudolfs Königsherrschaft nicht, lag doch hier der Schwerpunkt des zu revindizierenden Haus- und Reichsgutes. Rudolfs Verpflichtung, das regnum multipliciter demembratum in statum iusticiae reformare, Schloß eben eine tiefgreifende Umgestaltung der politischen und territorialen Verhältnisse in Schwaben mit ein. Die Stauferstädte - diese waren wohl die gravierendste Festlegung für die weitere territoriale Entwicklung in Schwaben - sollten in Zukunft als Reichsstädte behandelt und von dem vererbbaren Königsgut getrennt sein. Neben diesen Städten wurden die Restbestände des weifischen,

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zähringischen und pfiillendorfischen Erbes als Bestandteil des Reichsgutes angesehen. Auf den Reichstagen in Speyer von 1273 und Nürnberg von 1274 wurde Rudolf auf eine Revindikationspolitik festgelegt. Als neues Element erscheinen dabei die Reichslandvogteien, in denen das Reichsgut neu organisiert werden sollte. Dabei knüpfte Rudolf an die staufischen Prokurationen an, innerhalb derer staufisches und Reichsgut verwaltet worden war. Bezeichnenderweise aber war schon die Landvogtei Oberschwaben um den zähringischen Anteil, zu dem Zürich gehörte, verkleinert, da ihn Rudolf als Bestandteil seines habsburgischen Hausgutes betrachtete. Als nächstes ließen sich die Wittelsbacher die Konradinische Schenkung bestätigen und waren damit außerhalb der Revindikationen gestellt. Die Reichsstädte, Zentren der wirtschaftlichen Macht und Wehrkraft, dynamische Mittelpunkte der neuen geistigen Bewegungen, sowie die Klöster mußten Stützpunkte einer Neuorganisation der Königsmacht sein. Ende 1273 bzw. Anfang 1274 setzte Rudolf mit Graf Hugo von Montfort einen ersten Reichslandvogt in Oberschwaben ein, der die Rechte des Reiches in diesem Restbereich der staufischen Prokuration wahrnehmen sollte. Dies läßt in der Tat den Neuansatz erkennen, zu dem Rudolf in der Reichspolitik gezwungen war: Ein dem König verpflichtetes, ministerialisches "Beamtentum" bestand nicht mehr; Rudolf betraute den eng mit ihm verbundenen Dynastenadel mit der Reorganisation des Reichsgutes. Damit traten seine Revindikationspläne in Konkurrenz zu den territorialen Ausbauplänen eben dieses Adels. 1275 findet sich erstmals die Bezeichnung landgravius superioris Sueviae. Damit war die Organisation der neuen Landvogtei abgeschlossen. Diese Landvogtei, die nicht nur aus der stauferzeitlichen Prokuration abzuleiten ist, hat sicher auch ein Vorbild in der typisch habsburgischen Landgrafschaft der Nordschweiz, mit der Vogtei über Klöster, Reichsstädte und Freie, mit der Ausübung einer Art "übergraflicher Schutzgewalt" und der Friedenshoheit. Nach dem Vorbild der habsburgischen Herrschaftsbildung in der Nordschweiz scheint es Rudolfs Absicht gewesen zu sein, eine Art oberschwäbisches Königsland aufzubauen. Dies konnte aber nur solange erfolgreich sein, wie die Reichsgutspolitik Rudolfs und die der schwäbischen Grafenhäuser nicht aufeinanderstießen. Gegen den Widerstand der schwäbischen Dynastien konnte Rudolf die mit der Revindikation des Reichsguts verbundene Übertragung habsburgisch-landesherrlicher Formen der Herrschaftsbildung nicht durchsetzen.

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Die Übertragung der oberschwäbischen Landvogtei an die Herren von Schellenberg im Jahre 1284 kündigt das Scheitern der rudolfinischen Königslandschaftspolitik an. Rudolf griff die Grafen von Montfort im Zuge seiner Revindikationspolitik an und schwächte damit entscheidend deren Herrschaftsbildung in Oberschwaben. 1289 mußten sie ihm die Grafschaft Sigmaringen und Scheer verkaufen. 1291 zwang er sie, ihm alle Güter "vor der Bregenzer Klause", also alle Besitzungen in Oberschwaben zu überlassen; diese Güter, Städte und Freie wurden dem Landvogt in Oberschwaben unterstellt. Rudolf stellte hier Reichsgut in den Dienst seiner schwäbischen Hauspolitik: es sollte an der Donau ein festgefügtes Herrschaftsgebiet entstehen und mit den Schweizer Hausgütern verbunden werden, auch dort, wo noch keine unmittelbaren habsburgischen Rechte einen Anknüpfungspunkt ergaben. Eine weitgehende Neukonstruktion, die nicht wie die Landvogtei Oberschwaben oder die Landvogtei in Wimpfen auf eine staufische Prokuration zurückging, sondern eine Neuschöpfung darstellte, war die Landvogtei Niederschwaben. Die seit 1274 aufgebaute Landvogtei umfaßte nicht den gesamten in der Reichssteuerliste von 1241 aufgeführten Reichsbesitz zwischen Esslingen und Donauwörth. Es war nicht mehr gelungen, den staufischen Hausbesitz im Remstal und am mittleren Neckar einzubeziehen. Diesen hatten sich die Grafen von Württemberg angeeignet. Er konnte ihnen nicht mehr genommen werden. Ebenso hatten andere Dynastien bzw. wiederum Württemberg den Stammbesitz um den Hohenstaufen und Schwäbisch Gmünd an sich gezogen. Die Reichsvogtei Ulm blieb außerhalb der Landvogtei. In diesem Bereich gab es zunächst keine gräflichen Dynasten, auf die sich Rudolf hätte stützen können. Die Hohenberger waren ihm seit seiner Heirat mit Gertrud von Hohenberg im Jahre 1247 familiär verbunden, die Sulzer und Geroldsecker verpflichtet. Albrecht von Hohenberg, der Schwager Rudolfs, wurde mit der Verwaltung der Landvogtei beauftragt. Er leitete mit der Übernahme dieser Verpflichtung den Ruin seines Hauses ein. Er selbst bezahlte seine Verbundenheit mit Rudolf mit dem Tode. Widerstand gegen Rudolfs Revindikationspolitik paarte sich in der Landvogtei Niederschwaben mit einer Rivalität der Grafenhäuser untereinander sowie auch - wie etwa bei den Grafen von Tübingen - innerhalb der Familien selbst. Die Erfüllung königlicher Politik gegen das Haus Waldeck im Nagoldtal erlaubte es zugleich den Hohenbergern, eine lästige Konkurrenz gegen eigene territorialpolitische Ansprüche auszuschalten. Württemberg und Zollern

Königslandschaft, Herzogtum oder fürstlicher Territorialstaat

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schlossen sich gegen Albrecht nicht nur aus reichspolitischen Gründen, sondern auch aus alter Rivalität gegen Hohenberg zusammen. Die Reichsgewalt konnte sich in diesem Bereich nie so wie in Oberschwaben durchsetzen. Nur durch Bündnisse mit anderen Grafen vermochte Albrecht von Hohenberg, die Dynastenopposition niederzuhalten. Ein Ansatzpunkt für eine dynastische Hausmachtpolitik Habsburgs bot sich gar nicht. Im Grunde war die Landvogtei Niederschwaben nur eine lockere Zusammenfügung von Stadtvogteien. Dreh- und Angelpunkt der habsburgischen Reichspolitik in der Landvogtei Niederschwaben, in Wimpfen, und der habsburgischen Hausmachtspolitik - eigentlich ein negativ definiertes Ziel - war der Versuch, die Grafen von Württemberg auf das mittlere Neckargebiet zu beschränken. Die Doppelgesichtigkeit von Rudolfs Politik in Schwaben zeigte sich in seinen Kämpfen mit der Grafenopposition nach 1285. Einerseits versuchte er, ihnen okkupiertes Reichsgut zu entziehen, andererseits wurde er mit seiner dynastisch geprägten Hauspolitik selbst zum Konkurrenten der schwäbischen Grafen. Die Verwaltung des Reichsgutes in Schwaben unterschied sich jedoch grundlegend vom beginnenden Aufbau der Verwaltung in den Hausgütern. In Österreich wurden unter Rudolf auch Männer aus niederem Stande als Beamte eingesetzt. In Schwaben mußten zur Verwaltung des Reichsgutes Dynasten eingesetzt werden, die aber nicht mehr als Mitglieder in den königlichen Rat Rudolfs gezogen wurden. Die Verwaltung des Reichsgutes in Schwaben gewährte nicht mehr den Zugang zur Spitzengruppe der königlichen Berater. Selbst als nach dem Beginn der Grafenopposition von 1284/85 die meisten freien Herren - außer Albrecht von Hohenberg - durch Ministeriale ersetzt wurden, waren dies keine Angehörige der staufischen Spitzenministerialität mehr. Die staufische Prokurationsverfassung war zwar das Vorbild der rudolfinischen Reichslandvogteiorganisation, in die Elemente der Hausgutsverwaltung in der Nordschweiz eingebracht wurden, doch gab es keine Kontinuität zur ehemaligen tragenden Gruppe der staufischen Reichsverwaltung. Die möglichst weitgehende Wiederherstellung des staufischen Reichsgutes, die Errichtung der Landvogteien, die Heranziehung mächtiger Dynastien zum Königsdienst und die planvolle Erweiterung des Hausgutes nördlich des Rheins hatten in der Perspektive königlicher Politik das Ziel, in einer durch den Untergang der Staufer besonders geschädigten Region den Landfrieden zu sichern.

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Einen vollen Ersatz für eine fehlende Herzogsgewalt in Schwaben bot dies freilich nicht. Damit komme ich zum zweiten Teil meines Referates, der umstrittenen und in verschiedener Hinsicht interpretierbaren Frage nach der möglichen Wiedererrichtung des Herzogtums Schwaben durch Rudolf von Habsburg. Schwaben wurde, obwohl es keinen Herzog mehr hatte, 1282 noch als gesondertes Rechtsgebiet verstanden: Bischof Konrad von Chur bestätigte in diesem Jahr, daß das Gebiet Meinhards von Tirol weder zum Herzogtum Baiem noch zum Herzogtum Schwaben gehöre. Der Schwabenspiegel legt fest, daß der Herzog der Anführer beim schwäbischen Vorstritt sei, ohne die Möglichkeit der Nichtbesetzung dieses Amtes zu bedenken. Inwieweit sich die schwäbische Grafenopposition zur Sicherung landrechtlicher Ansprüche gegen ein vom König postuliertes, das gesamte Stammesgebiet umfassendes schwäbisches Stammesrecht zusammenfand, ist quellenmäßig nicht zu klären. Wie Bayern hatte sich auch das schwäbische Herzogtum schon unter den Staufern zum territorialen Fürstentum gewandelt, das stammesmäßige Traditionen fortsetzte, ohne das gesamte Stammesgebiet zu umfassen. Rudolf selbst beachtete die Traditionen des Herzogtums Schwaben nicht mehr. In seinem Itinerar knüpft er nicht an die alten Vororte des Herzogtums an. Es gibt keine Hinweise, daß die Pfalzgrafen von Tübingen ihre alten, mit dem Herzogtum in Verbindung zu bringenden Tätigkeiten auch ausgeübt hätten. Bisher unerklärt bleibt allerdings der Verkauf der Pfalzgrafenwürde an die Grafen von Berg im Jahre 1282. Das schwäbische Marschallamt, 1259 an Ulrich von Württemberg verliehen, wurde nicht mehr erneuert. Die Tradition der Reichssturmfahne, mit Markgröningen verbunden, die für ein wiederbelebtes Herzogtum Schwaben einen großen Symbolwert gehabt hätte, wurde von Rudolf nicht aufgenommen. Dem steht entgegen, daß Rudolfs jüngster gleichnamiger Sohn in chronikalischer Überlieferung als dux Sueviae bezeichnet wird. Dessen tatkräftiges Vorgehen gegen die Grafen im Schweizer Mittelland kann in dem Sinn interpretiert werden, daß er sie einer zukünftigen habsburgischschwäbischen Herzogsgewalt unterwerfen wollte. Er sollte Rudolfs Nachfolger in der Königswürde werden, doch sollte auch ihm eine fürstengleiche Hausmachtstellung geschaffen werden, wie sie sein Bruder Albrecht in Österreich besaß. Ab 1281 verwaltete er das schwäbische Hausgut in den Stammlanden und Johann von Viktring berichtet, daß er 1282 auf dem Hoftag zu Augsburg mit dem "Herzogtum Schwaben" belehnt wor-

Königslandschaft, Herzogtum oder fürstlicher Territorialstaat

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den sei. Eine reale Vormachtstellung Rudolfs (des Sohnes) über die schwäbischen Landvogteien läßt sich jedoch nicht nachweisen. Das schwäbische Reichsgut wurde offensichtlich nicht als Grundlage eines erneuerten Herzogtums Schwaben angesehen. Den Herzogstitel führte Rudolf auch als Herzog der Steiermark, so daß er, wie es schon der württemberigsche Landeshistoriker Stälin im vergangenen Jahrhundert erklärte, eher als Herzog in Schwaben denn als Herzog von Schwaben betrachtet werden kann. Auf Grund seiner Hausmachtbasis kam Rudolfs Sohn allerdings eine "übergrafliche" Stellung zu, die Hans Georg Hofacker unter dem Begriff Schutzhoheit faßt, eine pseudoherzogliche Schutzgewalt, die schon in die Dynastenzeit Rudolfs zurückreicht. Hofacker zeigte auch, daß in der zeitgenössischen elsässischen Chronistik (Colmarer Annalen) der jüngere Rudolf wechselnd als dux Alsatiae und lantgravius Alsatiae geführt wurde. Eher als eine Erneuerung des Herzogtums wird man annehmen dürfen, daß Rudolf die in der Nordschweiz erprobte Form des Landgrafentums auch zur Grundlage seiner Schwabenpolitik machen wollte. Das staufische Herzogtum Schwaben war offensichtlich nicht das Modell der habsburgischen Schwabenpolitik. In den Wahlverhandlungen Rudolfs findet sich kein Hinweis, daß eine Wiedererrichtung des Herzogtums Schwaben je in Betracht gezogen worden wäre. Maßgebend für die rudolfinische Neuordnung des Kemgebietes des Reiches war die Landgrafschaft, die bei langer andauernder Kohärenz von Reichsgut und habsburgischem Hausgut zur Grundlage eines habsburgischen Fürstentums in Schwaben hätte werden können. Davon unberührt aber bleibt die Tatsache, daß Rudolf den Titel und Rechtsanspruch eines Herzogs von Schwaben nicht preisgab. Das schwäbische Herzogtum blieb, wie schon in spätstaufischer Zeit, dem "Imperium inkorporiert". Als Alfons von Kastilien auf Grund seiner mütterlichen Vorfahrenschaft Ansprüche auf das Herzogtum Schwaben erhob, setzte Rudolf dem entgegen, daß seine diesbezüglichen Rechte als König höherwertig seien. Das Herzogtum Schwaben wurde als heimgefallenes Reichslehen behandelt, das mit der Reichsgewalt verbunden blieb, und das bei Bedarf, etwa unter Rudolf IV. von Österreich oder zur Zeit Erzherzog Sigismunds wieder virulent werden und in die politische Diskussion eingebracht werden konnte. Kehren wir abschließend nochmals zur Hausmachtspolitik Rudolfs nach seiner Königwahl von 1273 zurück. Zehn Jahre nach seiner Wahl, 1283, nach der Lösung der österreichischen Probleme, wandte sich Rudolf wieder einer Erweiterung seiner Hausmachtstellung in Schwaben zu.

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Deutlich erkennbar ist nunmehr das Ziel, das Haus Habsburg auch in den Kernlandschaften Schwabens, an Neckar und Donau heimisch zu machen und auch hier einen größeren geschlossenen Besitz, insbesondere Grafschaftsrechte zu erwerben. An zentraler Stelle in Schwaben gelegen, erwarb Rudolf den Bussen mit seinen beiden Burgen und dazugehörigen Dörfern. Eine behauptete Tradition als Herzogsberg kommt ihm allerdings nicht zu. Zusammen mit der Stadt Mengen entstand ein Verwaltungsmittelpunkt, der die Gestaltungskraft der Habsburger zur territorialen Neuordnung ihres Hausbesitzes deutlich erkennen läßt. 1282 erwarb Rudolf die benachbart gelegene Grafschaft Friedberg, dann 1287 die Grafschaft Sigmaringen, die Herrschaft Scheer und schließlich 1291 die Grafschaft Veringen, alles zusammen ein nicht unbedeutender Herrschaftskomplex an der oberen Donau, zu dem noch Güter der Grafen von Grüningen-Landau sowie der Herren von Gundelfingen hinzukamen. Der Schwerpunkt lag auf Grafschaftsrechten, insbesondere der hohen Gerichtsbarkeit. Für seinen unehelichen Sohn Albrecht von Schenkenberg erwarb Rudolf die südöstlich von Heilbronn gelegene Grafschaft Löwenstein mit der Vogtei über das Kloster Murrhardt, dazu die Herrschaft Bönnigheim, so daß auch im Grenzgebiet zwischen Schwaben und Franken ein Ansatzpunkt für eine habsburgische Territorialbildung gegeben war. Noch eindrucksvoller waren Rudolfs Erfolge in der Schweiz, der Erwerb der Vogtei über St. Gallen, die Beerbung des Grafenhauses von Rapperswyl, darunter die Reichsvogtei im Urserental, der den Habsburgern den Zugang zum Gotthard sicherte. Dazu kamen Erwerbungen im Zürich- und im Aargau, hin bis Aarburg und Zofingen, im Tal von Glarus, das Erbe der Familie von Rothenburg und schließlich der Stadt Luzern, die die Straße vom St. Gotthard nach Basel beherrschte. Die Verschmelzung dieser zahlreichen, unter verschiedenen Rechtstiteln erworbenen Gebiete zu einem einheitlichen Territorium ist Rudolf nicht gelungen, konnte wohl auch noch nicht intendiert werden. Erst das unter seinem Sohn Albrecht angelegte Habsburger Urbar zeigt den beachtlichen Versuch zu einer konzeptionellen Zusammenfassung des gesamten Besitzes. Die ersten Ansätze zu einer einheitlichen Verwaltungsorganisation, wie sie im 13. Jahrhundert überhaupt denkbar ist, gehen zweifellos auf Rudolf von Habsburg zurück. Einzelne Besitzeinheiten wurden zu Ämtern, diese wieder zu Vogteien unter der Leitung absetzbarer Beamter mit sehr kurzen Amtszeiten zusammengefaßt, die sich häufig an alte Ge-

Kölligslandschaft, Herzogtum oder fürstlicher Territorialstaat

137

richtsbezirke der Landgrafschaften und Grafschaften anlehnten. Für die Gesamtleitung des Hausbesitzes war zunächst Hartmann von Baldegg, Prokurator des Königs, Reichsvogt von Basel und Burggraf von Rheinfelden, dann Rudolfs jüngster gleichnamiger Sohn und zuletzt der mit Rudolf verwandte Otto von Ochsenstein zuständig, der zugleich Reichslandvogt im Elsaß war. Dies zeigt wiederum die intendierte Richtung an: Haus- und Reichsbesitz sollten integriert werden. Ohne die Reichsrechte hat trotz der dynamischen Erwerbspolitik alles keine rechte Einheit ergeben. Der Hausbesitz umfaßt mit größeren Lücken drei große Bereiche in Schwaben: den innerschwäbischen Raum, die Oberrheinlande rechts und links des Rheins bis auf den Schwarzwald, sowie das Alpenvorland. Zwischen allen fehlte die Verbindung. In nahezu hymnischer Form hat Oswald Redlich das Gesamtziel dieser Politik beschrieben: "Die Wiederherstellung des Herzogtums Schwaben und die Schaffung eines Machtkomplexes im Herzen von Schwaben sowie eines geschlossenen Territoriums im Alpenvorland der Schweiz bis hinein ins Hochgebirge und bis hinauf zu den Pässen, das waren die großen, umfassenden Ziele dieser ersten Habsburger im Südwesten Deutschlands, [...] ein Staatsgebilde, das [...] in den [...] ertragreichen Flächen des Alpenvorlandes zwischen Aare und Bodensee, auf der schwäbischen Hochebene und im Elsaß das eigentliche Fundament seiner Stärke besaß und noch mehr suchen sollte. Wo einstens das zähringische und staufische Machtgebiet neben- und nacheinander emporgewachsen waren, da strebte nunmehr das habsburgische Haus zu einem einzigen zusammengefaßten Territorium zu gelangen. Der Oberrhein vom Bodensee bis zum Kaiserstuhl bei Breisach hätte sein Rückgrat abgegeben und das südwestdeutsche Fürstentum der Habsburger wäre die natürliche Fortsetzung der großen, das Alpenvorland charakterisierenden Territorien von Österreich und Bayern geworden". Eine so weitgehende Konzeption war vermutlich schon unter Rudolf von Habsburg nicht mehr zu realisieren. Mit dem Verlust der Reichsrechte nach 1291, wieder 1308 und 1314 war sie vollends Utopie geworden. Nicht nur die Grafenopposition in Schwaben, die neuen, kleinen territorialen Dynastien haben diesen großen Wurf zunichte gemacht, wenn er überhaupt gedacht war. Wichtiger erscheint es mir noch, daß nicht eines der großen städtischen Gemeinwesen - Zürich, Bern, Basel, Straßburg, Ulm, Augsburg - hatte unter habsburgische Botmäßigkeit gebracht werden können. Für eine zukünftige Perspektive sollte sich dies als ein gravierender Nachteil erweisen. Schwerwiegend war auch die Gefahr-

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dung der zentralen Position Habsburgs in der Schweiz. Theodor Mayer hat dies auf einen Punkt gebracht: "Der Samen, den die Reichsgewalt zu dem Zwecke gesät hatte, um dort eine Grundlage für die Reichspolitik zu finden, ging auf und vernichtete die Früchte der habsburgischen Hauspolitik". Der Verlust der Königskrone 1291 bedeutete noch kein Scheitern habsburgischer Territorialpolitik. Es gab noch zahlreiche und erfolgversprechende Ansätze. Trotzdem ist dieser Bruch in der südwestdeutschen Territorialentwicklung immer sehr emotional beurteilt worden. K. S. Bader, der die Territorialbildung der Habsburger als das Herzstück der südwestdeutschen Territorialbildung bezeichnet hatte, sprach von einer tragischen Entwicklung, ähnlich Heinrich Srbik, ähnlich Theodor Mayer. Im Sinne unseres Tagungsthemas sind Traditionslinien und Neuansätze der Politik Rudolfs sichtbar geworden, Verbindungslinien Rudolfs zu den Staufern, Verbindungslinien zum Verhalten der Territorialfürsten während des Interregnums, zugleich aber die Neuansätze, die seine Regierung in der Verwaltung des Reichsgutes, der Organisation Schwabens und in einer territorial-dynastischen Neuorganisation dieses Raumes brachte.

Rudolf von Habsburg und Norddeutschland Zur Struktur der Reichsherrschaft in einem königsfernen Gebiet Von Thomas Vogtherr Norddeutschland - hier verstanden als die Großregion zwischen dem Saum der Mittelgebirge im Süden und der Nord- bzw. Ostsee im Norden, zwischen Westfalen im Westen und Pommern im Osten1 - war spätestens seit dem Ende der Herrschaft Kaiser Ottos IV. ein königsfernes Gebiet. Die Staufer seit Konrad ΙΠ. und der Weife hatten noch, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, die Rechte des Reiches in dieser Region zur Geltung zu bringen versucht; seit dem Ende der Herrschaft Friedrichs Π. freilich war die Bedeutung des Nordens für das Reich anscheinend zurückgegangen. Ausdruck dieses Bedeutungsverlustes war unter anderem die Tatsache, daß seither und bis zu Karl IV. kein Kaiser oder deutscher König mehr diesen Teil des Reichsnordens betrat, wenn man einmal von Wilhelm von Holland absieht. Es liegt nahe, aus diesen generellen Beobachtungen die Folgerung abzuleiten, der Norden des Reiches habe nicht nur an Bedeutung für die Herrscher verloren, sondern sei gewissermaßen aus ihrem politischen Blickfeld verschwunden. Ebenso könnte es als naheliegend angesehen werden, daß sich die nördlichen Territorien des Reiches von sich aus abgewandt, "Rücken an Rücken" zu den politischen Zentren im Süden

1 P. M o r a w , Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung, Berlin 1985, S. 175f.; d e r s Nord und Süd in der Umgebung des deutschen Königtums, in: Nord und Süd in der deutschen Geschichte des Mittelalters, hg. von W. Paravicini (Kieler Historische Studien 34), Sigmaringen 1990, S. 51-70, hier: S. 52, wo der Niederrhein wegen seiner besonderen Entwicklung nicht mehr zu Norddeutschland im engeren Sinne gezählt wird.

140

Thomas Vogtherr

Deutschlands gestanden und auf diese Weise "Reichsferne" demonstriert hätten2. Naturgemäß ist die Regierungszeit eines einzigen Herrschers, und mag sie auch nahezu zwei Dezennien gedauert haben, kaum geeignet, die Königsnähe oder Königsferne einer Großlandschaft in ihrer Entwicklung darzustellen. Dafür wären Rückgriffe und Vorgriffe nötig, die den einzelnen Herrscher und seine Maßnahmen in die Kontinuität seines Amtes stellten. Auch ohne diesen umfassenderen Ansatz freilich ist es sinnvoll, eine so wichtige Übergangs- und Umbruchphase wie die Regierungszeit des Königs Rudolf von Habsburg detaillierter zu betrachten. Dies soll folgendermaßen geschehen: Zunächst wird die Regierungszeit Rudolfs unter formalen Gesichtspunkten betrachtet werden; Fragen des Itinerars, der Vergabe königlicher Urkunden sowie der Technik der Kontaktpflege zwischen Norddeutschland und dem Kem des Reiches im Süden werden erörtert. Sodann wird nach der auf Norddeutschland gerichteten Politik des Königs in den Jahren bis 1282/83 gefragt werden. Drittens wird als eine besondere Eigentümlichkeit der Amtszeit Rudolfs die Entwicklung des Landfriedens im norddeutschen Raum darzustellen sein. Abschließend soll der Versuch unternommen werden, die besondere Stellung der Regierungszeit Rudolfs von Habsburg für das Verhältnis Norddeutschlands zum übrigen Reich zu beschreiben.

A.

Rudolf von Habsburg3 hat während seines gesamten Lebens Norddeutschland nie betreten. Dies hat er mit den übrigen Königen der Zeit unmittelbar nach dem Interregnum gemeinsam: Weder Adolf von Nassau 2 Diese Schlagworte aus der Gliederung des Sammelbandes: Nord und Süd (wie Anm. 1), S. 17, 201. In der Einleitung des Hgs. (S. 8) wird der Begriff "Reichsferne" nicht benutzt! 3 Grundlegende Literatur: O. R e d 1 i c h, Rudolf von Habsburg, Innsbruck 1903; E. v o n F r e e d e n , Die Reichsgewalt in Norddeutschland von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, Diss. Göttingen 1931; H. S t e i n b a c h , Die Reichsgewalt und Niederdeutschland in nachstaufischer Zeit (1247-1308) (Kieler Historische Studien 5), Stuttgart 1968; W.-D. M o h r m a n n , Der Landfriede im Ostseeraum während des späten Mittelalters (Regensburger Historische Forschungen 2), Kallmünz 1972; Th.M. M a r t i n , Die Städtepolitik Rudolfs von Habsburg (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 44), Göttingen 1976. - Quellengrundlage: J.F. Böhmer, Regesta Imperii, Bd. 6, 1, neu hg. von O. R e d l i c h , Innsbruck 1898 (ND

mit einem Anhang v o n C. B r ü h l , H i l d e s h e i m / N e w York 1969; hinfort zitiert als BR

mit der Regestennummer).

Rudolf von Habsburg und Norddeutschland

141

noch Albrecht I. oder Kaiser Heinrich VII. sind im Norden über Thüringen bzw. über Köln wesentlich hinausgekommen4. Für sie alle lag - wie schon für die Staufer vor dem Interregnum - der Schweipunkt des Reiches in seiner südlichen Hälfte, näherhin zumeist im Südwesten. Rudolf von Habsburg fügt sich in das gängige Bild der Reiseherrschaft eines nachstaufischen Herrschers ein. 145 verschiedene Aufenthaltsorte sind in seinem Itinerar belegbar. Die Schweipunkte seines Reiseweges liegen im wesentlichen im Südwesten; sie erstrecken sich vom Bodensee entlang des Ober- und Mittelrheines bis in das Maingebiet. Die mit Abstand am weitesten nördlich liegenden Itinerarstationen sind Aachen und Köln im Rheinland sowie Erfurt und Altenburg im mitteldeutschen Osten. Keine Reise führte ihn über diese Stationen hinaus in den eigentlichen Norden und Nordosten des Reiches, keine allerdings auch in den hochentwickelten und für das Königtum bedeutenden Nordwesten. Die Aufenthalte Rudolfs in Aachen und Köln sind eindeutig durch zeremonielle bzw. politische Notwendigkeit bedingt: In Aachen wird der Habsburger gekrönt und hält sich deswegen etwa eine Woche lang hier auf 5 . Der anschließende mehrwöchige Aufenthalt in Köln6 dürfte mit der Tatsache zusammenhängen, daß Rudolf an einer Stabilisierung seiner fragilen Beziehungen zum Kölner Erzbischof Engelbert von Falkenburg und den benachbarten rheinischen Kurfürsten, vor allem auch dem Pfalzgrafen bei Rhein, Herzog Ludwig von (Ober-)Bayern, gelegen sein mußte7. Anders verhält es sich mit dem nahezu einjährigen Aufenthalt Rudolfs in Erfurt und seiner anschließenden Visite in Altenburg 1289/908. Hier steht ein anderes Ziel deutlich im Schwerpunkt: Der König will seine Landfriedensbemühungen im thüringisch-sächsischen Gebiet wieder aufnehmen und intensivieren sowie die weiter davon entfernten Regionen Norddeutschlands stärker einbeziehen als vorher. Dieser Aufenthalt dient 4 Vgl. die Zusammenstellungen bei Th. M a r t i n , Die Pfalzen im 13. Jahrhundert, in: Herrschaft und Stand, hg. von J. Fleckenstein (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte 51), Göttingen 21979, S. 277-301, hier die Karten nach S. 288 und 296. 5 BR 4d-24 (24.-30. Oktober 1273); letzte Station davor Boppard (16. Oktober). 6 BR 24a-42a (31. Oktober-24. November); erste Station danach Worms (30. November). 7 R e d l i c h (wie Anm. 3), S. 220f., 252ff. u.ö. - Zum Kölner Erzbischof vgl. auch: Die Regesten der Erzbischöfe von Köln, Bd. 3,2, bearb. von R. K n i p p i n g (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 21), Bonn 1913, S. 164 Nrn. 2181-2590. 8 Erfurt: BR 2261a-2387 (14. Dezember 1289-1. November 1290); Altenburg: BR 2387a-2389 (8.-10. November 1290).

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also in gänzlich anderem Umfang der Verwirklichung politischer Maßnahmen; es geht um das anderweit im Reich bereits begonnene Bemühen um die Durchsetzung eines unter königlicher Hoheit stehenden Reichslandfriedens. Norddeutschland lag also jenseits der Regionen des Reiches, in denen Rudolf von Habsburg seine Herrschaft durch persönliche Anwesenheit zur Geltung brachte. Dies unterscheidet diese Region von nahezu allen anderen des Reiches, sieht man einmal von so peripher gelegenen Gebieten wie der preußisch-livländischen Region ab. Schon im Itinerar Rudolfs - und seiner Nachfolger - wird die Randlage dieses Reichsteiles also auffallend deutlich.

B. Der Eindruck der Randlage Norddeutschlands unter Rudolf von Habsburg verstärkt sich noch, wenn man die Praxis seiner Urkundenvergabe in Augenschein nimmt. Rudolf stellte während seiner gut achtzehnjährigen Regierung 2223 Urkunden für 943 Empfänger aus9. 356 Empfänger waren Geistliche (38%), 365 Empfänger Weltliche (39%), und 222 Empfänger waren Städte bzw. deren Bürger (23 %). Von diesen mehr als 2200 Urkunden gingen ganze 66 (3%) nach Norddeutschland. 20 von ihnen (30%) gelten geistlichen Empfängern, 8 (12%) gehen an den weltlichen Adel, 38 (58%) an Städte. Im einzelnen verteilen sich die Urkunden folgendermaßen:

Diese und die folgenden Zahlen nach M a r t i n (wie Anm. 3), S. 148.

Rudolf von Habsburg und Norddeutschland

Westfalen

143

Niedersachsen /Nordelbien

Mecklenburg/ Brandenburg/ Pommern

Stifte und Corvey 1 Klöster Hardehausen 1

Goslar 3 Walkenried 3 Neuwerk/Goslar 1 1 Pöhlde Riddagshausen 1



Bistümer

Paderborn Münster

2 1

Hildesheim Lübeck Ratzeburg

2 2 2

Städte

Osnabrück

2

Lübeck Goslar Harburg Helmstedt

22 12 1 1

Hzz. Sachsen Hzz. Brschwg.

Adel

Summe

7





5 2

Mgff. von Brandenbg. 1

58

1

Der Befund ist eindeutig: Norddeutschland steht auch hinsichtlich der Urkundenvergabe in einer Randsituation. Allein in den niederrheinischen Raum gehen weit mehr Urkunden als in das gesamte Norddeutschland, und gleiches gilt für den südlich an Brandenburg angrenzenden Bereich der mittleren Elbe und der wettinischen Länder. Wenn überhaupt der rein quantifizierende Blick auf die Urkundenvergabe einen analytischen Wert hat, so tritt aus dieser Aufstellung die ephemere Bedeutung des Reichsnordens für Rudolfs von Habsburg Urkundenvergabe deutlich hervor. Es ist, gerade auch im Vergleich zu seinen Nachfolgern, auffallend, wie wenige Urkunden Rudolfs in Gebiete gehen, die jenseits seines Itinerargebietes liegen; Adolf von Nassau und Kaiser Heinrich VII. haben mehr als dreimal soviele Urkunden in jene Regionen ergehen lassen10. Sieht man näher hin, so gilt überdies noch die Hälfte aller für Norddeutschland ausgestellten Urkunden des Königs zwei Empfängern, den 10

M a r t i n (wie Anm. 4), S. 185.

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Thomas Vogtherr

Reichsstädten Lübeck und Goslar. In der Einwirkung auf die Geschicke dieser beiden Schwerpunkte königlicher Politik im Reichsnorden wird man ein besonderes Interesse des Habsburgers sehen müssen. Hier besaß der König Anknüpfungspunkte für den Versuch, die Stellung seines Königtums im Norden zu befestigen, womöglich weiter auszubauen. Reichsstädte spielen aber auch in den südlich unmittelbar an Norddeutschland angrenzenden Gebieten eine bedeutende Rolle als Urkundenempfänger: Dortmund (6 Urkunden), Mühlhausen und Nordhausen (je 5 Urkunden) stehen in diesen Nachbargebieten im Vordergrund. Daran zeigt sich, daß und wie sehr die Reichsstädte in den königsfernen Regionen schon Mitteldeutschlands, erst recht aber Norddeutschlands wesentliche Kristallisationspunkte der königlichen Herrschaftsausübung darstellen11. Betrachtet man die geistlichen Empfänger in Norddeutschland, so fällt die große Zahl der reinen Bestätigungen von Besitz und Rechten12 ins Auge, die im allgemeinen auf Bestreben der Empfänger ausgestellt worden sein werden. Urkunden eigenständigen, neuen Rechtsinhalts ergehen lediglich an die Zisterze Walkenried sowie das Reichsstift Goslar13. Unter den Urkunden für Bischöfe und Bistümer fällt eine Gruppe von Regalienverleihungen zugunsten neugewählter norddeutscher Bischöfe stark ins Gewicht14. Diese Beobachtungen führen im Resultat dazu, das inhaltliche Gewicht der nach Norddeutschland gehenden Urkunden Rudolfs von Habsburg noch weiter zu reduzieren, als dies die geringe Zahl der Beurkundungen ohnehin schon bedingen würde. Von eigenständiger Privilegierung norddeutscher Empfänger kann im Grunde nur mehr bei den Städten Lübeck und Goslar, dem Reichsstift Goslar und dem traditionell an intensiven Beziehungen zum Herrscher interessierten Zisterzienserkloster Walkenried15 die Rede sein. Dazu kommt eine intensivere Bündnispolitik im Zusammenhang mit den Landfrieden Norddeutschlands, die u.a. ihren Ausdruck in Urkundenerteilungen an die Weifen und Askanier findet.

Π So auch M a r t i n (wie Anm. 3), S. 62f. 12 BR 197 (Walkenried), 1124 (Riddagshausen), 1651 (Hardehausen), 1892 (Corvey), 2282 (Pöhlde), 2297 (Neuwerk/Goslar). 13 BR 321, 589, 1948, 2377 (Goslar); 201, 2280 (Walkenried). 14 BR 155 (Ratzeburg), 260 (Lübeck), 387 (Münster), 1110 (Lübeck), 1275 (Paderborn), 1938 (Ratzeburg). 15 Vgl. G. S t r e i c h , Klöster, Stifte und Kommenden in Niedersachsen vor der Reformation (Studien u n d Vorarbeiten z u m H i s t o r i s c h e n Atlas N i e d e r s a c h s e n s 3 0 ) , H i l -

desheim 1986, S. 126f. (mit älterer Literatur).

Rudolf von Habsburg und Norddeutschland

145

Was die Urkunden Rudolfs von Habsburg angeht, so ist noch auf eine letzte Beobachtung hinzuweisen: Keine einzige Königsurkunde für Norddeutschland ist in deutscher Sprache ausgestellt16. Allein eine Hofrichterurkunde Hermanns von Bonstetten sowie eine Urkunde des Landfriedensrichters Graf Heinrich von Blankenburg, beide von 1290 für das Domstift Goslar17, sind deutschsprachig abgefaßt. Man wird hieraus sicherlich folgern dürfen, daß der Teilung des deutschen Sprachraumes in einen hochdeutschen und einen niederdeutschen Teil auch insoweit Rechnung getragen wurde, als nur ausgesprochen wenige (hoch-)deutsche Urkunden für Empfänger in Niederdeutschland ausgestellt wurden18. Jedoch wird man darin keinen weiteren Beleg für eine politische Randlage des Reichsnordens sehen dürfen.

c. Wie nun wurde der Kontakt zwischen dem Reichsnorden und dem Zentralraum des Reiches Rudolfs im Süden bzw. Südosten hergestellt und aufrechterhalten? Nur ausgesprochen wenige Besuche norddeutscher Abgesandter bei Hofe sind überliefert; von einer regelmäßigen Tätigkeit aus Norddeutschland stammender Personen bei Hofe ist nahezu nichts bekannt19. Das deckt sich weitgehend mit den Befunden aus den Spätmittelalter im allgemeinen20. Angesichts der ohnehin dünnen Bezeugung von Reichsfürsten am Hofe Rudolfs von Habsburg fällt es kaum ins Gewicht, daß nur verschwindend wenige norddeutsche Reichsfürsten bei Hofe nachweisbar 16 Den Hinweis auf dieses Problem verdanke ich Herrn Professor Dr. Fritz Peter Knapp (ehemals Passau, jetzt Kiel). 17 BR 2330. 18 Eine Durchsicht der frühen deutschsprachigen Königsurkunden im Hinblick auf die sprachgeographische Lage der Empfänger ist mir nicht bekannt. - Vgl. zum Problem im allgemeinen: M. V a n e s a , Das erste Auftreten der deutschen Sprache in den Urkunden (Preisschriften gekrönt und herausgegeben von der Fürstlich Jablonowski'sehen Gesellschaft zu Leipzig 30), Leipzig 1895; H. G. K i r c h h o f f , Zur deutschsprachigen Urkunde des 13. Jahrhunderts, in: ArchDipl 3, 1957, S. 287-327. 19 Eine Ausnahme stellt der wohl aus Westfalen stammende königliche Notar und Protonotar Gottfried von Osnabrück dar, der in der Reichskanzlei 1274-81 nachweisbar ist (erstmals BR 139; letztmals BR 1297), 1277-79 als Propst des Kärntner Stifts Maria Saal, 1280-83 als Passauer Dompropst und 1283-85 als dortiger Bischof amtiert (über ihn: Κ. Κ1 u t z, Der Einfluß Rudolfs von Habsburg auf die Vergebung geistlicher Stellen in Deutschland, Diss. phil. Berlin 1936, S. 54-68). 20 Vgl. Μ o r a w, Nord und Süd (wie Anm. 1), passim.

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sind. Vielmehr könnte man es geradezu für kennzeichnend halten, daß die neugewählten norddeutschen Bischöfe zur Investitur mit den Regalien und Ableistung des Eides in der Regel den königlichen Hof nicht aufsuchten. Bischof Eberhard von Münster erhielt 1275 die Regalien vom König durch Albertus Magnus übersandt, der dem Elekten das Versprechen abnehmen sollte, den Treueid binnen Jahr und Tat vor dem König abzuleisten21; Bischof Burchard von Lübeck sollte 1279 dem askanischen Herzog Johann von Sachsen den Treueid leisten und von ihm die Regalien in Empfang nehmen, ebenso 1285 Bischof Konrad von Ratzeburg gegenüber Herzog Albrecht von Sachsen22. 1281 schließlich erhält Bischof Otto von Paderborn die Regalien mit der Auflage übersandt, vor seinem Amtsbruder Konrad in Osnabrück den Eid zu leisten23. So war und blieb das gängige Mittel der Kontaktherstellung und Kontaktpflege die Gesandtschaft vom bzw. zum reisenden Hof des Königs. Freilich sind auch dafür die Belege außerordentlich dünn gesät; am meisten ist noch über die diplomatischen Kontakte Lübecks zum Königshof und König Rudolfs zu Lübeck auszumachen. Die erste Kontaktaufnahme Rudolfs von Habsburg mit Lübeck wurde im Frühjahr 1274 dem Grafen Heinrich von Fürstenberg übertragen, einem der wichtigsten Räte und Diplomaten des Habsburgers und als sein Vetter überdies mit ihm verwandt24. Er sollte die Huldigung der Lübecker erwirken und sich die fällige Reichssteuer auszahlen lassen. Einen unmittelbaren Erfolg erzielte dieser ausgesprochen hochrangige Emissär des Königs freilich nicht. Lübeck sandte erst im November 1274 seinerseits eine Gesandtschaft an den in Hagenau weilenden König, die ihm dort huldigte und die Steuern entrichtete25. Mitglieder dieser Lübecker Gesandtschaft waren der Bürgermeister Heinrich Stenecke sowie der Ratsherr Johann Mönch, 21 BR 386, 387. - Zur persönlichen Eidesleistung Bischof Eberhards scheint es nicht gekommen zu sein. 22 BR 1110, 1938. - Die Hoheit über die Bistümer Lübeck, Ratzeburg und Schwerin war dem Askanier Albrecht I. von Sachsen 1252 durch König Wilhelm von Holland übertragen worden (S t e i η b a c h, [wie Anm. 3], S. 28f.). 23 BR 1275. 24 BR 152. - Uber Heinrich von Fürstenberg vgl. R e d l i c h (wie Anm. 3), passim. 25 BR 250, 254, 255 (1274 November 1/5/6). - Möglicherweise blieb diese Gesandtschaft, der sich wohl auch der Lübecker Bischof Johann angeschlossen hatte (BR 260), noch bis zum Martinihoftag in Nürnberg bei Hof. Dieser Hoftag sollte ursprünglich wohl aum 24. Juni an gleichem Orte stattfinden, wozu auch eine Lübecker Gesandtschaft auf Reisen gehen sollte (BR 170), w a r aber w e g e n der V e r z ö g e r u n g des A b schlusses des Konzils von Lyon um fast fünf Monate verlegt worden (BR 173).

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beide vorher wie nachher in diplomatischen Diensten der Stadt erfahrene Männer26. Ihre Entsendung legt zum einen von der Bedeutung Zeugnis ab, die den Bindungen Lübecks an die Königsherrschaft des Habsburgers beigemessen wurde, andererseits aber zeigt die zunächst erfolgende Abwehr der Wünsche des Fürstenberger Grafen auch sehr wohl, daß sich Lübeck seiner erheblichen Bedeutung im Norden des Reiches bewußt war und nicht willens zu sein schien, sich unter Druck setzen zu lassen. Auch in den folgenden Jahren wurde den Kontakten zwischen Rudolf von Habsburg und der Stadt Lübeck eine hohe Bedeutung beigemessen, wenn man das aus dem Rang der beiderseitigen Gesandtschaften und Mittelsleute schließen darf. Nur schwer erkennbar ist die Rolle, die dem Deutschmeister des Deutschen Ordens Gerhard von Hirschberg im Verkehr mit Lübeck zugedacht war: Im Januar 1278 erhält er einen kleinen Teil der Reichssteuern in Lübeck ausgezahlt27. Auch sonst scheint er bei Hofe im zweiten Glied eine gewisse Rolle gespielt zu haben28. Im Jahre 1282 übernimmt Graf Günther von Schwarzburg, ein Schwager des Königs, die Gesandtschaft nach Lübeck29. Er tritt vielfach im Gefolge des Königs auf und war durch seine Ehefrau Helene, Tochter des askanischen Herzogs Johann von Sachsen, in besonderem Maße mit dem Norden des Reiches verbunden30. In einem Schreiben vom Frühjahr 128331 dankt der Schwarzburger den Lübeckern für die prompte Bezahlung der Steuersumme, die sie seinen Boten ausgehändigt hätten, und für die freundliche Aufnahme dieser Boten. Dann berichtet er von einem Vorfall, der sich wegen der fortdauernden Streitigkeiten zwischen der Stadt und den Markgrafen von Brandenburg am Königshofe abgespielt hätten. Beauftragte der Brandenburger 26 E.F. F e h l i n g , Lübeckische Ratslinie von der Anfängen der Stadt bis auf die Gegenwart (Veröffentlichungen zur Geschichte der Freien und Hansestadt Lübeck 7), Lübeck 1925, S. 19 Nrn. 202, 203. 27 Urkundenbuch der Stadt Lübeck, Bd. 1, Lübeck 1843, S. 359 Nr. 390 vom 1278 Januar 16 in Verbindung mit der Quittung Rudolfs für Lübeck von April 4 (BR 931 = Urkundenbuch Lübeck, Bd. 1, S. 361 Nr. 393). 28 Vgl. beispielsweise den Brief des Edelherrn Gebhard von Querfurt an ihn, vermutlich von 1277 (BR 902). - Gebhard von Hirschberg ist 1268 als Landkomtur der Deutschordensballei Franken belegt, 1272-79 als Deutschmeister, danach 1282 noch einmal als Komtur von Horneck (D. J. W e i s s , Die Geschichte der Deutschordensballei Franken im Mittelalter [Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte EX 39], Neustedt/Aisch 1991, S. 198). 29 BR 1723; vgl. auch Urkundenbuch Lübeck (wie Anm. 27), S. 394f. Nr. 436. 30 Zu dieser Nahehe vgl. den Dispens Papst Martins IV. von 1283 November 22 (BR 1803). 31 BR 1770 = Urkundenbuch Lübeck (wie Anm. 27), S. 399f. Nr. 443.

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hätten am Königshof negativ über die Lübecker gesprochen. Daraufhin, so fährt Günther von Schwarzburg fort, habe er selber sich gegen diese Gesandten gewandt und Lübeck verteidigt, vor allem aber habe der königliche Kaplan und Notar Otto so, wie er von Lübeck beauftragt worden sei, den Brandenburger Standpunkt widerlegt. Zweifellos ist dieser königliche Notar als Lübecker Prokurator am Königshof anzusehen, der aufgrund von Instruktionen des Lübecker Rates im Interesse der Stadt tätig wurde, vermutlich ohne ein unmittelbares Verhandlungsmandat zu besitzen. Seine eigentliche Rolle wird in der Stellungnahme im lübischen Interesse bei Hof gelegen haben, aber sicher auch in der Information der Lübecker über die Vorgänge am Hof. Diese Vermutungen bestätigt auch die einzige, bisher bekannt gewordene Parallele aus der Regierungszeit König Rudolfs: Auch Graf Johann von Hennegau unterhielt wie Lübeck einen Prokurator am Königshof, von dessen Existenz man aus dem Jahre 1282 erfährt32. Dieser Prokurator namens Wilhelm wird von einem gräflich-hennegauischen Notar folgendermaßen mit Instruktionen versehen: Graf Johann wolle gegen seinen Widersacher im Kampf um Reichsflandern, den Grafen Guido von Flandern, nunmehr bei Hof prozessieren. Zur Vorbereitung dieses Prozesses solle der Prokurator Wilhelm den König für seine Position einzunehmen versuchen, sodann in dieser Sache geschriebene Briefe des hennegauischen Notars an den König und dessen Räte übergeben und vor allem den Grafen Heinrich von Fürstenberg und den Burggrafen Friedrich von Nürnberg auf die Seite Graf Johanns ziehen. Er solle dann einen offenen Brief Rudolfs erwirken, in dem dieser alle Reichsgutverleihungen Richards von Cornwall für ungültig erkläre - damit auch die Belehnung des Grafen Guido von Flandern. Ob letztlich diese Instruktion oder nicht doch eher die persönliche Anwesenheit des Grafen Johann von Hennegau das gewünschte Ergebnis zeitigten, steht dahin: Mitte Juni 1282 macht sich König Rudolf in einer Serie von Privilegien den hennegauischen Rechtsstandpunkt zu eigen und belehnt den Grafen auch mit Reichsflandern33. Dergleichen Instruktionen sind aus Lübeck nicht erhalten; daß sie in ähnlicher Weise existiert haben werden, ist außerordentlich wahrscheinlich. Dies wird zumal deswegen anzunehmen sein, weil in der Folgezeit nur noch selten gleich hochrangige Gesandtschaften der Stadt Lübeck an den Königshof belegt sind. In zwei Fällen läßt es sich präzisieren, wen 32 33

BF 1629. BF 1668, 1669, 1671, 1673.

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die Stadt Lübeck als Gesandten an den Königshof gesandt hat: Wohl im Zusammenhang mit dem Brief Rudolfs an Lübeck vom Juni 1284 aus Freiburg dürfte die Eintragung in Lübecker Kämmereirechnungen dieser Zeit stehen, daß der Stadtschreiber (Johannes) Samekowe 21Ά Mark Silber für eine Reise ad regem Romanum bekommen habe34. Im Juni 1291 suchte dann der Lübecker Stadtschreiber Alexander Huno den Hof des Königs in Mainz auf und wird in der dort erwirkten Urkunde Rudolfs ausdrücklich erwähnt35. Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die Mittel der Politikpraxis kaum vom Gewohnten abweichen: Mit Hilfe von Gesandtschaften wird der Kontakt zwischen dem Königshof und dem entlegenen Norden des Reiches hergestellt. Diese Art der Aufnahme von Kontakten zeigt aber gleichzeitig auch, wie wenig stetig die Partner miteinander in Verbindung blieben. Das unterscheidet den Norden des Reiches zwar in keiner Weise von den übrigen Regionen Deutschlands, aber der punktuelle Charakter der beiderseitigen Kontakte wird angesichts der objektiven Schwierigkeiten, die sich häufigeren gegenseitigen Besuchen aufgrund der größeren Reisedistanz in den Weg stellten, doch deutlicher. Mit anderen Worten: Norddeutschland war nicht nur in der Politik des Königs an den Rand gerückt, sondern war aufgrund seiner geographischen Lage im Verhältnis zu den Zentren des Reiches auch kaum in der Lage, in ein auf Dauer angelegtes engeres Verhältnis zum Königshof zu kommen. Verstärkt wurde diese Randlage noch zusätzlich dadurch, daß lange Jahre hindurch die Politik des Habsburgers von Auseinandersetzungen um den Süden und Osten des Reichsgebietes okkupiert wurde.

34 Urkundenbuch Lübeck (wie Anm. 27), Bd. 2, Lübeck 1858, S. 1027 Anm. 8. Der Hintrag befindet sich als wenig späterer Nachtrag zwischen Ausgabenposten der Jahresmitte 1283. - Uber die beiden Stadtschreiber vgl. F. B r u n s , Die Lübecker Syndiker und Ratssekretäre bis zur Verfassungsänderung von 1851, in: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 29, 1938, S. 120. 35 BR 2478 = Urkundenbuch Lübeck (wie Anm. 27), Bd. 1, S. 524f. Nr. 579. Ein Fragment lübischer Botenrechnungen aus den Jahren 1287/88 enthält keinerlei Nachweise von Kontakten zum Königshof (Urkundenbuch Lübeck, Bd. 2, S. 1031 Nr. 1088), verzeichnet aber sichtlich nur niederrangige Boten, keine diplomatischen Gesandten.

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D. Der bisher gewonnene Eindruck von der Randlage Norddeutschlands im Reich Rudolfs von Habsburg bestätigt sich auch dann, wenn man die Inhalte der königlichen Politik gegenüber dieser Region betrachtet. Von Westen nach Osten betrachtet, hatte sich Rudolf von Habsburg mit folgenden Territorialherrschaften und politischen Einflußgrößen auseinanderzusetzen: In Westfalen herrschten seit dem Ende Heinrichs des Löwen immer noch Auseinandersetzungen um das Ausmaß des Einflusses der Kölner Erzbischöfe auf das ihnen übertragene Herzogtum Westfalen vor. Seit 1260 besaßen die Kölner durch die Abgrenzung der Interessensphären mit den Braunschweiger Weifen praktisch bis zur Weser freie Hand. Die Hochstifter Münster, Paderborn und Osnabrück, weniger das territorial eingeschränkte Minden, vor allem aber auch die Herrschaft der bedeutenden Edelherren zur Lippe, definierten ihr Verhältnis zu Rudolf von Habsburg fast durchweg aus ihrer Parteinahme gegen die Kölner Erzbischöfe Engelbert von Falkenburg (1261-74) und Siegfried von Westerburg (1275-97), jedenfalls bis zur Schlacht von Worringen 1288, mit der die kölnische Vorherrschaft im Rheinland, aber eben auch in Westfalen ihr Ende fand 36 . Insoweit sich eine aktive Reichspolitik Rudolfs von Habsburg in dieser Region erfolgreich durchsetzen wollte, mußte sie diese grundsätzliche Frontstellung der Kölner gegen die übrigen westfälischen Landesherren beachten. Östlich der Weser dominierten die weifischen Territorien. Das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg bestand seit 1267/69 aus einem stabil bleibenden Lüneburger Teil und einem 1279 nochmals geteilten Braunschweiger Teil, dessen Herzöge Albrecht I. von Braunschweig (1252-79) sowie Heinrich von Grubenhagen (1279-1322) und Albrecht Π. von Göttingen (1279-1318) in der Reichspolitik wesentlich stärker hervortraten als ihr Lüneburger Bruder bzw. Onkel 37 . In gewissen Spannungen zu den weifischen Territorien standen durchweg die Diözesen Hildesheim und Halberstadt mit ihren in den wel36 Als Uberblick: Westfälische Geschichte, hg. von W. K o h l , Bd. 1, Düsseldorf 1983, S. 393^440. 37 Als Uberblick: H. P a t z e , Die weifischen Territorien im 14. Jahrhundert, in: Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert, hg. von dems., Bd. 1 (Vorträge und Forschungen 14), Sigmaringen 1971, S. 7-99, hier: S. 7-21.

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fischen Machtbereich hineinragenden Hochstiftern, während die im Nordwesten benachbarten Territorien des Erzstifts Bremen sowie des kleinen Hochstifts Verden im wesentlichen politisch eigene Wege gingen, allerdings in der Grenzzone zu den Weifen immer wieder mit deren territorialpolitischen Zielsetzungen in Konflikt gerieten. Nördlich der Elbe Schloß sich die Grafschaft Holstein an die weifischen Territorien an, daneben aber auch und vor allem das zwar kleine, aber reichspolitisch wichtige askanische Herzogtum Sachsen-Lauenburg unter Herzog Johann (1260-85). Die Askanier in Lauenburg und Wittenberg, vor allem aber auch in der Mark Brandenburg, wurden in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu einer für Norddeutschland entscheidenden Dynastie38. Freilich lag das Schwergewicht der askanischen Herrschaft im östlichsten, hier zu behandelnden Teil Norddeutschlands, im Gebiet zwischen Elbe und Oder. Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts in der Mark Brandenburg ansässig, waren die Brandenburger Markgrafen aus askanischem Hause seit 1220 in zwei Linien geteilt, die nach ihren Begründern Johann I. (1220-66) und Otto m . (1220-67) bezeichnet wurden und deren interne Auseinandersetzungen wesentliche Rückwirkungen auf ihre Stellung zu Rudolf von Habsburg und seiner Politik hatten39. Als Vormacht des Nordostens versuchten die Brandenburger, ihre Stellung gegenüber Rudolf von Habsburg ebenso auszubauen wie gegenüber den benachbarten Territorialmächten an der Ostseeküste, deren Schwäche hinsichtlich der Herrschaften Mecklenburg und Werle sowie des Herzogtums Pommern und des noch eigenständigen Fürstentums Rügen gleichermaßen offensichtlich war. Die brandenburgischen Expansionsversuche in diese wenig entwickelten und politisch randständigen Territorien hinein bestimmen die Regierungszeit Rudolfs von Habsburg in erheblicher Weise40, ebenso aber auch und vor allem die zu diesem Zweck abgeschlossenen Bündnisse der Brandenburger mit benachbarten Territorien, vor allem der Grafschaft Holstein. Kristallisationspunkt der norddeutschen politischen Fronten war die Stadt Lübeck, seit Barbarossa und vollends seit Friedrich Π. mit enger 38 Als Uberblick: W.-D. M o h r m a n n , Lauenburg oder Wittenberg? Zum Problem des sächsischen Kurstreites bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 8), Hildesheim 1975. 39 Als Überblick: J. S c h u 11 ζ e, Die Mark Brandenburg, Bd. 1, Berlin 1961, S. 176-197; S t e i η b a c h (wie Anm. 3), S. 106-112. 40 Als Überblick: M o h r m a n n (wie Anm. 3), S. 7-20.

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Bindung an Reich und König versehen, andererseits aber in ständigen Auseinandersetzungen mit benachbarten Territorien, insbesondere den schauenburgischen Grafen von Holstein befindlich41. Lübecks Stellung als die eines Anknüpfungspunkts für die Revindikationspolitik Rudolfs von Habsburg im Norden war es, die die Stadt für den König derart wichtig machte, die ihn aber auch unmittelbar in die politischen Fronten des Nordens hineinzog und Parteinahmen verlangte, hinter denen die übergeordneten Ziele der Revindikation und der Landfriedenswahrung gelegentlich zurücktreten mußten.

E. Das Bemühen um Norddeutschland begann für Rudolf von Habsburg wortwörtlich am Tage seiner Wahl42. Anders als Richard von Cornwall war Rudolf auch von den beiden norddeutschen Kurfürsten, den Askaniern aus Sachsen und denen aus Brandenburg, gewählt worden. So bot sich zunächst eine Möglichkeit, diese beiden Wähler und damit die mächtigsten Territorialherren des Nordens auf die Seite des Königtums zu ziehen. Jedoch gelang es Rudolf lediglich, den sächsischen Kurfürsten Albrecht Π. an sich zu binden, dem er noch am Krönungstage seine Tochter Agnes zur Frau gab43. Gegenüber den Brandenburgern glückte eine solche dauerhafte Anbindung an das habsburgische Königtum nicht. Ganz im Gegenteil: Markgraf Johann Π. von Brandenburg (1266-1281), der Inhaber der Kurfürstenstimme, distanzierte sich wegen mangelnder Entgeltung seiner Parteinahme für Rudolf recht bald vom König. Rudolf seinerseits konnte nur darauf hoffen, die internen Streitigkeiten der beiden brandenburgischen Linien untereinander für seine Zwecke ausnutzen zu können. Daß er dabei Erfolg hatte, zeigt die Vermählung seiner Tochter Hedwig mit Markgraf Otto VI. "dem Kleinen" von Brandenburg aus der ottonischen Linie im Jahre 127944. Noch ein drittes Element bestimmt von Anfang an das politische Tableau im Nordosten des Reiches: die gegeneinander gerichteten Inter41 Als Uberblick: Lübeckische Geschichte, hg. von A. G r a ß m a n n , Lübeck 1988, S. 121-133. 42 Vgl. zum folgenden vor allem: S t e i η b a c h (wie Anm. 3), S. 68-98, 106112. 43 BR 6a. 44 BR 1060a.

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essen des Königs und der johanneischen Brandenburger in Bezug auf die Stadt Lübeck. Johann Π. setzte die Versuche seiner Vorfahren fort, auf die aufstrebende und mehr und mehr auch wirtschaftlich interessant werdende Stadt Lübeck Einfluß zu gewinnen, während Rudolf dem allein schon deswegen entgegensteuern mußte, weil Lübeck einen der ganz wenigen Ansatzpunkte für die Revindikationspolitik im königsfernen Norden des Reiches bildete und schon deswegen die Aufgabe königlichen Einflusses auf die Stadt nicht in Frage kommen konnte. In diesen Zusammenhang ordnet sich die sehr frühe und - wie es scheint - drängende Kontaktaufnahme Rudolfs mit Lübeck noch im Frühjahr 1274 ein45. Damit waren die Grundelemente rudolfinischer Politik im Norden des Reiches im Grunde schon im ersten Regierungsjahr deutlich erkennbar: Wollte man - was wohl unstrittig war - auch den Norden des Reiches wieder enger an das süddeutsche Königtum binden, so mußten die vorhandenen Reichsrechte und -güter im Norden den Ausgangspunkt bilden; das galt vor allem für Lübeck. In zweiter Linie mußte die Befriedigung der politischen Erwartungen der beiden norddeutschen Wähler erfolgen, die freilich wenigstens im Falle Brandenburgs den königlichen Interessen geradezu konträr entgegenstanden. Der Versuch eines Ausgleiches mußte angesichts der Interessen der Beteiligten nahezu zwangsläufig drei Folgen haben: Er mußte zum ersten den Auseinandersetzungen um Lübeck eine zentrale Rolle zuweisen, zum zweiten die sächsischen Askanier in eine Schlüsselrolle bringen und konnte sich zum dritten die internen Differenzen zwischen den beiden Linien der Brandenburger zunutze machen, um deren Maximalforderungen abzuwehren. Der Schlüssel der Politik Rudolfs im Norden lag also in Lübeck. Kaum waren die Lübecker Gesandten im November 1274 am Königshof in Hagenau erschienen, da konnten sie eine denkbar umfassende Bestätigung der lübischen Privilegien in Empfang nehmen, in der Rudolf noch dazu explizit auf eine Verpfandung Lübecks an Dritte verzichtete46. Die Gegenleistung der Lübecker erfüllte ebensosehr die Erwartungen des Königs: Sie huldigten ihm und sagten die künftige Zahlung der Reichssteuem zu. 1277 wurde Lübeck ebenso wie Goslar, Mühlhausen und Nordhausen sowie die übrigen Reichsbesitzungen in Thüringen, Sachsen und "Slavien" dem askanischen Herzog Albrecht Π. von Sachsen sowie dem 45

46

Vgl. oben bei Anm. 24. BR 255.

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weifischen Herzog Albrecht von Braunschweig (1252-1279) als Reichsstatthaltern (administratores et rectores) unterstellt47. Erstmals hier tritt der eigentliche Inhalt der Revindikationspolitik Rudolfs im Norden des Reiches zutage: Die Statthalter sollen Reichsgüter zurückfordern und einziehen, wenn sie einmal entfremdet worden sein sollten, sollten überdies die Gerichtsbarkeit ausüben und allgemein den Nutzen des Reiches fördern 48 . Die Maßnahme war sichtlich auf längere Frist angelegt, konnte auch ohnehin keine kurzfristigen Resultate erbringen. Vielmehr mag einer der wesentlichen Antriebe für die Berufung der Statthalter gerade im Jahre 1277 die Verschärfung der Auseinandersetzungen mit Ottokar von Böhmen gewesen sein, für die Rudolf im Norden den Rücken frei haben wollte. So zeitigte die Tätigkeit der Statthalter auch bis zum Tode des Weifen Albrecht am 15. August 1279 keine sichtbaren Ergebnisse. Als freilich Rudolf von Habsburg am 24. August 1280 die drei Brandenburger Johann Π., Otto IV. und Konrad I. aus der johanneischen Linie zu Nachfolgern des Weifen bestimmte49, war der Konflikt mit Lübeck unausweichlich geworden. Zwar mußte Rudolf selber angesichts der proböhmischen Haltung der ottonischen Askanier nunmehr an einer Stützung der johanneischen Linie gelegen sein - und insoweit war seine Entscheidung auch folgerichtig -, er wird aber die Konfliktbereitschaft und -fähigkeit Lübecks gründlich unterschätzt haben. Die Stadt Lübeck verweigerte jede Form von Erfüllung brandenburgischer Forderungen, die aus der Statthalterschaft abgeleitet wurden 50 , und zwang Rudolf dadurch, seine Verfügung nach knapp zwei Jahren wieder rückgängig zu machen und statt dessen den askanischen Herzog Johann von Sachsen neben seinem Bruder Albrecht mit der Statthalterschaft zu betrauen51. Die Brandenburger hatten seither keinerlei Möglichkeiten mehr, in königlichem Auftrag auf Lübeck einzuwirken. Jedoch hatte das Zurückweichen Rudolfs vor der Härte des Lübecker Standpunktes auch die Folge, daß damit seine eigenen Einwirkungsmöglichkeiten auf Lübeck praktisch erschöpft waren. Lübeck hatte sich möglicherweise nicht einmal gewollt - durch die Zurückweisung der

47 48 49

BR 866. Zur Institution vgl. S t e i η b a c h (wie Anm. 3), S. 93-98. BR 1219.

50

S t e i n b a c h ( w i e A n m . 3 ) , S. 7 3 .

51

BR 1653; vgl. 1723, 1736.

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brandenburgischen Statthalter ein wesentlich größeres Maß an politischer Freiheit gegenüber Reich und König gesichert als vorher. Nicht nur in Lübeck, aber vor allem an diesem Punkt wird der Umbruch in der Politik Rudolfs gegenüber dem Norden in den Jahren 1282/83 deutlich sichtbar. In der ersten Hälfte seiner Amtszeit versuchte der König, mit dem Mittel der Geltendmachung vorhandener Reichsrechte die Position des Königtums im Norden zu stärken. Er sah sich dabei einander widerstreitenden Interessen der beteiligten und betroffenen Territorien und der Stadt Lübeck gegenüber, die schwer miteinander zu vereinbaren waren. Endgültig unmöglich gemacht wurde ein Erfolg dieser Revindikationen durch die Tatsache, daß insbesondere die brandenburgischen Markgrafen auch im Süden des Reiches, vor allem im böhmischen Raum, aktiv wurden und daß sich dadurch Parteinahmen in verschiedenen politischen Teilsystemen unvereinbar überlagerten. Der von Lübeck nicht hinzunehmende Wechsel Rudolfs von der ottonischen zur johanneischen Linie der Markgrafen ist dafür ein Symptom.

F. Nach dem sichtbar werdenden Scheitern der Politik Rudolfs von Habsburg gegenüber dem Reichsnorden in den Jahren bis etwa 1282 mußte der König nach neuen Mitteln suchen, sollte der Norden seiner Einwirkung nicht völlig entzogen werden. Gleichzeitig entwickelte sich auch in den norddeutschen Territorien der Plan, den immer drängender werdenden brandenburgischen Expansionsplänen entgegenzutreten und die relativ schwachen Ostseerandterritorien gegen Brandenburg zu einen. Aus diesem Plan entwickelte sich der Landfrieden von Rostock aus dem Jahre 1283, der zu einer grundsätzlichen Neugestaltung der politischen Fronten im Norden beitrug52. Beim Regierungsantritt Rudolfs von Habsburg bestand seit 1272 ein gegen Brandenburg gerichtetes Bündnis unter Führung des Erzbischofs Konrad von Magdeburg (1266-77). Diesem Bündnis gehörten die Ostseeanrainer Mecklenburg, Werle und Rügen sowie die südlich angrenzende Grafschaft Schwerin an, außerdem die Stadt Rostock, nicht aber Lübeck und die sächsischen Askanier53. 52 Dazu im allgemeinen: M o h r m a n n (wie Anm. 3), S. 50-84; eine Karte der am Landfrieden beteiligten Territorien ebd. nach S. 64. 53 Ebd. S. 14f.

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Weder Lübeck noch die wesentlich an Mecklenburg interessierten Sachsen konnten Interesse an einem Bündnis besitzen, dessen alleiniger Zweck gegen Brandenburg gerichtete Militäraktionen gewesen sind. Vielmehr kam es insbesondere Lübeck darauf an, jenseits der territorialen Mißhelligkeiten mit den Nachbarn eine Zone ungestörten und rechtlich gesicherten Handelsverkehrs zwischen Hamburg und den Ostseestädten zu errichten und zu verteidigen, ein Vorhaben, bei dem ein zu weit gehendes Engagement in Bündnissen dieser Art eher hinderlich als förderlich sein mußte 54 . So war ein nur rudimentär gemeinsames Interesse einer antibrandenburgischen Koalition für den Abschluß des Landfriedens von Rostock am 13. Juni 1283 ausschlaggebend55, daneben aber auch und wohl vor allem der Gedanke, mit Hilfe des von König Rudolf von Habsburg in den Vordergrund seiner Politik gestellten Gedankens des Landfriedens die je eigenen territorialen und politischen Interessen zu überwölben und bei allen Differenzen untereinander zu verbinden. Es wäre folglich auch völlig verfehlt, den Landfrieden von Rostock als einen königlichen Landfrieden im Norden des Reiches anzusehen56. Vielmehr schlossen sich die Beteiligten - die Städte Lübeck, Rostock, Wismar, Stralsund, Greifswald, Anklam, Demmin und Stettin, die Herzöge von Pommern, die Herren von Rügen, Mecklenburg und Werle, die Grafen von Schwerin und Dannenberg und der askanische Herzog Johann von Sachsen - ohne jede Erwähnung des Königs in seiner Rolle als Landfriedenswahrer zusammen. Zum iudex et capitaneus wählten die Beteiligten den Sachsen, der zwar gleichzeitig auch Reichsstatthalter im Norden war, dessen Rolle aber mit keinem Wort erwähnt wurde. So wird man das Rostocker Übereinkommen denn auch eher als ein gegen Brandenburg gerichtetes Militärbündnis in den Formen eines "privaten" Landfriedens zu bezeichnen haben57. Es stand unter der nominellen Führung des Askaniers, war aber wegen der vorhergegangenen Auseinandersetzungen zwischen Lübeck und den Brandenburgern in 54 Ebd. S. 27-38 über die früheren Städtebünde Lübecks mit Hamburg einerseits sowie Rostock und Stralsund andererseits. 55 MGH Constitutiones et acta publica imperatorum et regum inde ab anno 1273 usque ad annum 1298, hg. von J. S c h w a l m , Hannover 1904/06, S. 606-610 Nr. 628. 56 H. A n g e r m e i e r , Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, München 1966, S. 79f. 57 S t e i n b a c h (wie Anm. 3), S. 99, und M o h r m a η η (wie Anm. 3), S. 69, b e i d e einen B e g r i f f v o n W . W y η e k e η, D e r L a n d f r i e d e n in D e u t s c h l a n d v o n R u d o l f

von Habsburg bis Heinrich ΥΠ., Naumburg 1887, S. 93, aufnehmend.

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besonderem Maße geeignet, den lübischen Interessen des Jahres 1283 zu entsprechen. Auch in diesem Falle war die praktische Wirksamkeit des Bündnisses gering. Es war niemand anders als der iudex et capitaneus des Landfriedens selber, der askanische Herzog Johann, der zusammen mit seinem Bruder Albrecht im Jahre 1284 ein Bündnis mit den Gegnern des Rostokker Friedens, den Brandenburgern der ottonischen Linie, einging58. Nicht zuletzt dieses Bündnis führte dazu, daß dem Rostocker Landfrieden des Voijahres praktisch der Daseinsgrund entzogen wurde und daß damit schließlich die Bekämpfung der Brandenburger durch die Ostseeanrainer praktisch zum Erliegen kam59. Vor allem aber war auch der gemeinsame Einsatz der Lübecker und ihrer Bündnisgenossen gegen den norwegischen König Erik Π. "Priesterfeind" (1280-99) und die Lübecker Verwicklung in die innerdänischen Auseinandersetzungen der achtziger Jahne60 mehr und mehr in den Vordergrund der Politik dieser Jahre getreten. Nach der Rolle Rudolfs von Habsburg in dieser Umbruchphase in Norddeutschland auch nur zu fragen, macht das Defizit seiner Politik bereits deutlich. Sowohl die Vorbereitung des Landfriedens von Rostock als auch sein schließliches Aufbrechen durch den Frontwechsel der sächsischen Askanier vollzogen sich ohne Beteiligung des Königs, letzteres sogar gegen seinen Willen. Mehr als wütender Protest gegen das Handeln Herzog Albrechts61 blieb ihm freilich nicht. So ist zu konstatieren, daß sich Rudolf mangels eigener Möglichkeiten aktiver Landfriedenspolitik im Norden des Reiches seit 1282/83 aus dem Reichsnorden politisch weitgehend heraushält. Ein letzter Versuch, mit dem Einsatz eines Reichsheeres den Frieden im Norden des Reiches wiederherzustellen, bleibt bloßer Theaterdonner62. "Die volle Selbständigkeit dieses deutschen Nordens, wenn auch formell im Rahmen des Reiches, war damit ein für allemal proclamirt"63. Auch in den folgenden Jahren kommen im Norden des Reiches Landfriedensbündnisse zustande, freilich auch sie weitgehend ohne Einwir58 Mecklenburgisches Urkundenbuch, Bd. 25 A, Schwerin 1936, S. 27-29 Nr. 13785. 59 Uber die Hintergründe detailliert M o h r m a n n (wie Anm. 3), S. 70-75. 60 Zu beidem vgl. die Skizze von E. L ö n n r o t h , Der Kampf um die Seeherrschaft in Nordeuropa um 1300, in: Hansische Geschichtsblätter 109, 1991, S. 1-12. 61 BR 1836. 62 BR 1818 vom 8. März 1284 = Urkundenbuch Lübeck (wie Anm. 27), Bd. 1, S. 415 Nr. 456. 63 R e d l i e h (wie Anm. 3), S. 667.

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kung oder gar Mitwirkung des Königs, auch sie von nur partieller Wirksamkeit, auch sie letztlich an den territorialen Gegensätzen der Landesherren scheiternd64. 1284 verbünden sich der Erzbischof von Magdeburg, der Bischof von Halberstadt sowie einige Grafen des erweiterten Harzraumes miteinander, 1285 sind der Erzbischof von Bremen sowie die Städte Hamburg und Lübeck die Bündnispartner. Auch an diesen Bündnissen ist der König völlig unbeteiligt, wie überhaupt "die nördlicheren Gebiete von der -sonst überall im Reich sichtbaren Landfriedenstätigkeit des Königs ausgeschlossen" bleiben65. Erst 1289 dehnt Rudolf von Habsburg den erneuerten Landfrieden über Thüringen gleichzeitig auch auf Sachsen aus 66 . Freilich zeigt sich sowohl angesichts der in Erfurt eingesetzten iudices dieses sächsischen Landfriedens als auch angesichts der ihn beschwörenden Territorialherren ein starkes Übergewicht der - wenn man so sagen darf - südsächsischen Territorien: Der Graf von Anhalt als iudex et capitaneus, die Grafen von Wernigerode, Blankenburg und Regenstein als coniudices, der Erzbischof von Magdeburg, der Bischof von Hildesheim, der Markgraf von Brandenburg, der Herzog von Sachsen-Wittenberg sowie die beiden welfischen Herzöge von Braunschweig sind beteiligt67. Zieht man eine Bilanz der Landfriedenstätigkeit Rudolfs im Norden des Reiches, so muß man im Grunde bestreiten, daß es eine solche in dem hier untersuchten Gebiet überhaupt gegeben hat. Einwirkungen auf den Norden sind allenfalls im Sinne einer Vorbildfunktion königlicher Landfrieden für strukturell ähnliche, aber "private" Bündnisse der Fürsten des Nordens zu verzeichnen. Die Geltung des thüringisch-sächsischen Landfriedens von 1289 reichte allenfalls formal bis zur Ostsee, blieb in Wahrheit jedoch auf den Harzraum beschränkt, wo allerdings eine Reihe erfolgreicher Exekutionsvorgänge zu verzeichnen sind68.

A n g e r m e i e r (wie Anm. 55), S. 70-74; S t e i n b a c h (wie Anm. 3), S. 100-106, auch für das Folgende. 65 Ebd., S. 100. 66 BR 2264. 67 Vgl. die Zusammenstellung der Belege bei S t e i n b a c h (wie Anm. 3), S. 102f.; die ebd. vorgebrachten Vermutungen über Beteiligungen der Bischöfe von Halberstadt, Lübeck und Brandenburg sowie der Herzöge von Lüneburg sind in den Quellen nur schwach begründet. 68 Ebd., S. 103-106.

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G. Eine Bilanz der Norddeutschlandpolitik Rudolfs von Habsburg wird zwiespältig ausfallen müssen. Die Politik richtete sich von vornherein im wesentlichen auf die Städte, vor allem auf Lübeck. Das Ziel der Politik war die Wiederherstellung oder Behauptung der Reichsbefugnisse oder Reichsrechte. Vor allem im Falle Lübecks bringen diese Versuche den König automatisch in Konflikte mit den sich entwickelnden und gegen Ende des 13. Jahrhunderts stark verändernden Mächtekonstellationen des Nordens. Im Verlaufe dieser Konflikte wird deutlich, daß und wie sehr sich die Territorialmächte des Nordens in ihren politischen Interessenlagen bereits vom Reich abgewandt haben. Das wesentliche Interesse Brandenburgs, Mecklenburgs, Pommerns und des askanischen Sachsen ist auf die Ostseeküste gerichtet. Schon im Laufe des 13. Jahrhunderts richtet sich das politische System dieser Territorien nicht mehr nur auf das Reich, sondern mindestens ebenso sehr auf Dänemark und Norwegen hin aus. Nicht viel anders verhält es sich bei Lübeck: Die Stadt baut seit dem Ende des waldemarischen Ostseeimperiums nach der Schlacht von Bornhöved 1227 ihre Stellung geradezu planmäßig aus. In dieser Phase steigenden Einflusses der Lübecker auf die Politik und zumal auf den Handel in der westlichen Ostsee ist ihre Berufung auf ihre reichsstädtische Stellung zu allererst gegen die benachbarten Territorialmächte gerichtet. So treffen sich - was Lübeck angeht - die Interessen des Königs und der Stadt im Ergebnis, nicht in der Begründung für die Maßnahmen. Wenn man die Wiederherstellung der Reichspositionen im Norden als das wesentliche Ziel Rudolfs ansieht, so wird man ihm einen gewissen Erfolg nicht bestreiten können, was Lübeck angeht. Immerhin nimmt die Stadt die vorher unterbliebenen Steuerzahlungen wieder auf und dokumentiert dadurch ihr Interesse, als Reichsstadt zu gelten. Im übrigen aber bleibt Rudolfs Politik im Norden ephemer. Die Bemühungen um den Landfrieden in Sachsen zeigen im Grunde nur das Scheitern des königlichen Anspruches auf Landfriedenswahrung im gesamten Norden. Wo sie erfolgreich scheinen, da sind sie es, weil sich die Interessen des Königtums zufällig mit denen regionaler Bündnisse decken. Der Versuch, mit Hilfe der Gremien und Organisationen des

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Landfriedens gewissermaßen auf einem Umweg königliche Rechte im Norden zur Geltung zu bringen, scheitert kurzfristig.

H. Standen also der Norden des Reiches einerseits sowie die Mitte und der Süden des Reiches andererseits "Rücken an Rücken"? Demonstrierte der Norden gar seine "Reichsferne"? Dieses zu fragen, muß nicht unbedingt die Möglichkeit eines gänzlichen Ausscherens des Nordens aus dem Reichsverband einschließen. Davon war im ausgehenden 13. Jahrhundert einerseits nicht die Rede, andererseits gehörten Schleswig bzw. Rügen als dänische Lehen ohnedies nicht zum Reichsverband dazu. Ein Verzicht auf die Reichszugehörigkeit kam aber mit absoluter Sicherheit für keinen der Territorialherren des Nordens in Frage, wie wenig auch immer er aktiv an der Reichspolitik teilgenommen haben mag. Jedoch muß es angesichts der zunehmenden Entfernung der meisten norddeutschen Territorien von der Reichspolitik und dem nahezu vollständigen Ausscheiden Norddeutscher aus der Umgebung der nachstaufischen Könige grundsätzlich schon erlaubt sein, über die Perspektive nachzudenken, von der ausgehend norddeutsche Territorialherren ausgangs des 13. Jahrhunderts ihre Politik betrieben haben mögen. Es dürfte deutlich sein, daß ein wichtiger Teil der politischen Orientierung von Territorien seinen Ausdruck im Konnubium der landesherrlichen Familien findet. Schaut man sich unter diesem Gesichtspunkt nun die Heiraten der norddeutschen Fürsten im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts an, so stößt man auf folgenden Befund69: 83 Angehörige der Fürstenhäuser südlich der Ostseeküste gehen zwischen 1260 und 1300 Heiratsverbindungen ein. Nicht weniger als 38 von ihnen (46 %) heiraten innerhalb der Region. Freilich gibt es dabei Abstufungen: Insbesondere Angehörige der reichspolitisch eher unbedeutenden Fürstenfamilien von Mecklenburg, Pommern, Rügen, Schwerin und Werle gehen überwiegend oder ausschließlich Eheverbindungen in der näheren Umgebung ein, 69 Grundlage der im folgenden gegebenen Zahlen ist die Zusammenstellung aller bezeugten Heiraten der Markgrafen von Brandenburg, der Herzöge von BraunschweigLiineburg, der Herren von Mecklenburg, der Herzöge von Pommern, der Herren von Rügen, der Herzöge von Sachsen-Lauenburg, der Grafen von Schauenburg in Holstein, der Grafen von Schwerin sowie der Herren von Werle nach: Europäische Stammtafeln, Neue Folge, hg. von D. S c h w e n n i c k e , Bde. 1-3/1, Marburg 1980-84.

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während das Konnubium reichspolitisch so wichtiger Geschlechter wie der Brandenburger und der Weifen weit über den Kreis Nordostdeutschlands hinausgreift. Die unterschiedlich starke Orientierung der Heiratsverbindungen auf die eigene Region kann so zum Indiz für zwei gegenläufige Entwicklungen werden: zum einen für die anhaltende reichspolitische Bedeutung einzelner Familien oder mindestens ihre Orientierung auf die Mitte und den Süden des Reichs, zum anderen aber auch für das Ausbleiben einer Orientierung auf die Reichszentren bei denjenigen Familien, deren Konnubium sich auf die unmittelbare Nachbarschaft beschränkt. Die beiden Extremfälle für diese Alternative sind die askanischen Brandenburger, von deren 17 zwischen 1260 und 1300 nachgewiesenen Heiraten neun über die Grenzen Nordostdeutschlands hinaus vollzogen werden, andererseits die Pommern, deren acht im gleichen Zeitraum nachgewiesene Heiraten ausschließlich innerhalb der eigenen Region stattfinden70. Die Brandenburger der johanneischen Linie gehen in der Zeit zwischen 1260 und 1300 zwei Heiratsverbindungen mit dem Holsteiner Grafenhaus sowie eine mit den pommerschen Herzögen ein, darüber hinaus aber auch jeweils eine Verbindung mit dem dänischen König Erich VU. sowie einer polnischen und einer oberbayerischen Prinzessin. Bei den Brandenburgern der ottonischen Linie dagegen ist der Anteil der Heiraten außerhalb der Region wesentlich größer: Nur zwei von neun Heiraten werden mit Partnern des Nordostens geschlossen, indem zwei brandenburgische Töchter an Barnim I. von Pommern bzw. an Heinrich von Mecklenburg verheiratet werden. Im übrigen bevorzugen die Brandenburger dieser Linie, ganz im Interesse der politischen Ausrichtung auf den Süden bzw. Südosten Ehen mit schlesischen Herzögen, nach Ungarn, Österreich und in die Grafschaft Henneberg, nicht zuletzt aber, durch Ottos VI. von Brandenburg Heirat mit Rudolfs Tochter Hedwig 1279, auch mit dem Königshaus selber. Gänzlich anders das Konnubium der pommerschen Herzöge: Von irgendeiner Form überregionaler Orientierung kann bei ihren Ehen zwischen 1260 und 1300 keine Rede sein. Vielmehr beherrschen Heiraten im Nahbereich das Bild: Ehen mit beiden Linien der Brandenburger, mit den Mecklenburgern bzw. den Fürsten von Werle, mit den Herren von Rügen, den Schwerinern und den Holsteinern sind belegt. Wollte man aus 70 Zu den Brandenburgern: S c h w e n n i c k e (wie Anm. 69), Bd. 1, Tafel 69; zu den Pommern: ebd., Bd. 3/1, Tafel 1; auch als Nachweise für das folgende.

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der Auswahl der Ehepartner auf die Bedeutung der pommerschen Herzöge im Reich schließen, so müßte man konstatieren, daß sie sichtlich auf die Rolle regional angesehener Fürsten reduziert waren. Die Betrachtung der Heiratsverbindungen im Raum zwischen der Weser und der Oder, von den weifischen Territorien und der Mark Brandenburg nach Norden, zeigt das Bild einer sich vom Reich in Teilen seiner politisch-sozialen Orientierung abwendenden Landschaft. Die internen Bindungen innerhalb dieser Region sind stark und haben bei den Heiraten ein sichtbares Übergewicht. Hinzu kommt ein weiteres Moment: Heiraten mit skandinavischen Ehepartnern spielen eine signifikant große Rolle. Natürlich gilt das insbesondere für die holsteinischen Schauenburger (drei Ehen nach Schweden, eine nach Dänemark), aber auch für die Herzöge von Rügen, die Herren von Werle, die Askanier von Sachsen-Lauenburg und eben auch für die Brandenburger. Es mag ein Zeichen ansteigender Bedeutung Skandinaviens für die politische Orientierung der norddeutschen Fürsten sein, daß diese Heiraten gerade in der Regierungszeit Rudolfs von Habsburg eine solch große Bedeutung gewinnen71. Faßt man das Bild der norddeutschen Eheverbindungen dieser Jahrzehnte zu Ende des 13. Jahrhunderts zusammen, so wird man in ihnen sehr wohl Anzeichen für ein "Rücken an Rücken "-Stehen des Reichsnordens gegenüber den politischen Zentren des Südens sehen dürfen. Die Abwendung vom Reich in dieser Hinsicht ist unterschiedlich ausgeprägt, am stärksten bei den politisch am wenigsten bedeutsamen Familien, am schwächsten bei der reichspolitisch noch ambitionierten Fürsten, etwa den Brandenburgern und den Weifen. Von der Warte des Reichssüdens aus gesehen, wird man umgekehrt festhalten können, daß und wie sehr der Norden auch für das Eingehen von Eheverbindungen mittlerweile an den Rand gerückt war. Vom Süden her kommend, wurden Ehen mit den Ostseeanrainern kaum mehr in Betracht gezogen, schon gar nicht freilich mit den skandinavischen Königsund Fürstenfamilien.

***

71 Es sei darauf hingewiesen, daß eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage der norddeutsch-skandinavischen Kontakte unter anderen als handelspolitischen Gesichtspunkten bisher kaum erfolgt ist (siehe oben Anm. 60).

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Rudolf von Habsburg und Norddeutschland: Das wäre also die Geschichte des erneuten Scheiterns der Reichsgewalt beim Versuch, auf eine königsferne Region Einfluß zu nehmen? Auf eine Region noch dazu, die eine politische Orientierung in sich selbst oder in der Ausrichtung auf Skandinavien gesucht hätte? Sicherlich wird man dem habsburgischen König dieses Scheitern nicht persönlich anlasten können. Ganz im Gegenteil: Entschiedener als seine Vorgänger und Nachfolger im Amt versuchte er, den Reichseinfluß in den Zentren des Reichsbesitzes im Norden zur Geltung zu bringen, und er hat dabei durchaus geschickt agiert, indem er Lübeck zum Ausgangspunkt dieser Bemühungen machte. Daß er letztlich gescheitert ist, wohl scheitern mußte, das liegt an der strukturellen Schwäche des Reiches insgesamt und des Reichsnordens im besonderen, die es nicht ermöglichte, über Institutionen und Personen im Auftrage von Reich und König dauerhafte Herrschaft über den Reichsnorden auszuüben. So gelang es weder, die verbliebenen Trümmer einstiger Reichspräsenz zu einem neuen Fundament zu ordnen, noch hätte es gar gelingen können, auf diesem Fundament einen Neubau zu errichten. Dies hatte schon Wilhelm von Holland vor Rudolf erfahren müssen, und Karl IV. sollte bei seinen Versuchen sehr ähnliche Erfahrungen machen. Statt sich dem Einfluß des Reiches auf den Norden auszusetzen, begannen die politisch wichtigeren unter den Ostseeanrainermächten, ein neues Zentrum politischer Gravitation in der südwestlichen Ostsee auszubauen, in dem Lübeck und die Schauenburger, die Dänenkönige und die dänischen Herzöge in Schleswig, schließlich auch die Schweden und Norweger eine Rolle zu spielen gedachten. Für einen machtpolitisch ambitionierten deutschen König war auf diesem Feld kein Platz vorgesehen.

Die französische Monarchie im 13. Jahrhundert Von Joachim Ehlers Wenn im Rahmen eines Colloquiums über Rudolf von Habsburg zur französischen Monarchie im 13. Jahrhundert gesprochen werden soll, so kann das sinnvollerweise nur auf einen Beitrag zur Typologie europäischer Königsherrschaft in dieser Zeit hinauslaufen1. Wir fragen deshalb nach spezifischen Merkmalen, die den König von Frankreich theoretisch und im Selbstverständnis kennzeichneten, sowie nach politischen, administrativen, gesellschaftlichen und ökonomischen Eigentümlichkeiten Frankreichs gegenüber seinen europäischen Nachbarn. Nur so werden wir uns vergewissern, ob ein möglicher Untertitel dieses Vortrages lauten könnte "Frankreich in Europa" oder vielleicht doch besser "Frankreich und Europa". Wir periodisieren unsere Überlegungen durch die Namen dreier Herrscher und sagen damit gleichzeitig, daß die Person des Königs im 13. Jahrhundert nach wie vor im Vordergrund steht, ungeachtet deutlicher Tendenzen zur Systematisierung und Abstraktion der Herrschaft in ihren Institutionen. Die Geschichte der französischen Monarchie dieser Zeit ist vor allem gekennzeichnet durch Expansion, durch Intensivierung administrativen Handelns und durch Steigerung der Kronautorität. Diese epochalen Merkmale erkennen wir in den Eroberungen Philipps Π. Augustus seit 1203 ebenso wie in den von ihnen bewirkten qualitativen Veränderungen im Reich; wir sehen sie in der Herrschaft Ludwigs IX., deren räumliche Basis durch den Albigenserkreuzzug seines Vaters bis zum Mittelmeer erweitert war, und die konzentrierte Betrachtung der Regierung Philipps IV. zeigt am Ende des Jahrhunderts eine Monarchie der hochgespannten Ziele, überfordert gleichsam von ihrer eigenen Logik. 1 Die Vortragsform wurde beibehalten, Einzelnachweise sind dem Uberblickscharakter dieser Ausführungen entsprechend auf das Nötigste beschränkt. Bibliographische Hinweise zum Zeitalter bei J. E h l e r s , Geschichte Frankreichs im Mittelalter, Stuttgart 1987, S. 403 ff., und bei J. F a ν i e r, Frankreich im Zeitalter der Lehnsherrschaft (1000-1515) (Geschichte Frankreichs, hrsg. von J. Favier, Bd. 2), Stuttgart 1989, S. 489 ff.

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Ausgangspunkt jeder Bestrebung zum expansiven Verfestigen königlicher Herrschaft in Frankreich war das seit 1066 bestehende Problem der englischen Besitzungen auf dem Kontinent; die Frage hatte sich 1152 verschärft, als Ludwigs VII. verstoßene Gemahlin Eleonore ihr aquitanisches Erbe in eine zweite Ehe mit Herzog Heinrich von der Normandie einbrachte, dem Grafen von Anjou und Maine, Herrn der Touraine, seit 1154 dann König von England. Angesichts dieser Lage suchte Philipp Π. die Familie Plantagenêt zu spalten; er bediente sich dazu des Lehnrechts, das ihm Interventionen im angevinischen Gebiet erlaubte, und er rechnete mit dem Papsttum als einer politischen Größe, die nun auch im Westen ein Gewicht erhielt, das ihr in der Mitte Europas schon seit dem 11. Jahrhundert zugewachsen war. Im geeigneten Moment wählte er den Krieg als entscheidendes Mittel2. Die seit 1203 in mehreren Feldzügen gelungene Eroberung der Normandie, der Grafschaften Maine, Anjou und der Touraine war mit dem Zusammenbruch der englischen Kontinentalherrschaft sicherer Bestandteil der Krondomäne geworden, ja noch mehr: Philipp hatte den Krieg als Exekution eines lehnsgerichtlichen Urteils gegen Johann ausgelöst und sah nicht nur große Teile einer vom Ethos des Lehnrechts geprägten Gesellschaft auf seiner Seite, sondern auch Papst Innozenz ΙΠ.; 1214 erwies die Schlacht bei Bouvines das Haus Capet als Vormacht Frankreichs und Europas3. Eroberung verlangt aber, um zum langfristigen Erfolg zu werden, Integration der neuen Räume und Menschen. Wie erreichten es die Capetinger, ein seit mindestens zwei Jahrhunderten mächtiges, wohlorganisiertes, wirtschaftlich reiches, intellektuell und künstlerisch produktives Fürstentum wie die Normandie als Provinz in der Krondomäne zu halten? "La mort d'une nation en puissance"4 hatte offenbar schon in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts mit einer zunehmenden Anglisierung der normannischen Führungsschicht begonnen, die sich nun vor der Wahl sah, in Treue zu den Plantagenêt ihre normannischen, bei Übergang zu Philipp Π. aber ihre englischen Besitzungen zu verlieren. In der Hoff2 J. B o u s s a r d , Philippe Auguste et les Plantagenêts, in: R. Bautier (Hrsg.), La France de Philippe Auguste. Les temps des mutations, Paris 1982, S. 263-287. 3 W. K i e n a s t , Deutschland und Frankreich in der Kaiserzeit, 3 Bde., Stuttgart 1974/75/75, hier Bd. 3, S. 569 ff. (Quellen und ältere Literatur); G. D u b y , Le dimanche de Bouvines, Paris 1973 (Wirkung und Nachleben).

4

L. M u s s e t ,

Quelques problèmes posés par l'annexion de la Normandie au

domaine royal française, in: Bautier (wie Anm. 2); S. 291-307, hier S. 291.

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nung auf Kompensation optierte der Hochadel, prosopographisch nachprüfbar, in seiner Mehrheit für Johann: Seit dem frühen 11. Jahrhundert führende normannische Familien verschwanden vom Kontinent und lebten in England weiter, so die Vizegrafen des Avranchin als Grafen von Chester, die Bohon als Grafen von Hereford, die Breteuil als Grafen von Leicester5. Ihre und anderer konfiszierte Besitzungen - ein erheblicher Fonds an Land, Rechten und Einkünften - fielen geringerenteils an die Domäne, größtenteils aber an Leute des Königs von Frankreich, in ihrer Masse niederen Standes; Sergents und Armbrustschützen wurden Herren über Burgen und Dörfer, über Land und Leute. Indem er niemals den Titel eines Herzogs der Normandie übernahm, unterstrich der König, daß er das Land als Verwaltungs- und Rechtseinheit bestehen lassen, als Fürstentum aber nicht mehr anerkennen wollte. Die ersten Baillis kamen alle aus der Domäne und wurden mit konfiszierten Gütern normannischer Herren ausgestattet. Diesem Verlust an Eigenstaatlichkeit korrespondierte ein enormer Zuwachs an materiellem Wohlstand seit dem Anschluß an die Wirtschaftsgebiete der weiteren Ilede-France und ihre Verbindungen nach Flandern, in die Champagne und nach dem Süden; vor allem aber behielt die Normandie ihr eigenes Recht und damit ein wesentliches Element ethnischer Identität im capetingischen Gesamtstaat. Der Zusammenhang von Expansion, Integration und Rechtsordnung als charakteristisches Merkmal der französischen Monarchie läßt sich etwas später auch im Süden beobachten, wo nach den Eroberungen Ludwigs Vm. Verwaltungsmaßnahmen einsetzten, die nicht nur zur Stärkung des Reiches, sondern auch zu einer ihm in jeder Hinsicht gemäßen Sozialordnung führten6. Die vielen ins Land gekommenen und dort verblie5 M u s s e t, S. 296. 6 Ich beziehe mich für das Folgende auf eine noch unveröffentlichte Studie über die gesellschaftlichen Folgen der Albigenserzüge Simons von Montfort und Ludwigs VIE. seit 1209, hauptsächlich anhand der Urkunden der Grafen von Toulouse, der Protokolle mehrerer von Ludwig IX. 1247/48 eingeleiteter Untersuchungen über Besitzeinziehungen, des "Saisimentum comitatus Tholosani" von 1271 sowie einer nach Empfängern geordneten Sammlung der Landanweisungen des Königs in der Sénéchaussée Béziers-Carcassone aus den Jahren 1250-1290. Uberblicksdarstellungen bei P. T i m b a l , Un conflit d'annexion au moyen âge: L'application de la coutume de Paris au pays d'Albigeois, Toulouse 1950; P. B e l p e r r o n , La croisade contre les Albigeois et l'union du Languedoc à la France, 1209_-1249, Paris 1967; J.R. S t r a y er, The Albigensian Crusades, New York 1971; E. G r i f f e , Le Languedoc cathare et l'inquisition, 1229-1329, Paris 1980; L. K o l m e r , Ad capiendas vulpes. Die Ketzerbekämpfung in Südfrankreich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und die Ausbildung des Inquisitionsverfahrens, Bonn 1982; T.N. B i s s o n , Assemblies and Representation in Languedoc in the Thirteenth Century, Princeton, Ν. J. 1964. Eine revisio-

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benen Nordfranzosen empfingen in der ersten Phase der Eroberung Ländereien aus der Hand des Königs, freilich ohne hinreichende Definition der Besitzrechte. Erst nach Stabilisierung der Krongewalt im Gefolge der großen Aufstände von 1240/42 wurden sie nach Überprüfung und teilweiser Konfiskation als erbliche Kronlehen anerkannt. Fast aller Besitz der einheimischen Familien war währenddessen mindestens einmal durch die Hand des Königs gegangen, der am Land haftende öffentliche Rechte (Hochgerichtsbarkeit, Heerfolge, Zölle) abschöpfte und damit traditionelle Rechtsgrundlagen vollständig zerstörte. Rückerstattungen und Neuanweisungen sicherten die Lebensgrundlage auf niedrigstem Niveau. Als Führungsschicht war dem einheimischen Adel damit die Basis entzogen. Gleichzeitig läßt die endgültige Durchsetzung einer nordfranzösisch bestimmten ständischen Terminologie seit 1229 auf eine Konsolidierung neuer gesellschaftlicher Strukturen schließen. Der Adel grenzte sich jetzt gegenüber anderen Bevölkerungsteilen ab, aber bloße Tradition ohne ökonomische Basis verschaffte selbst den ältesten einheimischen Familien keinen Platz mehr in der neuen Aristokratie. Auch wenn es wenigen gelang, einen Anspruch zu behaupten, war ihr Rang doch nur ein Abglanz jener Position, die ihre Vorfahren einst im Lande eingenommen hatten. Darüber hinaus ist festzustellen, daß die um 1270 nachweisbaren einheimischen Mitglieder des Adels entweder vom Beginn der königlichen Herrschaft an auf Seiten der Krone gestanden hatten oder ihre Stellung einem persönlichen Gnadenerweis des Königs verdankten. Damit aber unterschied sich die Adelsgesellschaft des Südens zu Ende der Regierungszeit Ludwigs IX. deutlich von dem zu Beginn des 13. Jahrhunderts vorgefundenen Zustand: Während damals eine breite Schicht kleiner und mittlerer Adliger einen fast stufenlosen Übergang von den bäuerlichen Landbesitzern zur Aristokratie bildete, riß der durch Konfiskation vollendete Abstieg dieser Gruppe einen Graben auf, den die landfremde nordfranzösische Aristokratie noch vertiefte. Femer entstand aus Unterbeamten der Krone, die der einheimischen Bevölkerung entnommen wurden, eine neue soziale Gruppe, die im Königsdienst die Position zwischen Adel und bäuerlicher Masse besetzte. Damit war die Repräsentanz der einheimischen Bevölkerung so gut wie aufgehoben, denn die Kronbeamten erzwangen nun von Staats wegen, was einst zumindest formal durch Konsens erreicht werden sollte. Bewohner von Orten, die der Kronvernistische, aber schwach begründete Sicht bei M.-B. B r u g u i è r e , Un mythe historique: "L'impérialisme capétien" dans le Midi aux X l l e et XlIIe siècles, in: Annales du Midi 97, 1985, S. 245-267.

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waltung unterstanden, hatten fortan gegen den lokalen Herrn keine Aussicht mehr. Der Gesellschaftsverband des Dorfes löste sich auf, denn ihm lag im allgemeinen Interessengleichheit zwischen den örtlich führenden Familien und den übrigen Einwohnern gegenüber dem Dorfherm zugrunde. Jetzt aber nahmen die lokalen Oligarchien für die Krone Partei, strebten öffentliche Ämter an und erhoben sich über ihre ehemaligen Dorfgenossen. Im ausgehenden 13. Jahrhundert war das Land gleichwohl befriedet, administrativ gut organisiert und im ganzen modernisiert, so daß ein Bewußtsein davon aufkommen konnte, daß der Verlust an alter Freiheit durch den Vorteil hoher Rechtssicherheit aufgewogen sei. Weil Ludwig IX. sich von den härtesten Maßnahmen seiner Beauftragten distanzierte und Revisionsurteile als Parlementssprüche ergingen, wuchs der rex pacificus, als Erbe der Karolinger ohnehin legitimer Oberherr bis zu den Pyrenäen, in eine aller früheren Herrschaft unvergleichbare Stellung hinein. Diese Integrationsvorgänge, im Ergebnis höher zu bewerten als die militärische Eroberung, setzten einen rechtsgeschichtlich faßbaren Ablauf voraus, der die Krongewalt funktional, aber auch theoretisch und ideell gestärkt hat. Wir beobachten zweierlei: Die für Frankreich charakteristische Verbindung des Pragmatischen mit einer legitimierenden Idee und die Interdependenz zwischen administrativem Handeln und der Rechtstheorie. Dabei ging die juristische Lehre den Verwaltungsakten nicht schlechthin voraus, aber sie bereitete ihnen ein Stück weit Boden und wurde durch den Vollzug mit neuem Rechtsstoff angereichert. Anhand der Diplome Philipps Π. läßt sich die Intensität verfolgen, mit der er an diesem Prozeß beteiligt war. Einzelne Sachverhalte wurden ins Grundsätzliche erweitert; das zeigen Regelungen zum Münzwesen7 oder des Judenrechts8, besonders aber Texte wie das "Stabilimentum" von 1205/06 über die umfassende Zuständigkeit der königlichen Gerichte für Lehnssachen des Klerus9. Die Befugnis des Monarchen zur Bestätigung der coutumes war unbestritten; Philipp Π. ging immer häufiger 7 Recueil des actes de Philippe Auguste (Chartes et diplômes), Bd. 2, Nr. 844 (1204): Versuch, den Wechselkurs aller in der Normandie umlaufenden Münzsorten einheitlich und verbindlich festzulegen. 8 Ree. Phil. Aug. 2, Nr. 955 (1206 IX 1), ausgehend von einer Vereinbarung mit der Gräfin von Troyes-Champagne und Guy von Dampierre; Ree. 4, Nr. 1554 (1219 II 2), für die gesamte Krondomäne (constitucio quam fecit dominus rex de judeis potestatis sue)\ ebd. Nr. 1555 (1219/20), universis ballivis per Franciam et Normanniam. 9 Ree. Phil. Aug. 2, Nr. 899 (1205/06): Vorschlag des Königs; ebd., Nr. 900 (1205/06): Stabilimentum.

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dazu über, durch Privileg davon zu dispensieren oder sie als mauvaises coutumes ganz zu verwerfen, aber erst undeutlich zeichnete sich zu seiner Zeit ein königliches Gesetzgebungsrecht ab, wie es in den siebziger Jahren Philippe de Beaumanoir formulieren sollte10. Immerhin demonstrierte der Prozeß gegen König Johann das große Ansehen des Hofgerichts, dem rasch neue Hilfskräfte zuwuchsen, denn seit dem zweiten Drittel des 12. Jahrhunderts hatte sich von Süden her der Gebrauch des lus civile ausgebreitet; legisperiti fanden sich um 1200 in Burgund, Mittelfrankreich und in der Normandie, gegen 1250 im Anjou, Poitou, der Bretagne; in Paris aber schon hundert Jahre früher 11 . So intensiv wurde das römische Recht dort studiert, daß Papst Honorius m . 1213 mit der Bulle "Super speculam" dagegen einschritt, um den theologischen Studien die Konkurrenz vom Halse zu schaffen12. Philipp Π., der sich für die Praerogative der Königsrechte explizit auf das ius scriptum berief13, hatte gleichwohl keine Mühe, nach dem Beispiel seines Vaters Legisten an den Hof zu ziehen, bei denen es sich nun keineswegs nur um Technokraten im modernen Sinn gehandelt hat. In vieler Hinsicht nämlich griffen die Postulate des römischen, aber auch die des kanonischen Rechts tief in die politische Theorie ein, stießen sich bald an den Realitäten einer hocharistokratisch bestimmten Lehnsgesellschaft und mußten zu ihr Stellung nehmen. Das geschah fem vom Hof des Königs von Frankreich, wurde dort aber schnell rezipiert und für die eigenen Zwecke umgesetzt. Dieser

10 U.a. für die Regelung des Wittums: La general coustume des douaires ...si commença par l'estabilissement le bon roi Phelippe ...Et cest establissement commanda il a tenir par tout le roiaume de France ... : Philippe de Beaumanoir, Coutume de Beauvaisis, hrsg. von A. S a l m o n und G. H u b r e c h t , 3 Bde. (Collection de textes), Paris 1899 (1900/1974; hier 1), S. 212 (c. ΧΠΙ.445). Die erwähnte Urkunde Philipps Π. ist nicht erhalten; vgl. H u b r e c h t (Bd. 3), S. 70. Uber die generell geübte Zurückhaltung der capetingischen Herrscher bei Eingriffen in das Privatrecht A. G o u r o n, Législateur et droit privé dans la France médiévale, in: Diritto e potere nella storia Europea. Atti del quarto congresso internazionale della Società Italiana di Storia del Diritto, Florenz 1982, S. 211-230. H M. B o u l e t - S a u t e l , Le droit romain et Philippe Auguste, in: Bautier (wie Anm. 2), S. 488-500. Die formalen Aspekte und Voraussetzungen der Rechtsstudien (Wissenschaftsgeschichte, Logik, Methode) behandelt H. J. Β e r m a η, The Origins of Western Legal Science, in: Harvard Law Review 90, 1977, S. 894-943. 12 S. Κ u 11 η e r, Papst Honorius ΠΙ. und das Studium des Zivilrechts, in: FS Martin Wolf, Tübingen 1952, S. 79-101. 13 Zur Begründung des kgl. Regalienrechts nach dem Tod des Bischofs Rotrold von Châlons-sur-Marne (1201 XII 10): Außer dem jus commune, quod in aliis regalibus per alias regni nostri ecclesias habemus, einer Urkunde Ludwigs VII. und Zeugenaussagen zur Sache sei jus etiam scriptum, in quo dicitur quod fiscalía non prescribuntur tempora

einschlägig und also heranzuziehen: Ree. Phil. Aug. (wie A n m . 7) 2, Nr.

(1202), S. 297.

III

Die französische Monarchie im 13. Jahrhundert

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Vorgang ist das wohl wichtigste Charakteristikum der französischen Monarchie des 13. und frühen 14. Jahrhunderts. Zwischen 1181 und 1185 hatte in der Kirchenprovinz Sens, vielleicht in Paris, ein unbekannter Autor das Dekret Gratians glossiert und dabei ausgeführt, daß alle Gewalt des Fürsten vom Volk ausgehe, das seinerseits alles Recht und alle Macht vorbehaltlos seinem Herrscher übertragen habe 14 . Dieser frühe Entwurf einer Lehre von der Volkssouveränität stand nicht vereinzelt und war wenig originell; worauf es hier ankommt, ist aber der darin enthaltene Gedanke ungeteilter Herrschaft in der Hand des Fürsten. Ihm allein und nicht einer bunten Vielfalt feudaler Einzelgewalten war die Macht übertragen, er verkörperte sein Reich als Zentrum aller Jurisdiktions- und Zwangsgewalt. Was diese Theorie entwirft, ist Monarchie im Wortsinn; was erklärt werden soll, ist ihr Entstehen. Wenn das schon Kanonisten beschäftigte, mußte es beim Studium des römischen Rechts noch deutlicher auszudrücken sein. Der Bologneser Jurist Azo Porcius merkte vor 1230 in einer Glosse zu den Digesten an, daß höhere Magistrate weitergehende Befugnisse hätten als die anderen; Munizipalbeamte vermöchten weniger als die Verwalter ganzer Provinzen mit uneingeschränkter Vollmacht. Weil aber die Gesamtheit aller Bürger wegen ihrer Menge und Größe nicht in jedem Falle ausdrücklich zustimmen könne, sei ihr Konsens ein für alle Mal auf die Magistrate übergegangen, deren Handlungen folglich als Vollzug eines allgemeinen Willens zu betrachten seien: Et ita quod facilini magistratus videtur ipsa universitas facere15. Die Provinzstatthalter, denen das merum Imperium anvertraut ist, sind in Azos Welt die Könige, deren Souveränität nach innen wie nach außen feststeht und ihre Geschichte hat. Diese Machtfülle war allerdings auf das Staatswohl, die utilitas publica, auszurichten. Der französische Theologe Gérard d'Abbeville meinte vor 1272, daß der König um der utilitas publica willen Münzen

14 Summa "Et est sciendum" (S. K u t t n e r , Repertorium der Kanonistik, 11401234, Bd. 1, Città del Vaticano 1937, S. 196). Zur Verbreitung der Lehre von der potestas translata vgl. S. M o c h i Ο η o r y, Fonti canonistiche dell'idea moderna dello stato (Pubblicazioni dell'Università cattolica del Sacro Cuore, N.S., Bd. 38), Mailand 1951, S. 110, 114, 125, 133 ff., 256. 15 Paris BN lat. 4536 (13. Jh.), fol. 26r. Über Azo und seine Theorie des merum imperium vgl. Κ i e η a s t (wie Anm. 3) 2, S. 302 ff., und Η.G. W a l t h e r , Imperiales Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität. Studien zu den Grenzen des mittelalterlichen Souveränitätsgedankens, München 1976, S. 82 f.

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verrufen dürfe 16 , und der Digestenkommentator Odofredus ( t 1265) ließ das Gemeinwohl im Frieden gipfeln, den der Monarch zu sichern hatte17. Die Grenze zur absolutistischen Theorie vom Wohlfahrtsstaat ist nur mehr schwer zu ziehen und hauptsächlich dadurch gegeben, daß nicht nur die königlichen, sondern auch die kirchlichen Ämter als öffentlich (publicus) definiert werden. Der Staat ist von seiner Bindung an die Kirche theoretisch noch nicht zu lösen, Kleriker bestimmen in letzter Instanz, was utilitas jeweils sei, ungeeignete Könige sind abzusetzen: Immer herangezogenes Beispiel ist der rex inutilis Childerich ΠΙ., aber seit langem war die Problematik in bezeichnender Weise eingeschränkt und modifiziert worden. Um 1169 schrieb der Verfasser der Summa Coloniensis, Angehöriger der französischen Dekretistenschule, daß Papst Zacharias die Frage der fränkischen Gesandten seinerzeit dahingehend beantwortet habe, daß der Krone des Reiches am würdigsten sei, wer Kriege um des Gemeinwohls willen führe: Eurti corona regni digniorem, qui pro communi salute bella gereretli. Die Schwerpunktverlagerung ist deutlich, und sie gehört in einen Argumentationszusammenhang, der zugunsten des Landfriedens das adlige Eigenrecht zur Waffenführung in der Fehde als Schadenshandlung gegenüber dem Gemeinwohl erkennt. Nur der sollte als ritterlicher Kämpfer (miles) gelten, der sich eidlich an die res publica gebunden hat: Kriegführung ist staatliches Monopol. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts knüpfte Alanus Anglicus an Gratians Entscheidung zum Befehlsnotstand an und bekräftigte, daß im Kampf für den eigenen Staat jeder Befehl auszuführen sei19. Das ältere Widerstandsrecht galt für ihn nicht mehr.

16 Quodlibeta IV; BN lat. 16405 (13. Jh.), fol. 49va. Vorher (fol. 49Λ) war festgestellt worden: Potestas autern regia est potestas sublimior, et maxime regni Francie, quia sicut dicitur capitulum: Rex Francie superiorem non cognoscit. Vgl. Vincentius Hispanus, Apparat "Creavit Deus hominem in virili etate" (1234-1249; Datierung nach G. P o s t , Studies in medieval legal thought, Princeton, N.J. 1964, S. 302) zum Liber Extra; BN lat. 3967, fol. Ira, a d v. "servus": quod potestas magna est, sed debet earn conformare publica Militati. 17 P o s t (wie Anm. 16), S. 277 und 444; ebd. S. 253 ff. über den Zusammenhang von utilitas publica, Herrscherrecht und -pflicht bei Kanonisten und Legisten. Zum Friedensschutz im Dienst monarchischer Praerogative L. B u i s s o n , König Ludwig IX., der Heilige, und das Recht, Freiburg i.Br. 1954, bes. S. 191 ff. 18 BN lat. 14997 (12. Jh.), fol. 109. Behandelt wird c. 3 C. XV q. 6 (über die Lösung von Eiden durch den Papst). Am unteren Rand ein Nachtrag von derselben Hand ad v. "Zacharias" mit der Frage, ob nicht deijenige König sein soll, qui in acie pro quiete patriae laboraret. Darauf ergeht die zitierte Antwort. 19 Apparat "lus naturale"; BN lat. 15393, fol. 138··. P o s t (wie Anm. 16), S. 438, macht nicht deutlich, daß die zitierte Glosse lediglich c. 9 4 C. XI q. 3 paraphrasiert;

dieser Text findet sich fol. 137". Dazu die Notabilien "Ad instantem quorumdam"; BN

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Tatsächlich aber konnte der König die potentiellen Befehlsempfänger gar nicht erreichen, weil das Lehnrecht ihn vom größten Teil der Bevölkerung trennte und vom Konsens der Großvasallen abhängig machte, also Beratung forderte, wo der gelehrte Jurist längst Anweisungen billigte. Kein Wunder, daß diese Theoretiker das Bestehende auf ihre Weise argumentativ überwinden wollten; kein Wunder auch, daß die Monarchen begannen, nach solchen Helfern Ausschau zu halten. Die klarste Formulierung der Königsrechte und damit zugleich der Höhepunkt monarchischer Theorie in unserer Epoche findet sich im Jahre 1256 bei dem Burgunder Jean de Blanot. Er hatte als Legist in Bologna unterrichtet, bevor ihn Herzog Hugo IV. von Burgund berief, der ihm auch die Ritterwürde verlieh. In seiner Abhandlung "Super titulo Institutionum De actionibus"20 stellte Jean de Blanot dar, daß alle großen Herren Vasallen des Königs sind, zu dessen Reich sie gehören; die Untervasallen dieser Herren haben dem König gegenüber keine lehnrechtliche Verpflichtung (das ist die Realität), sie unterliegen aber der allgemeinen monarchischen Jurisdiktionsgewalt (das ist die Theorie). Über das Recht des Königs auf durchgreifende Herrschaft hatte der burgundische Jurist sehr präzise Vorstellungen und entwickelte sie am Problem der Heerfolgepflicht. Seine Beispiele sind, obwohl dem Lehrstoff der Universitäten entnommen, durchaus zeitbezogen und treffen aufs genaueste die Lage der französischen Monarchie in der Mitte des 13. Jahrhunderts. Nehmen wir an, so führt er aus, ein französischer Baron erhebt sich gegen den König. Das kommt häufig vor, und nach dem Lehnrecht müssen die Vasallen ihrem rebellierenden Herrn folgen, denn sie haben ihm Hilfe ohne Einschränkung versprochen. Der Aufrührer verstößt aber gegen die "Lex Iulia maiestatis" und begeht damit ein Majestätsverbrechen, deshalb sind in diesem Falle die Eide seiner Vasallen nichtig und sie selbst der Folgepflicht enthoben. Natürlich galt das zitierte augusteische Gesetz nur noch im gelehrten Bewußtsein der Juristen, aber die Begrünlat. 4288 (13. Jh.); fol. 115r: Quod in dubiis semper superiori est obediendum: Item notandutn: Quod in dubiis humanior et tutior est via eligendo. 20 Teiledition nach einer Parmeser Sammelhs. des späten 13./frühen 14. Jhs. bei J. A c h e r , Notes sur le droit savant au moyen âge, in: Nouvelle Revue d'histoire de droit français et étranger 30, 1906, S. 125-178. Dazu kritisch Κ i e η a s t (wie Anm. 3) 2, S. 402 f. Α. 1081. M. B o u l e t - S a u t e 1, Jean de Blanot et la conception du pouvoir royal au temps de Louis IX, in: J. Carolus-Barré (Hrsg.), Septième centenaire de la mort de Saint Louis. Actes des colloques de Royaumont et de Paris (22-27 mai 1970), Paris 1976, S. 57-68, berichtigt S. 57 den noch bei Kienast mitgeteilten Irrtum, Jean de Blanot sei ab 1267 Offizial der Erzbischöfe von Lyon gewesen, was auf Verwechslung mit Jeans Neffen beruht; S. 66-68 Teildrucke. Ich zitiere nach der Hs. BN lat. 15411 (13. Jh.), fol. 79r-106v.

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dung war längst politisch wirkungsvoll geworden: Römisches Kaiserrecht kann der König von Frankreich in Anspruch nehmen, weil er in irdischen Dingen keinen Oberherm anerkennt, und hier fällt der berühmte Satz: Nam rex Francie in regno suo princeps est, nam in temporaìibus superiorem non recognoscit21. Das war seit Innozenz' ΠΙ. Bulle "Per venerabilem" von 1202 ein geläufiges Argument, um die Selbständigkeit der europäischen Könige dem Kaiser gegenüber zu vertreten22; hier aber sollte es gegen konkurrierende Adelsmacht helfen und sich vor allem in der gefährlichen Überschneidungszone von innerem und äußerem Krieg bewähren. Nehmen wir an, so leitet Jean de Blanot seinen zweiten Fall ein, ein französischer Baron, z.B. der Herzog von Burgund, führt Krieg gegen einen Nachbarn, z.B. den Herzog von Lothringen. Gleichzeitig muß der König von Frankreich gegen den deutschen König Krieg führen, weil dieser sich die Krone Frankreichs unterwerfen will. Der Herzog von Burgund ruft seine Vasallen zum Krieg gegen die Lothringer, der König von Frankreich bietet dieselben Leute gegen Deutschland auf: Wem sollen sie folgen? Die Verpflichtung der Burgunder gegenüber ihrem Herzog ist lehnrechtlich fundiert; dem König kommt allgemeine Jurisdiktionsgewalt zu, die in seinem Herzogtum freilich auch der Burgunder ausüben kann. Neben der etwas blutleeren Rechtsfigur des Instanzenzuges, d.h. Überordnung des Königs- über das Herzogsgericht, bot Jean de Blanot eine weitere Lösung des Konflikts, die mit politischer und emotionaler Wirkung rechnen durfte: Die Burgunder müssen dem König gehorchen, denn er hat drei weitere und gute Gründe. Er ruft sie für den Bestand des ganzen Reiches, damit die Krone nicht von Fremden unterworfen werde; er ruft sie außerdem zum Wohl des ganzen Vaterlandes (propter bona tocius patriae), das mit dem Wohl des ganzen Reiches (bonum publicum regni) identisch ist; er ruft sie schließlich im Namen seiner Verwaltungskompetenz, mit der er dieses Vaterland, Frankreich, regiert (nomine patrie videlicet regni Gallie, cuius administrationem gerit)23. Die Monarchie ist als gemeinsames Vaterland aller ihrer Bewohner, als patria communis, ein selbständiger Staat und in der Rechtstheorie darüber hinaus als Nationalstaat legitimiert.

21 22 23

BN lat. 15411, fol. 89va. Κ i e η a s t (wie Anm. 3) 2, S. 435-448. BN lat. 15411, fol. 89va.

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Das nationale Argument traf in dieser Zeit auf offene Ohren; indem Jean de Blanot öffentliches Wohl und Reichsverteidigung zusammenbrachte, sagte er für Juristen nichts Neues, der ausdrückliche Bezug auf die politische Lage Frankreichs aber gab der Krone zur Zeit Ludwigs IX. unschätzbare Hilfe. Noch einen Schritt weiter ging er bei der Erklärung, warum denn der Kampf fürs Vaterland, die pugna pro patria, nicht auch dem Herzog von Burgund als Argument nützen sollte. Verteidigte der sein und aller Burgunder Vaterland nicht ebenso gegen die Lothringer wie der König sein Reich gegen die Deutschen? Nur scheinbar: Der Herzog befiehlt zu seinem eigenen Nutzen (gratia private utilitatis sue), der König aber um des öffentlichen Wohles willen (gratia publice utilitatis), das dem privaten vorgeht24. Deutlicher kann der Unterschied zwischen einem Fürsten im Staatensystem Frankreichs und einem Baron (wie Jean de Blanot den Herzog von Burgund genannt hat) kaum definiert werden. Es gab Argumente, mit denen einem mächtigen Kronvasallen das Recht auf Staatsgewalt schlechthin abzusprechen war. Sie hatten sich aus einer langen Rechtstradition entwickelt, die gelehrt hatte, königliche Herrschaft ohne kaiserlichen Oberherrn zu verstehen und mit Kategorien des römischen Rechts das Gemeinwohl als einen Wert zu beschreiben. Nun konzipierten die Juristen den monarchischen Einheitsstaat ohne legale Herrschaftszersplitterung, und sie entwarfen ihn als patria communis. Die überlieferten Gewohnheiten, Machtkonstellationen und Mentalitäten ließen diesen Staat nicht Wirklichkeit werden, aber die theoretische Stärkung der Krone setzte einen mittelalterlichen Modernisierungsprozeß in Gang, der vom Personenverband zur Institution wies, vom regnum zur res publica, von der Adelsherrschaft zum Staat. Das war mehr als eine stimmige Theorie. In Frankreich wurde sie schon zur Zeit Ludwigs IX. stückweise in politische Praxis umgesetzt; ein kurzer Blick auf die Legisten Philipps IV. diene als Bewährungsprobe für die These, daß die Arbeit der Hochschuljuristen seit Beginn des 12. Jahrhunderts weit mehr als akademische Früchte getragen hat. Legisten waren als Graduierte des römischen Rechts nicht nur im Rat des Königs, sondern auch an allen wichtigen Stellen der Reichsverwaltung vertreten. Zur Zeit Philipps IV. haben wir dabei nicht nur wenige, immer wieder genannte Einzelfälle vor uns, sondern die Zahl ging in die 24 Loc. cit. Zur pugna pro patria vgl. P o s t (wie Anm. 16), S. 435 ff., und E. H. K a n t o r o w i c z , Pro patria mori in Medieval Political Thought, in: Ders., Selected Studies, New York 1965, S. 308-324.

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Hunderte: Absolventen der großen Rechtsschulen von Orléans, Toulouse und Montpellier. Sie praktizierten Rechtsüberzeugungen in der täglichen Verwaltungsarbeit und setzten königliche Entscheidungen in möglichst weit wirkende Realität um. Neben der Lehre an den Schulen hatte sich damit ein breites Arbeitsfeld für Doktoren und Lizentiaten eröffnet und es gab viele Juristen, die zwischen Professur und Verwaltung wechselten oder auch beide Funktionen nebeneinander erfüllten, wie Brémond de Montferrier, ein Adliger aus dem Languedoc25. Er war nacheinander avocat und lieutenant in Montpellier, dann von 1287 bis 1291 juge mage des Königs in Beaucaire, ohne seine Lehrtätigkeit ein einziges Mal zu unterbrechen. Schon dieses eine Beispiel zeigt den prinzipiellen Sachverhalt: Die Lehrinhalte der hohen Schulen waren gewiß nicht durchweg weltfremd. Das wird noch unterstrichen, wenn wir neben den Dauerfunktionen zeitlich befristete Aufgaben feststellen können, mit denen Juristen von Fall zu Fall beauftragt werden konnten, vor allem als Sonderbevollmächtigte (enquêteurs oder commissaires) für die Revindikation von Königsrechten. Dem richterlichen Vertreter (lieutenant) des Sénéchal von Beaucaire, Raimond de Poujoulat, wurde 1302 das heikle Geschäft der Grenzberichtigung zwischen den Sénéchaussées Beaucaire und Carcassonne übertragen, kein bloßer Verwaltungsakt, sondern ein Problem der Rechtsangleichung innerhalb der königlichen Verwaltungshoheit selbst26. Meist hatten solche gesuchten Rechtskenner nebenher noch private Klienten, wie z.B. Pierre de Latilly, der selbst als königlicher Kanzler noch Rechtsberater der Abtei St-Médard in Soissons geblieben ist27. Für die Legisten waren natürlich hohe Ämter in der Zentralverwaltung Gipfelpunkte der Karrieren. Praktisch hieß das in den meisten Fällen Teilnahme am consilium und Zugehörigkeit zur engeren Umgebung des Königs, wobei man sich der Tatsache bewußt sein muß, daß hier Verwaltung gemeint ist, nicht so sehr politische Beratung im engeren Sinne. Strikt zu trennen freilich ist beides nicht, denn ein erheblicher Teil der Regierung Philipps IV. und damit seiner Politik war Administration, und mit diesen Leuten wurde die königliche Rechtsprechung ausgeformt, verfeinert und durchgeführt; sie begründeten ein monarchisches System 25 Über ihn J. R. S t r a y e r, Les gens de justice du Languedoc sous Philippe le Bel, Toulouse 1970, S. 55 (Biographie), 16, 38, 43 (Karriere), 34 A. 88 (Herkunft). 26 S t r a y er, S. 56 f. 27 Uber Pierre de Latilly, der als einziger der Hofjuristen am Sterbebett Philipps IV. stand, F.J. P e g u e s , The Lawyers of the Last Capetians, Princeton, N.J. 1962, S. 56 f . , 8 5 f., 112 ff. (Karriere), 222 (St-Médard); S t r a y e r (wie Anm. 25), S. 197.

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aus Einzelentscheidungen und setzten es so gegen die Lehnsstruktur allmählich durch. Das Musterbeispiel eines solchen im Grunde unpolitischen Verwaltungsmannes ist Pons d'Aumelas, wahrscheinlich ein Schüler Wilhelms von Nogaret aus Montpellier, lange in der Lokalverwaltung tätig und vor 1292 Doktor der Rechte28. Als solcher lehrte und praktizierte er mehrere Jahre, beriet die Stadtverwaltung und den Bischof, aber gelegentlich auch königliche Beamte, die den kenntnisreichen Mann weiterempfahlen. So wurde er 1308 Oberrichter (juge mage) in Toulouse, fünf Jahre später ist er als Mitglied des Pariser Parlements nachweisbar, des höchsten Gerichtshofes der Monarchie. Im Rat ist er nie gewesen, und das ist typisch für die große Masse auch der höchstqualifizierten Legisten, die mit den politischen Entscheidungen selbst kaum befaßt wurden. Sozialer Aufstieg aber war möglich, wenngleich keineswegs in solchem Maße, daß man die Legisten als Vorkämpfer des dritten Standes bezeichnen könnte, die mit bürgerlicher Tugend und Pflichterfüllung den Adel allmählich aus der Umgebung des Königs verdrängt hätten. Diese politisch bestimmte Ansicht einer älteren Historiographie (Guizot, Augustin Thierry, Michelet) stimmt schon deshalb nicht, weil viele der führenden Legisten selbst adlig waren (Pierre Flote, Mornay, Belleperche), andere neben dem Königsdienst nachweislich noch Beraterfunktion bei großen und minderen Adelsfamilien versehen haben. Insgesamt aber hatte Verwaltungsdienst auf Grund juristischer Kompetenz gesellschaftliche und wirtschaftliche Besserstellung zur Folge, wenn auch nicht immer in so atemberaubender Weise wie im Falle des Raoul de Presles, dessen Mutter eine Hörige des Klosters St-Denis gewesen war29. Er selbst hatte als Freigelassener des Abtes eine geistliche Ausbildung erhalten, den kirchlichen Dienst aber vor der Priesterweihe verlassen und sich nach juristischen Studien als Anwalt in Laon niedergelassen, wo er erfolgreich praktizierte und ein beträchtliches Vermögen erwarb. Schon drei Jahre später zog er nach Paris um, wurde Rechtsberater der Königin (Johanna von Navarra) für die Angelegenheiten der Champagne, und bald fand er sich auch im Königsdienst verwendet. Raoul de Presles ist außerdem anschauliches Beispiel für eine Spezies von Juristen, die keine Rechtstheo28 Vorzügliche Gesamtcharakteristik der Legisten bei J. F a ν i e r, Les légistes et le gouvernement de Philippe le Bel, in: Journal des Savants 1969, S. 92-108, und D e r s ., Philippe le Bel, Paris 1978, S. 17 ff. Über Pons d'Aumelas P e g u e s (wie Anm. 27), S. 103 ff. 29 P e g u e s (wie Anm. 27), S. 168 ff.

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retiker, sondern Prozeßpraktiker waren und gerade als solche von der Krone gesucht wurden. Die prominentesten Legisten kamen aus dem Midi, genauer: aus Montpellier und Toulouse. Ihre Karrieren mögen dadurch beschleunigt worden sein, daß Philipp IV. die Integration des Languedoc fördern wollte, auf jeden Fall waren sie hervorragende Theoretiker und forensisch erfahrene Praktiker. Unter ihnen läßt sich an erster Stelle Pierre Flote nennen, der aus adliger Familie im Dauphiné stammte und sich schon in seiner Heimat als Vertrauter des Dauphins Humbert I. einen Namen gemacht hatte, bevor er 1291 Richter am Parlement von Toulouse wurde30. Der König schickte ihn von der Verwaltung in die Reichspolitik, indem er ihm 1293 die Verhandlungen mit den Bevollmächtigten Eduards I. in der Gascogne übertrug. Hier bewährte sich der Jurist so, daß ab 1296 sämtliche Beziehungen Frankreichs zur Kurie ausschließlich in seine Zuständigkeit fielen. In diesen schwierigen Jahren setzte Flote die königliche Souveränität gegenüber dem französischen Klerus durch und leitete gleichzeitig die Verhandlungen mit England, dem Imperium und den italienischen Guelfen. Rechtsgelehrter, Verwaltungsbeamter, Politiker und Diplomat in einem hat er sich doch stets als Angehöriger des waffenführenden Adels empfunden. Bei Kortrijk ist er 1302 gefallen. Ein solches Überwechseln vom Administrativen ins Politische war bei der großen Menge der Legisten selten, kennzeichnet aber die Spitzenkarrieren, wobei adlige Herkunft nicht mehr das Entscheidende war. Das ist bemerkenswert, weil der Hof durch Ausgliederung professionalisierter Spezialbereiche seinen Charakter änderte und im verbleibenden Kern der curia regis das hocharistokratische Element umso stärker dominierte. Das Hôtel le Roi entließ zunächst Fachkommissionen für Justiz und Rechnungswesen aus seiner Mitte31. Oberste Institution der Rechtsprechung war das Hofgericht unter Vorsitz des Königs, aber zunehmend angereichert mit gelehrten Räten und wegen der wachsenden Bedeutung von Rechtsfragen für die Regierung in immer längeren Sitzungen tagend. Weil persönliche Anwesenheit des Monarchen deshalb nicht mehr möglich war, verselbständigte sich das Gericht als Behörde, trennte sich also vom Hof, führte eigene Register der verkündeten Urteile und entwickelte 30 R. B é c h o n , Pierre Flotte, chancelier de France, Riom 1891; P e g u e s (wie Anm. 27), S. 87 ff. 31 Für die Zeit Philipps II. am besten J.W. B a l d w i n , The Government of Philip Augustus, Berkeley 1986; für Ludwig IX.: W.C. J o r d a n , Louis EX and the Challenge of the Crusade, Princeton, N.J. 1979; für Philipp IV. vgl. die kritische Literaturübersicht bei F a ν i e r (wie Anm. 28), S. 541 ff.

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seit 1278 zunächst einen regelrechten Instanzenzug, 1291 mit der chambre des enquêtes eine Abteilung zur Voiprüfung der anstehenden Fälle, mit denen sich die grande chambre prozessual befassen sollte. Auf die rechtliche Eigenständigkeit der historischen Landschaften des Reiches wurde gleichwohl geachtet: Seit 1303 hatte Toulouse ein eigenes Parlement, und auch dem in Caen tagenden échiquier der Normandie war nahezu Parlementsrang zugestanden, obwohl ihm bis zum Tode Ludwigs IX. kein einziger Normanne angehört hat32. Wenn die maîtres des Pariser Parlements jährlich nach Troyes gingen, um die altberühmten GrandJours de Champagne abzuhalten, erkennen wir das Prinzip: Wahrung regionaler Rechtstradition unter substantieller Herrschaft der Zentrale. Langsamer als die Justiz spezialisierte sich das Finanzwesen, weil die selten tagende und wenig effektive curia in compotis ("Chambre des comptes") erst 1320 nach ihrer Neuorganisation durch Philipp IV. voll wirksam werden konnte, d.h.: Neben dem consilium ("Conseil du roi"), dem wechselnd und sehr unterschiedlich zusammengesetzten Beratungsgremium des Königs, stand eine in sich gegliederte Großbehörde, aus der einzelne Mitglieder ständig oder von Fall zu Fall in den Rat berufen werden konnten. Für eine umfassende Regierungstätigkeit war das insofern von Bedeutung, als am älteren Institut der Hoftage festgehalten wurde; die Hoftagspflicht der Kronvasallen wurde zum Ausgangspunkt reichsweiter Durchsetzung königlicher Ordonnanzen, bis Ludwig IX. 1254 dazu übergehen konnte, solche Verordnungen ohne Konsultation zu erlassen, da der Wille des Königs mit der salus publica übereinstimme33. Noch also hing die Monarchie von der Person des Königs ab, und von dieser Praemisse her ist die sakral-spirituelle Aura zu bewerten, mit der er früh umgeben war, die aber im 13. Jahrhundert zu voller Blüte fortentwickelt worden ist. Ihre Wurzeln lagen in karolingisch-westfränkischer Tradition der Königsweihe, deren Ausgestaltung vom späten 9. bis ins 12. Jahrhundert hinreichend bekannt ist34. Der Reimser Krönungs32 Nur in den Jahren 1207-1220 hatte der échiquier wegen der größeren Nähe zu Paris seinen Sitz in Falaise: B a l d w i n (wie Anm. 31), S. 222. 33 L. C a r o l u s - B a r r é , La grande ordonnance de 1254 sur la réforme de l'administration et la police du royaume, in: Ders. (wie Anm. 20), S. 85-96. Über Wirtschaft und Finanzverwaltung Ludwigs IX. G. S i ν é r y , Saint Louis et son siècle, Paris 1983, S. 517 ff., und (mit Vorbehalt: vgl. HZ 240, 1985, S. 410f.) D e r s . , L'économie du royaume de France au siècle de Saint Louis (vers 1180-vers 1315), Lille 1984. 34 P. E. S c h r a m m, Der König von Frankreich, 2 Bde., Darmstadt 21960; dazu die zahlreichen Einzelstudien in D e r s ., Kaiser, Könige und Päpste, Bd. 2, Stuttgart 1968, S. 119 ff.

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ordo aus den Jahren zwischen 1260 und 1274 hat den bis dahin angewachsenen Brauch selektiv zusammengefaßt und einen lange gültigen Ablauf des liturgisch bestimmten Zeremoniells festgelegt. Es handelte sich zugleich um eine mehrstufige Rechtshandlung, deren einzelne Teile aufeinander bezogen waren und den Zeugen vorstellten, wer der König war, was er sein sollte und wodurch er sich von anderen Machthabern unterschied35. Nur die wichtigsten, für den französischen König charakteristischen Merkmale können hier stichwortartig angeführt werden, und zu ihnen gehört auf jeden Fall die Ritterwache des Coronandus in der letzten Nachtstunde vor dem Krönungsmorgen, denn sie zeigte den künftigen Herrscher mit der erhabensten Lebensform des christlich-aristokratischen Abendlandes verbunden. Die französische Ritterschaft empfand sich selbst als die reinste Verkörperung des Ideals, und eine französische Besonderheit der Königsweihe wurde ebenfalls erst im 13. Jahrhundert offiziell anerkannt: Anläßlich der Krönung Ludwigs VHI. im Jahre 1223 machte sich der Hof jene Legende aus den Tagen Hinkmars zu eigen, wonach das Salböl bei der Taufe Chlodwigs durch eine Taube vom Himmel gebracht worden sei; wenn der Erzbischof von Reims mit goldenem Stift den Tropfen davon ins Chrisam gemischt hatte, konnte er ein Sakrament spenden, das in der Welt seinesgleichen nicht hatte. Ebenfalls aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammt die Gleichsetzung des Reimser Zeremonienschwertes mit der joiuse Karls des Großen, und nur unter den französischen Herrschaftszeichen findet sich die main de justice, die Schwurhand aus Elfenbein als Bekrönung des dem König überreichten Stabes36. Diese Elemente sollten die christlich-ritterliche Bestimmung des französischen Königtums unmitttelbar anschaulich machen, seine Hochschätzung von Recht und Gerechtigkeit, die Verpflichtung auf die karolingische Tradition. Deren Funktion war wiederum unmittelbar politisch, weil der König von Frankreich mit der Nachfolge Karls des Großen einen Herrschaftsanspruch übernommen hatte; die Monopolisierung des Frankennamens seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts sollte für den Westen kontinuitätssichernd wirken, und indem die Dichtung Karls Gestalt ritterlich modernisierte, vermied sie antiquarische Erstarrung der Überlieferung, die ihrerseits auch historiographisch gesichert und weiterent35 S c h r a m m 1, S. 193 ff., und 2, S. 117 ff. 36 Wilhelm von Nangis, Gesta Philippi III. (Recueil des historiens des Gaules et de la France, Bd. 20), S. 488 ("Karlsschwert" bei der Krönung Philipps III., 1271). S c h r a m m (wie Anm. 34) 1, S. 212 und 217 ("Main de Justice").

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wickelt wurde. Das Kloster St-Denis, Grablege der fränkischen Könige seit Dagobert I., hatte im 12. Jahrhundert durch Abt Suger endgültig die zentrale Position errungen und sie im 13. Jahrhundert zunächst mit Rigords "Gesta Philippi Augusti", später mit den "Grandes Chroniques de France" behauptet37. Das hatte sich keineswegs von selbst so ergeben und war auch nicht ohne Überwindung großer Schwierigkeiten erreichbar gewesen. Seit 987 waren Zweifel an der Legitimität des capetingischen Hauses nie ganz zum Schweigen gebracht worden; sie lassen sich noch in der hochmittelalterlichen Epik aufweisen, und sie verdichteten sich in den 80er Jahren des 12. Jahrhunderts, weil die Prophetie des Hl. Walarich von St-Riquier/St-Valéry (Picardie) besagte, daß die usurpierte Krone nur sieben Generationen bei den Capetingern bleiben sollte38. Siebenter König nach Hugo Capet war Philipp Π., dessen Regierungsantritt dadurch nicht krisenhaft überschattet wurde, aber immerhin doch literarische Aktivitäten auslöste. Sie haben 1244 im "Speculum historíale" des königlichen Hofbibliothekars Vincenz von Beauvais ihren Niederschlag gefunden und liefen darauf hinaus, die Walarich-Prophetie als wunderbar erfüllt zu akzeptieren, womit ihr ursprünglicher Sinn zugleich ins Gegenteil verkehrt wurde. Durch seine Ehe mit Elisabeth von Hennegau, so hieß es, habe Philipp Π. das Blut Karls des Großen ins französische Königshaus zurückgebracht, denn die karolingische Deszendenz der neuen Königin gab es dem Thronfolger Ludwig (VIII.) weiter. An dieser Interpretation sind freilich nicht so sehr die ihr zugrundeliegenden Gedankengänge bemerkenswert, sondern deren Herkunft. Erfunden um 1196 durch den Mönch Andreas von Marchiennes, sollte der Reditus regni Francorum ad stirpem Karoli das Haus Flandern-Hennegau stärken und mit ihm die Position Elisabeths am französischen Hof, Indem dieser sich der Kombination bediente, unterstrich er seine Fähigkeit zur Übernahme fremder Traditionen, wenn sie die eigene stärken konnten. Das gilt in gleicher Weise für andere Topoi der französischen Königs37 J. E h 1 e r s, Kontinuität und Tradition als Grundlage mittelalterlicher Nationsbildung in Frankreich, in: H. Beumann (Hrsg.), Beiträge zur Bildung der französischen Nation im Früh- und Hochmittelalter (Nationes, Bd. 4), Sigmaringen 1983, S. 15-47. Für die Zeit seit Ludwig IX. J.R. S t r a y e r, France: The Holy Land, the Chosen People, and the Most Christian King, in: K. Rabb und J. E. Seigel (Hrsg.), Action and Conviction in Early Modern Europe, Princeton, N.J. 1969, S. 3-16. 38 Die maßgeblichen Untersuchungen sind von K.F. W e r n e r : Die Entstehung des Reditus regni Francorum ad stirpem Karoli, Diss. Ms. Heidelberg 1950, und: Die Legitimität der Kapetinger und die Entstehung des "Reditus regni Francorum ad stirpem Karoli", in: Die Welt als Geschichte 12, 1952, S. 203-225.

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mythologie: Die zuerst beim sog. Fredegar überlieferte Sage von der trojanischen Herkunft der Franken wird bis zum Spätmittelalter herrschende Grundlage der mit Priamos beginnenden Königskataloge, die über Merowinger, Karolinger, Capetinger zu den Valois und dem jeweils zeitgenössischen König führen 39 . Einer Zeit, der hohes Alter Ausweis der Güte war, eröffnete sich hier eine schier unendliche Dimension; sie sah mit der Geschichte ihrer Monarchie weit vor das römische Imperium zurück in die Zeit des ersten Weltreiches, der Tage Samuels und Sauls40. Hier nur Literatenwerk erkennen zu wollen hieße Realitäten mißverstehen. Um 1220 trug die Kanzlei Philipps Π. in ihr sog. Register E eine erweiterte lateinische Fassung der Tiburtinischen Sibylle ein, jenen prophetischen Text also, der eng auf das römische Kaisertum und (in seiner mittelalterlichen Fortsetzung) auf die Vorgänge beim Ende der irdischen Zeit bezogen war. Kurz nach dem Sieg über einen römischen Kaiser bei Bouvines konnte das kaum etwas anderes bedeuten als die Bereitschaft, den möglicherweise bald frei werdenden Platz zu besetzen41. Ein Anspruch auf das Kaisertum muß darin nicht gesehen werden, aber die Repräsentanz der Christenheit durch den König von Frankreich lag nahe, vor allem dann, wenn der unter Philipp Π. gelegte Grund so ausgebaut wurde, wie es durch Ludwig IX., den Heiligen, schließlich geschehen sollte42. Dieser König bewies ausgeprägten Sinn für seinerzeit moderne Formen der Frömmigkeit und des Rechtsverständnisses; enge Bindung an Franziskaner und Dominikaner steigerte das Ansehen in der Öffentlichkeit, obwohl heftige Kritik nicht ausblieb, wenn Ludwig allzu oft im Ordenskleid der Mendikanten auftrat43. Seine zahlreichen Hospitalgründungen aber und die persönliche Sorge für Arme und Kranke, Stiftungen zugunsten der weiblichen Ordensgemeinschaften, Reliquientranslationen und nicht zuletzt die energische Vertretung des Kreuzzugsgedankens zeigen ein Frömmigkeitsmuster, das zutiefst vom Gedanken der Poenitenz bestimmt war. Wenn Matthäus Paris ihn terrestrium rex regum nennt und 39 F . G r a u s , Lebendige Vergangenheit. Uberlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter, Köln 1975, S. 81 ff. (Trojanersage). Erste Ergebnisse einer Sammlung von Königslisten aus den Beständen der Pariser Nationalbibliothek hoffe ich demnächst vorlegen zu können. 40 Vgl. die Zeitstellung bei Otto von Freising, Chronica sive Historia de duabus civitatibus (MGH SS. rer. Germ.) I, 25-31. 41 Β a i d w i n (wie Anm. 31), S. 384 ff.

42

J o r d a n ( w i e A n m . 3 1 ) , bes. S. 182 ff.

43

Nachweise bei J o r d a η, S. 127 ff.

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das auf die Himmelsölweihe, die Macht, das militärische Genie Ludwigs IX. zurückführt44, so benennt er nur die Voraussetzungen, die der König spirituell zu steigern verstand. Seine Vermittlungen im Konflikt zwischen Friedrich Π. und Papst Gregor IX. sowie die zahlreichen Schiedssprüche im flandrisch-hennegauischen Erbstreit, bei der Fehde um Ligny, in der Freigrafschaft und im Königreich Burgund, im Anjou45 ergaben sich aus dem heftigen Wunsch nach innerem Frieden der Christenheit, für den er selbst verantwortlich zu sein glaubte. Häufig wird bei der Analyse solcher Merkmale hochspiritualisierter und theoretisch-traditional begründeter Herrschaft das Fundament geistiger Bildung unterschätzt, das doch erst Verständnis und damit Wirkung sichern konnte. Schon die frühe Kirchenreform hatte erkannt: Nur wer über ein Mindestmaß an Bildung verfügte und damit sensibler wurde als der gemeine Mann (der durchaus ein Großer sein mag), erweist sich als hinreichend aufgeschlossen für spirituelle Programme46; nur der Gebildete vermag christliches Königtum in Ansatz und Konsequenz zu begreifen. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts verbreitete sich die Schriftkultur über die etablierten Trägerschichten Klerus, Kathedralschulen, Universitäten, Verwaltung, Höfe hinaus weit in die ritterliche Gesellschaft und ins Bürgertum der Städte, so daß die "religion royale" politische Wirkung breit entfalten konnte. Wir müssen es für diesen Komplex bei andeutenden Stichworten bewenden lassen, um abschließend auf deutliche Grenzen zu verweisen, die für die französische Monarchie am Ende des 13. Jahrhunderts erkennbar wurden. Es ist vielleicht mehr als ein Zufall, wenn das Wort frontière erstmals 1315 im Zusammenhang mit der gegen Flandern errichteten Burgenkette begegnet47, denn England und Flandern traten immer deutlicher als Hauptfaktoren politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse hervor, bei deren Steuerung der französische Hof bestenfalls Teilerfolge sah.

44

Matthäus Paris, Chronica maiora (ed. H. L u a r d , Bd. 3, London 1876) zu 1239, S. 626. 45 Κ i e η a s t (wie Anm. 3) 3, S. 609 ff. 46 L.K. L i t t l e , Intellectual training and the attitudes toward reform, 1075-1150, in: Pierre Abélard, Pierre le Vénérable (Colloques internationaux du Centre National de la Recherche Scientifique, Bd. 546), Paris 1975, S. 235-249. Für das 12. Jh. J. L e c l e r c q , The Renewal of Theology, in: R.L. Benson und G. Constable (Hrsgg.), Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, Cambridge, Mass. 1982, S. 68-87. 47 C.-V. L a η g 1 o i s, Saint Louis, Philippe le Bel, les derniers Capétiens directs (Histoire de France, hrsg. von E. Lavisse, Bd. ΙΠ.2), Paris 1911, S. 317.

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Die Abhängigkeit der flandrischen Exportgewerbelandschaft von ständiger Zufuhr englischer Wolle machte ein Bündnis unausweichlich, dem Philipp IV. durch militärische Gewalt und Kronverwaltung nicht mehr beikommen konnte. Am 18. Mai 1302 erhoben sich die Einwohner von Brügge gegen die französische Besatzung, acht Wochen später schlugen die vereinigten flandrischen Städte das französische Ritterheer bei Kortrijk vernichtend, mit weitreichenden Folgen auch für die Italienpolitik Philipps IV. 48 . Hier offenbarte sich eine Systemkrise, weil der König aus seiner stark fundierten Position als Oberlehnsherr regieren wollte, aber gegen wirtschaftliche Tatsachen machtlos war, die neben weitreichenden sozialen Veränderungen auch neue Interessenlagen geschaffen hatten. Der Konflikt zwischen Handwerk und Oligarchie in den flandrischen Städten, bei dem der König das Patriziat unterstützte, zeigt beispielhaft das Versagen einer autoritären Kronverwaltung im Umgang mit Genossenschaften, deren Dynamik mittelfristig nicht zu brechen war. Der Rechts- und Herrschaftslehre fehlte die Entsprechung durch eine ökonomische Theorie, vor allem Einsicht in das Wesen einer Geldwirtschaft, die durch parallele Emission von Gold- und Silbermünzen instabil gehalten wurde. Unzufriedenheit und wachsendes Krisenbewußtsein zeigten sich aber auch in der Aristokratie, die im ständigen Kampf mit den königlichen Beamten ihre Rechte schwinden sah und nun ebenfalls nach Formen genossenschaftlicher Willensbildung suchte. Noch waren das Vorzeichen; mit dem Tod Philipps IV. begannen sie sich in der Periode großer innerer und äußerer Konflikte zu verdichten.

48 F a ν i e r (wie Anm. 28), S. 237 ff. Guter wirtschaftsgeschichtlicher Überblick mit Nachweis und kritischer Bewertung der Literatur bei A.E. V e r h u 1 s t, Die Niederlande im Hoch- und Spätmittelalter, in: H. Kellenbenz (Hrsg.), Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1980, S. 259-296.

Rudolf von Habsburg: Der 'kleine' König im europäischen Vergleich Von Peter Moraw Der Titel dieser Abhandlung enthält eine kleine Provokation und eine große Herausforderung. Die kleine Provokation besteht darin, daß einer der populärsten Herrscher des deutschen Mittelalters - nicht zum allerersten Mal - mit einem etwas dämpfenden Epitheton versehen wird1, was schon gelegentlichen Widerspruch hervorgerufen hat. Gerade unter dem Gesichtspunkt des europäischen Vergleichs, dem man ohne viel Prophetengabe immer mehr Gewicht für Gegenwart und Zukunft zuschreiben kann, ist seinerzeit so formuliert worden, als ob schon an den hier vorgelegten Text gedacht worden wäre2. Die große Herausforderung liegt darin, daß die Schwierigkeiten einer auch nur sehr vorläufigen Gegenüberstellung von Königen des 13. oder eines benachbarten Jahrhunderts über Europa hinweg beträchtlich sind. Man nimmt damit in eigentlich unzulässiger Weise künftige monographische oder auch "kollektive" Arbeit und zuvor noch einige methodische Anstrengung vorweg. Wohl nicht zufällig ist ein solcher Vergleich für einen anderen deutschen Herrscher oder auch für andere europäische Könige in einiger chronologischer Nähe nicht bekannt. So hätte man nicht 1 P. Μ o r a w , Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250-1490 (=Propyläen Geschichte Deutschlands 3), Berlin 1985 (Studienausgabe 1989), S. 211 ff. Literatur zu Rudolf S. 438 f., 441 f. Seitdem u.a. H. T h o m a s , Das Reich um 1300, in: Balduin von Luxemburg. Erzbischof von Trier Kurfürst des Reiches 1285-1354, hg. v. F.-J. Heyen, Mainz 1985, S. 9-41; F.-R. E r k e n s , Der Erzbischof von Köln und die deutsche Königswahl, Siegburg 1987; O. E n g e l s , Das Deutsche Reich zur Zeit der Schlacht von Worringen, in: Der Name der Freiheit 1288-1988. Handbuch, Köln 1988, S. 35-57; A.C. S c h i u n k , Königsmacht und Krongut, Stuttgart 1988; J.K. H o e n s c h , Premysl Otakar Π. von Böhmen, Graz 1989. 2 Für außereuropäische Verhältnisse könnte man z.B. heranziehen Ρ. Τ h o r a u, The Lion of Egypt. Sultan Baybars I and the Near East in the Thirteenth Century, London/New York 1992.

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übel Lust, sich ausschließlich über die Schwierigkeiten eines solchen Vorhabens zu äußern, was in der Tat wenigstens in ganz kurzer Form auch hier notwendig ist. Denn die Probleme der Reflexion und die Sachpunkte des Vergleichs haben mehr miteinander zu tun, als man auf den ersten Blick annimmt. Erst nach Erörterung solcher Schwierigkeiten kann man einige Vergleichsmomente ansprechen, was schließlich zu einem Endergebnis führen mag, das wenigstens diskussionsfähig erscheint. Es ist ganz klar - so muß man auch beim Thema "Schwierigkeiten" beginnen -, daß geschichtliche Tatbestände und Geschichtsschreibung samt Geschichtswissenschaft sehr eng miteinander zusammenhängen. Zugespitzt wird man sagen: Weil es ohne den Historiker, wie er gerade beschaffen ist, zwar Vergangenheit, aber nicht Geschichte gibt, kann es als die jeweils aktuelle Geschichte nur die Geschichte der jeweiligen Historiker geben. Das heißt zum Beispiel: Heute wird man von König Rudolf nicht als privater Person, sondern als "Staats"person sprechen. Auch ist Europa heute das politische und verfassungstechnische Europa. Das Denken an die europäische Geschichte in diesem Sinn ist eher jung. Zum Zweck der Erhellung von Einzeltatbeständen, wie es hier versucht wird, ist dieses Denken offenbar jünger als im Hinblick auf die europäische Geschichte an und für sich. Was man bisher auf diesem letztgenannten, erstbestellten Feld beobachtet, bietet leider für unseren Zweck kein sehr ermutigendes Bild. Werner Näf hat 1945 "Die Epochen der neueren Geschichte" auf den "europäischen Staatsbildungsprozeß und die Anfänge einer Staatengemeinschaft" gegründet, im wesentlichen erst seit dem Beginn der Neuzeit. Erich Hassinger ließ 1959 "Das Werden des neuzeitlichen Europa" um 1300 beginnen. Léopold Genicot behandelte, bisher am überzeugendsten, das europäische 13. Jahrhundert auf sich selbst gestellt (1968). Im "Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte" (Bd. 1, 1973) wird eine langfristige, aber gänzlich parzellierte rechts- und verfassungsgeschichtliche Übersicht geboten. Die Propyläen Geschichte Europas setzt erst um 1400 ein (1975). Der Aufsatzband "Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich" von 1987 betrifft das 15. Jahrhundert und sammelte dafür Einzelstudien statt vergleichende Abhandlungen. Nicht anders konnte das Handbuch der europäischen Geschichte (Bd.2, 1987) verfahren. Die letzte englischsprachige Geschichte des mittelalterlichen Europa von H. G. Koenigsberger (1987) ist kurzgefaßt und daher notgedrungen sehr summarisch. Völlig zweckfrei waren und sind diese Perspektiven nicht immer. So waren zum Beispiel Hans Freyers Darlegun-

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gen über die "Weltgeschichte Europas", in den Jahren des Zweiten Weltkriegs geschrieben, eine offenkundig politische Stellungnahme; das Denken an Europa heute kann der einzelstaatlichen kulturpolitischen Positionsbestimmung oder gar der pointierten einzelstaatlichen Kulturpolitik in einem sich wirtschaftlich und politisch vereinigenden Kontinent dienen3. Wie dem aber auch sei: Von punktuellen Vergleichsthemen, wie hier eines zur Sprache kommt, hin zur Geschichte Europas im allgemeinen besteht eine entscheidend wichtige Verbindung: insofern nämlich, als es ohne eine - sagen wir einmal - "Theorie der europäischen Geschichte" sehr schwerfällt, punktuelle Einzelvergleiche sinnvoll durchzuführen. Eine solche "Theorie" kann nur aus einem übergreifenden, mehr als punktuellen Ansatz hervorgehen. Auch für diese "Theorie" kann man nicht davon absehen, daß man sich über das hier anvisierte Thema im Jahr 1991 äußert. Es ist das Jahr, in welchem ein erstes wirklich international-integratives, nicht nur international-additives Werk zur mittelalterlichen Geschichte Europas erschienen ist: "A History of the Universities in Europe. Vol. 1: Universities in the Middle Ages"4. Nicht viel später soll ein zweites, ebenso angelegtes, jedoch viel weitergreifendes Unternehmen wenigstens im Manuskript abgeschlossen werden. Das erstgenannte Vorhaben hat mit dem unsrigen vor allem insofern zu tun, als es ein wenig "Theorie" im gerade erwähnten Sinn zur Diskussion stellt. Das zweite Werk berührt sich mit dem 3 W. N ä f , Die Epochen der neueren Geschichte, 2 Bde., Aarau 1945 ff.; E. H a s s i n g e r , Das Werden des neuzeitlichen Europa 1300-1600, Braunschweig 1959; D. W a 1 e y, Later Medieval Europe, London 1964; L. G e η i c o t, Le XIIIe siècle européen (=Nouvelle Clio 13), Paris 1968 ; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. H. C o i η g, Bd. 1, München 1973; J.H. M u n d y , Europe in the High Middle Ages 1150-1309 ( = A General History of Europe 4), London 1973; H. D i w a l d , Aufbruch zur Mündigkeit, um 1400-1555 (=Propyläen Geschichte Europas 1), Berlin 1975; R. F o s s i e r , Le Moyen Age, vol. 3: Le temps des crises, 1250-1520, Paris 1983; Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich, hg. v. R. S c h n e i d e r (=Vorträge und Forschungen 32), Sigmaringen 1987; Europa im Hoch- und Spätmittelalter, hg. v. F. S e i b t (=Handbuch der europäischen Geschichte, hg. v. Th. Schieder, 2), Stuttgart 1987. (Die Zusammenfassung von S e i b t [S. 6-174] ist nicht so sehr verfassungsgeschichtlich orientiert. Gleichwohl ist das Werk inhaltlich und bibliographisch besonders nützlich, so daß es zu zahlreichen unten erwähnten Tatbeständen zu vergleichen ist. Dasselbe gilt, soweit schon erschienen, für die Länderartikel im Lexikon des Mittelalters, Bd. Iff., München/Zürich 1977 ff.); H.G. K o e n i g s b e r g e r , Medieval Europe 400-1500, Harlow 1987; H. F r e y e r , Weltgeschichte Europas, Stuttgart 21954. Zum Projekt der Europäischen Wissenschaftsstiftung vgl. Anm. 5. 4 General Editor W. Rüegg. Editor of vol. 1 : H. d e R i d d e r - S y m o e n s , Cambridge 1991. Eine deutsche Ausgabe des 1. Bds. ist 1993 erschienen.

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hier gewählten Thema auch der Sache nach. Es geht um "Die Ursprünge des modernen Staates in Europa (13. bis 18. Jahrhundert)"5. Der Zeitpunkt des Anfangs, gleichsam mit dem aristotelischen "Staat", verrät den französischen Entwurf; Deutsche könnten auch anders datieren. Chronologisch gesehen gehört jedenfalls König Rudolf unzweifelhaft dazu; seine Nähe oder Ferne zur Thematik der "Ursprünge des modernen Staates", aber auch zur Thematik des unversitätsgeschichtlichen Unternehmens sagt manches aus über seine Position im europäischen Vergleich. Zunächst sind ein paar Worte zur gerade erwähnten "Theorie" vonnöten. Sie bietet Anhaltspunkte dafür, welche Rahmenbedingungen ein Herrscher von damals in der Mitte des Kontinents vorfand - im Unterschied zu den gleichzeitigen Rahmenbedingungen anderswo in Europa. Denn sicherlich sind bei weitem nicht nur persönliche Leistung oder persönliches Versagen, sofern man diese von Leistung und Versagen der jeweils mitführenden Leute überhaupt unterscheiden kann, zu benennen. Zu benennen ist auch, was trotz persönlicher Leistung bescheiden oder gar dürftig blieb und warum es so war. Zuerst bei Phänomenen aus der allgemeinen Zivilisationsgeschichte, dann auch bei einigen Phänomenen aus der Sozialgeschichte und darüber hinaus in anderen Sektoren von Geschichte kann man nun eine relativ einheitliche Entwicklung im papstchristlichen Mittelalter etwa seit der Karolingerzeit in der Art vermuten, daß ein ansehnlicher Teil der offenkundig bestehenden Unterschiede in diesem großen Gebiet als Phasenverschiebungen, als zeitliche Unterschiede in einem relativ einheitlichen Prozeß verstanden werden dürfen6. Man hat schon vor längerer Zeit gesagt: "Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß in nahezu allen europäischen Staaten des Mittelalters die gleichen Bauelemente und die gleiche Struktur vorhanden waren; nur die Gewichte konnten, oftmals bedingt durch historische Zufälle, verschieden verteilt sein"7. Dieselbe Feststellung, wenn auch in reflektierterer und neu und besser begründeter Form, kann man auch heute machen. Was wir im zitierten Satz anders formulieren würden, können wir hier nicht ausbreiten; es mag durch die ganze Abhandlung zum Ausdruck gebracht werden. Eines nur scheint sicher: Falls das meiste oder alles, was auf dem Kontinent an einschlägigen Phänomenen vorzufinden ist, als wirk5

The Origins of the Modern State in Europe (13th-18th Century). 6 P. Μ o r a w, Uber Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter, in: Hochfinanz. Wirtschaftsräume. Innovationen. Festschrift für W. v. Stromer, Bd. 2, Trier 1987, S. 583-622. 7 G . G u d i a n , Die grundlegenden Institutionen der Länder, in: Handbuch der Quellen und Literatur (wie Anm. 3), S. 401 ff., bes. 401.

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lieh autochthon, individuell und isoliert aufzufassen wäre, verbliebe eine Geschichte des älteren Europa eine rein perspektivische Synthese von der Moderne her und wäre im Grunde sinnlos und wissenschaftlich reizlos. Demgegenüber glauben wir nicht, daß es in der älteren Vergangenheit keine gemeineuropäischen Wesenszüge von Gewicht gegeben habe. Vielmehr glauben wir, daß im ständigen Gegenüber von individueller und von übergreifender Bitfaltung oder auch Stagnation oder gar Retardation solche überindividuellen, wirklich europäischen Wesenszüge in ansehnlichem Maß bestanden haben. Auch die Grundlagen europäischer Königsherrschaft waren etwas Individuelles und Liberindividuelles zugleich, keineswegs etwas Unvergleichbares. Die Unterschiede kann man erklären oder wird man erklären können. Das Bemühen um Legitimität, die Mitherrschaft eines Adels, bestimmte Militär-, Kommunikations- und Geldtechniken bestanden früher oder später weit verbreitet, der Hof von unterschiedlicher Größe war überall der Mittelpunkt der Monarchie, die Kirche durchdrang hier und dort in vergleichbaren Formen das Leben, wenn auch nicht auf der Basis von gleichvielen Pfründen und Pfarreien, Regionales war überall kraftvoll, Weitgespanntes blieb überall schwächlich, und so weiter. Úberindividuelle Wesenszüge waren die Grundlage dafür, daß die Zeitgenossen ihre auswärtigen Nachbarn nicht als völlig befremdlich empfanden. Wesentliche Phänomene des europäischen Hoch- und Spätmittelalters traten in zwar jeweils abgewandelter, aber in durchaus wiedererkennbarer Form am häufigsten zuerst in Oberitalien, dann im südlichen Frankreich, dann im nördlichen Frankreich und in England und Teilen Spaniens, dann in der Mitte Europas und zuletzt an seiner Peripherie im Osten und Norden auf. Dies läßt sich heute schon für die Sozialgeschichte der Gebildeten, für Laisierung, Professionalisierung, Schriftlichkeit und allgemeiner für die Akkumulation von Menschen und von Mitteln recht gut erhärten, und wohl nicht minder in der Geschichte des Städtewesens und der Kirchen. Summierend geurteilt hat es ein bevorzugtes "Älteres Europa" und ein benachteiligtes "Jüngeres Europa" gegeben, die sich letztlich im allergröbsten durch das Vorhandensein oder Fehlen einer römisch-antiken Vorgeschichte unterschieden haben. Kriterien sind Bevölkerungsdichte, Agrartechniken, Urbanisierung, Dichte kirchlicher Institutionen, Bildungsdichte und andere Kultuiphänomene. Das "Jüngere Europa" hat nach und nach vieles aufgeholt, aber bei weitem nicht alles. Es handelt sich beim Skizzierten natürlich zuletzt um ein ex post hergestelltes, von abgeschwächten Modernisierungstheorien beeinflußtes Verstand-

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nismodell und auch um ein Verständnismodell, das für die hier speziell aufgeworfene Frage nach den Positionen von Herrschern nicht unbeeindruckt blieb von dem offenbar im Mittelalter schon beginnenden, in der Neuzeit voll entbrannten Wettbewerb der europäischen Monarchen und Monarchien untereinander. Diese "Theorie" spricht nun dem Reich König Rudolfs von vornherein, ehe irgendein Detail erörtert wird, bestenfalls eine Position mittleren Ranges zu, in ungefähr jener Abfolge der Großregionen Europas, die gerade angeführt worden ist. Diese Position betraf zunächst wie erwähnt allgemeine zivilisatorische Aspekte, die aber auch vieles vom Funktionieren von Herrschaft oder von "Staat" in sich schließen. Dieselben Vermutungen gelten natürlich auch innerhalb von Rudolfs Reich. Deutschland gehörte in der Tat zum kleineren Teil dem "Älteren" und zum größeren Teil dem "Jüngeren Europa" an. Links des Rheins und in gewisser Hinsicht südlich der Donau war man wesentlich moderner als am mittleren deutschen Ostseeufer, wie es sich für das ganze deutsche Mittelalter heute schon an einer Anzahl von Einzelkriterien aufweisen läßt. Dies hatte Folgen auch für die politische Geschichte und die Verfassungsgeschichte. Es scheint z. B. wesentlich zu sein, daß der Niederrhein, im Mittelalter die modernste deutsche Landschaft, fast stets im Gegensatz zum Königtum gestanden hat, das sich seinerseits bestenfalls auf Landschaften zweiter Bonität hat stützen können, etwa auf Südwestdeutschland. Die Unterschiede sollte man sich, was überhaupt ein Kennzeichen älterer Gesellschaften zu sein scheint, öfter als kraß denn als gelinde vorstellen, wie auch Unterschiede zwischen Italien und Frankreich einerseits und dem deutschen Durchschnitt andererseits kraß gewesen sein konnten. Kurz sei zu solchen Versuchen methodisch bemerkt, daß sie prinzipiell auf die Integration ganz verschiedener Faktoren abzielen und nicht, wie etwa bei Otto Hintze, ein einziges wenn auch wichtiges Merkmal wie das Ständewesen als isoliertes Objekt typologisch entwickeln wollen8. Das sehr bekannte Ständemodell Hintzes scheint auch aus diesem Grund, wie aus anderen Gründen, nicht das Richtige zu treffen. Wenn man indessen Europa wie bei uns vorgeschlagen betrachtet, muß man Spannungen auszuhalten im Stande sein. Man wird nicht nur das mittelalterliche Deutschland mit seinerseits gewaltigen Unterschieden - wie ein kleines Europa - zu ertragen suchen, sondern man wird sich auch der Frage stel8

Ο . H i η t ζ e, T y p o l o g i e d e r ständischen V e r f a s s u n g e n d e s A b e n d l a n d e s ( 1 9 3 0 ) ,

in: ders., Staat und Verfassung, hg. v. G. Oestreich, Göttingen 21962, S. 120-139.

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len, wieviel allgemeine Determiniertheit man gegenüber der individuellen Offenheit der Geschichte zu ertragen fähig sei. Genügend Raum für Sonderentwicklungen sollte bleiben, deren klassischer Fall England ist, wo sich zum Beispiel auch ohne viel Urbanisierung, auf relativ kleinem Raum, eine recht moderne Gesellschaft entfaltet hat. Auch den Protest des regionalen und nationalen Geschichtsbewußtseins und Ehrgeizes der am spätesten Gekommenen in Deutschland und in Europa gegen solche "Klassifizierungen", die leicht - zu Unrecht - in verschiedener Hinsicht mißverstanden werden könnten, muß man aushalten. Man sollte auf weitere kaum geklärte Prämissen wenigstens ganz kurz hinweisen. Allein für die deutsche Geschichte schließt ein Urteil über König Rudolfs Positionen verfassungsgeschichtliche Grundaussagen ein, die weder ausreichend geklärt erscheinen noch auch in der spezifischen Deutung, wie sie hier einbezogen sind, genügend begründet werden können. Dazu gehören etwa Natur und Ausmaß des rechtlichen, nicht so sehr des politisch-praktischen Angewiesenseins des Königs auf die Zustimmung der Großen. Begriffliche Schwierigkeiten treten hinzu. Man kann zum Beispiel mutig und unbefangen von "Außenpolitik" sprechen, als ob es diese immer im heutigen Sinn gegeben habe. Man kann aber auch die vorsichtige Frage stellen, seit wann eigentlich Außenpolitik in diesem modernen Sinn bestanden habe und welche Kriterien dafür ausschlaggebend gewesen seien: ein entwickeltes Gesandtschaftswesen, Instrumentarien für die verhältnismäßig einheitliche Haltung des Gemeinwesens nach außen, nicht nur rein dynastische Motive, usw. Gab es schon einen Staat oder, wie wir glauben, nur Staatlichkeit, das heißt allein einzelne staatliche Wesenszüge neben nicht- und vorstaatlichen Merkmalen? Ladero Quesada wählt z. B. im Sammelband "Das erste Zeitalter des Staates in Spanien 1450-1700", von 1990, die gute Titelformulierung "Die Entstehung des Staates in den mittelalterlichen spanischen Königreichen 1250-1450"9, während Jean-Philippe Genet im Sammelband "Der moderne Staat" (ebenfalls 1990) die These zum Ausgangspunkt nimmt, der Staat sei in Westeuropa zwischen 1280 und 1360 "geboren worden"10, also beginnend in Rudolfs Jahren, und zwar während endloser Kriege aus dem Bedarf des Königs am organisierten Beistand der Untertanen. Vor-

9 M.A. L a d e r o Q u e s a d a , La genèse de l'Etat dans les royaumes hispaniques médiévaux (1250-1450), in: Le premier âge de l'Etat en Espagne 1450-1700, Paris 1990, S. 9-65. 10 J.-Ph. G e n e t , La typologie le l'Etat moderne, le droit, l'espace, in: L'Etat moderne. Le droit, l'espace et les formes de l'Etat, Paris 1990, S. 7-14, bes. 10.

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sieht und Zurückhaltung in der Terminologie werden jedenfalls das Folgende begleiten. II Wir kommen nun zur Sache selbst. Am Anfang stehe eine Art Positionsbestimmung für König Rudolf im papstchristlichen Europa, ohne daß dabei auf allzu viele Details eingegangen wird. Einen Anhaltspunkt, wonach man grundsätzlich vergleichend fragen könnte, ohne daß dies hier vollständig geschehen soll, gibt der siebenteilig gegliederte Fragenkatalog des gerade erwähnten Forschungsunternehmens über die Ursprünge des modernen Staates. Die sieben Punkte lauten in charakteristischer, stark vom französischen Geschichtsverständnis bestimmter Abfolge: 1. Zwischenstaatlicher Krieg und zwischenstaatliche Konkurrenz, 2. Wirtschaftssysteme und Staatsfinanzierung, 3. Rechtliche Machtinstrumente, 4. Führungsgruppen und Staatsdiener, 5. Repräsentation, Widerstand und Gemeinschaftsgeist, 6. Das Individuum in der politischen Theorie und Praxis, 7. Ikonographie, Propaganda und Legitimierung. Nicht minder anspruchsvoll wäre wohl eine Typenbildung für Monarchen und Monarchien. Sie wäre nützlich unter anderem auch in der Hinsicht, daß gegenüber dem vom französisch-englisch-aragonesischen Königtum ausgehenden "modernen" Erwartungsdruck eine gewisse Eigenständigkeit eines anderen, eher archaischen Königstyps stabilisiert werden könnte. Aber dazu würden umfassende Vorarbeiten gehören, auf die man sich im Augenblick nicht einlassen kann. So ist das hier anvisierte Ziel viel bescheidener. Wir prüfen ziemlich kursorisch drei Aspekte. Diese sind derjenige der Selbstbehauptung des Monarchen und seiner Dynastie, der Aspekt der Durchgestaltung der Monarchie vom Monarchen her und immer wieder auch der Aspekt der Fortentwicklung von monarchischem Zentrum und monarchischem Reich. Vom ersten bis zum dritten Aspekt bewegen wir uns auf einer Skala, die immer mehr auch zeitfremde Urteilsmomente zuläßt. Denn während es selbstverständlich erscheint, daß der König für die Selbstbehauptung der Dynastie im vollen Bewußtsein dieses Ziels zu sorgen suchte, kann die Frage nach der Fortentwicklung der Monarchie nicht gut ohne die Kenntnis der Zukunft beurteilt werden. Gleichwohl haben wir das Recht, unsere heutigen Fragen zu stellen und unsere heutigen Urteile zu fällen; dieses Recht hat sich das eben genannte europäische Vorhaben

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längst genommen. Das Risiko des Anachronismus dürfte allerdings für das dreizehnte Jahrhundert größer sein als für das achtzehnte. Weil aber ein halbes Dutzend französischer Sammelbände dieser Blickrichtung schon erschienen ist 11 , werden eher in sich selbst ruhende, der Vergangenheit ein hohes Eigenrecht zusprechende Positionen, zu denen wohl die Deutschen neigen, in der übergreifenden Diskussion nicht leicht zu halten sein. Darf man aber überhaupt, so sollte man wohl noch fragen, allein gestützt auf die eingangs angesprochene "Theorie" einer relativ einheitlichen zivilisatorischen Entwicklung, selbst wenn sie im ganzen zutreffen mag, den schmalen Ausschnitt einer einzigen Herrschergeneration über ganz Europa hinweg herausgreifen? Man kann durch das Beobachten der Periodisierungsanstrengungen in der jüngsten Staatengeschichtsforschung eine Kontrolle versuchen. Dabei hat sich etwas eher Beruhigendes, nämlich relativ einheitlich beurteilte Tatbestände, herausgestellt. Entscheidend ist, daß über die Konjunkturlage im großen ein hohes Maß von Einigkeit besteht, wobei "Konjunktur" nicht nur das Wirtschaftliche im eingeengten Sinn, sondern Weitausgreifendes vom Siedlungsverhalten bis zu den Staatsfinanzen meint: Ein blühendes 13. Jahrhundert umfaßte auch noch das letzte Viertel des Säkulums, jedenfalls in den allermeisten Regionen Europas. Die spanische Forschung erkennt als erste das Ende dieser Konjunktur in Iberien zum Jahrhundertende, am Rhein trat dies in der späteren ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in Böhmen offenbar kaum vor 1370 ein 12 . Die Nachfolger König Rudolfs dürften also - um einmal vorauszublicken - um so mehr gegenüber den schon von der Krise erfaßten Regionen begünstigt gewesen sein, je weiter im Osten sie saßen. Andere Argumente mehr verfassungspolitischer Art sehen für die italienische Staatenwelt und für Nordwesteuropa ungeachtet aller Ungewißheiten monarchischer Existenz auf dem Weg von personalen zu mehr institutionellen Merkmalen des Gemeinwesens ungefähr in der Generation Rudolfs eine Wendemarke 13 . Gerade daß man - wie wir noch sehen werden - in Deutschland davon sehr wenig oder gar nichts aufzufinden vermag, paßt nicht schlecht in das entwicklungsgeschichtliche Verständnismodell hinein. •1 Bibliographie in: L'Etat moderne. Genèse, Paris 1990, S. 308-350. Ferner wie Anm. 10. 12 Vgl. Anm. 9 und M o r a w (wie Anm. 1), S. 263 f. 13 A. H a v e r k a m p , Aufbruch und Gestaltung. Deutschland 1056-1273, München 1984, S. 17 ff., 302 ff. Vgl. F. Τ r a u t z, Die Könige von England und das Reich 1272-1377, Heidelberg 1961, S. 5.

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W i r dürfen also offenbar vergleichen und stellen zu diesem Zweck fest: Das Europa der lateinischen Kirche zählte am Ende des 13. Jahrhunderts vor 1282 zwölf und seit 1282 dreizehn nennenswerte weltliche Monarchen und die "Monarchie" des Papstes. Es waren mehr als zwölf oder dreizehn Königreiche, weil Aragon oder auch Ungarn zusammengesetzte Monarchien bildeten. Aber uns interessiert themengemäß der K ö nig mehr als das Königreich. Als Gemeinwesen im hier gemeinten Sinn mögen daher gelten in einer ersten Gruppe der "modernen" oder annähernd "modernen" Reiche Frankreich, England, Neapel-Sizilien, bald Neapel und Sizilien, Aragon, Kastilien und Portugal; dazu zählt auch der Kirchenstaat. Der zurückgebliebenen Peripherie gehörten an Schottland, Dänemark, Schweden, Norwegen und Ungarn. Dazwischen lag in vorerst nur zaghaft bestimmbarer Weise das römisch-deutsche Königtum. Polen war zwischen 1138 und 1320 keine Monarchie, sondern eine Agglomeration von Fürstentümern, die durch die Kirche von Gnesen, durch Adelsinteressen und durch die Perspektive von der Moderne her zusammengehalten worden ist. Von Zwergen wie Navarra, das man auf 65 000 Einwohner geschätzt hat, oder von Mallorca kann man absehen; Böhmen wird als Teil des Reiches übergangen. Die Größenunterschiede waren in der Tat beträchtlich. So unsicher Schätzungen sein mögen, sie bieten doch Anhaltspunkte zum Feststellen extremer Ungleichheit. Schottland mag weniger als 400 000 Einwohner aufgewiesen haben, die ganze Krone Aragon weniger als 900 000, England immerhin etwa dreieinhalb Millionen. Die beiden einzigen Groß "Staaten", wenn man so sagen darf, waren Frankreich mit gegen 20 Millionen und Deutschland mit gegen 15 Millionen oder mit mehr Einwohnern. Nicht weniger deutlich waren die Unterschiede in der Flächenausdehnung14. Außerhalb des konkreten monarchischen Zugriffs lagen am Ende des 13. Jahrhunderts nur wenige Bereiche, jedoch äußerst wichtige. Förmlich 14 Vgl. das Handbuch der europäischen Geschichte (wie Anm. 3). Seitdem besonders wichtig außer der in Anm. 9-11 genannten Literatur: Thirteenth Century England 1-3, Woodbridge 1986, 1988, 1991; J. E h l e r s , Geschichte Frankreichs im Mittelalter, Stuttgart 1987; M. P r e s t w i c h , Edward I, London 1988; Renaissance du pouvoir législatif et genese de l'Etat, sous la direction de A . G o u r ο η et Α . R i g a u d i è r e , Montpellier 1988; G. R o s s e r , Medieval Westminster 1200-1540, Oxford 1989; J. F a v i e r , Frankreich im Zeitalter der Lehnsherrschaft 1000-1515, Stuttgart 1989; Histoire de la France. L'Etat et les pouvoirs: J. L e G o f f, Le Moyen Age, Paris 1989; K.-F. K r i e g e r , Geschichte Englands von den Anfängen bis zum 15. Jahrhundert, München 1990; M . B o u r i n - D e r r u a u , Temps d'équilibres, temps de ruptures. XlIIe siècle ( = N o u v e l l e histoire de la France médiévale 4), Paris 1990; Before the Black Death, ed. by B.M.S. C a m p b e l l , Manchester/New York 1991.

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selbständig war Venedig, faktisch selbständig (wenn auch nicht rechtlich und nicht im Hinblick auf gelegentliche Eingriffsversuche) blieb Reichsitalien, die modernste europäische Landschaft. Wie ein Menetekel, das die allerfernste Zukunft der Monarchien aufzeigen möchte, waren in diesen höchstentwickelten urban-gewerblichen, am dichtesten bevölkerten und sozial mobilsten Gegenden der päpstlichen Christenheit entweder am Werk ein mehr oder weniger oligarchisch-"demokratisches" Parteienregiment (Florenz) oder Gewaltherrscher, Signori, aus Adel oder Bürgertum 15 . Indessen war die maßgebliche Staatsform doch die Monarchie. Im Zentrum des Gemeinwesens stand der König. Die Frage, wieweit man zu ihm als handelndem Individuum durch die Formalismen der Urkunden und durch die Idealbilder der Geschichtsschreibung hindurchstoßen könne, hat zuletzt anläßlich des Capetinger-Jubiläums von 1988 amerikanische Historiker beschäftigt 16 . Bei Philipp Π. Augustus, Ludwig dem Heiligen und Philipp IV. dem Schönen, dem Zeitgenossen Rudolfs, hat man mit mehr oder weniger Erfolg abermals wahrscheinlich gemacht, daß das Sein sehr anders war als der Schein. Wie dem aber auch hier gewesen sein mag - fest steht nicht nur für das Reich, sondern übereinstimmend bei Historikern praktisch aller beteiligten Nationen die Meinung, daß die Person des Herrschers im 13. Jahrhundert als Handlungszentrum besonders bedeutungsvoll gewesen sei, bedeutungsvoller zumeist als das institutionelle Gefüge. Wichtiger nur noch als Institutionen und der Herrscher waren mancherlei kaum veränderbare Rahmenbedingungen, vor allem dann, wenn sie wie in Deutschland dem Handeln von Personen und Institutionen unübersteigbare Grenzen zogen. Die Loyalität, die man dem König unter welchem Rechtstitel auch immer erwies, war ein oder das Hauptbinde- und Aktionsmittel des Gemeinwesens. Aus dem Widerstand, den Handlungen des Königs erfahren konnten, vor allem wenn sich die dynastische Zielsetzung vom Interesse des Adels zu weit entfernte oder wenn Untertanen des Adels, die Kirchen 15 Außer dem Handbuch der europäischen Geschichte (wie Anm. 3) und dem Art. Italien im Lexikon des Mittelalters A. H a v e r k a m p und H. E n z e n s b e r g e r , Italien im Mittelalter. Literaturbericht ( = HZ Sonderheft 7), München 1980. Aus den jüngsten Monographien: D. W a l e y , Siena and the Sienese in the thirteenth century, Cambridge 1991. 16 Beiträge von J.W. B a l d w i n , E.A.R. B r o w n und W.C. J o r d a n in: Viator 19, 1988. Vgl. auch die wichtigen Arbeiten von R.-H. B a u t i e r , zuletzt gesammelt in ders., Etudes sur la France capétienne, Hampshire/Brookfield 1992, und La France de Philippe Auguste. Publié sous la direction de R.-H. Β a u t i e r, Paris 1982; J.W. B a l d w i n , The Government of Philip Augustus, Berkeley 1986.

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und die Bürger zu sehr belastet wurden, erwuchsen dualistische Strukturen. Nicht so sehr deshalb erwuchsen sie offenbar, weil man an und für sich ständisch dachte und handelte. Die Größe des Landes und seine Kommunikationsverhältnisse waren dafür eine entscheidende Rahmenbedingung: Was in Katalonien oder in Dänemark, wo man wegen der leichteren Erreichbarkeit nur in Hafenstädten zusammentreffen wollte, ziemlich einfach war, war im Reich in Rudolfs Zeit und lange danach noch unmöglich. In den verfassungsgeschichtlichen Studien quer durch Europa scheint sich in den letzten Jahren ein nüchtern-realistisches Urteil durchzusetzen - derart, daß es zwar (natürlich unter steter Rücksichtnahme auf die vielzitierten Rahmenbedingungen des Gemeinwesens) im 13. Jahrhundert in der Tat zu Beschleunigungsvorgängen bei der staatlichen Verdichtung gekommen ist. Aber auch hier geschah dies kaum je an und für sich, sondern vor allem dann, wenn sich der König von seiner hochmittelalterlichen Basis aus, die seine Selbstbehauptung, aber nicht viel mehr als diese, sicherte, zu großangelegten militärischen Aktionen anschickte. Jean-Philippe Genet gibt durchaus die Mehrheitsmeinung der Kollegen wieder: Erst neue Herausforderungen, wie sie auch immer beschaffen gewesen sein mögen, erzwangen neue Antworten 17 . Dann konnte das ganze Gemeinwesen auf der Probe stehen, wie man es vom England der neunziger Jahre behauptet hat. Der Überblick über das Europa der Monarchien des 13. Jahrhunderts scheint demgemäß zu lehren, daß eine verhältnismäßig gleichförmige, erfolgreiche Aufwärtsentwicklung, wie sie französische, deutsche und angelsächsische Kollegen übereinstimmend für Frankreich konstatieren, einen Ausnahmefall darstellt. Dieser Ausnahmefall hat wohl ebenso mit besonders günstigen Rahmenbedingungen wie mit einer Reihe bedeutender Herrscher zu tun. Normal war zwar nicht unbedingt eine so kontinuitätsarme und krisenreiche Situation wie in Deutschland, aber doch eine Anzahl von Unsicherheiten, Notlagen und Tiefpunkten. Vor allem war es Unsicherheit darüber, ob die eher schmale Basis des Königtums, wie sie bisher bestand, neuen Aufgaben (unabweisbaren und selbstgestellten) und neuen sozialen Kräften gewachsen sein würde. Fast jede Monarchie stand zeitweise im Konflikt mit den lokalen Kirchen oder der zentralen Kirche oder mit beiden, und kaum eine bot dabei ein überzeugendes Bild. Fast jede "moderne" Monarchie sah sich dem Drängen eines ständischen oder pseudoständischen Dualismus gegenüber und 17

Wie Anm. 10.

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machte dabei nur selten eine gute Figur. Wäre nicht die Geschichte der europäischen Monarchien im Längsschnitt bekannt, sondern nur der Querschnitt zur Zeit des endenden 13. Jahrhunderts, so würde man für die Institution des Königtums viel weniger optimistisch sein und würde der Sonderfall Frankreich noch stärker hervortreten. Man kann hierzu die Kombination besonders günstiger Faktoren hervorheben, auf denen gerade diese Monarchie aufruhte: auf dem natürlichen Reichtum des Landes, auf der Tradition dynastischer Kontinuität, auf besonderen religiösen Qualitäten des Königs, auf einem meist guten Verhältnis zur Kirche und zu den Kirchen, auf ungewöhnlich hoher Qualifikation der Königsdiener, auf der kulturellen Anziehungskraft von Hof und Metropole samt Universität und auf weiteren positiven Merkmalen. Paris war die weitaus größte Stadt (mag ihre Einwohnerzahl noch so umstritten sein), die zugleich "Behördenzentrum" einer erfolgreichen Monarchie war, so daß sich "staatliche" und eigenständig-städtische Zentralität ergänzten und steigerten. Westminster samt London - eindeutig Metropole des Landes - war wesentlich kleiner bei ungefähr vergleichbar anspruchsvoller staatlich-bürokratischer Qualität. Zu den Zeiten Philipps des Schönen von Frankreich (1285-1314) und Eduards I. von England (1272-1317) konnten beide staatlich-städtischen Doppelphänomene schon fast auf ein Jahrhundert dieser Erfolgsgeschichte zurückblicken 18 . Geradezu absurd nahm sich demgegenüber die Situation König Rudolfs aus, der zusätzlich zum Umherziehen im Land keine auch nur von fern vergleichbaren Mittelpunkte vorweisen konnte. In der Nähe der an nennenswerten Städten sehr armen Stammlande war er auf die beiden Bischofsplätze Basel und Straßburg angewiesen, die ihm (von einer allgemeinen Oberhoheit abgesehen) nicht gehörten; sie sollten sich zu Freien Städten entwickeln19. Monarchische Kontinuität mußte Rudolf in der "Totenstadt" Speyer aufsuchen. In einer sich deutlich modernisierenden 18 Vgl. Anm. 14 und bes. den Beitrag von J. E h l e r s in diesem Band. R.-H. Β a u t i e r, Le personnel de la chancellerie royale sous les derniers Capétiens, in: Prosopographie et genèse de l'Etat moderne, Paris 1986, S. 91-115; R. G r i f f i t h s , Bureaucracy and the English State in the later Middle Ages, ebd. S. 53-65. Siehe auch Β. B a r b i c h e , Le personnel de la chancellerie pontificale aux XlIIe et XIV« siècles, ebd., S. 117-130. 19 K. F e h n, Hauptstadtfunktionen in der Mitte Europas, in: Hauptstadt: Zentren, Residenzen, Metropolen in der deutschen Geschichte, Köln 1989, S. 474-491; P. Μ o r a w, Das Hauptstadtproblem in der deutschen Geschichte, in: Damals 24, 1992, S. 246-271; d e r s . , Zur Verfassungsposition der Freien Städte zwischen König und Reich, in: Res publica. Bürgerschaft in Stadt und Staat ( = D e r Staat, Beiheft 8), Berlin 1988, S. 11-39.

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Gesellschaft (Stichwort etwa: Laisierung des 13. Jahrhunderts in Frankreich und in England 20 ) konnten die französischen Könige zugleich an alten Rechten festhalten und neue, etwa in der Gesetzgebung, durchzusetzen suchen. Sie vermochten die Krondomäne zu vergrößern, mit dem Riesenschritt des Erwerbs der Champagne 1284/85, und in den Lehnsfürstentümern nach und nach dem Gerichtszug nach oben Respekt zu verschaffen. Dies war keine Versicherung gegenüber Krisen, aber selbst die schweren Krisen, die kommen sollten, ließen die verkehrsgeographische und die soziale, von soliden Interessen anderer mitgetragene Basis der französischen Monarchie unberührt. Man kann ganz im allgemeinen für Europa keinen sehr scharfen Schnitt zwischen Wahlrecht und Erbrecht bei der Thronfolge ziehen; doch sollte die strukturelle und dauernde Überlegenheit der faktischen Erbmonarchie, wie sie eben in Frankreich bestand, selbst bei schwachen, unmündigen oder ungeeigneten Herrschern nicht im Zweifel stehen. Ein Blick auf Italien21 macht deutlich, daß wirtschaftliche Leistungen allein staatsbildende Kraft nicht in sich trugen. Vermutlich war das ökonomische Europa niemals so italienisch dominiert wie in der Generation König Rudolfs - es sei denn, man war wie in großen Teilen Deutschlands noch so unentwickelt, daß sich italienischer Einfluß nicht zu lohnen schien. Gleichwohl war labile Polyzentrik, die eher noch zunahm, das Kennzeichen der italienischen Halbinsel. Wieviel das Fehlen von Traditionen, besonders legitimer oder gar ehrwürdiger Traditionen, im spätmittelalterlichen Europa bedeutete, zeigt sich daran, daß die kühne und skrupellose Staatskunst der Anjou so furchtbaren Schiffbruch erlitten hat: in der Sizilianischen Vesper von 128222. Nicht minder führte das großartigste Entrée der rudolfinischen Ära, das zweite Konzil von Lyon 1274, zumindest nach der Interpretation von Jacques Le Goff die Kirche eher in eine Sackgasse23. Der Papst hat zwar 248 Bischöfe, darunter 28 deutsche (man merke sich die Zahl zur Beurteilung der Hoftage König Rudolfs weiter unten) um sich versammelt, auch weil die Rhônestadt günstiger 20 J.R. S t r a y e r , The Laicization of French and English Society in the Thirteenth Century, in: Change in Medieval History, ed. by S. Thrupp, London 1965, S. 103-115. 21 Vgl. oben Anm. 15. 22 S. R u η c i m a η, Die sizilianische Vesper, München 1959; P. H e r d e , Karl I. von Anjou, Stuttgart 1979. Vgl. auch M.G.A. V a l e , The Angevin Legacy and the Hundred Years War, 1250-1340, Oxford 1990. 23 Sammelband: 1274. Année charnière. Mutations et continuité, Paris 1978; Β. R o b e r g, Das Zweite Konzil von Lyon (1274), Paderborn 1990.

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gelegen zu sein schien als Rom. Aber es mag dieser Akt nicht nur auf die organisatorischen Erfolge von Avignon, sondern eben auch auf dessen kirchenpolitisches Scheitern vorausweisen. Der Kirchenstaat in Italien war eine schwache Monarchie. Der beständige Kampf von Neapel gegen Sizilien lähmte diese beiden südlichen Reiche und beschädigte den Kirchenstaat. Als König Rudolf und König Eduard I. von England über die dann doch nicht zustande gekommene Heirat ihrer Kinder nachdachten, nahmen zwei Monarchen voneinander Kenntnis, die wohl noch weiter voneinander entfernt waren als der deutsche und der französische König. In England war alles deutlich kleinformatiger als in Frankreich, aber wesentlich intensiver, so als ob die Zeit hier schneller vorangeschritten wäre. Vielleicht am deutlichsten zeigt sich dies beim unglaublich reichhaltigen schriftlichen Niederschlag der zeitgenössischen Verwaltung in England. Die zuständigen Kollegen erklären diese nicht eigentlich von intensiver Urbanisierung gestützte Entwicklung am liebsten mit Hilfe der Herausforderungen, denen sich der König gegenübersah oder die er zu sehen glaubte. Es gab hier ein in der politischen Qualität (oder mehr im Urteil der Fachkollegen?) stark schwankendes Königtum. Aber dies hat die Erbfolge und das Funktionieren des (wie man hier fast ohne Vorbehalt sagen kann) Staates nicht wirklich beeinträchtigt. Eduard I. konnte zwei Jahre vor dem Tod des Vaters ( t 1272) und noch zwei Jahre danach von der Insel abwesend sein und sich dorthin nur schriftlich artikulieren, ohne daß dies der Autorität der Krone erkennbar geschadet hätte. Was der Hundertjährige Krieg dann deutlich machte, die Verstaatung durch die Ausschöpfung aller Mittel, bis man sich als gequälter Steuerzahler zur Wehr setzte, war schon im 13. Jahrhundert vorgezeichnet. Seit etwa 1290 gab es englische Kriege mit Frankreich oder mit Schottland oder mit beiden, bis fast zum Ende des Mittelalters. Will man annehmen, daß die geringe Größe eines ausreichend modernen Landes den Zusammentritt von Ständen früh ermöglicht, so sieht man sich durch das Beispiel Englands in der Generation König Rudolfs ebenso bestärkt wie durch die Verhältnisse in Spanien. Der vergleichende Historiker sieht auch mit Freude, daß als Rechtsgrund (ob von Parlament, Cortes oder viel später des Reichstags) immer derselbe angegeben wird: die Konkretisierung der uralten Rat-und-Hilfe-Formel, wenn der Herrscher unter starkem Druck stand. Nicht minder war das englische 13. Jahrhundert dasjenige, das (wie offenbar in allen "modernen" Monarchien, daher nicht in Deutschland) den Anfang der breiten Rechtsetzung

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aus königlicher Machtvollkommenheit mit sich brachte 24 . Die besondere englische Juristenausbildung, die nach und nach zu einem eigenen Juristenstand führte, in den Inns of Court ist etwa vom selben Datum. Undenkbar wäre es für Deutschland, das Zeitalter von 1216 bis 1307 wie in England als Periode der "sich ausprägenden Verfassungsinstitutionen" zu bezeichnen25. Es handelt sich hier um einen Vorsprung Englands, der - wenn man streng Gleiches an Gleichem bemißt - eher nach Jahrhunderten als nach Generationen zählt. Immerhin ist es für die deutschen Verhältnisse lehrreich, daß die jüngste englische Forschung einen Ausbruch aus dem sehr lange Zeit so beständigen Lob heimischer Institutionen versucht 26 . Mit gutem Recht nähert man sich der Position, daß auch das am besten ausgeklügelte System ohne ein gewisses Maß an elementarem Machthandeln nicht zu bestehen vermag. Ein solches elementares Machthandeln können aber auch viel schlichtere Gemeinwesen aufbieten. Die übrigen Königtümer Europas, vor allem an der Peripherie, hatten damals mit dem Reich wenig Berührung, mit der wichtigen Ausnahme, daß König Ladislaus IV. von Ungarn (1272-1290) ein Hauptverbündeter Rudolfs gegen Ottokar von Böhmen gewesen ist. Das schützte Ungarn freilich nicht vor dem Versuch Rudolfs, das Land nach dem Tod des Bundesgenossen als angeblich erledigtes Reichslehen - vergeblich - zu beanspruchen. Das ist wohl ein wichtiges Symptom. Denn wie sich vom Westen des Kontinents her ein gewisser Druck des einen christlichen Königs mit der überlegenen Staatsform und zivilisatorischen Entwicklung auf den unterlegenen Kollegen zeigte, so auch weiter östlich - oder wieder mit anderen Beteiligten - von Süden nach Norden hin. Die Nachbarn insbesondere konnten feindlich miteinander umgehen. Ein ausgedehnteres politisches System von Dauer zeigte sich, wie es naheliegt, eigentlich nur im Mittelmeerraum und im anglo-französischen Bereich. Besonders labil waren die sehr bescheiden ausgestatteten und ausgestalteten skandinavi24 Μ. Ρ r e s t w i c h, War and Taxation in England in the Xlllth and XIVth Centuries, in: Genèse de l'Etat moderne, Paris 1987, S. 181-192; J.R. M a d d i c o 11, The Crusade Taxation of 1268-1270 and the Development of Parliament, in: Thirteenth Century England II, Woodbridge 1986, S. 93-117. - Vgl. Anm. 14 und 30 sowie J.F. O ' C a l l a g h a n , The cortes of Castile-Leon, 1188-1350, o.O. 1989; A. W o 1 f, Die Gesetzgebung der entstehenden Territorialstaaten, in: Handbuch der Quellen und Literatur (wie in Anm. 3), S. 517 ff.; d e r s . , Die Gliederung Europas in Nationen im Spiegel von Recht und Gesetzgebung des Mittelalters, in: Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter, hg. v. J. Ehlers ( = Nationes 8), Sigmaringen 1989, S. 83-96. 25 R.L. S t o r e y , England, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3, München/Zürich 1986, Sp. 1938. 26 Thirteenth Century England, P r e s t w i c h , K r i e g e r (wie Anm. 14).

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sehen Königtümer. Hier fielen auch die schlimmsten Exzesse der Generation vor: König Waldemar von Schweden verlor 1275 den Thron, König Erich V. von Dänemark wurde 1286 ermordet. In Bann und Interdikt gerieten, zumeist aus problematischen Gründen, die Könige und Reiche von Aragon (angestiftet von Karl I. von Anjou) und von Portugal.

III Vor diesem Tableau nun können wir eine Art Positionsbestimmung König Rudolfs und seines Reiches anstreben. Um eine ausführliche Darlegung soll und kann es dabei angesichts des vorgegebenen Umfangs dieses Beitrags nicht gehen. Abgesehen von dem einen Thema der Hofgesellschaft des Habsburgers, das etwas heller beleuchtet werden soll, möchten wir uns auf ein Andeuten der wichtigsten Tatbestände in sieben Punkten beschränken. Auch daran kann man ziemlich deutlich ablesen, wie nah oder wie fern König Rudolf dem Status anderer, zumal moderner und erfolgreicher europäischer Monarchen gestanden hat. 1. Das Prinzip der Kurfürstenwahl, die von kurfürstlich-territorialer und nicht gesamtreichischer Räson geleitet worden ist, war die maßgebliche und auch (zumal durch Heiratspolitik) akzeptierte Grundlage des Königtums Rudolfs. Die Kurfürsten und besonders Kurköln verweigerten die Nachfolge des Sohnes. Der Dynastiewechsel blieb vorerst dauerhaftes politisches Prinzip, das symbolische Eintreten Rudolfs in die Königsreihe blieb in dieser Hinsicht Deklamation. Damit treffen wir zweifellos auf einen sehr gewichtigen Negativpunkt. 2. Mit der "Familie" der europäischen Könige gewann Rudolf in der klassischen Verbindungsform der Ehe und in anderen Formen ebensowenig Kontakt, wie er ihn in dieser Weise mit den Staufern gehabt hat. Die zeitgenössische rudolffreundliche Geschichtsschreibung27 kompensierte dies bekanntlich in fast exzessiver Form und weist dadurch nur um so mehr auf den Mangel an königlichem Blut hin. Die Anknüpfung an die Staufer war durch Rudolfs Herkunft aus der staufernahen Grafen- und Herrengruppe gegeben, woher auch nach 1273 die wichtigsten Bundesgenossen und Helfer stammten. So galt auch die Regierungskonzeption der 27 P. Μ o r a w, Politische Sprache und Verfassungsdenken bei ausgewählten Geschichtsschreibern des deutschen 14. Jahrhunderts, in: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im Mittelalter, hg. ν. H. Patze ( = Vorträge und Forschungen 31), Sigmaringen 1986, S. 695-726; A. R i t s c h e r, Literatur und Politik im Umkreis der ersten Habsburger, Frankfurt a.M. 1992.

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Wiederherstellung des Kronguts und der Regalien. Hier und anderswo kann man unterhalb der "Ebene" kurfürstlicher Diskontinuität kontinuitätstragende Personen und Tatbestände feststellen. Dies alles mochte politisch hilfreich sein, aber es war keine soziale Aufwertung. Ein Hausmachtkönigtum mit starker territorialer Kontinuität, das besseren Ersatz hätte bieten können, gab es noch nicht. 3. Wirksame Handhaben gegenüber dem Papsttum, wie sie die Staufer zeitweilig besessen haben mögen und Karl IV. im 14. Jahrhundert wiedergewann, boten sich nicht. Die Kaiserkrönung kam nicht zustande und daher auch nicht auf diesem Weg die Sohnesfolge. Ein Erbreichsplan auf dem Weg über das Papsttum, wenn er mehr war als ein Gerücht, wurde nicht realisiert. Vom schwersten Druck des Papsttums sind die Nachfolger schließlich durch europäische Zusammenhänge befreit worden, auf die die deutsche Königspolitik so gut wie keinen Einfluß besaß. Sie hätte die Dinge wohl auch hinnehmen müssen, wenn sie sich ganz anders entwickelt hätten, nämlich im hierokratischen Sinn Bonifaz' VHI., wie dies zeitweilig unter König Albrecht I. der Fall war. 4. Das wichtigste Herrschaftsziel war (abgesehen von der damals theoretisch gebliebenen Verteidigung des Glaubens) die Selbstbehauptung im Reich im persönlichen und im dynastischen Interesse. Das Reich insgesamt schien, wie noch anzudeuten ist, einer vergleichbar intensiven Räson nicht zu bedürfen. Schwerlich wurde es in diesen Generationen als grundsätzlich gefährdet angesehen, höchstens als punktuell an der Grenze bedroht. Bedroht erschienen allenfalls die Königsherrschaft und ihre Rechte innerhalb des Reiches. Seine Durchdringung im Sinn etwa des Handelns der englischen Krone stand außerhalb jeder konkreten Möglichkeit und wohl auch Vorstellung. Man war König im Reich viel mehr als König des Reiches. Das Reich war damals ohnehin, angesichts seines starken regional gebundenen Fürstentums, in großen Teilen mehr ein Gefüge des Nebeneinanders als des Mit- und Ineinanders. 5. Rudolfs personenbezogene Erfolge (zum Beispiel bei der Besetzung von Kirchenämtern) und die Kette seiner Regierungserfolge im Sinne des zeitgenössischen deutschen "Staatszwecks" der Sicherung von Frieden und Recht waren demgemäß (zum Beispiel bei der Sicherung des Friedens) zwar respektabel, aber vergleichsweise kleinformatig oder gar winzig. Mühsam baute der König schwache zentrale Positionen auf, die andere waren als die der Vorgänger; wieder andere Positionen werden die Nachfolger aufbauen müssen. Mit den Maßstäben seinerzeit "moderner" Staaten gemessen waren es - auch wenn man sich subjektiv noch so sehr

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anstrengte - dürftige Leistungen. Der Erfolg über Ottokar von Böhmen blieb eher die Ausnahme, war etwas eher Unwahrscheinliches. Das Fehlen langdauernder Gefügekontinuität im Reich als Folge des Fehlens langdauernder dynastischer Kontinuität war im Licht der "modernen" europäischen Monarchien ein katastrophaler Mangel oder besser der katastrophale Mangel des Reiches überhaupt, der vorerst durch kein individuelles Bemühen ausgleichbar war. 6. Das traditionelle südwestdeutsch-mittelrheinische System mit Ausläufern nach Franken, der Kern des rudolfmischen Königtums, bot die materielle Basis am Rand des Minimums für ganz einfache Herrschaftsmittel. Vergleichsweise minimal waren die Machtakkumulation auf Dauer und die Wirkung in die Ferne auf Dauer. Erreichbar war eher das Stören des Gegners (das war die typische Haltung gegenüber dem überlegenen Niederrhein) als das konstruktive Durchsetzen des eigenen Ziels, es sei denn beim großen Glücksfall des Triumphes über König Ottokar. 7. Die noch bestehende "Weichheit" der Reichsverfassung, mit ihren vielen einbeschlossenen hochmittelalterlichen Restbestandteilen, konnte kaum aktiv zugunsten der Königsstellung genutzt werden. Der Wettlauf gegen die "Verhärtung" oder Festigung der Territorien ging im wesentlichen verloren. Das Verfassungsgefüge als Ganzes blieb so unentwickelt, daß bis 1322 und beinahe noch 1346/47 das Schwert über die Zukunft der Zentralgewalt entschied. Das waren im europäischen Vergleich nahezu "skandinavische", also sehr zurückgebliebene Verhältnisse, während der mediterrane militante Fall der Anjou von ganz anderen Voraussetzungen ausging. Nördlich der Alpen hat man nicht Verfassungsregeln durchbrochen wie anderswo, sondern es bestanden noch keine. Soweit diese sieben Punkte. Am Beispiel des Hofes und der Hoftage König Rudolfs seien solche abstrakten Darlegungen etwas konkretisiert28. Die erste und schon gravierende Feststellung ist diejenige von der ganz geringen einschlägigen Überlieferung. Dies ist offenkundig ein wesentlicher Ausdruck der Sache selbst. Ein entsprechender Entwicklungssprung in Deutschland vollzog sich - mit einer inzwischen gut verständli28 Quellen: Regesta imperii VI,1, neu bearb. v. O. R e d l i c h , Innsbruck 1898; MGH Constitutiones et acta publica imperatorum et regum t. III, bearb. v. J. S c h w a l m , Hannover/Leipzig 1904-1906; Urkundenregesten zur Tätigkeit des deutschen Königs- und Hofgerichts bis 1451, Bd. 3: Die Zeit Rudolfs von Habsburg, bearb. v. B. D i e s t e 1 k a m ρ und U. R ö d e l , Köln/Wien 1986. Lit. wie in Anm. 1, bes. auch U. R ö d e l , Königliche Gerichtsbarkeit und Streitfälle der Fürsten und Grafen im Südwesten des Reiches 1250-1313, Köln/Wien 1979.

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chen Verspätung im Vergleich zum Westen und Süden Europas - erst um 1350. Zusammenfassend wird man vier Punkte hervorheben: 1. Der Hof war auch unter König Rudolf das entscheidende politische Zentrum und der maßgebende soziale Ausweis des Herrschers. Ein bescheidener Hof war Zeichen eines bescheidenen Königs - nicht im positiven Sinn. Der französische Hof und der päpstliche Hof müssen gewaltig überlegen gewesen sein. Aus dem deutschen Hof herausgewachsene Teile der Verwaltung kann man, was das Verbleiben an einem Zentrum und damit die Chance zur Vervollkommnung der Praxis und zur Spezialisierung betraf, nicht erkennen. Dafür, daß man von einer gestaltenden statt von einer im wesentlichen reagierenden Mitte sprechen könne, gibt es in den Quellen keinen Anhaltspunkt. 2. Fast alle personalen (nicht schon sachlichen) Gegebenheiten, die an Höfen damals "moderner" Monarchen auffindbar sind, zeigen sich auch bei König Rudolf, jedoch praktisch ausnahmslos in einem gleichsam embryonalen Zustand. Um die Gewichte richtig zu verteilen, muß man die Reihenfolge der deutschen urkunden- und schreibtischlastigen Forschung derart umkehren, daß die Kanzleischreiber, mögen sie noch so fleißig gewesen sein, ganz ans Ende der Abfolge treten und weit vor ihnen die Vornehmen und Mächtigen stehen, die wie der König selbst des Lesens und Schreibens unkundig waren. Die vornehmen, zumal die fürstlichen Hofbesucher und Hoftagsbesucher waren, wenn sie nur kamen, am wichtigsten. Ungefähr ebenso, nur auf andere Weise bedeutsam waren der ständig am Hof befindliche (vergleichsweise kleinere) Adel, besonders wenn er zugleich höfische Amtsträger, "einfache" Räte oder auch Gerichtspersonen stellte, und die Hofgeistlichkeit, das heißt auch die führenden Leute in Gericht, Kammer und Kanzlei, auch die wenigen Experten der Jurisprudenz, Theologie und Medizin und ganz zuletzt die Urkundenschreiber. Es bestand ein Hofrat, der aber erschreckend dürftig bezeugt ist; von den großen weltlichen Hofämtern ist nur der Hofmeister nennenswert belegt. Es gab die Hofkapelle als Gruppierung der Hofgeistlichkeit mit Kapellänen, die auch politische Aufgaben wahrnahmen; aber sie war klein. Es bestanden eine dreistufig aufgebaute Hofkanzlei und ein zwar institutionell nur sehr schwach faßbares, aber vorinstitutionell einigermaßen wirksames Gerichtswesen, es gab eine kaum sichtbare oder fast gänzlich unsichtbare Hofkammer. Einige graduierte Juristen und Theologen, auch ein Arzt, wenngleich nur mit dem Magistertitel, fehlten nicht. Die Karte der aktiven Universitäten um 1300 aus der

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eingangs zitierten europäischen Universitätsgeschichte29 zeigt fünf Hohe Schulen in Frankreich, drei in Oberitalien, zwei in Rom und südlich davon, zwei in Kastilien und eine in Portugal sowie zwei in England. Die Karte bildet damit, ohne daß es ihrem Autor bewußt wurde, trennscharf das "Ältere Europa" ab; im "Jüngeren Europa", unter anderem bei König Rudolf, gab es noch keine einzige Universität. So handelte es sich bei den Hofgelehrten Rudolfs wie bei allen anderen angeführten Personengruppen stets um vergleichsweise so kleine Zahlen, daß die Differenzierung der täglichen Geschäfte sehr unentwickelt geblieben sein muß und dem Vergleich mit den Höfen des "Älteren Europa" wohl in keinem Punkt standhält. Das Merkmal der west- und südeuropäischen Höfe ist eben, um es zu wiederholen, eine spätestens vom frühen 13. Jahrhundert an ziemlich kontinuierliche Entwicklung und Entfaltung gleichsam unter ein und demselben Dach, sei es unter dem "Dach" der Dynastie, sei es unter dem Dach von Burg oder Stadt am gleichbleibenden Ort, mit deutlich oder gar enorm anwachsender Schriftlichkeit, der gegenüber die rudolfinischen Texte quantitativ und qualitativ eher urtümlich wirken. 3. Die wichtigsten kraftvollen Regierungsmittel, das Geld und das Militär, sind in den einschlägigen Quellen am stärksten unterrepräsentiert. Der gleichzeitige englische Exchequer mit seinem Denken schon in Jahresetats ist um einen so großen Abstand entfernt, daß es ihn zu formulieren schwer fällt. Selbst von der Geldnutzung am relativ modernen Niederrhein war man abgeschnitten. 4. Daß jegliche Verwaltung aus dem Sattel geschah und an ein festes Zentrum gar nicht gedacht worden ist, hat jede anspruchsvolle Regierungstechnik von vornherein zunichte gemacht. Man denke als Beispiel nur an die fünfzig Registerbände Karls von Anjou, des Zeitgenossen, die während der Auslagerung im Zweiten Weltkrieg verbrannt sind, oder an die Enquête König Ludwigs des Heiligen in der damaligen französischen Krondomäne, was gedruckt 940 Seiten in Quart füllt und damals seinerseits nach dem Vorbild der Papstkirche angefertigt worden ist30. Ein Wandel durch Lernen von anderen ist nicht erkennbar, anders als möglicherweise später bei Karl IV.

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Wie Anm. 4. J. G 1 é η i s s ο η, Les enquêtes administratives en Europe occidentale aux XlIIe et XIV e siècles, in: Histoire comparée de l'administration, hg. v. W. Paravicini und K.F. Werner, München 1980, S. 17-25. 30

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Die Besucher der Hoftage 31 König Rudolfs weisen wie üblich das politische System des Herrschers nach und machen es zugleich leichter möglich, auch das Hofpersonal sozialen Gruppen zuzuordnen. Zu den Hoftagen ist ebenfalls die erste und entscheidende Feststellung diejenige, daß nur wenige Besucher kamen, sehr wenige im Vergleich zu den vielen, die als Vasallen und Getreue des Königs für dieses Handeln in Frage gekommen wären. Einen Reichstag hat es damals nicht gegeben. Hoftage waren abgesehen von der potentiellen oder realen Eigenständigkeit der rheinischen Kurfürsten normalerweise Treffen der Gefolgschaft des Königs samt einigen Besuchern mit Augenblicksinteressen. Weltliche Fürsten kamen, soweit die Quellen sie nennen, überhaupt nur zu einem einzigen Hoftag Rudolfs (1289), als ausnahmsweise auch vierzehn Bischöfe erschienen, also halb soviele wie 1274 in Lyon beim Papst, und ein knappes Drittel der Gesamtzahl; im Regelfall kamen zu Rudolfs Hoftagen drei, vier oder fünf Bischöfe. Die weitaus wichtigste relativ geschlossene Trägergruppe des rudolfinischen Systems waren am Hof und auf den Tagen die schon erwähnten ehemals staufernahen Grafen und Herren. Soweit kleiner Adel oder Bürgerliche (diese nur im geistlichen Gewand) sichtbar werden, stammten sie aus Schwaben, der Heimat der Habsburger. Überhaupt zählten Besucher oder gar Hofleute von außerhalb des vorhin charakterisierten geographischen Umfelds zu den seltenen Ausnahmen. Ein ständisches Verhalten hat es abgesehen von der protoständischen Gruppe der rheinischen Kurfürsten nicht gegeben. Die Fürsten waren mit dem Aufbau ihrer Territorien befaßt, die Kleineren suchten sich so gut es ging dagegen zur Wehr zu setzen, unter Umständen auch im Kontakt mit dem König. An dieser Situation hat sich vorübergehend einiges unter Karl IV. und Grundsätzliches erst am Ende des Mittelalters geändert, als große Herausforderungen eintraten, die funktional denen des Hundertjährigen Krieges für Frankreich und England entsprachen. Netzartige Verknüpfungen unter niederem Adel, Bürgern und Experten, die man den vom 14. Jahrhundert an auch in Deutschland nachweisbaren höfischen Personenverbänden aus diesen Milieus an die Seite stellen könnte 32 , kann man nicht ausschließen. Doch scheinen sie vorerst 31

H. E h r e n b e r g , Der deutsche Reichstag in den Jahren 1273-1378, Leipzig 1883; P. M o r a w , Hoftag und Reichstag von den Anfangen im Mittelalter bis 1806, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch, hg. v. H.-P. Schneider und W. Zeh, Berlin/New York 1989, S. 3-47. 32 P. M o r a w , Uber Patrone und Klienten im Heiligen Römischen Reich des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Klientelsysteme im Europa der frühen Neuzeit, hg. v. A. Maczak ( = Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 9), München 1988, S. 1-18.

Der 'kleine' König im europäischen Vergleich

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zu selten beweisbar zu sein, als daß man ähnliche Verflechtungsphänomene, wie sie später bestanden, schon für Rudolf einfach postulieren dürfte. Auch "systemgeschichtlich" und sozialgeschichtlich gesehen bleibt daher der Status des deutschen Königtums hinter der Situation "moderner" westlicher Monarchien der rudolfinischen Generation deutlich oder weit zurück. Selbst wesentlich später wäre eine politische Gruppe wie die englischen "commons" des frühen 14. Jahrhunderts oder die Mitglieder des Pariser Parlaments desselben Jahrhunderts um den deutschen König herum nicht denkbar.

IV Wir stehen damit am Ende unseres Versuchs und schließen mit wenigen allgemeinen Bemerkungen. Indirekt handelt es sich in diesem Beitrag auch um eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob vor allem oder gar allein der Staatsbildungsprozeß als zweifellos besonders bedeutsames historisches Phänomen das Urteil über eine Herrscherfigur bestimmen soll. Das ist ein Problem, zu welchem man aus der hier gewählten Perspektive wohl nichts Abschließendes äußern kann. Versuchsweise kann man vielleicht dies sagen: Das papstchristliche Europa des späten 13. Jahrhunderts erweist sich als vielgestaltig, aber nicht als regellos vielgestaltig, vielmehr als vielgliedriges Phänomen gleichsam gestufter Herrscherschicksale. Diese Schicksale sind zum Teil durch individuelle Geschehensketten, zum Teil durch kaum abwendbar erscheinende allgemeine Prozesse geschaffen worden, die das beste Bemühen beflügeln, aber eben auch kraftvoll hemmen konnten. Was Rudolfs Reichsregierung betraf, so erweist sie sich als nur eine Trägerin des deutschen Geschehens von damals neben anderen Trägern, die uns vielleicht noch nicht sehr auffallen. An großen Dingen vermochten die 'kleinen' Könige in der Tat wohl so gut wie nichts zu verändern. Wie dem aber auch sein mag: Was die Perspektive besonders der Franzosen im Hinblick auf die Ursprünge des modernen Staates angeht, möchten wir trotz der gerade angedeuteten Ungleichartigkeit unseres historischen Wissens vorsichtshalber gern für einen multikausalen und vielfältig-uneinheitlichen Prozeß plädieren, der nicht alles in die Einlinigkeit des bürokratisch-staatlichen Fortschreitens einzwängt. Wohlgemerkt: Nicht deshalb sollte man für diese Haltung plädieren, weil die deutschen Könige des späten Mittelalters in solcher Einlinigkeit tatsächlich schlecht

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aussehen. Man sollte dafür plädieren, weil die Erfahrung mit historischen Dingen bei uns und anderswo zu lehren scheint, daß Wandlungen oder (enger gesagt) Innovationen von Gewicht selbst in der Verfassungsgeschichte auch aus ganz anderen Quellen als denen der Staats- und Verwaltungszusammenhänge gespeist werden können. Das Fortbestehen des Reiches im späten 13. Jahrhundert zum Beispiel war gewiß mehr das Ergebnis königlichen Daseins als königlichen Wirkens und verweist damit auch auf zusätzliche oder ganz andere Faktoren als die hier behandelten. Manche Kollegen werden sogar dazu neigen, die Frage nach der historischen Leistung eines Herrschers gänzlich vom Staatswerdungsprozeß abzukoppeln, was offenbar wieder zu weit geht (weil dieser Prozeß tatsächlich zum historischen Schicksal Europas wurde) und was auch unnötig scheint, sofern man die Offenheit historischer Situationen für gänzlich Unerwartetes akzeptiert. Vermutlich handelt es sich, wie so häufig, um ein Ineinander ganz verschieden zu bewertender Kräfte, das den Historiker vor immer neue Aufgaben stellt. Es zeigt sich somit, daß nicht nur der faktenbezogene Vergleich europäischer Könige einer bestimmten mittelalterlichen Generation noch ganz am Anfang steht. Dahinter öffnet sich ein weites Feld kaum geklärter grundsätzlicher Fragen, die die faktenbezogenen Versuche erst einmal kräftig relativieren33.

33 Vgl. auch den lehrreichen Aufsatz von R. S c h i e f f e r , Gregor VII. und die Könige Europas, in: Studi Gregoriani 13, 1989, S. 189-211.