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German Pages 721 [850] Year 2007
GOT TFRIED WILHELM LEIBNIZ
Der Briefwechsel mit Bartholomäus Des Bosses
Übersetzt, herausgegeben und mit einer Einleitung, Anmerkungen und Registern versehen von
cornelius zehetner Mit einem Konspekt von
michael benedikt
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND
Bibliographische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN: 978- 3-7873-1812-4
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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Konspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV Vinculum substantiale: der Briefwechsel zwischen Leibniz und Des Bosses. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV 1. Hermeneutische Disposition xxv | 2. Platons synthetischer Vorlauf: der »desmós« im Timaios xxix | 3. Kursorischer Durchlauf der Rezeptionsgeschichte xxxi | 4. Dialog in Argumenten liii | 5. Zum Anhang, seiner Ausleuchtung der Ontologie lxviii | 6. Fortgesetzte Resümees lxxii | 7. Themenverflechtung lxxv | 8. Zur Person. Des Bosses als Jesuit und als Mitarbeiter Leibniz’ cv | Gottfried Wilhelm Leibniz – Kurzchronologie zu den Briefen cxv
Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CXVIII
GOT TFRIED WILHELM LEIBNIZ
Der Briefwechsel mit Bartholomäus Des Bosses . Des Bosses an Leibniz, 25. 1. 1706 (DB 1) . . . . . . . . . . . . . .
3
. Leibniz an des Bosses, 2. 2. 1706 (L 1). . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3. Des Bosses an Leibniz, 12. 2. 1706 (DB 2) . . . . . . . . . . . . . . 11 . Leibniz an Des Bosses, 14. 2. 1706 (L 2) . . . . . . . . . . . . . . . 16 . Des Bosses an Leibniz, 2. 3. 1706 (DB 3) . . . . . . . . . . . . . . 19 . Leibniz an Des Bosses, 11.–17. 3. 1706 (L 3) . . . . . . . . . . . . 23 . Des Bosses an Leibniz, 21. 5. 1706 (DB 4) . . . . . . . . . . . . . 29 . Leibniz an Des Bosses, 11. 7. 1706 (L 4). . . . . . . . . . . . . . . . 32 . Des Bosses an Leibniz, 20. 8. 1706 (DB 5) . . . . . . . . . . . . . 34
VI
Inhalt
. Leibniz an Des Bosses, 1. 9. 1706 (L 5) . . . . . . . . . . . . . . . . 36 . Des Bosses an Leibniz, 17. 9. 1706 (DB 6) . . . . . . . . . . . . . 40 . Leibniz an Des Bosses, 20. 9. 1706 (L 6). . . . . . . . . . . . . . . 42 . Des Bosses an Leibniz, 29. 9. 1706 (DB 7) . . . . . . . . . . . . . 45 . Leibniz an Des Bosses, 4. 10. 1706 (L 7) . . . . . . . . . . . . . . . 47 . Des Bosses an Leibniz, 14. 10. 1706 (DB 8) . . . . . . . . . . . . 50 . Leibniz an Des Bosses, 16. 10. 1706 (L 8) . . . . . . . . . . . . . . 55 . Leibniz an Des Bosses, 13. 11. 1706 (L 9). . . . . . . . . . . . . . . 59 . Des Bosses an Leibniz, 1. 12. 1706 (DB 9). . . . . . . . . . . . . . 59 . Leibniz an Des Bosses, 1. 2. 1707 (L 10) . . . . . . . . . . . . . . . 61 . Leibniz an Des Bosses, 23. 6. 1707 (L 11). . . . . . . . . . . . . . . 64 . Des Bosses an Leibniz, 25. 6. 1707 (DB 10) . . . . . . . . . . . . 64 . Des Bosses an Leibniz, 26. 6. 1707 (DB 11). . . . . . . . . . . . . 69 . Leibniz an Des Bosses, 21. 7. 1707 (L 12) . . . . . . . . . . . . . . . 73 . Leibniz an Des Bosses, 18. 8. 1707 (L 13). . . . . . . . . . . . . . . 80 . Leibniz an Des Bosses, 11. 10. 1707 (L 14 ) . . . . . . . . . . . . . 81 . Leibniz an Des Bosses, 31. 10. 1707 (L 15) . . . . . . . . . . . . . . 81 26 a. Leibniz (an Des Bosses? Ende 1707) (L 15a) . . . . . . . . . . . 83 . Leibniz an Des Bosses, 29. 11. 1707 (L 16). . . . . . . . . . . . . . 85 . Leibniz an Des Bosses, 19. 12. 1707 (L 17) . . . . . . . . . . . . . . 85 . Des Bosses an Leibniz, 23. 12. 1707 (DB 12) . . . . . . . . . . . . 86 . Leibniz an Des Bosses, 24. 12. 1707 (L 18) . . . . . . . . . . . . . 87 . Des Bosses an Leibniz, 16. 1. 1708 (DB 13) . . . . . . . . . . . . . 89 . Des Bosses an Leibniz, 30. 1. 1708 (DB 14). . . . . . . . . . . . . 91 . Leibniz an Des Bosses, 8. 2. 1708 (L 19) . . . . . . . . . . . . . . . 92 . Leibniz an Des Bosses, 5. 4. 1708 (L 20) . . . . . . . . . . . . . . 95 . Leibniz an Des Bosses, 3. 5. 1708 (L 21) . . . . . . . . . . . . . . . 96 . Leibniz an Des Bosses, 14. 6. 1708 (L 22) . . . . . . . . . . . . . . 97
Inhalt
VII
. Leibniz an Des Bosses, 2. 7. 1708 (L 23) . . . . . . . . . . . . . . . 97 . Leibniz an Des Bosses, 13. 7. 1708 (L 24) . . . . . . . . . . . . . . 99 . Leibniz an Des Bosses, 30. 7. 1708 (L 25) . . . . . . . . . . . . . 100 . Des Bosses an Leibniz, 10. 8. 1708 (DB 15). . . . . . . . . . . . . 101 . Leibniz an Des Bosses, 3. 9. 1708 (L 26) . . . . . . . . . . . . . . 104 . Leibniz an Des Bosses, 4. 9. 1708 (L 27) . . . . . . . . . . . . . . 107 . Des Bosses an Leibniz, 11. 9. 1708 (DB 16) . . . . . . . . . . . . 108 . Leibniz an Des Bosses, 12. 9. 1708 (L 28) . . . . . . . . . . . . . . 110 . Des Bosses an Leibniz, 5. 10. 1708 (DB 17). . . . . . . . . . . . . 112 . Leibniz an Des Bosses, 2. 10. 1708 (später abgeschickt) (L 29) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 . Des Bosses an Leibniz, 28. 11. 1708 (DB 18) . . . . . . . . . . . . 117 . Leibniz an Des Bosses, 2. 2. 1709 (L 30) . . . . . . . . . . . . . . . 122 . Des Bosses an Leibniz, 14. 2. 1709 (DB 19). . . . . . . . . . . . . 123 . Leibniz an Des Bosses, 16. 3. 1709 (L 31). . . . . . . . . . . . . . 124 . Des Bosses an Leibniz, 22. 4. 1709 (DB 20) . . . . . . . . . . . . 125 . Leibniz an Des Bosses, 24. 4.* 1709 (L 32) . . . . . . . . . . . . 126 . Des Bosses an Leibniz, 17. 5. 1709 (DB 21) . . . . . . . . . . . . . 132 . Leibniz an Des Bosses, 9. 7. 1709 (L 33) . . . . . . . . . . . . . . . 133 . Des Bosses an Leibniz, 30. 7. 1709 (DB 22) . . . . . . . . . . . . 133 . Leibniz an Des Bosses, 31. 7. 1709 (L 34). . . . . . . . . . . . . . . 139 . Leibniz an Des Bosses, 12. 8. 1709 (L 35) . . . . . . . . . . . . . . 143 . Des Bosses an Leibniz, 16. 8. 1709 (DB 23) . . . . . . . . . . . 150 . Des Bosses an Leibniz, 6. 9. 1709 (DB 24) . . . . . . . . . . . . . 151 . Leibniz an Des Bosses, 8. 9. 1709 (L 36) . . . . . . . . . . . . . . . 156 . Des Bosses an Leibniz, 20. 9. 1709 (DB 25) . . . . . . . . . . . 160 . Leibniz an Des Bosses, 27. 9. 1709 (L 37) . . . . . . . . . . . . . . 161 . Des Bosses an Leibniz, 15. 10. 1709 (DB 26). . . . . . . . . . . . 161
VIII
Inhalt
. Leibniz an Des Bosses, 25. 10. 1709 (L 38) . . . . . . . . . . . . 162 . Des Bosses an Leibniz, 18. 1. 1710 (DB 27) . . . . . . . . . . . . 164 . Leibniz an Des Bosses, Jänner 1710 (L 39). . . . . . . . . . . . . 171 . Des Bosses an Leibniz, 15. 3. 1710 (DB 28) . . . . . . . . . . . . . 174 . Des Bosses an Leibniz, 25. 3. 1710 (DB 29). . . . . . . . . . . . 176 . Leibniz an Des Bosses, 2. 5. 1710 (L 40) . . . . . . . . . . . . . . . 177 . Des Bosses an Leibniz, 14. 6. 1710 (DB 30) . . . . . . . . . . . 180 . Leibniz an Des Bosses, 2. 7. 1710 (L 41). . . . . . . . . . . . . . . . 183 . Des Bosses an Leibniz, 18. 7. 1710 (DB 31) . . . . . . . . . . . . . 185 . Leibniz an Des Bosses, 4. 8. 1710 (L 42) . . . . . . . . . . . . . . . 187 . Des Bosses an Leibniz, 11. 10. 1710 (DB 32) . . . . . . . . . . . 189 . Leibniz an Des Bosses, 7. 11. 1710 (L 43) . . . . . . . . . . . . . . 190 . Leibniz an Des Bosses, 18. 11. 1710 (L 44). . . . . . . . . . . . . . 193 . Des Bosses an Leibniz, 6. [1.] 1711 (DB 33). . . . . . . . . . . . . 195 . Leibniz an Des Bosses, 8. 2. 1711 (L 45). . . . . . . . . . . . . . . 201 . Leibniz an Des Bosses, 2. 3. 1711 (L 46). . . . . . . . . . . . . . . 204 . Des Bosses an Leibniz, 25. 4. 1711 (DB 34) . . . . . . . . . . . . 205 . Leibniz an Des Bosses, 8. 7. 1711 (L 47) . . . . . . . . . . . . . . . 208 . Des Bosses an Leibniz, 18. 8. 1711 (DB 35) . . . . . . . . . . . . 210 . Leibniz an Des Bosses, 7. 9. 1711 (L 48). . . . . . . . . . . . . . . . 212 . Des Bosses an Leibniz, 6. 10. 1711 (DB 36) . . . . . . . . . . . . . 213 . Leibniz an Des Bosses, 7. 12. 1711 (L 49) . . . . . . . . . . . . . . . 215 . Des Bosses an Leibniz, 31. 12. 1711 (DB 37). . . . . . . . . . . . 216 . Leibniz an Des Bosses, 6. 1. 1712 (L 50) . . . . . . . . . . . . . . . 217 . Des Bosses an Leibniz, 28. 1. 1712 (DB 38) . . . . . . . . . . . . 220 . Leibniz an Des Bosses, 5. (15.) 2. 1712 (L 51). . . . . . . . . . . 225 . Des Bosses an Leibniz, 18. 2. 1712 (DB 39) . . . . . . . . . . . . 236 . Leibniz an Des Bosses, 17. 3. 1712 (L 52) . . . . . . . . . . . . . . 237
Inhalt
IX
. Des Bosses an Leibniz, 30. 3. 1712 (DB 40) . . . . . . . . . . . 238 . Des Bosses an Leibniz, 20. 5. 1712 (DB 41). . . . . . . . . . . . 239 . Leibniz an Des Bosses, 26. 5. 1712 (L 53). . . . . . . . . . . . . . 243 . Des Bosses an Leibniz, 12. 6. 1712 (DB 42) . . . . . . . . . . . . 245 . Leibniz an Des Bosses, 16. 6. 1712 (L 54) . . . . . . . . . . . . . 254 . Des Bosses an Leibniz, 7. 8. 1712 (DB 43) . . . . . . . . . . . . . 255 . Des Bosses an Leibniz, 28. 8. 1712 (DB 44) . . . . . . . . . . . 255 . Leibniz an Des Bosses, 20. 9. 1712 (L 55) . . . . . . . . . . . . . 261 . Des Bosses an Leibniz, 10. 10. 1712 (DB 45) . . . . . . . . . . . 268 . Leibniz an Des Bosses, 10. 10. 1712 (L 56). . . . . . . . . . . . . 269 . Des Bosses an Leibniz, 12. 12. 1712 (DB 46) . . . . . . . . . . . 270 . Leibniz an Des Bosses, 24. 1. 1713 (L 57). . . . . . . . . . . . . . 288 . Des Bosses an Leibniz, 30. 1. 1713 (DB 47) . . . . . . . . . . . . 291 . Des Bosses an Leibniz, 11. 2. 1713 (DB 48) . . . . . . . . . . . . 293 . Leibniz an Des Bosses, 4. 3. 1713 (L 58). . . . . . . . . . . . . . . 293 . Leibniz an Des Bosses, 24. 4. 1713 (L 59) . . . . . . . . . . . . . 295 . Des Bosses an Leibniz, 8. 8. 1713 (DB 49). . . . . . . . . . . . . 296 . Leibniz an Des Bosses, 23. 8. 1713 (L 60) . . . . . . . . . . . . . 299 . Des Bosses an Leibniz, 9. 12. 1713 (DB 50) . . . . . . . . . . . . 302 . Leibniz an Des Bosses, 10. 1. 1714 (L 61). . . . . . . . . . . . . . 303 . Des Bosses an Leibniz, 22. 3. 1714 (DB 51) . . . . . . . . . . . . 304 . Des Bosses an Leibniz, 3. 4. 1714 (DB 52). . . . . . . . . . . . . 306 . Leibniz an Des Bosses, 21. 4. 1714 (L 62) . . . . . . . . . . . . . 307 . Des Bosses an Leibniz, 20. 9. 1714 (DB 53). . . . . . . . . . . . 309 . Des Bosses an Leibniz, 30. 10. 1714 (DB 54). . . . . . . . . . . 310 . Leibniz an Des Bosses, 30. 12. 1714 (L 63) . . . . . . . . . . . . . 311 . Des Bosses an Leibniz, 5. 1. 1715 (DB 55) . . . . . . . . . . . . . . 313 . Des Bosses an Leibniz, 19. 1. 1715 (DB 56) . . . . . . . . . . . . . 315
X
Inhalt
. Leibniz an Des Bosses, 15. 3. 1715 (L 64) . . . . . . . . . . . . . . . 316 . Des Bosses an Leibniz, 6. 4. 1715 (DB 57). . . . . . . . . . . . . . 318 . Leibniz an Des Bosses, 29. 4. 1715 (L 65) . . . . . . . . . . . . . . 321 . Leibniz an Des Bosses, 30. 6. 1715 (L 66) . . . . . . . . . . . . . 326 . Des Bosses an Leibniz, 20. 7. 1715 (DB 58) . . . . . . . . . . . . 327 . Leibniz an Des Bosses, 19. 8. 1715 (L 67). . . . . . . . . . . . . . . 331 . Leibniz an Des Bosses, 24. 12. 1715 (L 68). . . . . . . . . . . . . 338 . Leibniz an Des Bosses, 13. 1. 1716 (L 69). . . . . . . . . . . . . . 340 . Des Bosses an Leibniz, 7. 3. 1716 (DB 59) . . . . . . . . . . . . . 345 . Leibniz an Des Bosses, 11. 4. 1716 (L 70). . . . . . . . . . . . . . 349 . Leibniz an Des Bosses, 29. 5. 1716 (L 71) . . . . . . . . . . . . . 350 Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Anhang A Texte in Übersetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 A 1. Leibniz an Giovanni Battista Tolomei SJ, 17. Dezember 1705 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 A 2. Auszug aus: Leibniz an G. B. Tolomei, 6. Jänner 1705 . . . 410 A 3. G. B. Tolomei an Des Bosses, 6. Juni 1711 . . . . . . . . . . . . . 412 A 4. Gratulation Leibniz’ an Tolomei, 16. Juni 1712 / Des Bosses an Tolomei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 A 5. Manuskript Leibniz LH IV.I.1a Bl.7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 A 6. Leibniz: Entwurf zum Brief vom 24. Jänner 1713 (Nr. 103). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 A 7. Leibniz: Bemerkungen, die mir beim Durchlesen von Aloys Temmiks »Die wahre Philosophie als Dienerin der Theologie und der Medizin« auf einer Reise einfielen (um 1715/16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 A 8. Des Bosses: Monitum Interpretis. Auszug . . . . . . . . . . . . 440 A 9. Des Bosses: Clavis Lycaei (Darstellung 1735) . . . . . . . . . . 449
Inhalt
XI
Anhang B Briefe in Originalsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 B 1 Nr. 4: Leibniz an des Bosses, 14. 2. 1706 (L 2) . . . . . . . . . . . 461 B 2 Nr. 26 a: Leibniz (an Des Bosses? Ende 1707) (L 15a) . . . . 464 B 3 Nr. 57: Leibniz an des Bosses, 12. 8. 1709 (L 35). . . . . . . . . . 466 B 4 Nr. 82: Des Bosses an Leibniz, 18. 8. 1711 (DB 35). . . . . . . . 472 B 5 Nr. 103: Leibniz an Des Bosses, 24. 1. 1713 (L 57) . . . . . . . . . 474 B 6 Beilage zu Nr. 125: Leibniz an Des Bosses, 19. 8. 1715 (L 67) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477
Siglen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480
Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 Namenregister und literarische Titel mit Erläuterungen . . . . . 515 Glossar · Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681
VO RWO RT
Dieser Band mit dem Briefwechsel zwischen Leibniz und Des Bosses wäre so ohne die Mitwirkung vieler Personen in- und außerhalb der Institutionen nicht zustande gekommen; ihnen gebührt hier Dank und Reverenz: Die Übersetzung aus dem Französischen verfasste Alessandro Barberi, Wien-Weimar (in Nr. 88 S. 221 f.; Beilage zu Nr. 121 S. 320; Beilage zu Nr. 122 S. 323 ff.; in Nr. 125 S. 335; Beilage zu Nr. 128 S. 348 f.). Die Übertragung des Briefes 26 a sowie hilfreiche Ratschläge zu kleineren frz. Passagen stammen von Catherine Gizard, Wien – Montpellier. Für Auskünfte und Hinweise zu Sachfragen und Übersetzung danke ich: Rita Widmaier, Essen; Herbert Breger, Hannover; Kurt Appel, Franz Embacher, Hubert Emmerig, Gerda Geyer, Wolfgang Hahn, Christine Harrauer, Sonja Reisner (Universitätsinstitute für katholische Fundamentaltheologie, Numismatik, Soziologie, Klassische Philologie/Neulatein bzw. der Technischen Universität), ebenso Georg Sachs, Josef Eisinger, Johannes Michael Schnarrer, Lu Hangang, Huang Li, Hermann Rauchenschwandtner – allesamt Wien; außerdem Duan Hongwei, Wien-Wuhan; Martina Bauer, Wien-Pápoc, und für ihren Einblick in die spanische Leibnizrezeption Leonor Saez-Mendez, Murcia. Die Verantwortung für den manifesten Text liegt allein beim Hrsg. Michael Benedikt bin ich für die Beisteuerung des eröffnenden Beitrags verbunden. Die Idee zu dieser Edition entstand in Veranstaltungen und Diskussionen mit ihm. Edith Bachkönig, meiner Gefährtin, sei gedankt für Beistand, Durchsicht, Korrekturhilfen und lang währende Geduld. Ein freundliches Danke auch an Brandon Look, Lexington / Kentucky, USA, der einige Hinweise gab und der Verwendung der von
XIV
Vorwort
ihm veröffentlichten Leibniz-Texte (in Nr. 4 und Anhang 5) zugestimmt hat. Dem Felix Meiner Verlag danke ich für die kooperative Betreuung dieser Ausgabe. Für finanzielle Unterstützung eines Teils der wissenschaftlichen Vorarbeiten geht mein Dank an die Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung. Wien, 10. Oktober 2006
Cornelius Zehetner
KO N SP E K T
1. Zum Briefwechsel zwischen Leibniz und Des Bosses Die durchgängige Übersetzung und Aufarbeitung des Briefwechsels von Leibniz und Des Bosses zwischen 1706 und 1716 liegt nun vor; ihre Darbietung durch Cornelius Zehetner reiht sich würdig an frühere kommentierte Übersetzungen: Einen durchlaufenden Gedanken, die Herauslösung des dynamisch gestuften verbindlichen »vinculum substantiale« – ein zweifaches, oft esoterisch entrücktes Komplement zu Erkenntnislehre, Ontologie und Metaphysik sowie zu Religionsphilosophie, Unionstheologie der pax fidei und Theodizee – zu Tage zu bringen, ist jetzt der gehörigen Abfolge von Argumenten in der Korrespondenz gelungen. Erst durch vorliegende Präsentation und Analysen, befruchtet durch das weit verzweigte Schrifttum, sind nun Leibniz’ späte Einsichten auch für deutschsprachige Leser eröffnet: Themen und Wendungen, welche aus logischmathematischen, naturwissenschaftlichen, gesellschaftstheoretischen wie geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen in steter Auseinandersetzung mit offen liegenden als auch verborgenen Strömungen philosophischer und theologischer Denkmuster resultieren. Lösungsstrategien wie die im vernetzten Dialog mit dem Pater Bartholomé S J aufbrechenden Aporien manifestieren sich in diesem einzigartigen nachdenklichen, sowohl freundschaftlichen wie unnachgiebigen Austausch aus peripatetischen, suarezianischen gegenüber postcartesianischen Ansätzen.
2. Historische und systematische Forderung zur Klärung zusammengesetzter Entitäten So steht es uns wohl an, den exoterischen Arbeiten Leibnizens – von der Metaphysischen Abhandlung und dem Neuen System der Na-
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Michael Benedikt
tur über die Erkenntnislehre gegen Locke, zu Theodizee und »Monadologie« – eine oder gar zwei bisher esoterische Einsichten mehr voran als bloß zur Seite zu stellen. Dies schon deshalb, weil er in einem seiner späten Briefe vom 30. Juni 1715 darauf verweist, dass nirgendwo anders die gelungenen Alternativen zu seinem ontologischtheologischen Gerüst der dynamisch gestuften Monaden-Pyramide (aus der Theodizee bekannt) dargestellt worden seien als eben in dem lang andauernden Briefwechsel mit dem universell gelehrten Mitglied der Gesellschaft Jesu und Übersetzer der Theodizee vom Französischen ins Lateinische. Die einzelnen Etappen der Klärung bzw. Profilierung von Divergenzen und Zustimmungen lassen sich in drei Phasen gliedern, von 1706–1710, von 1711–1713 und zuletzt bis kurz vor Leibniz’ Tod. Vor der Darlegung der Aporien ist zu erinnern, dass sich Leibniz selbst zwei oder drei Mal im Verlauf der vorliegenden Korrespondenz zu einer Revision bekannte. Zunächst zur Monadenlehre: Diese Einheit im Sinn des »entrer dans le composé« sei schon ehedem als quasi atomistische Ontologie von proto-entelechischen, also metaphysischen Punkten, analog zu autarker Ichhaftigkeit, dargelegt worden. Allerdings greift diese Einheit nicht in die Masse zweiter Materie. Sodann: Die frühere Konzeption der Entfaltung dynamischer Einheiten in deren realer Verwirklichung als »vinculum substantiale« (suarezianischer Rezeption), somit Vereinbarung zusammengesetzter Substanzen im Zeichen je dominierender Entitäten, sei im ersten Entwurf missverständlich, weil ohne Unterscheidung zwischen kollektiver und distributiver unio exponiert. Schließlich habe ein neuplatonischer, selbst peripatetischer Ansatz das vinculum substantiale als prästabilierte Harmonie gefasst, zur misslichen Lösung der so genannten Weltseele im Sinne G. Brunos oder B. de Spinozas die Forderungen (exigentiae) des klassischen wie des modernen Empirismus übergangen. Somit habe das platonische ursprüngliche und harmonische Band (δεσμόϚ) zu einem paralogistischen Abweg der Vermittlung der Idee des Einen im je Anderen, Mannigfaltigen, im Sinn des monophysitischen Wer-
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dens-zu-Sich als Im-Anderen-bei-sich-Seins verführt – eine Blendung gegen Fortschritt und Diversifizierung der Wissenschaften ebenso wie gegen die Konkretisierung des Fundus der Theologie. Zu diesem Fundus und seiner trotz Kant verbreiteten paralogistischen Verwechslung ein kurzes Bedenken. Der Weg der Darstellung folgt nämlich zuerst der Theodizee als Rechtfertigung der Allmacht gegenüber ihren privativen Defizienzien. Der Übergang zu »Monadologie«, hin zu den Prinzipien von Natur und Gnade führt einen Schritt weiter: Verkehrungen und Perversionen in Natur und im Gemeinwesen, selbst aus Gnade, fordern ebenso integeres Sachwissen wie erlösende Sinn-Suche, als etwa eine den Logos konkretisierende »Christologie« (M. Serres). Dagegen nähert sich der dritte Schritt – im Ferngespräch mit Des Bosses – der Entschlüsselung des Ärgernisses der sich als Bonität gebärdenden Perversionen des konkreten Pneuma als Weisheit.
3. Ontologisch relevante Synthesis und das vinculum substantiale, den Fundus distributiver Einheit betreffend Hier seien noch die von Cornelius Zehetner und Leonor SaezMendez eingebrachten Studien von Juan Roig Gironella S J zu Kants Synthesis und Leibnizens vinculum substantiale erwähnt, welche zunächst den »idealistischen«, dann erkenntnisphilosophischen Part gegenüber Descartes’ mittlerem Ansatz betreffen: »Sonst werden Erscheinungen durch die Zeit determinirt«, führt Kant im Übergang zu seiner kritischen und realistischen Phase an; »in der synthesi aber die Zeit durch eine Erscheinung, z. E. dessen, was existirt oder geschieht oder zusammen ist.« Besagte Synthesis bezieht sich aber nicht bloß auf deskriptiv-ontologische, vielmehr auf präskriptive oder auch performative Umstände und deren jeweiligen Fundus, dessen Dignität und Differenzierung im »Unvordenklichen«. Erfahrungsmangel in cartesianischer oder aber peripatetischer Auffassung, selbst in deren demokritisch selbstbezogenem Komple-
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ment, als Monade betrachtet, führt also gleich wie die Missachtung des Fundus zu Widersprüchen. Der zumeist hervortretende Widerspruch folgt aus dem Ensemble kontingenter Defizienzien als in erster Materie fundiert. Das Für-sich-Sein der dynamisch gestuften, gelegentlich als Vernetzung der Subordination dominierenden Entitäten ist hingegen nur in Differenz von kollektiver zu distributiver Verbindlichkeit der Erfahrungssynthesis, deren Fundus, möglich. Vinculum substantiale zeigt sich, bloß kollektiv gefasst, als erfahrungsfremd. Erfahrungssynthesis ist somit weder aus dem Primat der Erkenntnis vorausgesetzter repräsentierender Substanzen als Natur noch in theologischer Einheit möglich; vielmehr ist sie zunächst aus Konkretisierungsstufen des Fundus der Weisheit als dynamisch manifestes vinculum substantiale einzuholen.
4. Zur maßgeblichen Aporie Die dritte Aporie – unter dem Titel »degenerierte Monaden« im Unterschied zu fensterlos dominierenden und daher organisch zusammengesetzten, offenen Entitäten (Gilles Deleuze) oder gar zu der mittleren cartesianischen Position – muss sich, allgemein gesprochen, beziehen lassen auf das in körperlicher Kontinuität als technisch-zweckmäßig bzw. bloß vorhanden aufgefasste Mannigfaltige unserer Um- und Mitwelt. Dieses komplex Zusammengesetzte ist hier zugleich vielstimmiges Modell und Echo unserer Entwürfe, bildet jedoch auch den Charakter einer komplexen Eigendynamik zweiter Materie oder Masse. Geprägt ist dieser Sachverhalt dadurch, dass das jeweilige Aggregat »degenerierter« Substantialität nicht bloß eng mit dem Ärgernis der Verstellung komplexer Sachverhalte verbunden ist: vielmehr auch weit neutraler die Prägung des Aggregates von nicht Lebendigem, also subatomarem oder zwischenatomarem Geschehen, dies umgreifend, beansprucht. Zugleich nimmt die Textur »degenerativer« Ereignisse und Wechselbeziehungen die erkenntnisphilosophische Problematik evolutiver Genesis zusam-
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mengesetzter Monaden (samt deren Ärgernis der Subordination) von Neuem auf. Theologisch gesprochen lässt vor allem die »Theosis« oder »Anverwandlung« der Eucharistie dies zu: dass im Sinne eines Ignatius von Antiochia ein »degenerativ« Zusammengesetztes, also Restprodukt der von Leibniz als Semisubstanz bezeichneten Früchte des Getreides oder Weinstocks, zerrieben und »zerstört« zu Mehl und Traubensaft, also zu einem »Semisubstantiale« durch unsere Mittäterschaft – uns in performativer Zeugenschaft inbegriffen – erhoben ist. So würde erst durch unsere Teilung und Mitteilungs-Gabe, deren lauteren Charakter, jenes Dies-da in die Phänomenalität des corpus humanum des personalen Logos »anverwandelt«. Hier tritt nicht bloß ein »moralisches Argument« an die Stelle des mathematisch-physikalisch-metaphysischen, vielmehr löst sich aus dem »moralisch Möglichen«, dessen logosartiger Sinnstiftung, ein charakter indelebilis performativer Art heraus: es geht hier um jene protorelationale Weisheit aus Allmacht und logosartiger Präszienz, welche die Verborgenheit an der Natur (Heraklit) achtet, ebenso wie die Ärgernisse der Gesellschaft erläutert und womöglich aus »Steinen« Kinder Abrahams erwecken könnte. Vordergründig lautet die ins Theologische übersetzte Aporie: Brot und Wein sind substanzartige Gebilde, deren vinculum durch das vinculum der sarx, des corpus und sanguis des menschlichen Leibes der Person des Logos ersetzt werde. Dagegen: Brot und Wein sind bestenfalls Semientia oder degenerative Substantiate, als Aggregate, welche – ontologisch gesehen – sowohl der monadischen Einheit als auch (vor der Verwandlung und nach peripatetischer Version) des substantialen Bandes entbehren, jedoch durch unser Von-sich-Absehen zu authentischer Dignität gelangen können.
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5. Das Antinomische dieser Theorie Einerseits steht vinculum substantiale auch gut für Aggregate von Quasi-Substanzen ohne Entelechie, andererseits ist diese Dimension unserer vielfachen Mittäterschaft – etwa als Lebensmittel organisch-chemischer Verbindungen, zugleich jedoch als Strahlung, etwa Lichtstrahlung – für jedwede wissenschaftliche Dynamik und jedwedes Ritual unserer eigenen Initiative offene Bedingung. Während sich P. Bartholomäus durch seine drei Hauptbedingungen: peripatetische Doppeldeutigkeit von Substanz (meta-physische versus logische Valenz primärer Relationen); modale Differenzierung des relationalen Bandes; schließlich Transsubstantiation – etwa Zerstörung der Substanz-Aggregate von Brot und Wein – den Raum für herkömmliche Theologumena schafft, ist die Sachlage für Leibniz schwieriger: Einerseits hält er an seiner Voraussetzung autarker Substantialität als Wirklichkeitsprinzip fest; anderseits ist für diese »reale« Wirklichkeit, sogar für Monaden, das aus dem »Semiens« degenerierte massenhaft Mannigfaltige konstitutiv. Aus dieser degenerierten Massenhaftigkeit, diesem ens per aggregationem, Lebensmittel in unsere solidarische, gelegentlich rituale Mittäterschaft zur gelungenen Gemeinschaft überzuführen, bedarf es eines neuen performativen Ansatzes. Dieser sei zugleich fundamental genug, um sich von der Idee der kreativen Allmacht gleichwie von der logosartigen Präszienz (etwa der Evolution) abzuheben. In Verbindung mit jenem allmächtigen Urgrund und diesem Abgrund des Vorauswissens geht es jedoch – auch nach Würdigung Kants – darum, ihre Korrelativität so darzustellen, dass unserer weltbezogenen Abwerbung verbindlicher Wissens- und Handlungsordnung die »potentia oboedientialis« einer periechontischen Weisheit zuteil wird, welche das Probespiel eines vorausgesetzten Cyberspace von Möglichkeiten je und je ablegt.
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6. Der in sich differenzierte Fundus War in unserer vorläufigen, die Theodizee zweifach erweiternden Bestimmung der Weisheit diese noch von Allmacht und sinnstiftender Bonität abhängig, ebenso wie von voluntativer Dynamik einer das Leid, das Leiden überwindenden Mittäterschaft in einer zweiten, alles Lautere nochmals transformierenden Sinngebung durch unseren Nachvollzug des Logos: so ist hier – im Wechselgespräch – eine souveräne Transformation zum Grundgedanken fortgeschritten. Weisheit ist also nicht bloß zur Offenlegung ihrer zugleich gezeugten als auch ursprunglosen Urheberschaft (wie etwa gemäß der Schule von Sanct Victor) avanciert. Sie ist diese Urheberschaft von sich aus in der Forderung, dass das ehedem Degenerierte, von uns aus modal und relational, gleichwohl material Gebrauchte, zur Lauterkeit unserer mitverwandelten Intention in den Leib der Theosis transformierbar ist. Hier werde aber bloß das in den Ernst der Weisheit transformierte Band degenerativer Wirksamkeit durch unser Probehandeln in das vinculum substantiale des menschlichen Leibes des Logos übergeführt, ohne dass eben Sophia als deren »Cyberspace« unseren Lebensritualen anvertraut wäre. Wird aber Weisheit – also aus Unvordenklichem gehobenes, somit konkretisiertes Pneuma – aus dem Band unserer Konfusionen, auch in wohlverstandener Ursprünglichkeit der Ambiguität ihres »Ungrundes«, gelöst, dann kann es eben auch geschehen, dass dieses Band zum vinculum des Leibes des logos tou theou »anverwandelt« wird.
7. Eine mehrfache Konkretisierung von sapientia So weit also reicht die Inkarnation des Ungrundes an unsere Voraussetzungen, dass diese nicht bloß im Spiel coram dei, vielmehr über Theodizee und Christologie (M. Serres) hinaus im Ernst neuer Würde konkret geworden ist. Wo Leibniz – übrigens auch Des Bos-
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ses – ontologisch noch Inkarnation und Eucharistie einander gegenübergestellt, dann wieder identifiziert haben wie 1712/1713, dort wird in dialogischer Auflösung der dritten Art von antinomischer Aporie ein relativer Anschluss der einen an die andere Wendung offengelassen. Sowohl die szientifisch-technische, zugleich arbeitsteilig und tauschwertig informierte Strategie, genauso wie die Nüchternheit des Entwindens unserer philosophischen Spekulationen aus doktrinärer Verschließung, fordern also: Die inkarnatorische Anverwandlung von Weisheit braucht Handlanger.
8. Zusammenfassung Das Konstrukt des mannigfaltig Erfahrbaren in den Wissenschaften sowie in den Gestalten der Evolution gesellschaftlicher Strukturierung mag zu einer Monadenkonzeption im Sinn der Distribution des »Urgrundes« von Allmacht führen und zureichen. Weder ist hier aber der Anspruch für den Fortschritt der Wissenschaften, deren Grenzbestimmung gegenüber dem Gelingen von Handlungsbedingungen, noch für Ursprung und Selbständigkeit relationaler Weisheit des Sinnes gelungen. »Vinculum substantiale« bedeutet hier bloß modalen Zusammenhalt von Identität und harmonikaler Übereinkunft des Mannigfaltigen nach dem Ökonomieprinzip. Dagegen ist die Einführung des vinculum substantiale als Ausund Einfaltung des Ensembles der Perzeptionen ein Schritt zur Verselbständigung der Wissenschaften sowie zum Ausdruck der Relativiät von Autarkie. Hier ging es im Dialog mit Des Bosses um Selbständigkeit des Logos in der Sinnstufung von Präszienz wie auch schließlich der Dignitätsstufen der Weisheit. Man vermisst hier, auch nach dem Nachbessern gegenüber demokritischer Substantialität, wie in Ansätzen zu wissenschaftlicher Differenzierung, erst einmal eine eindeutige Strategie jener Differenzierung. Ebenso wie der Nachlese die prägnante Konsitution des Für-sich-Seins erfahrungsbezogener Relationen abgeht. So wird auch über Verselb-
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ständigung und Differenzierung von »Weisheit« hinaus deren Inkarnation und deren Gerüst von Sinnstufen angesichts vielfacher Verkehrungen vordringlich. Doch erst die wechselbezügliche Protohermeneutik (zu Tage bringen, was die Autoren einander sagen wollten) führt den Kontrast des erfahrungsbezogenen Für-sich-Seins gegenüber der Spannung zwischen ausgewählten Phänomenen und dem neuplatonischen kollektiven Konzept der Monade zu entsprechender Satisfaktion: Einerseits werden die vielfachen Konkretionen (»Inkarnationen«) der im »Ungrund« des Pneuma gebundenen Weisheit über die verstellten Perversionen des »Urgrundes« selbst einsichtig; wie auch andererseits gegenüber Verkehrungen an den Gestaltungen von erster Materie bis zu semisubstantialen Wechselwirkungen der Gesellschaften – auch der kirchlichen – kaum Auskunft gegeben wird. Die pragmatisch-rituelle Einbeziehung in das Für-sich-Sein »degenerierter« Substantialität hingegen kann im Von-sich-Absehen die Stufungen der Dynamik der Weisheit zeigen. Zugleich kann diese mündige Lauterkeit Auskunft geben zu deren Bindung an die Allmacht des Urgrundes (existificans) wie an die Präszienz des »Abgrundes für die Vernunft« (existiturire); zuletzt rüstet die Konkretisierung für das Verquere der Verkehrungen selbst gelungen erscheinender Handlungsfolgen bevorstehenden Ungemaches. Sie allein kann jene erst explizit von Kant differenzierte Voraussetzung des »Unvordenklichen« einholen. Dies Unvordenkliche ist auch als Erfahrungssynthesis des vinculum substantiale phänomenaler Ordnung konkretisiert sowie im Sinn des vinculum substantiale selbst für die pax fidei eingemahnt. Ob nun der Aufwand an Mühe einer zweiten Pyramide – nach M. Serres – oder erst, im Zuge explizit tiefenhermeneutischer Auflösung von deren Aporien, eine weitere Performation als Gang in die Würde der Mittäterschaft zu einer Konkretisierung des vinculum führt: dies heißt zu sagen, was das Anliegen des im Briefwechsel mit Des Bosses wieder gegenwärtigen Autors Leibniz sei. Der Mühewaltung vorliegender Neuausgabe und Übersetzung durch Cornelius Zehetner ist jedenfalls noch eine alternative Sicht auf
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verantwortliche Weltbeziehung im Gefolge Leibniz’ zu verdanken, welche der mehrfachen Transformation oder gar Inkarnation von Weisheit bedarf. Michael Benedikt
V I N C U LUM SU B STA N T IA L E : D E R B R I E F W E C H SE L Z W I S C H E N L E I B N I Z U N D D E S B O S SE S . E I N L E I T U N G
1. Hermeneutische Disposition Die Übersetzung vorliegender Briefe aus der Zeit von 1706 bis 1716 stellt zunächst den Versuch dar, Leibniz’ so genannte arkane oder esoterische Philosophie einem besseren Verständnis erschließen zu helfen. Zu diesem Zweck wird sie in voller belletristischer Breite präsentiert, die den Gesprächspartner Des Bosses S J ebenso in Erscheinung treten lässt, wie sie die Argumentation in ihrer thematischen Vielfalt dokumentiert. Der Briefwechsel mit Des Bosses aus der Spätzeit ist nicht nur einer der umfangreichsten von Leibniz,¹ sondern geht philosophisch in medias res und eröffnet mit den enthaltenen Texten zum »vinculum substantiale« eine exklusive metaphysische Perspektive. Durch den besonders reichhaltigen Zusammenlauf der Fragestellungen ermöglicht diese Korrespondenz Einblicke und Zugänge zum leibnizschen Philosophieren insgesamt, wozu aber der eine oder andere Fingerzeig nützlich sein mag. Die philosophischen Kampflinien des siebzehnten Jahrhunderts scheinen in neueren Standortbestimmungen von Philosophie wieder an Interesse zu gewinnen.² Dabei ist es nicht bloß die eminent
¹ Präzise lässt sich das wegen der unfertigen Editionslage derzeit nicht sagen. In bisherigen Editionen (Gerhardt) wird die Korrespondenz quantitativ etwa seitens Leibniz’ von seinen Schreiben an Burnett de Kemney übertroffen, sehr umfangreich ist auch jene mit Christan Wolff (von Gerhardt nur in Teilen, als GM Supplement, hrsg.). ² Abgesehen von der anhaltenden oder wieder auflebenden massiven Rezeption der monumentalen Größen (von Bacon bis Leibniz) vgl. als Indiz etwa die kompendiöse wie analytische Erfassung der Epoche durch »Ueberwegs« neue Geschichte der Philosophie des 17. Jahrhunderts, wo verstärkt die institutionelle Vermittlung und die weniger monumentalen
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interdisziplinäre Konstellation, die das Interesse erklärt: von den Naturwissenschaften und ihrer Anwendung in Technik bis zu Methodendiskussionen mit Geistes- und Gesellschaftswissenschaften (und deren jeweiligem, mit der Aufklärung aufkeimenden, inzwischen prekären Autonomiestatus). Es sind die Fragen nach Begründung der Wissenschaften; nach der ethischen Dimension von Philosophie und Wissenschaften, nach einer Ethik, die nicht bloß die Begleitmusik zur Ökonomie und Politik spielt; die kulturspezifischen Limits bei Bedarf nach Verständigung zwischen Habitaten, zwischen Religionen; andererseits die politische, pragmatische, selbst administrative Relevanz, die damals wie heute der Philosophie ein Welt-Engagement zumuten. Insbesondere ist die strategische Gegenläufigkeit von Traditionsbildung gegenüber der, oder vielmehr einer, Moderne, deren Ausbildung und Limitation, offenbar ein starker Anreiz, sich dieser Zeitspanne der europäischen Philosophiegeschichte zuzuwenden. Wozu aber, um die von Vittorio Mathieu zugespitzte Frage aufzugreifen, das Unterfangen – »Perché riprendere quella teoria scholastica?«³ –, wenn es ein tiefes Misslingen zu gewärtigen gibt? Das konkrete gemeinsame Projekt eines aktuellen Philosophiekompendiums, das die Korrespondenten vom ersten Brief an verfolgen,⁴
Strömungen (z. B. zweite Scholastik) zur Darstellung kommen; ähnlich in enzyklopädischen Werken wie der Routledge Encyclopedia of Philosophy. ³ Mathieu, a.a.O. S. 22. Die Angabe »a.a.O.« verweist jeweils auf das Literaturverzeichnis S. 481 ff. ⁴ Vgl. zum »Philosophiebrevier« Nr. 2 (S. 8), 3 (S. 11), 4 (S. 19), 6 (S. 28), 12 (S. 44), 13 (S. 46), 19 (S. 62) und noch Nr. 123 vom 30. Juni 1715: »Ich wünschte, Sie hätten die Muße, mir meine ganze Metaphysik in die Form einer [Schul-]Lehre zu bringen« (S. 327). Des Bosses war hierin seinerseits initiativ: »Aus diesem meinem Bedenken erkennen Sie, was meine Absicht ist: dass ich nämlich Ihre Begriffe, ohne (soweit das geht) deren Substanz anzugreifen, an die aristotelischen Ausdrücke, oder vielmehr diese an jene, und beide an die kirchlichen Dogmen anpasse.« (Nr. 1, S. 6)
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scheitert. Der Plan, eine kanonische Zusammenführung der tradierten – peripatetischen oder mehr original aristotelischen⁵, im Grunde überhaupt der metaphysisch-ontologischen – Philosophie mit den neueren und aktuellen, mathematisch, empirisch oder technisch sich ausweisenden Strömungen (so heterogen wie Descartes, Galilei, Gassendi oder Newton), zudem auch noch mit der Theologie, ist heikel, zumal die Konkurrenz an bestehenden Schulsystematiken ohnehin übermächtig ist. Es wäre dabei um ein modifiziertes leibnizsches System für die Schule gegangen, dessen Ausarbeitung Leibniz vergeblich von Des Bosses erwartete – ein Versäumnis, das sogar seine Ablehnung, etwas aus ihrer philosophischen Konversation zu veröffentlichen, zur Folge hatte.⁶ Keineswegs alles, was nachmals in der Philosophie von Leibniz esoterisch erschien – wie das »vinculum substantiale« –, war demnach a priori so intendiert. Leibniz’ Haltung zur scholastischen Tradition war ambivalent. Nutzen konnte er sie für seine aufklärerische Tendenz in Religionsfragen, die nicht atheistisch, sondern konziliant war: eine verbindliche Argumentation durch Konfessionsgrenzen hindurch anzubieten, und zwar auf Basis rationaler Philosophie. Dieser Haltung werden auch chinesische (soweit verfügbar) und europäische Philosophietraditionen unterworfen. Die gefragte philosophische Basis war also teils den Traditionen abzuwerben, teils neu zu schaffen. Warum also das Thema, warum Metaphysik überhaupt wieder aufgreifen? Zwei hermeneutische Motive scheinen in vorliegender Korrespondenz zuggkräftig: zum einen die europäische Prämoderne (Hübener⁷) als möglicher kritischer Raum gegenüber der europäischen Moderne; zum anderen die bislang einzigartige Erprobung der (differenzierten) europäischen metaphysischen Systemtradition in Auseinandersetzung mit der (kaum minder differenzierten)
⁵ Vgl. zu dieser Unterscheidung die »Zurückführung der peripatetischen Philosophie auf der aristotelischen Metaphysik entnommene Prinzipien« durch Des Bosses, am Schluss von Brief Nr. 1. ⁶ Vgl. Brief Nr. 19, S. 62. ⁷ Hübener, Wolfgang: Zum Geist der Prämoderne. Würzburg 1985
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chinesischen neukonfuzianischen Tradition. Hübeners These einer »authentisch frühneuzeitlichen« Problemkonstellation vor allem in den metaphysisch-theologischen Dispositionen⁸ ist dabei als historischer Faktor nicht minder von Belang als Deleuze’s Epochensignatur der »Falte« als charakteristische »operative Funktion« des Barock,⁹ die Leibniz weitestgehend repräsentiert; deren Herleitung jedoch ohne Untersuchung jener universalen metaphysischen Implikate und Vorbedingungen nicht funktioniert. Die Bedingungen oder auch nur blinden Flecken, nach wie vor, des Abbaus oder der Transformation von Metaphysik als solcher stehen zur Disposition; generell ist vorliegender Dialog zwischen Leibniz und Des Bosses als entscheidender Beitrag zu diesem Transformationsprozess nicht zu übergehen. – Keinesfalls bedarf es aber einer vorsäkularen Begehrlichkeit, sondern einer luziden Argumentation und einer luziden Lektüre der vorliegenden Texte. Das kritische Augenmerk ist insbesondere auf die metaphysische Argumentation zu legen, so wie sie in wichtiger Position, im Zentrum des Briefdialogs steht. Das philosophische Spezifikum des vorliegenden Schriftverkehrs ist die Diskussion des »vinculum substantiale«. Seine Verwendung durch Leibniz stieß teils auf Ablehnung, teils auf produktives Interesse und weiterführende Assoziationen (von der Relationenlogik bis zum anthropologischen »gesellschaftlichen Band« im Sinn von Marx, Durkheim). Befürworter und Gegner werden im Lauf der einführenden Bemerkungen noch mit Namen versehen; diese vordergründige Spaltung der Leibniz-Rezeption steht jedoch nicht im Zentrum.
⁸ Hübener, Wolfgang: Leibniz und die praedeterminatio physica, a.a.O. S. 366. Vgl. dazu nochmals unten. ⁹ Vgl. Deleuze, Gilles: Die Falte. Leibniz und der Barock. Frankfurt am Main 1995. Dazu ebenfalls nochmals unten.
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2. Platons synthetischer Vorlauf: der »desmós« im Timaios Spätestens seit Platons Kosmogonie des »Timaios« hat das »Band«, desmós, einen systematischen Stellenwert in der Philosophie. Insbesondere dient es dazu, die relative Beständigkeit endlicher, körperlicher Wesen hervorzuheben.¹⁰ Je nach Stärke des Bandes, das die elementaren Bestandteile synthetisch-lebendiger Produkte umschlingt, so Platon, variiert diese Beständigkeit zwischen einer de facto nicht vergehenden, obzwar prinzipiell sterblichen Lebensform und dem raschen Zerfall bis zum faktischen Tod. Die synthetischen Wesen in Bänder und Fesseln zu schlagen, festigt ihren Bestand – sollte daraus auch ein Gefängnis der Seele werden, so doch nicht ihr Grab. Nachrangig ist demgegenüber, so abermals Platon, jene synthetische Einheit, die jener stärksten, unauflöslichen Bänder und Fesseln entbehrt – Leibniz wird sie teils Aggregat, teils Substantiat nennen – , vielmehr einen körperlichen Zusammenhalt mittels Stiften, Nieten, Leim herstellt; hierdurch würden die Körper einem mächtigen Strom des »Ab- und Zuflusses« unterworfen und die Seele in einen beständig flüchtigen Umlauf gezwungen, durch Verkehrung, Verwirrung, Aufhebung jeder vernünftigen Anordnung des körperlich auf die Seele Einströmenden. Die bedrohliche Zerstückelung und Teilbarkeit dieses »werdenden Seins« mit der Unveränderlichkeit des »unteilbaren und immer gleichen Seins« zu einer dritten Seinsform harmonisch zu vereinigen, bedarf einer gewaltsamen synthetischen Prozedur.¹¹ Platons synthetische Kosmotheologie des Demiurgen scheint bei Leibniz wiederzukehren, bis hin zur Harmonie zwischen Seele und Körper der Einzelwesen. Nicht jedoch geht es um die Einheit der Welt insgesamt im Sinn der stoischen, aber auch platonisch-neuplatonischen »Weltseele« oder des averroistischen Universalgeistes¹²,
¹⁰ Vgl. Platon: Timaois 41 b, 43 a. ¹¹ Vgl. Platon, a.a.O. 34 c – 35 b. ¹² Vgl. Platons Exposition der Weltseele ebd. im Timaios. Gegen die Weltseele und zum Problem der Welteinheit seitens beider Korrespon-
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um die durchgängige »Perichorese« aller Dinge zu einem All-Ganzen. Die Pluralität von Seelen, Geistern, Entitäten, Substanzen, Individuen, Monaden – nach Leibniz zudem stets mit Körpern »verbunden« – ist unaufhebbar und wird durch konstitutive Bänder nicht beeinträchtigt. Die Frage des »Bandes«, wie Leibniz sie mit Des Bosses aufgreift, ist nicht die Versinnlichung von Universum, sondern in hohem Maß eine Frage vielfacher synthetischer Produktion und Produkte. Platonisch aber ist sie, insofern diese Produktion oder Konstruktion nicht bloß fiktiv, kein Spiel mit Phänomenen und Illusionen ist, sondern eine verbindliche ontologische Realität, als umfassendste Art von Sein, hervorbringt und gewährleistet. Ob dies ein »Idealismus« von Leibniz ist, wie es Husserl¹³ und vielen anderen gefällt, ist allerdings noch zu prüfen. Verschärft wurde die Frage zudem durch die systematisierte, (post)scholastische aristotelische Metaphysik. Aristoteles selbst hatte mit »Bändern« nicht nur diverse physiologische Verbindungsstrukturen zwischen bestimmten Körpergliedern in der Anatomie und Botanik bezeichnet¹⁴, sondern denjenigen Modus von Zusammensetzung oder Kontinuum, der nicht von Natur aus Eins, sondern »bloß« künstlich oder »durch Gewalt« hergestellt ist.¹⁵ So knüpften gewisse spätere Aristotelesinterpreten an das Band wieder das ontologische Gewicht, das es bereits bei Platon im Timaios auszuhalten hatte.
denten siehe die Briefe Nr. 6, 15, 57 und 88. Gegen Averroes und Spinoza (dessen nur eine Substanz) siehe Leibniz: Betrachtungen über die Lehre von einem einzigen, allumfassenden Geist (frz., 1702), in: Fünf Schriften…, a. a. O. S. 51–65. ¹³ Vgl. Husserl, Edmund: Erste Philosophie I, a.a.O., S. 198 f. ¹⁴ Vgl. bes. Aristoteles’ Tierschriften, u. a. Geschichte der Lebewesen 495 b13 und b21. ¹⁵ Vgl. Aristoteles: Metaphysik X (Iota), 1052 a19–26.
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3. Kursorischer Durchlauf der Rezeptionsgeschichte 3.1. Vinculum und Union: Zweite Scholastik, Tournemine, Leibniz Die synthetisierende Flanke der Philosophie (verlaufend bis in die Spielarten des Konstruktivismus), die Kant mit dem Grundsatz entscheidend geschärft hat, dass eine Synthesis, Zusammensetzung, nicht (sinnlich) gegeben, sondern je von uns zu machen und daher a priori sei,¹⁶ verläuft über nicht wenige Protagonisten. Nun wird eine Reihe von Begriffen und Fragestellungen dieser Briefdebatte zweifellos vom modernen zeitgenössischen Problemhorizont her erhellt, der von den sog. »Neueren« abgesteckt wurde: Descartes (res cogitans, res extensa), Spinoza (Substanz, ihre Modi und Attribute), Hobbes, Locke (Sinneserfahrung in Korrelation von Perzeption und Phänomen) oder Berkeley (esse est percipi)¹⁷. Doch für Leibniz wie für Des Bosses war philosophiehistorisch schon die spätscholastische Tradition zuvor relevant. So kamen, K. Eschweiler zufolge, entscheidende Konzepte einer Konstitutionstheorie, nach Vorlauf des italienischen Aristotelikers Zabarella (hinsichtlich einer konstruktiven Verstandeslogik), von dem spanischen Jesuiten Francisco Suarez in die katholische wie protestantische Schulphilosophie des 17. Jhs.: Dieser lehrte in Absetzung von den erkenntnis-kontemplativen Thomisten, dass jedes Geschöpf aufgrund der »potentia oboedientialis activa« von sich aus kreativ werden könne, und dass zweitens die objektiven Universalbegriffe (conceptus objectivi) erst durch produktive Verstandestätigkeit aus den sinnlich einströmenden intelligiblen Erscheinungsformen, Spezies, fabriziert würden.¹⁸
¹⁶ Vgl. neben der systematischen Exposition der synthetischen Tätigkeit in der Kritik der reinen Vernunft das Diktum in den »Fortschritten der Metaphysik« A 52, Weischedel VI, 608. ¹⁷ Vgl. Nr. 115 (20. September 1714) und Nr. 120 (15. März 1715). ¹⁸ Vgl. Eschweiler, Karl: Die Philosophie der spanischen Spätscholastik auf den deutschen Universitäten. A. a. O., S. 281; für Zabarella ebd. S. 271 f. und 303 ff.
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Dies sind jedoch nur einige intellektualistische allgemeine Züge synthetischer Konstruktion. Ohne auf die Problematik der exakten Rezeption hier näher einzugehen,¹⁹ seien zur Rekonstruktion des historischen Diskussionsstandes einige Zeugnisse vorgeführt. Wie von Boehm dargestellt, führen erstmals die jesuitischen Lehrbuchverfasser des Ordenskollegs von Coimbra (Portugal) im 1592 erschienenen Kommentar zu Aristoteles’ Physik das »Band«, vinculum, als philosophischen Begriff ein, um das Verhältnis zwischen Form und Materie ontologisch zu präzisieren: »Entweder wird aus Materie und substantieller Form Eins durch Eingreifen eines Mittleren, das sie zusammenführt und miteinander verbindet, oder sofort, ohne Mittleres oder Band.« ²⁰ Im Zusammenhang von Ganzem und Teilen lautete dann die Frage, ob das Ganze (als anordnende vereinigende Form) einen ontologischen Überschuss über die einzelnen Teile (als Materie) darstelle oder eine bloß hinzugedachte Größe sei. Für den realen Unterschied, die »distinctio realis«, traten im Anschluss an Duns Scotus auch bedeutende Thomisten wie Cajetan, für die bloße »distinctio rationis« (nach dem Dominikaner Durandus) die Jesuiten von Alcala und Francisco Suarez ein.²¹ Suarez, der sich des Terminus des »Bandes« gleichfalls zur Erfassung der Form-Materie-Einheit bedient²², spricht darüber hinaus von dem »vinculum substantiale«, das einen Körper, einen Leib mit Gliedern, eine »materielle Substanz« unabhängig von der quantitati-
¹⁹ Vgl. dazu u. a. Robinet: Suarez im Werk von Leibniz, a.a.O., sowie diese Einleitung weiter unten. ²⁰ Nach Boehm, Alfred: Le ›vinculum substantiale‹ chez Leibniz, a.a.O. S. 41, Übersetzung v. Hrsg. ²¹ Vgl. Boehm, a.a.O. S. 37 f. Zu Leibniz’ Aufnahme dieser Begriffe und überhaupt Scholastik-Rezeption der späten Jahre vgl. auch die Bemerkungen zu Temmik, Anhang 7, hier S. 426–439. ²² Vgl. Suarez, Francisco: Disputationes Metaphysicae (1597), 15. Untersuchung, Abschnitt III, 11; dazu unten in dieser Einleitung (Anm. 109).
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ven Ausdehnung konstituiere. Ihm zufolge ist es »falsch«, einer Materie ohne Quantität jede gegliederte Struktur abzusprechen: »Daher glaube ich, wenn Gott einen menschlichen Körper ohne Quantität bewahren will und kein Wunder, keine außerordentliche Veränderung veranstaltet, wird es so geschehen, dass die Substanz der Hand unmittelbar mit der Substanz des Armes, und nicht des Kopfs, verbunden ist, und ebenso beim Übrigen. Denn nach der wahren Ansicht werden die substantiellen Teile, die diese Substanz integrierend ausmachen, nicht unmittelbar durch quantitativ bestimmte Oberflächen vereinigt […], sondern sie werden vereinigt durch eine eigene Verknüpfung und ein substantielles Band. Wenn also von ihnen die Quantität abgetrennt wird, können sie dieselbe substantielle Einheit behalten, die sie zuvor untereinander hatten, da keine neue Einheit zwischen ihnen hergestellt worden ist. […] So kommt es, dass die Ordnung der Teile in einem Ganzen, wenn sie rein entitativ und substantiell verstanden wird, nicht zur formalen Wirkung der Quantität gehört, sondern zur eigentlichen substantiellen Zusammensetzung eines solchen Dinges.«²³ Veranschlagt man die umstrittene Exposition, die Descartes, der Zermalmer der jesuitisch dominierten Schulphilosophie, der quantitativen Ausdehnung gab, indem er sie zur Substanz (neben der unausgedehnt-denkenden) von Dingen erklärte, wird das Thema symptomatisch für eine geistige Kampflinie der Epoche. Für Leibniz gilt: Ausgedehnte (sog. »zweite«) Materie, weil unendlich teilbar, hat keine Substantialität. Unteilbar und unausgedehnt sind nur metaphysische Einheiten. Das Kontinuum der Ausdehnung und Problem der Teile ist ein »Labyrinth«, in dem Mathematik, Metaphysik und empirische Natur zusammenlaufen. Generell aber war die metaphysische Thematik der vorliegenden Briefe Leibniz – und unter anderen Vorzeichen dem über zwanzig
²³ Suarez, Francisco: Disputationes Metaphysicae, 40. Untersuchung, Abschnitt IV, 28, a. a. O. S. 550 (Übers. C. Z.).
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Jahre jüngeren Des Bosses – von Jugend an geläufig. Das betrifft auch den anderen markanten Strang dieser Korrespondenz: Leibniz’ insistente Bearbeitung dogmatischer Theologie als strittiges Politikum. Seit Studienzeiten war er mit der peripatetischen Schulphilosophie der Jesuiten, d. i. der metaphysisch-ontologischen Haupttradition der Spätscholastik, mehr oder weniger vertraut,²⁴ die er so wie die religiöse Kontroversliteratur im Alter von vierzehn »in der väterlichen Bibliothek«²⁵ kennen lernte – was er 1663, als Sechzehnjähriger, mit der Publikation der akademischen Abhandlung »De principio Individui«²⁶ erstmals dokumentierte. Doch ist wohl daran zu erinnern, dass Leibniz nicht immer das berühmte philosophische Gold unter den Schlacken und dem Mist der Scholastik²⁷ witterte, sondern ihr kritisch gegenüber stand. An den Philosophieprofessor Bierling schrieb er noch 1712, im fortgeschrittenen Alter: »Unter uns gestanden hat die metaphysische Wissenschaft der Schulen keine große Bedeutung«²⁸. Leibniz’ Transformation und »Verbesserung« der Metaphysik steht eben auch im Zeichen frühaufklärerischer Kritik. Umso markanter, dass er, nach seiner ersten mechanistischen Abkehr, im authentischen Anlauf zur Weiterführung und Umgestaltung der Philosophie im unpublizierten »Discours de Métaphysique« von 1686 die »substantiellen Formen« der peripatetischen
²⁴ Vgl. dazu die angegebenen Arbeiten von Boehm, Mathieu, Eschweiler, Hübener, zur protestantisch-neuzeitlichen Scholastik überdies Wollgast; wichtig auch die kritischen Vorbehalte von Robinet, der auf den sehr unterschiedlichen Kenntnisstand Leibniz’ über einzelne Vertreter der jesuitischen Spätscholastik hinweist (vgl. u. a. Robinet: Suárez im Werk von Leibniz, a. a. O.). ²⁵ Müller: Chronik S. 6. Hier auch der namentliche Verweis auf Zabarella, Fonseca, Suarez u. a. »Scholastiker«. ²⁶ Vgl. Leibniz: Disputatio metaphysica de Principio Individui, AA VI·1, S. 9–19, mit Vorwort des Lehrers Jacob Thomasius und Leibniz’ Kommentaren zu Stahl. ²⁷ Dieses von Leibniz mehrmals und vielerorts verwendete Stereotyp vgl. hier Nr. 30, S. 88. ²⁸ 20. Juni 1712, in GP·7, 506.
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Schultradition wieder eingeführt und verteidigt hatte²⁹, bevor er 1695 im »Système Nouveau« öffentlich eine Lanze für sie brach³⁰. Die Frage der Einheit von substantiellen Formen und Materie, von Körperteil und Körperganzem war ein durch Descartes’ Dualismus und Mechanismus genährter Dauerbrenner auch der Schule. Zur Bestimmung der »Union« hatte sich nach Leibniz’ starker Vorgabe nun auch der Herausgeber der »Mémoires de Trévoux«, der Jesuit Pierre-Joseph Tournemine, zu Wort gemeldet, seinerseits zeitweilig Philosophielehrer. Mit Artikeln vom Mai und Juni 1703³¹ schaltete er sich in die Debatte um Leibniz’ »Neues System« ein, die Autoren wie Bayle und Foucher vor Jahren angezettelt hatten. Nach Tournemine war die eigentliche spekulative Herausforderung die Einheit von Körper und Seele als eine »dritte« Entität, die weder Geist noch Materie ist. Im Hinblick auf dieses Dritte – von Fonseca, den Conimbricensern, Suarez und D. Soto zuvor als »vinculum« bezeichnet – kritisierte er Leibniz’ »prästabilierte Harmonie« nach dem Modell zweier exakt übereinstimmender Uhren³² als unzureichend. Bloße Entsprechung sei keine Vereinigung im eigentlichen Sinn. Vielmehr, so Tournemines »Hypothese«, bestehe zwischen den beiden Substanzen Seele und Körper »noch eine Verbindung (liaison) und ein wesentlicher Zusammenhang; nicht bloß eine moralische und ideelle Union, […] sondern eine reale und wirksame; eine nicht bloß äußerliche,
²⁹ Vgl. bes. ab § 8 von Leibniz: Abhandlung über Metaphysik. In: Goldenbaum (Hrsg.), S. 177 ff. ³⁰ Vgl. Leibniz: Neues System der Natur und der Verbindung der Substanzen sowie der Vereinigung zwischen Seele und Körper. In: Fünf Schriften, a. a. O. S. 25. ³¹ Tournemine, René Joseph: Conjectures sur l’union de l’ame et du corps, a.a.O. Vgl. dazu und zu Leibniz’ Replik von 1708 auch Look S. 51–64; Boehm S. 84 ff.; Frémont, S. 44 f. und 203 f. ³² Das Uhrengleichnis stammt aus dem sog. zweiten Eclaircissement zum Neuen System, das Leibniz im Februar 1696 in der »Histoire des Ouvrages des Savans« veröffentlichte (GP·4, 498 ff.). Vgl. Leibniz: Philosophische Schriften 1. Hrsg. H. H. Holz, a. a. O. S. 239.
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sondern innere Union; eine Vereinigung des Besitzes und Eigentums und nicht bloß gleichsam der Bewohnung oder des Gebrauchs. Es braucht ein Prinzip, das sichtbar macht, dass Seele und Körper anders vereinigt sind als die Bürger derselben Stadt, als der Arbeiter und sein Werkzeug […], als der Raum und der Körper, der ihn ausfüllt […;] dass zwischen diesem Körper und dieser Seele ein so natürlicher, so wesentlicher und so notwendiger Rapport besteht, dass keine andere Seele außer der meinen meinen Körper beseelen kann; und dass kein anderer Körper außer meinem von meiner Seele beseelt sein kann.«³³ Im Sinn einer nicht bloß »spezifischen Differenz«, sondern einer »eigentümlichen« (»difference propre«)³⁴, müsse zudem die Seele durch eine natürlich-notwendig bewegende Kraft den ihr privilegiert zugeordneten Körper unverwechselbar zusammenhalten (»contenir«) und gegenüber anderen Körper-Seele-Strukturen unterscheiden. »In diesem Rapport der bewegenden oder vielmehr […] zusammenhaltenden Kraft, in dieser Bestimmtheit und dieser Tätigkeit auf den Körper besteht meines Wissens die Union der Seele mit dem Körper.«³⁵ Durch solchen naturalen Individualismus, der in seiner eigentümlich radikalen Besitz-, Eigenarts- und Eigenschaftsfixierung nahezu stirnerianisch³⁶ ins 19. Jahrhundert verweist und, trotz völlig konträ-
³³ Tournemine: Conjectures, a.a.O. S. 870 f., übers. vom Hrsg. ³⁴ Zugrunde liegt der hier gewissermaßen entwendete Begriff einer substantiellen »individuellen Differenz« von Duns Scotus. ³⁵ Ebd. S. 873 ³⁶ Die je nachdem mystische oder anarchistische oder faschistische oder antihumane Spur jenes Individualismus, dem Tournemine ja noch nicht rückhaltlos zuspricht, läuft über Max Stirner alias Schmidt (»Der Einzige und sein Eigentum«, 1844) bis zur Thematisierung bei Derrida (»Spectres de Marx«, dt. »Marx’ Gespenster«, 1995) und Giorgio Agamben (»Homo sacer«, 1995), also bis in die Frage einer spezifisch bestimmbaren Menschlichkeit oder Menschheit angesichts von Biopolitik. Tournemine
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rer Intention, an die nominalistische Bestimmung des Individuum ineffabile streift, war Leibniz mit seiner individualistischen Monadenmetaphysik – jede Monade oder Substanz ist seit dem »Discours de Métaphysique«³⁷ eine Welt für sich – direkt herausgefordert. Seine 1708 gedruckte Antwort – ab dem 2. Februar 1706 wiederholt Gegenstand des vorliegenden Briefwechsels –, besagt: Erstens sei Tournemines Bestimmung bloß negativ. Zweitens müsse man die Ebene der Phänomene und die metaphysische Ebene scharf unterscheiden; über eine metaphysische Union hätte er, Leibniz, sich in der Konzeption der prästabilierten Harmonie gar nicht geäußert.³⁸ »Meine Absicht war, auf natürlichem Weg zu erklären, was [die Cartesianer] durch fortwährende Wunder erklären, und ich wollte bloß für die Phänomene einen Grund aufzeigen, sozusagen für den Rapport, den man zwischen der Seele und dem Körper apperzipiert [… Ich] leugne nicht, dass es ein Ding von dieser Natur gibt [sc. eine metaphysische Union][…], denn bisher hat man den Begriff davon noch nicht weiter erklärt, als dass man es unter die unkörperlichen Dinge rechnet und von den harmonischen Beziehungen (Rapports) unterscheidet, die es begleiten und die wiederum Phänomene sind […] Nachdem wir in den materiellen Dingen eine Union und eine Präsenz begriffen haben, urteilen wir, dass es ich weiß nicht welche Analogie zu den immateriellen [Dingen] gibt: aber solange wir davon nicht mehr begreifen können, haben wir davon nur dunkle Begriffe. Das ist wie bei den reichte dagegen im Oktoberheft der Mémoires 1703 auf gut 40 Seiten eine anthropologische Explikation seiner »Hypothese« oder seines »Systems« nach, auf welche Leibniz nach dem prinzipiellen Vorbehalt nicht mehr weiter einging. ³⁷ Vgl. Discours de Métaphysique von 1686, § 9 u. ö. ³⁸ Im Brief Nr. 41 vom 3. 9. 1708 reklamiert Leibniz gegen Tournemine, »dass ich durch die prästabilierte Harmonie die Übereinstimmung der Phänomene erkläre, aber deshalb nicht die metaphysische Einheit des Zugrundeliegenden leugne, die von höherer Ebene ist und durch Phänomene nicht erklärt werden kann, umgekehrt aber auch die Phänomene nicht begründet.« (S. 104)
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Geheimnissen […] – ohne dass wir sie genügend deutlich und genügend angemessen begreifen können, um überhaupt eine verständliche Definition zu bilden.«³⁹ Tournemine beharrte jedoch: »Diese Union ist […] keine metaphysische Idee. Der Körper ist real und physisch mit der Seele vereinigt. Der Rapport der Körperbewegungen zu den Gedanken und Affektionen der Seele kann […] nur als Folge der Einheit stattfinden […] Herr Leibniz […] erklärt nicht die ganze Union«.⁴⁰ Nun diente Leibniz die prästabilierte Harmonie dazu, eine »substantielle Einheit«, Monade, zu bestimmen, ohne, wie er meint, einen Deus ex machina als Relais jeder Handlung zwischen Seele und Körper einzuschalten. Die Konzeption lag im Grunde seit dem »Discours de Métaphysique« von 1686 vor und war im »Système nouveau« 1695, mit dem ausdrücklichen (aristotelischen, Bruno’und van Helmondt’schen) Terminus »Monade« in »De ipsa natura« 1698, öffentlich zum Durchbruch gekommen (lange vor den »Principes de la Nature et de la Grâce« und der gleichzeitigen PrivatSchrift von 1714, die 1720 »Monadologie« betitelt wurde). Seit der Abkehr von der mechanizistisch-geometrischen Metaphysik in den achtziger Jahren ging Leibniz einer dynamischen Konzeption der Substanz nach: als »substantielle Form«, »Entelechie«, »Kraft« und Prinzip der Bewegung.⁴¹ Die Eigenschaft des »conatus«, noch mechanizistisch von Hobbes geborgt, mutierte zur immateriellen Be-
³⁹ Leibniz: Remarques de Monsieur de Leibnits sur un endroit…(Mémoires, März 1708), in: GP·6, S. 595 f. (Übersetzung C. Z.). ⁴⁰ Ebd. S. 597 ⁴¹ Erst 1694 in dem Aufsatz über den Begriff der Substanz (»De primae philosophiae emendatione, et de notione substantiae«) publiziert, ist diese metaphysische Festlegung im »Discours de Métaphysique« und anderen privaten Texten der achtziger Jahre dokumentiert, etwa dem von Boehm (a. a. O. S. 17) zitierten »Specimen Demonstrationum Catholicarum, seu apologia fidei ex ratione« von ca. 1685 (AA VI.4, C, S. 2323–2327).
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stimmung individueller Substanz; deren »Kraft« ist ein »Mittleres« zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit, bloßer Potenz und reiner Aktualität, dýnamis und enérgeia. Diese Dynamisierung der opaken Wesens-Substanz, parallel zur logischen Auflösung in verités des raison einschließlich Relationen, wurde von Deleuze als »Manierismus« bezeichnet, als Leibniz’ Überwindung des Essentialismus zwischen Grund und Weisen (manières), wobei aber die zusätzliche reale Verbindlichkeit Leibniz’ zu beachten ist.⁴² So ist Leibniz’ metaphysische Substanz herausgefordert einmal durch Dynamik, zum anderen durch die Aporie der Ausdehnung (Kontinuum) und Zusammensetzung. Entgegen der »res extensa« der cartesischen Naturphilosophie ergibt die Komposition von unausgedehnten Monaden keine Ausdehnung. Mathematische (klassisch-geometrische) Einheiten wie Flächen, Linien und Punkte setzen ein Kontinuum, eine Linie, eine Körpergestalt nicht tatsächlich zusammen, sie »entsprechen« bloß den Teilen des Ausgedehnten. Nicht die ausgedehnte »zweite«, sondern die »erste« Materie, als Potenz des Erleidens und Widerstehens, ist substantiell und verhält sich zur Ausdehnung wie die Kraft zur Tätigkeit, ist also nicht konstitutiv ausgedehnt.⁴³ Tournemines »Mutmaßungen« über eine selbständig-reale Einheit trafen daher auf einen Leibniz, der im Begriff war, die Erste Philosophie in der Tradition seit den Griechen und womöglich Ägyptern, seit Parmenides, Heraklit, Platon und (explizit) Aristoteles, neu zu schreiben, und zu diesem Zweck bereits die Monaden als metaphysische Substanzen konzipiert hatte. Über den Begriff der Substanz sei die Metaphysik, die »Erste Philosophie«, erst zu dem zu machen, was sie seit Aristoteles noch nicht geworden ist: nämlich die vornehmste Wissenschaft⁴⁴ – ein historischer Anspruch,
⁴² Vgl. Deleuze: Die Falte, a.a.O. S. 91 und 95–98 als Charakterisierung des gesamten leibnizschen Philosophierens. Zu Leibniz’ Verbindlichkeit vgl. Beilage zu Nr. 102: »Vorrangig ist, alles von den Termini und Aussagen auf die Dinge und Wahrheiten zu übertragen.« (S. 286) ⁴³ Vgl. wie Anm. 41, S. 2326. ⁴⁴ Vgl. Leibniz: Über die Verbesserung der ersten Philosophie und den
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mit dem dann ja auch Kant gewissermaßen auf die Schultern von Leibniz gestiegen ist. Doch nun tauchte mit der metaphysischen Komposition eine neue Schwierigkeit auf. Nicht dass Tournemines »Conjectures« der einzige Auslöser gewesen wären, doch Anlass zur Klärung der »Einheit« boten sie allemal. Zwar sind die Monaden in sich komplex und unterschieden, dynamisch wie kognitiv: durch Begehren (appetitus, früher: conatus) wie durch »Repräsentation« (»Ausdruck«⁴⁵ und »Perzeption«⁴⁶ des Universums in der Seele⁴⁷), verknüpft durch die begehrenden Übergänge von einer Perzeption zur nächsten. Diese Differenzierung – »Ausdruck« des Vielen in Einem – sorgt bei Des Bosses bereits für Kopfzerbrechen.⁴⁸ Auch gegen die egologische Falle Tournemines – privilegierte Relation zwischen »meinem« Körper und »meiner« Seele – hatte Leibniz einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die – in der Rezeption seiner Monadologie zwar bislang strittig – es zumindest nicht erlauben, ihn als reinen Vorkämpfer idealistischer oder phänomenologischer »Ich«-Philosophie zu klassifizieren. Dass Monaden auf das »Ich« im Sinn der »denkenden Substanz« Descartes’ nicht reduziert werden können, ist schon im Prinzip der Wesensstufungen – siehe unten – begründet, wonach nämlich die als »Ich« zu bestimmende vernünftige Seele nur ein besonderer Typ von Substanz oder substantieller Eigenschaft neben anderen ist, wenn auch »über« der vegetativen oder sensitiven Seele, oder wenn auch – wie es sonst heißt – Perzeption und Apperzeption, dunkles und klares Bewusstsein nicht verwechselt werden dürfen⁴⁹. Schon nach dem principium rationis sufficientis wird in Begriff der Substanz (1694), in: Fünf Schriften zur Logik und Metaphysik, übersetzt und hrsg. von H. Herring, a. a. O. S. 18. ⁴⁵ Vgl. Leibniz: Discours de Métaphysique § 14. ⁴⁶ Vgl. ebd. (Goldenbaum S. 188); Principes de la Nature § 2; Monadologie § 14. ⁴⁷ Vgl. Leibniz: Neues System, a.a.O. S. 34. ⁴⁸ Vgl. Brief 11 (17. 9. 1706), S. 41, und Leibniz’ Replik vom 20. 9., S. 43, zuvor seinen Brief 8 (11. 7. 1706), S. 33. ⁴⁹ Vgl. Leibniz: Monadologie § 14 und §§ 19–30. Zum »Ich« vgl. ebd. § 30
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vorliegenden Briefen der von Des Bosses befürchtete Solipsismus zurückgewiesen: Es fehle einfach ein Grund, »warum unter so vielem anderen Möglichen wir allein vorgezogen werden sollten. Eine andere Frage aber ist«, legt Leibniz eine zweite Sicherungsspur, »ob Körper Substanzen sind«⁵⁰. Im Sinn der »vollständigen Substanz«⁵¹, als Einheit von Form und »erster« Materie, von ursprünglicher Aktivität (Entelechie) und ursprünglicher passiver Potenz ist die Monade auch schon körperfähig: »Körperliche Substanz nenne ich, was in einer einfachen Substanz oder Monade (d. h. Seele oder etwas der Seele Analogem) und einem mit ihr vereinigten organischen Körper besteht.«⁵² Doch reicht diese, zirkuläre, Definition von Körpern nicht aus. Es geht für Leibniz nicht mehr allein um die Lösung des Geist-Materie-Dualismus, den er einstweilen im Begriff der prästabilierten Harmonie des Système nouveau aufgefangen hatte, sondern um die Synthese von ontologisch artgleichen – nur »graduell« verschiedenen – Substanzen, Monaden. »Die Union, bei deren Erklärung ich auf eine Schwierigkeit stoße, ist die, welche verschiedene einfache Substanzen oder Monaden, die in unserem Körper existieren, mit uns so verbindet, dass daraus Eins wird.«⁵³ So genügt auch die rein aristotelische Seelen-Konzeption als Entelechie und »forma corporis« nicht, jene Vereinigung von Materie und Form zu einem Dritten, das schon Platon »die dritte Form des Seins« zwischen dem unteilbarunwandelbaren Sein und der Teilbarkeit der Körper, zwischen deren Selbigem und Verschiedenem nannte;⁵⁴ Aristoteles wiederum »Beseeltes« (ἔμψυχον), das Konkrete, die dritte Art von Substanz oder und »Discours de Métaphysique« § 34, darüber hinaus zum Person-Begriff in der Aufstufung Perzeption – Apperzeption bei Leibniz vgl. Nr. 16 vom 16. 10. 1706 (S. 58), zur Problematisierung der »Person« als Leib-SeeleEinheit bei Engeln Nr. 65 f. ⁵⁰ Brief Nr. 125, S. 331. ⁵¹ Vgl. den Brief Nr. 50. ⁵² Leibniz an Bierling, 12. August 1711 (GP·7, 501 f.) ⁵³ Brief Nr. 4 vom 14. 2. 1706, eliminierte Passage S. 18. ⁵⁴ Vgl. Platon: Timaois 35 a.
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Wesen (οὐσία) neben Materie und Form⁵⁵. Nicht die metaphysische Einfachheit der Monaden, Seelen, Entelechien, und deren Verhältnis zum Mannigfaltigen der Phänomene ist die »Schwierigkeit«, sondern jene synthetische Vereinigung vieler Einfacher zu Komplexen, zu strukturierten »una per se«. Diese Relationen unterliegen der grundsätzlichen Dynamik der leibnizschen Ontologie – »Substanz ist ein der Tätigkeit fähiges Wesen«⁵⁶ –, was entsprechende logische Fragen und Antworten aufwirft. Doch die Brücke von der Naturontologie zur »Gemeinschaft der Geister«, jenem »Gottesreich« im Neuen System und der Monadologie, steht noch nicht. So fällt insgesamt auf, dass Leibniz von seinen späten Arbeiten gegenüber Des Bosses zwar die »chinesische Philosophie«, nicht aber die »Monadologie« – beide gleichermaßen verfasst für einen anderen Briefpartner jener Jahre, Remond – und die dem Prinzen Eugen ausgehändigten »Principes de la nature et de la grâce« explizit erwähnt. Vielmehr verweist er im Vorstadium, 1712, als Des Bosses, heiß interessiert, am Schluss von Nr. 93 auf diese Privatschriften anspielt, auf die (noch) Unpublizierbarkeit der Monadologie und des Systems der Natur, wobei es dann ja geblieben ist. Dieses Gleichmaß an Esoterik, die Schrumpfung der Monadologie zu einer »Hypothese« gleichrangig mit dem »vinculum substantiale«, ist wohl im vorliegenden Briefwechsel eine der stärksten Einladungen zur Relektüre der leibnizschen Philosophie und stellt die These von der »Vollkommenheit« der »Monadologie« als dem philosophischen »Vermächtnis« Leibniz’ in den Schatten.⁵⁷
⁵⁵ Vgl. die lapidare Ausführung der klassischen Definition bei Aristoteles: Perì Psychés (Über die Seele) II, 414 a12–19. ⁵⁶ So 1714: Principes de la nature et de la grâce…, § 1. Trotzdem ist »vollständige Substanz« stets als Einheit von Tätigkeit und Passivität gedacht, nämlich von Form bzw. Entelechie und »erster Materie« (vgl. z. B. Brief Nr. 6, S. 26). ⁵⁷ Zu dieser gängigen Einschätzung vgl. nicht bloß Hildebrandt 1953 und Robinet 1954, nach Herring in Leibniz: Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade / Monadologie, a. a. O. S. VII., sondern Husserl: Erste Philosophie, a. a. O. I S. 71 und 196 f., II S. 190.
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3.2. Zur Rezeption und Auflösung der Onto-Theologie In starker Ausdeutung von Kants Leibniz-Rezeption⁵⁸ wurde Leibniz – »dieser Metaphysiker von altem Schrot und Korn« in Kants Konterfeiung⁵⁹ – auf dem Weg zur Synthesis a priori, mit dem »vinculum substantiale« im Gepäck, etwa von Maurice Blondel ausgemacht. In seinen beiden so genannten Vinculumschriften⁶⁰ verknüpft Blondel jedoch mit dem vinculum substantiale die Theorie einer »höheren Realität«, einen Surrealismus, der die metaphysischideale Welt der Monaden und die empirische Welt der Phänomene zu einer höheren Einheit verbinde. Bei seiner Parallelisierung mit Kants Programm einer Transzendentalphilosophie unterläuft ihm daher ein Reduktionismus, ähnlich wie bei Roig Gironella⁶¹ das »moderne« Filum von Descartes über Leibniz zu Kant (und Hegel) fälschlich auf den Solipsismus reduziert wird. Die beanstandete Zurückführung der Erkenntniskonstitution auf die (kantsche) Einheit der Apperzeption erfolgt ohne Kants Differenzierungen. Erstens bliebe so Kants Unterscheidung zwischen analytischer und synthetischer Einheit des (Selbst-)Bewusstseins folgenlos. Zum anderen wird die differenzierte Struktur des intelligiblen oder über-
⁵⁸ Die lange Reihe von Kants Schriften zu Leibniz reicht von der »Wahren Schätzung der lebendigen Kräfte« (1746) über die Theodizee- und Optimismustetxte, die transzendentale Topik (Amphibolie) in der Kritik der reinen Vernunft bis zu den »Fortschritten der Metaphysik« aus den 90er Jahren (s. folgende Anm.). Zentral ist Kants Vorwurf des Intellektualismus (vgl. auch Anm. 20 zu Nr. 4). ⁵⁹ Kant: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolf ’s Zeiten in Deutschland gemacht hat? Weischedel VI, a. a. O. S. 612 ⁶⁰ Vgl. Blondel, Maurice: De vinculo substantiali apud Leibnitium (1893), a. a. O.; Un énigme historique: Le ›vinculum substantiale‹ (1930), a. a. O.; dazu auch Juan Carlos Scannone: Sein und Inkarnation, a. a. O. bes. S. 57–60. ⁶¹ Roig Gironella, Juan SJ: El »vinculum substaniale« de Leibniz, peldaño entre Descartes y Kant In: Pensiamento, Madrid, 3 (1947), S. 301– 327
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sinnlichen Substrats – wie Kant vor allem in der Systematik der Urteilskraftkritik ausführt⁶² – jeweils der theoretischen, der praktischen und der ästhetisch-technischen Vernunft, nämlich nach seiner Unbestimmtheit, Bestimmung und Bestimmbarkeit, unterschlagen. Kants angebliche Gespaltenheit zwischen intelligibler und sinnlicher Welt hat durch die Neufassung der Transzendentalphilosophie in der dreifachen Kritik immerhin eine anthropologische Grundlegung erhalten – in den menschlichen »Vermögen«, hierauf in der Darlegung der »pragmatischen« Anthropologie und in der Perspektive einer »anthropologia transcendentalis«⁶³ –, in der die drei »kritischen« Bereiche der Philosophie (einschließlich Natur und Freiheit) zusammengeführt werden, ohne eine »höhere Realität« aus schroffer Geschichtsferne herbeizurufen. Wissenkönnen, Tunsollen und Hoffendürfen seien eben, nach der ominösen Formulierung der »Logik«-Einleitung, auf die Bestimmung der Frage: »Was ist der Mensch?« zurückzuführen. Speziell nun für die Erkenntnisleistung bildet das substantielle Band bei Leibniz denjenigen Ort, an dem die analytische Einheit, dass etwas als Prädikat »im Subjekt enthalten« sei (inesse praedicati in subjecto, wie es u. a. auch in den Briefen und den Bemerkungen zu Temmik heißt)⁶⁴, durchbrochen wird. Das entspricht Kants Definition, dass im synthetischen Urteil eben »das praedicat nicht im Begriffe enthalten ist«⁶⁵. Die Reduktion des »inesse« empirischer Phänomene in die Monaden trifft auf das realisierende, hinzuge-
⁶² Vgl. Kant: Kritik der Urteilskraft, Einleitung, insbes. B LVI. ⁶³ Vgl. Kant: Reflexionen zur Anthropologie Nr. 903. AA XV, S. 395. ⁶⁴ Vgl. zu Akzidens/Substanz Nr. 95 (S. 248), 96 (S. 254), zum Verhältnis des »Bandes« aber vor allem Nr. 99 (S. 263 f.), mit Des Bosses’ Antwort Nr. 102 (S. 274 ff.), und Nr. 130 (S. 351 f.); Bemerkungen zu Temmik: Anhang 7, S. 429 ff. Zum »Inesse« vgl. auch dessen Einbindung in Leibniz’ Scientia generalis (u. a. skizziert bei Martin Schneider: »Inesse« bei Leibniz, a. a. O.), ebenso die Untersuchung der leibnizschen Relationslogik allgemein durch Mugnai, a.a. O. ⁶⁵ Kant: Reflexionen zur Metaphysik, Nr. 4684, AA XVII, S. 671; vgl. auch Kritik der reinen Vernunft, Einleitung B 10–14.
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fügte substantielle Band körperlicher Wesen nicht mehr zu, das den Monaden gegenüber eigenständig bleibt und sich der monadischen Perzeption und Bestrebung entzieht. Vielmehr ist in dem Band als Band zwischen Monaden⁶⁶ jene distributive Struktur verwoben und wiedergegeben, die Kant als Merkmal synthetischer Erkenntnis einer falschen, kollektivierend-vereinheitlichenden Hypostasierung gegenüberstellte. In Leibniz’ Heranrücken an Kant ist das erkenntniskonstitutive Moment jedoch nur ein Aspekt. Bedenkt man, wie Michael Benedikt, hinsichtlich »Synthesis a priori« den Übergang von einer bloßen Philosophie des (je immanenten) Seinsbestandes in eine der Relationen,⁶⁷ so reichen die mächtigen Implikationen von der naturtheoretischen Gegenstandskonstitution über die anthropologisch-synthetischen Kunst- und Gesellschaftsstrukturen bis in die theologischen, innertrinitarischen Personalrelationen der Gottheit selbst, denen Leibniz sich mit Des Bosses nochmals und parallel zur Theodizee zuwandte. Die Stellung des substantiellen »Bandes« im System der gesamten leibnizschen Philosophie rückt ähnlich Michel Serres in den Vordergrund:⁶⁸ eine zweite, »definitive« Monadologie (relational statt atomistisch; korrespondierend mit den irrationalen Zahlen) und eine »zweite Pyramide«, nämliche jene der Relationen. Diese ist alternativ zur rationalen Konstruktion und Konstitution der Welt als Serie der Dinge in der Theodizee, konkretisiert stattdessen christologisch göttlich-menschliche Potenzen wie in der Eucharistie, wo das Wort zu Fleisch, zu Körper werde. Mit der trinitarischen (nicht mehr bloß christologischen) Relation (Schöpfung, Körper, sprituelle Harmonie) erfülle das substantielle Band den kreativ-synthetischen Anspruch vollauf und bringe, so Serres, das gesamte System der Philosophie zum Abschluss.
⁶⁶ Vgl. Leibniz am 18. August 1715 (Nr. 125, S. 332). ⁶⁷ Vgl. Benedikt, Michael: Vinculum substantiale und Synthesis a priori, a. a. O. S. 51 f. und 59 f. ⁶⁸ Vgl. Serres, Michel: Préface. In: Frémont, Christiane: L’Être et la relation, a. a. O. S. 7 ff.
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Allerdings ist bei Leibniz generell mit einer Substanz die Leistung von Konkretisierung verbunden: »Allein die Substanz ist konkret«⁶⁹. So geht es beim substantiellen Band nicht nur darum, körper- und masselose Abstraktionen gewissermaßen zu fleischlichem Leben zu erwecken, sondern es sind auch umgekehrt erst diese Körperphänomene konkret zu »realisieren«. In diesem realistisch-ontologischen Verfahren unterscheidet sich aber die Prozedur der Konkretisierung klar von den metaphysikkritischen (allenfalls »willensmetaphysischen«) »Lebensphilosophien« des 19. Jahrhunderts, und es ist zu fragen, wie sehr jenes Prozedere von den technischen und biopolitischen Verfahren des 20. und 21. Jahrhunderts wiederum verfehlt wird. Die weit verzweigte Diskussion zum Thema der zusammengesetzten Substanzen bis zu rezenten Beiträgen detailliert zu erörtern, ist nicht Angelegenheit einer Einführung. Wenigstens erwähnt sei, wie Donald Rutherford die Debatte auf den Gegensatz Phänomenalisten gegen Aggregationisten oder Realisten zurückbringt.⁷⁰ Rutherford, der für die Aggregationskonzeption eintritt, verlegt den Realismus Leibniz’ bereits in die »Aggregate«: Diese seien als »Resultat«⁷¹ aus Monaden schon hinlänglich von bloßer Phänomenalität unterschieden, da »wohlfundiert« und als Phänomene in gewisser Weise schon real (Regenbogen, Parhelium). Im Grunde gibt das eher die Position von Des Bosses in vorliegender Diskussion wieder⁷². Von Leibniz werden jedoch diese Aggregate als akzidentelle »Halbsei-
⁶⁹ S. 263 – dies trotz der widersprechenden Bestimmung konkreter Akzidentien an anderen Stellen (S. 267 f. hs. Zusatz und 284). ⁷⁰ Vgl. Rutherford, Donald: Phenomenalism and the Reality of Body, a. a. O., bes. S. 11–16. ⁷¹ Vgl. Rutherford, Donald: Leibniz and the Problem of Monadic Aggregation, a. a. O. S. 72 ff. ⁷² Vgl. das Ausreichen der Substantialform (Monade) für Des Bosses einerseits, den Bedarf eines zusätzlichen substantiellen Kompositums für Leibniz andererseits, da die substantiellen Formen (Monaden) nicht genügten, um die Realität der Phänomene zu begründen, bei Warnach, a. a. O. S. 136.
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ende«, »Halbgedankliche«, »Substantiate« noch einmal ausdrücklich von den komplexen Seienden (Dingen, Körpern, Organismen) als echten Substanzen abgesetzt, die durch ein substantielles Band als eigenständige »supposita« konstituiert sind⁷³ und, kraft ihrer »Suppositalität«⁷⁴, den Status eines »letzten Subjekts« einnehmen.⁷⁵ Die bereits zusammengesetzten Substanzen oder substantiellen Bänder können zwar auch Aggregate bilden, doch nur sie können, im Gegensatz zu Monaden, in Wechselwirkung treten⁷⁶. Diese ontologische Aufstufung: Phänomene (und Aggregate) – Halbseiende / Halbgedankliche – vollständig Seiende (Substanzen) ist nicht dasselbe wie die ebenfalls in den Briefen diskutierte Lehre von den Wesensgraden⁷⁷, die einen ontologischen Vollkommenheitsunterschied in Einzelwesen etwa im Sinn evolutionärer Stufen meint, beispielsweise zwischen sensitiver und rationaler Seele. Beide Stufungen aber – letztere von der Stoa dargelegt, die erstere Graduierung war vor allem platonisch und neuplatonisch begründet⁷⁸–
⁷³ Vgl. dazu vor allem ab Brief Nr. 89 (5. 2. 1712), auch im folgenden dialogischen Leitfaden. Alternativ dazu Leibniz’ Einteilung von »Substantiat in Eines durch sich oder zusammengesetzte Substanz, und Eines durch Akzidens oder Aggregat« (Nr. 99, 20. 9. 1712, S. 268). ⁷⁴ Anhang 5, S. 418. ⁷⁵ Vgl. Brief 99 (20. 9. 1712), bes. S. 263; Nr. 114 (21. 4. 1714), S. 307; Nr. 130, S. 354. ⁷⁶ Vgl. Briefe Nr. 94, Nr. 99 (S. 265: Brot und Wein als Aggregate aus Substantiaten). Zur terminologischen Gleichsetzung von substantiellem Band und zusammengesetzter Substanz vgl. u. a. Brief Nr. 103 (S. 290): »körperliche Substanzen bzw. substantielle Bänder«. Zur Wechselwirkung vgl. Beilage zu Nr. 126 und Nr. 130 S. 356. ⁷⁷ Vgl. die »gradus essentiales« in vorliegenden Briefen Nr. 52 (S. 120), 55 (136 f.), 56 (140 f.), 59 (153 f.), 60 (156 ff.), 65 (166), 96 (254), sowie Adnoten zu Temmik (übersetzt im Anhang, S. 431 f.). Außerdem u. a. Monadologie §§ 42, 49 f., Vernunftprinzipien § 4. ⁷⁸ Vgl. zu den Wesensstufungen der antik-stoischen Kosmologie und Physik Pohlenz: Die Stoa, a. a. O. Bd. 1, S. 83 f. – Zur platonischen Lehre vgl. Platons Sonnen-, Linien- und Höhlengleichnis als Aufstufung des Seienden hin zur Idee des Guten als dem »glänzendsten des Seienden«, wenn auch, allerdings, andernorts »jenseits des Seins«, in: »Staat« VI und VII,
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sind ontotheologisch zusammengeführt: Seit den Anfangsparagraphen des »Discours de Métaphysique« ist Leibniz’ Philosophie systematisch onto-theologisch auf die »Perfektion«, die universale Vollkommenheit und ihre Abstufungen, ausgerichtet – ohne dass die empirische Welt der »verités de fait« ausgeblendet wäre. Daran hängen die Lehre von der »besten aller möglichen Welten«, der Übergang vom »possibile« über das »compossibile« ins »optimum« als das »existentificans« sowie die Dynamik des »existiturire«⁷⁹ kontingenter Tatsachen ebenso wie der geschichtliche Ausblick auf unabschließbaren Fortschritt der Menschheit zum Besseren. Das mehrfache Prinzip des zureichenden Grundes – warum etwas eher so ist als anders; warum etwas eher existiert als ein anderes; warum diese Welt und keine andere; warum überhaupt etwas und nicht nichts – ist ebenfalls an den Begriff der Vollkommenheit gebunden⁸⁰: sonst fiele die Existenz der Welt dem Sparsamkeitsprinzip zum Opfer.⁸¹ Unter diesem Vorzeichen ist auch die Thematisierung der metaphysischen, mathematischen und physikalischen Einheit (ab dem dritten Brief, Anfang 1706) zu sehen: In Differenzierung des Einfachen, des Einfach-Einen und des Einfach-Einfachen steht es im Zusammenhang der »perfectio simpliciter simplex« nach Anselm⁸², also 506 b – 519 b.; zum Neuplatonismus bes. Plotins Hypostasenstufung und die christlichen Hierarchien bei Pseudo-Dionysios Areopagita. ⁷⁹ Vgl. Leibniz: Die 24 Sätze (GP·7, 289 ff.). ⁸⁰ Vgl. Monadologie §§ 48–58; zur bestmöglichen Welt 53 f.: »Dieser […] zureichende Grund für die Wahl Gottes […] kann nur in der Angemessenheit (convenance) bzw. in den Graden der Vollkommenheit gefunden werden, die diese Welten enthalten.« Leibniz: Vernunftprinzipien / Monadologie, a. a. O. S. 51. Die anti-nihilistische Variante des principium rationis sufficientis vgl. Principes de la nature et de la grâce / Vernunftprinzipien der Natur und Gnade § 7, ebd. S. 13 f., zur Existenz des je Vollkommeneren § 10. ⁸¹ »Denn das Nichts ist einfacher und leichter als irgendetwas.« Ebd. (§ 7). ⁸² Vgl. Anhang 7, S. 435; zur Überlieferung dieses anselmischen Begriffs im 17. Jahrhundert, etwa in Spanien bei Antonio Perez: Rivera, a. a. O. S. 365.
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der einfachhin einfachen Vollkommenheit, und geht über die – von Des Bosses beanspruchte – scholastische Transzendentalien-These des bloßen »ens et unum convertuntur« hinaus. Den ontologischen Gottesbeweis⁸³ modifiziert Leibniz jedoch auch so, dass er das cartesische Vollkommenheitsargument (Existenz als Teil der Vollkommenheit)⁸⁴ in das »modale« Argument: wenn kein notwendiges Wesen, dann kein mögliches, überführt⁸⁵ – eine Wendung, die jetzt nicht mehr die (immer erschlichene) Existenz eines Wesens aus dessen Möglichkeit ableitet, sondern umge-
⁸³ Vgl. den Prototyp des »unum argumentum« bei Anselm von Canterbury: Proslogion seu Alloquium de Dei Existentia, Kap. 2, mit dem Resultat, dass »etwas, worüber hinaus man nichts Größeres denken kann, sowohl im Intellekt als auch in Wirklichkeit – et in intellectu et in re –« existiert. MPL 158, Sp. 227 f. ⁸⁴ Vgl. Descartes’ Ausführungen zum »ens summe perfectum« vor allem im Gottesbeweis der fünften Meditation, §§ 7–12, sowie der dritten Meditation, bes. §§ 25 ff. ⁸⁵ »Si l’Estre de soy est impossible, tous les estres par autruy le sont aussi … ansi rien ne sçauroit exister. Ce raisonnement nous conduit à une autre importante proposition modale ègale à la precedente, et qui jointe avec elle acheve la demonstration … : Si l’Estre necessaire n’est point, il n’y a point d’Estre possible.« (Hv. C. Z.) (Leibniz: »Extrait d’un Lettre de M. de Leibnitz sur ce qu’il y a dans les Mémoires touchant … le P. l’Amy Benedictin« von 1701, in GP·4, 406). In der »Theodizee« wird der göttliche Intellekt als Grund der Möglichkeit der Dinge angegeben, vgl. den Anhang »Causa Dei« § 8: »Wenn Gott nicht wäre, gäbe es auch nichts Mögliches« (HT 2, S 317). Zur Verschränkung ontologischer Vollkommenheit mit der Vollkommenheit Gottes bei Leibniz vgl., u. a., im »Discours de Métaphysique« bes. den Anfang §§ 1–4, sowie §§ 13, 36 bzw. 31–37, zudem Theodizee, III § 392, sowie die Theodizee-Anhänge »Abrégé«, 5. Einwand, und »Causa Dei«, §§ 10, 12, 18, 27, 67–69; zu seiner Unterscheidung des ontologischen vom modalen Argument und zu seinem sog. »neuen Beweis« die Anm. zum Brief an Tolomei (GP·7, 468) im Anhang (1), wogegen den Zusammenlauf eben derselben zwei Argumente Konrad Cramer: Zu Leibniz’ Emendation des ontologischen Beweises, a. a. O., in den Vordergrund rückt; dazu vgl. auch Monadologie § 45 sowie abermals Theodizee, Anhang: Causa Dei. Zum Realitäts- und Substantialitätsgrad von Körpern siehe auch die Beilage zu Nr. 102, S. 286.
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kehrt erst einmal die Möglichkeit selbst abzuleiten erheischt (aus der Existenz eines notwendigen Wesens). Es werden also die Bedingungen der Möglichkeit eines solchen Wesens formaliter eingefordert, womit diese »modale« Ergänzung der kritisch-transzendentalphilosophischen Frage Kants nach den Bedingungen der Möglichkeit eines Gegenstandes entspricht – bei allem erheblichen Unterschied (bezüglich des »Gegenstandes« selbst und des ontologischen Gottesbegriffs)⁸⁶. Das »Herausgehen«⁸⁷ aus der bloßen Möglichkeit, d. h. dem bloßen Begriff eines Wesens, ist entscheidend. Ohne hier die Ergänzung des Vollkommenheitsarguments durch das modale Argument weiter auszudeuten, liegen Konsequenzen für das gesamte monadische System (einschließlich Gottes) auf der Hand. Kant ging nicht weiter auf diese – zugegeben fast klandestine⁸⁸ – leibnizsche Variation ein⁸⁹. Doch Leibniz’ Ontologie des »substantiellen Bandes« stellt eine parallele Form des Austritts aus der (monadischen) Wesensontologie dar, wie ja auch der von Kant aufgenommene Begriff der distributiven, statt kollektiven, Einheit des All-Ganzen etwa in Leibniz’ Zettelnotiz zu Brief 10 vorliegt. So spielt die kompositive Substanz, die auch in jüngeren LeibnizDebatten häufig zurückgesetzt ist, doch in Leibniz’ Transformation
⁸⁶ Vgl. Kant zum ontologischen Gottesbegriff als Fehldeutung des transzendentalen Ideals: Kritik der reinen Vernunft B 610: Er sei eine fälschliche kollektive statt distributive Bestimmung des »Alls der Realität«, Inbegriffs aller realen Prädikate (theoretischer Natur-Erkenntnis). Zum transzendentalen Ideal B 599–611. Leibniz unterscheidet in der Theodizee dagegen die »positive Realität« als »vollkommene« von der »privativen Realität« als beschränkter, »unvollkommener«, erstere – auch »reine und absolute Realitäten oder Vollkommenheiten« – stamme von Gott, zweitere von den Geschöpfen und ihrer beschränkten Kapazität (vgl. Theodizee, »Abrégé« 5. Einwand. HT 2, a.a.O. S. 302–307, sowie III § 392, ebd. S. 229 f.). ⁸⁷ »Unser Begriff von einem Gegenstande mag also enthalten, was und wie viel er wolle, so müssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die Existenz zu erteilen.« Kant: a. a. O. B 629 ⁸⁸ Vgl. aber Monadologie § 45, wo Leibniz nahezu beiläufig wieder in die Hypothese »Wenn Gott möglich ist…« zurückfällt. ⁸⁹ Vgl. Kritik der reinen Vernunft B 630.
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der tradierten Metaphysik eine wesentliche Rolle. Die logische Analyse des Relationsstatus zwischen Monaden und Monaden, desjenigen zwischen Phänomenen und Phänomenen und jenes zwischen Phänomenen und Monaden – eine Differenzierung, die in den verschiedenen Begriffen der »Exigenz« vs. Inhärenz/Inesse, Dominanz/ Subordination, Grund/Folge, Wechselwirkung, »resultieren aus«, »abhängen von«, »entsprechen« usf. Ausdruck erhält – bedarf ergänzend einer systematischen Bestimmung der Komposition aus Monaden durch genaue Lektüre von Leibniz’ »Synechologie«⁹⁰, im Sinn der von Brandon Look vorgeschlagenen »starken Lesart« der »vinculum«-Metaphysik⁹¹. Zu beherzigen ist gerade hier Glenn A. Hartz’ allgemeine scharfe Kritik an jeder reduktionistischen Leibnizlektüre zum Thema zusammengesetzter Substanzen, dass man diese nur durch eine »reduction to textual absurdity«⁹² aus dem leibnizschen Denken auszuschalten vermöchte. In diesem Sinn hermeneutisch unzulässig gelockert hat etwa der den deutschen Sturm und Drang prägende F. H. Jacobi das »substantielle Band«, indem er 1780 meinte, dass schon eine Monade dieses Band darstellen würde⁹³ – was die besondere Valenz des Kompositiven, Synthetischen und Realisierenden schlicht ignoriert. Versteht man demgegenüber das »Relationale«⁹⁴ des »vinculum«
⁹⁰ Der Ausdruck stammt von Herbart, der das substantielle Band für ein »Hirngespinnst« hält – vgl. Zimmermann: Leibnitz und Herbart, a.a.O. S. 94 et passim, sowie 106. ⁹¹ Vgl. Look, Brandon: On an unpublished manuscript of Leibniz, a. a. O. S. 69 und 77; ders.: Leibniz and the ›vinculum substantiale‹, a. a. O. ⁹² Vgl. Hartz, Glenn A.: Monads and Corporeal Substances, a.a.O., wo S. 326 f. gegen das »kompetitive« Ausspielen der Monaden versus körperliche Substanzen ein Panorama an Leibniz-Stellen und -Texten aufgelistet wird, in denen die substantiellen Komposita einen gebührenden systematischen Stellenwert einnehmen – über die Korrespondenz mit Des Bosses hinaus. ⁹³ Gespräch Jacobi – Lessing, vgl. Schmidt-Biggemann a.a.O. S. 151. ⁹⁴ Zur Interpretation des »vinculum substaniale« primär unter dem relationalen Gesichtspunkt vgl. Frémont und Mugnai (a. a. O.), von Seiten der theologisch-trinitarischen Relationen Benedikt: Vinculum substantiale und Synthesis a priori, a. a. O., bes. S. 51 f.
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überhaupt als ein konzeptuelles Feld, so wird man darauf neben den Konzeptionen der kreativen Synthesis, sei es Platons »Fessel« oder Kants »Synthesis a priori«, auch das Denken der Differenz (hegelisch-dialektisch oder metaphysik-dekonstruktiv) hervorwachsen sehen. Was das Differentielle der Individualitätsphilosophie (Monadologie) betrifft, gilt zwar: »wenn es keine Monaden gibt, denken wir vergeblich über ihr Band nach«⁹⁵; und in eigentümlichem Widerspruch dazu enthalten die einzelnen Monaden bereits die ganze Welt samt deren Relationen in sich. Doch liegt in den Monaden schon durch ihre Pluralität und in ihrer individuellen Herrschaftsund Besitzstruktur eine Differenz, von Deleuze als unreduzierbares Außen der »primären« Monade (Faltung des Bandes), von Ludwig Feuerbach als immer vorausgesetztes Mein und Dein jeder »Selbstthätigkeit« beschrieben⁹⁶. Aber erst in der über die Ontologie der Seinsbestände hinaus prolongierten Metaphysik der Relationen erfolgt eine Präzisierung der Realität gegenüber bloßem Phänomenalismus und steht Leibniz’ Philosophie erneut zur Diskussion – ob im Hinblick auf Wirklichkeitsgehalt des sog. Idealismus, reale Verbindlichkeit von »modernen« Konstruktionsstrategien oder Realitätsfähigkeit entsprechender Dekonstruktionsprozeduren. Leibniz und Des Bosses setzen kein Spiel unverbundener Kräfte in Gang; der Dezisionismus freier Regelimplementierung hat bei Leibniz höchstens außerweltliche, theologische Form – limitiert durch den rationalen Rahmen der logischen oder »metaphysischen Notwendigkeit«⁹⁷. Selbst um eine grundsätzliche Stärke – Schwäche, Gesundheit – Krankheit lebenstheoretisch, wie Nietzsche⁹⁸, als Basis der Metaphysikkritik zu
⁹⁵ Leibniz am 18. August 1715 (Nr. 125), S. 332. ⁹⁶ Vgl. Deleuze: Die Falte, a.a.O. S. 180. – Feuerbach, Ludwig: Darstellung, Entwicklung und Kritik der Leibniz’schen Philosophie (1836), a. a. O. S. 29 f. und 261. ⁹⁷ Vgl. Theodizee: Einleitende Abhandlung, §§ 20–21. ⁹⁸ Vgl. die grundlegenden Ausführungen in Nietzsche, Friedrich: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (1874). In: Werke I, hrsg. Schlechta, S. 209–285.
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etablieren, sind »vincula« organisierter Materie und Körper vorauszusetzen. Ob sich dieser Bereich, oder wie, als metaphysisch bestimmen lasse, ist erst eine weitere Frage, die nicht nur mit einer strengen Definition von »Metaphysik«, vorab wohl »Erste Philosophie«, verbunden ist, sondern mit der Möglichkeit des Aufweises der Weisheit oder Narretei von Metaphysik, wie M. Benedikt nunmehr auch bei Leibniz zu bedenken gibt.
4. Dialog in Argumenten Zur Übersicht und Orientierung, ohne die hermeneutische Eigenleistung von LeserInnen zu unterfordern, soll hier ein selektiver Akzent durch die Briefe gesetzt werden, die ja thematisch sehr heterogen sind. Folgende befassen sich explizit mit dem »vinculum«, näher »vinculum substantiale«, zwischen monadologischer und peripatetischer Substanzbestimmung: In Nr. 3 (12. Februar 1706) berichtet Des Bosses im Fahrwasser Tournemines von der »Klippe«, dass die »mysteriöse Einheit« zwischen Leib und Seele keine bloße Relation sei und als »metaphysische Union« durch Leibniz’ Harmoniebegriff des »Système« nicht abgesichert wäre. Nr. 4 (14. Februar 1706): Leibniz postuliert ein (phänomenales) »Band« des Kontinuums zwischen Monaden, um jene im Disput über sein »Système nouveau« (mit Tournemine et al.) geforderte metaphysische Union näher zu erklären – und streicht es wieder aus dem Brieftext. Die »stachelige Frage« der Union von verschiedenen Monaden zu einem Körper bereite ihm »eine Schwierigkeit«. Nr. 59 (6. September 1709): Des Bosses spricht ein eigenständiges »Band« zwischen Seele und Körper an und zitiert dabei die GassendiSchule (Bernier), in der die irrationale Seele als dieses vermittelnde Band zwischen intellektiver Seele und Körper bestimmt wird.
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Nr. 89 (5. Februar 1712): Leibniz begrüßt die von Des Bosses im vorausgehenden Schreiben angekündigte »Peripatetische Abhandlung über körperliche Substanz« und repliziert ausführlich erstmals mit dem »vinculum substantiale«. Philologisch ist es strittig, ob er diesen Terminus von Des Bosses aus dessen verschwundenem Text aufgreift; gut möglich, dass dieser ihm seine »Abhandlung«, da unfertig, gar nicht zugeschickt hat, über deren Inhalt man ohnehin auf Vermutungen angewiesen ist.⁹⁹ So bleibt die Schwierigkeit bestehen, »woher« Leibniz den Terminus konkret genommen hat. Der materielle Nachweis – noch schwieriger ist die Frage für Des Bosses zu klären – ist bislang nicht gelungen. Wie Robinet gezeigt hat, ist selbst die übliche Zuschreibung an Francisco Suarez problematisch.¹⁰⁰ Allerdings wird man, gewissermaßen mit der Methode von Alfred Boehm sich begnügend, strukturelle und terminologische Entsprechungen nicht unter den Tisch fallen lassen. So sei darauf hingewiesen, dass Leibniz das »Band« und andere Begriffe aus der 40. Metaphysischen Untersuchung Suarez’ verwendet, ohne diesen hier zu nennen: Die ganze Fragestellung der Konti-
⁹⁹ Vgl. aber »Clavis Lycaei« sowie den Auszug aus »Monitum Interpretis« im Anhang. Dass Leibniz mit dem Ausdruck »jenes substantielle Band der Monaden« (S. 229) direkt auf Des Bosses’ Abhandlung Bezug nimmt, der Brief Nr. 89 also die Lektüre der »Abhandlung über die Substanz« voraussetzt, wird hingegen von Robinet (Suárez im Werk von Leibniz, a. a. O. S. 90) angenommen. Doch der lateinische Wortlaut (»subjiciam«, vgl. S. 223) bringt eher Des Bosses’ Intention zum Ausdruck, er wolle diese Abhandlung der lateinischen Theodizee anhängen, auch Leibniz spricht S. 228 antizipativ (»möchte« oder »werde« ich gerne lesen: »legam lubentissime«); in der Einleitung zur Theodizee 1719 verschärft Des Bosses dann – siehe Anhang – das Thema, ohne »vinculum«, durch Zuspitzung auf die Engelslehre. Nicht zu vergessen ist, dass Des Bosses in Nr. 88 zum Thema körperliche Substanz sich ja auch auf Muys’ »Elementa physices« bezieht (S. 224), womit zu dieser Fragestellung eine alternative Textreferenz gegeben ist; und vor allem, dass der Terminus »Band« bei Leibniz, wenn auch in anderer begrifflicher Präzisierung, schon 1706 einmal (Nr. 4) subkutan im ontologischen Sinn auftaucht. ¹⁰⁰ Vgl. die präzise Spurensuche (auf dem Stand von 1981) in Robinet, André: Suárez im Werk von Leibniz, a. a. O.
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nuität, Ausbreitung der (ersten oder zweiten) Materie als materieller Substanz, »Teile außerhalb von Teilen«, Einheit jenseits quantitativer Teilung, entwickelt Suarez in diesem Text über »kontinuierliche Quantität«; die Eucharistie wird dort unter dem Aspekt der nichtquantitativen räumlichen Präsenz behandelt, bevor er im § 40, wie oben zitiert, das »vinculum« einführt. Mag Leibniz auch als Phänomenalist und Dynamiker über Suarez hinausgehen, so vermeint er doch teils in der ungenannten Spur von Suarez’ materieller Substanz, teils in Reaktion auf den von Des Bosses präsentierten Cartesianer Muys »nach gründlicherer Erwägung der Sache« auch die Ausdehnung als real retten zu können, unabhängig von Phänomenen. Letztlich aber, so Leibniz – noch –, sei ihm statt übernatürlicher Transsubstantiation die Erklärung der Eucharistie, der eucharistischen Akzidentien, als Phänomene lieber.¹⁰¹ Allem voran stellt er jene zwei Hypothesen auf, die von nun an im Spiel bleiben: Entweder Körper sind Phänomene, oder sie sind reale Substanzen. In der Beilage betont er nochmals das Moment des »superadditum«, der zusätzlichen und absoluten Eigenständigkeit des substantiellen Bandes: es ist »unum suppositum« und »unum per se«.¹⁰² Nur unter dieser Voraussetzung, sowie durch den diese Eigenständigkeit garantierenden Willen Gottes (nicht bloß seinen erkennenden Intellekt), dem dieser Zusatz entspringe, würden Körper von bloßen Phänomenen zu einer Realität. Nr. 93 (20. Mai 1712): Des Bosses betont seinerseits »etwas Absolutes« zur Absicherung der Realität von Körpern: allerdings halte er es für akzidentell, nicht so wie Leibniz für substantiell.¹⁰³ Nr. 94 (26. Mai 1712): Leibniz unterstreicht den Unterschied von Aggregaten und vollständigen zusammengesetzten Substanzen. Nur
¹⁰¹ Vgl. S. 230 f. ¹⁰² Vgl. S. 234. ¹⁰³ Vgl. S. 240.
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das substantielle Band kann eine solche Substanz bilden, die Monaden können es nicht. Die prästabilierte Harmonie ist bloßer Phänomenalismus. Dabei sei die Monadologie keine Umstürzung der bisherigen peripatetischen Substanzenlehre, sondern ein damit verträgliches System, das sie allenfalls integriert.¹⁰⁴ Nr. 95 (12. Juni 1712): Des Bosses bestimmt im Dreieck Aristoteles (Substanzenlehre) – Leibniz (Monaden) – Zweite Scholastik (vinculum substantiale) das substantielle Band als »Existenz oder Einheit« eines Lebewesens, als Organismus, da »Seiendes und Eins austauschbar« sind. Er unterstreicht dabei den Zusammenhang des Bandes mit dem Begriff der dominanten Monade. Doch könne das substantielle Band ein Lebewesen nicht real organisieren, Glieder nicht räumlich disponieren usf. Außerdem deponiert er den Begriff eines »substantiellen Modus«¹⁰⁵ – als neuen Beitrag zur seit Beginn gesuchten schul-peripatetischen Anwort auf Leibniz’ Monadologie (mit Belegen aus M. Perez, Thomas und Smiglecki). Nr. 96 (16. Juni 1712): Leibniz reagiert zurückhaltend. Er erklärt die bloße Parallelität von Monaden und substantiellem Band: Sie schließen sich nicht aus und wirken auch nicht aufeinander ein. Das Band sei kein »Aufbrechen der Monaden«. Die (organische) Dominanz und Unterordnung zwischen Monaden sei weniger Sache des substantiellen Bandes als der (inneren) Vollkommenheitsgrade.¹⁰⁶ Kurz: er geht für Monadologie und Phänomenalismus in die Defensive. Nr. 98 (28. August 1712): Des Bosses insistiert im beharrlichen Rückgriff zur Peripatetik bzw. Scholastik auf der Gleichsetzung von substantiellem »Band«, Einheit und Existenz eines Lebewesens, das
¹⁰⁴ Vgl. S. 243 f. ¹⁰⁵ S. 246. »Modus substantialis« ist thomistischer Begriff, vgl. u. a. Warnach S. 136. ¹⁰⁶ Vgl. S. 254.
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aus vielen konstitutiven Monaden bestehe (ens et unum convertuntur). Diese konstitutiven Monaden würden durch das Band »auf bestimmte Weise tätig verwirklicht«. »Worin darüber hinaus jene Vereinigung oder Einheit oder Existenz besteht, definiere ich nicht.«¹⁰⁷ Es erfolgt der Versuch, die Transsubstantiation mit Leibniz’ Monadentheorie zu erklären: Die Phänomene bleiben, aber es ändert sich die Substanz, d. h. Monaden werden zerstört und durch neue ersetzt. Problematisiert wird, wie innerhalb der Monaden Kausalität stattfinden kann, wie sie Ursprung von Handlung sein können. Nr. 99 (20. September 1712): Leibniz erinnert zum einen an das logische Verhältnis zwischen Monaden und substantiellem Band: keine logische Inhärenz des Bandes in den Monaden, keine Inexistenz im Subjekt. Das Band sei kein Modus der monadischen Substanz; nicht mit logischer Notwendigkeit, nur mit Exigenz »drängt« das Band Monaden auf natürlichem Weg zur Vereinigung. Dies lasse Spielraum für göttliche Eingriffe, Monaden und ihr Band zu trennen, mit neuen zu verknüpfen usw.¹⁰⁸ – Zweitens greift er den Begriff des »mittleren Seienden« von Des Bosses für die zusammengesetzte Subtanz als Substantiat auf: »die Mitte zwischen einfacher Substanz (die vornehmlich den Namen Substanz verdient) und Modifikation […] Eine einfache Substanz ist ewig; ein Substantiat kann entstehen, vergehen und sich ändern.«¹⁰⁹ Diese Gleichsetzung von Substantiat und kompositiver Substanz sollte jedoch wieder sistiert werden (zuletzt Nr. 130). – Hingegen weist Leibniz, drittens, die »nichtmo-
¹⁰⁷ S. 256. ¹⁰⁸ Vgl. S. 263 f. ¹⁰⁹ S. 264 f. Des Bosses bringt die Rede auf das »mittlere Seiende« in Nr. 98, S. 257. Als »Band« zwischen Körper und Seele hatte Suarez in der 15. Metaphysischen Untersuchung (Abschnitt III , § 11) jenes Mittlere angesprochen: Es handelt sich um den spezifischen Modus jener Vereinigung, der »wie ein Medium oder ein Band zwischen Form und Materie ist und daher beides berührt und irgendwie affiziert, und daher sowohl im Werden wie im Sein von beiden abhängt« (Suarez a. a. O. Bd. 1, S. 516).
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dalen Akzidentien« Des Bosses’ zurück; es gehe um komplexe Substanz, um ein substantielles, nicht um ein akzidentelles Band. Denn man müsse zu den Phänomenen »etwas Realisierendes hinzufügen«. Mit diesem starken Begriff der Realisierung weitet nun Leibniz die Existenz substantieller Bänder aus: Nicht nur würden komplette Organismen und totale, vollständige Substanzen durch substantielle Bänder konstituiert, sondern Substantiate, die bloße Aggregate aus solchen Komplettsubstanzen sind, würden demnach eine Vielzahl solcher Bänder in sich versammeln. Auf dieser Basis erfolgt eine zweifache Erklärung der Eucharistie: mittels Monaden plus substantiellen Bändern, wobei die Monaden der Substantiate bleiben, die Bänder »übernatürlich« ausgetauscht werden – oder ohne substantielle Bänder, bloß durch Phänomene, was die Zerstörung und Neuschaffung der beteiligten Monaden erfordern würde und von Leibniz zurückgewiesen wird.¹¹⁰ Nr. 101 (10. Oktober 1712): Leibniz sympathisiert mit dem Phänomenalismus. »Aber ich fürchte, dass wir das Geheimnis der Inkarnation und anderes nur erklären können, wenn reale Bänder oder Vereinigungen hinzukommen.« Nr. 102 (12. Dezember 1712): Des Bosses antwortet mit der ausführlichsten und detailliertesten seiner Repliken. Sofort stellt er Leibniz’ »höchst geistreiche Erklärung« in Frage und argumentiert jetzt, im Paragraphenstil, gegen das »vinculum substantiale«: Das kirchliche Dogma schreibe die Zerstörung der Substanzen – also Monaden, so Des Bosses – von Brot und Wein in der Eucharistie vor (§ 1). Die einerseits lockere Verbindung von Monaden und substantiellen Bändern, andererseits aber realisierende Kraft der substantiellen Bänder sei nicht zu vereinbaren (§ 4). Stattdessen besteht er nach peripatetisch-thomistischer Begrifflichkeit auf den Zuschreibungen »substantieller Modus« (§ 6 a, 4, 5, 10 und 13) und »absolutes Akzidens« (§ 6 b, 10, 14). Mit der in den letzten drei, immer länger wer-
¹¹⁰ Vgl. S. 265 f.
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denden, Paragraphen (15 bis 17) diskutierten Monadenkonzeption kommt Des Bosses nicht zurecht und zu keinem Ergebnis: nach Konstatierung weiterer »erheblicher Nachteile« bricht er mit einer verbindlichen Entschuldigung ab. Nr. 103 (24. Jänner 1713): Leibniz kontrastiert nochmals die Hypothese von Körpern als bloßen Phänomenen mit der Hypothese der Realität zusammengesetzter Substanzen. Skeptisch bleibt er gegenüber der (hypothetischen, doch affirmierten) Ansicht Des Bosses’, die zusammengesetzte Substanz als reale setze sich allein aus Monaden zusammen – das würde gewisse »Würmer« im Leib zu substantiellen Bestandteilen des Menschen machen. Monadologischphänomenologisch sei vielmehr die körperliche Substanz durch die göttliche »Scientia Visionis«, das Wissen in Gottes Anschauung, fundierbar, welche die »Wahrheit« der Phänomene und der Relationen begründe. Dagegen sei »die übliche Hypothese von den zusammengesetzten Substanzen oder der Realität der Körper« nur mit einem vinculum substantiale superadditum zu erklären. Den bisherigen Dissens¹¹¹ im Begriff eines »substantiellen Bandes« versucht er mit der Feststellung zu klären, dass es etwas Absolutes, jedoch vergänglich, zeitlich beschränkt sei. Verschärft wird die Differenzierung zwischen natürlicher Funktion des »Bandes« und außer- oder übernatürlicher; als überflüssig zurückgewiesen die Unterscheidung von realisierender Substanz und dem »Band« (welche Des Bosses zuvor angedeutet hatte). Im verworfenen ersten Briefkonzept, übersetzt im Anhang, rüttelt Leibniz stärker an der Monadologie und konzediert eine – »übernatürlich« veranlasste – Einschränkung des universalen Grundcharakters der Monaden, d. h. ihrer universalen Repräsentanz: ein wichtiger Hinweis auf die formale Eigenständigkeit des substantiellen Bandes, gegenüber den »akzidentellen Bändern« ebenso wie gegenüber den Monaden, ohne aber die Korrelation genau zu er-
¹¹¹ Vgl. S. 290.
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klären.¹¹² – So bleibt er bei der hypothetischen Bevorzugung des Systems Monaden/Phänomene. Nr. 108 (8. August 1713): Des Bosses erhebt Einwände gegen den Begriff eines vergänglichen Absoluten; er verteidigt abermals die Konzeption der »dominierenden Monaden«, versteht nun »vinculum substantiale« als Kollektiv und besteht auf der Konzeption von »modalen substantiellen Bändern«.¹¹³ Nr. 109 (23. August 1713): Leibniz: »Was ich Ihnen seinerzeit über die substantiellen Bänder geschrieben habe, finde ich jetzt nicht.« Jedenfalls »schien mir Ihr Einwand überlegenswert«, und so »ändere ich die bisherige Meinung«: Substantielle Bänder können, da absolut, eben doch nicht verändert werden, nicht entstehen und vergehen. Zum anderen verwirft Leibniz wieder Des Bosses’ Bestimmung der zusammengesetzten Substanz als bloßen »Modus«, da so keine Realität außerhalb der Phänomene zu begründen sei. Bekräftigt wird somit die organismische Konzeption der Verknüpfung von substantiellem Band und dominanten Monaden – dies sei die natürliche Funktion des vinculum substantiale. Die Möglichkeit übernatürlicher Trennung bestehe nach wie vor. Noch immer ist das Entweder-Oder von körperlicher Substanz gegenüber deren Auflösung in »bloße« Phänomene (aber »wahr« durch göttliche Anschauung) aufrecht. Nr. 111 (11. Jänner 1714): Leibniz vermisst Des Bosses’ Respons auf seinen »letzten Vermittlungsvorschlag«, also die gewissermaßen vitalistische Anbindung des substantiellen Bandes an die dominierende Monade, und die somit entsprechende (metaphysische) Dauerhaftigkeit.¹¹⁴
¹¹² Vgl. Anhang 6: »Zu (3)«. ¹¹³ Vgl. bes. S. 298. ¹¹⁴ S. 303 f.
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Nr. 112 (22. März 1714): Des Bosses begrüßt nun Leibniz’ »sehr interessanten« Vorschlag, setzt ihn allerdings in eine averroistische Linie (gleiche unbegrenzte Dauer wie die Materie) und erinnert an die gegensätzliche thomistische Ansicht der Vergänglichkeit eines zusammengesetzten Ganzen. Weiteres Beharren, dass Lebewesen (Komposita) hinreichend aus »modalen Bändern« beständen, während das »Realisierende« zusätzlich hinzutrete – ob als vinculum substantiale, bleibt ungesagt. Leibniz’ unnachgiebige Randbemerkung: diese modalen Bänder setzten ein substantielles Band voraus. Nr. 114 (21. April 1714): Die Sache scheint jetzt Leibniz einer neuerlichen »Untersuchung wert«: die Realität von Phänomenen außerhalb der Perzipienten wird jetzt zum springenden Punkt. Modale Bänder zusätzlich zu einem substantiellen Band brächten nichts: Relationenlogisch und -ontologisch ergäben sie wieder nur monadische Phänomene. Sie müssten, da sie, wenn modal, Akzientien sind, in substantiellen, jedoch je einzelnen Subjekten fundiert sein, nach dem Prinzip: Kein Akzidens ist in mehreren Subjekten zugleich. Substantielle Bänder dagegen ergeben zusammengesetzte Einzeldinge im Sinn eines fundierenden Subjekts.¹¹⁵ Nr. 115 (20. September 1714): Des Bosses legt »dieses eine und letzte Mal wenigstens noch ein Wörtchen zu unserer alten Kontroverse« ein. Verworfen wird die Hypothese der Körper als bloßer Phänomene; die »allgemein verbreitete« Hypothese der Realität der Körper hingegen gilt es zu erklären. Insbesondere die Kausalität des Wandels der Phänomene müsse geklärt werden. Sie brauche ein eigenständiges Prinzip: Wenn der Komplex dominante /untergeordnete Monaden, der auf die Körper einwirke, Ursache der Veränderungen sei, liefe es erst wieder auf bloße Monadologie hinaus. Gott wiederum, als Fremdprinzip, sei in dieser Hinsicht als Ursache auszuschließen.
¹¹⁵ Vgl. S. 307.
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Dieser Brief war unter seltsamen Umständen an falsche Adressen unterwegs und wurde von Des Bosses am 5. Jänner 1715 (Nr. 118) neuerlich Leibniz zugesandt (zumindest scheint es sich bei dem dort erwähnten um ihn gehandelt zu haben). Nr. 120 (15. März 1715): Äußerst flüchtig streift Leibniz das Thema: Selbst wenn nur Phänomen, seien Körper Dinge und real. Das Problem sei aber, ob es Substanzen sind. Kein näheres Wort zu dem diesfalls nötigen »neuen Prinzip der Vereinigung« – Punctum. Nr. 121 (6. April 1715): Des Bosses bohrt nach und reformuliert seine Frage: Wer bewirkt die körperlichen Veränderungen unabhängig von Monaden? Wie geht das Realisierende über die Monaden/Phänomene hinaus? Nr. 122 (29. April 1715): Leibniz antwortet jetzt ein: Die reale Vereinigung, »unio realis«, ergebe das zusätzliche, realisierende Band eines Körpers. Sie habe ihre eigenen Modifikationen: natürlicherweise als Echo der »einfließenden« Monaden, übernatürlicherweise von Gott. Dieser Einfluss (influxus) müsse möglich sein.¹¹⁶ Er bestätigt abermals die Kohäsion des substantiellen Bandes an einen Organismus mit dominanter Monade. Nr. 123 (30. Juni 1715): Leibniz vermisst eine Antwort, äußert sich kurz und pauschal zum fraglichen Wert seiner »zuletzt« vorgetragenen Gedanken über die Monaden. Nr. 124 (20. Juli 1715): Zwar volle Zustimmung Des Bosses’ zu Einfluss (Echo) und Verknüpfung mit dominanten, organisierenden Monaden. – »Doch glaube ich aus eben dem folgern zu können, dass das wie auch immer reale Band nicht substantiell sein kann.« Wo bleibe das eigenständige Handlungs- und Veränderungsprinzip, die eigene Kraft? So stürzt Des Bosses die Monadologie um und formuliert die
¹¹⁶ Vgl. S. 322.
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Option eines Systems, in dem die Substanzen in Wechselwirkung stehen (was ihm die separate Substantialisierung des relationalen Bandes ersparen würde). Nicht-wechselwirkende Monaden wären eine bloße Gratis-Setzung, d. h. nicht begründbar und folgenlos. Nr. 125 (19. August 1715): »Mit Lust« antwortet Leibniz auf Des Bosses’ »heftiges Drängen« mit einem dreifachen Contra: Erstens: Die Frage, ob Körper Substanzen sind, hält er gegen Des Bosses weiter für relevant – allein schon deshalb, weil die Menschen zu dieser Annahme neigen. Ein System von Monaden in Wechselwirkung lehnt er, zweitens, ab. »Wenn Sie so denken, müssen wir zu den Anfängen zurück, als ob ich nichts geschrieben hätte.« Die Beilage hält (unter 1.1.2) ausdrücklich den Charakter der Wechselwirkung (Beeinflussung) für zusammengesetzte Substanzen, den der Nichtbeeinflussung für Monaden fest. — Drittens sei das Echo selbst – der das Echo reflektierende Körper, das Band – das vermisste Handlungsprinzip. Das Band ist also »im« Subjekt, als Echo, und ist Quelle von Modifikationen. — Die neuerliche Bestimmung der Transsubstantiation beruht wieder auf der Trennbarkeit von Erscheinungsbild, Phänomen (Halb-Seiendem), und synthetischer Substanz: nur ersteres bleibt hier unverändert. Nr. 127 (13. Jänner 1716): Leibniz’ philosophisches Postscriptum antwortet auf einen nicht vorliegenden Brief, oder sonstwie vorgebrachten Katalog mit Fragen und Vorschlägen, Des Bosses’. Nach Diskussion der – aus der »Schule« bekannten – Begriffe Ausdehnung und Materie warnt Leibniz neuerlich: man dürfe die (zusammengesetzten) Dinge nicht zu Phänomenen verkommen lassen, indem man ihnen (ihrem realisierenden Band) die Substantialität abspricht.¹¹⁷ Das substantielle Band ist sowohl die »eigentliche passive Potenz« des Zusammengesetzten, Widerstandsprinzip, wie auch zugleich das Handlungsprinzip. Die (nicht vorliegende) Des Bosses’sche Gleichsetzung passiver Potenz mit Ausdehnung wird verworfen. Leibniz’
¹¹⁷ Vgl. S. 344.
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Lösung vereine hingegen beste scholastische Tradition (wie etwa bei Suarez gesehen, kann man hinzufügen) mit Monadologie. Nr. 128 (7. März 1716): Des Bosses kündigt eine ausführliche Antwort zu dieser Sache an – sie ist nicht überliefert, hat aber offenkundig Leibniz zu seinen folgenden, letzten großen metaphysischen Ausführungen veranlasst. Nr. 130 (29. Mai 1716): Die letzte Replik Leibniz’ auf die (großteils nicht vorliegenden) Einwürfe Des Bosses’: Er ist besorgt, der Eindruck von Widersprüchlichkeit könnte entstehen – »Verzeihen Sie, dass ich sprunghaft schreibe« –, doch sei die Sache selbst, trotz Ausdrucksmängel, nun wohl geklärt. Leibniz rekapituliert und verschärft nahezu sämtliche seiner bisherigen Argumente für die zusammengesetzte körperliche Substanz und das »substantielle Band«: Die nunmehr durchdachte zusammengesetzte Substanz sei – kein Modus von Monaden; überhaupt kein Modus im üblichen Sinn, weil dauerhaft¹¹⁸; – nicht das vermittelnde Band zwischen Materie und Form¹¹⁹, sondern – Essenz des Zusammengesetzten, mit eigener erster Materie (aktiver und passiver Potenz).¹²⁰ – Die »Band«-Funktion jedoch sei eigentümlicherweise insofern nicht essentiell, als keine essentielle Relation zu den Monaden vorliege, welche von dem Band verknüpft werden: Monaden und Band »können« unabhängig voneinander existieren.¹²¹ – Das »substantielle Band« sei unentstanden und unvergänglich (im Gegensatz zu Substantiaten)¹²².
¹¹⁸ S. 351. ¹¹⁹ Ebd. ¹²⁰ Ebd. ¹²¹ Ebd. ¹²² Vgl. S. 352., 354 und 357.
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– Es besteht nicht essentiell und formal aus Teilen (kann allerdings Komponenten bzw. Ingredientien »erfordern« und in Anspruch nehmen)¹²³. – Es realisiert Phänomene¹²⁴. – Körper sind entweder Substanz oder Phänomen, nichts Drittes. Aggregate sind Phänomene, d. h. ihr Zusammenhang existiert bloß als Perzeption¹²⁵. – Gäbe es nur Monaden (und ergo Phänomene), dann gäbe es kein reales Kontinuum; reale Kontinuität gibt es einzig durch ein substantielles Band.¹²⁶ – Die zusammengesetzte Substanz sei das Subjekt einer Relation als solcher,¹²⁷ – während die Monaden »ihre« Relationen in sich behalten und daher nicht in Wechselwirkung stehen.¹²⁸ – Ebenso sei das »substantielle Band« das Ganze (eines Kompositums), von dem die Entelechie ein wesentlicher Teil sei¹²⁹, sowie – Echo (als ursprüngliches Fundament)¹³⁰. Leibniz reduziert diese mannigfachen Bestimmungen, d. h. das erweiterte Gesamtsystem von Monadologie plus Körperrealität, noch auf zwei Grundannahmen: Es gibt zusammengesetzte Substanzen, die die Phänomene realisieren, und: Substanzen sind unentstanden und unvergänglich. Gemäß der ersteren wird Realität der Phänomene der Schlüsselbegriff, der auch die formale Distinktion zwischen Monade und zusammengesetzter Substanz erlaubt. Dies bedeute nun auch einen konkreten Schritt zur Verbesserung der peripatetischen Philosophie.¹³¹
¹²³ S. 353, 355. ¹²⁴ Ebd. ¹²⁵ S. 353. ¹²⁶ Ebd. ¹²⁷ S. 354. ¹²⁸ S. 356. ¹²⁹ Ebd. ¹³⁰ S. 353, 356. ¹³¹ Vgl. S. 357.
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Bis zuletzt verstehen Leibniz und Des Bosses unter dem »Realisierenden«, dem über die Phänomene real Hinausgehenden, also etwas anderes. So schwingt Leibniz schließlich überraschend ab mit einer Überlegung, wie die Transsubstantiation nun doch noch auch phänomenal erklärt werden könnte – falls jemand, etwa von den Katholiken, »jede zusammengesetzte Substanz, d. i. alles die Phänomene Realisierende, als überflüssig abschaffen wollte.«¹³² Sofern der kontingente Abbruch der Korrespondenz, ohnehin dann Leibniz’ Tod im November 1716, als Schluss zu verstehen ist, wird man dieses letzte briefliche Wort nicht in argumentativer Hinsicht (wie Russell und die anderen Vinculum-Gegner suggerieren; denn es ist nicht Leibniz’ eigene Ansicht), sondern konversationspragmatisch als offenen Schluss bezeichnen. Trotz aller Akkumulation von Hypothesen, Revisionen und Unvereinbarkeiten in diesem langen Gespräch – in der Rezeptionsgeschichte häufig in missmutigen Tönen vermerkt – ist ein Resümee etwa wie folgt disponierbar: Die unterschiedlichen Phasen sind zunächst, ab 1706, die von Tournemine entfachte Diskussion über die metaphysische Einheit und deren ontologischen Status. Zweitens die Diskussion von 1712 um die »Realisierung«, bei Leibniz als Gegenpol zum »Phänomen«. Drittens Leibniz’ Paradigmenwechsel von der Vergänglichkeit körperlicher Substanz zur Unvergänglichkeit, im August 1713. Viertens die Apologie der Eigenständigkeit des substantiellen Bandes der zusammengesetzten Substanzen. Logisch ist es nun, fünftens, sehr wohl Subjekt, dem aber nicht Monaden und Phänomene »inhärieren«, sondern Relationen zukommen. Statt Inhärenz gilt die Relation des »Echos« (Ende April 1715). Dynamisch ist es Handlungsprinzip, gebunden (von Anfang an) an Organismen nach der Struktur dominierende/untergeordnete Monade. Für Leibniz’ in das abgründige »Bathos«¹³³ der Welt experimentell eintauchendes Denken ist Friedrich Schleiermachers Notiz unangemessen: »Leibniz war ein schlechter Philosoph, er bekam von
¹³² S. 359. ¹³³ Vgl. den Schluss von Anhang 2.
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Zeit zu Zeit beßre Einsichten«¹³⁴: Sowohl zur empirisch-logischen Analyse der Organismen, als naturaler und als artifizieller Erfahrungsdaten, wie auch zur Bestimmung von Täter-Handlungs-Einheiten unter der Bedingung komplexer Verknüpfungen ist es unverzichtbar, Komposita unter dem Gesichtspunkt kritisch zu beurteilen, dass und wie weit sie substantiell, nämlich durch ein eigenständiges substantielles Band, zu verstehen sind. Selbst die mathematische Erfassung, die Leibniz, so wie einerseits die Cartesianer und andererseits viele, insbesondere jesuitische, Aristoteliker seiner Zeit, als eine Bedingung empirisch-wissenschaftlicher Erkenntnis anerkannte bzw. methodisch vorantrieb, muss gegenüber der ontologischen Bestimmung (der Ersten Philosophie des Seins als Seienden und als vielfach Ausgesprochenen) als bloß nützliche, weil sparsame »Fiktion« zurückstecken.¹³⁵ In diesem Sinn (Handlungsprinzip) liefert das »substantielle Band« eine vertiefte Sicht auf Handlungsursprung und Handlungsfolgen, deren Verflechtungen – als Wechselwirkung noch unzureichend begriffen – im Begriff der Monaden nicht hinlänglich erfasst und gemeistert werden. Denn innerhalb der Monaden läuft alles glatt nach vorausbestimmten, prästabilierten »Serien«, selbst wenn daraus, wie in der Theodizee, durch eine weitgehende Differenzie-
¹³⁴ Vgl. Schleiermacher, F. D. E.: Leibniz I (1797/98), Nr. 14. In: Schriften aus der Berliner Zeit, KGA I·2, a. a. O. S. 79. ¹³⁵ Vgl. zu diesem großen Thema von Fiktion und Realität in der Gegenstandskonstitution aus Sicht des vorliegenden Briefwechsels u. a. Nr. 6, 11./17. 3. 1706, S. 24 f. (mit den Vorläuferbriefen Nr. 4 und 5) und den Schluss von Nr. 10 vom 1. 9. 1706. Insbesondere unter dem Titel der Differenz zwischen physischer gegenüber metaphysischer/mathematischer Teilbarkeit bzw. dem Verhältnis von aktual Unendlichem und mathematisch Unendlichem verzweigt sich die Diskussion entsprechend – bis in die Grundlegung des Unendlichkeitsbegriffs und der Infinitesimalrechnung. – Zu Leibniz als Mathematiker vgl. die übersichtliche Darstellung von H. Breger: Mathematik, a. a. O.; danach ist im Übrigen bei Leibniz auch schon innerhalb der »idealen« Sphäre der Mathematik nochmals zwischen Sein und Fiktion (der unendlichkleinen Größen) zu unterscheiden (a. a. O. S. 1111).
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rung in göttliche Voraussicht gegenüber mechanisch-physischer Prädetermination noch kein blindes Fatum abzuleiten ist. Doch die repräsentativen Spiegelungen der unendlichen Fülle des Universums in den Monaden weisen als solche nicht die materiell-widerständige, körperliche Komplexität zusammengesetzter Substanzen oder substantieller Komposita auf. Sowohl in aktiver wie in passiver Hinsicht würde im bloß monadologischen Verständnis die »substantielle« Kraft von Komposita, ihre Verdinglichung, unterschätzt.
5. Zum Anhang, seiner Ausleuchtung der Ontologie Waren Des Bosses und Leibniz auch über das »Band« konträrer Ansicht, so stimmten sie im Anticartesianismus überein: die Substanz bzw. Materie von Körpern bestehe nicht in der Ausdehnung. Noch in der »Clavis Lycaei« (oder dem, was davon übrig ist) ist dies eine Hauptthese von Des Bosses, wie der im Anhang (9) übersetzte Zentralpart daraus belegt. Diffizil kämpft er hier weiter um den goldenen Mittelweg zwischen Cartesianismus und Monadologie (repräsentiert durch Wolff ), indem er die Ausdehnung (thomistisch) als Modus der Substanz im Sinn des »zugrundeliegenden« Subjekts und der »substantiellen Form« durchargumentiert, ohne eben deren Unausgedehntheit im Sinn eines »metaphysischen Punktes« behaupten zu müssen. Dasselbe Problem ist Inhalt des Briefes von Leibniz an Tolomei S J in Anhang (1). Angesichts der Aporien des Briefdisputs ist Leibniz’ metaphysische Revision auch durch die Anhangtexte dokumentiert, um die scheinbar redundante Argumentation subtil und akkurat darzustellen. Da ja an verschiedene Briefempfänger Texte zu demselben Thema entstehen, verschiedene Autoren zu denselben Fragestellungen exzerpiert und kommentiert werden, usw. – kurz: es sich insgesamt um heterogene, meist nichtpublizierte Textsorten handelt, mag der Wiederholungszwang einigermaßen rational erscheinen. So die Briefvariante in Anhang (6); das Thema der Realität steht im Zentrum des kurzen Nachlassmanuskripts, das von Brandon Look im
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lateinischen Original präsentiert und im Anhang (5) übersetzt ist. Durchgespielt wird in diesem Text die eine von Leibniz’ zwei Hypothesen, nämlich: »Körper sind reale Substanzen«; wobei das hypothetische Moment stark zurück tritt. Die eigentümliche Personalrelation, die das »substantielle Band« ins Spiel bringt, ist nun aber auch pneumatologisch, insbesondere über die Engelslehre, eingebracht; mit ihr thematisiert Des Bosses noch einmal – auch gegen Leibniz und gerade das substantielle »Band« organischer Wesen – die körperliche Substanz in einem Abschnitt des »Monitum Interpretis« zur lateinischen Theodizee von 1719 (Anhang 8). Gegenüber Tolomei äußerte Leibniz sich dazu im Anhang (2). Entsprechend der Systematik der leibnizschen, aber auch peripatetischen Philosophie werden die ontologischen Probleme auch als logische formuliert.¹³⁶ Im Hintergrund bei Leibniz steht die immer »in progress« befindliche Scientia generalis, konzipiert in der frühen vormetaphysischen Phase, innerhalb deren (im engeren Rahmen der Characteristica universalis) ein Kalkül des Seienden aufgestellt werden soll – sei es ein Infinitesimal- oder Differentialkalkül oder gemäß der einfachen Grundidee der Konformität zwischen Aufbau der Welt aus Sein (oder Gott) und Nichts und einem binären Kalkül, was nach Leibniz und Bouvet im Übrigen ja auch die vorkonfuzianische chinesische Philosophie auszeichne. Die Analyse des Verhältnisses von Sein und Denken, Ding und Begriff, Empirie und Metaphysik, Sein und Wahrheit bestimmt nun in besonderer Weise Leibniz’ Bemerkungen zu Temmiks ›Philosophia vera‹, die deshalb übersetzt in den Anhang (7) aufgenommen sind, zumal die Referenz darauf den Briefwechsel mit prägt. Leitende Frage auch für die Relationenlogik der kompositiven Substanzen ist: Was sind die konkreten Substanzen?
¹³⁶ Für Aristoteles vgl. die Kategorienlehre – mehrfaches Aussprechen des Seins – insbesondere in der Metaphysik, sowie die Beweislehre (Rückkehr zum Seienden nach durchgespielter formaler Syllogistik) der Zweiten Analytiken. Für Leibniz vgl. u. a. die Zusammenstellung: Fragmente zur Logik, hrsg. in dt. Übersetzung von F. Schmidt, a. a. O.
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Im Text über Temmik spielt Leibniz das Problem mittels der traditionellen Prädikaten- und Prädikabilienlogik durch. Was vor allem die lateinische Aristotelestradition nach dem Griechen Porphyrios die fünf Prädikabilien oder Kategoreme nannte – Differenz, Eigentümlichkeit und Akzidens nebst Gattung und Spezies –, sind Zuschreibungen, die dem Seienden unabhängig von jeder kategorialen Bestimmtheit (Wann, Wo usw.), also ontologisch-allgemein erteilt werden. Solche ontologische Allgemeinheit war von anderer Seite der scholastischen Tradition (seit dem 13. Jahrhundert) als »Transzendentalien« ausformuliert worden: nämlich das Eine, das Gute, das Wahre und eben das Seiende, die »austauschbar« seien und durch sämtliche kategorialen Aussagen unterschiedslos eben »hindurchgehen«, die Kategorien transzendieren.¹³⁷ Des Bosses hält an dem einen Moment – Seiendes und Eins sind austauschbar – ja von Anfang an gegenüber Leibniz fest; auf die unterschiedliche Problematik der anderen Varianten, etwa hinsichtlich des Guten (das nach Platon auch noch jenseits des Seins steht), ist hier nicht weiter einzugehen. Zu gewärtigen ist jedoch, dass Leibniz die traditionellen Transzendentalien ebenso wie Prädikabilien durch seine logischen Analysen in Fluss versetzt. Insbesondere das Verhältnis zwischen Gattung und Differenz (der Spezies), also die übliche definitorische Festlegung, ist in seiner Umkehrbarkeit untauglich, konkrete Substanzen/ Subjekte zu bestimmen; andererseits verhilft die »Individualität«, als negative Einheit des Unteilbaren, nicht zum Verständnis der synthetischen Komposition. Nimmt man nun die Universalien, als bereits spezifischere Allgemeinbegriffe, hinzu, dann visiert Leibniz in seiner onto-logischen Analyse zu Temmik wie auf einer Zielscheibe ein Zentrum der philosophischen Tradition (über Scotus bis Suarez) an – das Seiende als Seiendes, die Metaphysik. Ob sein Schuss tatsächlich ins Schwarze, d. h. eine verbindliche Dechiffrierung die-
¹³⁷ Vgl. dazu u. a. die Darstellungen von Ludger Honnefelder, außerdem J. A. Aertsen, H. Möhle und U. G. Leinsle in HWBP 10, Sp. 1360– 1376.
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ser Tradition, trifft, darf bezweifelt werden. Seine logische Transformation schwankt – nach wie vor auch in diesem späten Text – zwischen der Immanenz der Prädikate im Subjekt, d. h. dem monadischen Implikationsmodell im Sinn der »vollständigen Substanz«, und einer ontologischen Gleichrangigkeit der externen Relationen und Substanzen. Zumindest wird auch hier mit der Frage, wie eine einzige Substanz, als unum per se, mehrere Substanzen wahrhaft enthalten und vereinigen kann, wie also ein synthetisches Prozedere zu begreifen ist, die »notwendige« Annahme körperlicher Substanzen verbunden.¹³⁸ Doch ist durch die Naturontologie die Pneumatologie noch nicht restlos transformiert, die Korrelation zwischen Substanz-/Subjektmetaphysik und Relationenmetaphysik nicht voll dargelegt, findet weder eine Spezifizierung der – hier über die Eucharistie theologisch artikulierten – kreativen personalen Instanzen und Relationen (innere Ökonomie der Gottheit), noch eine Deduktion substantieller Relation aus der dinglich-personalen Substanz, noch umgekehrt der Substanzen aus den Relationen statt, noch eine Dämonologie, die in der Theodizee mit den gefallenen Engeln innerhalb der Defizienz-Theorie des dreifachen Übels doch angesprochen ist.¹³⁹ Ebenso wenig scheint die (nihilistische) Herausforderung des Seins durch das Nichts mit der binären Logizität des Universums – Sein und Nichts als Bausteine – gemeistert: Leibniz’ reformierte ontologische Transzendentalienlehre beruht hierin auf dem Satz vom Grund, dass überhaupt etwas ist, nicht nichts, was der weiteren Auslegung der Intelligibilität bzw. Rationalität dieses Prinzips, gewissermaßen die Frage des Sinns von Ontologie (Konvergenz von Denken und Sein) weiterschiebend, bedarf.¹⁴⁰ — Damit wäre von Leibniz abermals die Bahn des Umbruchs zu Immanuel Kants Transzendentalkonzeption betreten, der die Tran-
¹³⁸ In den »Adnoten zu Temmik« vgl. Anhang 7, S. 434. ¹³⁹ Vgl. Theodizee I, §§ 4 und 17 f., und Des Bosses’ Zahlenkalkül hierzu im »Monitum interpretis« S. *[39]. ¹⁴⁰ Zu den verschiedenen Konzepten der Negativität im 17. Jahrhundert als Folie für Leibniz vgl. bes. Wolfgang Hübener: Scientia de aliquo et nihilo, a. a. O.
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szendental-Problematik zunächst vom »Sein« weg in die kritische Erkenntniskonstitution verlagerte, ohne dass Leibniz aber explizit in den transzendental-anthropologischen Horizont von Königsberg eingetreten wäre.
6. Fortgesetzte Resümees Selbst wenn in den Brieftexten und – ausgewählten – Begleittexten dem naturontologischen Verfahren entsprechendes Gewicht in Metaphysik und Logik zukommt, das Reale und Synthetische der Natur entsprechend zu untersuchen sind, ergibt sich aus der Argumentationsabfolge keinesfalls, dass Leibniz so eindeutig der »Hypothese« von den Monaden den Vorzug vor der Hypothese von der Realität (von Körpern) gibt, wie Rösler¹⁴¹, Roig Gironella¹⁴² und andere suggerieren. In seiner umgreifenden Lesart von Leibniz’ Philosophie intepretiert Deleuze das »substantielle Band«, im Komplex mit der logischmathematischen und ästhetischen Struktur der »Falte«, aber ohne die christologische Bestimmung (übrigens auch ohne den scholastischen Vorlauf), somit ohne die Personalrelation.¹⁴³ Laut Deleuze hat das »substantiale« vinculum mehrfache Funktion: erstens verschlingt und faltet es sich zu einer äußeren Membran der Monade, mit der das Außen Einzug in das (fensterlose) Innen der Monade hält, »das Äußere oder das Außen ihrer eigenen Innerlichkeit«; es ist somit konstante Bedingung des »Habens« oder »Dominierens«, jener eigentümlichen Relation zwischen Monaden (erster Art), die doch sonst keinerlei Verkehr und Verbindung untereinander ha-
¹⁴¹ »Das Vinculum substantiale ist nur eine hypothetische, in keiner Weise ernst gemeinte Konstruktion« lautet Röslers Fazit seiner knappen Untersuchung, a. a. O. S. 456. ¹⁴² Vgl. Roig Gironella, Juan: El »vinculum substaniale« de Leibniz, a. a. O. ¹⁴³ Deleuze, Gilles: Die Falte, a.a.O., bes. S. 171–196.
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ben.¹⁴⁴ Sodann bildet es auf Basis dieser ersten Funktion Menge, moles, indem es die unterworfenen variablen Monaden zu einem Körper fesselt und sie gemeinsam als Echo reflektiert (zweite Art von Monaden); somit bildet es organisch-materielle Körper, die sich verändern und verfließen.¹⁴⁵ Ohne dieses substantielle Band bleiben drittens nur mehr eine »dritte Art von Monaden«, die insbesondere durch bloß äußere Bewegung, anorganisch, Masse, bestimmt seien – die »degenerierten Monaden«¹⁴⁶. Dass die substantiierte Körperlichkeit nicht die volle Bandbreite des »vinculum« ausmacht, zeigt auch die Ausbeugung hin zur Pneumatologie, zu personalen Wesen, wie in Des Bosses’ Engels-Passage (Anhang 8), in Leibniz’ Engelslehre und seiner »natürlichen Theologie« der Chinesen. Im Anschluss an die komplexere und integrativere Lesart M. Benedikts¹⁴⁷ könnte man dagegen folgende (verkürzende) Disposition aufstellen: 1. Das substantielle Band ist naturontologisch, aber nicht bloß, zu verstehen. Es geht also nur unter anderem um die Bestimmung von Körpern als Naturgeschöpfen, nur unter anderem um die Deskription von natürlichen Organismen, deren Wechselwirkung und die Realisierung von deren Phänomenen. 2. Leibniz spricht vielmehr auch als Theologe der Ökumene. Hier konstituiert das »substantielle Band« in der eucharistischen Transsubstantiation, wie von M. Serres betont, eine christologische Heilsgemeinschaft (des Leibes Christi), d. h. es ist formal auch soziologisch konstitutiv und seitens der (nach Tradition der »Ersten Philosophie« eingebrachten) Metaphysik als solches zu formulieren. In solcher Begründung einer personalen oder Gesellschaftsontologie ist das »übernatürliche« Moment relevant über das erstere, naturale, hinaus (vgl. bes.
¹⁴⁴ Vgl. Deleuze: Die Falte, a.a.O., S. 180. Lapidare Grundlage der »Falten« ist Leibniz: Monadologie § 61. ¹⁴⁵ Vgl. Deleuze, a.a.O. S. 181 f. ¹⁴⁶ Ebd. S. 189 ¹⁴⁷ Vgl. Benedikt, Michael: Von Leibniz’ Naturontologie des Seinsbestandes zu Kants Synthesis a priori, a. a. O. (2001); Der dreifach verdrängte Leibniz in Österreich, a. a. O. (1992), bes. S. 211 f.; sowie den Konspekt zum vorliegenden Band.
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Leibniz’ Apologie des Übernatürlichen in den Briefen Nr. 89, 94, 99, 103, 109, 111, 122, 130¹⁴⁸); es birgt das Moment einer »künstlichen« Gesellschaft jenseits bloß natürlicher Vergesellschaftung,¹⁴⁹ wobei das Verhältnis von Künstlichkeit und Übernatürlichem noch nicht geklärt ist.¹⁵⁰ Ob dies auch als genuin anthropologisches FreiheitsMoment unabhängig von der rein »christlich«-konfessionellen historischen Heilsgemeinschaft darstellbar ist, liegt teils an der Interpretation der christologischen Komponente selbst, ist aber auch etwa an Leibniz’ Interpretation der chinesischen Kulte abzulesen, nicht nur der Freiheitslehre der »Theodizee«. – 3. ist zu fragen, ob nun das »Band« als »übernatürliche«, von Natur nicht determinierte Synthesis-Bestimmung nicht bloß wie in Punkt 2 eine Sozialontologie begründet, also jene »zweite Pyramide« M. Serres’, sondern
¹⁴⁸ Vom 5. 2. 1712, S. 230; 26. 5. 1712, S. 243; 20. 9. 1712, S. 264; 24. 1. 1713, S. 289; 23. 8. 1713, S. 300; 10. 1. 1714, S. 304; 29. 4. 1715, S. 322, 29. 5. 1716, S. 355, 358. ¹⁴⁹ Vgl. Leibniz’ Nachlassnotizen zur »Divisio Societatum« (1680) im Anschluss an J. v. Feldens Stufen der »natürlichen Gesellschaften«. Unterteilt wird in »beschränkte« Gesellschaften mit limitiertem Zweck und »unbeschränkte« Gesellschaften zur Vervollkommnung des menschlichen Lebens und öffentlichen Wohls, in sich jeweils wieder nach Einfachheit und Komplexität, nach Gleichheit und Ungleichheit differenziert: AAIV·3, S. 907–912. Das Felden-Exzerpt auch in: Politische Schriften II, Hrsg. H. H. Holz, a. a. O. S. 138 ff. Die Kirche als »natürliche Gesellschaft« (in Harmonie zur Offenbarung) kontrastiert hier zum moralischen »Reich der Gnade« als Gegensatz des Reichs der Natur in der Monadologie § 87. Das Resumé der über Robert Zimmermann (Bildungs-, Bilde- und bildende Kunst) bis Hermann Broch laufenden Sozialontologie lautet nach Benedikt: »das Konzept des ›vinculum substantiale‹ als Vermittlung der Erkenntnismuster der Naturontologie in Zusammenstimmung mit den künstlichen Modifikationen unserer gesellschaftlichen Dynamik.« (Der dreifach verdrängte Leibniz, a. a. O. S. 211 f.) ¹⁵⁰ In der Theodizee (Vorwort; HT a.a.O. S. 49) rechnet Leibniz zwar die »ursprüngliche Einrichtung« der Übereinstimmung (prästabilierten Harmonie) von Seele und Körper zu den übernatürlichen Wundern, doch ist nach erfolgter Etablierung dieses Verhältnis »ebenso natürlich wie alle anderen Vorgänge in der Natur.«
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darüber hinaus auf die Grundlegung einer dritten, nämlich Geisteswissenschaft, bei Leibniz hinweist. Pragmatisch fand diese in Leibniz’ Konfessionsgesprächen (innerprotestantischen wie protestantisch-katholischen), theoretisch jedoch nicht hinlänglich Ausdruck. – 4. wird eine vereinbarende Leistung des »substantiellen Bandes« der genannten drei Pyramiden in Gestalt einer anthropologischen Pragmatik in Aussicht gestellt. Dieser systematische Übergang von der deskriptiven zur praktischen Dimension ist jedoch nur durch starke Interpretation in Ansätzen bei Leibniz festzustellen und weist auf Kants transzendentale Anthropologie voraus.¹⁵¹ Das »vinculum substantiale« gewinnt somit in der weiteren Konfrontation mit Naturontologie, Pneumatologie, Theologie an Profil. Was passiert also in den übrigen Briefen?
7. Themenverflechtung a) Geistige und organische Nahrung der Eucharistie In der Rezeption des »vinculum substantiale« zeigt sich eine enge und weitere Lesart: als Problem sui generis wird es aus der inneren Logik der ontologisch-metaphysischen Tradition, der systemimmanenten Problemstellung Leibniz’ und dem universal-philosophischen Anspruch von Des Bosses¹⁵² heraus entwickelt. Diese Lesart, Metaphysik z. B. gegen Liturgie ausspielend, wird etwa von R. Zimmermann, der Wiener Stöhr- und Reininger-Schule (Elsinger), Blondel, Boehm, Herring, Rutherford, Hartz oder Look unterstützt.
¹⁵¹ »Vinculum substantiale bildet somit das, was Kant als Prägung des Naturells nicht bloß Einzelner, deren empirischen Charakter, vielmehr [als] den empirischen Charakter als Charakter unseres weltbürgerlichen Wesens darstellte.« Benedikt: Von Leibniz’ Naturontologie…, a. a. O. S. 79. Zu Leibniz’ Versäumnis einer (nach Kant) transzendental vorauszusetzenden Pragmatik vgl. ebd. S. 84 f. ¹⁵² Vgl. explizit den im Folgenden zitierten Beginn der »Clavis Lycaei«, auch im Anhang.
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Die weitere und komplexere Lesart, die der im Briefaustausch manifesten Form eher entspricht,¹⁵³ verknüpft das substantielle Band mit weiteren Problemfeldern, und zwar zunächst dem Ritus und Theologoumenon der Eucharistie, welche andere Interpreten als philosophisch unverbindliche Angelegenheit verwerfen.¹⁵⁴ Diese Verbindung durch Theologie hindurch zu verfolgen, oder darüber hinaus spekulativ aufzulösen, kennzeichnet vor allem die Zugänge von Serres, Frémont, Tilliette, um von Ludwig Feuerbachs Entwendung des »vinculum« für seinen Materiebegriff in der anthropologischen Umkehrung des Theologischen einmal abzusehen, da Feuerbach die explizite Fassung des »vinculum substantiale« durch Leibniz, wie erwähnt, ohne »klaren Sinn« auf sich beruhen lässt. – Während Deleuze das »substantielle Band« im Wesentlichen ohne die christologische Dimension interpretiert, kommt dieser nach den Darlegungen Benedikts – wie oben gesehen – ein präziser Stellenwert zu. Wie die meisten Themen, die Leibniz und Des Bosses unter sich verhandelten, war namentlich die philosophische Bestimmung theologisch-dogmatischer Sachverhalte offiziell ein Politikum. Eine cartesianische Bestimmung der Ausdehnung der Materie (res extensa) brachte wegen Unverträglichkeit mit der Lehre von der Eucharistie als Transsubstantiation manche beflissene Autoren hinter Gitter: so geschehen in Neapel nach dem 1688 angestrengten Prozess der
¹⁵³ Vgl. die zündende Frage Des Bosses’ nach einer leibnizschen Erklärung der Eucharistie am Schluss des Schreibens vom 6. September 1709 (Nr. 59). Leibniz hatte indirekt, mit seiner insistenten Frage nach der Identität von Bonartes, das Thema erzwungen, Des Bosses es im August 1708 (Nr. 40) erstmals explizit gemacht. ¹⁵⁴ Einige wollen das »substantielle Band« und die synthetischen Substanzen vor der religiösen Verflechtung gleichsam retten, obwohl eine Transsubstantiation ohne Christologie bei Leibniz wenig Sinn macht – wie z. B. Look (vgl. Look 1999, a. a. O. S. 89, trotz relativierender Schlussworte), oder wie selbst Des Bosses am Anfang der »Clavis Lycaei« ausdrücklich eine nicht-theologische Lösung des Materie- und Kompositumproblems fordert. Andere, wie Russell, Kahle, K. Fischer oder Rösler (a. a. O.), lassen mitsamt der Transsubstantiation auch gleich das substantielle Band als irrelevant verschwinden.
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römischen Inquisition gegen junge Vertreter der »neuen Philosophie«, so genannte »Atheisten«.¹⁵⁵ Schon bei der Verurteilung Galileis spielte die Unvereinbarkeit eines mechanistisch-atomistischen Materiebegriffs mit der Realpräsenz des Körpers Christi in der Eucharistie eine wichtige Rolle; auch Descartes’ Werke gelangten 1663 ausdrücklich mit dieser Begründung auf den Index.¹⁵⁶ Das tridentinische Konzil hatte insbesondere gegen protestantische Auffassungen die Eucharistie als Transsubstantiation – und zwar »wirkliche, wahre und wesentliche« – bestimmt: ein Hindernis für die Reunion der christlichen Kirchen, und, durch den damit verbundenen Transport aristotelischer Naturphilosophie, ein Hindernis in der Verständigung zwischen Papstkirche und neuerer anti-aristotelischer Naturbetrachtung.¹⁵⁷ – Des Bosses trug diesem Streitpunkt auf seine Weise Rechnung. Die reale Unterscheidung zwischen Ausdehnung und Materie, als zweier verschiedener Dinge, ist eine seiner metaphysischen Hauptthesen. Wie er in seinem Kompendium zur Schulphilosophie von 1735 erklärt, ist jedoch seine Intention nicht theologische Dogmatik, sondern eine philosophischmetaphysische, explizit rationale Problemstellung. »Die Mehrheit der orthodoxen Peripatetiker gibt sich damit zufrieden, [jenen Unterschied zwischen Ausdehnung und Materie] durch das Geheimnis der Eucharistie zu beweisen, aber hier geht es darum, ihn durch die reine Vernunft zu beweisen.«¹⁵⁸ Diese Haltung ist auch im Briefwechsel mit Leibniz unschwer zu erkennen, sodass das kontroverse Argument der philosophiehistorischen Rezeption, Leibniz sei von dem Geistlichen Des Bosses zum Glaubensthema Eucharistie und Transsubstantiation, und erst dadurch zum vinculum substantiale, gleichsam wider Willen genötigt worden, bodenlos wird.¹⁵⁹
¹⁵⁵ Vgl. Comparato, a.a.O. S. 988. ¹⁵⁶ Vgl. ebd. S. 987. ¹⁵⁷ Vgl. Frémont S. 179 f.; Goldenbaum a.a.O. S. XXXVI f. ¹⁵⁸ Des Bosses: Clavis Lycaei, unten im Anhang 9 S. 450. ¹⁵⁹ Jenes Argument samt der daraus gefolgerten philosophischen Unerheblichkeit der gesamten »vinculum«-Diskussion für Leibniz ver-
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Gleichwohl wird 1709/10 das Jahr erster intensiver EucharistieDiskussion zwischen Des Bosses und Leibniz. Für diese Diskussion – einen der dogmatischen Knackpunkte der interkonfessionellen Vereinigungsbemühungen – ist das »substantielle Band« in der vorliegenden Korrespondenz nicht der einzige, allerdings ein entscheidender Aspekt. Unter Bezug auf die noch entstehende »Theodizee« moniert Des Bosses 1709 zum Auftakt: »Vor allem aber wäre es hilfreich zu wissen, wie Sie die reale Präsenz des Körpers Christi in der Eucharistie gemäß Ihren Prinzipien verteidigen – ein Problem, das Sie in Ihrem Anti-Bayle-Werk meiner Ansicht nach zu wenig behandelt haben.«¹⁶⁰ Nun hatte Leibniz sich dem Thema seit den Rekonziliationsgesprächen mit Katholiken, etwa Bossuet und Rojas y Spinola, immer wieder gewidmet.¹⁶¹ Durch die dogmatischen Differenzen der Konfessionen hindurch – Katholiken versus Lutheraner versus »Reformierte«¹⁶² – versuchen der Lutheraner Leibniz und der Katholik Des Bosses die Annäherung über die ontologische Bestimmung dessen, was in christlicher Tradition den Verzehr von Bot und Wein ebenso als geistige Nahrung von Leib und Blut
trat Russell ebenso wie schon Kahle oder Rösler, während eine – längere – Reihe von AutorInnen das Gegenteil herausstreichen: von Blondel über Boehm, Warnach, Herring, Mathieu bis Serres, Frémont, unter ausdrücklichem Hinweis auf Des Bosses wieder Look (1999, S. 65), und zuletzt Benedikt. Zur kontroversen frz. Rezeption vgl. Frémont S. 203 ff. Die Reihe der vinculum-Gegner unter den deutschen Leibniz-Rezipienten im 19. Jh. hat Rösler (a. a. O. S. 449 f.) noch mit G. E. Guhrauer 1837 und H. F. Rau 1899, die Befürworter mit Herbart, Heinrich Ritter, J. E. Erdmann, Richard Falckenberg u. a. spezifiziert, während Ludwig Feuerbach und Kuno Fischer (nach Rösler) »nicht wissen, was sie mit ihm anfangen sollen«. Eine reduzierte Lesart, nämlich als bloßes »vinculum substantiale ideale«, vertritt Robert Zimmermann, a. a. O. S. 89. ¹⁶⁰ Nr. 59, 6. 9. 1709, S. 156. ¹⁶¹ Leibniz’ zahlreiche Texte zum Thema Eucharistie beginnen bereits um 1668 in den »katholischen Demonstrationen« mit der »Demonstratio Possibilitatis Mysteriorum Eucharistiae«, vgl. AA VI·1, S. 501–518. ¹⁶² Vgl. dazu die Anm. 167 zu Nr. 60.
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Christi¹⁶³ kenntlich machen soll, also der Eucharistie, was als Problem der Scholastik gang und gäbe und nun von Descartes als »eucharistische Physik« paradigmatisch modern aufbereitet war¹⁶⁴. Insofern ist »Transsubstantiation« eine zusätzliche Herausforderung hinsichtlich der Frage nach dem ontologischen Status von Körpern (ob Phänomene oder Substanz), nämlich im Sinn des menschlichaußermenschlichen Metabolismus, und nicht der einzige Grund einer metaphysischen Präzisierung von Zusammengesetztem. Das Problem stellt sich genauso bei der Frage nach der »Realpräsenz«, nämlich einer körperlichen Präsenz, die mehr bedeutet und beinhaltet als die bloßen Phänomene (bis hin zur Mehrfachpräsenz), d. h. – wie schon gegenüber Tournemines Leib-Seele-Union geäußert – metaphysisch und nicht phänomenal ist: Weder Transsubstantiation noch Konsubstantiation, so Leibniz, sei für ihn als Lutheraner verbindlich, sondern allein die Präsenz.¹⁶⁵ Diese doppelte Relevanz eines substantiellen Bandes – aus Sicht Leibniz’: »eure Transsubstantiation«, »unsere« reale Präsenz – ist in der dichten Reihe von Schreiben zum Thema Eucharistie nachzuverfolgen.¹⁶⁶
¹⁶³ Das Moment der geistigen oder geistlichen Nahrung, alimentum spirituale, auch in Absetzung von dem »fürchterlichen und abscheulichen« Schauspiel einer echten, körperlichen Theo- und Anthropophagie, unterstreicht Thomas von Aquino: Summa contra Gentiles, 4. Buch, Kap. 61, a. a. O. Bd. 4, S. 392 ff. und 407. ¹⁶⁴ In den »vierten Antworten« auf die Einwände Arnaulds zur Vierten Meditation. Vgl. dazu Xavier Tilliette: Problèmes de philosophie eucharistique, a. a. O. S. 276–287. ¹⁶⁵ Vgl. Brief Nr. 60, S. 159, und 66, S. 172. ¹⁶⁶ Nach Vorlauf im August 1708 zu Bonartes (Nr. 40) sind dies von September 1709 bis August 1710 die Nr. 59, 60, 65 (S. 167 f.), 66, 69, 70 (S. 181) bis 73; dann wieder von Anfang 1712 bis Sommer 1713 die Nr. 89 (S. 230), 93, 95 (S. 250), 96 (Schluss), 98 (S. 259 f.), 99, 101, 102 (S. 271 ff. et pass.), 103, 109, schließlich nochmals im Sommer 1715 die Nr. 124 (S. 328) und 125 (S. 334), erwähnt ein letztes Mal in Nr. 130. – Zum doppelten ontologischen Aspekt der Eucharistie vgl. auch X. Tilliette: Problèmes de philosophie eucharistique, a. a. O., bes. S. 275 und 289, der allerdings den identischen Zusammenfall von Transsubstantiation und Realpräsenz bei Leibniz postuliert.
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Die Frage ist also nicht: Transsubstantiation ja oder nein, sondern ihre Erklärung ebenso wie jene von Realpräsenz. Des Bosses’ Ende August 1712 versuchte monadologische Erklärung der Eucharistie, d. h. durch Monaden, Perzeptionen, Phänomene und Symbole¹⁶⁷, weist Leibniz zurück: »Man muss etwas Realisierendes hinzufügen«¹⁶⁸. Die Realität erweist sich als der Kern der weiteren Explikation des substantiellen Bandes. »Wir brauchen für die Philosophie, im Gegensatz zum Übernatürlichen, kein anderes Ding als Monaden und ihre inneren Modifikationen. Aber ich fürchte, dass wir das Geheimnis der Inkarnation und anderes nur erklären können, wenn reale Bänder oder Vereinigungen hinzukommen.«¹⁶⁹ Es geht allgemein um die Bedeutung dieser Bänder – nicht nur für die Transsubstantiation und Realpräsenz der Eucharistie, sondern für das »Übernatürliche« im Sinn der Metaphysik und Ersten Philosophie, sodass das Konzept der prästabilierten Harmonie mit ihren Binnen-Serien an monadischen Zuständen nicht genügt.
b) Zur Methode literarischer Verknüpfung Auch umgekehrt gilt, im trivialeren Sinn: Nicht rigoros bildet das »vinculum substantiale« den absoluten »Zusammenhang« des ausladenden Briefwechsels, seiner Subjekte und Gegenstände. So fällt die oft lose Berührung der Themen in andere Aufzeichnungsfelder, etwa der literarischen und Struktur-Analyse, der Ideen-, Kulturoder Geistesgeschichte oder sonstigen Historiographie. Wolfgang Hübener hat hierzu die These der »authentisch (früh-) neuzeitlich[en]« Problemkonstellation der »ersten Jahrhunderte der Neuzeit«¹⁷⁰ vertreten, die besonders in den theologischen Kontroversen zu verfolgen und nicht auf die thematisierten Traditionen
¹⁶⁷ Vgl. Nr. 98 (S. 259). ¹⁶⁸ Nr. 99, S. 266. ¹⁶⁹ Nr. 101, S. 269. ¹⁷⁰ Hübener: Leibniz und die praedeterminatio physica, S. 366.
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wie Mittelalter und Scholastik zu reduzieren sei – vor allem in der Thomas- und Augustinusrezeption. Exemplarisch legt er dazu die Freiheits- und Kausalitätsdebatte dar: das Dogma der praedeterminatio physica, Luthers servum arbitrium, Calvins decretum absolutum, die konträre gratia universalis ad conversionem et salutem sufficiens – eingehend analysiert in der vorliegenden Korrespondenz. Deren zeitgenössische Artikulationen (durch Remonstranten, Supralapsarier und Infralapsarier, Arminianer, Sozinianer, Jansenisten) fasste auch Leibniz als Neuformulierungen und genuine Anstrengungen, keineswegs bloß Wiederholungen mittelalterlich-scholastischer Vorgaben, auf.¹⁷¹ In dem gesamten, den Briefwechsel mit Des Bosses durchziehenden Gnadenstreit, der Jansenismus- und Prädeterminations-Debatte, waren spezifische Begriffe, Probleme und Lösungsvorschläge erzeugt worden. Über die theologisch-philosophische Signatur hinaus aber ist für das Barock selbst – nach Deleuze – eine universale »operative Funktion«,¹⁷² ein Denk- und Konstruktionsstil in Form der »Falte« auszumachen, der teils bei Leibniz mathematisch, logisch, naturontologisch und metaphysisch aufweisbar, teils von ihm thematisiert, teils jedoch, wie ergänzend anzumerken ist, von ihm und Des Bosses (und der theologisch-metaphysischen Problematik insgesamt) auch unterlaufen wird. Denn die operative Stilfunktion selbst scheint in der reinen Monadologie/ Phänomenologie einschließlich der platonischen, mimetischen IdeeAbbild-Struktur begründet und deren Inhärenz verfallen, wogegen ihre (kreative) Synthetisierung erst noch abzuleiten und zu fragen ist, woher (epochenspezifische) Stilfiguren, -funktionen, -regelmäßigkeiten überhaupt kommen. Im Zusammenhang des »substantiellen Bandes« entscheidende Fragen bestimmen so auch aus anderem Blickwinkel die Korrespondenz. Zwischen Selbstbestimmung¹⁷³ und Prädetermination, Naturgesetzlichkeit und Gnadenwahl hinsichtlich guter oder übler Hand-
¹⁷¹ Vgl. ebd. ¹⁷² Deleuze, Gilles: Die Falte, a.a.O. S. 11 ¹⁷³ Vgl. Nr. 77 (S. 200) und 80 (S. 206 f.).
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lungen und Handlungsfolgen werden insbesondere Handlungskausalität, -effektivität und die Substantiierung verselbständigter Komplexe im anderen Licht der Freiheitspolemik verfolgt, die die »literarische Republik« mit einigen Härten durchzog; die metaphysischen Konzeptionen waren politisch und aufklärerisch relevant.
c) Das Projekt der Theodizee In die Spannung zwischen (zu distanzierender, narzisstischer) Anthropozentrik gegenüber Humanismus (des zum Besseren fortschreitenden Menschlichen) hatte Leibniz das moderne Philosophieren bereits mit seiner frühen authentischen Verknüpfung von Philosophie und Theologie¹⁷⁴ gestellt, das Problem der Distanzierung von der Anthropozentrik hatte er naturphilosophisch wie theologisch in den Begriff der besten Welt einfließen lassen.¹⁷⁵ Zur Entstehung und Implementierung der leibnizschen »Theodizee« – »von der Güte Gottes, der Freiheit des Menschen und dem Ursprung des Übels« –, die diesem Thema im Zuge konkreter Konfessionsdivergenz und -versöhnung durch das Angebot allgemein akzeptabler philosophischer »Vermittlungsvorschläge« in theologischen Streitfragen gewidmet ist, bietet der Briefwechsel Einblicke,
¹⁷⁴ Vgl. bes. Confessio Philosophi, 1674. ¹⁷⁵ Die moralischen, metaphysischen und physischen Übel seien prinzipiell mit einem verborgenen, dem Ganzen zugute kommenden »System« bzw. Plan zu »rechtfertigen«: »Freilich verachten die Menschen die menschliche Natur nur zu sehr, offenbar, weil sie keine anderen Geschöpfe kennen, die fähig wären, ihre Eifersucht zu erregen; im besonderen aber achten sie sich nur zu sehr und sind nur zu leicht mit sich selbst zufrieden« (III § 258; HT 2, S. 25). »Maimonides sagt mit Recht, wenn man die Winzigkeit des Menschen dem All gegenüber erwöge, so würde man … einsehen, daß das Überwiegen des Übels … bei den Menschen … deshalb doch weder bei den Engeln noch bei den Himmelskörpern, noch bei den Elementen und den unbeseelten Mischungen, noch bei mehreren Tierarten vorhanden zu sein brauche«, noch » … bei den vernünftigen Geschöpfen im allgemeinen« (ebd. § 263; HT 2, S. 35).
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wie sie eine kooperative Werkstatt zwischen zwei Gelehrten eben zu bieten vermag. Am 3. September 1708 lädt Leibniz Des Bosses ein, das Manuskript eines Teils der noch titellosen Theodizee zu korrigieren. Da Leibniz (seinerseits Lutheraner) die Verträglichkeit seiner konfessionsrelevanten Aussagen mit dem dogmatischen Katholizismus sondieren möchte, rückt Des Bosses, der damals seit mehr als drei Jahren Kontroverstheologie am Hildesheimer Jesuitenkolleg unterrichtet, zum Berater in heiklen dogmatischen und kontroverstheologischen Problemen auf. Er bekräftigt sogleich sein Interesse, die »Anmerkungen zu Bayle« zu lesen – »was ich so sehr wünsche, dass ich sterben könnte«¹⁷⁶ – und bietet auch an, das Werk an einen Verleger zu vermitteln. Dass Gerhardt manche Stelle über diesen »Lütticher Drucker« Bronckart unterschlägt, der vor der religionspolitisch heiklen Publikation der Theodizee kalte Füße bekommt, ist bedauerlich;¹⁷⁷ immerhin geht es um die Entstehungs- und Publikationsgeschichte eines der großen Werke der Philosophiegeschichte. Eingebettet ist die briefliche Kommunikation über die opulenten, Ende 1710 erscheinenden »Essais de Théodicée« in die akuten Kontroversen um den Jansenismus und den darüber hinausreichenden sog. Gnadenstreit.¹⁷⁸ Die Prädestinationslehre nach dem späten Augustinus, gegenüber der pelagianischen Eigenständigkeit menschlichen Willens, war nicht bloß wegen des reformatorischen
¹⁷⁶ Nr. 47, 28. 11. 1708, S. 120. ¹⁷⁷ Vgl. den Anfang von Nr. 51, 22. April 1709. Wie über das Register ohnehin nachzuvollziehen, wird Bronckart erstmals am 28. 11. 1708 (Nr. 47) erwähnt und monatelang bis zu seiner Absage in Betracht gezogen (Nr. 49, 50, 52, 55); Ende Juli 1709 spricht Leibniz bereits vom Wechsel zu einem holländischen Drucker (Nr. 56). Für die mitunter parallel zur Theodizee verhandelte »Päpstin« wird in Nr. 65 ebenfalls ein neuer Drucker genannt. ¹⁷⁸ Zu Geschichte und Problematik des Jansenismus vgl. u. a. Cottret in GC 9, a. a. O.; Cognet in HKG 5, a. a. O. S. 26–64 und 409–460; Rogiers. Im Übrigen vgl. auch das Register mit Querverweisen.
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Kirchenschismas (siehe Calvinismus), sondern auch innerkatholisch umstritten. Zur Lösung der teils theologischen, teils philosophischen, teils politischen Frage nach der menschlichen Freiheit oder Prädetermination bot Leibniz ein differenziertes System auf, das er den »Odiosa« der Streitparteien entgegenhielt – innerkatholisch anfänglich ein Streit zwischen Dominikanern und Jesuiten, der seit der 1592 eigens eingesetzten, 1607 aufgelösten »Congregatio de Auxiliis« bis zur Bulle »Unigenitus« vom September 1713 und noch länger an Heftigkeit, Energie, Verfolgungs- und Subversionsphänomenen seinesgleichen sucht. Das Konzil von Trient (1545–1563) hatte bestimmt, dass Gott den menschlichen Willen bewege, doch offen gelassen, in welchem Sinn.¹⁷⁹ Die Dominikaner argumentierten mit der thomistischen, teils augustinischen Lehre von der physischen Vorherbestimmung, praemotio physica, des menschlichen Willens durch Gott; die Jesuiten mit der Vereinbarkeit von universaler Determination und freiem menschlichem Willen durch den Begriff des »mittleren« Vorherwissens (scientia media), der von Pedro da Fonseca und Luis de Molina im 16. Jahrhundert entwickelt worden war. Trotz kirchlichem Diskussionsverbot (1611) präsentierte der noch vor Mitte des siebzehnten Jahrhunderts gestorbene niederländische Bischof Cornelius Jansen, anschließend an den Augustinismus von M. de Bay (Bajus), in dem mächtigen dreiteiligen Folioband »Augustinus« (postum 1640) eine Untermauerung der Prädestinations-, Auserwählungs- und Gnadenlehre durch umfassende Dokumentation aus den Texten von Augustinus; den Jesuiten wurde Laxismus, »Semipelagianismus« und Probabilismus, kurz: rückgratlose Anpassung der Moral und Religion an säkulare Zwecke, vorgeworfen. Die römische Kurie entschied jedoch rasch mit allen Konsequenzen gegen die Lehre Jansens, für die Jesuiten.¹⁸⁰
¹⁷⁹ Vgl. Wetzer/Welte 3, Sp. 915. ¹⁸⁰ Folgende, auch in vorliegenden Briefen wiederholt gegenständliche, »fünf Sätze« von Jansen (in Wahrheit formuliert vom gegnerischen Syndikus N. Cornet für die Sorbonne) wurden erstmals 1649 verurteilt: 1. Einige Gebote Gottes sind selbst für gerechte, gutwillige und bemühte Menschen unerfüllbar, mangels momentan verfügbarer Kräfte und Gna-
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Der daran knüpfende öffentliche Streit lebte von der Verwirrung, welche Meinung Jansen nun tasächlich vertrat (quaestio facti), welche er zu Recht und welche zu Unrecht dem Augustinus zuschrieb, und welche davon mit dem orthodoxen Dogmensystem übereinstimme oder ketzerisch sei (quaestio juris) – außerdem, ob und in welcher Form die Kirchenautorität Unterwerfung unter ihre Lehrmeinung verlangen könne, ob dann insbesondere gehorsames Stillschweigen genüge, oder äußere Abschwörung oder gar die innere Zustimmung erzwungen werden müsse, und wie diese wiederum überprüft werden könne. Kurz, es ging bis ins Einzelne um Grundfragen der Disziplinierung, Gedankenfreiheit und Zensur, zumal auch der Staat entsprechende Verfügungen mit der Kirche vereinbarte und abstimmte. Immerhin zählte Leibniz von den verfolgten »neuen Augustinusschülern«, Jansens Anhängern, einige der prominentesten, wie Arnauld und Quesnel aus der zentralen Gruppe um Port Royal (auch Blaise Pascal, Nicole, Gerberon waren Teil dieses Kreises), zu seinen Bekannten oder Freunden. Seiner Verachtung von Ranküne und Intoleranz – in Teil III der Theodizee, die ja insgesamt die Lehre zum Freiheitsproblem vorstellt, diplomatisch gezügelt¹⁸¹ – lässt er in den Briefen freien Lauf, was unter anderem in dem Schreiben vom 21. Juli 1707 und an den unsicheren Adressaten von Ende 1707¹⁸² vehement zum Ausdruck kommt, und auch de. 2. Im Zustand der gefallenen Natur stößt die innere Gnade auf keinen Widerstand. 3. In eben demselben Zustand ist für Verdienst und Missverdienst menschlichen Handelns und Wollens nur die Freiheit von äußerem Zwang, nicht Freiheit von innerer Nötigung erforderlich. 4. Die Semipelagianer erklärten richtig eine den menschlichen Akten (auch der Konversion zum Glauben) zuvorkommende innere Gnade für notwendig, irrten aber darin, dass der menschliche Wille diesen Akten widerstehen könne. 5. Die Behauptung, Christus habe für alle Menschen den Tod erlitten und sein Blut vergossen, ist semipelagianisch (also ketzerisch). – Nach Cognet, a. a. O. S. 42. Vgl. auch Frémont, S. 128 f. ¹⁸¹ Vgl. Theodizee III zu Jansenismus und Augustinismus ab § 280, und Teil I § 41; zur Freiheitsproblematik dort ab dem § 264, essentiell jedoch ab den Anfangsparagraphen von Teil I. ¹⁸² Vgl. Nr. 23 und 26 a.
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einiges Licht auf die unterschiedliche Haltung wirft: hier der um die alleinseligmachende religiöse (katholische) Lehre besorgte, den Balken im eigenen Auge zu verkennen drohende Des Bosses,¹⁸³ der Leibniz mit vermeintlich moderater antijansenistischer Literatur beschickt; da der diesbezüglich unnachgiebig aufklärerische Leibniz, der die Autorität in guter scholastischer Tradition an der »wächsernen Nase«¹⁸⁴ fasst: »[D]ie eigene [Ansicht] zu erpressen und mit immer mehr Proskriptionen, Fesseln, Galeerenstrafen und noch schwereren Übeln zu wüten, halte ich nicht für erlaubt […] was ist das anderes als eine Art von Gewalt[…]? Je besser […] jemand ist, umso mehr leidet er unter dieser Tyrannei. […] Lassen Sie sie […] in den Urwald zurückkehren, lassen Sie sie schreiben […]; mit gleichen Waffen, nicht durch Gewalt und Angst müssen Irrtümer zu Fall gebracht werden. Lassen Sie sie auch Irrtümer behaupten, das ist unter diesen Umständen das kleinere Übel, als so zu agieren.«¹⁸⁵ Leibniz’ Konzeption der »place d’autruy«¹⁸⁶, Jahre zuvor als »der wahre Gesichtspunkt in der Politik wie in der Moral« entworfen, sucht hier eine ebenso leidenschaftliche wie in die Metaphysik hineinreichende, theoretische wie praktische, Bewährung: »Sich an die Stelle des anderen zu versetzen« findet allerdings als »Vorschrift von Jesus Christus« die ontologische Entsprechung exakt in der trans-
¹⁸³ Vgl. Leibniz’ Warnung »Trotzdem wird vielleicht derjenige mehr Lob verdienen, der für seinen Teil auch dann handelt, wenn ihm seine Humanität nicht vergolten wird« in Nr. 23, S. 74. ¹⁸⁴ Nr. 19, S. 62. ¹⁸⁵ Vgl. S. 75. ¹⁸⁶ Vgl., auch die folgenden Zitate des Absatzes, Leibniz: La Place d’autruy. In: AA IV·3, S. 903 f.; dt.: Der Platz des anderen. In: Politische Schriften II, Hrsg. H. H. Holz, a. a. O. S. 136 f. Der knappe Text entstand vermutlich um 1679, als Leibniz in ökumenische Rekonziliationsgespräche mit Rojas y Spinola, dem Bischof von Wiener Neustadt, eingebunden wurde.
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monadischen Erklärung der Transsubstantiation, im Austausch der Supposita durch die Konzeption des vinculum substantiale. So weit konnten sich beide Briefpartner, trotz auch philosophischer Gegensätze, was die präzise Ontologie des »Bandes« betrifft, durchaus verständigen. Ohnehin hält die Kontroverstheologie, die Des Bosses ex professo oblag, schon im ersten Jahr, 1706, in den Briefwechsel Einzug. Ab dem 21. Mai,¹⁸⁷ als Des Bosses auf eine Büchersendung Leibniz’ u. a. zu kontroversreligiösen Themen, samt der Broschüre von Leibniz / Pellisson über die Religionstoleranz (1692), antwortet, erweitert sich die Thematik der Korrespondenz entscheidend um dieses Feld. Die Briefe 19 bis 23 sind dem dogmatisch-polemischen Streit über das Gnadenthema großteils gewidmet, Nr. 33 greift es anhand des literarischen Titels »Geist des tridentinischen Konzils« des Jesuiten Lévine de Meyer wieder auf. Zudem durchzieht es in der verqueren Spur des zeitweise verloren gehenden »Wahren Geistes der neuen Augustinusschüler« von Lallemant S J unübersehbar seit Juni 1707 die Brieftexte¹⁸⁸. Jansens »Augustinus« und seine Anhänger werden nur vorübergehend Ende 1708 aus der Debatte ausgeblendet.¹⁸⁹ Ein anderer Faden der Textur dogmatischer Kontroverse ist die »Concordia Scientiae cum fide« des geheimnisvollen Bonartes, den Leibniz stützend einflechten zu wollen scheint, da er auch eine Brücke zum Thema der Eucharistie schlägt. Das aufflammende Interesse ist wohl durch die aktuelle Problemkonstellation zu erklären, da Leibniz den Text bereits Jahrzehnte früher studiert hatte, während er jetzt die Gelegenheit ergriff, Des Bosses als Detektiv zur Aufdeckung des pseudonymen Autors (wohl der Jesuit T. Barton) einzuspannen – sechzehn Monate lässt er nicht locker, bis Des Bosses mit einer entsprechenden Information aufwartet.¹⁹⁰
¹⁸⁷ Vgl. Nr. 7. ¹⁸⁸ Vgl. Nr. 22, vor allem bis Nr. 38 und 40, wieder Nr. 60. ¹⁸⁹ Vgl. Nr. 41, 43, 44, 45, 46 (P. S.), 47. ¹⁹⁰ Vgl. vom Juli 1707 bis November 1708: Nr. 23 (S. 72) – Nr. 47 (S. 117).
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Nach Rückgang, doch nicht Verschwinden des Gnadenthemas¹⁹¹ lebt die Diskussion wieder stark im Jänner 1711 durch Des Bosses auf ¹⁹² und gerät mit Nr. 80 bis 83 in konkreten Bezug zur Theodizee. Schon in deren Entstehungsstadium hatte Leibniz 1708 die Absicht geäußert: »Ich bin jetzt dabei, dass so manche Turbulenzen wieder ins Reine gebracht werden«¹⁹³, und sieht sich nun mit seiner eigenen Position, gleichsam als verkannter Cupido, in der öffentlichen Polemik stehen: »[…] man rüstet […] zum Krieg gegen mich«¹⁹⁴. Bis Juni 1712 verfolgen die Korrespondenten mehr oder weniger distant die polemische Debatte um Jansen¹⁹⁵, in der sich diverse Bischöfe mit Pastoralmandaten wiederholt zu Wort melden.¹⁹⁶ Erst ab Frühjahr 1714 geht es dann wieder um neue Augustinismus-Literatur:¹⁹⁷ eine Verdichtung erfolgt in dem »Wirbel um die Promotio physica«¹⁹⁸ (mit der Abhandlung des Thomisten Boursier), sodass Leibniz auf die praedeterminatio oder auch prae- oder promotio physica mit einer äußerst kurzen Kritik des dort zugrunde gelegten Handlungsbegriffs repliziert.¹⁹⁹ Während Des Bosses jetzt die lateinische Übersetzung der »Lettres d’un Abbé« des Jesuiten G. Daniel in Angriff nimmt,²⁰⁰ in denen die antijansenistische Bulle »Unigenitus« (Papst Clemens’ XI .) vom September 1713 verteidigt wird, bleibt Leibniz besorgt bei seiner distanten Einschätzung, auch gegenüber dem sonst respektierten Bischof Fénelon, erkundigt sich auf der Suche nach besseren Vermittlungswegen nach der kritischen Konzilien-
¹⁹¹ Gestreift u. a. als Literaturtitel zu Quesnel in Nr. 66, 70, 73, 75. ¹⁹² Vgl. Nr. 77 und 78. ¹⁹³ S. 111 (Nr. 44) ¹⁹⁴ S. 215 (Nr. 85) ¹⁹⁵ Vgl. Nr. 84, 87, 88. ¹⁹⁶ Vgl. Nr. 90, 91, 93 bis 95 (näherhin S. 241). ¹⁹⁷ Vgl. Nr. 113, 116, 117, 119 und 120. ¹⁹⁸ Nr. 117 vom 30. 12. 1714, S. 313. ¹⁹⁹ Das Statement S. 316 (Nr. 120) lautet, dass »Handlungen nicht absolute Dinge, sondern Modifikationen der Entelechie oder ursprünglichen Strebung sind«. ²⁰⁰ Vgl. Nr. 121, 122, 124.
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geschichte des Jesuiten Hardouin und kritisiert seinerseits in dem letzten Brief zu diesem Thema nochmals scharf die seines Erachtens falsch gehandhabte Zensur.²⁰¹ Auch unter dem Gesichtspunkt des heißen Gnadenstreits wird nun der bekannte Brief Nr. 52 vom April 1709 bedeutsam als erste größere Synthese, die das Thema der Zeit (Herkunft – Zukunft) aus der Gnaden- und Prädeterminationsdebatte mit der metaphysischen Frage der »Union«, der naturphilosophischen der »Entelechie« und Lebewesen allgemein sowie der mathematischen bzw. physikalischen Punkte resp. Atome zusammenführt: Gefragt wird so auch nach Dauer und Entstehungszeit, Präexistenz und Neuschaffung der Monaden. Nr. 55 und 56 schließen an, die Lehre von »Wesensgraden« wird in ihrem Verhältnis zur Freiheit, Fortpflanzung oder »Umschaffung« diskutiert. Später wird auch Hartsoekers Naturphilosophie mit der Freiheitsfrage konfrontiert.²⁰² Leibniz’ Tendenz, die Kontingenz (auch des Zukünftigen) aus den einzelnen Ereignissen hinaus an den Ursprung der Welt insgesamt, als der gesamten »Reihe« von Dingen und Naturgesetzen, zu verlagern und einem göttlichen Urheber zu überlassen, geht einher mit der Reduktion aller Prädikate in die analytische Einheit des »Inesse in subjecto«, wonach also im Begriff eines Subjekts alle seine zeitlich variablen Prädikate, seine Veränderungen und Zustände, schon enthalten seien, es mit ihnen »schwanger« sei – geht m. a.W. einher mit der Monadologie. Auf dem monadologischen »Inesse«²⁰³ beruht
²⁰¹ »Nie haben mir die zu allgemeinen Zensuren gefallen, durch wel-
che Menschen niedergedrückt, nicht belehrt werden« und die »oft den Vorwand dafür abgeben, gute und gelehrte Männer zu quälen.« Nr. 127, S. 341. – Zu den polemischen Druckschriften wie Fénelons Hirtenbrief gegen die Jansenisten vgl. die Briefe Nr. 121, 122, 124, 126 bis 128. Zu Leibniz’ prinzipiell positiver Einschätzung der Zensur als Institution vgl. Nr. 10, S. 37. ²⁰² Vgl. Nr. 88. ²⁰³ Vgl. zum »Inesse« – wie auch oben – dessen Einbindung in Leibniz’ Scientia generalis (u. a. skizziert bei Martin Schneider: »Inesse« bei Leibniz, a. a. O.), ebenso die Untersuchung der leibnizschen Relationslogik allgemein durch Mugnai, a. a. O.
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erst die Möglichkeit der Einrichtung einer besten Welt als Auswahl unter mehreren möglichen Welten. Das Problem ist aber, dass diese »harmonische« Welt des ursprünglichen seriellen Aufeinander-abgestimmt-Seins der Dinge und Substanzen auch bloß eine Welt der Phänomene sein kann,²⁰⁴ und jede Kausalität und Wechselwirkung dabei logisch auf Implikation reduziert wird.²⁰⁵ Im Hinblick auf die Realität empirischer, körperlicher Dinge wie auch auf die geschichtlichen Ereignisse bedarf es daher eines Realitätsprinzips, das im Konzept der »Reihen« keinen Platz hat. Ob die Erfassung der Realität tatsächlich nur mehr göttliche Angelegenheit des Allwissens (Scientia Visionis) ist, wie Leibniz zunächst und zumeist erklärt²⁰⁶ – in der Theodizee wird unter dieser Art des Wissens übrigens das Wissen aller tatsächlich eintretenden Ereignisse in der Welt verstanden²⁰⁷ –, mag wegen des massiven Realitätsverlusts auf anthropologischer Seite in Zweifel stehen. Jedenfalls beginnt so Des Bosses’ und Leibniz’ Erörterung der realen Einheit zusammengesetzter Entitäten auch die metaphysische Struktur der Theodizee zu umranken. Ins konkrete Projekt der Theodizee steigt Des Bosses wieder mit Einwürfen und Korrekturen an dem inzwischen angelaufenen (Fahnen-)Druck Ende Oktober 1709 ein, im Jänner 1710 befasst ihn Leibniz mit den Druckfahnen der Einleitenden Abhandlung.²⁰⁸ Das Erscheinen gegen Ende 1710 hindert Des Bosses nicht, weitere kritische Kommentare zu seiner Lektüre abzugeben (Nr. 76, 77). Ab September 1711 geht die Kooperation einen Schritt weiter: Die Übersetzung aus dem Französischen ins Lateinische wird von Leibniz nahezu unmerklich eingefädelt.²⁰⁹ Nr. 86 und 87 belegen Des
²⁰⁴ »Aus der Harmonie kann nicht bewiesen werden, dass etwas anderes in den Körpern ist als Phänomene«, so Leibniz in Nr. 94, S. 244. ²⁰⁵ Zur Reduzierung des Kausalitätsbegriffs vgl. bes. Monadologie §§ 49–63. ²⁰⁶ Vgl. bes. die Beilage zu Nr. 89, S. 233, und Nr. 103 (S. 288); zuvor Des Bosses’ Bezug auf die Theodizee und Suarez in Nr. 77 (S. 199). ²⁰⁷ Vgl. Leibniz: Theodizee I § 40. ²⁰⁸ Vgl. Nr. 64 bis 66, bes. 25. 10. 1709 und 18. 1. 1710 (S. 163 ff.). ²⁰⁹ Vgl. den Schluss des Briefs Nr. 83 vom 7. 9. 1711, S. 212 f.
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Bosses’ Zögern, Leibniz’ Aufmunterung, das langsame Anlaufen der Übersetzung. Ab Nr. 97 ist der mittlerweile rasche Fortschritt (noch 105) bezeugt, dann kommt die Sache auf einer postalischen Odyssee des fertigen Übersetzungsmanuskripts ins Schlingern (bis 117, 118), bis Leibniz es durchliest, korrigiert (123) und zurücksendet (125)²¹⁰; im Frühjahr 1716 berichtet Des Bosses (128): »hochgelehrte Männer sehen sie durch«²¹¹. Diese Durchsicht, wie auch allgemein die katholische Kritik, auf die Des Bosses weitestmöglich einzugehen sucht, wird das Ihre dazu beigetragen haben, dass die lateinische Edition mit einigen Zusätzen, im Übrigen ohne Nennung des Übersetzers, erst 1719 herauskam. In der Einleitung dieser Ausgabe zitiert Des Bosses aus den eingeholten Erkundigungen ausführlich: einen Ungenannten (vielleicht den jesuitischen Rezensenten de Vitry), den Kardinal Tolomei und die womöglich von Tournemine oder einem anderen Mitarbeiter verfasste Besprechung aus dem »Journal de Trévoux« vom Juli 1713. Die Fragen nach dieser letzteren, erst mit Verzögerung erscheinenden, dann jedoch über ein ganzes Jahr (1714) nicht und nicht bei Leibniz eintreffenden Theodizee-Rezension der »Mémoires de Trévoux«²¹² beginnen bereits Anfang 1712²¹³; im Jänner 1715 geht Des Bosses direkt auf die Kritik ein, um Leibniz katholische Munition zur Verteidigung seiner Lehre zu liefern, dass Gott moralisch zum Besten genötigt sei und das menschliche Handeln gemäß einem überwiegenden Vernunftgrund erfolge.²¹⁴ Wie weit Leibniz’ Auffassung der menschlichen Freiheit, ihr Zusammenstimmen mit dem nahezu »mittleren« Vorherwissen Gottes, der die Handlungen zwar vorhersehe, aber nicht mit physischer Notwendigkeit prädeterminiere (was aber nun in der »Prästabilierung« der Serien von Dingen und ihrer Harmonie begründet sei), Des Bosses zufrieden gestellt hat, ist dennoch schwer zu sagen. Der besagte aufwendige
²¹⁰ Vgl. S. 335. ²¹¹ S. 348. ²¹² Vgl. Nr. 86, 109 (S. 301), 111, 112, 114, 115, 116. ²¹³ Vgl. Nr. 88. ²¹⁴ Vgl. Nr. 118, S. 314.
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Apparat der Theodizee, um das geschichtliche – ohnehin das natürliche – Geschehen als Ausfluss radikaler Vollkommenheit erklären zu können, scheint zumindest in wesentlichen Einzelheiten aus der Sicht von Des Bosses dogmatisch abgeklärt und für gut befunden, wie die 1719 erschienene lateinische Übersetzung dokumentiert. In eigener Sache verteidigt dort Des Bosses die Verträglichkeit der leibnizschen Lehren mit der katholischen Orthodoxie, was hier im Einzelnen zu weit führen würde.²¹⁵ Summarisch gilt das in der »Vorbemerkung« erörterte katholische »non placet« folgenden Punkten: 1. Welche Art von Notwendigkeit bestimmt Gott zur Wahl des Besten? Existiert die bestehende Welt notwendig? Des Bosses verteidigt den leibnizschen Begriff der moralischen Notwendigkeit (des Kontingenten), der im Gegensatz zur metaphysischen oder logischen oder absoluten Notwendigkeit steht.²¹⁶ 2. Welchen aktiven Anteil hat der Mensch am eigenen Heil? Problem der Konversion. Der Vorwurf der Passivität, analog zum brechenden Eis, wird durch den Hinweis auf die substantielle Dynamik auch in der physischen Materie bei Leibniz zurückgewiesen.²¹⁷ 3. Weitere diskriminierte Positionen Leibniz’ sind: Das »mittlere Wissen«, als Voraussicht kontingenter und bedingter Taten, würde Grund zur allfälligen Verweigerung von Gnade liefern.²¹⁸ 4. Lohn und Strafe wären auch bei völliger Prädetermination nützlich.²¹⁹ 5. Die Verknüpfung von menschlicher Seele und organischem Körper bestehe seit Anbeginn der Welt.²²⁰
²¹⁵ Gegen die Einwände und Bedenken der katholischen Kritiker zieht Des Bosses eine Reihe anderer katholischer Autoritäten und Zeugnisse zur ausführlichen Verteidigung Leibniz’ heran. Vgl. »Monitum Interpretis«, a. a. O., bes. S. *[9–40]; die folgenden acht Beanstandungen vgl. S.*[7]. ²¹⁶ Vgl. ebd. S. *[9–14]. ²¹⁷ Vgl. Brief Nr. 130, S. 358 f.; Monitum S. *[14–20]. ²¹⁸ Vgl. Theodizee I § 40 ff.; Monitum S. *[20–24]. ²¹⁹ Vgl. ebd. *[24–27]. ²²⁰ Vgl. ebd. S. *[27 f.]
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6. Es gibt kein rationales Geschöpf ohne organischen Körper und keinen Geist losgelöst von Materie. Das »non placet« hiergegen betrifft insbesondere die Engelslehre.²²¹ 7. Es gibt eine nahezu unendliche Anzahl von nicht-menschlichen rationalen Geschöpfen im Kosmos.²²² 8. Leibniz lobe die Häretiker zu sehr. – Hier wäscht Des Bosses seine Hände als Übersetzer in Unschuld: die Treue zur Vorlage sei einer bereinigten Fassung an Glaubwürdigkeit weit vorzuziehen.²²³ Namentlich zu 1, 2, 5 und 6 zitiert Des Bosses in dieser Apologie Passagen aus Leibniz’ vorliegenden Briefen.²²⁴ Im öffentlichen Dickicht der strittigen Aussagen und Begriffe, in dem über die Bedeutung von Frei, Notwendig, Zufällig und Möglich kein Konsens mehr erzielt wird²²⁵, lieferten die schriftlichen Mitteilungen anscheinend aus der Sicht des Experten Des Bosses einen beständigeren Ertrag, der den Drucktext der Theodizee nachträglich zu erhellen vermochte. Da der Punkt sechs einen erheblichen Aspekt zum thematischen Herzstück der Korrespondenz: der körperlichen oder unkörperlichen Substanz ausführt, nämlich die in der Rezeption kaum veranschlagte Engelslehre, ist er übersetzt in den Anhang, als Nr. 8, aufgenommen.
d) In Sachen China Zwischen dem weltkundigen Gelehrten-Philosophen und dem interessierten Mitglied des global tätigen Jesuitenordens kommen die »chinesischen Angelegenheiten« eindringlich zur Sprache,²²⁶ wie ja
²²¹ Vgl. ebd. S. *[28–36]. ²²² Vgl. ebd. S. *[36 -39]. ²²³ Vgl. ebd. S. *[39 f.] ²²⁴ Wie auch bei den Brieftexten angemerkt, handelt es sich um die Briefe Nr. 12, 14, 16, 60, 78, 96, 125, 130. ²²⁵ Vgl. Nr. 26a, 38, 41 (S. 106); ebenso, später, Theodizee III, § 280. ²²⁶ Es handelt sich um vierzig der vorliegenden Briefe, in denen Fragen der Chinamission oder der chinesischen Philosophie und Kultur erwähnt,
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generell die leibnizsche Korrespondenz zum Thema China als nicht versiegende Quelle der Kultur-, und speziell der Missionsgeschichte gilt.²²⁷ Zum einen verfolgen die beiden kritisch das aktuelle äußere Geschehen: das Scheitern der christlich-europäischen Mission, weil die römische Kirche – eine protestantische Mission war noch nicht etabliert²²⁸ – die von den Jesuiten (bedingt) vertretene Akkommodation der Christen an chinesische Bräuche²²⁹ untersagt, der chinesische Kaiser wiederum ausschließlich diese »jesuitische« Methode der Religionsverbreitung erlaubt hat. Zum anderen lanciert Leibniz, anknüpfend an seine vielbeachtete Veröffentlichung der »Novissima Sinica« und andere Studien²³⁰, im August 1709 (Nr. 57, Bei-
gestreift, kommentiert oder ausführlich erörtert werden: Nr. 51, 52, 54, 55, 57–61, 64–71, 73–74, 76–81, 89, 91–94, 99, 104, 106, 111–112, 123, 126–128, 130(vgl. genauer das Register). Hervorzuheben sind Nr. 57 und 76. ²²⁷ Vgl., auch über Leibniz hinausgreifend, mit weiteren Literaturhinweisen die in der Bibliographie verzeichneten Arbeiten und Sammelbände von: Collani; EC s. v. »Neoconfucianism« und weitere Einzelartikel; Geldsetzer/Hong; Gernet 1984; Kern; Leibniz: Abhandlung, De cultu Confucii, Discours 2002, Discourse 1977, Novissima Sinica; Li 2000; Li/ Poser (Hrsg.) 2000; Loosen; Mungello; Widmaier. Material zur Missionsgeschichte liefern bes. Pfister, Dehergne und DHCJ für die Jesuiten, Biermann für die Dominikaner. Hinzuweisen ist im Besonderen auf die zweisprachige Neuausgabe (mit dt. Übersetzung und Kommentar) von Leibniz’ Briefwechsel mit den Jesuitenmissionaren durch Rita Widmaier (erstmals 1990, a. a. O.): Hamburg 2006. ²²⁸ Die protestantische Mission fasste in China erst ab dem Engländer R. Morrison zu Beginn des 19. Jhs. Tritt, nachdem ein Intermezzo der Holländer auf Formosa / Taiwan bereits 1662 zu Ende ging. Vgl. u. a. Max von Brandt, a. a. O.; zu Leibniz’ diesbezüglichen Vorstellungen u. a. Widmaier: Leibniz’ verborgene Botschaft, a. a. O. S. 41 ff. ²²⁹ Nicht toleriert wurden auch von den Jesuiten viele Zeremonien (Nahrungsspenden, Verbrennen von Papiergeld am Ahnenaltar, Gebete beim Konfuziuskult), Glaube an Präsenz (Holztafeln) und Hilfe der Verstorbenen u. v. a. Vgl. Li 2000 S. 331. ²³⁰ Das Werk erschien 1697 und in zweiter Auflage 1699. Siehe Leibniz: Novissima Sinica / Das Neueste von China… Hrsg. H. G. Nesselrath, H. Reinbothe, a. a. O. Vgl. daneben bes. Leibniz: Explication de
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lage) eine inhaltliche Auseinandersetzung mit chinesischer Kultur und mit dem, was in Europa als das überlieferte chinesische Denken bekannt, de facto neokonfuzianische Systematik und Hermeneutik war, gebrochen durch die Übersetzungen vor allem jesuitischer sowie franziskanischer u. a. Missionare. Das Dokument²³¹, von Des Bosses als Wasser auf die Mühlen der jesuitischen Sache begrüßt und weitergeleitet, ist ein Zwischenglied auf dem Weg zu Leibniz’ großer Abhandlung über die Philosophie und Theologie der Chinesen von 1715/16²³²; wie die »Abhandlung« rechnet es damit, dass das chinesische Denken in die europäische (christliche, leibnizsche) Philosophie integriert werden könne. Die Frage, ob Deus, Gott, mit dem chinesischen Shangdi, Tianzhu oder Tian, Himmelsherr oder Himmel, übersetzt werden dürfe, ist nur ein besonders vordringliches, theologisches Indiz der hermeneutischen Problematik.²³³ Hier steht aber auch die These im Raum, dass Leibniz – ganz abgesehen von der Zusammenschau des leibnizschen Binärsystems mit den Tri- oder Hexagrammen des Yijing –, seit seinem Kontakt l’Arithmétique Binaire … sur … le sens des anciennes figures Chinoises … (1703), a. a. O. (siehe Register: Leibniz·Werke); De cultu Confucii civili (1700/1701). Hrsg. Klutstein-Rojtman, Zwi Werblowsky, 1984, a. a. O. ²³¹ Kritische Ausgabe unter »Annotationes de cultu religioneque Sinensium« in Discours 2002, a. a. O. ²³² Hier bezeichnet als »Dissertatio de Theologia Sinensium naturali«, beendet in den letzten Dezember- oder ersten Jännertagen, vgl. Nr. 127 (S. 340). Kritische Ausgabe: Leibniz: Discours sur la Théologie Naturelle des Chinois. Hrsg. Li, Poser (2002), a. a. O.; ferner ders.: Discourse on the Natural Theology … [engl.]. Ed. Rosemont, Cook (1977), a. a. O. – Abhandlung über die chinesische Philosophie [dt.]. Hrsg. Loosen, Vonessen (1967), a. a. O., jeweils mit Kommentaren und weiteren Literaturhinweisen. ²³³ Als »Figurismus« betrieb diese prinzipielle Ausdeutung chinesischer Begriffe durch christlich-biblische Konzepte Leibniz’ Briefpartner J. Bouvet; über ihn Collani: P. Joachim Bouvet SJ, a. a. O., und dies. (Hrsg.): Eine wissenschaftliche Akademie für China, a. a. O. – Parte pro toto seien hier von den Missionsprotagonisten außerdem M. Ricci und F. Noël auf der einen, Tournon, Maigrot, Provana, Santa Maria oder Longobardo auf der anderen Seite erwähnt (siehe auch Register mit weiteren Querverweisen).
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mit dem Jesuitenmissionar Grimaldi in Rom 1689, die Monadologie unter dem Einfluss chinesischen Denkens auszuarbeiten begonnen habe: dafür sprächen Analogien zwischen dem Begriff der Monade und dem neokonfuzianischen »Li«²³⁴ als ebenso universalem wie individuellem Ordnungsprinzip, wie dies E. R. Hughes²³⁵ oder J. Gernet²³⁶ vorgetragen haben. Ohne hier näher darauf eingehen zu können, ist dem entgegen zu halten, dass in der Korrespondenz mit Des Bosses ja die (wie auch immer indirekte) Rezeption chinesischer Philosopheme mit der Revision der Monadologie durch das »vinculum substantiale« einher geht. Hierzu müsste allerdings, wenn ein Desiderat im Philosophienvergleich hier angemeldet werden darf, die Spur der bereits um 1630 – gewissermaßen im ersten Gegenzug – publizierten chinesischen Übersetzung²³⁷ der Aristoteleskommentare der jesuitischen »Conimbricenser« aufgenommen werden. Denn dort war der Begriff des »Bandes« bei der Diskussion des Verhältnisses von Teil und Ganzem, Form und Materie, Geist
²³⁴ »Li« bedeutet hier wohl – ganz anders wiederum der buddhistischchinesische Begriff des Li als einer absoluten Indifferenz – Wesensstruktur der Dinge; vgl. die orientierenden Artikel in REP 5, EC, Geldsetzer/Hong 1986, S. 49 f., wobei allgemein die Bedeutung von »Muster«, auch mit der Konnotation von »Idee«, vorgestellt wird. Eine kritische Darstellung der Interpretation dieses Begriffs von »Li« in seiner Problematik ist nicht Sache vorliegender Ausgabe. Zum Einfluss auf Leibniz vgl. die Erwähnung bei Hsia, Adrian: Das Chinesien bei Leibniz und Max Weber. In: Li/Poser (Hrsg. 2000), a. a. O. S. 348. Kritisch zum vorgeblichen Einfluss dieses und anderer chinesischer Begriffe auf leibnizsche insbesondere Chan, WingCheuk: Leibniz and the Chinese Philosophy of Nature, a. a. O., bes. S. 212– 216 und 223, der dafür andere Analogien ins Spiel bringt. Vgl. auch die kurze Darstellung in Anm. 145 zu Brief Nr. 57. ²³⁵ Vgl. Hughes’ Einführung zur Übersetzung des »Great Learning« sowie in »Mean in Action«, nach Hsia in: Li/Poser (Hrsg. 2000), a. a. O. S. 348. ²³⁶ Vgl. z. B. Gernet CW S. 444. ²³⁷ Übersetzt vom christlichen Konvertiten Li Zhizao, dessen Sohn und dem Jesuiten F. Furtado. Vgl. EC; Li 2000, S. 591 Fn. 6; DHCJ 2; sowie Register: Chinesen.
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und Körper eingeführt und bestimmt worden.²³⁸ Und auch darüber hinaus lag etwa mit der chinesischen Suarez-Übersetzung durch Zhou und Martini S J (Mitte 17. Jahrhundert) eine »peripatetische« Ausdrucksmöglichkeit im Chinesischen vor, die (jetzt wieder umgekehrt) für Leibniz’ Begriff des Bandes, aber auch der Monaden als substantielle Formen und Entelechien, als aktive und passive erste Potenzen,²³⁹. nicht gerade ohne Interesse sein durfte. Eine weitere Frage ist, ob Leibniz neben den Verzerrungen Longobardos und Santa Marias – abgesehen von Bouvet und, früher, Athanasius Kircher – nicht doch noch anderen Quellen über chinesische Philosophie auf seine Metaphysik (Erste Philosophie) hat wirken lassen. In der wechselweisen Eurozentrik des 17./18. Jahrhunderts und Sinozentrik der frühen Qing-Dynastie stand die grundsätzliche Frage der Übersetzbarkeit von Metaphysik allerdings nicht wirklich zur Debatte. Was Leibniz betrifft, erhebt er vielmehr den Anspruch auf ein Interpretationsmonopol: »[…]da die Philosophie der Chinesen nie in die Form einer Wissenschaft gebracht worden ist und ihnen […] auch die philosophischen Wörter fehlen, hindert nichts, im guten Sinne aufzufassen, was die Alten bei ihnen über göttliche und geistliche Dinge lehren.«²⁴⁰ Dieser »gute Sinn« ist doppelbödig, da
²³⁸ Vgl., wie oben, Boehm: Le ›vinculum substantiale‹ …, a.a.O., S. 40 f. et passim. Die chinesische Übersetzung (Mingli tan, 1631) enthielt auch die 1592 erschienenen Physik-Kommentare der Conimbricenser (vgl. DHCJ 2, S. 1544), welche von Boehm als Quelle für das »Band« zitiert werden. (Zu den »Commentarii« vgl. DHCJ 1, S. 923 f.; SOVO 2, 1273–1278 und REP 2, S. 407 f.) Von Interesse wäre etwa, wie das »Band« im Chinesischen dort wiedergegeben wird, wie die Übersetzung von zeitgenössischen und späteren Chinesen rezipiert wird, welche Rolle der entsprechende Term in der (neo)konfuzianischen Tradition spielt und welche in anderen chinesischen Traditionen, und welche Schlüsse sich daraus für die (Nicht-)Vereinbarkeit der europäischen, aristotelisch-ontologischen Metaphysik mit chinesischen Systemen und die Universalität von Metaphysik überhaupt, und schließlich von Philosophie überhaupt ziehen lassen. ²³⁹ Vgl. Nr. 6, S. 26, u. ö. ²⁴⁰ S. 148 in der Beilage zu Nr. 57, ebendort weitere Stellen in diesem Sinn.
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immerhin in den »Novissima Sinica« das Voneinander-Lernen als Maxime propagiert wurde: Diese »place d’autruy« trat aber ausdrücklich nicht vor das »zweite Auge« der Europäer, nämlich (neben dem einen Auge der Mathematik) die »Erste Philosophie«.²⁴¹ So befasst sich Leibniz trotz der metaphysisch-ontologischen Implikationen der rezipierten Begriffe (Li, Qi, Taiji usw.) vornehmlich, wie schon in den Novissima Sinica, mit Praxis, Sitten und Kultur, bei inzwischen verschärftem »Ritenstreit« aber nun vordringlich mit dem Verhältnis von Religion und Politik bzw. öffentlicher Ordnung. Umwegig geht es jedoch in Nr. 57 wieder anders zur Sache: Über die »natürliche Theologie« als Pneumatologie, Lehre von Geistwesen, kommt die Frage, was eine »vollständige Substanz« ausmacht, wieder ins Spiel. Das Ansinnen des Missionars Longobardo, die Chinesen würden keine immaterielle Substanz anerkennen, wendet Leibniz jetzt tendenziell, später im »Discours« ausdrücklich ins Gegenteil: »Womit sie […] recht haben. Die Ordnung der Dinge bringt es mit sich, daß alle Einzelgeister immer mit Körpern verbunden sind, und daß die Seele sogar nach dem Tod niemals von aller organischen Materie bzw. von aller gestalteten Luft entblößt ist.«²⁴² Dass aber ohne substantielles Band diese Körperlichkeit nicht real sein kann, ist die bekannte Behauptung gegenüber Des Bosses exklusiv im Briefwechsel, die anlässlich der Theodizee seitens katholischer Konfessionsstrategen in Europa dogmatische Verdikte gegen Leibniz’ Engelslehre provoziert hatte.
²⁴¹ Vgl. Leibniz: Novissima Sinica / Das Neueste…, a.a.O. S. 17. Bei Kant wird das »zweite Auge« statt der wissenschaftlichen Einäugigkeit eine volle »anthropologia transcendentalis« repräsentieren (Kant: AA XV, Refl. 903, S. 395), während Leibniz damit vorerst nur die »Erkenntnis auch unstofflicher Dinge« (a. a. O.) anvisiert, doch – offensichtlich – gleichsam auf Umwegen mit der Ersten Philosophie in die Praxis und in die Körperlichkeit gerät. ²⁴² Leibniz: Abhandlung über die chinesische Philosophie · Dt. von R. Loosen, a. a. O., S. 160
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e) Naturtheorie, -Experimente Die im engeren Sinn naturphilosophisch-physikalischen Diskussionen²⁴³ kreisen am ausgiebigsten, ab 1707, um den prominenten niederländischen Physiker und Naturphilosophen Nikolaus Hartsoeker (vgl. Register), motiviert von Leibniz’ dynamischer Naturontologie generell, näherhin aber der Ablehnung des Vakuums und des physikalischen Atomismus in antiker wie zeitgenössischer Korpuskulartheorie (zu der Hartsoeker seine eigene Variante präsentierte) und cartesianischer Physik. Für die Frage nach substantieller Einheit oder bloß phänomenaler Aggregation der Körper-Materie ist insbesondere das Verhältnis von Kontinuität und Kontiguität von Belang.²⁴⁴ Nur führt die Diskussion, zwar kooperativ bei den lancierten Experimenten zum Magnetismus²⁴⁵, nicht allzu weit, da Leibniz wie Des Bosses dem Naturwissenschafter Hartsoeker, nicht ohne Süffisanz über seine »kindische Philosophie«²⁴⁶ und »Mutterliebe zum Fötus«²⁴⁷ der Elemententheorie (Atome und Fluidum), die Befähigung zu metaphysischen Einsichten absprechen. Trotzdem spielt Des Bosses als Vermittler oder Katalysator den Briefwechsel zwischen Hartsoeker und Leibniz zur Veröffentlichung an die Mémoires de Trévoux weiter. Was durch Hartsoeker, der sonst mit der Konzeption des Lebendigen von Bedeutung für die Entwicklung einer nichtmechanistischen Naturtheorie war, hier nicht zur Sprache kommt, ist gerade
²⁴³ Über Leibniz’ Statur in den Naturwissenschaften vgl. komprimiert Herbert Breger: Dynamik, Physik, Technik, a. a. O. Zur naturphilosophischen Achse des leibnizschen Denkens vgl. auch Ernst Cassirer: Leibniz’ System, a. a. O., sowie Einleitung zu den Hauptschriften (EC), a. a. O. S. XV–XCVII (vom Standpunkt »neukantianischer« Erkenntniskritik Anfang des 20. Jhs.). ²⁴⁴ Vgl. bes. Nr. 88. ²⁴⁵ Vgl. Briefe Nr. 120 bis 122 vom Frühjahr 1715, 125 vom August d. J. und 128 vom März 1716. ²⁴⁶ Nr. 19, S. 63. ²⁴⁷ Nr. 89, S. 227.
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die Biologie. Leibniz’ dynamische, mit dem Entelechiebegriff zugespitzte Ontologie der (lebendigen) Natur stieß bei Hartsoeker offenbar auf das hämisch apostrophierte Unverständnis. Die Theorie der Natur war aber nicht in einem unüberwindlichen Graben zwischen zwei Lagern verloren: einerseits moderne Wissenschaft – als solche schon sehr heterogen: Mathematisierung von Naturgesetzen, mechanizistische Physik, cartesianische »res extensae«, die Korpuskulartheorie mit Vertretern wie Gassendi, Bernier, die Heliozentrik der Kopernikaner –; andererseits die metaphysisch-scholastische Naturphilosophie des Aristotelismus ohne empirisches Maß (mit Elementenlehre, Theorie der kosmischen Sphären usf.). Sondern es bestand durchaus ein Feld der Synthesen; ganz abgesehen von gewissen scholastischen Traditionen bei Galilei oder Kopernikus selbst fanden nicht zuletzt unter den Jesuiten einige Bemühungen statt (um nur Honoré Fabri und Giovanni Battista Tolomei zu nennen).²⁴⁸ Leibniz’ Absetzung vom Cartesianismus (vertreten durch Muys, Lamy u. v. a.), auch gegenüber dem eklektischen J. C. Sturm, ergab für die Biologie ein evolutives Konzept des Lebendigen²⁴⁹, das sich des Modells der Präformation bediente, dabei, wie auch hier in den Briefen, präzisiert wurde durch die »Umschaffung« eines Lebewesens statt »Traduktion«, also statt Fortpflanzung nach dem Modell des Pfropfreises²⁵⁰. Grundlegend war es bestimmt durch die aristotelische Systematik von Entelechie (als Form oder aktives Prinzip) und Materie (erste Materie als passives Prinzip)²⁵¹, was zu-
²⁴⁸ Zur historischen Konstitution der Wissenschaftsströme im 17. Jahrhundert, die mit vereinfachten Oppositionen wie mechanisch vs. dynamisch oder scholastisch vs. neuzeitlich nicht zu erfassen wären, vgl. für die verschiedenen Wissensgebiete vor allem Brockliss, Baldini, Rivera und die darüber hinausgehenden Darstellungen in Ueberweg 17. Jh., a. a. O. ²⁴⁹ Vgl. S. 157 (Nr. 60) mit Anm. 164. Zur Diskussion über Sturm bezüglich Evolution oder Entstehung des Organischen aus Anorganischem s. Nr. 55 f., zu Leibniz’ biologischen Konzepten mit weiteren Literaturhinweisen vgl. u. a. H. Isler, a. a. O. ²⁵⁰ Vgl. bes. Nr. 52, S. 130, Nr. 55, 59 (S. 154 f.) und 60. ²⁵¹ Vgl. Nr. 52, S. 129 f.
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sammen mit der Kraft die begriffliche Grundlage der leibnizschen Dynamik als Theorie der Lebewesen ergab, in Ergänzung zum Mechanizismus. So ist das Realwerden der monadischen Phänomene durch das substantielle Band an den Begriff des Organismus als System dominante /untergeordnete Monaden, an die organischen Maschinen, gekoppelt. In den Briefen beginnt diese Erörterung schon Anfang 1706, wird aber vor allem im Jahr 1709 bis zum September aufgenommen und 1711²⁵², dann wieder 1712²⁵³ fortgeführt bis 1716²⁵⁴. Beim Thema Substanz und Leben gibt es eine punktuelle Annäherung der Korrespondenten, was die innere Struktur der Dominanz/Subordination, die Herrschaft und Fesselung körperlicher Komposita durch ein Band betrifft, doch bleibt die seinsstiftende Valenz der Monaden für Des Bosses (ens et unum) im Widerspruch zur leibnizschen Abwehr des bloßen Phänomenalismus.
f) Historien, Archive, Literaria Die historischen Arbeiten – Leibniz’ nomineller Broterwerb am Fürstenhof Hannover, allem voran seit 1685 (!) die Forschungen zur Geschichte des Welfenhauses – passen Des Bosses vorerst ganz und gar nicht ins hochgemute Konzept eines gemeinsamen philosophisch-theologischen Systems: »Mit Verlaub, ich bin nahe daran, über Ihre historische Arbeit in Zorn zu geraten, die Sie von den höheren Wissenschaften […] abzieht, zum großen Schaden des öffentlichen Wohls, ja auch […] Ihres Ruhmes«²⁵⁵. Nach und nach aber gewinnt Leibniz ihn für seine Zwecke, den Schatz jesuitischer Historiker und Archive ausgiebig und methodisch für ein empirischhistorisches Verfahren zu nutzen: Im Konzept einer auch quantitativ kalkulierbaren Erfassung sämtlicher möglicher vergangener, ge-
²⁵² Vgl. Nr. 78, 79. ²⁵³ Vgl. Nr. 88, 89, 95, 102, u. a. ²⁵⁴ Vgl. 130 (S. 356). ²⁵⁵ Nr. 7 (21. 5. 1706), S. 30.
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genwärtiger und zukünftig zu gewinnender Informationen band er die historische Erkenntnis logistisch wie geschichtseschatologisch mit der Naturerkenntnis zur Wiederherstellung aller Dinge, »Apokatástasis pánton«, zusammen.²⁵⁶ Zum anderen verficht Leibniz für das historische Perzeptionsverfahren eine historisch-kritische Methode, wovon die dokumentarische Dichte seiner Annalen, die kritische Destruktion und Dekonstruktion der »Päpstin Johanna« wie auch sonst explizite Briefstellen zeugen.²⁵⁷ Ein guter Teil, wohl auch der von Gerhardt unterschlagenen Briefe Des Bosses’, dient so einer (vermeintlich belanglosen) Kommunikation über Stoff- und Informationssammlung, die Leibniz in geschichtskundlicher Hinsicht nicht bloß zur Abfassung der »Protogaea«, Erdentstehung, als Geschichtsanfang, trieb, sondern die er auch zur Legitimation politischer Herrschaftsansprüche lancierte.²⁵⁸ Bald schon arbeitete Des Bosses eifrig an archivalischen Recherchen nach historischen Dokumenten und Handschriften mit – ob sie nun Martianus Capella, Karl den Großen, Johann Pistorius’ Belgische Chronik, jesuitische Regionalgeschichten von Turck oder Cloppenburg betreffen –, meist indirekt durch die Ordenskontakte, die er pflegte und häufig auf Bitten Leibniz’ knüpfte, wie er ja auch für Leibniz Literatur und Informationen zu den schulphilosophischen, theologischen und missionarischen Angelegenheiten, selbst Schreibpersonal hilfreich beschaffte und beflissen war, Leibniz’ Wissensbedarf über jesuitische Ordensbrüder zu befriedigen (von Friedrich von Spee über westfälische Mathematiker aus den Ordensschulen²⁵⁹, Historiker wie J. Cloppenburg, China- bzw.
²⁵⁶ Vgl. Leibniz: Ἀποκατάστασις (πάντων) [1715], a.a.O., sowie Nr. 87, S. 218 mit Anm. 257. ²⁵⁷ Vgl. die wiederholten Bemerkungen gegen Germon, auch hermeneutisch gegen die véronsche Methode. ²⁵⁸ Zur Einbindung in Sukzessionsfragen, etwa hinsichtlich neunter Kurwürde Hannovers, Thronfolge Englands oder Gebietsansprüchen des Hauses d’Este auf die Toscana, vgl. Chronik, a. a. O., S. 59, 74, 155, 173, 241, 257. ²⁵⁹ Vgl. bes. Nr. 102.
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Asienmissionare gewissermaßen von Bouvet bis Bremmer, pseudonyme Autoren wie Temmik und Bonartes bis zu den peripatetischen Lehrautoritäten und dem Kreis des »Journal de Trévoux« um Tournemine). Des Bosses’ Anteilnahme neigt sich manchen Unterfangen aber auch spontan zu. »Dass Ihre Blumen duften, freut mich«²⁶⁰: Die kritischen Streublumen für die Päpstin Johanna, ihrerseits trotz mehrfacher Bemühung des Autors, der sie zunächst nicht ohne Ironie zusammen mit der Theodizee drucken wollte, erst postum publiziert,²⁶¹ werden arbeitstechnisch im Zusammenhang mit der großen, nahezu sein halbes Leben anhängigen Welfengeschichte, den »Annales Imperii Occidentis Brunsvicenses«, greifbar, die Leibniz nicht fertigzustellen vermochte. Nur ganz am Rand spielen die gespannten, das letzte Lebensjahr (ohnehin vom Prioritätsstreit mit Newton belastet) ehrenrührig trübenden Beziehungen zu L. A. Muratoris parallelen Forschungen über das Haus d’Este von Parma und Modena herein. Dafür wird einiges von Leibniz’ Engagement für die Antwerpener »Acta Sanctorum« sichtbar, mit deren jesuitischen Herausgebern, vor allem Papebroch und Janninck, er regen Austausch von Dokumenten und Funden historischer Biographien, sei es zu Gobert, Konrad oder Chrodegang, betrieb. Dies auch im Zusammenhang mit seiner großen geschichts-editorischen Arbeit, den Bänden der »Scriptores rerum Brunsvicensium«. Noch nicht ausgelotet sind die philologischen und linguistischen Arbeiten²⁶², von denen im Zuge der vornehmlich historisch-diplomatischen und archäologischen Forschung auch hier etliche zur Sprache kommen, nämlich komparatistische Etymologien und ein
²⁶⁰ S. 223, Nr. 88 (28.11. 1712) ²⁶¹ Leibniz: Flores sparsi in tumulum papissae, 1758, a.a.O. Vgl. zum Versuch der Veröffentlichung, trotz Des Bosses’ Mithilfe ohne konkretes Resultat, die ebenfalls übers Register erschließbaren Briefe von April 1709 bis August 1715 (u. a. Nr. 52 S. 126, 65 S. 170, 70 S. 182, 87, 125). ²⁶² Vgl. dazu Sigrid von der Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher [1939], a. a. O.
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»philologischer Apparat«²⁶³, Handschriftenfunde – u. a. 1708 mit einem Text von Roswita von Gandersheim²⁶⁴ –, bis zu beiläufigen Beobachtungen an Inschriften²⁶⁵, »Zeitversen«²⁶⁶ und anderen Lyrikformen²⁶⁷. Beide bekunden nicht zuletzt mit einem opulenten Zitatenschatz aus der antiken Literatur ihre Belesenheit und hohes Interesse an Belletristik (Comte de Gabalis u. a.). Schließlich ist noch auf Leibniz’ unermüdliche Aktivitäten und Urgenzen zu kulturpolitischen Unternehmungen hinzuweisen, die in den Briefen in eigener Weise thematisiert oder angedeutet sind. Die enorme Reise-Mobilität scheint am längsten durch den Wiener Aufenthalt gebremst. Während der eindreiviertel Jahre in und nahe der Hauptstadt des Heiligen römischen Reichs deutscher Nation spricht Leibniz bei Kaiser Karl und am Hof teils für die eigene Karriere (Reichshofrat), teils – obzwar vergeblich – für die Einrichtung der Wiener Akademie der Wissenschaften vor; daneben – die Abfassung von Monadologie und Vernunftprinzipien wird verschwiegen – lässt er seine Affinität zu jesuitischer Weltsicht etwa gegenüber Prinz Eugen aufblitzen, führt Tischgespräche in höfischen Kreisen, nimmt Anteil an technischen Installationen wie dem Reisch’schen Himmelsapparat. In ähnlichen Angelegenheiten wie den Kaiser trifft er – verquickt mit der Karlsbader Kur – den Zaren Peter, ohnehin amtiert er als Akademie-Präsident auch vor Ort in Berlin; zuletzt ist Des Bosses entsetzt von der Fama, dass Leibniz sich zu den »vom Erdkreis abgeschnittenen« Briten begeben will. Zur groben Orien-
²⁶³ Vgl. Nr. 87, S. 218. ²⁶⁴ Vgl. Nr. 41. ²⁶⁵ Vgl. Nr. 19. ²⁶⁶ Vgl. Nr. 42, 44. ²⁶⁷ Vgl. Nr. 30 zur Satire, Nr. 44 zur »Symbolkunst«, aber auch zu Manifestationen von einer Art, »dass ich nicht möchte, dass damit Papier beschmutzt wird, noch weniger meine Augen. Ernsthaften Männern ziemt es, sich von solcherlei fernzuhalten, das zu Stall und Pflug verbannt gehört« (S. 111). Leibniz selbst verfasste eine große Anzahl von Gedichten und Epigrammen, vgl. u. a. das Schriftenverzeichnis in Chronik, a. a. O. S. 298.
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tierung in diesen biographischen Fährten ist eine knappe Chronologie angeschlossen. 8. Zur Person Des Bosses als Jesuit und als Mitarbeiter Leibniz’ An Versuchen, die Gestalt von Bartholomäus Des Bosses S J (1668– 1738) als eigenständige Statur zu würdigen, fehlt es nicht²⁶⁸ – von einer breiteren Rezeption seiner Schriften kann allerdings nicht die Rede sein. Eine solche trifft weder auf sein heute bekanntestes Textkorpus zu, die Briefe an Leibniz, noch auf sein umfangreichstes Opus, die Übersetzung der leibnizschen Theodizee samt der längeren Einleitung und dem Kommentar, um von den wenigen anderen Texten zu schweigen, die im Lauf der Zeit registriert oder auch kommentiert worden sind. In einer jener Würdigungen zählt Walter Warnach um die Mitte des 20. Jahrhunderts Des Bosses »zu den seltenen Geistern, die ein denkerisches Grundanliegen haben. Und doch ist ihm durch schicksalhafte Behinderungen, sicher aber auch durch ein ihm einwohnendes Wesensgesetz auferlegt, ein verborgenes Leben des Geistes zu führen, von einigen wenigen Großen zwar gekannt und geachtet, aber in keinem gültigen Werk für die Mit- und Nachwelt sichtbar.«²⁶⁹ So gilt er, im Kontrast zu sehr prominenten Ordenskollegen (von Pedro da Fonseca und Francisco Suarez bis Honoré Fabri u. v. a.) als unbekannter, wenn auch beharrlich aktiver Repräsentant der jesu-
²⁶⁸ Zu verweisen ist vor allem auf die eingehende Studie von Vittorio Mathieu: Leibniz e Des Bosses, 1960; ebenso die, den Argumentationszusammenhang ebenfalls aufgreifende, kompakte Darstellung von Walter Warnach: Ein philosophischer Korrespondent Leibniz’, 1952; zudem Michel de Certeau S J: La »Clavis Lycaei«, 1966. Jüngeren Datums ging auch Brandon Look: Leibniz and the ›Vinculum substantiale‹, a. a. O., auf S. 75–90 näher auf Des Bosses’ Argumente ein. ²⁶⁹ Warnach: Ein philosophischer Korrespondent, a.a.O., S. 131
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itischen Schulphilosophie des 17./18. Jahrhunderts, deren Anliegen es – bei allen Differenzen – ist, »moderne« Mathematisierung der Wissenschaften und methodischen Erkenntnisgewinn auf empirischer Basis mit der Metaphysik des Aristotelismus zusammenzubringen.²⁷⁰ Immerhin war es für Des Bosses spezifisch, die Philosophie von Leibniz in diese (theologisch gesteuerte) Synthese mit einzubeziehen – wobei er übrigens mit Christian Wolff in Streit geriet.²⁷¹ Wie beim Disput um das »substantielle Band« zu sehen, vertrat er in gewissen Belangen andere Positionen der scholastischen Tradition, als Leibniz dies tat: nicht zuletzt hielt er mit dem Begriff der bloßen Modalität des »Bandes« bis zuletzt an Thomas von Aquinos »modus substantialis« fest, während Leibniz’ Linie der Substantialität des »vinculum« von Scotus gebahnt ist (also die gegenüber den Teilen eigenständige Subsistenz des Ganzen).²⁷² Warnach attestierte Des Bosses dabei, dass er »eine letzte Festigkeit der Problemschau bewahrt, die ihn als einen selbständigen Denker mit einer tiefdurchdachten metaphysischen Grundkonzeption dartut«: ein »tragisches Denkerschicksal« von Unzeitgemäßheit, da seine »originäre« philosophische Synthese als »ein Denken, das seinen kairos suchte«, den Zeitströmungen unterlag.²⁷³ Zwischen dieser fatalen Rolle des mit wehenden Fahnen untergehenden Peripatetikers und derjenigen des in gewisser Hinsicht erfolgreichsten zeitgenössischen Provokateurs der leibnizschen Monadologie, der deren Urheber zum Umdenken brachte, liegt die Bandbreite seiner geistesgeschichtlichen Relevanz. Bartholomaeus Des Bosses SJ, dessen Namen man in mindestens fünf und nochmals drei Varianten geschrieben findet (auch Barthé-
²⁷⁰ Zur Positionierung der Philosophie bei den Jesuiten vgl. die teils intensiven Übersichtsdarstellungen von Baldini, a. a. O.; Blum, a. a. O. S. 302– 359; Rivera de Ventosa a.a.O. S. 388–392; außerdem Eschweiler, a.a.O., und Wollgast, a. a. O. S. 180–187. ²⁷¹ Vgl. den öffentlichen Briefdisput im Hamburgischen Magazin 1725 und 1759, Nr. 6 der folgenden Werkliste; sowie unten Anm. 282. ²⁷² Vgl. Warnach, a.a.O. S. 136. ²⁷³ Ebd. S. 138
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lemy, Bartholomé, Bartélemi, Bartel; Desbosses, De Bosse, Debos), wurde geboren am 29. August 1668 in Chaineux²⁷⁴ bei Herve in den südlichen Niederlanden, heute Belgien, östlich der Bischofsstadt Lüttich im Herzogtum Limburg (vgl. Nr. 65, S. 164). »Er war von ungemein aufrichtiger Wesensart, umgänglich, höflich, menschlich«²⁷⁵, wie ihm ein Mitbruder und Kollege konzedierte. Folgende Zusammenstellung seiner biographischen Daten ist ein Resümee der publizierten Quellen:²⁷⁶ Des Bosses erwarb nach dem Studium am Collegium Tricoronatum und an der Universität in KölnP das Magisterium der Artes Liberales; er trat am 7. Mai 1686 zu Trier in den Jesuitenorden (niederrheinische Provinz) ein, verbrachte dort zwei Jahre als Novize und ein drittes Jahr als »Repetens«, um das Studium der Humaniora abzuschließen. Barthélemy scheint auch dem um sechzehn Jahre jüngeren Alexander Des Bosses, ebenfalls aus Herve – unklar ob Bruder, sonstwie Verwandter oder bloß Namensvetter – gleichfalls den Weg ins Ordensleben gebahnt zu haben (jener gesellte sich 1702 zu den Trierer Jesuiten).G Ab Herbst 1689 lehrte er bis 1693
²⁷⁴ Der Ort wird auch angegeben als Chesneux, Chainaux oder Chenain, vgl. GWP und SOVO 8 Suppl., als Geburtsdatum kolportierte man auch den 28. oder 22. August (vgl. Mathieu, DHGE). ²⁷⁵ Nach Mathieu S. 572. ²⁷⁶ Für die folgende Biographie und Bibliographie wurden als Quellen (mit allfälliger Sigel) herangezogen: A) ADB 3; B) de Certeau; C) De Seyn I; D) DHCJ 2; E) Mathieu S. 33–36; F) NDB 3; G) PIBA 1; H) SOVO 1, 8/Suppl., 12; I) Warnach S. 127–130. Im Zweifelsfall wurde mit PIBA und DHCJ (leider relativ wenig Daten enthaltend) entschieden. Originalinformationen darüber hinaus liefern vor allem Warnach und de Certeau, diese vier zusammen mit Sommervogel demnach das primäre Material. Ferner wird verwiesen auf: J) »Admodum Reverendis…« (Nr. 9 der folgenden Werkliste); K) Blondel 1930, S. XXI; L) Duhr S. 24; M) Frémont S. 82; N) Garin III, S. 20; O) GWP 26 mit Karte; P) Look 1999, S. 16; Q) Online-Kataloge der Bibliotheken: BVB, HBZ-NRW, SB, SWB; R) »Palma Honoris Tergemina« Köln 1711: Offizielle Promotionsbroschüre der Universität, Titelblatt (HBZ); S) Vorliegende Korrespondenz; T) BNB 5, 1876; U) Paquot 4.
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als Professor für Grammatik, Syntax, Poesie und Rhetorik am Ordenskolleg in Aachen; hierauf die Humaniora für ein Jahr an der Jesuitenschule in Hadamar. Beginnend 1695 vierjähriges Studium der Theologie in Münster, am 22. September 1698 Priesterweihe in Osnabrück. 1699 Lehrer für Griechisch in Emmerich. Von 1701 bis 1704 wieder am Kolleg in Münster, wo er am 2. Februar 1702 die feierlichen vierfachen Gelübde ablegte; nacheinander unterrichtete er hier Logik, Physik, Mathematik und Metaphysik, hierauf, nach dem Lizentiatsgrad der Theologie im Juni 1705,I am Hildesheimer Jesuitenkolleg bis 1709 Kontroverstheologie. In Hildesheim versah er auch das Amt des Bibliothekspräfekten sowie eines geistlichen Beistands und Beichtvaters der »Virgines Annunciatae«K. Ein Kontakt mit Leibniz bestand spätestens Mitte Dezember 1705.²⁷⁷ Reise in die »Heimat Limburg« in der zweiten Oktoberhälfte 1709.S Seit 9. November 1709S in Köln, bis 1711 Professor für Mathematik und Philosophie, insbesondere Ethik, am »Gymnasium Tricoronatum«R. Nachdem er 1710, vielleicht wegen der üblichen exorbitanten Spesen, um Dispens von den Promotionsauflagen angesucht hatte,L, I erfolgte am 20. Jänner 1711 das Doktorat der Theologie an der Universität bei Prof. P. Petrus Dahm,R einem Jesuiten, dem Regens des TricoronatumE. Ab Ende Oktober 1711S in Paderborn, Professor für Moral, Polemik und spekulative (scholastische) Theologie; im Oktober 1712 besuchte er HildesheimS. Seit 21. Oktober 1713S lebte Des Bosses wieder in Köln: An der »Alma Universitas«J arbeitete er als Professor für Moraltheologie (bis 1729) und scholastische Theologie (1720–29); zuletzt als DekanD der Theologie von 1730 bis 1735²⁷⁸; daneben aber auch seit 1713 wieder als Professor am »Tricoronatum«, nunmehr für Moraltheologie.E Als »Examinator Synodalis« der Diözese unterzeichnete er am 8. Jänner 1715 die Erklärung der Kölner Theologischen Fakultät zur antijansenistischen Bulle Unigenitus von Clemens XI. (publiziert in der 4. Auflage von Nr. 4 fol-
²⁷⁷ Vgl. Anhang 1. ²⁷⁸ Nach Mathieu, a.a.O. S. 35, begann die Dekanatszeit (Präfektur) 1727.
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gender Werkliste).I Ab 1730 Rückzug von der UnterrichtstätigkeitE, 1736 ErkrankungI. Nach Erblindung Anfang 1738 I starb Des Bosses in Köln am 24. April 1738.²⁷⁹ Mit dem Pariser Jesuitenkolleg »Louis le Grand«, einem Sprachrohr des Anticartesianismus, unterhielt er auch in den späteren Jahren eine rege Korrespondenz – Mitglied war dort u. a. der Mathematiker und Philosoph Louis-Bertrand Castel (1677–1757) –, darüber hinaus mit Jesuiten wie P. de La Croix, Edouard de Vitry, Tournemine und Tolomei, ebenso wie mit Christian Wolff P. Seine angebliche Übermittlung des großen, letzten Briefwechsels von Leibniz mit dem Newtonianer Samuel Clarke, die bis ins 19. Jahrhundert kolportiert wurde,T,U sei noch als Schattierung im Licht der Rezeption Des Bosses’ als engagierten Kommunikators in theologischer und philosophischer Sache erwähnt. Dass er mit Naturwissenschaftern wie Nikolaus Hartsoeker kritischen Kontakt, vor allem als Übermittler zu Leibniz, pflegte, ist in der vorliegenden Sammlung dokumentiert. Zu Des Bosses’ veröffentlichten Schriften zählen in chronologischer Reihenfolge (postume Publikationen nach Entstehungsdatum): 1. Die (anonyme) Hexameterdichtung Hymenaeus Serenissimis sponsis, Ottoni S. R. Imperii Principi de Salm Anhalt, et Albertinae, S. R. I. Principi Nassoviae, 1700, Kolleg von Emmerich. Das offenbar ergänzende Jubilum Nuptiale Serenissimis Neogamis […] a Musis Embricensibus S. J. adornatum an das nämliche Paar erschien ebenda zur selben Zeit.²⁸⁰ 2. Die Briefe an Leibniz 1706–1716, erstmals 1879 (großteils) gedruckt in GP·2, ergänzt 1890 (GP·7) und 1893 (Blondel), zum kleinen Teil in noch unpublizierten Manuskripten archiviert. (Vgl. Editorische Notiz.) 3. Brief an G. B. Tolomei S J vom Juni 1712, abgedruckt in D·5, 561 (Anhang 6).
²⁷⁹ So PIBA, dagegen Warnach und SOVO 8: 17. April. ²⁸⁰ Vgl. SOVO 1 und SOVO 12.
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4. Epistolae abbatis N. ad episcopum N., quibus demonstratur aequitas constitutionis Unigenitus, nec non libellis adversus hanc constitutionem editis respondetur e Gallico Latine redditae a Bartholomeo Des Bosses (Übersetzung der antijansenistischen Schrift von G. Daniel) mit Auflagen 1715 – in demselben Jahr bereits eine zweite mitsamt Erweiterung: »Accedunt in hac 2. ed. Declarationes Sacrae Facultatis Theologicae Coloniensis, Lovaniensis et Duacensis item Epistolae Salmanticenses et Epistolae Rachavél[…]« –, 1716 und 1717 bei Wilhelm Metternich in Köln; 1718 bei Franciscus Vande Velde in Löwen mit dem Zusatz: »Declaratio cum iterato declaratione Sacrae Facultatis Theologiae Lovaniensis circa dictam Constitutionem« Q. 5. Die (anonyme) lateinische Übersetzung von Leibniz’ Theodizee, die 1719 parallel mit einer Neuausgabe der »Causa Dei« in Frankfurt bei C. J. Bencard erschien: Godefridi Guilelmi Leibnitii Tentamina Theodicaeae De Bonitate Dei Libertate Hominis et Origine Mali. Latine versa et Notationibus illustrata a M. D. L. Ab ipso Auctore emendata et auctiora. Enthalten ist auf den (unpaginierten) S. *[1–40] Des Bosses’ Einführung Monitum Interpretis (Übersetzter Auszug: Anhang 8). Dem als »Tomus Prior« bezeichneten Textband ließ Des Bosses 1733 einen schmalen zweiten Band Theodicaeae Leibnitianae Appendices Geminae Hactenus in Versione Latina Desideratae folgen (mit den lateinisch übersetzten Anhängen über Hobbes und King’s »De origine Mali« und zwei leibnizschen Briefauszügen vom 30. 12. 1714 und 30. 6. 1715)²⁸¹. 6. Extrait d’une Lettre du R. P. Barthelemi des Bosses, S. J. au R. P. Tournemine, écrite de Cologne le 29. Août 1725 (kurzer frz. Briefauszug an Tournemine vom 29. 8. 1725 über das Verhältnis Leibniz – Wolff im Hinblick auf den Atheismus), in: »Nachricht von demjenigen Briefe, den der Pater Bartholomäus Des Bosses aus Cölln an den Pater Tournemine nach Paris geschickt, mitgetheilet von J. C. Strodtmann.« Hamburgisches Magazin oder
²⁸¹ Vgl. Ravier.
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gesammelte Schriften zum Unterricht und Vergnügen aus der Naturforschung und den angenehmen Wissenschaften überhaupt (Hrsg. A. G. Kaestner und J. A. Unzer) Bd. 2, 1747, S. 43– 49 (das Fragment S. 45 f.), online zugänglich unter www.ub.unibielefeld.de/diglib/aufkl/hamag.htm (Universitätsbibliothek Bielefeld – digitale Medien) ²⁸². Annotationes aliquot unius e Societate Jesu theologi ad excerpta quaedam ex assertionibus 18. Julii propugnatis P. Pii Schölling O. P., Köln 1726 – betreffend das Thema der Gnadenwahl²⁸³. ein anonymes »Gratulatorium« an den Kölner Erzbischof Clemens August, offeriert vom Kölner Jesuitenkolleg: Gratulatorium Carmen Rmo et Sermo D. Clementi Augusto, Atchiepiscopo Coloniensi, S. R. I. Electori, Magnum Antonici Ordinis Magisterium adipiscenti, Köln 1732²⁸⁴. »Admodum Reverendis Et Doctissimis In Christo Patribus, P. Christiano Sturm, P. Josepho Gautier, P. Petro Salm, P. Jacobo Gerards, Societatis Jesu Sacerdotibus, Cum Ab Admodum Reverendo Et Eximio Patre, P. Bartholomaeo Des Bosses, Ex Eadem Societate, Sacrosanctae Theologiae In Alma Universitate Coloniensi Doctore Et Professore Emerito SS. Theologiae Licentiati Crearentur, Anno MDCC XXXIV. VI . Non. Mart.« (Köln 2. März 1734) – ein Dokument zur Erteilung der theologischen Lizentiatswürde an Kölner Studenten durch Des Bosses.²⁸⁵ Clavis Lycaei (Schlüssel zur aristotelischen Schule) – eine nur teilweise ausgeführte lat. Darstellung metaphysischer Fragen
²⁸² Vgl. dazu die von J. D. Titius präsentierte Replik Christian Wolffs im Hamburgischen Magazin Bd. 22 (1759), S. 105–109. In dem kleinen, aber erstaunlich viele Beteiligte zu Wortmeldungen provozierenden Disput geht es um Christian Wolffs Reputation mit Bezug auf Religion überhaupt, nämlich den Atheismus-Vorwurf, und sein Verhältnis zu den Jesuiten im Besonderen. Gegenstand ist die Aussage Des Bosses’, Wolff hätte Leibniz zum Atheisten erklärt. ²⁸³ Vgl. SOVO 1; HBZ. ²⁸⁴ Vgl. SOVO 1. ²⁸⁵ Vgl. HBZ.
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auf peripatetischer Basis, die Des Bosses in einem Brief von 1735 skizzierte (1966 durch de Certeau in einer von Dehergne überreichten Fassung publiziert: La »Clavis Lycaei« du Père Bartélémy des Bosses. In: Archives de Philosophie, OctobreDécembre 1966, S. 570–593). Nach SOVO 12 (Sp. 430) lautete der Untertitel: »… sive Philosophiae Aristotelicae principia metaphysica adversus Antiperipateticos«. Vgl. die Übersetzung im Anhang 9. Außer diesen publizierten Texten finden sich vermerkt: 11. Sieben Briefe an Konrad Janninck S J vom: 14. 7. 1706 (zugleich an Papebroch), 29. 8. 1707, 29. 7. 1709, 12. 12. 1709, 31. 3. 1710, 13. 1. 1712 und 12. 1. 1715 (der vorletzte Bibliothèque Royale de Belgique, ms. 8955–56 f. 64, alle anderen Bibliothèque des Bollandistes à Bruxelles, ms. 432)²⁸⁶. 12. Texte über Geometrie, Metaphysik und andere Gegenstände, aufbewahrt an der Bibliothek der Jesuiten-Schule der hl. Genoveva in Paris, seit längerem dort nicht mehr vorgefunden²⁸⁷. 13. De mente S. Augustini circa gratiam utriusque status, naturae nimirum integrae, et lapsae, Disquisitio theologica, eine in SOVO 12 (Nr. 1278 C) verzeichnete lat. Hs. 14. Des Bosses selbst erwähnt noch einen nicht aufgefundenen Traité de Théologie, verfasst für den Theologieunterricht an der Kölner Universität (d. h. nicht vor 1713).²⁸⁸ 15, 16, 17. Anscheinend nicht realisierte Projekte sind der in vorliegender Korrespondenz gefasste Plan zu einem peripatetischen Breviarium philosophicum (Philosophiebrevier) für den Schulgebrauch – Clavis Lycaei (Titel 10) erinnert nur entfernt daran – , sowie die im Brief vom Jänner 1706 (Nr. 1) angekündigte ma-
²⁸⁶ Vgl. de Certeau S. 571 Fn. und mit einzelner Quellenangabe Ritterkatalog Nr. 46517, 46522, 46518, 46515, 46521, 46519. ²⁸⁷ Vgl. SOVO 1 und Mathieu S. 36. ²⁸⁸ Vgl. Begleitschreiben zur »Clavis Lycaei«, de Certeau S. 593.
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thematische Analysis. Bislang verschollen ist auch die Anfang 1712 (Nr. 88) versprochene Dissertatio peripatetica de substantia corporea (Peripatetische Abhandlung über die körperliche Substanz); sie entspricht aber thematisch dem durch de Certeau veröffentlichten Abschnitt der Clavis Lycaei. Des Bosses’ dermaßen sich gestaltende Karriere eines Geistlichen, Lehrers und Gelehrten verlief anscheinend völlig konträr zu Leibniz’ weltmännischen Engagements. Doch in der zeitgenössischen Öffentlichkeit wurden beide Briefpartner ungeachtet ihres unterschiedlichen literarischen und wissenschaftlichen Kalibers bald als »intime Freunde« wahrgenommen – wie es Tournemine im Journal de Trévoux ausdrückte.²⁸⁹ Das bekannte Lob, das Leibniz seinem Mitarbeiter in der Theodizee, »Discours préliminaire«, offiziell für die »seltene Gelehrsamkeit« in Verbindung »mit Scharfsinn in Philosophie und Theologie« spendete, wird dazu beigetragen haben.²⁹⁰ Ihre erste Bekanntschaft geht vermutlich auf das Jahr 1705 zurück, geht man nach Leibniz’ Brief an Tolomei vom Dezember dieses Jahres (Anhang 1); spätestens um den 20. Jänner 1706 hatte, gemäß vorliegender Korrespondenz, die erste Zusammenkunft stattgefunden.²⁹¹ Die Freundschaft zwischen dem Protestanten und dem katholischen Geistlichen überstand immerhin auch die Konversionsversuche, denen Leibniz – wie schon seit jungen Jahren durch den Grafen von Hessen-Rheinfels, dann in Rom – wiederholt ausgesetzt war; Des Bosses’ Bekehrungswünsche, selbst seine im Distichon von Brief Nr. 98 kristallisierten Avancen, fruchteten ebenso wenig wie die von Tolomei (Anhang 3).
²⁸⁹ Vgl. Tournemines Würdigung Des Bosses’ in : Mémoires de Trévoux 1712, März, S. 496. ²⁹⁰ Vgl. Leibniz: Einleitende Abhandlung § 86, in: HT 1, S. 203. ²⁹¹ Der Ort des Treffens ist nicht ausdrücklich dokumentiert. Die Vermutung, dass die erste persönliche Begegnung Anfang Jänner 1706 in Form eines Besuchs von Des Bosses bei Leibniz in Hannover erfolgte, äußern u. a. Gerhardt (GP·2, 287), de Certeau (a. a. O. S. 571) und Warnach (a. a. O. S. 128) ohne Belege.
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Unter den Jesuiten, mit denen Leibniz Kontakt und Schriftverkehr pflegte, kam Des Bosses spät an die Reihe. Um nur eine kleine Auswahl zu präsentieren: Huet, Fabri, Grimaldi (ab Juli 1689 – China), Tolomei (1689, Briefe ab 1694), Joachim Bouvet und eine Vielzahl jesuitischer Chinamissionare; Ferdinand Orban (ab Oktober 1704) taucht auch in vorliegender Korrespondenz wiederholt als Informationsvermittler auf, ebenso die jesuitischen Redakteure der Heiligenviten »Acta Sanctorum«. Noch später, im November 1710, startete die Korrespondenz mit Tournemine; diese Trévoux’sche Ecke der katholischen Publizistik, so machen die vorliegenden Briefe deutlich, war Leibniz bei der Profilierung seiner theologisch-philosophischen Verständigungsangebote besonders wichtig. Was die Jesuiten insgesamt für Leibniz bedeuteten, ist an der Konvergenz in einigen grundlegenden Fragen abzulesen. Kumulativ ist dies zu fassen einmal im Zusammenhang der Philosophietradierung (»Zweite Scholastik« für den frühen Leibniz, Suarez’ Anregungen zum Individuationsprinzip; Mathematisierung der Wissenschaften, Modernisierung der peripatetischen Metaphysik – hierzu vgl. u. a. Warnach, Boehm, Mathieu, Eschweiler, Robinet 1981, Tilliette; z. T. Comparato, Rivera, Brockliss), dann in der Missionsfrage, etwas eingeschränkter in der theologischen Frage des Gnadenstreits bzw., vor allem, des Moral-Streits (Probabilismus u. a.) zwischen Jesuiten und Jansenisten, worin Leibniz als Aufklärer eine differenzierte Position einnahm. Der »praktische Intellektualismus« des jesuitischen Denkens²⁹² in laufender Auseinandersetzung mit Theologie mag ihm gleicherweise Affinität wie Prüfstein gewesen sein.
²⁹² So Eschweiler, a.a.O. S. 303.
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Gottfried Wilhelm Leibniz – Kurzchronologie zu den Briefen²⁹³ 1646 geb. in Leipzig am 1. Juli (21. Juni alten Datums) — Studium der Philosophie, Mathematik, Rhetorik in Leipzig und Jena (1661–1664, Mag. phil.), der Rechte in Leipzig und Altdorf (1663–1667, Dr. jur.). — Lebt in Nürnberg, Frankfurt am Main, Mainz. 1672–1676 Paris, 1673 und 1676 Besuche in London. Seit Ende 1676 in Hannover im Dienst des Fürstenhofes; die Lebenssituation ist von zahlreichen Reisen geprägt: u. a. Italienreise 1687–1690 und sechs Aufenthalte in der Reichshauptstadt Wien, nach vier vergeblichen Versuchen um Kontakt mit Kaiser Leopold (1668, 1677, 1681, 1686): – 1688 Mai bis 1689 Februar (Weiterreise nach Italien). – 1690 April/Mai (Rückreise von Italien). – 1700 Oktober bis Dezember (u. a. auch Wr. Neustadt: Nachlass Bischof Spinolas; Melk). – 1708; 1709; 1712–1714. Chronologischer Überblick 1706–1716 Enorme Mobilität von Hannover aus, teilweise mehrmals pro Jahr an zahlreiche Orte, darunter Bad Pyrmont, Berlin, Braunschweig, Detmold, Gandersheim, Halberstadt, Halle, Hamburg, Helmstedt, Hildesheim, Karlsbad, Kassel, Kiel, Leipzig, Prag, Wien (mit Laxenburg, Schwechat, Wr. Neustadt), Wolfenbüttel. 1705 Dezember: erste Erwähnung von Des Bosses in Leibniz’ Korrespondenz. 1706 15. November – Mitte Mai 1707: Berlin (Sozietät der Wissenschaften). Rückreise auf Umwegen bis 16. Juni. 1707 Juni: Scriptores rerum Brunsvicensium illustrationi inservientes, Bd. 1, erscheint. Zwischen 14. September und 8. Oktober u. a. in Gandersheim und Hildesheim. 1708 19. November bis Anfang März 1709 über Karlsbad nach
²⁹³ Quellen: Müller/Krönert: Chronik; vorliegender Briefwechsel mit Anhang 1; zur Biographie u. a. Aiton: Gottfried Wilhelm Leibniz, a. a. O.; Hirsch: Der berühmte Herr Leibniz, a. a. O.
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Cornelius Zehetner
Wien (Aufenthalt Anfang bis Ende Dezember), Rückreise über Berlin (Jänner bis März). Dem hannoverschen Hof, seinem Dienstgeber, verheimlicht Leibniz die Wienreise. 1709 Juli: Abstecher nach Berlin. Ende November/Dezember wieder »geheime« Reise nach Wien im Auftrag des Wolfenbütteler Herzogs (Anton Ulrich), zum Zweck von Gebietsabtretungen Hildesheims an das Haus Braunschweig. Verärgerung des nicht informierten Hannoveraner Hofes (Georg Ludwig). Leibniz möchte in den Dienst Braunschweig-Wolfenbüttels wechseln. 1710 Scriptorum Brunsvicensia illustrantium Band 2. — Hrsg. und Beiträger zu »Miscellanea Berolinensia« (Mai). — Juli: Kiel und Hamburg. — September: Eingabe an Kaiserin Amalie um die Ernennung zum Reichshofrat. — Essais de Theodicée erscheinen anonym in frz. Sprache (vermutlich September). 1711 Ende Februar bis Anfang Mai: Berlin (Sozietät: Finanzierungskonzepte, Sitzungspräsidien, neue Mitglieder: Ch. Wolff, »Miscellanea«). — Oktober: Erste Begegnung mit Zar Peter d. Gr. (Torgau). — Scriptores Brunsvicensia illustrantes, Band 3. 1712 März: Wegen des Reichshofratstitels Briefwechsel mit Wien (Kanzler Sinzendorf). — 24. August: Schiedsspruch der Royal Society London über den Prioritätsstreit um die Infinitesimalrechung zugunsten von Newton. Implizit steht Leibniz unter Plagiatverdacht. Mitte Dezember 1712 bis 3. September 1714: Wien. Anreise (ab Ende Oktober) über Karlsbad und Leipzig (Einladung des Zaren). — Mitte Jänner 1713: erste Audienz bei Kaiser Karl VI. — Mitte April: Ernennung zum Reichshofrat (rückdatiert auf 2. Jänner 1712) mit Gehalt. — Mai: Eingabe für eine Akademiegründung. Pest oder pestartige Krankheit in Wien. — 8. Juni 1714: Tod der in vorliegenden Briefen nicht erwähnten Gönnerin und Vertrauten, Kurfürstin Sophie von Hannover. — Juni/Juli: Principes de la nature et de la grâce
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1714
1715
1716
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fondés en raison für Prinz Eugen. — Juli: erste Rohfassungen der Monadologie (für Remond). 14. September Ankunft in Hannover. — Anfang Oktober Äußerung der Absicht, dem neuen englischen König (Georg Ludwig von Hannover/George I.) nach England zu folgen. Verstärkte Kontakte zur Prinzessin Wilhelmine Caroline of Wales, die einen englischen Übersetzer der Theodizee sucht. — Ende November Reiseverbot für Leibniz durch Georg I. (hält bis Mai 1715). Arbeit an den Welfen-Annalen. — De Origine Francorum disquisitio. — Beim englischen Hof bietet sich Leibniz ab März als Historiograph Englands an, was wegen seiner unfertigen Welfengeschichte abgelehnt wird. — Anfang April Kürzung des Gehalts als Präsident der Berliner Akademie. – Juli: Übersiedlungspläne nach Frankreich. Arbeit an den »Annalen«. — Jänner: Discours sur la philosophie (théologie naturelle) des Chinois fertig. — Kontroversielle Korrespondenz mit dem Newtonianer Samuel Clarke (ab Dez. 1715). — Nach längerer Krankheit (Gicht, Magenkoliken) Tod am 14. November in Hannover.
Wichtige Schriften zur Metaphysik und Naturontologie (vgl. die Angaben in Bibliographie und Register): 1686 1694 1695 1698 1704 1705 1710 1714 1716
Discours de Métaphysique (postum) De primae philosophiae emendatione Système nouveau Specimen dynamicum De ipsa natura Nouveaux Essais (postum) Considérations sur les principes de vie Essais de Théodicée Principes de la nature et de la grâce (postum) Monadologie (postum) Discours sur la théologie naturelle / philosophie des Chinois (postum)
EDITORISCHE NOTIZ
I. Der Text 1. Textgrundlage Als Textgrundlage der hier übersetzten Briefe zwischen Leibniz und Des Bosses diente das bisher publizierte Material, nicht direkt die Handschriften. Unter dieser Prämisse kann man von einer Gesamtedition sprechen. Von der Korrespondenz – geführt in Latein, mit wenigen französischen Passagen und vereinzelten Termini in Griechisch – gibt es bislang zwei grundlegende gedruckte Sammelausgaben, allerdings nur eine davon mit den Briefen von Des Bosses: – Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz. Hrsg. von C[arl] I[mmanuel] Gerhardt. Repr. der Ausgabe Berlin 1875–1890. Hildesheim 1960 · 2. Band [1879], S. 285–521; 7. Band [1890], S. 581 (abgekürzt: GP·2, GP·7). Diese – einzige umfassende – Ausgabe von Gerhardt bildet grundsätzlich die Textbasis, da der Zeitraum durch die kritische Akademieausgabe noch nicht erfasst ist. Weil diese lateinische Vorlage im Rahmen der gerhardtschen Werkausgabe als Buch und digital¹ zugänglich ist, wurde aus Platzgründen auf den Parallelabdruck verzichtet. Relevant ist aber auch die Edition durch Louis Dutens von 1768: – Gothofredi Guillelmi Leibnitii Opera Omnia, nunc primum collecta, in Classes distributa, praefationibus et indicibus exornata, studio Ludovici Dutens. Genevae MDCCLXVIII . Repr. Hildesheim – Zürich – New York 1989 · Tomus II ·1, S. 265–323; Tomus VI ·1, S. 171– 201 (abgekürzt ohne Teilband: D·2, D·6) Die Dutens’sche Ausgabe bringt zwar nur den Part von Leibniz, allerdings in Marginalem den vollständigeren Text. Der Haupt-
¹ Leibniz im Kontext. CD-ROM. 2. Auflage, Berlin: Karsten Worm Infosoftware 2002
Editorische Notiz
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unterschied ist, dass Dutens grundsätzlich die Abfertigungen (aus dem Manuskriptbestand des Pariser Jesuitenkollegs), Gerhardt die Kopien oder Entwürfe von Leibniz (nach den Handschriften des Archivs in Hannover) und außerdem eine Reihe von Beilagen publizierte. Die beiden Textfassungen weichen auch in Orthographie und Zeichensetzung voneinander ab. Auf den systematisch textkritischen Vergleich wurde verzichtet, nur ausnahmsweise wird auf einige Varianten Bezug genommen. Gerhardt (G) Bd. 2 (GP·2) enthält 71 Briefe von Leibniz, 57 von Des Bosses, von dem ein weiterer in Bd. 7 (GP·7) nachgetragen ist – in der Digitalversion von G bereits als Nr. XC b eingereiht, hier Nr. 92. Dutens (D) umfasst 70 Schreiben von Leibniz an Des Bosses: 30 in Band 2.1 (D·2), 40 in Band 6.1 (D·6); aus letzteren ist ein Stück (vom 11. April 1716, hier Nr. 129) noch einmal, mit leichten Varianten, in Band 5, S. 443 f., abgedruckt. Sämtliche Briefe von D sind auch in G enthalten; als einzigen zusätzlichen von Leibniz bringt G die Nr. 66 (vom Jänner 1710). Laut eigener Auskunft (vgl. GP·2, 290) druckte Gerhardt nur einen Teil nach den Handschriften der königlichen Bibliothek Hannover. Was dort fehlte, übernahm er direkt aus Dutens, der seinerseits aus dem Handschriftenbestand des Pariser Jesuitenkollegs (teils Originale, teils Kopien) schöpfte. Es handelt sich um die folgenden 36 Briefe, für die Dutens somit Textgrundlage bleibt: Nr. 17, 20, 24–28, 34–39, 42, 48, 54, 57, 62, 64, 69, 76 (G LXXVII ), 78 (G LXXIX ), 79 (G LXXX ), 83, 85, 87, 91, 101 (G XCIX ), 106 (G CIV ), 111 (G CIX ), 120 (G CXVIII ), 123 (G CXXI ), 126 (G CXXIV ), 127 (G CXXV ), 129 (G CXXVII ) und 130 (G CXXVIII ). Im Hrsg.-Briefkopf wird mit dem Vermerk »G … nach D…« darauf hingewiesen. So wie drei im Ritter-Katalog (RK)² verzeichnete Briefe von Des Bosses (4. 11. 1707, 9. 7. 1708 und 4. 11. 1710) bleiben auch dessen sechs bei G nur erwähnte Schriftstücke weiterhin unberücksichtigt (22. 10. 1706, 8. 5. 1708, 25. 5. 1708, 14. 8. 1708, 5. 12. 1712, 28. 1. 1714). Auch die Auslassungen, die G an fast jedem Brief von Des Bosses vorge-
² http://zopeman.bbaw.de/ritter (5. 2. 2006)
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Editorische Notiz
nommen hat, wurden hier nicht behoben – abgesehen von den paar Hinweisen gemäß dem Ritter-Katalog; dasselbe gilt für eine Reihe von Beilagen, die bei G fehlen³. Eine Vervollständigung ist künftig von der Akademieausgabe auf Basis der Archivbestände in Hannover, Paris, London und anderswo zu erhoffen; zum Teil auch von der bevorstehenden englisch-lateinischen, textkritischen Auswahlausgabe durch B. Look und D. Rutherford. Ein zusätzlicher Brief Des Bosses’ an Leibniz (28. August 1711), den Blondel 1893, S. 76 f. (nochmals in 1995, 683 f.; hier nach dem Abdruck 1930, S. 140 f.) publizierte, bildet die Nr. 82. Aus einem weiteren, frz. Brief Leibniz’ bringt Grua S. 255 ff. Auszüge. Obwohl Des Bosses als Adressat keineswegs feststeht – inhaltliche Indizien sprechen nur bis zu einem gewissen Grad dafür –, wurde dieser Text mit gleichsam halber Nummerierung als Nr. 26 a aufgenommen. Da Dutens eine ihm vorliegende Anzahl von 75 Leibnizbriefen an Des Bosses erwähnte, davon aber nur 70 druckte, und Gerhardt 71 veröffentlichte, ist derzeit (bei 68 identifizierten von Des Bosses) auszugehen von einem virtuellen Bestand von mindestens 144 oder 143 (je nach Zurechnung der von D nicht gedruckten Nr. 66), das fragliche bei Grua mitgezählt insgesamt 145 oder 144 Schreiben zwischen Des Bosses und Leibniz. Außerdem fehlen noch Briefe, auf die man aus dem Inhalt der vorliegenden Korrespondenz schließen muss, wie jene zwei von Des Bosses aus dem letzten Jahr und einer von Anfang 1711.⁴ Von allen diesen wurden hier, wie gesagt, die 131 (inklusive Grua) in Publikationen erreichbaren übersetzt.
³ Zur Kritik am »rein willkürlichen« Arrangement der Beilagen durch Gerhardt vgl. Robinet 1969, S. 87. ⁴ Vgl. Nr. 127, 128, 130 sowie 79. – Die Rechnung variiert selbstverständlich darüber hinaus. Hans Saring spricht in der NDB (Bd. 3, S. 612) ohne nähere Erläuterung von 69 Des Bosses-Briefen (und kommt bei Annahme von 74 Leibniz-Schreiben auf insgesamt 143). Mit den hochgerechneten 77 von Leibniz ergäbe das einen Gesamtbestand von 146. Nachgewiesen sind davon derzeit jedenfalls 139, zählt man G (gedruckte und erwähnte), Bl und RK zusammen.
Editorische Notiz
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2. Andere bisherige Ausgaben Briefe von Leibniz an des Bosses wurden ferner hrsg. von Johann Eduard Erdmann (30 Schreiben auf Basis von Dutens) im 2. Bd. der »Opera Philosophica«, Berlin 1840, und von Hermann Schmalenbach in »G.W. Leibniz: Ausgewählte philosophische Schriften«, Bd. 2, Leipzig 1915 (S. 57–101: Sammlung von Auszügen aus 26 Briefen nach Erdmann/Dutens, einschließlich Textvergleich zwischen D, G und Erdmann mit Varianten); eine kleine Dosis (Nr. 117, 123) noch von Nicolaus Engelhard im »Otium Feriis Groningianis interpositum« (Groningen 1740, S. 302); schließlich ein Schreiben von Des Bosses (Nr. 129) durch Gerard Cornelius van den Driesch (in »Exercitationes Oratoriae«, Wien 1718, S. 217) und Christian Kortholt (in »Leibnitii Epistulae ad Diversos« Bd. 4, Leipzig 1742, S. 161) (vgl. Ravier). An weiteren Editionen nennt etwa Schmalenbach, a. a. O. Bd. 2, S. X f., die auf Gerhardt zurückgreifende Auslese von Paul Janet in: Œuvres philosophiques de Leibniz, 2. Aufl. Paris 1900. Von Belang für den Text sind außerdem die Zitate aus LeibnizBriefen (Nr. 12, 14, 16, 60, 78, 96, 125, 130) und einem eigenen (Nr. 15), die Des Bosses im »Monitum Interpretis«, der Vorbemerkung zu seiner lateinischen Theodizee-Übersetzung (Leibniz: Tentamina …, Köln 1719), abdruckte bzw. in die »Clavis Lycaei« (Nr. 52) aufnahm.
3. Textgestalt Der für die Übersetzung zugrunde gelegte Text unterscheidet sich von der Fassung Gerhardts in Folgendem: 1. Die gerhardtsche Version wurde um bestimmte Elemente aus Dutens ergänzt (besonders Anrede, Grußformel, Unterschrift, wie sie in D·2 und, für die Nr. 2, auch in D·6 überliefert sind), sodass eine – je gekennzeichnete – künstliche Gesamtgestalt vorliegt. Abweichende Lesarten sind aber nur im Ausnahmefall vermerkt. 2. Hinzu kommen Nr. 26a und 82: das frz. Schriftstück von Leibniz aus dem Herbst oder Winter 1707 – trotz Fraglichkeit des Adres-
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saten – nach Grua, S. 255 ff., sowie der Brief Des Bosses’ vom 17. 8. 1711 nach Blondel 1930, S. 140 f. 3. Die erwähnten Auszüge, die Des Bosses aus mehreren Briefen von Leibniz, nebst einem eigenen, publizierte (Monitum Interpretis) bzw. handschriftlich weitergab (Clavis Lycaei), wurden verglichen. Sie stimmen in hohem Ausmaß mit der Textfassung G überein; die wenigen Varianten sind angemerkt und gegebenenfalls der Übersetzung zugrunde gelegt. — Kritische Ausgaben von Einzelstücken dieser Korrespondenz fanden folgende Aufnahme: 4. Der Brief Leibniz’ vom 12. August 1709 (Nr. 57) mit dem Essai über chinesische Philosophie basiert auf der Edition durch Li und Poser in Leibniz: Discours 2002, S. 265–270. 5. Für Leibniz’ Brief vom 24. Jänner 1713 (Nr. 103) wurde die Edition von Robinet (1969) verglichen und daraus insbesondere die Abfertigungsversion herangezogen. Der für das »vinculum substantiale« besonders interessante Entwurf zu demselben Brief ist im Anhang ebenfalls nach Robinet übersetzt. — Weitere textkritische Einwürfe, die aufgrund von Autopsie im Leibniz-Archiv Hannover bzw. Mikrofilm gegen Gerhardt reklamiert wurden (Look; Robinet; Frémont), sind wie folgt berücksichtigt: 6. Verschiebung des Briefes Des Bosses’ vom 10. 10. 1710 auf 10. 10. 1712 aufgrund der Kritik Robinets. Gerhardts Nr. LXXIV bildet also hier die Nr. 100. 7. Ergänzungen zu Leibniz’ Brief vom 14. 2. 1706 (Nr. 4) nach Look 1999, S. 69 f. 8. Andere vereinzelte (wenige) Textkorrekturen (z. B. nach Frémont) sind jeweils angemerkt. Die Orthographie der frz. Buchtitel und Zitate – soweit als solche übernommen – wurde nicht modernisiert. Normalisierte Schreibweisen finden sich in der Regel im Register, so nicht Originaltitel als solche dokumentiert sind.
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Jene Briefe und Briefversionen, die in Gerhardt nicht enthalten sind, werden als Anhang B in der Originalsprache abgedruckt. Der Anhang A (auch einfach Anhang) enthält darüber hinaus Schriftstücke in erstmaliger deutscher Übersetzung aus unterschiedlichen Quellen, die in direktem Zusammenhang mit dieser Korrespondenz stehen. Die Quellenangabe erfolgt bei den Einzeltexten.
4. Übersetzung Bisherige Übersetzungen dieses Briefwechsels waren nicht umfassend, Des Bosses blieb überhaupt, von wenigen Zeilen abgesehen, ausgeklammert. Eine englische Übersetzung (durch Brandon Look und Donald Rutherford) von mehr als der Hälfte der Briefe ist noch in Vorbereitung, d. h. war für vorliegende Version noch nicht greifbar. Mit Gewinn wurde die französische Ausgabe der umfangreichen und eingehend erläuterten Auswahl von Christiane Frémont (37 Briefe Leibniz’) zu Rate gezogen (Frémont, Christiane: L’être et la relation. Avec trente-sept lettres de Leibniz au R. P. Des Bosses. Traduites du latin et annotées par Christiane Frémont. Préface de Michel Serres. Deuxième édition revue et corrigée, Paris 1999). Verglichen wurde ebenso die dt. Übersetzung von Werner Wiater, die zehn Briefe von Leibniz an Des Bosses in längeren und kürzeren Auszügen beinhaltet (Leibniz, Gottfried Wilhelm: Briefe von besonderem philosophischen Interesse. Zweisprachig. Hrsg. und übers. von Werner Wiater. Philosophische Schriften, Band V/2: Die Briefe der zweiten Schaffensperiode. Frankfurt/M. 1990, S. 220–279). Abkürzungen des lat. Textes wurden in der Übersetzung stillschweigend aufgelöst bei der Datierung am Briefende, insbesondere Monatsnamen (z. B. »7 Septembr. 1711« als »7. September 1711«); teils auch bei Titeln und Anredeformeln im Brieftext, soweit eine entsprechende dt. Abkürzung nicht üblich ist. Aus stilistischen Erwägungen ist das authentische »Du« (Tu) der lateinischen Briefanrede durch – nach Vertraulichkeitsgrad heute
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Editorische Notiz
eher entsprechendes – »Sie« ersetzt. Das »Sie« hat damit nur singularischen Sinn, während der Plural der 2. Person mit »Ihr« (Vos) und »Euer« (Vester) belassen wurde, um Verwechslungen zu vermeiden. Dies umso mehr, als mit dem pluralischen Pronomen von den Briefpartnern geradezu eine Heilssoziologie zum Ausdruck gebracht wird (Wir/Protestanten – Ihr/Katholiken und umgekehrt; Ihr/Wir Jesuiten; ähnlich »wir« die Europäer – »sie« die Chinesen, etc.). Die Anredepronomina in allen Deklinationsformen werden als distante Anrede immer groß geschrieben. Die lat. Vorlage hat stattdessen nicht selten Kleinschreibung (vos, vestri neben Vos etc.). Bemerkt sei hier noch, dass die vielbesprochene »Exigenz« mit dem dazugehörigen Verb »exigere«, die Leibniz so oft im Sinn eines bloß äußeren Erfordernisses den immanenten Implikationsverhältnissen entgegensetzt, neben dem Erfordern und Einfordern auch als Herausfordern und In-Anspruch-Nehmen wiedergegeben wurde. Im Übrigen sind Übersetzungsentscheidungen Anmerkungen und Glossar zu entnehmen.
II. Zeichenapparat |
Seitenbeginn nach Gerhardt; bei anderer Hauptquelle nach anderen Hrsg. Am Textrand mit Sigel und Seite spezifiziert. ¦ Seitenverweis auf Dutens oder eine andere Zusatzquelle, ebenfalls am Rand mit Hrsg.-Sigel und Seite angezeigt. Einschaltung einer Dutens-Seitenziffer ¦ bedeutet zugleich, dass die folgende Stelle bei Gerhardt fehlt oder, am Briefende, durch ein »etc.« gekürzt ist. Neuerlicher ¦ markiert das Ende des Einschubs, dieselbe Funktion hat die Neuindizierung einer Gerhardt-Seite | . [ ] Zusatz des Hrsg.-Übersetzers [… … G], [… … … G] Auslassung nach Gerhardt, je nachdem dieser sie in halben oder ganzen Zeilen angibt. — Die kürzeren Auslassungen der Textvorlage (durch die Briefschrei-
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ber selbst z. B. in Zitaten, oder durch Eingriff Gerhardts, was bei G oft nicht zu unterscheiden ist) sind durch drei Punkte … ohne eckige Klammern wiedergegeben. ( ) Runde Klammern stehen so in der Textvorlage, falls nicht – in wenigen Ausnahmefällen zur Angabe der Originalterminologie, etwa Beilage zu Nr. 102 – anders ersichtlich. Wichtige Originaltermini werden sonst in Anmerkungen oder im Text parallelgeführt zwischen Kommata eingebracht. < > ersetzen Gerhardts, Look’s (Brief Nr. 4, Anhang B 1) und Mugnais (Bemerkungen zu Temmik) eckige Klammern, oder entsprechen den spitzen Klammern des Editors (Robinet) in Anhang A 6; in Anhang A 5 (Look) geben sie die eckigen, spitzen und geschwungenen Klammern des Ersthrsg. gleichermaßen wieder. G * Anmerkung von Gerhardt, hier jeweils am Briefende ausgeführt (bei Gerhardt: Fußnote am Seitenende) Groteskschrift: Die Editorenrede Gerhardts und anderer Quellenherausgeber ist in einer anderen Schrift gesetzt. Kursivschrift in Briefen und Anhang gibt Hervorhebungen durch Leibniz und Des Bosses wieder (im Original meist Unterstreichungen); die gedruckten Vorlagen verwenden dafür meist Sperrung, so auch G, oder Kursive (z. B. C). – In wenigen anderen Fällen markiert Kursive, zweitens, (je angegebene) Einschübe von Hand diverser anderer Hrsg. und dient drittens gelegentlich dazu, das Zahlwort »eins« gegenüber dem unbestimmten Artikel hervorzuheben. Kursivschrift in den Anmerkungen zu Briefen und Anhang verweist auf Registereinträge. Im Register – vgl. auch die dortigen Hinweise – erfolgen durch Kursivdruck die Querverweise. » « Hervorhebungen der Briefautoren (Sperrungen nach G), die eindeutig als Zitate erkennbar sind, sind hier recte zwischen Anführungszeichen gestellt. Nur an folgenden zwölf Stellen verwenden auch Des Bosses / Leibniz Anführungszeichen (nach G – in Nr. 60 und 102 zusätzlich mit Sper-
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Editorische Notiz
rung –, bzw. nach Bl): S. 101 f., 103, 157, 158 f., 167 (2. Abs.), 200, 211 (473), 239 f., 247 f., 271–282, 292 und 335. Außerdem dienen die Anführungszeichen in Briefen und Anhang der Hervorhebung von Literaturtiteln, Phrasen und wenigen Zitaten (S. 206, 221 f. und 281 Abs. 1) durch den Hrsg. Darüber hinaus vgl. die Anhänge A 7, A 8 und A 9 mit den einzelnen Editionsbemerkungen. Hochgestellte Anmerkungsziffern verweisen auf die Anmerkungen des Herausgebers ab S. 361; tiefgestellte verweisen auf Fußnoten am Seitenende. Die Briefköpfe enthalten durchlaufende Nummerierung, Absender, eine eigene Zählung für jeden der Schreiber (L, DB) und das Datum. Die Zusatzzeile gibt an: Textgrundlage / Stelle bei D und (sofern nicht Textgrundlage) G. Für G – falls nicht anders vermerkt: Band zwei von GP – wird dessen röm. Nummerierung der Briefe mit angeführt, für D·2 der Seitenbereich, für D·6 die dortige Nummerierung. In Klammer folgen allfällige (Teil-)Abdrucke bei Erdmann (E mit Nr.) und Schmalenbach (S), nach Schrägstrich die Übersetzung bei Frémont (F mit röm. Nummer) und Wiater (W mit Nr.). Damit ergibt sich ein Überblick über die bis dato »wichtigsten«, handschriftenbasierten Editionen und daraus schöpfende umfangreichere Ausgaben.
GOT TFRIED WILHELM LEIBNIZ Der Briefwechsel mit Bartholomäus Des Bosses
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
25. 1. 1706 G I.
| Es war mir das größte Vergnügen, dass Sie sich an unser jüngstes G hastiges Gespräch erinnert haben und meine bescheidene Hilfe in Anspruch nehmen wollten; und ebenso, dass Sie mir statt einer Abschrift von Tolomei sein Autograph zur Lektüre überließen. Wenn Ihnen dieses Buch so zusagt, wie ich mit Freuden Ihrem Verlangen danach entnommen habe, dann kann sich der Autor dazu gratulieren und wird sich um die Zensur nicht zu kümmern brauchen, falls sie dennoch ihre Zustimmung verweigert, was, so wie bei allem, der Fall sein kann. Aber ich erzähle Ihnen, verehrtester Herr, dass derselbe Tolomei, der auf Ihr Wohlwollen ihm gegenüber so stolz ist, vielleicht, während Sie das lesen, General unserer Gesellschaft ist. Denn der Ew. P. Thyrso Gonzalez ist, wie Sie zweifellos gehört haben, vor nicht sehr langer Zeit aus dem Leben geschieden, und die Wahlversammlung, auf der ein Nachfolger für ihn bestimmt werden muss, hat bereits am Siebzehnten dieses Monats in Rom begonnen. Ja man nimmt an, dass eben dieser heutige Tag, an dem ich schreibe, für die Durchführung der Wahl festgesetzt worden ist; durchwegs alle Meldungen, die aus Rom überbracht wurden, sprachen über nichts anderes als Tolomei. Ich wünsche mir dies zum einen gewiss um Ihret-, zum anderen um der Philosophie willen: Ihretwegen, damit Sie sehen, dass Ihre Freundschaft ehrenvoll an den rechten Mann gebracht ist; der Philosophie wegen aber, weil er, wie Sie aus seinem Werk erkennen, kein so sturer Peripatetiker ist, dass er Angst davor hätte, vortreffliche Gedanken anderer Philosophen, vor allem neuerer, innerhalb des Lyzeums zuzulassen. Was soll ich also von Ihren Gedanken sagen? Er umfängt sie sicherlich mit beiden Armen – zu Recht, denn wenn er [schon] jene, die die peripatetische Sache zumindest nicht zu Fall bringen, und noch nicht einmal befördern,
4
1. Des Bosses an Leibniz
recht wohlwollend aufnimmt, dann ziemte es sich, Sie, der Sie das fast schon einstürzende Stagira so tatkräftig aufrecht halten, seine Schutzwälle ausbauen und es zu einem ehrenvollen Friedensschluss mit allzu grimmigen Feinden führen, von dieser Neigung nicht auszunehmen! Wenn nun Tolomei noch vor der Veröffentlichung seines Buches Ihre Meditationen über das aktive und passive Prinzip gesehen und durchdacht hätte, hätte er auch selbst nicht anders G von den substantiellen Formen sprechen | und ebenso wenig einräumen wollen (ich wünschte, es wäre ihm nicht entschlüpft), dass sie einzig durch Autorität gebilligt werden können, weil er mir immer, wie auch bei den Atomen und manch anderem, einem guten Grund der Gegenpartei den Vorzug zu geben schien. Ich wage zu behaupten, wenn Hermolaus Barbarus damals über Ihr Genie verfügt hätte, hätte er über den Begriff der Entelechie – ein Wort, ohne dessen Verständnis das System von Aristoteles, wie er einsah, bloß ein Rätsel ist – nie einen Dämon befragen wollen. Ihre Deutung dieser Vokabel wird, wie es scheint, mehr zur Übereinstimmung der alten und neuen Philosophie beitragen als alle, von anderen zu diesem Zweck und unter diesem Titel geschriebenen Werke. So halten es nämlich die Cartesianer, welche vehement die Preisgabe der Idee der Formen durch täglichen und umso schändlicheren Missgriff von uns verlangten; umgekehrt glauben sie, dass gerade diese [Idee] selbst, und zwar, wie sie meinen, die klarere, ihnen als Schutzwall dient. Sodass offenbar jener Ausspruch von Aristoteles über gewisse Philosophen oder Sophisten seiner Zeit gegen sie gerichtet scheint – Buch 4 der Metaphysik, Text 9, den unser Fonseca auf Lateinisch mit den Worten wiedergibt: » Nicht darin gehen sie (die Cartesianer) fehl, dass sie diese (geometrischen Prinzipien) behandeln, als ob sie nicht philosophierten, sondern weil das entschieden Frühere die Substanz ist, von der sie nichts wissen.« Nun war das einst auch meine Ansicht, als Sie mir nur aus dem Pariser Journal bekannt waren, in welchem ich – nachdem ich einmal von Ihrer Philosophie gekostet hatte – allem, was von Ihnen vorgebracht worden und durch Ihren Charakter ausgezeichnet war, als meinem Maßstab nachgejagt habe – nämlich was die Philoso-
25. 1. 1706
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phie betraf: Denn (woran ich mit Bedauern zurückdenke) ich hielt es für besser, Ihre Mathematik, in der Ihnen selbst die Cartesianer die Regentschaft zuerkennen, – weil ich mich mit dieser Disziplin kaum von Grund auf bekannt gemacht habe – leisen Fußes zu umgehen, als mit einem Unreinen in Berührung zu bringen. Jetzt aber bin ich weit davon entfernt, meine Gesinnung zu ändern, sodass ich erst recht, je mehr es mir gelingt von Ihnen zu Gesicht zu bekommen (ich sah hier nämlich die Leipziger »Acta«, die ich anderswo nicht gesehen hatte), umso mehr in meiner Ansicht bestärkt werde und Ihren unglaublichen Scharfblick in philosophischen Dingen bewundere (was mit Erlaubnis der Cartesianer gesagt sei). Einmal hatte ich zufällig gesehen, was der berühmte Bayle in der neuesten Ausgabe seines Wörterbuchs aus Ihrer Quelle entnommen und den Artikeln über Pereira und Rorarius hinzugefügt hatte, was mir sehr gefallen und mich von vielen Zweifeln befreit hatte. Aber jetzt habe ich nur die erste Ausgabe dieses Wörterbuchs zur Hand, in der, wie ich sehe, das meiste davon fehlt. Falls Sie darüber hinaus etwas veröffentlicht haben, das sich an dieses Publikum wendet, so habe ich das nicht zu Gesicht bekommen und wünsche sehr es zu sehen, vor allem aber (wenn es recht ist) das Fragment des Briefs an Tolomei, worin Sie, wie sein Brief andeutet, Ihre Ansicht genauer darlegten. Wenn ich das bekommen hätte, wären zweifellos die meisten meiner Bedenken längst verflogen, denn ich leugne gar nicht, dass es etliche gibt, die mir Mühe bereiten, | die aber vorzulegen ich dieses G Mal unterlassen werde, um das gebotene Ausmaß des Briefes nicht zu überschreiten. Ich bin schon zufrieden, wenn lediglich das eine über die Kraft, die Sie als aktiv behaupten, noch angeführt ist. Wenn diese Kraft, virtus, in dem Streben, conatus, nach Handeln liegt, das immer in einen Akt mündet, falls keine Strebungen anderer Kräfte hindern, so frage ich, ob und wie das mit der Notwendigkeit unmittelbarer göttlicher Mitwirkung an jeglicher Handlung der Kreatur versöhnt werden kann. Wenn denn zur Handlung der Kreatur ein solches göttliches Mitwirken erforderlich ist, wird sich dieser Conatus in nichts von der Potenz zum Handeln unterscheiden, die die Schulen bislang überlieferten, weil die von ande-
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1. Des Bosses an Leibniz
ren Handelnden derart modifizierte Strebung keine Handlung nach sich zieht, wenn Gott nicht entsprechend seinem freien Willen mitwirken würde. Wenn aber jenes Mitwirken Gottes nichts anderes als die Kraft des Handelnden oder die durch die Strebung anderer Handelnder modifizierte Strebung ist, dann fallen wir in der Sache selbst auf die Ansicht von Durandus zurück, der einen unmittelbaren Einfluss Gottes auf die Handlungen der Geschöpfe leugnet; denn Durandus leugnet nicht das Mitwirken Gottes, wenn es von der wie auch immer modifizierten und gemäßigten Kraft einer geschaffenen Ursache nicht unterschieden ist. Die Ansicht von Durandus ist für uns jedoch nicht verbindlich, sie ist aber auch aus den Schulen der Protestanten verbannt, wie Sturm bekundet; dessen Beweis, den er hierauf für seine eigene Ansicht vorbringt, enthält jedoch keine Kraft, denn er lässt offensichtlich eine Ausnahme bei den Seelen zu, in denen er eine aktive Kraft anerkennt; was er nämlich von den Seelen sagt, das werde ich klarerweise auch von anderen Formen sagen können. Aus diesem meinem Bedenken erkennen Sie nun auch, was meine Absicht ist: dass ich nämlich Ihre Begriffe, ohne (soweit das geht) deren Substanz anzugreifen, an die aristotelischen Ausdrücke, oder vielmehr diese an jene, und beide an die kirchlichen Dogmen anpasse. Sobald ich bemerke, dass Ihnen dieses Vorhaben zusagt, werde ich guten Mutes, unter Ihrer Anleitung, die geplante Zurückführung der peripatetischen Philosophie auf der aristotelischen Metaphysik entnommene Prinzipien in Angriff nehmen – wenn mir nur die aufgetragene Theologievorlesung so viel Muße lässt. Sie aber, hochverehrter Herr, verdientester Schutzherr der Bestrebungen [conatus], mögen meine Bestrebungen nicht verachten und meinen etwas langen Brief verzeihen; ich werde ein andermal eine Probe der Analysis schicken, die ich konzipiert habe. Indessen bin und werde ich immer sein etc. Hildesheim, 25. Jänner 1706
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2. 2. 1706 G II / D·6 I (S / F I, W 1).
¦ Hochwürdigster Pater, verehrtester Gönner! ¦
D
| Da ich von größter Leidenschaft für die Wahrheit getrieben bin, G umarme ich alle innig, die sich um sie sorgen. Umso mehr freue ich mich über Sie als Nachbarn und Freund, der die Wahrheit zur Freundin hat und dem auch das Meinige von einigem Nutzen für ihre Feststellung scheint. Wir haben ebenfalls aus Rom erfahren, dass sich auch Tolomei unter den wenigen befindet, die für Eure Wahl kandidieren. Genannt wurden außerdem Alemann und Tamburini, den Thyrso Gonzalez inzwischen zum Vikar ernannt hatte. Ich freue mich darüber, zumal ich Tolomeis Tugend und Lehre persönlich wie auch aus Briefen genau kenne, und werde gerne diesem bedeutenden Mann zum obersten Vorsitz in Eurer Gesellschaft gratulieren. Auch zweifle ich nicht, dass die vorzüglichen Pläne des Privatmannes im Amt wirksamer umgesetzt werden können. Obschon nicht wenige hervorragende Männer aus Eurem und anderen Orden löbliche Anstrengungen geleistet haben, um zwischen alter und neuer Philosophie zu vermitteln, meine ich doch mit Ihnen, dass manches bisher zu wünschen übrig lässt und einiges nicht richtig dargestellt wird. Denn Honoré Fabri (mit dem ich in der Jugend verkehrte), ein besonders in der Naturkenntnis höchst bewanderter Mann (was ich bewunderte), hat zu viel und doch nicht genug einerseits den Neueren zugestanden, andererseits ebenso der Schule überlassen. Die Burg des Peripatos, die er am meisten schützen sollte, nämlich die Seelen der Tiere und die ihnen analogen Entelechien, hat er mit Ausnahme einzig der menschlichen [Seele] den Gegnern ausgeliefert, während er unterdessen völlig entlegene äußere Bollwerke, die keine Verteidigung brauchen, nämlich gewisse unaussprechbare, ἀῤῥήτουϚ, Qualitäten,
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2. Leibniz an Des Bosses
die er als ursprünglich annahm – wie Gewicht und Spannung –, mit großer Sorgfalt verteidigte, obwohl es doch auf der Hand liegt, beides – ohne das Ganze der peripatetischen Lehre anzutasten – aus der Bewegung der nichtsinnlichen Materie zu beziehen und Porosität und Dichte der Körper (und damit die Spannkraft vulgo elastische [Kraft]) sich genau wie einen Schwamm vorzustellen, durch dessen Räume ein Fluidum strömt, welches kaum duldet, dass seine gewohnten Bahnen sich ändern. Sie aber, außergewöhnlicher Mann – da ich sehe, dass Sie den richtigen Weg beschreiten, die Philosophie für den Schulgebrauch zu verbessern und darzustellen, sodass ein Jugendlicher nicht an verdrießlichen Prinzipien herangebildet wird –, wage ich immer wieder (entsprechend der Freiheit, die Sie mir hoffentlich einräumen) zu ermuntern, in dieser für die Republik, ja für die Kirche so bedeutsamen Sache nicht nachzulassen. Auch einem Theologie Lehrenden wird sich die Philosophie überall anbieten. Statt des erweiterten Philosophiekursus, den jetzt Ihre Zeit nicht zulässt, würde ich raten, ein Philosophiebrevier anzulegen, wie es Eustach von G St. Paul einmal verfasst hat; das | würde für Ihre Theologiehörer ein Handbuch abgeben und irgendwann auch zu den anderen gelangen. Ich gestehe, dass ich mich als Jüngling auch ein bisschen an die Stacheln der Schule herantastete (über die Gepflogenheit der Unsrigen hinaus) und nie bereut habe, das getan zu haben; auch sonst hatte ich immer die Einstellung, lieber das Überlieferte zu verbessern als wegzuwerfen. Von daher stammen bei mir die eher versöhnlichen Meditationen, denen Sie auf Grund Ihrer Humanität so sehr zugeneigt sind. Wenn Ihnen bei ihrer Umsetzung für den praktischen Gebrauch irgendwelche Zweifel kommen, werde ich versuchen, diesen Genüge zu tun oder jedenfalls meine Intention so darzustellen, dass Sie selber entsprechend Ihrem sehr scharfen Urteil besser über sie befinden können. Und nun komme ich schon zu der Untersuchung, die Sie vorschlagen, ob und wie die aktive Kraft der Geschöpfe versöhnt werden kann mit der unmittelbaren Mitwirkung Gottes an jeglicher
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Handlung eines Geschöpfs. Denn bei Einräumung dieser Mitwirkung fürchten Sie, dass die aktive Kraft der Kreatur auf die bloßen Schranken eines Vermögens reduziert wird. Ich anerkenne, dass die Mitwirkung Gottes so notwendig ist, dass trotz Setzung einer beliebig großen Kraft der Kreatur keine Handlung folgen würde, wenn Gott die Mitwirkung entzöge. Ich meine sogar, dass auch die aktive Kraft selbst nicht, ja nicht einmal das bloße Vermögen ohne Mitwirkung Gottes in den Dingen existieren würde, weil ich generell behaupte, dass so viel Vollkommenheit in den Dingen ist, wie aus Gott in fortwährender Handlung hervorströmt. Doch ich sehe nicht, wie deshalb die Kraft auf ein bloßes Vermögen reduziert wird: Denn in der aktiven Kraft liegt, wie ich glaube, eine gewisse Herausforderung, Exigenz (wie die Euren sagen) einer Tätigkeit und somit der göttlichen Mitwirkung Gottes an der Tätigkeit, die irgendwie widerständig und in den durch die göttliche Weisheit aufgestellten Gesetzen der Natur begründet ist; diese Exigenz ist in dem bloßen Vermögen nicht enthalten. Aus der aktiven Kraft (die ja die Strebung beinhaltet) oder der Entelechie folgt eine Handlung, wenn nur die ordnungsgemäße Mitwirkung Gottes hinzutritt; aus dem Vermögen aber – auch wenn diese Mitwirkung, die zur Kraft erforderlich ist, hinzutreten kann – wird die Handlung nicht folgen. Daher genügt die, zum Handeln der Kreatur notwendige, Mitwirkung Gottes, die bei der Kraft genügt, beim Vermögen nicht, weil nämlich die Kraft selbst schon hergestellt war durch eine gewisse frühere Mitwirkung Gottes, wie sie das bloße Vermögen nicht besessen hat. In einer meiner Antworten auf Sturm, die in den Leipziger »Acta« gebracht wurde, werden Sie einen Beweis finden, der (wie mir scheint) den geometrischen ebenbürtig ist und zeigt, dass, wenn die Erfülltheit der Dinge und Einförmigkeit der Materie gesetzt ist (was die Cartesianer behaupten) und nur die Bewegung hinzukommt, stets Äquivalente einander ersetzen, so wie ein vollkommen einförmiges Rad, wenn es sich um die Achse bewegen würde, oder wenn konzentrische Kreise aus vollkommen gleicher Materie sich drehen würden, und daher der Zustand eines Augenblicks vom Zustand in einem anderen Augenblick nicht unterschieden werden kann, nicht
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einmal von einem Engel; | also könnte auch in den Phänomenen keine Mannigfaltigkeit existieren: und somit müssen außer Gestalt, Größe und Bewegung noch Formen zugelassen werden, durch welche die Distinktion der Erscheinungen in der Materie entsteht, von welchen ich nicht sehe, woher man sie nehmen kann, wenn nicht von den Entelechien. Was ich vor einiger Zeit an Tolomei durch den Hildesheimer Domkanoniker Baron von Reuschenberg geschickt habe, der zum großen Verlust für das öffentliche Wohl von einem frühen Tod hinweggerafft wurde – das ist jetzt in der Unordnung der Papiere untergegangen, und ich würde es schwerlich finden; doch es wird mir in die Hände kommen, wenn ich diesen Haufen in Ordnung bringe (wie ich es hin und wieder zu tun pflege), und ich werde dafür sorgen, dass Sie es sehen, wiewohl es Ihnen kaum Neues bieten wird.G* Als ein Franzose aus Eurer Gesellschaft, ein gelehrter und geistvoller Mann, etwas gegen meine Erklärung der Übereinstimmung zwischen Seele und Körper einwandte, nämlich dass sie eigentlich nicht die Union selbst erkläre, antwortete ich, dass meine Absicht nur war, die Phänomene zu erklären, die Union aber weder zu den Phänomenen zu zählen sei noch als hinreichend beschrieben gelten könne, sodass ich nicht wagen würde, seine Auslegung anzugreifen. Von dieser nach Frankreich geschickten Antwort schicke ich Ihnen die Abschrift; bitte erstatten Sie mir diese irgendwann zurück, da ich keine andere habe. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 2. Februar 1706 G
* Bis hierher geht der Entwurf des Briefes, derselbe ist ohne Datum.
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12. 2. 1706 G III.
Als ich von den Oberen nach Hildesheim geschickt wurde, hat mich vor allem der Gedanke erquickt, dass diese Stadt in der Nähe von Hannover liegt und ich dann vielleicht mannigfache Gelegenheit haben könnte, Sie, den ich so sehr bewundere, persönlich zu sehen. Zu dieser Hoffnung kommt noch hinzu, dass Sie mich des persönlichen Gesprächs und jetzt, bei Abwesenheit, eines Briefverkehrs für würdig erachtet haben. Was soll ich sagen? Sie haben mich mit Ihrem überaus freundlichen Brief beglückt und mir zudem einen gewaltigen Ansporn gegeben, den geplanten Weg auf jenen Linien, die Sie ungefähr vorzeichnen und ich mir zuvor im Geist ausgemalt hatte, unter günstigen Auspizien zu beginnen. Damit ich aber nicht selbst von der Grundlage abweiche, erlauben Sie, verehrtester Herr, dass ich Ihnen ein paar Axiome vorstelle, mit denen meines Erachtens die aristotelische Philosophie gestützt werden kann, damit ich, wenn die Fundamente etwa schwach sein sollten, mich nicht zum Narren mache und noch weitere Last darauf baue. 1. Seiendes und Eins sind austauschbar. 2. Ein Kontinuum ist ins Unendliche teilbar. | 3. Ein aktual Unendliches gibt es in der Natur G nicht. 4. Die Einheit ist das Prinzip der Zahl. 5. Bei Ursachen und Prinzipien kann man nicht ins Unendliche fortschreiten, sondern muss irgendwo stehen bleiben. Diese der Metaphysik Aristoteles’ entnommenen Axiome stehen mit Ihrem System meines Erachtens sehr wohl in Einklang, wenn man das dritte abzieht, bei dem ich zweifle, denn Sie scheinen mir irgendwo ein aktual Unendliches anzuerkennen. Ich halte jedoch Ihren Gedanken durch das der Möglichkeit nach Unendliche für hinreichend erklärbar, worüber ich Ihr Urteil abwarte. Bezüglich Honoré Fabri stimme ich Ihnen völlig zu, dass er den Neueren zu viel zugestanden hat. Er hat zwar sehr peripatetisch die
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Substanz zu erörtern begonnen, doch als er letztlich die substantielle Form als Resultat von Modi hinstellte, hat er alles verdorben. Denn dass es aktive Modi geben könne, leugnet er selbst mehrmals. Daher kommt es, dass seiner Meinung nach entweder den bloßen Akzidentien oder sogar der Materie selbst Aktivität zugesprochen werden müsse. Beides ist absurd, letztlich folgt es aus den Atomen, in denen er das Wesen der Materie ansetzt. Den Zweifel, den ich neulich vorbrachte, haben Sie mir beinahe genommen. Ich glaube nun zu begreifen, was zwischen Streben und reiner Potenz für ein Unterschied besteht. Indessen meine ich, dass die Scholastiker unter der Bezeichnung Potenz (auch wenn man sie eigentlich besser Kraft und Strebung, virtus und conatus, nennen sollte) die Sache selbst zugaben, wenn sie notwendige Potenz definierten als: die nach Setzung alles zum Wirken Erforderlichen notwendig wirkt. Weil das in der Natur immer geschieht (ich spreche nicht von der rationalen), werden in ihr reine Potenzen zu natürlichen Handlungen keinen Platz haben, sondern nur diejenigen zu – wie wir sagen – übernatürlichen Handlungen, zu welchen die Substanzen jener – wie Sie es nennen – Anregung₁ zwingend bedürfen. Das stimmt mit unserer Theologie vorzüglich überein. Ich gehe nun weiter zu den anderen Bedenken. Vor allem würde ich gerne wissen, ob und was gemäß Ihrem System eigentlich gewaltsam genannt werden kann in der Natur, denn die gängige Definition des Gewaltsamen: was aus einem inneren Prinzip geschieht, ohne dass das Erleidende Kraft aufwendet teilen Sie nicht, da nach Ihnen jede Handlung eigentümlich aus einem inneren Prinzip erfolgt. 2. Wenn Bewegung, wie Sie sagen, in der nach Veränderung drängenden Kraft besteht, dann bewirkt die Form oder Kraft nichts, weil sie selbst die zur Veränderung drängende Kraft ist. 3. Gibt es eine wahre substantielle Einheit in dem gesamten Wasser, das z. B. in einem Krug enthalten ist? ₁ Lat. »excitatio«; Leibniz sagte in seinem Brief »exigentia«, Einforderung.
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4. Entweder erzeugen unbeseelte Formen auf eigentümliche Weise etwas in der Materie oder nicht: wenn sie etwas erzeugen, was spricht dagegen, dass auch eine rationale Seele etwas eigentümlich im Körper erzeugt, da den anderen Formen eine eigene Aktivität an der Materie zukommt, | insofern es Entelechien sind – also G ein Attribut, das auch die rationale Seele besitzt? Wenn sie nichts erzeugen, dann wird man der Materie Aktivität hinsichtlich der Bewegung z. B. zugestehen müssen, denn niemand wird sagen, Materie bewege sich nicht von selbst, wenn eine Bewegung in der Materie selbst aufgenommen wurde. Über die anderen Bedenken, die ich habe, werde ich noch bis Ostern grübeln, dann komme ich nach Hannover und hoffe, die Lösung persönlich aus Ihrem Mund zu erfahren, obgleich ich befürchte, dass Sie nicht zu Hause sind, wie es zu Weihnachten der Fall war. Ich hatte zuvor mit Aufmerksamkeit und Vergnügen Ihre wunderschöne Darlegung gegen die Cartesianer, die Sie Ihrer Abhandlung gegen den verehrtesten Sturm beigelegt haben, gelesen und las sie wieder. Weshalb fragen Sie? Mich jedenfalls hat sie ganz gewiss überzeugt. Und es wundert mich nicht, dass sie vom antwortenden Gegner nicht angetastet wurde: er hatte natürlich nichts entgegen zu setzen. Sie zeigen deutlich: wenn man außer einförmiger Materie, Gestalt und Bewegung in der Natur nichts zulässt, wird man auch keine Mannigfaltigkeit in den Dingen feststellen. Nicht einmal eine Gestalt, meine ich, oder Ortsbewegung kann es dann geben. Denn eine Gestalt erfordert ebenso von innen her eine Oberfläche des gestalteten Körpers, wie die Ortsbewegung eine Außenfläche des an einem Ort befindlichen Körpers₂; keine der beiden lässt sich vor einer Einteilung des Geistes erkennen: woraus Sie schön ableiten, man müsse eine von der örtlichen unterschiedene Bewegung der Veränderung₃ behaupten. Nichts Wahreres und dem peripatetischen Sinn Angemesseneres könnte man sagen. ₂ Lat. »superficiem intrinsecam corporis figurati« … »superficiem extrinsecam corporis locantis«. ₃ Lat. »alterationis«
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Die Antwort auf den Einwurf P. TourneminesG*, die ich mit dem Ausdruck des Dankes zurückerstatte, habe ich abgeschrieben, wie das meiste von Ihnen, das in meine Hände gelangt, und wenn Sie noch mehr mitteilen, werde ich es getreu retournieren, sobald ich eine Abschrift angefertigt habe. Aus einem mehrfachen Grund war es mir lieb, dieses Papier zu sehen. Erstens lerne ich daraus, dass das Journal von Trévoux nicht eingestellt wurde, wie der Amsterdamer Typograph androhte, der es nachzudrucken begonnen hatte und von dessen Ausgabe – so meine Absicht, nachdem ich mir drei Jahrgänge, die sechs Bände umfassen, anschaffte – auch noch die übrigen, die erschienen sind und noch erscheinen werden, dazukommen sollen, sobald ich weiß, dass sie feilgeboten werden. Der zweite Grund ist, dass mir aus Ihrer Schrift ein gewisses Licht entgegen strahlte, das mir Ihren Gedanken besser einsichtig macht; denn – um nicht zu heucheln – ich blieb genauso wie unser Franzose an jener Klippe hängen mit der leisen Befürchtung, dass wir eine metaphysische Union nicht entbehren können – nicht weil ich glauben würde, sie widerstreite Ihren bisher bekannten PrinziG pien, | sondern weil ich fürchtete, dass sich unter Ihren Prinzipien eines verborgen hält, das die Notwendigkeit jener Union aufheben würde. Wie mysteriös, μυστηριώδηϚ, jene Union übrigens auch sein mag, für mich ist sicher, dass sie nicht im Modus des Relativen bestehen kann; denn Relationen setzen, so wie andere Akzidentien, eine bereits konstituierte Substanz voraus, was auch der Grund für Aristoteles’ Behauptung ist, die Teile der Substanz ständen, bevor der Geist sein Werk [verrichtet], in keiner Beziehung, sei es zum Ganzen oder zueinander. Da nun Relation eine bestimmte Ordnung des einen zum anderen ist, welche reale Ordnung kann es geben, wenn es lediglich das eine gibt? Man kann daher keine reale Beziehung zwischen Seele und Körper aufstellen, sondern bloß eine Relation der Sprache nach, wie man sagt, die zunächst der mentalen Trennung zwischen Körper und Seele entspringt. Daher muss man meiner Ansicht nach sagen: Was immer es ist, das über Seele und Körper hinaus eine individuelle Substanz ausmacht, es ist die absolute
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Existenz der ganzen konkreten Substanz selbst; welche Aristoteles und der hl. Thomas als von Materie und Form (die ja das Wesen der Substanz sind) unterschieden, als eine und beiden gemeinsam behaupten. Dadurch scheint auch die Meinung Alberts, den Sie mit der Feststellung zitieren, dass Formen, ja das ganze Lebewesen, der Essenz nach immer in der Materie gewesen sind, bedeutend an Klarheit gewinnen zu können – und das durchaus in Ihrem Sinn, wenn ich nicht irre. Zu diesem Problem kann man das Buch des hl. Thomas über die Natur der Materie nachlesen, das sich im 2. Band der Pariser Edition des Jahres 1660 befindet, wo er in Kapitel 8 und 9 Seite 367 prüft, »wie im Menschen mehrere Formen dem Wesen nach, secundum essentiam, sind, aber nur eine der Existenz nach, secundum esse, und wie es unmöglich ist, dass zwei substantielle Existenzen einfachhin in demselben materiellen Zusammengesetzten sind«, was alles, wie ich fest glaube, ganz nach Ihrem Geschmack sein wird. Wenn dies wahr wäre (dass zumindest Aristoteles so gedacht hat, bin ich überzeugt), dann würden wir keine weitere Erklärung der Union mehr suchen müssen, da Existenz der erste Begriff eines jeden ist. [… … G**] Leben Sie wohl etc. Hildesheim, 12. Februar 1706 G
* Remarque de l’Auteur du Systeme de l’Harmonie préetablie sur un endroit des Memoires de Trevoux du Mars 1704. G ** Im Folgenden berichtet des Bosses über die Wahl des Jesuitengenerals in Rom.
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G IV / D·2, 265 f. / Look 1999 S. 69 f. (E 1, S / F II). Der Brief ist ergänzt um Stellen, die von Leibniz gestrichen wurden und in Gs Endfassung nicht enthalten sind (nach Look). Sie stehen kursiv zwischen spitzen Klammern. Lateinische Version mit Quellenangabe: Anhang B 1. D
¦ Ehrwürdigster Pater! ¦
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| Ich fürchte, mich der Ehre, die Sie mir geben, indem Sie nach recht schwer Ergründbarem fragen, vielleicht nicht würdig genug zu erweisen. Trotzdem sage ich meine Meinung, weil Sie mich dazu auffordern; mögen Sie sie wohlwollend aufnehmen. Dass Seiendes und Eins austauschbar sind, meine ich mit Ihnen; auch dass die Einheit das Prinzip der Zahl ist, wenn man die Gründe oder Priorität der Natur, nicht aber die Größe im Auge hat, denn wir haben Brüche ins Unendliche, die jedenfalls kleiner sind als die Eins. Ein Kontinuum ist ins Unendliche teilbar. Das beweist eine gerade Linie, oder der Umstand, dass ein Teil von ihr der ganzen ähnelt. Wenn daher das Ganze geteilt werden kann, wird das auch für den Teil und ebenso einen beliebigen Teil des Teils möglich sein. Punkte sind nicht Teile eines Kontinuums, sondern Extremalgrößen, und den kleinsten Teil einer Linie gibt es genauso wenig wie den kleinsten Bruch der Einheit. Es gibt ein aktual Unendliches in der Natur, daran zweifle ich nicht, und die Erfülltheit der Welt sowie die gleichmäßige Teilbarkeit der Materie vorausgesetzt, folgt aus den Gesetzen der unterschiedlichen Bewegung, dass sich jeglicher Punkt in einer Bewegung bewegt, die sich von jedem anderen bestimmbaren Punkt unterscheidet. Doch anders würde die Schönheit und Ordnung der Dinge auch nicht Bestand haben. Und ich sehe nicht, warum wir davor zurückscheuen sollten. Im Gegenteil, was man dem entge-
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genhält, lässt, wenn ich nicht irre, eine Widerlegung zu und pflegt sich auf falsche Hypothesen zu stützen. Es gibt keinen Fortschritt ins Unendliche bei den Gründen der universalen oder ewigen Wahrheiten, doch es gibt ihn bei den Gründen der einzelnen. Daher kann Einzelnes von einem geschaffenen Geist nicht vollständig erklärt oder erfasst werden, weil es Unendliches impliziert. Größeres hängt von Kleinerem ab, dieses von anderem, noch Kleinerem. Die Scholastiker kannten vielleicht einmal eine Potenz, die mit Strebung [verbunden] wäre; doch im Allgemeinen wurde die Sache, meine ich, anders aufgefasst. So bedeutet die Anlage zum Lachen, Risivitas (gewöhnlich Lachfähigkeit, Risibilitas) beim Menschen nicht, dass der Mensch lacht, wenn niemand ihn hindert, sondern dass er lacht, wenn sich ein Anlass zum Lachen bietet. Wenn sie daher gesagt haben, falls alles Erforderliche vorliege, handle die Potenz notwendig, dann haben sie, meine ich, unter dem Erforderlichen die auslösende Gelegenheit mitgerechnet. Gewaltsames gebe ich jedenfalls zu, und man darf meines Erachtens nicht vom gängigen Sprachgebrauch abweichen , der auf das Erscheinende Bezug nimmt, ungefähr in der Weise, in der Kopernikaner von der Sonnenbewegung im ganz gewöhnlichen Sinn sprechen. Auf die gleiche Weise sprechen wir von Zufall und Glück. In der Bewegung ist, das räume ich ein, gewiss etwas über die zur Veränderung drängende Kraft hinaus, nämlich die Bewegung selbst. Im Wasser ist meines Erachtens nicht mehr substantielle Einheit als in einem Schwarm von Fischen, die in demselben Teich schwimmen.
G | Wenn ich behaupte, die Seele erzeuge in der Materie nichts, verstehe ich darunter nur, dass sich durch die Seele die materialen Bewegungsgesetze nicht ändern. Ansonsten ist die Seele die Entelechie oder ursprüngliche aktive Potenz in einer körperlichen Substanz, durch welche die Materie oder ursprüngliche passive Potenz derselben Substanz vervollkommnet wird, und durch Modifikation dieses [doppelten] Ursprünglichen entstehen in der körperlichen Substanz selbst Tätigkeiten und Erleidungen . Sturm ist, wie ich glaube, ein Liebhaber der Wahrheit gewesen, hat aber, befangen in Vorurteilen, das Meine nicht aufmerksam genug durchdacht. Die Antwort auf Tournemines Einwand (der ja schon ziemlich alt ist, von mir jedoch erst später beachtet wurde) habe ich vor kurzem nach Frankreich geschickt, aber noch keine Reaktion erhalten. So weiß ich nicht, was nun der Stand des Journal de Trévoux ist. Ich hoffe doch, dass das nicht wahr ist, was man von seiner Einstellung gesagt hat. Indessen fürchte ich, es hat vielleicht den Autoren geschadet, dass sie theologische Fragen mitunter sehr frei und nicht ohne Leidenschaft behandeln und sich manchmal ziemlich scharf gegen andere ausdrücken.
Es freut mich, dass der Vorschlag zur Anfertigung eines philosophischen Breviers zu Ihren Vorhaben passt. Überhaupt glaube ich ja, dass man in vielem nicht richtig entscheiden kann, wenn man nicht über alles den Überblick hat. Ich fürchte, zum nächsten Osterfest nicht das Vergnügen einer Unterhaltung mit Ihnen zu haben, denn ich muss nicht nur nach Braunschweig, sondern auch nach Berlin fahren. Ich hoffe dennoch, dass meinem Vorsatz ein anderes Mal Erfolg beschieden ist. Indessen leben Sie wohl, tun Sie alles mit der Einstellung, dass die literarische Republik von Ihren hervorragenden Arbeiten bald Gebrauch macht, und fahren Sie fort, mir gewogen zu sein. Aufgegeben in Hannover, 14. Februar 1706 D ¦ Ergebenst Gottfr[ied] Wilh[elm] Leibniz ¦ P. S.: Da es überall Monaden oder Prinzipien einer substantiellen Einheit in der Materie gibt, folgt daraus ebenfalls, dass es ein aktual Unendliches gibt, denn es gibt keinen Teil oder Teil₄ eines Teils, der nicht Monaden enthält.
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2. 3. 1706 G V.
Auf Ihren mir höchst willkommenen letzten Brief zu antworten, habe ich hinausgeschoben, weil ich glaubte, Sie würden bald abreisen; da ich jetzt von dem verehrten Herrn Behrens höre, dass Ihre Reise nicht so bald stattfinden würde, wage ich neue Zweifel bezüg₄ »pars« nach G; Look S. 70: »par« (»gleich / das Gleiche«) entspricht inhaltlich nicht.
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lich Ihrer Antwort vorzulegen, denen Sie – falls es welche sind, die auch andere quälen können – antworten werden, sobald es Ihnen genehm ist; ich will nämlich nicht Ihre Freundlichkeit missbrauchen, oder dass Sie wegen meines Anliegens Ihre höchst kostbare Zeit für nutzlose Gefälligkeiten vergeuden. Indessen kann ich meine G Zweifel hier – sie mögen aus Vorurteilen | oder aus einem unzulänglichen Verständnis Ihres Denkens entstehen – nicht überwinden, weil doch, wie Sie weise einmahnen, über vieles nicht richtig entschieden werden kann, wenn man nicht alles überblickt. Gleich als Erstes: Wenn Seiendes und Eins vertauscht werden, gibt es also bei einem Ding nichts Einfaches und Wirkliches außer dass es aktual einfach Eines ist; aber ein Bruch der Einheit oder des aktual schlechthin Einen ist kein aktual schlechthin Eines, sonst wäre ein aus Materie und Entelechie bestehendes Eines, dessen Bruch wir erhalten, ein Aggregat von Einheiten und somit nicht Eins; also werden die Brüche jeder einfachen Einheit nur mathematische Seiende sein, die aus einer Abstraktion des Geistes folgen. Abermals: Ein beliebiger Teil der Materie existiert, also ist jeder beliebige Teil der Materie einer oder viele; wenn viele, ist der Teil des Teiles einer, denn wo es nicht Eins gibt, gibt es auch nicht Viele. Zudem ist das, was Eins ist, nicht Vieles. Also ist die Materie, sofern sie einer Entelechie zugrunde liegt, nicht aktual Vieles. 2. Ich würde gerne wissen, ob es in der Natur notwendig ist, ein aktual Unendliches für die Größe ebenso wie für die Menge zuzugeben? Tolomei jedenfalls lehnt Ersteres ab, das Zweite gibt er zu: Aber billigen Sie seine Ansicht und Lösungen? Wenn nicht, verschaffen Sie mir, ich flehe Sie an, irgendeinen Autor, dem ich bei der Verteidigung des Unendlichen als Führer sicher folgen kann, oder geben Sie wenigstens mit einem Wort einen Hinweis auf den Schlüssel zu dieser Schwierigkeit, denn die falschen Hypothesen, auf die sich, wie Sie sagen, die Gegner des Unendlichen stützen, sehe ich nicht, und ich habe niemand getroffen, der mich zufrieden stellen könnte. Sie haben ein andermal im Journal de Trévoux, als von der Differentialrechnung die Rede war, darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht notwendig ist, das Unendliche im strengen Sinn zu neh-
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men, und in Ihrem »Specimen Dynamicum« erklären Sie nach den Ausführungen über die unendlichen Grade des Antriebs: »obwohl ich deswegen nicht meine, dass diese mathematischen Seienden sich tatsächlich so in der Natur vorfinden, sondern dass sie nur dazu dienen, um sorgfältige Einschätzungen durch Abstraktion des Geistes vorzunehmen.« Diese doppelte Stelle veranlasste mich zu glauben, das Unendliche, das Sie aufstellen, könne im Bereich des Synkategorematischen enthalten sein; denn was verbietet uns, das, was von den Graden des Antriebs gesagt wird, auf eine Vielzahl von Substanzen zu übertragen? Oder meinen Sie, dass die Fülle der Welt, die gleichmäßige Teilbarkeit der Materie und die Gesetze der variablen Bewegung ebenfalls nicht erklärt werden können ohne das Unendliche, im strikten Sinn verstanden? 3. Wenn Sie sagen, dass es keinen Teil einer körperlichen Substanz, ja keinen Teil des Teils gibt, der nicht Monaden enthält, meinen Sie dann genau, dass dieselbe Materie von mehreren Entelechien zugleich geformt wird, oder dass jeder Teil der Materie unter einer anderen Entelechie, jeweils einzeln, und keiner unter mehreren [Entelechien] steht? Ich glaube das Erstere nicht, sonst könnte man sagen, dass ein beliebiger Teil der Materie zumindest alle Arten der unbelebten | Formen enthält, und so würde man die Homogenität G der Materie behaupten, ihre Varietät aufheben. Daher ist das Zweitere zu verteidigen; doch da die einzelnen Entelechien (nämlich unendliche) in der Materie sind, kommen ihnen je einzelne unendlich kleine Materieteilchen zu, die jedoch selbst wieder teilbar sein werden. Es werde nun eines von ihnen geteilt; da allerdings diese Entelechien weder zerstört noch geteilt werden können, aber von der Natur auch keine neue hervorgebracht werden kann, folgt eins von beiden: Wenn eine Entelechie, deren Materie zerteilt ist, einem ihrer voneinander getrennten Teile folgt, bleibt der andere Teil der Materie ohne Entelechie zurück; oder jener verlassene Teil wächst mit anderen benachbarten Monaden zusammen, und das Wesen der substantiellen Unionen verändert sich somit. 4. Beseelte Tiere gehen nicht zugrunde, andernfalls würden ihre Seelen, die nicht zugrunde gehen, in der Natur nutzlos bleiben. Was
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also geschieht, wenn – wie es geschehen kann – die Teile einer organischen Maschine, an der diese Seelen befestigt sind, voneinander getrennt werden? 5. In der Abhandlung gegen den ber[ühmten] Sturm verneinen Sie, dass es eine Potenz gebe, die nicht aktiv in Bewegung setzt; was wird demnach die Materie sein, die doch passive Potenz ist? Schließlich: Wenn Sie sagen, die zweiten Ursachen würden wirken, wenn kein Hindernis da ist, meinen Sie ein negatives oder ein positives Hindernis: Wenn Sie behaupten, sie würden wirken, wenn kein negatives Hindernis da ist, fordern Sie bereits eine positive Gelegenheit oder Bedingung dafür, dass ein Mensch lacht, denn das negative Hindernis wird nur durch etwas Positives beseitigt. Wenn Sie sagen, sie würden wirken, wenn kein positives Hindernis da ist, dann wollen wir also annehmen, dass in der Natur nur eine einzige körperliche Substanz existiert, bestehend aus Materie und einer einzigen Entelechie; in diesem Fall setzt diese Substanz unendliche Handlungen gleichzeitig, denn sie wird kein positives Hindernis haben und es wird keinen Grund geben, warum sie weniger [sc. Handlungen] setzt oder warum sie eher die eine als die andere setzt. Außerdem ist allein die Seele im Menschen frei; daher erzeugt seine organische Maschine eine freie oder spontane Selbstbewegung bei Gelegenheit der von der Seele hervorgebrachten geistigen Bewegung; diese Gelegenheit jedoch greift nicht als Ursache ein, sondern als Bedingung. [… … G*] Es geht das Gerücht, dass Tolomei zum Kardinal ernannt werden soll. Ich bitte etc. Aufgegeben in Hildesheim, 2. März 1706 G
* Das Folgende bezieht sich auf die Wahl des Jesuitengenerals in Rom.
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11.–17. 3. 1706 G VI / D·2, 266–270 (E 2, S / F III, W 2).
¦ Hochwürdigster Pater! ¦
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| Unter so unangenehmen Umständen habe ich um der Gesundheit G willen die Reise ein wenig verschoben. Da Ihre Bedenken höchst wichtige und schwierige Dinge berühren, mögen Sie es für recht und billig erachten, wenn ich nicht das leiste, was die Würde der Sache verlangt und Ihr Scharfsinn herausfordert, sondern was meine Kräfte hergeben. Seiendes und Eins sind vertauschbar, aber wie es ein Seiendes durch Aggregation gibt, so auch Eins, selbst wenn diese Entität und Einheit halbgedanklich ist. Zahlen, Einheiten, Brüche haben die Natur von Relationen. Insofern können sie irgendwie auch Seiende genannt werden. Der Bruch[teil] einer Einheit ist nicht weniger ein Seiendes als die Einheit selbst. Man darf auch nicht glauben, dass die formale Einheit ein Aggregat von Brüchen sei, da ihr Begriff einfach ist und Teilbarem wie Unteilbarem zukommt, und es von Unteilbarem keinen Bruch gibt. Gleichwohl wird eine materielle Einheit, d. h. im ausgeführten Akt (aber generell verstanden), bei den Arithmetikern aus zwei Hälften zusammengesetzt – wenn das Subjekt sie fassen kann –, sodass ½ + ½ = 1 ist, d. h. so (man gestatte den Ausdruck), dass der Wert eines Stücks ein Wert-Aggregat von zwei Halbstücken ist. Im Übrigen sprach ich von Substanzen. Der Bruch eines Lebewesens, oder ein halbes Lebewesen, ist also nicht ein durch sich Seiendes, weil er nur in Bezug auf den Körper des Lebewesens verstanden werden kann, der nicht ein durch sich Seiendes ist, sondern ein Aggregat, und eine arithmetische Einheit hat, eine metaphysische nicht hat. Wie aber die Materie selbst nicht ein Seiendes ausmacht, wenn die adäquate Entelechie fehlt, so auch nicht ihr Teil. Ich sehe auch nicht, was dagegen sprechen soll, dass vieles dem Akt nach einer En-
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telechie unterliegt; vielmehr ist das notwendig. Die Materie (nämlich die zweite) oder ein Teil der Materie existiert wie eine Herde oder ein Haus, d. i. wie ein Seiendes durch Aggregation. Ein aktual Unendliches kann an der Größe nicht gleichermaßen wie an der Menge gezeigt werden. Die Argumente gegen das aktual Unendliche setzen voraus: wenn man es zulässt, dann gebe es eine unendliche Zahl, und ebenso seien alle Unendlichen gleich. Doch man muss wissen, dass ein unendliches Aggregat in Wahrheit weder ein Ganzes oder mit Größe ausgestattet ist, noch in einer Zahl besteht. Genau genommen muss man also statt von unendlicher Zahl davon sprechen, dass mehr da ist, als durch irgendeine Zahl ausgedrückt werden könnte; oder statt unendlicher gerader Linie, dass eine Gerade über jede Größe, die bezeichnet werden kann, hinaus ausgedehnt wurde, derart dass eine immer noch größere Gerade da ist. Zum Wesen der Zahl, der Linie und welches Ganzen auch immer gehört, dass es begrenzt ist. G Auch wenn daher | die Welt der Größe nach unendlich wäre, wäre sie doch nicht ein Ganzes, und es könnte auch nicht mit gewissen Alten Gott als Weltseele fingiert werden – nicht bloß weil er Ursache der Welt ist, sondern auch, weil eine solche Welt nicht ein Körper wäre und auch nicht für ein Lebewesen gehalten werden könnte, und somit auch nur eine verbale Einheit hätte. Es ist daher eine Verkürzung im Sprachausdruck, wenn wir Eins sagen, wo mehr [Dinge] sind, als durch ein bezeichenbares Ganzes begriffen werden können, und wir das als Größe ausdrücken, was nicht deren Eigenschaften hat. Wie man nämlich von einer unendlichen Zahl nicht sagen kann, ob sie gerade oder ungerade ist, so auch nicht von einer unendlichen Geraden, ob sie einer gegebenen Geraden kommensurabel ist oder nicht; sodass also diese Ausdrücke vom Unendlichen als einer Größe nur uneigentlich sind und auf einer Analogie beruhen; doch wenn man sie genauer prüft, können sie nicht bestehen. Allein das absolute und unteilbare Unendliche besitzt wahre Einheit, nämlich Gott. Das halte ich nun für ausreichend, allen Argumenten gegen das aktual Unendliche zu genügen, die in ihrer Weise auch auf das potential Unendliche angewandt werden müssen. Man kann ja nicht
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leugnen, dass es tatsächlich Naturen in sämtlichen möglichen Anzahlen gibt, zumindest im göttlichen Geist, und daher die Menge der Zahlen unendlich ist. Ich behaupte philosophisch gesprochen nicht mehr unendlich kleine Größen als unendlich große, d. h. nicht mehr infinitesimale als infinituple. Beide halte ich nämlich wegen der Kürze des Ausdrucks für Fiktionen des Geistes, die zum Rechnen taugen, wie es auch die imaginären Wurzeln in der Algebra sind. Indessen habe ich bewiesen, dass diese Ausdrücke großen Nutzen zur Abkürzung des Denkens und somit für die Erfindung haben und nicht in die Irre führen können, weil es ausreicht, für ein unendlich Kleines etwas einzusetzen, das so klein ist wie man will, damit der [mathematische] Fehler kleiner als ein Gegebenes ist, woraus folgt, dass es einen Irrtum nicht geben kann.a Der Ew. P. Gouye, der meine Ausführungen kritisiert hat, scheint sie nicht ausreichend erfasst zu haben. Um nun darüber hinaus von den Ideen der Geometrie zu den Realia der Physik überzugehen: ich stelle fest, dass die Materie wirklich in Teile gebrochen ist, die kleiner als alles Gegebene [sind], m. a.W. dass es keinen Teil gibt, der nicht aktual in andere unterteilt ist, welche verschiedene Bewegungen ausüben. Das verlangt die Natur der Materie und Bewegung und das ganze Gefüge der Dinge aus physikalischen, mathematischen und metaphysischen Gründen. Wenn ich sage, es gebe keinen Teil der Materie, der nicht Monaden enthält, dann illustriere ich das am Beispiel des menschlichen Körpers oder eines anderen Lebewesens, dessen feste und flüssige Teile aller Art wiederum andere tierische und pflanzliche [Lebewesen] in sich enthalten. Und man muss dies meines Erachtens wiederum von jedem Teil dieser Lebewesen sagen, und so weiter ins Unendliche. Ich behaupte, dass keine Entelechie an einen bestimmten Teil der Materie (nämlich der | zweiten) fixiert ist oder, was auf das- G selbe hinauskommt, an gewissen anderen partiellen Entelechien. Denn die Materie ändert sich wie ein Fluss, während eine Entelechie bleibt, solange eine Maschine zugrunde liegt. Die Maschine besitzt eine ihr adäquate Entelechie, und die eine Maschine enthält
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andere Maschinen, die zwar nicht der ursprünglichen Entelechie adäquat, aber mit eigenen, ihnen selbst adäquaten versehen sind und von der ersteren völlig abtrennbar sind. Tatsächlich anerkennt auch die Schule Teilformen. Daher liegt ein und dieselbe Materie mehreren Formen zugrunde, aber auf unterschiedliche Weise je nach Art der Adäquatheit. Anders ist es, wenn man die erste Materie meint oder das passive erste Dynamische, τὸ δυναμιϰὸν πρῶτον παθητιϰόν, das erste Zugrundeliegende, πρῶτον ὑποϰείμενον, das heißt die ursprüngliche passive Potenz oder das Prinzip des Widerstands, das nicht in der Ausdehnung, sondern in der Erheischung einer Ausdehnung besteht und die Entelechie oder ursprüngliche aktive Potenz ergänzt, sodass eine vollständige Substanz oder Monade hervorgeht, in welcher die Modifikationen virtuell enthalten sind. Wir wissen, dass eine solche Materie, das heißt Prinzip des Erleidens, fortbesteht und ihrer Entelechie anhaftet und dass somit die zweite Materie aus mehreren Monaden resultiert, mit abgeleiteten Kräften, Handlungen, Erleidungen, die bloß Seiende durch Aggregation und daher halbgeistig sind, wie z. B. ein Regenbogen und andere wohl fundierte Phänomene. Übrigens sehen Sie daraus, dass man nicht annehmen darf, man müsse jeder beliebigen Entelechie eine unendlich kleine Portion der Materie (eine solche gibt es nicht) zuschreiben – auch wenn wir überstürzt zu solchen Konklusionen zu springen pflegen. Um einen Vergleich anzustellen: stellen Sie sich einen Kreis vor und beschreiben Sie darin drei andere größtmögliche, zueinander gleiche Kreise, und in einem beliebigen neuen Kreis und dem Zwischenraum zwischen den Kreisen wieder die drei größten gleichen Kreise, und stellen Sie sich vor, das gehe so ins Unendliche fort – es wird daraus nicht folgen, dass es einen unendlich kleinen Kreis gibt, oder dass es einen Mittelpunkt gibt, der einen eigenen Kreis hat, in den (entgegen der Hypothese) kein anderer eingeschrieben wird. Meine Behauptung, Seele und Lebewesen gehen nicht zugrunde, werde ich abermals mit einem Vergleich erklären. Stellen Sie sich vor, ein Lebewesen verhält sich wie ein Tropfen Öl und die Seele wie ein Punkt in dem Tropfen. Wenn nun der Tropfen in Teile zerbirst, wo-
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bei jeder beliebige Teil wieder in einen kugelförmigen Tropfen abwandert, dann wird jener Punkt in einem der neuen Tropfen existieren. Auf dieselbe Weise wird das Lebewesen in jenem Teil fortdauern, in dem die Seele bleibt und der mit der Seele selbst am meisten übereinstimmt. So wie die Natur des Flüssigen in einem anderen Fluidum nach Rundheit strebt, so strebt die Natur einer vom weisesten Urheber konstruierten Materie stets nach einer Ordnung oder Organisation. Daher können weder Seelen noch Lebewesen zerstört werden, wenn sie auch vermindert und verhüllt werden können, sodass ihr Leben für uns nicht sichtbar wird. Es besteht kein Zweifel, dass wie bei der Geburt, so auch beim Sterben die Natur bestimmte Gesetze befolgt, denn nichts an den göttlichen Werken | ist frei von G Ordnung. Wer zudem die Ansicht von der Erhaltung des Lebewesens bedenkt, muss auch bedenken, dass – wie ich gelehrt habe – im Körper eines Lebewesens unendliche Organe sind, die jeweils von anderen umhüllt werden, und dass daher eine lebendige Maschine und generell eine Maschine der Natur schlichtweg unzerstörbar ist. Wenn ich sagte, jede Potenz sei eine aktive Bewegerin, meinte ich zweifellos die aktive Potenz und wollte sagen, dass eine Aktion aus einer Potenz, die ein Streben involviert, immer aktuell folgt, auch wenn sie von entgegengesetzten Strebungen anderer Potenzen behindert wird. Die Zweitursachen werden wirken, wenn es kein positives Hindernis gibt; ja sogar wenn es eins gibt, wie gesagt, obgleich sie dann weniger wirken. Sie behaupten, dass eine einzige Substanz, wenn nur sie allein gesetzt würde, unendliche Aktionen zugleich haben würde, weil nichts sie hindert. Ich antworte, auch dann, wenn sie behindert wird, übt sie unendliche Aktionen zugleich aus: Denn, wie schon gesagt, kein Hindernis hebt eine Aktion völlig auf. Es überrascht auch nicht, dass eine Substanz beliebige unendliche Aktionen vollführt mittels unendlicher, verschiedene Bewegungen ausführender Teile; da jede Substanz auf gewisse Weise das gesamte Universum repräsentiert, je nachdem dieses auf sie bezogen wird, und jeder beliebige Teil der Materie von jedem beliebigen anderen etwas erleidet. Aber man
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darf nicht annehmen, dass sie deshalb, weil sie unendliche Aktionen ausübt, jede beliebige Aktion ausübt, und die jedes Mal gleich, da jede einzelne Substanz eine bestimmte Natur hat. Dass aber nur eine einzige Substanz existiere, gehört zu den Dingen, die nicht mit der göttlichen Weisheit übereinstimmen und daher nicht der Fall sein werden, obwohl sie der Fall sein könnten. Vom letzten Absatz mit dem Anfang: »Nur die Seele im Menschen ist frei« begreife ich die Absicht nicht ganz. Dass die Seele nicht durch [geistiges] Herumdrehen, d. h. insofern sie spirituell oder frei ist, sondern als ursprüngliche Entelechie eines Körpers und daher ausschließlich nach mechanischen Gesetzen die Handlungen des Körpers beeinflusst, habe ich schon im vorigen Brief erwähnt. In dem französischen Text über das System der prästabilierten Harmonie habe ich aber die Seele nur als spirituelle Substanz, nicht zugleich als Entelechie des Körpers betrachtet, weil das mit der Sache, die ich dort behandelte – nämlich der Erklärung der Übereinstimmung zwischen Körper und Geist – nichts zu tun hatte; und nichts anderes verlangten die Cartesianer. Außerdem wirken bei den nach mechanischem Gesetz ausgeführten Aktionen nicht nur die adäquate Entelechie des organischen Körpers, sondern auch alle partiellen Entelechien zusammen. Denn die abgeleiteten Kräfte mit ihren Handlungen sind Modifikationen der ursprünglichen [Kräfte], was in meinen lateinischen Diskussionen mit Sturm ausgeführt ist; das eine ist mit dem anderen zu verbinden. Sie sehen, den meisten Einwänden kann man leicht Genüge tun, G wenn sie auf Formgesetze | zurückgeführt werden. Die Sache selbst aber erschließt sich meines Erachtens dann am besten, wenn man in einem Brevier einen Überblick der gesamten Lehre vor Augen geführt bekommt – den man erhalten kann, wenn man vielleicht nicht vorweg alle Schwierigkeiten zu genau nimmt, da sie viel eher in der Zusammenstellung selbst am besten behoben werden. Ganz zu schweigen davon, dass üblicherweise Systeme unbeschadet vieler Schwierigkeiten Bestand haben. An ein solches Werk Hand anzulegen, wäre meines Erachtens höchst fruchtbar, und dann würde auch sichtbar werden, was man bisher am meisten vermisst.
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Unser Tolomei wird sich, denke ich, selbst beglückwünschen, dass ihm die Ehre ohne die Last zugefallen ist, denn er wurde öffentlich für würdig befunden, indem er zur Wahl stand. Sein Werk, das Sie mir geliehen hatten, wofür ich mich vielmals bedanke, habe ich wie befohlen dem ew. P. Eures Ordens geschickt, der hier Eure Gottesdienste versieht. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 11. März 1706 D ¦ Ergebenst Gottfr. Wilh. Leibniz ¦ P. S. Da sich das Wetter heute zu bessern scheint, werde ich bald nach Braunschweig zurückkehren. 17. März 1706. Die Briefe erhalte ich problemloser, wenn sie der gewöhnlichen Hannoveraner Post statt der amtlichen kaiserlichen zur Beförderung anvertraut werden. Sie geht mindestens dreimal pro Woche hin und zurück.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
21. 5. 1706 G VII.
Ich erstatte die Bücher zurück, die Sie mir neulich überlassen hatten und für die ich unermesslich dankbar bin. Der Überbringer ist einer der Unsrigen, der nach acht Tagen Aufenthalt in Hannover zu uns zurückkehren wird. Ich habe sie mit großem Vergnügen durchstudiert, vor allem jenes, das Ihre Bemerkungen zu Pellissons Buch und seine Antworten enthält; wenn es schon sonst nichts bewirkt hat, so haben Sie darin jedenfalls ein leuchtendes Beispiel gegeben, wie man einen Streit zwischen für und wider Diskutierenden in maßvoller Art austrägt; obwohl Sie mir nicht weit von uns entfernt zu sein scheinen, denn ist einmal die Unfehlbarkeit der Kirche zugegebenG*, so verschwinden in der Hauptsache die gegebenenfalls
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7. Des Bosses an Leibniz
übrig bleibenden Schwierigkeiten. Wenn nämlich in der Philosophie, wie Sie mir andernorts sehr richtig in Erinnerung brachten, ungeachtet vieler Schwierigkeiten Systeme bestehen können, dann G muss das in der Religion, welche Verborgenheit mit | Gewissheit in Verbindung bringt, noch viel mehr gelten. Diesen Schutzschild hält auch Jaquelot mehrmals den Geschossen der profanen Philosophen entgegen, in eben dem Buch, das ich zurückschicke. Zuvorgekommen war der berühmte Huet, Ihr Freund, im »Evangelischen Beweis«, dessen Wortlaut in der vierten Proposition zu Beginn des vierzehnten Kapitels folgender ist: Das Beweisverfahren ist es, bei der Untersuchung und Auffindung verbindlicher Wahrheit die Antwort auf die Gegenargumente zu vernachlässigen, und das zu Recht, da die Wahrheit einfach und einzig und, nachdem Sie gefunden und bewiesen ist, alles, was ihr widerspricht, notwendig falsch ist. Aber es ist dumm von mir, vor Ihnen persönlich solches zu erörtern; man muss vielmehr den Vater der Lichter bitten, das, was er bei Ihnen begonnen hat, zu vollenden; was ich, der Geringste von allen, die Sie verehren, eifrig tue und nicht ablassen werde weiter zu tun. In Ihrer einleitenden Untersuchung und den Anmerkungen zu dem Buch von Nizolius habe ich hierauf immer wieder Definitionen gefunden, die mir den Mund wässrig gemacht und das Verlangen hervorgerufen haben, die übrigen zu sehen, die, wie Sie sagen, von Ihnen aufgestellt wurden. Mit Ihrem Verlaub, vornehmster Mann – ich bin nahe daran, über diese Ihre Historie in Zorn zu geraten, die Sie von den höheren Wissenschaften, zu deren Erhellung Sie geboren sind, abzieht, zum großen Schaden des öffentlichen Wohls, ja auch, wenn ich wagen darf das zu sagen, Ihres Ruhmes. Denn wenn es um den Ruhm geht, zeigen Sie mir nach Ihrem Belieben den hervorragendsten Historiker dieses Zeitalters: würde Descartes seinen philosophischen Ruf mit dessen Berühmtheit tauschen wollen, wenn er noch lebte? Ich weiß, dass andere anders empfinden, aber ich weiß auch, dass die meisten meiner Ansicht sind. Seit unserem jüngsten Gespräch sind mir zwei Bedenken gekommen, die ich hier anfüge und die Sie gemäß Ihrer Humanität wohlwollend aufnehmen mögen.
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1. Wenn Entelechien von unterschiedlicher Natur zugegeben sind, warum ist Erkenntnis bei den Tieren notwendig? Oder kann die Verschiedenheit der Bewegungen, welche wir an ihnen wahrnehmen, nicht auf verschiedene perzeptionslose Entelechien zurückgehen, etwa so, wie die Bewegungen des menschlichen Körpers, Ihrer Aussage nach, vom Einfluss der Seele – zumindest insofern diese perzeptionsfähig ist – nicht abhängen? 2. Da, wenn alles Übrige gleich bleibt, eine unterschiedliche Bewegung des Körpers nur aus einer unterschiedliche Entelechie hervorgehen kann, scheint zu folgen, dass jenes »Gesetz«, das der hl. Paulus »in seinen Gliedern sah, das dem Gesetz seines Geistes widerstritt und ihn im Gesetz der Sünde gefangen hielt, das in seinen Gliedern war«, dass wie gesagt jenes Gesetz, und erst recht die Ursünde, die entweder dieses Gesetz selbst, wie viele Protestanten behaupten, oder die Wurzel dieses Gesetzes ist, eine gewisse Entelechie und somit eine Substanz oder substantiell ist, wie Flaccus Illyricus sagte. Freilich jene Bewegungen der Begierde, aber keinesfalls die ungeordnete Begierde selbst musste[n] künftig in der unbefleckten Natur auftreten. Ist es nicht so: da die Seele so | an den Körper G angeglichen wird, dass jeglicher Bewegung des Körpers – zumindest jeder von uns wahrnehmbaren – eine andere, nicht freie [Bewegung] in der Seele entspricht, wird sich notwendigerweise ergeben, dass die Seele eines Menschen, der mit dem ersten Sündenfall befleckt und durch das in unseren Gliedern steckende Gesetz der Sünde gefangen genommen werden sollte, eine ganz andere ist als jene, die im Stand der Natur hätte erschaffen werden müssen; und somit hätte keiner von all denen, die jetzt erschaffen werden, erschaffen werden müssen; ja [keiner hätte] erschaffen werden können, wenn Adam nicht gesündigt hätte, ja nicht einmal derselbe Adam hätte vielleicht hervorgebracht werden können, wenn er nicht hätte sündigen sollen. Ihr Tolomei wurde vom Papst zum Ratgeber der heiligen Riten ernannt, wie wir eben aus Rom erfahren haben. Vielleicht ist das der Schritt zu Höherem. Kommt irgendwann zu guter Letzt der Brief an Papebroch? Ich warte längst schon sehnlichst darauf, damit ich wenigstens mit
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dieser unbedeutenden Gefälligkeit, wenn es schon nicht anders geht, Ihre einem Unverdienten erwiesene Güte und Ehre vergelten kann. Hildesheim, 21. Mai 1706 * Leibniz hat hierbei bemerkt: diese gebe ich nicht zu außer bei dem, was zum Heil notwendig ist; aber wir haben schon sehr lange keine ökumenischen Konzilien. G
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
11. 7. 1706 G VIII / D·2, 270 f. (E 3, S / F IV). D
¦ Hochwürdiger Pater! ¦ Die Bücher, die Sie zurückgeschickt hatten, habe ich ordnungsgemäß erhalten. Wenn es bloß etwas gäbe, bei dem ich Ihnen nützlicher sein könnte! Bisher war ich äußerst beschäftigt, erst jetzt komme ich der Pflicht nach, zu antworten, und bitte um Entschuldigung wegen der Verspätung. Ich glaube, wenn Pellisson noch länger gelebt hätte, hätte er etwas Nützliches leisten können, aber der Bischof von Meaux, mit dem die Verbindung eine Zeit lang aufrecht blieb, schien, obwohl er ihn an theologischem Wissen übertraf, doch (wenn man das sagen darf) an Humanität unterlegen. Ich behaupte, wenn es für uns einen sicheren Beweis gibt, ist es unseretwegen nicht notwendig (sondern nur wegen der anderen), auf die Einwände zu antworten. Trotzdem aber nützt uns das, glaube ich, immer, sooft der Einwand schwierig ist, und darf man vor Experten nie die Flucht ergreifen: Denn wenn die scheinbare Schwierigkeit beseitigt ist, erstrahlt neues Licht. Daher liebe ich, auch wenn ich meiner Ansichten überall gewiss bin, plausible Einwände und glaube, dass man ihnen immer Genüge tun kann: Denn
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wenn einer unüberwindlich wäre, würde er keinen Beweis für das Gegenteil herausfordern. Ich sehe auch nicht, warum der Beweis für eine Behauptung eher ein Argument sein soll als die Entgegnung auf eine Verneinung. Daher gestehe ich Bayle oder irgendeinem anderen nicht zu, dass die Vernunft dem Glauben unerschütterliche Argumente entgegensetzen kann, und ich möchte auch nicht mit Huet und Jaquelot (obzwar bedeutende und mit mir befreundete Männer) bloß den Gegnern das Feld räumen. | Ich gebe mir Mühe, sobald es möglich ist und Gott es will, das G historische Feld zu verlassen – nach getaner Arbeit. Nun zu Ihren beiden Zweifeln. Da Perzeption nichts anderes als der Ausdruck von Vielem in Einem ist, sind notwendig alle Entelechien oder Monaden mit Perzeption versehen und fehlt keiner Maschine der Natur eine eigene Entelechie. Meine Aussagen pflegen universal zu sein und eine Analogie zu wahren. Die Ursünde kann weder eine Entelechie noch eine Substanz sein: da sie kein Lebewesen oder Quasi-Lebewesen noch dessen Seele ist, sondern eine gewisse Unvollkommenheit unserer Seele, der auch eine Unvollkommenheit in unserem Körper entspricht. Ebenso wie die, etwa von einer Erschlaffung der Antriebsspannung herrührende, Unvollkommenheit einer Uhr oder einer anderen Maschine bestimmt keine Maschine ist.G* Weil Sie es so gestatten, lege ich einen für Antwerpen bestimmten Brief bei. Leben Sie wohl und lieben Sie mich. Aufgegeben in Hannover, 11. Juli 1706. D ¦ Ergebenst Gottfr[ied] Wilh[elm] Leibniz ¦ P. S: Gegen ein bestimmtes neues Buch unseres Tolomei, dieses hervorragenden Mannes, haben die Zensoren (die sehr oft pedantisch und₅ zur Missgunst geneigt sind) irgendetwas unternommen, wie ich erfahren habe. Die Briefe aus Hildesheim bitte ich mir im₅ Lesart D: »… pedantisch, wenn auch zur Missgunst geneigt …« (D·2, 271: »etsi«).
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9. Des Bosses an Leibniz
mer mit der lüneburgischen, nicht mit der kaiserlichen Post zu schicken. G
* Das Original enthält hier folgende Stelle, die Leibniz eingeklammert hat, zum Zeichen, daß der Abschreiber des Briefes sie auslassen soll: Ich glaube, dass nicht nur der von uns apperzipierbaren Bewegung des Körpers, sondern auch jeder anderen eine Perzeption in uns entspricht, wir aber diese nicht bemerken wegen der Vielzahl, Kleinheit und Verworrenheit solcher Perzeptionen. So wie wir auch, wenn wir Lärm gewohnt sind (etwa den einer an unser Haus grenzenden Mühle), keine Apperzeption davon zu haben pflegen. Als erster Mensch konnte sicherlich auch ein anderer geschaffen werden, aber Gott wählte diejenige Reihe von Möglichem aus, in welcher er die Sünde vorhersah, weil sie in anderer Hinsicht besser war. Denn obschon einige der Euren es bezweifeln, muss man es, glaube ich, für gewiss halten, dass Gott gemacht hat, was zu machen das Beste war. Nun aber, da die Reihe ausgewählt ist, werden in jedem einzelnen Individuum alle anderen ohne Einbuße an Freiheit eingeschlossen.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
20. 8. 1706 G IX.
Ich habe die Antwort auf Ihren letzten Brief, edler Herr, hinausgeschoben, weil ich auf ein mitzuschickendes Antwortschreiben Papebrochs wartete, das bisher nicht angekommen ist. Für mitteilenswert hielt ich indessen, dass es hier einen Jüngling gibt, der in acht Tagen G nach Rom will, | um dort Zögling des Collegium Germanicum zu werden und Tolomei als Lehrer zu hören, bei welcher Gelegenheit, falls Sie vielleicht etwas haben, das Sie Tolomei übermitteln wollen, es ganz bequem übersandt werden kann. In Rom, so haben wir erfahren, wurden neulich aus unseren Schulen dreißig philosophische Sätze verurteilt, die im Großen
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und Ganzen Descartes und Malebranche entlehnt sind; von denen einige hier anzuführen – weil sie sich um eine von Ihnen vorzüglich erhellte Materie drehen – Sie mir nicht verübeln mögen. 6. Modi oder Akzidentien, die in einem Subjekt einmal hervorgebracht worden sind, bedürfen nicht weiter der positiven Tätigkeit irgendeiner sie bewahrenden Ursache, sondern müssen so lange dauern, bis sie von der positiven Tätigkeit einer äußeren Ursache zerstört werden. 7. Um zu glauben, dass etwas von der Quantität der ursprünglich von Gott verursachten Bewegung der Materie verschwunden ist, müsste man einen veränderlichen und unbeständigen Gott annehmen. 10. Das Wesen der Materie oder des Körpers besteht in der äußeren und aktualen Ausdehnung. 16. Es gibt in der Welt eine bestimmte und begrenzte Quantität der Bewegung, die niemals vermehrt noch vermindert worden ist. 19. Allein Gott ist es, der die Körper bewegen kann; Engel hingegen, die rationale Seele und die Körper selbst sind nicht die Wirkursachen der Bewegung, sondern nur okkasionale. 20. Die Kreaturen bringen nicht wirksam irgendwelche Effekte hervor, sondern diese bewirkt allein Gott in Gegenwart von jenen: Die Schriftstellen aber, in denen den Geschöpfen Handlung zugeschrieben wird, müssen im figürlichen Sinn verstanden werden. 21. Tiere sind bloße Automaten ohne jeden Sinn und ohne jede Erkenntnis. 22. Die Vereinigung der rationalen Seele mit dem Körper besteht allein darin, dass Gott beabsichtigte, dass bei gewissen Veränderungen des Körpers gewisse Perzeptionen oder Bewegungen in der Seele angeregt werden und umgekehrt bei gewissen Gedanken oder Willens[regungen] gewisse Bewegungen im Körper folgen. 23. Diese Mitteilung der Bewegungen und Affektionen verlangt nicht die Natur von Körper und Seele, sondern allein der freie Entschluss Gottes. 25. Gemischt zusammengesetzte Körper, auch die der Tiere, unterscheiden sich voneinander ausschließlich durch verschiedene
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10. Leibniz an Des Bosses
Größe, Lage, Gestalt, Gewebe, Ruhe oder Bewegung der nicht wahrnehmbaren Atome resp. Materieteilchen, aus denen sie bestehen. 28. Es gibt keine körperlichen substantiellen Formen, die sich von der Materie unterscheiden. Ich gratuliere unseren Zensoren, Sie als Gleichgesinnten, ja FühG rer gewonnen zu haben. | Ihre kurze, aber kraftvolle Antwort auf meine beiden letzten Zweifel hat mir ein weites Feld zum Meditieren verschafft, worüber ich Ihnen ausführlicher schreibe, wenn ich Papebrochs Brief erhalte. Leben Sie wohl usw. Geschrieben in Hildesheim, 20. August 1706 P. S. Beim Durchlesen sehe ich, dass ich den 4. Satz vergessen habe, der lautet: »Unser Geist kann dadurch, dass er begrenzt ist, nichts Sicheres über das Unendliche wissen, weshalb wir darüber nie streiten dürfen.« Könnten wir doch den Beweis seiner Falschheit in dem von Ihnen versprochenen Buch Über die Wissenschaft des Unendlichen lesen!
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
1. 9. 1706 G X / D·2, 271 f. (E 4, S / F V). D
¦ Hochwürdiger Pater, verehrter Gönner! ¦ Ihren höchst willkommenen Brief habe ich soeben mit dem von Janninck erhalten. Dem Ew. P. Janninck werde ich antworten, sobald ich die Antwort aus Leipzig erhalten habe, wohin ich seinen Brief sandte. Ich freue mich, dass der hervorragende und um die Geschichte hochverdiente Mann Daniel Papebroch offenbar wieder genesen und in diesem Alter wohlauf ist und an einem großen Werk arbeitet, das er mit seinen Gefährten entschlossen vorantreibt.
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Was ich Eurem großen Tolomei jetzt schreiben soll, weiß ich nicht: denn in diesem Jahr habe ich bereits einen langen Brief an ihn abgesandt, der hoffentlich überbracht wurde. Dank auch dafür, dass Sie mir einige jener Sätze mitgeteilt haben, die in Euren Kollegien nach dem Willen der Oberen nicht unterrichtet werden sollen. Wenn es noch möglich wäre, alle zu erhalten, wäre mir das am liebsten. Ich erinnere mich, einen seinerzeit publizierten kleinen Index mit ähnlichen Sätzen gesehen zu haben, die P. Muzio Vitelleschi, wenn ich mich recht entsinne, durch die Zensur tadeln ließ. Ich lese gern diese Zensuren – Eure oder anderer – und verachte sie nicht: Diese Einrichtung betrifft nämlich die Formeln umsichtigen Sprechens, und unnötige Misstöne werden verdienstvoll vermieden. Um ein klein wenig zu dem anzumerken, was Sie übermittelten, würde ich zum sechsten sagen: Es ist zwar wahr, dass ein einmal eingeführter Modus per se andauert, aber zusammen mit der Substanz; da er ja doch nicht per se subsistiert, wird er immer aus einer Substanz emanieren. Zu 7. Ich glaube zwar nicht, dass die Quantität der Bewegung, aber doch die der Kräfte von Gott erhalten wird, und zwar durch natürliches Wirken. Indessen wird das nicht aus der Beständigkeit Gottes abgeleitet, noch auch ist Gott deshalb unbeständig, weil er etwas verändert, da er beständig sein kann in irgend einer höheren Weise oder nach höherem Gesetz, aus dem die | G Veränderung bei der niedrigeren Beschäftigung fließt. Zu 10: Schon längst habe ich meine Ansicht dargelegt. Satz 16 habe ich ebenfalls öffentlich zurückgewiesen, aber an die Stelle der Quantität der Bewegung setze ich, wie gesagt, die Quantität der Kräfte, und diese, meine ich, bleibt (natürlich) erhalten. Zu 19: Ich meine, dass jede Bewegung und zweite Entelechie aus der ersten fließt und daher die Kreaturen aktiv sind. Obgleich zuweilen die Gesetze des Denkens und die Gesetze der Bewegungen voneinander unabhängig sind. Zu 20 sage ich dasselbe wie zu 19. Zu 21: Tiere sind, glaube ich, vollkommene Automaten und haben trotzdem zugleich eine Perzeption.
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10. Leibniz an Des Bosses
Zu 22: Da die Seele die ursprüngliche Entelechie des Körpers ist, besteht zweifellos darin die Vereinigung; aber die Übereinstimmung zwischen Perzeptionen und körperlichen Bewegungen erklärt sich verstandesmäßig aus der prästabilierten Harmonie. Zu 23: Sehr missbillige ich bei den Cartesianern die Meinung, zwischen den Objekten und unseren Sinnesempfindungen von ihnen bestehe nur ein willkürlicher Zusammenhang, und es liege in Gottes Willkür, ob er Gerüche durch Perzeptionen repräsentieren will, die jetzt den Farben gehören; als ob Gott nicht alles aus einem höchsten Grund mache, und als ob er einen Kreis durch ein Dreieck repräsentieren würde, wenn er naturgemäß wirkt. Zu 25: Wahr ist, dass alle natürlichen Phänomene der Körper (außer die Perzeptionen) durch Größe, Gestalt und Bewegung erklärt werden können. Aber die Bewegungen selbst (die die Ursachen der Gestalten sind) können nur mit Hilfe von Entelechien erklärt werden. Zu 29₆: Dass es keine von der Materie unterschiedenen substantiellen körperlichen Formen gebe, wird mit Recht verworfen, wenn man unter körperlichen Formen so etwas wie die Tierseelen versteht, die freilich des reflexiven Aktes des Geistes oder Denkens im eigentlichen Sinn entbehren. Wenn indessen jemand körperliche Formen fordern würde, die mit dem Vergehen natürlich verbunden sind, kann ich mich ihm offen gestanden nicht anschließen. Denn mit den Thomisten meine ich, dass alle ursprünglichen Entelechien, d. i. das, was ich Monaden nenne, unteilbar sind. Von solchen kann man sich weder Ursprung noch Vergehen auf natürlichem Weg verständlich machen. Den vierten, wenn ich nicht irre, haben schon die Mathematiker widerlegt, und ich selbst habe nicht wenige Proben einer Wissenschaft vom Unendlichen veröffentlicht. Indessen meine ich, eigentlich gesprochen, dass ein aus Teilen bestehendes Unendliches weder
₆ Sic; gemeint ist: »zu 28«.
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Eins ist noch ganz, und auch nur durch eine Fiktion₇ des Geistes als Quantität begriffen werden kann. Nur ein unteilbares Unendliches ist Eins, aber es ist kein Ganzes; dieses Unendliche ist Gott.G* Leben Sie wohl und bleiben Sie gewogen. Abgesandt in Hannover, 1. September 1706 D ¦ Ergebenst Gottfr. Wilh. Leibniz ¦ * Auf einem beiliegenden Zettel hat Leibniz Folgendes bemerkt: Es gibt ein synkategorematisches Unendliches oder eine passive Potenz, die Teile besitzt, nämlich die Möglichkeit eines | [je] weiteren Fortschritts G im Dividieren, Multiplizieren, Subtrahieren, Addieren. Es gibt auch ein hyperkategorematisches Unendliches oder eines dem Vermögen nach₈, eine aktive Potenz, die gleichsam Teile besitzt – im eminenten Sinn, nicht formal oder der Wirklichkeit nach. Dieses Unendliche ist Gott selbst. Aber es gibt kein kategorematisches Unendliches oder eines, das aktual unendliche Teile formal besitzt. Es gibt auch ein aktuales Unendliches nach Art eines distributiven, nicht kollektiven Ganzen. So kann von allen Zahlen etwas ausgesagt werden, aber nicht kollektiv. So kann man sagen, jedem Gleichen entspricht sein Ungleiches und umgekehrt; aber es ist deshalb nicht präzise, zu sagen, dass es eine gleiche Menge von Gleichen und Ungleichen gibt. G
₇ Statt »eine Fiktion« (fictionem) heißt es in D·2, 272: »einen Begriff« (notionem). ₈ Lat. »potestative«
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
17. 9. 1706 G XI.
Ich sende die erwünschten Sätze und würde sie auch schicken, ohne dass Sie darum bitten, um Ihr Urteil über die weiteren kennen zu lernen: nur damit sie nicht leichtfertig verbreitet werden. Sehr willkommen waren mir Ihre kurzen Bemerkungen, auch wenn ich bezüglich der meisten Ihre Absicht schon verstanden zu haben glaubte. Ich zweifle nicht, dass sie ungefähr in dem Sinn, den auch Sie ablehnen, auch unseren Zensoren missfallen, der neunzehnte vielleicht ausgenommen. Denn wenn sie besagen wollen, dass die Engel mehr als [bloß] Gelegenheitsursachen der Bewegungen sind, scheinen sie eine Abhängigkeit der Bewegungen von den Gedanken zu erfordern; es sei denn, dass diese angelische Wirksamkeit etwa durch eine gewisse Analogie mit den Entelechien erklärt werden könnte, denn was die vernünftigen Seelen betrifft, wird es, so meine ich, genügen, wenn sie als Entelechien eine Bewegung bewirken. Und hier möchte ich wissen, was Sie von der neuen Hypothese Tournemines denken; sodann auch, ob Sie etwas von der Begründung halten, mit der Aristoteles gegen die antiken Philosophen, die die Notwendigkeit des Vakuums für die Bewegung behaupten, zu beweisen sucht, dass vielmehr ein Körper, der sich im Vakuum bewegt, im Augenblick bewegt werden müsse und daher eine Bewegung im Vakuum nicht stattfinden könne. P. Muzio Vitelleschi hatte verboten, dass verschiedene Sätze von den Unsrigen gelehrt werden (schon er), aber der Katalog davon wurde später bei der neunten Kongregation angefertigt und von P. Francesco Piccolomini im Jahr 1651 erstmals an die Provinzen verschickt; er enthält insgesamt 65 Sätze. Sie sagten in Ihrem vorletzten [Brief], die Ursünde sei weder Entelechie noch Substanz, sondern eine gewisse Unvollkommenheit unserer Seele, der auch eine Unvollkommenheit in unserem Körper entspricht. Ich entgegne zweierlei:
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1. Wenn die Ursünde in einer bestimmten Unvollkommenheit unserer Seele liegt, dann hindert folglich nichts Positives, dass unsere Seele handelt, wie sie gehandelt haben würde, wenn sie nicht gesündigt hätte. Ich spreche von unüberlegten, nicht von freien BeG wegungen. | 2. Die körperliche Unvollkommenheit, die der Unvollkommenheit der von der Ursünde befleckten Seele entspricht, kann keine Verneinung sein, weil sie wirklich Bewegungen in der gefallenen Natur verursacht, die in der unberührten Natur nicht zustande kommen; sie muss also eine Substanz oder Entelechie sein, da sie eine Kraft zum Handeln ist. Gegen Ihre tief gehende Definition der Perzeption: Ausdruck von Vielem in Einem spricht 1., dass manche Perzeptionen sich nur um ein Objekt drehen; wie werden sie also jeweils Ausdruck von Vielem sein? Hinzu kommt, dass irrationale Kreaturen keine Universalien perzipieren, wofür anscheinend nichts anderes erforderlich wäre, als dass sie Perzeptionen hätten, die Vieles in Einem ausdrücken. Schließlich, wenn jede Maschine der Natur eine mit Perzeption ausgestattete Entelechie hat, wird sie folglich ein Tier sein, denn was ist ein Tier anderes als eine Maschine der Natur, die eine mit Perzeption ausgestattete Entelechie hat? Einiges andere kommt mir [noch] in den Sinn, das ich jetzt übergehe, weil ich der Meinung bin, Ihre Absicht nicht ganz verstanden zu haben. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Hildesheim, 17. September 1706
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
20. 9. 1706 G XII / D·2, 273 f. (E 5, S / F VI). Auszug in DB Monitum *[29], vgl. Anhang 8. D
¦ Hochwürdiger Pater! ¦ Ich bedanke mich für die Mitteilung der Sätze, die man bei den Euren neulich verworfen hat; es ist gewiss nicht notwendig, ihre Auflistung so früh in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Engel₉ sind nicht die Entelechien von Körpern, sondern haben meines Erachtens selbst sowohl Entelechien, nämlich Geister, als auch Körper, was₁₀ ja ebenso die Ansicht nicht weniger alter Kirchenlehrer war, von der man ohne Notwendigkeit abgegangen ist; und als ob das nicht genug wäre, schaffte man zur wahren Verwirrung Fiktionen heran G *₁₁. Die Engel bewegen daher Körper genauso wie wir es tun, und die neunzehnte Definition der Euren widerspricht mir nicht. Es ist wahr, dass allein Gott der Materie neue Kräfte und neue Richtungen verleihen kann, oder Bewegungen, die nicht aus ihren alten Entelechien folgen, und dass das zu den Wundern gehört.G**
₉ Von »Engel sind …« bis zum Ende des nächsten Absatzes (»…unkörperlich sind«) zitiert DB Monitum *[29] in gekürzter Form. Vgl. Anhang 8, S. 441. ₁₀ DB Monitum teilt diese Passage *[29] in zwei getrennte Sätze: »… auch Köper. Dies war ja ebenso …« (»… judicio, habent. Quae etiam …«). ₁₁ Lat.: »et quasi non satis esset, veram in perplexitatem accersitae sunt fictitiae«. In DB Monitum *[29] lautet es »& quasi non satis esset verarum perplexitatum, accersitae sunt fictitiae«, was so zu übersetzen ist wie in der von G als Fn. am Briefende angeführten Variante, welche nur mit anderer lat. Wortfolge endet:: »… fictitiae sunt ascitae.« – Des Bosses erklärt, gerade aus diesem Brief »unverfälscht« zu zitieren (Monitum *[28]).
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Ich würde gerne wissen, ob bei Euch eine der meinen entgegengesetzte, definierte Meinung über | die Engel gilt. Zu Recht hat man G jene zurückgewiesen, die behauptet haben, alle Engel seien körperliche Kreatur₁₂; doch es betrifft nicht jene, die anerkennen, dass alle Geister, vor allem die Entelechien, unkörperlich sind. Die Schwierigkeit, die Sie bezüglich der Ursünde noch vorbringen, verstehe ich nicht ganz. Sie ist keine Kraft zu handeln, sondern ein Hindernis für die Kraft zu handeln, wie Unwissenheit, Laster. Durch das Hindernis erfolgen aber Aktionen, die ohne es nicht erfolgen würden, wie das Beispiel der Kälte zeigt. Ich nehme auch keinen größeren Abstand zwischen Ursünde und Laster an als zwischen angeborenem und erworbenem Habitus. Laster verstehe ich wie Aristoteles, der es der moralischen Tugend entgegensetzt. Niemals dreht sich eine Perzeption um ein Objekt, in welchem es keine Mannigfaltigkeit oder Vielheit gibt: Nachdem das für Sie unerschütterlich feststeht, wundere ich mich über die hier angetroffene Schwierigkeit. Ebenso wundere ich mich, dass Sie hier Universalien heranziehen. Universale ist Eins in Vielem, oder Gleichheit von Vielem, doch wenn wir perzipieren, wird Vieles in Einem ausgedrückt, nämlich im Perzipierenden selbst. Sie sehen, wie sich das unterscheidet. Ebenso wundere ich mich, warum Sie sagen, ein Lebewesen sei eine Maschine der Natur, die eine mit Perzeption versehene Entelechie besitzt: Denn aus meiner Definition wird klar, dass jede Entelechie (und zwar ursprüngliche) mit einer Perzeption versehen ist; aber das ist für mich kein Grund, zuzugeben, dass dabei immer ein Lebewesen hervorgeht. Sie scheinen sich selbst allzu wenig zuzutrauen und von mir Lösungen zu verlangen, die Sie, bei Ihrem hervorragenden Scharfsinn, mühelos selbst geben können. ₁₂ DB Monitum S. *[29]: »die behauptet haben, die Engel und die gesamte Schöpfung seien körperlich« (»qui Angelos et omnem creaturam, corpoream esse statuerunt«; dagegen G: »qui Angelos omnes creaturam corpoream esse statuerunt«).
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10. Leibniz an Des Bosses
Und, wie ich oft sagte, wenn man darangehen würde, ein Brevier der Philosophie zu verfassen, werden sich die Nebel, die scheinbar zurückgeblieben sind, mit wechselseitiger Erhellung der Dinge zerstreuen. AusG*** den Niederlanden hat man mir geschrieben, Herr Quesnel aus der Kongregation des Oratoriums halte sich dort auf, nachdem er aus dem Kerker entronnen sei, in den ihn der Bischof von Mecheln geworfen hatte, und er unternehme Verschiedenes in seinen Schriften, um Arnaulds Meinung und seine eigene, die durch das Urteil des Erzbischofs belastet ist, zu verteidigen. Man sagt, die G meisten seiner Schriften und | der gesamte Schriftverkehr, den Arnauld und Quesnel selbst seit vielen Jahren mit anderen geführt haben, sei in die Hände der Euren gelangt: Ich wünschte, eine Auswahl daraus würde veröffentlicht, und zwar das, was eher dem öffentlichen Nutzen dient, als dazu, sich Feinde zu machen. Leben Sie wohl. Aufgegeben in Hannover, 20. September 1706 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦ P. S. Das Argument von Aristoteles gegen das Vakuum – dass in einem Vakuum die Bewegung innerhalb eines Augenblicks erfolgen würde – ist, absolut gesprochen, nicht stark genug: Denn man stelle sich vor, während ein Körper in Bewegung ist, werde das Umliegende von Gott vernichtet, dann würde gewiss nicht deshalb seine Bewegung zunehmen. Nichtsdestoweniger muss man zugeben, dass es, wenn schon nicht Sache der Notwendigkeit, so doch der Kongruenz ist, dass die Geschwindigkeit von Körpern Grenzen hat, entsprechend dem Medium, in dem sie sich befinden. Daher ist die Überlegung von Aristoteles nicht völlig nichtig. Bitte um Nachsicht wegen der verworrenen Schrift. * Im ursprünglichen Entwurf heißt es an dieser Stelle: und als ob es nicht genug echte Verwirrungen gäbe, schaffte man fiktive heran G ** Im ursprünglichen Entwurf heißt es hier weiter: und die von der Materie völlig abgesonderten geschaffenen Substanzen können meines Erachtens nur durch Wunder einen Platz haben. Wenn jemand bei IhG
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nen, sei es dem eigenen, sei es fremdem Urteil verpflichtet, Engel ohne jeden Körper behaupten muss, wird er mir dennoch in den meisten anderen [Punkten] zustimmen können. G *** In dem ursprünglichen Entwurf lautet das Folgende: Es heißt, dass Quesnel aus der Kongregation der Oratorianer, ein gelehrter Mann, ehemals der treue Achates von Arnauld, den der Erzbischof von Mecheln in den Kerker geworfen hatte, von dort ausgebrochen ist und nun in den Niederlanden Verschiedenes unternimmt, um die Lehre von Jansen und Arnauld wiederzubeleben; meiner Meinung nach ist er erzürnt wegen der Feindseligkeit, mit der man ihn behandelt hat. Wenn man doch Gelehrte, die miteinander streiten, zur Mäßigung überreden könnte! Man sagt, dass alle seit vielen Jahren gesammelten Papiere von Quesnel und Arnauld in die Hände der Euren gelangt seien, worunter – so würde ich annehmen – sich vieles befindet, das der Religions- und Literaturgeschichte unserer Zeit Glanz verleihen könnte, wenn von einem Mann der Mäßigung, der auch das öffentliche Wohl liebt, Exzerpte daraus angefertigt würden, die mehr auf Beförderung des Lesers als auf Beleidigung der Gegner abzielen.)
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
29. 9. 1706 G XIII.
Von Ihren Briefen profitiere ich immer sehr viel, sei es dass Sie mich belehren, sei es dass Sie mich liebenswürdig tadeln. Dass ich mich überhaupt leicht in Zweifel verstricke, sollte Sie nicht wundern: Sie wissen, welche Gewalt die aus den Schulen aufgeschnappten Vorurteile haben, die dazu führen, dass wir, was wir wissen oder wenigstens wissen könnten, oft nicht wissen. Anlass dazu, das Universale mit dem Ausdruck von Vielem in Einem zu verbinden, gab mir eine in unseren Schulen vertraute
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13. Des Bosses an Leibniz
Einteilung, nach der wir das Universale in ein objektives und ein formales oder geistiges einteilen, welch letzteres meistens als verworrene Perzeption von vielem Ähnlichem bestimmt wird. Dass eine derartige Perzeption von Ihnen der Entelechie zugeschrieben wird, sagte ich nicht geradezu, sondern ich wünschte nur, Ihre sehr scharfe Definition für meine Auffassungskraft klarer werden zu lassen, um den Unterschied zwischen einer vernünftigen Seele und anderen Entelechien herauszustellen. Ob bei uns als Definition gilt, dass Engel unkörperlich seien, möchte ich Sie lieber durch Pater Martin de Esparza, einen römischen Theologen mit großem Namen, als durch mich beurteilen lassen. Von ihm – sollte Ihnen dieser Autor gerade nicht zur Hand sein – habe ich das, was Sie auf dem beiliegenden Blatt finden, wörtlich herausgeschrieben. Die philosophischen Gründe, die er für den bejahenden Satz heranzieht, habe ich durchsucht; wenn sie etwas klarmachen, so beweisen sie nach meinem Urteil wenigstens dies, dass manche, aber nicht alle Engel unkörperlich sind, und alle diese Gründe scheinen mit Ihrer Lehre versöhnt werden zu können, G | wenn es etwa erlaubt ist, den hl. Thomas und seine Nachfolger zu Hilfe zu rufen, die dienende Engel von den assistierenden unterscheiden und den dienenden nämlich eine physische Handlung auf die Körper zuschreiben, den assistierenden aber absprechen. Dazu kann man den hl. Thomas im ersten Teil, Frage 112, Artikel 2, 3 und 4 nachsehen. Das philosophische Brevier, zu dessen Anfertigung sie schon seit langem Anstifter und Mahner sind, geht freilich langsam voran wegen der Zeitknappheit, doch es geht voran, soweit es die täglichen Vorlesungen zulassen. Was immer mir unterkommt, das zu diesem Stoff gehört, sammle und ordne ich Tag für Tag; und um es ganz aufrichtig zu sagen: ich erfahre, wie die Nebel, die zurückbleiben, sich durch gegenseitige Erhellung der Dinge zerstreuen. Aber ich wäre sicher, viel mehr würde sich im Gespräch mit Ihnen, wenn ich es gelegentlich in Anspruch nehmen könnte, zerstreuen, denn es ist Ihnen vom Schicksal bestimmt, neues Licht in diese Dinge zu bringen.
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Von Quesnel und dem Schicksal seiner Schriften hatte ich schon vorher gehört; ob aber diese Schriften in unserem Besitz sind, weiß ich nicht. Man hat uns vor einem halben Jahr ein ziemlich großes Buch zugesandt, das auf Befehl des Erzbischofs von Mecheln unter dem Titel Causa Quesnelliana (Der Fall Quesnel) erschienen ist; darin befinden sich verstreut Fragmente, die aus den inkriminierten Schriften Quesnels exzerpiert wurden, doch weil das Ganze verfasst wurde, um die Berechtigung des erzbischöflichen Handelns gegen Quesnel zu beweisen, bezweifle ich, dass es von der Art ist, wie Sie es wünschen. Falls Sie dennoch das Verlangen haben, es zu sehen, werde ich es Ihnen zukommen lassen etc. Aufgegeben in Hildesheim, 29. September 1706
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
4. 10. 1706 G XIV / D·2, 274 f. (E 6 / F VII, W 3). Auszug in DB Monitum *[30 f.], vgl. Anhang 8.
¦ Hochwürdiger Pater. ¦ Ich bitte Sie, nehmen Sie nicht übel, was von mir zur Aufmunterung des Geistes gesagt wurde. Dank sage ich für die abgeschriebene Stelle von Pater Martin Esparza; ich erinnere mich, früher einmal von ihm etwas gelesen zu haben, und er machte einen sehr scharfsinnigen Eindruck. Die Ansicht₁₃ von der völligen Trennung der Engel von den Körpern hat nicht die Vernunft, nicht die Schrift, sondern allein die gängige Meinung der Schulen zur Grundlage. Das Laterankonzil spricht
₁₃ Von »Die Ansicht …« bis »… willkürlich ablegen« (letzter Absatz) zitiert in DB Monitum, unten S. 422 ff.
D
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10. Leibniz an Des Bosses
nicht definitiv, sondern diskursiv auf Basis des damals überlieferten Sinnes, wie die Worte zur Genüge zeigen. Dass einige Engel, die Sie mit Thomas₁₄ assistierende nennen, von den Körpern gänzlich G getrennt sind, lassen meine Beweise, wenn ich nicht irre, | nicht zu, und ohne Schwierigkeit behaupte₁₅ ich das von allen, was man von einigen zeigen könnte. Einen Gebrauch des Körpers kann man, glaube ich, trotzdem den Engeln zuschreiben, sodass sie nicht unpassend eher assistierende Formen als inhärente₁₆ genannt werden – nicht weil sie die Funktion der Entelechien nicht erfüllen, sondern weil sie am Körper nicht angeheftet sind. Ich glaube nämlich (da es naturgemäß möglich ist und zur Vollkommenheit des Universums beiträgt), dass es Entelechien gibt, die ganz leicht den Körper wechseln oder von Körper zu Körper übergehen, zwar nicht in einem Augenblick (denn nichts geschieht naturgemäß so), aber doch in kurzer Zeit, etwa schrittweise. Wie₁₇ der Teil, den sie behalten, dem zu verändernden Teil, den sie ablegen, dient, obwohl er sich dann auch selbst je nach entstandenem Ding verändert, so wie wir mit Hilfe der Hand einen Fuß verändern können und den fleischlichen durch einen hölzernen ersetzen: ja wie wir mit Hilfe der einen Hand die andere verändern können, und mit Hilfe einer neuen Hand wiederum die ältere, wenn wir die neue hinreichend mit uns vereinigen könnten – so wird ein Engel immer durch Körper agieren, und immer wird die prästabilierte Harmonie stattfinden, d. h. dass₁₈ das, was der Engel ₁₄ »cum Thoma assistentes«; DB Monitum *[30]: »cum Thoma Aquinate Assistentes«. ₁₅ Nach DB Monitum *[30] heißt es nicht »behaupte ich« (»fateor«), sondern »würde ich gelten lassen« (»paterer«). ₁₆ DB Monitum *[30] mit dem Zusatz: »inhärente (d. i. informierende)«: »Formae Assistentes, potiùs quàm inhaerentes (sive informantes)«. ₁₇ DB Monitum *[30]: »… schrittweise, wobei der Teil …«: lat. »gradus, ubi« (statt G: »gradus. Uti …«). ₁₈ DB Monitum *[31]: »… stattfinden, sodass das, …«: »sic ut« (statt G: »seu ut«).
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will, aufgrund des Gesetzes der Körper selbst geschieht, ungefähr wie – wenn ich mich recht entsinne – Euer Suarez sagt, dass nach der Meinung einiger die Dinge so im Voraus geordnet sind, dass sie die Wünsche und Gebete der Glückseligen nach deren Willen befriedigen. Assistierende Formen also nenne ich die, die nach Belieben einen Körper annehmen oder₁₉ ablegen und den, den sie besitzen, umformen; inhärente und beseelende die, die keine solche Willkür besitzen – auch nicht wenn die Willkür beschränkt ist –, sodass alles nach der natürlichen Ordnung vor sich geht. Allein Gott kommt es zu, Beliebiges₂₀ aus Beliebigem zu machen, aus reinem Willen₂₁. Und die Ersteren, würde ich meinen, kann man von den Körpern abgesondert nennen, die Letzteren aber₂₂ an die Körper geheftet. Trotzdem muss man sagen, dass beide eine Einheit mit dem Körper sind, sodass sie eine Entsprechung₂₂a zur Entelechie aufweisen. Das scheint auch im Sinn von Augustinus, Buch XXI »Vom Gottesstaat« Kap[itel] 10 zu sein, zitiert₂₃ von Thomas, Quaestio 16 »Über das Böse«, Art[ikel] 1: »Man kann freilich die Dämonen (oder Engel) Geister nennen, weil sie vielmehr ihnen untertane Körper besitzen.« Daher werden wir weder den Intelligenzen die Bezeichnung Seelen noch₂₄ den Engeln [die Bezeichnung] Lebewesen zusprechen. Im Übrigen hat ein Wechsel des Körpers nichts, was nicht mit der Überlieferung übereinstimmt: Denn auch wir wechseln den Körper, sodass wir im Alter vermutlich nichts mehr von der Materie
₁₉ DB Monitum *[31]: »und«: »atque« (statt G »aut«). ₂₀ Lat. »quidvis«; DB Monitum *[31]: »quodvis«. ₂₁ »…aus reinem Willen« (»nuda voluntate«) fehlt in DB Monitum *[31]. ₂₂ Lat. »vero«, fehlt in DB Monitum *[31]. ₂₂ a Lat. »rationem« ₂₃ Lat. »citatam«, was buchstäblich auf den Sinn oder das von Augustinus Gemeinte (mentem) bezogen ist, während nach DB Monitum *[31]: »citati« Augustinus selbst zitiert wird. ₂₄ Lat. »neque«; DB Monitum *[31]: »nec«.
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15. Des Bosses an Leibniz
des Kindes₂₅ behalten; der Unterschied ist nur, dass wir den Körper weder plötzlich noch willkürlich ablegen. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 4. Oktober 1706 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦ P. S. Irgendwann wird der »Fall Quesnel« willkommen sein und was immer von dieser Art sonst noch zur Literaturgeschichte gehört.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
14. 10. 1706 G XV. Ausschnitte in DB Monitum *[31 f.], vgl. Anhang 8. G
| Durch einen mehrtägigen Ausflug war ich verhindert, auf Ihren höchst willkommenen Brief rascher zu antworten. Ihre jüngste kleine Ermunterung habe ich so wenig als lästig empfunden, dass ich viel lieber von Ihnen gescholten als von jemand anderem gelobt werden möchte. Die völlige Abtrennung der Engel von den Körpern hat nicht einmal Esparza, den Sie neulich erwähnten, gutgeheißen; denn in eben der Abhandlung, die ich angeführt habe, Frage 5, Artikel 5, sagt er: »Jeder einzelne Engel, jedenfalls der dritten Hierarchie« (dasselbe kann auch von den zwei anderen gesagt werden) »bezieht sich auf einen bestimmten Körper oder eine bestimmte Ansammlung von Körpern und ist mit ihm oder ihnen in der Art eines Bewegers oder Lenkers besonders verbunden: Er hat etwas in seinem Inne₂₅ Lat. »infantis«; DB Monitum *[31]: »infantilis«, somit: »von der kindlichen Materie«.
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ren, durch das er von Gott dauernd zu einer solchen determinierten Obhut und Regentschaft über den oder die Körper bestimmt ist.« Und etwas später: »Wie sich die einzelnen vernünftigen Seelen auf einzelne Körper als ihre Formen beziehen, so beziehen sich einzelne der besagten Engel auf einzelne Körper oder Ansammlungen von Körpern als deren Beweger oder Lenker.« So weit Esparza. Sie sehen, dass er hier den Engeln eine den Entelechien analoge Aufgabe zuweist. Zudem überliefert Esparza diese Lehre an dieser Stelle, um zu zeigen, dass sich Engel der bloßen Anzahl nach voneinander unterscheiden können, auch wenn gemäß der Ansicht der alten Peripatetiker die Individuation oder numerische Verschiedenheit der Substanzen durch den Bezug auf die Materie ermittelt werden muss. Daher kommt, glaube ich, der ganze Gedankengang Ihres letzten Briefes auch im Sinn dieses Autors sehr schön heraus, wenn man nun unter der Aufgabe der Entelechie, die Sie den Engeln zuweisen, eine solche Bewegungskraft der Körper versteht, deretwegen man die angelische Intelligenz jedoch nicht unvollständige Substanz nennen darf und auch nicht sagen soll, dass aus der angelischen Intelligenz und dem Körper, mit dem sie verbunden ist, ein zugrundeliegendes unum per se wird, wie es aus der menschlichen Seele und dem Körper entsteht. Denn diese Unvollständigkeit geben unsere Theologen nicht ohne weiteres zu. Es bestehe also tatsächlich zwischen den Engelintelligenzen und dem Körper, mit dem sie verbunden sind, jene wahre, und zwar innerste, aber akzidentelle Vereinigung, die aus den Verbundenen nicht ein per se Seiendes macht – derart, wie es das mit der Menschheit verbundene göttliche Wort ist, um ein anderes theologisches Beispiel | zu gebrauchen. Wenn G Sie das zugeben – wie Sie es angesichts des Unterschieds, der Ihrer Behauptung nach zwischen Lebewesen und Engeln, zwischen Seele des Menschen und angelischer Intelligenz besteht, anscheinend ja zugeben können –, sehe ich nichts, worin Ihre Ansicht von der gebilligten und in den Schulen überlieferten Lehre abweicht. Im Übrigen sind die Gründe, die nahe legen, dass man von den Körpern völlig getrennte erschaffene Substanzen zugeben muss, ungefähr die
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15. Des Bosses an Leibniz
folgenden, die ich anführe, um Ihre Beweise für das Gegenteil herauszufordern.₂₆ 1. Zur Vollkommenheit des Universums gehört, dass derartige Substanzen existieren, sofern sie möglich sind. Doch was spricht dagegen, dass sie möglich sind? Ist nicht Gott selbst eine solche Substanz? Denn ich glaube nicht, dass Sie sagen, Gott sei auch eine Entelechie. Das hieße, dass Gott die Weltseele ausmacht und diese notwendig an alle vorhandenen Körper geknüpft ist, da Gott notwendig auf sie einwirkt, solange sie existieren. Warum also kann Gott einer Kreatur, die mehr oder weniger vom Körper getrennt ist, nicht die Kraft mitteilen, die er selbst hat, um die Körper zu bewegen? Sagen Sie jetzt nicht, diese Macht komme Gott als einem unendlichen Geist zu, denn es ist nicht wirklich klar, was die Unendlichkeit hier für eine Rolle spielt; ich schließe nun daraus, dass die Kraft, Körper zu bewegen, einem reinen Geist, insofern er rein ist, nicht widerspricht; andernfalls würde es auch einem unendlichen reinen Geist nicht zukommen (unter rein verstehe ich einen Geist, der nicht zugleich eine Entelechie ist). Wenn tatsächlich zum Einwirken auf einen Körper ein Körper notwendig wäre, könnte auch ein unendlicher Geist nicht auf einen Körper einwirken; also wird sich ein unendlicher reiner Geist, wenn es zum Einwirken auf einen Körper nötig wäre, kein reiner Geist zu sein, genauso wenig einer solchen Kraft erfreuen. 2. Sogar zugegeben, dass ein geschaffener Geist, der nicht die Gabe der Entelechie hat, auf Körper nicht einwirken kann: Warum sollte ein geschaffener Geist unmöglich sein, der keine Entelechie ist und daher auch keine Körper bewegen kann? Sicherlich spricht der hl. Thomas manchen Ordnungen von Engeln jeden äußeren und sinnlichen Dienst bezüglich der körperlichen Kreatur, d. h. jede Einwirkung auf Körper ab – nicht bloß in Bezug auf das allgemeine, sondern auch auf das außerordentliche Gesetz, und diese sozusagen untätigen Engel nennt er assistierende und unterscheidet sie ₂₆ Zu folgenden Argumenten vgl. Des Bosses’ Reformulierungen im »Monitum Interpretis« S. *[31 f.] (übersetzt im Anhang 8, S. 444).
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von den dienenden, zu welchen es lediglich gehört, sich mit dem körperlichen Dienst zu beschäftigen. Es mag hilfreich sein, diesen Doktor anhand eines Zitats im ersten Teil, Frage 112, Artikel 1, 2, 3 und 4, zu prüfen, damit Sie erkennen, in welchem Sinn ich das Wort assistieren im vorigen Brief verwendet hatte. Sie sprechen von dem Körper assistierenden Engeln, ich sprach mit dem hl. Thomas von Gott assistierenden Engeln. Was Sie am Schluss anführen, »dass wir den Körper verändern, sodass wir im Alter vermutlich nichts mehr von der kindlichen Materie haben«, kenne ich freilich als Ansicht der meisten | Phi- G losophen. Aber wenn es auch die Ihre ist, dann hat Bayle im historisch-kritischen Wörterbuch, Artikel »Rorarius«, Buchstabe I , Ihr Denken wahrlich nicht richtig erklärt, wo er sagt: »Die Hypothese des Herrn von L. macht uns glauben, … 2. dass diese Seelen immerfort existieren₂₇ seit der Zeit, als sie unzertrennlich mit dem ersten organisierten Körper vereint wurden, in den Gott sie einquartiert hat. Das erspart uns die Seelenwanderung, die sonst ein Zufluchtsort wäre, an den man sich notgedrungen retten müsste.« Denn wie soll es wahr sein, dass die Seelen, die immer mit ihren ersten Körpern vereinigt sind, subsistieren, wenn man nicht sagt, dass von der erstentstandenen Materie immer etwas an den Entelechien haftet? Wenn ich mich recht entsinne, haben Sie, nachdem ich im letzten Brief diesbezüglich etwas eingewendet hatte, geantwortet: Es gebe keine Entelechie, die mit einem bestimmten Teil der Materie – nämlich der zweiten – verbunden ist; das sei jedoch anders, wenn von der ersten Materie die Rede ist, denn eine solche Materie, das heißt das Prinzip des Erleidens usw., sei beständig und hafte an ihrer Entelechie. Wenn Sie auch noch die dermaßen ursprüngliche Materie, die an der Entelechie – welche Sie den übrigen Formen zugestehen – haftet, den Engel-Intelligenzen absprechen, dann kann man aus diesem Grund, wenn ich mich nicht irre, erst recht sagen, dass die angelischen Geister keine Formen sind, sondern Be-
₂₇ Die Vorlage hat hier mit Bayle den frz. Ausdruck »subsistent«.
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15. Des Bosses an Leibniz
weger – nämlich der Körper, in dem Sinn, in dem die Peripatetiker diese Wörter verwenden. Zwei Punkte gibt es noch zu diesem Thema, über die ich gerne Ihre Ansicht kennen würde: 1. Glauben Sie, dass auch der vernünftigen Seele nach dem Tod des Menschen eine Materie anhaftet, als individueller Begleiter bis zur Auferstehung? 2. Da jede Entelechie ein Geist ist, warum soll dann nicht auch jede Entelechie an der Vernunft teilhaben, ausgestattet mit Verstand und Willen, gemacht nach dem Bild Gottes, fähig zur ewigen Seligkeit, genauso wie die unseren? Zumal man immer wieder der Ansicht ist, dass derartige Attribute aus der Spiritualität oder Immaterialität als ihrer adäquaten Wurzel entstehen. Sobald ich den Fall Quesnel von demjenigen, dem ich diesen geliehen habe, erhalte, schicke ich ihn zugleich mit dem Gerberon’schen, wie Sie wissen des anderen Atlas dieser Partei. Ich habe außerdem noch die Geschichte der fünf Sätze Jansens, die vor einigen Jahren sehr sorgfältig und (soweit das bei jemandem, der Jansens Lehre nicht zustimmt, möglich war) ohne Parteilichkeit von Dumas, einem Doktor der Sorbonne, verfasst wurde. Sollten Sie diese noch nicht kennen, werde ich sie Ihnen ebenfalls bei der ersten Gelegenheit sehr gerne übermitteln. Im Übrigen etc. Aufgegeben in Hildesheim, 14. Oktober 1706
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
16. 10. 1706 G XVI / D·2, 275 f. (E 7, S / F VIII, W 4). Auszüge in DB Monitum *[32] f., vgl. Anhang 8.
¦ Hochwürdiger Pater! ¦
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| Die₂₈ Stelle Eures Esparza gefällt mir sehr, und es soll durchaus G willkommen sein, wenn Sie mir oft Autoren nennen, die mir wohlgesonnen sind. Auch ich verachte nicht jenes Dogma der Peripatetiker, die die Relation zu einer bestimmten (obgleich je nach Zeit verschiedenen) Materie für die numerische Unterscheidung der Substanzen₂₉ fordern. Bei Gott verhält sich die Sache anders, da er sich selbst genügt und Ursache der Materie und alles anderen ist,₃₀ daher ist er nicht die Seele der Welt, sondern ihr Urheber. Den Kreaturen jedoch ist es natürlich, eine Materie (und zwar die zweite)₃₁ zu haben, anders sind sie nicht möglich, außer Gott ersetzt die Leistung der Materie durch ein Wunder. Aber was nur durch ein Wunder gewährt₃₂ werden kann, ist zur Vollkommenheit des Univer₂₈ Die zwei ersten Absätze dieses Briefes finden sich wieder in DB Monitum *[32 f.], unten S. 445. ₂₉ Die lat. Wortreihenfolge nach G: »…numericam distinctionem substantiarum« ist in DB Monitum *[32] umgestellt: »…numericam substantiarum distinctionem«, was für die Übersetzung ohne Belang ist. ₃₀ Nach D·2, 275 ergibt sich die Lesart Gottes, »der die sich selbst genügende Ursache der Materie und alles anderen ist« (»qui sufficiens sibi, causa est materiae et aliorum omnium«), womit die immanente Selbstgenügsamkeit im Vordergrund steht, während nach obiger Formulierung (»qui sufficiens sibi causaque est materiae et aliorum omnium«) die Schöpfung auch ein Schritt darüber hinaus sein könnte. ₃₁ Dieser Zusatz in Klammer »(secundam scilicet)« fehlt in D·2, 275 und in DB Monitum *[32]. ₃₂ Lat.: »quae non nisi miraculo praestari possunt«, während es nach D·2, 275 heißt: »… non nisi per miraculum perpetrari possunt« – »was nur durch ein Wunder geleistet werden kann«.
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16. Leibniz an Des Bosses
sums nicht regelmäßig notwendig. Der unendliche Geist wirkt auf die Körper durch Erschaffen und Bewahren, welches eine gewisse Fortsetzung des Erschaffens ist; mit einem endlichen Geist ist das nicht vereinbar. Als ich von den assistierenden Formen sprach, habe ich mich nicht auf die von Ihnen erwähnte Unterscheidung Thomas’ zwischen den Engeln, die Gott assistieren, und denen, die ihm dienen, bezogen (obwohl die Schrift sie allesamt Diener des Geistes nennt), sondern auf die peripatetischen Ausdrücke. Dass Gott assistierende Intelligenzen, die nichts anderes tun und auch nicht Gottes Gehilfen sind, mit der Ordnung der Dinge zusammenstimmen, glaube ich nicht. Sie nämlich von den Körpern und dem Ort entfernen, heißt, sie von der universalen Verbindung und Ordnung der Welt entfernen, welche in den Relationen gemäß Zeit und Ort besteht. Was die Frage₃₃ betrifft, ob eine Entelechie die Materie verändert, unterscheide ich, wie ich es laut Ihrem Schreiben ja schon getan habe: Die Entelechie ändert ihren organischen Körper oder ihre zweite Materie, doch ihre eigene erste Materie ändert sie nicht. Herr Bayle scheint meine Ansicht darüber nicht ganz erfasst zu haben. Die erste Materie ist einer jeden Entelechie wesentlich und wird niemals von ihr getrennt, da sie sie vervollständigt und selbst die passive Potenz der ganzen, vollständigen Substanz ist. Die erste Materie besteht nämlich nicht in der Masse oder Undurchdringlichkeit und Ausdehnung, obschon sie sie erfordert₃₄: Die zweite Materie allerdings, welche einen organischen Körper konstituiert, ist das Resultat aus zahllosen vollständigen Substanzen, deren jede ihre eigene Entelechie und ihre eigene erste Materie besitzt, aber von denen₃₅ keine ewig an der unsrigen befestigt ist. Die erste Materie je-
₃₃ Lat. »Quaestionem«; D·2, 275: »expositionem« (Darlegung). ₃₄ »Obschon sie sie erfordert« (»etsi etiam exigat«): nicht in D·2, 276.
₃₅ D·2, 276 wiederholt hier das Bezugswort: »aber von welchen Substanzen« (»sed harum substantiarum«).
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der beliebigen₃₆ Substanz, die in ihrem organischen Körper existiert, involviert daher die erste Materie einer anderen Substanz – nicht als wesentlichen Teil, sondern als unmittelbares Erfordernis, aber nur auf Zeit, weil eins aufs andere folgt. Obschon also | Gott durch G seine absolute Potenz eine geschaffene Substanz von der zweiten Materie trennen kann, kann er sie doch nicht von der ersten Materie trennen; denn er würde dann einen Actus purus schaffen, wie nur er selbst einer ist. Ob₃₇ es jedoch notwendig ist, dass ein Engel die formgebende Form oder die Seele des organischen Körpers und mit diesem persönlich vereint ist₃₈, ist eine andere Frage und kann in dem bestimmten, im vorigen Brief dargelegten Sinn verneint werden. Sie sehen auch, dass hierdurch die unvollständigen Substanzen beseitigt werden – ein Monstrum in der wahren Philosophie. Im Hinblick auf den Zustand der abgetrennten menschlichen Seele kann ich nichts Sicheres definieren, da hier außer dem Reich der Natur das Reich der Gnade Einfluss hat. Warum ihr aber immerfort₃₉ eine bestimmte zweite Materie bis zur Auferstehung anhaften soll, dafür sehe ich keine Ursache. Ich entsinne mich nicht der Aussage, dass jede Entelechie ein Geist sei, und würde diese Bezeichnung lieber den vernunftbegabten Entelechien vorbehalten. Dass nicht jede Entelechie tatsächlich der Vernunft fähig ist, habe ich schon längst gesagt, da nicht jede ihrer selbst bewusst oder mit einer reflexiven Handlung ausgestattet ist. Dies haben, wenn ich nicht irre, die Peripatetiker (vor allem die Thomisten, die sogar unteilbare Seelen der Tiere kennen) ₃₆ Lat. »cujuslibet substantiae«; D·2, 276: spricht von »der einen Substanz« (»substantiae alterius«). ₃₇ Die Passage von »Ob es…« bis »…sehe ich keine Ursache« (folgender Absatz) zitiert DB Monitum *[33] gekürzt. Vgl. S. 445 f. ₃₈ Lat. »Animam corporis organici eique personaliter unitam«, während in DB Monitum *[33] die Partizipkonstruktion als Nebensatz ausgeführt ist: »… die Seele des organischen Körpers, die mit diesem persönlich vereint ist« (»…corporis organici, quae ei personaliter uniatur«). ₃₉ Lat. »perpetuo«, fehlt in DB Monitum *[33].
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16. Leibniz an Des Bosses
bereits bemerkt. Daher besitzen die Seelen der Tiere keine Person, und ebenso besitzt unter den uns bekannten Lebewesen allein der Mensch die Unsterblichkeit der Person, insofern diese ja in der Bewahrung des Selbstbewusstseins besteht und sich für Strafe und Lohn empfänglich erweist. Willkommen wird die Übermittlung jener Schriften, auf die Sie mich hoffen lassen, sein, sobald ich nach Hause zurückkehre; denn in einer oder zwei Wochen fahre ich nach Wolfenbüttel. Willkommen wird auch sein, wenn Sie mich laufend unterrichten, was sich in Eurem Orden oder sonst wo in der Literatur, insbesondere der religiösen und der philosophischen, tut, und es wäre nützlich zu erfahren, was in Rom in den Kongregationen für Riten, Inquisition, Index usw. entschieden wird. Denn so etwas wird von mir sehr wohl beachtet. Was, wenn auch Sie kurz nach Wolfenbüttel fahren würden, wenn ich dort bin? Es wird dort vielleicht jemand aus Eurem Orden sein, aus einem Grund, den Sie wohl kennen; seine Bekanntschaft könnte mir und Ihnen angenehm sein. Besonders aber wird die Ihrige Seiner Durchlaucht dem Herzog angenehm sein, und Sie dürfen sie nicht ausschlagen. Daher erwarte ich über diese kleine Ausfahrt möglichst bald [Ihre] Meinung. Das Übrige verrate ich, wenn ich mich dorthin begebe. Ich hoffe es in der Woche zu tun, die wir morgen beginnen. Leben Sie wohl und lieben Sie mich. Aufgegeben in Hannover, 16. Oktober 1706 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦
[G:] Es folgt hier ein Schreiben des Bosses’s an Leibniz datirt Hildesii 22 Octobris 1706, ohne wissenschaftlichen Inhalt. Das Folgende ist Leibnizens Antwort. [Der Einsatz des ausgeblendeten Briefes ist »Ihr am 16. dieses Monats datierter Brief …«, Ritterkatalog Nr. 5319.]
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13. 11. 1706 G XVII nach D·6 II.
| Ein paar Tage habe ich in Wolfenbüttel und Braunschweig ver- G bracht, von wo ich ins benachbarte Helmstedt gefahren bin; nun reise ich nach Berlin und hoffe von dort vor Jahresende zurückzukehren. Wenn man mir trotzdem etwas zukommen lassen will, erhalte ich es über Hannover: Ich werde mich freuen, wenn ich von Ihnen ab und zu erfahre, was die Literatur Neues bringt, vor allem in der Theologie und der φιλοσοφίᾳ (Philosophie). Vor nicht allzu langer Zeit habe ich einige Schriften vom Ew. P. Temmik₄₀ aus Eurer Gesellschaft gesehen. Er scheint den Ansichten Malebranches nicht abgeneigt und ansonsten über den Durchschnitt hinauszustreben. Im Übrigen leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Helmstedt, 13. November 1706
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1. 12. 1706 G XVIII. Der Anfang des Briefes wurde von G ausgespart, die ersten Worte sind hier in eckiger Klammer nach RK 5320 wiedergegeben: »Litteras meas proximas cum acclusis Janningianis …«.
[Mein letzter Brief mit dem beigelegten von Janninck … ] Kennen Sie das Buch Geschichte der Kontroversen um die Hilfsmittel der göttlichen Gnade unter den Päpsten Sixtus V., Clemens VIII. ₄₀ Bei G steht hier »Temmick«, in D·6, 175 »Temmen«.
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und Paul V. in sechs Büchern, in denen zahllose Irrtümer und Lügen aufgezeigt und widerlegt werden, die in der unter dem Namen Augustinus Le Blanc herausgegebenen Geschichte der Kongregationen zum Thema Hilfsmittel festgestellt wurden, und alle Akten der Kongregationen zurückgewiesen werden, die unter dem Namen von Frater Thomas von Lemos erschienen sind. Verfasst von Theodorus Eleutherius, Theologe. Antwerpen, Druckerei Peter Jacobs, mit Privileg und Approbation 1705 ? Der Kompilator dieser Geschichte, der sich hinter dem Namen Theodorus Eleutherius verbirgt, soll P. Levin von Meyer sein, derselbe, der vor einigen Jahren ein Gedicht über den Zorn veröffentlicht hat, das die Leipziger »Acta Eruditorum« anzeigen. Es ist ein Folio-Band und kostet ungefähr fünf Reichstaler. Die Verordnung Clemens’ XI. vom 17. vor den Kalenden des August 1705 gegen die Jansenianer haben Sie bestimmt schon gesehen. Nach ihr, so vernehme ich, gibt es in Frankreich und Belgien immer noch eine Meinungsverschiedenheit selbst unter unseren G Theologen; alle Versöhnlichen sind | zwar darin einig, dass sie sich nicht nur durch gefälliges äußerliches Schweigen, sondern mit innerer Zustimmung und Überzeugung dazu bekennen, dem Urteil des Papstes und der Kirche zu folgen, welche erklärt, der offenkundige Sinn – sensus obvius – des Buches von Jansen mit dem Titel »Augustinus« sei häretisch und mit dem offenkundigen Sinn der verurteilten fünf Sätze völlig konform; dass sie aber darin voneinander abweichen, dass die einen diese Verpflichtung zur inneren Zustimmung mit der unfehlbaren Autorität von Papst und Kirche erreichen wollen, welche so entscheide, dass sie in dieser Entscheidung nicht irren könne; die anderen [das] leugnen, weil sie eine derartige Unfehlbarkeit für nichtig oder zumindest nicht für erforderlich halten, um allen die Verpflichtung aufzuerlegen, der päpstlichen Entscheidung innerlich zuzustimmen und sie sogar unter Eid zu unterschreiben, sosehr sie auch durch die gesamte Kirche überliefert ist. Der Vorkämpfer der befürwortenden Partei ist der Erzbischof von Cambrai, der bereits mehrere Schriften in dieser Sache herausgegeben hat, von denen die erste, erschienen im Jahr 1704, in
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Lüttich an mich gelangt ist.₄₁ Wenn Sie zurück in Hannover sind, werde ich Ihnen diese zukommen lassen, zusammen mit dem Fall Quesnel und dem Gerberon-Prozess und einigem anderen, das man auf Ihren Befehl bis zu Ihrer Rückkehr aufschieben sollte. [… … … G] Aufgegeben in Hildesheim, 1. Dezember 1706
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1. 2. 1707 G XIX / D·6 III (F IX).
Mit etwas Verspätung wurde mir Ihr sehr willkommener [Brief] überbracht. Eine Diskussion der Geschichte der Hilfsmittel wird nicht gering zu schätzen sein, wenn man nur auf beiden Seiten von odiosen Provokationen Abstand nimmt, die nicht aufbauen, sondern zerstören. Über die Unfehlbarkeit der Kirche in Tatsachen belehren Sie mich bitte einmal: Denn ich bekenne, dass ich immer die Meinung Bellarmins und anderer geteilt habe, die selbst die allgemeinen Konzilien in dieser Hinsicht für fehlbar halten, und ich möchte nicht, dass es durch augenblickliche Vorteile und Leidenschaften auf längere Zeit sträfliche Lehren gibt. Allen sogar aufzuerlegen, dass sie in derlei Dingen innere Zustimmung beschwören müssen, halte ich für unangebracht, weil diese hier in niemandes Macht steht und nichts da ist, was zur Überzeugung ausreicht. Die Autorität der Kirche (die ich für verehrungswürdig halte, wenn sie in rechtmäßigen Schranken gehalten wird) wird genauso wie die der Fürsten durch Missbrauch und übermäßige Beanspruchungen nicht vergrößert, ₄₁ Dieser Satz ist bei G in zwei Sätze getrennt: »… quorum primum anno 1704 editum. Leodii ad me pervenit.«
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sondern letztendlich auch innerhalb des Rechts gefährdet, | was die Erfahrung öfter als einmal lehrt. Wenn doch vorzügliche Menschen, in Eurem Orden und anderswo, hin und wieder diese Affekte ablegen oder bezwingen würden, von denen nicht selten gute Männer geplagt werden. Ich konnte weder die jüngsten Taten der SorbonneMitglieder gegen die Euren noch die der Euren gegen das Andenken Jansens loben, und die verurteilten Sätze erachte ich als wächserne Nase, weil jeder weiß, wie verschieden die Namen Möglichkeit und Notwendigkeit aufgefasst werden. Was zwischen uns an philosophischen Sachen verhandelt wurde, ist, glaube ich, für eine Mitteilung an jede Art von Öffentlichkeit ungeeignet, da bruchstückhaft und in kein System gebracht, wie ich es von Ihnen erhoffte. Ich habe es Ihnen, einem Weisen nämlich, und nicht für jedermann geschrieben. Daher passt es sicher nicht in die Sammlung Trévoux, die eher für Populäreres bestimmt ist, und ich hoffe, Sie werden entsprechend Ihrem Wohlwollen für mich nicht gestatten, dass es an einem so fremden Ort erscheint. Ich würde meinen, man sollte die Herausgeber von Trévoux selbst, durchaus glänzende Gelehrte, bitten, beim Rezensieren eher darauf hinzuweisen, was in den Büchern Hervorragendes oder Zukunftsweisendes enthalten ist, als auf Eitles und nicht Beachtenswertes. Der menschliche Geist neigt zu Spott und Verachtung anderer; ich möchte nicht, dass diesem Laster der Leser Vorschub geleistet wird, vor allem nicht von geistlichen Herren. Ein guter und gelehrter Mensch hat mit großem Fleiß ein Werk ausgearbeitet und zum öffentlichen Nutzen etwas Neues von sich vorgelegt: Er erwartet dafür keinen anderen Lohn als Lob. Warum sollen wir einem Gutwilligen Gutes mit Schlechtem vergelten und mit Verachtung und Gelächter (falls ihm einmal ein Fehler unterlaufen ist) einen Menschen für eine löbliche Tat bestrafen? Wenn nun vielleicht eine Kritik der Mühe wert sein sollte, dann möchte ich, dass sie so erfolgt, dass sich der Autor zu unserer Zensur selber gratuliert. Viele Neuigkeiten aus der Literatur habe ich nicht: vor kurzem wurde mir berichtet, dass eine römische Inschrift in Schlesien gefunden wurde, was überaus selten ist, denn die Römer hatten dort
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nie eine Siedlung. Sie war möglicherweise einem Gefangenen von einem gleichfalls gefangenen Freund gewidmet, so wie meiner Erinnerung nach ein Türke in Hannover einen türkischen Grabstein für einen Gefährten aus der Gefangenschaft errichtet hat. Ich habe hier empfohlen, dass einige Berliner Beobachtungen veröffentlicht werden, vor allem da sie dieselben Phänomene betreffen, die am königlichen Observatorium in Paris aufgezeichnet wurden, wie ich aus den Akademie-Kommentaren des Jahres 1704 erfahren habe. In England kam eine bisher verschollene Arbeit von Apollonios von Perge über den Verhältnisschnitt heraus, in einem arabischen Manuskript von einem seinerzeit sehr berühmten Mann, Edward Bernard, erstmals eingesehen und von einem anderen hervorragenden Geometer, Edmund Halley, ausfindig gemacht. Der berühmte Hartsoeker aus den Niederlanden hat mir seine »Physikalischen Vermutungen« geschickt, worin er ein neues System erprobt oder vielmehr ein vor ein paar Jahren begonnenes fortführt. Er hat große Begabung, aber die sitzt in seinem | inneren G Wesen noch zu tief verborgen, als dass man auf sichere Ursachen der aufgesetzten Effekte in dieser kindischen Philosophie hoffen könnte. Tolomei beglückwünsche ich zur Ruhe; wenn er das Amt angenommen hätte, hätte man weniger ihm als Eurem Orden gratulieren müssen: Nun erhoffe ich von seiner Lehre und seiner Geisteskraft das große Werk einer Erneuerung und Fortführung Bellarmins. Ich zweifle auch nicht, dass er Bellarmins recht erbitterte Kriege, Waffen, Drohungen mäßigen und sich Mühe geben wird, als jemand beurteilt zu werden, der in allererster Linie Rücksicht auf die Wahrheit und den Nutzen genommen habe. Wenn ich wieder nach Hannover zurückgekehrt bin, was bald geschehen wird, kann ich leichter etwas zu Ihrem Briefverkehr beitragen. Inzwischen leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Berlin, 1. Februar 1707
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23. 6. 1707 G XX nach D·6 V.
Von dem aus Berlin an Sie ergangenen Antwortbrief nehme ich an, dass er Ihnen ordentlich zugestellt worden ist. Ich hingegen habe nach meiner hiesigen Rückkehr im Auftrag des ehrwürdigen Pater Cunibert erhalten, was Sie für mich bestimmt haben, und bedanke mich dafür; ich werde mich geflissentlich bemühen, dass Sie Ihre Bücher ordnungsgemäß zurückbekommen. Der Fall Quesnel und Gerberon bedeutet für den Glanz der literarischen Welt unserer Zeit nicht wenig. Indessen bedauere ich, dass wegen Streitigkeiten von nicht sehr großer (wie mir zumindest scheint) Wichtigkeit mit solchem Hass unter gelehrten Männern, und ich füge hinzu: nicht selten guten, aber von vorgefassten Meinungen eingenommenen, gekämpft wird. Gerberon und seinesgleichen, das würde ich wünschen, gebe man die Freiheit, und die Ihren sollten dafür Sorge tragen. Selbst Unglück und Elend verleiht den bedeutenden Männern Ansehen. Mit Großzügigkeit gegen sie würde man sich bei den Guten und Verständigen einen Sonderapplaus erwerben. Leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, soeben aus Berlin und Leipzig zurück, 23. Juni 1707
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25. 6. 1707 G XXI.
Endlich sind Sie nun heil und gesund nach Hannover zurückgekehrt, ich freue mich und gratuliere. Ihr zuvor aus Berlin gesandter
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Brief war mir umso lieber, je weniger ich glaubte, von Ihnen, der so fern weilte und von vielen Arbeiten beansprucht war, | etwas erwar- G ten zu können. Aber das wie auch die Hoffnung auf Ihre Rückkehr, die Sie geweckt haben, legten mir nahe, die Antwort bis zu Ihrer Rückkehr zu verschieben. Sie werden die »Geschichte der Kongregationen über die Hilfsmittel« sehen, wenn es beliebt und Zeit ist, denn es ist ein gewaltiger Band. Weil Sie warnen, man möge auf beiden Seiten von Odiosa Abstand nehmen, küsse ich Sie als einen Freund des Friedens und Ratgeber des öffentlichen Wohls. Das Beste war es in der Tat, sofern es beide Seiten betrifft, denn wenn eine gerechte Verteidigung es erfordert, dass eine zwar verhasste Wahrheit unter der Mäßigung einer untadeligen Vormundschaft sichtbar wird, werden Sie das, denke ich, nicht missbilligen. Was die Unfehlbarkeit der Kirche in Tatsachen anbelangt, so ist gewiss, dass die Kirche in Fragen eines Faktums, insbesondere wenn es sich nicht auf die Glaubenslehre bezieht, irren kann; der Streit geht jedoch um die Fragen eines Faktums, das die Glaubenslehre betrifft, denn freilich wird ein Autor von der Kirche darin verurteilt, dass er in seinen Schriften eine unrechte Lehre vertritt. Eine solche Frage ist aber eine zweifache: erstens, ob der Autor tatsächlich die häretische Ansicht, die ihm zugeschrieben wird, im Sinn hat – obzwar dieses Faktum sich eher auf die Person als auf die Lehre bezieht; sodann: ob er diese Lehre in seinen Schriften zum Ausdruck gebracht hat, und dieses Faktum ist ein eigentlich doktrinales. Wenn Bellarmin und unsere anderen Theologen versichern, selbst die Generalkonzilien könnten in Faktenfragen irren, dann glaube ich nicht, dass sie der Meinung derer widersprechen, die die Unfehlbarkeit in Tatsachenfragen im letzteren Sinn behaupten. Denn die Fürsprecher dieser Unfehlbarkeit leugnen nicht, dass die Kirche in dem, was von privaten Zeugnissen der Menschen abhängt, irren kann, und sie bestreiten nicht, dass sie [die Kirche] von sich aus, und zwar unfehlbar als solche, die wirkliche Ansicht, die sich im Geist irgendeines Autors verbirgt, nicht erkennen kann, sondern sie behaupten nur: das Urteil der Kirche sei bei der Beurteilung einer echten Mei-
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nung, die ein Autor in seinen Schriften zum Ausdruck gebracht hat, schlechthin keinem Irrtum unterworfen, und wenn jemand das Gegenteil lehrt, dann sind sie der Ansicht, dass er für augenblickliche Vorteile und Leidenschaften eine sträfliche Lehre vertritt, um Ihre so bedeutsame Formulierung zu gebrauchen. Da es allerdings unrecht ist, allen aufzubürden, in derartigen Dingen mit innerer Zustimmung schwören zu müssen, wenn diese nicht in ihrer Macht steht und nichts da ist, was zur Überzeugung genügt, verkünden sie darüber hinaus und weisen besonders darauf hin, dass gerade deshalb der Kirche diese besagte Unfehlbarkeit zugesprochen werden müsse, da feststeht, dass diese Sitte der Kirche, die innere Zustimmung bezüglich solcher Dinge unter Strafe des Anathemas zu verordnen, immer gebräuchlich war, was hart, ja tyrannisch sein würde, wenn die Unfehlbarkeit der Kirche bei dieser Aufgabe sich nicht immer ihrer selbst bewusst gewesen wäre. G | Dass durch allzu starkes Hervorkehren die Autorität der Kirche ebenso wie der Fürsten auch innerhalb des Rechts gefährdet sein kann, ist völlig richtig gesagt; doch man muss sehen, ob die, von der gerade die Rede ist, übermäßig groß ist oder nicht vielmehr von selbst jener Unfehlbarkeit hinsichtlich des Dogmas – welche alle Katholiken der Kirche zusprechen – entspringt, wie der Erzbischof von Cambrai hervorragend in dem Buch ausführt, das ich zugleich mit dem Fall Quesnel, dem Gerberon-Prozess und der Geschichte der fünf Sätze Jansens (Historia quinque propositionum Jansenii) den Unsrigen, die sich in Hannover aufhalten, mitgegeben habe, um es Ihnen auf der Rückreise auszuhändigen; ich hoffe, es ist bereits in Ihre Hände gelangt. Dieses Büchlein muss zwar umso mehr Gewicht bei allen Verständigen haben, weil dem Autor daran gelegen war, dass die Ansicht, die er vertrat, nicht wahr gewesen ist. Doch freilich, als der hervorragende Bischof sein Anliegen hinter den Vorteil der Kirche und hinter die Wahrheit zurückgestellt hat, hat er den allfälligen Makel, den er zuvor vielleicht auf sich geladen hatte, voll und ganz abgestreift und ein Beispiel gegeben, das die Jansenianer erst einmal, hoffentlich, nachahmen mögen. Im Übrigen habe ich erfahren, dass vor kurzem über diese Frage zwei weitere Abhand-
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lungen von demselben Autor herausgekommen sind, in deren einer er insbesondere zeigt, dass Bellarmins Ansicht keine andere war als die von mir oben genannte. Die Bezeichnungen Möglichkeit und Notwendigkeit werden zwar verschieden aufgefasst, aber die Frage ist, ob sie dem Menschen von Jansen in der Bedeutung zugesprochen werden, die der Freiheit im wahren Sinn, wie sie die Kirche immer gelehrt hat, nicht widerspricht. Diese Frage finden Sie in dem oben erwähnten Opusculum des Erzbischofs von Cambrai sowie in der »Geschichte der fünf Sätze Jansens« wieder vorzüglich erhellt. Hätte doch Jansen wenigstens eine solche Möglichkeit und nur jene Notwendigkeit angenommen wie Nicole in dem postumen kleinen Werk mit dem Titel System der universalen Gnade, dessen Zusammenfassung Sie im Journal de Trévoux sehen konnten. Doch solange die Jansenianer es ablehnen, dieses kleine Werk von Nicole nach ihrem Maßstab zu prüfen, verraten sie zur Genüge, dass Jansen noch etwas anderes gemeint hat als Nicole. Um das, was Sie über die Philosophie mit mir brieflich ausgetauscht haben, machen Sie sich bitte keine Sorgen; oder würde ich, was ich ohne Ihr Wissen nicht veröffentlichen wollte, gegen Ihren Willen veröffentlichen? Mir genügt es, Ihr Denken ausreichend verstanden zu haben. Sie aber werden Nachsicht mit meiner unbesonnenen Bitte haben. Mich hatten mathematische Skizzen verleitet, die sich immer wieder in den Journalen fanden und die nicht weniger als die Metaphysik das Fassungsvermögen des Volkes übersteigen. Klarerweise ist das nur von Nutzen, wenn es geschlossen in einem System – wie ich es plane – herauskommt, obwohl ich fürchte, dass die Unwissenheit des Handwerkers Ihre Materie zerstört. Den Redakteuren von Trévoux möchte ich, wenn es genehm ist, Ihre Ansichten ausführlich mitteilen, und ich zweifle nicht, dass sie bei der Verehrung, die Sie meines Wissens bei ihnen genießen, Ihren überaus ausgewogenen Ratschlag gerne annehmen. Ich weiß, dass der satirische Spott, der in den ersten | Bänden des Pariser Journals G versprüht wurde und den Geschmack von vielen getroffen hatte, in den späteren von manchen vermisst wurde; aber er spielt keine so
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große Rolle, dass ich glauben würde, neben der Aufbringung von Nächstenliebe und Billigkeit müsse der Magen eines boshaften Lesers gereizt werden, obwohl Sie zugestehen werden, dass es mitunter schwer ist, keine Satire zu schreiben, wenn z. B. jemand behauptet, der hl. Bernhard sei ein Protestant gewesen, und zwar deshalb, weil er seine ganze Zuversicht in die Heilstaten Christi gesetzt habe. Was soll ich zu dem, was um Jansen aufgeführt wurde, sagen? Gesündigt wird innerhalb und außerhalb der trojanischen Mauern. Aber dies trägt nichts zum Insgesamt der Angelegenheit bei, in der die siegreiche Sache Gott gefallen hat. Dass im Übrigen auch die römische Kirche selbst nicht alles gebilligt hat, was gegen Jansen geschrieben wurde, dafür sind die vielen von ihr erlassenen Bücherzensuren ein Beweis. Die Wahre Philosophie, die kürzlich unter dem fiktiven Namen von Aloysius Temmik erschien und die Sie vorletztes Mal erwähnten, ist die Frucht eines der Unsrigen, der vor ungefähr zwei Jahren in Aschaffenburg verstarb. Dieses Buch wurde ebenso bei der Zensur der Provinz wie bei der römischen abgelehnt, aber schließlich durch die Bemühung eines gewissen Außenstehenden von Wolfgang Michelles, einem Drucker nicht aus Köln, wie die Titelseite des Buches besagt, sondern aus Würzburg, veröffentlicht, dem jedoch der Bischof des Ortes jetzt verboten hat, weitere Exemplare zu verbreiten. Mir gefällt es unter anderem deshalb nicht, weil es behauptet, dass Formen, mit Ausnahme der menschlichen, bloß Modi der Materie sind; denn wie ein Modus eines bloß passiven Dinges mit aktiver Kraft wirken kann, sehe ich ebenso wenig wie Sie. Allein dem wahren Gott Handlung zuzuschreiben, was ist das anderes als die Philosophie zu stürzen? Doch weil schon die Modi erwähnt worden sind – ich würde gerne wissen, was Sie über die Quantität der Masse₄₂ oder die Ausdehnung denken, von der Sie irgendwo sagen, sie sei nichts anderes als der Zusammenhalt oder die Diffusion der bereits vorausgesetzten, strebenden und widerstrebenden, das heißt widerständigen Substanz. Dieser Zusammenhalt, oder die ₄₂ Lat. »molis«
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Diffusion: ist das nur ein Modus der Substanz oder etwas, das sich mehr als modal von ihr unterscheidet, d. h. ein absolutes Akzidens? Dass es kein bloßer Modus sein kann, scheint das Argument zu beweisen, das jenem gleicht, welches erklärt, Formen seien keine Modi der Materie, denn so wie der Modus eines von sich aus nicht aktiven Dinges keine Handlung ausführen kann, so wird der Modus eines von sich aus nicht ausgedehnten Dinges, wie es die Substanz ist, durch sich selbst auch keine Ausdehnung aufweisen. Ich habe in dem Buch von Newton die Stelle gesucht, in der er zu beweisen sucht, dass man das Vakuum zulassen müsse, konnte sie aber nicht finden. Es wäre freundlich, wenn Sie die Seite angeben und zugleich in einem Wort Ihre Ansicht über dieses Argument bekannt geben. Ich schließe einen Brief des vornehmen Herrn Behrens an, verbunden mit der papebrochschen Übersicht über den vierten Band des Monats Juni. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Hildesheim, 25. Juni 1707
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| An dem Tag, als ich den Brief zur Beförderung an Sie aufgegeben G habe, in welchem ich Ihnen zur glücklichen Heimkehr gratulierte und auf Ihre [Post] aus Berlin antwortete, erhalte ich Ihr Schreiben aus Hannover, sehe dass Ihre Humanität Ihrer Pflicht zuvorgekommen ist und erröte. Ich freue mich, dass Sie unter den Stacheln der quesnelschen und gerberonschen Angelegenheit etwas finden, was nach Ihrem Geschmack ist. Diese Kontroversen, die Sie beschreiben, gleichen Flüssen: am Ursprung womöglich klein, wurden sie mit der Zeit groß und begannen sogleich den heiligsten Damm der Kirche, ich
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spreche von ihrer Autorität, zu untergraben, und münden schließlich in einem Schisma. Das Gleiche denken Sie vielleicht – ich mag mich irren –, wenn Sie die »Geschichte der Sätze Jansens« samt dem Büchlein aus Cambrai durchgelesen haben, nachdem Sie so lange eine römisch-katholische Person angenommen und all das, worüber zwischen uns und den Protestanten Streit herrscht, abgestreift haben; denn über die gegenwärtige Kontroverse, in der beide Seiten sich als katholisch bezeichnen, scheint nur aufgrund beiderseits akzeptierter Prinzipien ein förmliches Urteil gefällt werden zu können. Das Schicksal von Gerberon und anderen bedaure ich, ich bete für sie von Herzen um eine gute Gesinnung und um Freiheit; was sonst als Gebete bleibt übrig? Doch ich fürchte, dass dieser Mann für deren Wiedererlangung keinen wirksamen Schutz der Unsrigen – denen Sie zustimmen – erfährt, so sehr sie es auch wollen; wenn nicht König Ludwig zuvor von seinen diesbezüglichen Bedenken befreit wird, nachdem er nicht bloß durch ein Einzelbeispiel belehrt worden ist, dass diese Gattung von Menschen, wenn sie einmal aus der Höhle herausgekommen sind, nicht sanft und zahm werden, sondern geradewegs in den Urwald zurückkehren, ja oft noch mehr verwildern. Da würden gewiss die Unsrigen, während sie von einigen Guten Beifall erhalten, bei ebenso vielen Guten auf Kritik stoßen. Wenn nun Beifall gesucht wird, warum legen die ansonsten hervorragenden Männer ihre Widerspenstigkeit nicht ab? Auf diese Weise werden sie selbst sicher einen viel größeren Beifall – weil von der mächtigeren Partei – bekommen als die Unsrigen für ihre Großmut; diese würde, so genehm es im Übrigen auch sein mag, einen misslichen Ausgang nehmen. Damit Sie, vornehmster Herr, mich verstehen: Nicht nur dass ich das meiste, was die Jansenianer sagen, nicht verachte – ich bewundere es sogar und pflege darauf beim Durchblättern ihrer Schriften den Spruch des Origenes anzuwenden: Wo sie gut sind, ist niemand besser; wo schlecht, niemand schlechter. Vieles [sagt] Arnauld ausgezeichnet, vieles Nicole, vieles selbst Quesnel, um von den anderen zu schweigen. Bedauerlich, dass so große Begabungen sich für
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eine solche Sache | hergeben, und der Lohn dafür ist bloß, dass sie G in späteren Jahrhunderten, wenn sich der Eifer gelegt hat, als Aufrührer in der Kirche gelten. Ich habe ein Werk ausgeliehen, gedruckt in Brüssel im Jahr 1705, mit dem Titel: Der wahre Geist der neuen Schüler des hl. Augustinus, Briefe eines Abbé, Lizentiat der Sorbonne, an einen Generalvikar einer niederländischen Diözese (Le veritable esprit des nouveaux disciples de S. Augustin. Lettres d’un Abbé Licentié de Sorbonne à un Vicaire General d’un diocese des Pays-bas), ein sehr geschmackvolles, reizendes Buch, das es mit den berühmten Briefen von Montalte aufnehmen kann. Der Autor ist unbekannt, ich vermute aber, dass es Pater Gabriel Daniel ist, derselbe, der die Reise durch die Welt Descartes’ (Le voyage du monde de Descartes), die Antwort auf die Briefe aus der Provinz von Montalte oder Gespräche zwischen Cleander und Eudox (Réponse aux lettres provinciales de Montalte ou Entretiens de Cléandre et Eudoxe) und mehrere andere, sehr ordentliche kleine Werke herausbrachte. Wenn Sie es ansehen wollen, schicke ich es, aber für kurze Zeit, denn, wie gesagt, es ist nicht meines und kann leicht in acht Tagen ausgelesen werden, obschon ich es, von seinen Reizen fasziniert, in eineinhalb Tagen geschafft habe. Ich sehe, dass in Köln mit Erlaubnis des Ordinariats ein deutsches Buch nachgedruckt wurde, das vor etwa eineinhalb Jahren in Braunschweig unter dem Titel: Prüfung der Ursachen um welcher die Protestirende sich von der Catholischen Kirchen abgesondert haben etc. von dem Herrn Brueys Advocaten zu Montpellier angestellet etc. erschienen sein soll. Sobald die Exemplare da sind, sorge ich dafür, dass Sie eines bekommen. Erschienen ist auch Panoplia Gratiae (Rüstzeug der Gnade) unter dem Namen P. Thomas Lemos vom Predigerorden, ein 52 Jahre nach dem Tod von Lemos gedrucktes Buch; doch der Ew. P. Knippenberg, Dominikaner und Doktor der theologischen Fakultät in Köln, hat in einer Druckschrift bezeugt, dass es eine Fälschung ist und nicht von Pater Lemos verfasst wurde, sondern die Irrtümer Jansens enthält.
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Ebenso neu gedruckt wurde das Buch Über den Geist des tridentinischen Konzils betreffend die wirksame Gnade, von Bruder Réginald, Dominikaner, eben dem, zu welchem P. Turco, der Dominikanergeneral, gesagt haben soll: »Wenn er zeigen würde, dass der hl. Thomas eine physische Prädetermination behauptet hat, komme es noch dazu, dass er entgegen der Gepflogenheit seiner Provinz als Lehrer einen Ruf bekäme« – eine Geschichte, die der Autor im Vorwort als ganz falsch bezeichnet. Da Sie einmal andeuteten, es wäre Ihnen angenehm, informiert zu werden, wenn mir etwas zur Unterstützung Ihrer Ansichten Geeignetes begegne, bin ich geradezu gezwungen, Ihnen ein paar Worte unseres Antonio Perez vorzuführen, eines scharfsinnigen Theologen wie kaum ein anderer, die ich dem Traktat über die theoG logischen Tugenden, sechste Disputation, Kapitel 3 | Nummer 2, Seite 280, entnehme: »Dass es eine unendliche Menge von wirklichen oder genauso auch mathematischen Punkten in Quantität und Zeit gibt, ist meines Erachtens unmöglich, auch im Hinblick auf die absolute Potenz; denn ein Kontinuum mag ins Unendliche teilbar sein, wie ich glaube, und mag notabene unendliche metaphysische Unteilbare enthalten, so kann es doch keine wirklichen mathematischen aktual unendlich enthalten, sondern nur in der Potenz. Wie sich aber ein metaphysisch Unteilbares von einem aktualen mathematischen Unteilbaren und vom potentiellen mathematischen Unteilbaren unterscheidet, habe ich an anderer Stelle erklärt; ich glaube, dass in dieser Unterscheidung die Lösung des Problems des Kontinuums besteht.« So weit Perez. Mir scheint, dass er in diesem metaphysischen Unteilbaren, das er anführt, die Grundzüge Ihres Systems anerkennt. Ich würde gerne, wenn es nicht lästig fällt, das neue Werk des berühmten Hartsoeker sehen, von dem neulich die Rede war; denn was ich im Pariser Journal von ihm gegen Herrn La Montre vorgebracht fand, hatte mir bereits einiges Licht gegenüber den Prinzipien Descartes’ verschafft. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Hildesheim, 26. Juni 1707
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21. 7. 1707 G XXIII / D·2, 277–280 (E 8, S / F X).
¦ Hochwürdiger Pater, verehrtester Gönner! ¦
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Seit meiner Rückreise war ich sehr beschäftigt. Daher war es nicht möglich, auf Ihren überaus freundlichen Brief früher – wie es sich ziemt – zu antworten. Ich danke für Ihren Hinweis, dass Aloysius Temmik ein fiktiver Name ist, und bitte Sie, mir den richtigen mitzuteilen. Auch wenn ich die Grundansichten des Autors nicht billige, würde ich mir doch wünschen, dass den Gelehrten, auch Euren, die Freiheit des Philosophierens eingeräumt wird, die einen Wetteifer erzeugt und die Talente anstachelt: Im Gegensatz dazu werden die Geister durch Knechtschaft niedergeworfen, und man kann nichts Hervorragendes von denen erwarten, denen man nichts erlaubt. Daher leisten die Italiener und Spanier, die von lebhaftem Geist sind, in der Philosophie so wenig, weil sie zu sehr eingeengt werden. Was der pseudonyme Temmik meint, behaupten in Frankreich viele Gelehrte öffentlich. Seinerzeit schrieb jemand eine »Versöhnung der Wissenschaft mit dem Glauben« unter dem Namen Thomas Bonartes Nordtanus Anglus. Ich habe erfahren, dass er aus Eurem Orden ist und wegen des Buches Kritik hinnehmen musste: Ich würde gerne mit Ihrer freundlichen Hilfe den Namen des Mannes erfahren. | Wir besit- G zen sein Buch, das elegant und geistreich, allerdings etwas dunkel geschrieben ist: Daher war es nicht möglich, es richtig zu prüfen. Falls Sie es nicht gelesen haben und es Ihnen lesenswert scheint, werde ich es schicken. Da Sie mit den [Redakteuren von] Trévoux in Verbindung stehen, sehen Sie bitte zu, ob sie glauben, ihnen den beiliegenden Text passend übermitteln zu können, damit er in irgendein Monat[sheft] aufgenommen wird. Mir liegt nämlich daran, dass den Lesern die Gelegenheit entzogen wird, über mich und meine Angelegenheiten ungünstig zu urteilen.
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Ich begreife nicht ganz, was P. Perez, dessen Geisteskraft mir bekannt ist, unter metaphysisch unteilbar versteht, was Sie aus dem Zusammenhang jener Stelle leicht herausbekommen werden. Wenn er darunter Monaden verstehen würde, würde er mit mir übereinstimmen. Der Raum setzt sich nun wahrlich nicht aus Monaden zusammen: Ob das auch die Meinung von Perez hinsichtlich seiner metaphysisch Unteilbaren ist, wäre interessant zu wissen, jedenfalls setzt er sie den mathematischen entgegen. Indessen könnte ich seine Ausdrücke zur Bezeichnung meiner Monaden gebrauchen: die ich, wie ich mich erinnere, einmal auch metaphysische Atome, und ebenso substantielle, nenne. Der Raum ist per se unbestimmt hinsichtlich möglicher Teilungen; denn er ist ein ideales Ding, wie die numerische Einheit, die Sie nach Belieben in Brüche zerlegen können; die Masse der Dinge aber ist aktual geteilt. Hartsoekers Buch, das er mir schickte, liegt in einer Kiste, auf die ich bis jetzt aus Berlin warte; ich werde es nach Erhalt schicken. Er stellt zwei Prinzipien auf, nämlich Teile der Materie, die vollkommen flüchtig sind, und solche, die vollkommen fest sind. Diese Hypothese werden die gewöhnlichen Begriffe der Philosophen nicht leicht abweisen können; bei mir kann sie nicht bestehen. Newton (soweit ich das jetzt beurteilen kann, solange keine Zeit ist, sein Buch durchzugehen) scheint seinen Beweis des Vakuums weniger absolut dargestellt als auf S. 346 der Principia Mathematica eingeschleust zu haben, wo er Experimente darstellt, von denen seiner Ansicht nach der Beweis des Vakuums abhängt. Ich dagegen sehe nicht, wie es möglich ist, Experimente auszudenken, durch welche dieser Streit sorgfältig beendet werden könnte, der meines Erachtens einzig von Vernunftgründen abhängt. Sie können diese Stelle, nach der Sie fragten, nachsehen und, wenn es beliebt, überprüfen. Ich komme zu den Streitigkeiten bei den Euren – ich hatte gewünscht, dass beide Seiten sich von Hass fernhalten. Das loben Sie, verehrtester Pater, sehr; möge es nur für beide Seiten gelten. Trotzdem wird vielleicht derjenige mehr Lob verdienen, der für seinen Teil auch dann handelt, wenn ihm seine Humanität nicht vergolten
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wird: und auf religiöse Menschen, ja überhaupt alle, welche die Tugend ausüben, passt glaube ich jener Spruch Vergils: Und du verschone zuerst – Geschlecht, das dem Olymp entspringt, Wirf den Spieß aus der Hand, mein Stamm. | Außerdem: Was zum Spott dient, halte ich für schlimmer als G gewalttätige Worte; denn es nagt tiefer und kann nicht so leicht bekämpft werden. Verfolgungen wegen Ansichten, die keine Verbrechen lehren, halte ich aber für das Schlimmste; Rechtschaffene müssen nicht nur die Finger davon lassen, sondern dem entgegentreten und daran arbeiten, dass andere, bei denen wir irgendein Ansehen genießen, davon abgeschreckt werden. Ehren und Annehmlichkeiten, die nicht geschuldet werden, denen zu verweigern, die zu Ansichten neigen, welche uns unpassend scheinen, ist gestattet: die eigene zu erpressen und mit immer mehr Proskriptionen, Fesseln, Galeerenstrafen und noch schwereren Übeln zu wüten, halte ich nicht für erlaubt. Denn was ist das anderes als eine Art von Gewalt, vor der man nur mehr durch ein Verbrechen (dem abzuschwören, was man für wahr hält) sicher sein kann? Je besser daher jemand ist, umso mehr leidet er unter dieser Tyrannei. Und wenn ich tatsächlich die Fähigkeit zu überzeugen hätte, würden Gerberon und seinesgleichen vollste Freiheit genießen: Lassen Sie sie (wie Sie Ihnen vorhalten) in den Urwald zurückkehren, lassen Sie sie schreiben, lassen Sie sie ihre Ansicht verteidigen; mit gleichen Waffen, nicht durch Gewalt und Angst müssen Irrtümer zu Fall gebracht werden. Lassen Sie sie auch Irrtümer behaupten, das ist unter diesen Umständen das kleinere Übel, als so zu agieren. Es fallen ja doch die Unbeachteten leichter um als die Unterdrückten. Heute gäbe es keinen – wie Ihr ihn nennt – Jansenismus, wenn nicht feindselige Menschen ein solches Gezeter gegen das Werk von Jansen entfacht hätten, denen es bloß um Parteienradau, nicht um Wahrheit ging. Den Augustinus von Jansen habe ich einmal nicht ohne Sorgfalt gelesen: Ich fand, dass es ein hervorragendes Werk ist und zum großen Schaden der theologischen Lehre von Gelehrtenhänden zerpflückt wurde, ob-
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23. Leibniz an Des Bosses
schon ich die meisten seiner Ansichten nicht teile. Ich glaubte zu bemerken, dass er nicht nur die Absicht hatte, das theologische System von Augustinus in die Schulen zurückzuholen, was man nicht tadeln konnte, sondern auch, gegnerische Dogmen wie die pelagianischen und semipelagianischen hinauszudrängen, was ich nicht billigen kann. Es ist sehr schädlich, wenn die Meinungsfreiheit Tag für Tag durch unnötige Definitionen eingeschränkt wird. Stellen Sie sich vor, es gibt etwas, worin einige Scholastiker mit den Pelagianern übereinstimmen – müssen sie deshalb sofort verurteilt werden? Augustinus selbst hat im Laufe des pelagianischen Streits manche seiner früheren Ansichten geändert. Es genügt, die vornehmlichsten und von der alten Kirche verworfenen pelagianischen und semipelagianischen Schlussfolgerungen zu vermeiden. Daher meine ich: Wenn Jansen oder die jansenistische Partei ihr Ziel erreicht hätten, wäre die Knechtung noch viel schlimmer geworden, und bei Jansen konnte man mit Recht eine unbesonnene Heftigkeit feststellen, andere zu verurteilen. Doch es geschah, ich weiß nicht durch welche Fügung, dass etwas als jansenistisch verurteilt wurde, was mir, um die Wahrheit zu sagen, Jansen gar nicht gelehrt zu haben scheint, denn es deutet auf mehr als auf einen simplen Zufall, wenn von ihm und Augustinus die Wörter Freiheit, Notwendigkeit, MögG lichkeit, Unmöglichkeit in einem ganz anderen | Sinn genommen werden, als er in der Schule überliefert wurde; wobei er behauptete, die tradierten Thesen nicht einmal zu leugnen, sondern sich um sie gar nicht zu kümmern. Daher sind, fürchte ich, die vatikanischen Blitze gegen ihn vergeblich, und die Proteste der Freunde Jansens völlig richtig, dass der Mann alles andere eher gemeint hatte als jenen offenkundigen Sinn der römischen Zensoren. Denn der Sinn der Wörter ist heute in den Schulen offenkundig, bei den Alten war er nicht offenkundig. Sehr oft habe ich auch selbst erfahren, wie unterschiedlich ein und dieselben Wörter von den Menschen verstanden werden, beim Sprechen genauso wie beim Schreiben, und in der Volkssprache nicht weniger als unter Gelehrten. Daher wundere ich mich, dass Dumas, Euer Parteischreiber, zu seiner Geschichte des Jansenismus nicht hinzu gefügt hat, dass es als Basis des Werkes ein
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Verzeichnis der Stellen von Jansen [hätte] geben [müssen], in denen die verurteilten Sätze enthalten sind, damit sie leichter verglichen werden konnten. Glaubt er etwa, dass in einer Sache, die durch den Augenschein feststeht, die Autorität der vatikanischen Zensoren und die abgepressten Unterschriften ausreichen können? Um die erstaunlichen Subtilitäten des Erzbischofs von Cambrai – eines gewiss großen und von mir in anderen Belangen sehr geschätzten Mannes –, mit denen er in Tatsachenfragen die Unfehlbarkeit der Kirche unterstützt, zu diskutieren, fehlt die Zeit. Ich habe diese Mühe gewiss nicht nötig, da ich meine, dass es keine Unfehlbarkeit der Kirche gibt außer bei der Wahrung der Heilsdogmen, die längst von Christus an überliefert sind; und dass sich das Übrige auf die Disziplin bezieht, wo Achtung genügt [und] Zustimmung nicht notwendig ist. Wenn Rom beschlossen hätte, es gäbe keine Antipoden, wenn es heute die Bewegung der Erde verurteilen würde – würden wir glauben, man müsse es für unfehlbar halten? Und sollte jene üble Sitte in der Kirche aufkommen, neue Glaubensdogmen hervorzubringen und anders Denkende ohne Notwendigkeit zu verurteilen, muss man sie deswegen nicht minder kritisieren und mit anderen Missbräuchen, die sich eingeschlichen haben, abrechnen. Es gibt gewiss keinen Artikel im heilbringenden Glauben, dass Jansen irgendetwas gelehrt habe: welch eine verkehrte Übertreibung, ϰαϰοζηλία, ist dies also, allen das Bekenntnis zu einer belanglosen Lehrmeinung abpressen zu wollen? Solange die Menschen so nach dem Unrechten streben, bringen sie auch nichts Rechtes zustande. Ich wünschte, jemand würde aufzeigen, was die wirkliche Ansicht von Jansen war – was meiner Meinung nach einem beflissenen und kundigen Menschen nicht schwer fiele: Aber noch nützlicher wäre es zu untersuchen, was Augustinus meinte – wegen der Verdienste und Autorität des Mannes; obwohl ich fürchten möchte, dass wir herausfinden werden, Augustinus stimme meistens mit Jansen überein₄₃, mit so viel Eifer hat dieser [ihn] durchstudiert und mit ebensolcher Treue, meine ich, repräsentiert. Später ist er von der ₄₃ »stimme überein« in der Vorlage griech.: ὁμόψηφον.
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23. Leibniz an Des Bosses
augustinischen Schule abgewichen, und, wie mir scheint, in vielem nicht schlecht. Ich wünschte trotzdem, das System eines so großen Mannes wäre bekannter, als es meines Wissens ist. Wenn Sie zwei Propositionen unterscheiden, eine, die der Autor im Sinn hatte, eine andere, die er zum Ausdruck brachte, und annehmen, dass die letztere zu den doktrinalen Tatsachen gehört, hinsichtlich derer die Kirche unfehlbar eine Feststellung treffen könne, scheinen Sie mir anG zuerkennen, dass nichts | in Bezug auf den vom Autor intendierten Sinn definiert werden durfte, was jedoch, wenn ich nicht irre, von den Päpsten trotzdem getan wurde – wenig überlegt, wie ich glaube, und mit der Rücksichtslosigkeit von Aufwieglern. Sie sehen, wohin zuletzt der übermäßige Eifer, andere zu zwingen, führt. Philosophische Probleme übersteigen nicht weniger als mathematische die Auffassung des Volkes, unterliegen aber in höherem Grad unrichtigen Auslegungen. Daher ist es mir lieber, dass es irgendwann einmal eine Verknüpfung gibt, als dass sie ohne Zusammenhang [bleiben] und Attacken ausgesetzt [sind], weil sie sich nicht gegenseitig stützen. Wenn ich sage, Ausdehnung sei der kontinuierliche Zusammenhang des Widerständigen, fragen Sie, ob dieser fortlaufende Zusammenhang nur ein Modus sei. Ich würde meinen: Er verhält sich zu den kontinuierlich zusammengehängten oder wiederholten Dingen so wie eine Zahl zu den gezählten Dingen; denn obzwar eine einfache Substanz in sich keine Ausdehnung besitzt, hat sie doch eine Position, die das Fundament der Ausdehnung ist, da Ausdehnung die simultane, kontinuierliche Wiederholung einer Position ist – so wie wir auch sagen, eine Linie entsteht aus dem Fließen eines Punktes, weil in dieser Spur des Punktes verschiedene Positionen verbunden werden. Aber es ist nicht möglich, dass etwas Aktives aus der Wiederholung oder Fortsetzung eines nicht aktiven Dinges entsteht. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover 21. Juli 1707 D ¦ Ergebenst Gottfr. Wilh. Leibniz ¦
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Wenn in den Mémoires de Trévoux jener Bericht nicht enthalten wäre, dem zu erwidern ich gezwungen bin, könnte die letzte Passage im beiliegenden Papier wegfallen; sollte er darin vorkommen, wird man ihn gegen Ende des Jahrgangs 1705 oder Anfang des Jahres 1706 finden; hier hat man das neueste [Heft] noch nicht. Die beiliegende kleinere Karte bitte ich den hochwürdigen Antwerpener Patres zu senden. [Billett:] Dass die hochwürdigen Antwerpener Patres den Juni entschlossen vorantreiben, freut mich. Ich nehme an, dass ihnen mein Brief vom letzten Jahr übergeben wurde. Angeboten habe ich die Vita des hl. Chrodegang, die ein ziemlich alter Autor geschrieben hat, als jedenfalls die Karolingerfamilie noch existierte. Fertig ist ein Band, in dem ich einige nicht alltägliche, oder zumindest bedeutendere und korrektere Schreiber versammle, welche die braunschweigische Geschichte darstellen. Darin ist der recht gute Dietmar aufgenommen, den ich ihnen verdanke. Ich werde ein Exemplar des Werkes schicken. Vielleicht wird bald noch ein Band folgen. In den würde ich gern das Leben des hl. Konrad, Bischof von Konstanz, aufnehmen, der ein Welfe war. Diese Vita ist an der kaiserlichen Bibliothek vorhanden; aber die Bibliothek hat jetzt keinen Bibliothekar, sodass es schwierig ist, von dort etwas zu bekommen. Ich vermute jedoch, dass die Ew. Patres eine Abschrift von ihr besitzen, weil sie meines Wissens in dieser Bibliothek gründlich geforscht haben. Wenn sie eine haben, hoffe ich diese mit deren Güte zu leihen, und inzwischen würde ich gern bald erfahren, ob sie sie besitzen. Hannover, 21. Juli 1707
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
18. 8. 1707 G XXIV nach D·6 VI. G
| Mein jüngster Brief wurde Ihnen, so nehme ich an, ordnungsgemäß überbracht. Nun fällt mir ein, zu fragen, ob es bei Ihnen Jünglinge gibt, die man füglich beauftragen kann, etwas in lateinischer oder französischer Sprache abzuschreiben. Bei uns gibt es zwar nicht wenige auch der französischen Sprache Kundige, sie sind aber zur Arbeit des Abschreibens wenig geneigt. Ich habe nämlich handschriftliche Codices auf Lateinisch und Französisch, für die ich die Erlaubnis zur Abschrift erhielt: und wenn ein Bibliothekar sich aus Überzeugung bereit fände, würde ich an erster Stelle das Werk »Hodoiporicon« in Auftrag geben, das eine Beschreibung aller Reisen von Kaiser Karl V. bis zum Ende seines Lebens von seinem ständigen Begleiter in französischer Sprache enthält. Der Codex ist sehr schön und deutlich geschrieben, sodass jemand, der die Sprache beherrscht, beim Abschreiben auf keine Schwierigkeit stoßen kann. Ich bitte Sie daher, mir diese Gefälligkeit zu erweisen und sich zu erkundigen, ob es jemanden gibt, den man unter annehmbaren Konditionen dafür verwenden könnte. Inzwischen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 18. August 1707
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
11. 10. 1707 G XXV nach D·6 VII.
Diesen Brief, den Sie hier beigelegt sehen, bitte ich Sie dem Ew. P. Janninck aushändigen zu lassen, und für Ihre Besorgung wiederhole ich meinen Dank. Das ramansische Manuskript wird abgeschrieben, um, wenn nötig, zurückgeschickt werden zu können. Ich hoffe, dass der durch Ihre Güte bereitgestellte Junge sich fleißig dem Abschreiben widmen wird. Es besteht kein Anlass, dass er die Seiten mit allzu ausgiebigem Schreiben überfüllt, denn in dem eher kleinen Codex gibt es nicht mehr als ungefähr 75 Blätter. Mein Diener sagte, Sie hätten die Übersendung irgendeines Buches erwähnt; welches es ist, weiß ich nicht genau. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 11. Oktober 1707
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
31. 10. 1707 G XXVI nach D·6 VIII.
| Mein jüngster Brief mit der Beilage an P. Janninck ist Ihnen gewiss G ordnungsgemäß überbracht worden. Ich hoffe, dass Sie es entsprechend Ihrer Freundlichkeit und Ihrem Wohlwollen für mich nicht übel nehmen, dass ich gelegentlich auf Sie zurückgreife; daher habe ich auch gewagt Sie zu bitten, bei dem jungen Schreiber Aufseher, ἘργοδιώϰτηϚ, sein zu wollen. Diesmal bitte ich, den von mir hier beigelegten Brief an den Ew. P. Orban besorgen zu wollen, von dem
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26. Leibniz an Des Bosses
ich hoffe, dass er noch gesund und als Beichtvater des Erlauchten Kurfürsten tätig ist. Bei uns ist Durchlaucht, der Herzog von Wolfenbüttel, der am vorgestrigen Tag gegen Abend überraschend nach Herrenhausen kam; ihm folgte ein aus Wien kommender Kurier, der die Nachricht brachte, dass Prinzessin Elisabeth gerade eben in feierlicher Zeremonie zur Braut von König Karl erklärt wurde. Nachdem der spanische Gesandte und zugleich Sonderbeauftragte, der die Geschenke des Königs überbrachte, von ihr im Gemach der regierenden Kaiserin, die die Stelle der Mutter einnahm, Audienz bekommen hatte, soll er mit natürlichem Charme auf Spanisch geantwortet haben, als ob er von Kindheit an unter Spaniern gelebt hätte. Der Termin für die Reise ist noch nicht festgelegt. Den ehrwürdigen Pater, der mir auf Ihre Anweisung hin sein Buch gab, grüßen Sie bitte von mir. Ich habe es gelesen, und es machte den Eindruck, in elegantem Latein geschrieben zu sein. Ich würde mir wünschen, die Bitterkeit könnte in seinen Schriften wegbleiben, und sehe nicht, warum das nicht möglich sein sollte. Denn stellen Sie sich vor, die Gegner befleißigen sich keiner Mäßigung, es wäre ein starkes Lob dessen, der sich ihrer befleißigt. Übrigens: die selige Jungfrau bedarf bei uns keiner Apologie. Im Übrigen leben Sie wohl und lieben Sie mich. Aufgegeben in Hannover, 31. Oktober 1707
[Des Bosses’ Brief vom 4. November 1707: »Ich habe Ihren sehr freundlichen Brief erhalten …« fehlt hier. Vgl. RK 56435.]
a. LEIBNIZ AN DES BOSSES? L A
Ende 1707 Grua 1, S. 255 ff. Französische Fassung: Anhang B 2.
| Ich las in meinem Stuhl den ersten Band des Buches, das Sie mir Grua geliehen haben. Diese Briefe Über den wahren Geist der neuen Augustinusschüler sind geistvoll und angenehm. Sie sind geeignet, die Menschen zu unterhalten und gegen das einzunehmen, was man Jansenisten nennt, aber ich finde sie weder lehrreich genug noch | ausreichend barmherzig. Sie wissen, mein ehrwürdiger Pater, Grua dass ich keineswegs für das System von Jansen bin, und ich möchte nicht, dass er mit seinem Ziel Erfolg hat, die in den Schulen vorherrschende Doktrin zu verunglimpfen und in all dem verurteilen zu lassen, was dem System von Augustinus widerspricht. Aber ich möchte auch nicht, dass man diejenigen, die sich für Jansen gegen die Schule erklärt haben, zu schlecht behandelt. Das ist das, was meiner Meinung nach in dem getan wurde, was ich in Ihrem Buch schon gelesen habe. [Anklagen ohne Beweise gegen die praktische Moral der Jansenisten. Das Ausmaß ihrer Verurteilung ist übertrieben.]
3. Brief … Alles, was man sagt, um die Jansenisten zu beschuldigen, dass sie die guten und die schlechten Handlungen notwendig machen und dass sie den freien Willen zerstören, scheint mir seit langem reine Schikane, die nur auf den verschiedenen Bedeutungen der Begriffe notwendig, möglich, unmöglich beruht. Jene, die diese Sätze befürwortet haben, haben unter »notwendig« verstanden, was die Thomisten unter gewiss, bestimmt, unfehlbar verstehen. Ich habe Mühe zu glauben, dass Monsignore von Meaux hat sagen können, oder dass er zumindest ehrlich hat sagen können, wenn man das Buch von Jansen in die Destillation schickt, würden daraus nur die fünf Sätze hervorkommen. Meiner Meinung nach habe ich darin viele andere Sachen gefunden, und die fünf Sätze schei-
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26 a. Leibniz (an Des Bosses?)
nen mir nur wie beiläufige Tatsachen im Vergleich zu seinem System, zumindest im Sinne der Schule. 5. Brief: … Ich bin überzeugt, dass Jansen nichts Schlechtes im Sinn gehabt hat bei dem, was er über die Unmöglichkeit der Gebote sagen konnte, denn er hat »unmöglich« in einem ganz anderen Sinn verwendet, als man ihn heutzutage unter diesem Wort gewöhnlich vorfindet. Ich glaube erkannt zu haben, dass sein Sinn dabei jener des hl. Augustinus gewesen ist, und ich stelle mir vor, dass die Päpste den einen so wenig wie den anderen verurteilt haben. Der 7. Brief macht keine großen Umstände, man spricht davon, die Jansenisten streng bestrafen zu lassen, die man wird entdecken können. Dieser Verfolgungsgeist ist wohl eine ungerechte Sache. Warum Menschen dafür bestrafen, die nach ihren Gefühlen über sehr problematische Fragen sprechen, wo auch in der Tat die Rechtsprechung der kirchlichen Obrigkeit aufzuhören scheint. Denn es ist ein wenig zu viel, Menschen zwingen zu wollen, ihr Urteil demjenigen der anderen zu unterwerfen in Tatsachen, die das Heil nicht betreffen. Man sagt auch S. 184, dass es eine Häresie ist, zu sagen, man sündige, wenn man nicht aus einem Motiv der Liebe zu Gott handelt. Es scheint mir jedoch, dass Augustinus das formell lehrt, und dass Grua er damit eine Sünde in allen Taten der Heiden findet. | Ich bin ganz und gar nicht dieser Meinung, aber ich bezweifle, dass man sagen kann, es sei eine Häresie. [Die weitere Analyse verlaufe sich und verlasse den Hauptinhalt des Briefes.]
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
29. 11. 1707 G XXVII nach D·6 IX.
| Ich habe Thomas Bonartes Nordtanus Anglus’ (wie er sich nennt) G »Versöhnung des Wissens mit dem Glauben« gefunden und werde sie bald übersenden. Doch vorher möchte ich sie selbst bei Gelegenheit durchgehen, um seine Ansichten etwas zu überdenken. Er ist geistvoll und im Ausdruck nicht ohne Eleganz, aber ein Paradoxologe, und vertritt nicht wenig, das keinesfalls aufrecht erhalten werden kann; dazu gehört, dass er die Kenntnis des bedingten, kontingenten Zukünftigen | selbst Gott abspricht. Gegen die Scholastiker G eifert er in einem fort und nicht ohne Bitterkeit. Daher wundert es mich nicht, wenn er dort übel aufgenommen wurde, wo diese Gattung der Theologie vorherrscht. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 29. November 1707
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
19. 12. 1707 G XXVIII nach D·6 X.
Würde ich nicht von der sicheren Hoffnung ausgehen, dass Sie an diesen Festtagen bei uns sein und mir die Freude dieser Zeit vergrößern werden, hätte ich schon längst die »Versöhnung des Wissens mit dem Glauben« Eures Thomas Bonartes Nordtanus Anglus übersandt, die voll Gelehrsamkeit und Begabung ist, jedoch auch voll von Paradoxen, bei denen es mich nicht wundert, dass sie dem
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29. Des Bosses an Leibniz
Autor geschadet haben. Ich wünschte aber, es wäre bereits möglich, seinen wahren Namen zu erfahren. Übrigens verlange ich wie schon so oft von Ihnen, diesen Brief an den Ew. P. Orban mit Ihrer Hilfe nach Düsseldorf schicken zu wollen. Der jugendliche Schreiber, so hoffe ich, hat sein Pensum bald fertig. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 19. Dezember 1707
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
23. 12. 1707 G XXIX.
Da ich entgegen meiner Hoffnung und meinem Vorsatz nicht nach Hannover fahren kann und somit auch nicht in den Genuss des sehnlichst erwünschten Gesprächs mit Ihnen komme, bin ich gezwungen, mit Ihnen in Briefen zu behandeln, was ich persönlich zu besprechen die Absicht hatte, wenn es möglich gewesen wäre. Ihren Brief an P. Orban ließ ich gestern nach Düsseldorf befördern, wie Sie befohlen hatten. Als die Rede auf den hochberühmten Hartsoeker gekommen war, der nun am Pfälzer Hof weilt, erzählt Orban, dass dieser Mann, der sonst sehr gut und ehrenhaft ist, neben anderen Paradoxen seiner Philosophie glattweg jeden Einfluss der Himmelskörper auf die sublunare [Sphäre], alle Wunder und beinahe schon alle Teufel und deren Blendwerke und Schandtaten bestreitet. [… … *G] G | Da Sie neulich zu verstehen gaben, es würde Sie freuen, wenn man Ihnen einige kleine Verse schickt, die in unserer Gegend hier entstanden sind, schicke ich welche, mit denen man neuerdings gegen Rempe spöttelte. Wenn Sie den Menschen und seine alten Schriften neben den neuesten gesehen haben, werden Sie beurteilen [können], ob das Bild dem Urbild entspricht.
23. 12. 1707
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[… … G] Aufgegeben in Hildesheim, 23. Dezember 1707 G
* Das Folgende bezieht sich auf einen Abschreiber, den des Bosses für Leibniz in Hildesheim beschäftigte.
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
24. 12. 1707 G XXX / D·6 IV (F XI).
Ich war sehr enttäuscht, als Ihre Ankunft nicht erfolgte. Sie sehen, hier schicke ich endlich das Buch von Thomas Bonartes und warte darauf, dass Sie mir, sollten Sie einmal Zeit haben, Ihre Meinung darüber kundtun. Vor allem aber würde ich gerne den Namen und den Werdegang des Mannes kennen, mit Ihrer gütigen Hilfe. Unser Abschreiber erwies sich als nicht ungeschickter Sophist; der ältere Codex war nicht zum Abschreiben, sondern als Hilfestellung für den Abschreiber beigelegt. Ich will trotzdem nicht stur auf meinem Recht bestehen. Wenn er die Kopie fertig hat, wird man daher noch dazuzahlen, was im entsprechenden Verhältnis zum Preis des bereits Abgeschriebenen steht, den man aus der Anzahl der fertigen und noch übrigen Blätter bestimmen kann. Die satirischen Verse, die Sie geschickt haben, sind nicht ohne Eleganz. Ob es richtig ist, sie auf Rempe anzuwenden, kann ich nicht sagen und will es auch nicht wissen. Ich las oder lese nämlich seine polemischen Schriften nicht. Hartsoeker, dessen Ansichten Sie aus dem Brief des Ew. P. Orban zitieren, scheint mir so zu denken, wie es heute bei vielen Gelehrten in den Niederlanden üblich ist. An Begabung fehlt es ihm nicht, doch über die meisten Naturphänomene urteilt er tumultuarisch, sozusagen mit dem Ehrgeiz, ein System der Physik zu begründen,
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30. Leibniz an Des Bosses
für das unsere Begriffe noch nicht reif sind. Außerdem ist die höhere Mathematik ebenso wie Metaphysik (wenn ich nicht irre) nicht nach seinem Geschmack. Verzeihen Sie bitte, dass ich das elegante Buch Esprit des nouveaux Disciples de St. Augustin noch nicht zurückerstatte. Mir ist einiges dazwischen gekommen, sodass ich mit der Lektüre noch nicht fertig bin – ich will es jedoch so bald wie möglich erledigen. Danke, dass Sie mir das sehr geistvolle Exzerpt aus Perez geschickt haben. Sehr richtig hat Perez geurteilt: Ein neuer Zuwachs G an Liebe₄₄, den sich die Liebe selbst | erwirbt, sei nicht von derselben Dimension wie sie selbst. Wenn er in meiner Infinitesimalrechnung bewandert gewesen wäre, hätte er gesagt, dass die Zuwächse unendlich klein oder infinitesimal im Hinblick auf die Liebe sind, welche sie erwirbt. Bemerkenswert ist, dass – während die Zuwächse beim Herabfallen von etwas Schwerem in jedem Augenblick gleich sind – stattdessen die Zuwächse der Liebe selbst in kontinuierlichem Anwachsen sind. Denn größere Liebe erfährt auch eine größerer Steigerung. Daher ist die Linie, welche die Geschwindigkeiten des Schweren zu welchem Zeitpunkt auch immer repräsentiert, eine Gerade, aber die Linie, die die vollkommenen Lieben repräsentiert, welche zu irgendeinem beliebigen Augenblick erreicht sind (fiktiv angenommen, der Zuwachs werde nicht unterbrochen), ist eine Kurve, deren Konstruktion von Logarithmen abhängen würde. Oft habe ich denen, die ausschließlich die Anhänger der neueren Philosophie anerkennen, gesagt, man dürfe die Scholastiker nicht gänzlich verachten; in deren Mist liege Gold verborgen, sodass es einer gewaltigen Mühe wert wäre, wenn jemand eine Auswahl davon zum öffentlichen Gebrauch zusammenstellen würde. Ich bedaure, dass eine Geschichte der scholastischen Theologie und Philosophie fehlt, und wünschte, es würde einmal jemand aufstehen und das zu Ende führen, was Petau und Thomassin mit den theologischen Dogmen bei den Vätern und Scholastikern begonnen haben. So würden wir eine Geschichte der Dogmen bis in unsere Zeit bekommen. ₄₄ »Liebe« hier und im ganzen Absatz für lat. »caritas«.
24. 12. 1707
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Erfahren wir nichts mehr über unseren Tolomei? Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 24. Dezember 1707 Ich bete, dass das bevorstehende Jahr wie noch viele weitere gesegnet und glücklich sei. P. S. Vor kurzem bin ich zufällig unter den Papieren auf eines gestoßen, das Sie mir aus den Urkunden des Klosters in Heiningen gegeben haben. Ich schulde Ihnen dafür überaus großen Dank; aber was dort erzählt wird, ist mit Sicherheit erfunden und hat nichts mit Geschichte zu tun. Derartige Fälschungen bewirken, dass manche auch an echten [Dokumenten] zweifeln, wie ja auch Heuchler bewirken, dass viele an keinen ehrlich Frommen glauben. An diesem Fehler leidet Germon samt seinen Freunden in Trévoux, der alle Urkunden der karolingischen Familie zu verwerfen scheint, wodurch sie Maß und Würde eines guten Kritikers weit überschreiten. Ich selbst habe neulich in Kassel ein echtes Dokument von Karl d. Gr. gesehen, aus dem zweiten Jahr seiner Herrschaft.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
16. 1. 1708 G XXXI.
| Die Antwort auf Ihren ehrenvollen Brief hab ich verschoben, um G den Brief von P. Orban diesem hier, den Sie vor sich haben, beilegen zu können. Dass Ihnen die Stelle von Perez nicht missfällt, freut mich umso mehr, als sie auch mir Ihren Gedanken nicht unähnlich scheint. Wenn nun Muße bleibt, die angeseheneren Scholastiker durchzumustern, kann – da denke ich wie Sie – vieles gesammelt werden, das schön zur neueren, vor allem Ihrer Philosophie passt. Allein
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31. Des Bosses an Leibniz
schon der hl. Thomas von Aquino würde ein gewaltiges Material dieser Art ergeben. Eine Geschichte der scholastischen Meinungen wird man gebührend wohl nur zustande bringen, wenn man mit der gesamten Ausstattung von Büchern dieser Art ausgerüstet ist, wie sie in den hiesigen Bibliotheken im höchsten Grad fehlen; unterdessen werden sich jene, die im Durcharbeiten und in der Fortentwicklung der Lehren der alten Scholastiker sehr gewissenhaft zu sein pflegen, mit Suarez und Vazquez und einigen anderen zufrieden geben müssen, obwohl ihnen nicht selten das, was diese an höchst Trefflichem von sich gaben, entgangen ist, wie ich bemerke. Das Werk von Thomas Bonartes Nordtanus, für dessen Übersendung ich danke, habe ich noch nicht ganz durchgelesen. Nach dem, was ich gelesen habe, scheint er mir durchaus, wie Sie ihn gezeichnet haben – geistvoll und nicht ohne Eleganz, aber oft dunkel und mehr als reichlich zu Paradoxen greifend. Im Gezeter gegen die Schulen – zu Recht oder Unrecht – hat und wird er noch viele Genossen haben. Seinem echten Namen habe ich durch Anagrammatismen und einen genauen Vergleich aller Engländer, die in der Bibliothek der Schriftsteller unserer Gesellschaft vermerkt sind, nachgeforscht – aber vergeblich, und ich werde ihn höchstens durch Zufall herausbekommen mit Hilfe unserer in Lüttich lebenden Patres aus der englischen Provinz, die ich bei Gelegenheit zu fragen vorhabe. [… … … G] In einem Brief an mich vom vergangenen Sommer erklären Sie, dass »Ausdehnung ein Modus des Widerständigen und Ausgedehnten ist und sich zu den kontinuierlich zusammenhängenden oder wiederholten Dingen so verhält, wie sich eine Zahl zu den gezählten Dingen verhält; dass die einfache Substanz allerdings, obzwar sie in sich keine Ausdehnung besitzt, dennoch eine Position hat, die das Fundament der Ausdehnung ist« usw. Ich würde nun gerne wissen, ob diese Position, die Sie behaupten, dasselbe ist wie die Substanz, deren Position sie ist, oder aber ein Modus von ihr G oder ein anderes | nicht-modales Akzidens. Und ob, wenn einem mathematischen Punkt eine solche Position zugestanden würde,
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nicht auch mehrere mathematische Punkte die Ausdehnung ergeben könnten? Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Hildesheim, 16. Jänner 1708
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
30. 1. 1708 G XXXII. Der Briefbeginn fehlt bei G. Anfangsworte in eckiger Klammer nach RK 5509: »Postremas meas, Litteris P. Orbani setas…«.
[Meinen letzten, mit dem Brief von P. Orban zusammengelegten …] Vor einigen Tagen habe ich die Bücher mit dem Titel Magisterium der Kunst und Natur – Autor ist unser Francesco Lana – ausgeliehen. Während ich sie studiere, stoße ich auf das Argument, mit dem er aus der Bewegung des Pendels zu beweisen glaubt, dass »die Quantität, physisch betrachtet, nicht ins Unendliche teilbar ist, sondern man am Ende ihrer Teilungen zu besonders kleinen Teilen gelangt, die ihrer Natur nach physisch oder real unteilbar sind«, wenn er auch nicht davon abgeht, dass sie metaphysisch teilbar seien, wie es etwa die so genannten aufgeblasenen Punkte sind. Ich gebe seine Worte, die man auf Seite 371 des ersten Bandes findet, nicht wieder, da es diesen Autor sicher an Ihrer Bibliothek gibt. Doch für alle Fälle setze ich seinen ersten Syllogismus hierher, aus dem man den Hauptpunkt seines Arguments erkennen kann. »Wenn ein Pendel aus der Lage gebracht wurde, in der es von Natur aus ruht, oder aus der senkrechten Linie, dann erreicht es nach einer bestimmten Anzahl von Halbschwingungen wieder den Ruhezustand in derselben Linie, in der es zuvor war. Wenn aber der Raum, durch den hindurch es sich bewegt, unendlich teilbar wäre, könnte es nie zum Stillstand kommen, also ist dieser Raum nicht auf diese Weise
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33. Leibniz an Des Bosses
teilbar«. Vorausgesetzt nun, der lokale Raum sei aus physischen Punkten zusammengesetzt, dann muss man – so seine Behauptung – aufgrund derselben Pendelbewegung (kleine) Stillstände in der Ortsbewegung zugeben. Aufgrund der Prinzipien₄₅, die Sie mich gelehrt haben, glaube ich den Vordersatz des Syllogismus verneinen zu müssen, dessen Wahrheit der Autor mehr unterstellt als prüft. Es wäre mir lieb zu verstehen, ob ich den Sinn in dieser von Ihnen gründlich durchdachten Sache erfasst habe. Denn was die Stillstände betrifft, wurde ich hinreichend aus einem Text von Ihnen an den hochverehrten Foucher im Pariser Journal belehrt, dass Sie sie ebenso wie einen Sprung in der Natur verschmähen. Aus Köln werde ich darauf hingewiesen, dass in Antwerpen die 1. Untersuchung gegen Antonin Réginald erschienen ist mit dem Titel: Über den Geist des hl. tridentinischen Konzils, betreffend die | G physisch vorherbestimmende Gnade, von Liberius Gratianus – der, soviel man dem Ganzen entnehmen kann, derselbe ist wie Theodor Eleutherius gegen Augustinus le Blanc. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Hildesheim, 30. Jänner 1708
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
8. 2. 1708 G XXXIII / D·2, 280 ff. (E 9: »7. 2.«, S / F XII). D
¦ Hochwürdiger Pater, verehrtester Gönner! ¦ Ich nehme Ihre Gunst in Anspruch und schreibe an Euren berühmten Tolomei einen Brief, der sich in dem an Sie [hier] befindet. Durch einen besonders unglücklichen Zufall suche ich schon seit ₄₅ Lat. »ex principiis«. Die Endsilbe *-is ist hier ergänzt, sie fehlt in der Druckversion von GP·2 (Repr. 1960).
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vielen Wochen einen der drei Bände über die Ansicht der Schüler des hl. Augustinus, wie sie sich selbst nennen. Ich habe sogar in die Niederlande um ein weiteres Exemplar des Gesamtwerks schreiben lassen, es ist aber noch nicht angekommen. Doch ich will unbedingt eines haben, und wenn ich wüsste, welcher Drucker oder Buchhändler in den Niederlanden ein solches liefern kann, würde ich es sofort bei ihm bestellen lassen. Gäbe es doch jemanden, der die theologischen Dogmen von Petau und Thomassin fertigstellen und fortsetzen würde, nicht nur durch Hinzufügen der Stellen, die von jenen ausgelassen wurden, sondern auch durch eine Fortführung von den Vätern zu den Scholastikern! Doch so etwas kann man nur an einem Ort unternehmen, an dem es große Bibliotheken gibt. Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn Sie den englischen Patres in Lüttich irgendwann entlocken könnten, wer dieser Thomas Bonartes war. Ich vermute, dass er anderes unter seinem wahren Namen geschrieben hat. Gab es vielleicht in Eurer Gesellschaft einen Thomas Burnet? Obwohl unser Kopist beim Abschreiben sehr nachlässig vorgegangen ist, werde ich doch noch zwei Taler und zwei Drittel schicken, damit er nicht unter irgendeinem Vorwand mehr verlangen oder einklagen kann. Im Übrigen schulde ich Ihnen großen Dank, dass Sie sich um diese Angelegenheit gekümmert haben. Die Position ist zweifellos nur ein Modus eines Dinges, wie das Früher oder Später. Ein mathematischer Punkt ist selbst nur ein Modus, nämlich Extremität. Wenn man daher annimmt, dass zwei Körper sich berühren, und somit zwei mathematische Punkte verbindet, wird aus ihnen nicht eine neue Position oder Ganzes, das ja größer als der Teil ist, weil doch die Verbindung von zwei Extremitäten nicht größer ist als die eine Extremität, ebenso wenig wie eine zweifache vollkommene Dunkelheit | dunkler ist als eine. Dass ein G Punkt eine Position hat, heißt nichts anderes, als dass man eine Position bezeichnen kann, an der der Körper aufhört. Das Magisterium artis et naturae Eures Lana ist in Wolfenbüttel vorhanden, in Hannover haben wir es nicht. Bei diesem Schriftstel-
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33. Leibniz an Des Bosses
ler gibt es viel Vorzügliches, wenn er sich auf die spezielle Physik einlässt, aber in den Spekulationen ist er nicht so stark. Die Kraft seines Arguments sehe ich durch das, was Sie darlegen, nicht ganz. Ich wünschte, jene, die uns »aufgeblasene« Punkte verkaufen – physisch unteilbar, metaphysisch teilbar – würden klarer ausdrücken, was sie meinen. Ich würde fragen, ob sie sie für mathematisch teilbar oder unteilbar halten. Streng gesprochen kommt kein Körper in der Natur jemals zum Stillstand, also auch kein Pendel. Wenn wir dennoch annehmen (in Absehung von anderen Impulsen), dass ein Pendel bei einer beliebigen Halb-Schwingung (nämlich wegen des Luftwiderstands) einen bestimmten Teil der Kräfte verlieren kann, und zwar immer den gleichen, der präzise der Gesamtkraft des Pendels entspricht, dann ist es gewiss notwendig, dass es sich bei einer letzten Halbschwingung erschöpft. Aber auch wenn die abzugebende Kraft der Kraft des Pendels nicht [ganzzahlig] entspricht, wird doch diese abgebaut. Nehmen wir an, dass in der Luft eine (wenn auch ganz geringe) Zähigkeit besteht, sozusagen Viskosität, zu deren Überwindung Kraft nötig ist – wie es meiner Meinung nach tatsächlich der Fall ist –: so ist klar, dass der Schwung des Pendels so weit abnehmen kann, dass es die Luft nicht weiter zu durchdringen vermag, und irgendwann tritt dieser Fall auch ein, selbst wenn es keine vollkommen vertikale Lage einnimmt: Genau dann nämlich, wenn es [nur mehr] so wenig davon entfernt ist, dass die Schwerkraft des durchaus schräg Herabfallenden die Zähigkeit nicht mehr überwinden kann, werden die Schwingungen gestoppt, die noch weiter stattfänden, wenn die Zähigkeit der Luft geringer wäre. Doch wenn die bei irgendeiner Halbschwingung verloren gehende Kraft exakt die Kraft des Pendels messen, d. h. sich zu ihr wie die Eins zu einer ganzen rationalen Zahl verhalten würde, dann würde sich die Kraft des Pendels in exakt vertikaler Lage erschöpfen. Somit ist Lanas Annahme auch darin falsch, dass er meint, es müsse notwendig in vertikaler Lage ein Stillstand eintreten, weil es wohl selten tatsächlich eine solche Lage eines Pendels gibt. Ich sehe jetzt ab von dem anderen Luftwiderstand, der sozusagen respektive ist und umso größer, je größer die
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Geschwindigkeit des Körpers ist. Denn dieser [Widerstand] wird die Bewegung niemals ganz abstellen, obschon er sie immer mehr verringert. Selbst wenn wir nun annehmen, dass Schwingungen im Vakuum stattfinden, d. h. in einem Medium, dessen Widerstand fiktiv auf Null gesetzt wird, wird es trotzdem [noch] andere Ursachen geben, die die Kraft des Pendels verringern, z. B. die Krümmung des Fadens, zu der eine Kraft von welcher Größe auch immer nötig ist, und andere Ursachen dieser Art, die dasselbe bewirken wie die Zähigkeit der Luft. Ich erinnere mich nicht, wer dieser Anton Réginald war, gegen den, | wie Sie erzählen, in Antwerpen die erste Untersuchung G über den Geist des tridentinischen Konzils betreffend die physisch vorherbestimmende Gnade erschienen ist; auch weiß ich nicht mehr ganz, wer Theodorus Eleutherius [ist], der gegen Augustin le Blanc geschrieben hat – etwa P. Daniel, ein gelehrter und geistvoller Mann? Leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen etc. Aufgegeben in Braunschweig, 8. Februar 1708 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
5. 4. 1708 G XXXIV nach D·6 XI.
Als ich kürzlich vor dem Fest alle Winkel durchsuchen ließ, um Ordnung zu schaffen, da kommt doch ganz unerwartet der Band Ihres Buches zum Vorschein, den ich lange vermisst und so verdrossen wie vergeblich gesucht hatte. Ich schicke also das Ganze zurück, das heißt drei Bände, und bitte um Nachsicht für die unglückliche Verspätung.
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35. Leibniz an Des Bosses
Ich glaube auch, dass ich noch in der Schuld des Sekretärs stehe, den Sie mir besorgt hatten; daher lege ich, um dieses Geschäft abzuschließen, zwei Taler für ihn bei und bitte Sie, den Mann durch Barauszahlung zu entlohnen. Im Übrigen leben Sie wohl und lieben Sie mich. Aufgegeben in Hannover, 5. April 1708
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
3. 5. 1708 G XXXV nach D·6 XII.
Kurz vor dem Osterfest habe ich jüngst an die hier befindlichen Euren ein Paket geschickt, enthaltend drei Bände des französischen Buches über den Geist der neuen Schüler des hl. Augustinus ; mit dem Ausdruck großer Dankbarkeit habe ich es an Sie weiter verwiesen und gleichzeitig hinzugefügt, dass ich womöglich dem jungen Abschreiber noch etwas schulde. Die Euren behaupteten, sie erwarteten jemanden aus Eurem Hildesheimer Kolleg, durch den das Paket zu überstellen wäre: Das ist, hoffe ich, ordnungsgemäß geschehen, doch es wäre mir sehr lieb, das von Ihnen zu erfahren, damit ich frei von jeder Befürchtung bin. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 3. Mai 1708
[G:] Es folgt ein Schreiben des Bosses’s, datirt 8 Maji 1708; er erwähnt darin, daß unter dem Namen von Aloysius Temmik der Pater Aloysius Kümmet schreibe. Ferner ein anderes vom 25 Maji 1708, in welchem er ein Schreiben des Ptolemäi übersendet. [»Ihre verehrtesten drei Briefe …«. Vgl. RK 30653. / »Hier endlich der Brief unseres Tolomei …«. Vgl. RK 30654.]
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
14. 6. 1708 G XXXVI nach D·6 XIII.
| Den Brief Eures ruhmreichen Tolomei, voll ausgezeichneter Dinge, G habe ich erhalten und werde ihn geziemend beantworten. Unser Verkehr ist von solcher Wesensart, dass er nicht so wie öffentliche Nachrichten gegenstandslos wird, wenn es nichts Neues gibt. Dasselbe möchte ich von den Briefen sagen, die ich mit dem Ew. P. Orban austausche, an den ich das Beiliegende zu schicken ersuche. Bitte vergessen Sie nicht auf Thomas Bonartes Nordtanus Anglus – dass nämlich der Wunsch besteht, von Ihren Patres seinen richtigen Namen zu erfahren. Für die Notiz über P. Temmik weiß ich nicht, ob ich gedankt habe. Werden die Nachrichten von Trévoux noch fortgesetzt? Schon lange habe ich davon nichts mehr gesehen, oder erfahren, dass sie in den Niederlanden gedruckt worden wären. Leben Sie wohl und lieben Sie mich. Aufgegeben in Hannover, 14. Juni 1708
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
2. 7. 1708 G XXXVII nach D·6 XIV.
Herr von Vignoles, der Franzose, ein gebildeter und vor allem in der Geschichte und Chronologie sehr kundiger Mann, hat mir aus Utrecht geschrieben, wo er sich derzeit aufhält, er habe vor, eine Reise nach Köln anzutreten und herauszufinden, ob er dort in gewisse Manuskripte Einsicht nehmen kann. Er bittet mich um Empfehlung
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37. Leibniz an Des Bosses
an einen allfälligen Freund in dieser Stadt. Mir ist aber gerade niemand in Köln bekannt, an den ich in dieser Sache schreiben könnte: Daher nehme ich zu Ihrer Güte Zuflucht und bitte Sie, den Mann jemandem zu empfehlen, der ihm nützlich sein könnte, und mir den Namen Ihres Freundes bald mitzuteilen, damit ich nächsten Freitag an Vignoles schreiben kann. Mein jüngster Brief mit der Beilage für Orban ist Ihnen, so nehme ich an, ausgehändigt worden. Lange habe ich nichts von den Rezensionen aus Trévoux gesehen, denn in den Niederlanden hat man ihr weiteres Erscheinen eingestellt (oder unterbrochen). Wie die Sache steht, wissen Sie am besten. Eurem Hardouin, so heißt es, wurde von den Oberen aufgetragen, entweder zu widerrufen oder zu interpretieren, was er angeblich gegen die Echtheit der meisten Alten gesagt hat. Das war klug; denn seine Paradoxe (um es sehr vorsichtig auszudrücken) wurden bereits – von wem auch immer – zum Vorwand für Anfeindungen G gegen Euren Orden genommen, wenn auch zu Unrecht, | vor allem weil gleichzeitig auch Germon die Autorität der alten vorcapetinischen Tabellen zu bestreiten schien. Leben Sie wohl. Aufgegeben in Hannover, 2. Juli 1708
[Die Antwort Des Bosses’ vom 9. Juli 1708 fehlt. »Es ist durch ich weiß nicht wessen Schuld passiert, dass Ihr am 2. Juli an mich datierter Brief …«. Vgl. RK 5515.]
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
13. 7. 1708 G XXXVIII nach D·6 XV.
Danke, dass Sie dem Kölner Freund den verehrten Vignole empfehlen wollten, ich habe dies auch Vignole mitgeteilt. Ich möchte Ihnen den ersten Band meiner den Ew. Antwerpener Patres gewidmeten Sammlungen schicken, zumal ich befürchte, dass der zweite (den ich beizulegen gehofft hatte) zur nächsten Herbstmesse nicht erscheint. Vor kurzem fiel mir die Vita des vornehmen Mannes Gobert, Herzog von Asperomonte, in die Hände, zu seiner Zeit berühmt durch den Ruf der Heiligkeit; wenn die berühmten Männer, die die Acta Sanctorum veröffentlichen, sie brauchen, werde ich veranlassen, dass sie zu ihrer Verwendung abgeschrieben wird. Ich glaube nämlich, sie tun recht daran, nicht nur die in Erinnerung zu rufen, die Ehrenplätze einnahmen, sondern auch die, welche sie verdient haben. Ich hoffe, dass Papebroch noch lebt und gesund ist. Ihn und ebenso Janninck und die Helfer bitte ich von mir zu grüßen, ich würde auch gerne die Namen der Gehilfen kennen lernen, die zweifellos zur Zierde Eurer Gesellschaft zu zählen sind. Ich gestehe und bedaure, dass mir die jetzt in Blüte Stehenden nicht genug bekannt sind. Baune tut sich, wie ich glaube, in Paris bei der Bearbeitung der Kirchengeschichte hervor, ist doch unter seiner Aufsicht die Ausgabe der Werke von Sirmond erschienen. Ihr Daniel beschäftigt sich jetzt, so habe ich erfahren, mit der Herausgabe der französischen Geschichte. Er erweist sich in allem als beweglich, so behandelt er elegant bald die Philosophie gegen Descartes, bald die Theologie gegen die Dominikaner und die ypernschen Anhänger von Augustinus, jetzt wieder die Geschichte.
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39. Leibniz an Des Bosses
Man hält ihn, glaube ich, für den Autor des Buches über den Geist der neuen Augustinusschüler, das Sie mir übermittelt haben. Dieses Buch, höre ich, ist in Frankreich mit der Zensur belegt worden. Und gewiss ist es, wenn ich mich nicht täusche, etwas bissig und macht aus einer Maus einen Elefanten; denn diese Streitereien über das Notwendige und Mögliche oder Unmögliche, die das Für und Wider der Kontroverse ausmachen, enden meistens in Wortgemetzeln, und die Wörter werden von den Menschen so unterschiedlich gebraucht, dass man kaum feststellen kann, welcher Sinn offenkundig ist, noch, welcher gemeint ist. Ich bitte Sie, sich bei Gelegenheit nach dem wahren Namen von G Thomas Bonartes zu erkundigen, | der erstaunlicherweise fast unbekannt ist, obschon er ein eleganter und scharfsinniger Schriftsteller war. Leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 13. Juli 1708
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
30. 7. 1708 G XXXIX nach D·6 XVI.
Ich muss noch meinen Dank dafür abstatten und tue es hiermit, dass Sie mir zu Liebe den Ber[ühmten] Herrn Vignoles, Franzosen und Gelehrten, einem Kölner Freund empfohlen haben. Ich treibe die Arbeit an meinen historischen Sammlungen entschlossen voran und hoffe, sie zur Michaelismesse fertig zu stellen, damit sie den Antwerpener Patres, diesen hervorragenden Männern, geschickt werden kann, denen ich sehr viel verdanke, und denen wegen eben dieses Werkes die [literarische] Republik [sehr viel] verdankt. Dass fast alle Werke von Hardouin in den Niederlanden nachgedruckt werden, hat man Ihnen richtig mitgeteilt. Vieles wurde
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geändert, allerdings nach dem Urteil der meisten nicht zum Besseren; inzwischen verbreitet sich seine Lehre stark, und sogar mit seinem Paradox nützt er der Literatur, da er die Kritiker zwingt, ihre Beweise für die Fundamente ihrer Kunst zu überdenken, das heißt die Echtheit der alten Autoren, auf die sich alle bedenkenlos verlassen wollten. Das Beiliegende bitte ich an den Ew. P. Orban senden zu lassen. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 30. Juli 1708
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
10. 8. 1708 G XL. Briefanfang von G unterdrückt; Anfangsworte nach RK 30655: »Postremas tuas curavi ad Orbanum …«.
[Ihren letzten Brief habe ich an Orban geschickt …] Den wirklichen Namen von Thomas Bonartes werde ich ohne unsere Engländer, die ich im Oktober vielleicht in Lüttich sehe, kaum herausfinden. Während ich indessen die im Jahr 1675 in Köln gedruckte Scholastische Metaphysik unseres William Aylworth, der ein Vertrauter von Bonartes war, neuerdings wälze, bin ich auf manches zweifellos mit Bonartes Zusammenhängende gestoßen, das ich hiermit vorlege. Dieser Autor führt also in der 1. Abhandlung, 5. Disp[utation], Kap[itel] 1 — nachdem er bewiesen hat, dass aus der Ansicht Descartes’ über die Essenz der Materie folgt, derselbe Körper Christi, der einst | von der Jungfrau empfangen und ge- G kreuzigt wurde und jetzt im Himmel ist, könne nicht in der Eucharistie sein — in der Nr. 6 das Folgende an. »Neulich sah ein beflissener Bewunderer und Nachahmer die Auswirkung der Nachfolge Descartes’, doch er wollte lieber den über diese Sache veröffent-
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40. Des Bosses an Leibniz
lichten Dogmen der Kirche als denen von Descartes abschwören. Gleichwohl öffnete der bevorstehende Tod ihm die Augen, die er bei anderen verschließt. Um sich aber nach der Öffnung nicht als heterodox zu erweisen, bildete er ein wundersames Paradox: Der gesamte Körper, so behauptete er, sei also wesentlich ausgedehnt. Daher kann – sagte er – nicht derselbe Körper Christi, mit dem er in den Himmel einging, Gestalt annehmen. Und doch ist gewiss, dass der wahre und reale Körper Christi in der heiligen Eucharistie Bestand hat, sooft dieses göttliche Sakrament durch das mit dem himmlischen Segen geweihte Brot vollzogen wird, weil das göttliche Wort dabei jedes Mal die Substanz des geweihten Brotes in sein eigenes Fleisch verwandelt, insofern es sie in einer neuen hypostatischen Union physisch und real mit sich vereint – sei es dass die Substanz von allen menschlichen Gliedern und Organen losgelöst ist, ohne eine neue Gestalt anzunehmen, sei es zu einer winzigen Korpuskel umgebildet.« So weit Aylworth, dessen Worte ich so ausführlich zitiere, damit klar wird, dass hier von Bonartes die Rede ist, was die folgenden Kapitel bei Aylworth noch deutlicher zeigen, in denen er die Gründe, aber auch die von Bonartes mit fast denselben Worten vorgetragenen Zeugnisse zurückweist. Den Autor des Buches über den Geist der neuen Augustinusschüler kenne ich gar nicht. Ich vermute ebenfalls, dass es derselbe ist, wie auch Sie sagen, Daniel, aber ich vermute es nur. Wenn er einen der Ansicht Jansens fremden Sinn angreift, dann, das gebe ich zu, kämpft er dabei gegen Larven; aber wenn Jansen den sei es unter dem Zeichen der Gnade, sei es im Zeichen der Begierde Reisenden keine andere Freiheit zugestanden hätte als die, die den Gott erschauenden GlückseligenG* zukommt, um ihn zu lieben, wie er ausdrücklich zugibt, dann besteht kein Grund zu sagen, der Autor habe übertrieben. Über die Unsrigen, die jetzt in Frankreich in der Blüte des Gelehrtenruhmes stehen, hoffe ich erst jetzt etwas in Erfahrung zu bringen, nachdem ich von Tournemine einen älteren Brief erhielt, in dem ich ein Schreiben Blondels an Sie gefunden habe, das ich schicke. Nehmen Sie hier einige kleine Exzerpte aus dem entgegen,
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was an mich übergeben wurde, denn es gebührt Ihnen: »Mit Verspätung kam ein Brief von Euer Hochwürden in meine Hände, voll größter Freundlichkeit. Sehr gern vernehmen wir, dass er uns Hilfe aus dem Norden anbietet, unser Journal mit Glanz auszustatten. … Am meisten wird uns der Verkehr Euer Hochwürden mit Herrn von Leibniz von Nutzen sein, dem Meister umfassender Bildung und einzigartigen Zierde unserer Zeit. Wenn uns ein Weg gewiesen wird, auf dem unser Journal sicher zu Euch befördert werden kann, werden wir Sorge tragen, dass es nicht an Zeichen der Dankbarkeit fehlt. Ich möchte auch | gerne, dass Euer Hochwürden sich G bemüht, Herrn von Leibniz dazu zu bringen, einige Zeugnisse seines überragenden Ingeniums für unser Journal beizutragen. Wir haben ihm alle Wünsche im Voraus erfüllt, ohne dass er zu bitten brauchte, wie er selbst erkennen wird, wenn er unser Journal vom Monat März dieses Jahres und März des vergangenen Jahres durchliest. … Man könnte so auch einen Handel einrichten, dass hier erschienene Bücher gegen Bücher, die bei Euch erschienen sind, getauscht werden. Es gibt in Helmstedt den gelehrten Professor Herrn Eckhart, von dem wir große Hilfe bei der Ausgestaltung des Journals erhoffen, wenn er Euer Hochwürden genehm ist.« So Tournemine, woraus Sie – selbst wenn ich dazu schweige – hinreichend erkennen, wie dankbar Sie die Autoren des Journals machen würden, wenn Sie hin und wieder einen Beitrag beisteuern. Mich aber werden Sie sehr dankbar machen, wenn Sie das Wohlwollen von Herrn Eckhart – der, wie ich erfahren habe, unter Ihnen das Probestück seiner Gelehrsamkeit abgelegt hat –, durch Ihre Autorität, mit der Sie auf ihn Einfluss haben müssen, gewinnen, damit auch er durch mich einen Weg hat, auf dem er das Seine mitteilt, falls es einmal keinen anderen geben sollte. Das Argument von P. Francesco Lana – darüber ein andermal – scheinen Sie in Ihrer vor langer Zeit an mich geschriebenen Antwort gründlich umgestürzt zu haben; ich bin nicht sicher, ob ich mich schon dafür bedankt habe. Indessen sind bei mir weitere philosophische Zweifel aufgetaucht, über welche ich Sie um Rat zu fragen beabsichtige; doch dieses Mal nehme ich davon Abstand, um
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41. Leibniz an Des Bosses
nicht durch Weitschweifigkeit meines Briefes lästig zu fallen. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Hildesheim, 10. August 1708 G
* Beatissimis (vielleicht) d. h. den Seeligen.
[G:] Es folgt ein Schreiben des Bosses’s vom 14. Aug. 1708, in welchem er einen Brief des P. Orbanus überschickt. [»Vor einigen Tagen schrieb ich einen Brief an Sie, hochverehrtester Herr …«. Vgl. RK 5517.]
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
3. 9. 1708 G XLI / D·6 XVII (F XIII).
Eine Zeit lang abwesend und abgehalten von dem Geziemenden, antworte ich mit Verspätung und bitte deshalb um Vergebung; auch jetzt leiste ich nicht allen Inhalten Ihrer Briefe Genüge, was bald geschehen soll. Es freut mich, dass Sie in Verbindung mit Ew. P. Tournemine stehen, der an Geist, Lehre und auch sonstigem Ruhm so hoch steht. Ich nehme an, dass durch Ihre Gunst mein Papier bei ihm angekommen ist, mit dem ich ihm auf seine Bemerkung über die Vereinigung von Seele und Körper, die meiner Hypothese etwas widerspricht, geG antwortet habe. Daraus wird er erkennen, | dass ich durch die prästabilierte Harmonie die Übereinstimmung der Phänomene erkläre, aber deshalb nicht die metaphysische Einheit des Zugrundeliegenden leugne, die von höherer Ebene ist und durch Phänomene nicht erklärt werden kann, umgekehrt aber auch die Phänomene nicht begründet. Auch habe ich gebeten, meine Erklärung ins Journal de
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Trévoux aufzunehmen, wenn es leicht geht. Ob es geschehen ist, weiß ich nicht. Herrn Blondel antworte ich angemessen, auf beiliegender Karte, und dem Ew. P. Tournemine danke ich, dass er mir von dem gelehrten Mann diese sehr freundliche, wenn auch nicht notwendige, Entschuldigung besorgte. Herr Eckhart klagt seit seiner Berufung nach Helmstedt in einem der Briefe an mich, dass er sehr beschäftigt sei und für normalen Schriftverkehr keine Zeit erübrigen könne: Als er früher als mein Sekretär arbeitete, stellte er ein beachtliches deutschsprachiges Gelehrtenjournal zusammen und schrieb manchmal bei den Franzosen. Ich habe Bekanntschaft mit Herrn Menken dem Sohn, dem Nachfolger seines Vaters als Herausgeber der Leipziger »Acta«; ich werde sehen, ob ich für P. Tournemine eine Verbindung mit ihm herstellen kann, falls er noch keine hat, obwohl ich mich auch über Herrn Eckhart weiter erkundige. Willkommen ist mir von Eurem Aylworth, auf den Sie verweisen, die Stelle über Bonartes in der 1675 erschienenen »Scholastischen Metaphysik«. Es würde mich sehr wundern, wenn niemand von den Zeitgenossen seine Paradoxe angegriffen hätte. Ich werde über einen Text für das Journal de Trévoux nachdenken, wenn man das so sehr begrüßt. Jetzt gebe ich bekannt, dass von mir ein bisher verschollenes, soeben der Finsternis entrissenes Gedicht der vielgerühmten Dichterin und Ordensfrau Roswita von Gandersheim über die Gründung der Gandersheimer Kirche herausgegeben wird, das Bemerkenswertes über die Geschichte mitteilt. Vor zwei Jahren wurden auch die vor zweihundert Jahren von Conrad Celtis herausgegebenen Werke Roswitas in Wittenberg beim ber[ühmten] Schurzfleisch nachgedruckt, doch damals wie heute fehlt jenes Gedicht. Daher werde ich es in den zweiten Band meiner Sammlung berühmter braunschweigischer Schriftsteller aufnehmen. Den ersten Band würde ich durch den von Ihnen erwähnten belgischen Kurier von Braunschweig an die Antwerpener geschickt haben, wenn ich ihn zu Braunschweig im Handel hätte auftreiben können; nun habe ich unseren Buchhändler Förster beauftragt, auf
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der bevorstehenden Frankfurter Messe für einen Kölner Buchhändler ein Exemplar einpacken zu lassen. Obzwar mir die Seligen ebenso wie die Verdammten einen Grad Freiheit zu behalten scheinen, nämlich die Kontingenz oder NichtNotwendigkeit, wodurch immer noch jene lobenswert, diese schuldhaft handeln, gibt es doch ohne Zweifel bei den Reisenden (wie man sie nennt) mehr Mannigfaltigkeit, während bei den Seligen die Kraft der Vernunft größer ist, bei den Verdammten die Kraft der üblen G Leidenschaft. Ob aber Jansen diese Unterscheidung | zwischen den Reisenden und den Gefirmten aufhebt, würde ich gerne wissen. Er pflegt die Vokabeln Freiheit und Notwendigkeit ganz anders als die Schule zu verwenden. Mir sagen indessen die Formeln der Schule mehr zu als seine oder die seiner Anhänger. Frau Comtesse von Bückeburg gab mir vor kurzem ein Buch zu lesen mit dem Titel: »La suite du Comte de Gabalis ou nouveaux entretiens sur les sciences secretes touchant la nouvelle philosophie«, erschienen in Amsterdam bei Peter Mortier. Dieses Buch (nach meinem Urteil) stammt von einem geistvollen und gelehrten Mann von den Euren, und wenn es nicht der Ew. P. Daniel ist, dann ahmt er ihn zumindest nach. Wie einst zu dem Franzosen, der das Buch »Le Comte de Gabalis« herausbrachte, in der Fiktion ein gewisser schlesischer Graf kam, der der Kabbala und Magie ergeben ist, so erdichtet man jetzt, dass zu demselben ein gewisser Johannes Bruno aus Irland gekommen sei, gelehrter Theologe, Urgroßneffe von Giordano Bruno, Vertreter des Cartesianismus und neuer Dogmen in der Theologie, der meint, dass die Materie in der Ausdehnung bestehe und dass es keine Akzidentien gebe, und schließlich in einem wunderlichen Paradox (beinahe wie Bayle) eine gegen die Religion äußerst feindliche Philosophie vertritt, damit der Triumph des Glaubens (wenn die Götter wollen) umso größer sei. Aber die Sache wird zur Tragödie, denn der gute Bruno verfällt vor dem Autor aus Zorn in Fieber und stirbt darauf wahrscheinlich (nach dem Urteil des Autors) als Verdammter. Als ich einmal in Berlin fast einen ganzen Sommer mit der Königin verbrachte, einer wissbegierigen Leserin der bayleschen
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und ähnlicher Werke, die auch an Meditationen ihre Freude hatte, hatte ich die meisten Schwierigkeiten, die Bayle gegen die Religion anführt, zunächst im Gespräch, dann, als die Königin nicht mehr wollte, in Aufzeichnungen behoben. Diese ordentlich zusammenzustellen haben mich Freunde ersucht. Ich tat es und bin jetzt am Korrigieren und werde sehen, ob ich es Ihnen vor Ihrem Weggang zum Lesen geben kann, denn gerne vernehme ich auch das Urteil der Euren, vor allem aber das Ihre, dessen Bildung Sie befähigt und dessen Wohlwollen gegen mich Sie willens macht, sich ordentlich mit der Überprüfung des Meinigen zu befassen. Denn obzwar ich nicht verhehle, auf welcher Seite ich stehe, schreibe ich doch, soweit es geht, gerne so, dass die Euren sich von meinen Ansichten über Dinge, welche unsere Streitigkeiten nicht berühren, nicht notwendigerweise abwenden müssen. Ich würde gerne wissen, ob der Ew. P. Dez, den der Christlichste König dem Hedraeus alias La Chaize als Koadjutor zur Seite stellte, jener ist, der vor einiger Zeit in Straßburg die Bücher über die Religionskontroversen herausbrachte. Im Übrigen etc. Aufgegeben in Hannover, 3. September 1708
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
4. 9. 1708 G XLII nach D·6 XVIII.
| Meinen gestrigen ziemlich ausführlichen [Brief] werden Sie mit G den Beilagen erhalten haben; jetzt schreibe ich noch einmal und bitte, das Beiliegende dem Ew. P. Orban zukommen zu lassen. Er hat eine Reise nach Oberdeutschland gemacht, dort Thermen aufgesucht und ist davon gesund zurückgekehrt. Ich habe vergessen, von den Chronostichen (Zeitversen) über die portugiesische Königin zu sprechenG*, die man extemporiert
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43. Des Bosses an Leibniz
nennt; derlei schien mir erstaunlich. Ich könnte so etwas kaum in vielen Tagen zustande bringen. Die Fähigkeit von Rempe ist darin groß, aber soviel ich sehe, steht ihm der, der diese gemacht hat, um nichts nach. Eine solche Arbeit könnte Nutzen für die Universalgeschichte und Ähnliches haben. Daher würde ich den Autor gerne kennen. Leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 4. September 1708 * Die Verse hatte des Bosses an Leibniz überschickt. [Und zwar mit dem hier nicht aufgenommenen Brief vom 14. August 1708, unter dem Titel »Versiculi extemporales oblati Serenissimae Mariae Annae Reginae Portugalliae Hildesi[i] iter habenti«, vgl. RK 45512.] G
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
11. 9. 1708 G XLIII.
Zwei Briefe von Ihnen habe ich innerhalb von zwei Tagen erhalten. [… … G] Über die Gedichte Roswitas und Ihr ganzes Werk werde ich Tournemine informieren; das wird für ihn wie eine Vorankündigung von Weiterem sein, das er von Ihnen noch mitgeteilt zu bekommen hofft. Man kann mehrere Stellen anführen, aus denen sich schließen lässt, dass Jansen keinen Unterschied zwischen der Freiheit der Seligen und jener der auf dem Weg Befindlichen gemacht hat. Eine greife ich heraus: In Band 3, Buch 1, Kap[itel] 4, Sp. 16 der ersten Löwener Ausgabe von Jakob Zeger im Jahr 1640 spricht er wie folgt: »Der Wille der irdischen Begierde, der vom Fleisch zuinnerst durchdrungen ist, wird immer und bei jeder Handlung durch dessen Bewegungen hin und her gezogen, er ist unablässig dessen Herrschaft und Last zu Diensten, genau auf dieselbe Weise,
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wie der Wille der Seligen in sämtlichen Bewegungen der göttlichen Liebe₄₆ dient.« Ich würde gerne wissen, wo die Fortsetzung der Gespräche des Grafen von Gabalis erschienen ist, die in der Tat vergnüglich zu lesen sein muss. Wenn Sie mir aber Ihre Anmerkungen zu den bayleschen Einwänden zu lesen schicken, würden Sie mir die weitaus größte | Freude machen. Ich habe bisher ganz und gar geglaubt, dass G der Glaube vieles behauptet, was die Fassungskraft der menschlichen Vernunft übersteigt, jedoch nichts, was dieser Vernunft widerspricht. Sie haben hier ein Feld, das dieser Geisteskraft höchst würdig ist. Wenn ich aufbreche, was noch nicht gewiss ist, werde ich kaum vor dem Fest des hl. Michael aufbrechen. Sollten Sie mir inzwischen Ihre Schrift schicken, bin ich sicher, sie durchlesen zu können; doch werde ich mir nie herausnehmen, eine Überprüfung von ihr zu veranstalten. Wenn mir trotzdem mit meiner schwachen Fassungskraft etwas unterkommt, das die Ohren unserer Theologen beleidigen zu können scheint, verspreche ich, Sie aufrichtig darauf hinzuweisen, sodass Sie nach Ihrem weisesten Ratschluss festlegen können, was Sie für gut befinden. Dez, der Assistent von La Chaize, ist eben jener, der einmal eine Zeit lang in Straßburg verbracht und das berühmte Buch Über die Wiedervereinigung der Protestanten veröffentlich hat. […… G] Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Hildesheim, 11. September 1708
₄₆ Lat. »caritati«
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
12. 9. 1708 G XLIV / D·2, 282 f. (E 10 / F XIV, W 5). D
¦ Hochwürdiger Pater, verehrtester Gönner! ¦
Für die Besorgung der erledigten und der bevorstehenden Post sage ich Dank. Ihre Kritik findet sehr meinen Beifall. Ich halte es auch für richtiger zu sagen: je n’ay nul [ich habe keinen]. Jansen wollte vielleicht eine Analogie zwischen der Liebe₄₇ der Seligen und der Begierde der Nicht-Wiedergeborenen in Betracht ziehen, aufgrund der Meinung von Augustinus, für den bei Ungetauften jede Handlung sündhaft und Tugenden nur glänzende Sünden sind. So würden auch die Ungetauften immer zu etwas bestimmt sein im Hinblick auf die Qualität, wenn schon nicht Substanz der Handlung – was ich allerdings nicht gutheiße, ebenso wenig wie die Verdammnis der ungetauften Kinder und andere Härten des Augustinus; ich sehe auch nicht, warum die von selbst siegreiche Gnade notwendig ist, welche die bekennenden Augustinusnachfolger mitunter ins Spiel bringen, oder warum nicht ein und dasselbe Maß an Gnade bei jemandem die Wirkursache des Heils sein kann, obwohl es das bei einem anderen nicht ist. Ich glaube, dass Gott durch seinen vorausgehenden Willen alle gerettet [sehen] will und dieser [sc. Wille] nicht tatenlos ist, sondern durch überreiche Hilfsmittel der Gnade bewiesen wird, welche genügt, wenn ein guter Wille hinzutritt, und diesen bisweilen auch hervorbringt. In der Frage, ob es eine Erwählung gibt und inwieweit sie aus Gnade erfolgt, denke ich, dass Gott sich zwar nicht an die vorhergesehenen guten Qualitäten oder den kleineren Widerstand oder etwas Ähnliches in der Zukunft – Absolutes oder Bedingtes – bindet und dass man hinG sichtlich der Ordnung seiner Beschlüsse nicht streiten kann, | ob der Beschluss, das Heil zu verleihen oder aber den lebendigen Glauben, ₄₇ Lat. »caritatem«
12. 9. 1708
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in der Absicht Gottes früher ist; dass Gott aber aus unendlichen möglichen Welten die beste gewählt hat, nach Betrachtung aller Bestandteile. Somit wird es in Wahrheit nur einen einzigen Beschluss Gottes über die Existenz einer solchen Reihe der Dinge geben, und somit auch, sie zuzulassen, obwohl gewisse Übel in die beste Reihe eingehen. Freiheit ist meiner Ansicht nach nicht nur vom Zwang, sondern auch von der Notwendigkeit zu trennen, nicht jedoch von der Unfehlbarkeit oder Determination: Denn es muss immer einen Grund geben, warum eher das eine als das andere geschieht, und es gibt keine Indifferenz vollkommener Ausgeglichenheit. Indessen determiniert der bestimmende Grund durch Neigung, nicht durch Nötigung, weil ein anderer Ablauf keinen Widerspruch impliziert. Vieles andere habe ich beobachtet, durch das, wie ich meine, die meisten Schwierigkeiten hinreichend geklärt werden, und soweit ich es beurteile, weichen meine Ansichten in diesem Punkt nicht von den Dekreten Eurer Kirche ab, noch von den Hauptlehrmeinungen Eures Ordens: Denn jene Lehren, unter denen, wie es scheint, die göttliche Güte leiden kann, liebe ich weniger, auch wenn ich sonst Augustinus, Arnauld und Quesnel sehr schätze. Daher verspreche ich mir auch bei den Euren einigen Beifall. Ich bin jetzt dabei, dass so manche Turbulenzen wieder ins Reine gebracht werden. Jenes Gespräch, die Fortführung des Gesprächs mit dem Grafen von Gabalis, ist, glaube ich, in den Niederlanden erschienen. Die Kunst der Zeitverse oder vielmehr Zahlenverse verachte ich nicht, weil sie bedeutenden Nutzen beim Erlernen der Geschichte und anderer mit Zahlen bezeichneter Gedächtnisobjekte, z. B. der Kapitel der Bibel, Titel des Corpus Juris, bringen kann. Das von Ihnen erwähnte Distichon ist so, dass ich nicht möchte, dass damit Papier beschmutzt wird, noch weniger meine Augen. Ernsthaften Männern ziemt es, sich von solcherlei fernzuhalten, das zu Stall und Pflug verbannt gehört. Aber das Gedicht von Jakob Bosch (von dem Sie etwas erwähnen) über die Symbolkunst, Ars Symbolica, gefällt mir; anderes habe ich, soviel ich mich erinnere, von ihm nicht gelesen. Sein Stil scheint an die »Ars poetica« von
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45. Des Bosses an Leibniz
Horaz heranzukommen. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen etc. Aufgegeben in Hannover, 12. Sept. 1708 D ¦ Ergebenst Gottfr. Wilh. Leibniz ¦ P. S. In das Buch des Ew. P. Dez, das seinerzeit bei den Straßburgern über die Religionskontroversen erschienen ist, habe ich damals, als es herauskam, Einsicht genommen, wie ich mich erinnere; der Herr Landgraf Ernst hat es mir geschickt. Mir gefielen der Geist und das Maßvolle des Autors, und nun freut es mich, dass ein solcher Mann befördert wird.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
5. 10. 1708 G XLV. G
| Ich schicke den Brief von Orban, den ich vor drei Tagen erhalten habe. Mit Vergnügen habe ich Ihren letzten Brief gelesen, in welchem Sie Ihre Meinung zu verschiedenen Kontroversen der Theologie eröffnen. Dabei sind folgende kleine Anmerkungen entstanden, die ich mit Wohlwollen zu beurteilen bitte. Ich glaube, dass jede Handlung bei den Nicht-Wiedergeborenen, die ohne Mithilfe der Gnade erfolgt, von Augustinus nur in dem Sinn als sündhaft bezeichnet werden kann, dass der Mensch eben deshalb, weil er zu dem Zweck des ewigen Lebens emporgehoben ist und alle seine Handlungen danach ausrichten soll, an sich betrachtet zwar dadurch gegen seine Verpflichtung handelt, wenn er das nicht tut. Dass aber trotzdem eine Handlung, die sich nicht auf dieses Ziel bezieht, selbst einem ungetauften Handelnden – wenn er von jeder Gnade verlassen ist – nicht immer als Schuld oder Untat angerechnet werden kann, wie Jansen behauptet. Im Übrigen leug-
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net auch Augustinus nicht, dass den Ungetauften durch Gnade geholfen wird und sie irgendwann gute und übernatürliche Handlungen zustande bringen, wenigstens im Ansatz, mögen sie auch nicht die Gnade der Rechtfertigung erlangen; solche [Handlungen], wie sie in der Apostelgeschichte der Zenturio Cornelius gesetzt haben soll, bevor ihm von Petrus der Glaube verkündigt wurde. An dem, was Sie über die von selbst siegreiche Gnade, über den vorausgehenden Willen und über die Gnadenwahl vorbringen, brauchen die Unsrigen – da es voll und ganz mit ihrer gängigen Lehre übereinstimmt – keinen Anstoß zu nehmen. Die Ordnung der Beschlüsse verwerfen viele bedeutende Theologen, auch von den Unsrigen, und von den anderen Martin de Esparza: sie behaupten, Gott habe alles, was er frei beschließt, mit einem einzigen, virtuell unteilbaren Entschluss festgelegt. Die entgegengesetzte Meinung jedoch verteidigt unter anderen Johannes Baptista Gormaz heftig, seit kurzem Professor der Theologie an unserem Collegium Romanum, in seinem eben erst in Augsburg erschienenen Theologiekurs. Mir war Ihre Meinung schon lange sympathisch, sie schien vortrefflicher über Gott zu denken. Unser Antonio Perez, von dem ich, wie ich mich erinnere, anderswo geschrieben habe, verteidigt geistreich, dass Gott aus unendlich vielen möglichen Welten die beste gewählt habe, und wenn man ihm entgegnet, eine beste Welt enthalte ebenso wie eine vollkommenste Schöpfung einen Widerspruch, antwortet er, dass Gott immer das Beste auswähle, wenn nur aus einer solchen Wahl kein Fortschritt ins Unendliche folgt, was der Fall wäre, wenn man behauptete, Gott habe z. B. den vollkommensten Engel zur Erschaffung gewählt. Ob diese Antwort mit Ihren Überlegungen übereinstimmt, würde ich gerne wissen. Wenn Sie sagen, die Freiheit müsse von Zwang und Notwendigkeit, jedoch nicht von Unfehlbarkeit | und Determination getrennt G werden, deuten Sie meiner Meinung nach damit an, dass von zwei gegensätzlichen, dem Willen vorgesetzten Motiven das eine immer stärker als das andere sei, zwar nicht unbezwingbar, aber doch unbesiegt, d. h. so, dass ihm widerstanden werden kann, mag ihm
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45. Des Bosses an Leibniz
vielleicht auch nie widerstanden werden. Diese Meinung schreiben viele bedeutende Theologen dem hl. Augustinus zu und glauben, dass darin die Diskrepanz gründet – falls es eine gibt – zwischen dem augustinischen System bezüglich der Gnade und dem System anderer Väter, namentlich des Chrysostomos, wie in den Akten von Trévoux zu sehen ist, Monat Juli des Jahres 1704, Seite 47 der niederländischen Ausgabe. Darüber hinaus scheinen auch unser Vazquez, ja sogar Bellarmin selbst diese Meinung zu vertreten. [… … … G] Jakob Bosch, dessen Fragment Sie billigen, hat nach dem Beispiel von Horaz ein Gedicht über die symbolische Kunst (de l’art des devises) herausgegeben, vor rund acht Jahren, das sich am Anfang der Symbolographie desselben Autors findet, welche einige tausend erlesenste heroische Symbole umfasst, die in Augsburg in Bronze eingraviert sind. Voraus schickt der Autor eine panegyrische Widmung an Durchlaucht Karl, damals Erzherzog, jetzt König von Spanien, die gelesen zu werden verdient. Theodor Eleutherius, der Autor der apologetischen Geschichte von den Hilfsmitteln gegen le Blanc, nach dem Sie an anderer Stelle fragten, ist P. Levin de Meyer, ein Flämisch-Belgier. Liberius Gratianus, Autor zweier Abhandlungen über den Geist des tridentinischen Konzils betreffend die physische Prädetermination, ist Pater Liberius von Feregere, ebenfalls Belgier. Antonin Réginald, sein Gegenspieler, ist, wenn ich nicht irre, ein Dominikaner aus Toulouse. Aus Rom hat mir eben der Ew. P. Tolomei geschrieben, dass Pater Giovanni Battista Salerni aus unserer Gesellschaft, ein gelehrter und, wie aus anderwärtigen Briefen an mich hervorgeht, überaus freundlicher Mann, nach Deutschland unterwegs ist; Tolomei wünscht auch, dass er Sie durch mich einmal kennen lernt, was ein Anzeichen dafür ist, dass er auch diese Gegend aufsuchen will. Meine Belgienreise ist nicht zustande gekommen. Ich erwarte sehnlichst Ihr versprochenes Werk. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Hildesheim, 5. Oktober 1708
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
2. 10. 1708 (später abgeschickt) G XLVI / D·6 XIX (F XV).
Danke für die Erledigung der Orban-Post; aber mehr noch, dass Sie gelehrte und geistvolle Männer von den Euren bekannt gegeben haben, die meinen Ansichten zustimmen. Meine [Ansichten] hängen jedenfalls | untereinander so zusammen, dass kein Glied G entfernt werden kann, ohne die Kette zu zerstören. Aus der Abwägung möglicher Welten und der daraus getroffenen Wahl Gottes folgt ja, dass er die beste ausgewählt hat, und zwar mit einem einzigen Entschluss, dessen Objekt eben die ausgewählte Welt ist. Unter dem Ausdruck »Welt« verstehe ich die ganze, in Ewigkeit fortschreitende Reihe der Dinge, und zwar in Vergangenheit wie Zukunft, die nicht ein einziges Geschöpf ist, sondern etwas Unendliches, gleichsam ein Aggregat. Dass es hingegen kein vollkommenstes Geschöpf gibt, gestehe ich zu. Von Martin Esparza und Antonio Perez von den Euren habe ich vor langer Zeit als Jüngling etwas gelesen und geistvoll gefunden. Aber jetzt, nach so langer Zeit, erinnere ich mich nicht recht, welche Schriften das waren. Ich erinnere mich aber, einmal etwas Scholastisches von Sforza Pallavicino, dem späteren Kardinal, angesehen zu haben, das mir tiefschürfend und geistreich schien, wenn auch mitunter ein wenig dunkel. Auch erinnere ich mich, dass ich das Buch von P. Derken über Gott durchgegangen bin – ein Buch, in dem ein ungewöhnliches Ingenium aufzublitzen schien. Den Ew. Pater Salerni einmal kennen zu lernen, würde mich sehr freuen. Ich denke daran, etwas von meinen Ansichten bald an den Ew. P. Tolomei zu schreiben, um auch sein Urteil zu erhalten. Vor allem die eher populär redenden Schriftsteller verwechseln immer wieder unfehlbar determiniert mit notwendig im eigentlichen Sinn; was dazu führt, dass sie nicht selten hartherziger sprechen, als sie es meinen.
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46. Leibniz an Des Bosses
Sehr willkommen sind die echten Namen der Gelehrten, die neulich die Kontroversen in Belgien und Frankreich über Freiheit und Gnade behandelt haben. Ich bitte, an Euren Bonartes denken zu wollen, damit wir seinen Namen von den in Lüttich oder in Belgien befindlichen englischen Patres erfahren. Der gelehrte und geistvolle Mann verdient fürwahr, dass sein Andenken nicht untergeht. Im Übrigen etc. Aufgegeben in Hannover, 2. Oktober 1708 P. S. Ich erinnere mich, dass an irgendeiner Stelle Euer Francesco di Lana keinem der mittelalterlichen Aristotelesinterpreten vor Thomas von Aquino den Vorzug gibt, und genauso keinem der neueren vor Silvester Mauro. Wer das ist und was er geschrieben hat, würde ich gerne erfahren. Über die Tugenden oder guten Handlungen der Heiden denke ich folgendermaßen. Viele ihrer Handlungen, die nicht auf das höchste Gut gerichtet sind, sind nichtsdestoweniger sozusagen formal gut und unschuldig, jedoch so, dass alle mit der – aber nur virtuellen – Färbung einer gewissen Schuld befleckt sind, ganz in dem Sinn, in dem Ihr einem konsekrierenden Priester eine virtuelle Intention zuschreibt, auch wenn er vielleicht im Augenblick der Konsekration an etwas anderes denkt, und so wie Euer Friedrich Spee in einem sehr schönen Buch einen Weg lehrt, Gott unablässig zu loben: G wenn nämlich ein einziges Mal | ernsthaft die Intention des Gemüts fest darauf gerichtet wird, dass wir beschließen, in Hinkunft alles, oder auch manches besonders darin Festgelegte, zum Ruhm Gottes auszuführen, und sozusagen diese offene Bezeugung bei Gelegenheit mit entsprechender Gemütsfestigkeit mehrmals ausdrücklich wiederholt wird. Freilich wird die Handlung irgendeines alten heidnischen Philosophen oder Heroen so gut sein können, dass all das, was formal darin enthalten ist, ohne jegliche Schuld in dem frommsten christlichen Menschen sein kann. Aber es wird das Virtuelle, oder wenn Sie lieber wollen Intentionale und Anrechenbare fehlen, da der Heide nicht zuvor seine Intention auf das höchste Gut gerichtet und beschlossen hat, das Übrige darauf zu beziehen,
2. 10. 1708
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der wahre Christ es dagegen getan hat. Wie daher dort die virtuelle Intention gewisse Handlungen nahe legt oder wirksam macht, so befleckt hier die Vorenthaltung der geschuldeten Absicht die Handlungen und macht sie tadelnswert. Wie groß jedoch dieser Grad an Schuld oder zumindest Unvollkommenheit ist, muss aufgrund des Grades der Bosheit oder Schuld und der Überwindbarkeit des Irrtums oder der Unwissenheit beurteilt werden. Inwiefern er dann eine Strafe verdient, ist dem göttlichen Urteil zu überlassen. Das habe ich hinzugefügt, weil ich die Absendung des bereits geschriebenen Briefes verschoben habe, als ich durch Herrn Behrens von Ihrer Abreise erfuhr; ihm übergebe ich ihn und überlasse es seinem Urteil, ob er ihn bis zu Ihrer Rückkehr aufbewahrt oder meint, ihn an Sie senden zu müssen.
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28. 11. 1708 G XLVII.
Auf der Rückreise nach Hildesheim fuhr ich über Hannover, um Sie zu treffen, wurde aber enttäuscht, als ich merkte, dass Sie abwesend seien. Im Übrigen benütze ich die Gelegenheit, die mir der hochverehrte Behrens bietet, Ihren überaus willkommenen Brief zu beantworten, den ich in Belgien erhielt. Ich mache den Anfang mit dem Autor der Übereinstimmung der Wissenschaft mit dem Glauben (Consensus Scientiae cum fide) ; es ist Thomas Barton, der sich hinter dem Anagramm Thomas Bonartes versteckt, wie mich P. Edward Slaughter, Professor der Theologie an unserem anglikanischen Kolleg in Lüttich, wissen ließ, von dem ich auch das Folgende über dessen Schicksal erfuhr. Thomas Barton, ein Engländer, war ein Zögling unserer Gesellschaft, und zwar am Kolleg, das bei den Eburonen ist. Als unser Generalvorsitzender (wenn ich nicht irre Johannes Paulus Oliva)
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47. Des Bosses an Leibniz
erfahren hatte, dass er zu paradoxen und der katholischen Lehre fernstehenden Meinungen neigte und vielleicht schon an die ÖfG fentlichkeit getreten war, | zeigte er den Menschen beim Tribunal der heiligen Inquisition an und hatte ihn bereits nach Italien gelockt; doch als Barton bemerkte, was vor sich ging, floh er verkleidet heimlich nach Irland, wo er schließlich von Talbot, dem katholischen Bischof jener Region, der selber einst auch Jesuit gewesen war, belehrt wurde, richtiger zu denken, und schließlich reumütig starb: worauf zuletzt die Worte Aylworths verwiesen, die ich andernorts erwähnt habe. Ich komme zu den Übrigen, von denen Sie Kenntnis begehren. Antonio Perez (es gibt nämlich noch mehr Autoren dieses Namens), der wegen seiner Geistesschärfe den Beinamen bewundernswerter Theologe erworben hat, hat zu Lebzeiten nur die »Theologischen Schlussfolgerungen über den dreifaltigen und einen Gott (Conclusiones theologicae de Deo trino et uno)« veröffentlicht, zu Rom in Folio. Bei seinem Tod hinterließ er druckfertige, zumeist theologische Materialien, von denen postum erschienen: Fünf Abhandlungen zum ersten Teil des hl. Thomas (Tractatus quinque in primam partem S. Thomae), Rom, in Folio, 1656; Über Gerechtigkeit, Recht, Wiedergutmachung und Reue (De Justitia et jure et restitutione ac Poenitentia), Folioband 1650; Sechs Abhandlungen zum zweiten und dritten Teil des hl. Thomas (Sex tractatus in 2dam et 3am partem S. Thomae), Lyon 1669, Folio. Martin de Esparza Artieda, ein Schüler von Perez, brachte neben anderen Büchern, die nicht in unseren Besitz gelangten, den Theologiekurs in zehn Bänden (Cursus Theologicus) – unter Umgehung Roms – heraus; er [erschien] später in zwei zu einem zusammengefassten Bänden mit einer Ergänzung 1666 in Lyon, in Folio. Dieser Kurs wurde nach dem Tod des Autors vor einigen Jahren in Prag nachgedruckt und ist nun zu einem recht mäßigen Preis im agrippinischen Köln käuflich zu erwerben. Sforza Pallavicino, zuerst ein Kollege von Perez, dann von Esparza auf dem römischen Theologielehrstuhl, dann Kardinal, veröffentlichte – neben einer Geschichte des Tridentinischen Konzils, die
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er der soaveschen entgegensetzte und die mehrmals in Rom, 1672 aber auch in lateinischer Übersetzung von unserem Giattini in drei Quart-Bänden in Antwerpen erschien, und neben anderen kleinen Werken, die sich nicht mit Philosophie oder Theologie befassen – auf Italienisch 4 Bücher Über das Gute, Rom 1644, ein Werk, das auf Lateinisch 1646 in Köln unter dem Titel Moralphilosophie (Philosophia moralis) herauskam und überall käuflich zu erwerben ist. In diesem Buch, dessen italienische Ausgabe ich besitze, rührt er an viele von Bayle aufgeworfene Schwierigkeiten, namentlich bezüglich des Manichäismus. Er publizierte außerdem vor seinem Eintritt in die Gesellschaft Erklärungen über die gesamte Philosophie, verteidigt von ihm selbst am Collegium Romanum (Asserta de universa Philosophia defensa a se in Collegio Romano), Rom 1625 in Folio, zusammengestellt von seinem Professor P. Vincenzo Aranea. Ebenso Neun Bücher über die gesamte Theologie, nach dem theologischen Lorbeer öffentlich von ihm verteidigt (De Universa Theologia post Theologicam lauream publice a se asserta libros novem), Rom 1628 Folio. Nach dem Eintritt in die Gesellschaft gab er Acht Bücher theologische Erklärungen (Assertionum Theologicarum libros 8) heraus, verteilt auf 5 Bände, | Rom 1649, und drei Folgebände im Duodez; G schließlich Ein Band zur zweiten der zweiten des hl. Thomas (In secundam secundae S. Thomae tomum unum), Lyon 1653. Silvester Mauro, der ebenso wie die vorigen auch selbst viele Jahre in Rom Theologie lehrte und dort vor ungefähr 12 Jahren verschied, veröffentlichte fünf Bücher Philosophische Fragen (Quaestiones Philosophicae) in ebenso vielen Bänden, Rom 1658, und wiederum mit einem Zusatz ebenda 1670. Er brachte auch um das Jahr 1680 einen Theologiekurs (Cursus Theologicus) in drei Bänden Folio heraus. Diese beiden Werke habe ich angesehen und durchgearbeitet. Doch konnte ich bisher, obgleich sorgfältig recherchiert, seine Paraphrase zu sämtlichen Werken des Aristoteles (Paraphrasis in omnia Aristotelis opera), bestehend aus sechs Bänden in Quart und zu Rom 1668 veröffentlicht, nicht erhalten; diese Paraphrase wird nicht bloß von Francesco Lana, sondern von allen italienischen Schriftstellern, die dieses Werk erwähnen, nachdrücklich empfohlen, so als
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47. Des Bosses an Leibniz
ob sie Aristoteles aus dem Dunkel, in das er sich selbst gehüllt hatte, ans offene Licht befördert hätte, und gewiss ist er, soviel ich seinen anderen Werken, die ich gesehen habe, entnehme, erstaunlich scharfsinnig in der Untersuchung und angemessenen Erklärung des Denkens zweier Fürsten der Schule, Aristoteles’, wie gesagt, und des hl. Thomas, sodass man bedauern muss, dass ein so nützliches Werk in dieser Gegend fast unbekannt ist. Von Ignaz Derken liegt nichts als etwa die Abhandlung über den einen, dreifaltigen und Schöpfergott (Tractatus de Deo Uno, Trino et Creatore) vor, die Sie erwähnen, die insofern etwas Außerordentliches enthält – und in diesem Sinn wird sie von dem bedeutenden Mathematiker André Tacquet gerühmt – , als er darin an seinem eigenen Beispiel bewiesen hat, dass die Geometrie mit Nutzen in den Dienst der Theologie gestellt werden kann. Und vor allem verdient gelesen zu werden, was er auf Seite 49 über die Unmöglichkeit einer aktual unendlichen Menge erörtert, um die Existenz Gottes zu beweisen. Eben das hatte ich Ihnen einst vorlegen wollen, wenn Sie nicht mit der allgemeinen Antwort, die Sie gaben, meine Pflanze im Keim erstickt hätten. Als ich in Lüttich gelegentlich der Werke Bayles, von denen die Rede war, Ihre Anmerkungen erwähnte, mit denen Sie die von ihm aufgestellten Schwierigkeiten lösen, wollte Johannes Franz Bronckart, ein Drucker jener Stadt, Ihnen durch mich seine Arbeit und die eleganten Drucktypen, die er besitzt, anbieten, um jenes zu drucken; ich würde gerne wissen, was Sie davon halten und ob ich jene [Anmerkungen] – was ich so sehr wünsche, dass ich sterben könnte – irgendwann sehen kann; lassen Sie mir wenigstens das zukommen, was Sie Tolomei übermitteln wollen, wenn Sie das andere ablehnen. Um etwas zu Ihrer Ansicht über die Tugenden und Handlungen der Heiden zu sagen: Wenn Sie behaupten, dass viele ihrer Handlungen, die sich nicht auf das höchste Gut richten, nichtsdestoweniger sozusagen formal gut und unschuldig sind, jedoch so, dass alle die Färbung einer gewissen Schuld haben, aber nur auf virtuelle Weise G | befleckt sind, was Sie mit dem Beispiel der virtuellen Intention, die
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einem konsekrierenden Priester von unseren Theologen gewöhnlich zugesprochen wird, höchst passend erhellen: gebe ich Ihnen zu, dass es meistens so ist, aber nicht immer. Denn, um dieses Beispiel zu bringen, so wie eine gute virtuelle Intention, wenn sie nicht oft aktual wiederholt wird, schließlich selbst erlischt und aufhört, die folgenden Handlungen zu beeinflussen und sie gut zu machen: was wird verbieten, dass die böse Absicht eines Heiden, weil sie nicht aktual wiederholt worden ist, im Lauf der Zeit genauso nachlässt, sodass die ihr folgenden Handlungen nicht beschmutzt werden – auch nicht virtuell? In diesem Fall hätten wir tatsächlich Taten von Ungläubigen, die gegen jede Schuldfärbung, sogar eine virtuelle, immun sind, was durchaus erforderlich ist, damit die Handlungen den Ungläubigen nicht als Schuld angerechnet werden, denn jene Virtualität muss in beide Richtungen (des Verdienstes und der Schuldigkeit) gelten. Aber angenommen, alle Handlungen der Ungläubigen, die sich nicht auf das höchste Gut richten, [sind] mit jener bösen virtuellen Farbe durchtränkt, dann ist noch nicht beschlossen, dass alle Handlungen der Ungläubigen schlecht und formal oder virtuell sündig sind, wenn man die universale Gnade zugesteht, wie ich glaube dass Sie sie zugestehen. Denn wer möchte schon sagen, dass so viele Hilfsmittel dieser Gnade, die so vielen gewährt wurden, immer wirkungslos waren, selbst wenn sie sie nicht zu einem durch und durch vollkommenen Glauben geführt haben. Diese universale Gnade hat aber nun, wie Nicole behauptet, Jansen geleugnet. Ich bin sicher, dass Salerni, da er sich in Dresden aufhält, sich bereits an Sie gewandt hat. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Hildesheim, 28. November 1708
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2. 2. 1709 G XLVIII nach D·6 XX.
Es freut mich, dass Sie gesund heimgekehrt sind; danke auch dafür, dass Sie die Geschichte von Bonartes oder Bartonus Anglus, dem einstigen Schriftsteller Eures Ordens, aufgespürt und mir mitgeteilt haben. Auch mit den Arbeiten von Perez, Esparza, Sforza Pallavicino, Silvester Mauro – Männer, die unter den Euren herausragen – bekannt geworden zu sein, war mir sehr willkommen. Einen Teil der Bücher, die Sie erwähnen, habe ich irgendwann einmal gesehen, darunter auch Derkens Buch über Gott. Danke, dass Sie mir einen Buchhändler als Verleger zu besorgen suchen. Ich erinnere mich an den Anblick von Lütticher Drucken, und sie gefallen mir sehr gut; auch der Verleger missfällt nicht. Als einzige Bedingung verlange ich, dass er mir mindestens je hundert Exemplare schickt; denn ich bin immer wieder gezwungen, eine große Anzahl unter Freunden zu verteilen und will nicht zu oft das eigene Werk zurückkaufen. Ihnen teile ich nicht nur gerne alles DerG artige mit, | sondern ich ziehe auch Nutzen aus Ihrem Urteil; mir missfällt auch nicht, was Sie über die Befleckung der von Ungläubigen vollzogenen Tugendhandlungen feststellen: Auch ich bin in dieser Sache viel eher der menschlicheren Seite zugeneigt. Heute schrieb ich an den Ew. P. Vota, den Beichtvater von König August (den ich neulich in Leipzig getroffen habe), und fragte nach dem Ew. P. Salerni, den Sie erwähnen. Zwei Briefe erhielt ich von dem verehrten Herrn Behrens, beide allerdings alt, genau wie der Ihre: Es war jedoch nicht möglich, früher zu antworten, weil ich die ganze Masse der für mich bestimmten Briefe erst erhielt, als ich hier ankam. Ich werde ihm mit der nächsten Post antworten; unterdessen bitte ich, ihm den gefälligsten Gruß von mir auszurichten. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Berlin, 2. Februar 1709
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14. 2. 1709 G XLIX.
Sofort nachdem ich Ihren dringend erwarteten Brief erhielt, schrieb ich an den bekannten Lütticher Drucker, der die von Ihnen unterbreitete Bedingung sicher nicht ausschlagen wird, wenn er gescheit ist und ernsthaft seinen Vorteil verfolgt. Daher erwarte ich jetzt seine Antwort, die ich sofort nach Eintreffen an Sie weiterleite; ich hielt es für nötig, Ihnen dies vorläufig anzuzeigen, um Sie nicht im Unklaren zu lassen. Damit die Seite nicht leer bleibt, füge ich ein philosophisches Bedenken hinzu, das beim Wiederlesen eines Briefes auftauchte, den Sie mir einst geschrieben haben. Nach Ihnen wird keine Entelechie zerstört, und jede hat eine eigene und unabtrennbare erste Materie. Die gesamte Materie wurde aber gleich am Anfang der Welt geschaffen, daher war es notwendig, dass auch alle Entelechien gleich am Anfang mit der Materie zusammen erschaffen worden sind, was man von den Seelen der Menschen nicht sagen kann, erst recht nicht von den vielen anderen Entelechien, die – wie Sie in Ihrer Abhandlung gegen Sturm behaupten – als Wirkung des göttlichen Segens erst am vierten oder fünften Tag der Schöpfung produziert wurden. Man kann offenbar auch nicht sagen, dass die erste Materie zuvor geschaffen worden ist und später, zu einem entsprechenden Zeitpunkt, eine menschliche Seele oder eine Entelechie, die nicht in dieser Weise von Anfang an erschaffen ist, empfängt. Denn bevor die menschliche Seele erschaffen würde, war jedenfalls ihre Materie da, die ihr später eigentümlich sein sollte, und diese hatte eine Entelechie, denn ohne Prinzip der Einheit konnte sie nicht existieren; also behält die erste Materie, nachdem die Seele geschaffen war, entweder die frühere [Entelechie] oder nicht; wenn sie sie nicht behält, wird die frühere zerstört; wenn sie sie behält, dann wird die erste Materie bereits zwei | Entelechien besitzen, die ihr adäquat sind, und wird so G der menschlichen Seele eigentümlich sein und nicht eigentümlich
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50. Leibniz an Des Bosses
sein usw. Ich spreche immer von der ersten Materie – τῷ δυναμιϰῷ πρώτῳ παθητιϰῷ, πρώτῳ ὑποϰειμένῳ [der ersten passiven Potenz, dem ersten Zugrundeliegenden]. Herr Behrens trägt mir auf, von ihm persönlich die besten Grüße auszurichten. Ich sende diesen Brief über Braunschweig, wenn Sie einen günstigeren Weg kennen, nennen Sie ihn bitte. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Hildesheim, 14. Februar 1709 P. S. Dass der Ew. Pater Salerni bereits nach Rom zurückgekehrt ist, nachdem er König August, den er aufsuchen wollte, nicht in Sachsen angetroffen hatte, werden Sie bereits gehört haben.
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16. 3. 1709 G L /D·2, 283 (E 11, S). D
¦ Hochwürdiger Pater, verehrtester Gönner! ¦ Vor wenigen Tagen nach Hause zurückgekehrt, wollte ich die Antwort auf Ihren sehr ehrenvollen Brief nicht aufschieben. Ich schulde Ihnen wirklich viel, weil Sie sich um meine Sachen so bemühen und mit dem Lütticher Drucker verhandeln wollten. Was Ihre, wahrhaft subtilen und Ihrer würdigen, Zweifel betrifft, glaube ich, dass Entelechien nicht natürlich entstehen können und daher entweder am Anfang der Dinge erschaffen wurden oder später erschaffen werden. Es kann durchaus eine neue Entelechie erschaffen werden auch dann, wenn kein neuer Teil der Masse erschaffen wird, weil die Masse auch dann, wenn sie schon überall Einheiten hat, doch immer neue aufnimmt, die eine Vielzahl von anderen beherrschen. Man stelle sich z. B. vor, Gott mache aus einer im Ganzen unorganischen Masse, z. B. einem rohen Felsen, einen organischen Körper und statte ihn mit einer eigenen Seele aus: Es gibt
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nämlich so viele Entelechien wie organische Körper. Im Übrigen wird eine eigene erste Materie, d. h. ursprüngliche passive Potenz, die von der aktiven unabtrennbar ist, mit der Entelechie (welche sie vervollständigt, sodass sie eine Monade oder vollständige Substanz bildet) mit erschaffen. Doch diese vergrößert die Masse, oder das aus Monaden resultierende Phänomen, nicht – nicht mehr als ein Punkt eine Linie. Leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover 16. März 1709 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦
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22. 4. 1709 G LI.
[… … … G*] In Bezug darauf, was Sie meinem neulichen Zweifel entgegneten, ist noch ein | Bedenken übrig, dem ich nicht abhelfen kann. Sie schei- G nen zu glauben, dass die Seelen der Tiere nicht gleich von Anfang an erschaffen wurden, sondern erst dann, als Gott Lebewesen erzeugte und ihnen seinen Segen zuteil werden ließ. Daher durfte auch die den einzelnen Seelen eigene erste Materie nicht früher erschaffen werden, die nämlich von ihnen unabtrennbar ist. Nun gibt es aber unendliche erschaffene Tierseelen, also war auch die den Tierseelen eigene unendliche Materie mitgeschaffen; ich frage nun: Wenn diese unendliche Materie zu einem einzigen Haufen geballt wird – wird sie eine Masse₄₈ ausmachen oder nicht? Wenn ja, wird sie also auch eine verstreute Masse ausmachen: wenn sie keine angehäufte Masse ausmacht, wie ist dann wahr, was Sie mich sonst leh₄₈ Anders als zuvor Leibniz (massa) verwendet Des Bosses in diesem Brief den lat. Terminus »moles«.
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52. Leibniz an Des Bosses
ren, dass allein aus der Lage der Teile die Masse oder Ausdehnung der Materie entsteht? Wir haben vernommen, dass der Papst nach Anhörung von Pater Provanas Bericht über die chinesischen Angelegenheiten sich nichtsdestoweniger für das Dekret Tournons ausgesprochen hat, jedoch wissen wir noch nicht, ob er erklärt, dass die chinesischen Riten absolut abergläubisch seien, oder ob er sie nur verbietet, sofern sie zumindest den Anschein des Aberglaubens haben. Leben Sie wohl etc. Hildesheim, 22. April 1709 * Bezieht sich auf den Typographus Leodiensis.
G
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24. 4. 1709 G LII / D·2, 284 ff. (E 12: »30. 4.«, S / F XVI, W 6). Auszug in Des Bosses: Clavis Lycaei (Anhang 9). D
¦ Hochwürdiger Pater, verehrtester Gönner! ¦ Zwei Eigenschaften gibt es bei den Buchhändlern, die sie meistens unzuverlässig machen: zum einen Gewinnsucht, zum anderen Unkenntnis. So wissen sie nicht, was sie auswählen sollen. Auch haben sie nicht genug Vertrauen zu den Gelehrten, weil sie glauben, dass diese mehr von der Gelehrsamkeit als vom Geschäft verstehen. Neulich habe ich mich bemüht, eine Abhandlung zu veröffentlichen, die ich zu der Zeit verfasste, als ich die Geschichte des neunten Jahrhunderts untersuchte und mich mit chronologischen Fragen beschäftigte. Als Titel gab ich ihr: Streublumen auf das Grab der Päpstin Johanna, wobei ich die Fabel von der Päpstin teils mit neuen Argumenten, teils an Hand alter Zeugnisse überprüfe, die oft dunkle Chronologie dieser Zeit in ein helles Licht setze und auf die neuesten Lösungsvorschläge von Frederik Spanheim, dem Leidener Theologen, die in einem besonderen, vor ein paar Jahren in den
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Niederlanden erschienenen Buch enthalten sind, antworte. Manches noch Unbeachtete streue ich ein; denn auch ein der Päpstin zugeschriebenes, und zwar noch unpubliziertes Buch über Magie habe ich entdeckt, und anderes, das der Neugier des Lesers nicht unwürdig ist, aus den Manuskripten aufgestöbert. Dieses Buch würde vielleicht Eurem Lütticher Drucker besser gefallen, aber ich würde gerne beide zusammen in Auftrag geben, das lateinische über die Päpstin ebenso wie das französische gegen Bayle. | Nun komme ich zur philosophischen Frage. Ob die Seelen G der Tiere erst am vierten Tag erschaffen worden sind, bestimme ich nicht definitiv: Zumindest zahllose Entelechien müssen gleich von Anbeginn erschaffen gewesen sein. Aber ich wollte nur erklären, wie neue Seelen existieren können, auch wenn kein neuer Teil der Materie erschaffen werden sollte. Und das, wenn ich nicht irre, hat der letzte Brief erwiesen. Unter Materie aber verstehe ich hier die Masse oder zweite Materie, da es Ausdehnung und Widerstand gibt. Ich erinnere mich auch nicht (wenn ich die Materie in diesem Sinn nehme), irgendeiner Seele eine eigene Materie zugeschrieben zu haben; letztlich enthält jeder Teil eines organischen Körpers andere Entelechien. Freilich ist es wahr, dass eine Seele nicht von einem organischen Körper in einen anderen übergeht, sondern immer in demselben organischen Körper bleibt; nicht einmal der Tod bezwingt dieses Gesetz. Aber man muss bedenken: Dieser organische Körper selber bleibt immer derselbe, wie das Schiff des Theseus, oder wie ein Fluss, d. h. er ist in dauernder Fließbewegung, und es kann vielleicht kein Stück Materie angegeben werden, das demselben Lebewesen oder derselben Seele immer eigentümlich bleibt. Wenn Sie die Sache genauer betrachten, werden Sie vielleicht versucht sein zu sagen, dass für die Seele wenigstens ein bestimmter Punkt angegeben werden kann. Doch ein Punkt ist kein bestimmter Teil der Materie, und unendliche₄₉, zu einem zusammengefasste Punkte ergäben keine Ausdehnung. Das beweise ich so. ₄₉ Die Passage ab »Unendliche, zu einem zusammengefasste Punk-
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52. Leibniz an Des Bosses
Man nehme ein Dreieck ABC, dessen Seite AC in D halbiert wird, und AD in E, und AE in F, und AF in G, usw. Man setze, dass das ins Unendliche geschehen ist; wir haben₅₀ unendliche Dreiecke BCE, BDE, BEF, BFG, C etc. Jedes beliebige von ihnen E D (dadurch, dass ihnen Plastizität gegeben wird,₅₁ sodass sie Körper werden, oder dass man von Anfang an ein dickes Dreieck, d. h. eine Pyramide nimmt) kann abgesondert existieren. Somit wird jedes einzelne seine eigene₅₂ Spitze haben. Stellen Sie sich schließlich vor, dass alle miteinander zusammengesetzt werden, sodass eine Pyramide oder ein ganzes Dreieck ABC entsteht, dann ist klar, dass alle jene unendlichen auf diese Art zusammengesetzten Spitzen₅₃ nur eine einzige gemeinsame Spitze B ausmachen. Wenn Sie nun keine unendlichen Dreiecke verwenden wollen, dann sehen Sie zumindest₅₄, dass dies generell von Dreiecken gilt, wie viele es auch seien. Ausdehnung entsteht zwar aus der Lage, fügt aber zur Lage die Kontinuität hinzu. Punkte haben eine B
A
G F
te …« bis »… keine Teile, sondern Begrenzungen« (»Nec infinita puncta in unum collecta …« bis »… non partes nempe, sed terminationes«) zitiert Des Bosses in »Clavis Lycaei« (vgl. Anhang 9, S. 453 f., auch zur modifizierten Grafik). Die meist geringen Textvariationen sind im Folgenden angegeben. ₅₀ Lat. »factum esse in infinitum, habemus«. DB Clavis C·586: »… infinitum. Habebimus …« (»wir werden haben«). ₅₁ Im Lat. folgt auf »crassitiem« (Dicke, Plastizität) », ut«. DB Clavis C·586: kein Komma. ₅₂ Lat. »unumquodque suum habebit proprium apicem«. In DB Clavis C·586 umgestellt, ohne »proprium« (»eigene«): »… unumquodque habebit suum apicem.« ₅₃ Lat. »omnes illos apices …«. DB Clavis C·586: »omnes apices illos …«. ₅₄ Lat. »saltem vides hoc«; DB Clavis C·587: »saltem hoc vides«.
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Lage, sie haben keine Kontinuität und₅₅ setzen sie nicht zusammen, noch können sie von selbst bestehen. Also hindert nichts,₅₆ dass unendliche Punkte kontinuierlich entstehen und vergehen (oder wenigstens zusammenfallen oder außer einander gesetzt werden)₅₇ ohne Vergrößerung oder Verminderung der Materie und der Ausdehnung, da sie nur deren Modifikationen sind, und zwar keine Teile, sondern Begrenzungen. Indessen halte ich es nicht für passend, dass wir die Seelen als an Punkten [befindlich] betrachten. | Vielleicht würde jemand sagen, dass sie nur durch Operationen G lokalisiert sind, nämlich gemäß dem alten System des Einflusses gesprochen, oder besser (gemäß dem neuen System der prästabilierten Harmonie), dass sie lokalisiert sind durch Entsprechung und somit im ganzen organischen Körper sind, den sie beseelen. Ich leugne indessen nicht eine gewisse reale metaphysische Vereinigung von Seele und organischem Körper (wie ich auch Tournemine geantwortet habe), der zufolge man sagen kann, dass die Seele wirklich im Körper sei. Aber da diese Sache nicht aus den Phänomenen erklärt werden kann und in diesen sich nichts verändert, kann ich somit nicht deutlicher erklären, worin sie formal besteht. Es reicht, wenn sie an eine Entsprechung gebunden ist. Sie sehen jedoch, dass ich hier noch nicht von der Vereinigung der Entelechie bzw. des aktiven Prinzips mit der ersten Materie oder passiven Potenz spreche, sondern von der Vereinigung der Seele, d. h. der Monade selbst (die aus beiden Prinzipien entspringt) mit einer Masse oder mit anderen Monaden. Aber, werden Sie einwenden, was werden wir von der einer Seele eigentümlichen ersten Materie selbst sagen? Ich antworte: Sie wird jedenfalls zusammen mit der Seele erschaffen, d. i. die Monade wird ₅₅ Lat. »… non habent nec«; DB Clavis C·587: »… non habent, nec«. ₅₆ Lat. »nihil impedit, …«; DB Clavis C·587: kein Komma. ₅₇ DB Clavis C·587: keine Klammern; für beide »oder« steht »vel«, hier bei GP dagegen »vel« … »aut«, was die paarige Artikulation: hier zusammenfallen / außer einander gesetzt sein, dort entstehen / vergehen, unterstreicht.
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52. Leibniz an Des Bosses
als ganze erschaffen. Wird demnach so die erste Materie vermehrt oder vermindert? Ja, sage ich, weil sie nur ursprüngliche passive Potenz ist. Also, werden Sie sagen, wird auch die Masse vergrößert. Ich räume ein, dass zwar die Anzahl der Monaden vermehrt wird, deren Resultat jedenfalls Masse ist, aber nicht die Ausdehnung und der Widerstand, oder die Phänomene – nicht mehr, als wenn neue Punkte entstehen. Gott könnte unendliche neue Monaden erschaffen ohne Vergrößerung der Masse, wenn er für den organischen Körper einer neuen Monade nur alte Monaden verwenden würde. Die Masse ist ein reales Phänomen, aber in den Phänomenen (ausgenommen jene, die der neuen Monade selbst ja auf neue Art erscheinen) ändert sich aufgrund der Entstehung einer neuen Monade nichts, höchstens durch ein Wunder. Denn man muss annehmen, dass die alten Monaden schon von Anfang an von Gott so geordnet worden waren, als er sie schuf, dass ihre Phänomene einer einst noch zu schaffenden Monade entsprechen würden, wenn wir nicht wollen, dass Gott alle übrigen Monaden durch ein Wunder verändert, wenn er eine neue schafft, sodass er jene der neuen anpasst, was wenig wahrscheinlich ist. Im Übrigen läuft das alles darauf hinaus, dass es möglich ist, dass Gott neue Monaden kreiert. Aber dennoch bestimme ich nicht definitiv, dass von Gott neue Monaden geschaffen werden. Im Grunde würde ich meinen, dass das Gegenteil verteidigt werden kann und wahrscheinlicher ist, also die Präexistenz der Monaden. Und anstelle der absoluten Erschaffung einer vernünftigen Seele könnte die Umschaffung einer nichtvernünftigen in eine vernünftige Seele verteidigt werden, was durch einen mittels Wunder hinzugefügten essentiellen Grad an Perfektion geschieht. Das verteidige ich auch in der anti-bayleschen Abhandlung, da es mir wahrscheinlicher schien als eine gänzliche Erschaffung und wahrer als die Fortpflanzung₅₈.
₅₈ Lat. »traduce«. »Tradux« bedeutet – vgl. an anderen Stellen – auch Vererbung, Abstammung oder Sprössling.
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| Mich würde es wundern, wenn die Römische Kurie über die G noch nicht ausreichend untersuchten chinesischen Angelegenheiten unter Gefahr für die entstehende Kirche Stellungnahmen abgibt. Ich möchte wissen, ob es wahr ist, dass Kardinal Tournon von den Portugiesen in der Stadt Macao festgehalten worden war und ob mit P. Provana ein Gesandter des chinesischen Monarchen gekommen ist, wie es Nachrichten im Volk berichten. Man stelle sich vor, dass viele Chinesen tatsächlich Götzenanbeter oder sogar Atheisten sind: Es genügt, mit der dortigen öffentlichen Autorität den Riten einen anderen Sinn zuzuschreiben; mit dieser Maßnahme wird sogar ein Weg eröffnet, sie selber, auch wenn sie im Privaten irren, von den Irrtümern zu befreien. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 24.G* April 1709 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦ *) Dieser Brief ist in Leibn. op. omn. ed. Dutens tom. II datirt: 30. April. 1709. G
[G:] In dem vorhandenen Entwurf hatte Leibniz folgendes P. S. hinzugefügt, das in der Abschrift des Briefes wahrscheinlich ausgelassen wurde.
P. S. [Entwurf]. Vor vielen Jahren, als meine Philosophie noch nicht ganz ausgereift war, lokalisierte ich die Seele an Punkten und glaubte so die Vervielfältigung der Seelen durch Fortpflanzung [von Sprösslingen] erklären zu können, da aus einem einzigen Punkt viele werden können, wie aus der Spitze eines einzigen Dreiecks durch Teilung die Spitzen mehrerer Dreiecke werden können. Aber bedachter geworden, erkannte ich, dass wir so nicht nur in zahllose Schwierigkeiten verwickelt werden, sondern dass hier auch sozusagen eine μετάβασιϚ εἰϚ ἄλλο γένοϚ stattfindet. Weiters, dass den Seelen nichts zugeschrieben werden kann, was Ausdehnung besitzt, und dass ihre Einheit oder Vielheit nicht aus dem Prädikament Quantität, sondern aus dem Prädikament Substanz
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53. Des Bosses an Leibniz
genommen werden muss, d. h. nicht aus Punkten, sondern aus der ursprünglichen Kraft des Handelns. Die der Seele eigentümliche Operation aber ist die Perzeption, und die Einheit des Perzipierenden bewirkt der Zusammenhang der Perzeptionen, dem gemäß die nachfolgenden sich aus den vorhergehenden ableiten.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
17. 5. 1709 G LIII.
[… … … G] Pater Tournemine, mit dem ich die lange gesuchte günstigste Gelegenheit zur Einrichtung eines steten Briefverkehrs erst jetzt, wie ich glaube, gefunden habe, werde ich über beide Werke benachrichtigen und seinen zweifellos erheblichen Dank erwerben. Ich sende mit dem Ausdruck größter Dankbarkeit die »Physikalischen Vermutungen« von Hartsoeker zurück, von deren im Druck G erschienenen Fortsetzung ich neulich aus dem Leipziger | Journal erfahren habe; auch Thomas Bonartes, in den ich ab und zu hineinsehe, werde ich in Kürze zurückschicken. [… … … G] Zu dem, was Sie in Ihrem letzten Brief über die Seelen und einfachen Substanzen sowie deren Ausdehnung erörtert haben, ist mir noch einiges eingefallen, das ich auf ein anderes Mal verschieben muss, da es der Unsrige, der dies hier nach Hannover bringt, eilig hat. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Hildesheim, 17. Mai 1709
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
9. 7. 1709 G LIV nach D·6 XXI.
Vor mehreren Wochen habe ich meiner Erinnerung nach ein Antwortschreiben an Sie geschickt, in dem ich versuchte, einigen philosophischen Schwierigkeiten Genüge zu tun. Dass es überbracht wurde, bezweifle ich nicht; ob es befriedigt, wenigstens teilweise, würde ich gerne wissen. Vom Ew. P. Vota, dem Beichtvater S. Majestät König Augusts, erhielt ich einen Brief, in dem er sich Hoffnung macht, dass P. Krokane nach Deutschland kommen wird; ich glaube, dass er den Weg durch Russland nach China versucht, nach dem Beispiel von Grimaldi und Avril, sich ihnen aber nicht angeschlossen hat: Jetzt wird er durch die Gunst von König August so viel Einfluss haben, dass ihm vom Autokraten der Russen Gehör geschenkt wird. Vom Ew. P. Janninck erhielt ich einen Brief, den ich jetzt beantworte, und ich bitte Sie, mit gewohnter Gunst das hier inkludierte Antwortschreiben überbringen zu lassen. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 9. Juli 1709
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
30. 7. 1709 G LV.
Zu Pfingsten gab ich einem der Unsrigen, der nach Hannover wollte, einen Brief an Sie mit; beigefügt waren die »Vermutungen« Hartsoekers, für deren Ausleihung ich noch einmal gebührend danke. Gleich danach erhielt ich von Ihnen den »Fall Quesnel« und den
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55. Des Bosses an Leibniz
»Gerberon-Prozess« zurückgeschickt. Kurz darauf sah ich, dank Ihrer Vermittlung, den hochberühmten Hartsoeker persönlich. Nachdem er mir Ihren Gruß bestellt hatte, begann er sich zu erkundigen, was ich denn von den Vermutungen – er hatte erfahren, dass sie mir von Ihnen gegeben wurden – hielte. Ich ahnte, worum es | G ging (denn anfänglich verschwieg er seinen Namen) und antwortete: Durch die zwei Elemente, welche von der gewöhnlichen Philosophie womöglich nicht leicht zu Fall gebracht würden, scheine vieles geistreich erklärt zu sein, aber zu allem könne ich mich nicht äußern – einmal weil ich etwa bei der Lektüre dessen, was er im Allgemeinen behandelt hätte, ins Stocken geraten wäre und das Übrige nur flüchtig angesehen hätte, sodann weil ich die Prinzipien der Physik und Versuche zur Dioptrik, von denen man eine vollständigere Erhellung der »Elemente« schien erwarten zu können, nur in dem in den Pariser Journalen abgedruckten Überblick gesehen hätte; im Übrigen könne dieses System bei Leibniz nicht bestehen. Das Letztere bestritt er auch selbst nicht, sondern setzte hinzu, Hartsoeker werde froh sein, wenn die mir oder anderen bei seinem System begegnenden Schwierigkeiten zur Veröffentlichung an die Leipziger »Acta« geschickt würden, und sie würden auch nicht ohne Antwort bleiben. Mir fiel ein, was von Ihnen gegen die absolute Flüchtigkeit und Härte jener Elemente meiner Erinnerung nach im Pariser Journal eingeworfen wurde, aber ich wollte nicht, dass der vornehme Mann, der dabei war zu den Harzgruben zu eilen, aufgehalten würde. Im Weggehen gestand er, dass er selber Hartsoeker sei. Ich habe an Tolomei von den zwei Arbeiten geschrieben, die Sie für den Druck fertig haben, und auch Ihr sehr weises Urteil über die chinesische Angelegenheit nicht verschwiegen, das letztlich einen gebührenden Platz einnehmen wird, wie ich glaube. Unterdessen haben wir nämlich erfahren, dass die Dinge jetzt einigermaßen anders aussehen, nachdem der Papst stattgegeben hat, das Gesuch des Bischofs von Ascalon bezüglich des Dekrets von Tournon anzuhören. Dieser Bischof aus der Augustinergemeinschaft ist irgendwo in China Vikar, er tritt für die Riten ein. Als Pater Provana einmal
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recht eifrig in eigener Sache gesprochen hat und vom Papst ermahnt wurde, nicht zu hitzig zu werden, erwiderte er ergeben: Heiligster Vater, wer würde sich nicht erhitzen, wenn die Kirche brennt? Und so setzte er die begonnene Rede fort. Dass dies und anderes, Ihnen besser als uns Bekannte, wahr ist, vermute ich aufgrund dessen, was Sie vom Ew. P. Vota vernommen und uns mitgeteilt haben. Der Lütticher Freund, dem ich den Auftrag zum Druck erteilt hatte, hat nur zur Antwort gegeben, dass er die Edition nicht übernehmen wolle, was auch der Grund gewesen sei, warum er es für überflüssig hielt, auf meine beiden Briefe zu antworten. Fürwahr recht unhöflich. Doch derselbe Freund fügte hinzu, wenn man ihm das Manuskript schickt, werde er leicht einen anderen Drucker finden, der die Ausgabe des Werkes übernimmt. Nachdem ich ihm aber über die Exemplare, die Sie anfordern, vorher nichts geschrieben hatte, habe ich ihn in einem weiteren Brief beauftragt, dies zur Bedingung zu machen. Da er sich darüber hinaus absichern möchte, dass in dem zu veröffentlichenden Werk nichts den Dogmen der katholischen Kirche Widersprechendes enthalten wäre, habe ich ihn von dieser Angst zuversichtlich befreit, weil ich keine Zweifel habe, dass Sie meinen Glauben vor Angriffen schonen werden, damit ich für die, wie auch immer beschaffene, geleistete Arbeit von den Unsrigen nicht geprügelt werde, | und in Ihrer Weisheit verstehen Sie, G dass diese Vorsicht auch sonst bei Ihrem Vorhaben notwendig ist. Ich komme nun zu meinen philosophischen Bemerkungen über den Schlussteil Ihres vorletzten Briefes, die ich Sie bitte wohlwollend zu beurteilen. Dass Sie behaupteten, die Seelen der Tiere seien erst am fünften Tag geschaffen worden, entnahm ich Ihrer Abhandlung Über die Natur, gegen Sturm, Nr. 6, wo Sie feststellten, durch das göttliche Mandat: Möge die Erde hervorbringen usw. sei den Dingen eine gewisse Wirksamkeit eingepflanzt worden, eine Form oder Kraft, wie sie unter dem Namen der Natur angenommen zu werden pflegt, aus welcher die Reihen der Phänomene als Effekt des ersten Befehls folgten. Mit diesen letzten unterstrichenen Worten schienen Sie mir nun anzudeuten, dass sich wegen der Entstehung dieser neuen
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55. Des Bosses an Leibniz
Monaden die Phänomene geändert hätten und man sonst sagen müsse, in der Natur wären künftig dieselben Phänomene gewesen, auch wenn es die geschaffenen Seelen der Beseelten niemals gegeben hätte. Woher also nehmen Sie die Gewissheit, dass jene [Seelen] erschaffen gewesen sind? Aus metaphysischen Gründen, werden Sie sagen: das gestehe ich zu; aber aus ihnen allein? Warum? Kann hier die Physik nichts ausrichten? Jene vermögen gar nichts, wenn zur Erklärung der Phänomene, die man sieht, Tierseelen nicht notwendig sind. Notwendig werden sie aber nicht sein, wenn sie keine Veränderung in den Phänomenen einleiten. Gewiss weisen Sie selbst gerade der rationalen Seele die Aufgabe der Form oder Entelechie zu, die jedenfalls als solche nicht weniger eigene Phänomene haben wird als die übrigen Formen oder Entelechien. Ihre Behauptung, die Seele gehe nicht von einem organischen Körper in einen anderen über, sondern bleibe immer in demselben organischen Körper, was nicht einmal der Tod unterbreche; aber der bloße organische Körper bleibe derselbe, wie das Schiff des Theseus oder ein Fluss, wenn nicht ein bestimmter Punkt der Seele bezeichnet werden kann usw., werde ich hinsichtlich der Tierseelen nicht sehr bestreiten; ob ich es allerdings für die menschlichen sicher zugeben kann, weiß ich aber nicht, ich sehe auch nicht wozu. Wenn ich Ihre Umschaffung richtig auffasse, kann die Seele des Menschen, obwohl sie ohne Unterstützung jeglicher Materie wirken kann, nach dem Tod nicht von jeder Materie losgelöst werden – besonders nicht von der ersten, dem ersten Zugrundeliegenden, πρώτῳ ὑποϰειμένῳ. Doch was wird aus der ersten oder eigenen Materie, mit welcher die menschliche Seele eine Monade konstituiert? Ich würde sagen, sie weist genügend Einheit auf durch jene Entelechie selbst, der die menschliche Seele als wesentlicher Vollkommenheitsgrad beigegeben worden war. Wenn nun vor der Einflößung der vernünftigen Seele die erste Materie ohne sie bestehen konnte, warum nicht auch nach ihrem Verlust? Ich sage, dass – wenn ich es recht verstehe – die Umschaffung einer vernunftlosen in eine vernünftige Seele, die Sie behaupten, erfolgen kann durch einen wundersam hinzugefügten wesentlichen Grad an Vollkommenheit, d. h. an Vernünftigkeit.
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Denn Sie werden nicht wollen, meine ich, | dass eine nicht-ver- G nünftige Seele, wenn ein Grad Vernünftigkeit dazukommt, durch die Umschaffung völlig zugrunde geht: sondern dass zur präexistenten und fortbestehenden nicht-vernünftigen Seele nur der Grad hinzukommt, den Sie als den wesentlichen [Grad] der Vollkommenheit, d. i. der Vernünftigkeit bezeichnen; welcher Grad so wenig ein Modus der präexistenten Seele ist, wie die präexistente Seele ein Modus der eigenen Materie oder des organischen Körpers ist, sodass jener Grad für sich genommen die wahre, wirklich und wahrhaftig von der früheren unterschiedene Entelechie ist, die jedoch eben dieselbe eigene erste Materie oder passive Potenz affiziert, ja denselben organischen Körper, die und den die präexistente, nichtvernünftige Seele affiziert hat. Unter dieser Voraussetzung tauchen zwei verschiedene Fragen auf: 1. Warum soll dieser Grad wundersam zusätzlich verliehen werden? Folgt daraus nicht, dass die Fortpflanzung der menschlichen Seelen über Sprösslinge der Natur angemessener und wahrscheinlicher ist? 2. Wie kann ein und dieselbe Materie von zwei adäquaten Entelechien geformt werden? Oder wie können 3. im Menschen zwei Seelen eingeräumt werden, was Akt 10, Kanon 11 der 8. Generalsynode offenbar widerspricht? Diese letzte Schwierigkeit dürfte Ihnen aber tatsächlich mit Gassendi und anderen gemein sein. Auf diese und genauso auf die 2. werden Sie vielleicht antworten, dass die präexistente Seele und jener hinzukommende Grad, wenn auch real verschieden, doch nur eine Seele ausmachen. Aber das bestreite ich: Die präexistente Seele bleibt auch nach der hergestellten Vereinigung mit dem Vollkommenheitsgrad eine wahre Seele, umso mehr wird daher auch der hinzukommende Vollkommenheitsgrad, weil würdiger, wahrhaft Seele sein. Also wird es zwei Seelen geben, zwei dominante oder adäquate Formen, zwei Einheiten. Ich gelange nun zum Hauptpunkt des Streits. In meinem vorigen Brief habe ich betont: Wenn unendliche Monaden erst am fünften Tag geschaffen worden wären, dann wäre der Fall eingetreten, dass entweder aus jenen Zusätzen die Masse – moles seu massa – oder Ausdehnung entstände, oder, wenn sie nicht daraus entstände, die
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55. Des Bosses an Leibniz
Ausdehnung niemals aus den Monaden hervorginge. Sie sagen, die einzelnen Monaden fügen nur einzelne Punkte hinzu, die kein bestimmter Teil der Materie sind, und auch unendliche zu Einem versammelte Punkte ergeben keine Ausdehnung, weil Punkte nur Begrenzungen der Materie sind und daher zwar eine Lage besitzen, nicht ebenso Kontinuität, aber von selbst weder [etwas] zusammensetzen noch bestehen können. Sie stellen klar und, das gebe ich zu, beweisen es auch, dass mathematische Punkte bloß Begrenzungen oder Modifikationen der Materie sind und aus ihnen auch dann keine Ausdehnung entstehen kann, wenn sie unendlich wiederholt werden, und dass sie schließlich Kontinuität weder haben noch zusammensetzen können, und auch nicht von sich aus bestehen können. Aber ich glaube, dass man die Monaden, von denen die Rede war, nicht als bloße Modifikationen oder Begrenzungen der Materie betrachten kann, da sie vielmehr die Prinzipien und Fundamente G der Masse oder Ausdehnung sind, ja | da nach Ihnen die Ausdehnung vielmehr eine Modifikation der Monaden oder Substanzen ist. Aber auch die Monaden besitzen Kontinuität, denn Ausdehnung und kontinuierlicher Zusammenhalt entsteht aus der Wiederholung einer Substanz; oder sagen Sie mir – ich würde es wünschen – : Was fügt die Kontinuität zur Wiederholung der Monaden, die unter ein und derselben beherrschenden Entelechie aneinander liegen, noch hinzu? Monaden setzen auch zusammen, denn in sie als Prinzipien löst sich die ganze Ausdehnung auf; schließlich können Monaden auch durch sich bestehen, denn sie sind Substanzen. Wenn das stimmt, wird die Ausdehnung oder kontinuierliche Quantität, die etwas von der Substanz real Verschiedenes ist, nicht bloß eine Modifikation der Substanz sein, wie ich anderswo argumentiert habe, denn eine Masse enthält nur diejenige Materie, die aus einer Ansammlung von Monaden hervorgeht. Dass der Kapuziner P. Dionysius von Werl, ein gelehrter und mit Ihnen befreundeter Mann, vor einigen Monaten gestorben ist, werden Sie erfahren haben. Im Übrigen leben Sie wohl und geben Sie Bescheid, wenn Sie etwas möchten. Aufgegeben in Hildesheim, 30. Juli 1709
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P. S. Ihren Brief an P. Janninck habe ich nach Antwerpen gehen lassen. Nach Fertigstellung dieses Briefes erhalte ich einen Brief von Tolomei, in dem er Sie persönlich bestens grüßen lässt und zum Ausdruck bringt, wie willkommen ihm Ihre Gedanken waren, vor allem, was Sie von den chinesischen Riten halten: Aber noch viel lieber würde er das von Ihnen in dieser Sache herausgegebene Buch mit dem Titel Novissima Sinica haben, damit man nämlich in Rom erfährt, was gelehrte und gemäßigte Protestanten über die chinesische Sache denken; und damit man nicht alles den Holländischen »Merkuren« glaubt, die mit fortwährenden Satiren gegen die Jesuiten Geld machen wollen und um Käufer werben. Gerade werde er, sagt er, von der Arbeit an dieser Sache sehr in Anspruch genommen und aufgerieben, nachdem sie ihm aufgrund der wenig glücklichen Arbeit anderer von unserem hochverehrten P. General übertragen wurde, freilich mit mäßiger Hoffnung auf einen gedeihlichen Ausgang, aber er vertraut fest auf die inständigen und beharrlichen Gebete vieler Rechtschaffener zu Gott. Ihrem Plan einer Widerlegung der leeren und schädlichen Gedanken Bayles stimmt er uneingeschränkt zu. Leben Sie nochmals und wiederum wohl.
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
31. 7. 1709 G LVI / D·2, 286 f. (E 13, S / F XVII, W 7).
¦ Hochwürdiger Pater! ¦
D
Ich glaubte bereits darauf hingewiesen zu haben, dass die »Konjekturen« von Hrn. Hartsoeker an mich zurückgegangen sind. Es liegt an ihm, Fortsetzungen auszuarbeiten; der hochgeschätzte Mann verspricht Beachtliches in der Dioptrik. Es besteht kein Grund, dass ich über die Elemente mit ihm streiten soll, | vor allem weil man G
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bis zu metaphysischen Gründen gelangen muss, in denen ich ihn für keinen geeigneten Richter halte. Außerdem würde unser Streit nicht viel zu den Phänomenen beitragen, denn die Analyse unserer Erklärung dringt nicht bis zu den Elementen vor. Um den Lütticher Drucker sollten wir uns nicht zu sehr kümmern. Indessen schulde ich Ihnen großen Dank. In dem Buch wird von mir, glaube ich, in dogmatischer Hinsicht nichts behauptet, dem nicht auch jemand von den Euren folgen kann, den Protestanten verleugne ich jedoch nicht. Freilich wird mit dem göttlichen Auftrag: Möge die Erde hervorbringen die den Dingen eingepflanzte Wirksamkeit aufgezeigt; sie konnte jedoch nicht vom Anbeginn der Schöpfung in ihnen gewesen sein, wenngleich sie später zur Steigerung der Tätigkeiten angeordnet wurde₅₉. Die Erschaffung neuer Seelen war dann eben nicht notwendig, weil die alten genügten. Dass ein Tier beseelt sei, kann nicht gezeigt und schon gar nicht bewiesen werden, weil nicht einmal das [bewiesen werden] kann, dass andere Menschen nicht bloße Maschinen sind, da wir nicht in ihre Geister hineinschauen können. Aber es ist moralisch gewiss, ebenso wie es andere Geschöpfe außer mir gibt. Wenn daher auch keine absolute Notwendigkeit besteht, dass jeder organische Körper beseelt sei, muss man dennoch feststellen, dass die Gelegenheit für eine Seele von Gott nicht übergangen wurde, da seine Weisheit größtmögliche Vollkommenheit hervorbringt. Die Seele kann zwar innen ohne Beihilfe von Körpern wirken, aber nicht außen. Immer jedoch entsprechen ihren inneren Handlungen äußere in den Körpern. Freilich kann durch ein Wunder von Gott eine Seele außerhalb eines Körpers hergestellt werden, aber das passt nicht zur Ordnung der Dinge. Getrennt vom ersten Passiven wird kein vollständiges Ding oder keine Monade bestehen. Wenn bloß ein höherer Grad dazukommt, ist das keine neue Einflößung einer Seele. Jener Wesensgrad kann nicht abgesondert subsistieren und ist auch keine Entelechie, da er nicht das Prinzip einer Hand₅₉ Lat: »postea magis ad operationes disponeretur«.
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lung ist, sondern nur ein Vermögen der Seele. Unter den Philosophen steht fest, dass das Vermögen des Fühlens und vernünftigen Denkens nicht verschiedene Seelen ausmacht, sondern in derselben Seele enthalten ist. Daher erstaunt es mich, dass Sie hier ins Stocken geraten. Dass dieselbe Materie von verschiedenen Entelechien adäquat geformt wird, darüber brauchen wir nicht zu sprechen. Ich hielt es für passender₆₀, dass ein neuer Grad zur sensitiven Seele hinzugefügt wird, als dass zahllose vernünftige Seelen in Samen, die nicht zur Reife der menschlichen Natur gelangen, verborgen liegen. Wenn jemand einen natürlichen Modus der Erhöhung aufzeigt, werde ich nicht sagen, dass dieser Modus wundersam dazugegeben würde. Sie sehen also, ich sage das in der Weise, dass ich eine Hypothese vorbringe. Dass eine Seele aus einer Seele entsteht – wenn Sie das mit Fortpflanzung durch Sprössling₆₁ meinen – ist nicht erklärbar, und ich stehe weit entfernt von denen, die solches behaupten. Obgleich die Orte der Monaden durch Modifikationen oder Begrenzungen von Teilen des Raums bezeichnet werden, sind die Monaden selbst keine Modifikationen eines kontinuierlichen Dinges. | Die Masse und ihre Ausbreitung entspringt den Monaden, aber G nicht der Raum. Denn der Raum, wie auch die Zeit, ist eine bestimmte Ordnung, und zwar (was den Raum betrifft) des Koexistierens, die nicht nur das Wirkliche, sondern auch das Mögliche umfasst.₆₂ Daher ist er etwas Unendliches wie jedes Kontinuum, dessen Teile nicht aktual sind, sondern nach Belieben angenommen werden können, so wie die Teile der Eins oder Brüche. Wenn es in der Natur ₆₀ »passender« übersetzt nach D (»congruentius«), dem auch Frémont folgt; G stattdessen: »congruentis« (Ich glaubte, dass ein neuer Grad von kongruenter sensitiver Seele hinzukommt). ₆₁ »Fortpflanzung durch Sprössling« entspricht simplem lat. »Traducem«. ₆₂ Nach D·2, 286, ergibt sich durch andere Klammersetzung folgende Lesart: »Der Raum, wie die Zeit, ist eine bestimmte Ordnung, und zwar (entsprechend dem Raum des Koexistierens) eine, die nicht nur das Wirkliche, sondern auch das Mögliche umfasst.« – »… nempe (pro spatio coëxistendi) …«. – Version G: »nempe (pro spatio) coëxistendi«.
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56. Leibniz an Des Bosses
der Dinge andere Unterteilungen von organischen Körpern in organische Körper₆₃ gäbe, gäbe es andere Monaden und eine andere Masse, obwohl es derselbe Raum wäre, der ausgefüllt würde. Denn der Raum ist ein gewisses Kontinuum, aber ein ideales, die Masse ist gegliedert, nämlich eine aktuale Vielheit, oder Seiendes durch Aggregation, aber aus unendlichen Einheiten. Im Aktualen sind die Einfachen früher als die Aggregate, im Idealen ist das Ganze früher als der Teil. Die Missachtung dieser Erwägung hat das Labyrinth ›Kontinuum‹ erzeugt. Der Ew. Kapuzinerpater Dionysius von Werl hatte mir kurz vor dem Tod geschrieben und schien an einem neuen Werk zu arbeiten. In den Niederlanden gibt es einen gewissen Drucker oder Buchhändler, der seine Arbeit zur vorgeschriebenen Kondition anbietet. Wir werden sehen, mit welchem Erfolg. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 31. Juli 1709 D ¦ G. W. Leibniz ¦ P. S. Als seinerzeit meine Novissima Sinica herauskamen, wurden sie nach Rom geschickt und gelangten, glaube ich, durch Hrn. Magliabecchi zum General Eurer Gesellschaft, der (wenn ich mich recht entsinne) mich durch diesen auch grüßen ließ. Eurem Tolomei, dem besten Mann, bitte ich mich zu empfehlen. Sobald das Werkchen gegen Bayle erschienen ist, möchte ich es seinem Urteil unterbreiten.
₆₃ Lat. »in corpora organica«; die Wortgruppe fehlt in D·2, 286. Schmalenbach, S. 74, mutmaßt, inhaltlich abwegig, bei G einen Druckfehler für »in corpore organico«.
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12. 8. 1709 Discours 2002, S. 265–270 / G LVII nach D·6 XXII, D ohne Beilage (F XVIII). Neben der Paginierung von Discours 2002 (Dc) ist die von Gerhardt (G) angegeben. Im Original und Discours 2002 Unterstrichenes, bei G durch Sperrung wiedergegeben, erscheint hier kursiv. Lateinische Fassung: Anhang B 3, dort auch weitere Angaben zum Text.
| Unter meinen Papieren habe ich gefunden, was ich (wenn ich Dc mich recht erinnere) im vorigen Jahr mit rascher Feder aus gegebenem Anlass zu Kult und Religion der Chinesen angemerkt hatte. Das (weil zum Abschreiben jetzt keine Zeit ist) wollte ich Ihnen zu lesen schicken und Sie bitten, es zurückzusenden, wann immer es Ihnen genehm sein wird. ¦ Dem Ew. Pater Bouvet habe ich seinerzeit geraten, er solle, nach- G dem nun einsichtig ist, dass sich in den Figuren des Fu Xi die Entdeckung der dyadischen Arithmetik verbirgt, darauf hinwirken, dass die Missionare dieses so plausible Argument dazu verwenden, um dem Kaiser und den Weisen der Chinesen eine Andeutung der Schöpfung, oder des Ursprungs der Dinge aus Einheit und Nichts, bei ihren Ältesten vor Augen zu führen. Im Übrigen greife ich auf frühere [Ausführungen] zurück. Leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 12. August 1709
[beilage] ₆₄
Als ich neulich in einem Heft des »Journal des Savans«, das vor vielen Jahren in Paris erschien, etwas suchte, fielen meine Blicke zufällig wieder auf die (von mir schon längst gelesenen) Rezensionen ₆₄ »Beilage« ist eine Überschrift von Gerhardts Hand.
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57. Leibniz an Des Bosses
einiger bereits erschienener Büchern über den Kult der Chinesen, die die Direktoren des Seminars für exotische Missionen in Paris hatten nachdrucken lassen. Im Journal vom 11. April 1701 wird eine Abhandlung von P. Longobardo S J rezensiert, der, im Gefolge der Missionare Pasio, Ruiz und Sabbatino aus demselben Orden, entgegen der Ansicht von Pantoja und Vagnoni behauptete, dass die Chinesen keinen Begriff von unkörperlichen Dingen gehabt hätten, ihnen daher Gott, die Engel, die Seele unbekannt gewesen wären und man die Substanz, die sie Shangdi nennen, nicht für unseren Gott halten dürfe. Alles komme für sie aus einem bestimmten Prinzip, genannt Tai ji , das in sich Li enthält, die erste Materie und gleichsam die Substanz der Dinge, sowie die ursprüngliche Luft als nächste Materie. Aus dem Li als solchen emanierten beispielsweise Gerechtigkeit, Klugheit und die übrigen Tugenden; doch aus dem stärker affizierten und mit der ursprünglichen Luft bereits vereinigten Li gingen die fünf Elemente und die körperlichen Gestalten hervor. Die Chinesen hätten daher von Anfang des Reiches an Geister angebetet und ihnen geopfert, zuerst dem Himmel, dann dem Geist der sechs Ursachen, nämlich von Wärme, Kälte, des Trockenen, Feuchten, der Sonne, der Sterne; drittens den Berg- und Flussgeistern; viertens den Geistern berühmter Männer. Diese Geister würden zusammen mit den Dingen, mit denen sie vereinigt sind, dieselbe Substanz ausmachen, ein Prinzip besitzen und auch mit der Welt ein Ende haben, schließlich von jeweils gleicher, allerdings geringer Vollkommenheit sein, da sie ohne Leben, Wissen und Freiheit seien. Die chinesischen Gelehrten seien Atheisten, glaubten, die Welt sei durch Zufall entstanden, alles würde von einem planlosen Zusammenspiel der Körper (ihnen zufolge) beherrscht, die Seelen der Toten würden in die Leere des ersten Prinzips zurückkehren. Am 18. April folgt ein Anhang, der von P. Domenico Sarpetri O. P. eine Abhandlung über den einen, lebendigen und wahren Gott, G den die alten Chinesen erkannt hätten, enthält, gegen ¦ die Schriften P. Longobardos. Sarpetri scheint es wahrscheinlich, dass Shangdi für die alten Chinesen der Name des einen wahren Gottes war und Dc erstmals vor 500 Jahren dem Idol Guan Di | zugesprochen wurde,
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und dass manche chinesische Gelehrte ebenso geurteilt hätten, nachdem sie das Buch von Matteo Ricci gelesen hätten. Ricci, ein Mann von hervorragendem Urteil, habe alles, was sein Nachfolger Longobardo zusammentrug, sehr wohl gekannt. Da man keine neuen Namen erfinden könne, müsse man die überlieferten Wörter der Chinesen, aber in einem gereinigten Sinn, verwenden. Leider habe Longobardo den Zoroaster mit dem ältesten Kaiser Fu Xi verwechselt. So weit Sarpetri, den die anderen Dominikaner als Jesuitenfreund abtun. Am 25. April wird die ebenfalls dort abgedruckte Abhandlung des Franziskaners S. Maria rezensiert. Dieser berichtet, dass bei den Chinesen drei Gesetzgeber verehrt werden, Konfuzius, Fo und ein Greis, der grauhaarig (oder weißhaarig) aus dem Mutterleib herauskam. Musik, Düfte, Verschütten von Wein, Tieropfer und schließlich Dankesbezeugungen seien Bestandteil der Kulthandlungen; auch die zeitgenössischen Gelehrten würden mit auf den Boden gestrecktem Körper Konfuzius verehren. Martini habe 1656 in Rom die Wahrheit verschleiert. Tempel und Kulte seien zweitausend Jahre vor Konfuzius entstanden, als der Kaiser Shun sie einrichtete, der der fünfte ab der Gründung des Reiches war. Damals wurden auch die Ehrungen für die verstorbenen Ahnen eingeführt, was später Konfuzius nachdrücklich für gut befunden habe; dazu gehörten Lichter, Blumen, Verschütten von Wein, häufiges Niederknien und Sprüche, die auf die Erlangung zeitlichen Glücks abzielten. Nach Beendigung der Kulthandlung danke der Zeremonienvorsteher den Zusehern im Namen der Vorfahren und bete, dass alles gedeihen werde. Derselbe Autor hält die Ansicht von P. Antonio de Govea, dass »Shangdi« den wahren Gott bedeutet, zwar nicht für verwerflich, erklärt aber das Gegenteil für wahrscheinlicher und sicherer. Shangdi scheine die beherrschende Kraft im Körper des Himmels zu sein und sich durch die Luftkräfte des Entstehens und Vergehens zu zeigen. Beim Entstehen spreche man von hervorgehenden Geistern, beim Vergehen von zurückkehrenden. Diese Geister seien nichts anderes als die Qualitäten von Bewegung und Ruhe des Li. Die Chinesen würden sich einen bestimmten Geist als
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57. Leibniz an Des Bosses
Schutzpatron nehmen, aber den Stoikern ähneln, für die sich ein bestimmter körperlicher Gott in alles ergießt. P. Emanuel Diaz sei auch gegen den Kult der Chinesen gewesen und habe vor allem die Opferhandlungen verurteilt, die allein Gott geschuldet würden. So weit die Rezensionen der Autoren, wozu ich sagen möchte, was mir der Wahrheit am nächsten scheint. Wie weit bürgerliche Zeremonien noch ausgedehnt werden können und durch welche Religion der Dankbarkeit (um es so auszudrücken) Helden oder verdienstvolle Menschen verehrt werden G können, ¦ überlasse ich der Diskussion der Theologen. Fest steht, dass in früherer Zeit bei den Christen am Fest der hl. Katharina, das für die Philosophen gefeiert wurde, vieles zu Ehren von Aristoteles gesagt zu werden pflegte, wenn es auch keine Zeremonien gab, aber wir kennen kein Volk, das zeremonienfreundlicher ist als die Chinesen, und ihre Sitten können nicht auf die unsrigen übertragen werden. Der Kult besteht nicht so sehr in den Riten als in der Gesinnung. Daher wird man darauf achten müssen, mit welcher Gesinnung die Chinesen Vorfahren oder besonders Verdiente verehren, und vor allem, ob sie glauben, von denen, die sie verehren, bemerkt zu werden, und ob sie von ihnen etwas verlangen oder erwarten. Dc Denn dass die Ahnenverehrer Gedeihen | erbitten, weil der Myste es verspricht, bedeutet nicht notwendigerweise, dass sie es von den Toten erwarten, da diese Güter von einer höheren Ursache gewährt werden können, der die Dankbarkeit gefällt, so wie bei Mose Gott denen, die Vater und Mutter ehren, ein langes Leben verspricht. Lieber möchte ich untersuchen – weil es einen Philosophen (das heißt die natürliche Theologie) eher angeht –, was man über Shangdi und die Geister der Chinesen feststellen zu müssen scheint. Was die alten Mysten und Philosophen der Chinesen gemeint haben, ist Sache keiner leichten Untersuchung. Wir wissen, wie viel bei uns im kräftigen Licht der Geschichte, der Kritik und der Philosophie über das Denken bei Platon, Aristoteles und sogar des göttl[ichen] Augustinus gestritten wird. Bei den Chinesen ist, glaube ich, weder die Geschichte noch die Kritik noch die Philosophie hinreichend ausgebildet. Noch ist niemand aufgetreten, der eine Litera-
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turgeschichte der Chinesen verfasst und jedem Autor dessen echte Werke, dessen Meinungen und Gedanken zugewiesen hätte. Auch befürchte ich, dass Altes sehr verfälscht worden ist. Daher verbietet aufgrund einer generellen Regel nichts, dass wir gut über die Lehre der Alten denken, bis wir gezwungen sind, das Gegenteil zu vertreten. Gewiss zeugen die heiligsten Lebensvorschriften auch von der Hoffnung auf eine heilbringende Lehre über die Religion. Auch dass Longobardo behauptet, man könne aus den Schriften von Konfuzius keine körperlosen Substanzen oder Lohn und Strafe nach diesem Leben ableiten, braucht niemanden übermäßig zu stören, wenn man bedenkt, dass kein dogmatisches Werk des Mannes vorliegt, sondern Sammlungen von Schülern – die man Konfuzianer nennen kann –, welche nur die Lebensregeln betreffen. Und weder in den Schriften Moses noch den anderen Büchern des Alten Testaments sind unkörperliche Substanzen oder der Lohn eines anderen Lebens tatsächlich ausreichend erklärt. Bei den chinesischen Literaten, die Atheisten sind und glauben, dass alles aus Zufall bewirkt werde und sich zutrage, habe ich keine Zweifel, dass sie der öffentlich überlieferten Religion und Absicht derer, die sie eingerichtet haben, nicht zustimmen, und zwar so sehr, dass ich zweifle, ob sie ihre [Gedanken] vollständig vorzubringen wagen, vor allem unter Kaiser Kang Xi. Wozu braucht man denn Geister, wozu einen Geisterkult, wenn alles durch den bloßen Drang der Materie geschieht, wenn in den Geistern keine Erkenntnis ist? Auch wenn etwa Epikur untätige Götter übrig ließ, ist anzunehmen, dass er das eher dem Wort als der Gesinnung nach getan hat. Ein öffentlicher Kult wird ¦ bei Epikureern niemals einge- G richtet werden. Und auch die Chinesen hätten nicht die Ahnen und Wohlverdienten verehrt, wenn sie nicht geglaubt hätten, dass es der Obrigkeit genehm sei. Ich will ohne weiteres glauben, dass viele Philosophen der Orientalen so wie die Platoniker und Stoiker Gott für die Weltseele oder die den Dingen immanente universale Natur gehalten haben; andere wieder, dass Geister in Körper gehüllt sind; und dass auch einige die Seele als Teilchen einer göttlichen Aura angesehen haben,
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57. Leibniz an Des Bosses
das nach dem Absterben des Körpers in den Ozean der Seelen zurückkehren würde: Ich möchte gar nicht leugnen, dass viele chinesische Philosophen diese Gedanken hatten, aber da die Philosophie der Chinesen nie in die Form einer Wissenschaft gebracht worden ist und ihnen, wie ich vermute, auch die philosophischen Wörter fehlen, hindert nichts, im guten Sinne aufzufassen, was die Alten | Dc bei ihnen über göttliche und geistliche Dinge lehren. Beifall verdient, was Longobardo selbst über Tai ji und Li und die ursprüngliche Luft oder Geist vorbringt, die zumindest ein bisschen der Trinität der Christen oder auch der Platoniker entsprechen. Demnach sei Tai ji die Potenz oder das erste Prinzip, Li die Weisheit, die die Ideen oder Wesen der Dinge enthält, ursprüngliche Luft der Wille oder die Liebe – was wir Geist nennen –, von wo man zur Tätigkeit und zur Produktion voranschreitet. Wichtig ist auch, dass aus Li die Tugenden emanieren sollen, woraus Sie sehen, dass in ihm die Quelle des Wahren und Guten liegt. Dass sie aber sowohl das Li als auch den Geist als Materie der Dinge begreifen, kann von den unangemessenen Ausdrucksweisen bei einem Volk herrühren, das bar metaphysischer Vokabeln ist, und vielleicht erkannten die alten Autoren, dass die Dinge ihre gesamte Realität und Vollkommenheit von Gott haben, auch wenn sie die Entstehungsweise nicht deutlich darlegen konnten. Soviel ich also bisher verstehe, würde ich meinen, dass ohne Einbuße an Substanz der alten Theologie der Chinesen zusätzliche Irrtümer ausgeschlossen und die großen Wahrheiten der christlichen Religion mit ihr verknüpft werden können. Dass Fu Xi, der älteste Fürst und Philosoph der Chinesen, den Ursprung der Dinge aus Einheit und Nichts erkannte, das heißt ein Analogon zur Schöpfung, zeigen seine geheimen Figuren, welche die dyadische Arithmetik, die von mir nach so vielen tausend Jahren wieder hergestellt worden ist, enthalten – obwohl sie auch noch Höheres andeuten –, wonach alle Zahlen mit bloß zwei Zeichen: 0 und 1, geschrieben werden. Dc | Und 0 10 100 1000 10000 usw. bedeuten 1 2 4 8 16 usw.
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¦ Die Zahlen werden nun so ausgedrückt:
0 1 10 11 100 101 110 111 1000 1001 1010 1011 1100 1101 1110 1111 etc.
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 etc.₆₅
G
Figuren Fu Xis
0 1
0 1
0 1
00 01 10 11
0 1 10 11
0 1 2 3
000 001 010 011 100 101 110 111
0 1 10 11 100 101 110 111
0 1 2 3 4 5 6 7
Somit weisen auch Fu Xis Figuren Gruppen zu Zwei, Vier, Acht, Sechzehn, Zweiunddreißig, Vierundsechzig auf, wie von Kircher und anderen dargestellt, von denen ich hier nur die Zweier-, Vierer- und Achtergruppe aufgeschrieben habe; | die Chinesen selbst Dc haben bisher nicht alle gekannt, sie passen aber, wie der Ew. Pater Bouvet zu Recht bemerkt hat, mit meiner dyadischen Arithmetik zusammen. ₆₅ Nach Gerhardt (G 384) folgt hier noch die Zeile »10000 | 16«, doch traditionellerweise fehlen die Zahlen 16 und 32 und gibt es daher keine Figuren für sie. Vgl. Li / Poser in Discours 2002, S. 269; letztere, kritische Version wird hier als manuskriptgetreu vorausgesetzt.
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58. Des Bosses an Leibniz
Wenn man also nun erreichen kann, dass der Kaiser nach Beratung mit den Weisen des Volkes erklärt, Shangdi sei das höchste Seiende, die Quelle der Weisheit, Güte und anderer Vollkommenheiten, die Opferhandlungen seien vornehmlich auf den Urheber alles Guten gerichtet, das Gedeihliche sei nicht von den Toten, sondern von eben jenem zu erwarten, die übrigen Geister würden von ihm erzeugt, die Seelen seien unsterblich; oder zumindest ständen jene, die all das lehren, zur offiziell gebilligten chinesischen Lehre nicht im Widerspruch –: dann, glaube ich, hätten wir gewonnen, und es wäre, meine ich, zwecklos, dann noch einen Knoten auf der Binse zu suchen oder gegen Privatmeinungen vorzugehen. Angenommen die Philosophen der Chinesen würden anders gedacht haben oder denken, es wird doch wichtig sein, dass mit öffentlicher Autorität ein reguläres Dogma aufgestellt wird. Und in dieser Absicht, meine ich, hat auch Ricci, der Urheber der Chinamission, zweifellos ein weiser Mann, in allem einen guten Sinn gefunden und ist dem Beispiel des Apostels Paulus, der bei den Athenern auftrat, gefolgt.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
16. 8. 1709 G LVIII. G
| Besten Dank für die Übermittlung Ihrer ausgezeichneten Überlegung zu den chinesischen Riten; ich werde demnächst eine Kopie davon an Tolomei schicken, da ich nicht daran zweifle, dass ihm dieses Schreiben umso willkommener als das andere sein wird, als es ausführlicher ist. Das Original selbst werde ich in Kürze zurückschicken, falls Sie sich nicht etwa mit einer Kopie zufrieden geben wollten. [… … … G] Wir haben erfahren, dass der Papst an den chinesischen Monarchen geschrieben hat mit ungefähr folgendem Inhalt: Er habe nicht geahnt, dass der Kaiser das Verbot der Riten, die der Religion, de-
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ren Ausübung er in seinem Reich erlaubt hätte, widerstreiten, so schwer ertragen würde; er werde diesen Streit einer neuen Prüfung unterziehen, um Seiner Majestät Genüge zu tun. Inzwischen bitte er, Tournon frei zu lassen usw. Auf Ihren früheren, die Philosophie betreffenden Brief zu antworten, verhindern gewisse Beschäftigungen, von denen ich aufgehalten werde; ich werde es aber demnächst tun. Leben Sie wohl usw. Aufgegeben in Hildesheim, 16. August 1709
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
6. 9. 1709 G LIX.
Ich retourniere Ihnen endlich Ihre Schrift über die chinesischen Angelegenheiten, die allen, die sie gelesen haben, sehr gefallen hat und bereits nach Rom zu Tolomei geschickt wurde. Allerdings fürchte ich, [es ist] Beistand nach dem Krieg, denn wir haben erfahren, dass es nach menschlichem Ermessen keine Hoffnung auf einen guten Ausgang gibt und unser Generalvorsitzender darum zu Gebeten und außerordentlichen Werken aufgerufen hat, um Gott unseren Bitten geneigt zu machen. Ob wir in der Frage, wo künftig die christliche Religion existieren werde, verloren haben, zeigt ein königliches Dekret, das ich beilege, falls Sie es noch nicht kennen sollten. Dazu würde ich noch ein Buch beilegen mit dem Titel Reflexiones supra modernam causae Sinensis constitutionem juxta exemplar in Italia impressum in latinum translatae (Reflexionen über den jetzigen Zustand der chinesischen Angelegenheit, ins Lateinische übersetzt nach einem in Italien gedruckten Exemplar). Das Exemplar, das ich gesehen habe, gehört aber nicht mir, und ich konnte noch kein anderes auftreiben, hoffe aber innerhalb weniger Tage für Sie eine Abschrift machen zu können; denn die Reflexionen verdienen Ihre Aufmerksamkeit.
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59. Des Bosses an Leibniz
Der geschätzte Herr von Cochenheim, der damals die Schrift G Über die freie | Verkündigung der christlichen Religion bei den Chinesen zu Ihren »Novissima Sinica« beigesteuert und an Sie geschickt hat und jetzt hochachtbarer Kanzler und Berater des Erlauchten Fürsten von Münster ist, wurde – zumal er mir einigermaßen wohlgesonnen ist – von mir informiert, dass Ihre Anti-Bayle-Abhandlung druckreif ist; worauf er mich vor kurzem gebeten hat, ihn sofort bei Erscheinen zu benachrichtigen. In Lüttich ist das Buch über den Geist der neuen AugustinusSchüler nachgedruckt worden, von dem Sie einmal ein Exemplar wollten; ich konnte Ihnen aber Ihren Wunsch nicht erfüllen, weil die gesamte Ausgabe vergriffen war. Jetzt kann ich Ihnen beschaffen, so viel Sie wollen. Nun zu meinem philosophischen Thema, das Sie im vorletzten Brief behandelt haben. Vor allem würde ich gerne wissen, was das sein soll, durch das die von Anfang an erschaffenen Dinge erst später zur Tätigkeit disponiert seien₆₆. Nichts Substantielles, da keine Entelechie; also ein Akzidens, aber welches? Ein Modus oder aber eine Qualität, wie es die Schule erlaubt? Was immer es dann ist, es muss etwas Dauerhaftes sein und mit den Monaden für immer andauern, was der Natur eines Akzidens fremd zu sein scheint. Ich behaupte, dass ein Physiker keine Körper und auch keine Phänomene beweist, sondern die Kenntnis beider teils von den Sinnen, teils aus der Metaphysik bezieht. Aber wenn man Körper und Phänomene voraussetzt, die außerhalb unseres Geistes erscheinen, kann er beweisen, dass die Ursache der Phänomene je nach deren Verschiedenheit unterschiedlich ist, gemäß dem Axiom: Was dasselbe bleibt, bewirkt immer dasselbe. – Da Phänomene Effekte von abgeleiteten Kräften sind, abgeleitete Kräfte aber aus ursprünglichen bestehen, wird es notwendig sein, dass dort, wo die abgeleiteten Kräfte unterschiedlich sind, auch die ursprünglichen Kräfte sich unterscheiden. Weil somit in einer bestimmten Masse nun Phäno₆₆ Lat. »ad operationem magis postea disponantur«. Vgl. Nr. 56 mit Fn. 59, S. 140.
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mene erscheinen, welche bei genau gleichbleibenden abgeleiteten und von Beginn an existierenden Kräften nicht erschienen wären, kann man daraus folgern, dass eine Veränderung in den ursprünglichen Kräften stattgefunden hat und einige davon weggenommen oder dazugegeben worden sind. Das meinte ich, als ich sagte, dass statt eines Ursprungs neuer Monaden sich etwas in den Phänomenen zu verändern scheint. Üben nun die Seelen der Menschen ebenso wie der Tiere eine Tätigkeit nicht nur auf die erste, sondern auch auf die zweite Materie oder Masse aus? Diese Handlung scheint genauso wie die Handlungen anderer Entelechien zu den Phänomenen zu gehören. Haben Sie nicht diesbezüglich gegen Sturm bewiesen, dass unter der Voraussetzung der Fülle der Dinge – die die Cartesianer behaupten – und der Einförmigkeit der Materie, und wenn nur noch Bewegung dazu kommt, immer Äquivalente einander ersetzen, genauso, als ob nur ein vollkommen gleichförmiges Rad um seine eigene Achse liefe usw. und so der Zustand eines Moments nicht unterschieden werden könne, und dass daher in den Phänomenen keine | Mannigfal- G tigkeit existieren könne, dass folglich außer Gestalt, Größe und Bewegung noch Formen eingeräumt werden müssen, durch welche die Verschiedenheit₆₇ des in der Materie Erscheinenden entsteht? Also ist die Mannigfaltigkeit der Phänomene von der Mannigfaltigkeit der Entelechien abzuleiten. Wenn ich Ihre Absicht richtig versteheG*, wäre die Umschaffung einer vernunftlosen Seele in eine vernünftige die Einsetzung einer vernünftigen Seele an die Stelle einer vernunftlosen, die vorher war und nun aufhört, und ebenso wäre der hinzugefügte Grad an wesentlicher Vollkommenheit der Seele kein akzidentelles Vermögen, sondern real dasselbe wie die Substanz der neu geschaffenen und an die Stelle der früheren [Seele] gesetzten Seele. Auf diese Weise wird die Umschaffung gewiss ein Mirakel sein, da sie die Zerstörung zumindest der früheren Seele, wenn nicht der ursprünglichen Materie ₆₇ Lat. »distinctio«. Der gesamte Satz ist ein Leibniz-Zitat aus Brief Nr. 2, vgl. S. 10.
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59. Des Bosses an Leibniz
herbeiführt, mit der zusammen sie eine Monade ausmachte. Dem habe ich nur das Eine entgegenzusetzen: Vielen wird es wohl paradox erscheinen, dass der Mensch – wenn die Dinge so wie hier beschaffen sind – nicht ohne ein Wunder entstehen könne. Im Übrigen haben einige Philosophen das Vermögen des Fühlens und des Denkens₆₈ voneinander unterschieden, unter ihnen Gassendi oder jedenfalls Bernier, der in Band 5 des gassendischen Abrisses, Buch 6, Seite 495 nach Zurückweisung anderer Meinungen diese vertritt: Die Seele des Menschen besteht aus zwei Teilen, einem irrationalen, der körperlich ist, das Vegetative und Sensitive beinhaltet und etwas Mittleres oder ein Band zwischen der rationalen Seele und dem Körper darstellt, und einem rationalen oder intellektuellen, der unkörperlich, von Gott geschaffen und eingeflößt und als wahre mittlere Form mit dem irrationalen Körper vereint ist; für diese Ansicht beruft er sich auf mehrere Scholastiker. Honoré Fabri behauptet in Buch 2 Über den Menschen, Satz 41, dass sich das sensitive Vermögen des Menschen real von der rationalen Seele unterscheide, und stellt gleichwohl im 7. Buch, Satz 11, fest, dass in jedem Menschen nur eine Seele sei, nämlich die rationale, weil sie ja das Sein des Fühlenden und Vegetierenden sei; er sagt: Sie sind im Sein des Menschen eingeschlossen, das ihnen als Form der Materie zukommt. Er fährt fort: Daher ist das fühlende Vermögen im Menschen eine Potenz, weil es einer anderen Form untergeordnet ist, die das Sein des Menschen ergibt; im Tier ist es eine Form, weil es das Tier konstituiert. Dass ich behauptete: Wenn der zur rationalen Seele erforderliche Grad an Perfektion durch ein Wunder hinzugefügt werden soll, ist die Fortpflanzung₆₉ der menschlichen Seelen durch Weitervererbung₇₀ naturgemäßer und wahrscheinlicher (philosophisch gesproG chen), | erkläre ich wie folgt: Dass die in den Samen verborgenen menschlichen Seelen am Ende zum Vorschein kommen, so wie sich ₆₈ Lat. »facultas sentiendi et ratiocinandi« ₆₉ Lat. »propagatio« ₇₀ Lat. »traducem«
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die Seelen der Tiere herausbilden (damit meine ich nämlich, dass eine Fortpflanzung₇₁ ohne Wunder vor sich gehen würde), scheint mit der Natur konformer als eine eben doch wundersame Umschaffung, denn die Natur erfordert keine Wunder. Es ist, wie ich gestehe, verwegen, in den Samen verborgene menschliche Seelen anzunehmen, die nie zu einer menschlichen Natur ausreifen; aber ein profaner Philosoph, der von keiner Rücksicht auf die göttliche Autorität geleitet ist, wird davor kaum zurückscheuen, und wird sagen, das sei bei den rationalen nicht mehr absurd als bei den irrationalen, oder zumindest nicht so wichtig, dass man deshalb die Analogie zwischen beiden aufgeben oder zu einem Wunder Zuflucht nehmen müsste. Aus diesem Grund schien mir die andere Art, die Produktion der Seele zu erklären, einleuchtender, die Sie im vorigen Brief vorgeschlagen und verteidigt haben, nämlich dass alles Neue so geschaffen und zum vorher Geschaffenen hinzugefügt werden soll, dass dennoch nichts, was aufgrund seiner Natur unzerstörbar ist, zugrunde gehen muss. Der Raum ist etwas Ideales und unendlich, da stimme ich Ihnen zu; aber wie eine Masse, die real ist und reale Ausbreitung oder Ausdehnung besitzt, allein aus Monaden, die keine Ausbreitung und Ausdehnung haben, resultieren soll, das kann ich aus dem, was Sie bisher erklärt haben, nicht schlüssig entnehmen; mag sein, dass ich es nicht genug durchdacht habe oder dass Sie irgendein mir unbekanntes Prinzip zugrunde gelegt haben. Wenn also Gott unendliche neue Monaden schaffen könnte, ohne die Masse zu vergrößern (weil er für den organischen Körper einer neuen Monade nur alte Monaden verwendet), scheint er die neuen Monaden auch zusammenzuballen und einander so unterordnen zu können, dass keine Ausbreitung oder Ausdehnung entsteht. Was nämlich in verstreutem Zustand eine Masse nicht vergrößert, das wird auch zusammengeballt von selbst keine Ausdehnung erzeugen. Überlegen Sie bitte, ob es nicht der Mühe wert wäre, diese für die Philosophie höchst bedeutsame Sache zu klären und für mich und Meinesglei₇₁ Lat. »traducem«
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chen verständlich zu machen. Vor allem aber wäre es hilfreich zu wissen, wie Sie die reale Präsenz des Körpers Christi in der Eucharistie gemäß Ihren Prinzipien verteidigen – ein Problem, das Sie in Ihrem Anti-Bayle-Werk meiner Ansicht nach zu wenig behandelt haben. Leben Sie wohl, hoch geschätzter Mann, und nehmen Sie meine kleinen Zweifel wohlwollend auf. Aufgegeben in Hildesheim, 6. September 1709 G
* Leibniz hat darüber bemerkt: nicht richtig.
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
8. 9. 1709 G LX / D·2, 287 ff. (E 14 / F XIX, W 8). Auszug in DB Monitum *[28] D
¦ Hochwürdiger Pater, verehrter Gönner! ¦
G
| Obzwar ich mir nicht anmaßen möchte zu glauben, meine Meinung über die chinesischen Vorfälle könnte irgendeinen Einfluss ausüben, will ich doch hoffen, dass die Gründe nicht belanglos erscheinen werden und man zumindest einsieht, in der noch unzulänglich geprüften Sache nichts überstürzen zu dürfen. Ich danke für die Mitteilung des chinesischen Erlasses. Mir missfällt es zu sehen, dass die Chinesen Kenntnis von der japanischen Umwälzung haben. Das Exemplar des Buches über den Geist der neuen Augustinus-Schüler wird mir willkommen sein, selbst wenn es manchmal mehr Bissigkeit als Billigkeit aufweist. Und zwar innerhalb der trojanischen Mauern. Ich frage, ob man so viele Seelen in uns ansetzen darf wie Wesensgrade, z. B. ob wir drei Seelen haben sollen, weil wir (zumindest nach landläufiger Meinung) vegetative, sensitive und rationale Voll-
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kommenheiten in demselben Subjekt haben. Das werden Sie, glaube ich, verneinen. Wir₇₂ werden also nicht sagen: Wenn es einen neuen Wesensgrad gibt, gibt es eine neue Seele. Diese Grade wird man Vermögen nennen dürfen. Ich verstehe sie aber als ursprünglich, in gewisser Weise voneinander nicht abhängig – so wie die Sinnlichkeit von der Rationalität unabhängig, wenn auch vielleicht bei den Geschöpfen nicht entgegengesetzt ist. Doch ich würde meinen, die Wesensgrade können nur von Gott gegeben und entfernt werden, was bei den Qualitäten oder Derivaten₇₃ anders ist. Ich pflege mich sonst nicht um diese Fragen nach Entitäten oder Abstrakta zu kümmern und würde in so einem Fall sagen, dass eine Substanz, die vorher nicht vernünftig denken konnte, es nun kann, und das nicht kraft der Natur, sondern kraft Gottes. Sie sagen: »Wenn ich Ihre Meinung richtig auffasse, wäre Umschaffung einer irrationalen Seele, dass eine rationale Seele die irrationale, die aufgehört hat, ersetzt.« Aber Sie sehen aus dem Gesagten, dass das nicht meine Meinung ist. Jene, die eine doppelte Seele in uns behaupten wie die Gassendisten, sprechen den Tieren keine immaterielle Seele zu. Sie stehen also meinen Ansichten nicht nahe. Wenn Sie es für paradox halten, dass ein Mensch nicht ohne Wunder gezeugt werden kann, dann wird auch die Lehre aller Eurer Schulen über die Schöpfung der rationalen Seele paradox sein, und man wird auf deren Präexistenz zurückgreifen müssen. Denn wenn sich die rationalen Seelen in den Samen verbergen, dann ist eine solche Weitervererbung₇₄ in Wahrheit eine Präexistenz. Wenn Sie nun eher das meinen, als dass von Gott aus irrationalen Seelen rationale gemacht werden, bestreite ich das nicht, sondern ziehe es sogar vor. Und ich habe durchaus einmal gedacht, dass zahllose sensitive Seelen in den menschlichen Samen ₇₂ Von »Wir werden« bis »… anders ist« zitiert DB Monitum *[28] mit Auslassungen. ₇₃ Nach DB Monitum S. *[28] »bei den abgeleiteten Qualitäten« (»in qualitatibus derivativis«), während Leibniz nach G eine Gleichsetzung nahelegt (»in qualitatibus sive derivativis«). ₇₄ Lat. »tradux«
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seien, wie bei allen Lebewesen; aber nur jene besäßen Rationalität G – die allerdings noch nicht | aus ihnen herausgetreten ist –, deren organischer Körper dazu bestimmt ist, irgendwann menschlich zu sein, was von jemandem mit genügend Einsicht bereits in ihm gesehen werden kann. Auf diese Weise wird keine Umschaffung nötig sein. Dem füge ich noch die Worte aus einem lateinischen Text von mir hinzu: »Die Fortpflanzung₇₅ des Makels seit dem Fall der ersten Eltern in den Seelen der Nachkommen scheint nicht besser erklärt werden zu können als durch die Behauptung, dass die Seelen der Nachkommen nicht in Adam befleckt wurden₇₆, sondern damals in den (auf irgendeine Art schon organischen und lebendigen) Samen existierten und dabei nur sensitiv waren, bis in einer ganz neuen Empfängnis zugleich ein samenhafter Körper zur Bildung eines Menschen festgelegt und die sensitive Seele auf die Stufe der Rationalität gehoben wurde – sei es dass man annimmt, diese werde von Gott auf wundersame Art hinzugefügt, sei es dass sie in jenen samenhaften Seelen, die zur Menschenartigkeit bestimmt sind, bereits im bezeichneten Akt verborgen ist; doch sie entwickelt sich erst und tritt erst aus sich heraus, wenn der einer solchen Seele eigene organische Körper durch die letzte Empfängnis sich auch zu einem menschlichen [Körper] teils entwickelt, teils transformiert, wobei auch der menschliche Organismus ausschließlich in den Körpern dieser Seelen prästabiliert ist und andere unendliche Seelen und Samen-Seelchen (wenn wir solche gestatten), oder jedenfalls lebende präformierte organische Körper, innerhalb der sensitiven Stufe der Natur subsistieren – im bezeichneten Akt ebenso wie im ausgeführten, wie die Schulen sagen. Es wird also
₇₅ Lat. »propagatio« ₇₆ Die von Frémont (S. 173 f.) nach Handschriftenvergleich beanstandete, auch gegenüber der von Leibniz publizierten Version dieser Stelle »falsche« Lesart des vorliegenden Brieftextes, die Nachkommen wären nicht (»non«) in Adam befleckt worden, statt dass sie sich schon (»iam«) bei Adam infizierten, tut Leibniz’ anti-augustinischer Pointe der größeren »Nachgiebigkeit« und Freiheit gerade keinen Abbruch.
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eine Fortpflanzung₇₇ geben, aber etwas milder zu handhaben, als Augustinus und andere hervorragende Männer behauptet haben: nicht Seele aus Seele (dies wurde von den Alten verworfen, wie aus Prudentius hervorgeht, und stimmt auch nicht mit der Natur überein) sondern Beseeltes aus Beseeltem.« Masse ist bloß ein Phänomen, wie ein Regenbogen. Wenn Gott eine neue Seele oder vielmehr Monade schafft und bewirkt, dass etwas bisher Organisches sich zu einem neuen Körper zusammenschließt, dann hat er damit offenbar nicht die Masse oder Quantität des Phänomens vermehrt. Ich vermute jedoch, dass das von Gott kaum jemals gemacht wird, da ich keine Notwendigkeit dazu sehe. Dispute darüber, was Gott möglich ist, sind oft sehr nahe am Unsinn. Auf Ihre Frage nach meiner Art der Erklärung für die Eucharistie antworte ich, dass bei uns weder für die Transsubstantiation noch für die Konsubstantiation des Brotes Platz ist und der Körper Christi bloß gleichzeitig mit dem Empfang des Brotes perzipiert wird, sodass nur mehr die Anwesenheit des Körpers Christi zu erklären ist. Und bereits Tournemine habe ich erwidert, dass die Anwesenheit etwas Metaphysisches sei, wie die Vereinigung: das kann nicht durch Phänomene erklärt werden. Ob und wie Eure Transsubstantiation erklärt werden kann, würde in meiner Philosophie eine tiefere Untersuchung bedeuten. Wenn Sie meinen, dass reale Akzidentien ohne Subjekt zurückbleiben, ist zu sagen, dass nach Aufhebung der das Brot konstituierenden Monaden, soweit es die ursprünglichen aktiven und passiven Kräfte betrifft, durch die zugrunde gelegte | Anwesenheit der den Körper Christi konstituie- G renden Monaden nur die abgeleiteten Kräfte zurückbleiben, die in dem Brot waren und dieselben Phänomene aufweisen, welche die Monaden des Brotes aufgewiesen hätten. Im Übrigen leben Sie wohl usw. Aufgegeben in Hannover, 8. September 1709 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦ ₇₇ Lat. »Tradux«
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
20. 9. 1709 G LXI.
Am Dienstag kamen dieser Brief von P. Janninck sowie römische Neuigkeiten über die chinesische Angelegenheit, leider zu spät, um sie Ihnen mit der normalen Post schicken zu können. Janninck schreibt mir, dass er von Ihrem ihm zugesandten ersten Band der »Rerum Brunsvicensium …« erst jetzt aus Ihrem und meinem Brief erfahre und auch von nirgendwo sonst Nachricht erhalten habe, schon gar nicht, dass er nach Antwerpen gebracht worden sei. Man wird Förster fragen müssen, dem der Buchhändler ihn übergeben hat. Sollte er ihn etwa noch nicht geschickt haben, kann er an mich gesandt werden, und ich sorge dafür, dass man ihn von Köln nach Antwerpen befördert. »Was das Leben des verehrungswürdigen und frommen Gobert betrifft« (das Sie ein andermal den Antwerpener Patres angeboten hatten), »halte ich die Absicht des berühmten Leibniz für willkommen,« (sagt Janninck) »es uns für eine Abschrift besorgen zu wollen: und so soll es nach unserem Wunsch geschehen, wenn es keine große Belästigung ist und durch einen Freund oder zusammen mit anderem nach Köln geschickt werden kann, von wo es leicht hierher zu befördern ist«, welches Letztere ich selbst übernehme. Ihren neuesten Brief werde ich in wenigen Tagen beantworten. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Hildesheim, 20. September 1709
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
27. 9. 1709 G LXII nach D·6 XXIII.
Ich danke für die Zusendung. Es gab guten Grund, dass der Ew. P. Janninck den Kölner Buchhändler fragen lässt, ob er das Buch nicht erhalten hat. Wenn er nein sagt, wird man Sorge tragen, dass er an seine Pflicht gemahnt oder jedenfalls der Schaden ersetzt wird. Es heißt, Sie würden nicht mehr lange in dieser Gegend bleiben; das höre ich mit wenig Freude, obwohl ich schon lange vermute, dass Sie in dem besseren Landstrich bleiben. Ich schicke hier den bereits fertig gestellten Teil meines kleinen Werkes und bitte Sie, mir das Gelesene mit | Ihrer Beurteilung G zurückzusenden, denn ich besitze noch kein anderes Exemplar. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 27. September 1709
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
15. 10. 1709 G LXIII.
Ich sende mit dem größten Ausdruck der Dankbarkeit den Teil Ihres Werkes zurück, den ich mit höchstem Interesse und nicht weniger Lust einmal, noch einmal und noch öfter durchgelesen habe und schon längst hätte zurückerstatten wollen, wenn ich nicht gehofft hätte, nach Hannover zu fahren und ihn Ihnen persönlich zu überreichen, denn (um Sie über meinen Weggang aus dieser Gegend im Voraus Bescheid wissen zu lassen) heute hat man mir befohlen, von hier nach Köln zu übersiedeln, um dort ein bisschen Mathematik zu unterrichten. Was noch geschehen wird, werde ich
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64. Leibniz an Des Bosses
ein anderes Mal schreiben, wenn ich in Köln angekommen bin. Ich bedaure sehr, nicht mehr Gelegenheiten gehabt zu haben, Sie zu verabschieden und um Rat zu fragen, wie das mathematische Studium einzurichten ist, denn wie ich Ihnen meiner Erinnerung nach ein andermal geschrieben habe, bin ich noch sehr ungebildet und habe außer den in Französisch geschriebenen Elementen eines befreundeten PatersG* die von Ihnen so sehr erhellte neuere Mathematik kaum in den Anfängen kennen gelernt. Über Ihr sehr gelehrtes Werk viel zu schreiben verbietet die Zeitknappheit; wenig will ich nicht. Einzig dem kann ich nicht zustimmen, dass Sie mich mit Lob überhäufen, dem ich nicht entsprechen kann. Ansonsten sehe ich Gediegenheit mit Menschlichkeit wetteifern und glaube, dass Bayle, wenn er noch am Leben wäre, sich zu einem solchen Gegner gratuliert hätte. Mehr, wie gesagt, füge ich, wegen ungünstiger Termine verhindert, jetzt nicht hinzu. Ich werde aber schreiben, sobald ich nach Köln komme, was, glaube ich, kurz nach Anfang November sein wird, denn vorher muss ich in meine Heimat fahren. Leben Sie wohl, verehrtester Herr, und nochmals wohl, und wenn Sie etwas in jener Region besorgt haben wollen, geben Sie Befehl etc. Aufgegeben in Hildesheim, 15. Oktober 1709 G
* P. Lami. Vgl. das folgende Schreiben.
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
25. 10. 1709 G LXIV nach D·6 XXIV.
Sosehr ich Ihren Weggang von uns bedaure, so sehr wird es mich freuen, wenn Sie diesen Weg aus Überzeugung gemacht haben und sich auch anderswo zur Geltung bringen. Das Buch Ihres Bonartes G ist an mich zurückgegangen. | Auch der Brief samt dem beigelegten von Behrens wurde überbracht. Es freut mich, dass Ihnen der
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Anfang der halbtheologischen Arbeit nicht missfällt. Ich wünschte, alles hätte Ihrer Zensur unterbreitet werden können; denn auch Gedrucktes verträgt doch Verbesserung, ja Überarbeitung. Ich hoffe auch, dass Ihnen meine Antwort auf Ihre jüngsten Bedenken wenn schon vielleicht nicht genügt, so doch nicht gänzlich missfallen hat; es würde mich freuen, das irgendwann zu erfahren. Von P. Lamy von der Oratorianerkongregation, den Sie erwähnen, gibt es zwei mathematische Elementarbücher, beide nicht zu verachten, das eine über die Größe insgesamt, das die Grundlagen der allgemeinen Arithmetik oder Algebra enthält, das andere hingegen über Geometrie: Beide sind recht gefällig; mir scheint dennoch, dass die Geometrie von Pardies aus Eurer Gesellschaft, die sogar in Jena bei den Unsrigen einmal nachgedruckt worden ist, mit Nutzen hinzugefügt werden kann. Der mathematische Kursus Eures Dechales (obzwar er kein großer Algebraiker war) hat mir immer sehr gefallen. Mit beiden (Pardies und Dechales) war ich in Paris ziemlich eng bekannt. Hätte ich Ihre Reise vorausgesehen, dann hätte ich Ihnen das Leben des Seligen Gobert aus der alten Familie von Aspremont anvertraut, um es den Ew. Antwerpener Patres, diesen ausgezeichneten Männern, zu schicken. Jetzt trachte ich, dass es bei irgendeiner Gelegenheit zu Ihnen nach Köln kommt; von dort wird man es bei passender Gelegenheit nach Antwerpen schicken können. Veranlassen Sie bitte, dass ich über das fernere Treiben in der chinesischen Angelegenheit von Zeit zu Zeit unterrichtet werde; und wenn Ihnen etwas anderes zugetragen wird, das die heilige oder profane Literatur betrifft, vor allem zum Thema Bücherzensur, bitte ich, so viel die Sache erlaubt, davon unterrichtet zu werden. In Köln wird Ihnen doch auf diesem Gebiet viel mehr als in Hildesheim zur Kenntnis gebracht. Sobald mein kleines Werk fertig ist, lasse ich Ihnen zwei Exemplare – eines Ihnen, das andere Eurem großen Tolomei gewidmet – zukommen. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 25. Oktober 1709
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P. S. Wenn Sie vielleicht unseren Orban, den hervorragenden Mann, sehen, richten Sie ihm bitte meine fortwährende Verehrung aus, sofern es Ihnen nicht lästig fällt.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
18. 1. 1710 G LXV.
Von Hildesheim bin ich direkt in meine Heimat Limburg gefahren, um zu arbeiten. Von dort kam ich am 9. November nach Köln. G Tags darauf wurde mir Ihr höchst ehrenvoller | Brief vom 25. Oktober ausgehändigt, den ich später beantworten werde, weil erstens mein Gepäck, das nichts Kostbareres als Ihren Brief erhielt, noch nicht angekommen war und mich zweitens ein leichtes Fieber (das ich dem Klimawechsel zuschreibe) ein paar Tage ans Krankenbett fesselte, schließlich, weil die hereinstürzenden Aufgaben des neuen Amtes mir kaum Platz ließen, an anderes zu denken. Daher werden Sie meine Langsamkeit verzeihen, die ich später mit Schnelligkeit zu kompensieren trachte. Dies zuversichtlich hoffend, komme ich zu dem Inhalt Ihres Briefes, auf den ich wegen der bevorstehenden Abreise aus Hildesheim nicht, wie es sich ziemte, geantwortet habe. Beim Lesen eines Teils Ihres herrlichen Werkes hatte ich einiges auf einen Zettel notiert in der Absicht, es Ihnen ausführlich zu schreiben, doch dieses Blatt ist durch einen unerfindlichen Zufall verschwunden. Unter meinen Habseligkeiten finde ich es jedenfalls nicht. Vernehmen Sie es, weil Sie es doch befehlen, so gut es geht aus meinem Gedächtnis und betrachten Sie es mit Wohlwollen. Ich mache den Anfang mit den grammatischen oder vielmehr drucktechnischen Fehlern. Consecution und contradistingué – so schön sie auch den zugrunde liegenden Begriff ausdrücken – habe ich im furetièreschen Wörterbuch, das in Trévoux erschienen ist, nicht gefunden – vielleicht weil sie im Gemeinwesen noch nicht ge-
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stattet sind? Soll man sie daher mit italischen Zeichen hervorheben, wie Bouhours vorschreibt? Zudem habe ich irgendwo gelesen: »Gerson sprach gegen Ruusbroec (Gerson a dit contre Rusbrock)«. Was hat Gerson gesagt? Gewiss das, was Sie unmittelbar zuvor anführten. Stand also in Ihrem Manuskript: »Gerson sagte das gegen etc. (Gerson l’a dit etc.)«, und der Drucker hat durch die Auslassung den Relativsatz unkenntlich gemacht? Verzeihen Sie, verehrtester Herr, dem Kritiker solche Belanglosigkeiten. Ich dulde nicht, dass einem so glänzenden und so genau ausgearbeiteten Buch auch nur der geringste Makel zugefügt wird. Dies zu den Wörtern, jetzt komme ich zu den Sachen selbst. An erster Stelle sage ich im Namen der Schule Dank für Ihre Feststellung, dass alle Schwierigkeiten, die der christlichen Religion widerstreiten, allein mit Hilfe der aristotelischen Logik weitestgehend behoben werden können. Aber sehen Sie bitte, ob dieser sehr wahre Ausspruch von Ihnen nicht auch damit übereingestimmt werden kann, was man gegen den Kult der Katholiken im Speziellen vorbringt. Das nämlich tut Véron, dessen Methode zwar nicht die gleiche wie die von Bellarmin ist, doch ihr auch nicht widerspricht und nicht zu verachten scheint, wenn man sie in angemessene Grenzen zwingt, denn sie wurde auch von Augustinus (wie die Brüder Walenburg ausdrücklich zeigen) und anderen Gelehrten, namentlich Nicole, angewandt und hat zumindest erwiesen, dass die Argumente, die gegen uns vorgebracht werden, nicht unüberwindlich und unlösbar sind – etwa in der Weise, wie Sie Bayle entgegenhalten, dass das, was man im Allgemeinen den Christen vorwirft, nicht unüberwindlich ist. Vergleichen Sie, wenn Sie möchten, die Stärke von beiden, ich kann mir vorstellen, dass Sie der Auffassung sind, man könne mit Ihrer Methode eher diese als jene [Argumente] eliminieren. Darüber hinaus ist sie von Nutzen, um aufzuzeigen, dass diejenigen, die eine der Täuschung unfähige Autorität der Kirche ablehnen, | oft von den Prinzipien im Stich gelassen werden, auf welchen G sie die Gewissheit der Dogmen errichten. Wenn sie nun auf diese Weise zum Skeptizismus verleitet werden, sollen sie sehen, ob das die Schuld der Methode oder ihre eigene ist, da sie ja das leugnen,
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was, wenn es nicht wahr ist, notwendigerweise vieles ins Wanken bringt. Bei uns dagegen ist kein Platz für Skeptizismus, da wir bekennen, ein ganz anderes festes Prinzip zu haben, auf das allein gestützt wir (wenigstens in vielem) erkennen, ob und in welchem Sinn etwas offenbart ist, und bei strittigen [Glaubens-]Artikeln zur unerschütterlichen Wahrheit gelangen: nämlich die Autorität der Kirche, gegen welche die Einwände, wie eindrucksvoll auch immer diese sein mögen, nicht mehr Gewicht haben dürfen als das, was Sextus Empiricus, Hobbes und andere gegen die Gewissheit der mathematischen Disziplinen vorgebracht haben. Das Werk von Daillé, das Sie erwähnen, habe ich nicht angesehen, aber ich sah Calixts Abschied von der neuen Kunst. Ebenso habe ich von Barthold Nihus die Neue Kunst und die Verteidigungsschrift (Apologeticum) angeschaut, welch letztere Bayle, wie ich aus seinem Wörterbuch erfahre, vermisst hatte, doch sind davon in unserem Hildesheimer Kolleg immer noch mehrere ungebundene Exemplare vorhanden. Nihus hatte sich vorgenommen zu zeigen, dass von den Protestanten keine Beweise gegen uns gebracht werden, was Bayle im Artikel Nihus nicht leugnet. Ihre Ansicht über den Ursprung der Seele, die gewiss geistreich ist und, wie es scheint, sich zur Erklärung des ersten Sündenfalls eignet, auf den es ankommt, sollten Sie meines Erachtens eher so ausdrücken, dass der Grad und das ursprüngliche Vermögen der Vernünftigkeit (das auf jeden Fall substantiell ist, da es ja den Menschen ausmacht und vom Nicht-Menschen unterscheidet) bei einer ganz neuen Empfängnis erst hinzugefügt werden, als dass sie in den bereits existierenden sensitiven Seelen im Samen …G* und dann noch im bezeichneten Akt verborgen sind; denn das Letztere werden die Ohren unserer Theologen nicht ertragen. Das Erstere dulden sie vielleicht noch eher. Ich sehe auch nicht, warum es notwendig sein soll, wundersam hinzugefügt zu sagen, denn bei dieser Hinzufügung können Sie ein Wunder ebenso leicht ausschließen, wie manche andere Philosophen es immer wieder bei der Schöpfung tun. Doch das wird nur ein Streit über das Wort sein. Vor einem warne ich noch: Es ist bei uns verboten, diesen Satz zu ver-
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teidigen: »Möglich ist eine Potenz, die zwar von Natur aus zum freien Handeln unfähig ist, doch emporgehoben durch göttliche Eingebung frei handelt.« Während ich darüber nachdenke, stoße ich zufällig auf ein Werk des Genueser Philosophen und Arztes und einstigen Professors an der Akademie zu Pisa, Fortunio Liceti, Vom Ursprung der menschlichen Seele, zusammengefasst in drei Büchern, vor hundertacht Jahren in Genua gedruckt, allerdings (was bedauerlich ist) im gesamten Schriftsatz fehlerhaft, | dessen Nachwort zum ganzen Werk hier im G Wortlaut wiederzugeben dazu verhilft, zu sehen, wie weit er mit Ihnen übereinstimmt – falls dieses Buch gerade nicht zur Hand sein sollte. »Aufgrund der Überlieferung kann es also ruhig dabei bleiben, dass die menschliche Seele, soweit es ihre vernunftlosen Teile betrifft – wie gesagt den vegetativen und sensitiven –, zur Gänze aus einem Vater vermittels des Samens hervorgeht, und zwar teilt sich die Seele des Vaters, was den vegetativen und sensitiven Teil angeht, im Koitus infolge der Teilung des Subjekts, wird vervielfältigt, bleibt im ejakulierten Samen bestehen und wird ungefähr am neunten Tag nach dem Koitus, dem Zeitpunkt, an dem die Empfängnis erfolgt, in derselben Anzahl dem weiblichen Samen und Blut übermittelt. Soweit es aber den rationalen Teil betrifft, wird sie vom besten Gott unmittelbar in ein und demselben Augenblick geschaffen und in den organisierten Körper nicht vor dem vierzigsten Tag ab der Empfängnis eingeflößt. All das war mir von Grund auf zur Untersuchung vorgelegt worden.« So er. Es folgte die Überlegung, ob diese Abhandlung vielleicht in Rom unter die Zensur fallen würde; ich habe Sotomayors Index der verbotenen Bücher konsultiert, aber den Namen Liceti darin nicht gefunden. Ich glaube, dass Ihre Ansicht, mit der Einschränkung des von mir Hinzugefügten, nicht mehr gefährdet ist als die von Liceti. Aber ich muss, denke ich, mich noch weiter erkundigen, ob dieses Buch nicht betroffen ist. Ich komme nun zur Eucharistie. Die allgemeine Ansicht unserer Theologen ist ja, wie Sie wissen, dass in ihr die realen und physischen Akzidentien ohne Subjekt bestehen bleiben. Mit dieser Lehre stimmt die von Ihnen vorgeschlagene Hypothese von den aufgeho-
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benen ursprünglichen und den derivativen Kräften schön zusammen. Da aber derivative Kräfte bei Ihnen nur Modifikationen der ursprünglichen Kräfte sind, begreife ich nicht, warum nach Aufhebung der ursprünglichen [Kräfte] die derivativen bleiben können, außer dass Sie vielleicht Modi mit den Akzidentien, die wir absolut nennen, verwechseln. Übrigens bleibt in der Ansicht aller Protestanten, die versichern, dass zugleich mit dem Empfang des Brotes der Körper Christi perzipiert würde, genauso wie bei den Katholiken noch erklärungsbedürftig, auf welche Weise dieser unverletzlich heilige Körper zugleich mit den Dimensionen des Brotes durchdrungen werden kann. Diese Durchdringung fordern nämlich all jene, die mit uns gegen die Reformierten an der realen Gegenwart Christi festhalten. Sie werden vermutlich nicht sagen, dass sich die Substanzen von Brot und Körper unter Bewahrung ihrer jeweiligen Ausdehnung gegenseitig durchdringen. Und auch wenn Sie nachweisen, dass der Begriff der körperlichen Substanz nicht auf der Ausdehnung beruht, so scheint die Ausdehnung doch in einer kontinuierlichen und wiederholten körperlichen Substanz (wie es jedenfalls der Körper Christi immer sein wird) nicht fehlen zu können, da Ausdehnung nach Ihnen eine bestimmte Wiederholung und Fortsetzung der drängenden und widerstrebenden Substanz ist, der Drang selbst aber von der drängenden Substanz nicht getrennt werden kann. Was Sie irgendwo über die Körper der Engel zu verstehen geben, G lehne ich nicht ab, wenn nur nicht (wie | ich Ihnen meiner Erinnerung nach früher einmal geschrieben habe) eine einzige Substanz oder Person aus Geist und Körper hervorwächst. Die Engel mögen ohne weiteres einen Körper durch eine Relation, ja durch eine Union haben, wie sie von den alten Peripatetikern zwischen den Intelligenzen und Himmelskörpern behauptet wurde, aber nicht so, wie sie zwischen Seele und Körper des Menschen besteht. Was soll ich zur chinesischen Angelegenheit sagen? Bedenken Sie, dass die ruhmreiche Stadt besetzt ist und die Gerüchte auf beiden Seiten einander widersprechen. Je nach Sympathie erdichten die einen, sie sei schon eingenommen, die anderen, sie sei von der Be-
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lagerung befreit. In dieser Unruhe befinden uns jetzt wir Ultramontanen und selbst die auf der anderen Seite der Alpen. Allerliebst ist, was man uns neulich geschrieben hat, wenn es denn wahr ist. Ein Energumene in Spanien, vom beschwörenden Priester gefragt, von wie vielen Dämonen er geplagt werde, antwortet: er habe nur einen einzigen Feind. Darauf entgegnete der Priester zum Dämon: Ihr pflegt doch eine Menge zu sein. Hierauf der Dämon: Für diese Aufgabe genüge ich allein, das Wichtigere besorgen die anderen. Was dieses wohl ist? Dass die Jesuiten aus China vertrieben werden. Ich schicke eine Bittschrift, die vom portugiesischen Gesandten dem Papst überbracht wurde, hastig aus dem Italienischen übersetzt und recht fehlerhaft gedruckt. Man sagt, Kardinal Paulucci habe diesem Gesandten unter Hinweis auf seine Glaubwürdigkeit als Kardinal und päpstlicher Administrator versichert, dass vom Papst nichts mehr über diesen Fall beschlossen wurde, was auch immer die Gegner schwatzen. Auf der beiliegenden Karte finden Sie unter anderem den Titel des Buches, mit dem jene, die gegenteiliger Ansicht sind, den bekannten Überlegungen entgegengetreten sind. Man kämpft auf beiden Seiten fest entschlossen. Unsere Belgier schreiben, dass eine französische, sehr genaue und zugleich sehr elegante Apologie der chinesischen Riten erschienen ist, aber man hat sie in dieser Gegend noch nicht zu Gesicht bekommen. Sobald ich ein Exemplar erworben habe, werde ich es unverzüglich schicken. Aber ich werde auch neu erschienene Bücher angeben, die Sie in den Niederlanden vergeblich suchen und die Sie, nach meinem Urteil, kennen möchten, dazu den Preis, falls sie erhältlich sind, sodass Sie selbst über ihre Anschaffung entscheiden können, wozu ich gerne meine geringe Hilfe anbiete. Unser Tolomei ist, glaube ich, so in der chinesischen Aufgabe versunken, dass er nicht daran gedacht hat, auf meinen [Brief], dem ich Ihre Schrift über die chinesische Angelegenheit beigelegt hatte, zu antworten. Sobald Sie von Ihrem Werk die Exemplare, die ich höchst begierig erwarte, geschickt haben, werde ich den Mann mit der Ankündigung dieses höchst erfreulichen Geschenks aufmuntern, wenn er sich denn aufmuntern lässt.
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[… … … G] Die Vita Goberts habe ich den Antwerpener Patres längst geschickt, doch noch keine Bestätigung für den Erhalt bekommen, ich nehme an durch die Schuld der Kutscher, die hin und zurück sehr langsam fahren und unterwegs die Pausen in die Länge ziehen. In der Bibliothek unseres Kollegs findet sich eine sehr alte handschriftliche »Chronik« von Martin dem Polen, so viel man [daraus] G entnehmen kann fast aus derselben Zeit wie der Autor | – es enthält nicht die geringste Spur von der Päpstin Johanna. Eben jene ist es, die Fr. Joannes Caesar drucken ließ, der Kaplan des Klosters St. Katharina, vom Orden der Prämonstratenser, Kanoniker in Knechtstedt, im Jahr 1616. Ich hielt es für angebracht, Ihnen dies wegen Ihres kleinen Werkes über die Pseudopäpstin anzuzeigen, von dem ich gerne wissen würde, ob es der Anhang zu Ihrem AntiBayle-Werk sein wird. Da es lateinisch ist, gäbe es hier vielleicht einen Drucker, der es zur vorgegebenen Bedingung zum Druck übernehmen würde. Die Opuscula von Pardies und seinem Freund, die Sie erwähnen, habe ich irgendwo einmal gesehen und zum Teil gelesen, hier finde ich sie (erstaunlicherweise) nirgends. Dechales ist vorhanden, aber in der ersten Auflage. Ebenso von Gilles François de Gottignies die Idee der Logistik, erschienen in Rom 1677 im Quart. Die Allgemeine Logistik, ein anderes recht mühsames Werk desselben Autors mit demselben Inhalt, erschienen in Neapel im Jahr 1687 in Folio, und außerdem das lang gesuchte »Österreichische Problem« von Gregor von St. Vincent habe ich schließlich mit Mühe gefunden. Bei Ozanams Elementen der Algebra würde ich gerne wissen, was Sie davon halten. Sie würden mir einen Gefallen erweisen, wenn Sie noch andere namhafte Größen vorschlagen. Newtons »Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie)« und l’Hospitals Analyse des Unendlichen – beide Bücher besitze ich – sind für meinen Begriff noch zu hoch. Ich würde einen Führer zu diesem Heiligtum der Mathematik brauchen. Es war ein großer Nachteil für mich, nicht über Hannover gefahren
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zu sein, neben vielem anderem besonders deshalb, weil es möglich gewesen wäre, über dieses Studium einige Dokumente und Informationen über Autoren persönlich aus Ihrem Mund zu vernehmen. Das Jahr, das wir zurücklegen, möge, so bete ich, gesegnet und für Sie glücklich sein. Leben Sie, hochgeschätzter Mann, zum Wohle der literarischen Republik und zählen Sie mich nicht als den Geringsten unter Ihren Anhängern; leben Sie wohl. Aufgegeben im agrippinischen Köln, 18. Jänner des Jahres 1710 P. S: Das Buch mit dem Titel »Le veritable esprit des nouveaux disciples de S. Augustin« müsste Ihnen, so erwarte ich, aus Lüttich geschickt werden. Seine vier Bände machen zusammen zwei Reichs[taler] aus. Den Fall Quesnel kann ich, wenn Sie es wünschen, ebenfalls haben. G
* ein Wort unleserlich
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
Jänner 1710 G LXVI (F XX).
Hannover, Jänner 1710 Ich hatte Bedenken wegen Ihrer Gesundheit, nun freue ich mich, dass es Ihnen gut geht und Sie sich meiner erinnern. Das neue Amt, der neue Ort nehmen den größten Teil der Zeit | in Anspruch – das G verstehe ich gern. Danke für die kritischen Hinweise: consecution ist, glaube ich, bei den Franzosen tolerierbar, da ein anderer passender Ausdruck fehlt, aber contradistingué sollte richtiger in distingué umgewandelt werden. Die Stelle über Gerson und Ruusbroec werde ich nachsehen. Auf den Streit über die Autorität der Kirche möchte ich mich nicht einlassen, damit es nicht nötig wird, in eine ausgedehnte Dis-
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kussion einzutreten und eine Menge Zweideutigkeiten klarzustellen. Die neue Kunst von Véron, Nihus und dergleichen schien mir einst inhaltslos, und es wird nicht der Mühe wert sein, sie wieder aufzugreifen. Vergeblich haben auch die Walenburgs, deren kleine Arbeiten zu dieser Sache ich früher gelesen habe, versucht, so etwas zu verteidigen. Bayle hätten sie, glaube ich, gefallen, diesem Liebhaber des Skeptizismus, aber er hätte die gegenteilige Schlussfolgerung daraus gezogen. Wenn die Vernünftigkeit nicht durch ein Wunder zur präexistenten sensitiven Seele zusätzlich hinzukommt, folgt daraus, dass sie spontan durch natürliche Entwicklung entsteht, und das meinte ich, als ich sagte, sie sei im bezeichneten Akt enthalten. Wenn Sie diesen Ausdruck für nicht so passend halten, kann man ja einen anderen dafür nehmen. Aus der Stelle Licetis stimme ich einigem zu, anderem stimme ich nicht zu, und zwar, dass sich die Seele des Erzeugers in einen vegetativen und einen sensitiven Teil teile. Denn jede Seele ist einzig und unteilbar; auch die Seele, die im Samen enthalten ist, ist nicht Teil einer elterlichen Seele. Dass Licetis Buch mit einer Zensur belegt war, glaube ich nicht. Da Brot nicht wirklich eine Substanz ist, sondern ein Seiendes durch Aggregation oder ein Substantiat, das durch eine zusätzlich hinzugefügte Vereinigung aus zahllosen Monaden resultiert, besteht seine Substantialität in dieser Vereinigung. Daher ist es nicht notwendig, dass in Eurem Sinn jene Monaden von Gott abgeschafft oder verändert werden, sondern nur, dass dasjenige abgezogen wird, wodurch sie ein neues Seiendes hervorbringen, nämlich die Vereinigung; so wird die in dieser bestehende Substantialität aufhören, obschon das Phänomen bleibt, welches nun nicht mehr aus jenen Monaden entsteht, sondern aus einem göttlich verfügten Ersatz, der mit der Vereinigung jener Monaden gleichwertig ist. So wird in Wahrheit kein substantielles Subjekt da sein. Aber solcherlei brauchen wir, die die Transsubstantiation ablehnen, nicht. Zur Mehrfachpräsenz ein und desselben Körpers ist eine Replikation oder eine Durchdringung der Dimensionen nicht nötig,
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sondern sie ist erklärbar als eine Art von Gegenwart, welche zu den Dimensionen keinen Bezug hat. Wenn Gott nun tatsächlich veranlassen würde, dass etwas unmittelbar aus der Entfernung wirkte, würde er eben damit dessen Mehrfachpräsenz ohne alle Durchdringung oder Replikation bewirken. Nach den Unsrigen heißt es nicht: Der Körper Christi ist im Brot eingeschlossen, sondern: wird mit ihm empfangen, wobei keine Verbindung mit den Dimensionen nötig ist. Ich sehe nicht, welches Hindernis es geben soll, dass Geistwesen – genios – Lebewesen, ζῶα, sind, nur viel edler als die, die wir kennen. Ob sie mit ihrem Körper eine Person konstituieren, hängt von der | Natur der Vereinigung ab, die etwas Metaphysisches, μετα- G φυσιϰὸν, ist und von uns nicht immer hinreichend erklärt werden kann. Bezüglich der chinesischen Sache hat man mir geschrieben, dass der Pontifex als einzigartigen Vermittlungsweg die Gesuche des Gesandten Tournon an seinen Stuhl abgewiesen, aber Tournons Ansicht selbst als nicht im Widerspruch zu den Dekreten Alexanders VII . erklärt hat. Das heißt in Wort und Formel sich gegen die Euren aussprechen, in der Sache und in Wirklichkeit für sie. Das Buch mit dem Titel Der Geist der neuen Augustinusschüler (L’ esprit des nouveaux disciples de S. Augustin) wurde mir bereits aus den Niederlanden geschickt. Aber den »Fall Quesnel« mit Ihrer Hilfe zu erhalten würde mich sehr freuen; teilen Sie mir den Preis mit. Den »Augustinus, gegen Launoy verteidigt von Serry« besitze ich. Es heißt jedoch, dass Launoy nicht der Autor der Schrift war. Die Päpstin hat mit dem Anti-Bayle nichts zu tun. Mit Vergnügen erfahre ich, dass bei Ihnen der Codex von Martin dem Polen vorhanden ist – denn mir fehlt er. Die französischen Schriften von Pardies sind lateinisch übersetzt in Deutschland erschienen, ein Buchhändler kann sie leicht besorgen. Euer Dechales ist nicht gering zu schätzen: Sein Fehler war, dass er die höhere Analysis, die er nicht verstanden hat, nicht ernst genommen hat. Die Algebra von Ozanam ist nicht zu verachten. Euer Gottignies, ein durchaus subtiler Mann, scheint manchmal den Knoten auf der Binse zu suchen.
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Auch wenn Grégoire de Saint Vincent die Quadratur des Kreises und der Hyperbel nicht gelöst hat, hat er doch die Geometrie um sehr schöne Wahrheiten erweitert; wir verdanken ihm also viel. Im Übrigen bitte ich Gott zu diesem Jahresbeginn, Sie viele Jahre für uns gesund zu erhalten. Leben Sie wohl usw.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
15. 3. 1710 G LXVII.
In meinem vor eineinhalb Monaten an Sie geschriebenen Brief konnte ich nicht viel über die chinesische Angelegenheit unterbringen. Von Zeit zu Zeit wurde uns etwas aus Rom überbracht, das ich hiermit in aller Kürze mitteile. Vor allem hat man bemerkt, dass der Papst jedes Mal, wenn er ein dekretorisches Urteil fällen wollte (und das wollte er mehrmals), ziemlich schlecht agiert habe. Kardinal Tournon, so schreibt man, hat sich in einem an den Papst gerichteten Brief über die Leitung unserer chinesischen Mission beklagt, weil sie einige von den Unsrigen, die seiner (des Kardinals) Meinung waren, misshandelte, ja in Kerkern und Fesseln G festhielte, | und unter diesen wurde Pater von Noël genannt, der jedoch bereits in Rom ist und vor Stadt und Erdkreis gegen den Kardinal energisch die Sache der Gesellschaft vertritt. Diese Anzeige soll die Pläne des Papstes auf erstaunliche Weise verwirrt haben, der erkannte, dass sich Eminenz Tournon so wie in diesem auch in anderen [Fällen] getäuscht haben konnte. Der Arzt ebendieses Kardinals hat vieles, was er in der chinesischen Angelegenheit bezeugt hatte, widerrufen, als ein Beichtvater aus dem Orden des hl. Franziskus auf den Widerruf drängte. Dieser Widerruf wurde aus China zum Papst geschickt, der diese Ränke und Betrügereien erst jetzt wahrzunehmen beginnt.
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Wir indessen haben von unserem Generaloberen die chinesische Kirche durch Enzykliken an den gesamten Orden Gott überantworten lassen und hoffen noch. Einige zu dieser Angelegenheit erschienene französische und italienische Schriften von den Unsrigen konnte ich zufällig sehen, aber Exemplare davon, die ich Ihnen hätte schicken wollen, konnte ich weder durch Güte noch Geld erhalten. Was ich kann, ist Ihnen die Titel zu schicken: 1. Protestation des Jesuites sur les ceremonies de la Chine (Öffentliche Erklärung der Jesuiten wegen der Zeremonien in China). 2. Reponse à la Protestation de Messieurs du Seminaire des Missions étrangeres (Antwort auf die offene Erklärung der Herren des Seminars der ausländischen Missionen). 3. Lettre à un Prelat sur un ecrit intitulé: Lettre de Mr. le Cardinal de Tournon à Mr. Maigrot (Brief an einen Prälaten über eine Schrift mit dem Titel: Brief des Herrn Kardinal de Tournon an Herrn Maigrot). 4. Lettre à Messieurs du Seminaire des Missions Etrangeres sur ce qu’ils accusent les Jésuites de ne s’etre pas soumis sincèrement au nouveau decret touchant les affaires de la Chine (Brief an die Herren des Seminars der ausländischen Missionen, dass sie die Jesuiten anklagen, sich nicht aufrichtig dem neuen Dekret, betreffend die Affären von China, unterworfen zu haben). 5. Osservazioni sopra la Risposta fatta dal Procuratore del Sig. Cardinal di Tournon a cinque Memoriali de Padre Provana Procuratore de’ Missionarii della Compania di Giesu (Bemerkungen zur Antwort des Prokurators des Herrn Kardinals von Tournon auf fünf Memoranden von Pater Provana, dem Prokurator der Missionare der Gesellschaft Jesu). Falls ich diese für längere Zeit bekomme, werde ich sie mit den Büchern über den wahren Geist der Schüler des hl. Augustinus schicken; über diese ein andermal. P. Janninck und P. Orban möchten Ihnen durch mich die besten Grüße ausrichten; der erstere bedankt sich auch überaus für das Manuskript zum Leben Goberts.
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[… … G] Leben Sie wohl etc. Aufgegeben im agrippinischen Köln, 15. März 1710 P. S. Vor einigen Tagen habe ich Ihre Antwort auf die von Pater Lamy, dem Benediktiner, vorgebrachten Bedenken gegen Ihr System gesehen, wie sie sich im Pariser Journal vom vergangenen Jahr findet. Wenn Sie darauf bestehen, mein Urteil zu hören: Ich glaube, dass dem Gegner völlig Genüge getan worden ist.
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25. 3. 1710 G LXVIII. G
| Vor acht Tagen habe ich einige Neuigkeiten von der chinesischen Angelegenheit notiert. Jetzt schicke ich das, was uns teils aus Rom, teils von anderswo überbracht wurde, aus dem wir in der Hoffnung auf einen guten Ausgang bestärkt werden. Während ich Ihre starke Antwort auf die von dem benediktinischen Freund zur Sprache gebrachten Einwände gegen die prästabilierte Harmonie durchlese, kommt mir gerade ein Bedenken, das ich weder von dem Freund noch von Bayle berührt sehe, und zwar: Aus der prästabilierten Harmonie von Körper und Seele scheint geradewegs zu folgen: wenn ein so vollkommenes Geschöpf geschaffen würde, dass es den Mechanismus des ganzen Universums durchschaute, würde der Fall eintreten, dass es nicht nur die gegenwärtigen Geheimnisse der Herzen, sondern auch das Zukünftige, wie frei es auch immer sei, (zumindest was die Ordnung der Natur nicht überschreitet) sicher und untrüglich erkennen und voraus wissen würde. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben im agrippinischen Köln, 25. März 1710
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
2. 5. 1710 G LXIX nach D·6 XXV (S).
Sie werden sich wundern, dass ich so lange meiner Pflicht nicht nachgekommen bin, und ich schäme mich auch fast, etwas Nachlässigkeit einzugestehen, aber teils hat die Abwesenheit, teils schlechte Gesundheit dazu geführt. Ich trachtete auch danach, die Fertigstellung meines Buches in den Niederlanden bekannt geben zu können, doch seit einigen Wochen höre ich davon nichts, obwohl der größte Teil dem Vernehmen nach gedruckt ist. Ich glaube, dass ich Ihren ersten, am 18. Jänner in Köln aufgegebenen Brief beantwortet habe, in dem Sie auf eine Reihe von Ausdrücken hinwiesen. Tatsächlich sollte der letztere auch besser weg bleiben, wenn es nach mir geht. Die véronsche Methode verdient nicht, dass man ihr Beachtung schenkt. Sie ist nur ein Missbrauch der Logik. Nicole hat sie ein wenig abgewandelt; indessen kommt in Wahrheit auch in seinem Werk über die Kirche nichts von Bedeutung vor. Wenn derlei Argumente auf aristotelische Art in eine logische Form gebracht werden, brechen sie sofort zusammen. Und darum lobe ich die aristotelische Logik mit Recht. | In den Niederlanden ist eine Broschüre erschienen mit dem Ti- G tel Mémoires pour Rome sur l’état de la Religion Chretienne dans la Chine 1709. Nun stammen alle Teile der Broschüre von Autoren, die sich gegen Euch stellen; von ihrer Ansicht haben sie mich jedoch noch nicht überzeugt. Es zeigt sich: Kardinal Tournon ist den päpstlichen Anweisungen gefolgt, und umso verblüffter sind die Römer, dass jetzt offenbar die Segel gestrichen werden müssen. Licetis Buch über den Ursprung der menschlichen Seele war, glaube ich, nie von der Zensur betroffen. Wenn die Vernünftigkeit nicht durch ein Wunder zur präexistenten sensitiven Seele zusätzlich hinzukommt, folgt, dass sie spontan durch natürliche Entwicklung daraus entsteht. Bei Liceti beanstande ich, dass er offenbar sagt,
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die Seele des Erzeugers teile sich in einen vegetativen und einen sensitiven Teil, denn jegliche Seele ist unteilbar. Weil Brot in Wahrheit ein Seiendes durch Aggregation oder ein Substantiat ist, besteht seine Substantialität in der Vereinigung der Monaden. Um diese auszulöschen, müsst Ihr daher nicht die Monaden selbst auslöschen. Zur Mehrfachpräsenz ist eine Explikation oder Durchdringung der Dimensionen nicht nötig, sondern sie kann als eine Gattung von Gegenwart erklärt werden, die keinen Bezug zu den Dimensionen hat, z. B. wenn Gott bewirken würde, dass etwas unmittelbar aus der Ferne wirkt. Ich sehe nicht, welches Hindernis es geben soll, dass Geistwesen – genios – Lebewesen, Ζῶα, sind, nur viel edler als die, die wir kennen. Der Name »animalia« [beseelte Lebewesen] passt jedoch nicht gut, weil diese eine Spezies fortpflanzen. Das Buch mit dem Titel L’ Esprit des nouveaux Disciples de St. Augustin wurde mir schon lange aus den Niederlanden versprochen; aber der »Fall Quesnel« wird mir dank Ihrer Hilfe sehr willkommen sein. Den »Augustinus, verteidigt von Serry₇₈« besitze ich. Die Päpstin hat nichts mit dem Anti-Bayle zu tun; es wird ein eigenes kleines Werk in lateinischer Sprache mit dem Titel: Blumen, auf das Grab der Päpstin gestreut. Die französischen Schriften von Pardies sind lateinisch übersetzt vor längerer Zeit in Deutschland erschienen (Jena, wenn ich nicht irre), ein Buchhändler kann sie leicht besorgen. Euer Gottignies ist zwar subtil, suchte aber oft den Knoten auf der Binse. Auch wenn Grégoire von St. Vincent nicht die Quadratur des Kreises und der Hyperbel gelöst hat, hat er doch viel Vorzügliches geleistet. In der bei den Niederländern herausgegebenen chinesischen Broschüre lese ich, dass Euer Pater Visdelou, ein gebürtiger Fran₇₈ Statt Serry steht bei G wie auch D·2, 189 offenbar irrtümliches »Perry« (»Perrio«).
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zose, gegen die Euren für Tournon eintritt; ob das wahr ist, würde ich gerne wissen. Denn ich habe vernommen, dass niemand von Euren Franzosen mehr Kenntnisse über die chinesische Literatur besitzen soll. Hinzu kam, dass er auf Befehl des Monarchen aus China abberufen wurde. Daher würde ich gerne wissen, wohin er gekommen ist. | Der Titel oder die Inhaltsübersicht des »Kircherianischen Muse- G ums« von Bonanni ist sehr ansprechend, und ich zweifle nicht, dass wir viel daraus lernen. Mich wundert, dass Pater Bonanni immer noch die »generatio aequivoca« anerkennt. Es freut mich, dass Ihnen nicht missfällt, was ich Pater Lamy, dem Benediktiner, entgegnet habe. Förster hat erst vor kurzem mit Pater Servatius Nöthen in Frankfurt gesprochen und mir die Karte, die ich beilege, geschickt, dass Euer Servatius nicht Euren Patres, sondern Förster selbst das übersandte Buch in Rechnung stellen soll. Wegen des für das Collegium Romanum tauglichen Jünglings aus Braunschweig-Lüneburg habe ich die Rückkehr Seiner Durchlaucht Fürst Anton Ulrich abgewartet und ihm die Sache, als er zurück war, vorgetragen: Ich warte auf die Antwort. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 2. Mai 1710 P. S. Damit die Briefe problemloser an mich gelangen, wird es besser sein, sie zu Euren Hildesheimern bringen zu lassen und Herrn von Behrens anzuvertrauen; in der Zwischenzeit bin ich nämlich nicht in Hannover.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
14. 6. 1710 G LXX.
Als ich Ihren sehnlichst erwarteten Brief, aufgegeben am 2. Mai (denn sonst habe ich von Ihnen keinen gesehen), erhielt, bereitete ich mich auf die akademischen Grade vor, und es scheint so zu werden, dass ich, den mathematischen Kerkern gerade entronnen, den Kurs abzubrechen und meinen Geist der Theologie zuzuwenden gezwungen bin. Indessen sage ich Dank für die Information über die von Ihnen vorgeschlagenen bedeutenden Mathematiker, die, wenn nicht mir, so wenigstens anderen von Nutzen sein kann und wird. Dieser Sorge, wie gesagt, entledigt, hatte ich nichts dringender vor als Ihnen zu antworten. Wenn wahr ist, was jüngst aus Rom berichtet wird, werden die Geschicke der chinesischen Kirche bald offenbar werden, denn als unser P. Raimundo, ein Gefährte von Provana, die alten Dokumente über die christliche Religion, die vor gar nicht so langer Zeit in China gefunden wurden, unter ihnen auch den vor mehreren Jahrhunderten ins Chinesische übersetzten Dekalog, in dem das Wort Gott mit dem berühmten Tian ausgedrückt wurde, neulich Clemens XI. vorgestellt hat, soll der Pontifex gesagt haben, dass er den 15. Mai als Ende für diese ganze Unternehmung festsetzen würde, denn er wolle nicht, dass die Mission zugrunde geht. Über Pater Visdelou habe ich gelesen, wenn ich nicht irre in einer Apologie unserer Franzosen, es sei falsch, dass er von den anderen Unsrigen abweiche, vor allem nachdem man das von Tournon selbst überbrachte Dekret gründlich studieren konnte. Darin bleibt der Streit über ein Faktum – nämlich ob die chinesischen Riten | wirklich so G beschaffen sind, wie sie der hochverehrte Maigrot in seinem Mandat geschildert hatte – unentschieden, zumal, aufgrund des Inhalts seines Dekrets, die Apologien der Unsrigen sich durchzusetzen scheinen, was immer es mit den geheimen Mandaten auf sich hat, die Clemens XI. möglicherweise Tournon übermittelt hat. Ob darüber hinaus unser Salomon, während die zwei Mütter um
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den Knaben streiten, jener, deren Inneres wegen des Knaben aufgewühlt ist, den Fall zusprechen wird, wird der Verlauf des Ereignisses zeigen. Zwar fürchten wir, noch mehr aber hoffen wir. Aus Prag haben wir erfahren, dass vor allem die lateinisch übersetzten Werke, die zur Verteidigung der Unsrigen auf Italienisch und Französisch geschrieben wurden, eben dort gedruckt werden. Liceti stimmt bezüglich einer gewissen Zusammensetzung der menschlichen Seele aus Teilen oder Graden mit Ihnen überein. Dass die Teilung der Seele, die er ausführt, Ihnen nicht zusagt, wenn sie im metaphysischen Sinn verstanden wird, wusste ich, aber wenn man sie physisch und sinngemäß nimmt, wird Sie Ihrer Lehre nicht widerstreiten, denn es teilt sich ja, wie man meint, auch die Seele einer Mutterpflanze in die Seelen der Sprösslinge, weil diese, in der Matrix zunächst verborgen, schließlich doch hervorkommen. Wenn wir uns dazu bekennen, dass die Substanz des Brotes bei der Eucharistie zugrunde geht, meinen wir damit, dass nicht nur seine Form – die zweifellos in einer bestimmten Modalität besteht, weil Brot ein Seiendes durch Aggregation ist – zerstört wird, sondern auch die eigentümliche Materie des Brotes. Daher wird man auch sagen müssen, dass zumindest die dem Weizen eigentümlichen Monaden vergehen; was nicht von Ihren Prinzipien abweicht, da jene Monaden, so viele es auch sind, keine Masse ausmachen. Wenn man an die Stelle dieser aufgehobenen Monaden die Monaden des Körpers Christi setzt und sie ihrer Ausdehnung, die ihnen nicht wesentlich ist, entledigt, haben wir damit, denke ich, die Umwandlung des Brotes in den Körper Christi hinreichend katholisch erklärt. Sehen Sie, wenn es genehm ist, was gegen Descartes’ Antwort auf die vierten diesbezüglichen Einwände der Autor der Reise durch die Welt Descartes’ am Ende des zweiten Teils S. 132 ff. ins Treffen führt, was, so sehr es meines Erachtens gegen Descartes gültig ist, sich doch nicht gegen Ihre dergestalt erklärte Meinung richtet. Zur Mehrfachpräsenz fällt mir Folgendes ein: Erstens, wenn zur Gegenwart eine Wirkung₇₉ ohne Bezug auf Dimensionen genügt, ₇₉ Lat. »operatio«, auch als »Handlung« (ähnlich »actio«) zu lesen.
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70. Des Bosses an Leibniz
kann Gott nicht verursachen, dass etwas aus der Ferne wirkt, denn die Wirkung wird eben dadurch das wirkende Ding zum gegenwärtigen machen. Ferner scheint die Gegenwart eines Geistes oder einer rationalen Seele ohne Bezug auf einen Körper oder dessen Dimensionen nicht erklärt werden zu können, also auch nicht die Gegenwart eines Körpers [ohne Bezug] auf einen anderen. Noch dazu widerspricht die Wirkung eines Körpers auf einen anderen Ihren Prinzipien. Darüber hinaus, wenn ich mich recht erinnere, verwerfen Sie die Ansicht Newtons und anderer, die eine Wirkung aus der G Distanz einräumen. | Schließlich wird Descartes (ja auch Calvin) die gleiche Mehrfachpräsenz aufrecht erhalten können, obwohl Sie doch in dem Brief an Pellisson meinen, mit den Prinzipien Descartes’ würde die reale Präsenz untergraben. Ich erinnere mich, in dem anderen meiner beiden letzten Briefe nach Ihrer Meinung über eine gewisse Schlussfolgerung aus der prästabilierten Harmonie gefragt zu haben; es würde mich freuen zu erfahren, was Sie davon halten. Auch was Seine Durchlaucht der Herzog in Bezug auf den Jüngling antwortete, den Tolomei ausersehen hat, würde ich gerne wissen, denn ich schrieb unverzüglich an Tolomei, dessen Wunsch es ist, Seiner Durchlaucht zu willfahren. Nicht nur ich, sondern auch viele andere in unserer Umgebung warten begierig auf die Veröffentlichung Ihres Anti-Bayle-Werkes. Den »Fall Quesnel«, der selten zu werden beginnt, auch in Belgien, werde ich Ihnen besorgen, obwohl der vierte Band oder die Fortsetzung des Buches Le veritable esprit des nouveaux disciples de S. Augustin, den Sie noch nicht gesehen haben, fast zur Gänze von Quesnel handelt. Zur Besorgung der Ausgabe Ihres kleinen Werkes über die Päpstin – falls die Sache noch aktuell ist – biete ich meine bescheidene Hilfe an. Leben Sie wohl, verehrtester Herr, und nehmen Sie die aufrichtigen Gebete, die ich schon seit einigen Jahren für Ihr Heil und Wohlergehen täglich im Stillen zu Gott empor richte, für ein Zeichen des Wohlwollens. Aufgegeben im agrippinischen Köln, 14. Juni 1710
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Nach Niederschrift des Briefes höre ich, dass das, was ich oben über das chinesische Problem geschrieben habe, in Rom bestätigt wird; und man fügt noch hinzu: der Papst habe mit größter Leutseligkeit dem portugiesischen Pater Raimundo geantwortet, er wolle sich demnächst zur Burg Castelgandolfo begeben, um sich geistig zu entspannen, und dort unserem sehr verehrten P. Generaloberen endlich seine Ansicht über die chinesische Angelegenheit eröffnen, weshalb die Römer vermuten, dass diese Sache bei der Kongregation des Hl. Officiums unlängst definitiv entschieden worden ist.
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2. 7. 1710 G LXXI / D·6 XXVI.
Es wird mich freuen, wenn ich die chinesische Mission außer Gefahr weiß: Denn ich möchte nicht, dass der Fortschritt des Christentums wegen Bedenken zum Stillstand kommt, die mir nicht sehr bedeutsam scheinen. P. Kircher hat seinerzeit ein Denkmal des alten chinesischen Christentums herausgegeben. Einigen schien es verdächtig neu; ich glaube jedoch, dass es in Rom nicht ohne Einfluss bleiben wird, wenn man daraus die Stelle des Dekalogs hernimmt, | an der »Gott« mit Tian übersetzt wird. Ein Gerücht wurde aus- G gestreut, der chinesische Monarch wolle nicht, dass künftig die in China lebenden Christen – auch nicht die europäischen – von einer ausländischen Autorität abhängig seien, aber ich glaube nicht, dass das wahr ist. Ein Körper, der aus der Entfernung unmittelbar wirkte, wäre für einen anderen nicht dimensional oder zirkumskriptiv anwesend, sondern ubikativ und substantiell. Die Unmittelbarkeit der Substanz, nicht der Dimensionen, deren Abstand gewahrt würde, scheint mir angemessener als eine sich wiederholende Mehrfach-
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71. Leibniz an Des Bosses
präsenz, über deren Möglichkeit ich nicht diskutieren will; doch sehe ich nicht, warum man dazu Zuflucht nehmen muss. Eine natürliche Wirkung des Körpers auf Entfernung lehne ich jedenfalls ab, anders als eine übernatürliche. Ein ehrbarer Mann aus der Gegend von Celle ist vor einigen Jahren zu Ihrer Gemeinschaft übergetreten und wirkt nun in Hildesheim als Advokat am Höchstgericht. Sein Sohn, ein Überdurchschnittliches versprechender Jüngling, der sich mit dem Studium an Ihrem Kolleg Mühe gibt, schien würdig, einen Platz am Collegium Romanum zu bekommen, und wir haben keinen anderen gefunden, der besser geeignet wäre. Sie erhalten hier das Zeugnis eines Ehrwürdigen Paters von den Euren, dem sein sittliches Betragen und ebenso sein Fortschritt bekannt sind, und ich bitte Sie, dieses dem Ehrw[ürdig]sten Pater Tolomei mit vielen Empfehlungen von mir zu übersenden. Möge ihm Gott genügend Kräfte und Jahre schenken, damit er seine glänzenden Vorhaben zu Ende bringen kann. Ich bitte Sie, den Plan im Gedächtnis zu behalten, dass man einen gelehrten und in der Kirchengeschichte ebenso wie der scholastischen Theologie kundigen Mann, der aber noch im blühenden Alter steht, zu einer Dogmengeschichte animiert, wie sie von Petau und Thomassin begonnen und etwa bis zu den Vätern weitergeführt wurde und nun über die Scholastiker bis in unsere Zeit fortgesetzt werden müsste. Das wäre angenehm und nützlich zugleich. Zugleich wären dort die Geschicke der Philosophie hinein zu verweben. Wir haben eine gewisse antike Philosophiegeschichte, aber mittelalterliche so gut wie keine. Der Ew. P. Janninck scheint anzudeuten, dass die Vita von Robert₈₀ de Asperomonte verloren gegangen ist, was ich bedaure, weil sie kaum anderswo aufzutreiben sein dürfte. Die »Blumen, auf das Grab der Päpstin gestreut« habe ich einem gewissen gelehrten Chronologen zu schicken versprochen, damit er mir seine Beobachtungen mitteilt; vorher werde ich nicht an eine Edition denken können. ₈₀ »Robert« dürfte versehentlich für »Gobert« stehen.
2. 7. 1710
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Ich entsinne mich nicht, was für ein Korollar zur prästabilierten Harmonie das war, zu dem Sie, wie Sie sagen, nach meiner Meinung gefragt haben. Im Übrigen etc. Aufgegeben in Hannover, 2. Juli 1710
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18. 7. 1710 G LXXII.
| Obgleich der Jüngling, von dem Sie schreiben, wegen seiner Un- G reife an Jahren und Studien noch nicht zum Collegium Germanicum zugelassen werden kann, weil die Satzungen mindestens 16 Jahre und den Abschluss des Curriculums der Humanwissenschaften für künftige Zöglinge – auch für sehr prominente – fordern, hoffe ich doch, dass die verantwortlichen Eminenzen dank Ihrer und des erlauchten Fürsten Hilfe von diesen Regeln Abstand nehmen. Daher habe ich Ihre Empfehlung an Tolomei weiter gesandt, zugleich mit einem Fragment Ihres Briefes über die Ausarbeitung einer Geschichte der Scholastik, weil er Ihren – von mir einmal angesprochenen – Plan sehr gebilligt hat. Für diesen Bereich sind die Italiener, Franzosen und Spanier, die die nötige Literatur und Muße im Überfluss besitzen, vielleicht besser geeignet als unsere Landsleute. Auf Ihre Erklärung der Mehrfachpräsenz habe ich nichts weiter zu erwidern, auch wir schreiben dem Körper Christi in der Eucharistie keine zirkumskriptive Gegenwart zu, aber da für uns Repliziertwerden dasselbe heißt wie mehrere disparate »Wo« auf welche Art auch immer zu haben, und Sie sich dazu bekennen, dass Christi Körper substantiell und ubikativ in der Eucharistie da ist, können Sie, glaube ich, akzeptieren, dass wir sagen, Christi Körper sei substantiell und ubikativ repliziert und mit den Dimensionen des Brotes durchdrungen.
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72. Des Bosses an Leibniz
Die Schlussfolgerung, die man aus der vorherbestimmten Harmonie schien ziehen zu können, war: Wenn die Körperbewegungen auf die freien Aktionen unseres Geistes nur nach mechanischer Notwendigkeit ohne irgendeinen Einfluss des Geistes folgen und diese ihnen bis ins Letzte exakt entsprechen, dann wird nicht Gott allein das Wissen von den Geheimnissen des menschlichen Herzens und dem zukünftig frei sich Zutragenden zu eigen sein, da ein geschaffener Geist sich als so groß und edel erweisen kann, dass er den Mechanismus des ganzen Universums restlos und adäquat durchschaut. Aufgrund dieser Kenntnis wird er alle Körperbewegungen, die sind und sein werden, überblicken und voraussehen, nicht anders, als die Astronomen, welche berufsmäßig Einblick in den Himmelsmechanismus haben, die zukünftigen Planetenbewegungen exakt voraussagen. Wenn Sie das zugestanden haben, wird er nun gewiss auch alle freien Handlungen der menschlichen Geister, sogar die künftigen, weil sie ja jenen körperlichen Bewegungen entsprechen, überblicken können; so wie ich – wenn feststände, dass zwei Uhren, eine europäische und eine amerikanische, immer genau übereinstimmen – auch den Stand derer, die in Amerika ist, erkannt haben werde, sobald ich den Stand der europäischen kenne. G | Den Fall Quesnel habe ich einem Mädchen mitgegeben, das in wenigen Tagen nach Hildesheim fährt; dort soll er von den Unsrigen an Sie geschickt werden. [… … … G] Leben Sie wohl usw. Abgesandt in Köln, 18. Juli 1710 P. S. Sobald P. Noël zu uns kommt, denn hier muss er durchreisen, wenn er in die Berge Pannoniens will, werde ich Ihnen vielleicht mehr zu schreiben haben.
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4. 8. 1710 G LXXIII / D·2, 289 f. (E 15, S / F XXI).
¦ Hochwürdiger Pater, verehrtester Gönner! ¦ Es ist gut, wenn Sie die Replikation der Mehrfachpräsenz so darstellen, dass sie nicht dem Ding zugehört, sondern dem Wo, aber wenn ich nicht irre, drücken Sie damit den Gedanken derer, die [so] sprechen, nicht sehr passend aus. Auch sehe ich nicht, warum es notwendig ist, zu sagen, der Körper Christi sei von den Dimensionen des Brotes durchdrungen, da in diese Ubikation keine Dimensionen eingehen. Doch wir können, vorausgesetzt die Sache ist angemessen erklärt, bei den Ausdrücken großzügig sein. Den Einwand, den Ihr neuester [Brief] gegen die prästabilierte Harmonie enthält, hatte ich im vorigen nicht bemerkt; denn sonst hätte ich sofort geantwortet, zählt er doch zu denen, die mich am meisten freuen, da sie Gelegenheit bieten, die Sache besser zu beleuchten. Genau das nämlich, dass Welt, Materie, Geist von einem endlichen Geist nicht vollkommen begriffen werden sollenG*, gehört mit zu meinen Argumenten, mit denen ich beweise, dass die Materie nicht aus Atomen zusammengesetzt, sondern aktual ins Unendliche geteilt ist, sodass in einem beliebigen Materieteilchen eine Welt mit einer unendlichen Anzahl Kreaturen ist. Wenn aber die Welt ein Aggregat von Atomen wäre, könnte sie von einem ausreichend edlen endlichen Geist vollständig erkannt werden. Weil ferner kein Teil der Materie von einem Geschöpf vollkommen erkannt werden kann, wird nun klar, dass auch keine Seele vollkommen von ihm erkannt werden kann, da sie durch die prästabilierte Harmonie die Materie exakt repräsentiert. Was daher Ihnen ein Einwand schien, kann als Argument für meine Sache angesehen werden. Wollen Sie meinen Text wieder haben, in dem ich neulich meine Ansicht über die chinesische Kontroverse erklärt habe? Wenn das in Ihrem Sinn ist, suche ich in den Papierstößen und schicke das
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Gefundene noch einmal mit. Sofort kann ich es aber nicht versprechen, wegen des Durcheinanders der Papiere, die ich schon erledigt zu haben glaube. G | Sehr willkommen wird es sein zu erfahren, was Sie von P. Noël und anderen sonst noch über die Chinesen wissen; 16 Bände chinesische Druckwerke hat mir vor ein paar Jahren der Ew. P. Bouvet geschickt, aber sein Brief ist verschwunden, sodass ich bisher nicht weiß, was diese Bände enthalten. So ist es ein verborgener Schatz. Ich habe ein weiteres Mal geschrieben und einen Brief nach Frankreich geschickt, erhielt aber keine Antwort; und seit der Ew. P. Verjus gestorben ist, werde ich von Euren Franzosen ein wenig vernachlässigt. Wenn ich eine durch Gefälligkeit anderer Freunde von P. Bouvet erhalten könnte, wäre ich Ihnen auch in dieser Hinsicht verbunden. Einige andere Bitten, von mir wie auch von Freunden, sind in meinem Brief an Bouvet enthalten. Doch Antwort haben wir keine bekommen. D Im Übrigen leben Sie wohl ¦ und lassen Sie es sich wohl ergehen. Aufgegeben in Hannover, 4. August 1710 Ergebenst G. W. Leibniz ¦ P. S. Selbst wenn der Kaiser der Chinesen nicht geziemend ein Edikt über die Bedeutung des Wortes Tian veröffentlichen kann, könnte er doch vielleicht auf indirekte Weise, aber authentisch, seine Ansicht über diese Sache eröffnen. G
* Im Entwurf schreibt Leibniz nicht können (nequeant) für nicht sollen (non debent)a.
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11. 10. 1710 G LXXV.
Der »Fall Quesnel«, samt der beigefügten »Epistula Curiosa (Lesenswerter Brief)« von Theodor Eleutherius, ist, hoffe ich, schon längst bei Ihnen angelangt. Ihre Briefe an Orban und Hartsoeker habe ich selbst | übergeben. Die Antwort Hartsoekers ließ ich Ih- G nen aus Hildesheim schicken. Orban bestätigte, dass er etwas an Sie zu schicken hätte. Wenn ich das erhalten habe, werde ich einige kleine Werke über chinesische Dinge dazugeben, die Sie vermutlich gerne sehen. Aus Rom haben wir erfahren, dass nach der Inhaftierung von zwei Männern der gegnerischen Partei, Herrn Maillé und Herrn Des Champs, von Tag zu Tag ein größerer Hoffnungsstrahl auf ein endgültiges Urteil schimmert. P. Noël hält sich noch in Prag auf und hat vor, die Dokumente zur chinesischen Angelegenheit auf Lateinisch herauszugeben. Dass Sie sich wegen des Briefes von Bouvet beschweren, habe ich nach Rom und Paris weitergeleitet. Wenn ich bloß auch die Fertigstellung der Publikation Ihres Anti-Bayle hätte vermelden können! Oh, in welche Höhen heben Sie unsere Seele noch! Was Sie auf den jüngsten Einwand antworten, trifft mich nicht ganz unerwartet und gefällt mir gut. Aber ich habe Bedenken, dass jemand auftreten wird, der jene zwei Prinzipien mit solchen, die Ihnen nicht genehm sind, verknüpft und die vorherbestehende Harmonie zwar von Ihnen borgt, aber gemeinsam mit vielen anderen, die das Attribut der Unbegreifbarkeit allein Gott zuschreiben, behauptet, dass jede beliebige körperliche Kreatur von einem anderen, hinreichend edlen geschaffenen Geist begriffen und vollkommen erkannt werden kann. Doch das ist nicht Ihr Fehler, und es ist nicht neu, dass aus der Verbindung von Meinungen, die für sich betrachtet Wahrscheinlichkeit besitzen, Monster entstehen. Was wäre außerdem, wenn jemand sagt, die Unendlichkeit der Kreatur sei kein Hin-
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dernis, dass sie von einem erschaffenen Geist, der auch selbst unendlich ist, begriffen werden kann? Bezüglich der Replikation, soweit ich das verfolge, habe ich keinen Anlass zu streiten, da wir in der Sache zusammenkommen. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben im agrippinischen Köln, 11. OktoberG* 1710 P. S. Bis ich das hier fertig schreibe, ist ein Bekannter hier, der vor kurzem in Wolfenbüttel von Ihnen freundlich empfangen und durch die hochberühmte Bibliothek geführt wurde. Er überbringt mir ganz besonders freundliche Grüße von Ihnen. Ich aber sage Ihnen für die ihm erwiesene Freundlichkeit in unser beider Namen vielmals und nochmals Dank. * Dies Datum oder das des vorhergehenden Briefes ist unrichtig.
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[Des Bosses’ Brief vom 4. November 1710 fehlt: »Ich vertraue darauf, dass Ihnen mein jüngster Brief übergeben wurde …«. Vgl. RK 25298.]
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7. 11. 1710 G LXXVI / D·2, 290 f. (E 16, s / F XXII). D
¦ Hochwürdigster Pater, verehrtester Gönner! ¦
Die »Quesnel-Kontroverse«, ein glänzendes Geschenk von Ihnen, habe ich längst erhalten, und ich glaubte das zu erkennen gegeben und mich dafür bedankt zu haben. Wenn nicht, dann wollen wir es G hiermit tun, | wie es sich ziemt. Ihren Freund erinnere ich mich in
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Wolfenbüttel gesehen zu haben. Gäbe es doch öfter etwas, bei dem ich Ihnen meine Zuneigung beweisen könnte! Es gefällt mir, dass meine Antwort – zumal sie nicht völlig unvorhergesehen kommt – Ihrem Einwand Genüge tut. Wer die prästabilierte Harmonie zugibt, wird zwangsläufig auch die Lehre von der aktualen Teilung der Materie in unendliche Teile zugeben. Doch das folgt auch aus anderen [Gründen], nämlich aus der Natur der Bewegung der Fluida und dem Umstand, dass alle Körper einen Grad₈₁ Flüchtigkeit besitzen. Wenn das Attribut der Unbegreiflichkeit allein Gott eigentümlich wäre, hätten wir mehr Hoffnung, die Natur zu erkennen; doch ist es allzu wahr, dass es keinen Teil der Natur gibt, der von uns₈₂ vollkommen begriffen werden kann. Das beweist die Perichorese, περιχώρησιϚ, der Dinge selbst. Keine noch so edle Kreatur₈₃ kann Unendliches zugleich deutlich erfassen oder begreifen; wer vielmehr auch nur einen einzigen Teil der Materie begreifen würde, der würde das ganze Universum aufgrund der besagten περιχώρησιϚ begreifen. Meine Prinzipien sind so, dass sie voneinander kaum getrennt werden können. Wer eines gut kennt, kennt alle. Etliche Einwände habe ich Herrn Hartsoeker, auf seine einstige Bitte hin, geschickt. Sie bilden einen Teil derjenigen, auf die er in seinen Erklärungen (Eclaircissements) geantwortet hat, aber ohne meinen Namen anzugeben, was ich auch nicht wünschte. Doch neulich haben wir uns in eine andere Kontroverse verwickelt. Er hat behauptet, es gebe zwei Teile der Materie, einen, der sich aus vollkommen harten Atomen zusammensetzt, und einen aus einem vollkommenen Fluidum. Ich behaupte, dass die Materie überall ihrer Natur nach teilbar ist, dass Atome nur durch ein Wunder eingeführt werden können und dass auch die Flüchtigkeit in bestimmte Grade ₈₁ Nach D·2, 290, hieße es: »…dass alle Körper ein wenig Flüchtigkeit besitzen« (»parùm fluiditatis« statt, wie hier bei G, »gradum fluiditatis«). ₈₂ In D·2, 290 fehlt »von uns« (»a nobis«). ₈₃ D·2, 290: »Keine noch so edle Natur« (»natura«, statt »creatura«).
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75. Leibniz an Des Bosses
von Zusammenhalt übergeht durch verschiedene Bewegungen in der Materie, die miteinander konspirieren. Daher kommt es, dass keine Trennung ohne eine gewisse Störung der Bewegungen abläuft, der entsprechend Widerstand geleistet wird. Dieses halte ich für den letzten Grund der Kohäsion in der Materie. Denn Klammern, Haken, Seile, von Luft oder Äther zusammengepresste Bretter und anderes dieser Art setzen schon irgendeine Festigkeit voraus. Und ich glaube, man kann keinen anderen letzten Grund für die Kohäsion angeben, weil Materie nur durch Bewegungen verändert werden kann. Herr Hartsoeker hatte mir die Gelegenheit gegeben, ihm so etwas mitzuteilen. Er scheint die von mir beanspruchte konspirierende Bewegung nicht ganz verstanden zu haben, weshalb er einiges dagegen und anderes dafür vorbringt, worauf ich ausführlicher antwortete, als ich vorhatte. Die Scheibe dreht sich und statt eines Krugs kommt eine Amphore heraus. Diesen Brief, den ich ihm schrieb, wollte ich Ihnen schicken, um ihn auch von Ihnen beurteilen zu lassen. Wenn es Ihnen also beliebt, können Sie ihn [dann] Herrn Hartsoeker schicken. Das Beiliegende bitte ich auch dem Ew. P. Orban zukommen zu lassen. Endlich ist in den Niederlanden mein kleines Werk fertig geG worden, und da | Ihr enge Nachbarn der Bataver seid und regen Umgang mit ihnen habt, werden Sie es von dort leicht durch einen Freund erhalten, wenn Sie das Kärtchen an den Buchhändler Troyel schicken, das ich hier beilege. Indessen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 7. November 1710 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦
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18. 11. 1710 G LXXVII nach D·6 XXVII.
Heute erhielt ich Ihr Paket, umfassend mehrerer kleine Werke, die die chinesischen Angelegenheiten betreffen: nun fehlt noch das Büchlein, dessen Titel lautet: Supplément des Mémoires pour Rome. Doch das Paket selbst war offen und mit keinem Siegel versehen, sodass ich nicht wirklich sicher weiß, ob nicht ein Brief – ich habe keinen gefunden – oder etwas anderes daraus weggenommen worden ist. Ich sage vielen Dank für das überaus freundliche Geschenk. Von den Büchlein haben mir zwei besser als die anderen gefallen: das mit der Überschrift Histoire apologétique de la conduite des Jésuites de la Chine und das besagte Supplement. Von der Apologetischen Geschichte schien mir notierenswert, dass nach S. 6 die Mohammedaner, die zweifellos der Bilderverehrung sehr feindlich gegenüber stehen, vor den chinesischen Zeremonien keine Scheu haben, und dass man ein Edikt eines chinesischen Kaisers gefunden hat, veröffentlicht im Jahr 1384 n. C., in dem verboten wurde, Konfuzius neben Idolen zu verehren. Mir gefällt auch, dass der Erzbischof von Manila und der Bischof von Cebu, die zur Zeit Urbans VIII . (wenn ich nicht irre) gegen die Jesuiten an den Papst geschrieben hatten, eines Besseren belehrt wurden und in anderen Briefen die Streitigkeiten abgestellt haben; dass der Dominikaner Navarrete zwei- oder dreimal nachgegeben hat; dass Moralez das in Rom erwirkte Dekret nicht weitergeleitet oder zumindest so zurückgehalten hat, dass es sich nicht gegen die Jesuiten richtete; dass schließlich nur sehr wenige der Missionare, und meistens die in chinesischen Dingen wenig Bewanderten, die Zeremonien des Volks bekämpften. Aber das Supplement bietet eine nicht weniger bedeutsame Sache: Die Erzählung von den Taten des Kardinals Tournon – auch wenn von einem anders Denkenden, aber doch einem ernsthaften Mann, sicher auch keinem Jesuiten, vorgetragen – sieht sehr
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nach der Wahrheit aus. Und selbst vom Bischof von Conon wird, glaube ich, nicht geleugnet, dass der Kardinal nicht umsichtig oder respektvoll genug beim Monarchen von China agiert hat. Zwei Dekrete des letzteren beurteile ich sodann als hochbedeutsam, sehe aber nicht, wie sein Urteil und das von hervorragenden Männern seines Volkes widerlegt werden kann, wenn man über die Bedeutung von Wörtern verhandelt. Nehmen Sie einmal an, dass früher eine andere Meinung verbreitet gewesen sei, sie würde gewiss jetzt verschwinden, nachdem der Kaiser dargestellt hat, in welchem Sinn G die Riten und anderen Zeichen | der Gesinnung genommen werden müssen, was P. Noël Alexandre und selbst der Bischof von Conon anerkannten, als sie nicht hofften, eine so deutliche Auslegung erhalten zu können. Die Bitten des portugiesischen Gesandten, die dem Papst schriftlich überbracht wurden, sind lesenswert; trotzdem überkam mich bei einer Stelle fast unwillkürlich das Lachen, als er auf die Jansenisten und jene losgeht, die die Unfehlbarkeit des Papstes bekämpfen, die er doch selbst so offenkundig in Zweifel zieht, indem er dem Papst erklärt, dass er, wenn er sich gegen die chinesischen Zeremonien ausspricht, seinen Gegnern Stoff zu einem neuen Argument für seine Fehlbarkeit liefern würde. Dass die Portugiesen irgendwann erwogen haben, Ostindien zu verlassen, ist mir neu; ich halte es jedoch nicht für absurd: Was aber auf S. 68 hinzugefügt wird, die Niederländer würden im Gegenzug einen bedeutenden Teil von Amerika versprechen, ist nur schwer zu fassen. Man kann nur annehmen, dass es eher in Privatgesprächen als mit öffentlicher Autorität geäußert wurde, da sie in Amerika nichts besitzen, von wo sie abziehen könnten, und auch nicht die Schiedsrichter über Spanisch-Amerika sind, sodass es in ihrer Macht stände, irgendetwas dort zu verschenken. Dem Ehrwürdigsten Pater Tolomei bitte ich mich aufs Eindringlichste zu empfehlen. Je mehr ich ihn verehre, umso mehr bedauere ich, dass er durch die obere Autorität von seinen zeitlosen Werken [immer] mehr zu den flüchtigen abgezogen wird – obwohl auch diese zeigen, wie groß er ist, nicht nur in seinen Bestrebungen, sondern in der tätigen Ausführung. Danke, dass er sich bereit erklärt,
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den von mir empfohlenen jungen Mann zu berücksichtigen, wenn es nach den Gesetzen des Kollegs möglich ist. Außer dem einen Exemplar meines kleinen Werkes, das ich Ihnen neulich ankündigte, überlasse ich Ihnen zwei weitere zu Ihrer Verwendung. Wenn es Ihnen also einmal beliebt, eines davon an Tolomei zu schicken, werde ich mich freuen, seine Meinung und sein ausgereiftes Urteil zu vernehmen, so wie ich auch Ihr ungetrübtestes [Urteil] mit Spannung erwarte; bis jetzt habe ich hier nur ein einziges Exemplar, nämlich jenes, das in Teilen zur Fehlerkorrektur geschickt wurde. Meine jüngsten [Schulden] hoffe ich mit dem Beiliegenden zurückerstattet. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 18. November 1710
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6. 1. 1711 G LXXVIII.
Ihre beiden Briefe vom 7. und 18. November durfte ich, wie ich meinte – obwohl sie ausreichend Anlass zum Schreiben boten – nicht beantworten, ehe ich das lang ersehnte Exemplar der Theodizee gesehen hätte. Schließlich sind | drei Exemplare, wie Sie befoh- G len hatten, aus Amsterdam geliefert worden, für welche wahrhaft stattliche und für mich höchst erfreuliche Gabe ich Ihnen meinen größten und innigsten Dank ausspreche; ich denke jetzt über eine Gelegenheit nach, wie ich den Wünschen unseres Tolomei Genüge tun kann. Das andere Exemplar lasse ich an Tournemine gehen, der, nachdem ich ihm kurz zuvor die Fertigstellung der Publikation dieses Werkes angekündigt hatte, inzwischen diese Karte an Sie geschrieben hat, die ich [hier] schicke. Das, worauf sich der Brief bezog, den Sie an mich gerichtet hatten, habe ich sofort erledigt, und Orban hat bereits geantwortet. Das Schreiben an Hart-
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soeker habe ich mit großem Vergnügen gelesen, und da er nicht gezögert hat, Ihre vorausgehenden Einwände samt seinen Antworten selbst zu veröffentlichen, glaubte ich, es werde Sie beide nicht stören, wenn ich es Tournemine übermittle. Als ich es las, kam mir zweierlei in den Sinn, das ich Sie frage möchte. Erstens: Da die konspirierenden und gegensätzlichen Bewegungen, die Sie aufstellen, auf ungleiche und heterogene Kräfte in den Entelechien hinzuweisen scheinen – wodurch kann man Ihrer Ansicht nach diese Heterogenität, ἑτερογένειαν, der Bewegungskräfte erklären, oder besteht sie in einer bloßen Ungleichheit derselben Kräfte, welche [etwas] in Bewegung setzen? Zweitens: Da Kräfte wirken, wenn sie nichts hindert, und mehr wirken, wenn sie weniger gehindert werden, was wird dann die Ursache davon sein, dass jene Körper, die die äußere Oberfläche des Universums ausmachen, so aneinander haften, dass sie weder ein Vakuum innerhalb der Masse der Welt zulassen noch durch ihre Bewegung einen größeren Raum als zuvor ausfüllen? Stellen Sie sich eine [Welt-]Kugel vor, deren Außenteile kein Bewegungshindernis vorfinden; mit Sicherheit werden all jene Außenteile, da sie in dem Teil, durch den sie mit äußeren Teilen verbunden sind, auf einen Widerstand stoßen, sich in gerader Linie – entweder entlang einer Tangente oder vielmehr entlang des Radius vom Zentrum aus – zu entfernen beginnen, was ohne Einräumung eines Vakuums oder ohne die so genannte Inflation von Körpern nicht geschehen zu können scheint. Ich weiß nicht, ob ich meine Absicht klar genug ausdrücke, doch so viel dazu. Ich kehre zurück zu Ihrem Theodizeum; während ich es gelegentlich durchwälze, so weit die freie Zeit zum sorgfältigeren Durchlesen reicht, sehe ich, dass Sie die philosophischen Briefe, erschienen in Trévoux im Jahr 1703, brauchen; aber bei Förster, von dem ich sie selbst vor drei Jahren gekauft habe, konnte man sie ja erstehen. Sehen Sie hier denjenigen, in der rohen Abschrift eines Jünglings, den Bayle erwähnt. Wenn Sie also auch die übrigen ansehen wollen, deren Titel ich dazugeschrieben habe, veranlasse ich, dass sie ebenfalls für Sie abgeschrieben werden, und ich würde auch das ganze Buch schicken, wenn es mit der Post bequem möglich wäre. Wenn
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Sie in diesem hier etwas Neues, Erwähnenswertes finden, teilen Sie es mir bitte mit, obwohl aus dem, was Sie auf S. 592 und den vorangehenden [Seiten] bemerken, hinreichend hervorgeht, dass Lamy dies zu Unrecht als Beweise verkaufen wollte. Einige andere Kleinigkeiten, die von mir soeben notiert wurden, füge ich an. Ob unser P. Friedrich | Spee von Geburt Westfale war, G weiß ich nicht sicher; in der Bibliothek der Schriftsteller unserer Gesellschaft, die von Nathanael Southwell erweitert erschienen ist, wird jedenfalls angegeben, dass er aus Kaiserswerth stammt, aus der Adelsfamilie der Langegkfelder (vielleicht zu lesen als Langefelder). Wenn übrigens dieser von Ihnen zu Recht gelobte Autor lehrt, dass durch vollkommene Liebe ein Mensch auch ohne Sakrament gerechtfertigt ist, hat er alle unsere Theologen auf seiner Seite, da diese ja einhellig die Verurteilung folgender Sätze von Bay unterschreiben: »70. Der in Todsünde oder unter Anklage ewiger Verdammnis existierende Mensch kann wahre Liebe besitzen, und es kann sogar vollkommene Liebe zugleich mit der Anklage ewiger Verdammnis bestehen. 71. Durch Reue, sogar in Verbindung mit vollkommener Nächstenliebe und dem Gelübde, das Sakrament zu empfangen, wird ein Verbrechen nicht vergeben – außer im Fall der Nötigung oder im Fall des Martyriums – ohne tatsächlichen Empfang des Sakraments.« Jene also, die die Reue zur Erlangung der Rechtfertigung im Sakrament fordern, unterscheiden sich von den Gegnern allein in der Frage: was hier unter der Bezeichnung »vollkommene Nächstenliebe« eigentlich zu verstehen ist; wobei die einen meinen, zur vollkommenen Nächstenliebe genüge die Tat, die beim Anblick der über alles liebenswerten göttlichen Güte entspringt; während die anderen zur Vollkommenheit der Nächstenliebe, von der hier die Rede ist, bei der Tat eine bestimmte Anspannung oder etwas in der Art fordern – woraus hervorgeht, dass das Argument, das Sie einst gegen Pellisson angeführt haben und jetzt wieder in Erinnerung bringen, beruhend auf der Ansicht einiger unserer Theologen, die Liebe allein genüge zur Rechtfertigung, auch auf andere mit gegenteiliger Gesinnung anzuwenden sei. Aber aus diesem Grund folgt nicht, so glauben wir, dass jene, die in Ge-
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meinschaft außerhalb der Kirche leben, das Heil erlangen können, denn wir alle bestreiten, dass diese, solange sie von der Kirche abgesondert sind, zur vollkommenen Liebe gelangen können. Denn der vollkommenen Liebe geht notwendig der Glaube voraus, und dieser nicht in einem weiten Sinn oder implizit, wie ihn Philosophen aus dem Zeugnis der Geschöpfe gewonnen haben konnten, sondern ein streng und explizit verstandener (zumindest an einige Artikel), der in einzigartiger Weise auf dem Wort des sich offenbarenden Gottes beruht. Dieser Glaube fehlt außerdem jemandem, der die Autorität der rechtgläubigen Kirche bekämpft, die, so behaupten wir, so offenkundig ist, dass sie niemand – wenigstens kein Gebildeter – , wenn er, wie es sich gebührt, unter Anrufung des göttlichen Lichts ihre Wesenszüge genau abwägt, ohne schuldhaften Starrsinn missachten kann. Nun kann aber mit dieser Schuld kein theologischer Glaube an irgendeinen Artikel bestehen, da durch den Glauben eines beliebigen Artikels der Geist des Glaubenden so geformt wird, dass, wenn ihm irgendwelche anderen von Gott offenbarten Artikel G bekannt und als glaubenspflichtig vorgesetzt würden, er ihnen | die Zustimmung nicht verweigern oder wenigstens nicht widersprechen könnte, wenn der Glaube, den er besaß, bestehen bleibt, und zwar in dem Teil des Glaubens, der das Fundament der Liebe ist. In der Natur der Liebe, als solche betrachtet, begegnet eine ähnliche Schwierigkeit; denn die Liebe, die zur Rechtfertigung erforderlich ist, schließt das virtuelle Gelübde oder den Vorsatz ein, alles das zu erfüllen, was die Gesetze der göttlichen Freundschaft erfordern. Sie erfordern aber, dass wir in Gemeinschaft mit der rechtgläubigen Kirche treten, die wir nicht ohne Schuld, die der Liebe widerspricht, missachten können. Jedenfalls fordert Spee selbst ganz klar zur rechtfertigenden Liebe zumindest den virtuellen Vorsatz, seine Sünden den Schlüsseln der Kirche zu unterwerfen. Wenn er also sagt, die Liebe sei ohne Sakrament genug, hat er eine solche gemeint, kraft deren der Geist bereit gewesen wäre, ein Sakrament zur gegebenen Zeit zu vollziehen. Dass dies nun seine Gesinnung ist, beweisen neben anderem seine Manuskripte, die ich hier gefunden habe – unveröffentlichte, vor allem zwei an drei vornehme Schwestern
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geschriebene Briefe, deren Zweck es ist, zu zeigen, dass es ein Heil außerhalb der Kirche nicht gibt. Von diesen Briefen, in denen die Geisteskraft und die Liebe des Autors wunderbar aufleuchtet, schicke ich Ihnen ein andermal Exemplare, wenn Sie wünschen. Wenn es Sie also nicht verdrießen sollte, die Meinung anderer über diese Sache von überaus schwerwiegender Bedeutung zu hören, werde ich gerne Tournemine und Tolomei zu Rate ziehen und weiterleiten, was sie antworten. Dass Sie das bedingte Wissen, das wir das mittlere nennen, auf das Wissen einer einfachen Intelligenz zurückführen, kritisieren wir nicht. Hören Sie Francisco Suarez im Vorwort des zweiten Bandes »Über die Gnade«, Kap. 6, Nr. 7: »Die Einteilung des göttlichen Wissens in Wissen der einfachen Intelligenz und Wissen der Schau ist adäquat; das bedingte Wissen ist dabei, einfach gesagt, unter dem Wissen der einfachen Intelligenz enthalten, … denn obwohl durch jenes eine kontingente Wirkung nicht nur als kontingent, sondern andererseits auch als determiniert erscheint aufgrund der Hypothese, bleibt dennoch – weil noch nicht anzunehmen ist, dass jene Hypothese durch einen Entschluss Gottes künftig eintreten wird – dieses Ganze im Bereich des Möglichen, und somit gehört jene ganze Erkenntnis zur einfachen Intelligenz.« So weit Suarez. Wir halten es also für ausreichend, dass Ihnen zufolge jenes bedingte Wissen zuvor keinen göttlichen Entschluss verlangt, der subjektiv absolut und objektiv bedingt ist, wie die Thomisten behaupten, worin für uns der größte Streitpunkt mit ihnen liegt. Dass die moralische Prädetermination, wie Sie behaupten, mit der Freiheit zusammen bestehen kann, halte ich für gewiss, und Sie werden kaum einen der Unsrigen finden, der das leugnet; sie werden finden, dass es die meisten offen behaupten. Wir bekennen darüber hinaus – wie viele auch immer, | zumindest aus der Gesellschaft –, dass der Wille G nur von einer Ursache bewegt handeln kann, andernfalls würde er außerhalb der Sphäre seines Objekts, die das Gute als solches ist, handeln. Ob es jedoch notwendig ist, immer und überall eine Prädetermination zuzugeben, kann ich noch nicht bestimmt sagen. Oder würden Sie sagen, dass dem schuldlosen Adam eine morali-
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sche Notwendigkeit zu sündigen eingepflanzt war, die freilich eingepflanzt war, wenn Adam auf diese Weise prädeterminiert war und ein je stärkerer Vernunftgrund prädeterminiert; doch wenn wir Augustinus hören, kommt die Notwendigkeit zu sündigen nur vom Bösen und kann offensichtlich keinesfalls einen guten Gott zum Urheber haben. Wenn Sie außerdem behaupten, eine sich selbst determinierende Potenz sei eine Chimäre, meinen Sie, dass eine derartige Potenz einen Widerspruch impliziert? Ich glaube nicht; sonst würden Sie die metaphysische Notwendigkeit aller Wirkungen einführen; aber die moralische Notwendigkeit zerstört die Möglichkeit der Selbstbestimmung nicht. Denn wer würde den Willen bestimmen außer dieser sich selbst, wenn er, wie es vorkommen kann, einem vorherrschenden Vernunftgrund nicht nachgäbe? Was Sie darauf antworten werden, wird auch Molina antworten können, dem Sie entgegenhalten, dass es nicht sein kann, dass eine Determination resultiert, wo es keine Wurzel der Determination gibt. »Man hat sie gefragt …, wie es möglich sei, dass schließlich eine Determination resultiert, für die es keinen Ursprung gibt, denn zu sagen, dass dies ein Vorrecht der freien Ursache sei … heißt, ihr das Vorrecht einzuräumen, chimärisch zu sein. (On leur demandoit … comment il etoit possible qu’il y resultât enfin une determination dont il n’y a aucune source, car de dire que c’est le privilege de la cause libre … c’est luy donner le privilege d’etre chimerique.)« Und das soll für den Augenblick genügen; mehr ein andermal, wenn ich das ganze Werk gründlich durchdenke. Es hatte überhaupt, meines Erachtens, nicht umsonst die Erwartung der Franzosen und Italiener mächtig geweckt. Im Übrigen werde ich die vorzüglichen Gedanken, die überall darin aufleuchten, nicht kommentieren und mich auch nicht mit Lobpreisung Ihres prächtigen Systems aufhalten, da ich beabsichtige, Ihnen – wenn es beliebt – [all das] unverzüglich zur Klärung vorzulegen, was mir Mühe bereitet. Das Paket, das Sie bekommen haben, enthielt nichts als das, was Sie bekommen haben. Stündlich erwarte ich die von Tolomei geschickten Bücher über die chinesische Angelegenheit. Außerdem
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wird Tournemine noch einiges Französische auftreiben. Leben Sie wohl, verehrtester Herr, und verbringen Sie das neue Jahr, das wir unter guten Auspizien begonnen haben, so glücklich wie möglich. Aufgegeben im agrippinischen Köln am 6. des Jahres 1711 P. S. Bei dieser Gelegenheit hier für Sie der Brief Hartsoekers, den ich erhielt, als ich diese letzte Seite schrieb.
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8. 2. 1711 G LXXIX nach D·2, 291 f. (E 17, S / F XXIII). Auszüge in DB Monitum *[10 ff.]
¦ Hochwürdigster Pater, verehrtester Gönner! ¦
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| Ich bin höchst dankbar, dass Sie sich um meine Schreiben geküm- G mert haben, dass Sie mir die Veröffentlichung des sechsten Briefes von Lamy bei den Trévoux-Autoren mitteilen, dass Sie den hervorragenden Männern Tolomei und Tournemine meine Essais anzeigen und dass Sie Tournemines und Hartsoekers Briefe schicken. Beiden antworte ich, mit der Bitte an Sie, die Antwort weiterzuleiten. Es ist mir auch nicht unlieb, dass Sie Tournemine zum Teilnehmer an meiner Kontroverse mit Hartsoeker machen. Sie sehen nun, was ich entgegne: Denn die Antwort Hartsoekers, die Sie schickten, haben Sie, glaube ich, gelesen; wenn nicht, oder wenn er sie nicht selbst schickt, werde ich sie übermitteln. Nun zu Ihren Fragen. Zuerst: Da Entelechien die Beschaffenheit der organischen Materie repräsentieren, muss in ihnen eine so große Mannigfaltigkeit sein, wie wir sie in der Materie selbst perzipieren, und keine Entelechie kann vollständig einer anderen gleichen: Eine Entelechie wirkt ja in der Materie gemäß deren Erfordernis, sodass ein neuer Zustand der Materie die Folge des früheren
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78. Leibniz an Des Bosses
Zustandes ist, nach den Gesetzen der Natur; die Gesetze der Natur aber erzielen ihre Wirkung durch die Entelechien. Doch auch der gegenwärtige Zustand der Entelechie selbst folgt aus ihrem früheren Zustand. Was ich zur äußeren Oberfläche der Materie sagen soll, weiß ich nicht, außer dass man entweder verneinen muss, dass es eine solche Oberfläche gibt, oder zu einem Wunder Zuflucht nehmen muss, durch welches eine Masse innerhalb gewisser Grenzen zusammengedrängt wird. Da es in Düsseldorf, wenn ich nicht irre, einige aus der Familie Spee gibt, wird man dort leicht in Erfahrung bringen können, ob nicht der Ew. P. Friedrich Spee aus derselben Familie war und von wo er abstammt. Sehr willkommen ist, was Sie von gewissen verworfenen Sätzen Bays anführen, die auch ich verworfen hätte. P. Spee habe ich auch nicht in dem Sinn erwähnt, dass er gleichsam Neuigkeiten bei Ihnen lehrt, sondern dass er das Eure schön erklärt. Ob man übrigens außerhalb Ihrer Kirche wahre Liebe haben kann, ist eine Tatsachenfrage, weil es für möglich angenommen wird, bis das Gegenteil bewiesen ist. Was Sie an Unveröffentlichtem oder mir Unbekanntem von Spee in Aussicht stellen, wird immer höchst willkommen sein. Dass in Adam oder irgendjemand anderem eine Notwendigkeit zu sündigen bestanden hat, würde auch ich nicht sagen, sondern nur: dass in ihm die Neigung zum Sündigen überwogen hat und daher irgendeine Prädetermination bestand, wenn auch keine Notwendigkeit. Ich bekenne mich dazu, dass in₈₄ Gott die moralische Notwendigkeit besteht, am besten zu handeln; in den gefirmten Geistern, gut zu handeln. Insgesamt₈₅ möchte ich die Worte so
₈₄ Den folgenden Teil dieses Satzes zitiert DB Monitum *[10]. ₈₅ Lat. »in universum«; DB Monitum *[12]: »Universim«. Der ganze Satz ist ebd. mit Variation in Wortstellung und Interpunktion wiedergegeben. – Während nun Leibniz nach G »die Worte« auch allgemein so und so auslegen will (»vocabula ita interpretari malim«), geht es nach DB Monitum um »diese« bestimmten Worte, wie »Notwendigkeit und anderes derartige«: »vocabula ista interpretari malim«.
8. 2. 1711
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| auslegen, dass nichts daraus folgt, was schlecht klingt. Daher ist G es besser, nie eine moralische Notwendigkeit anzuerkennen außer zum Guten, denn man muss doch glauben, dass ein Weiser nichts tun kann, was schlecht ist. Ich₈₆ weiß nicht, ob ich irgendwann etwas anderes gesagt habe; wenn ja, war die Äußerung unvorsichtig und korrekturbedürftig, wenn auch der Fehler nicht in der Sache, sondern im Ausdruck lag. Überhaupt stelle ich fest, dass ein Vermögen, sich selbst zu bestimmen ohne irgendeine Ursache, d. h. ohne eine Wurzel der Bestimmung, einen Widerspruch impliziert, wie ihn eben auch eine Relation ohne Fundament impliziert. Daraus folgt nun nicht die metaphysische Notwendigkeit aller Wirkungen. Es genügt nämlich, dass die Ursache oder der Grund nicht metaphysisch nötigt, obschon es metaphysisch notwendig ist, dass es eine solche Ursache gibt. Nicht ganz verstehe ich die Subtilitäten in der Vorgangsweise, die man in Rom einschlägt, wenn ich sehe, dass der Ew. P. Tolomei mit der päpstlichen Entscheidung zufrieden ist, obwohl doch der Papst eine Neudefinition zu wollen scheint. Daher wäre es willkommen, wenn Sie mir ein Licht anzünden, das ich auf Ihre Anweisung hin verwenden kann. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 8. Februar 1711 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦
₈₆ Gekürzte Wiedergabe dieses Satzes in DB Monitum *[12]: die Wortstellung variiert, ausgelassen ist der Teil von »wenn ja, war« bis »korrekturbedürftig«. — Zitiert wird ebd. *[10 f.] auch der folgende Absatz (»Überhaupt … Ursache gibt«), ohne den letzten Gliedsatz des ersten Satzes (»wie ihn eben … impliziert«) und mit Kommata statt Punkten.
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
2. 3. 1711 G LXXX nach D·6 XXVIII.
Auf Ihre Neuigkeiten habe ich ebenso wie auf die orbanschen, tournemineschen und hartsoekerschen geantwortet. Inzwischen erhielt ich einen weiteren [Brief] von Ihnen, der mir nach Berlin gefolgt ist, wohin ich fahren musste, um die Sozietät der Wissenschaften noch mehr voranzubringen. Um aber das Erbetene nicht zu vernachlässigen, schreibe ich heute in dem von Ihnen vorgeschlagenen Sinn an Durchlaucht den Fürsten von Braunschweig; denn obwohl ich nicht genau weiß, wie weit er auf Bürgschaften für [Personen], die er nicht genau kennt, einzugehen pflegt, wollte ich doch nichts unversucht lassen, soweit es an mir liegt, Ihnen meine Bereitwilligkeit zu bezeugen. Das tolomeische Paket werde ich dank Ihrer Hilfe bei Gelegenheit früh genug erhalten, denn vor dem Osterfest wird es nicht möglich sein, nach Hause zurückzukehren. Zu Hildesheimer Angelegenheiten weiß ich in Abwesenheit nicht genug zu sagen. Das Dekret des Papstes über die chinesischen Angelegenheiten hat mich verblüfft und lässt mich bezweifeln, dass die Rundschreiben dem Monarchen der Chinesen besonders gefallen würden, welcher die Handlungen des Legatus a latere, eines von ihm wenig geschätzten Mannes, lieber so ausdrücklich missbilligt sehen würde, wie sie es in gewisser Hinsicht sicherlich verdient haben. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Berlin, 2. März 1711
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25. 4. 1711 G LXXXI.
| Da ich fest annehme, dass Sie bereits gesund und unversehrt nach G Hannover zurückgekehrt sind und das Paket mit den von Tolomei geschickten italienischen Schriften erhalten haben, schicke ich nun endlich den Brief des hochberühmten Hartsoeker, den unseren Parisern mitzuteilen er mir nach Ihrem Beispiel selbst erlaubt hat. Drei Briefe von Pater Spee in Abschrift habe ich vor längerer Zeit an unsere Hildesheimer gerichtet; wenn man sie Ihnen noch nicht gegeben hat, wird man sie, glaube ich, mit diesen übergeben. Ihren [Brief] an Tournemine habe ich zusammen mit einer Kopie der Schreiben an Hartsoeker nach Paris [schicken] lassen. Ihre sehnlichst erwartete Theodizee haben sowohl Tolomei als auch Tournemine bereits bekommen. Neueste Neuigkeiten aus China werden Sie auf den beiliegenden Papieren finden. Pater Castner, der sie geschrieben hat, als er von Rom nach China zurückreiste, denke ich auf seinem Weg von Münster in Westfalen zu sehen. Ich habe auch einiges aus Rom dazugegeben, das sich auf die chinesische Sache bezieht, darüber hinaus haben wir noch nichts in Erfahrung gebracht. Für die Empfehlung von Herrn Nikolaus Reingens an den Herzog sage ich den schuldigen Dank, zumal er am Hof des katholischen Königs verdientermaßen mehrere Fürsprecher hat und auch sonst recht wichtige Gründe vorliegen, von denen der beiliegende Brief eine Probe gibt. Ich glaube, dass die Sache nicht ohne Erfolg sein wird, besonders wenn er die Unterstützung Seiner Durchlaucht des Herzogs erlangt; trotz allem, ich möchte nicht, dass diese ihm peinlich ist. Ich komme nun zum Inhalt Ihres vorletzten Briefes. Die Stellen, an denen Sie bei Adam und anderen Sündern eine moralische Notwendigkeit zu sündigen anzudeuten schienen, sind etwa folgende:
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80. Des Bosses an Leibniz
S[eite] 628, 3. Einwand, 1. Prosyllogismus: »alles Vorherbestimmte ist notwendig, jedes Ereignis ist vorherbestimmt, also ist jedes Ereignis und in der Folge auch die Sünde (Adams) notwendig … die Antwort ist, wenn jemand eine … Notwendigkeit … verstände …, die nur moralisch wäre, so ist offenkundig, dass man ihm den Obersatz bestritte.« – »tout predeterminé est necessaire, tout evenement est predeterminé, donc tout evenement et par consequent le peché (d’Adam) aussi est necessaire … on repond si quelqu’un entendoit une … necessité .. qui ne fut que morale … il est manifeste qu’on luy nieroit la majeur.« Seite 468 n. 282: »Man kann in gewissem Sinn sagen, dass es notwendig ist … dass die Teufel und die Verdammten sündigen … dass der Mensch der Seite folgt, die ihn vor allem anderen am meisten berührt, aber diese Notwendigkeit ist nicht das Gegenteil von Zufälligkeit etc.« – »l’on peut dire dans un certain sens qu’il est necessaire .. que les diables et les damnez pechent … que l’homme suive le parti qui apres tout le frappe le plus, mais cette necessité n’est point opposée à la contingence etc.« Seite 497: »die Notwendigkeit bestimmt vielmehr, zumindest wenn man nicht von einer moralischen Notwendigkeit spricht« – »necessité determine plutot à moins qu’on ne parle d’une necessité morale.« Aber weil man offenbar auch keine moralische PrädeterminaG tion zum | Bösen zugeben darf, wenigstens keine, die direkt von Gott herkommt (wie es bei jener der Fall zu sein scheint, die Adam von Anfang an sündigen ließ), scheint man daher billigen [zu müssen], dass Gott den Menschen von Anfang an richtig gemacht hat; wer nun eine größere Neigung zum Bösen als zum Guten hat, ist also nicht richtig. Dasselbe kann man von den Engeln sagen, die sündigen. Ich gestehe, dass die Möglichkeit der Selbstbestimmung ohne eine Ursache oder ohne irgendeine Wurzel der Bestimmung einen Widerspruch impliziert, denn der Wille kann sich nicht selbst wählen oder bestimmen ohne ein Motiv, das immer irgendein ihm vorgesetztes Gut ist. Aber ich bestreite, dass der Wille, wenn er ein we-
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niger wirksam vorgestelltes Gut verfolgen sollte, sich ohne eine Ursache bestimmen würde, und bejahe, dass auch ein weniger wirksam vorgestelltes Gut eine hinreichende Ursache ist, zumindest metaphysisch gesprochen, nämlich dafür, dass man dieses weniger Gute ergreift, sonst würde folgen, dass Adam ohne Widerspruch Gott nicht gehorchen konnte, als er sündigte, was ich so beweise: Sich ohne Ursache zu bestimmen, impliziert einen Widerspruch, aber ein Gott gehorchender Adam hätte sich ohne Ursache bestimmt, denn, wie ich voraussetze, es wurde ihm ein stärkeres Motiv zu sündigen als ein Motiv zu gehorchen vorgesetzt. Aber ein weniger wirksam vorgestelltes Motiv ergreifen heißt, sich ohne Ursache bestimmen. Unser Vazquez, der wie Sie meint, dass der Wille etwas vor etwas anderem nur wählen kann, wenn der Verstand es wirksamer vorstellt etc., bejaht, dass der Wille die Wahl des wirksamer vorgestellten Objekts aufheben kann und dass dann der Verstand eben dadurch bestimmt wird, die Motive für den unwirksamer vorgestellten Teil zu erwägen, aus welcher Erwägung zum Besseren schließlich folgt, dass der Verstand die entgegengesetzten Motive wirksamer vorstellt, und dass daher der Wille das Gegenteil wählen kann. Aber diese Antwort, soviel ich sehe, lassen die von Ihnen aufgestellten Prinzipien nicht zu. Seite 66 sagen Sie: »Wir geben uns damit zufrieden zu sagen, dass die Inkarnation die engste Vereinigung ist, die zwischen Schöpfer und Geschöpf existieren kann, ohne dass es nötig wäre, weiter zu gehen (nous nous devons contenter de dire que l’incarnation est l’union la plus etroite qui puisse exister entre le createur et la creature sans qu’il soit besoing d’aller plus long).« Könnten sich nicht die Nestorianer mit dieser Erklärung zufrieden zeigen? Zweifellos doch müssten sie zufrieden sein, denn sie leugnen, dass es mehr als eine moralische Union zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf geben kann. Es scheint daher, dass es nötig wäre, dazu noch Weiteres zu sagen. Beim Durchblättern des Werkes des hl. Thomas von Aquino gegen die Heiden stieß ich auf das Kapitel 93 des 4. Buches, in dem er, wenn ich nicht irre, für die Ewigkeit der Strafen, die die Ver-
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81. Leibniz an Des Bosses
dammten erleiden, denselben Grund angibt, den Sie anführen und mit Drexel untermauern. Er sagt nämlich: »Die Strafe der Seelen, die verdammt werden, würde nicht ewig sein, wenn sie den WilG len zum Besseren hin verändern könnten, weil es | ungerecht wäre, dass sie für ewig bestraft würden, wenn sie einen guten Willen hätten.« Etwas später sagt er: »Dass der Wille sich von der Sünde zum Guten wendet, geschieht nur durch die Gnade Gottes, die Seelen der Verdammten aber sind von der Gnade vollkommen ausgeschlossen.« Das ist nun alles, was im Augenblick anfällt. Vielleicht bekomme ich mehr von Pater Tournemine, der, wie er mir vor Erhalt Ihres [Briefes] schrieb, dafür sorgen würde, dass der Brief, den Sie allenfalls für Pater Bouvet an ihn schicken, beantwortet wird. Was er auf Ihren Brief antworten will, erwarte ich demnächst. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben im agrippinischen Köln, 25. April 1711
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8. 7. 1711 G LXXXII / D·6 XXIX.
Nach langer Abwesenheit kehre ich nun erst auch zu unserem Briefwechsel zurück. Ich habe jedoch nicht vergessen, Ihren Herrn Reingens zu empfehlen, wobei die Gunst Seiner Durchlaucht des Herzogs bemüht wurde. Die Sache wurde nämlich dem Herrn Baron von Imhof, der auf Geheiß eben desselben Erlauchten Herzogs nach Barcelona geht, anvertraut. Dieser hat mir nun am 29. Juni aus Wien wörtlich geschrieben: »Ich werde mich gern für P. Reingens einsetzen, es wird aber nötig sein, dass dieser ehrbare Mann eine Eingabe macht, damit er bekommt, was er wünscht. Denn der Brief seines Freundes wird dafür nicht ausreichen.« Ich zweifle nicht, dass Bittschriften für ihn nach Barcelona geschickt wurden. Und wenn es
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eine redliche Sache ist, wird es von Vorteil sein, dass sein in Barcelona befindlicher Freund oder Procurator sich mit Herrn Baron von Imhof in Verbindung setzt, sobald dieser in Barcelona eintrifft. Danke für den deutschen Brief von Pater Spee – in der Tat vorzüglich, lebt aber manchmal mehr vom (obzwar löblichen) Gefühl als von Vernunft. Wenn ich den Eindruck erweckt habe, den Ereignissen moralische Notwendigkeit zuzuschreiben, dann hätte ich das Gemeinte deutlicher erklären sollen. Die Wahl einer ganzen, völlig zusammenstimmenden Reihe von Kontingentem besitzt eine moralische Notwendigkeit; aber das sagt man nicht mit der gleichen Berechtigung von den Sünden, die in sie eingehen und durch einen Begleitumstand veranlasst sind. Adam hat eine größere Neigung zum Bösen als zum Guten nicht am Anfang, als er geschaffen wurde, sondern dann, als die Sünde [ihn] bedrängte. Wenn man auf diese Art wählt, würde es keinen Widerspruch implizieren, falls man auf andere Weise ausgewählt hätte, weil die bestimmenden Gründe nicht nötigen. | Die Meinung von Vazquez, die Sie in Ihrem Brief darlegen, G scheint mit meiner verträglich. Wenn ich sage, es genüge eine sehr enge Union zwischen Gott und den Geschöpfen, verstehe ich darunter mehr als eine moralische, und die mich lesen, verstehen das auch so; sonst würde ich mit Worten spielen, was nicht meine Art ist. Den besten Dank für die chinesischen Schriften der Euren. Es liegt jetzt am Pontifex Maximus, klar zu sagen, ob er will und befiehlt, dass die chinesischen Christen von den überlieferten Ehrenbezeugungen ablassen, die Konfuzius und den Ahnen erwiesen werden. Wenn er das ausdrücklich verkündet, wird die Mission (wenn ich nicht irre) dort am Ende sein. An den ehrwürdigen P. Bouvet habe ich ein paar Mal vergeblich geschrieben, ich habe gefragt, was denn das für Bücher sind, die ich (in seinem Auftrag, nehme ich an) erhalten habe. Sein Begleitbrief zu den Büchern ist nämlich verschwunden.
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82. Des Bosses an Leibniz
Sehen Sie, was ich auf die jüngsten Äußerungen Herrn Hartsoekers erwidere. Ich wünschte, Sie würden sich dazwischen in die Mitte stellen und als Schiedsrichter zwischen uns agieren. Leben Sie wohl. Aufgegeben in Hannover, 8. Juli 1711 P. S. Dem Ehrwürdigsten Pater Tolomei bitte ich sowohl den Dank für die Büchersendung von mir zu überbringen als auch meine ungebrochene Verehrung auszurichten.
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18. 8. 1711 Blondel 1930, S. 140 f. Lateinische Version: Anhang B 4, mit Hinweisen zum Text.
| Vornehmster Herr, verehrtester Patron, Längst schon zurück, wartete ich sehnlichst auf Ihre Nachricht: nun erfahre ich aus Ihrem am 8. Juli geschriebenen, mir aber erst vorBl gestern überreichten Brief, | dass Sie heil in Hannover angekommen sind, und freue mich mit Verspätung; ich wunderte mich, was Sie in Berlin festgehalten hat, nachdem ich aus den literarischen Neuigkeiten im Pariser Journal erfahren hatte, dass Sie den Vorsitz der Akademie niedergelegt hätten und bereits Baron von Printz[en] in diesem Amt fungiert. Dass Sie mir den Schiedsspruch in Ihrer Kontroverse mit Hartsoeker übertragen, tun Sie zwar wohlwollend, doch von meinem Standpunkt aus allzu sicher: es steht uns nicht zu, so einen Streit zwischen Ihnen beizulegen, und ich fürchte, dass Ihr hochberühmter Gegner sich so einem Schiedsrichter nicht unterstellen möchte – auf seine Frage habe ich ihm einige kleinere Schwierigkeiten entgegen gehalten, woraus er leicht zu dem Schluss kommen wird, dass ich zu Ihnen halte. Übrigens habe ich Ihre Briefe an ihn und P. Orban heute nach Düsseldorf abgehen lassen.
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18. 8. 1711
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Was Sie über die moralische Notwendigkeit und über die engste Vereinigung zwischen Gott und Geschöpf antworten, stellt mich völlig zufrieden. Wie allerdings Adam die größere Neigung zum Bösen als zum Guten nicht von Anfang an hatte, als er erschaffen wurde, sondern erst dann, als das Gebot drängte und die Sünde drohte, fasse ich noch nicht ganz. Woher kommt jene Änderung₈₇ der Neigung, etwa von Gott, dem Urheber der Natur und Gnade? Er hat doch von Anfang an den Menschen recht gemacht! Oder von Adam selbst? Aber von ihm heißt es doch, dass er, als die Sünde drohte, noch keine Schuld auf sich geladen hatte. Wenn man auf diese Weise wählt, scheint es einen Widerspruch zu implizieren, wenn man anders wählen würde, auch wenn die bestimmenden Gründe nicht von sich aus nötigen, weil es andererseits ja einen Widerspruch impliziert, wenn der Wille durch entgegengesetzte, und zwar unwirksamer vorgestellte Gründe bestimmt wird, wie Sie selbst feststellen. Ihre Theodizee hat Tolomei bekommen; was er selbst davon hält, erfahren Sie gerne aus seinem beiliegenden Brief. Bei uns traf ein Buch ein mit dem Titel »Observationes mathematicae et physicae factae a Patre Francisco Noel ab anno 1684 ad annum 1708 in lucem datae Pragae anno 1710 (Mathematische und physikalische Beobachtungen, angestellt von Pater François Noël vom Jahr 1684 bis zum Jahr 1708, erschienen in Prag 1710)«. Den Autor – falls er seine Pläne nicht geändert hat – werden wir im September hier sehen. Wenn Ihnen das Buch nicht bekannt ist (obwohl es auch leicht von Prag nach Leipzig befördert werden konnte), schicke ich Ihnen das Exemplar, das ich besitze. Leben Sie wohl, vornehmster Herr, und fahren Sie fort, mir, Ihrem eifrigsten Anhänger, wohl zu wollen. Aufgegeben in Köln, 18. August 1711 Ihrer vornehmsten Herrschaft ergebenster Gefolgsmann. Bartholomäus Des Bosses.
₈₇ Lat. »alteratio«
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83. Leibniz an Des Bosses
P. S. Was Tolomei bezüglich der vollkommensten Schöpfung einzuwenden scheint, hatte ich ja schon vorher angesprochen, und Sie haben es, wie mir schien, vollauf gelöst.
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7. 9. 1711 G LXXXIII nach D·6 XXX (F XXIV).
| Es freut mich, dass Sie meine Partei gegen Hartsoeker ergreifen. Als Adam geschaffen wurde, überwog zwar die Neigung zum Guten, doch gab es daneben Samen für eine zukünftige Neigung zum Bösen: denn auf irgendeine Weise ist alles in den Dingen prästabiliert, und das Vergangene ist mit dem Zukünftigen schwanger. Dafür aber, dass Adam so, wie er künftig werden sollte, zur Existenz zugelassen wurde, war die Ursache, dass er einen Teil der bestmöglichen Reihe der Dinge ausmachte. Ihr Tolomei, ein bedeutender Mann, scheint zu zweifeln, ob man eine bestmögliche Reihe der Dinge zugeben kann, weil es ja keine vollkommenste Kreatur gibt. Nun gestehe ich das auch zu, verneine aber, dass man die Reihe der Dinge als eine Kreatur betrachten kann, denn eine Reihe von Unendlichen kann nicht für ein Ganzes angesehen werden, wie ich andernorts bewiesen habe. Die Reihe der Dinge ist nämlich gewiss unendlich hinsichtlich des Späteren (»a parte posteriore«), wie man sagt, d. h. hat auch dann kein Ende, wenn sie einen Anfang haben sollte. Meinem Urteil nach würde Gott, wenn es keine beste Reihe der Dinge gäbe, überhaupt nichts erschaffen, weil er nicht G ohne Vernunftgrund handeln, also etwas | weniger Vollkommenes nicht einem anderen, Vollkommeneren vorziehen kann. Ansonsten freut es mich, dass meine Gedanken einem so großen Mann zusagen, der sie ohne allen Zweifel in vielerlei Hinsicht verbessern und vervollkommnen kann. Es gibt einige, die von mir wünschen, dass
G
7. 9. 1711
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ich mein Buch »Theodizee« auf Lateinisch herausbringe, aber es ist keine Zeit, eine Übersetzung anzufertigen. Sehr freuen würde es mich, einmal zu erfahren, was Tournemine, ein höchst gelehrter und begabter Mann, von meinen Meditationen denkt. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 7. September 1711 P. S. Das Pariser Journal hat geirrt, wenn es schrieb, ich sei vom Berliner Vorsitz zurückgetreten. Herrn Baron von Printzen, dem königlichen Staatsminister, fällt von Amts wegen die Sorge um alle im Regierungsbereich des Königs gelegenen Akademien und Schulen zu; daher obliegen ihm beim König auch Sorge und Obhut über Angelegenheiten der Sozietät. Was aber zum Fortgang der Studien in der Gesellschaft gehört, untersteht immer noch meiner Aufsicht.
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6. 10. 1711 G LXXXIV.
Ihren Brief vom 7. September habe ich erhalten. Vor kurzem schrieb ich an Tournemine durch einen nach Paris fahrenden Händler, bei dessen Rückkehr ich Ihrem Wunsch verlässlich zu entsprechen hoffe. Auch ich habe einige₈₈ getroffen, die der französischen Sprache nicht mächtig sind und Ihre Theodizee auf Lateinisch wünschen. In drei Wochen werde ich von hier nach Paderborn übersiedeln, um ein Curriculum der scholastischen Theologie über den einen und dreifaltigen Gott zu beginnen; wenn mir dieses Amt ein klein we₈₈ Des Bosses verwendet hier (nach G) für »einige«, grammatisch unausgewogen, die weibliche Form »nonnullas«, kombiniert mit männlichem »imperitos«. Der Personenkreis bleibt unermittelt.
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84. Des Bosses an Leibniz
nig Muße lässt und Sie es gestatten, würde ich in den abgezweigten Stunden eine Übersetzung in Angriff nehmen, doch unter der Bedingung, dass Sie sie durchsehen, Fehler korrigieren und Erläuterungen hinzufügen, wenn es notwendig oder nützlich erscheint. Aus Paris erhielt ich zwei neue Pastoralmandate: eines von dem Bischof von Meaux, Heinrich, in dem der verurteilte Sinn der fünf berüchtigten Sätze im Buch von Jansen selbst ermittelt und genauestens geprüft wird; das andere von den Bischöfen von Luçon und La Rochelle, worin gezeigt wird, dass Jansen von der Lehrmeinung Augustinus’ abweicht. Beide Bücher, vor allem aber das erstere, sind ganz vorzüglich und durchaus so, wie [man es] hinsichtlich einer so genannten Tatsachenfrage schon längst zu vermissen schien. Beide werde ich Ihnen übermitteln, sobald ich nach Paderborn komme. G | Vor kurzem sah ich die »Elementa Physices (Elemente der Physik)« des Autors Wier Willem Muys, Mitglied der Berliner Akademie; sie gefallen mir in Vielem. Es wird mir höchst willkommen sein, vom Erscheinen ähnlicher Bücher, die Sie gut heißen, unverzüglich unterrichtet zu werden. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben im agrippinischen Köln, 6. Oktober 1711 P. S. Während ich gerade den Brief unterzeichne, wird mir ein Brief von Herrn Hartsoeker zusammen mit einer an Sie gerichteten Beilage gebracht, die ich dieses Mal nicht schicke, da ich eine Abschrift an Tournemine zu schicken wünsche. Ich werde es aber mit der nächsten Post senden. Hr. Harts[oeker] sagt, dies werde der letzte zu diesem Thema sein.
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7. 12. 1711 G LXXXV nach D·6 XXXI.
Herrn Hartsoeker antworte ich kurz, wie Sie sehen: solange er mein Prinzip nicht richtig zur Kenntnis nimmt, richten wir nichts aus. Ich bitte Sie, ihm Beiliegendes zu schicken. Aus Frankreich vernehme ich, dass den Strengeren mein Versuch der Theodizee nicht besonders gefällt. Ich werde sagen können wie Cupido bei Ovid: Krieg, wie ich sehe, man rüstet – sagt er – zum Krieg gegen mich. Wenn sie Ihnen eine Übersetzung wert scheint, können Sie in Randnotizen anmerken, was Sie wollen: denn manches werden Sie vielleicht nicht ohne weiteres übersetzen können. Im Übrigen sollen Sie wissen, dass ich mich sehr freue, dass Sie uns näher gekommen sind. Leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 7. Dezember 1711 P. S. Sehr willkommen werden die neuen Schriften sein, auf deren Übermittlung Sie hoffen lassen. Besonders jene, in der die tatsächliche Ansicht Jansens aus seinen Schriften ermittelt wird. Die Physikalischen Elemente von Muys haben durchaus etwas, und der Versuch ist löblich, die Begriffe deutlicher zu erklären; doch bei dem meisten, fürchte ich, verfehlt er deutlich das Ziel. Es ist nicht so leicht, gute Definitionen aufzustellen, wie man gemeinhin glaubt, und manchmal sucht er den Knoten auf der Binse. Lassen Sie mich bitte wissen, wann Sie in Paderborn ankommen.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
31. 12. 1711 G LXXXVI.
Schon fast zwei Monate hatte ich mich in Paderborn befunden und durch unsere Hildesheimer bereits mehrmals Herrn Behrens angestoßen, er möge Auskunft geben, ob Sie sich gerade in Hannover | G aufhielten, als Ihr höchst willkommener Brief nach ich weiß nicht welchen Umwegen bei mir anlangte. Ihre Theodizee gefalle den Strengeren nicht besonders, schreiben Sie. Nun gut, aber sie gefällt anderen, vielleicht Besseren. Dass Sie Tournemine mit Sicherheit gefällt, erkennen Sie aus seinen Worten, die ich hier aufschreibe: »Sie können Herrn von Leibniz im Voraus mitteilen, dass ich mit großem Vergnügen seine Theodizee gelesen habe und dass er in unserem Journal einen Auszug davon finden wird, der ihm gefallen wird; ich werde die Ehre haben, ihm bei der ersten Gelegenheit darüber ausführlich zu schreiben.« Vielleicht hat er nun sein Versprechen schon gehalten, denn der Brief, aus dem dies ein Bruchstück ist, war auf den 30. Oktober datiert. Wenn ich die Sache genauer bedenke, wage ich eine Übersetzung der Theodizee kaum in Angriff zu nehmen. Sie verlangt einen ebenso eleganten wie ungebundenen Dolmetscher; ich verfüge kaum über ausreichend Zeit, nicht einmal annähernd über die Fähigkeit. Aber damit Sie nicht glauben, ich rede mich heraus, sehen Sie die Probe auf dem beigefügten Blatt. Wenn Sie das nicht verschmähen, werde ich das Übrige auf dieselbe Art fortzusetzen versuchen, und eine Rohübersetzung wird, meine ich, besser sein als gar keine. Ich werde demnächst die Weisung Heinrichs, des Bischofs von Meaux, schicken, die den von Jansen und seinen Anhängern intendierten Sinn aus den Quellen selbst ermittelt und in klares Licht stellt, worüber einmal Ihre Meinung zu hören mich sehr freuen würde. Inzwischen lauere ich auf eine Gelegenheit, dieses und anderes wieder mitzuteilen, die nicht lange wird ausbleiben können,
31. 12. 1711
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wenn es wahr ist, dass ein Viergespann eingerichtet wurde, das wöchentlich von Köln hier zu Ihnen fährt. [… … … G] Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Paderborn am Vortag der Kalenden des Jänner des Jahres 1712 P. S. Sollten hin und wieder etwa Exemplare kurzer Abhandlungen oder kleiner Werke in Ihre Hände gelangen, die sich für das Journal de Trévoux eignen und die Sie entbehren können, schicken Sie sie mir bitte. [… … G]
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6. 1. 1712 G LXXXVII nach D·6 XXXII.
Ganz nach meinem Wunsch ist die Probe Ihrer Übersetzung, wenn es bloß recht sein würde, dass Sie für eine so geringe Sache so viel Zeit aufwenden. Ich schicke sie also zurück und habe nichts auszusetzen, und sage zugleich Dank. Ich wäre nicht einverstanden, dass Sie, der zu Besserem bestimmt ist, das tun, wenn ich nicht wüsste, dass Sie durch diese Arbeit die Sache einer höchst kenntnisreichen Überprüfung unterziehen werden. | Der Autor der französischen Rezension in den Niederlan- G den, Bernard, hat Essais de Théodicée so verstanden, als wollte ich Versuche eines Gottesverteidigers, Theodicaei sagen, oder als hätte ich mich Gottesverteidiger, Theodike, genannt; doch meine Absicht war, die Lehre oder Materie der Abhandlung Theodizee zu nennen, in dem Sinn, dass Theodizee eine Lehre von Gottes Recht und Gerechtigkeit ist. Petersen, ehemals lüneburgischer Superintendent, der wegen öffentlicher Verteidigung des Chiliasmus entlassen wurde und später
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87. Leibniz an Des Bosses
auch die Lehre des Origenes in dem großen Werk »ἈποϰατάστασιϚ πάντων« verteidigt hat, bereitet ein durch und durch gelehrtes theologisches Gedicht mit dem Titel Uranias vor, in dem er das System seiner recht unorthodoxen Theologie zusammenfasst. Mit Sicherheit ist er ein Dichter von beachtlichem Geist. Ich wünschte, jemand würde eine vollständige Analyse des Werkes von Jansen von Ypern, das er Augustinus betitelte, in einem Kompendium liefern, denn aus dem Zusammenhang des gesamten Systems wird am besten sichtbar, was der Autor meint. Indessen wird mich die Schrift von Henri Coislin, Bischof von Meaux, sehr freuen, in der er daran gegangen ist, Jansens Absicht herauszuarbeiten. Mit dieser Methode wird man sicher eher als durch die strengsten Weisungen der römischen Kurie erreichen, dass die Menschen glauben, bestimmte Lehrsätze wären in einem gewissen Sinn von Jansen verteidigt worden: da man in einer vor Augen liegenden Sache auf Autorität verzichten und eine menschliche Autorität nicht der Zuverlässigkeit der Sinne gleichkommen kann. Groß ist derzeit die Unfruchtbarkeit des literarischen Bodens, und ich sehe auf diesem Gebiet nichts Erwähnenswertes. Ich versuche gerade das vollständige Gedicht Frodoards über die römischen Päpste zu bekommen, von dem bisher nur ein Teil vorhanden ist. Wenn ich es bekommen kann, möchte ich es zu meinen auf das Grab der Päpstin Johanna gestreuten Blumen hinzufügen. Aber ich will nicht, dass dieser Plan bis dahin öffentlich bekannt wird. Zur nächsten Ostermesse, wenn Gott will, wird eine Probe meines Apparats zur Philologie, insbesondere der deutschen herauskommen, in dem einige Neuigkeiten eingestreut sind. Das Übrige vertiefend zu verfolgen überlasse ich anderen, Jüngeren. Entdeckt habe ich vor kurzem den Ursprung des Wortes Hornung, das bei den Germanen den Monat Februar bezeichnet. Ich glaube, dass in Eurem Paderborner Kolleg viele Bücher vorhanden sind, die Durchlaucht Fürst Ferdinand Fürstenberg als Vermächtnis hinterlassen hat. Er war nämlich ein außerordentlicher Gönner von Euch.
6. 1. 1711
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Ihr hattet in der Forschung einen hervorragenden Mann zur Aufklärung einiger Fragen der Geschichte. Vielleicht gibt es noch einen anderen Gelehrten aus Eurem Orden, der in Ergänzung zu ihm (wenn ich mich nicht täusche, war sein Name Cloppenburg) die Paderborner Geschichte fertig stellt. | Als ich einmal in Paderborn war, traf ich in Eurem Kolleg einen G in der praktischen Mathematik gut bewanderten Mann, habe aber den Namen vergessen. Inzwischen besitzt Westfalen vorzügliche Begabungen, die sich auch selbst unter Beweis stellen werden, wenn Gelegenheit zu ihrer Ausbildung besteht. Vor einigen Jahren hat Herr von Alpen (wenn ich mich recht an den Namen erinnere) das Leben Bernhards, des einstigen Bischofs von Münster, in einem ansehnlichen Band verfasst. Dieses Buch ist in unseren Druckereien nicht erschienen. Falls man es bei Euch haben kann, würde ich es gerne kaufen. Stimmen Sie dem zu, was ich Hartsoeker zurückgeschrieben habe? Ich jedenfalls werde, wenn er mein Prinzip nicht richtig auffasst, zumal ich schon umsonst mit ihm herumgeirrt bin, nicht replizieren₈₉. Im Übrigen leben Sie wohl, lassen Sie es sich gut ergehen und verbringen Sie noch viele glückliche und gesegnete Jahre lang ein gutes Leben. Aufgegeben in Hannover, 6. Jänner 1712 P. S. Wenn ich nicht irre, schreibt man von hier an Euch richtig über Hameln. Die in den Niederlanden im Überfluss verwendeten und hier weniger gebräuchlichen Titel möchte ich lieber weglassen.
₈₉ Dieser freien Übersetzung widerspricht die Kommasetzung von G (»Ego certe … erravi cum eo, frustra non replicabo«), während D·6, 196 (das G eigentlich als Vorlage diente) »erravi, cum eo frustra …« hat, weshalb die Stelle auch im Sinn von »ich habe mich geirrt, [und] ich werde den Irrtum nicht weiter mit ihm entfalten« gedeutet werden kann.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
28. 1. 1712 G LXXXVIII.
Das Buch des Bischofs von Meaux ist bereits, so nehme ich fest an, aus Hildesheim bei Ihnen angekommen, zusammen mit einem Brief des hochberühmten Hartsoeker, der immer auf derselben Saite danebengreift. Offenbar hindern ihn die überaus geliebten Atome daran, Ihr wirklich ergiebiges Prinzip der großen Wahrheiten einzusehen. Welcher Vater eines neuen Systems kann auch seiner eigenen Erzeugung abschwören und es Ihren gnadenlosen Einwänden zur Beute überlassen? Indem er die Freiheit vom Willen auf den Verstand überträgt, überträgt er auch die Schwierigkeit, ja vergrößert sie, und ich begreife nicht, was das mit dem Zwist um göttliche Vorsehung und freien Willen des Menschen zu tun hat. Vermutlich versteht er unter Vorherwissen oder Vorhersehen einen Akt des menschlichen Intellekts, der dem Willensakt vorauszugehen hat. Aber hat man jemals diese Wörter in diesem Sinn verwendet? Oder ist es wahr, was er so überzeugt einwendet, dass ein Körper von der Bewegung, auch der schnellsten, zur Ruhe jeder Art plötzlich übergeht? Auch beruft er sich vergeblich auf die Erfahrung, weil die Vernunft als besserer Richter das Gegenteil zu erweisen scheint, wenigstens bei elastischen [Körpern], ja vielleicht auch bei den anderen, worüber ich gerne eine Stellungnahme von Ihnen hören würde, denn dass Sie Hartsoeker (zumindest in dieser Sache) antworten, halte ich weder der Mühe für wert, noch wünscht er es selber. Er würde Sie lieber zum Streit über Keplers Ellipsen herausG fordern, weil er Sie darüber einer Meinung | mit Newton glaubt, und sieht einen für sich erfolgreichen Kampf voraus, obwohl Sie doch in der Abhandlung, die Sie Ihrer Theodizee vorangestellt haben, offen und deutlich erklärten, dass Newtons Prinzip Ihnen nicht bewiesen scheint. Das alles bezeugt, dass er die Theodizee nicht gelesen hat. Aber wenigstens das Leipziger Journal hätte er durchsehen können, auf das Sie verwiesen haben. Besitzt er das Journal nicht,
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oder kann er nicht Latein? Auch ich hatte vor kurzem mit ihm eine kleine Kontroverse, zu deren Schiedsrichter ich Sie mache. Ich gebe die ganze Sache mit den Worten von uns beiden wieder. »Sie sagen, mein Herr«, sprach ich, »dass Ihr flüssiges Element nicht Materie ist, doch dass es ein Körper sein könnte, andererseits vermeiden Sie die Leere nicht, es wäre also gar keine Substanz, in die jene Wesen gesetzt sind, die man Geister nennt ; was Körper oder Ausdehnung ist, kann nicht in Geist umgewandelt werden, und wenn diese Umwandlung geschieht, muss man sagen, dass Ihr flüssiges Element sich aufzuteilen beginnt, denn es ist beständig so, dass die Geister voneinander unterschieden sind, meine Seele beispielsweise von der Ihren.« Die Antwort des berühmten Hartsoeker war folgende: »Ich sehe nicht, mein Ew. P., weshalb die Geister nicht voneinander unterschieden sein könnten, obgleich mein erstes Element, von dem sie genommen sind, es nicht ist. Nach Ihnen ist die Materie ebenso unteilbar wie mein erstes Element, weil Sie annehmen, dass es überall Materie gibt, wo Ausdehnung ist, und dass die Ausdehnung unendlich ist. Dennoch sagen Sie, dass diese Materie eine Unendlichkeit der Dinge bildet, die eines ums andere wahrhaftig von einander geteilt sind.« Da hab ich’s, ich bin gefangen. Ich versetzte: »Es will mir so scheinen, mein Herr, als ob es im Universum keine Leere gibt, doch gibt es keinen Grund, mit Descartes zu sagen, dass die Ausdehnung unendlich ist. Ich nehme jedoch an, dass sie geteilt ist. Das eine widerspricht dem anderen nicht. Sie haben ein andermal gegen Herrn La Montre im Journal des Sçavans de Paris sehr gut unter Beweis gestellt, dass es infolge der cartesianischen Prinzipien keine Teilung in der Materie geben kann, aber ich sehe nicht, dass Ihre Beweise gegen uns dieselbe Kraft haben, da wir mit Aristoteles und Herrn von Leibniz annehmen, dass es in der Materie Formen oder Entelechien gibt, welche die Materie teilen und gliedern, ohne reine Modifikationen der Materie zu sein. Ihre zwei Elemente, mein Herr, sind sie nicht eines vom anderen getrennt? Sie sind also weniger zusammenhängend denn einander berührend, kontiguent. Es gibt keine Kontinuität, wo es eine völlige Teilung gibt. Die gesamte Materie des Universums ist kontiguent und nicht
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zur Gänze kontinuierlich.« So ich: Hören Sie nun, was der hochberühmte Mann erwiderte. »Ich gestehe Ihnen, mein Ew. P. zu, dass mein erstes Element nur an andere anrührt, aber ich sage Ihnen | G gleichzeitig, dass dieses erste Element, obwohl es anrührt, dennoch auf tausend verschiedene und für unsere schwachen Fähigkeiten unbekannte Arten modifiziert werden kann, und zwar so, dass ich nicht sehen kann, weshalb die Geister nicht zum Beispiel im Körper eines Menschen ganz anders vorhanden sein können als im Körper eines Tieres, ganz anders im Körper eines [beseelten] Lebewesens als in jenem einer Pflanze, ganz anders in einem kubischen Raum denn in einem sphärischen oder zylindrischen Raum etc., und das allein genügt, wie mir scheint, um zu erreichen, dass es verschiedene Modifikationen hat. Aber tatsächlich liegen diese Dinge, und unendlich viele andere von dieser Art, außerhalb unserer Reichweite.« So er. Was halten Sie von dieser Weltseele, oder vielmehr -form? Sie ist nämlich den unorganischen Körpern, etwa Würfeln und Kugeln, und den organischen gemein. Werde ich diesen Ozean, von dem die Atome wie ebenso viele schwimmende Inseln umgeben sind, der Mühe weiterer Erkundung wert gemacht haben? Teilen jene Modi, die zwar das flüssige Element nicht teilen, die Dinge selbst? Doch genug über Hartsoeker. Mögen die Götter es gelingen lassen: obwohl ich durch ungünstige Termine eingeengt bin, habe ich mich schließlich doch unter Ihrer Anleitung an die Übersetzung der Theodizee gemacht; denn was würde ich Ihretwegen nicht tun? Eleganz werden Sie von mir nicht verlangen, nehme ich an. Wenn ich Ihre Intention nicht überall getreu wiedergebe (was ich entsprechend meiner Auffassung geflissentlich leisten will), werden Sie kraft Ihres Rechts den Irrenden auf den Weg zurückrufen. Hier die zweite Probe, die Sie durchsehen mögen. Ich werde Anmerkungen hinzufügen, die jener Mühe zwar nicht wert sind (denn wie könnte ich), welche aber von einem Menschen, der (wenn ich das sagen darf) Ihnen bis zum Sarg in höchster Freundschaft verbunden ist und Sie mit Gewissheit sehr liebt, mit Recht zu erwarten sind, wenn ich auch den Beistand von anderen Gelehrten suche, die Ihnen ebenso genehm sind und
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die Sie leicht erraten werden. Ich werde, wenn Sie so gestatten, den kurzen Abriss einer peripatetischen Abhandlung über die körperliche Substanz anfügen, der mir schon längst, nach Ihrer Anregung, vorschwebt und der in seinen allfälligen Teilen bereits ausgestaltet ist, der an der gängigen Schulsprache zwar festhält, aber von Ihrer Intention, die meiner Meinung nach von der aristotelischen in den meisten Fragen minimal entfernt ist, kaum abweichen wird. Ich schreibe das, damit Sie es irgendwann ansehen, aber lesen Sie so, dass Sie darauf hinweisen, was ergänzt oder korrigiert werden muss. Der Briefwechsel zwischen Ihnen und Hartsoeker wird, so habe ich erfahren, von den Trévoux-Redakteuren veröffentlicht. Tournemine hatte mir den Teil des »Journal de Trévoux« geschickt, in dem die Theodizee rezensiert wurde, aber ich konnte davon – er war zusammen mit einigen anderen Büchern vor drei Wochen aus Köln an mich gesendet worden – wohl noch nicht benachrichtigt werden. Ich wünsche mir von Ihnen eine Anweisung, wie der Titel des Buches formuliert werden soll. Mir missfiel Die Sache Gottes durch eine Apologie sichergestellt etc. nicht, | denn so wird G die Absicht des Buches von jedem verstanden; den hatte aber die angeschlossene Zusammenfassung beansprucht, welche von dem ganzen Werk sichtlich unterschieden werden muss. Wenn Sie glauben, dass Hoffnung besteht, den Frodoard ₉₀ entweder in Antwerpen oder in Paris ausfindig zu machen, dann werde ich dorthin schreiben. Dass Ihre Blumen duften, freut mich. Unsere Bibliothek wurde von seiner Durchlaucht Fürst Ferdinand Fürstenberg, dem freundlichen Mäzen der Literaten, teils durch Schenkung zu Lebzeiten, teils durch den Nachlass des Verstorbenen um eine Menge hervorragender und glänzender Bücher erweitert, es mangelt ihr aber an handschriftlichen Codices. Wie ich sehe, hat Cloppenburg, als Nachfolger von Schaten₉₁, ein begonne₉₀ Nach G verwendet Des Bosses für Frodoard hier die etwas seltsame, nicht belegte Form »Firodoandus«. ₉₁ Das im Text von G aufscheinende »Schaltenio« wurde hier korrigiert zu »Schatenio«.
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nes, kaum ausgeführtes Werk hinterlassen; im Bischöflichen Schloss Neuhaus wird alles Mögliche aufbewahrt, denn hier finde ich nichts dergleichen. Johannes Joanning (das ist der Name des Mathematikers, den Sie erwähnt haben) ist hier vor ungefähr zwölf Jahren im Alter von über achtzig gestorben. Die Westfalen sind üblicherweise selbständig und fleißig, und manche auch scharfsinnig. Die Vita des Münsteraner Bischofs Christoph Bernhard, verfasst von Hrn. von Alpen in zwei Bänden, habe ich in Köln erstanden, um sie Ihnen direkt oder aus Hildesheim durch die Unsrigen zu schicken. Eure Buchhändler können, wenn sie wollen, mehrere Exemplare bei Heinrich Rommerskirchen, dem Buchhändler und Drucker zu Köln, anfordern. Die »Physikalischen Elemente« von Muys habe ich erhalten, beim Durchsehen des Index bin ich auf eine Stelle gestoßen, wo er Gründe darlegt, warum er mit Ihnen bezüglich der geschaffenen Bewegungskraft nicht übereinstimmt, S. 923 ff., die mir überhaupt keine Kraft zu haben scheinen. Aber Ihr einst Sturm vorgehaltenes Argument, das er im Scholium S. 938 zu entkräften versucht, bleibt in seiner vollen Stärke bestehen. Denn entweder ist jene permanente Wirksamkeit des ungeschaffenen Seienden Gott selbst oder etwas, das nicht Gott ist. Wenn sie nicht Gott selbst ist, wird sie entsprechend etwas Erschaffenes sein müssen, wie Sie behaupten; wenn sie aber Gott selbst ist, und weil nun in Gott als dem einfachsten Seienden keinerlei Mannigfaltigkeit, sondern alles in ihm überall uniform und identisch ist (wenn man nicht mit Vorstius Modi und Akzidentien in Gott einführen will) – wie wird sie dann die Formalursache der Mannigfaltigkeit in der Materie bzw. die Mannigfaltigkeit selbst in formaler Hinsicht sein können? Ganz zu schweigen davon, dass diese Bezeichnung der Materie völlig äußerlich sein wird, wenn er nicht behaupten will, dass Gott die Form der Materie ist. Aber auch dass die körperliche Substanz in der Ausdehnung besteht, beweist er nicht sicher. Außerdem habe ich auch noch die Argumente überprüft, die diesen seinen Gedanken bestreiten und die er zu entkräften trachtet. Ich wundere mich, dass die Ihren dabei
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übergangen wurden, die, wie mir freilich scheint, bei weitem stärker als die anderen sind und durch keinen vernünftigen Grund widerlegt werden können. Um jedoch eine Tatsache zuzugeben: Ich erkenne inzwischen an seinem Buch den | Vorzug, dass ich in einem Gedanken, den G man bei uns wiederholt aufgegriffen hat, bestätigt werde, und zwar: Ausdehnung ist ein reales, nicht nur modales Akzidens. Akzidens deshalb, weil sie das erste Seiende bzw. die bereits bestehende Substanz voraussetzt und sie nicht in dem Sinn konstituiert wie Materie und Entelechie sie konstituieren; ein reales aber und nicht ein modales, weil sie so wie alles, das von sich aus aktiv ist [und] nicht durch bloße Modifikation, aktiv werden kann. Ich kann also nicht begreifen, wie das, was von sich aus nicht ausgedehnt ist (von sich aus nicht ausgedehnt sind z. B. Materie und Formen), für bloß dem Modus nach ausgedehnt gehalten werden könnte. Wenn Sie mir dieses eine reale und mit der Materie synchrone Akzidens einräumen, werde ich mich nicht scheuen, das Übrige den Modi zu überlassen. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Paderborn 28. Jänner 1712. P. S. Vor einigen Tagen habe ich von Orban einen entsprechend alten Brief erhalten, in dem er sagt, dass er Ihnen am Vortag geschrieben habe. Wenn Ihnen etwas Erwähnenswertes bezüglich der Theodizee einfällt, hoffe ich auf eine Mitteilung.
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5. (15.) 2. 1712 G LXXXIX / D·2, 293–296 (»15. 2.«) (E 18 »15. 2.«, S / F XXV).
¦ Hochwürdigster Pater, verehrtester Gönner! ¦ Ihre Übersetzung ist wunderbar überzeugend, und sie übertrifft stellenweise den Originaltext. Ich habe ganz wenige Punkte ange-
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merkt, so wie ich es auch beim Durchlesen meiner Arbeiten halte. Und da Sie die Gedanken so sicher wie elegant ausdrücken und zwischendurch auch erläutern, gibt es keinen Grund, dass Sie das Nachkommende Stück für Stück nachreichen; es würde genügen, dass einmal ein ordentlicher Teil kommt, wenn Zeit dafür ist. Ich füge einzig hinzu, dass manchmal die Buchstaben verschwommen erscheinen, was ich deshalb sage, damit nicht etwa eine neue Abschrift nötig wird: denn auch die Abschriften bezahlter Schreiber sind meistens nicht ohne Fehler, die mitunter der Durchsicht entgehen. Aber fast alles ist ja bisher so geschrieben, dass ein neues Exemplar nicht nötig scheint. Was ich unserem Herrn Hartsoeker antwortete, sehen Sie im beiliegenden Brief. Er stimmt meinem Prinzip des zureichenden Grundes zu und stimmt nicht zu; stimmt zu im Allgemeinen, stimmt nicht zu in der Ausführung. Jemand von der Schule würde sagen: stimmt zu im bezeichneten, nicht im ausgeführten Akt. Ich würde (wenn Sie lieber wollen) sagen: stimmt mehr zu, als dass er es anwendete. Daher konnte ich ihm auch durch gleichnishafte Beispiele nicht ein bisschen klarer machen, wie viel er von jenem, das heißt von der richtigen Vernunft, abweicht. Sehr amüsant, dass er gegen mein Prinzip des nicht-sprunghaften Übergangs genau das G anführt, durch das | die Atome schön bestritten werden. Sie haben auch sehr klar vorausgesehen, dass der Versuch, den er angibt, nicht richtig ist. Alle uns bekannten harten Körper sind elastisch und geben demgemäß nach und fangen die Kraft des Anprallenden schrittweise und allmählich ab; auch wenn dies nicht immer hinreichend wahrnehmbar ist, zumal es ja sehr harte Körper gibt und sie sich mit großer Schnelligkeit wieder herstellen. Aber wenn es Atome gibt, erfolgt der Übergang plötzlich, gegen die Ordnung der Dinge. Dieses Argument wurde zwar bisher nie gegen die Atome verwendet, aber es ist doch bei Verständigen von nicht zu unterschätzender Wirksamkeit. Über sein erstes Element, die höchst flüchtige Materie, spricht er hin und wieder so, als wenn es kein Körper wäre, aber davon wird er vielleicht in der Logomachie abgehen. Denn es bewegt sich, es
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stößt an und wird angestoßen und besitzt Ausdehnung, und auch die Teile entfernen sich voneinander. Aber solange er in diesem seinem Fluidum nichts gelten lässt als Ausdehnung, Gestalt und deren Veränderung in der Bewegung, wird er daraus keine Perzeption ableiten können. Er sagt zwar, dass wir nicht wissen können, wozu ein solches Fluidum fähig ist, aber solange wir darin nichts anderes ansetzen als das Genannte, sehen wir sehr gut, wozu es fähig ist. Auch kann eine Modifikation zum Modifizierten keine Perfektionen hinzufügen, weil sie nur deren Grenzen verändern kann. Wenn er also in jenem Fluidum ein höheres Attribut ansetzt, wird er zu unseren oder ähnlichen [Prinzipien] zurückkehren. Doch selber scheint er den Unterschied zwischen einem substantiellen Ding und den Modifikationen, und anderes nicht durch Imagination, sondern durch Verstand zu Erfassende, nicht ausreichend untersucht zu haben oder zu beachten. Der Freund, der in den Leipziger »Acta« das Buch von Muys rezensiert hat, zeigte auch, dass jener offenbar die Kraft meines Arguments für die Notwendigkeit der Entelechie, welche die Mannigfaltigkeit in die Materie bringt, unangefochten ließ, und trägt manches vor, das mit Ihrem durchaus übereinstimmt. Mit diesem und Ähnlichem könnte Hr. Hartsoeker leicht widerlegt werden, wenn er sich nicht unbesiegbar gäbe. Wenn Geister nichts anderes sind als eine gewisse Ansammlung und sozusagen ein Tropfen eines Fluidums, dann wird die Weise, wie sie eine Perzeption zustandebringen, nicht klarer, als wenn er sie mit Epikur aus Atomkügelchen zusammengesetzt hätte, und er wird nie einen Grund für ihre Verschiedenheit angeben können. Aber nachdem er sich einmal davon überzeugt hat, dass ein Zweifaches primär sei, eine völlig harte und eine völlig flüssige Materie, die offenbar der Imagination schmeicheln, hielt er es für schön, aus einem Körper die Geister, aus dem anderen die Körper herzuleiten; auf welche Weise die Geister daraus abgeleitet werden, kümmert ihn nicht. So machen die es meistens, die ihre Hypothesen lieben. Ich konnte mich nicht zurückhalten, ihm diese Mutterliebe zu einem Fötus im neuesten Brief einigermaßen vorzuwerfen und zugleich dem klei-
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nen Streit, den er mit Unwillen aufgefasst zu haben scheint, ein Ende zu setzen: Inzwischen hindert nichts, glaube ich, dass die neuesten Briefe, Hartsoekers sowohl als meine, dem Ew. P. Tournemine mitgeteilt werden können. G | Ihre Abhandlung über die körperliche Substanz werde ich mit Vergnügen lesen. Wenn die körperliche Substanz etwas Reales außer den Monaden ist, so wie es heißt, dass eine Linie etwas über die Punkte hinaus ist, dann wird man sagen müssen, dass die körperliche Substanz in einer gewissen Vereinigung besteht, oder vielmehr in einem realen Vereinenden, das von Gott zu den Monaden zusätzlich hinzugefügt ist, und dass aus der Vereinigung der passiven Potenz der Monaden die erste Materie hervorgeht, nämlich als die Inanspruchnahme von Ausdehnung und Antitypie, d. i. von Ausbreitung und Widerstand; aus der Vereinigung der monadischen Entelechien jedoch geht die substantielle Form hervor, die somit aber entstehen und verschwinden kann und bei Auflösung jener Vereinigung verschwindet, so sie nicht von Gott auf wundersame Weise bewahrt wird. Eine solche Form wird dann aber keine Seele sein, welche eine einfache und unteilbare Substanz ist. Diese Form ist nun ebenso wie die Materie in unaufhörlichem Fluss, da kein Punkt in der Materie tatsächlich angegeben werden kann, der über einen Moment hinaus denselben Ort beibehielte und sich nicht von irgendwelchen benachbarten [Punkten] entfernen würde. Aber die Seele bleibt in ihren Veränderungen beharrlich dieselbe, da das Subjekt dasselbe bleibt, was bei der körperlichen Substanz anders ist. Demnach muss man eines von beiden sagen: entweder dass die Körper bloße Phänomene sind, und somit auch die Ausdehnung nur Phänomen und allein die Monaden real sein werden, die Vereinigung aber durch eine Handlung der perzipierenden Seele im Phänomen vollzogen wird; oder dass, wenn der Glaube uns zu körperlichen Substanzen drängt, jene Substanz in jener einheitlichen Realität besteht, die etwas Absolutes (und daher Substantielles) wie flüchtig auch immer dem zu Vereinigenden hinzufügt. In dessen Veränderung wäre somit Eure Transsubstantiation anzusetzen, denn die Monaden sind nicht wirklich Ingredientien die-
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ses Hinzugefügten, sondern Erfordernisse, obgleich sie nicht mit absoluter und metaphysischer Notwendigkeit, sondern nur durch eine Herausforderung, Exigenz, dazu erfordert werden. Daher ist eine veränderte Substanz zulässig, die Monaden und die in ihnen fundierten sinnlichen Phänomene wird man beibehalten können. Ein nicht modales Akzidens scheint etwas schwer Erklärliches, und ich begreife es auch von der Ausdehnung her nicht. Das kann man sagen, dass die Monaden, auch wenn sie keine Akzidentien sind, doch einer einheitlichen Substanz zukommen, sodass diese sie so hat (aus physischer Notwendigkeit), wie es einem Körper zukommt, von einem Körper berührt zu werden, obwohl der Körper kein Akzidens ist. Die Ausdehnung des Körpers scheint nichts anderes zu sein als die Kontinuität der Materie durch Teile außerhalb von Teilen, d. h. die Diffusion. Wo aber das außerhalb von Teilen auf übernatürliche Weise verschwindet, wird auch die Ausdehnung, die dem Körper selbst zukommt, verschwinden; und allein die erscheinende Ausdehnung wird übrig bleiben, fundiert in Monaden, mit dem Übrigen, das daraus resultiert und das allein existieren würde, wenn es keine einheitliche Substanz gäbe. Wenn jenes substantielle Band der Monaden nicht da wäre, wären alle Körper mit allen ihren Qualitäten nichts anderes als gut fundierte Phänomene, wie ein Regenbogen oder ein Spiegelbild, mit einem Wort, fortwährende Träume in vollkommener | Kongruenz mit sich selbst; und G einzig darin bestände die Realität dieser Phänomene. Denn dass die Monaden Teile von Körpern seien, sich berührten, die Körper zusammensetzten, darf nur in dem Maße behauptet werden, als das von Punkten und Seelen zu sagen erlaubt ist. Nun ist eine Monade, wie eine Seele, gleichsam eine eigene Welt, ohne jede Abhängigkeitsbeziehung₉₂, außer zu Gott. Daher ist ein Körper, wenn er Substanz ist, eine Realisierung von Phänomenen, die über eine Kongruenz hinausgeht.
₉₂ Lat. »commercium dependentiae«, also Interdependenz, Verkehr durch Abhängigkeit
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Wenn Sie nun überhaupt nicht wollen, dass diese eucharistischen Akzidentien bloß Phänomene sind, wird man sagen können, dass sie in einem primären Akzidentellen fundiert sind, und zwar nicht in der Ausdehnung, die keinen Bestand haben kann, sondern in den den Monaden entsprechenden Punkten dieser Ausdehnung, weil die das Kontinuum aus Punkten herstellende Vereinigung aufgehoben ist; und weil eben durch die Beseitigung der kontinuierlichen Linien und Figuren – wobei jedoch die Qualitäten und übrigen realen Akzidentien bestehen bleiben, kraft der verbleibenden akzidentellen Punkte – die Kontinuität, die von der einheitlichen Realität oder dem substantiellen Band abhing, aufgehoben ist. Und sie verschwand, indem dessen Ausbreitung durch Teile außerhalb von Teilen verschwand. Daher können die akzidentellen Punkte als primäres Akzidens betrachtet werden, welches die Basis der übrigen ist, und in gewisser Weise als nicht modales, weil es von der Ausdehnung oder kontinuierlichen Ausbreitung der Materie nicht ausgesagt werden kann. Nach gründlicherer Erwägung der Sache sehe ich bereits, dass auch die Ausdehnung selbst erhalten werden und ebenso Ihre Ansicht in der Erklärung Eurer Sache zugegeben werden kann, wenn man die Phänomene nicht will. Denn so wie akzidentelle Punkte zugegeben werden können, so könnte dann, ja muss vielleicht sogar ihre Vereinigung zugegeben werden. Somit haben wir eine absolute akzidentelle Ausdehnung, aber eine solche Ausdehnung wird formal zwar eine Ausbreitung von Teilen außerhalb von Teilen aufweisen, was jedoch ausgebreitet ist, wird Materie oder Substanz des Körpers nicht im formalen Sinn, sondern nur als Erfordernis sein. Doch das Formale selbst, das ausgebreitet ist, wird die Örtlichkeit sein, oder das, was die Lage ausmacht, und wird selbst als etwas Absolutes begriffen werden müssen. Daher, glaube ich, werden wir nicht länger streiten, wenn Sie die Monaden nicht in jene übernatürliche Verwandlung der Körpersubstanz verwickeln – ohne jede Notwendigkeit, weil sie in diese, wie gesagt, nicht eingehen. Wie ja sogar Euch selbst zufolge die Seele Christi in der Transsubstantiation nicht verwandelt wird, so tritt sie auch nicht an die Stelle der
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Brotsubstanz. Dasselbe würde ich von den übrigen Monaden des heiligsten Leibes sagen. Einstweilen, um die Wahrheit zu sagen, will ich die eucharistischen Akzidentien lieber durch die Phänomene erklärt sehen; so wird man keine nichtmodalen Akzidentien brauchen, die ich zu wenig begreife. Subtil wie kaum etwas ist manches, das bei Euren Ruiz und Martin Perez über Gott, insofern er das Beste auswählt, steht, und es bedarf der Interpretation: Doch insgesamt | scheinen sie mir nicht G von meinen [Ansichten] abzuweichen. Ich sage daher für die Mitteilung vielen Dank. Besten Dank sage ich auch für die Pastoralinstruktion des Bischofs von Meaux, die ich durchflogen habe und für genau und gründlich halte. Ich fürchte nur, dass das meiste, was bei Jansen kritisiert wird, von Augustinus selbst stammt, der ja selber die wunderliche Auffassung hat, dass Gott nicht die Einzelnen der Gattungen retten will, sondern Gattungen von Einzelnen. Den Titel »Versuche der Theodizee« kann man, glaube ich, wenn Sie nicht anders darüber urteilen, beibehalten; denn Theodizee ist gleichsam eine Gattung der Wissenschaft, nämlich die Lehre von der Gerechtigkeit (das ist zugleich Weisheit und Güte) Gottes. Was ist nun schließlich jene römische Definition der chinesischen Angelegenheit, über die es, wie ich sehe, einen reichhaltigen Disput gibt und der sich auch die Euren in Rom unterwerfen? Wenn die tournonschen Dekrete ohne Einschränkung bestätigt werden und wenn die Römische Kurie die Sache nicht mit irgendeinem Kunstgriff verhüllt, fürchte ich, dass die chinesische Mission zugrunde geht, was ich bedauern würde. Ich weiß nicht, ob Sie dem Ew. P. Tournemine signalisiert haben, dass ich bei der Arbeit an den Annalen seit Beginn der Herrschaft Karls d. Gr. schon über die Karolinger hinaus bis zu den Sachsenkönigen oder -kaisern gelangt bin: bei welcher Gelegenheit es notwendig war, auch die Päpstin zu diskutieren. Wenn nun der Ew. P. Daniel in seinen Annalen der Franken, an denen er gerade arbeitet, auch so weit gekommen ist, werden wir meines Erachtens in vielem übereinstimmen, und, sollten Zweifel bleiben, uns absprechen können. Ich denke, die Chro-
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nologie auf diese Art ausreichend festgelegt zu haben. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 5. Februar 1712₉₃ D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦ P. S. In Gedanken habe ich mir einmal gewünscht, dass mit Hilfe von Männern Eurer Sozietät, die in mathematischen Dingen bewandert sind, auf der ganzen Welt in jahrelang anhaltendem Studium und mit vereinter Kraft Beobachtungen der magnetischen Variation angestellt werden sollten, weil das eine Sache von höchstem Wert für die Geographie und die Navigation ist und von niemand anderem angemessener getan werden könnte. Nach dem Engländer Gilbert, der als erster die Grundlagen dieser Lehre aufstellte, hat sich niemand größere Verdienste um magnetische Beobachtungen erworben als Eure Cabeo, Kircher, Leotaud u. a., von denen auch triftige Werke vorliegen. Wenn nun die Euren auf der ganzen Welt, wo auch immer sie sich – sei es fest ortsansässig oder auf Reisen – als versierte Mathematiker betätigen, seit Kirchers Zeiten jedes Jahr beobachtet hätten, wie groß nun die magnetische horizontale Deklination und ebenso die vertikale Inklination sei, und die Beobachtungen schriftlich dargestellt hätten, besäßen wir heute einen Schatz an Beobachtungen, aus denen vielleicht schon jetzt, zumindest aber in einigen Jahren, gemutmaßt und vorhergesagt werden könnte, welche Variation an den meisten Orten stattfinden müsse. Damit könnte durch Beobachtung der Variation mitten auf dem Meer in Verbindung mit dem Stand des Polarsterns ein Ort bestimmt werG den, und schließlich die Bahnen, | Umläufe, Gesetze der Variation, und vielleicht auch der Grund dieses großen Geheimnisses ermittelt werden. Nichts aber hindert, dass das, was bisher vernachlässigt wurde, noch besorgt und wenigstens der Nachwelt angeraten wird, ₉₃ Dutens (D·2, 296) datiert »15. Febr. 1712«. Das Datum des erwähnten beigelegten Briefs an Hartsoeker (8. Februar nach GP·3) würde dafür sprechen.
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so wie wir Bäume für die Nachkommen pflanzen, um wenigstens zu verhindern, dass man sich nach vielen Jahren über die gegenwärtige Nachlässigkeit zu Recht beklagen kann, so wie uns wir jetzt über die Vergangenheit beklagen. Daher wage ich fast, Sie zu bitten, die Sache dem Ew. Pater Tolomei (mit nachdrücklichem Gruß von mir) zu übermitteln und um seinen Rat zu bitten.
beilage G* (L 51a) (nicht in D)
Wenn die Körper Phänomene sind und aufgrund unserer Erscheinungen beurteilt werden, werden sie nicht real sein, weil sie jedem anders erscheinen. Daher scheint die Realität der Körper, des Raumes, der Bewegung, der Zeit darin zu bestehen, dass sie Phänomene Gottes sind, bzw. Objekt eines Wissens durch Schau. Zwischen der Erscheinung der Körper uns gegenüber und der Erscheinung Gott gegenüber gibt es nun einen Unterschied wie zwischen Skenographie und Ichnographie. Skenographien unterscheiden sich nämlich je nach Lage des Betrachters, die Ichnographie oder Geometrie ist eine einzige Repräsentation. Denn Gott sieht ja die Dinge genau so, wie sie der geometrischen Wahrheit zufolge sind, obwohl er auch weiß, wie jedes Ding jedem anderen erscheint, und so alle anderen Erscheinungen in sich auf eminente Weise beinhaltet. Ferner betrachtet Gott nicht nur die einzelnen Monaden und die Modifikationen jeder beliebigen Monade, sondern auch ihre Relationen, und darin besteht die Realität der Relationen und Wahrheiten. Zu deren ersten gehört die Dauer oder Ordnung des Aufeinanderfolgenden, sodann die Lage oder Ordnung des Koexistierenden sowie das Kommerzium oder die Wechselwirkung, wobei nämlich die gegenseitige Abhängigkeit der Monaden als eine ideale begriffen wird, die Lage dagegen unmittelbar in der Gegenwart ist. Über Gegenwart und Kommerzium hinaus kommt noch eine Verknüpfung hinzu, sofern sie sich gegenseitig bewegen. Dadurch scheinen uns
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die Dinge Eins zu bilden und können tatsächlich Wahrheiten vom Ganzen ausgesagt werden, die auch bei Gott gelten. Aber außer diesen realen Beziehungen kann eine vollkommenere aufgefasst werden, durch welche aus mehreren Substanzen eine neue entsteht. Dies wird nun kein einfaches Resultat sein, d. h. nicht allein aus wahren oder realen Beziehungen bestehen, sondern es wird außerdem eine neue Substantialität oder ein substantielles Band hinzufügen und nicht allein Effekt des göttlichen Verstandes, sondern auch des Willens sein. Dieser Zusatz zu den Monaden kommt nicht auf beG liebige Weise zustande, sonst würde auch beliebig Verstreutes | zu einer neuen Substanz vereinigt und es würde nichts Bestimmtes in aneinander grenzenden Körpern entstehen, sondern er vermag jene Monaden zu vereinigen, die unter der Herrschaft einer einzigen stehen, d. h. die einen organischen Körper oder eine Maschine der Natur ausmachen. Darin besteht also das metaphysische Band zwischen Seele und Körper, die eine grundlegende Einheit – unum suppositum – ausmachen, und diesem analog ist die Vereinigung der Naturen in Christus. Und das ist es, was das unum per se oder das eine Zugrundeliegende ausmacht. Die Dinge sind entweder Konkreta oder Abstrakta. Die Konkreta sind entweder Substanzen oder Substantiate. Jede Substanz lebt. Substanzen sind entweder einfach oder zusammengesetzt. Die einfachen Substanzen oder Monaden sind entweder intelligent oder vernunftlos. Die intelligenten werden Geister genannt und sind entweder ungeschaffen oder geschaffen. Der geschaffene ist entweder angelisch oder menschlich, welcher auch Seele genannt wird. Die Monaden wiederum können entweder als abgesonderte verstanden werden, wie Gott, und nach der Meinung mancher ein Engel, oder als mit einem Körper versehene, d. i. als Seelen, und uns sind eine vernünftige und eine vernunftlose Seele bekannt. Die vernunftlosen Monaden sind entweder empfindsam oder bloß vegetierend. Zusammengesetzte Substanzen sind jene, die aus Seele und organischem Körper – der eine aus Monaden resultierende Maschine der Natur ist – ein durch-sich-Eines konstituieren. Substantiate sind natürliche oder auch künstliche Aggregate, verknüpft oder unver-
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knüpft. Mehrere Substanzen können ein einziges Zugrundeliegendes ausmachen, erst recht mehrere Substantiate, oder Substanzen mit Substantiaten, z. B. Seelen mit Körperorganen. Die abstrakten Dinge sind absolut oder respektive, die absoluten [sind] essentiell oder beigefügt₉₄. Die essentiellen sind ursprünglich, wie die aktive und passive Kraft, oder abgeleitet, d. i. Affektionen, die zu den ersteren nur Relationen hinzufügen. Die beigefügten sind per se bzw. natürlich (das, was ein Ding erfordert und besitzt, wenn es nicht gehindert wird) oder solche, die per accidens zugeordnet werden. Von solcher Art sind die Modifikationen, also Qualitäten und Handlungen. Respektive sind die Relationen. Manche Seiende sind aus den zuvor genannten Abstrakta, z. B. aus essentiellen, natürlichen, Modifikationen, Relationen, zusammengesetzt, und werden also angehäufte Akzidentien sein. Termini reichen weiter als Dinge, denn demselben Ding werden mehrere Termini zugeordnet, z. B. der Mensch ist gelehrt, klug, lacht. Warum ist eher der Mensch Substanz als der Gelehrte, oder warum das Lebewesen eher Substanz als das Vernünftige? Es impliziert nämlich ein Ding; wenn ich z. B. sage: ein Lebewesen, ist das ein vernünftiges Ding. Dies pflegt aber nicht allem zugesprochen zu werden, und nicht aus allem machen wir Substantive, auch wenn wir für ›der Weiße‹ ein ›albion‹, das ist ein weißes Ding, bilden könnten. Aber ist Albion, das Weiße, im Prädikament der Substanz [enthalten]? Ich möchte es nicht annehmen, denn nicht alles, was einem weißen Subjekt zugesprochen werden kann, ist auch eine Modifikation des Weiß; was dagegen dem Menschen zugesprochen wird, ist Modifikation der Menschheit. G
* Vorbereitende Studie zu dem vorhergehenden Briefe.
₉₄ Lat. »adjectitiae«
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18. 2. 1712 G XC. G
| Wenn Sie wohlauf sind, ist es gut. Neulich habe ich durch Herrn Lücken, den Stellvertreter des Hildesheimer Postmeisters, an Sie die Weisung des Bischofs von Meaux geschickt, die Sie mir, wenn Sie sie durchgelesen haben, auf demselben Weg zurückschicken können. Zugleich habe ich einen ausführlichen [Brief] an Sie aufgegeben, dem ich eineinhalb Blatt meiner Übersetzung beigelegt hatte. Nachdem ich seither die Freizeit bekam, die mir die Bacchanalferien verschafften, bin ich zur restlichen einleitenden Abhandlung geeilt und zum ersten Teil der Theodizee und befinde mich bereits hochgemut im zweiten Teil, da mir Ihre erhabenen Meditationen die Arbeit versüßen. Auf Verschiedenes bin ich gestoßen, das teils besonders gut mit Ihren Gedanken harmoniert, teils anmerkenswert ist; Sie werden das irgendwann sehen. So wie es sich anlässt, bin ich zuversichtlich, die ganze Übersetzung um Pfingsten fertig zu haben. Origenes’ Werk gegen Kelsos besitzen wir hier nicht, denn von diesem Autor ist nur vorhanden, was Huet herausgegeben hat. Auch den lateinischen Dialog von Valla werden Sie zur Verfügung stellen müssen. Anderes ein andermal. Aus Hildesheim habe ich erfahren, dass dort aus Köln das Leben von Christoph Bernhard usw. angekommen ist, das man Ihnen zweifellos geschickt hat oder demnächst schicken wird. [… … G]. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Paderborn, 18. Februar 1712. In Eile.
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
17. 3. 1712 G XCI nach D·6 XXXIII.
Meine ausführliche [Post] mit der Beilage an Herrn Hartsoeker dürften Sie erhalten haben. Indessen ist mir Ihre neueste zugegangen. Überbracht wurde mir auch das ganz und gar nicht zu verachtende Buch über das Leben von Christoph Bernhard, Bischof von Münster. Ich schrieb nach Hildesheim und bat, man möge mir mitteilen, was der Preis für den Transport sei; so werde ich ihn gleichzeitig mit dem Preis des Buches den Euren erstatten, wodurch schließlich der Buchhändler leicht zufrieden gestellt werden kann. Auch des Werk des Bischofs von Meaux wird bei Gelegenheit an Sie zurückgehen; bis jetzt war es noch unmöglich, es fertig zu lesen. Aus dem Druckereikatalog, den mir der Buchhändler Rommerskirchen mit einem Buch mitgeschickt hat, hätte ich gerne einige Bücher, falls sie zu einem mäßigen Preis verkauft werden. Daher bitte ich Sie, | ihm die beiliegende kleine Liste zu schicken, damit er den G Minimalpreis bekannt gibt; wenn er sich geneigt zeigt, wird man noch mehr bei ihm bestellen können. Ich würde gerne wissen, auf welche Weise in Rom endlich der chinesische Streit beendet wurde und ob überhaupt Eure Gegner gewonnen haben, wie manche sich brüsten. Wenn das so ist, halte ich diese Mission für gescheitert. Den Dialog von Laurentius Valla besitzen wir hier in den Folio-Werken. Einmal habe ich jedoch eine Sonderausgabe dieses kleinen Werkes in kleinerem Format gesehen. Ich werde nun sehen, ob man es aus Wolfenbüttel bekommen kann, um es Ihnen zu schicken. Ich jedenfalls habe die Worte des Autors gekürzt, man wird aber doch um der Sache willen auf sie zurückgreifen. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 17. März 1712
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
30. 3. 1712 GP·7, 581 (*XC b). G
| Als ich am Tag vor Ostern zu Arbeiten nach Hildesheim kam, fand ich Ihren höchst willkommenen Brief vom 17. des laufenden Monats. Teils hat mich dieser, teils die Nachbarschaft veranlasst, Sie wenigstens aus der Ferne zu grüßen, wenn es schon nicht persönlich geht. Ihren ziemlich ausführlichen [Brief], den ich in Paderborn bekommen habe, werde ich beantworten, wenn ich wieder dort bin. Ich möchte in drei Tagen hier abreisen, das heißt am dritten April. Den Brief an Hartsoeker habe ich erledigt, eine Kopie davon auch an Tournemine übersandt. Über die chinesische Angelegenheit wird mir neulich Folgendes aus Köln berichtet. Das Dekret₉₅ Alexanders VII . wurde nicht aufgehoben, es wurde auch vom jetzigen Papst kein neues ausgegeben, nur eine Bestätigung der Satzungen Seiner Eminenz Tournon betreffend einige Riten, jedoch so, dass noch eine größere Erklärung erwartet wird. Die Patres Provana und Noël erhielten vom Papst die Möglichkeit, nach China zurückzugehen. Freilich haben sich die in Rom versammelten Unsrigen dem Urteil des höchsten Pontifex unterworfen, was Anlass zur Formulierung eines Pasquino gab: das Wunder Seiner Eminenz Tournon sei, dass er die Jesuiten bekehrt habe, als er sich schon im Himmel befand, und sie nicht bekehren konnte, solange er auf Erden war. Die ganze Wahrheit, wie ich sagte, ist in der künftigen Erklärung enthalten, und der Papst soll zu unseren Bittstellern gesagt haben, dass sein Dekret nur Gewalt habe, wenn ihm wahrhafte Taten folgen. [… … … G] Leben Sie wohl. Eilig aufgegeben in Hildesheim, 30. März 1712
₉₅ Für hier zugrunde gelegtes »Decretum« steht bei G: »Deretum«.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
20. 5. 1712 G XCII.
| Erst jetzt beantworte ich Ihren im Februar an mich adressierten G Brief, der mir je ausführlicher umso lieber war. Ich beginne mit der Frage der Körper, die ich bei Ihnen mit größter Befriedigung durchgelesen und mit ebenso viel Aufmerksamkeit überdacht habe. Sie behaupten, man müsse eins von beiden sagen: entweder sind Körper bloß Phänomene, und somit wäre die Ausdehnung nur ein Phänomen; oder zu den Monaden wird eine gewisse vereinigende Realität zusätzlich hinzugefügt, die etwas Absolutes (und eben Substantielles), wenn auch Flüchtiges zu den zu Vereinigenden [Monaden] hinzufügt. Diese Disjunktion gebe ich in der Sache selbst zu, füge jedoch gleich hinzu: Nun aber nicht das Erstere, ergo Zweiteres. Wenn nämlich Körper bloß Phänomene sind, wird Zenons Paradox wahr sein, das jede wahre und eigentliche Bewegung leugnet, denn wenn sich keine berühren, werden sie auch nicht bewegt. Um dieses Glied der Disjunktion zu bestreiten, scheint mir das Vorurteil aller Philosophen und auch Ungebildeten eine hinreichende Grundlage – die nicht bezweifeln, dass im Körper noch etwas anderes steckt als Phänomene, d. h. als fortgesetzte Träume, die mehr oder weniger vollkommen übereinstimmen; was so wahr ist, dass es selbst Malebranche, der die Möglichkeit des Beweises der Existenz von Körpern bestreitet, nicht zu verneinen scheint: denn sofern er das leugnet, spricht er nicht von jenen Phänomenen, die ebenso gewiss für uns sind wie für einen jeden die eigene Perzeption; er bezeugt aber ausdrücklich, dass er nicht daran zweifelt, dass es diese Körper gibt, deren Beweis er für unmöglich erklärt. »Ich halte das für hinreichend | gewiss,« sagt er, »aber schlecht bewiesen.₉₆ Ich G
₉₆ »Je le crois comme bien prouvé, mais mal demonstré.« Das ganze Zitat ist auf Frz.
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halte es sogar für bewiesen, aber den Glauben voraussetzend«. Meinen Sie, dass er hier bloß von Phänomenen spricht? Es bleibt daher, dass wir etwas Absolutes zulassen, in dem die Realisation der Phänomene besteht. Das nennen Sie Substanz, ich Akzidens; aber die Sache dürfte außer Streit stehen. Akzidens nenne ich all das, was von sich aus eine vollständige Substanz voraussetzt, sodass es zumindest auf natürliche Weise ohne sie nicht sein kann. Nun setzt aber jenes absolute Einheitliche eine vollständige Substanz oder Monaden voraus, ohne welche es auf natürliche Weise nicht sein kann, denn nach Ihnen »sind in Wirklichkeit die Monaden nicht Ingredientien dieses Hinzugefügten, sondern Erfordernisse, und zwar nicht aus metaphysischer Notwendigkeit, sondern nur durch eine Herausforderung, Exigenz« – was ich so deute, dass Sie gleichsam sagen: die Monaden werden für diesen Zusatz vorausgefordert als etwas, das ihm der Natur nach vorausgeht. Wenn Sie diese Interpretation nicht verwerfen (und Sie können sie, wie es scheint, nicht verwerfen, denn weil dieser [Zusatz] das Prinzip der Einheit nicht in sich enthält, muss er es von anderswo voraussetzen), ist bereits klar, dass dieser Zusatz nicht Substanz im Sinn der Peripatetiker ist, die unter Substanz ausschließlich das erste Seiende als Substrat und Voraussetzung von anderem verstehen. Nun haben wir also in den Körpern ein von den Monaden unterschiedenes Absolutes, das nicht Substanz ist; somit wird der Körper – sofern er zu den Monaden nichts als dieses Absolute hinzufügt – ihnen nur ein Akzidens hinzufügen. Ferner möchte ich dieses Absolute nicht bloß in akzidentellen Punkten ansetzen, die den Monaden entsprechen, denn bei den Punkten scheint dieselbe Schwierigkeit wie bei den Monaden zu bleiben, nämlich derart, dass sie etwas Ausgedehntes ausmachen sollten, obwohl sie nicht ausgedehnt sind. Gerade daher scheint es notwendig, bei irgendetwas Einheitlichem Zuflucht zu nehmen, das absolute akzidentelle Ausdehnung genannt werden kann. Wenn im Übrigen durch bloße Phänomene die natürliche Verfassung der Körper erklärt werden könnte, dann behaupte ich, würde es keine philosophische Grundlage dafür geben, auf nicht modale Akziden-
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tien zurückzugreifen, um die Akzidentien der Eucharistie zu erklären. Aber, wie oben gesagt, der Gemeinsinn der Menschen scheint im sinnlich wahrnehmbaren Körper etwas Weiteres zu gewahren als Phänomene, die in der Tätigkeit der perzipierenden Seele bestehen, und natürlich gesprochen muss dieser Perzeption ein Objekt entsprechen, das von der Perzeption selbst unterschieden ist, sonst gäbe es keine Harmonie. Wenn Sie die Weisung des Bischofs von Meaux durchgelesen haben, wäre ich froh, einmal zu erfahren, was Sie darüber denken. Wenn er aufgezeigt hat, dass Jansen und seine Gefolgsleute die verurteilten Sätze in einem inakzeptablen Sinn gelehrt haben, hat er die auf sich genommene Pflicht erfüllt, denn das allein war seine Absicht. Ob jedoch Augustinus Jansen Beifall spenden würde, ist eine andere Frage, die die beiden Bischöfe von Luçon und La Rochelle | jüngst sehr ausführlich in ihrer Pastoralanweisung erörtert haben, G die auch ich besitze. Mir schien es sinnvoll, die Titel der Abschnitte, in denen der Wille Gottes hinsichtlich des Heils aller behandelt wird, hier anzuführen. Fünftes₉₇ Kapitel, in dem der Gegensatz der Lehre des hl. Augustinus zu jener gezeigt wird, die in dem fünften von der Kirche verurteilten Satz enthalten ist. 436, Abschn. 1, wo mit formellen Texten, die aus allen Werken des hl. Augustinus entnommen sind, gezeigt wird, dass Jesus Christus gestorben ist, um das ewige Heil für andere als die Prädestinierten zu erlangen. 437, Abschn. 2, wo gezeigt wird, dass nach dem hl. Aug[ustinus] Jesus Christus für all jene gestorben ist, über die er richten muss. 448, Abschn. 3, woraus man erkennt, dass nach dem hl. Aug[ustinus] Jesus C[hristus] gestorben ist für all die, die durch die Ursünde gestorben sind. 454, Abschn. 4 wo gezeigt wird, dass nach dem hl. Aug[ustinus] Jesus C[hristus] für das ewige Heil aller Menschen im Allgemeinen und jedes einzelnen von ihnen im Besonderen gebetet hat, selbst der am meisten Ausgestoßenen. 467, Abschn. 5, woraus man erkennt, dass nach dem ₉₇ Die folgende Passage ist bis »… Taufe sterben« im Original frz.; ab »559, 8. Abschn. …« schreibt Des Bosses wieder lateinisch.
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hl. Augustinus Jesus C[hristus] auf solche Weise sein Blut für alle Menschen vergossen hat, dass jeder die Befähigung hat, tatsächlich erlöst zu werden, wenn er will. 471, Abschn. 6, wo gezeigt wird, dass nach dem hl. Aug[ustinus] Gott aus aufrichtigem und wirklichem, wenngleich bedingtem Willen das Heil aller Menschen im Allgemeinen und jedes Einzelnen von ihnen im Besonderen will. 480, Abschn. 7, wo vom hl. Augustinus erklärt wird, dass Gott ausreichend Beistand an innerer und wirklicher Gnade gewährt, um das Heil für alle Menschen zu ermöglichen, die im Stande sind, durch ihren freien Willen davon Gebrauch zu machen. 487, Abschn. 8, wo man durch Augustinus selbst die Stellen erklärt, an denen dieser [Kirchen]vater den Willen, den Gott zum Heil der Menschen hat, bloß auf das Heil der Prädestinierten einzuschränken scheint. 499, Abschn. 9, erklärt die Texte, in denen der hl. Aug[ustinus] das Gebet Jesu Christi für das ewige Heil einzig auf das Heil der Prädestinierten einzuschränken scheint. 508, Abschn. 10, erklärt die Texte, in denen der hl. Aug[ustinus] zu sagen scheint, dass Gott auf keine Weise das Heil der Kinder will, die ohne Taufe sterben. 559, 8. Abschnitt, worin die Texte erklärt werden, in denen der hl. Aug[ustinus] zu verstehen zu geben scheint, dass Gott nicht das Heil der Einzelnen will, finden Sie auf dem beiliegenden Blatt. Dasselbe Thema hat neulich ein Löwener Lizentiat vom Augustiner-Eremiten-Orden behandelt, in einem Buch mit dem Titel: Der europäische Augustinus als Gegner des afrikanischen; man kann es in Köln kaufen. Die Übersetzung der Theodizee habe ich bis Seite 540 vorangebracht; sobald sie fertig ist, soweit es die »Tentamina [Essais]« betrifft (ich bin zuversichtlich, dass das innerhalb von fünfzehn Tagen sein wird), werde ich ans Abschreiben gehen und Ihnen die AbG schrift schicken. Den einzelnen Abhandlungen | oder Teilen folgen Anmerkungen, an die ich erst Hand anlege, wenn die Übersetzung beendet ist. Dann wird man allmählich an die Publikation denken müssen, die jedoch kaum vor der Frankfurter Herbstmesse zu erwarten ist.
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Unser Hartsoeker schweigt zu den tiefen Fragen. Ihren Brief an ihn habe ich nach Paris gesandt. Ich schicke etwas Chinesisches. Irgendwo habe ich gelesen, Sie hätten gewisse philosophische Meditationen vorbereitet, in denen Sie die Prinzipien der Natur erhellen. Ich würde gerne wissen, ob Hoffnung besteht, dass sie bald veröffentlicht werden. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Paderborn, 20. Mai 1712
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26. 5. 1712 G XCIII / D·2, 297 f. (E 19, S / F XXVI).
¦ Hochwürdigster Pater, verehrtester Gönner! ¦ Wenn Sie bestreiten, dass das, was zu den Monaden zusätzlich hinzugefügt wird, um eine Vereinigung herzustellen, substantiell ist, dann kann ein Körper nicht Substanz genannt werden; denn auf diese Weise wäre er bloß ein Aggregat von Monaden, und ich fürchte, so werden Sie in die bloßen Körperphänomene zurückfallen. Monaden haben nämlich von sich aus keine Lage zueinander, nämlich eine reale, die über die Ordnung der Phänomene hinausreicht. Jede einzelne ist wie eine abgesonderte Welt, und sie stimmen durch ihre eigenen Phänomene untereinander zusammen ohne irgendwelchen anderen Verkehr und irgendwelche Verknüpfung. Wenn Sie alles Akzidens nennen, was eine vollständige Substanz so voraussetzt, dass es auf natürliche Weise nicht ohne sie sein kann, erklären Sie nicht, worin das besteht, was dem Akzidens wesentlich ist und wodurch es auch im übernatürlichen Zustand von der Substanz unterschieden werden muss. Die Peripatetiker anerkennen allgemein etwas Substantielles außer den Monaden, andernfalls gäbe es ihnen zufolge keine Substanzen außer Monaden. Und Monaden konstituieren keine vollständige zusammengesetzte Substanz,
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weil sie kein unum per se ausmachen, sondern ein bloßes Aggregat, wenn nicht ein substantielles Band dazukommt. Aus der Harmonie kann nicht bewiesen werden, dass etwas anderes in den Körpern ist als Phänomene. Denn es steht aus anderen Gründen fest, dass die Harmonie der Phänomene in den Seelen nicht durch den Einfluss der Körper entsteht, sondern prästabiliert ist. Das würde auch genügen, wenn es nur Seelen oder Monaden gäbe, in welchem Fall auch jede reale Ausdehnung₉₈ verschwände, erst recht die Bewegung, deren Realität auf bloße Veränderungen der Phänomene zurückgeführt würde. Ich wollte, jemand würde das vollständige System von Jansen in einem Kompendium darstellen; andernfalls ist es schwierig, in einer so verwickelten Sache über seine Gesinnung richtig zu urteilen. G | So wie offenbar auch aus Augustinus das gerade Gegenteil herausgeklaubt werden kann, wenn seine Worte von ihrem Platz entfernt werden, so kann es geschehen, dass Jansen dasselbe zustößt. Aber im Zusammenhang der Meditationen kann man diesen Zweifel beheben. Und wer durch die aus ihm exzerpierten Stellen nicht getäuscht werden will, muss sehr versiert sein in der Lektüre des Augustinus und von seinen verschiedenen Büchern Zeiten, Ziele und Übersicht kennen: das glaubte ich einst durch einige seiner Worte nach eingehenderer Betrachtung zu bemerken, und deshalb bin ich jetzt vorsichtiger geworden. Hartsoeker hat versprochen, sich bezüglich der Atome künftig nicht mehr zu wiederholen – und will sich in diesem Vorsatz als fest erweisen. Gewiss habe ich viele philosophische Meditationen, sie sind aber noch nicht für eine Edition fertig. Diejenigen darunter, welche die Bewegungsgesetze betreffen, können zur Erhellung der Prinzipien der Natur sehr dienlich sein. Ich schulde Ihnen viel, weil Sie sich mit so großem Eifer der Übersetzung meines Buches widmen. Ich wollte, Sie hätten darin etwas gefunden, das der Mühe wert sein könnte. ₉₈ D·2, 297 stattdessen: »Vernichtung« (»exstinctio« statt »Extensio«).
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Dank sage ich für die Mitteilungen betreffend die chinesischen Angelegenheiten; je mehr ich über sie nachdenke, umso mehr wundere ich mich darüber, dass in Rom etwas geschieht, was mir die Gefährdung der Mission zu vergrößern scheint. Zu Recht auch warnen die Portugiesen, deren Interesse es ist, dass der chinesische Monarch nicht erzürnt wird. Indessen fürchte ich, der Papst billigt nicht, dass die Portugiesen sich das Recht des Patronats in den chinesischen Kirchen zuschreiben. Ich möchte wissen, ob der Ew. P. Tournemine die versprochene Rezension meiner Theodizee in seinen literarischen Akten von Trévoux untergebracht hat. Die in diesem Blatt aufgelisteten Bücher kann Herr Rommerskirchen schicken, wann er will. Ich habe den Preis gerechnet, den er selbst bestimmt hat. Das Geld dafür wie auch für das frühere werde ich dem zahlen, den Sie mir nennen werden. Inzwischen leben Sie wohl etc. Hannover 26. Mai 1712 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦
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12. 6. 1712 G XCIV.
Ihren sehr willkommenen Brief habe ich vor zwei Tagen erhalten. Der Anlass, warum ich sofort darauf antworte, ist das Eintreffen der Botschaft, dass unser Tolomei zum Kardinal ernannt worden ist, wovon Sie sicher aus öffentlichen Nachrichten erfahren haben; weil Sie doch den Mann lieben, werden Sie im beiliegenden Blatt einige von einem Zögling des Collegium Germanicum uns beschriebene Umstände – ich glaube nicht ungern – lesen. Wenn Sie gratulieren wollen, schicken Sie mir bitte Ihren Brief und ich lege ihn dem meinen bei.
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| Ich wende mich nun den philosophischen Abschnitten Ihres Briefes zu. »Wenn Sie bestreiten, dass das, was zu den Monaden zusätzlich hinzugefügt wird«, sagen Sie, »um eine Vereinigung herzustellen, substantiell ist, dann kann ein Körper nicht Substanz genannt werden, denn auf diese Weise wäre er bloß ein Aggregat der Monaden.« Meine Antwort: von den Peripatetikern wird Körper zweifach bestimmt, einmal indem er in das Prädikament der Substanz gesetzt wird – das heißt Substanz in einer Art, die ich etwas später noch werde erklären müssen; zweitens als mathematischer, und als solcher besteht er in einer dimensionalen Quantität, die, wie ich behaupte, bloß ein Akzidens ist: nur den habe ich in meinem letzten [Schreiben] behandelt. Ich behaupte nämlich, der auf erstere Weise angenommene Körper wäre ein bloßes Aggregat von Monaden, wenn es zwischen den Monaden keine substantielle Einheit gäbe. Diese Einheit nun bestimme und erkläre ich mit peripatetischen Ausdrücken, um zu versuchen, Ihr System an den Schulgebrauch anzupassen, so gut es geht. Die Formen und somit die Monaden selbst (ausgenommen die rationale Seele) sind hinsichtlich Wesen oder metaphysischem Akt beständig, nicht aber hinsichtlich Existenz oder physischem Akt – ungefähr in der Weise, wie bei vielen Peripatetikern die Teile lediglich der Potenz nach im Ganzen sein sollen oder wie nach der Meinung von Averroes und Zabarella die Elemente in einem Gemisch – und zwar zerbrochen – erhalten bleiben. In einem Tier, z. B. einem Pferd, hat nur die dominante Form, nämlich die Seele des Pferdes, Existenz oder physische Wirklichkeit₉₉. Da Seiendes und Eins austauschbar sind, wird ein Ding eben durch das zu Einem, wodurch es existent wird; weil also ein ganzes Tier existent ist durch die aus der Seele emanierende Existenz, wird durch diese Existenz ein tierischer Körper konstituiert. Diese Existenz nun ist ein substantieller Modus, der aus der Seele oder ganzen und dominanten Form emaniert und die anderen, partiellen Monaden affiziert und sich unterordnet, kraft dessen es wiederum dazu kommt, dass aus ₉₉ Lat. »actus«. »Tier« steht in diesem Absatz für »animal«.
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diesen untergeordneten und jener dominanten Monade eine körperliche Substanz existiert, die Pferd genannt wird. Aus dem Dargelegten folgt, dass Monaden zwar hinsichtlich ihres Wesens, getrennt von jeder Existenz oder physischen Wirklichkeit, Substanzen und metaphysisch vollständige erste Seiende sind, da sie metaphysische Wirklichkeit, nämlich Entelechie, haben, dass sie jedoch unvollständig hinsichtlich ihrer physischen Substanz sind, sofern und wenn nicht eine dominante Entelechie der ganzen organischen Masse, z. B. dem Pferdekörper, Existenz und somit Einheit verleiht, sodass diese Entelechie keiner anderen untergeordnet ist. Diese Existenz nun oder Einheit und substantielles Band – behaupte ich – weist durch sich den Monaden keine reale Lage untereinander zu, denn die Existenz oder Einheit könnte auch vorliegen, wenn alle Monaden des Pferdekörpers | zu einem einzigen G Punkt zusammengeschmolzen wären. Ich füge die Worte unseres Perez an – Streitgespräch über die Inkarnation 1, Kapitel 4, Nummer 29, bei mir S. 323: »Es gibt zwei kontinuierliche Vereinigungen: eine akzidentelle und von der akzidentellen Quantität abhängige – diese kann jene Ordnung aufweisen, der zufolge die Teile näher oder entfernter zu einem bestimmten angegebenen Punkt liegen, proportional zu einer bestimmten Lage und äußeren Gestalt; diese Vereinigung kann gewaltsam sein, wie bei Monstern. Die andere ist substantiell, und in ihr gibt es keine Ordnung, der zufolge sich die Teile formal ungleich verhalten würden, sondern sie setzt Einzelteil um Einzelteil gleichförmig aneinander, weshalb entsprechend der substantiellen Unversehrtheit keinerlei monströses Kontinuum in der Vereinigung enthalten ist. Daher sagen auch viele Autoren, in einer materiellen Substanz gebe es keinen Unterschied₁₀₀ der Teile, der der akzidentellen Quantität vorausgehen würde, sondern der Unterschied komme von der Quantität. Nicht anzunehmen ist das vom Unterschied als Gegensatz zur Einfachheit und Identität, sondern von dem geordneten Unterschied, der die Teile ungleich und mit einer bestimmten, an einem Punkt ausgerichteten Ordnung af₁₀₀ Lat. »distinctio«
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fiziert. Dadurch steht auch fest, dass die Kreuzigung mit Nägeln keine substantielle Verletzung an den Händen Christi verursacht und die Substanz ebenso substantiell in Christus fortbesteht, als wenn es keine Verletzung gäbe, weshalb die Verletzung der Hände Christi nur akzidentell ist; dasselbe gilt in allen ähnlichen Fällen.« So weit Perez. Ich stimme also zu, wenn Sie sagen: »Die Peripatetiker anerkennen allgemein etwas Substantielles« (modal und nicht absolut, physisch und nicht metaphysisch) »außer den Monaden, sonst gäbe es nach ihnen keine« (physischen) »Substanzen außer den Monaden. Und Monaden konstituieren keine vollständige zusammengesetzte« (physische) »Substanz, da sie kein« (physisches) »unum per se ausmachen, sondern nur ein Aggregat – wenn nicht ein substantielles Band dazukommt.« All dem stimme ich wie gesagt zu; zu seiner Wahrheit genügt es, dass eine physische Substanz zu den metaphysischen [Substanzen] oder Monaden einen substantiellen Modus, wie ich ihn oben gezeigt habe, hinzufügt. Sie behaupten: »Wenn Sie das, was eine vollständige Substanz so voraussetzt, dass es ohne sie nicht sein kann, Akzidens nennen, dann erklären Sie nicht, worin das besteht, was dem Akzidens wesentlich ist und wodurch es auch im übernatürlichen Zustand von der Substanz unterschieden werden muss.« Ich antworte: dem Akzidens ist wesentlich, dass es ein In-der-Substanz-Sein erfordert, wobei es kein Teil ist, sondern ihr als einer ebenso im metaphysischen wie im physischen Sein, das heißt ebenso hinsichtlich des Wesens wie hinsichtlich der Existenz, durch und durch vollständig konstituierten [Substanz] zukommt und ihrer zumindest konnatuG ral bedarf. Dieses Erfordernis | dauert beim Akzidens auch im übernatürlichen Zustand an, und durch diesen Zwang unterscheidet es sich von jeder Substanz. Man kann nachlesen beim hl. T[homas] 3. Teil, Quaestio 77, Art. 1 zu 2. Dass dieser Begriff von Akzidens peripatetisch, ja aristotelisch ist, zeigt Martin Smiglecki, als subtiler Peripatetiker, in der 8. Disputation seiner Logik, ganze erste Quaestio, Seite 543, Ingolstädter Ausgabe. »Aus der Harmonie«, sagen Sie, »kann nicht bewiesen werden, dass etwas anderes in den Körpern ist als Phänomene; denn schon
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aus anderen Gründen steht fest, dass die Harmonie der Phänomene in den Seelen nicht dem Einfluss von Körpern entspringt, sondern prästabiliert ist; das würde genügen, wenn es nur Seelen oder Monaden gäbe, in welchem Fall auch jede reale Ausdehnung verschwände, ganz zu schweigen von der Bewegung, deren Realität auf bloße Veränderungen der Phänomene zurückgeführt würde.« Auch wenn die Harmonie prästabiliert ist, erfordert doch das Bestehen der Harmonie als solcher, dass das, was sich außerhalb der Seelen befindet, den Perzeptionen, die in den Seelen sind, entspricht; sonst – würde ich sagen – genügt es zur Wahrheit meiner Perzeptionen oder Erkenntnisse, dass nur meine Seele zusammen mit ihren Perzeptionen existiert. Denn meine Erkenntnisse werden durch Phänomene verifiziert, die innerhalb der Seele sind. Außer der geordneten Reihe der in der Seele existierenden Perzeptionen ist zur Wahrheit einer Proposition, in der ich z. B. bejahe, dass Sokrates sitzt, ein Bezug auf ein von den Perzeptionen unterschiedenes Objekt erforderlich, ein Bezug, der ohne das Objekt als solches nicht möglich ist; denn deswegen, weil ein Ding ist, nennt man eine Proposition wahr oder falsch. Oder was sonst fehlte zur Wahrheit des Urteils dessen, der bei Horaz glaubte, er »höre wundersame Schauspieler« in kunstgerechter Aufmachung? Würde man die Erkenntnisse, die wir jetzt haben, für wahr halten, wenn die Monaden der ganzen Welt an einem Punkt zusammengedrängt wären oder sich, voneinander abgesondert, ins Leere verflüchtigen würden? Wenn das so wäre, wozu braucht man eine träge Materie, die die Bewegung bremst, wozu auch die Entelechie, die der Anfang der Bewegung ist, oder wie wird eine Monade die Handlung einer anderen behindern? Andere neuere Philosophen in der Nachfolge von Descartes haben gemeint, allein durch die Ortsbewegung könne man alle anderen Affektionen erklären; jetzt dagegen geht man zum Gegenteil über, die Ortsbewegung durch die anderen Affektionen zu erklären. Schließlich muss man entweder sagen, dass unsere Perzeptionen resp. Kognitionen durch Phänomene allein nicht verifiziert werden, oder man wird mit bestimmten Antiken behaupten, dass alles, was erscheint, wahr sei – die Sonne z. B. einen halben Fuß groß
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sei, ganz zu schweigen davon, dass mit dieser Art, die Körper zu erklären, die Objekte der Physik und konkreten Mathematik aufgehoben zu werden scheinen. An diesen meinen Bedenken sehen Sie, hoch geschätzter Mann, G dass | Ihre Ansicht von mir noch nicht genügend erfasst ist, und m. E. passt das, was Sie in den Bemerkungen zum Buch über den Ursprung des Bösen, Nr. 5, sagen, nicht mit der Realität eines mathematischen Körpers oder einer über die Phänomene hinausgehenden dimensionalen Quantität zusammen. Dennoch glaube ich – wie kürzlich gesagt –, wenn es wahr wäre, dass das Ganze durch Phänomene allein erklärt werden könnte, würde das dem Dogma der Transsubstantiation nicht widersprechen. Weil es aber meiner Meinung nach immer viele Philosophen geben wird, nach deren Urteil in einem so verstandenen Körper etwas außer den Phänomenen ist, will ich mich damit begnügen, wenn zumindest auf diesem Weg zugegeben wird, dass die dimensionale Quantität etwas Absolutes, von einer Substanz Verschiedenes ist. Da der hl. Augustinus (wie auch die Schrift selbst) wiederholt ganz Widersprüchliches zu sagen scheint und es auch nicht zurückgenommen hat, als er seine Bücher im Alter überarbeitete: ist dies etwa Grundlage genug, um einen zweifachen Sinn dieser Worte zu unterscheiden? Gott will mit bedingtem Willen das Heil aller Menschen. Das meint Augustinus in den jüngst von mir angeführten Texten. Gott will mit absolutem und dekretorischem Willen nicht das Heil aller, verstanden als Einzelne von Gattungen, sondern für Gattungen von Einzelnen. Das behauptet er in den Texten, die im negativen Sinn angeführt werden, wie es auch der hl. Prosper in den Fälschlich dem Augustinus zugeschriebenen Artikeln behauptet. Wenn nach den Jansenisten Augustinus in Gott keinen Willen zum Heil der Sünder zulässt, lassen sie ihn ganz klar sich selbst widersprechen. Würde man auch den Gesamtzusammenhang des Buches betrachten, in dem er die Worte des hl. Paulus über die Gattungen der Einzelnen erörtert, wird man finden, dass er vom dekretorischen Willen gesprochen hat. Der Sinn Jansens scheint nicht mehr zweifelhaft sein zu können, denn – wie der Bischof von Meaux
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zeigt – die Kirche weist ihm keinen anderen Sinn zu als jenen, in dem die Sektierer ihn interpretieren. Es trifft sich gut, dass ich gerade jetzt, da ich die Theodizee übersetze, den »Traktat über Gott« vor mir liegen habe, denn beim Durchblättern unserer Autoren zu diesem Thema ist mir schon viel begegnet, was mit Ihren Meditationen vorzüglich zusammenpasst. Als Beispiel sei etwas aus Izquierdo exzerpiert, bei dem Ihre Ansicht von der moralischen Notwendigkeit Gottes zum Besten vollständig ausgedrückt ist, und ich möchte fast schwören, dass Sie dieses Werk noch nie gesehen haben. Es wäre mühsam, alles abzuschreiben, was es an Übereinstimmungen mit Ihnen enthält. Auf Einwände, welche die beiderseits gemeinsame Ansicht bestreiten und von denen mir nicht wenige begegnet sind, erwidert er gekonnt. Das Exzerpt finden Sie auf der letzten Seite dieses Papiers. Exzerpte dieser Art – falls Sie einverstanden sind – könnte ich etliche in die Übersetzung der Theodizee einflechten, die mir immer besser gefällt, je weiter ich darin vorankomme – ein paar Kleinigkeiten ausgenommen, die in Summe nichts bedeuten. Schließlich fand ich eine Stelle, an der | G Sie die Hoffnung wecken, einmal etwas von Ihnen über Kontinuität, Unteilbarkeit und das Unendliche zu sehen. Im Vorwort der Theodizee, das ich noch nicht übersetzt habe, steht diese Verbindlichkeit noch aus, die fürwahr der Einlösung durch Sie würdig ist und die meines Erachtens niemand mehr lösen wird, wenn Sie sie nicht lösen. Lassen Sie bitte daher diese Gelegenheit, der Philosophie einen guten Dienst zu erweisen, nicht verstreichen. Morgen werde ich Ihr Blatt an Herrn Rommerskirchen schicken. Leben Sie wohl usw. Geschrieben in Paderborn 12. Juni 1712 P. S. Beim nochmaligen Lesen Ihres Briefes stoße ich auf einen Punkt, den ich noch nicht beantwortet habe. Tournemine hat mir mitgeteilt, dass die Theodizee in den Akten von Trévoux rezensiert wurde und Sie mit der Beurteilung zufrieden sein dürften; dass er auch ein Exemplar des Journals an mich geschickt habe, es aber auf dem Weg verloren gegangen sei. Daher habe ich ein neues angefordert und werde es Ihnen sofort nach Erhalt zukommen lassen.
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16. 6. 1712 G XCV / D·2, 298 f. (E 20, S / F XXVII). Apostrophe in DB Monitum *[11]. D
¦ Hochwürdigster Pater, verehrtester Gönner! ¦
Sie überhäufen mich mit neuen Wohltaten, von denen nicht die geringsten sind, dass Sie die Rezension aus Trévoux – die ich lesen möchte – besorgt und die Beförderung Seiner Eminenz Tolomei nicht nur vermeldet, sondern auch mit einer entsprechend würdigen Erzählung veranschaulicht haben; ihm gratuliere ich von Herzen mit dem Brief, den ich übersende, und ich bitte Sie, diesen, wie Sie angeboten haben, aushändigen zu wollen. Einen Gefallen erweisen Sie mir auch, wenn Sie Lehrsätze von gelehrten Männern aus der heiligen Schule, die mit den meinen mehr oder weniger zusammenstimmen, notieren. Denn das ist einerseits gut zur Bestätigung, andererseits für das Verständnis. Vom Ew. P. Sebastian Izquierdo erinnere ich mich nur, das Buch mit dem Titel Pharus Scientiarum gelesen zu haben, das ich in jungen Jahren angesehen, dessen Idee ich aber nahezu vergessen habe; manche izquierdosche Ausdrücke in den von Ihnen exzerpierten Stellen klingen ein bisschen anders als meine, aber in der Sache scheinen wir übereinzustimmen. Wenn er z. B. sagt, dass Gott moralisch, nicht physisch genötigt war, die Welt zu erschaffen, würde ich eher sagen: moralisch, nicht metaphysisch; die physische Notwendigkeit habe ich ja in meinem Buch so erklärt, dass sie eine Folge der moralischen ist. Die Erklärung aller Phänomene allein durch untereinander konspirierende Perzeptionen der Monaden, ohne körperliche Substanz, erachte ich als nützlich für eine grundlegende Untersuchung der Dinge. In dieser Darstellungsweise wird nun Raum die Ordnung der koexistierenden Phänomene, so wie Zeit [die Ordnung] der G aufeinanderfolgenden. | Dennoch gibt es keine räumliche oder ab-
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solute Nähe oder Distanz der Monaden, und zu sagen, dass sie in einem Punkt zusammengeballt oder im Raum verstreut sind, heißt, gewisse Fiktionen unseres Geistes zu gebrauchen, insofern wir uns gerne bildlich vorstellen möchten, was nur verstanden werden kann. Zudem kommt in dieser Überlegung keine Ausdehnung oder Zusammensetzung des Kontinuums vor, und alle Schwierigkeiten mit den Punkten verschwinden. Das ist es auch, was ich an einer Stelle meiner Theodizee sagen wollte – dass wir auf die Schwierigkeiten bei der Zusammensetzung des Kontinuums hinweisen und die Dinge ganz anders begriffen werden müssen. Sodann muss man sehen, was notwendig zusätzlich hinzugefügt werden muss, wenn wir eine substantielle Vereinigung hinzufügen bzw. behaupten, dass es eine körperliche Substanz ebenso wie eine Materie gibt; und ob es dann notwendig ist, auf einen mathematischen Körper zurückzugreifen. Gewiss werden also die Monaden nicht im eigentlichen Sinn an einem absoluten Ort sein, weil sie keine wirklichen Ingredientien, sondern nur Erfordernisse der Materie sind. Somit wird es also nicht notwendig sein, lokal-Unteilbares anzunehmen, das zu so großen Schwierigkeiten zwingt. Es reicht, wenn die körperliche Substanz etwas ist, das Phänomene außerhalb der Seelen realisiert; aber Teile möchte ich nur insofern aktual darin begreifen, als sie durch eine aktuale Teilung entstehen, und Unteilbares nur als begriffliche Grenzbestimmung₁₀₁. Die Monaden besitzen, glaube ich, immer die volle Existenz und können nicht in dem Sinn begriffen werden, in dem man sagt, dass Teile potentiell in einem Ganzen sind. Ich sehe auch nicht, was eine dominierende Monade den anderen Monaden an Existenz entziehen soll, da zwischen ihnen kein wirklicher Austausch₁₀₂, sondern nur Übereinstimmung besteht. Die Einheit der körperlichen Substanz in einem Pferd entspringt nicht irgendeinem Aufbrechen der Monaden, sondern dem zusätzlich hinzugefügten substantiellen ₁₀₁ »begriffliche Grenzbestimmung« steht für einfaches lat. »extrema«. ₁₀₂ Lat. »commercium«
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Band, durch welches sich in den Monaden selbst gar nichts ändert. Irgendein Wurm kann Teil meines Körpers und unter meiner dominanten Monade sein, der selbst andere Tierchen in seinem Körper unter seiner dominanten Monade haben kann. Betrachtet man aber die Herrschaft und Unterordnung der Monaden in den Monaden selbst, dann besteht sie nur in den Vollkommenheitsgraden. Wenn man definiert: Akzidens ist das, was erfordert, innerhalb einer Substanz zu existieren, fürchte ich, dass wir den formalen Grund dafür nicht ganz erklären werden. Es müsste daher der Grund einsichtig werden, warum es das erfordert. Freilich erfordert auch eine Substanz oft eine andere; man wird erklären müssen, was jenes Darinsein eigentlich ist, in dem man die Natur des Akzidens gewöhnlich ansetzt. Ich möchte es darauf zurückbringen, dass es die Modifikation eines fremden Absoluten ist. Wahr ist, dass das, was in der Seele vorgeht, mit dem, was außerhalb der Seele geschieht, zusammenstimmen muss; aber dazu genügt, dass die Vorgänge in einer Seele sowohl einander, als auch dem, was in einer beliebigen anderen Seele geschieht, entsprechen; und es braucht nichts außerhalb aller Seelen oder Monaden angesetzt zu werden. Wenn wir nun unter dieser Hypothese sagen, dass G Sokrates sitzt, bedeutet das nichts anderes, als dass uns | und anderen, die es betrifft, das erscheint, wodurch wir Sokrates und den Sitz wahrnehmen. Weil Sie behaupten, dass die Lehre der Transsubstantiation mit der Hypothese oder Fiktion von zu Phänomenen reduzierten Körpern zusammengehen kann, bitte ich Sie, mir Ihre Gedanken über diese Sache darzulegen. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Hannover, 16. Juni 1712 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
7. 8. 1712 G XCVI.
Ich schicke Ihnen, edler Herr, 15 Bogen der Theodizee-Übersetzung, mit denen die einführende Abhandlung und der erste Teil fertiggestellt werden. Ich bitte inständig, sie nach Maßgabe Ihrer Freizeit durchzusehen und, wenn ich irgendwo Ihre Absicht nicht erfasst habe, auszubessern. Demnächst erwarte ich die Antwort von Kardinal Tolomei auf Ihr Schreiben, das ich mit größtem Vergnügen durchgelesen habe. Sobald die Antwort gekommen ist, werde ich meinen ausführlichen Brief beilegen. Paderborn, 7. August 1712 Ich würde gerne wissen, was Sie von der Quadratur des Kreises halten, die angeblich von einem Uhrmacher aus Reims gefunden worden ist.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
28. 8. 1712 G XCVII.
Obwohl ich mich sehr um die Beschaffung der Theodizee-Rezension aus Trévoux bemüht habe, konnte ich noch keiner habhaft werden. Ich vermute, dass ein von Tournemine mir zugesandtes Paket, das auch Sachen für den Bestimmungsort Köln enthielt, irgendwo zurückgehalten wurde, wie es schon öfters passiert ist. Inzwischen sende ich einen Brief Seiner Eminenz Tolomei, der mir geschrieben hat, dass Ihr Brief ihn sehr gefreut hätte, und wünscht, dass Sie uns in ebenso wohlwollender wie katholischer Gesinnung verbunden seien. Er frühstückt jeden Tag mit den Unsrigen im Collegium Romanum und verbietet, dass man ihm dabei etwas Besonderes vorsetzt; so sagte mir jemand neulich aus Köln.
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98. Des Bosses an Leibniz
So wie Sie glaube ich, dass eine Erklärung der Phänomene durch die Perzeptionen von Monaden dazu nützt, die Naturphilosophie G von der Mathematik zu unterscheiden. | Auch wenn nun zusätzlich ein mathematischer Körper hinzugefügt wird, sind also die Monaden nicht absolut und eigentlich an einem Ort. Aristoteles selbst hat gelehrt, dass Unteilbares sich nicht von sich aus bewegt und daher nicht per se, sondern nur akzidentell, per accidens, an einem Ort ist. Weiters glaube ich mit Ihnen auch, dass in dem, was außerhalb der Seelen Phänomene realisiert, keine Teile dem Akt nach begriffen werden können, es sei denn sie entstehen durch eine aktuale Teilung, und ebenso nichts Unteilbares, es sei denn als Grenzbegriff. Aber ein Tier, z. B. ein Pferd, ist, denke ich, auf andere Weise Eines, als die ganze Welt Eines ist, und zwar wegen des substantiellen Bandes, das die ein Pferd konstituierenden Monaden auf bestimmte Weise tätig verwirklicht. Ich kann nicht begreifen, wie völlig unveränderte Monaden einmal ein Pferd konstituieren, dann wieder nicht konstituieren, wenn Seiendes und Eins austauschbar sein sollen. Wo eine neue Einheit oder Vereinigung auftaucht, dort scheint auch eine neue Existenz stattfinden zu müssen. Worin darüber hinaus jene Vereinigung oder Einheit oder Existenz besteht, definiere ich nicht – wie Sie bezüglich der Vereinigung von Seele und Körper Tournemine erwiderten. Der Vernunftgrund, warum ein Akzidens erfordert, in der Substanz zu existieren, ist, dass es kein erstes Seiendes oder kein anderen Seienden zugrundeliegendes Seiendes ist, so wie der Grund dafür, dass ein Geschöpf erfordert, von Gott abzuhängen, der ist, dass es kein Seiendes von sich her, a se, resp. kein unbegrenzt Seiendes ist. Keine ganze Substanz erfordert eine von ihr adäquat unterschiedene andere Substanz, außer vielleicht als Begleitung und der Harmonie wegen. Außerdem bestreite ich nicht, dass die Natur eines Akzidens dadurch erklärt werden kann, dass es Modifikation eines fremden Absoluten ist, denn auch der hl. Thomas definiert Akzidens als Modus eines Seienden bzw. einer Substanz. Aber ich meine nicht, dass Akzidens immer nur Modus bedeutet, der als solcher nicht einmal unter göttlichem Einfluss ohne Substanz sein könnte, und ich sehe
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keinen Widerspruch darin, dass es ein mittleres Seiendes zwischen Substanz und bloßem Modus gibt, denn ob man das Mittlere Seiendes oder Akzidens nennen soll, ist nur ein Streit um das Wort. In der Hypothese der auf Phänomene reduzierten Körper versuche ich die Transsubstantiation so zu erklären. Wir wollen erstens annehmen, dass Gott aus irgendeinem höheren Beweggrund eine gewisse Anzahl Monaden in diesem Universum zerstört und durch andere, völlig neue ersetzt. Weiters nehmen wir an, dass alle restlichen Monaden und deren den natürlichen Phänomenen entsprechende Perzeptionen unverändert bleiben, nicht anders, als wenn es keine Zerstörung und Ersetzung von Monaden gegeben hätte. Schließlich nehmen wir an, dass die Perzeptionen unverändert von Gott bewahrt werden, allein zu dem Zweck, um symbolisch die Kraft jener Monaden, die neu hinzugekommen sind und allein durch den Glauben kenntlich werden, zu vergegenwärtigen. Dies die Voraussetzungen. Nun behaupte ich: wenn Körper, sofern sinnlich, bloße Phänomene sind, wird im angenommenen Fall nichts zu einer echten Transsubstantiation fehlen, denn für diese genügt es, | dass eine G Substanz in der Natur der Dinge zu sein aufhört, eine andere unter dem verbleibenden gemeinsamen Akzidens oder Phänomen – einem oder mehreren – zu sein anfängt; unter diesem (oder diesen) war auch jene Substanz, die aufhörte, doch die neuen Substanzen oder Monaden begannen unter denselben Akzidentien oder Phänomenen zu existieren, unter denen die früheren waren, welche zerstört wurden, also … usw. Sie werden vielleicht diesen Fall als unmöglich bezeichnen, denn wenn das Objekt oder der Terminus der Erkenntnis verändert wurde, muss mit Notwendigkeit auch die betreffende Perzeption verändert werden. Meine Antwort ist, dass bei einer Veränderung des unmittelbaren Bewegungsobjekts₁₀₃ – wie wir es nennen – sich auch die Perzeption ändern muss, nicht aber bei der Veränderung ₁₀₃ »Unmittelbares Bewegungsobjekt« entspricht lateinischem »objecto immediato et motivo« in Des Bosses’ Text.
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98. Des Bosses an Leibniz
des vermittelten und bloß [grenz]bestimmenden Objekts. Besagte Perzeption aber hält etwas in der Seele für das unmittelbare Bewegungsobjekt, denn die Seele empfängt ihre Perzeptionen von keinem Objekt außerhalb der Seele. Daher sind Objekte außerhalb der Seele reine Grenzbestimmungen₁₀₄ der Perzeption. Somit ist es, wenn ich in einer Erfahrungserkenntnis einen Körper mit dem Ausdruck dieser Körper oder dieses Ding bezeichne, nicht notwendig, dass das Demonstrativpronomen dies die Individualität der Substanz als solche betrifft, sondern es genügt, dass es vielmehr der Individualität des Phänomens zukommt. Denn dieser Körper bedeutet dasselbe wie Ding, das diesen Akzidentien oder Phänomenen zugrunde liegt₁₀₅, wo die Individualität sich von den Phänomenen her bestimmt. Solange also ein Ding – gleichgültig ob dasselbe oder ein anderes – zugrunde liegen bleibt, bleibt mit diesen Phänomenen immer dieses Ding oder dieses. Doch Sie meinen, man verstehe nicht, warum neu entstandene Monaden beginnen, »unter«₁₀₆ diesen Phänomenen oder Perzeptionen zu sein; denn was bestimmt sie dazu, eher »darunter« zu sein als nicht darunter zu sein, dass also eher die neuen als die bleibenden [Monaden] »darunter« sind? Ich antworte mit der Gegenfrage, warum Monaden, die zerstört wurden, den betreffenden Phänomenen oder Perzeptionen vorher zugrunde liegen sollten? Etwa aus dem (oder einem ähnlichen anderen) Grund, dass die Existenz der bereits zerstörten Monaden zumindest die ideale Ursache im Geist Gottes dafür war, dass Gott meiner Seele solche Perzeptionen eingegeben hat? Doch gemäß der dritten anfangs gemachten Voraussetzung sind die neuen Monaden ebenso die ideale Ursache für die Bewahrung jener Perzeptionen oder Phänomene in meinem Geist. Daher muss man auch von den neuen sagen, dass sie »unter« den genannten Perzeptionen sind, nicht weniger als die zerstörten zuvor »darunter« lagen – allerdings mit dem Unterschied, dass die ₁₀₄ Lat. »terminativa« ₁₀₅ Lat. »substans« ₁₀₆ Im Lat. wird hier einfaches »subesse« (etwa: zugrunde liegen) ohne irgendeine Hervorhebung verwendet.
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zerstörten Monaden auf natürliche Weise den betreffenden Phänomenen zugrunde lagen, weshalb man sie bzw. den aus ihnen [gebildeten] Komplex als ausgedehnt, färbig usw. bezeichnete. Doch die neu hinzukommenden Monaden bzw. der aus diesen gebildete Komplex wird nicht als ausgedehnt, färbig usw. bezeichnet, weil die Phänomene diese Benennungen | nur in Bezug auf die eigenen und G konnaturalen Subjekte annehmen können, denn zur Benennung als Ausgedehntes usw. ist ein aufnahmefähiges und eigentümliches Subjekt erforderlich. Trotzdem hindert nichts, dass die neuen Monaden durch diese Phänomene bezeichnet, angezeigt und das genannt werden können. Denn da die Phänomene aufgrund ihrer Natur zur Bezeichnung von Substanzen angeordnet sind und eine eigene Substanz fehlt, bezeichnen sie einzig diejenige [Substanz], zu deren symbolischer Repräsentation sie von Gott bewahrt werden, nämlich eine, die in Abwesenheit einer eigenen und konnaturalen Substanz das nächste Recht auf diese Phänomene hat. Nun zur eucharistischen Transsubstantiation, die gemäß dem bisher Gesagten leicht erklärt werden kann. Denn die bisher dargestellte Transsubstantiation unterscheidet sich von der, welche die Römische Kirche in der Eucharistie vertritt, nur dadurch, dass ich oben die Erschaffung neuer Monaden vorausgesetzt habe, in der Eucharistie hingegen die den Körper Christi betreffenden Monaden schon vorher existiert haben und bloß anfangen, anderen Phänomenen zugrunde zu liegen, worin keine Schwierigkeit zu liegen scheint, die den Katholiken eigentümlich wäre. Denn wenn Gott durch Phänomene, die den zerstörten Monaden entsprechen, die Monaden, die die zerstörten ersetzen und neu geschaffen wurden, symbolisch repräsentieren kann, warum soll er nicht auf dieselbe Weise einige von den vorher existierenden und bestehen bleibenden repräsentieren können, wie es die Monaden waren, die die Substanz des Körpers Christi konstituierten? Es existiert also der Körper Christi »unter« diesen Phänomenen, und somit in diesem Raum, denn gemäß der in Ihrem letzen Brief aufgestellten Definition ist der Raum in dieser Hypothese nichts anderes als die Ordnung der zusammen existierenden Phänomene.
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98. Des Bosses an Leibniz
Dagegen versteht man nicht richtig, wie der Körper Christi durch diese Phänomene bezeichnet und angezeigt wird, wenn die Monaden, die zuvor das Brot konstituierten und deren Phänomene diesem eigentümlich waren, nicht zugrunde gegangen sind, denn solange die Monaden des Brotes bleiben, fallen die ihnen entsprechenden Phänomene in ihre eigenen Monaden und bezeichnen (im eigentlichen Sinn gesprochen) lediglich diese. Daraus folgt, dass, wenn die Monaden des Brotes bleiben, die Proposition Das ist mein Leib – wenn sie im eigentlichen Sinn verstanden wird (und ohne Zweifel müssen die grundlegenden, die Mysterien betreffenden Texte so verstanden werden) – den Sinn annimmt: Brot ist der Körper Christi. So weit, sehr geehrter Herr, meine Gedanken über die Versöhnung der Lehre von der Transsubstantiation mit der Hypothese oder Fiktion der auf Phänomene reduzierten Körper. Wenn Sie etwas Besseres wissen, sagen Sie es freimütig; wenn nicht, verwenden Sie das Vorliegende mit mir. Wenn Izquierdo behauptet, Gott wäre moralisch, nicht physisch G | zur Erschaffung der Welt genötigt gewesen, meint er nur, dass er nicht metaphysisch gezwungen gewesen sei, wie er ein Stück vorher ausdrücklich sagt; die Argumente, mit denen er seine Behauptungen beweist, zeigen das. Wie auch sonst eine physische Notwendigkeit – bei den geschaffenen Dingen – von der metaphysischen unterschieden wird, erklären er, Esparza und andere auf vorzügliche Weise: sie folge aus der moralischen; das haben sie mit Ihnen gemein. Es war sehr hilfreich, dass Sie mir hinsichtlich der Stelle der Theodizee – an der Sie sagen, dass wir die Schwierigkeiten bezüglich der Zusammensetzung eines Kontinuums ganz anders begreifen müssten – einiges klarer gemacht haben, und ich verkenne nicht Ihre Bemerkung, dass diese Erklärung zur Beseitigung vieler Schwierigkeiten von Nutzen sein könnte. Erlauben Sie mir trotzdem, hier noch einiges gegen diese Hypothese vorzubringen. 1. Wenn eine reale Ausdehnung zur Erklärung der Phänomene nicht nötig ist, warum soll eine Materie oder ein erstes Zugrundeliegendes, πρώτον ὑποϰείμενον, nötig sein, oder warum soll nicht die
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Entelechie allein eine Monade ausmachen? 2. Warum sollen aktual unendliche Monaden nötig sein? 3. Wenn z. B. ein Apfel nicht real ausgedehnt ist, warum erscheint er eher rund als viereckig? usw. Als ich vor kurzem in den »Bekenntnissen« von Augustinus – dessen Festtag wir heute begehen – blätterte, während ich mit anderem beschäftigt war, stieß ich zufällig auf das achte Buch, las das zweite Kapitel und erkannte seufzend, dass es so ganz zu Ihnen passt, und noch stärker, als ich zum vierten Kapitel kam. Lesen Sie, wenn Sie Lust haben, diese beiden Kapitel durch, und Sie werden sehen, was ich meine. Sie sind Victorinus, ich bin Simplicianus. Leben Sie wohl, vornehmer Herr, und denken Sie daran, dass nicht nur ich, sondern noch mehrere andere Rechtschaffene unablässig für Ihr Heil zu Gott beten. Gottfried, die Sache der Gottheit bringst du vorzüglich zum Abschluss: Wie wird der Sünder belohnt? Glauben fordere nur. Vielleicht finde ich im kommenden Oktober, wenn ich nach Hildesheim reise, Gelegenheit Sie zu treffen. Geschrieben in Paderborn, 28. August 1712 P. S. Ich gehe davon aus, dass Ihnen der vor einer Woche an Sie abgeschickte Teil meiner Übersetzung übergeben wurde.
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
20. 9. 1712 G XCVIII /D·2, 299–303 (E 21 / F XXVIII, W 9).
¦ Ehrwürdigster Pater! ¦
D
Den ersten Teil Ihrer Übersetzung und den Brief von Kardinal Tolomei habe ich mit Ihrer Sendung erhalten. Der Ew. P. Orban schickte sogar ein Bildnis des bedeutenden Mannes. Über | beide G
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Sendungen empfand ich große Freude, und ich wünsche dem nicht nur in einer Hinsicht eminenten Mann Wohlergehen und Gesundheit. Dasselbe erbete ich auch für Sie, der Sie Ihrem Orden und der literarischen Republik außergewöhnlichen Glanz, wie ich voraussage, verleihen werden. Orban hat einige chinesische Neuigkeiten geschickt, denen ich entnehme, dass ein Experte in der praktischen Mathematik unter den Euren gesucht wird, der würdig ist, die Stelle von Castner einzunehmen. Einen solchen habe ich vor einigen Jahren in Linz gesehen, aber ich befürchte, dass sein Alter zu sehr fortgeschritten ist, als dass er die Strapazen einer so langen Reise ertragen könnte. Wer sich bei Euch derzeit am meisten in der Mathematik hervortut, würde ich gerne durch Ihren Hinweis erfahren. In Eurer paderbornschen Bibliothek (wenn ich mich richtig erinnere) habe ich einmal ein altes Exemplar des Martianus Capella mit Anmerkungen gesehen. Bitte erkundigen Sie sich, ob es da ist (ich kann mich nämlich irren), und über den Zustand des Kodex, und geben Sie mir den Autor der Anmerkungen, falls der Name angeführt ist, bekannt. Ihre Übersetzung ist schön und wird das Werk erhellen: dennoch nehme ich, für meinen Teil, in der Sache die von Ihnen zugestandene Freiheit in Anspruch, auch weil Sie sich zu eng ans Original gebunden haben, um ein besonders getreuer Übersetzer zu sein; ich entfalte manches klarer, als es im Französischen ist; manches drücke ich bisweilen abgerundeter aus, so wie ich es gemacht haben würde, wenn ich auf Lateinisch geschrieben hätte. Wenn ich wieder in Hannover bin (denn jetzt halte ich mich in Wolfenbüttel auf), sende ich es Ihnen zurück. Jetzt komme ich zu Ihrem philosophischen Brief. Auch ich glaube, dass es – wenn man Substantielles außer den Monaden oder eine gewisse reale Vereinigung zugesteht – eine ganz andere Vereinigung ist, die bewirkt, dass ein Tier oder ein beliebiger organischer Körper der Natur im Besitz einer dominanten Monade substantiell-Eines ist, als die Vereinigung, die ein einfaches Aggregat ergibt, wie es bei einem Steinhaufen der Fall ist: diese besteht in einer bloßen Vereinigung der Gegenwart bzw. einer lokalen, jene in einer Vereinigung,
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die ein neues Substantiat konstituiert, das die Schulen unum per se, Eines durch sich, nennen, während sie das vorige Eines per Akzidens nennen. Nirgends habe ich behauptet, dass gänzlich unveränderte Monaden einmal ein Pferd konstituieren und es ein andermal nicht konstituieren; denn weil eine Monade immer in sich selbst ihre Relationen zu allem anderen ausdrückt, perzipiert sie ganz anders, wenn sie in einem Pferd ist, als in einem Hund. Zur Natur eines Akzidens genügt nicht, dass es von einer Substanz abhängig ist, denn auch eine zusammengesetzte Substanz hängt von Einfachen oder Monaden ab; sondern man muss hinzufügen, dass es von der Substanz als einem Subjekt abhängt, und zwar als dem letzten Subjekt; denn ein Akzidens kann eine Affektion eines anderen Akzidens sein, z. B. die Größe der Wärme oder des Antriebs, so dass der Antrieb das Subjekt und die Größe als ein Abstraktum des Prädikats in ihm ist, sobald man vom Antrieb sagt, dass er groß oder so und so groß werde. Aber die Wärme oder der Antrieb ist im Körper als dem Subjekt; und das letzte Subjekt ist immer die Substanz. | Jedes G Akzidens ist ferner etwas Abstraktes, allein die Substanz aber etwas Konkretes: und auch wenn Akzidentien konkrete Prädikate haben können – z. B. wird ein Antrieb als groß bezeichnet –, so sind sie doch selbst nicht konkret, sondern von den Prädikaten der Substanzen abstrahiert. Weiters würde ich behaupten: weil eine zusammengesetzte Substanz resp. jenes Ding, welches das Band der Monaden ausmacht, keine bloße Modifikation der Monaden und nichts ist, das in ihnen als Subjekten inexistiert (denn dieselbe Modifikation könnte nicht gleichzeitig in mehreren Subjekten sein), hängt es von den Monaden nicht in logischer Abhängigkeit ab (das heißt so, dass es auch auf übernatürliche Weise nicht von ihnen abgetrennt werden kann), sondern nur in einer natürlichen, nämlich so, dass es von diesen erfordert, sich zu einer zusammengesetzten Substanz zu vereinen, wenn Gott es nicht anders will. Denn Gott kann dieselbe [Substanz] an andere zu vereinigende Monaden anschließen, sodass sie aufhört die früheren zu vereinen, kann sogar sie selbst gänzlich aufheben und eine andere, die andere Monaden vereinigt, durch eine ersetzen,
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99. Leibniz an Des Bosses
und das entweder so, dass sie aufhört, andere Monaden zu vereinigen, und von Monaden auf Monaden übertragen wird, oder so, dass sie ihre Monaden, die sie auf natürliche Weise vereinigt, beibehält, jetzt aber auf übernatürliche Weise auch neue vereinigt. Und das scheint man den Euren zufolge von der Wandlung der ganzen Substanz eines Körpers in die ganze Substanz eines anderen Körpers sagen zu müssen, welcher dennoch seine frühere Natur beibehält. Kommen wir nun zu den realen Akzidentien, die in diesem vereinigenden Ding als ihrem Subjekt waren. Auch Sie werden zustimmen, meine ich, dass manche nur seine Modifikationen sind, die zugleich mit seiner eigenen Aufhebung aufgehoben werden. Die Frage ist aber, ob es nicht Akzidentien gibt, die mehr als Modifikationen sind. Doch solche scheinen ganz überflüssig, und was auch immer außer Modifikationen in ihnen ist, scheint zum substantiellen Ding selbst zu gehören. Auch sehe ich nicht, wie wir ein Abstraktum vom Konkreten oder Subjekt, in dem es ist, unterscheiden können, oder verständlich erklären, was das im Subjekt Darinsein oder Inhärieren ist, wenn wir das Inhärierende nicht als Modus oder Zustand eines Subjekts betrachten: Dieser ist entweder wesentlich, kann nur durch eine Veränderung der Natur der Substanz verändert werden und unterscheidet sich von ihr tatsächlich nur im Aspekt; oder er ist akzidentell, heißt Modifikation und kann entstehen und vergehen, während das Subjekt bleibt. Wenn Sie nun eine andere Art kennen, Inhärenz zu erklären, dann tragen Sie sie bitte vor, von ihr wird nämlich die Sache abhängen. Wenn das nicht geht, ist zu befürchten, dass Ihr verbal die realen Akzidentien, in Wirklichkeit aber die Substanz bewahrt und auf diese Weise die ganze Substanz nicht wirklich verwandelt wird. Daher weigern sich auch gewisse Griechen, wenn ich mich recht entsinne, die realen Akzidentien beizubehalten, weil sie befürchten, dass gleichzeitig die Natur und die G Substanz bewahrt werden. | Sie sagen, es scheine ein mittleres Seiendes zwischen Substanz und Modifikation geben zu können. Ich würde nun meinen, dieses Mittlere sei eigentlich das substantiierte Eine-durch-Sich oder die zusammengesetzte Substanz; denn diese ist die Mitte zwischen einfacher Substanz (die vornehmlich den Na-
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men Substanz verdient) und Modifikation. Eine einfache SubstanzG* ist ewig; ein Substantiat kann entstehen, vergehen und sich ändern; Akzidens ist das, was entsteht oder aufhört, wenn die Substanz sich [zwar] verändert, aber bestehen bleibt. Im Übrigen ist ein Akzidens zu keiner neuen Modifikation fähig, nämlich durch sich, sondern nur per Akzidens, insofern es in einer Substanz ist, die auch durch andere Akzidentien modifiziert wird; z. B. ist derselbe Antrieb oder dieselbe Wärme im Körper A einmal im Körper B gegenwärtig und dann wieder von ihm entfernt, wegen der Gegenwart oder der Entfernung des Körpers A; aber derselbe Antrieb kann nicht größer oder kleiner sein, zum bleibenden früheren kleineren kommt noch eine neue Stufe hinzu, und der gesamte folgende ist ein anderer als der gesamte vorhergehende. Auf ähnliche Weise kann nicht derselbe Antrieb einmal in diese, dann in eine andere Richtung gelenkt werden, sondern die neue Antriebskraft, die eine andere Richtung hat und zur vorigen hinzugefügt wird, bewirkt eine neue Richtung im Ganzen, während die beiden Teilrichtungen bleiben. Wenn aber die gesamte Antriebskraft selbst noch mit einer anderen zusammengesetzt wird, bringt sie einen neuen Gesamtantrieb hervor. Dies vorausgeschickt, würde ich meinen, dass Eure Transsubstantiation erklärt werden kann, wenn die Monaden erhalten bleiben (was mit der Vernunft und der Ordnung des Universums eher übereinzustimmen scheint), aber das substantielle Band des Körpers Christi von Gott verwendet wird, um die Monaden von Brot und Wein substantiell zu vereinigen, jedoch nachdem das frühere substantielle Band und zugleich mit ihm seine Modifikationen oder Akzidentien zerstört wurden. So werden allein die Phänomene der Monaden von Brot und Wein übrigbleiben, die auch weiter existiert hätten, wenn zu ihren Monaden kein substantielles Band von Gott hinzugefügt worden wäre. Aber auch wenn Brot oder Wein kein Substantiat wäre, das ein unum per se ausmacht, und daher auch mit keinem substantiellen Band verknüpft wäre, ist es doch ein Aggregat aus organischen Körpern oder Substantiaten, die ein unum per se konstituieren und deren substantielle Bänder aufgehoben und vom substantiellen Band des Körpers Christi ersetzt würden. Wenn
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gesagt wird Dies ist der Leib, dann werden – zusammengesetzte Substanzen nun einmal zugestanden – nicht Monaden bezeichnet, weder durch dies noch durch Leib (denn wie wenige haben an jene [sc. Monaden] gedacht?), sondern das durch die substantiellen Bänder entstandene oder zusammengesetzte Substantiat. G | Ich komme jetzt zu Ihrer Erklärung der Transsubstantiation, die behauptet werden muss, wenn es keine substantiellen Bänder gäbe und alle Substantiate bloß Phänomene wären. Sie behaupten, die Monaden von Brot und Wein würden zerstört und andere träten an ihre Stelle, während gleichwohl alle Perzeptionen von Brot und Wein in den Seelen blieben, so als ob ihre Monaden geblieben wären: sodann, dass die Monaden des Körpers Christi jene des Brotes ersetzt hätten. Aber Sie fragen selber zu Recht, warum wir sagen, dass andere Monaden die früheren ersetzen, oder worin diese Ersetzung besteht; und ich sehe nicht, wie das in dem Fall, dass in der Natur nichts als Monaden und Perzeptionen der Monaden angenommen werden, erklärt werden kann, wenn wir nicht den Monaden des Körpers Christi Perzeptionen zuschreiben, die den Perzeptionen der zerstörten Monaden entsprechen. So würde man aber tatsächlich sagen müssen, die Akzidentien von Brot und Wein seien im Körper Christi, was zu Recht verworfen wurde. Das »Dies ist« würden wir jenen Monaden des Körpers Christi aber auch mit der bloßen Begründung, dass sie im Geist Gottes die idealen Ursachen für diese Perzeptionen in uns seien, nicht richtig zuweisen: Ideale Ursachen haben den Grund, fremde Perzeptionen zu verursachen, durch ihre eigenen Perzeptionen, die jenen entsprechen. Daher wären auch die Monaden des Körpers Christi nicht die ideale Ursache unserer Phänomene, wenn sie nicht etwas Entsprechendes in sich hätten, das die Kausalität begründet, d. h. wenn nicht ihre Perzeptionen so beschaffen wären, wie sie es in den Monaden von Brot und Wein gewesen waren, sodass sie solche idealen Ursachen unserer Perzeptionen und sogar die Subjekte der erscheinenden Akzidentien genannt zu werden verdienten. Daher sehe ich kaum, wie die Sache allein aus Monaden und Phänomenen zureichend erklärt werden kann; sondern man muss etwas Realisierendes hinzufügen. Wenn man aber eine
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Realisation der Phänomene einräumt und es zusammengesetzte Substanzen gibt, halte ich die Beseitigung der Monaden für unnötig, hingegen die Beseitigung und Ersetzung dessen, was formal die zusammengesetzte Substanz ausmacht, für ausreichend – was nicht die Monaden bewirken, die anwesend oder abwesend sein können, wenn die zusammengesetzte Substanz bleibt. Sie fragen, warum, wenn keine reale Ausdehnung nötig ist, eine erste Materie nötig ist und nicht bloß die Entelechie eine Monade konstituiert? Ich würde antworten, wenn es nur Monaden mit ihren Perzeptionen gibt, wird die erste Materie nichts anderes sein als die passive Potenz der Monaden, und die Entelechie die aktive; wenn Sie aber zusammengesetzte Substanzen hinzutun, würde ich sagen, dass in ihnen das Prinzip des Widerstands zum aktiven Prinzip bzw. zur Bewegkraft hinzutreten muss. Sie fragen ferner, warum die Monaden aktual unendlich sind? Ich antworte, dazu wird ihre Möglichkeit genügen, indem sie gewährleistet, dass die Werke Gottes so reichhaltig wie möglich sind; aber dasselbe verlangt die Ordnung der Dinge, sonst würden nicht allen bezeichenbaren Perzipienten Phänomene entsprechen. Tatsächlich sehen wir ja, dass in unseren, mehr oder weniger deutlichen, Perzeptionen | verworrene bis zur G beliebigen Kleinheit enthalten sind; daher werden ihnen Monaden entsprechen, so wie sie auch den größeren und deutlicheren entsprechen. Schließlich fragen Sie, warum ein Apfel, wenn er nicht real ausgedehnt ist, eher rund als eckig erscheint? Ich antworte, da der Apfel ein Seiendes durch Aggregation ist, ist er selbst nur ein Phänomen. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Wolfenbüttel, 20. September 1712 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦ P. S. Es wird mich sehr freuen, Ihren Anblick zu genießen, wenn Sie im nächsten Monat einen Ausflug in diese Gegend machen. * Leibniz hat hier Folgendes am Rande des Entwurfs bemerkt: Das Konkrete kann unterschieden werden in Akzidentelles, z. B. Heißes, hitG
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100. Des Bosses an Leibniz
ziger Mensch, und Substantielles. Das Substantielle unterteile ich weiter in einfache Substanzen, wie Gott, Engel, Seele, und Substantiate; das Substantiat in Eines durch sich oder zusammengesetzte Substanz, und Eines durch Akzidens oder Aggregat.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
10. 10. 1712 G LXXIV. G
| Es ist bereits ein paar Tage her, dass ich in Hildesheim eingetroffen bin. Nichts hatte ich dringender vor als Sie zu sehen, doch teils wegen ziemlich umfangreicher und mühsamer Arbeiten, teils weil ich nicht wusste, ob Sie in Wolfenbüttel oder in Hannover anzutreffen seien, bin ich in Hildesheim geblieben. Inzwischen erhielt ich von Herrn Behrens Ihren Brief und werde sorgfältig antworten, wenn ich in Paderborn bin, auch mich nach einem Exemplar des Martianus Capella erkundigen, und wenn ich es gefunden habe, werde ich zu allem, was Sie wünschen, Auskunft geben. Wenn Sie den Teil der Übersetzung, den Sie besitzen, morgen zurückschicken würden, könnte ich ihn mitnehmen. Es freut mich sehr, dass Sie von Ihrem Recht Gebrauch gemacht und etwas verändert haben, mir ist es umso lieber, je mehr es ist. Im Übrigen etc. In Eile aufgegeben in Hildesheim, 10. Oktober 1710₁₀₇
₁₀₇ Die fälschliche Datierung »1710« in der Hs. und bei G ist mit Robinet (S. 88) auf »1712« zu korrigieren, der als Fehlerquelle eine »Echographie« Des Bosses’ mutmaßt. Inhaltlich ist diese Korrektur evident. Vgl. Brief Nr. 74 mit Anm.
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
10. 10. 1712 G XCIX nach D·2, 303.
¦ Hochwürdigster Pater! ¦
D
| Ich bedaure, dass ich von der erhofften Unterredung mit Ihnen G abgehalten wurde. Ich habe mich leider – weshalb ich an Herrn Dr. Behrens abermals ein Paket geschickt habe – auf Dauer hier verstrickt. Angekommen ist hier Ihre vorzügliche Übersetzung, bei deren Durchsicht ich mir hier und da etwas mehr herausnehme, weil Sie sich ja wie bei etwas Fremdem zu eng an die Worte halten; ich habe dagegen manches freier ausgedrückt, damit das Latein weniger nach dem französischen Original schmeckt. Ich weiß nicht, ob ich Sie schon um den Freundschaftsdienst gebeten habe, vielleicht aus Köln oder Neuß in Erfahrung zu bringen, wer der Autor der von Pistorius herausgegebenen großen belgischen Chronik ist. Er war ein Neußener Regularkanoniker; aber wir würden gern den Namen und weiteres den Mann Betreffende wissen. Wenn ein Grund denkbar wäre, die Möglichkeit Eurer Transsubstantiation, τοῦ μετουσιασμοῦ, unter der Voraussetzung, dass Körper auf bloße Phänomene zurückgeführt werden können, zu erklären, dann wäre mir das am liebsten. Denn diese Hypothese ist in vielerlei Hinsichten vorzuziehen. Wir brauchen für die Philosophie, im Gegensatz zum Übernatürlichen, kein anderes Ding als Monaden und ihre inneren Modifikationen. Aber ich fürchte, dass wir das Geheimnis der Inkarnation und anderes nur erklären können, wenn reale Bänder oder Vereinigungen hinzukommen. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen, und verbringen Sie eine glückliche Reise. Geschrieben in Hannover, 10. Oktober 1712 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦
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P. S. Das Herrn Rommerskirchen geschuldete Geld gebe ich zu Ihrem dazu. Es macht etwas weniger als 5 Taler aus, die ich schicke und Sie bitte ihm auszahlen zu lassen.
[G:] Es folgt ein kurzes Billet des Bosses’s, datirt Paderbornae 5 Decembr. 1712, in welchem er den andern Theil seiner Uebersetzung zugleich mit einem Briefe von Orbanus überschickt.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
12. 12. 1712 G C (Beilage Leibniz’: F XXIX). G
| Ich bin sicher, dass das Paket, welches ich samt dem Brief von Orban vor acht Tagen über Hildesheim geschickt habe, bei Ihnen angelangt ist. Von Martianus Capella finde ich kein einziges Exemplar in unserer Bibliothek. Da ich mich aber entsinne, eines, ganz so wie Sie mir beschreiben, ein anderes Mal in der Bibliothek unseres Münsteraner Collegiums gesehen zu haben, habe ich jüngst wieder danach suchen lassen. Ich habe auch nach Neuß wegen des Autors der Großen Belgischen Chronik geschrieben; aus beiden Orten erwarte ich in diesen Tagen Antwort. Bedeutende Mathematiker (um die Franzosen einmal zu übergehen, deren Proben man im Journal von Trévoux nachsehen kann) besitzt unsere englische Provinz, die, wie Sie wissen, in Lüttich ein zahlreiches Kollegium hat; unter ihnen kenne ich Pater Gooden (jetzt Professor der Theologie), von dem eine von mehreren Seiten sehr empfohlene Sphärische Trigonometrie erschienen ist und in den Leipziger »Acta« zu Beginn dieses Jahrhunderts rezensiert wurde. Einen anderen mit herausragendem Namen sah ich vor einigen Jahren in demselben Kollegium; die Unseren stimmen überein,
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dass er in der Analysis und höheren Mathematik äußerst versiert ist. Unsere Provinz zählt wenige, die in diesem Studium hervorragen, denn Pater Heinrich Georgii ist schon ziemlich alt und emeritiert. Doch besteht Hoffnung, dass diese edelste Disziplin bald einen Aufschwung nimmt. Denn die Mathematikvorlesung, die bisher vor privaten Philosophiehörern stattfand und erst in diesem Jahr – auch ich war darum bemüht – aus dieser Enge herausgeholt wurde, wird nunmehr unter Leitung von Pater Quirorius Cunibert, einem beflissenen und eifrigen Mann, öffentlich vor einem allgemeinen Publikum gehalten. Ich komme nun zu den philosophischen Abschnitten Ihrer Briefe, die ich, um die Gedanken klarer auszuführen, Satz für Satz aufgliedere und meine Antwort daranhänge. Mögen Sie meine Vorschläge, von welcher Qualität auch immer, im Guten aufnehmen. Ihre Worte gebe ich mit Unterstreichungen wieder. 1. »Ich meine«, sagen Sie, »dass Eure Transsubstantiation, μετουσιασμόϚ, erklärt werden kann, wenn die Monaden erhalten bleiben (was mit der Vernunft und der Ordnung des Universums eher übereinzustimmen scheint), dass aber das substantielle Band des Körpers Christi von Gott verwendet wird, um die Monaden von Brot und Wein substantiell zu vereinen, | nachdem das frühere substantielle G Band und zugleich mit ihm seine Modifikationen oder Akzidentien zerstört wurden. So werden allein die Phänomene der Monaden von Brot und Wein übrig bleiben, die auch weiter existiert hätten, wenn zu ihren Monaden kein substantielles Band von Gott hinzugefügt worden wäre. Auch wenn aber Brot oder Wein kein Substantiat wäre, das ein unum per se ausmacht, und somit auch mit keinem substantiellen Band verknüpft wäre, ist es doch ein Aggregat aus organischen Körpern oder Substantiaten, die ein unum per se konstituieren und deren substantielle Bänder aufgehoben und vom Band des Körpers Christi ersetzt würden.«₁₀₈ Ich gebe zu, diese Erklärung ist höchst geistreich, aber unter dieser Bedingung scheinen nicht nur die Akzidentien oder Phänomene ₁₀₈ Satz 1: Vgl. S. 265.
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von Brot und Wein fortzudauern, sondern ein bedeutender, ja der wichtigste Teil der Substanz, nämlich die Monaden selbst, von denen ich nicht ganz sehe, wie sie von der Konstitution von Brot und Wein ausgeschlossen werden können. Das Dogma der Kirche ist, wie Sie wissen, dass die ganze Substanz von Brot und Wein zugrunde geht. Jenes Band der Monaden scheint ebenso wenig die ganze Substanz des Brotes sein zu können, wie das Band zwischen Seele und Körper die ganze Substanz des Menschen ist. – Ihre Behauptung, es scheine eher mit der Vernunft und der Ordnung des Universums übereinzustimmen, dass die Monaden erhalten bleiben, ist wahr hinsichtlich der Ordnung insofern sie uns bekannt ist, aber wer weiß, ob Gott nicht die höchsten Vernunftgründe dafür hatte, auch die Monaden selbst zu zerstören? Denn wie sehr Gott auch im Geheimnis der Inkarnation wollte, dass die menschliche Natur, mag sie auch in sich Substanz sein, doch in Christus einen dem Akzidens ähnlichen Seinsmodus besitzt, da sie nicht zur Konstitution der Person gehört – so wollte er im Gegensatz dazu aus uns unbekannten Gründen, dass in der Eucharistie, die ein wundersames Zeichen des Gedächtnisses₁₀₉ an Gott ist, das Akzidens oder Phänomen gleichsam von sich aus einen Seinsmodus habe. 2. »Die Monaden besitzen, glaube ich, immer die volle Existenz und können nicht in dem Sinn begriffen werden, in dem man sagt, dass Teile potentiell in einem Ganzen sind«.₁₁₀ Monaden haben immer die volle einfache Einheit, doch nicht immer dieselbe zusammengesetzte, da sie einmal Teile dieser zusammengesetzten Substanz und ein andermal der anderen sind. Eine einfache Einheit ist adäquat mit Monaden identifiziert, nicht aber eine zusammengesetzte Einheit, sondern diese wird identifiziert mit einem ganzen Komplex von Monaden, welche so modifiziert sind, dass sie eine zusammengesetzte Substanz ergeben. 3. »Ich sehe auch nicht, was eine dominierende Monade den anderen Monaden an Existenz entziehen soll, da zwischen ihnen kein ₁₀₉ Zeichen des Gedächtnisses: »mnemosynon«. ₁₁₀ Satz 2: Vgl. S. 253.
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wirklicher | Austausch, sondern nur Übereinstimmung besteht.«₁₁₁ G Wenn Sie zugeben, dass Monaden verändert werden müssen, solange sie einmal ein Pferd konstituieren und dann wieder nicht konstituieren, so möchte ich das neu Gesetzte, das in den Monaden bewirkt, dass sie ein Pferd konstituieren, einen Teil dieser PferdEinheit oder substantiellen Pferdeexistenz nennen; denn jenes absolute substantielle Band bewirkt nicht von allein, dass irgendeine untergeordnete Monade ein aktualer Teil des Pferdezusammengesetzten ist, sondern bald diese bald jene konstituieren es, bald diese bald jene gehen wieder weg, und allein die dominante Monade bleibt dieselbe. 4. »Die Einheit der Substanz entspringt nicht einem Aufbrechen der Monaden, sondern dem zusätzlich hinzugefügten substantiellen Band, durch welches sich in den Monaden selbst gar nichts ändert.«₁₁₂ Jenes absolute substantielle Band bewirkt von allein nicht adäquat, dass eine untergeordnete Monade ein aktualer Teil des nach Pferdeart Zusammengesetzten ist, da sonst eine Monade, die einmal untergeordnet war, d. i. die einmal Teil des Pferdezusammengesetzten war, immer so bleiben müsste, weil jenes Band immer bleibt. Jedoch kann Gott, wie Sie oben sagen, jenes Band anderen zu vereinigenden Monaden zuweisen – sodass es aufhört die vorherigen zu vereinigen –, ja von Monaden auf Monaden übertragen usw. Hierzu argumentiere ich folgendermaßen: Von der Erschaffung der Welt an existierten alle Monaden, die dominierende wie die untergeordneten, die ein gestern entstandenes Pferdezusammengesetztes konstituieren; es existiert auch deren absolutes substantielles Band von der Erschaffung der Welt an, denn nichts Absolutes entsteht oder vergeht. Aber trotzdem existiert ein gestern entstandenes Pferdezusammengesetztes nicht von der Schaffung der Welt an; daher kann ein nach Pferdeart Zusammengesetztes, das gestern entstanden ist, nicht adäquat aus jenen Monaden und jenem absoluten substantiellen Band bestehen, sondern muss außerdem einen Modus, der ₁₁₁ Satz 3: Vgl. ebd. ₁₁₂ Satz 4: Vgl. S. 253 f.
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diesen Absoluta anhaftet, einschließen. Denn von dem, was adäquat dasselbe ist, kann nicht eines existieren oder existiert haben, ohne dass zugleich das andere existiert oder existiert hat. Nun habe ich aber unter Aufbrechen der Monaden nichts anderes verstanden als einen Modus oder Modi von Monaden, welche zuvor selbständig₁₁₃ waren, solange sie dominierten, nun aber einer anderen dominierenden untergeordnet sind, z. B. einer Pferdemonade, von welcher das gesamte Zusammengesetzte den Namen bekommt. 5. »Nirgends habe ich behauptet, dass gänzlich unveränderte Monaden einmal ein Pferd konstituieren und es ein andermal nicht konstituieren, denn weil eine Monade immer in sich selbst ihre Relationen zu allen anderen ausdrückt, perzipiert sie ganz anders in einem Pferd als in einem Hund.«₁₁₄ Ich glaube, die Veränderung der MonaG den besteht im vorliegenden Fall nicht nur in der | Verschiedenheit der Perzeptionen, welche akzidentell ist, sondern beinhaltet außerdem eine substantielle Verschiedenheit, die selbst den neuen Perzeptionen vorausgeht, denn die bemerkbare Verschiedenheit neuer Perzeptionen entspringt einer Verschiedenheit, zumindest einer modalen und substantiellen, des Prinzips. 6. »Weiters: Weil die zusammengesetzte Substanz resp. jenes Ding, welches das Band von Monaden war, keine bloße Modifikation der Monaden ist, existiert es keineswegs in jenen als Subjekten, denn ein und dieselbe Modifikation könnte nicht gleichzeitig in mehreren Subjekten sein.«₁₁₅ Ich behaupte: jene substantiellen Modi, die jeweils in den einzelnen Monaden – der dominierenden wie den untergeordneten – enthalten sind, sind das substantielle Band zwischen den Monaden, die in einer Ordnung zueinander [stehen], um ein pferdeartig Zusammengesetztes hervorzubringen; dies hat damit nichts zu tun, dass derselbe Modus nicht in mehreren Subjekten zugleich sein kann. Denn wie das erste Zugrundeliegende, πρώτον ὑποϰείμενον, und die Entelechie, ἐντελέχεια, ein einfach-Eines bilden, weil sie, ₁₁₃ selbständig: »sui juris« ₁₁₄ Satz 5: Vgl. S. 263. ₁₁₅ Satz 6: Vgl. ebd.
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wenn auch real voneinander unterschieden, doch nicht indifferent sind, um eine Monade zu bilden, so sind auch die Monaden eines Pferdezusammengesetzten, nachdem sie durch jene substantiellen Modi affiziert wurden, nicht indifferent, um die zusammengesetzte Substanz zu bilden, und bedürfen daher für diese Funktion keines weiteren substantiellen Bandes. Zudem besteht die Einheit jenes Zusammengesetzten darin, dass alle jene Monaden durch die, jeder einzelnen eigentümlichen, substantiellen Modi einer einzigen dominanten Monade untergeordnet sind; diese herrschende Monade benennt das zusammengesetzt-Eine, und das so zusammengesetzte Eine wird nichts anderes sein als die eine Monade, die sich die anderen unterordnet. 6. … »Ich würde behaupten, dass (das substantielle Band) von den Monaden nicht in logischer Abhängigkeit abhängt – sodass es also von ihnen auch übernatürlich nicht abgetrennt werden könne –, sondern nur in einer natürlichen, nämlich so, dass es von ihnen erfordert, sich zu einer zusammengesetzten Substanz zu vereinen, wenn Gott es nicht anders will.«₁₁₆ Wenn dieses Band der Monaden bloß in natürlicher Art von den Monaden abhängen soll, dann überlegen Sie bitte, ob es nicht mit der aristotelischen Definition des Akzidens zusammenfallen kann, wie Sie sie auf der diesem Brief beiliegenden Seite von Smiglecki erklärt finden; sicher wird eine zusammengesetzte Substanz hinreichend durch die substantiellen, den einzelnen Monaden eigentümlichen Modi konstituiert. Daher wird das Band oder die Realisation der Phänomene in einer zusammengesetzten Substanz nicht als Teil sein, aber doch so, dass es unmöglich (wenigstens auf natürliche Weise) ohne sie sein kann. Daher ist es ein aristotelisches Akzidens; da es aber übernatürlich ohne jene₁₁₇ existieren kann, ist es kein Modus, folglich ein absolutes Akzidens. ₁₁₆ Satz 6 Fortsetzung: Vgl. ebd. ₁₁₇ Im Original (nach G) steht hier »illo«, »jenes«, was für die Übersetzung in »illa«, jene – gemeint die zusammengesetzte Substanz – umgewandelt wurde. Die Differenzierung von zusammengesetzter Substanz hier, womöglich Realisation da und Band dort ist in diesem Passus
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7. »Gott kann dieselbe [zusammengesetzte Substanz] an andere zu G vereinigende Monaden so anschließen, | dass sie aufhört, die früheren zu vereinigen, er kann auch sie selbst ganz aufheben und durch eine andere ersetzen, welche andere Monaden vereinigt, und das entweder so, dass sie aufhört, andere Monaden zu vereinigen, und von Monaden auf Monaden übertragen wird, oder so, dass sie ihre eigenen Monaden, die sie auf natürliche Weise vereinigt, beibehält, dabei aber auf übernatürlichem Weg auch neue vereinigt.«₁₁₈ Das alles, was Sie über das substantielle Band sagen, sage ich dementsprechend genauso über mein Seiendes, das Phänomene realisiert und eine zusammengesetzte, durch Modi vollständige Substanz voraussetzt. 8. »Und das (Letztere) scheint man den Euren zufolge von der Wandlung der ganzen Substanz eines Körpers in die ganze Substanz eines anderen Körpers sagen zu müssen, welcher dennoch seine eigentümliche Natur beibehält.«₁₁₉ Ich würde gemäß dem oben Gesagten konsequent behaupten: das, was die Phänomene des Brotes realisiert, bleibt nach Zerstörung der Monaden des Brotes und wird den Monaden des Körpers Christi zugewiesen. 9. »Sie stimmen, meine ich, zu, dass reale Akzidentien nur Modifikationen sind, die also mit der Aufhebung der Substanz selbst aufgehoben werden.«₁₂₀ Ich stimme zu. 10. »Die Frage ist aber, ob es nicht Akzidentien gibt, die mehr sind als Modifikationen; doch solche scheinen ganz überflüssig, und was auch immer außer Modifikationen in ihnen ist, scheint zum substantiellen Ding selbst zu gehören.«₁₂₁ Sicher ist, dass es in der Ansicht, die davon ausgeht, dass Körper (ich spreche von mathematischen) grammatikalisch unklar (»illa«, »illo«). Leibniz verwirft diese Trennung anhand des Begriffs des absoluten Akzidens im folgenden Brief, sodass ein Durchspielen der Varianten, was Des Bosses genau hier impliziert habe, für die weitere Diskussion müßig ist. ₁₁₈ Satz 7: Vgl. S. 263 f. ₁₁₉ Satz 8: Vgl. S. 264. Statt von »eigentümlicher« (»propriam«) spricht Leibniz dort von der »früheren« (»priorem«) Natur. ₁₂₀ Satz 9: Vgl. ebd. ₁₂₁ Satz 10: Vgl. ebd.
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etwas außer den Phänomenen seien, kein überschüssiges absolutes Seiendes gibt, das jene Phänomene realisiert, weshalb nur zu fragen bleibt, ob die Realisation ein Akzidens oder eine Substanz ist. Ich behaupte, sie ist ein absolutes Akzidens, und zwar absolut, weil eine Modalität von Dingen, die an sich unausgedehnt und unbeweglich sind, nicht jene wahrhaft ausgedehnten und wahrhaft beweglichen usw. Dinge ergeben kann; und Akzidens, weil sie eine zusammengesetzte Substanz voraussetzt, die schon in ihrem Sein durch Monaden und deren substantielle Modi (dazu Nummer 4, 5 und 6) konstituiert ist, und hier gilt das Axiom der Peripatetiker: was kraft seiner Natur einem substantiell konstituierten und vollständigen Seienden zukommt, ist ein Akzidens. 11. »Ich sehe auch nicht, wie wir ein Abstraktum von einem Konkreten oder Subjekt, in dem es ist, unterscheiden können; oder wie wir verständlich erklären können, was das im Subjekt Darinsein oder Inhärieren ist, wenn wir das Inhärierende nicht als Modus oder Zustand eines Subjekts betrachten, der entweder wesentlich ist und höchstens durch eine Veränderung der Natur der Substanz verändert | werden kann und sich von dieser tatsächlich nur im Aspekt unter- G scheidet, oder akzidentell ist, Modifikation heißt und entsteht und vergeht, während das Subjekt bleibt.«₁₂₂ Entelechie, Ἐντελέχεια, oder aktive Kraft ist in dem ersten Zugrundeliegenden, τῷ πρώτῳ ὑποϰειμένῳ, oder im passiven Subjekt der Monaden, doch ist sie kein Modus des passiven Subjekts, sondern etwas Absolutes und mehr als nur in modaler Hinsicht von ihm unterschieden. Etwas kann also als im Subjekt seiend begriffen werden, ohne dass man dieses Inhärierende als Modus begreift. Trotzdem besteht zwischen Entelechie, Ἐντελέχεια, und unserem absoluten Akzidens der Unterschied, dass jene eine zusammengesetzte Substanz konstituiert, dieses nicht. Unter im Subjekt sein, sofern es Akzidentien eigentümlich ist, verstehe ich mit Aristoteles: Was in einer Sache nicht als Teil ist, und nicht getrennt von dem, worin es ist, bestehen kann. Siehe, wenn es beliebt, die Erklärung ₁₂₂ Satz 11: Vgl. ebd.
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von Smiglecki. Dieses Ganze würde dem die Phänomene realisierenden Absoluten zukommen, denn vor allem wäre es in der zusammengesetzten Substanz, zumal es sie als innerlich ausgedehnte usw. bezeichnen würde und von ihr zumindest auf natürliche Weise abhängen und sie zwingen würde, mit ihm sich zu vereinigen; sodann wäre es kein Teil von ihr – wie schon mehrmals gesagt –, schließlich könnte es also unmöglich ohne sie bestehen, wenigstens auf natürlichem Weg. 12. »Sie sagen, es scheine ein mittleres Seiendes zwischen Substanz und Modifikation geben zu können. Ich meine nun, dieses Mittlere sei eigentlich das substantiierte Eine-durch-sich oder die zusammengesetzte Substanz, denn diese ist die Mitte zwischen einfacher Substanz – die vornehmlich den Namen Substanz verdient – und Modifikation.«₁₂₃ Ich glaube, es gibt nicht nur zwischen einfacher, sondern auch zwischen zusammengesetzter Substanz und Modifikation ein Mittleres, und zwar das Seiende, das Phänomene realisiert, zu einer substantiell vollständigen zusammengesetzten Substanz hinzukommt und von gleicher Dauer wie die Monaden ist, genau wie Ihr substantielles Band. 13. »Eine einfache Substanz ist ewig, ein Substantiat kann entstehen, vergehen und sich ändern.«₁₂₄ Ich verstehe nicht, wie ein Substantiat entstehen und vergehen kann, außer indem es substantielle Modi einschließt, die allein entstehen und vergehen können. Gesteht man aber diese zu, dann besteht keine Notwendigkeit, dass jenes Band in die Konstitution des Substantiats eingeht. 14. »Ein Akzidens ist zu keiner neuen Modifikation fähig, nämlich durch sich, sondern nur per Akzidens, insofern es in einer Substanz ist, die auch durch andere Akzidentien modifiziert wird usw.«₁₂₅ Ich konzediere, dass das wahr ist von modalen und vergänglichen Akzidentien, nicht aber von absoluten und unzerstörbaren, wie es meiG nes ist, welches sich in fast nichts | von Ihrem substantiellen Band ₁₂₃ Satz 12: Vgl. S. 264 f. ₁₂₄ Satz 13: Vgl. S. 265. ₁₂₅ Satz 14: Vgl. ebd.
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unterscheidet, nur dass es nicht in die Konstitution der Substanz eingeht. 15. »Sie fragen zu Recht (bezüglich der beabsichtigten Erklärung der Transsubstantiation, μετουσιασμόϚ, wenn es keine substantiellen Bänder gäbe und Substantiate bloß Phänomene wären), warum wir von anderen Monaden sprechen, die die früheren ersetzen, oder worin diese Ersetzung besteht, ich sehe aber nicht, wie es in dem Fall, dass in der Natur nichts als Monaden und Perzeptionen der Monaden angenommen werden, erklärt werden kann, wenn wir nicht den Monaden des Körpers Christi Perzeptionen zuschreiben, die den Perzeptionen der zerstörten Monaden entsprechen.«₁₂₆ Ich hatte gesagt, die Substitution bestehe darin, dass Gott von allen nicht zerstörten Monaden die Perzeptionen, die sich um die zerstörten Monaden drehen, im Anblick der Monaden des Körpers Christi bewahrt. Ich versuche das nun auf verschiedenen Wegen zu erklären. 1. lehren viele Theologen mit Suarez, dass eine Änderung des Willens in Gott nicht immer eine Veränderung in der Natur mit sich bringt. Entgegen dieser Ansicht scheint der Vorgang möglich, dass die früheren Perzeptionen der fortbestehenden Monaden im Anblick der Monaden des Körpers Christi bei der symbolischen Gestaltumwandlung erhalten bleiben, obgleich in der Natur nichts als Monaden und Perzeptionen angenommen würden, auch wenn wir den Monaden des Körpers Christi keine den Perzeptionen der zerstörten Monaden entsprechenden Perzeptionen zuweisen. Denn dann wird man annehmen können, der Wille Gottes sei hinreichend für die Anwendung der bleibenden Perzeptionen auf den eigentlichen Körper Christi resp. seine Monaden. – 2. Wenn der andere Satz wahr ist, dass nämlich jede Verschiedenheit des Willens in Gott eine Verschiedenheit in der Kreatur nach sich zieht, dann kann man auch akzidentelle Modi in den Monaden des Körpers Christi zugeben, die den ebenfalls akzidentellen Modi der zerstörten Monaden entsprechen, d. h. diese Modi sind Perzeptionen oder das Fundament von Perzeptionen. Denn wie oben in Nr. 5 zusammengesetzte ₁₂₆ Satz 15: Vgl. S. 266.
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Substanzen konstituiert werden durch substantielle Modi, welche ja von den fließenden Perzeptionen unterschieden sind, so verbietet die vorliegende Hypothese, Körper seien auf bloße Phänomene reduziert, nicht, akzidentelle, von den Perzeptionen verschiedene Modi anzunehmen. Doch wenn Sie diese akzidentellen Modi völlig ablehnen und in der Natur einzig Monaden mit ihren Perzeptionen ansetzen – was mir schwierig zu sein scheint –, dann allerdings sollten wir 3. den Monaden des Körpers Christi Perzeptionen zuweisen, die den Perzeptionen der zerstörten Monaden entsprechen. 16. »Aber so müsste man sagen, die Akzidentien des Brotes befänden sich im Körper Christi, was zu Recht verworfen wird.«₁₂₇ Aloysius Temmik behauptet in Die wahre Philosophie – von diesem Buch habe ich durch Ihre Freundlichkeit Kenntnis erhalten – auf G Seite 117, | die Akzidentien würden im Körper Christi subsistieren. Dem opponiert er selbst: unter dieser Annahme seien die Akzidentien keine Akzidentien des Brotes, sondern eben Christi, in dem sie sind. Darauf wiederum antwortet er mit einer Verneinung der Folge, denn sie sind und heißen zu dem gehörig, sagt er, dem sie von Natur aus eigentümlich sind, und er stellt fest, es seien die Akzidentien Christi als eines eucharistisch Existierenden, des Brotes aber als eines natürlich Existierenden. Wer so auf der Bühne einen von einem Fürsten geliehenen Feldherrnmantel trägt, trägt der nicht das Eigentum des Fürsten? Trotzdem nennt er ihn den seinen, insofern er auf der Bühne den Fürsten spielt. Schließlich meint er auch, dass die Akzidentien nicht zum Brot gehören, sofern sie individuell sind, sondern sofern sie von derselben Erscheinungsart, Spezies, sind. Weiters, sagt er, gibt es von den Individuierungen der Dinge keine sinnliche Kenntnis, erst recht keine Erforschung und keine Proposition, weshalb diese Akzidentien – da sie von derselben Erscheinungsart wie zuvor sind – absolut und im strengsten und eigentlichsten Sinn Akzidentien des Brotes genannt werden, so wie in der Geometrie alles, was von derselben Spezies ist, einfach und absolut als dasselbe gilt. So weit Temmik. ₁₂₇ Satz 16: Vgl. S. 266, leichte Abweichung.
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Aber es bleibt noch ein Weg, dieselben individuellen Akzidentien zu bewahren: Wenn man mit den neueren Philosophen bejaht, dass die Akzidentien als Phänomene sich ja vorrangig im Geist₁₂₈ des Perzipierenden befinden und unsere Erkenntnis direkt als solche bezeichnen, da diese – wie vorausgesetzt – individuell unverändert bleibt, dann werden die Akzidentien unverändert bleiben, denn wenn das Eigentliche des Phänomens unverändert ist, bleibt einfach das Phänomen unverändert. Außerdem lehren die Scholastiker allgemein, dass die Akzidentien des Brotes im Körper Christi als dem Subjekt der Erhaltung seien, und der Körper Christi könne insofern, als er ihnen zugrunde liegt₁₂₉, das genannt werden, aber weil sie nicht konnatural in ihm sind, könne man die Benennung weiß, schmackhaft usw. nicht dem Körper Christi zuweisen. Wenn es beispielsweise heißt, das Weiß würde mit einem Engel vereinigt, könnte ich bei der Bezeichnung des Subjekts des Weiß sagen: »der Engel ist dies«; ich könnte jedoch nicht sagen: »der Engel ist weiß«, wegen der Untauglichkeit des Subjekts, als ganzes der Erkenntnis angepasst werden zu können, die von den Akzidentien direkt bezeichnet würde. 17. »Wir würden das ›Dies ist‹ den Monaden des Körpers Christi auch mit der bloßen Begründung, dass sie im Geist Gottes die idealen Ursachen dieser in uns befindlichen Perzeptionen seien, nicht richtig zuweisen; ideale Ursachen haben den Grund, fremde Perzeptionen zu verursachen, durch ihre eigenen Perzeptionen, die jenen entsprechen, und daher wären auch die Monaden des Körpers Christi nicht die ideale Ursache unserer Phänomene, wenn sie nicht etwas Entsprechendes in sich hätten, das die Kausalität begründet, das heißt wenn nicht ihre Perzeptionen so beschaffen wären, wie sie es in den Monaden von Brot und Wein gewesen waren, sodass sie solche idealen Ursachen unserer Perzeptionen und sogar Subjekte der | erscheinenden Akzidentien genannt zu werden verdie- G ₁₂₈ Wörtlich: »im ursprünglichen, primären Geist« – »primario in mente«. ₁₂₉ Lat. »substans«.
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nen.«₁₃₀ Gemäß dem in Nummer 16 Gesagten kann das hier Gesagte sehr wohl zugestanden werden gemäß dem Weg, dass die Akzidentien zuerst in der Erkenntnis konstituiert werden. Daher wird der Körper Christi, insofern er den Perzeptionen des Brotes entsprechende Perzeptionen besitzt, erhalten bleiben, das heißt er wird die ideale Ursache der bewahrten Erkenntnis in meinem Geist sein, und das reicht aus, dass auf den Körper hingezeigt werden kann, dass jedoch das ›dies‹ nicht das Weiße, das Schmackhafte in meiner Erkenntnis bezeichnet, weil für solche Bezeichnungen die Tauglichkeit des Subjekts erforderlich ist, für diese aber wieder Konnaturalität erfordert wird. Ansonsten scheinen mir die idealen Ursachen keinen Grund zu haben, fremde Perzeptionen durch präzise entsprechende Perzeptionen zu verursachen. Denn somit wären die Perzeptionen, die in den idealen Ursachen, z. B. den Monaden A, existieren, und die den anderen, etwa denen der Monaden B, entsprechen, von Natur aus früher als die anderen Perzeptionen; doch die Monaden B sind umgekehrt wieder die idealen Ursachen der in den Monaden A existierenden Perzeptionen durch die Perzeptionen, die den Perzeptionen der Monaden A entsprechen, folglich wären auch umgekehrt die Perzeptionen der Monaden B von Natur früher als die Perzeptionen der Monaden A, und es gäbe somit eine wechselseitige Priorität in derselben Gattung. Meines Erachtens muss man daher sagen, dass die idealen Ursachen einen Grund haben, Fremdperzeptionen durch etwas anderes zu verursachen als durch Perzeptionen, die jenen entsprechen, etwa akzidentelle Modi, die früher als die Perzeptionen selbst sind. In dieser Hypothese sehe ich auch darin einen erheblichen Nachteil, dass aktive Kraft und passive Potenz nicht unterschieden werden. Und im Universum scheint es nichts als immaterielle Seiende zu geben. Sodann gehen in derselben Hypothese alle metaphysischen und mathematischen Argumente verloren, die die Unendlichkeit der Teile eines Kontinuums beweisen sollen; es bleiben nur moralische, die aus dem Vernunftgrund des Besten genommen sind. ₁₃₀ Satz 17: Vgl. S. 266.
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Leben Sie wohl, hochverehrter Herr, und entschuldigen Sie mit Ihrer Freundlichkeit die Länge des unausgewogenen Schreibens. Aufgegeben in Paderborn, 12. Dezember 1712
beilage [von Leibniz]:G* (L 56a)
Das Erkennbare ist nichtkomplex oder komplex. Nichtkomplexe sind kategorematisch bzw. Termini, oder synkategorematisch, oder aus diesen kombiniert₁₃₁. Termini sind die direkten Bedeutungen₁₃₂ von Wörtern. Synkategoreme sind die Bedeutungen von Partikeln. | Kombinationen aus diesen sind die Flexionen₁₃₃ der Termini, G da ja aus einem Terminus und einer Partikel ein abhängiges Kompositum₁₃₄ wird, z. B. wenn ich sage: hominis (des Menschen), was dasselbe ist wie des Mensch (τοῦ homo), wo des (τοῦ) die Partikel, Mensch der Terminus ist. Termini sind entweder unmöglich oder möglich. Mögliche Termini sind reale Seiende, unmögliche sind rationale Seiende (Entia rationis). Indessen sind Termini etwas anderes als Seiende, z. B. Dreieck und Dreiseiter sind dasselbe Seiende, aber es sind verschiedene Termini, und sie unterscheiden sich formal, nicht materialiter. Somit [sind sie] reduplikativ, z. B. ist Mensch insofern er zur Wissenschaft fähig ist nicht ein anderes Ding als der Mensch, sondern ein anderer Terminus.
₁₃₁ Mit »kombiniert« wird hier und im Folgenden der lat. Ausdruck »conflata« übersetzt. ₁₃₂ Lat. »significationes in recto« ₁₃₃ Lat. »inflexiones« ₁₃₄ Lat. »compositum obliquum«
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Termini sind daher nur-real oder konnotional. Reale Termini sind die Dinge selbst, wenn nichts außer ihnen selbst ausgedrückt wird; konnotionaleG** sind Dinge mit einem Zusatz, z. B. Mensch ist ein nur realer Terminus, vernünftiger Mensch ist ein konnotionaler essentieller Terminus, und darin liegt eine Überflüssigkeit, da ein Teil aus dem anderen folgt. Gelehrter Mensch ist ein konnotionaler akzidenteller Terminus; denn derselbe ist einmal gelehrt, einmal ungelehrt, und bleibt dasselbe Ding, nur in den Akzidentien verändert. Wenn wir nun annehmen würden, dass dasselbe Seiende einmal Mensch und dann Nicht-Mensch sein könnte, dann würde auch Mensch ein konnotionaler akzidenteller Terminus sein. So ist Quadrat kein realer Terminus, denn etwas kann vom Nicht-Quadrat zum Quadrat werden, und es gibt Quadrate von verschiedenster Natur, wie etwa Gold, Silber usw. So ist gelehrt ein konnotionaler Terminus, denn es gibt keine bestimmte Gattung des Seienden, die ausschließlich gelehrt oder Modifikationen von gelehrt ist. Termini sind konkret oder abstrakt₁₃₅. Die rein realen konkreten sind die Substanzen. Die konnotionalen konkreten sind essentiell oder akzidentell, wie schon gesagt. Ebenso sind die Abstrakta entweder Seiende oder Prädikate. So ist Kraft (virtus) ein Seiendes, Vernünftigkeit kein Seiendes. Die Abstrakta, die Seiende sind, sind Absoluta oder Relationen. Relationen sind zu keiner eigenen Bewegung fähig, sondern resultieren aus den Absoluta. Wir sollten erwägen, ob nicht besser die Relationen aus der Anzahl der Seienden ausgeschieden werden. Absoluta sind Formen, die dauerhafte Seiende sind, und Übergänge (d. i. Aktionen oder Erleidungen) resp. aufeinander folgende Akzidentien.
₁₃₅ Concreti, Abstracti sind im Original groß geschrieben, also auch substantiviert zu sehen: »Konkreta« und »Abstrakta«. Der Umschlag vom Maskulinum ins Neutrum ab dem drittfolgenden Absatz unterstreicht dies.
Beilage
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Die einen Formen nun sind wesentlich, d. i. konstitutiv, die anderen akzidentell. Vielleicht kann man aber auf die wesentlichen Formen verzichten in dem Sinn, dass es bloß Begriffe, notiones, sind. | Prädizierte Abstrakta₁₃₆, die keine Seienden sind, sind entwe- G der wesentlich (und zwar Attribute oder Affektionen: Attribute ursprünglich, Affektionen abgeleitet) oder akzidentell, so wie Relationen akzidentell sind. Es gibt auch zusammengesetzte Abstrakta, z. B. Tier-Vernünftigkeit, das ist Tierheit Vernünftigkeit, das ist Menschheit. Mitunter werden sie indirekt verbunden, und ein Abstraktum ist Akzidens eines anderen, wie z. B. die so genannte heilbringende Lehre, wo heilbringend sein ein Akzidens der Lehre ist. Es gibt freilich Akzidentien von Akzidentien, wenn es auch nicht Substanzen von Substanzen gibt, das heißt ein Akzidens kann einem Akzidens zugrunde liegen (substare), aber nicht eine Substanz einer Substanz. Wenn es sich bei Abstrakta nicht um Seiende handelt, werden sie auf Wahrheiten zurückgeführt; beispielsweise ist Vernünftigkeit des Menschen nichts anderes als die Wahrheit dieser Aussage₁₃₇: der Mensch ist vernünftig. Daher gründen klarerweise Nichtkomplexe oft in Komplexen, die doch durch sich [und] von Natur aus später sind als die Nichtkomplexe, deren Verknüpfung sie gleichwohl ausmachen. Und tatsächlich kann jede Proposition oder jeder Komplex wiederum umgekehrt zurückgeführt werden auf ein Nichtkomplexes durch das ist der so genannten ersten Beifügung₁₃₈. So wenn ich statt der Proposition »Der Mensch ist vernünftig« sage: »Dass der Mensch vernünftig ist, ist.« »Dass die Rose duftend ist, ist.« Es ist nämlich wahr auch dann, wenn gerade keine Rose existiert, etwa im Winter. ₁₃₆ »Praedicata Abstracta« ist auch als »abstrakte Prädikate« zu übersetzen. ₁₃₇ »Aussage« steht für »enuntiatio«, auch im Folgenden. ₁₃₈ Beifügung: »Adiecti«.
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Komplexe bzw. Propositionen sind absolut oder hypothetisch, oder eine Kombination aus beidem.G*** Absolut z. B.: Der Mensch ist zum Glück fähig; hypothetisch z. B.: Wenn der Mensch zum Glück fähig ist, so folgt, dass seine Seele unsterblich ist; denn in diesem Leben gibt es kein wahres Glück. Alle Propositionen wiederum sind solche der Vernunft oder solche der Tatsache. Der Vernunft: z. B. Der Mensch ist zum Glück fähig; der Tatsache: Jeder Mensch verdient eine Verurteilung wegen eines Vergehens, nämlich im Falle dass es tatsächlich begangen wurde. Alle universalen Propositionen können auf hypothetische zurückgeführt werden, z. B. ist »Jeder Mensch ist glücksfähig« dasG selbe wie zu sagen »Wenn jemand ein Mensch ist, folgt, | dass er glücksfähig ist«. Umgekehrt können hypothetische auf absolute [Propositionen] in derselben Weise zurückgeführt werden, wie wir komplexe auf nichtkomplexe zurückgeführt haben, z. B.: Wenn der Mensch glücksfähig ist, folgt, dass seine Seele unsterblich ist – diese Proposition kann zurückgeführt werden auf diese: Dass der Mensch glücksfähig ist, ist, dass die Seele des Menschen unsterblich ist. So werden auch alle hypothetischen Syllogismen zurückgeführt auf die Gesetze der kategorischen [Syllogismen]. Vorrangig ist, alles von den Termini und Aussagen auf die Dinge und Wahrheiten zu übertragen. Aus der Hypothese, dass nichts anderes existiert als Monaden und dass diese unterschiedlich und zusammenstimmend modifiziert werden, ergibt sich, dass alle übrigen Seienden, die wir begreifen, nur wohl fundierte Phänomene sind. So werden alle Körper in keinem höheren Grad Substanzen sein als ein Regenbogen, und keine körperlichen Qualitäten werden in höherem Grad real sein als die Farben des Regenbogens. Und der Tastsinn beweist uns nicht mehr als der Gesichtssinn, dass Körper Substanzen seien. Der Raum ist nicht mehr Substanz als die Zeit. Selbst die Ausdehnung ist so weit davon entfernt, etwas Ursprüngliches zu sein – so wie manche sie begreifen, vor allem die
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Cartesianer –, dass sie vielmehr nichts anderes ist als eine Vielzahl von koordinierten Komperzeptionen resp. von Phänomenen, insofern sie eine gemeinsame Ordnung des Koexistierens besitzen. Ich perzipiere zugleich A, B und C, doch ist die Komperzeption von A und B etwas anderes als jene von A und C oder von B und C, ganz abgesehen davon, was in ihnen unterschiedlich ist oder worin sich A, B und C innerlich unterscheiden. Aufgrund dieser Beobachtung sage ich nun, dass ich Raum und Ausdehnung perzipiere. A, B und C selbst betrachte ich als Punkte, sei es in dem Sinn, dass darin nichts als die Lage beobachtet werden kann, sei es dass sie zugleich mit einem Unterschied in der Komperzeption perzipiert werden. Sich bewegen heißt, eine Lage haben, in der die Ursache für eine Veränderung der Lage steckt, oder aus der sich ein Grund für diese, zusammen mit einer anderen veränderte, Lage ergibt. Wenn nun aus etwas selbst ein hinreichender Grund gegeben ist, bewegt es sich allein und alles Übrige bleibt in Ruhe; wenn nicht, bewegen sich mehrere zugleich. G
* Studie Leibnizens zum Brief von des Bosses vom 12 Decembr. 1712. G ** Randbemerkung: Oder sollen wir statt konnotionale konnotierende sagen G *** Randbemerkung: Wie jeder Terminus die Möglichkeit aussagt, so sagt jede Proposition die Wahrheit aus. Und wie ein Terminus trotzdem in möglich und unmöglich eingeteilt werden kann, so eine Proposition in wahr und falsch. Denn ein Terminus oder eine Proposition sagt bisweilen falsch, was sie sagt. Dadurch wird auch klar, wie jeder nichtkomplexe Terminus als etwas Komplexes beinhaltend begriffen werden kann, insofern er eine Möglichkeit bejaht.
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24. 1. 1713 Robinet 1969, S. 94 ff. (G CI / D·2, 304 f.) (E 23 / F XXX). Lateinische Vorlage: Anhang B 5. Zur Textgestalt vgl. die dortigen Bemerkungen des Hrsg. Varianten von G sind als Fußnoten vermerkt, sofern sie über Interpunktion, Groß- und Kleinschreibung hinaus gehen; ebenso ist neben der Paginierung von Robinet (R) die von G angeführt. Der erste Entwurf zu diesem Brief findet sich übersetzt als Anhang A 6. R / D
¦ Hochwürdigster Pater! ¦
Die Frage ist, wie Eure Lehre von der Transsubstantiation, περὶ τοῦ μετουσιασμοῦ, erklärt werden kann, einmal nach der Hypothese der G bloßen Monaden, dann nach der ¦ Hypothese der zusammengesetzten Substanzen. Gemäß der ersten Hypothese ist zu fragen, worin die Substanz eines zusammengesetzten Körpers₁₃₉ besteht, ob in den Monaden oder aber in den Phänomenen selbst. Das heißt, die Frage ist (zum Beispiel), ob die Seele eines in einem Menschenkörper existierenden Wurms ein substantieller Teil des menschlichen Körpers ist oder aber ein bloßes Erfordernis, und zwar nicht von metaphysischer Notwendigkeit, sondern eines, das₁₄₀ im Ablauf der Natur erfordert wird, was ich eher annehmen möchte. Wenn Ihr also das Erstere behauptet habt, muss man jedenfalls sagen, dass die Monaden des Brotes und Weins beseitigt werden und die Monaden des Körpers Christi ihre Stelle einnehmen. Wenn aber die Monaden kein substantieller Teil der Körper und Komposita bloß Phänomene sind, wird man sagen müssen, dass die Substanz der Körper in wahren Phänomenen besteht, die allerdings Gott selbst in ihnen mittels eines Wissens durch Schau perzipiert, ebenso wie ₁₃₉ Im »zweiten« Konzept heißt es: »… eines Körpers oder Zusammengesetzten«: Robinet 1969, S. 94; vgl. Anhang B 5, S. 474. ₁₄₀ Lesart nach G: »das nur«.
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die Engel und Seligen, denen es gegeben ist, die Dinge wahrhaft zu sehen; dass also Gott und die Seligen den Leib Christi perzipieren, wo uns Brot und Wein erscheinen. Wenn wir nun der üblichen Hypothese von den körperlichen oder zusammengesetzten Substanzen folgen, würde ich sagen (ein Gedanke, den ich schon im vorigen Brief zum Ausdruck gebracht habe): Das substantielle Band, d. i. das substantiell zu den Monaden Hinzugefügte, das die zusammengesetzte Substanz formal ausmacht und die Phänomene realisiert, wird trotz Bewahrung der Monaden verändert₁₄₁, weil, wie gesagt, die Seele des Würmleins nicht von der Körpersubstanz ist, in der sich das Würmlein befindet, und Wunder nicht ohne Notwendigkeit vervielfacht werden dürfen. Das zu den Monaden zusätzlich hinzugefügte Band ist, nach meinem Urteil, etwas Absolutes, das zwar im Ablauf der Natur exakt den Affektionen der Monaden, also den Perzeptionen und Begehren, entspricht, sodass in der Monade gelesen werden kann, in welchem Körper sich ihr Körper befindet; auf übernatürliche Weise kann jedoch das substantielle Band von den Monaden unabhängig sein und trotz Verbleibens der früheren Monaden verändert und anderen Monaden angepasst werden. So besäßen die Monaden von Brot und Wein überhaupt kein substantielles Band, wenn das zu ihnen gehörende Ding auf den Stand der Hypothese von den bloßen Monaden reduziert wird. Die Akzidentien von Brot und Wein aber, d. h. die Phänomene, | werden bleiben,₁₄₂ jedoch nicht im Körper Christi als R dem Subjekt. Das stimmt auch mit der Lehre der Theologen überein, dass man nicht von der Verehrung eines Weißen und Runden sprechen soll, was ich zur Nr. 16 Ihres letzten Briefes anmerke, wo
₁₄₁ Lesart nach G: »…, kann trotz Bewahrung der Monaden verändert werden.« ₁₄₂ Statt »d. h. die Phänomene« hatte Leibniz (nach Robinet S. 94) ursprünglich eine interessante längere Formulierung gebraucht (und gestrichen): »Die Akzidentien aber von Brot und Wein, seien es reale Akzidentien (das heißt ein akzidentelles Band der Monaden) oder seien es bloß resultierende Phänomene, werden bleiben.«
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103. Leibniz an Des Bosses
ich auch nicht sehe, wie das Weiß mit einem Engel vereint werden kann, es sei denn dass er weiß wird oder dass etwas Weißes mit ihm vereint wird. Ferner scheinen Sie die substantiellen Bänder, unter Nr. 5 und an anderen Stellen Ihres Briefes, anders als es bei mir geschieht aufgefasst zu haben, so als ob ich, solange ich sie für absolute Seiende halte, glaubte, sie hätten von Beginn der Schöpfung an immer existiert. Aber nach meiner Ansicht muss man, wenn man körperliche Substanzen bzw. substantielle Bänder zugegeben hat, einräumen, dass sie der Erzeugung und dem Vergehen unterliegen. G Ich kenne keine ¦ Modifikation, weder eine substantielle noch eine akzidentelle, die eine zusammengesetzte Substanz ergibt, so wie Sie unter Ihrer Nummer sechs die Sache aufgefasst zu haben scheinen. Und ich anerkenne in den Monaden nichts außer Perzeptionen und Begehren. Das Band, das die zusammengesetzte Substanz ausmacht, möchte ich nicht absolutes Akzidens nennen, weil für mich alles Absolute substantiell ist. Wenn Sie es also zu einem Akzidens machen wollen, wird sich der Streit um den Namen drehen, doch die Ausdrucksweise, dass eine zusammengesetzte Substanz durch Akzidentelles konstituiert ist, wird trotzdem unangemessen sein. Nachdem Smiglecki im Anschluss an Aristoteles sagt, dass es kein Akzidens ohne Subjekt gebe, beweist er, dass es von ihm nicht als absolutes Seiendes eingeräumt wird. Ich möchte nämlich₁₄₃ das die Phänomene realisierende Seiende nicht vom substantiellen Band unterscheiden, wie Sie in Nr. 7 zu tun scheinen, denn diese zwei sind für mich in Wahrheit dasselbe, und man muss sagen, dass sie entstehen und zugrunde gehen. Unter der Voraussetzung von zusammengesetzten Substanzen scheint es mir daher unvergleichlich leichter und passender, das die Phänomene realisierende Seiende zu zerstören, unter Bewahrung der Monaden, als umgekehrt, wie Sie anscheinend in Nr. 8 lieber wollen Die Modifikationen einer Monade sind ideale Ursachen der Modifikationen einer anderen (was Sie in Nr. 17 behandeln), insofern in einer einzigen Monade die Gründe aufscheinen, die Gott vom ₁₄₃ G: »auch« (etiam) statt »nämlich« (enim).
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Anfang der Dinge an dazu bewogen haben, Modifikationen in einer anderen Monade vorzunehmen. Die Unbegrenztheit des physischen Kontinuums würde in der Hypothese der bloßen Monaden nicht so sehr vom Grund des Besten als vom Prinzip des zureichenden Grundes abhängen, weil es keinen Grund der Limitierung oder Begrenzung, oder irgendwo aufzuhören, gibt. Ein mathematisches Kontinuum aber besteht in der bloßen Möglichkeit, wie etwa die Zahlen; daher ist darin die Unbegrenztheit aus ihrem Begriff selbst notwendig. Übrigens werden Sie sich wundern, ehrwürdigster Pater, wenn Sie sehen, dass ich diesen Brief aus dem österreichischen Wien schicke. Den Beschluss, gleich hierher zu fahren, habe ich gefasst, als ich neulich | in Karlsbad weilte, da ich beim Großen Monarchen der R Russen vorgeladen war. Die Hälfte des Weges hatte ich ohnehin schon zurückgelegt. Ich werde hier verweilen, bis die Jahreszeit milder wird, dann hoffe ich mit Gottes Güte nach Hause zurückzukehren. Übrigens erfahre ich, dass auch ein Paket von Ihnen gekommen ist, das man bis zu meiner Rückkehr aufheben soll, falls Sie es nicht zurückgeschickt haben wollen. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben im österreichischen Wien, 24. Jänner 1713 D ¦ Ergebenst Gottfried Wilhelm Leibniz ¦
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30. 1. 1713 G CII.
| Vor ungefähr zwei Monaten habe ich Ihnen das eine Paket mit der G Übersetzung der »Versuche« geschickt, dann einen recht ausführlichen Brief, schließlich gegen Ende des verflossenen Jahres ein anderes Paket mit der Übersetzung, worin der dritte Teil der Essais fer-
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104. Des Bosses an Leibniz
tig gestellt wird. Ich bin zuversichtlich, dass all das endlich in Ihre Hände gelangt ist, denn kürzlich habe ich erfahren, dass Sie nicht in Hannover waren, und erst jetzt erfahre ich, dass Sie zurückgekehrt sind, und bin froh darüber. Heute erfuhr ich neue Vorkommnisse aus China. »In China sind neun Dominikanerpater gelandet und haben das Dekret des chinesischen Kaisers über den Konfuziuskult entgegengenommen; sie haben anerkannt, dass alle Zeremonien nur zivil sind, und bezeugt, dass diese frei von jeder Idolatrie und Aberglauben seien. Der prächtige Tempel in Peking, zu dem die Unsrigen den Grundstein gelegt haben, wurde schließlich durch freizügige und mildtätige Finanzierung des chinesischen Kaisers fortgeführt und vollendet; dieser setzte höchstselbst eine an den Toren anzubringende Inschrift auf und schrieb sie mit eigener Hand und befahl, dass sie in goldenen Schriftzeichen auf einer erhabenen Tafel in balkenförmigen Lettern eingemeißelt und zum Spiel von Tuben und Tamburinen in einer Art Triumphzug zu unserem Tempel befördert und schließlich an der Vorderseite des Tempels angebracht werde. Die Inschrift lautet: Am Anfang aller Dinge: Hier ist der wahre Herr, Schöpfer von allem und Lenker: Er hat keinen Anfang und er wird kein Ende haben. Der unendlich Gerechte prüft, bewahrt, stärkt alles mit höchster Güte und Gleichmaß.« Ich wünschte, dieser Kaiser, der über die Güte und Gerechtigkeit Gottes so großartig denkt, hätte Ihre Essais gesehen. In acht Tagen werden vier Priester aus der hiesigen Provinz unserer Sozietät nach Portugal segeln, um die an die chinesische angrenzende Mission in Tonking aufzubauen. Zu ihnen gehört Pater Adolph Hartmann, Professor der Logik hier an der Akademie; zwei andere sind aus dem Osnabrücker Kolleg, und zwar Pater Kemper, ebendort Professor der Logik, und P. Sibin, Prediger an der dortigen Domkirche. Aus Köln habe ich erfahren, dass die zwischen Ihnen und dem ber[ühmten] Hartsoeker im Briefwechsel ausgetragene Kontroverse
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den Autoren des Pariser Journals so bedeutsam schien, dass | sie G sie aus dem Trévoux-[Journal] in ihre Dezembernummer des vergangenen Jahres übernommen haben. Ich konnte indessen bisher kein Exemplar des Journals von Trévoux bekommen. Leben Sie wohl, verehrtester Herr. Aufgegeben in Paderborn, 30. Jänner 1713
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11. 2. 1713 G CIII.
Während man mir aufträgt, Ihnen den hier beigelegten Brief zu schicken, hoffend, dass Sie noch in Wien sind, glaubte ich darauf hinweisen zu müssen, dass ich die beiden letzten Teile der EssaisÜbersetzung schon vor längerer Zeit nach Hannover geschickt habe. Sobald diese von Ihnen durchgesehen sind, können sie in Druck gehen. Jetzt befasse ich mich gerade mit dem Vorwort und zwei Anhängen, die großteils schon fertig sind. Ihre Anweisungen erwarte ich bei Gelegenheit, und ich bete zu Gott, dass Sie die Angelegenheit beim Kaiser wunschgemäß erledigen. Leben Sie wohl. Aufgegeben in Paderborn, 11. Februar 1713
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4. 3. 1713 G CIV nach D·6 XXXIV.
Ihre zwei [Briefe] habe ich mit Freuden empfangen, weil Sie Zeugnis Ihrer anhaltenden besten Gesundheit und Ihres Wohlwollens gegen mich sind. Einen davon habe ich großen Männern gezeigt,
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106. Leibniz an Des Bosses
die Euren Ansichten über China wenig gewogen waren und durch meine Gründe etwas zu wanken schienen. Ich höre, dass die Autoren des Pariser Journals vorhaben, auch mein Buch zu rezensieren; aber das – wenn ich nicht irre – scheint ihnen die Notwendigkeit gegen den Willen abzupressen, damit nicht der Anschein erweckt wird, man habe das Buch nicht gekannt oder es ich weiß nicht aus welchem Grund unterdrücken wollen. Im Übrigen erwarte ich eine mit Schmeicheleien durchmischte Beurteilung, die, falls Sie Gutes und Richtiges beinhaltet, sogar Dank verdienen würde. Ob Ihre Trévouxaner mein Werk rezensiert haben, habe ich noch nicht mit Sicherheit herausgefunden. Denn diese – man staune darüber – sind nicht einmal auf ihre eigenen besonders bedacht. Dem Hochwürdigsten Pater Orban werde ich schreiben, sowie ich das Schicksal der neuen Reisch’schen astronomischen Maschine vergessen habe, die hier am Kaiserhof aufbewahrt wird, aber man wartet auf einen Automatenmacher aus Pozsony, einen Mitarbeiter des Werks, wenn ich nicht irre, der, sobald er da ist, Hand an die Maschine legen wird, damit sie bewegt, gesteuert und auch G ausprobiert werden kann; | auch ich und andere werden bei dem Schauspiel anwesend sein. Inzwischen habe ich jene, die dafür verantwortlich sind, gemahnt, diese höchst bedeutsame Sache nicht gering zu schätzen. Dies bitte ich unserem besten Orban im Voraus mitzuteilen. Die Ankunft des Automatenmachers hat sich wegen der Ansteckungsgefahr verzögert, deretwegen die Zugänge von Pozsony gesperrt waren, die aber nach Beseitigung der Gefahr bald geöffnet werden sollen. Ich bereite mich, da bereits der Frühling naht, auf die Rückreise vor, die sich jedoch leicht um einige Wochen verschieben könnte. Zu den Ursachen der Eile gehört auch meine Neigung. Im Übrigen leben Sie wohl, Bester, und lieben Sie mich. Aufgegeben in Wien, 4. März 1713
4. 3. 1713
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P. S. Mir schrieb unser sehr gelehrter und kundiger Behrens, dass mein Brief an Sie nicht gut verschlossen war, was mir missfällt; ich hoffe trotzdem, dass sich daraus keine Unannehmlichkeit ergibt.
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24. 4. 1713 G CV / D·6 XXXV.
Gerade hatte ich Ihren vorigen sehr angenehmen Brief bekommen, in dem Sie unter anderem über chinesische Angelegenheiten berichteten, als ich bei einer Sitzung hochstehender Männer war, die überwiegend voreingenommen gegen Konfuzius waren. Sie leugneten, dass der Bericht über die Dominikaner, sie würden bereits seine Vorzüge anerkennen, wahr sei; aber bald meldeten öffentliche Nachrichten dasselbe. Jene wunderten sich, dass ich für Euch eintrete; aber ich bin immer für die Wahrheit eingetreten, sobald ich sie erkannt habe. Ich habe die Angelegenheit hier mit göttlicher Hilfe sehr nach Wunsch betrieben und bin von Seiner Majestät dem Kaiser mehrmals liebenswürdig empfangen worden. Daher steht die Sache bereits so, dass ich mich auf die Rückreise vorbereite. Der Kaiser beschäftigt sich im nahen Laxenburg mit der Gutsverwaltung, um sich etwas von den dauernden Anstrengungen zu erholen. Die Kaiserinnen haben die Stadt noch nicht verlassen. Es steht noch nicht einmal fest, wann die neue Kaiserin zugegen sein wird. Vor der Wiener Pestgefahr, das versichere ich, seid Ihr vorläufig sicher, es sei denn die Hitze macht es schlimmer. Bisher ist mit Sicherheit kein Haus angesteckt oder durch mehrere Todesfälle bekannt. Häufiger als gewöhnlich treten plötzliche Todesfälle auf, doch das ist nicht selten, und sie hängen miteinander nicht zusammen; es gibt dennoch Anlass, Vorsichtsmaßnahmen für die Zukunft zu ergreifen.
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108. Des Bosses an Leibniz
Ich werde daran denken, rechtzeitig wegen meiner Rückreise zu schreiben, und unter anderem gibt mir das, was Sie mir schickten, einen Ansporn; ich wünsche, mich daran so früh wie möglich zu ergötzen. D Im Übrigen ¦ leben Sie wohl und lassen Sie es sich gut gehen. ¦ Aufgegeben in Wien, 24. April 1713 P. S. Die Kaiserin wollte angeblich vorgestern aus Mailand abreisen.
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8. 8. 1713 G CVI. G
| Auf Ihre drei sehr willkommenen Wiener Briefe habe ich bisher nicht geantwortet, weil Sie in jedem Ihre baldige Rückkehr in unsere Gegend angekündigt haben. Jetzt, da ich Sie ohne, jedoch nicht gegen meine Hoffnung immer noch dort verweilen sehe (ich wünsche nämlich, dass Sie Ihren Wohnsitz letztlich dauerhaft dort einrichten), habe ich mich entschlossen, einen weiteren Brief unseres Orban dorthin zu schicken. Überbringen wird ihn – falls Sie noch in Wien sind – Ihnen der Ew. P. Friedrich Consbruch, der aus unserer hiesigen Provinz gerade mit einer Empfehlung Seiner Durchlaucht Fürst Anton Ulrich an den Kaiserhof berufen wurde, um der Kaiserin in Beichtangelegenheiten [zur Seite zu stehen] – ein sehr redlicher, mir durch langjähriges Zusammenleben und gemeinsamen Umgang bekannter und vertrauter Mann. Damit nun Orban nicht unbegleitet an Sie geht, werde ich ein wenig zu Ihrem philosophischen Brief vom 24. Jänner anmerken. Sie meinen, dass die substantiellen Bänder – die man behaupten müsse, wenn man körperliche Substanzen zugibt –, obwohl sie absolut sind, seit dem Anfang nicht ununterbrochen existiert haben, sondern dem Entstehen
8. 8. 1713
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und Vergehen unterliegen. Aber ich hatte es für der Natur und vor allem Ihren Prinzipien angemessener gehalten, anzunehmen, dass generell alles Absolute unentstehbar und unvergänglich ist und daher entweder von Anfang an existiert hat oder von Gott im Lauf der Zeit geschaffen werden muss. Wenn wir einmal einräumen, irgendein absolutes Seiendes entstehe oder vergehe auf natürliche Weise, was spricht dann dagegen, dass die Peripatetiker zu Recht substantielle Formen behaupten können, die – so absolut sie auch sind – dennoch auf natürliche Weise entstehen und vergehen? Nachdem Sie im § 88 Ihrer Essais zur Erklärung der Entstehung der Formen darauf verweisen, dass die Peripatetiker den Vergleich mit einer Statue anstellen, die durch Entfernen von überflüssigem Marmor vollendet wird, bemerken Sie: Dieser Vergleich wäre angebracht, wenn die Form, etwa eine Gestalt, in der bloßen Limitation bestehen würde; denn, fügen Sie im § 89 hinzu, »der Ursprung der Modifikationen kann leicht durch Eduktion oder Variation der Grenzen erklärt werden: aber etwas ganz anderes ist es, wenn von Substanz (zumindest einer absoluten) die Rede ist, deren Ursprung ebenso wie Untergang schwierig zu erklären ist«: um nämlich die flüchtigen absoluten substantiellen Bänder hervorzubringen, bedarf es fortwährender Wunder, die man vermeiden kann, wenn man lediglich modale [Bänder] annimmt, mittels deren es meines Erachtens nicht schwierig sein wird, jenes Absolute, das zur Realisierung der Phänomene andererseits erforderlich ist, von der Konstitution der zusammengesetzten Substanz fernzuhalten und | somit in die G Klasse der Akzidentien zu verweisen, wenn man unter Akzidens das versteht, was weder einfache Substanz ist noch in die Konstitution einer zusammengesetzten Substanz eingeht, aber ohne beide auch nicht konnatural existieren kann. Wie auch immer es sich damit verhält, ob die einer beherrschenden Monade untergeordneten Monaden ein substantieller, das heißt wesentlicher Teil der physischen Körper sind, was ich nicht behaupte: zumindest schließt aber eine vollständig aufgefasste körperliche Substanz (z. B. Mensch oder Pferd) eine ihr eigentümliche, und zwar prädominante, Monade wesentlich ein; der Mensch be-
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108. Des Bosses an Leibniz
steht nämlich wesentlich nicht nur aus Körper, sondern auch aus Seele; die übrigen Entelechien oder auch untergeordnete Monaden können dagegen zwar kein wesentlicher substantieller Teil, aber ein integraler sein. Wenn zudem Monaden, wie Sie meinen, keine andere Modifikation als Perzeptionen und Begehren zulassen (für welche Meinung ich von Ihnen gerne den Grund erfahren würde), könnte man vielleicht gemäß dem bisher von mir Erörterten sagen, dass das modale substantielle Band in gewissen substantiellen Perzeptionen oder Begehren, oder vielmehr beidem, besteht, durch welche es dazu kommt, dass sich die übrigen Monaden einer prädominanten substantiell unterordnen, und alle, die essentiell existieren, zugleich diese Unterordnung der Monaden selbst sind. Hinzu kommt ein anderer Grund, warum ich das zur Konstitution einer zusammengesetzten Substanz erforderliche substantielle Band der Monaden lieber als Modus denn als absolute Entität verstehe: weil nämlich jede Substanz wesentlich ein Zusammensein₁₄₄ aller ihrer Teile aufweist, jede absolute Entität aber ohne jegliche andere erschaffene, von ihr unterschiedene absolute Entität existieren zu können scheint – deshalb kann kein Kollektiv ausschließlich absoluter Entitäten (etwa das Kollektiv der Seele einer menschlichen Monade und eines absoluten substantiellen Bandes) adäquat eine vollständige Substanz konstituieren, die Mensch genannt wird. Aber genug davon. In Antwerpen ist (falls der Titel nicht lügt) von Philagrius Le Roy eine »Radikale eklektische Philosophie« erschienen, die, soweit ein flüchtiger Blick ein Urteil erlaubt, Gutes zu enthalten scheint. In diesen Tagen erwarte ich aus Rom eine Widerlegung der cartesischen Philosophie, eingerichtet von einem der Unsrigen, Pater Brunacci – vermutlich, denn er soll schon lange über eine derartige Widerlegung nachgedacht haben.
₁₄₄ Die »simultas« enthält lexikalisch auch die Bedeutung von Rivalität, Gegeneinander.
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Zu meiner Übersetzung Ihres hervorragenden Werkes will ich nichts sagen, bis Sie den noch ausständigen Teil angesehen haben. Leben Sie wohl usw. Aufgegeben in Paderborn, 8. August 1713
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23. 8. 1713 G CVII /D·2, 305 ff. (E 24, S / F XXXI).
¦ Hochwürdigster Pater, verehrtester Gönner! ¦
D
| Es freut mich, dass es Ihnen gut geht und Sie in Freundschaft an G mich denken. Ihr Brief wurde mir durch Güte des Ew. Pater Consbruch ausgehändigt, zusammen mit dem von Orban. Ich mache mich für die Reise nach Hannover bereit, aber auf irgendwelchen Umwegen, da Wien in üblem Ruf wegen der Ansteckungsgefahr steht. Bisher habe ich jedoch niemanden sterben oder tot gesehen, und die Seuche grassiert im Volk, wo sie sich mit Schrecken und Elend ausbreitet. Der Kaiser weigert sich fortzugehen, solange das Übel nicht schlimmer wird, gleichgültig was jene raten, die um den großen Fürsten bangen. Der allerhöchste Fürst befasst sich damit, und hat es mehr als einmal mit mir besprochen, wie man eine Sozietät der Wissenschaften gründen könne, die ihren Sitz in Wien hat, jedoch so, dass es auch anderswo Mitglieder gibt; aus Zeitmangel kann die Sache aber jetzt nicht ausgeführt werden, doch ich hoffe, dass sie tatsächlich realisiert wird. Was ich Ihnen seinerzeit über die substantiellen Bänder geschrieben habe, finde ich jetzt nicht. Wenn wir körperliche Substanzen, d. h. etwas Substantielles außer den Monaden, einräumen, sodass die Körper nicht bloß Phänomene sind, dann ist es notwendig, dass die substantiellen Bänder nicht bloß Modi von Monaden sind. Wenn außerdem das substantielle Band ein Akzidens oder Modus ist, wird es nicht in mehreren Subjekten zugleich sein können, und ebenso
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109. Leibniz an Des Bosses
wenig wird es tatsächlich ein substantielles Band von mehreren Monaden geben, sondern in jeder beliebigen Monade wird eine eigene Modalität des Bezugs zu einer anderen Monade sein; und so werden die Körper wieder bloß Phänomene sein. Da nun Monaden nichts anderes sind als Repräsentationen von Phänomenen mit einem Übergang zu neuen Phänomenen, ist in ihnen offensichtlich zum Zweck der Repräsentation eine Perzeption, zum Zweck des Übergangs ein Begehren₁₄₅; und es gibt keine Prinzipien, von denen aus etwas anderes verlangt werden kann. Indessen schien mir Ihr Einwand, verehrungswürdigster Pater, überlegenswert, der sich darauf bezieht, dass ich die substantiellen Bänder erzeugbar und vergänglich genannt hatte. Das scheint doch eine Eigenheit von Modalien, auch von meinen Prinzipien aus, und passt mit Absoluta nicht zusammen. Und daher, nach Abwägen der Sache, ändere ich die bisherige Meinung derart, dass ich glaube, dass keine Absurdität entsteht, wenn auch das substantielle Band, oder die eigentliche Substanz des Zusammengesetzten, unerzeugbar und unzerstörbar genannt wird; da ich glaube, dass eine körperliche Substanz in Wahrheit nur dort zugegeben werden darf, wo ein organischer Körper mit einer dominanten Monade ist, bzw. etwas G Lebendiges, d. h. ein Tier₁₄₆ oder ein | Analogon zum Tier, und₁₄₇ dass das Übrige bloß Aggregate sind, also Eines per accidens, nicht Eines durch sich. Da ich also, wie Sie wissen, nicht nur verneine, dass die Seele, sondern auch dass das Lebewesen stirbt, werde ich auch sagen, dass das substantielle Band oder die Substanz eines beseelten Körpers nicht auf natürliche Weise entsteht und vergeht, sondern, da es etwas Absolutes ist, sich bloß gemäß den Veränderungen des Lebewesens verändert. Auch wenn daher die körperliche Substanz oder das substantielle Band der Monaden natürlicherweise oder physisch Monaden in Anspruch nimmt, wird es diese – weil ₁₄₅ Lat. »appetitionem«, in der Abfertigung nach D·2, 306: »appetitum«. ₁₄₆ Lat. »animal«, Seelenwesen, sonst als »Lebewesen« übersetzt. ₁₄₇ D·2, 306: »aber« (»verò«) statt »und« (»-que«).
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es doch nicht in ihnen als einem Subjekt ist – nicht in metaphysischer Hinsicht erfordern, und es kann so weit unter Bewahrung der Monaden beseitigt oder verändert und an die von Natur aus ihm nicht zugehörigen Monaden angepasst werden, dass es deren Band wird₁₄₈. Keine Monade außer der dominanten haftet auch natürlicherweise an dem substantiellen Band, weil die übrigen Monaden in fortwährendem Fluss sind. Ich plädiere dafür, die Substanz nicht ein Zugleich ihrer Teile zu nennen, sonst würde sie nämlich zum Aggregat. Obwohl die Teile, von denen es ein Band gibt, mit diesem konnatural sind, sind sie ihm jedoch nicht wesentlich; daher werden sie unter Bewahrung des absoluten Bandes allmählich und auf geordnete Weise aufgehoben; durch ein Wunder aber können sie plötzlich und durch einen Sprung von dem Band getrennt, und das Band selbst aufgehoben werden. Obgleich aber Brot und Wein nichts Lebendiges sind, sind sie doch wie alle Körper Aggregate aus Lebendigem, und ihre Substanz setzt sich aus den substantiellen Bändern der einzelnen lebenden Komponenten zusammen. Aber der Körper Christi besitzt ein totales substantielles Band, da er ein lebendiger Körper ist; wenn es schließlich etwas gibt, das die körperliche Substanz ausmacht, dann müsst Ihr darin die Möglichkeit der Transsubstantiation suchen; wenn es so etwas nicht gibt und die Körper bloße Phänomene sind, wird man die körperliche Substanz allein in den Phänomenen suchen müssen. Aber nicht in unseren, denen die früheren Erscheinungsformen bleiben, sondern in denen, die dem göttlichen Geist und denjenigen Geistern, denen Gott offenbart, begegnen. Ich konnte noch nicht herausfinden, ob eine Rezension der Theodizee in den Buchbesprechungen von Trévoux gebracht wurde. Wenn Sie etwas darüber erfahren, unterrichten Sie mich bitte. In ₁₄₈ Diese Konsequenz (»ut vinculum earum fiat«) fehlt in der Abfertigung nach D·2, 306. ₁₄₉ Der lat. Name bei G und D (»Sacorierio«) müsste richtig »Saccherio« o. ä. lauten.
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110. Des Bosses an Leibniz
dieser Gegend hat man weder die Mémoires de Trévoux noch das Pariser Journal. Aber ich hoffe, wenn der Kaiser Druck macht, werden die Wiener Musen einmal ihr Haupt erheben. Ich habe einen sehr geistreichen, vom Ew. P. Saccheri₁₄₉, dem Mathematiker Eures Ordens aus Pavia, veröffentlichten Text zu Gesicht bekommen, doch hält er sich an gewisse mathematische Lehrmeinungen, denen ich nicht völlig zustimmen kann. Ich wünsche mir, dass die alegambe-southwellsche Bibliothek Eurer Sozietät erscheint, die durch Bonanni bis zu den neuesten Zeiten fortgeführt wurde. Denn ich würde sehr gerne Kenntnis von G hervorragenden Männern Eures Ordens besitzen. | Das Beiliegende bitte ich dem Ew. Pater Orban zu schicken. D Ich bereite mich auf die Rückreise vor. Im Übrigen ¦ leben Sie wohl, verehrtester Pater, und bleiben Sie mir gewogen. ¦ Aufgegeben in Wien, 23. August 1713 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦
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9. 12. 1713 G CVIII.
Nachdem ich Ihren letzten Brief vom 23. August aus Wien erhalten habe, in dem Sie mich veranlassten, Ihre Rückkehr nach Hannover zu erwarten, wurde mir befohlen, Paderborn zu verlassen und wieder nach Köln zu gehen, wo ich nun seit dem 21. Oktober wohne, und obwohl ich diesen und jenen um Auskunft bat, ob Sie in Hannover oder in Wolfenbüttel angekommen seien, konnte ich noch nichts in Erfahrung bringen. Also bewahre ich das Briefpaket von Orban schon lange auf und will es nicht schicken, ehe ich erfahre, in welcher Gegend Sie sich befinden, oder bis Sie zumindest ein Zeichen geben, ob Sie es nach Hannover geschickt haben wollen, wo-
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hin ich diese Zeilen sende. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Köln, 9. Dezember 1713
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10. 1. 1714 G CIX nach D·6 XXXVI.
Meine Reise hat sich vornehmlich aus zwei Gründen verzögert: Die Wege waren wegen der Ansteckungsgefahr gesperrt, denn ich wollte nicht gern eineinhalb Monate nutzlos an einem womöglich unangenehmen und nicht ungefährlichen Ort verbringen; und dann war zur Zeit des anbrechenden Winters meine Gesundheit nicht die beste – begleitet von Arthritisanfällen, die zwar nicht übermäßig heftig, aber doch so stark waren, dass sie mir bei ihrem Auftreten die Bewegungsfreiheit raubten, wovon ich noch nicht ganz genesen bin. Daher bin ich einigermaßen gezwungen, die Reise bisher aufzuschieben. Ich vernehme, dass eine Rezension meiner Theodizee irgendwann zuletzt im Journal von Trévoux erschienen ist, allerdings nicht ohne – ich hoffe jedoch nicht [allzu] scharfe – Kritik. Diese Rezension möchte ich dringend einmal sehen. Falls das Paket des Ehrw[ürdig]sten Pater Orban nicht ungewöhnlich groß ist, könnte es direkt nach Wien geschickt werden. Ich bin gespannt zu erfahren, was Sie von meinem letzten Vermittlungsvorschlag halten; da habe ich nach weiterer reiflicher Überlegung der Sache geschrieben, wenn es ein substantielles Band des Zusammengesetzten gibt, dann wird es von der Natur her ebenso dauerhaft sein wie eine das Zusammengesetzte | beherr- G schende Monade, ändert sich ohne Einfluss auf die zuvor eingetretenen Monaden und kann sich immer wieder anderen Monaden anpassen; und zwar auf natürlichem Weg allmählich, auf übernatür-
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112. Des Bosses an Leibniz
lichem aber sprunghaft, wobei es auf übernatürliche Weise auch hervorgebracht und beseitigt werden kann. Gibt es nichts Neues über die chinesischen Affären? Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Wien, 10. Jänner 1714
[G:] Es folgt ein kurzes Billet von Des Bosses, datirt Coloniae Agrippinae 28 Januarii 1714, mit welchem er ein Packet von Orbanus und einige neue Sinica überschickt.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
22. 3. 1714 G CX.
Das in meinem jüngsten Brief gegebene Versprechen löse ich mit Verspätung ein, da ich gehofft hatte, allmählich etwas Sicheres über die Theodizee-Rezension berichten zu können, und in meiner Hoffnung bisher nie enttäuscht wurde; denn obgleich das Journal von Trévoux noch nicht bei mir eingelangt ist, so erhielt ich doch zwei Briefe von unserem Tournemine, aus deren rückseitig beigelegten Auszügen Sie leicht entnehmen werden, in welchem Rang Ihre Theodizee bei den Franzosen steht. Zuversichtlich machte mich, dass man voraussagt, es werde auch die lateinische Übersetzung Ihres hervorragenden Werkes nicht unwillkommen sein. Sie erinnern sich, wie ich meine, dass nur die einleitende Abhandlung und der erste Teil von Ihnen bisher durchgesehen wurde, nachdem die beiden anderen Teile kurz nach Ihrer Abreise nach Hannover geschickt wurden. Das Vorwort zusammen mit zwei Appendices liegt noch bei mir und wartet auf Ihre Bestätigung. Sehr interessant ist Ihr Vermittlungsvorschlag, wonach Sie feststellen: Wenn es etwas die Phänomene Realisierendes gibt, wird es
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nicht weniger dauerhaft sein als die dominante Monade des Zusammengesetzten; dieser Ihr Gedanke stimmt überein mit der Ansicht der meisten Philosophen, die wie Averroes eine unbegrenzte, mit der Materie gleichzeitige Dimension annehmen, wenn auch der hl. Thomas von Aquino das Gegenteil meint – der zwar vielleicht konsequenter als Averroes ist, aber doch von einem Prinzip ausgeht, das nicht gewiss ist und auch von Ihnen nicht gestattet wird, nämlich dass Akzidentien – wie z. B. die Dimension eines ist – im ganzen Kompositum (als Subjekt) zugrunde gelegt sind und daher vergehen, wenn das Kompositum vergeht. Wenn der hl. Thomas – so wie Sie von der Monade und dem Lebewesen an sich – gemeint hätte, dass ein Kompositum immer bleibt, dann hätte er zweifellos behauptet, dass auch die Dimensionen bleiben. Im Übrigen bin ich noch der Ansicht, dass das die Phänomene Realisierende zu dem ganzen | Kompositum oder Lebewesen hin- G zukommt, welches bereits hinreichend durch modale Bänder konstituiert ist – denn dass man solche Bänder zugeben muss, davon überzeugen mich metaphysische Gründe, die hier abzuleiten mich eine unerwartete Störung hindert. Darüber demnächst. Wenn Sie wollen, dass die Pariser Herausgeber der Theodizee etwas besonders beachten sollen, oder wenn es sonst etwas gibt, das für das Journal geeignet wäre, zögern Sie bitte nicht, es mir zu schicken. Leben Sie wohl, vornehmster Herr, und bleiben Sie gesund. Aufgegeben im agrippinischen Köln, 22. März 1714G* * Leibniz hat auf dem Brief bemerkt: Ich sehe nicht, was die modalen Bänder der Monaden anderes sein könnten als bloße Relationen, wenn das substantielle Band noch nicht besteht. G
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3. 4. 1714 G CXI.
Herr Henry Sully, ein englischer Automatenmacher, der sich nicht minder in der Theorie als in der Praxis auszeichnet, wünscht Ihre Bekanntschaft zu machen mit einer Art Empfehlung von mir, deren er nicht bedarf. Ich hätte ihm die Übersetzung Ihres Vorworts und der beiden Anhänge gegeben, von welchen kürzlich [die Rede war], wenn ich sicher wüsste, ob Sie sich immer noch in Wien aufhalten. In Frankreich erschien ein Buch in zwei Bänden im Quart, das die Lehre der Thomisten von der »physischen Vorausbewegung«, praemotio physica, gründlich und geistvoll wiederherstellt, wenn man dem neuen Journal glaubt, das seit kurzem in den Niederlanden unter dem Titel »Journal litteraire« erscheint. Die zwei Bände heißen: De l’action de Dieu sur les Creatures, Traité dans lequel on prouve la premotion physique par le raisonnement. Où l’on examine plusieurs questions qui ont rapport à la nature des Esprits et à la grace. (Über das Einwirken Gottes auf die Geschöpfe, Traktat, in dem die physische Prämotion schlüssig bewiesen wird. Worin mehrere Fragen untersucht werden, die mit der Natur der Geister und mit der Gnade zusammenhängen.) Leben Sie wohl etc. In Eile aufgegeben in Köln, 3. April 1714
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21. 4. 1714 G CXII / D·2, 307 f. (E 25, S / F XXXII).
¦ Hochwürdigster Pater, verehrtester Gönner! ¦
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Es ist eine Untersuchung wert, was man denn erfinden könnte, das sich eignet, den Phänomenen außerhalb von Perzipienten Realität zu verschaffen; d. h. was eine zusammengesetzte Substanz konstituiert. Soviel ich beurteilen kann, wird es | in der ursprünglichen G aktiven und passiven Potenz des Zusammengesetzten bestehen müssen, und wird das sein, was man erste Materie und substantielle Form nennt. Es wird auch nötig sein, dass die Akzidentien des Zusammengesetzten seine Modifikationen sind; diese freilich sind vergänglich, die Substanz selbst aber wird ebenso dauerhaft sein wie eine dominierende Monade. Eine zusammengesetzte Substanz, d. h. die wahrhaft ein Eines-durch-sich ausmacht, ist aber nur dort, wo es eine dominierende Monade mit einem lebendigen organischen Körper gibt. Ihre Behauptung, das substantielle Band komme zu dem durch modale Bänder bereits konstituierten Zusammengesetzten hinzu, interpretiere ich so, dass die Monaden bei Abspaltung von der zusammengesetzten Substanz nur Eines per accidens konstituieren, aber jenes Eine per accidens wird, wenn ich nicht irre, ein bloßes Phänomen sein. Da nämlich keine Modifikation von sich aus, per se, subsistieren kann, sondern wesentlich ein substantielles Subjekt verlangt, werden jene Bänder das Reale, das sie besitzen, in der Modifikation einer beliebigen Monade und der Harmonie oder Zusammenstimmung der Monaden untereinander besitzen. Auch Sie werden, glaube ich, kein Akzidens zugeben, das zugleich in zwei Subjekten ist. So meine ich hinsichtlich der Relationen: Das eine ist die Vaterschaft in David, das andere die Sohnschaft in Salomon, aber die beiden gemeinsame Relation ist ein bloßes Gedankending, dessen Fundament Modifikationen der Einzelglieder sind.
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114. Leibniz an Des Bosses
Ich wünschte sehr, möglichst bald zu erfahren, worin die Trévoux’sche Kritik hinsichtlich dessen besteht, was in meinem Buch Theodizee irrig oder dunkel scheinen könnte. Denn vielleicht könnte ich den Anschein des Irrtums durch schriftliche Erklärung meines Denkens in einem Brief beseitigen, der der Neuausgabe beigefügt werden könnte, wenn es nicht zu spät ist. Selbst wenn die Ausgabe schon fertig ist, könnte diese Erklärung den noch nicht vertriebenen Exemplaren beigelegt werden. Wenn also wenigstens die jene Kritik enthaltenden Passagen aus der Trévoux’schen Rezension abgeschrieben und mir so schnell wie möglich übermittelt würden, könnte ich womöglich sowohl Eure Trévouxaner wie auch den Leser wie auch mich selbst zufrieden stellen. Den Ew. Pater Tournemine bitte ich von mir aufs gefälligste zu grüßen. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Wien, 21. April 1714 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦ P. S. Ich freue mich zu erfahren, dass die Gerüchte, die man über den Tod des chinesischen Monarchen und die Verfolgung der Missionare von den Niederlanden aus verbreitet hat, falsch waren, und es wird [mir] darüber hinaus willkommen sein zu erfahren, was dort der Stand der Dinge ist. 2. P. S. Im Mai werde ich, so Gott will, von hier abreisen. Wenn nun der Ew. P. Tournemine die Memoiren von Trévoux schickt oder sie zu Ihnen gelangen, bitte ich Sie diese auf dem normalen Postweg nach Hannover bringen zu lassen; von dort wird man sie mir nämlich auch unterwegs übergeben können. Zugleich bitte ich, mir Ihr Urteil über die Trévoux’sche Kritik zu schreiben und mir Vorschläge zu unterbreiten, falls ich etwas besonders beachten muss.
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20. 9. 1714 G CXIII.
| Dem neuesten Brief von unserem Tournemine entnehme ich, dass G das Journal von Trévoux, in dem die Theodizee rezensiert wird, noch nicht zu Ihnen gelangt ist, obwohl ich es, wie befohlen, vor mindestens drei Monaten durch unsere Hildesheimer nach Hannover hatte schicken lassen, zusammen mit der Übersetzung des Vorworts und der zwei Anhänge, die noch ausständig waren. Und ich habe erfahren, dass das Päckchen längst von Hildesheim nach Hannover geschickt worden ist und dass ein Bote beauftragt wurde, es Ihnen sofort zuzustellen, wo immer Sie sich gerade aufhalten. Ich habe keine Ahnung, bei wem jetzt die Schuld liegt. Tournemine schreibt, dass die Pariser Ausgabe der Theodizee bereits ausgeliefert ist und sich sehr gut verkauft: dasselbe darf man vielleicht von der Übersetzung hoffen, wenn sie erscheint. Im Übrigen habe ich die Antwort auf Ihr letztes Schreiben vom 4. AprilG* hinausgezögert, weil ich glaubte, Sie würden aus Wien abreisen; zudem habe ich nun aus anderer Quelle und auch aus öffentlichen Nachrichten erfahren, dass Sie den ersten Schritt zur Gründung einer Akademie unter der Schirmherrschaft des Kaisers gemacht haben, wozu ich von Herzen gratuliere; sodass ich künftig nicht wagen werde, diese Ihre wichtigsten Geschäfte durch einen Brief von mir zu stören. Vielleicht darf ich trotzdem dieses eine und letzte Mal wenigstens noch ein Wörtchen zu unserer alten Kontroverse in Erinnerung rufen. Zwar, verehrtester Herr, halte ich die Hypothese der Zurückführung von Körpern auf bloße Phänomene für ein geistreiches Paradox, aber offen gestanden kann ich sie nicht absolut zugeben; ich weiß, dass sie jüngst von einem englischen Philosophen scharf verteidigt, aber von vielen Gelehrten schlecht aufgenommen wurde.
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116. Des Bosses an Leibniz
Daher muss man, glaube ich, auf der allgemeinen und den Menschen gleichsam angeborenen Hypothese, die den Körpern Realität zuspricht, bestehen, vor allem, weil vermutlich alle Vorteile, die aus der vorigen [Hypothese] entspringen, mühelos auch auf diese – wenn man sie ordentlich erklärt – übertragen werden können. Gemäß dieser allgemein verbreiteten Hypothese besteht also kein Zweifel, dass das die Phänomene Realisierende in sich einen Wandel zulässt, da es offenkundig ist, dass Phänomene sich wandeln. Was ist aber die Ursache dieses Wandels? Nicht nur Gott; denn das wäre ein ewiges Wunder und nicht das die Phänomene Realisierende selbst, das ja dann nicht selbst aktiv ist. Daher bleiben nur die untergeordG neten Monaden | und eine unterordnende übrig, von denen der Körper abhängt, wenn sie auf den Körper wirken; und die sind früher als der Körper. An einer Stelle, wenn ich nicht irre, behaupten auch Sie, dass nicht einmal Gott selbst auf die Materie einwirken könnte, wenn die Materie nicht von Gott als Ursache abhängen würde. Leben Sie wohl, sehr verehrter Herr, und arbeiten Sie an der Sache mit der Gesinnung, die Verbreitung des göttlichen Namens und die Zierde des ganzen Reiches zu mehren. Aufgegeben in Köln, 20. September 1714 G
* Soll vielleicht heißen: 21. Aprilis.
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30. 10. 1714 G CXIV.
Vor eineinhalb Monaten schrieb ich Ihnen nach Wien; kurz darauf erfuhr ich über öffentliche Nachrichten, dass Sie aus Wien nach Hannover abgereist wären; nun endlich werde ich unterrichtet, dass Sie bereits in Hannover sind. Ob Sie den Brief erhalten haben, bezweifle ich. Das Paket allerdings, das ich gewiss vor mehreren Mo-
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naten nach Hannover geschickt habe, welches unter anderem die trévouxsche Theodizee-Rezension enthält, haben Sie erhalten – daran zweifle ich ganz und gar nicht. Ich habe mir drei Abhandlungen von Pater Gabriel Daniel besorgt, die äußerst lesenwert sind. Die 1. handelt von dem Axiom des hl. Augustinus: Nach dem, was uns mehr erfreut, richten wir notwendig unser Handeln; die 2. und 3. von der moralischen Notwendigkeit und vom moralischen Unvermögen im Hinblick auf gute Werke. Beide sind für die Theodizee von Belang. In diesem Jahr gab auch der hochverehrte Erzbischof von Cambrai eine Pastoralunterweisung in drei Teilen heraus, in der er nicht so sehr die jansenistische Tatsachenfrage – wie er es bisher getan hatte – sondern die eigentliche Rechtsfrage sehr gelehrt und sorgfältig abhandelt. Ich erwarte sehnlichst Ihre Anordnungen. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Köln, 30. Oktober 1714
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30. 12. 1714 G CXV / D·6 XXXVII.
Mit dem Engländer Sully, dem tüchtigen Mann, den Sie empfohlen hatten, traf ich in Wien häufig zusammen, vor allem als ich | öfters G bei Durchlaucht Herzog Arenberg verkehrte, bei dem er tätig war; sogar bei seiner Hoheit dem Prinzen Eugen war er willkommen, nachdem er die englische Himmelsmaschine repariert hatte, die die Bewegung der Sterne schön vergegenwärtigt und durch Achtlosigkeit der Übersteller auf der Reise beschädigt worden war. Er ist dann mit seinem Herzog abgereist und ich weiß bis jetzt nicht, ob er nach Belgien zurück ist oder sich noch in Paris aufhält. Mich dagegen hat die englische Wendung der Angelegenheiten gewzungen, die Rückreise zu beschleunigen, und ich werde den gan-
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zen Winter, vielleicht auch etwas länger, hier bleiben, um die fast fertigen, in lateinischer Sprache verfassten Annalen abzuschließen. Sie umfassen die Geschichte des okzidentalen Reiches vom Beginn der Regentschaft Karls des Großen bis zum Ende der Herrschaft Heinrichs des Heiligen, des letzten der fünf Kaiser oder Könige aus dem alten Haus Braunschweig, die direkt aufeinander folgten. Somit haben wir nicht nur eine Geschichte der karolingischen, sondern auch der sächsischen oder alt-braunschweigischen Kaiser, in der viele Schwierigkeiten behoben werden, die bisher Mühe bereitet haben. Ich hielt nämlich viele Dokumente in der Hand, die anderen durchwegs unbekannt sind. Auch Euer Schaten war mir sehr nützlich. Ich würde auch gerne wissen, ob jemand von den Euren in Westfalen sozusagen sein Erbe angetreten hat. Cloppenburg hatte diese Arbeiten fortgesetzt, aber auch er ist schon gestorben, und ich weiß nicht ob er Nachfolger hat. Ich wünschte, der Apparat dieser wirklich bedeutenden Männer wäre in Euren Kollegien aufbewahrt worden. Aber das obliegt wohl den Oberen, von denen ich etliche selbst einmal dazu aufgefordert habe, sich darum zu kümmern, worauf sie, wie ich erkennen musste, nicht gehört haben. Ich entsinne mich, dass es sogar den Studien Eures Turck widerfuhr, nachdem er mit großem Fleiß die Münsteraner Geschichte bearbeitet hatte, dass seine Arbeit unterdrückt wurde und verloren ging. Nun komme ich zu Ihrem unverdienten Wohlwollen mir gegenüber, auf das ich offen gestanden nicht der geschuldeten Pflicht entsprechend antworten konnte; auch konnte ich Ihr Geschenk bisher nicht ausreichend für meine, oder vielmehr die öffentliche Sache verwenden. Denn Ihre hervorragende, für eine mittelmäßige – nämlich meine – Sache aufgewendete Arbeit ist erst auf meiner Rückfahrt zu mir gelangt, auch hatte ich mir nicht zugetraut, sie auf der sehr langen Reise fertig zu stellen; und auch jetzt war es mir, trotz intensiver Befassung mit der Wiederherstellung des vor langer Zeit Begonnenen, nicht möglich, sie kritisch durchzulesen; ich will es trotzdem möglichst bald tun, sobald etwas Zeit zum Atemholen bleibt und die Tage länger werden.
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Euer ehrwürdiger Pater Tournemine, ein sehr bedeutender Mann, hat mir durch einen aus Paris nach Wien gekommenen Deutschen mitgeteilt, dass die Theodizee in Paris nachgedruckt wurde; von dieser Ausgabe würde ich mir gerne einmal ein Exemplar beschaffen. Wie ich höre, gibt es in Frankreich einen Wirbel um die »promotio physica« und um die Betätigungskraft der Geschöpfe, aber worin diese Streitigkeiten bestehen, habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Meistens | geht man bei der Klärung der Begriffe den Din- G gen nicht auf den Grund, worauf fruchtlose Kontroversen weniger um die Dinge als um die Ausdrücke ausgetragen werden. Mir bleibt noch, zum Ausklang des alten Jahres von Gott dem Allmächtigen und Allerhöchsten für Sie ein, nein recht viele gesegnete und glückliche neue Jahre zu erbitten; ich weiß, dass Sie wohl noch viel Nützliches zur tieferen Erkenntnis der Dinge und Erweiterung der Seelen beitragen können. Im Übrigen leben Sie wohl usw. Geschrieben in Hannover, 30. Dezember 1714
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5. 1. 1715 G CXVI.
Im vergangenen September hatte ich einen Brief an Sie nach Wien gesandt; sofort als ich erfuhr, dass Sie nach Hannover zurückgekehrt seien, schrieb ich einen anderen, und jener frühere, der aufgrund eines durch eine gewisse Namensähnlichkeit entstandenen Irrtums dem berühmten Herrn Labroue, der sich jetzt in Köln befindet, aus Wien zurückgeschickt wurde, kam schließlich an mich zurück; ich lege ihn hier bei, so wie er geschrieben war. Dass auch der letztere auf Abwege gelangt ist, lässt mich Ihr langes Schweigen annehmen. Ich hoffe, Sie haben in Hannover die restliche Übersetzung der Theodizee gefunden, die ich längst zurückgeschickt habe, so-
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wie das Journal de Trévoux, in dem die Theodizee rezensiert wurde. Sie hatten zuvor gewünscht, ich solle Ihnen unterbreiten, wenn ich etwas hätte, das zur Verteidigung dessen beiträgt, was von den Trévoux-Autoren nicht gebilligt zu werden schien. Dass ich das nicht unverzüglich getan habe, hat Ihre, wie Sie schrieben bevorstehende, Rückkehr verursacht. Ich werde es aber jetzt noch tun, falls es nicht zu spät ist. Es sind vor allem zwei Punkte, soviel ich sehe, die von den Zensoren beanstandet werden. Einmal die moralische Notwendigkeit in Gott zum Besten; sodann im Menschen die ebenso moralische Notwendigkeit, gemäß dem vorherrschenden Vernunftgrund zu handeln. Beides – wie Sie sich erinnern, habe ich an anderer Stelle darauf hingewiesen – hat unserer Eminenz Tolomei nicht schlecht gefallen, und zumindest für das Erstere kann ich etliche bedeutende Autoren anführen, auch aus unserer Gesellschaft (wie Ruiz, Granado, Esparza, Mauro, Estrix, Izquierdo und neuerdings den Neapolitaner Domenico Viva), wenn Sie es anordnen. Über das Letztere wird heute in Frankreich, wie ich höre, unter den Theologen wild gestritten. Für Sie scheinen zumindest von den Unsrigen Vazquez und seine Anhänger einzutreten. Neulich hat mir Herr Sully aus Paris geschrieben, Sie dächten G daran, zu den vom ganzen Erdkreis abgeschiedenen | Briten [zu gehen], was ich ungern höre – gerade in diesem Sommer, wo doch auch die Wiener Akademie, die Sie aufgeben werden, der Vollendung nahe ist. Leben Sie wohl, vornehmster Herr, und verbringen Sie dieses Jahr, das wir unter guten Auspizien begonnen haben, und noch recht viele andere (auch was das Meinige betrifft), wohlbehalten und glücklich. Aufgegeben in Köln, 5. Jänner 1715
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19. 1. 1715 G CXVII.
Einige Tage nach der Absendung meines jüngsten Briefes erhielt ich den Ihren, höchst willkommenen, dem ich glaubte entnehmen zu können, dass mein voriger, den ich gegen Ende Oktober oder Anfang November geschrieben habe, nicht bei Ihnen angekommen ist, da Sie von Orban, dessen Brief ich dem meinigen beigelegt hatte, nichts erwähnen. Die Annalen von Turck sind nicht verloren gegangen, sondern werden, verteilt auf vier oder fünf Bände, im Paderborner Kolleg aufbewahrt, obschon ich befürchte, dass sie nichts enthalten, was von Schaten ausgelassen wurde und Ihnen von Nutzen sein könnte. Indessen freut es mich, dass an Ihre Annalen endlich letzte Hand angelegt werden muss, sodass Sie sich ganz dem Feinschliff der Entdeckung wissenschaftlicher Raritäten, die Sie im Verborgenen noch aufbewahren, widmen können. Die von Ihnen erwähnten Kontroversen verursachte ein voriges Jahr in den Niederlanden erschienenes Buch mit dem Titel: De l’action de Dieu sur les creatures (Über das Einwirken Gottes auf die Geschöpfe), das einen neuen Weg beschreitet, die physische Determination als Prinzip zu verteidigen, und behauptet, dass unsere Willensakte Dinge sind, nicht bloß Modi. Dieses in drei reichlich dicken Bänden bestehende Buch finden Sie ziemlich genau rezensiert in dem neuen Journal mit dem Titel Journal litteraire. Unseren Tournemine habe ich schon vor langem beauftragt, ein Exemplar der in Paris erschienenen Theodizee zu schicken, sowie anderes, falls es etwas gibt, das aus diesem Anlass publiziert wurde. Über die Übersetzung mögen Sie nach Belieben und Muße verfügen. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Köln, 19. Jänner 1715
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15. 3. 1715 G CXVIII nach D·2, 308 f. (E 26, S / F XXXIII). D
¦ Hochwürdigster Pater, verehrtester Gönner! ¦
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| Diesen recht beschwerlichen Winter habe ich mit schlimmer Arthritis verbracht, von der ich noch nicht ganz frei bin; daher bin ich kaum den notwendigen Arbeiten nachgekommen, welche keinen Aufschub duldeten; weil jedoch im Grunde immer eine Hoffnung bleibt, gebe ich den Glauben an eine Wiedergenesung nicht auf. Ich fürchte, dass der, der über die Handlung Gottes auf die Geschöpfe als physische Prädetermination geschrieben hat, die Begriffe mehr verhüllt als ans Licht zieht. Dass Handlungen nicht absolute Dinge, sondern Modifikationen der Entelechie oder ursprünglichen Strebung sind, ist, denke ich, offenkundig, und man muss das nicht nur vom Willen, sondern auch von jederlei Handlungsvermögen sagen. Wir behaupten richtig, dass Körper Dinge sind, denn auch Phänomene sind real. Wenn aber jemand behaupten wollte, dass Körper Substanzen sind, wird er, glaube ich, ein neues Prinzip der realen Vereinigung brauchen. Der in Irland die Realität der Körper bekämpft, scheint keine brauchbaren Gründe anzuführen und seinen Gedanken nicht ausreichend zu entfalten. Vermutlich gehört er zu jener Art von Menschen, die durch Paradoxe bekannt werden wollen. Ich stieß vor kurzem auf ein Problem bezüglich des Magnetismus, das ich mit einem Experiment entscheiden möchte. Aber niemand könnte das besser durchführen als Herr Hartsoeker, der reichliche Erfahrung mit Magneten und den für die Experimente nötigen Apparat besitzt. Lieber wäre mir aber, wenn die Bitte um das, was ich brauche, von Ihnen statt von mir vorgetragen würde, und ich bin sicher, dass er Ihnen, wenn es ohne Umstände möglich ist, gerne willfahren wird.
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Ich dagegen trachte im Hintergrund zu bleiben. Es ist nämlich der Erforschung wert, ob die Anziehung des Magneten in Abhängigkeit steht zur Ausrichtung [auf den Nordpol der Erde], und ob ein Magnet in natürlicher Position (in die er sich spontan dreht) stärker zieht als in einer erzwungenen. Ein Magnet mit dem Pol A zieht die senkrecht posiE tionierte Nadel BC an: mit Hilfe der Anziehungskraft C D des Arms CD (er muss nicht F aus Eisen sein), der normal A zur Nadel steht und an ihr B befestigt ist, sowie mit ihr um C beweglich, aber in D mit einem Faden angebunden ist an den Arm der Waage E, zieht er nun D hinunter und hebt das kleine Gegengewicht F empor; die Frage ist, ob der Magnet ein größeres Gewicht halten oder aufheben kann, wenn der Pol in der natürlichen Position ist, in die er sich spontan dreht, als wenn er in der erzwungenen entgegengesetzten Position ist. | Herr Hartsoeker könnte sich G aber leicht eine passendere andere Vorrichtung ausdenken, um das herauszufinden. Es wird genügen, wenn er aufgrund dieser Figur die Bedeutung der Frage versteht. Ich setze aber voraus, dass bei beiden Experimenten die Nadel noch jungfräulich oder noch unbefleckt ist, sei es dass A anzieht in der natürlichen Position, sei es in der erzwungenen. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 15. März 1715 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦
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6. 4. 1715 G CXIX.
Ich schicke die Antwort Hartsoekers über die Frage des Magnetismus. Ob das Experiment, das er anführt, die Sache außer Streit stellt, weiß ich nicht, denn ich habe den Verdacht, was bei den Eisenspänen nicht sinnlich wahrnehmbar ist, kann sinnlich wahrnehmbar werden, wenn man genauere Instrumente verwendet. Darüber möchte ich gerne Ihr Urteil hören. Sie scheinen den in einem meiner früheren Briefe erhobenen kleinen Einwand nicht bemerkt zu haben, dessen Lösung ich von Ihnen erwarte. Es ist folgender: Bei der Hypothese, dass es etwas gibt, das die Phänomene realisiert und sich von den Monaden und ihren Perzeptionen unterscheidet, frage ich: Wer bewirkt die Veränderung der Phänomene im Körper selbst? Wenn Gott, wird es ein ewiges Wunder sein; wenn die Monaden, dann wird der Körper irgendwie von den Monaden abhängen usw. Ich schließe einen weiteren bezüglich der vorherbestimmten Harmonie an: Wenn alle Monaden sozusagen aus eigenem Vorrat und ohne jeden physischen Einfluss der einen auf die andere ihre eigenen Perzeptionen haben, wenn außerdem die Perzeptionen jeder beliebigen Monade den übrigen Monaden – die jetzt von Gott geschaffen worden sind – und deren Perzeptionen präzise entsprechen und sich ihnen anpassen, indem sie sie repräsentieren, dann konnte also Gott keine der Monaden, die nun einmal existieren, erschaffen, ohne alle anderen zu schaffen, die jetzt ebenso existieren, denn Gott kann keinesfalls bewirken, dass die natürliche Perzeption und Repräsentation der Monaden getäuscht würde; sie würde aber getäuscht, wenn sie in nicht existenten Monaden ebenso wie in existenten stattfinden würde. Doch wenn es wahr ist, dass Gott dies nicht konnte, sehe ich nicht, warum die göttliche Weisheit besonders zu loben sein soll bei der Wahl und der Zusammensetzung dieser Dinge mit jenen. Denn sobald auch nur die kleinste Monade ein
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einziges Mal dazu ausgewählt war, produziert zu werden, war Gott gezwungen, alle übrigen hervorzubringen, wie er auch gezwungen ist, die vernunftbegabten Kreaturen nicht zu täuschen, oder ihnen keinen Irrtum einzuflößen, oder wie er gezwungen ist, seine Verheißungen mit einem Ereignis zu besiegeln. | Im letzten Jahr ist ein bedeutendes Werk des jüngst verstorbe- G nen Erzbischofs von Cambrai erschienen, in welchem er sich selbst darin übertroffen zu haben scheint, die ganze Lehre Jansens auf das Unerbittlichste und Ausdrücklichste zu zerpflücken und mit der Wurzel auszureißen. Der Titel dieses Buches ist: »Instruction Pastorale de Monseigneur l’Archeveque de Cambrai au Clergé et au peuple de son diocese en forme de dialogues divisée en trois parties. Premiere partie qui developpe le systeme de Jansenius, sa conformité avec celui de Calvin sur la delectation et son opposition à la doctrine de S. Augustin. Seconde partie qui explique les principaux ouvrages de S. Augustin sur la grace, l’abus que les Jansenistes en font et l’opposition de leur doctrine à celle des Thomistes. Troisieme partie qui montre la nouveauté du systeme de Jansenius et les consequences pernicieuses de cette doctrine contre les bonnes moeurs (Hirtenbrief des Monsignore Erzbischof von Cambrai an den Klerus und das Volk seiner Diözese in Form eines Dialogs, unterteilt in drei Teile. Erster Teil, der das System von Jansen darlegt, seine Übereinstimmung mit jenem von Calvin bezüglich des Genusses und seinen Gegensatz zur Lehre des hl. Augustinus. Zweiter Teil, der die Hauptwerke von Augustinus über die Gnade erklärt, den Missbrauch, den die Jansenisten damit treiben, und den Gegensatz ihrer Lehre zu jener der Thomisten. Dritter Teil, der die Neuerung des Systems von Jansen und die verderblichen Folgen dieser Lehre in Bezug auf die guten Sitten zeigt).« Unter den zahllosen Büchern und Schriften über die jüngste Bulle gegen die Sätze Quesnels, die hüben und drüben erschienen sind, hat die größte Zustimmung bei den Experten eines mit dem Titel »Lettres d’un Abbé à un Eveque où l’on demontre l’équité de la constitution ›Unigenitus‹ etc. et qui peuvent servir de Reponse aux libelles qui ont paru contre cette constitution (Briefe eines Abts an
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einen Bischof, in denen die Berechtigung der Konstitution ›Unigenitus‹ etc. gezeigt wird und die als Antwort auf die Bücher, die gegen diese Konstitution erschienen sind, dienen können)« gefunden. Leben Sie wohl, bedeutendster Mann, und leben Sie nochmals wohl. Abgesandt in Köln, 6. April 1715
beilage: auszug aus dem brief von herrn hartsoeker
Hinsichtlich der Frage, die Sie mir gestellt haben, ob ein Magnet in der einen Lage mehr Kraft hat als in der anderen, kann ich Ihnen sagen, dass ich im Zuge mehrerer exakter Experimente herausgefunden habe, dass er in jeder Lage, die man ihm gibt, spürbar dieselbe Kraft hat, und er auch nicht mehr zu haben scheint, wenn sein nördlicher Pol auf den magnetischen Südpol der Erde zeigt oder dieser Pol auf den magnetischen Nordpol oder irgendeinen anderen Pol zeigt. Legen Sie beispielsweise einen Magneten auf ein gut gesäubertes Spiegelglas und einen Eisenspan auf diesen Magneten, so werden Sie sehen, dass dieser Span, wenn er einmal gut angeordnet ist, ohne Bewegung bleibt, welche Lage man dem Glas auch gibt, sofern es horizontal bleibt und nur sachte berührt wird. Das Gegenteil kann dennoch eintreten, weil die Erde ein großer Magnet ist, und daher diese zwei Magneten, nämlich der auf dem Spiegelglas und G die Erde, | mehr Kraft haben müssen, wenn der Nordpol des einen auf den Südpol des anderen zeigt, da sie sich in diesem Fall gegenseitig unterstützen, als wenn ihre Südpole aufeinander zeigen; aber da die Strömung der magnetischen Materie der Erde sehr schwach ist, kann sie die Kraft eines Magneten nur unmerklich vermehren oder vermindern. Vermehren, wenn sie mit jener des Magneten korrespondiert, vermindern, wenn das Gegenteil eintritt. Ich bitte Sie demütig darum, mein Ew. P., mir zu sagen, ob Sie meine Antwort ein wenig plausibel und befriedigend finden.
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29. 4. 1715 G CXX / D·2, 309 f. (E 27, S / F XXXIV).
¦ Hochwürdigster Pater, verehrtester Gönner! ¦ Was Hr. Hartsoeker geantwortet hat, ist nicht zu verachten; doch es stellt die Sache noch nicht außer Zweifel, und so wird es vielleicht nicht nutzlos sein, mit einer Replik, ähnlich der beigefügten, nachzusetzen. Indessen meine ich ganz wie Sie, wenn die entgegengesetzte Lage etwas an der Wirkung des Magneten ändert, kann es vielleicht mit einem genaueren Instrument bemerkbar gemacht werden, auch wenn man es an den Eisenspänen nicht bemerkt.G* Ihre Einwürfe pflegen scharf zu sein und sind mir immer willkommen. Falls es – fragen Sie – eine reale Vereinigung gibt, welche die Phänomene realisiert oder vielmehr substantialisiert, was bewirkt die Veränderungen im Körper selbst? Ich antworte, da der Körper, wenn er als eine Substanz betrachtet wird, nichts anderes sein kann als das, was aus der realen Vereinigung der Monaden resultiert, dann werden daraus auch die Modifikationen resultieren, die er haben wird, welche den Veränderungen der Monaden entsprechen, und insofern wird geschehen, was gemeinhin gelehrt wird. Die Monaden werden in dieses Realisierende einfließen, doch dieses selbst wird an ihren Gesetzen nichts ändern, weil es alles, was es an Modifikationen hat, von ihnen gleichsam als Echo hat, und zwar natürlicherweise; jedoch nicht formal und essentiell, weil Gott ihm zuweisen kann, was die Monaden ihm nicht geben, oder entziehen kann, was sie geben. Alles, was dagegen vorgebracht werden kann, wird gegen die allgemeine Lehre von der körperlichen Substanz, d. i. gegen all das, was substantiell zusätzlich zu den Monaden hinzugefügt werden kann, Geltung haben. Wenn es wirklich im Körper etwas Substantielles außer Monaden gibt, muss es zu eigenen Modifikationen befähigt sein, und es wird diese besitzen, insofern sie auf natürliche Weise von den Monaden, die es vereint, abhängen, auf
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122. Leibniz an Des Bosses
übernatürliche Weise von Gott, der [die Modifikationen] von diesen [sc. Monaden] trennen kann. Wenn Sie also zugeben, dass es [sc. das Substantielle] seine Modifikationen entweder von Gott durch G ein fortwährendes Wunder | haben muss oder von den Monaden, sage ich, dass es sie natürlicherweise und in den meisten Fällen von den Monaden hat, durch ein Wunder und selten von Gott; dieser wird bewirken können, dass es Monaden, die zuvor nicht die seinen [sc. des Substantiellen] waren, entspricht. Wenn ein reales Band möglich ist, muss ein Einfluss der Vereinigten auf es selbst möglich sein, sonst wird es keinen Grund geben, warum es deren Band genannt werden kann. Weiters wird es nur in Körpern anzunehmen sein, die – wie die organischen – eine dominierende Monade haben oder ein unum per se sind, und an dieser Monade wird dieses Band immer haften. Der andere Einwand ist folgender: Wenn alle Monaden sozusagen aus eigenem Vorrat und ohne jeden physischen Einfluss der einen auf die andere ihre Perzeptionen haben, wenn außerdem die Perzeptionen einer beliebigen Monade den übrigen derzeit von Gott geschaffenen Monaden oder deren Perzeptionen präzise entsprechen, dann konnte Gott keine von den Monaden, die jetzt existieren, erschaffen, ohne alle anderen zu schaffen etc. Die Antwort ist leicht und schon längst gegeben. Er konnte es im absoluten Sinn, er konnte es nicht im hypothetischen Sinn, weshalb er beschlossen hat, alles mit höchster Weisheit und aufs harmonischste, ἁρμονιϰωτάτωϚ, auszuführen. Eine Täuschung aber der vernünftigen Kreaturen würde es auch dann nicht geben, wenn ihren Phänomenen nicht alles außerhalb ihrer selbst exakt entspräche, ja auch wenn gar nichts entspräche: z. B. wenn ein Geist alleine wäre; denn alles würde genauso ablaufen, als ob alles andere existierte, und jener [Geist] würde, wenn er mit Vernunft handelt, sich keinen Schaden zuziehen. Denn das heißt: sich nicht täuschen. Dass aber ein wahrscheinliches Urteil, das er über die Existenz anderer Kreaturen bildet, wahr ist, wird nicht notwendiger sein, als es notwendig war, dass die Erde still stand, weil mit wenigen Ausnahmen das ganze Menschengeschlecht einst billig so geurteilt hat. Daher geschieht es nicht aus Notwen-
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digkeit, sondern aufgrund der Weisheit Gottes, dass die Urteile, die aufgrund des Wahrscheinlichsten nach vollständiger Prüfung gebildet wurden, wahr sind. Alles, was der Erzbischof von Cambrai hervorbrachte, trug den Stempel seiner großen und einzigartigen Geisteskraft. Aber ich wollte, er hätte nicht versucht, die Unfehlbarkeit in Tatsachen gegen die Meinung Bellarmins und so vieler anderer großer Männer zu verteidigen. Ich selbst wollte einmal aus Eigenem zu den innersten Gedanken von Jansen durchdringen, aber die zahlreichen Aufgaben und Studien haben es nicht erlaubt. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Hannover 29. April 1715 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦ P. S. Ein Exemplar meiner Theodizee, herausgegeben in Frankreich im so genannten Duodezformat, habe ich neulich, ich weiß nicht in wessen Auftrag, aus den Niederlanden erhalten. Ich vermute, es ist ein Geschenk des Ew. Pater Tournemine, dem ich Dank schulde und dem bei Gelegenheit in meinem Namen zu danken ich Sie bitte. G
* Siehe die Beilage.
| beilage g *: leibniz an hartsoeker, 29. april 1715 Ich bin sehr erfreut, mein Herr, dank Ihrer Antwort lernen zu können, dass sich, nach den exakten Experimenten, die Sie durchgeführt haben, die Anziehungskraft des Magneten nicht vermindert, wenn er sich in einer Lage befindet, die jener entgegengesetzt ist, in welcher er natürlicherweise angeordnet ist. Dennoch würden Sie mich verpflichten, wenn Sie mir weiteren Unterricht in der Sache geben. Ihr Experiment mit dem Eisenspan, welcher entsprechend der Lage des Magneten angeordnet ist, ein Arrangement, bei dem man die ganze Drehung des Magneten beobachtet, ist einfallsreich und Ihrer
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122. Leibniz an Hartsoeker
würdig. Aber obwohl sich, wenn die Lage verändert wird, in diesem Arrangement kein merklicher Unterschied ergibt, kann man daraus nicht folgern, dass gegen die anziehende Tätigkeit des Magneten nicht hinreichend angekämpft werden kann, aufgrund einiger anderer Effekte, welche sie merklich vermindern würden. Weil man daher den Effekt dieser kleinen Verringerung anhand des Fadens nicht genügend bemerken kann, da er aus kleinen und kurzen Teilchen besteht, die eine Reibung gegen den Boden und gegeneinander ausüben, und die bereits verbunden sind, benötigt man eine beachtliche Kraft, um sie dazu zu bringen, sich anders anzuordnen, und man braucht eine große Verringerung der Kraft des Magneten, um die Verbindung zu beenden; und ein an sich weniger starker Magnet, der aber andererseits mit dem verwendeten gänzlich vergleichbar ist, kann ihnen dieselbe Anordnung geben. Auch hat die Dauer der Anordnung nichts mit der Dauer der Kraft zu tun. Aber wenn der Magnet eine gleiche und vergleichbare Nadel mit der gleichen Distanz anzieht oder ins Trudeln bringt – ganz egal, ob die Lage des Magneten natürlich oder erzwungen ist – könnte man sich der Tatsache sicherer sein, und man könnte sich vergewissern, dass der Unterschied nicht merklich ist, da es kein geeigneteres Mittel gibt, den Grad der Anziehungskraft des Magneten bemerkbar zu machen, als ihn auf eine Nadel wirken zu lassen. Es scheint auch so zu sein, mein Herr, dass Sie bereits andere und ähnliche Experimente durchgeführt haben, und darüber würde ich gerne mehr erfahren. Sie sagen, mein Herr, dass die Strömung der magnetischen MateG rie | der Erde sehr schwach ist. Man könnte aber einwenden, dass sie in manchen Fällen vielleicht stärker als der Magnet ist. Unterstellen wir beispielsweise, dass zwei gegensätzliche Kräfte auf eine magnetisierte Nadel wirken, eine der Gerichtetheit und eine anziehende, wobei die erste vom Erdmagnetismus herrührt und die Aufgabe hat, ein Ende der Nadel Richtung Norden zu drehen, während die andere aus dem Magnetismus des Magneten resultiert und die Aufgabe hat, es anzuziehen und in seine Richtung zu drehen: in diesem Fall kann es passieren, dass die Ausrichtungskraft [nach Norden] größer ist als die Anziehung, weil der Magnet in einer solchen
Beilage
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Distanz angebracht werden kann, dass er für die Drehung der Nadel verantwortlich zeichnet, wenn sie nicht magnetisiert war und also keine Neigung zeigt, sich nördlich auszurichten; dass er aber auch nicht fähig ist, die Eigenausrichtung der Nadel zu überwinden. Doch sehe ich eine Antwort auf diesen Einwand vor mir, die ich Ihrem Urteil unterwerfe, dass nämlich die magnetisierte Nadel nicht genau durch die Kraft des Erdmagnetismus nördlich ausgerichtet wird, sondern durch jene, die sie vom Magneten aufgenommen hat. Und auch angenommen, dass bestimmte Aktionen von bestimmten Strömungen der magnetischen Materie herrühren, hat doch diese Nadel ihre eigene, wenngleich weniger starke, Strömung, die dennoch merklich mit jener des Magneten vergleichbar ist. Auch ist das Mittel, mit dem man erkennen kann, ob die magnetische Kraft der Erdkugel über das Feld eine merkliche Wirksamkeit auf den Magneten haben kann, genau jenes, das zu untersuchen ich vorgeschlagen habe, um zu wissen, ob die Veränderung der Lage sich merklich der Tätigkeit des Magneten entgegensetzt. Ich sage über das Feld, weil es mir schlussendlich so scheinen will, als ob die bereits gemachten Experimente uns zeigen, dass eine bestimmte Lage von langer Dauer die Ausrichtungskraft einer magnetisierten Nadel schwächen oder gar letztlich zerstören kann, um sie an ein Eisen abzugeben, das jene nicht besitzt. Ich spreche von einer Nadel, weil es bei ihr vielleicht anders ist als bei einem Magneten, und er vielleicht seine ursprüngliche Ausrichtungskraft und auch seine Anziehungskraft vermindert, wenn er nur längere Zeit in der erzwungenen Lage bleibt. Ich nehme mir die Freiheit, mich über dieses Thema zu verbreiten, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, mich über diese Materie aufzuklären, was Sie mit Sicherheit besser können als irgendjemand sonst. * Leibniz hat dazu bemerkt: Für Hrn. Hartsoeker. Der P. Des Bosses kann es ihm in seinem Namen schicken. G
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
30. 6. 1715 G CXXI nach D·6 XXXVIII. G
| Schon lange bewahre ich Ihre hervorragende Arbeit bei mir auf, und von Tag zu Tag habe ich sie weggeschoben, weil ich etwas, das mich betrifft, ungern noch einmal durchgehe. Schließlich habe ich mir selbst einen Stoß gegeben und Ihre Übersetzung sorgsam durchgelesen. Sie schien glanzvoll, geistreich, oft besser als das Original. Doch weil Sie es als getreuer Dolmetscher strenger als im Französischen angelegt hatten, wodurch dies und jenes im Latein immer wieder zu stocken schien, glaubte ich, dass mir als Autor die Freiheit gegeben sei, die ein anderer sich nicht ebenso herausnehmen würde, manchmal etwas im Ausdruck und selbst dem Sinn nach zu verändern, um das Latein der Form des Authentischen näher zu bringen. Bei mir hier war Herr Cornelius van den Driesch, ein aus Ihrem Orden ausgetretener Kölner, der Sie besonders verehrt. Er hat mir seine Gedichte geschickt, die in der Mehrzahl nicht zu verachten sind. Was macht P. Orban? Ich hoffe, er lebt auf und genießt die Luft. Was hat Herr Hartsoeker geantwortet? Ich wünschte, Eminenz Tolomei fände im Amtspurpur genügend Zeit, um den purpurnen Schriftsteller, den zu vollenden er sich vorgenommen hat – ich spreche von Bellarmin – abschließen zu können. Was machen die Chinesen? Ob sie das neueste Dekret Roms werden dulden können? Ich, um die Wahrheit zu sagen, wundere mich bisweilen eher über die Beschlüsse der römischen Kurie, als dass ich sie verstehe. Ob Ihnen meine neueste Antwort über die Monaden gefallen hat, weiß ich nicht. Ich befürchte, was ich Ihnen zu verschiedenen Zeiten über diese Sache geschrieben habe, ist in sich nicht ganz kohärent, weil ich ja dieses Thema der Erhebung der Phänomene zur Realität
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bzw. der zusammengesetzten Substanzen ausschließlich aus Anlass Ihrer Briefe behandelt habe. Ein Exemplar meiner in Frankreich erschienenen Theodizee habe ich auf ich weiß nicht wessen Anordnung erhalten; am ehesten verdanke ich es dem Ew. P. Tournemine, durch dessen Gunst es gelungen ist, dass mein Buch in Frankreich zusehends bekannt wird. Es gibt dort etliche hervorragende Männer, von denen mein System nicht geringgeschätzt wurde. Ich wünschte, Sie hätten die Muße, mir meine ganze Metaphysik in die Form einer [Schul-]Lehre zu bringen, in der Art wie ich die Theodizee zum Schluss in dem kurzen lateinischen Text methodisch abgehandelt habe, was erst dann ordentlich geschieht, wenn man die ganze Gestalt der Abhandlung auf einer anschaulichen Tabelle darstellen kann. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 30. Juni 1715
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
20. 7. 1715 G CXXII.
| Spät erhielt ich sie, und noch später schicke ich sie, die Antwort G des berühmten Herrn Hartsoeker; die zweiten Überlegungen sind allerdings besser. Um etwas auf Ihr letztes [Schreiben] zu entgegnen: mit Ihnen bin ich der Meinung, wenn es im Körper ein von den Monaden mehr als nur modal unterschiedenes reales substantielles Band gibt oder ein solches möglich ist, dass es mit Notwendigkeit einen Einfluss des Vereinigten auf dasselbe gibt oder dass dies möglich ist, da sonst, wie Sie sagen, kein Anlass besteht, warum man überhaupt von ihrem Band sprechen sollte. Ebenso halte ich die Setzung dieses Bandes nur bei solchen Körpern für notwendig, die eine dominante Monade haben oder ein unum per se sind, z. B. organische, an welcher Monade resp. welchem Ganzen das Band stets haftet. Die Monaden
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fließen also in jenes Realisierende ein, doch dieses selbst ändert an ihren Gesetzen nichts, weil es all seine Modifikationen von ihnen gleichsam als Echo hat, wie Sie selbst erklären. Doch glaube ich eben aus diesem folgern zu können, dass das wie auch immer reale Band nicht substantiell sein kann. Denn das substantielle (zumindest das, das nicht modal ist), behaupten Sie, ist die Kraft oder das Prinzip der Handlung; das scheint dem realen Band nicht zuzukommen, dessen Modifikationen sich wie Echos verhalten. Wenn man ferner einmal zugibt, dass dieses Band nicht substantiell ist, dann ist die Sache erledigt, und der Weg zur Erklärung der Transsubstantiation, metousiosis, ist geebnet. Ich sehe dabei nicht, warum nicht etwas Reales möglich sein soll, das nicht substantiell ist; wenn es aber möglich ist, dann hat Gott es bei der Hervorbringung der Dinge gewiss berücksichtigt – damit wir kein Vakuum der Formen, wie man sagt, zulassen. Zur – für mich nicht überraschenden – Lösung meines zweiten Problems erwidere ich zweierlei. Erstens scheinen wir, selbst wenn wir von der Existenz und Weisheit Gottes absehen, mit mehr als bloßer Wahrscheinlichkeit urteilen zu können, dass andere, von uns verschiedene Geschöpfe existieren. Oder werden Sie einem Atheisten absprechen, Kenntnis von der Existenz seines Körpers zu haben? Ich erinnere mich, einmal mit Ihnen über einige in unseren Schulen von Michelangelo Tamburini, der heute unserer Gesellschaft vorsteht, verbotene Sätze gesprochen zu haben. Einige davon beziehen sich auf die vorliegende Sache und sollen hier zur Verdeutlichung angeführt werden. 1. Der menschliche Geist kann und soll an allem zweifeln, außer daran, dass er denkt. 2. Das Übrige kann für uns nicht eher als gewiss und erforscht G gelten, bevor | man klar weiß, dass Gott existiert, höchst gut ist und keine Täuschung will, die unseren Geist in die Irre führt. 3. Vor der Gewissheit der Erkenntnis der göttlichen Existenz kann und soll jeder zweifeln, ob er nicht von solcher Natur ist, dass er sich in allen seinen Urteilen täuscht, auch in denen, die ihm am sichersten und evidentesten erscheinen.
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5. Nur durch göttlichen Glauben kann man erkennen, dass Körper existieren, selbst der eigene. Das Zweite bezieht sich auf die göttliche Weisheit, über die ich in meinem Argument etwas angesprochen habe, das Sie nicht beachtet, jedenfalls unerwähnt gelassen haben. Um das zu erklären, frage ich, ob ein System möglich ist oder nicht, das hinsichtlich der Phänomene der gegenwärtigen Welt gleicht, in welchem [aber] die Substanzen aufeinander wirken? Wenn Sie verneinen, dann erklären Sie deren implikative Verflechtung; wenn Sie bejahen, argumentiere ich so weiter: Es scheint der göttlichen Weisheit mehr entsprochen zu haben, diese Art von System dem anderen vorzuziehen, welches sich nur aus einander nicht beeinflussenden Monaden zusammensetzt; daher hat Gott tatsächlich jene [Welt], nicht diese geschaffen. Die Konsequenz ergibt sich aus Ihren Prinzipien; als Antezedens schlage ich aber Folgendes vor: Im System der vorherbestimmten Harmonie besteht die gesamte Vernunft der göttlichen architektonischen Weisheit (zumindest wenn wir uns an die Naturdinge halten) in der Auswahl der Werkmaterie; im allgemeinen System dagegen betrifft [die Auswahl] auch die Form und Zusammensetzung und unterscheidet sich von der Materiewahl als solcher, sodass man sagen kann: »das Werk hat die Materie übertroffen«, scheint es doch letztlich besser und einer unendlichen Weisheit würdiger. Um das mit einem Beispiel zu illustrieren, frage ich wieder: Welcher Architekt wird in seiner Kunst das Lob der Weisheit verdienen: der, dessen ganze Kunst darin besteht, nicht nur viereckige Steine auszuwählen, sondern sie auch vermittels ihrer Natur einander so anzupassen, dass an dem Ort, an welchen sie zusammengetragen werden, ohne weitere Tätigkeit eines Architekten oder Handwerkers aus ihnen der prächtigste Palast emporwächst, so wie die Dichter erzählen, dass Amphions Lyra die thebanischen Mauern errichtet habe; oder eher einer, der mit von Natur aus zwar rohen und einander keineswegs ebenso harmonisch entsprechenden, aber von einem Handwerker bearbeiteten und dem Ort und der Zeit angepassten Felsen einen ebenso schönen Palast erbaut? Ein anderes Bespiel: Welcher Dichter ist des Zedernholzes würdiger – der ein Gedicht z. B. bloß aus
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Daktylen zusammenfügen würde, die so ausfallen, dass einfach dadurch, dass sie zu Papier gebracht werden, gleich die schönste Melodie entsteht; oder eher einer, der wie Homer oder Maro eine bislang rohe und unbearbeitete Materie durch seine Tätigkeit in eine Form bringt, an Eleganz und proportionaler Ausgewogenheit dem Vorigen nicht ungleich? Eines noch zur Ergänzung: Monaden, die aus eigenem Vorrat G und ohne | gegenseitigen physischen Einfluss alle ihre Modifikationen haben, scheinen ganz genauso gratis gesetzt zu werden, wie eine scholastische Qualität gratis gesetzt würde, deren Natur es wäre, hervorgebracht zu werden und alle Effekte, z. B. Wärme, unabhängig vom Mechanismus und der Mitwirkung der anderen umgebenden usw. Körper hervorzubringen – jene Qualität, mit welcher die neueren Philosophen so viel Wind zu machen pflegen. Doch genug davon. Ich würde gerne wissen, was von der Veröffentlichung Ihres historischen Werkes zu erwarten ist und ob die Abhandlung über die Päpstin Johanna eine Beilage dazu sein soll? Unser Tournemine hat mir geschrieben, es gebe bisher niemand in Frankreich, der etwas gegen die Theodizee vorgebracht hätte. Von den Vorgesetzten wurde ich mit der Übersetzung eines nicht besonders umfangreichen Buches ins Lateinische beauftragt, mit dem Titel: »Lettres d’un Abbé à un Eveque ou l’on demontre l’equité de la constitution Unigenitus etc. et qui peuvent servir de reponse aux libelles qui ont paru contre cette constitution (Briefe eines Abts an einen Bischof, in denen die Berechtigung der Konstitution Unigenitus etc. gezeigt wird, und die als Antwort auf die Bücher, die gegen diese Konstitution erschienen sind, dienen können)«. Der Autor soll unser Pater Alemann sein. Die Übersetzung ist bereits fertig und wird auf dem nächsten Frankfurter Markt erscheinen. In Paris wird ein sehr wichtiges Buch zur Widerlegung von Quesnels Hexapla herausgebracht, es besteht aus zwei Quart-Bänden. Ebenso werden die bisher veröffentlichten Pastoralmandate aller französischen Bischöfe über die quesnelschen Sätze zu einem [Band] zusammengestellt. Leben Sie wohl usw. Aufgegeben in Köln, 20. Juli 1715
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
19. 8. 1715 G CXXIII /D·2, 311–314 (E 28, S / F XXXV). Lateinische Fassung der Beilage: Anhang B 6 Varianten der Beilage nach Dutens (D·2, 314).
¦ Hochwürdigster Pater, verehrtester Gönner! ¦
D
Ihre beharrlichen Einwände sind scharf, und daher antworte ich mit Lust darauf, denn sie belehren mich und erhellen auch die Sache. Ich will mit dem Letzteren beginnen. Mit höchster Wahrscheinlichkeit urteilen wir, dass wir nicht alleine existieren, nicht nur aufgrund des Prinzips der göttlichen Weisheit, sondern auch aufgrund jenes allgemeinen Prinzips, das ich immer wieder einschärfe, dass nichts ohne Grund geschieht, und dass kein Grund einleuchtet, warum unter so vielem anderen Möglichen wir allein vorgezogen werden sollten. Eine andere Frage aber ist, ob Körper Substanzen sind. Denn auch wenn die Körper keine Substanzen wären, wären doch die Menschen zu dem Urteil geneigt, dass die Körper Substanzen seien, so wie alle geneigt sind zu urteilen, dass die Erde still steht, auch wenn sie sich in Wirklichkeit bewegen mag. Ich erinnere mich nicht, dass mir die vom Generalvorsitzenden Tamburini verbotenen Sätze von Ihnen | mitgeteilt wurden; die, wel- G che Sie mir jetzt mitteilen, scheinen Descartes entgegengesetzt und sind für mich ausreichend erwiesen. Sie bringen den fünften, den vierten haben Sie unterschlagen. Es wird mir lieb sein, alle zu bekommen. Honoré Fabri hat in einem publizierten Brief alle besprochen – damals, als er in Blüte stand. Ich glaube nicht, dass ein System möglich ist, in dem die Monaden wechselseitig aufeinander wirken, weil auf keine Art eine Erklärung möglich scheint. Ich füge hinzu, dass ein Einfluss auch überflüssig ist, denn warum soll eine Monade einer Monade geben, was sie schon hat? Offensichtlich ist das die eigentliche Natur der Substanz, dass das Gegenwärtige mit dem Zukünftigen schwanger
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ist und dass aus Einem Alles verstanden werden kann, wenigstens wenn Gott nicht mit einem Wunder einschreitet. Zu Ihrem Gleichnis gestehe ich, dass ein Architekt mit größerer Kunst vorgeht, der die Steine richtig zusammensetzt, als einer, der irgendwoher derart instruierte Steine bekommen hätte, dass sie, wenn sie bloß zusammengetragen sind, sich selbst in eine Ordnung bringen. Aber andererseits, glaube ich, werden Sie eingestehen, dass der ein unendlich kunstreicherer Architekt wäre, der dermaßen gelehrte Steine fabrizieren könnte. Sie machen den Zusatz: Monaden, die aus eigenem Vorrat Modifikationen haben, werden gratis gesetzt, so wie eine ohne Mechanismus wirkende Wärme gratis gesetzt wird. Das ist kein Zusatz, sondern grundlegend; wenn Sie so denken, müssen wir zu den Anfängen zurück, als ob ich nichts geschrieben hätte. Im Übrigen beziehen die Monaden alles aus ihrem eigenen Vorrat – nicht wie die scholastische Wärme auf unaussprechbare Weise, ἀῤῥήτωϚ, ihre Wirkungen hervorbringt, sondern mittels eines bestimmten eminenten Mechanismus, der sozusagen das Fundament und das Konzentrat des körperlichen Mechanismus ist, sodass der Modus, wie das eine aus dem anderen folgt, erklärt werden kann. Dies habe ich mit gutem Grund vorausgeschickt; denn wenn es keine solchen Monaden, wie ich sie begreife, gibt, denken wir vergeblich über ihr Band nach. Jetzt aber komme ich zur Frage, ob dieses Band, wenn es dieses gibt, etwas Substantielles ist. Dieser Ansicht bin ich, und andernfalls erkläre ich es für nutzlos; denn wie wird es sonst eine zusammengesetzte Substanz ausmachen, um deretwillen es einzig eingeführt wird? Aber Sie entgegnen erstens, dass es kein Handlungsprinzip sei, weil es gleich einem Echo sei. Ich antworte erst recht: Der ein Echo wiedergebende Körper ist ein Handlungsprinzip. Dieses Band wird das Prinzip der Handlungen der zusammengesetzten Substanz sein; und wer letztere zugibt (wie es, wenn ich nicht irre, die gesamte Schule tut), wird auch dieses Band zugeben. Hat nicht die Schule bisher substantielle Prinzipien eines Zusammengesetzten, welches ein unum per se bildet, anerkannt, durch welche die Teile vereinigt würden? Warum also sollte sie es uns bestreiten?
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Sie behaupten, nicht einzusehen, warum es nicht etwas Reales geben könnte, das nicht substantiell ist. Hier streiten wir vielleicht um den Namen. Substantiell kann alles genannt werden, was keine Modifikation ist; eine Modifikation ist jedoch | wesentlich mit dem G verknüpft, dessen Modifikation sie ist. Daher kann es keine Modifikation ohne Subjekt geben, z. B. kein Sitzen ohne Sitzenden: Gleichwohl kann man substantiell auch anders definieren: dass es Quelle von Modifikationen ist. Unter dieser Voraussetzung kann gefragt werden, ob es ein Ding gibt, das weder Modifikation noch Quelle von Modifikationen ist; in der Art, wie die Scholastiker die Akzidentien begreifen, die nach ihrer Behauptung natürlicherweise im Subjekt sind, jedoch nicht essentiell, weil sie durch die absolute Macht Gottes ohne Subjekt sein können. Aber ich sehe noch nicht, wie so etwas erklärt werden kann, wenn es sich von meinem substantiellen Band unterscheidet, das wirklich im Subjekt ist, jedoch nicht als ein Akzidens, sondern wie die substantielle Form in der Schule, oder als Quelle der Modifikationen, wenn auch nach Art eines Echos. Daher weiß ich nicht, ob es ein vom Subjekt real getrenntes kategoriales Akzidens gibt, das kein prädizierbares Akzidens ist; und ob es ein prädizierbares Akzidens gibt, das keine Modifikation ist; ebenso habe ich mich schon gefragt, ob es ein vom Subjekt getrenntes kategoriales Akzidens gibt, das keine Modifikation ist. Es sei denn, man will das Substantielle des Zusammengesetzten zu einem solchen Akzidens machen, weil es keine ursprüngliche Quelle, sondern ein Echo ist. Aber auf diese Weise bin ich nicht sicher, ob wir die Substanz des Zusammengesetzten beibehalten können, außer wir wollen sie aus den Akzidentien entspringen lassen. Wie dann aber von Euch die Transsubstantiation, μετουσίωσιϚ,₁₅₀ erklärt wird, ist mir nicht ersichtlich. Ich möchte also lieber sagen, dass zwar nicht die Substanzen, jedoch die Erscheinungsformen, Spezies, übrig bleiben, ₁₅₀ D·2, 312 ohne die hier doppelt wiedergegebene »μετουσίωσιϚ«, d. h. es wird nicht von Transsubstantiation, sondern nur von der Substanz eines Zusammengesetzten gesprochen: »Wie [diese] dann … erklärt wird, …«.
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125. Leibniz an Des Bosses
dass diese aber nicht illusorisch sind, wie ein Traum, oder wie das aus einem konkaven Spiegel gegen uns gerichtete Schwert, oder wie Doktor Faust einen Wagen voll Heu verzehrte, sondern wahre Phänomene, d. h. in dem Sinn, wie der Regenbogen oder ein Parelium ein Erscheinungsbild ist; im Grunde so, wie zufolge den Cartesianern und der Wahrheit die Farben Spezies sind. Und man kann sagen, dass zusammengesetzte Seiende, die kein unum per se sind, bzw. nicht von einem substantiellen Band oder₁₅₁ (wie der Jurist Alfenus in den Digesten, nach Sitte der Stoiker, sagt) von dem einen Geist umfasst werden, Halbseiende sind; dass Anhäufungen einfacher Substanzen, wie ein Heer oder ein Steinhaufen, Halbsubstanzen sind; dass Farben, Gerüche, Geschmäcker etc. Halbakzidentien sind. Dies alles wären, wenn es nur Monaden ohne substantielle Bänder gäbe, bloße Phänomene, wenn auch wahre. Ferner nun dies: Monaden zu haben, oder solche Monaden zu haben, ist zwar für eine zusammengesetzte Substanz natürlich, jedoch nicht essentiell, sondern akzidentell. Es kann nämlich geschehen, dass sie durch die absolute Macht Gottes aufhört, Echo zu sein, und die Monaden von ihr abgetrennt werden. Wenn daher Euren Hypothesen zufolge die substantiellen Bänder der organischen Körper, oder auch der in Brot und Wein eingeschlossenen »una per se«, von Gott aufgehoben werden und dabei die Monaden und Phänomene zurückbleiben, werden die Akzidentien von Brot und Wein übrig G sein, aber als bloße₁₅₂ Phänomene, nicht durch | eine gewisse Illusion, sondern so, wie es überall geschähe, wenn in der Natur keine substantiellen Bänder existierten. Denn sicher wird im Hinblick auf diese Monaden des Brotes und Weins die Sache sich genauso verhalten, als ob niemals substantielle Bänder in ihnen gewesen wären. Aber die substantiellen Bänder der Monaden des Körpers Christi werden denjenigen Einfluss auf die substantiellen Bänder der Mo₁₅₁ Entgegen der Textvorlage D und G – »substantiali (sive ut Alfenus … loquitur)« wurde die erste Klammer hier nach »oder« positioniert. Ähnlich behilft sich Frémont S. 245. ₁₅₂ Lat. »mera«, fehlt in D·2, 312.
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naden unseres Körpers haben, den sonst die substantiellen Bänder der Monaden von Brot und Wein auf sie gehabt hätten, und auf diese Weise wird die Substanz des Leibes und Blutes Christi von uns perzipiert werden. Denn die substantiellen Bänder dieser Monaden werden beseitigt sein, und nach dem Verschwinden der Phänomene von Brot und Wein, bzw. nach der Zerstörung der Erscheinungen, werden sie wiederhergestellt werden müssen, freilich nicht wie sie gewesen waren, sondern wie sie geworden wären, wenn keine Zerstörung verübt worden wäre. Ich befürchte, dass Hr. Hartsoeker Verdacht gegen mich schöpft, weil Sie zu ihm etwas von einem Freund gesagt haben. Was folgt, bitte ich in Ihrem Namen vorzubringen in diesem oder einem anderen genehmen Sinn.₁₅₃ »Das Experiment, das Sie mir übermittelten, mein Herr, ist bemerkenswert und einfach; vielleicht könnte man Vorteil daraus ziehen, dass man wie bereits zuvor auf dem Karton eine Nadel an ihrem Drehpunkt befestigt, die aber noch nicht magnetisiert und auch noch nicht in die Nähe eines Magneten gerückt worden ist, um zu sehen, ob der Magnet, wenn er in seinem natürlichen Zustand ist, eine solche Nadel leichter anzieht, als im umgekehrten Zustand. Denn dann geht es ausschließlich um die Anziehung der Nadel, ohne dass ihre Ausrichtung eine Rolle spielt, die sie ja noch nicht hat.« Meine Annalen gehen raschen Schrittes voran. Die Blüten, auf das Grab einer Päpstin gestreut können gesondert publiziert werden. Ihre vortreffliche Übersetzung der Theodizee befindet sich auf dem Weg; ich habe sie nämlich schon nach Hildesheim geschickt, damit sie Euch bei passender Gelegenheit sicher überbracht wird. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 19. August 1715 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦
₁₅₃ Folgendes bis Absatzende im Original Französisch.
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beilage zu brief 125 vom 19. 8. 1715 (l 67 a) Angemerkt sind inhaltliche Varianten nach D·2, 314 bzw. Schmalenbach Bd. 2, S. 91. Das Stammbaumschema des Originals wird hier als durchnummerierte Liste wiedergegeben. Lateinische Version: Anhang B 6. Auszug DB Monitum *[17]. G
| Die beharrlich bleibende absolute Kreatur, insofern sie weder Handlung-Erleidung noch Relation ist, ist 1) Eins durch sich, vollständiges Seiendes 1.1) Substanz 1.1.1) einfache, Monade, wie Geister, Seelen, welche keinem Einfluss anderer Kreaturen unterliegen. 1.1.2) zusammengesetzte, wie z. B. Lebewesen oder anderes Organisches, welche immer fortbesteht und an einer dominanten Monade haftet, jedoch Einfluss von anderen zusammengesetzten Substanzen erleidet. Sie besteht in der ursprünglichen aktiven und passiven Potenz, d. h. besteht in der ersten Materie, d. i. dem Prinzip des Widerstands, und in der substantiellen Form, d. i. dem Prinzip des Antriebs, denn₁₅₄ man muss wissen, dass es in den Körpern keine wahrhaft neue Kraft gibt, sondern bloß die in ihnen existierende von anderen bestimmt oder modifiziert wird. Wenn nun ein Körper auf einen anderen auftrifft, stößt er ihn an durch Determinierung der darin existierenden, von der inneren Bewegung stammenden elastischen Kraft. Sichtbar wird das, wenn zwei gleiche aufgeblasene Ballons mit gleicher Geschwindigkeit aufeinandertreffen, dabei durch den Zusammenstoß in Stillstand versetzt werden und dann durch die innere elastische Kraft die Bewegung wieder aufnehmen. Dasselbe geschieht bei allen Zusammenstößen, denn die Natur agiert nie durch einen Sprung, d. h. kein Körper geht augenblicklich vom ₁₅₄ Die folgenden Zeilen (von »denn man muss wissen …«) bis zum Ende des Absatzes (»… Fluidum herrührt«) zitiert Des Bosses im »Monitum interpretis« S. *[17], und zwar wortident.
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Stillstand in Bewegung über oder von einer größeren zur kleineren Bewegung oder umgekehrt, sondern über Zwischenstufen, und das erfolgt mittels der elastischen Kraft oder inneren Bewegung, die von dem sie durchdringenden Fluidum herrührt. 1.2) Modifikation₁₅₅ 1.2.1) einer Monade, aus deren eigenem Vorrat stammend und einzig in Perzeption und Begehren bestehend. 1.2.2) einer zusammengesetzten Substanz, die deren wechselweisem Einfluss entstammt und in abgeleiteten aktiven und passiven Potenzen besteht, und zwar, wenn Körper zusammenstoßen gemäß den Bewegungsgesetzen, in Kräften und Widerständen durch Größen und Gestalten. 2) Eins durch Aggregation Halbseiendes, Phänomen 2.1) Halbsubstanz, angesammelt aus Substanzen, wie Chor der Engel, Heer von Menschen, Tierherde, Fischteich, Haus, Stein, Kadaver; und dabei sind von Zusammenhalt 2.1.1) frei: Herde, Haufen 2.1.2) mit Zusammenhalt: Fischteich, Haus beide wiederum 2.1. A) natürlich: Sandhaufen, Stein, Baumstamm₁₅₆ 2.1. B) künstlich: Heer, Haus.₁₅₇ 2.2) Halbakzidens, Erscheinungsform, angesammelt aus Modifikationen von Substanzen 2.2.1) primäres, d. h. einzigartiges,₁₅₈ nämlich abgeleitete Potenz, [und zwar]
₁₅₅ D·2, 314 und Schmalenbach S. 91: »Akzidens oder Modifikation«. ₁₅₆ Der hier 2.1. A) genannte Eintrag lautet in der anderen Version (nach Dutens): »geordnet, z. B. Maschine«. ₁₅₇ Andere Version für 2.1. B): »verworren, z. B. Haufen«, vgl. ebd. ₁₅₈ Nach D müsste stehen: »d. h. mechanisches«.
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2.2.1.1) passive, Widerstand durch Größe und Gestalt, mit einem Wort durch eine bestimmte Textur₁₅₈a 2.2.1.2) aktive: Antrieb 2.2.2) sekundäres oder physisches, dessen Struktur [ratio] von einem verborgenen Mechanismus abhängt, wie z. B. sensibles Akzidens, Farbe, Geruch, Geschmack, ebenso Sympathie, Antipathie etc. Eine solche Qualität ist wiederum 2.2.2.1) passiv, wie Festigkeit, Flüssigkeit, Rauigkeit, Glätte; perzipierbar₁₅₉ 2.2.2.1.1) unmittelbar: Wärme,₁₆₀ Gewicht, Härte 2.2.2.1.2) durch den Effekt: magnetische, elektrische₁₆₁ Kraft, Volatiliät [Tendenz zum Gaszustand] 2.2.2.2) aktiv: Wärme, Kälte, Schwerkraft, elastische Kraft.
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
24. 12. 1715 G CXXIV nach D·6 XXXIX. G
| Mehr als nur ein Brief von mir, so hoffe ich, wurde zusammen mit Ihrer vorzüglichen Übersetzung ordnungsgemäß überbracht, und ₁₅₈a Der Absatz lautet nach D: »passive oder Widerstand, bestimmt durch Größe und Gestalt (z. B. eine Textur).« ₁₅₉ Nach Version D bezieht sich »perzipierbar« samt den beiden Unterrubriken sowohl auf die passiven als auch auf die aktiven physischen (sekundären) Halbakzidentien. Die hier bei G vorgenommene Zuordnung bloß zur passiven Sektion scheint nicht stimmig. ₁₆₀ In der anderen Version steht zusätzlich: »Geruch«. – Da Wärme schlüssig auch als aktive Qualität unter 2.2.2.2. auftaucht, ist hier die alternative Lesart »Farbe« (»color« statt »calor«) zu überlegen. ₁₆₁ Version D hat statt »elektrischer« Kraft die »Ausrichtungskraft« (directrix).
24. 12. 1715
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ich würde das irgendwann gerne erfahren. Ich hoffe aber, dass Ihnen meine Erklärungen, wenn sie Sie schon nicht völlig zufrieden stellen, so doch eine gewisse Gelegenheit gaben, größere Klarheit in das Ihre zu bringen, an dem ich gerne irgendwann beteiligt sein möchte. Ich höre, dass eine neue Ausgabe der Konzilien, besorgt von Eurem berühmten Hardouin, jetzt endlich fertiggestellt wurde. Einen Überblick davon habe ich vor kurzem gesehen. Die Fortsetzung der Geschichte der Sozietät von Ihrem Jouvancy konnte ich noch nicht zu Gesicht bekommen. Dass Seine Eminenz Kardinal Tolomei in die Kongregation des so genannten Heiligen Officiums aufgenommen wurde, freut mich. Ich wünschte, alle in diesem Kollegium wären in Lehre und Maßhalten ebenbürtig. Es heißt, die chinesische Angelegenheit … stände nun bei einem Gesuch des Königs von Portugal, und ich hoffe, dass der Papst seine Dekrete mäßigen oder wenigstens so erklären wird, dass sie Geltung haben können. Es heißt, man erwäge, einen anderen Gesandten nach China zu schicken; man wird jemand fragen müssen, dessen Eifer weniger Heftigkeit und mehr Licht hat als Tournon. Neulich hat mir ein Freund das geschickt, was P. Longobardo aus Eurer Gesellschaft und der Ew. P. Antonio de S. Maria vom Franziskanerorden seinerzeit gegen die Lehren der Chinesen geschrieben haben. Mir scheint das, was sie aus den authentischen Büchern der Chinesen anführen, einen guten Sinn annehmen zu können und nicht darauf reduzierbar zu sein, dass der Haufe der chinesischen Gelehrten heute anders denkt, während der Kaiser selbst für einen vernünftigen Sinn der Alten zu stehen scheint. Wenn Ihnen etwas über diese Dinge oder andere Literatur bekannt wird, teilen Sie es mir bitte mit. Im Übrigen bete ich zu Gott, dass er für Sie dieses Jahr, das bevorsteht, und viele andere glücklich verlaufen lässt. Leben Sie wohl. Aufgegeben in Hannover, 24. Dezember 1715
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
13. 1. 1716 G CXXV nach D·2, 315–318 (E 29, S / F XXXVI: nur das P. S.). D
¦ Hochwürdigster Pater, verehrtester Gönner! ¦
G
| Es freut mich sehr G*, dass es Ihnen gut geht und dass Sie die Sache schön wie gewohnt ausführen. Bei Erhalt Ihres Briefes habe ich gerade eine Untersuchung über die natürliche Theologie der Chinesen beendet, auf Französisch verfasst aus Dank für einen französischen Freund, einen hervorragenden und keinen Parteien ergebenen Mann, worin ich Gott, die Geister und die menschliche Seele von der Lehre der Chinesen aus behandle; ich stütze mich auf jene Autoritäten, die Niccolo Longobardo aus Eurem Orden und der Franziskaner Antonio de S. Maria beigezogen haben, um die Chinesen, auch die alten, des Atheismus zu überführen: Sie waren so weit davon entfernt darin Erfolg zu haben, dass mir vielmehr das gerade Gegenteil am wahrscheinlichsten scheint. Die alten Chinesen scheinen ja sogar über die Philosophen Griechenlands hinaus an die Wahrheit herangekommen zu sein und gelehrt zu haben, dass die Materie selbst eine Hervorbringung Gottes sei. Es freut mich auch sehr, dass Sie schreiben, Herr von Cochenheim habe eine deutsche Übersetzung des Werkes in Angriff genommen, welches der Herr Abbé de St. Pierre, der berühmte Franzose, über die Sicherung des ewigen Friedens veröffentlichte, und darüber auch mein Urteil erbitten. Ich schrieb ihm zwei ziemlich ausführliche Briefe und schickte ihm die Abhandlung, die einst Seine Durchlaucht Ernst, der Landgraf von Hessen, das Haupt der Rheinfelsischen Linie, zu demselben Thema verfertigte. Daher glaube ich, dass Hr. von Cochenheim zum Andenken an den alten Herrn (denn diesem Fürsten verdankt er die Anfänge seines Erfolgs) die Mühe auf sich genommen hat. Ich bitte, bei Gelegenheit ihn aufs Gefälligste von mir zu grüßen. Von der hardouinschen Ausgabe der Konzile habe ich nur den
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Überblick gesehen, in dem die Fehler der Labbé’schen und die Ergänzungen der neuen Ausgabe aufgelistet werden. Sie besteht aus zwölf Bänden. Danke für die Zusendung der Sätze, die vom Generaloberen Tamburini (der noch immer, wie ich glaube, Eure Gesellschaft leitet) verurteilt worden sind; ich meine, dass man die meisten so leicht erfassen kann, dass sie eine Anmerkung verdienen. Ich wollte, der Ew. P. Fonseca wäre in Wien gewesen, als ich dort zu tun hatte. Oft habe ich in Gegenwart von vornehmen Personen und ihnen widersprechenden Euren bei Tischgesprächen die Chinesen verteidigt. Ich glaube, dass durch die Bemühung des portugiesischen Hofes weitestgehend erreicht wurde, dass die römische Kurie behutsamer in dieser Aufgabe vorgeht. Ich wundere mich, dass die Euren schon wieder in Japan zugelassen sind. Es muss dort ein großherziger Gesinnungswandel stattgefunden haben | nach dieser großen G Härte vor noch gar nicht so vielen Jahren. Daher würde ich gerne die Geschichte Eurer Wiederzulassung kennen. Lamindus Pritanius ist, glaube ich, kein anderer als der ber[ühmte] Mann Bernardo Trevisano, ein venezianischer Adeliger, von dem ich weiß, dass er ein Büchlein über den guten Geschmack (del buon gusto) verfasst hat und darin und anderswo denselben fiktiven Namen gebrauchte. Hartsoekers Antwort, welche Sie zu schicken ankündigten, haben Sie vergessen beizulegen. Da Sie die Übersetzung des französischen Buches für die Konstitution »Unigenitus« anfertigen wollten, glaube ich, dass Ihnen das Buch die Übersetzung auch wert schien. Ich möchte meinen, dass die Römischen ganz richtig daran tun werden, die so lange erwarteten Erklärungen abzugeben, denn damit werden sie die Anhänger zufrieden stellen. Niemals haben mir die zu allgemeinen Zensuren gefallen, durch welche Menschen niedergedrückt, nicht belehrt werden. Und ich fürchte, dass wir uns mit einer Menge Zensuren abmühen, die oft den Vorwand dafür abgeben, gute und gelehrte Männer zu quälen. Fein ist die Stelle Eures Sforza Pallavicino – noch nicht Kardinal, glaube ich, als er das schrieb – und gänzlich nach meinem Geschmack; wenn die Gerichtsastrologie, wenn die Chiromantie,
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wenn die Signaturen der Dinge, mit denen gewisse Personen um sich werfen, wahr wären, dann müsste man die Sache der göttlich prästabilierten Harmonie zuschreiben. In der Theodizee selbst habe ich eine Stelle von P. Francisco Suarez über die Gebete der Glücklichen notiert, die seiner Meinung nach durch eine prästabilierte Harmonie Erfolg haben. Ich warte von unserem Hof auf die Genehmigung, den JuniBand der Antwerpener Hagiographen (der uns noch fehlt) zu kaufen, was am besten in Köln zu einem fixen Preis geschehen kann, wie mir aus Antwerpen durch einen Freund verraten wurde. Dann mag man auch gleich dafür sorgen, dass Euer Jouvancy angeschafft wird, von dessen eleganter Diktion ich andere Proben gesehen habe. Wo er jetzt lebt, würde ich gerne wissen. Er wird recht daran tun, zu ergänzen, was dem Werk allenfalls seit Beginn der Sozietät fehlt. Ich hoffe auch auf die Fortsetzung Eurer Bibliothek, die unter Bonannis Herausgeberschaft endlich in Rom publiziert werden sollte. Gerne würde ich das Verzeichnis der jetzt lebenden Euren, die durch schriftliche Veröffentlichungen bekannt sind, erwerben. Die lateinische Theodizee ist, glaube ich, dort willkommener, wo man die französische Sprache weniger verwendet, etwa in Mitteldeutschland, in Italien und auch bei den Engländern, ganz zu schweigen von den Spaniern. Im letzten Sommer war Herr Gerard Cornelius van den Driesch bei mir, der auf Ihre Bekanntschaft (und wahrlich verdient) stolz ist; hin und wieder schreibt er mir einen Brief: ihn besser zu kennen wäre mir nicht unlieb. Ich möchte, dass er Gelegenheit erhält, bei irgendeinem adeligen jungen Mann seine Gaben zu entwickeln. Im Übrigen leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen, und verbringen Sie das neue Jahr fröhlich mit vielen anderen. Hannover 13. Jänner 1716 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦ P. S. Das Philosophische wollte ich auf einem eigenen Blatt zusamG menfassen; gleich vorweg bezeuge ich, | die Sache gleichsam unbe-
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stochen erwogen und, soweit möglich, Vorurteile beiseite gelegt zu haben; so gehe ich nun das Ihre durch. Wenn ich sage, dass die Materie indifferent ist, verstehe ich darunter, dass in ihr reine Passivität ist. Feinsinnig ist Ihr Einwand bezüglich der Indifferenz der Zeit, nämlich welchen Grund wird es so geben, dass die Welt gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen wird? Ich räume ein, dass es keinen gibt, antworte aber auch, dass es keinen realen Unterschied macht, ob man sie als jetzt oder vor tausend Jahren geschaffen annimmt, weil die Zeit nur eine Ordnung der Dinge und nichts Absolutes ist. Dasselbe denke ich auch vom Raum. Identisch ist das, wovon niemand, auch nicht ein Allwissender, einen Unterschied angeben kann. Ich erinnere mich kaum noch, welches Argument ich in dem Brief im französischen Journal 1691 für die Aufstellung des Unterschieds zwischen Ausdehnung und Materie gebrauchte; im Übrigen begreife ich Ausdehnung als Ordnung des Koexistierens von Teilen außerhalb von Teilen, die sich durch die Abstände erklärt, d. i. durch die Größe des kürzesten Weges von dem einen zum anderen Auseinanderliegenden. Sie fragen sodann, ob Ausdehnung ein Modus des Körpers oder etwas Absolutes ist. Letzteres sagt Ihnen besser zu. Denn der Körper bestehe in natürlicher Trägheit, formal sei er unausgedehnt. Wie schon die aktive Kraft keine Modifikation eines passiven Dinges ist, so wird die Ausdehnung keine Modifikation eines durch sich unausgedehnten Dinges sein. Diesem Argument des Ähnlichen billigen Sie hier zweifellos selbst nur eine wahrscheinliche Gültigkeit zu. Wir wollen sehen, ob es eine ausreichende [Wahrscheinlichkeit] gibt. Zuerst nun scheint man gegen den Vergleich einwenden zu können, dass die aktive Kraft eine neue Perfektion sei; dagegen ist die Ausdehnung oder Position von Teilen außerhalb von Teilen eher eine Unvollkommenheit, weil sie ein Ding der natürlichen Zerstörung unterwirft. Sodann fordert die Materie oder das Passive keine aktive Kraft heraus, derart dass die Materie natürlicherweise in aktive Kraft umschlüge, wenn sie durch kein Wunder gehindert würde. Doch die Materie ist so beschaffen, dass sie von Natur aus Ausdehnung besitzen wird, wenn sie nicht durch göttliche
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Allmacht gehindert wird. Auch daher scheint sich zu bestätigen, dass sie [sc. Ausdehnung] eine Modifikation ist; denn eine Substanz verlangt nur ihre eigenen Modifikationen. Wenn schließlich Ausdehnung nichts anderes als die Ordnung ist, der zufolge Teile außerhalb von Teilen sind, dann ist sie tatsächlich nichts anderes als eine Modifikation der Materie. Die Ausdehnung als Absolutes zu begreifen entspringt der Quelle, dass wir den Raum nach Art einer Substanz begreifen, auch wenn er in keinem höheren Grad Substanz ist als die Zeit. Deshalb nannten früher die Scholastiker richtig einen Raum ohne Dinge imaginär – eine Sache, wie es eine Zahl ohne gezähltes Ding ist. Anders Denkende geraten in erstaunliche Schwierigkeiten. Dass nach Beseitigung der Monaden eine Ausdehnung bleibt, ist meines Erachtens ebenso wenig wahr, wie dass nach Aufhebung der Dinge die Zahlen bleiben. Ich sehe nicht, wie man begreifen könnte, dass das, was die PhäG nomene realisiert, außerhalb der | Substanz ist. Denn jenes Realisierende muss bewirken, dass die zusammengesetzte Substanz etwas Substantielles außerhalb der Monaden enthält; andernfalls wird es keine zusammengesetzte Substanz geben, das heißt, werden die Dinge bloß Phänomene sein. Darin meine ich nun völlig mit den Scholastikern übereinzustimmen, und ich glaube, dass deren erste Materie und deren substantielle Form, die ursprünglichen Potenzen – nämlich die aktive und passive – des Zusammengesetzten, und das vollständige Resultat daraus, tatsächlich jenes substantielle Band sind, das ich beständig einfordere. Wenn ich sagte, das substantielle Band sei das Prinzip der Handlung eines Zusammengesetzten, wenden Sie erstens ein, dass die zusammengesetzte Substanz in den substantiell modifizierten Monaden gelegen sei. Das gebe ich aber nicht zu, denn was bedeutet es, dass Monaden substantiell modifiziert werden? Ich würde meinen, dass nichts substantiell modifiziert wird. Und weil nun in der Tat das wahre Kriterium einer Substanz die Handlung ist: wenn die zusammengesetzte Substanz nicht selbst, insofern sie zusammengesetzt ist, handelt, wird es keine zusammengesetzte Substanz sein, sondern bloß ein Phänomen, da sie nichts beinhaltet als Monaden
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und Modifikationen von einzelnen [Monaden], ohne jede reale gegenseitige Verknüpfung – weder eine physische (die ich schon seit langem ausschließe) noch eine metaphysische, die durch Vereinigung erfolgt. Sie wenden zweitens ein, das substantielle Band sei das Prinzip des Widerstands; so ist es – allerdings des Zusammengesetzten, denn es ist sozusagen die eigentliche passive Potenz des Zusammengesetzten. Aber auf diese Weise, werden Sie sagen, wird die Ausdehnung Prinzip des Widerstands sein. Ich weigere mich aber, dem zu folgen, denn die Ausdehnung unterscheidet sich ganz und gar von der passiven Potenz, da sie nur die Lage dessen ausdrückt, was bereits eine passive Potenz besitzt. So kann ich offen sagen, dass nichts in diesen Einwänden erwähnenswert scheint. Andererseits sehe ich auch nicht, wie eine neue Substanz formal anders entstehen soll als durch bestimmte neue substantielle Attribute. Meine Lehre von der zusammengesetzten Substanz scheint daher die Lehre der peripatetischen Schule selbst zu sein, außer dass diese keine Monaden anerkennt. Aber diese füge ich ohne Schaden für die Lehre selbst hinzu. Einen anderen Unterschied werden Sie schwerlich finden, auch wenn Sie den Geist anstrengen. G
* Dieser Brief bezieht sich auf ein Schreiben von des Bosses, das nicht vorhanden ist.
. DES BOSSES AN LEIBNIZ DB
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Wenige Tage bevor ich Ihren letzten, fürwahr sehr erfreulichen Brief erhielt, hatte ich irgendwo ein Gerücht aufgeschnappt, dass es Ihnen etwas schlechter geht; aber Ihr Brief hat mich so gut wie überzeugt, dass dieses Gerücht falsch war, und meinen Kummer weggewischt, da er nicht nur nichts Derartiges, sondern vielmehr | alles andere G
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zu verstehen gibt. Sobald Ihre Abhandlung über die natürliche Theologie der Chinesen erschienen ist, werde ich sie sehr gerne lesen; sie wird gewiss Ihren Gedanken über die Philosophie des Fu Xi entsprechen und die Zustimmung aller Gelehrten, zumindest derer, die sich keiner Partei verschrieben haben, gewinnen. Was jetzt der Stand der japanischen Angelegenheit ist, was die Erwartungen sind, werden Sie aus einem Brief unseres Fonseca erfahren, der, wie ich geglaubt habe, noch vor meiner Antwort zu erwarten war und den Sie als Beilage hier finden werden. In einem kleinen Buch – als Autor gilt unser Jean Dez –, erschienen vor 16 Jahren in Lüttich, finde ich etwas, das zur Stützung des Ansehens von Niccolo Longobardo und Antonio de Santa Maria beiträgt. Das Ganze läuft darauf hinaus: Longobardo war zwar außergewöhnlich in Bezug auf Frömmigkeit und Eifer, aber in den philosophischen und theologischen Wissenschaften nicht ebenso gebildet, er hat nämlich bei uns nicht einmal den Grad eines Lehrbefugten erworben. Sodann habe Longobardo das geschrieben, als diese Fragen heiß waren, nicht um es in Druck zu geben, sondern damit man angesichts der diesbezüglich erhobenen Einwände über die ganze Sache besser und gediegener urteilen könne. Als daher von dem Dominikaner Navarrete Longobardos kleines Werk in Spanien herausgegeben wurde, kann, ebenso wie der Titel geändert wurde, auch vieles andere durch Zusätze oder Kürzungen usw. verändert worden sein. Antonio de Santa Maria aber, an sich ein frommer und religiöser Mann nach dem Zeugnis des Dominikaners Pater Sarpetri, der einige Jahre mit ihm lebte, habe so fest an einem Vorsatz festgehalten, dass er auch in leichten und belanglosen Dingen kaum einmal von der eigenen Ansicht abweichen konnte usw. Wenn Sie es der Mühe wert finden, schicke ich Ihnen demnächst die ganze aus Dez abgeschriebene Stelle. Da Ihnen im Übrigen die indischen Angelegenheiten so sehr am Herzen liegen, weise ich darauf hin, dass P. Stephan Bremmer aus unserer Gesellschaft jetzt in Hildesheim lebt, ein ungewöhnlich tüchtiger und gelehrter, seit vielen Jahren mit mir befreundeter Mann, den, nachdem er portugiesisch Indien in einem Zeitraum
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von acht oder neun Jahren betreut hatte und vom Erzbischof von Cranganor zu Geschäften nach Rom geschickt wurde, eine Krankheit befiel, worauf die Vorgesetzten ihn anwiesen, in Europa zu bleiben und in unsere Provinz, aus der er weggegangen war, zurückzukehren. Von diesem Augenzeugen werden Sie, wenn Sie möchten, sehr viel hören – mit demselben Vergnügen, glaube ich, mit dem ich selbst öfters an den Lippen des Erzählers gehangen bin. Ich weiß, er wird auf Ihren Wink zu Ihnen eilen. Obzwar der Vertrieb der hardouinschen Ausgabe der Konzilien in Frankreich verboten oder zumindest ausgesetzt wurde – weil nämlich einige behaupten, dass darin etwas enthalten sei, das von der Gesinnung der Gallikanischen Kirche abweicht –, erfahre ich dennoch von unseren Buchhändlern, dass die meisten Exemplare davon in Belgien zu haben sind, sodass Buchhändler, wenn sie zwölf | Exemplare der gesamten Ausgabe erwerben wollen, das einzelne G zum Preis von sechzig Reichstalern haben können. Der letzte Band der Hagiographen (dessen Übersicht ich hier beilege) ist hier erhältlich und kostet sieben Reichstaler. Ich werde ihn schicken, wenn Sie es anordnen, zusammen mit der Jouvancy’schen Geschichte (die sich, wie ich anderswo sagte, auf fünf Reichstaler beläuft), und die von mir lateinisch übersetzten Briefe eines Abts an einen Bischof beilegen, damit Sie beurteilen können, ob das Resultat der Mühe wert war. Herr Gerard Cornelius van den Driesch hält sich, glaube ich, da er von uns weggegangen und noch nicht in Köln aufgetaucht ist, beim vornehmen Grafen von Nesselrode in Herten auf, dessen Söhne er in unserem Gymnasium hier vor wenigen Jahren zu Schülern hatte. Er ist durchaus kein schlechter Mann, doch von der Begabung her mehr für die Humandisziplinen als für die strengeren geeignet. Ich protegierte ihn immer, so viel ich konnte, aber nicht wenige vermissen das Urteilsvermögen bei ihm. Dass die Hoffnungen, deretwegen er sich nach verbreiteter Ansicht von uns entfernt hat, Täuschungen waren, sieht er jetzt endlich ein. Ich bedaure das Schicksal des guten Mannes, sehe aber nicht, worin ich ihm von Nutzen sein könnte.
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Ich hatte beschlossen, diesem meinem Brief gesondert (nach Ihrem Beispiel) etwas beizulegen, das ich zu Ihren letzten philosophischen Überlegungen notiert habe, aber da es noch nicht möglich war, es auszuformulieren, wird es bis zur nächsten Post aufgeschoben werden müssen. Leben Sie wohl etc. Aufgegeben in Köln, 7. März 1716 P. S. Die Arbeit an der Theodizee schreitet schön voran; hochgelehrte Männer sehen sie durch, die ich ganz besonders auswählte. Hartsoekers Antwort, falls ich sie vergessen habe, schicke ich jetzt endlich.
beilage antwort von herrn hartsoeker
Auf die Frage, die sie mir in jenem Brief gestellt haben, mit dem Sie mir am 23. dieses Monats die Ehre erwiesen, ob der Magnet, wenn er sich – wie Sie sagen – in seiner natürlichen Lage befindet, d. h. wenn sein nördlicher Pol auf den Südpol der Erde zeigt, das Eisen stärker anzieht als im gegensätzlichen Zustand, zögere ich nicht, Ihnen G mit Ja zu antworten, | weil er im ersten Fall von der magnetischen Materie unterstützt wird, die rund um die Erde zirkuliert, und im anderen diese Strömung ihm entgegengesetzt ist; aber es ist nichts schwieriger, als dies in Erfahrung zu bringen, da diese Strömung von extremer Schwäche ist. Um sie dennoch so stark wie möglich zu machen, befestigte ich eine kleine Eisenkugel an einem Rohseidenfaden mit der Länge von ungefähr zehn Fuß und konnte feststellen, dass diese Kugel stärker von einem Magneten angezogen wurde, wenn dessen nördlicher Pol auf den Südpol der Erde zeigte. Aber da die Strömung der magnetischen Materie der Erde fast Null ist und sie durch ihre extreme Schwäche außerstande ist, auch nur den dünnsten Eisenfaden zumindest gerade noch wahrnehmbar anzuziehen, muss man für dieses Experiment einen Magneten wählen, der eine so geringe Kraft hat, dass sie fast null ist, um sie so weit wie
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möglich an die der Erde anzugleichen. Ich hoffe, dass diese Antwort Sie in irgendeiner Art und Weise befriedigt und Sie mir die Gnade erweisen, von ihr überzeugt worden zu sein etc.
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
11. 4. 1716 G CXXVII nach D·6 XL / D·5, 443 f.
Da ich Ihnen vor kurzem ausführlich geschrieben habe, wollte ich diesen [Brief] jetzt allein aus Erkenntlichkeit für einen Freund an Sie richten. Es ist Herr Gerard Cornelius van den Driesch, der Sie außerordentlich verehrt; nachdem er im vergangenen Sommer hierher ausgezogen war, hat er das auch in meinen Augen durch Vielerlei bezeugt. Er verlangt jetzt dringend Ihre Hilfe und will auch mich als Unterhändler benutzen, obgleich ich das nicht für nötig halte. Ich füge aber hinzu, er scheint mir Ihrer und anderer Gunst würdig, auch wenn er vielleicht bei einigen der Ihren in Ungnade gefallen ist, durch wessen Schuld auch immer. Doch ich glaube, dass Weise den Jugendlichen leicht vergeben, wenn diese getrieben vom Anreiz des Ruhmes die Grenzen etwas überschreiten, die ihnen von den Alten vorgeschrieben werden. Er hofft, Anschluss an den Sohn des Bruders Seiner Exzellenz des apostolischen Nuntius finden zu können, wenn Ihre Fürsprache zu Hilfe käme. Ich wage zu versprechen, dass diese Gefälligkeit gut investiert ist und seiner Reue Ihnen gegenüber keinen Abbruch tut: er wird sich dabei sicher geflissentlich anstrengen. Er ist in der schönen Literatur gut bewandert, wie es die Auffassung der meisten heute verlangt, was meines Erachtens auch die Basis wahrer Bildung ist, insbesondere bei ihm, der sich der Jurisprudenz und politischen Studien zuwenden will, wo großes Gewicht auf Kenntnis der Geschichte und des Altertums gelegt wird, ohne welche man auch die römischen Gesetze nicht richtig
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| aufzufassen pflegt – um vom öffentlichen und privaten Recht unseres Reiches und erst recht den kirchlichen kanonischen [Rechten] zu schweigen. Unter diesen Umständen zweifle ich nicht, dass Sie tun werden, was immer Ihr höchst umsichtiger Gerechtigkeitssinn und Ihre wohlwollende Neigung zu ihm und zu mir erlaubt. Leben Sie wohl. Aufgegeben in Hannover, 11. April 1716
. LEIBNIZ AN DES BOSSES L
29. 5. 1716 G CXXVIII nach D·2, 318–323 (E 30, S / F XXXVII, W 10). Zitat in DB Monitum *[17]. D
¦ Hochwürdigster Pater, verehrtester Gönner! ¦ Wie es in der Geometrie manchmal vorkommt, dass gerade aus der Voraussetzung, etwas sei verschieden, folgt, dass es nicht verschieden ist – welche Art des Schließens, die sich schon bei Euklid findet, Cardano, Clavius und andere behandelten: so wird jemand, der annimmt, die Welt wäre früher geschaffen worden, entdecken, dass sie nicht früher geschaffen wurde, weil es keine absolute Zeit gibt, sondern sie nur die Ordnung von Abfolgen ist. Ebenso wird man mit der Annahme, das ganze Universum bewege sich von der Stelle, wobei der Abstand aller Dinge voneinander gleich bleibe, nichts ausrichten, weil der absolute Raum etwas Imaginäres ist und außer dem Abstand der Körper nichts Reales in ihm ist; mit einem Wort, es handelt sich um Ordnungen, nicht um Dinge. Solche Voraussetzungen rühren von falschen Ideen her. Wenn also die Welt nicht ewig ist, ist es völlig gleichgültig, welche Zeit man für ihre Entstehung angibt: wenn wir daran nicht festhalten, werden wir ins Absurde verfallen und denen, die für die Ewigkeit der Welt sprechen, nicht Genüge tun können. Es würde nämlich folgen, dass Gott et-
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was ohne Grund gemacht hätte, denn es ist nicht möglich, einen Grund eher für diese als für eine andere Anfangszeit anzugeben, weil kein Unterschied bezeichnet werden kann. Aber eben deshalb, weil man den Unterschied nicht bezeichnen kann, urteile ich, dass es eine Verschiedenheit auch nicht gibt. So konnte also die Welt früher entstehen, aber gerade dann wird man sie als ewig behaupten müssen. Dass die Materie von Natur her Ausdehnung erfordert, heißt, dass ihre Teile natürlicherweise eine gegenseitige Ordnung des Koexistierens erfordern. Oder wollen Sie das bestreiten? Eben dadurch, dass Punkte so liegen, dass keine zwei sind, zwischen denen es nicht einen mittleren gibt, gibt es eine kontinuierliche Ausdehnung. Es liegt in Ihrem Ermessen, das Band, das Komposita realisiert, einen substantiellen Modus zu nennen. Aber dann besetzen Sie Modus mit einem anderen Sinn, als wir gewohnt sind. Tatsächlich wird er nämlich die Basis der zusammengesetzten Substanz sein. Dieser Modus ist dann aber ein dauerhaftes Ding, | keine Modifi- G kation, die entsteht und vergeht. Doch er ist kein Modus der Monaden, weil sich in den Monaden nichts verändert, ob Sie ihn nun setzen oder aufheben. Ich sage nicht, dass es zwischen Materie und Form ein mittleres Band gibt, sondern dass die substantielle Form des Zusammengesetzten und die im scholastischen Sinn verstandene erste Materie, das heißt eine ursprüngliche, aktive und passive, Potenz, in dem Band selbst als der Essenz des Zusammengesetzten [enthalten] sind₁₆₂. Indessen ist dieses substantielle Band ein Band auf natürliche, nicht auf essentielle Weise. Es beansprucht nämlich Monaden, aber beinhaltet sie nicht essentiell, weil es ohne Monaden existieren kann, und die Monaden ohne es. Wenn das die Phänomene Realisierende etwas außer Monaden voraussetzen würde, wäre das Zusammengesetzte bereits realisiert, entgegen der Hypothese. Was immer außer den Monaden und Mo₁₆₂ Lat. lapidar »inesse« für »enthalten sind«.
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difikationen der Monaden existiert, ist eine Folge des die Phänomene Realisierenden. Auch entstehen echte zusammengesetzte Substanzen nicht, außer für die Sinne; denn, wie ich oft gesagt habe, nicht nur die Seele, sondern auch das Lebewesen bleibt. Nur Modifikationen und Aggregate (aus Substantiaten) entstehen oder vergehen, das heißt Akzidentien oder Seiende per Akzidens. Doch nach der vernünftigen Ordnung der Dinge (auch ohne Rücksicht auf eine göttliche Weisheit) urteilen wir, dass wir nicht alleine existieren, weil kein vernünftiger Grund für ein Vorrecht von Einem ersichtlich ist. Anders werden auch Sie niemanden vernünftig überzeugen können, der behaupten würde, dass er alleine existiert und die anderen von ihm nur geträumt werden. Einen Grund gibt es hingegen für das Vorrecht des Existierenden vor dem Nichtexistierenden, oder dafür, dass nicht alles Mögliche existiert. Auch wenn übrigens keine Kreaturen außer dem Perzipierenden existierten, würde die perzipierte Ordnung göttliche Weisheit bezeugen. Daher liegt hier kein Zirkel vor, obwohl die Weisheit Gottes auch a priori, nicht bloß aufgrund der Ordnung der Phänomene gilt. Denn aufgrund dessen, dass sich Kontingentes findet, findet sich ein notwendiges Seiendes, das intelligent ist, wie ich in der Theodizee gezeigt habe. Wenn die Körper bloß Phänomene wären, würden die Sinne deswegen nicht getäuscht werden. Denn die Sinne berichten ja nichts von metaphysischen Dingen. Die Wahrhaftigkeit der Sinne besteht darin, dass die Phänomene untereinander zusammenstimmen und wir durch die Vorgänge nicht betrogen werden, wenn wir den durch Erfahrungen gestützten Gründen ehrlich folgen. Eine Substanz ist tätig, soviel sie kann, wenn sie nicht gehindert wird; nun wird zwar auch eine einfache Substanz behindert, jedoch natürlicherweise nur innerlich, von sich selbst. Wenn also gesagt wird, dass eine Monade von einer anderen behindert wird, ist das auf die Repräsentation einer anderen in ihr zu beziehen. Der Urheber der Dinge hat sie aufeinander abgestimmt, das eine, sagt man, leidet, wenn seine Betrachtung der Betrachtung eines anderen weicht.
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| Ein Aggregat zerfällt in Teile, eine zusammengesetzte Substanz G nicht; diese verlangt nur Komponenten, besteht aber nicht essentiell aus ihnen, sonst würde sie zu einem Aggregat. Sie wirkt mechanisch, weil sie ursprüngliche, d. i. essentielle, und abgeleitete, d. i. akzidentelle Kräfte in sich hat. Sie ist ein Echo der Monaden, und aufgrund dieser ihrer einmal gesetzten Beschaffenheit erfordert sie Monaden, hängt aber nicht von ihnen ab. Auch die Seele ist ein Echo der Außendinge und dennoch von den Außendingen unabhängig. Weil weder die Monaden noch die zusammengesetzten Teilsubstanzen das ganze Wesen einer zusammengesetzten Substanz ausmachen, kann die zusammengesetzte Substanz unter Bewahrung der Monaden oder anderer Ingredientien aufgehoben werden, und umgekehrt. Wenn die Körper bloße Phänomene wären, würden sie trotzdem als Phänomene existieren, z. B. ein Regenbogen. Sie sagen, Körper können etwas anderes als Phänomene sein, auch wenn sie keine Substanzen seien. Ich glaube, wenn es keine körperlichen Substanzen gibt, schwinden die Körper zu Phänomenen. Auch die Aggregate sind nichts anderes als Phänomene, weil das, was über die eintretenden Monaden hinausreicht, bloß durch Perzeption hinzugefügt wird, eben derart, dass es gleichzeitig perzipiert wird. Wenn außerdem allein die Monaden Substanzen wären, wäre eines von beiden notwendig: entweder dass die Körper bloße Phänomene wären, oder dass ein Kontinuum aus Punkten entstände, was bekanntlich absurd ist. Reale Kontinuität kann nur durch ein substantielles Band entstehen. Wenn außer den Monaden nichts Substantielles existieren würde, d. h. wenn das Zusammengesetzte bloß Phänomen wäre, wäre die Ausdehnung selbst nichts als ein Phänomen, das aus gleichzeitigen koordinierten Erscheinungen entspringt, und eben damit würden sich alle Streitigkeiten über die Zusammensetzung des Kontinuums aufhören. Was aber zu den Monaden hinzugefügt wird, damit die Phänomene realisiert werden, ist keine Modifikation der Monaden, weil sich in deren Perzeption nichts ändert. Denn die Ordnungen, bzw. die Relationen,
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die zwei Monaden verbinden, sind nicht in einer der beiden Monaden, sondern in beiden zusammen gleichzeitig, das heißt in Wahrheit in keiner, sondern allein im Geist; Sie verstehen diese Relation nicht, wenn Sie kein reales Band hinzufügen, d. h. etwas Substantielles, das das Subjekt der gemeinsamen oder verbindenden Prädikate und Modifikationen ist. Denn ich glaube auch nicht, dass von Ihnen ein Akzidens behauptet wird, welches gleichzeitig in zwei Subjekten enthalten ist, und, sozusagen, einen Fuß in dem einen, den anderen in dem anderen hat. Nicht die kontinuierliche Quantität fügt Undurchdringlichkeit hinzu (denn sie wird auch dem Ort zugeschrieben), sondern die Materie. Auch Ihr selbst behauptet, dass die Undurchdringlichkeit von der Materie nur in Anspruch genommen wird und nicht von ihrer Essenz ist. Eine zusammengesetzte Substanz besteht nicht formal in den G Monaden und deren | Unterordnung, denn so wäre sie bloßes Aggregat oder Seiendes per Akzidens, sondern sie besteht in einer aktiven und passiven ursprünglichen Kraft, woraus die Qualitäten und Handlungen und Erleidungen des Zusammengesetzten entspringen, die mit den Sinnen erfasst werden – gesetzt, dass sie mehr als Phänomene sind. Sie sagen, substantiell modifiziert werden bedeute, dass Monaden einen Modus haben, der sie zu einem natürlichen Prinzip von Operationen macht. Aber was, bitte, ist jener Modus – ist er eine Qualität? eine Handlung? Verändert er die Perzeptionen der Monaden? Nichts davon darf man sagen; es ist eine wahrhafte Substanz, kein Monaden-Modus, auch wenn die Monaden ihr natürlicherweise entsprechen. Die Monaden sind kein Prinzip von Operationen nach außen. Ich weiß nicht, was Sie veranlasst, die Substantialität des Zusammengesetzten zu einem Modus der Monaden, d. h. in Wahrheit zu einem Akzidens zu machen. Nichts zwingt uns zu der Behauptung, dass Substanzen entstehen und vergehen; letztlich, wenn wir es behaupten, werden wir die Natur der Substanz eliminieren und in die Aggregate bzw. Seienden per Akzidens zurückfallen. Was man trivial Substanzen nennt, sind in Wahrheit nur Substantiate. Solange
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die peripatetischen Philosophen an ein wirkliches Entstehen und Vergehen von Substanzen glaubten, verfielen sie in unerklärbare Schwierigkeiten in Bezug auf den Ursprung der Formen und anderes, die alle durch meine Erklärungsart verschwinden. Es ist so, wie Sie sagen: Wenn jene die Phänomene realisierende absolute Substanz gesetzt wird, hat man sofort die Substanz des Zusammengesetzten; aber sie wird von Gott, sofern er regulär handelt, nur gesetzt, wenn es Ingredientien gibt, nämlich Monaden oder andere zusammengesetzte und partielle Substanzen. Indessen sind diese Ingredientien nicht formal enthalten; sie werden in Anspruch genommen, nicht notwendig erfordert. Daher können sie durch ein Wunder wegbleiben, das heißt diese Ingredientien sind nicht formal konstitutiv; sie sind konstitutiv bei Aggregaten, nicht bei wahren Substanzen. Sie werden sagen, wenn eine zusammengesetzte Substanz da ist₁₆₃, aber die Monaden oder Ingredientien nicht da sind, wird niemand sagen, dass ein Zusammengesetztes da sei. Ich antworte: Niemand wird es sagen, außer er ist eingehend belehrt, dass ein Wunder stattfindet; so wird niemand sagen, dass der Leib Christi in der Eucharistie anwesend sei, außer er ist eingehend darüber belehrt, dass dies als Wunder₁₆₄ geschieht. Verzeihen Sie, dass ich sprunghaft schreibe und deshalb vielleicht nicht immer überzeuge; denn ich kann nicht auf früher Geschriebenes zurückgreifen. Daher entsteht vielleicht manchmal ein gewisser Eindruck eines Widerspruchs. Trotzdem, nachdem die Sache durchsucht ist, wird es mehr an der Art der Darstellung als an ₁₆₃ Der Übersetzung liegt eine Korrektur des Hrsg. aus lat. »abest« (so bei G und D·2, 321) zu »adest« zugrunde, sodass der Satz lautet: »cum substantia composita adest, monades vero vel ingredientia non adsunt, nemo dicet adesse compositum«. Ersteres würde bestenfalls die Trivialität ergeben: »[…] wenn keine zusammengesetzte Substanz da ist, vor allem aber die Monaden […] nicht da sind, wird niemand sagen, dass ein Zusammengesetztes da sei.« Denselben Eingriff nimmt übrigens auch Frémont (S. 256, vgl. 260 Anm. 7) vor. ₁₆₄ G: »miraculo« (»durch ein Wunder«), offenbar eine verkürzte Abschrift von »miraculosè« (»auf wundersame Weise«) bei D·2, 321.
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den Dingen liegen. Ich weiß nicht, ob, wo und wie ich gesagt haben könnte, dass die Modifikation eines nichtausgedehnten Dinges ein ausgedehntes Ding macht. Jede Vollkommenheit bezieht sich nach meinem Urteil auf die Richtschnur der Weisheit. Zudem geht die Richtschnur der Weisheit dahin, dass die größte Vollkommenheit herbeigeführt wird, die ein Ding in sich fasst. Wenn daher gewisse Vollkommenheiten mit anderen kompatibel sind, werden sie nicht verworfen werden. So ist nun die Vollkommenheit der prästabilierten Harmonie beschaffen, G die sich ja auch auf höhere Gründe | stützt. Im Übrigen bewirkt die jeder Monade eigene Relation, dass sie nicht wechselweise aufeinander wirken, da jede einzelne für alles, was in ihr selbst vorfällt, ausreicht; was immer Sie in ihnen selbst hinzufügen, ist belanglos. Sie fragen schließlich, wodurch sich meine zusammengesetzte Substanz von der Entelechie unterscheidet. Ich sage, dass sie sich nur wie das Ganze vom Teil unterscheidet, m. a.W. dass die erste Entelechie des Zusammengesetzten ein konstitutiver Teil der zusammengesetzten Substanz ist, nämlich die ursprüngliche aktive Kraft. Aber sie unterscheidet sich von der Monade, weil sie das ist, was die Phänomene realisiert; die Monaden dagegen können auch existieren, wenn es keine Körper, nur Phänomene gäbe. Übrigens begleitet von Natur aus die Entelechie der zusammengesetzten Substanz immer ihre beherrschende Monade: und so wird eine Monade – wenn man sie zusammen mit der Entelechie begreift – die substantielle Form des Lebewesens beinhalten. Nichts hindert, dass ein Echo das Fundament für anderes sein kann, vor allem wenn es ein ursprüngliches Echo ist. Wenn die Monaden, streng gesprochen, den zusammengesetzten Substanzen akzidentell zufallen, selbst wenn sie mit ihnen in natürlicher Weise verknüpft sein sollten, dann bedeutet die Absicht, diese zu beseitigen, dass man die Bedenklichkeit gewisser Griechen erneuert, die behaupten, dass sogar die Akzidentien von Brot und Wein beseitigt worden seien. Schließlich dürfen Wunder nicht ohne Notwendigkeit vermehrt werden. In Wahrheit gehören die Monaden zur Quantität, die selbst nach dem Willen der Scholasti-
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ker erhalten bleibt. Es ist nicht unbedeutend, dass das, was die Phänomene realisiert, bei einer Substanz gänzlich vorhanden ist und einer anderen fehlt. Kurz: Aus diesen zwei Positionen – dass es eine zusammengesetzte Substanz gibt, die den Phänomenen Realität verleiht, und dass eine Substanz natürlicherweise weder entsteht noch vergeht – folgt alles Meinige hier, obwohl tatsächlich bereits allein aufgrund der ersten Voraussetzung oder aufgrund des bloßen Postulats, dass die Phänomene Realität außerhalb eines Perzipierenden haben, nunmehr der Beweis für die verbesserte peripatetische Philosophie möglich scheint. Denn dass eine Substanz weder entsteht noch vergeht, kann auch schon daraus geschlossen werden, dass wir sonst in Verwirrung geraten. Weiters ergibt sich daraus der formale Unterschied zwischen einer zusammengesetzten Substanz und einer Monade, und nochmals zwischen einer zusammengesetzten Substanz und einem Aggregat, und ebenso die Unabhängigkeit einer zusammengesetzten Substanz von den Ingredientien, deretwegen man sie eben zusammengesetzt nennt, auch wenn sie nicht aus ihnen angehäuft ist. Daher sagen wir nun, dass eine Substanz, und zwar auch eine zusammengesetzte (z. B. Mensch, Lebewesen), der Zahl nach dieselbe bleibt, nicht nur in der Erscheinung, sondern auch wahrhaftig, selbst wenn sich die Ingredientien fortwährend ändern und im ununterbrochenen Fluss befinden. Und weil wir somit behaupten, dass die Ingredientien selber durch die Natur allmählich und stückchenweise von der Substanz abgesondert werden, warum gestehen Sie nicht sozusagen eine Absonderung durch ein Wunder zu, total und gleichzeitig, als Aufhebung jeder zusammengesetzten oder die Phänomene | realisierenden Substanz, die im Irdischen ist, G und deren Ersetzung durch ein die Phänomene Realisierendes im Bereich des Himmlischen. Ich glaube also nicht, von der Lehre der Schulen in Bezug auf körperliche Substanzen abzuweichen, außer in diesem einen Punkt, dass ich die Erzeugung und Zerstörung einer wahren, sei es einfachen oder zusammengesetzten, Substanz beseitige, weil ich sie weder notwendig noch erklärbar finde, und auf diese Weise jene Philosophie von zahllosen Schwierigkeiten befreie. Aber so beschränke ich die körperliche oder zusammen-
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gesetzte Substanz einzig auf Lebendiges, m. a.W. allein auf die organischen Maschinen der Natur. Das Übrige sind für mich bloß Aggregate von Substanzen, die ich Substantiate nenne; ein Aggregat jedoch konstituiert nur Eines per Akzidens. Zu dem, was Sie über Zenons Punkte sagten, füge ich hinzu, dass diese nur Grenzbegriffe, Termini, sind und daher nichts zusammensetzen können: aber auch einzelne Monaden setzen kein Kontinuum zusammen, weil sie von sich aus überhaupt keine Verbindung haben, jede beliebige Monade ist gleichsam eine gesonderte Welt. In der ersten Materie dagegen (denn die zweite ist ein Aggregat) oder im Passiven der zusammengesetzten Substanz ist die Grundlage der Kontinuität enthalten, weshalb ein wahres Kontinuum aus aneinander gelegenen zusammengesetzten Substanzen entsteht – außer wenn von Gott auf übernatürliche Weise die Ausdehnung aufgehoben wird, nachdem er die Ordnung zwischen jenen Koexistierenden, die einander, wie man glaubt, durchdringen, aufgehoben hat. Und vielleicht in diesem Sinn habe ich gesagt, dass die Ausdehnung eine Modifikation der ersten Materie oder des formal Nicht-Ausgedehnten sei. Diese Art von Modalität liegt aber in der Mitte zwischen den essentiellen und akzidentellen Attributen, denn sie besteht in einem natürlichen ewigen Attribut, das nur auf übernatürliche Weise verändert werden kann. Ich glaubte und hatte Ihnen als gewiss geschrieben, dass Lamindus Pritanius identisch mit Bernardo Trevisano sei, dem venezianischen Adeligen. Aber das hat neulich ein niederländischer Journalist in Zweifel gezogen, der Lodovico Muratori, bekannt durch die für den Herzog von Modena verfassten »Comachienses«, zum Autor macht. Dass₁₆₅ ich den Menschen in der Bekehrung mit brechendem Eis verglichen habe, muss entsprechend der Natur eines jeden Subjekts angenommen werden. Der Widerstand, der im Menschen durch ₁₆₅ Dieser Absatz (»Dass« bis »besteht«) wird in DB Monitum *[17] zitiert, unter Auslassung von »brechendem« (»quae frangitur«) und »jeden« (»cuiusque«) im ersten Satz.
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Gnade überwunden₁₆₆ wird, ist vital, da er in Vorurteilen des Verstandes und Leidenschaften des Willens besteht. Ich bitte Sie, bei Gelegenheit daran zu denken, Herrn von Cochenheim zu grüßen, sowie auf die chinesischen und japanischen Angelegenheiten nicht zu vergessen und mich auch dem Ew. P. Fonseca zu empfehlen. Bezüglich der Bücher werden jetzt wegen der Abwesenheit des Hofes die Anweisungen langsamer gehandhabt, vor allem weil wir auf den König und die höchstrangigen Minister warten. Ich habe einmal überlegt, was man jemandem von den Euren sagen müsste, der jede zusammengesetzte Substanz, d. i. alles die Phänomene Realisierende, als überflüssig abschaffen wollte. Unter dieser Voraussetzung würde die Substanz des Körpers selbst | in konstitutiven Phänomenen bestehen, so wie die Akzidentien G in resultierenden Phänomenen bestehen; so besteht z. B. die Natur des Weißen in Blasen, wie Schaum, oder in irgendeinem ähnlichen Gewebe, dessen Perzeption unbeobachtet in uns ist. Das Akzidens des Weißen₁₆₇ würde aber in jener beobachteten Perzeption bestehen, durch welche wir Weißes erkennen. Wenn daher Gott anstelle des Weißen ein Schwarzes einsetzen würde, unter Beibehaltung der Akzidentien des Weißen, würde er bewirken, dass alle Perzipierenden (in der wechselseitigen Übereinstimmung der Perzipierenden besteht nämlich die Wahrheit des Phänomens) die beobachtete Perzeption des Weißen und seine Auswirkungen, m. a.W. die Perzeption des aus dem Konstitutiven Resultierenden beibehalten; aber sie hätten eine unbemerkte Perzeption nicht von Schaum oder kleinen Gebirgen (das ist von einer das Weiße ausmachenden Textur), sondern ₁₆₆ Die Übersetzung entspricht der lat. Lesart »superatur« (… »überwunden wird«), die Des Bosses im Monitum Interpretis S. *[17] bringt. G und dessen Vorlage D·2, 322 haben stattdessen »separatur« (»… beiseite gestellt wird«). ₁₆₇ Die Übersetzung »Akzidens des Weißen« folgt hier D·2, 323 (»accidens … albi«), während bei G »alibi« steht, was eventuell »Das Akzidens würde aber in etwas anderem, (nämlich) in der bemerkten Perzeption bestehen, durch welche …« hieße.
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von Tälern oder einer das Schwarze ausmachenden Textur. Daher würden alle beobachtbaren Perzeptionen des Brotes bleiben, aber für die konstitutiven Phänomene (die auch von uns perzipiert werden, aber unmerklich) wird die universale Perzeption der konstitutiven oder unmerklichen Phänomene des Fleisches unterschoben. Leben Sie wohl. So bittet etc. Hannover, 29. Mai 1716 D ¦ Ergebenst G. W. Leibniz ¦ P. S. Verzeihen Sie bitte meine sehr verworrene Schrift. Ich hatte vor, diesen Brief viel schneller zu senden, aber es ist Verschiedenes dazwischengekommen. Was ist mit Herrn van den Driesch, den ich für Ihrer Gewogenheit nicht unwürdig halte? Ich habe ihn ermuntert, die Euren, wie es sich ziemt, in Ehren zu halten und die kleinen Zwistigkeiten aus seinem Herzen zu streichen. Er verspricht es zu tun.
ANMERKUNGEN
¹ Bei dem als »Buch« angesprochenen Manuskript des römischen Jesuiten Tolomei, das Leibniz zur Begutachtung bei sich hatte, handelt es sich vermutlich um das nie publizierte »Supplement zu Bellarmin«, mit dem Leibniz schon ein Jahr zuvor befasst war (vgl. Brief an Tolomei vom 6. 1. 1705, GP·7, 462; sowie unten Nr. 8 und 19, Schluss). Neben diesem Werk besaß er auch Tolomeis »Philosophia mentis …«, die 1696, zuletzt 1702 erschienen und ihm von Des Bosses übermittelt worden war: vgl. Leibniz’ Brief vom 17. 12. 1705 im Anhang 1. ² Anspielung, möglicherweise auf Leibniz’ Aufsatz Considérations sur les principes de vie … vom Mai 1705 (Histoire des Ouvrages des Savans). Im Übrigen behandeln u. a. die Publikationen De ipsa natura … (1698), »De primae philosophiae emendatione« (1694) und das Système nouveau (1695) auch dieses Thema. Vgl. auch Anhang 1 mit Anm. 4, S. 407. ³ Im vierten Buch von Aristoteles’ Metaphysik (Γ, 1004 b8) heißt es im Hinblick auf den besonderen Gegenstand der Philosophie (Alles, Eins, Seiendes) zum Unterschied vom vielerlei Einzelwissen: »Und nicht darin irren diejenigen, die hierüber nachdenken, dass dies etwa nicht zur Philosophie zu rechnen sei, sondern vielmehr darin, dass sie übersehen, dass doch das Wesen, von dem sie nichts verstehen, früher ist.« Aristoteles: Metaphysik. Übersetzt und hrsg. von Franz F. Schwarz. Stuttgart 1984, S. 86. ⁴ Im hier angesprochenen Pariser Journal des Sçavans (Savans) lagen bis dahin von Leibniz sechs Artikel zu Naturwissenschaft und Mathematik (1675 bis 1682, Ravier Nr. 79–83b) und achtzehn weitere Beiträge seit 1692 vor, darunter das Système nouveau (Juni 1695) und zehn andere Texte zur Metaphysik (vier an Foucher, an Nicaise 1693, an Varignon 1702 und weitere Ausführungen zum eigenen System und zur Descartes-Kritik Juni 1691, Nov. 1696 und Aug. 1697) (vgl. Ravier 109, 117, 122, 126, 128, 147, 148, 151, 152, 162). – In einer andere Pariser Zeitschrift (»Mémoires de l’Académie Royale des Sciences de Paris«) waren von Leibniz die Explication de l’Arithmetique Binaire (1703) über
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Anmerkungen
das binäre Zahlensystem und die chinesische, Fu Xi zugeschriebene Notation gemäß Yin und Yang abgedruckt (vgl. dazu den Brief Nr. 57 und die dortige Anm. 142, 155); zu den in Paris und Trévoux hrsg. Mémoires de Trévoux hatte er bis dato drei Brieftexte über Infinitesimalrechnung, cartesische Naturphilosophie und Theologie beigesteuert (Jan. und Nov. 1701; Sept. 1701. Ravier Nr. 157, 160, 161). ⁵ In den Leipziger Acta Eruditorum hatte Leibniz bis Jänner 1706 zumindest 55 Beiträge publiziert, beginnend mit Februar 1682 (Ravier Nr. 84–96, 101–108, 110–113, 116, 118, 121, 123–125, 127, 131–134, 137–140, 142–144, 146, 149, 150, 154–156, 158, 159, 163, 164, 168, 169), darunter die wichtigen »Meditationes de cognitione, veritate et ideis« (1684), »De primae Philosophiae emendatione« (1694), Specimen Dynamicum (1695) und De ipsa Natura … (1698), es ging daneben aber u. a. auch um Kontroversen über Glauben und Vernunft. ⁶ Vgl. Leibniz an Tolomei, 17. Dezember 1705, in: GP·7, 467 f., übersetzt in Anhang 1; vornehmlich zur dogmatischen Theologie und Rekonziliation der teils autobiographische Brief vom 6. Jänner 1705, ebd. S. 462–466 (Auszug übertragen im Anhang 2). ⁷ »Conatus« kann auch »Trieb« (lat. meist »nisus«, auch »instinctus«, »impetus«) bedeuten; bei Hobbes steht er für infinitesimale Bewegung, bei Spinoza ist er sogar das beharrende aktuale Wesen eines Dinges. Um eine durchgängige Übersetzung zu gewährleisten, fiel die Entscheidung zugunsten der etwas sperrigen »Strebung«. Semantisch überschneidet sich das mit den »appetitiones« oder »appetitus«, denen im vorliegenden Band das dt. »Begehren« vorbehalten bleibt. Vgl. dazu auch die Anm. 319 unter Nr. 103, und die Einleitung 3.1. Das im lat. Text kaum verwendete »nisus« wird als »Drang« wiedergegeben. »Antrieb« dagegen steht für »impetus« (das nur an einer Stelle ebenfalls mit »Drang« übersetzt ist). Auf den Terminus »Trieb« wurde somit verzichtet. Dieser ist zwar in Biologie, Psychologie und Psychoanalyse eingegangen, und gerade Leibniz verhalf ihm indirekt mit zum Durchbruch, doch besteht hier im Rahmen der wissenschaftlichen (bes. physikalischen) und metaphysischen Dynamik um 1700 noch kein terminologisches Monopol. Vgl. weitere Hinweise zur Differenzierung des Dynamischen in Mittelstraß 2. Aufl. Bd. 2, S. 86 f., sowie HWBP 1, Sp. 1028 f. und 6, Sp. 857–866. ⁸ Eine schriftliche Ausarbeitung von Des Bosses zur mathemati-
Anmerkungen
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schen Analysis ist nicht überliefert. Vgl. ex negativo Blondel, de Certeau, Mathieu, Sommervogel, Warnach. ⁹ »ἀρρήτουϚ«: Die lateinische Tradition spricht hier auch von »okkulten«, verborgenen Qualitäten (vgl. Frémont S.86), was jedoch die Grenzziehung zwischen Sagbarem und Unsagbarem verwischt, die schon bei Platon in Brief 7 die Nähe zur unaussprechlichen Sache selbst markiert und so das Kennzeichen wahrer Philosophie ergeben hatte. Vgl. Benedikt, Michael: Philosophischer Empirismus III: Spekulation. Wien 2001, Teil 1, bes. S. 85 f. und 119; dass., Teil 2, S. 214 Anm. 66 et passim; Philosophischer Empirismus IV · Sprache und Gesellschaft, Teil 1. Wien 2003, S. 132–150. ¹⁰ Gemeint ist die literarische Republik und Öffentlichkeit (vgl. Wiater, Frémont), aber auch der Staat (vgl. z. B. Leibniz’ Wortgebrauch nach Scheel S. 702). ¹¹ Zu diesem letztlich nicht zustande gekommenen Philosophiebrevier – ein durchgängiges Motiv des vorliegenden Briefwechsels – vgl. de Certeau: La »Clavis Lycaei« du Père Bartélémy des Bosses, a.a.O., S. 572 ff. ¹² Lat. »virtus«, hier und im Folgenden meist nicht im Sinn von »Tugend«, sondern gleichbedeutend mit »vis«, Kraft, verwendet. ¹³ Lat.: »ad meros terminos facultatis«. Angesichts der terminologischen Übermacht wolffianischer und kantischer Tradition wird »facultas« hier mit »Vermögen« wiedergegeben; sinnvoll wäre etwa auch »Fähigkeit«. ¹⁴ Für »Handlung« (sonst auch »actio«, »actus«) steht hier lat. »operatio« – ein Aktivitätsbegriff, der in scholastischer Tradition sehr allgemein als Tätigkeit eines Seienden im Sinn des sog. Zweitakts, actus secundus, verstanden wurde (während der actus primus nicht der Tätigkeit, sondern der Substanz an sich zukomme) (vgl. Mittelstraß 2. Aufl. Bd. 2, S. 1079 f., dort auch – nebst HWBP 6, Sp. 1208 ff. – zur intellektualistischen bzw. psychologistischen Verengung der »operatio« in der Neuzeit). Aufgrund dieser allgemeinen (wenn auch spezifizierten) Bedeutung wird im Vorliegenden dieser Terminus in einer größeren Bandbreite auch noch als Operation, tätige Ausführung, Tätigkeit, Wirkung, Tat übersetzt. ¹⁵ Tournemine – vgl. dessen »Conjectures sur l’union de l’ame & du corps«, Mémoires de Trévoux 1703. Leibniz’ Antwort: Remarques de
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Anmerkungen
Monsieur de Leibnits sur un endroit …, erschien im März 1708. Die publizistische Debatte über Leibniz’ im Système nouveau 1695 vorgestelltes Harmoniekonzept von Seele und Körper zog sich somit über Jahre, wie auch im vorliegenden Briefwechsel, und verschärfte die Unterscheidung zwischen metaphysischer Union zum einen und bloß phänomenaler Harmonie zwischen Seele und Körper zum anderen. Zusätzlich zu Frémont, die hierzu a.a.O. S. 87, Anm.8, auch auf die Principes de la Nature et la Grâce sowie Vorwort und § 59 der Theodizee verweist und das »vinculum substantiale« als metaphysische Lösung der Leib-Seele-Relation anspricht, ist allerdings das Moment des »superadditum«, d. h. des metaphysischen Zusatzes zu der organischen Leiblichkeit bzw. Seele, sowie das »außerhalb von Seelen« (S. 253) in Erinnerung zu rufen, um nicht vorschnell den Eindruck eines leibnizschen Monismus entstehen zu lassen. – Abgesehen von den weiteren Komplexionen zu körperlicher Substanz – zusammengesetzter Substanz – Realisierung komplexer Phänomene – substantielle Form – Entelechie im gesamten Briefwechsel vgl. zur vorliegenden Stelle die Briefe Nr. 3–5, 11, 41, 52, 60, auch 66, und 98 (insbesondere S. 14, 16 ff., 40, 73, 103 f., 129, 159, 173, 256); weitere Einzelheiten im Register sowie der Einleitung S. XXXV–XXXIX . ¹⁶ Des Bosses sprengt hier die zweitausendjährige Zitierkette mit einem Lapsus: Die von Aristoteles in der Nikomachischen Ethik III·1, 1110 a1–3, aufgestellte Definition des Gewaltsamen spricht nicht vom inneren (»intrinseco«), sondern »äußeren« (ἔξωθεν) Ursprung einer Handlung: »Gewaltsam ist, dessen Ursprung außerhalb liegt, derart, dass der Handelnde oder Leidende dazu nichts beiträgt, wenn z. B. Wind einen antreibt oder Menschen, die herrschen« (»βίαιον δὲ οὗ ἡ ἀρχὴ ἔξωθεν, τοιαύτη οὖσα ἐν ᾗ μηδὲν συμβάλλεται ὁ πράττων ἢ ὁ πάσχων, οἷον εἰ πνεῦμα ϰομίσται ποι ἢ ἄνθρωποι κύριοι ὄντεϚ«) (Aristotelis Opera Bd. 2, a.a.O. S. 1110); ebenso die Referenz darauf bei Thomas von Aquino (z. B. Summa contra Gentiles I·19: »violentum est, cuius principium est extra nil conferente vim passo« – »Denn das Aufgezwungene ist ›das, dessen Prinzip außerhalb ist, wobei das Zwang Erleidende nichts dazu beiträgt‹«; Text und Übers. a.a.O. S. 72 f.; vgl. auch Summa Theologiae Ia 2ae qu. 6·21) und Francisco Suarez (Index locupletissimus zu Buch Fünf, Kap. 5 der Metaphysik Aristoteles’ · Disputationes Metaphysicae, a.a.O. S. XVIII ), der gleichwohl zum Wort-
Anmerkungen
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laut der Des Bosses’schen Definition beisteuert: »violentum esse, quod est ab extrinseco, passo non conferente vim […]« – »gewaltsam ist, was von außen kommt, indem das Erleidende keine Kraft beisteuert.« ¹⁷ Der Aufsatz erschien erst im März 1708 im Journal de Trévoux. ¹⁸ Die Konzeption der Selbstähnlichkeit, in Verbindung mit der Monadologie und deren unendlichen Verschachtelungen, wurde u. a. von Benoit Mandelbrot (The fractal Geometry of Nature, 1982) als Leibniz’ Beitrag zur Fraktaltheorie gewürdigt. Vgl. Mandelbrot a.a.O., bes. S. 31, 413 f. und 425 f. ¹⁹ Lat. »extremitates«. Zu Punkten als Grenzbestimmung (von Linie, diese von Fläche, diese von Körper) nach der Lehre der Stoa vgl. auch die entsprechende Anm. zu Des Bosses’ »Clavis Lycaei« im Anhang 9; in Verbindung mit »Grenze« und »Teilung«, zum Unterschied von der unteilbaren und nicht lokalisierbaren Einheit (monás), vgl. Aristoteles Metaphysik Δ, 1016 b24–31 und Β, 1001 b10; siehe auch Zenon von Elea. ²⁰ Bei dieser (gestrichenen) Wendung ist an Kants Amphibolievorwurf gegen Leibniz zu erinnern (»Kritik der reinen Vernunft« B 324–336), dass nämlich Leibniz in seiner Monadologie u. a. Innen und Außen verwechsle, ohne die grundsätzliche Differenz zwischen intelligibler und sinnlichempirischer Perspektive, Verstand und Anschauung, zu berücksichtigen, vielmehr rein intellektualistisch verfahre. Dieser Vorwurf, den mundus sensibilis völlig zu verfehlen, ist anhand vorliegender Auseinandersetzungen über körperliche Phänomene und Perzeptionen, deren Realität wie auch Synthesis durch substantielle Bänder, zweifellos nochmals im Hinblick auf den »transzendentalen Ort« zu überdenken. ²¹ Die Übersetzung legt in Anlehnung an die Parallelstelle S. 104 ein lat. »altioris« zugrunde; nach dem lat »altoris« bei Look (S. 69) könnte diese Frage allenfalls »ins Tätigkeitsgebiet des Welterhalters« gehören. ²² Vgl. Mémoire de Mr. Leibnitz touchant son sentiment sur le calcul différentiel in den Mémoires de Trévoux vom November 1701. Auch Leibniz’ erster Aufsatz in den Mémoires (Jänner 1701) über Pinson handelte von der Infinitesimalrechnung. ²³ Specimen Dynamicum,1695. Die zitierte Stelle (Schluss von § 5) vgl. in der lat.-dt. Ausgabe, a.a.O., S. 12/13.
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Anmerkungen
²⁴ Zweitursache, causa secunda, ist eine von einer Primärursache abhängige Ursache; scholastisch meist das Geschöpf, abhängig vom Schöpfer als erstem Beweger oder Verursacher und dessen Mitwirkung. Instrumente (causa instrumentalis) und Okkasionalursachen sind ebenfalls »causae secundae«. (Vgl. R. Specht in HWBP 1.) ²⁵ Die Übersetzung »Stück« für »grossum« ist einem Vorschlag von Herbert Breger zu verdanken; sie wurde dem Ausdruck »Größe« vorgezogen, weil dieser nicht notwendig an Zählbares – so wie hier – gebunden ist. Am Rande sei erwähnt, dass Frémont (a.a.O. S. 93 und 98) für »grossum« hier auf eine Maßeinheit des 16. Jhs., = 12 Dutzend, Bezug nimmt. ²⁶ Lat. »subsistere«. In der europäischen Scholastik wurde »Subsistenz« manchmal als die eigenständige Seinsweise ohne Akzidentien von jener der Substanz als Grundlage von Akzidentien unterschieden. Allerdings war der Begriff der Subsistenz, in Anspruch genommen in der Trinitätstheologie und Ontologie seit der Spätantike, keineswegs immer so deutlich bestimmt. Vgl. insbesondere im Verhältnis zu Substanz, Person, Hypostase, Wesen, ousía, ousíosis, Suppositum, Existenz, Essenz: Ch. Horn in HWBP 10, Sp. 486–493. ²⁷ So auch Frémont S. 94 und Wiater S. 231; buchstäblich: Unendlichstel und Unendlichfache. ²⁷a Vgl. hierzu Leibniz: »Principium quoddam generale« (1688?), in: Philosophische Schriften 4, a.a.O., S. 235; und Brief an Varignon vom 2. 2. 1702, ebd. S. 253. ²⁸ Für »zugrunde liegt« ist in diesem Fall auch »subsistiert« zu lesen (»subsistit«). ²⁹ Für »Monas«, den im Lateinischen verwendeten korrekten, dem Griechischen nachgebildeten Singular von Monaden (monades), steht in der Übersetzung das gängigere »Monade«. ³⁰ Système nouveau von 1695. ³¹ Leibniz’ Annalen zur Welfengeschichte. ³² Paulus, Röm 7, 22–23: »In meinem Innern freue ich mich am Gesetz Gottes, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft im Streit liegt und mich gefangenhält im Gesetz der Sünde, von dem meine Glieder beherrscht werden.« Die Bibel. Einheitsübersetzung, a.a.O. S. 125 ³³ Das »peccatum originale« Adams wurde vom Concilium Triden-
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tinum als »Erbsünde« festgelegt, wird hier jedoch distanter als »Ursünde« übersetzt. ³⁴ »musste auftreten«: im Lat. bloß »futura erat«. ³⁵ Leibniz verwendet hier für die Antriebsspannung den Terminus »Elasma«. ³⁶ Vgl. das ab Brief Nr. 1 erwähnte »Supplement zu Bellarmin«, auch in Nr. 19, Schluss. Die Neuausgabe von Tolomeis »Philosophia mentis et sensuum« war dagegen schon 1702 erschienen. ³⁷ Vgl. Tamburini sowie Nr. 124 vom 20. 7. 1715, S. 328 f. ³⁸ Ein Buch namens »Wissenschaft vom Unendlichen« hat Leibniz nie publiziert. Vgl. aber, wie auch Anm. 41 zu Leibniz’ folgendem Brief Nr. 11, das Register. ³⁹ Nicht ermittelt; gemeint sein könnte das Schreiben vom Dezember 1705: vgl. Anm. 1 zu Brief Nr. 1 und Anhang 1. ⁴⁰ Vgl. Leibniz’ Bekämpfung des cartesischen »Irrtums« über Bewegung und Ausdehnung seit der Brevis demonstratio vom März 1686 (Acta Eruditorum, siehe auch Frémont S. 106). ⁴¹ Zu Leibniz’ Schriften zum Unendlichen vgl. Register: Leibniz. ⁴² Als »synkategorematisch« werden seit der »modernen Logik« der Scholastik Ausdrücke ohne eigenständige Bedeutung (z. B. Konjunktionen, logische Konstanten) bezeichnet, im Gegensatz zu den »kategorematischen« Termini mit präziser Bedeutung im Sinn von (singulärem oder pluralem) Dingbezug. »Hyperkategorematisch« weist auf die Überschreitung dieses diskret-limitierten Moments hin. In Bezug auf das Unendliche resümiert Leibniz hier – worauf Frémont S. 106 verweist – neuzeitscholastische Definitionen (etwa der Conimbricenser oder Eustachs von St. Paul). ⁴³ Aristoteles argumentiert gegen das Vakuum (kenón) ausführlich im 4. Buch der »Physik«, Kap. 6 bis 9 (213 a 12 – 217 b28), und bestreitet dabei mit einer langen Reihe von Argumenten, dass das Leere Voraussetzung für Bewegung sei. U. a. erlaube es keine Vergleichsrelation: »Jede Bewegung steht zu einer Bewegung im Verhältnis (lógos) (denn sie findet in der Zeit statt; und jedes Zeitstück steht zu einem Zeitstück in einem Verhältnis, sofern beide begrenzt sind); ein Verhältnis zwischen Vakuum und Vollem gibt es aber nicht« (216 a9 ff.; a.a.O. S: 193), womit auch »für das Leere selbst gilt, dass es unbeweglich ist; denn die Geschwindigkeiten wären nicht vergleichbar« (217 a10, a.a.O. S. 199).
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Anmerkungen
Die Bewegung im Vakuum müsste also ohne bestimmte Geschwindigkeit resp. unendlich klein sein – wie ein Punkt im Verhältnis zur Linie, ein in Zahlen nicht ausdrückbares Verhältnis: »Genauso kann auch das Leere zum Vollen kein Verhältnis haben, also auch die Bewegung nicht« (vgl. ebd. 215 b18 ff.; a.a.O. S.190/191; Übersetzungen modifiziert vom Hrsg.). ⁴⁴ Aristoteles bestimmt Tugend und Laster (etwa Schlechtigkeit) mehrfach als Gegensatz, in der Nikomachischen Ethik z. B. Buch II 1104b 27 ff., 1109a 16 ff.; III 1113b, VII 1145a 15 ff. usw.; den formal-schematischen Gegensatz zwischen Tugend und Laster macht in all diesen Varianten das Einnehmen der Mitte versus Verfehlen der Mitte durch Übermaß bzw. Mangel aus. ⁴⁵ Vgl. die Anm. 43 zum vorigen Brief Nr. 11. ⁴⁶ Vgl. obige Fußnote 11 zu S. 42. ⁴⁷ Die explizite Unterscheidung eines objektiven und eines formalen Universale bzw. »conceptus« stammt aus der frühen Thomistenschule, sie begegnet etwa auch als Opposition von »universale metaphysicum« (fundamentale) und »universale logicum« (formale). In Des Bosses’ Andeutung bleibt übrigens offen, ob das objektiv Universale – wie in der Averroes’schen Tradition der Aristoteles-Rezeption – als intentionales gedankliches Objekt oder als reales, extramentales auftritt. Doch prägt die im scholastischen Universalienstreit entwikkelte Differenzierung eines »Prädizierens« des Allgemeinen realer Wesen gegenüber dem nominalistischen »Repräsentieren« vieler Einzeldinge in Einem (Ausdruck, Zeichen) bereits die vorliegende Problemstellung. Leibniz’ in Nr. 8 (S. 33) geäußerte Formel für die Perzeption: »Ausdruck von Vielem in Einem« ist die Umdrehung der klassischen Definition von Aristoteles für das Allgemeine: »ἕν κατὰ πολλῶν«, »Eins von Vielem« (Zweite Analytiken I, 11, 77 a6), das die lateinische Kommentartradition mit »Universale est unum in multis et de multis« bzw. »pluribus inesse« weitergegeben hat. Vgl. die Akzentuierung des Universalienstreits bei S. K. Knebel, a.a.O. ⁴⁸ Exzerpt in G nicht vorhanden. Es beginnt mit Esparzas erster Untersuchung über die Engel (vgl. RK 45506). ⁴⁹ Thomas von Aquino: Summa Theologiae; vgl. aber auch, über Des Bosses’ Angaben hinaus, im selben Teil die Quaestiones 50 bis 53 (vgl. außerdem Frémont S. 112 f.).
Anmerkungen
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⁵⁰ Vgl. die Lancierung des Breviers seit Leibniz’ Brief vom 2. Februar 1706 (Nr. 2, Anm. 11 zu S. 8). ⁵¹ Vgl. S. 43 in Nr. 12 vom 20. 9. 1706. ⁵² Von den fünf ökumenischen Laterankonzilien fand das erste 1123, das letzte 1512–1517 statt. Nach Frémont (S. 112) ist hier das 4. Lateranense von 1215 angesprochen. Dieses verlieh u. a. der Ansicht Ausdruck, Engel seien körperlose Geister. Die bloß »diskursive« im Gegensatz zur »definitiven« Behandlung eines Problems bedeutete allerdings seit den Vätern, dass vorerst nur geprüft und debattiert wurde, ohne ein Dogma festzuschreiben. Vgl. auch Des Bosses’ Ausführungen im »Monitum Interpretis«, Anhang 8 S. 441 f. und 446 f. ⁵³ Zur Aufnahme dieser Stelle von Suarez in die Theodizee vgl. Nr. 127, Anm. 377 zu S. 342. ⁵⁴ Augustinus meint an der von Leibniz bezeichneten Stelle, dass dämonische Geister, auch wenn sie unkörperlich sind, sich an körperliche Flammen heften können. Bei Thomas dagegen heißt es, »dass die Dämonen nicht wie wir ihren Körpern untertan sind, sondern vielmehr einen Körper haben, der ihnen unterworfen ist, wie Augustinus in ›De Genesi ad litteram‹ sagt.« Thomas von Aquino: Quaestiones disputatae · De malo, qu. XVI, art. 1, resp. contra 1, a.a.O. S. 339. (Übersetzung vom Hrsg.; vgl. auch den Hinweis von Frémont). ⁵⁵ Vgl. Nr. 12, S. 43 und Nr. 14, S. 47. ⁵⁶ Die »himmlischen Wesen« (ourániai ousíai) sind nach PseudoDionysios Areopagita (um 500 n. C.) in drei Triaden gegliedert: Erstens »die, die immer um Gott steht und … ohne Vermittlung mit ihm eins geworden ist«, nämlich die Throne, die Cherubim und Seraphim. »Die zweite […] sei die von den Mächten (exousíai) und Herrschaften (kyriótetai) und Kräften (dynámeis) ausgefüllte, und die dritte im Bereich der letzten himmlischen Hierarchien sei die der Engel und Erzengel und Prinzipien (archaí).« Pseudo-Dionysius Areopagita: Hierarchien VI, a.a.O. S. 43; griech. vgl. ders., Corpus II, a.a.O. S. 26 f. ⁵⁷ Die zitierte Stelle findet sich nicht in Anmerkung I, sondern H, ab der 2. Auflage von Bayles »Dictionnaire«. Vgl. auch Bayle: Dictionary, a.a.O., Bd. 4, sowie die dt. Auswahlausgabe: Historisches und kritisches Wörterbuch, a.a.O. S. 314 f. ⁵⁸ Lat. »moles« (wörtlich auch Last oder sehr großes Quantum). Wiewohl Leibniz und Des Bosses die Ausdrücke »moles« und »massa«
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Anmerkungen
im naturphilosophischen Zusammenhang anscheinend austauschbar für »Masse« verwenden, hat man die »massa« auch explizit als DichteQualität der zweiten Materie von »moles« als gesamter Quantität eines Dinges mit Bezug auf ein Gewichtsmaß – so Micraelius (a.a.O. Sp. 722 und s. v. Moles) – metaphysisch abzusetzen versucht (wenn auch nicht eben scharf). In vorliegenden Brief- und Anhangtexten liegt immer »massa« zugrunde, falls nicht »moles« angegeben ist. ⁵⁹ Grobe, nur mit Vorbehalt aufzustellende, regional variierende Vergleichswerte aus der Zeit um 1700 – z. B. 2 1/3 Reichstaler für ein Paar gediegene Stiefel, 8 für eine Kuh oder 16 für ein Arbeitspferd – belegen zumindest allgemein einen relativ hohen Bücherpreis. (Nach mündlicher Auskunft von Prof. Wolfgang Hahn und Dr. Hubert Emmerig, Institut für Numismatik, Universität Wien.) ⁶⁰ D. i. der 16. Juli. ⁶¹ Die »wächserne Nase der Autorität« hatte der Zisterzienser Alain de Lilles (ab Insulis) im 12. Jahrhundert kritisiert, mit Effekt bis zu den Dadaisten im 20. Jahrhundert (Hugo Ball). Vgl. Baeumker: Die christliche Philosophie des Mittelalters, a.a.O. S. 340. ⁶² Ein entsprechender Brief oder eine Stelle mit Des Bosses’ »unbesonnener Bitte«, etwas aus der Korrespondenz zu publizieren – vgl. S. 67 (Nr. 21) –, fehlt (in G); es kann dies auch auf eine zwischenzeitliche persönliche Zusammenkunft hindeuten. ⁶³ Der besagte Vorschlag ist in den hier vorliegenden Texten nicht überliefert; vgl. S. 62 (Nr. 19) mit Anm. 62. ⁶⁴ Zu dem »Ratschlag« vgl Leibniz’ Brief vom 1. Februar 1707 (Nr. 19), S. 62. ⁶⁵ »Difficile est saturam non scribere« ist ein Juvenal-Zitat (2. Jh. n. C.): Satura I, Vers 30. ⁶⁶ »Iliacos inter muros et extra« – vgl. auch Nr. 60 (S. 156) – ist vermutlich (nach Frémont) freie Anlehnung an Vergils »circum Iliacos […] muros« in Aeneis, I. Buch, V. 483 f.: »Dreimal hatte Achilles Hektor um Ilions Mauern geschleift und wollte den entseelten Körper für Gold verkaufen.« (Vergilius Maro, Publius: Aeneis. Übersetzt und hrsg. von Edith und Gerhard Binder, a.a.O., S. 45) ⁶⁷ Apostrophe von Vergils Aeneis VI 179. ⁶⁸ Zur »libertas philosophandi« als Signatur und Forderung der ›modernen‹ europäischen, scholastik- und aristoteleskritischen, ins-
Anmerkungen
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besondere cartesischen Philosophie im 17. Jahrhundert vgl. Comparato, a.a.O. S. 979 und 988. ⁶⁹ Vermutlich handelt es sich um jenen kurzen Text (oder eine Variante davon), der in den Remarques de Monsieur de Leibnits sur un endroit … (März 1708) gegen Tournemines Leib-Seele-Union (vgl. oben ab Nr. 2, S. 10) das Anhängsel bildete: eine Richtigstellung wegen der Erfindung der Infinitesimalrechnung, die von Blondel in den Mémoires im Februar 1706 den Brüdern Bernoulli zugesprochen worden war. Zu dieser Angelegenheit hatten die Mémoires bereits im März 1707 einen apologetischen Text von Leibniz, Lettre de Mr. Leibnitz sur quelques faits …, abgedruckt. Derselbe Artikel war in den Nouvelles de la République des Lettres vom Februar 1706, mit Replik im November, publiziert worden. Vgl. Register, die entsprechenden Bände der Mémoires de Trévoux, Ravier S. 81 und den Brief Nr. 41 (S. 104 f. mit Anm. 103). ⁷⁰ »Conjectures physiques«, vgl. auch oben Nr. 19 (S. 63). ⁷¹ Worte von Anchises an seinen Sohn Aeneas und sein Volk bei Vergil, Aeneis VI 834 f. ⁷² Vgl. obige Briefstelle mit Anm. 69. ⁷³ Monat für den Antwerpener Heiligenkalender von Janninck, Papebroch et al. ⁷⁴ Scriptores rerum Brunsvicensium illustrationi inservientes … cura Godefridi Guilelmi Leibnitii, Hannover 1707, erschien als erster Band der dreiteiligen Quellensammlung, die Leibniz zur Geschichte des Welfenhauses vor der Reformation veröffentlichte. 1710 folgte Band 2, 1711 Band 3. ⁷⁵ Nicht ermittelt. Zu Leibniz’ Mitarbeitern zählte 1707 etwa der Sekretär und Gehilfe für die historischen Arbeiten Johann Friedrich Hodann, der (seit 1702) zumindest bis Juni 1714 als Amanuensis und Kontaktperson während L.s Reisen in Hannover blieb. Als Diener – für die Leibniz stets ein Budget zur Verfügung hatte – sind neben manchen Laufburschen in späterer Zeit u. a. der Kutscher Henrich (gegen Ende 1716) oder der Amanuensis und Sekretär Johann Hermann Vogler (1716) nachgewiesen, der Mitte November schließlich auch am Sterbebett von L. stand. Vgl. Chronik S. 179, 205, 253, 257, 262. ⁷⁶ Nicht ermittelt; nicht auszuschließen ist, dass es sich hier um das (oben in Nr. 22 erstmals genannte) Buch Le véritable esprit des nouveaux disciples de S. Augustin handelt – vgl. auch den Folgebrief.
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Anmerkungen
⁷⁷ Johann Wilhelm von der Pfalz ⁷⁸ Anton Ulrich ⁷⁹ Es ist unklar, um welches Buch es sich handelt, ebenso, um welchen Pater, und ob dieser der Verfasser oder bloß Besitzer des Buches ist. ⁸⁰ Die Einreihung dieses – frz. – Schreibens an dieser Stelle ist stark hypothetisch. Grua versieht den Adressaten mit Fragezeichen und datiert nur ungefähr (wenn auch »mit Sicherheit«); möglicherweise ist der fragmentarisch präsentierte Text nur Entwurf. – Der ungenannte »Pater« von Nr. 26 (31. Oktober 1707) könnte zwar Leihgeber des Buches Le véritable esprit und so ein alternativer Adressat sein, »sein« Buch scheint aber vielmehr von der »hl. Jungfrau« zu handeln. – Als Terminus post quem ist weniger der 26. Juni 1707 (Brief Nr. 22, DB; vgl. S. 71), an dem das betreffende Buch erstmals von Des Bosses genannt wird, anzusetzen, als der 21. Juli: In Leibniz’ auf diesen Tag datiertem, vehementem Angriff auf die Anti-Jansenianer ist diese Schrift von den »neuen Augustinus-Schülern« noch nicht erwähnt (vgl. Nr. 23). Der Terminus ante quem liegt wohl beim 8. Februar 1708 (Nr. 33, 2. Absatz; vgl. S. 93), als Leibniz das Œuvre längst zurücksenden will (vgl. auch Nr. 34 und 35), aber einen Band seit Wochen vermisst. Gemäß Nr. 30 (5. Absatz, S. 88) könnten Lektüre und Brief nach dem 24. Dezember 1707 erfolgt sein, aber Des Bosses’ Antwort drei Wochen später (Nr. 31) erwähnt nichts davon – allerdings hat Gerhardt diese Antwort gekürzt. – Deutungsspielraum lässt auch Nr. 25 (Schluss, S. 82: vielleicht hat Leibniz das Buch Anfang / Mitte Oktober 1707 von Des Bosses erhalten?); Ende 1709, Anfang 1710 jedenfalls hat Leibniz sein eigenes Exemplar des Werkes gekauft (Nr. 66, S. 173; vgl. auch Nr. 67). ⁸¹ In G und D sind keine beigelegten Verse enthalten. ⁸² Vgl. auch die Anm. 80. ⁸³ Dieses Exzerpt ist durch G und D nicht überliefert. Es lag dem Brief Nr. 29 vom 23. 12. bei und betraf Antonio Perez’ »In secundam secundae« (zu Thomas’ Summa Theologiae): »De augmento charitatis« – über das Anwachsen der Liebe (vgl. RK 45508). ⁸⁴ 24. Dezember 1707 ist laut G das Datum des Entwurfs; nach D·6 stammt der Brief vom 24. Februar 1707: der Inhalt spricht dagegen. ⁸⁵ Vgl. Nr. 23, Leibniz’ Brief vom 21. 7. 1707.
Anmerkungen
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⁸⁶ Die »puncta inflata« stellte F. Terzi di Lana in Band 1 seines »Magisterium Naturae et Artis«, Tractatus I., 1. Buch, Kap. 2, Proposition XX, a.a.O. S. 27 f., als die »absurde« und aus der Philosophie zu tilgende Theorie von ausgedehnten, doch aktual unteilbaren physischen »Punkten« vor, die von manchen zeitgenössischen Autoren auch als »puncta virtualia« bezeichnet wurden. Mit dem Ausdruck »inflatus« ist also die prinzipielle Variabilität des Volumens angesprochen, die (nach einer dem Hrsg. mitgeteilten Überlegung von Herbert Breger) als »metaphysisch teilbare« Alternative zur starren Atomistik der Korpuskulartheorie in Betracht gekommen sein mag. Vgl. Leibniz’ Vorbehalt dagegen im nächsten Schreiben (Nr. 33, S. 94). Zum Ausdruck »inflatum« im Sinn von fließender Veränderung vgl. dagegen Frémont S. 137 Anm. 2 und 190 f. Anm. 2. – Die hier gewählte Übersetzung findet sich auch bei Hans Günter Dosch, Glenn W. Most und Enno Rudolph in Leibniz’ »Specimen Dynamicum«, a.a.O. S. 47. ⁸⁷ Lana, a.a.O. Bd. 1, Tractatus III (Über die vielfältige Art der Ortsbewegung), 5. Buch, S. 371. Vgl. im Übrigen die Zenon’schen Bewegungsparadoxe. ⁸⁸ Vgl. die Entgegnungen an Foucher im Journal des Sçavans 1692 bis 96; diskutiert werden Leibniz’ neue Wissenschaft der Dynamik und Système nouveau, insbesondere die Probleme der Ausdehnung und der Zusammensetzung der Bewegung. ⁸⁹ Dieses Schreiben von Leibniz an Tolomei ist wahrscheinlich jenes vom 6. Februar 1708, das mit »Ungefähr zwei Jahre ist es her, dass ich Ihnen einen Brief geschrieben habe […]« beginnt (vgl. RK 46666) und mit einem P. S. betreffend Bellarmin versehen ist (»Da Eminenz Kardinal Bellarmin […]«, vgl. RK 46672). ⁹⁰ Die verwendete Formulierung bezeichnet eventuell den Wert von zweieinhalb Talern, falls hier ein sog. »Zweidritteltaler« gemeint ist, der einem halben Reichstaler entspräche (nach einem Hinweis von Hubert Emmerig und Wolfgang Hahn, Wien). ⁹¹ Vgl. zur Bestimmung des Voluminösen den vorigen Brief Nr. 32 (3. 1. 1708), S. 91 f. ⁹² Dieses »Entsprechen«, lat. »metiri« (»messen«), das Leibniz in diesem Absatz ja selbst noch definieren wird, ist wie folgt zu verstehen: Ist die pro Pendelschwingung verloren gehende Kraft »präzise« ein ganzzahliger Teil der Gesamtkraft, dann wird es »eine« letzte Halb-
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Anmerkungen
schwingung geben. Wenn nicht (etwa 1: 55,3), dann wäre eine solche unmöglich. Für die (verkürzt referierte) klärende Bemerkung danke ich Herbert Breger, Hannover. ⁹³ Mit »Zähigkeit« (auch genannt Viskosität, viscositas) wird hier und im restlichen Absatz das lat. »tenacitas« – Festigkeit, Zusammenhalt, Haftung – wiedergegeben (in der Physik bezeichnet mit η); sie kommt in Reibung oder Luftwiderstand zum Ausdruck. (Hinweis von Franz Embacher, Wien.) ⁹⁴ von Lévine Meyer ⁹⁵ Le véritable esprit des nouveaux disciples de S. Augustin – vgl. zuletzt Nr. 30 S. 88 und den folgenden Brief Nr. 35. ⁹⁶ Vgl. Tolomeis ital. Schreiben vom 12. 4. 1708, das auf einen eingelangten Brief Leibniz’ (vermutlich vom 8. 2.) antwortet (vgl. RK 46668); ihm war ein lat. Brief Tolomeis an Leibniz vom 12. 2. 1708 vorausgegangen: »Obwohl ich gut weiß, wie beschränkt die mir zur Verfügung stehenden Mittel sind […]« (RK 45166). ⁹⁷ Dies kann allgemein gesagt, möglicherweise aber eine konkrete Anspielung sein auf Hardouins zunächst anonyme Kritik einer Publikation des Berliner Hofbibliothekars und Orientalisten M. V. de La Croze, unter dem Titel: »Sentimens d’un docteur de Sorbonne sur un Libelle intitulée: Dissertations historiques sur divers sujets, Rotterdam 1707« in Band 14 der »Bibliothèque choisie« von 1707/08, die eine größere Debatte nach sich zog. Hardouin beschuldigte darin übrigens auch La Croze und Leibniz des Sozinianismus (vgl. SOVO 4, Sp. 93, Nr. 46). ⁹⁸ »ypernschen«, d. h. jansenistischen ⁹⁹ Über die Scriptores rerum Brunsvicensium vgl. auch die Anm. 74 zu Nr. 23. ¹⁰⁰ Der übliche rituelle Sprachgebrauch vom »Leib Christi« wird hier und im Folgenden wegen der durchgängigen Verwendung von »corpus« auch im rein physikalischen Sinn durch »Körper« ersetzt. ¹⁰¹ Leibniz hatte seinerseits schon zu Beginn der achtziger Jahre aus Bonartes’ »Concordia scientiae« S. 251 folgende Stelle exzerpiert: »Mit dem verwandelten Brot und Wein wird die Göttlichkeit verbunden, aus ihnen entstehen Körper und Blut Christi, doch wird nicht der Körper, der im Himmel ist, an deren Stelle gesetzt« (vgl. AA IV·4 C, S. 2593).
Anmerkungen
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¹⁰² Aus G wird nicht ersichtlich, ob es sich hier um eine OriginalAuslassung im Zitat selbst oder einen Eingriff durch G handelt. – Die angesprochenen Beiträge waren: Lettre de Mr. Leibniz Sur quelques faits … (März 1707) und Remarques de Monsieur Leibnits sur un endroit … (März 1708). ¹⁰³ Vgl. zu den Remarques de Monsieur Leibnits sur un endroit die Anm. 102 und 69 im vorausgehenden Brief und zu Nr. 23 S. 73. ¹⁰⁴ »Monatlicher Auszug aus allerhand neu herausgegebenen nützlichen und artigen Büchern«, 1700–1702 in Hannover hrsg. von J. G. Eckhart. Auch Leibniz hatte dort publiziert. ¹⁰⁵ »Text für das Journal de Trévoux«: Zwischen den erwähnten Rémarques vom März 1708 und der Kontroverse mit Hartsoeker ab März 1712 wurde in den Mémoires de Trévoux von Leibniz kein Beitrag mehr gedruckt. Auch die Bemerkungen zu Lamys sechstem philosophischen Brief erschienen erst im Juli 1712. ¹⁰⁶ Scriptores Brunsvicensia Illustrantes, 1710. ¹⁰⁷ Sophie Charlotte ¹⁰⁸ die spätere »Theodizee« ¹⁰⁹ Ludwig XIV. von Frankreich ¹¹⁰ Anspielung auf ein Schreiben, das Leibniz gerade an P.-J. Blondel entwarf, worin er feststellte: »Ich habe keinen Anlass, mich bei Ihnen zu beklagen«. Der Hinweis verdankt sich Frémont S. 144. ¹¹¹ Mit den Nicht-Wiedergeborenen (non-regenerati) sind die Ungetauften nach dem Sündenfall gemeint. ¹¹² Die beiden Referenzen auf Des Bosses’ Literaturhinweise in diesem Absatz sind mit den Texten in G nicht abgedeckt. ¹¹³ Vgl. Nr. 22. ¹¹⁴ Des Bosses’ Belgienreise dürfte unmittelbar darauf, d. h. Anfang Oktober, erfolgt sein, und dauerte bis gegen Ende November, wie die zwei nächsten Briefe belegen (vgl. bes. S. 117). ¹¹⁵ Die in Nr. 41 angekündigte spätere Theodizee. ¹¹⁶ Da Leibniz kaum den Grad an Schuld tautologisch durch den Grad an Schuld erklären wollte, wäre etwa: »Wie groß der Grad der Schuld ist, muss aufgrund des Grades der Bosheit dieser Schuld […]« eine bessere Lesart. ¹¹⁷ Angesprochen sind Antonio wie Martino Perez. ¹¹⁸ Der Drucker und Verleger J. F. Bronckart. Vgl. Nr. 47.
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Anmerkungen
¹¹⁹ Vgl. Leibniz’ Schreiben vom 11. März 1706 (Nr. 6). ¹²⁰ Papst Clemens XI. ¹²¹ Dieser Lütticher Drucker, Bronckart, war aber hier immerhin noch als Verleger der »Theodizee« im Gespräch. – Nach RK 30661 begann Des Bosses in dem Zusammenhang diesen Brief mit: »Nehmen Sie es mir bitte nicht übel […]«. ¹²² Des Bosses gibt in »Clavis Lycaei« (vgl. Anhang 9, S. 453) das Datum dieses Briefes mit 29. Februar 1709 an, was allerdings dem Schaltjahrzyklus (es fiel auf 1708) widerspricht; nach Dutens stammt er vom 30. April. ¹²³ Leibniz’ Blumen, auf das Grab der Päpstin gestreut (Flores sparsi …) wurden erst postum 1758 herausgegeben – vgl. Literaturverzeichnis. ¹²⁴ Vgl. Leibniz’ Brief vom 16. März 1709 (Nr. 50). ¹²⁵ »Zweiteilen«, »bisecare«, kann gleiche oder ungleiche Hälften ergeben, wie die abgewandelte Grafik in Des Bosses’ »Clavis Lycaei« (vgl. S. 453) zeigt; ob die Zeichnungen Originale (sei es von Leibniz’ oder Des Bosses’ Hand) oder das unterschiedliche Verständnis der Herausgeber Gerhardt und de Certeau wiedergeben, wurde vom Hrsg. nicht eruiert. ¹²⁶ Leibniz führte allerdings den hier verworfenen Ansatz auf transformierte Weise vom »Neuen System der Natur« von 1695 her (in: Fünf Schriften, a.a.O., bes. S. 31–34) über die Theodizee (§ 147) bis zu den späten Principes de la Nature et de la Grâce (§ 3) und zur Monadologie (§ 57) fort, nämlich in der Theorie der Seelen bzw. Monaden als »Gesichtspunkte«; in ihr scheinen die im vorliegenden Brief einander entgegengesetzten Begriffe der Entsprechung und der Lokalisierung zusammengeführt. Vgl. auch die Anm. 132 zum Postcriptum dieses Briefes. ¹²⁷ Vgl. Leibniz’ Rémarques sur un endroit … vom März 1708, und zuletzt Nr. 41 vom 3. September 1708 (S. 105). ¹²⁸ Mir der von Des Bosses wieder im Brief Nr. 55 auf S. 136 f. explizit aufgegriffenen Lehre von den Wesensgraden (gradus essentiales) hatte Leibniz seinen »Discours de Métaphysique« von 1686 eröffnet; vgl. Metaphysische Abhandlung, hrsg. Herring, a.a.O. S. 2/3, § 1. Vgl. auch, abgesehen vom weiteren Verlauf vorliegender Korrespondenz, Leibniz’ Bemerkungen zu Temmik im Anhang 7.
Anmerkungen
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¹²⁹ Gemeint ist insbesondere die Mission von Tournon (s. Register). Zu den europäischen China-Beziehungen vgl. – neben teils spezifischen Untersuchungen von Biermann, Collani, Dehergne, Kern, Li, Li/Poser, Loosen, Mungello, Pfister, Schatz, Widmaier u.v. a. – auch die umfassende Darstellung der chinesischen Sicht der christlichen Missionierung vom 16. bis 18. Jahrhundert bei Gernet: CC, a.a.O. ¹³⁰ Kaiser Kangxi ¹³¹ Vgl. D·2, 286. ¹³² Leibniz stellte diese Anschauung 1663 in einem »Leib-SeelePentagon« dar und äußerte die Ansicht, dass die »unkörperliche Substanz« als Kern jedes Körpers oder Lebewesens in einem »unsichtbaren Zentrum« an einem »physikalischen Punkt« bestehe – der nicht ausgedehnt, aber teilbar sei –, etwa zu Beginn der siebziger Jahre. Erst mit dem Discours de Metaphysique von 1686 hatte sich die Konzeption zugunsten der metaphysischen Punkte geändert. Vgl. Leibniz: Frühe Schriften zum Naturrecht, a. a. O. S. 3–23 und Busche ebd. S. XLVIII–LIV , sowie Herring, Formes substantielles, a.a.O. S. 23 f. Vgl. auch obige Anm. 126 zu diesem Brief. ¹³³ »Metábasis eis állo génos«: (logisch unzulässiger) Übergang zu einer anderen Gattung. ¹³⁴ Prädikament ist die lateinische Übersetzung des Boëthius für griech. Kategorie, eingeführt in der Übertragung der »Eisagoge« des Porphyrios. Den zehn aristotelischen Kategorien (Prädikamenten) stehen die fünf Kategoreme oder Prädikabilien gemäß Aristoteles gegenüber: Genus, Spezies, Differenz, Proprium, Akzidens. Vgl. Aristoteles: Organon, Band 2: Kategorien · Hermeneutik. A.a.O. S. LV. Vgl. auch die Anm. 60 im Anhang 7 (S. 432). ¹³⁵ Der Brief beginnt: »Tagtäglich erwarte ich einen Brief des Lütticher Freundes«, d. h. Bronckarts. Vgl. RK 30662, wo dieses Schreiben auf den 18. Mai datiert ist. – Beigelegt war zudem eine lat. »Bemerkung zum Dekret des Hl. Stuhls, das 1704 nach China geschickt wurde«, beginnend mit: »Endlich kam die Nachricht […]« (vgl. RK 45514). ¹³⁶ Offenkundig die »Blumen« für die Päpstin und die Theodizee. ¹³⁷ Bronckart ¹³⁸ Im Alten Testament lautet das Wort des Schöpfergottes am zweiten Tag: »Das Land lasse junges Grün wachsen, alle Arten von Pflanzen, die Samen tragen, und von Bäumen, die auf der Erde Früchte
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Anmerkungen
bringen mit ihren Samen darin«, und am sechsten Tag: »Das Land bringe alle Arten von lebendigen Wesen hervor, von Vieh, von Kriechtieren und von Tieren des Feldes« (Gen. 1, 11 und 24), was als Entstehung des Organischen aus Anorganischem gedeutet werden kann. In die Erschaffung des Menschen hingegen, ebenfalls am Tag sechs, greift der göttliche Schöpfer direkt ein. ¹³⁹ Des Bosses, der sich auf Leibniz’ Feststellung S. 130 bezieht, führt hier den Terminus »superaddere« in die Diskussion ein, der zur Charakterisierung des »vinculum substantiale« noch wesentlich wird; in vorliegender Übersetzung wird er meist mit »zusätzlich hinzufügen«, manchmal bloß »hinzufügen« wiedergegeben. ¹⁴⁰ Offenbar ist hier das vierte Konstanzer Konzil gemeint, das in den Jahren 869–870 als achtes ökumenisches Kirchenkonzil stattfand. Kanon 11 besagt: »Jeder wird anathematisiert [d. h. ausgestoßen], der ungläubig und mit gestörtem Urteilsvermögen meint, der Mensch habe zwei Seelen« (DÖK 1, a.a.O. S. 175). ¹⁴¹ Bronckart ¹⁴² Zur Datierung dieses Gedankens im Zusammenhang mit chinesischer Philosophie bei Leibniz, beginnend 1697 gegenüber Grimaldi, vgl. Discours 2002, S. 268, Fn. zu 13. Die Parallele zwischen leibnizscher Dyadik und Fu Xi hatte Bouvet in einem Brief vom November 1701 erstmals ausdrücklich festgestellt, was Leibniz sogleich (im Mai 1703) aufgriff (vgl. Widmaier, Hrsg., 1990, S. 149 ff. und S. 181 ff.). In einer Anm. zu Leibniz’ Brief an Bouvet vom 18. 8. 1705 weist Widmaier (a.a.O. S. 219) sowohl darauf hin, dass man an der Pariser Académie Leibniz’ Aufsatz »Explication de l’Arithmétique binaire« diskutierte, der 1705 in der »Histoire de l’AcadémieRoyale des Sciences« (zum Berichtsjahr 1703) erschien, als auch auf E. W. Tentzel, der im direkten Anschluss an Leibniz Anfang 1705 den Aufsatz »Erklärung der Arithmeticae binariae, welche vor 3000 Jahren bey den Chinesern in Gebrauch gewesen« in der »Curieusen Bibliothec« präsentiert hat. ¹⁴³ Journal des Savans 1701 S. »155–158« (eigentlich 165–168). Wie auch die folgenden war diese Rezension anonym. Zu Leibniz’ Lektüre und Interpretation dieses Werkes selbst vgl. Nr. 126 und 127. ¹⁴⁴ Als gewissermaßen eschatologischer Begriff der chinesischen Philosophie, der äußerstes Ende wie ersten Anfang umfasst, wird »tai ji«, bei Leibniz: »Tai kie«, in der zeitgenössischen lateinischen Rezep-
Anmerkungen
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tion mit »summum extremum«, das äußerste Höchste, wiedergegeben. Erstmals verwendet in Kommentaren zum »Yi Jing« als Ursprung von Yin und Yang, avancierte es im 11. Jh. n. C. (Zhou Dunyi) zu einem zentralen ›metaphysischen‹ Begriff des (Neo-)Konfuzianismus und (bei Zhu Xi) zum Inbegriff alles Guten. Vgl. Li 2000, 123–129; Collani 1994 S. 126 f.; EC. ¹⁴⁵ »Li«, ein zentraler Begriff im Neokonfuzianismus, bedeutet – entgegen der hier referierten Qualifizierung als »erste Materie« – Prinzip, Muster oder Ordnung. Die wesentliche erste Konzeption als sowohl universales wie auch konkretes Ordnungsprinzip erfolgte im frühdaoistischen »Zhuangzi« (4. Jh. v. C.), von dort die Rezeption in Konfuzianismus und Buddhismus. Der Neokonfuzianer Zhu Xi spezifiziert das li als den Einzeldingen vorgeordnetes Prinzip, das die Materie (im Sinn von qi) so zügle wie ein Reiter das Pferd. Andere neokonfuzianische Konzepte (Zhang Zai, später Wang Fuzhi) versetzten das li in Wechselkorrelation mit dem qi – nicht so Leibniz, als er die durch Longobardo übermittelte Lehre von Zhu Xi kommentierte. Vgl. Chan, a.a.O. bes. S. 212 ff., sowie EC, REP und die Anm. 372 zu Nr. 127. ¹⁴⁶ »Ursprüngliche Luft« (Aër primitivus) meint das chinesische »yuan qi«. »qi« bedeutet in der chin. Philosophie lebendige, stoffgebundene Kraft, Fluidum, und deren Feld; z. T. ähnlich dem stoischen »pneuma« als stofflich-geistige Grundsubstanz der Welt. Vor allem bei dem Neokonfuzianer Zhang Zai wird es als Grundbegriff, dabei auch im Sinn von »Luft« verwendet. – Leibniz gibt in der »Abhandlung über natürliche Theologie …« qi auch mit »Äther« wieder und setzt es dort im Anschluss an Longobardos engführende Interpretation mit der ersten Materie gleich, diesmal im Gegensatz zum »li« (vgl. EC; REP; Discours 2002 S. 51, 130). Zum Begriff des »yuan qi«, seiner Rezeption durch Leibniz und der Übereinstimmung mit dessen Substanzbegriff (Kraft) vgl. Chan, Wing-Cheuk, a.a.O. S. 217–223; generell zur Einschätzung der longobardoschen Interpretation der neukonfuzianischen Philosophie Kern 262 und 281 f. Darüber hinaus allgemein zum Verhältnis von chinesischer und europäischer Philosophie im 17./18. Jh. vgl. die in vorliegender Einleitung S. XCIV ff. genannte Literatur. ¹⁴⁷ Journal des Savans, a.a.O. S. »162–165« (eigtl.: 172–175) ¹⁴⁸ Vgl. chinesische Gelehrte im Register.
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Anmerkungen
¹⁴⁹ Die Besprechung von Santa Marias »Traite sur quelques Points …«, Paris 1701, im Journal des Savans erschien nicht am 25. April (Heft 16), sondern in Heft 17 vom 2. Mai 1701, S. 195–200. Zu Leibniz’ direkter Lektüre vgl. Nr. 126 und 127. ¹⁵⁰ Lao Zi ¹⁵¹ Zeremonienmeister ¹⁵² Lat. »impetu« ¹⁵³ Ursprüngliche Luft oder Geist entspricht dem chin. qi, vgl. oben Anm 146. ¹⁵⁴ Wie bereits einen Absatz und zwei weitere zuvor setzt Leibniz seiner oft zitierten »Sinophilie« eine Demarkation, nämlich eurozentrische Skepsis gegen die chinesische Tradition, der er keine eigenständige »philosophische« oder »metaphysische« Leistung, sondern nur interessanten Interpretationsstoff abgewinnt. ¹⁵⁵ Es handelt sich um die sog. Yao, d. h. zweierlei Elementarlinien für Yin und Yang; diese wurden – wie Leibniz in der folgenden Skizze demonstriert – im »Yi Jing« und in dessen Auslegungstradition in der Regel zu acht Gua (Trigrammen) kombiniert; diese wiederum zu 64 Bie Gua (Hexagrammen), usf.; daneben auch zu vier Diagrammen (Xiang). Die Gua schrieb man in narrativer Gelehrsamkeit Fu Xi, die Bie Gua König Wen zu. Vgl. u. a. Geldsetzer/Hong: Grundlagen, a.a.O. S. 177 ff., 194–197, 201; nur pauschal sei hier – über die (seit Erscheinen 1925 zu mitteleuropäischer Klassizität gelangte) dt. Übersetzung »I Ging« durch den protestantischen Missionar Richard Wilhelm (1873– 1930) hinaus – auf die exorbitante weitere Forschungsliteratur zum Yi Jing verwiesen. – Zur Parallelisierung des leibnizschen Binärsystems mit »Fuxi« vgl. obige Anm. 142. ¹⁵⁶ Anspielung auf Plautus (Menaechmi / Die beiden Menaechmus 2·1,22), Ennius (Saturae Frgm. X / 70) und Terentius (Andria / Das Mädchen von Andros 5·4,38); vgl. dazu Frémont S. 170, Forcellini Bd. IX, Antike Komödie (Hrsg. Ludwig). ¹⁵⁷ Vgl. Discours 2002, S. 10 (Poser). ¹⁵⁸ Beigelegt war das Dekret des Kangxi-Kaisers von Anfang April 1707 (persönliche Mitteilung von Rita Widmaier an den Hrsg): »Am 3. Tag des 3. Monats, d. h. April […]«, vgl. RK 45513. ¹⁵⁹ Der von Cochenheim vermittelte Eröffnungsbeitrag zu Leibniz’ Novissima Sinica : »De Libertate Religionem Christiana apud Sinas
Anmerkungen
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propagandi« (von Des Bosses falsch als »praedicandi« zitiert) »nunc tandem concessa 1692« stammt vom Rektor des Pekinger Jesuitenkollegs, P. José Suares. Vgl. Leibniz: Novissima Sinica, a.a.O. S. 6 f. ¹⁶⁰ Von Le véritable esprit … verzeichnen die Mémoires de Trévoux vom Oktober 1706, S. 1671, für die »Nouvelle Edition, augmentée de quelques lettres« das Impressum »Bruxelles« 1706, chez Antoine Claudinot. Eine Ausgabe in »Lüttich«, wie von Des Bosses erwähnt, wurde vom Hrsg. auch für die vierbändige Fassung 1709 nicht ermittelt, vielleicht war aber das offizielle Impressum fingiert. ¹⁶¹ Es könnte sich um den Erlass des chinesischen Ritenministeriums vom April 1708 handeln, der Missionare, die keine offizielle Zulassung (piao) vorzuweisen hatten und sich etwa den konfuzianischen Riten widersetzten, außer Landes verwies. Vgl. Dehergne S. 337. ¹⁶² Die »revolutio« bezieht sich vermutlich auf die gewaltsame Ausweisung der christlichen Missionare aus Japan zur Mitte des 17. Jhs. ¹⁶³ »Iliacos inter muros« – vgl. oben Nr. 21, Des Bosses 25. 6. 1707 (S. 68). ¹⁶⁴ Der hier angesprochenen Präformation wird in der Biologie des späten 18. Jhs. nicht mehr die von Leibniz diskutierte Umschaffung oder »Transkreation«, sondern das Konzept der Epigenesis gegenübergestellt – womit das »physische Übel« einer Abnormität, Krankheit, aber auch jede Mutation als natürliche »epigenetische« Entwicklung begriffen werden kann, ohne einer theologischen Rechtfertigung oder Ursache (wie in der Theodizee) zu bedürfen. Vgl. dazu auch Kant: Kritik der Urteilskraft, § 81, aber auch im Folgenden Leibniz’ Idee der natürlich-spontanen Seelenentstehung (Jänner 1710, Nr. 66, S. 172) sowie der beständigen »Fulgurationen« im § 47 der Monadologie. ¹⁶⁵ Vgl. »Causa Dei« – das 1710 gesondert neben der Theodizee publiziert wurde – §§ 81–85, in: Leibniz: Theodizee, a.a.O. (HT) Bd. 2, S. 350–355. Vorliegendes ist eine teils wortgleiche Kurzfassung dieser Paragraphen, teils Paraphrase oder Variante, vielleicht eine Vorstufe. Ebenso vgl. den (frz.) § 397 von Theodizee III. ¹⁶⁶ Der »actus signatus« wird in der Schultradition als Wirklichkeit des Allgemeinen oder der Idee nach, als Repräsentation eines Dings unter Abstraktion vom besonderen Einzelnen, als aktive Potenz (G. Biel), als zeichenhafte Seinsweise u. a. m. bestimmt. Er enthält also ein allgemeines und potentielles Moment und steht dem »actus
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Anmerkungen
exercitus« als realer Wirklichkeit der vielen besonderen Einzelfälle, als operativer Umsetzung und Tätigkeit, die einer direkten »Ist«-Aussage entspricht, gegenüber. Vgl. die Paraphrasen der Lexika Chauvin S. 14, Goclenius S. 53–56, Micraelius S. 45 f. ¹⁶⁷ »Transsubstantiation«: Katholiken und Lutheraner vertreten die reale Präsenz Christi in der Eucharistie bei Brot und Wein, Calvin und Zwingli nicht. Die Debatte zwischen Katholiken und Lutheranern dreht sich also um die Art der Realpräsenz. »Konsubstantiation« würde das gleichzeitige Vorliegen zweier verschiedener Körpersubstanzen bedeuten. Thomas von Aquino hatte das Thema in der »Summa Theologiae« III, Qu. 76, art.1–5 exponiert mit der These von der Mehrfachpräsenz in der übernatürlichen – nicht in der natürlichen – Ordnung, die das Konzil von Trient (1545–1563) bestätigte (Sessio XIII). Leibniz äußert sich zur Frage schließlich in Theodizee, Einleitende Abhandlung § 18–19; zur Vervielfältigung oder »Replikation« des Körpers bei »einigen Scholastikern« geht er dort ebenso auf Distanz wie zur Allgegenwart (vgl. Leibniz: Theodizee, HT a.a.O. S. 101). Allgemein zu Leibniz’ Rezeption des Eucharistieproblems vgl. die Bemerkungen in der Einleitung S. LXXV–LXXX . ¹⁶⁸ Vgl. u. a. die »Theodizee«, wie vorige Anm. ¹⁶⁹ Zumindest zwei Beilagen, die in G fehlen: »Confluentia« vom 12. Juli [?] – eine Briefkopie zu den römischen Verhandlungen über die Jesuiten in China, mit Bezug auf Tolomei (RK 45510) – und vom »5. August 1709« ein Inquisitionsbeschluss über dieselbe Frage (RK 450009). ¹⁷⁰ Lat.: »editam« (herausgegebenen) – Vermutlich handelt es sich um Druckfahnen des einleitenden oder ersten Teils der Theodizee. ¹⁷¹ die Theodizee ¹⁷² Bernard Lamy ¹⁷³ Bernard Lamy ¹⁷⁴ Leibniz’ Theodizee ¹⁷⁵ Lat. »typothetarum«. Des Bosses hatte die Druckfahnen der Theodizee – hier für die »Einleitende Abhandlung« – in Händen (vgl. auch GP·6, S. 11). ¹⁷⁶ Vgl. »Theodizee«, Einleitende Abhandlung § 9, a.a.O. (HT) S. 84 f., wo es dann statt »a dit« heißt: »Gerson a déjà écrit contre Ruysbrock […]« (Hv. CZ).
Anmerkungen
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¹⁷⁷ Calixt und Daillé treten in Theodizee, »Einleitende Abhandlung« § 62 als Verspötter Vérons und des vernunftskeptischen Glaubensautoritarismus auf – allerdings ohne konkrete Werktitel (vgl. HT 1, a.a.O. S. 165). ¹⁷⁸ Für »vegetativ« verwenden Des Bosses und Leibniz im Briefwechsel von nun an das lat. »vegetalis« (statt bisher »vegetativa«), formulieren also asymmetrisch zu »sensitiva«. ¹⁷⁹ Schrift und Person sind nicht ermittelt. Vgl. zur ähnlichen Funktion von – wiewohl nicht portugiesischer Nation – Provana oben Nr. 52 und 55, oder P. Raimundo Arxo Brief Nr. 70 (S. 183). ¹⁸⁰ Beilage in G nicht überliefert. Es handelt sich um eine Bücherliste mit dem ersten Titel »Dife[s]a Del Giudizio Formato della S.Sede Apostolica …« (vgl. RK 45515) – einem Titel, dem Saccheri 1704 mit einem »Esame teologico« konterte (vgl. SOVO 10, Sp. 1543). ¹⁸¹ Gemeint ist vielleicht Histoire apologétique de la conduite des Jésuites … wie in Nr. 76 (S. 193), oder Protestation des Jesuites …, wie in Brief Nr. 67 (15. 3. 1710) S. 175. ¹⁸² Zu »contredistinguée« im Sinn von »abgesetzt gegen« (im Fall der Substanz gegenüber Akzidens) vgl. etwa Tilliette, Xavier: Problèmes de philosophie eucharistique, a.a.O. S. 274. ¹⁸³ Die folgenden Passagen sind teils identisch mit denen in Nr. 69 (S. 177 ff.). ¹⁸⁴ Vgl. Leibniz’ Brief vom 8. September 1709 (Nr. 60). ¹⁸⁵ Angesprochen sind die Lutheraner; vgl. zur Transsubstantiation in der »Eucharistie« oben die Anm. 167 und die Einleitung (7, a). ¹⁸⁶ Vgl. oben zu Nr. 57 (S. 150). ¹⁸⁷ Zum Nachweis dieser Titel vgl. Chinamission: Schriften im Register. ¹⁸⁸ Vgl. auch obige Anm. zum Briefkopf 26a. ¹⁸⁹ Reponse de M. Leibnitz aux Objections que l’Auteur du Livre ›de la conaissance de soy-même’ a faites …‹, Juni 1709. ¹⁹⁰ Beilage in G nicht erhalten. ¹⁹¹ François Lamy ¹⁹² Das Folgende ist eine Variante, z. T. Wiederholung von Brief Nr. 66 (Jänner 1710). ¹⁹³ »Explikation« ist hier im Sinne von Ausfaltung zu verstehen. Vielleicht ist aber auch ein Schreib- oder Druckfehler anzunehmen
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Anmerkungen
und statt »explicatione« entweder »replicatione«, Wiederholung (vgl. oben Nr. 66, S. 172 f.), oder »extensione« zu lesen, also »Ausdehnung«. ¹⁹⁴ Vgl. oben Anm. 156 zu Nr. 57 (S. 150). ¹⁹⁵ »Generatio aequivoca« ist scholastischer Begriff für die Entstehung aus etwas Andersartigem, oft auch als Urzeugung im Sinne einer Schöpfung aus Nichts bezeichnet. ¹⁹⁶ Zur Einfädelung der Bildungskarriere dieses (zumindest nach G) ungenannten Studenten vgl. noch Nr. 70 ff. und 76. ¹⁹⁷ Am 20. Jänner 1711 erwarb Des Bosses den Titel »Doktor der Theologie« an der Universität Köln. ¹⁹⁸ Nicht ermittelte Referenz. Eine neue chin. Übersetzung der »Zehn Gebote« durch die Jesuiten stellt Kircher 1667 in seinem »China monumentis illustrata«, S.127, vor. Vgl. auch die chines. »Darstellung des Dekalogs« (1642) von E. Diaz SJ. Auch eine Verwechslung mit der nestorianischen Stele aus dem 8. Jh. ist nicht auszuschließen. ¹⁹⁹ Nicht ermittelt. Nur als Möglichkeit seien genannt die ohne Ortsangabe erschienenen »Reflexiones in Causa Sinensi factae in Europa, postquam ad illam pervenit Decretum Eminentissimi Tournon datum Nankini in Sinis 25. Jan. 1707, Italice et Latine impressae 1709, recusae 1710« und »Observationes circa expositionem Rituum Sinensium factam Sanctae Congregationi, primum Italice, nunc Latine impressae. Anno 1710« (vgl. Acta Eruditorum, Mai 1712, S. 235 f.). ²⁰⁰ Autor ist Gabriel Daniel SJ. ²⁰¹ Herzog Anton Ulrich ²⁰² Gemeint ist die 1622 als päpstliche Missionszentrale geschaffene »Congregatio de propaganda fide« in Rom (vgl. Denzler/Andresen S. 399). ²⁰³ »Zirkumskriptiv« bedeutet »präzise umrissen« und lokalisiert. Vgl. Muller S. 239–241. ²⁰⁴ »Ubikativ« verweist auf »allgegenwärtig«. Vgl. Muller S. 209, 239. ²⁰⁵ Bei dem »gelehrten Chronologen« könnte es sich um Vignoles (vgl. 2. 7. 1708, S. 97) oder auch Gabriel Daniel handeln, mit dem Leibniz noch 1712 chronologische Fragen des Frühmittelalters besprach (vgl. den Brief vom 5. 2. 1712, S. 231). ²⁰⁶ Anton Ulrich ²⁰⁷ Des Bosses verwendet im Zusammenhang mit der Harmonie
Anmerkungen
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oft, wie hier, den lat. Ausdruck »praestituta« – »vorherbestimmt«, »im Voraus bestehend« (von »praestituere«) –, also nicht Leibniz’ »praestabilita«, das durch seine Anlehnung an »praestare« – neben stabilire, stabilisieren, frz. établir – auch eine Vortrefflichkeit anklingen lässt. ²⁰⁸ Zu diesen Bänden mit chinesischer Literatur vgl. Leibniz’ Briefe an Jean de Fontaney vom Februar 1706 und an Bouvet vom MaiJuni(?) 1706, wo nicht von Drucken, sondern von sechzehn »Manuskripten« die Rede ist (Widmaier, Hrsg., 1990, S. 237). Er dürfte sie um Anfang Dezember 1705 erhalten haben, und zwar, wie es zunächst in der Korrespondenz mit Christophe Brosseau hieß, von dem Jesuiten Charles Le Gobien. Vgl. dazu Widmaier (Hrsg.) 1990, S. 240 Anm. 1 f. Titel und nähere Beschaffenheit der einzelnen Schriften – von Leibniz jedes Mal »ein verborgener Schatz« genannt – sind bis heute nicht aufgedeckt (Mitteilung von R. Widmaier an den Hrsg.). ²⁰⁹ Vgl. Leibniz’ zwei Schreiben an Bouvet vom Mai-Juni 1706 (via Le Gobien oder Verjus) und 13. Dezember 1707 (via Le Gobien) in Widmaier (Hrsg.) 1990, S. 236–240 und 265 ff. ²⁰⁹a Das verneinte lat. »debere« schwankt zwischen den Konnotationen »nicht müssen« und »nicht dürfen«. ²¹⁰ Hartsoeker bestätigt in einem Brief an Leibniz vom 22. August, dass ihm Des Bosses Leibniz’ Schreiben vom 9. August 1710 zugestellt hat (vgl. GP·3, 501). Der nächste bei G überlieferte Brief (Leibniz an Hartsoeker) datiert erst vom 30. Oktober 1710 (GP·3, 504), also nach dem vorliegenden Schreiben Des Bosses’. Siehe, auch zum weiteren publizierten Briefwechsel mit Hartsoeker, unter Leibniz: Lettres de Monsieur le Baron de Leibnits … ²¹¹ Gerhardt hatte den Brief vom 10. Oktober 1712 (Nr. 100), der von Des Bosses fälschlich auf 10. 10. 1710 datiert war, ebenso fälschlich als Nr. LXXIV vorausgehen lassen. ²¹² Zum Begriff der »perichóresis« als durchgängigen Zusammenhang vgl. auch Frémont S. 186 Anm. 1, 2. Das Wort bezeichnet zwar einerseits Rotation und Kreislauf, denotiert andererseits aber auch Begegnung in der Verstreutheit, schärfer: gegenseitige Durchdringung der Dinge, ihre Verflochtenheit und »Immanenz« – dies seit der Stoa (bes. Chrysipp) und, theologisch, der spätantiken Christologie und Trinitätslehre (Maximus Confessor). Vgl. HWBP 7, Sp. 255–258.
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Anmerkungen
²¹³ Dass Leibniz hier, in der Bestimmung der »Konspiration« – erläutert auch gegenüber Hartsoeker in GP·3, 504 –, in die Sprache des Lukrez’schen Atomismus verfalle, merkt Frémont (S. 186 f.) mit Bezug auf Serres, La naissance de la physique, Paris 1977, an. ²¹⁴ Anspielung auf Horaz, Ars poetica V. 21 f., wo es andersherum läuft: »amphora coepit institui: currente rota cur urcus exit?« »Eine Amphore ist im Entstehen: die Scheibe dreht sich, warum kommt bloß ein Krug heraus?« (Vgl. auch Horaz a.a.O. S. 538 ff., und Hinweis von Frémont). ²¹⁵ Hartsoeker berichtet an Leibniz (30. Dezember 1710), er habe dessen am 1. November 1710 geschriebenen Brief am 20. November von Des Bosses erhalten (vgl. GP·3, 510); somit dürfte es sich um das bei Gerhardt auf »30. Oktober 1710« datierte Schreiben handeln, in dem Leibniz das oben Angesprochene ausführt (vgl. GP·3, 504–510). ²¹⁶ Das »kleine Werk« ist die Theodizee, die 1710 bei Isaak Troyel in Amsterdam erschien – wohl im September, in dem die Nouvelles de la République des Lettres bereits die erste Rezension brachten. Tatsächlich klein ist »Causa Dei asserta per Justitiam eius«, das parallel dazu ebendort gesondert publiziert und erst in den späteren Theodizee-Ausgaben fixer Teil des Anhangs wurde. ²¹⁷ Von G. Daniel und Louis Bourdalouse (1700). ²¹⁸ Kaiser Taizu alias Hongwu. ²¹⁹ Es handelt sich vermutlich um Kangxis am 30. 11. 1700 erlassene Bestätigung der Eingabe der Pekinger Jesuiten für die Berechtigung chinesischer Riten und Begriffe im Christentum, die 1701 als »Brevis Relatio eorum quae spectant ad declarationem Sinarum Imperatoris Kam Hi« in China gedruckt und Anfang 1702 mit F. Noël und Castner nach Rom geschickt wurde, während Bouvet am 4. November 1701 ein anderes Exemplar direkt an Leibniz abgesandt hatte. Das zweite angesprochene Edikt ist unklar, vermutlich bezieht es sich darauf, dass die Jesuiten Arxo und Provana 1708 mit einer neuerlichen Beglaubigung jenes Dekrets als kaiserliche Gesandte nach Rom kamen (vgl. Reil S. 117 f.). – Das »Toleranzedikt« vom 22. 3. 1692 war dagegen sehr allgemein gehalten, wogegen das am 24. Juni 1708 ergangene Edikt des chinesischen Ritenministeriums die Missionare ohne entsprechende Genehmigung (piao) des Landes verwies und wohl ebenso wenig Leibniz’ Interesse am Sinn von Riten wie an einem de-
Anmerkungen
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taillierten Verfahren, Politik und Religion zu versöhnen, befriedigte. Vgl. Collani 1988, S. 156 und 158 f.; Discours 2002, S. 17, Anm. zu Z.8; sowie Dehergne S. 337. ²²⁰ Bei G ist diese Karte nicht überliefert. Möglicherweise stammt sie vom 11. 11. 1710, Tournemine nimmt darin Bezug auf irgendeinen Vorwurf (vgl. RK 19810). ²²¹ Des Bosses versucht – so eine Anregung von Herbert Breger, Hannover, an den Hrsg. – mit diesem Arrangement eine Schwierigkeit der Korpuskulartheorie mit der Bewegung zu verdeutlichen: Wenn kugelförmige Atome nicht bewegungslos dicht geballt sein sollen, brauchen sie, um in Bewegung zu geraten, entweder ein Vakuum als Zwischenraum oder ein veränderliches Volumen, d. h. die »Inflation« oder Aufplusterung von Körpern. – Insbesondere im Streit mit Hartsoeker verwarf Leibniz nicht nur, wie etwa auch Boyle, das Vakuum, sondern die Atome resp. Korpuskel und argumentierte für die Elastizität aufgrund der Kontinuität und Kontiguität verschieden feiner Materien. – Zur »Inflation« vgl. auch Brief Nr. 32 (30. 1. 1708), S. 91. ²²² Die anonyme, François Lamy zugeschriebene Publikation Lettres philosophiques …, Trévoux 1703. Leibniz hatte im § 392 der Theodizee III über sie bemerkt: »Ich möchte wohl alle diese Schriften sehen […]«, da ihm Bayle die Lektüre des Briefes mit Lamys Gottesbeweis nach geometrischer Art empfahl (HT 2, a.a.O. S. 229). Des Bosses’ vorliegende Bemerkung verhalf ihm zu der Replik von 1712, Remarques sur la sixième Lettre … (vgl. die Passage D·1, 504, lat. übersetzt in Des Bosses’ Anm. zu § 392 der Tentamina Theodicaeae 1719, S. 374). ²²³ Vgl. Theodizee I, § 96. ²²⁴ Theodizee I, § 48 (vgl. HT 1, S. 278; der Wortlaut ist, abgerechnet die Auslassungen, identisch, in der Druckfassung wird lediglich noch zusätzlich auf Molina verwiesen). ²²⁵ Vgl. Hartsoeker an Leibniz, 30. Dezember 1710, GP·3, 510–516. ²²⁶ »Essais de Théodicée« ²²⁷ Vgl. Brief Leibniz’ »vom 10. Februar 1711« in den Mémoires de Trévoux, März 1712; in GP·3, S. 516–521 unter 6. Februar 1711. ²²⁸ Anspielung auf Dionysius den Kartäuser und Diego Ruiz de Montoya im Zusammenhang mit der hypothetischen Rede von Schlechtigkeiten Gottes. Vgl. Des Bosses in Monitum *[12]. ²²⁹ Nicht in G überliefert, nicht ermittelt.
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Anmerkungen
²³⁰ Anton Ulrich. – Die Empfehlungen betreffen wohl den in den zwei nächsten Briefen genannten Nikolaus Reingens. ²³¹ Vgl. zu dieser unspezifizierten Büchersendung (mit Sinica) Nr. 77, 80, 81(P. S.). ²³² Siehe Clemens XI. ²³³ Diese Stellung des sog. »persönlichen Gesandten« des Papstes hatte Tournon inne. ²³⁴ Hartsoekers Antwort – vermutlich – vom 13. März 1711 auf Leibniz’ Schreiben vom 8. (10.) 2. 1711 in den Mémoires de Trévoux (März 1712, S. 510–522; wieder – ohne Datum – GP·3, 522–527) vgl. auch unter Leibniz: Lettres de Monsieur le Baron de Leibnits … ²³⁵ Brief an Tournemine: nicht ermittelt. ²³⁶ Die Beilagen Castners sind in G nicht überliefert. ²³⁷ Anton Ulrich ²³⁸ Karl III., damals noch spanischer König kurz vor seiner Kaiserwahl (Karl VI.); die politisch hier nicht in Frage kommende Alternative wäre Philipp V. von Spanien. ²³⁹ In G ist diese Beilage nicht vorhanden. ²⁴⁰ Stelle aus dem ersten Anhang der Theodizee, »Abrégé de la controverse«, so wie die folgenden Zitate auf Frz.; vgl. auch Text und dt. Übersetzung in HT 2, S. 294/295. Von dem frz. Text der Druckfassung (für HT basierend auf J. Brunschwig, Paris 1969) weichen Des Bosses’ Zitate in kleineren Einzelheiten ab. ²⁴¹ Vgl. HT 2, S. 64/65 ²⁴² Vgl. HT 2, S. 100/101 (Theodizee III § 309) – Herring übersetzt dort »détermine«, »bestimmt«, mit »veranlasst«. Genau genommen steht es an dieser Stelle nicht im Gegensatz zu »nécessité«, Notwendigkeit, wie Des Bosses zitiert, sondern zu »nécessite«, notwendig erzwingen. Es geht um die, wie Bayle sagt, notwendige Zustimmung zu einer erkannten Wahrheit. ²⁴³ »S. 66«: Theodizee, Einleitende Abhandlung § 55 (HT 1, S. 154/ 155): »Wenn wir jedoch von einer Verbindung des göttlichen Wortes mit der menschlichen Natur reden, so müssen wir uns mit einer auf Analogie beruhenden Kenntnis begnügen, wie der Vergleich mit der Verbindung zwischen Seele und Körper sie uns zu bieten vermag, und im übrigen müssen wir uns auf die Behauptung beschränken, daß die Fleischwerdung die engste Verbindung sei, die zwischen Geschöpf und
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Schöpfer bestehen könne, und weiter brauchen wir nicht zu gehen.« (Hv. vom Hrsg.) Der bei Des Bosses ebenfalls auf Französisch formulierte Rest des Absatzes über die Nestorianer ist nicht Text der Theodizee. ²⁴⁴ Anton Ulrich ²⁴⁵ Vgl. Anm. 208 zu Brief Nr. 73. ²⁴⁶ Vgl. Brief Leibniz’ an Hartsoeker unter »le 12. de Juillet 1711« in den Mémoires de Trévoux (April 1712, 676–679), bzw. 9. Juli 1711 in GP·3, 527 f. ²⁴⁷ Eine entsprechende Meldung betreffend den Vorsitz der Berliner Akademie ist in der Pariser Ausgabe des Journal des Sçavans nicht ersichtlich, vielleicht in einem anderen Magazin. Vgl. dazu den Registereintrag zu Printzen sowie das P. S. des folgenden Briefes Nr. 83. ²⁴⁸ Vgl. die Übersetzung des Briefs von Tolomei an Des Bosses im Anhang 3. ²⁴⁹ Vgl. wieder Tolomeis Brief an Des Bosses, Anhang 3. ²⁵⁰ Zum Präsidium der Sozietät der Wissenschaften vgl. die vorige Nr. 82, Blo141. ²⁵¹ Dzt. nicht überliefert (nach G und Ravier). ²⁵² Vgl. Leibniz an Hartsoeker, 7. Dezember 1711, GP·3, S. 529 f. ²⁵³ Ovid: Remedia amoris 2. ²⁵⁴ Vgl. die Anm. 156 zu Nr. 57, S. 150. ²⁵⁵ D. i. 31. Dezember 1711. ²⁵⁶ Die Rezension von Jacques Bernard, in welcher »Theodicée« als Verfassername des (vorerst) anonymen Werks herhält, findet sich in den Nouvelles de la République des Lettres vom September und vom Oktober 1710, S. 314–342 und 363–396. Zu einer weiteren TheodizeeRezension vgl. außerdem die Anm. 266 zu S. 223. ²⁵⁷ Zur Apokatástasis pánton, Auferstehung aller, vgl. nicht nur die Rezension zu Petersens »Μυστήριον ἀποϰαταστάσεωϚ πάντων«, sondern auch Leibniz’ Transformation dieses Gedankens in dem lat. Nachlasstext ἈποϰατάστασιϚ (πάντων), niedergeschrieben um 1715 (vgl. Ettlinger, a.a.O. S. 25) – ein Entwurf zur Erfassung und Verzeichnung sämtlicher Wahrheiten als ebenso mathematische wie geschichtstheoretische Aufgabe. ²⁵⁸ Leibniz verwechselt Henri Coislin, den Bischof von Metz (»Metensis«), mit dem von Des Bosses in Nr. 84 und 86 gemeinten Henri Thiard de Bissy, Bischof von Meaux (»Meldensis«).
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Anmerkungen
²⁵⁹ Gemeint ist Christoph Bernhard von Galen. ²⁶⁰ Vgl. Hartsoeker aus Düsseldorf an Leibniz am 6. Jänner 1712, GP·3, 530 ff. ²⁶¹ Lat. »Habeo, captus sum«: Frivole Anspielung auf eine Komödie von Terenz. Vgl. P. Terentius Afer: »Andria«, 82 f. bzw. I.1 55 f., in: Drei Komödien, a.a.O. S. 9. ²⁶² Zur Unterscheidung von »Kontinuum« und »Kontiguum« seit Aristoteles und wieder Thomas von Aquino, der hier auf Leibniz wirkte, vgl. Friedrich Kaulbach in HWBP 4 Sp. 1026 f. Das Adjektiv »kontiguent« (frz. »contigu«; umschreibbar auch mit »aneinander grenzend« bzw. »von Begrenzungen durchzogen«) ist im Dt. nicht lexikalisch und wird hier der Kürze halber eingebracht. ²⁶³ Des Bosses bezieht sich hier u. a. auf Tolomei, vgl. dessen Brief vom 6. Juni 1711 (Anhang 3), der so wie ein anderes Schreiben Tolomeis auszugsweise im »Monitum Interpretis« zur lat. Theodizee 1719 abgedruckt ist; dort auch Zitate aus der Theodizee-Rezension der Mémoires de Trévoux und dem achtfachen »non placet« von einem unbenannten »dritten Theologen«, vielleicht E. de Vitry – vgl. hierzu obige Einleitung, bes. S. XC–XCIII . ²⁶⁴ Eine solche Abhandlung von Des Bosses scheint unter diesem Titel nicht erhalten, der entsprechende Abriss ist jedoch in die »Clavis Lycaei« von 1735 eingeflossen, vgl. Anhang 9. – Gewissermaßen ex negativo behandeln außerdem die Punkte sechs und sieben des »Monitum Interpretis« zur lateinischen »Theodizee« von 1719 (a.a.O. S. *[28–36]) speziell die Substantialität der Engel: Deren reine Spiritualität sei – wie auch in obigen Briefen von September und Oktober 1706 – gegen jede substantielle Union mit einem Körper zu verteidigen; vgl. Anhang 8. ²⁶⁵ Zum veröffentlichten Briefwechsel Leibniz – Hartsoeker vgl. die Anm. 227 des Hrsg. zu S. 201 sowie das Register. ²⁶⁶ Die frz. Rezension der Theodizee im Journal de Trévoux ist erst im Juli 1713 belegt – vgl. Register –, eine zuvor in den engl. »Memoirs of literature« von April bis Juni 1711. ²⁶⁷ Vgl. oben Brief Nr. 87 vom 6. 1. 1712, S. 219. ²⁶⁸ Vgl. Leibniz an Hartsoeker, 8. Februar 1712, in GP·3, 532–535 (der letzte der gerhardtschen Zusammenstellung). ²⁶⁹ Leibniz bezieht sich hier auf Auszüge, die Des Bosses seinem
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vorigen Brief vom 28. 1. (Nr. 88) als »Epitome sententiae Didaci Ruiz eruditinius Theologi de necessitate Dei« etc. beigelegt hatte; sie fehlen bei G. Vgl. RK 45517. ²⁷⁰ »Suppositum« ist nach der Scholastik bis in die Schulmetaphysik des 16. und 17. Jh.s auch ein Ausdruck für »Substanz«, ähnlich wie subjectum: Zugrundegelegtes, Zugrundeliegendes, oft weniger spezifisch gebraucht, doch vornehmlich im Sinn eines unmitteilbaren, »inkommunikablen« Einzelnen, das Träger einer allgemeinen (communis) Natur ist, diese »hat«, Subjekt von Handlungen ist u. ä. – z. B. Person als suppositum von rationaler Natur. Die Lehre von der Supposition war seit dem Humanismus bereits als unnütze Subtilität zur Seite gedrängt, sie wurde auch innerhalb der spanischen Spätscholastik etwa von P. Fonseca kritisiert; vgl. u. a. Goldenbaum S. 177 und 386; HWP 10, Sp. 661 ff. und 652 ff. sowie die entsprechende Anm. zu Anhang 7 S. 438. ²⁷¹ Vgl. auch die Beilage zu Nr. 102, S. 283 ff.. ²⁷² Letzter Bezugstext für die hier anhebenden Fragen und Beispiele zur Ontologie ist zweifellos Aristoteles’ Metaphysik Z. Dort wird Wesen, οὐσία, bis hin zum ὑποκείμενον (Substanz, Subjekt, Substrat) erstmals aufgefächert. ²⁷³ Über die Anm. 134 zu Brief Nr. 52 (S. 131) hinaus sei aber an dieser Stelle daran erinnert, dass aristotelisch die Substanz (ousía, Wesen) als ausgezeichnete, erste Kategorie klar unterschieden wird von der Substanz im strikten Sinn des »hypokeímenon«, nämlich als »das, von dem alles ausgesagt wird, das aber selbst von nichts ausgesagt wird«. Erstere, die ausgesagte, ist das »Was« eines Seienden (tò tí ên eînai), zweitere, die nichtaussagbare, eben das Subjekt, Substrat, Zugrundeliegende, die »Substanz« im wörtlichen Sinn. Vgl. Aristoteles: Metaphysik Z, 1028 a13 und 1028 b36. Die weiteren Differenzierungen des »Wesens«, der ousía, – im Hinblick auf das Konkrete (vs. Abstrakte), auf Art und Gattung, auf Form und Materie, Dynamis und Energeia bzw. Akt und Potenz, auf Entelechie – erfolgen innerhalb dieser Spannung. Leibniz geht mit der explizierten Problematisierung des »inesse« über die gewissermaßen bloß halbe Frage nach dem »Was« ebenfalls hinaus und greift dadurch jene Spannung spezifisch, nämlich in der Durchgängigkeit logisch – modal – ontologisch, auf.
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Anmerkungen
²⁷⁴ Clemens XI. ²⁷⁵ Des Bosses liefert sich hier der Spannung zum »Menschen als Maß aller Dinge« nach Protagoras aus, den Platon mit dem Relativismus-Verdikt belegt hatte (vgl. u. a. Platon: Theaitetos 152 d ff., spezifisch 160 c: »Wahr also ist für mich meine Wahrnehmung, denn sie ist jederzeit die meines eigenen Wesens/ousía«). Umso brisanter ist Des Bosses’ anschließende Einforderung des »Absoluten« der Phänomene. Der von Aristoteles gebahnte Weg hatte noch nicht so weit geführt: »Die Sinneswahrnehmung ist ja doch nicht Wahrnehmung ihrer selbst, sondern es muss etwas davon Verschiedenes außer der Sinneswahrnehmung existieren« (Aristoteles: Metaphysik Γ 1010 b35 ff., nach Bonitz / Seidl, a.a.O. S. 167), vielmehr in eine Zwickmühle: »Wer alles Erscheinende für wahr erklärt, der macht alles Seiende zu bloß Relativem (prós ti)« (a.a.O. 1011 a19 f., S. 169). Mit der vorliegenden »Realisierung der Phänomene« wird nun neuerlich eine Runde im Gefecht zwischen Schein und Erscheinung, übrigens noch einige Zeit vor dem Einschreiten Kants, geschlagen. ²⁷⁶ Vgl. oben Nr. 89, S. 228 f. ²⁷⁷ In G findet sich diese Beilage nicht. Dem Brief lag nach RK 45519 ein Duplikat oder Exzerpt der besagten frz. Vorlage bei. ²⁷⁸ Vermutlich Philippus van Wavre; s. im Register unter Augustinus Europaeus. ²⁷⁹ Greifbare Gestalt erhielten Leibniz’ Meditationen zu diesem Thema erst im Juni und Juli 1714: zunächst die Principes de la nature et de la grâce fondés à raison für Prinz Eugen, dann die »Principes de la Philosophie« für Nicolas Rémond, die 1720 von Heinrich Köhler in dt. Übersetzung als Monadologie publiziert wurden. (Vgl. Chronik S. 246 f.; Herring in Leibniz: Vernunftprinzipien / Monadologie, S. VIII.) Des Bosses’ Informationsquelle bleibt kryptisch. ²⁸⁰ Die in diesem Satz anklingende Tautologie macht Sinn, wenn man bedenkt, dass es bei den Aristotelikern oder Peripatetikern keine »Monaden« gibt. ²⁸¹ Zur Rezension der Theodizee in Trévoux vgl. Anm. 266 (S. 223) bzw. Register Leibniz· Theodizee. ²⁸² Exzerpt aus einem Brief vom 21. Mai von »Herrn Baron von Nagel« aus Rom. Vgl. RK 45521. ²⁸³ Vgl. Anhang 4.
Anmerkungen
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²⁸⁴ Zu diesem und den folgenden Zitaten dieses Briefs vgl. Nr. 94, S. 243 f. ²⁸⁵ »Existieren« ist hier stark an »Entstehen«, »Hervortreten« angenähert. ²⁸⁶ Vgl. Martin Perez’ Schrift »De mirabili Divini Incarnatione«. ²⁸⁷ »Konnatural«: Wie schon die mittlere Stoa spricht Pseudo-Dionysios Areopagita in den »Göttlichen Namen« von der συμφυία (symphyia, Zusammenwuchs, Verwandtschaft) alles Seienden; daran anknüpfend ist in der Tradition seit Thomas von Aquino mit »connaturalitas« die ursprüngliche Gleichnatürlichkeit von Erkennendem und Erkanntem angesprochen. Insbesondere kommt dies im außerrationalen, affektiven Bereich zum Tragen (Cajetan, F. Suarez u. a.), also im Sinne einer unmittelbar-intuitiven Erkenntnis ohne rationale Überlegung oder Schlussfolgerung. Im Sinn der intuitiven (nicht-diskursiven) Bezogenheit des Subjekts auf das Objekt blieb der Term auch außerscholastisch bis heute in Verwendung, vor allem mit Bezug auf Moral, Ästhetik und Mystik. Zum anderen wurde, nach Vorgang von Protagoras, Aristoteles, Ammonios Saccas (3. Jh. n. C.), mit »konnatural« die Affinität zwischen Erkennendem und Erkanntem etwa auf die Korrespondenz zwischen Organismus und Umwelt umgelegt, differenziert in subjektive und objektive Konnaturalität (vgl. z. B. Alois Dempf: Kritik der historischen Vernunft. Wien 1957, S. 34, 37, 104, sowie K. Riesenhuber in HWBP 1, Sp. 1029 f.). ²⁸⁸ Horaz, Epistulae II. Buch, 2·129 – ein ansonsten biederer Mann applaudiert zu imaginären Theateraufführungen und lässt sich nur unter Protest aus dieser »höchst angenehmen« Illusion reißen. ²⁸⁹ Um 500 v. C. sagte Heraklit (nach Aetios), die Sonne sei so breit wie der menschliche Fuß (Fragment DK 22 B3, in: Mansfeld, Hrsg.: Die Vorsokratiker I, S. 267). ²⁹⁰ Rémarques sur le livre de l’origine du mal, publié depuis peu en Londres, dritter Appendix der »Theodizee«-Erstausgabe (Amsterdam 1710), über das Buch »De Origine Mali« von William King (1702 u. ö.). In besagter Nr. 5 geht es um das Wahrheitskriterium: Leibniz distanziert sich sowohl von Kings Vorschlag einer inneren Kraft oder Evidenz, die den Verstand zur Zustimmung zwinge; wie auch von der cartesianischen »klaren und deutlichen Perzeption« als Wahrheits»marke«, weil dann zusätzlich eine innere Kraft zu der
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Anmerkungen
Erkenntnis vonnöten sei, ob eine Perzeption eben klar, distinkt sei oder nicht. Besser sei es, zwischen Vernunftwahrheiten und Tatsachenwahrheiten zu unterscheiden und das Kriterium letzterer in der Rückführbarkeit auf unmittelbare Perzeptionen »in uns«, deren Realitätsgehalt aber durch logische Kohärenz – sei es der Begriffe wie auch der Phänomene – untereinander zu bestimmen, »nach Art der Regeln der Mathematik«; somit eine Reduktion der Tatsachen- auf Vernunftwahrheiten durchzuführen. Vgl. GP·4, 404 f. ²⁹¹ Über die Frage, wer oder welche Gruppe aus christlicher Sicht zum Heil gelangen könne, äußerte sich Paulus bes. in Kap. 9 bis 11 des Römerbriefs. ²⁹² Des Bosses’ Exzerpt zu Izquierdo – beginnend mit »Satz 5: Gott, um einige Güter auszuwählen […]«, vgl. RK 45520 – ist in G, D nicht enthalten. ²⁹³ Vgl. die Übersetzung im Anhang 4. ²⁹⁴ Vgl. die ausdrücklich Leibniz anführende Paraphrase dieser Briefstelle in DB Monitum *[12]: »Gott ist dazu genötigt, eine Welt zu erschaffen – moralisch, nicht metaphysisch.« ²⁹⁵ Vgl. Leibniz’ Qualifizierung des Kontinuums als herausforderndes »Labyrinth« bes. in Theodizee, Einleitende Abhandlung § 24 ff. (HT a.a.O. S. 111–115); Vorwort, ebd. S. 13 f.; außerdem § 70 (ebd. S. 177 f.), sowie in Bezug auf die Zeit und die »kontinuierliche Schöpfung«, unter Aufschub der Lösung, ebd. III § 384 (Bd. 2, S. 219). ²⁹⁶ Als Würmer bezeichnete man in der Biologie des 17. Jahrhunderts kleine Organismen, die unter dem Mikroskop in den Samen von Lebewesen beobachtet wurden (vgl. auch Frémont S. 213); Antonie van Leeuwenhoek gilt als ihr Entdecker. ²⁹⁷ Vgl. den folgenden Brief mit Anm 298. ²⁹⁸ Von Tolomei liegt laut RK 46670 ein Brief an Leibniz vom 30. 7. 1712 vor, der auf das vermutlich hier angesprochene Schreiben Leibniz’ vom 16. Juni 1712 (vgl. Anhang A 4) antwortet: (»Sie haben mir zur Kardinalswürde gratuliert […]«). Allerdings ist dieser Brief in G (und D) nicht überliefert. ²⁹⁹ Einheit »unitas«, Vereinigung »unio«. Nur auf S. 104 und im »Einheitlichen« der vorliegenden Übersetzung wird »unio« mit »Einheit« wiedergegeben.
Anmerkungen
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³⁰⁰ Erfahrungserkenntnis mit fließendem Übergang in »experimentelle Erkenntnis« – »experimentalis cognitio«. ³⁰¹ Zur Theodizeestelle vgl. Nr. 96 (S. 253). ³⁰² Vgl. Nr. 98 mit Anm. 298. ³⁰³ Der Impetus-Begriff – auch »Drang«, gelegentlich »Anstoß«, hier »Antrieb« – ist Bestandteil der scholastischen Physik (J. Buridanus, 14. Jh.) und meint die Bewegungskraft eines Gegenstandes, der sich von seinem äußeren Beweger abgelöst hat (z. B. Pfeil, Himmelskörper). Offizielle Lehre noch im 16. Jh., wurde die Impetustheorie zuletzt mit Galilei und Newton durch das Trägheitsprinzip ersetzt, das zur Bewegungserhaltung keine Kraft mehr erfordert. Vgl. M. Jammer in HWBP 4, Sp. 260 f. ³⁰⁴ Vgl. zum spezifischen logischen und ontologischen Charakter dieser »Synthesis« des vinculum substantiale auch unten S. 307 (mit Anm. 344) und 353 f. ³⁰⁵ Mit Frémont (S. 260 f.) kann hier etwa auf Kyrillos von Jerusalem (4. Jh.) verwiesen werden. Vgl. auch Nr. 130 (S. 356). ³⁰⁶ Johann Pistorius ³⁰⁷ »Höhere« Mathematik heißt hier wörtlich: geheimer, entlegener, seltener, verborgener (»reconditior«). ³⁰⁸ Zur niederrheinische Provinz des Jesuitenordens, eingerichtet 1626, gehörten im 18. Jh. die Ordenskollegien Köln, Bonn, Düsseldorf, Neuß, Emmerich, Xanten, Aachen, Münstereifel, Düren, Jülich, Essen, Trier, Koblenz, Hadamar, Siegen, Naussau, St. Goar, Büren, Geist, Münster, Koesfeld, Osnabrück, Meppen und nicht zuletzt Paderborn – mit den Häusern in Falkenhagen, Paderborn und der Weser-Mission – sowie – für die niedersächsische Mission – Hildesheim (Halberstadt). Vgl. Duhr, a.a.O. Bd. 4. ³⁰⁹ Vgl. die Briefe Nr. 96 und 99 vom 16. Juni und 20. September 1712, im folgenden Wortlaut geringfügig von Des Bosses variiert. ³¹⁰ Die »Unterstreichungen« des Originals sind hier kursiv gesetzt. ³¹¹ Vgl. Aristoteles’ mehrfache Gegenüberstellung von Akzidens (συμβεβεκόϚ) versus An sich (καθ᾽ ἁυτό) in den »Zweiten Analytiken«, 73 a 34–b 16: »Was nicht von einem Zugrundeliegenden (ὑποκείμενον, Substanz, Subjekt) ausgesagt wird, nenne ich ›an sich‹, was dagegen von einem Zugrundeliegenden ausgesagt wird, Akzidens. Außerdem:
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Anmerkungen
[…] Was jedem durch sich selbst zukommt, an sich, was nicht durch sich selbst, Akzidens.« (Aristoteles: Erste Analytik / Zweite Analytik. Organon 3/4. Griechisch-Deutsch. Hrsg., übersetzt, mit Einleitungen und Anmerkungen versehen von Hans Günter Zekl. Hamburg 1998, S. 327 f. Übersetzung modifiziert, C. Z.). In der »Ersten Philosophie« heißt Akzidens hingegen »1. das, was einem zukommt und mit Wahrheit von ihm ausgesagt werden kann, doch nicht mit Notwendigkeit und nicht in den meisten Fällen« – z. B. der zufällige Fund eines Schatzes beim Graben – »[…] 2. das, was einem jeden an sich zukommt, ohne in seinem Wesen (οὐσία) zu liegen« – wie die Summe von zwei rechten Winkeln in einem Dreieck. » […] Das Akzidens in diesem Sinn kann ewig sein, in jenem aber nicht.« Übersetzung modifiziert nach Aristoteles: Metaphysik (1025 a14 ff.) · Hrsg. Seidl, Hbd. 1, a.a.O. S. 247 f. sowie dass.: Hrsg. Schwarz, a.a.O. S. 153 f. ³¹² Keine solche Beilage in G. Vgl. dazu Robinet 1969, S. 87. ³¹³ Für »Änderung« steht hier im Lat. »variatio«, auch Mannigfaltigkeit und Varianz, die gelegentlich von der »mutatio«, dem einmaligen Wandel oder Verwandlung, unterschieden wird. ³¹⁴ Dieser Stellenverweis auf Temmik führt ins Leere; er könnte indessen auf die Seite 125 (§ 215) hindeuten, die Leibniz am Schluss der »Adnoten« (siehe Anhang 7) kommentiert; oder er bezieht sich vielleicht auf das zweite Opusculum der »Philosophia Vera«, den »Liber Dialogorum cum Amatoribus Veritatis de Mysteriis a Deo relevatis«, der im Abdruck bei Mugnai nicht mehr enthalten ist und für die vorliegende Ausgabe nicht greifbar war, heißt es doch im ersten Part (S. 125 Abs. 215, Mugnai S. 251): »Doch über die Eucharistie im Besonderen siehe unten im ›Dialogus‹«. ³¹⁵ »Termini« sind hier die üblichen umgrenzten Begriffe, werden aber andernorts gelegentlich auch im engeren Sinn von begrifflichen »Grenzbestimmungen« (wie Punkte, Linien, »äußere« Objekte) verwendet; vgl. die Stellen gemäß Sachregister. ³¹⁶ Lat. »connotionales«. Leibniz variiert hier scholastische Terminologie, vgl. auch seine Randbemerkung unten mit dem Alternativwort »connotantes«: In der Scholastik (etwa bei Occam) waren »konnotative« Termini solche, die mehrere Dinge auf verschiedene Weise bedeuten, im Gegensatz zu absoluten mit stets ein und derselben Bedeutung. In der Folge – z. B. im frühen 16. Jh. – wurde zwischen wesent-
Anmerkungen
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lichem »intrinsischem« (z. B. »vernünftig« beim Menschen) und akzidentellem »extrinsischem« connotativum unterschieden. Vgl. zur Vielfalt des Konnotationsbegriffs V. Muñoz Delgado in HWBP 1 Sp. 1031. ³¹⁷ Keine eigene Bewegung der Relationen lehrt Aristoteles u. a. in Metaphysik K 1068 a10, ihre ontologische Degradierung vgl. auch N 1088 b2. Zur gesamten Frage der Logik und Ontologie der Relationen bei Leibniz vgl. ausführlich auch Mugnai, a.a.O. ³¹⁸ »zum Glück fähig«: beabilis – Die Seligkeit, beatitudo, ist also angesprochen, nicht so wie oben – in der Frage des Zwecks kultischer Handlungen (S. 145) – die soziopolitische felicitas. Vgl. Leibniz’ diesbezügliche Differenzierungen in mehreren Textskizzen, bes. Ende der 70er Jahre (u. a. AA VI·3, S. 645–654; AA VI·4, S. 2712 f. und 2792– 2798), dazu vor allem »De publica felicitate« (um 1680, ebd. S. 2842 f.), dt. »Über die öffentliche Glückseligkeit«, übersetzt von H. H. Holz in Leibniz: Politische Schriften II, a.a.O. S. 134 f. ³¹⁹ Mit den »appetitiones«, auch »Strebungen«, taucht erstmals in diesem Briefwechsel ausdrücklich der definitorische Terminus der Monadologie und Principes de la nature et de la grâce auf, den Leibniz auch schon 1698 in De Vi insita … gebrauchte (vgl. Philosophische Schriften 4, S. 296): Zusammen mit den Perzeptionen ergibt das Begehren, »appetitio« oder »appetitus«, die typische ontologisch-dynamische Struktur der Monaden, vgl. lapidar: Monadologie §§ 15–19; Prinzipien der Natur und Gnade § 2. Vorher wurde der (hobbes’sche) Begriff »conatus« dafür verwendet. Ein Unterschied kann in der Objektgerichtetheit der appetitiones, die sich ja von einer Perzeption auf die nächste stürzen, gegenüber dem Charakter des conatus als allgemeinem Strebevermögen und Antrieb zur Bewegung gesehen werden, wie das bereits die Stoa tat (vgl. J. Nieraad in HWBP 1, Sp. 1028 f.). Zu den Begriffsbestimmungen in der Dynamik um 1700 (Spinoza, Hobbes, Leibniz, Newton, Huygens) vgl. u. a. den Überblick in Mittelstraß 2. Aufl. Bd. 2, S. 86. Vgl. auch die Anm. 7. ³²⁰ Die Übersetzung von »re quoad ipsas reducta ad statum Hypotheseos merarum Monadum« interpretiert hier; alternativ sei auf Frémont (vgl. S. 228) verwiesen, die weniger strikt durchblicken lässt, dass nicht das Ding, sondern »die Frage auf einen Stand zurückversetzt wird, wo sie der Hypothese der einfachen Monaden untersteht« (Hervorhebung und Dt. C. Z.).
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Anmerkungen
³²¹ Die persönliche Einladung durch Peter den Großen war im September 1712 erfolgt. ³²² »Essais«: die Theodizee; Übersetzung Des Bosses’: Godefridi Guilelmi Leibnitii Tentamina Theodicaeae …, 1719. ³²³ Vermutlich ist das Edikt Kangxis vom Dezember 1706 gemeint. ³²⁴ Die zitierte Quelle wurde nicht ermittelt. Bei dem beschriebenen Tempel könnte es sich um die zwischen Ende 1699 (Grundsteinlegung) und Dezember 1703 errichtete Jesuitenkirche in der Kaiserstadt handeln (die vierte in Peking), die vom Kangxi-Kaiser auch materiell massiv unterstützt worden war. Eine weitere Kirche, jene des Jesuitenkollegs, war 1706 in Bau (vgl. Reil, a.a.O. S. 78–80 und 131, allerdings ohne Erwähnung der Inschrift). Zur Inschrift wurde 1711 eine Broschüre publiziert: »Inscriptio imperatoris Kam Hi pro ecclesia S. J. Pekini« (SOVO 12, Sp. 1284). Nach Rita Widmaier (schriftliche Mitteilung an den Hrsg.) enthielt der Spruch die beiden Zeichen für »jing tian«, d. h. »Ehre den Himmel«. ³²⁵ Lat. »aequitate«, auch: »Billigkeit«; derselbe Terminus wird in der Zeile davor als »Gleichmaß« übersetzt. – Vgl. dazu auch Leibniz’ rechtsphilosophische Konzeption der Billigkeit (als Rechtsnorm zwischen strengem Recht unten und Pietas oben, die insgesamt als Naturrechtsnormen dem positive Recht übergeordnet sind) in der Präsentation durch Busche: Frühe Schriften zum Naturrecht, a.a.O. S. LIX–CI . ³²⁶ Zum Wiederabdruck der Kontroverse Leibniz – Hartsoeker im Pariser Journal des Sçavans Dezember 1712 und Jänner 1713 vgl. auch den Registereintrag Leibniz: Lettres de Monsieur le Baron de Leibnits. ³²⁷ Es ging hauptsächlich um Leibniz’ Hofrat-Bestallung und die geplante Wiener Akademie. ³²⁸ Während eines Mittagessens beim Grafen Schlick (dem künftigen Kanzler von Böhmen) am 16. Februar 1713 verteidigte Leibniz im Streit mit Schlick und Prinz Eugen die jesuitische Toleranz der chinesischen Riten. Vgl. Chronik S. 235 sowie die Briefe vom 24. April 1713 und 13. Jänner 1716 (S. 341). ³²⁹ Die Rezension im angesprochenen Journal des Sçavans wurde nicht ermittelt. ³³⁰ Eine Rezension der Theodizee im Journal de Trévoux erschien im Juli 1713.
Anmerkungen
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³³¹ Vgl. auch die Anm. 328 zu Nr. 106 vom 4. März 1713. ³³² Reichshofratstitel und auch Wiener Akademie. ³³³ Die im Folgenden apostrophierten §§ der Theodizee stimmen mit den Druckfassungen wiederum überein. ³³⁴ Die »eductio« galt in der Scholastik als »Hervorgehen der Formen aus der Potenz des Stoffes« (eductio formae de potentia materiae), wie noch bei Suarez. Nach Thomas von Aquino erfolgt Eduktion mittels etwas Wirklichem, Kraft (S. theol. I qu. 90 a2). Gleichwohl unterschied man später zwischen »Edukt« und »Produkt«, wonach Kant in der Kritik der teleologischen Urteilskraft, § 81, der Eduktion die bloße Präformation oder Evolution der einzelnen lebenden Organismen, der Produktion dagegen die »epigenetische« Zeugung neuer Individuen zuwies. (Vgl. Eisler; Kant: Kritik der Urteilskraft, Weischedel X, S. 379). Vgl. auch Anhang 7. ³³⁵ Kaiser Karl VI. ³³⁶ Vgl. oben, Anm. 287. ³³⁷ Journal des Sçavans ³³⁸ Bereits im Juli 1713. ³³⁹ Vgl. u. a. Anm. 330 und Register. ³⁴⁰ Des Bosses’ Auszüge aus Tournemines Briefen fehlen in G. Es scheint sich um die Schreiben vom 20. 1. 1714, mit dem (frz.) Anfang »Ich werden Ihnen alle ›Journale von Trévoux‹ schicken […]«, und vom 13. 3. 1714, beginnend (frz.) mit »Herr von Leibniz wird zufrieden sein […]« gehandelt zu haben (vgl. RK 6191 und 6212). ³⁴¹ Von den drei frz. Theodizee-Anhängen wurde der »Abrégé« in Syllogismenform – vgl. auch oben Nr. 80, S. 206 – unter den Teil III subsumiert und in die lat. Übersetzung von 1719 aufgenommen, während hier vermutlich die beiden über Hobbes’ »Questions concerning Liberty, Necessity and Chance« und King’s »De origine Mali« angesprochen sind, die auf Lat. erst im nachgereichten Zusatzband der »Tentamina« von 1733 erschienen. Ohnehin lat. abgefasst war der vierte Anhang, die »Causa Dei«, die 1719 wieder mit abgedruckt wurde. ³⁴² Vgl. Nr. 112 mit Anm. 341. ³⁴³ Die Praemotio physica – etwa: physikalisch bedingende Bewegung – ist ein spezifisches Pendant zur Prädetermination und gilt im Thomismus als Voraussetzung dafür, dass menschliches Handeln
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Anmerkungen
überhaupt wirksam werden und als Ursache betrachtet werden kann, also auch als Voraussetzung jeder Freiheitskausalität. Sie sei diejenige (von Gott kommende) Bewegung, die den freien Willen zur Ausführung der Akte veranlasst – nicht etwa moralisch, sondern physisch; denn ein kontingentes Wesen, das also nicht durch sich existiere, wie Thomas von Aquino meint, könne auch nicht durch sich handeln. Vgl. Leo Scheffczyk in LTK³ 8, Sp. 484 f. ³⁴⁴ Diese Auffassung, dass sich Relationen nicht in mehreren Subjekten gleichzeitig befinden, teilt Leibniz mit F. Suarez. Vgl. dazu die Analyse der leibnizschen Relationsbestimmungen durch Mugnai, der in diesem Zusammenhang auf Suarez’ 47. Metaphysische Untersuchung verweist (Mugnai a.a.O. S. 99). Dasselbe Prinzip war oben S. 263 bereits für Modifikationen im Allgemeinen, nicht bloß für Relationen, aufgestellt worden, und wird bes. S. 353 f. ausdrücklich wieder angeführt. Umso mehr ergibt sich hier wie dort der eigentümliche ontologische Charakter des »vinculum substantiale«, das eben mehrere reale Einzeldinge zu einer gemeinsamen Substanz zusammenbindet, nicht bloß zu einem Gedankending. ³⁴⁵ Das falsche Gerücht vom Tod des Kangxi-Kaisers hatte Leibniz im Jänner 1699 vom Leiter der Ostindien-Kompanie aufgeschnappt, dem Amsterdamer Bürgermeister Nicolaas Witsen, Teilnehmer einer Moskaudelegation, der Kangxi wahrscheinlich mit einem 1697 verstorbenen ostmongolischen Fürsten verwechselte (vgl. Brief Leibniz’ an A. Verjus vom 30. 1. 1699, in: Widmaier, Hrsg. 1990, S. 90). ³⁴⁶ George Berkeley ³⁴⁷ Vgl. das Zitat aus Malebranche in Theodizee III, § 398. ³⁴⁸ Die Antwort von Leibniz auf diesen Brief scheint zu fehlen; vgl. Nr. 118 (S. 313) und 121 (S. 318). ³⁴⁹ Tod von Königin Anne am 12. August, Thronbesteigung von Georg Ludwig von Hannover; vgl. auch die einleitende Chronologie (sowie Chronik S. 246). ³⁵⁰ Die Annalen zur Braunschweigische Geschichte, an der Leibniz weit über dreißig Jahre arbeitete – vgl. Register und die Anm. 363 zu Des Bosses’ Brief vom 20. Juli 1715 (S. 330, Nr. 124). ³⁵¹ Zur »promotio« oder »praemotio physica«, der physikalisch bedingten Bewegung von Lebewesen, vgl. auch oben S. 306 mit Anm. 343.
Anmerkungen
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von Laurent-François Boursier Laurent-François Boursier Offenbar George Berkeley, vgl. oben Nr. 115, S. 309. Vgl. Nr. 115, S. 310. Beilage im Original Französisch. Originalsprache der Beilage ist Französisch. »Ex illa die«, März 1715, von Clemens XI. Das kurze lateinische »Buch« (libellum), wie Leibniz wörtlich sagt, ist die Abhandlung »Causa Dei«. Vgl. auch Anm. 216. ³⁶⁰ Der letzte Halbsatz ist von Des Bosses griechisch formuliert: »τὰϚ δευτέραϚ πῶϚ φροντίδαϚ σοφωτέραϚ«. – Dieser beigelegte Brief Hartsoekers von Mitte 1715 ist in G nicht überliefert, ebensowenig in einer der Hartsoeker-Korrespondenzen in den bisherigen LeibnizAusgaben von Gerhardt (GP·3), Dutens (Bd. 2·2), Kortholt (Bd. 4) (vgl. Ravier). ³⁶¹ Vgl. Nr. 9 vom 20. 8. 1706, S. 34 ff., sowie Nr. 10 bis 12. ³⁶² Zitat aus Ovidius Naso: Metamorphosen 2, 5 (nach Walther). ³⁶³ Leibniz’ welfische Annalen. 1715 erschien zudem bei Nicolaus Förster in Hannover Leibniz’ kleine Schrift De Origine Francorum disquisitio. ³⁶⁴ Zur Übersetzung des mit dem Jansenismus-Streit befassten Buches Lettres d’un Abbé à un Evêque … vgl. Des Bosses: Epistolae Abbatis N. ad Episcopum N. Zu Autor und Publikation siehe Daniel und Lallemant. ³⁶⁵ Möglicherweise Lallemants »Lettre d’un théologien à l’auteur des Hexaples«, das allerdings schon 1714 und in anderem Format erschienen war, oder eine damit zusammenhängende Schrift. ³⁶⁶ »Kategorial« ist Übersetzung für lat. »praedicamentale«; »prädizierbar« (in etwa: »aussagbar«) für lat. »praedicabile«. Zu Prädikament bzw. Kategorie gegenüber Prädikabilie bzw. Kategorem vgl. die Anm. 134 zu S. 131. ³⁶⁷ Auslassung nach G ³⁶⁸ Tournons Nachfolger Giovanni Ambrosio Mezzabarba, Patriarch von Alexandrien, fuhr 1720 nach China und vertrat dort eine partielle Lockerung des päpstlichen Ritenverbots, womit er es sich aber sowohl mit Kangxi als auch mit dem Papst verdarb. Portugal hatte nach Inhaftierung Tournons gewünscht, ein neuer Gesandter
³⁵² ³⁵³ ³⁵⁴ ³⁵⁵ ³⁵⁶ ³⁵⁷ ³⁵⁸ ³⁵⁹
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Anmerkungen
solle dessen de facto-Aufhebung des Padroado über Indien rückgängig machen. Vgl. DTC 2, Sp. 2384 ff. ³⁶⁹ Rémond, vgl. seine Briefe an Leibniz vom 12. 10. 1714, 1. 4. 1715; dazu Loosen S.137. ³⁷⁰ Leibniz bezieht sich – wie schon indirekt in Nr. 57 – auf den 1701 in Paris erschienenen Sammelband »Anciens Traités de diverses auteurs sur les Cérémonies de la Chine«, hrsg. vom Séminaire des Missions Etrangères, mit den beiden Schriften Traité sur quelques points de la Religion … von Longobardo und Traité sur quelques points importantes … von Santa Maria. Beide Texte wurden mit den Anmerkungen von Leibniz auch von Christian Kortholt im 2. Band seiner »Leibnitii epistulos ad diversos« 1734 hrsg. Sie dienten Leibniz in der Abhandlung über die »natürliche Theologie« der Chinesen – vgl. den folgenden Brief vom 13. 1. 1716 – als primäre Quellen für die Interpretation der chinesischen Philosophie. Vgl. Kern a.a.O. S. 227 f., 260 ff., 271 f.; Leibniz: Abhandlung …, a.a.O. S. 140 f. et passim; Discours 2002, S. 9 f., 12 mit kommentiertem Abdruck. ³⁷¹ »Dissertatio de Theologia Sinensium naturali«: Der für Nicolas Rémond verfasste (unvollendete) frz. Text, den Leibniz nie aus der Hand gab – Arbeitstitel war einfach »Philosophie chinoise« oder »Des Chinoises« –, wurde erst postum publiziert (vgl. Register). Rémond hatte in einem Brief vom 12. Oktober 1712 Leibniz gebeten, sein Urteil über eine Schrift Longobardos abzugeben, und am 1. April 1715 sein Anliegen urgiert (vgl. Leibniz: Abhandlung über die chinesische Philosophie, a.a.O. S. 137). Vgl. auch den vorausgehenden Brief an Des Bosses (Nr. 126). ³⁷² Leibniz’ Annahme eines derartigen chinesischen Schöpfungsbegriffs ist ausgeführt in der genannten Abhandlung (vgl. bes. »§ 18«, sowie »§ 25« und »25 a« in der §§-Zählung nach Loosen bzw. Kortholt, sowie Discours 2002 S. 43 ff., 49–54). In seiner gegen die Verwerfung chinesischer Philosophie u. a. durch Longobardo S J gewandten Hermeneutik parallelisiert Leibniz Gott mit dem li (Prinzip, Ordnung), gegenüber der Materie als qi (Fluidum, Luft, Stoff, Kontinuum), vgl. Abhandlung …, Übers. Loosen, S. 159 f. Damit stellt er sich Longobardos Qualifizierung des li als eines materiellen Prinzips entgegen. Die Auffassung jedoch, dass li das qi hervorbringe, ist den interpretierten »alten Chinesen«, d. h. (neo)konfuzianischen Autoren und Texten
Anmerkungen
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keineswegs explizit anzurechnen (hier vor allem Zhu Xi, 12. Jh.; ansonsten die Schriften Da Xue – Das Große Lernen, Shu Jing – Buch der Urkunden, u. a.). Diese sprechen vielmehr von einer Wechselkorrelation; vgl., auch zur Rolle des taiji in diesem Verhältnis, die Dokumente in Li 2000 S. 423–430. Zu dieser Frage siehe ferner die entsprechenden, teils Leibniz-kritischen Untersuchungen in Li/Poser (Hrsg.) 2000, S. 192–238, darunter Gernet: Leibniz on a seminal Chinese Concept, a.a.O., sowie Chan und Yamaguchi. Außerdem in größerem Zusammenhang zum Verhältnis Leibniz – Neokonfuzianismus Li, Mungello, Geldsetzer/Hong u. a., und allgemein die Untersuchungen und Kommentare zu Leibniz’ China-Abhandlung von 1715, beginnend mit den im Register (Leibniz: Dissertatio de Theologia Sinensium) ersichtlichen Editionen. ³⁷³ Aller Wahrscheinlichkeit nach Landgraf Ernsts »Discreter Catholischer« von 1666. ³⁷⁴ Vgl. die Gespräche im März und April 1713 in Nr. 106 und 107. ³⁷⁵ Vgl. Leibniz’ Frage in Nr. 125 S. 335 sowie Des Bosses’ Brief vom 7. März 1716, Nr. 128 (S. 348 f.) ³⁷⁶ Dies betrifft die Lettres d’un Abbé … von G. Daniel. ³⁷⁷ Vgl. Theodizee III § 310: »Suarez […] glaubt, Gott habe die Dinge im Voraus so geordnet, daß ihre Gebete, wenn sie mit voller Hingebung verrichtet werden, immer Erfolg haben: Es ist das eine Probe von einer prästabilierten Harmonie.« (Theodizee, HT 2 S. 105). Leibniz bezieht sich dort nicht auf Suarez’ »Metaphysicae Disputationes«, sondern die »Abhandlung über das Gebet« (4. Traktat des »Opus de virtute, et statu religionis«). ³⁷⁸ Wie schon aus Gerhardts Anmerkung zu diesem Brief und den obigen Bezugnahmen auf literarische Titel erahnbar, fehlt hier ein offenbar gewichtiges Schreiben, in dem Des Bosses nochmals die Initiative des Fragens zur metaphysisch-philosophischen Sache ergriffen hat. Dieses Schreiben wurde auch in den Handschriftenbeständen des Leibniz-Archivs, der Bibliothèque Nationale de Paris und des British Museum in London nicht vorgefunden, wie mir Brandon Look auf Anfrage mitteilte – wofür ihm freundlichst gedankt sei. ³⁷⁹ Extrait d’un lettre de M. Leibniz sur la question, Si l’essence du corps consiste dans l’Etendue erschien am 18. Juni 1691 im Journal des Sçavans.
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Anmerkungen
³⁸⁰ F. Fonsecas Beilage – vgl. RK 6434 – ist in G nicht enthalten. ³⁸¹ Vgl. Anm. 59. ³⁸² Frz. verfasst von G. Daniel, Lat. übersetzt von Des Bosses. Vgl. Nr. 124 und Register. ³⁸³ Diese philosophischen Ausführungen von Des Bosses sind nicht überliefert. ³⁸⁴ Unter anderem handelte es sich dabei um Tolomei, vielleicht auch Tournemine oder de Vitry (vgl. Monitum Interpretis 1719, hierzu die obige Einleitung S. XC–XCIII und Anhang 8 und 9). ³⁸⁵ Im Original Frz. ³⁸⁶ Buchstäblich: »zivilen«. ³⁸⁷ D·5, 444 formuliert das Datum antik: »… Hanoverae, tertio Idus Aprilis, MDCCXVI .« – Auch bei diesem Brief hat G übrigens Interpunktion, diakritische Zeichen und Absatzanordnung seiner Textvorlage D – wie üblich – nicht vollständig übernommen. ³⁸⁸ Auch dieses Schreiben Leibniz’ setzt eine weitere nicht überlieferte Vorgabe von Des Bosses voraus. ³⁸⁹ Vgl. Theodizee I § 7. ³⁹⁰ »experimentis«: Mitzudenken sind hier auch die Experimentalwissenschaften. ³⁹¹ Vgl. auch oben S. 263 und die Anm. 344 zu S. 307. ³⁹² Vgl. oben Nr. 99 (S. 264). ³⁹³ Die entsprechende Referenz fehlt wieder. ³⁹⁴ Bei dem »niederländische Journalisten« könnte es sich um Jacques Bernard handeln, den Hrsg. der Nouvelles des la République des Lettres, in denen eine Debatte über Comacchio (vgl. auch Leibniz’ Extrait de deux Livres Italiens vom April 1709) stattfand. ³⁹⁵ Vgl. dazu auch Leibniz’ Vorrede zur Theodizee, HT 1, S. 59. In der lat. Fassung von 1719 verfällt diese Stelle dem »non placet« des anonymen Theologen, der in der Vorbemerkung von Des Bosses das Wort erhält: »Nicht akzeptabel ist, dass im Vorwort (vier Seiten vor Schluss) der Lehre des Augsburger Bekenntnisses beigepflichtet wird, dass in Bezug auf die Heilstatsachen der nicht wiedergeborene Mensch als tot zu betrachten ist und sich daher bei der Konversion verhält wie Eis, wenn es gerade bricht: Das widerspricht dem Tridentinum.« Monitum Interpretis, a.a.O. S. *[8]. ³⁹⁶ George I. (Georg Ludwig)
A N HA N G A T E X T E I N Ü B E R SE T Z U N G
A · Leibniz an Giovanni Battista Tolomei SJ, . Dezember GP·7, 467 f.
| Ich fürchte, dass Sie mit Wichtigerem beschäftigt sind und mein G Brief Sie zu einer ungünstigen Zeit erreicht. Ich hätte früher geschrieben, würde ich nicht auf Ihr hervorragendes Werk mit dem trefflichen Titel »Philosophie des Geistes und der Sinne« gewartet haben; möge ihm aus Ihrer Hand einmal eine ähnliche »Theologie des Geistes und des Herzens« folgen, die zweifellos durch Ihre Vorlesungen schon vorbereitet ist. Das veröffentlichte Werk habe ich schließlich durch die Güte von Ew. P. Des Bosses aus Ihrem Orden erhalten, der in Hildesheim unterrichtet, und ich konnte nicht umhin es durchzulesen, trotz vielerlei aufreibender Arbeiten. Es war ein Vergnügen – zumal ich seit vielen Jahren auf die Lektüre solcher Bücher verzichten musste –, ein wenig den gegenwärtigen Stand der Schule und die Meditationen eines Mannes kennen zu lernen, in dem Besonnenheit mit Scharfsinn wetteifert. Früher einmal hatte ich vor allem Esparza und Sforza Pallavicino von den Euren um Rat befragt; sie schienen mir wieder lebendig zu werden. Gefallen haben mir ich auch die Sparsamkeit an Entitäten und Mysterien, die philosophischen Bäume¹ und die eingestreuten Bemerkungen über eine Philosophiegeschichte der Schulen, die uns bisher leider fehlt. ¹ Die »Arbores philosophicae« stammen zum einen in scholastischer Überlieferung von dem Neuplatoniker Porphyrios (3. Jh. n. C.) und ergeben sich durch dichotomische Unter- und Überordnung alles Seienden als Art-Gattungs-Struktur; vgl. auch Leibniz’ binäre Begriffs-
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Anhang A – Texte in Übersetzung
Besonders aufmerksam habe ich gelesen, was Sie über die Zusammensetzung des Kontinuums, das Unendliche, die Kontingenz und Verwandtes schreiben, vor allem weil dies Ihrem großen Ziel dient, die natürliche wie auch die christliche Religion zu untermauern, und ich zweifle nicht, dass, was Sie in dieser Sache versprechen, ganz vortrefflich ausfallen wird. Ich kam einst bei einer Meditation zu der Ansicht, man könne aus dem Labyrinth des Kontinuums nur so herausgelangen, dass man den Raum als solchen ebenso wie die allgemeine Zeit als nichts anderes auffassen dürfe denn als eine bestimmte Ordnung des Kompossiblen, entweder Gleichzeitigen oder aufeinander Folgenden², was auch Sie nicht abzulehnen scheinen. Alles, was von einem realen Ganzen abgespalten werden kann, ist tatsächlich und dem Akt nach in ihm, wie ich mit Ihnen meine; anders bei einem möglichen oder idealen [Ganzen]: z. B. kann eine Zahl nicht als Verschmelzung aus allen möglichen Brüchen verstanden werden, und man kann sich auch keinen letzten oder kleinsten Bruch ausdenken, sei er einfach und gleich bleibend oder inflationär³ einteilungen in den Beilagen zu Nr. 89 (5. 2. 1712, ab S. 234 f.), zu 102 (12. 12. 1712, S. 283), zu Nr. 125 (19. 8. 1715, S. 336, 478 f.) und in gewisser Weise auch zu Nr. 10 (Anmerkung, S. 39). Zum anderen erwächst der Descartes’sche Baum der Philosophie aus den Wurzeln der Metaphysik und dem Stamm der Physik, mit drei Hauptästen Medizin – Mechanik – Ethik, die sich in weitere Einzelwissenschaften verzweigen; als Früchte gedeihen hier Zufriedenheit, Weisheit, Eintracht und Vollkommenheit. (Vgl. Descartes: Prinzipien der Philosophie, Hrsg. Buchenau, Vorwort an den frz. Übersetzer Picot, a. a. O S. XLII ff.) ² Im Original steht hier ein Plural. ³ Lat. »fractio simplex seu aequabilis aut inflata«. Mit »aequabilis« ist hier, nach einer freundlichen Mitteilung von Herbert Breger, ein sich selbst gleich bleibender Bruch etwa wie 1 durch 100 Trillionen gemeint, mit »inflata« dagegen eine unendlich kleine Größe, die unbestimmt und gewissermaßen veränderlich ist. – Angesprochen ist mit »aequabilis«, wörtlich »vergleichbar«, auch die Frage der Vergleichbarkeit der unendlich kleinen (infinitesimalen) Größen als solcher, von der Leibniz unter Berufung auf Euklid meinte, vergleichbar seien nur Größen derselben Gattung, woraus er »e contrario« schloss, dass es unvergleich-
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oder sonstwie aufgefasst. Zudem entsprechen Abschnitte einer Linie proportional den Abschnitten einer Einheit durch Brüche. Im Übrigen schien mir aus diesem und anderem zu folgen, dass die Substanz und sogar die akzidentellen Realitäten allein im Dynamischen, ἐν τῷ δυναμικῷ, bestehen (worauf ich auch öffentlich hingewiesen habe⁴), nämlich in der aktiven und der passiven, der ursprünglichen und derivativen Kraft – was man üblicherweise Form, Materie und Qualität nennt. Die Ausdehnung aber, und in ihr die Masse⁵ oder Undurchdringlichkeit mitsamt den anderen daraus entspringenden körperlichen Prädikaten, welche für viele die körperliche Substanz | auszumachen scheinen und für andere als absolute reale Qualitäten G gelten, sind in Wahrheit, wie ich mit vielen antiken Weisen glaube, nur Phänomene, und zwar wohl fundierte und keine trügerischen, die aber an objektiv Realem sonst nichts haben als – wodurch wir auch Traum und Wachen unterscheiden – die metaphysisch-mathematische gegenseitige Übereinstimmung alles dessen, was die Seelen oder Entelechien perzipieren – sei es dass man ein und dieselbe mit sich oder auch durch ihre eigenen Phänomene mit den Phänomenen der anderen vergleicht –, Entelechien, wie gesagt, aus denen zusammen mit irgendeinem verbundenen Passiven das ganze Universum besteht (Sie verstehen leicht, wie sehr das auch zur Er-
bare Größen gebe – nämlich inhomogene –, und dass eine unendlich kleine Differenz eine solche unvergleichbare Größe sei, weshalb sie als operativ-ideelle, nicht reale Größe zu bezeichnen sei. (Vgl. Pasini, a. a. O. S. 695 f.) — Den Ausdruck »inflatus«, wörtlich »aufgeblasen«, hat Des Bosses am 30. 1. 1708 mit einem Zitat aus Francesco Lana in den Briefwechsel eingebracht, dort aber als Attribut von Punkten. Vgl. Anm. 86 zu Nr. 32, S. 91. ⁴ Leibniz hatte den Kraftbegriff außer im Système nouveau (1695, Journal des Sçavans) und der »Emendatio« der Philosophie (1694) u. a. in »Brevis demonstratio erroris Cartesii«, im Specimen Dynamicum und in De ipsa Natura (Acta Eruditorum: März 1686, April 1695, September 1698) sowie Considérations sur les principes de vie… vom Mai 1705 (in »Histoire des Ouvrages des Savans«) vorgestellt. ⁵ »moles«
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Anhang A – Texte in Übersetzung
klärung der Mysterien dienlich ist). Nun stellt sich heraus, dass es keine andere Zusammensetzung des Ausgedehnten gibt als jene aus Phänomenen von unterschiedlichen – oder [aus] unterschiedlichen [Phänomenen] ein und desselben – Perzipienten, von welcher Beschaffenheit die Zahl auch sei, wenn man sich ausdächte, dass beliebige unendliche Seelen ihre eigene Funktion, oder ein und dieselbe Seele immer eine andere, auf unbegrenzte Zeit betrachten würden. Dadurch wird nun auch klar, dass alle realen Ganzen von diskreter Quantität sind und die kontinuierliche [Quantität] nur eine ideale ist⁶. Ich gebe mehr wirkliche [Dinge] zu, als durch irgendeine Zahl erfasst werden können; sie machen aber eigentlich kein Ganzes aus. Daher kann man genau genommen weder einer Zahl noch einer Linie ein unendliches Sein zusprechen, was ich, wenn ich nicht irre, bewiesen habe. Dass die Harmonie der Substanzen oder, was dasselbe ist, der perzipierenden Monaden von einer gemeinsamen Ursache, d. h. Gott (daher also ein neuer Beweis für ihn)⁷ prästabi⁶ Vgl. zu dieser Problemstellung auch die 40. Metaphysische Untersuchung von Suarez: Über kontinuierliche Quantität (De quantitate continua). In: Disputationes Metaphysicae, a. a. O. S. 529-587. ⁷ Der »neue Beweis von der Existenz Gottes« im vorliegenden Sinn, als Schlussfolgerung aus der Harmonie, wurde schon im Système Nouveau von 1695 (vgl. Leibniz: Fünf Schriften, a. a. O., bes. S. 36) und wieder 1705 in den Considérations sur les Principes de vie… (vgl. Philosophische Schriften 4, a. a. O. S. 334 ff.) dargelegt. Anders hatte Leibniz zum ontologischen Argument Anselms und seiner Wiederaufnahme durch Descartes in den Mémoires de Trévoux im September 1701 Stellung bezogen: Dessen stillschweigende Voraussetzung »Gott oder das vollkommene Wesen ist möglich« sei erst einmal zu explizieren. An Stelle einer Ableitung aus irgendeinem qualitativen oder relationalen Gottesbegriff – ob nun vollkommenes Wesen oder, etwa kausaltheoretisch, Ens a se –, die das Grundproblem des Übergangs vom Begriff zur Existenz nicht löst, da sie stets die Möglichkeit des fraglichen (perfekten bzw. von sich aus seienden) Wesens unbewiesen voraussetze, steht dort das andere »modale Argument«, das nun formal die Möglichkeit selbst deduziert: »Wenn es kein notwendiges Wesen gibt, gibt es auch kein mögliches Wesen.« (Extrait d’une Lettre de Mr. de Leibnitz sur ce
A 1 Leibniz an G. B. Tolomei SJ, 17. 12. 1705
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liert ist, und was meine kleinen Meditationen⁸ sonst noch enthalten, wurde von Ihnen, nebst anderem, bemerkt, wie ich sehe. Wenn man das eingesehen hat, ergibt sich – so schien mir – kein weiteres Hindernis, das in der allgemeinen Philosophie Anstoß erregen würde und freilich auch die Theologie betrifft. Wenn doch Zeit wäre, das alles auf die euklidischen Beweise zurückzuführen, wie es meiner Ansicht nach geschehen könnte. Ein Letztes: da bald das neue Jahr hier ist, das wir mit Gebeten beginnen, erbitte ich von Gott für Sie, bedeutendster Mann, lang währende Gesundheit, damit Sie, wie gewohnt, nicht nur in der Kontemplation, sondern auch durch Ihr Handeln noch weiterhin ein bedeutendes Werk zu seinem Ruhm beitragen können. Ich habe vernommen, dass der Ew. P. Bouvet, mein Freund, aus dem Reich
qu’il y a dans les Memoires touchant … le R. P. l’amy Benedictin, hier gelesen nach GP·4, 406, zuerst Mémoires de Trévoux, September 1701, S. 200-207, bes. ab 203.) Eine Antwort darauf (von Sommervogel, Bd. 8, Sp. 182, Tournemine zugeschrieben, vielleicht aber auch von Lamy stammend) erschien ebenda im Juli 1702 (S. 108-114) unter dem Titel: »Nouvelle preuve de l’existence de Dieu«. – Zu Leibniz’ verschiedenen Arten »neuer« Gottesbeweise vgl. auch, u. a., seine Darlegung in Kap. 10 von Buch IV der 1705 abgeschlossenen »Nouveaux Essais« (Philosophische Schriften 3.2, Hrsg. Engelhardt/Holz, a. a. O. S. 419-453), aus den achtziger Jahren die Aussagen gegenüber Arnauld (Der Briefwechsel …, hrsg. R. Finster, a. a. O., bes. Nr. 24) und den § 23 des »Discours de Métaphysique« (Metaphysische Abhandlung, Hrsg. Herring, a. a. O. S. 58 ff.), verschiedene Texte zu Descartes oder die Diskussion über Gottesbeweise mit Jaquelot (1702 bis 1704, GP·3, bes. 442-454). Eine konzise Darlegung der leibnizschen Fassung des ontologischen Gottesbeweises, in dem das erstere, modale Argument primär sei, siehe bei Konrad Cramer: Zu Leibniz’ Emendation des ontologischen Beweises. In: Leibniz und Europa II, a. a. O., S. 80-98. ⁸ Vgl. Considérations sur les principes de vie … vom Mai 1705; aber auch Texte wie die in Anm. 4 genannten. Im Brief an Tolomei vom Jänner 1705 (GP·7, 462-466; vgl. den übersetzten Part im folgenden Anhang) hatte Leibniz philosophisch vor allem den Vergleich zwischen Tier und Mensch thematisiert.
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Anhang A – Texte in Übersetzung
der Chinesen zurückgekehrt ist. Ich würde wünschen, dass man seinen und seiner Gefährten glühenden Eifer⁹ seitens des Höchsten Pontifex und des Christlichsten Königs¹⁰ unterstützt, vor allem aber dafür sorgt, dass wir, während wir Unsriges dorthin bringen, das Vorzügliche des Volkes von dort zu uns holen, damit man nicht irgendwann bereut, diese Gelegenheit verabsäumt zu haben.G* Leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen. Aufgegeben in Hannover, 17. Dez[ember] 1705 * Als Randbemerkung hat Leibniz hinzugefügt : Unsere substantielle Materie hat nur potentielle Teile, doch der menschliche Körper ist ein Aggregat. G
A · Auszug aus: Leibniz an G. B. Tolomei, . Jänner GP·7, 462-466.
[…] | […] Was nun meine philosophischen Meditationen anlangt, freut es mich, dass sie von einem so bedeutenden Richter durchgesehen und nicht verurteilt wurden. Da Sie vor allem darauf hinweiG sen, dass die Tierseele | vom Geist wohl zu unterscheiden sei, das heißt – wie ich meine – die Perzeption vom Intellekt, würde ich sagen, dass man hier den Euren völlig zustimmen kann, wobei ich behaupte, dass bloß empfindende Seelen keine Wahrnehmung¹¹ von sich selbst und ihren Handlungen haben, das Denken aber oder der Geist sowohl seiner selbst bewusst als auch – was daraus folgt – zu gänzlich universellen oder notwendigen Wahrheiten fähig ist. Bei den übrigen Lebewesen weisen die Übergänge von einer vergangeG
⁹ Vgl. Ignatius von Loyola, den Gründer des Jesuitenordens: »Gehet, entzündet die Welt und setzt alles in Flammen«, nach Duhr S. 4. ¹⁰ Der König von Frankreich (Ludwig XIV.) ¹¹ Lat. »animadversio«
A 2 Leibniz an G. B. Tolomei SJ, 6. 1. 1705
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nen Perzeption zur Repräsentation einer künftigen eine Analogie der ähnlichen Abfolge auf, sie beruhen aber nur auf vorausgehenden Beispielen, keinesfalls auf generellen Voraussetzungen. Auch die Menschen selbst gehen, sofern sie bloß Empiriker sind, nur nach Art dieser Lebewesen vor. Aber die ewigen und notwendigen Wahrheiten, die allein uns der ewigen Allgemeinheit versichern, und somit auch die Vernunftgründe und Wissenschaften, kommen bei Tieren nicht vor. Daher täuschen sich gewöhnlich die Lebewesen mit dem Beweis durch Ähnlichkeit und Beispiel¹², weil sie die Gründe nicht prüfen können. Wenn jene, die sich mit der Vernunft der Tiere befasst haben, das bedacht hätten, dann hätten sie sich nicht wie mit der Erklärung einer verrückten Sache abgemüht. Deshalb kümmert sich ja der Mensch nicht nur um die Substanz, sondern auch um die moralische Person, d. h. das Gedächtnis von sich, sodass das künftige Leben für Strafe und Lohn qualifiziert¹³ ist. Dass geschaffene Geister sich nie ihres Körpers entledigen und im natürlichen Ablauf ein Lebewesen nicht entsteht, sondern transformiert wird, halte ich sonst für höchst paradox¹⁴. Es wird diesen Anschein haben können, aber vermutlich weniger für Sie als für viele andere, die die großen Vernunftgründe meiner Auffassung nicht sehen. Ich sehe dabei auch keinerlei Nachteil entstehen. Man wird also sagen dürfen, dass im Menschen die vorerst einfache Seele nach erfolgter Empfängnis¹⁵ in eine rationale, d. i. in einen Geist¹⁶, umgeschaffen wird, wenn man eine Vernunftseele¹⁷, die lange ohne Ausübung von Vernunftüberlegungen bleibt, nicht dulden kann …G*. Vielleicht werde ich gezwungen sein, etwas über Freiheit, Schicksal, Prädestination und Gnade ¹² Lat.: »argumentum a simili et exemplo« ¹³ Lat.: »capax« ¹⁴ »Paradoxotata« ist im Sinn von unorthodox, der offiziellen Lehre widersprechend zu verstehen. ¹⁵ Denkbar wäre auch: »nach Anfertigung eines Begriffs« (»conceptu facto«). ¹⁶ »mens«, hier also: denkendes Lebewesen ¹⁷ Zugrunde liegt hier »animus rationalis«, nicht »anima« – also mit Akzent auf Vernunftgeist, Vernunftcharakter.
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Anhang A – Texte in Übersetzung
zu veröffentlichen, wenn auch Theologen mich darum bitten, da ich den Eindruck habe, dass die Streitigkeiten sehr vermindert und die, die langwieriger für das Bathos übrig bleiben, in Kontemplation des Unendlichen aufgelöst werden können, wo das menschliche Denken verstummen muss. Leben Sie wohl. […] G
* Ein Wort fehlt.
A · G. B. Tolomei an Des Bosses, . Juni Nach: Jean Baptiste Ptolemaeus à Barthélémy Des Bosses. In: Blondel, Maurice: Une énigme historique. Paris 1930 (Anhang), S. 142 f. – Erstmals gedruckt im Anhang von Blondel, Maurice: De vinculo substantiali, Paris 1893, S. 77 f., wieder in: Œuvres complètes I, Paris 1995, S. 684 f. (mit geringfügig abweichender Orthographie). Als Quelle nennt Blondel die »königliche Bibliothek zu Hannover«. Derselbe Brief wird großteils, in stellenweise etwas abweichender Form, von Des Bosses im »Monitum Interpretis« zu seiner lat. Theodizee-Übersetzung: G. G. Leibnitii Tentamina Theodicaeae, Köln 1719, S. *[5 ff.], zitiert. Bl
| Ich habe, soweit es bei den Beschäftigungen möglich war, das Buch¹⁸ des liebsten Freundes Leibniz gelesen und würde, wenn Zeitmangel es nicht verhinderte, direkt an ihn schreiben mit dem Ausdruck des Danks, den ich ihm aus nicht nur einem Grund schulde, zugleich mit meinem Glückwunsch, meiner Billigung und meiner Übereinstimmung mit ihm in fast allen Hauptpunkten, jedenfalls in den substantiellen Teilen der höchst vollkommenen Probe. Sehr viele Gedanken stellten sich während des Lesens ein, mit denen ich leicht mehrere Blätter füllen würde, wenn die Zeit es ¹⁸ Leibniz’ Theodizee
A 3 G. B. Tolomei an Des Bosses, 6. 6. 1711
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zuließe. Die zwei Prinzipien, auf denen das Werk beruht: jenes der Freiheit Gottes zum besten System der Gesamtheit der Dinge, und jenes der wie auch immer beschaffenen Freiheit, die aufgrund guter Vorsätze, vermischt mit Bösem, zum Besseren bestimmt ist, d. h. aus moralischer Notwendigkeit oder einer analogen Bestimmung zu solcher Notwendigkeit (denn diese, weil eben in Notwendigkeit bestehend, ziemt sich nicht für Gott): beeinträchtigen¹⁸a keinesfalls die Freiheit der Indifferenz (die meiner Ansicht nach in keinem Gleichgewicht steht) – davon bin ich schon lange zutiefst überzeugt. Aber ich glaube, es können noch evidentere und von allen ringsum, nicht bloß den meisten Gelehrten, eingeräumte oder einzuräumende Prinzipien aufgestellt werden, auf denen ein Beweis oder eine vollauf beweiskräftige Antwort gegen die Ankläger der göttlichen Vorsehung aufbaut. Ich meine¹⁹: Es ist möglich, dass ein die Übel und Sünden (wie sie in dieser gegenwärtigen Welt auftreten) umfassendes System der Welt trotzdem viel besser ist als ein anderes, ebenso mögliches System, das nur unschuldige Geschöpfe enthält – gleichgültig, ob nun das vollkommenste aller Systeme²⁰ als vollkommenste Schöpfung möglich ist, und dasselbe auch mit Sünden und Übeln versehen sein kann. Hat doch Gott das bessere Mögliche vor dem anderen gewählt durch die Neigung seiner unendlichen Güte zum Besseren. Das vorausgesetzt – was kein in diesen Dingen Kundiger bestreitet – kann all das, was aus einem gegebenen, vollkommensten aller Weltsysteme abgeleitet wird, noch klarer und evidenter, wie ich meine, abgeleitet werden; doch so viel darüber.
¹⁸a Die Übersetzung folgt hier DB Monitum S. *[5]: »officere«, während Blondel »efficere« (»ergeben«) hat, das nicht nur den Sinn umdreht, sondern grammatikalisch nicht passt. ¹⁹ Blondel: ». Puto:« – DB Monitum S. *[6]: » , puta«, also: »…, angenommen etwa …«. ²⁰ Die Übersetzung folgt hier der leichteren Lesart von DB Monitum S. *[6], nämlich: »… quidquid sit, utrum Systema omnium perfectissimum possibile sit …«. – Blondel S. 142 lautet »… utrum systema omnia pefectissimum …« (Hv. C. Z.).
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Anhang A – Texte in Übersetzung
Dass Herrn Leibniz meine Grußworte und meine Empfehlung ausgerichtet wurden, wünsche ich zutiefst; für diesen gewiss sehr bedeutenden Mann erbitte ich täglich bei der Messe alles Beste, vor allem das eine Notwendige, das ihm in seiner großen gelehrten Rechtschaffenheit und Begabung zu fehlen scheint und wohin er auf den Spuren Seiner Durchlaucht des Wolfenbütteler Fürsten²¹ sicher, gedeihlich und auch ruhmreich gelangen kann. Zu Pater Spee und zur Liebe außerhalb der Kirche – woran mich Leibniz in dem Ihnen übergebenen Brief wiederholt erinnert – habe ich Folgendes anzumerken: Außerhalb der Kirche können Entschuldigungen wegen unüberwindlichem Nichtwissen, nicht aber Wahrscheinlichkeiten oder Meinungen jemandem sei es zum Heil, sei es zur Liebe verhelfen. Denn Wahrscheinlichkeit in moralischen Dingen macht doch niemanden sicher, sobald es eine Weise und einen Weg gibt, sicher und evident (zumindest mit moralischer GewissBl heit) die Wahrheit zu erfahren, | was man ja beweisen kann. Nun gibt es zweifellos einen solchen Modus (vor allem für einen mit den Wahrscheinlichkeiten bereits vertrauten Mann), die wahre Kirche zu erfahren: andernfalls ist sie nicht sichtbar. Dies halte ich gegen die indifferenten, toleranten, synkretistischen und ähnlichen Gelehrten für endgültig. Leben Sie wohl, denken Sie an mich beim Gottesdienst. Rom, 6. Juni 1711 Dies habe ich flüchtig diktiert, mich ruft das sehr mühselige Amt der Leitung dieses Kollegs, das ich ungern ausübe, von hier weg. Diener in Christus. Jo[hannes] Bapt[ista] Ptolemaeus
²¹ Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel
A 4 Gratulation Leibniz’ an Tolomei
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A · Gratulation Leibniz’ an Tolomei, . Juni / Des Bosses an Tolomei D·5, 561 · Epistola ad Cardinalem Ptolemaeum / Epistola praecedenti adnexa
Eure Eminenz! Ich hatte im Geist schon damals diese gegenwärtige Pflicht vorweggenommen, Ihnen zu gratulieren, als ich von vielen Seiten die Nachricht erhielt, dass Ihnen die Generalpräpositur Ihres Ordens übertragen wurde. Doch einem, der das Verheißene ausschlug, konnte man dazu nicht gratulieren, und meinem Urteil nach hatte es der Pontifex Maximus gemäß seiner Obsorge für die Kirche für ratsamer gehalten, dass Sie, frei von der Besorgung eines höchst mühevollen Amts und von jener höheren Würde, Autorität und Raum zur Belehrung des menschlichen Geschlechts erhielten. Mich freut es, dass das geschehen ist, und ich bitte Gott, dass diese Wohltat lange währen möge, die nicht nur für Eure Kirche an Sie erging, sondern überhaupt für alle Guten und Weisen, die sich freuen werden, dass sich bisweilen das Glück mit der Tugend wieder aussöhnt. Hinzu füge ich nur meinen Wunsch, dass Sie womöglich von keinen anderen Sorgen belastet werden, als wodurch Sie am meisten nützlich sein und Ihre göttlichen Gaben entfalten können; und ich hoffe, dass dieses aufrichtige Zeichen meiner vollsten Verehrung vor Ihnen, dessen höchste Humanität der Purpur um nichts mindern wird, nicht völlig unschicklich sein wird. Aufgegeben in Hannover, 16. Juni 1712. Eure Eminenz! Dass ich mich nach den anderen als später Gratulant einfinde, mögen Sie mir als jemandem verzeihen, der solche Pflichten nicht gewohnt ist, sodass ich es nicht einmal jetzt richtig zu tun wage, während ich nachdenke, das freudige Empfinden meines Herzens auszudrücken. Ich habe nämlich Bedenken, wie Sie es wohl aufnähmen. Während meines Zögerns hat sich mir glücklicherweise
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Anhang A – Texte in Übersetzung
der berühmte Leibniz als Begleiter angeboten, der die allgemeine Pflicht würdiger erledigen, mein Zögern entschuldigen und das ersetzen möge, was ich an Eile vermissen ließ. Ich – das Einzige, was ich für mich in Anspruch nehme, Eminenz – werde nicht ablassen, feierlich den an Gott, den Höchsten und Allmächtigen, gerichteten Wunsch auszusprechen, er möge diesen Gipfel der Würde, den er Ihnen anvertraute, zum höheren Ruhm seines Namens, zum Nutzen unserer Gesellschaft und letztlich zur Mehrung der gesamten christlichen Republik wenden. Euer Eminenz untertänigster und ergebenster Diener in Christus B. des Bosses.
A · Manuskript Leibniz LH IV. I.a Bl. Um 1712 – vgl. Brief an Des Bosses vom Februar 1712, Nr. 89. Hrsg. mit engl. Übersetzung von Brandon Look: On an unpublished Manuscript of Leibniz. Leibniz Society Review 8/1998, S. 70 und 72, = LL (in noch nicht revidierter, an zehn Stellen unterschiedlicher Form unter LH IV. Philos.1/1.7 in Look 1999, S. 93 f.). Look datiert »zwischen 1712 und 1716«. LL
| Begriffe gibt es von Seienden oder von Bezügen²². Seiende sind Dinge oder Modi. Dinge sind Substanzen oder Phänomene. Substanzen sind entweder einfach oder zusammengesetzt. Einfache Substanz ist Monas²³; eine Monas aber ist entweder ursprünglich: ²² »Respectuum«, im vorliegenden Band sonst auch als »Hinsichten« wiedergegeben; man kann sinngemäß hier auch einfach »Relationen« lesen. ²³ Für dieses Blatt mit Entwurfscharakter wird in der Übersetzung ausnahmsweise die lateinisch-griechische Originalform »Monas« statt der im Frz. und Dt. eingebürgerten »Monade« belassen.
A 5 Manuskript Leibniz LH IV.I. 1a Bl. 7
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Gott, von dem alles kommt; oder abgeleitet. Diese wiederum entweder bloß perzeptiv oder auch sensitiv; und diese entweder nur sensitiv oder auch intellektiv, dann wird sie auch Geist genannt. Die Monas wiederum ist entweder die Seele eines Körpers oder sie ist abgesondert; diese entweder erschaffen (wie die meisten meinen, obwohl ich bezweifle, dass es besonders viele erschaffene Monaden eines Körpers gibt) oder ungeschaffen: Gott. Zusammengesetzte Substanz ist die, die ²⁴ nämlich aus einer eigenen Seele und einfachen Substanzen besteht ein reales Eins. Hierzu muss man notwendigerweise feststellen oder behaupten, dass allein die Monaden Dinge sind; dass hingegen Komposita bloß Phänomene ²⁵ sind. Phänomene sind Aggregate aus Substanzen, die sich auf bestimmte Art einem Perzipierenden darstellen und so von uns unter die ²⁶ von Substanzen gezählt werden. Wie durch unser Denken aus Substanzen Phänomene entstehen, so entstehen durch das göttliche Denken zusammengesetzte Substanzen aus einfachen – vorausgesetzt, dass in Gott zum Verstand ein Wille hinzukommt, damit aus Vielem Eines wird; denn wenn er nur Vieles zugleich betrachten würde, würde er daraus Phänomene oder Aggregate machen, so wie Gott einen Regenbogen oder dessen Eigenschaften kennt. Wenn aber daraus ein neues Seiendes entstehen soll, muss der göttliche Wille hinzutreten. Überdies sind nun die Monaden nicht Teile dieses neuen Seienden, sondern seine Fundamente, so wie Punkte nicht Teile der Linie sind. Dieses neue Seiende besteht aus Materie und Form: Materie ist das ganze aus den passiven Kräften aller Monaden Entstandene; und [seine] Form ist das ganze aus den ursprünglichen Entelechien aller Monaden Entstan²⁴ Auslassung nach Look wegen Unleserlichkeit. ²⁵ »Entia rationis«, bloß gedankliche Entitäten – nach Look von Leibniz wieder gestrichen. ²⁶ Ergänzende Konjektur durch Look. Der ursprüngliche Wortlaut: »ita ad inter substantiarum a nobis considerantur« lässt uns auf den (grammatikalisch unvollkommenen) Gedanken einer Wechselbeziehung oder eines Zwischenbereichs zwischen den Substanzen schließen.
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Anhang A – Texte in Übersetzung
dene. Und weil dieses Entstandene kein Modus, sondern etwas Absolutes ist, könnte es von Gott auch nach Zerstörung der Monaden bewahrt werden, und umgekehrt könnten die Monaden bewahrt werden, wenn es selbst zerstört würde. Dies nun ist die körperliche Substanz, die in ewigem Fluss ist; es genügt, sie in den Körpern anzunehmen, die ein unum per se ausmachen, d. h. in organischen [Körpern], und sie begleitet immer eine dominante Monas. Weiters sind [ihre] Modifikationen Akzidentien, die aus Akzidentien der Monaden entstehen. Ferner wird durch diese Einheit bewirkt, dass aus Seele und Körper eine Person entsteht, oder ein Suppositum²⁷, und dass mehrere Körperglieder in ein und dasselbe Zugrundeliegende eingehen. Aggregate machen kein Suppositum aus, z. B. ein Holzstoß. Allerdings ist in Aggregaten nicht bloß mathematische, LL d. i. Berührungs-Einheit, | sondern auch physische, d. i. eine des Impulses; es fehlt jedoch die metaphysische, d. i. diejenige des Suppositums, die eine einzelne Substanz ausmacht, welche, wenn sie vollständig ist, Suppositalität²⁸ genannt wird. Damit über Punkte hinaus eine Linie entsteht, eine Fläche, ein mathematischer Körper, stellen wir uns eine gewisse Einheit von Punkten vor²⁹, durch die ein Kontinuum entsteht. Damit ein physikalischer Körper entsteht, stellen wir uns Bewegung, d. i. Veränderung eines kontinuierlichen Ortes oder des Raumes vor; und ebenso den Impuls von Körpern. Damit aber eine körperliche Substanz entsteht, stellen wir uns die metaphysische Einheit vor, kraft deren Vervollständigung sich die Suppositalität ergibt. Das alles würde aber verschwinden, wenn es nur Monaden und Phänomene gäbe. Wenn wir daher zu den Monaden die Realität der Zusammengesetzten hinzufügen, entsteht Raum, Masse,
²⁷ Zum lat. »suppositum« vgl. die Anm. 270 zu Nr. 89 (Beilage), S. 234 und zu Anhang 7 S. 438. ²⁸ »suppositalitas«, das Zugrundeliegen als solches, Zugrundeliegenschaft ²⁹ »Vorstellen« steht für lat. »concipere« (»begreifen«, »konzipieren«); es bewegt sich damit zwischen passivem »Auffassen« (etwa im Sinn von Empfinden) und aktivem Konstruieren.
A 6 Leibniz: Entwurf zum Brief vom 24. 1. 1713
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Bewegung, körperliche Substanz. Zwei Systeme: das eine der Monaden, das andere der realen Zusammengesetzten. Reale Komposita gibt es zwei: unbewegliche bzw. unveränderliche – der Raum; veränderliche sind die Körper, und diese sind entweder Aggregate aus körperlichen Substanzen, oder Substanzen. Körperliche Substanzen müssen daher etwas Reales außer den Ingredientien haben; oder es wird nur mehr Monaden geben. Dieses noch Hinzugefügte ist es, was die Substantialität eines Körpers ausmacht. Wenn wir Massen nur die Realität von Phänomenen zugestehen, werden wir keinen realen Raum benötigen. ——
A · Leibniz: Entwurf zum Brief vom . Jänner (Nr. ) Nach der Transkription von Robinet 1969, S. 89-93 (R); Robinets ebenfalls wiedergegebene zweite Seitenzählung bezieht sich auf das Manuskript der Niedersächsische Landesbibliothek Hannover L Br 95, Bl. 188-189. Die Übersetzung gibt nur den resultierenden Text ohne die Streichungen wieder; ausgenommen sind die Stellen R 89, 2. Abs. und R 90 u.: hier steht das von Leibniz aus dem Konzept Gestrichene (nach Robinet) kursiv zwischen Schrägstrichen, wobei < > einen vor der Streichung erfolgten Zusatz im Konzept angibt. – Die Zwischenbemerkungen (Groteskschrift in runder Klammer) stammen von Robinet. R ; r° | Zum Brief des Ew. P. Des Bosses vom 12. Dezember bemerke ich Folgendes: Auf (1) wird entgegnet, dass die Monaden ein bedeutender, ja der wichtigste Teil der Substanz eines Körpers, z. B. von Brot und Wein, sind. Ich antworte, dass das unter der Annahme zusammengesetzter Substanzen von mir nicht zugegeben wird: die Seele eines im Körper eines Menschen existierenden Wurms ist nach meinem Urteil kein substantieller Teil des menschlichen Körpers, sondern ein Erfordernis, und zwar nicht mit metaphysischer Notwendigkeit,
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Anhang A – Texte in Übersetzung
weil bei bleibender körperlicher oder zusammengesetzter Substanz die Seelen aufgehoben werden können oder nach deren Aufhebung bleiben können; aber doch mit physischer, sodass nämlich gemäß der Ordnung der Natur ihre Existenz erfordert wird. Ich behaupte, dass Gott uns unbekannte Gründe haben konnte, auch Monaden aufzuheben, wenn die Substanz des Zusammengesetzten, d. h. von Brot und Wein, aufgehoben wird; aber man darf das nicht als Ausflucht nehmen, und auch nicht ohne Notwendigkeit die Wunder vervielfältigen. (Ganz gestrichener Abschnitt:)
Zu 2. Natürlicherweise wird in den inneren Phänomenen einer Monade aufs vollkommenste repräsentiert oder ausgedrückt, ob sie ein erforderliches Ingrediens des Körpers einer anderen dominanten Monade ist, oder eines Aggregats, wegen der Harmonie zwischen Körpern und Seelen. Aber übernatürlicherweise kann dieser Ausdruck oder diese Repräsentation begrenzt und eingeschränkt werden: es ist nicht sicher, dass eine Monade irgendetwas ausdrücken muss, was im Universum auf irgendeine wundersame Weise geschieht, insbesondere bei einem vorübergehenden Wunder, wie es das ist, um das es hier geht. Daher könnte das substantielle Band der Monaden, nach Aufhebung des vorigen von Brot und Wein, das sein, was den Körper Christi konstituiert, auch wenn die Monaden von Brot und Wein bleiben und nicht zu diesem Körper gehören würden; und überhaupt kein substantielles Band haben würden. / Monaden zu haben ist ein Akzidens / Die Ansammlung von Monaden ist an sich nach Absonderung³⁰ des substantiellen Bandes ein Akzidens der körperlichen Substanz, d. i. des Zusammengesetzten, das formal im substantiellen Band besteht. Es ist jedoch ein Akzidens, das von dieser Substanz natürlicherweise erfordert wird, so wie es gemeinhin von der Ausdehnung heißt, dass ein Körper sie natürlicherweise erfordert. (3) Zusammengesetzte Substanzen zugestanden, muss überhaupt gesagt werden, dass etwas Absolutes entsteht und vergeht. Auch das ³⁰ Lateinischer Wortlaut: »praeciso«
A 6 Leibniz: Entwurf zum Brief vom 24. 1. 1713
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substantielle Band | der Monaden, die zu einem Pferd zusammen- R strömen, d. i. die einzelne Substanz eines Pferdes, fängt an und geht zugrunde. (Ende des gestrichenen Abschnittes)
Zu (2). Das substantielle Band als solches³¹ – hinzugefügt, abgezogen, verändert – verändert nichts in den Modifikationen der Monaden; im Ablauf der Natur entsprechen allerdings die substantiellen Bänder oder körperlichen Substanzen genau den Modifikationen der Monaden. ¦ Doch übernatürlicherweise kann Gott die v° Monaden auf diejenige Ebene³² zurückführen, die bestehen würde, wenn die Hypothese von den ausschließlich, ohne jede zusammengesetzte Substanz, existierenden Monaden zuträfe. So wäre das Band beseitigt worden, ohne dass eine Veränderung der Monaden erfolgt wäre. Zu (3). Natürlicherweise wird in den inneren Phänomenen einer Monade aufs vollkommenste repräsentiert oder ausgedrückt, ob sie selbst ein erforderlicher Bestandteil eines Körpers ist, den eine andere Monade beherrscht. Auch wenn der Körper eines Wurms Teil des menschlichen Körpers ist, wird man das in der Seele des Wurms ablesen können, und zwar gemäß dem natürlichen Ablauf. Das erfordert die prästabilierte Harmonie von Körper und Seele. Aber aufgrund Eurer Hypothesen wird man sagen müssen, dass dieser Ausdruck oder diese Repräsentation übernatürlicherweise derart begrenzt und eingeschränkt werden kann, dass ein substantielles Band selbst dann von den Monaden entfernt werden kann, wenn deren Modifikationen nicht verändert wurden, weil an sich³³ und formal das eine vom anderen unabhängig ist, nämlich das Band, d. i. die zusammengesetzte Substanz, von den Monaden und deren Modifikationen. So wird eine Monade nicht all das ausdrücken, was ³¹ »Als solches« ist Übersetzung für – abermals – »praecise«, auch »abgeschnitten«, »abgekürzt«, »im Allgemeinen«. ³² Leibniz verwendet hier den lat. Ausdruck »Pratum« (eigtl. »Wiese«). Vgl. zur Bedeutungsübertragung Forcellini Bd. III, S. 850. ³³ Lat. wiederum »praecise«
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im Universum als Wunder geschieht; vor allem wenn das Wunder vorübergehend ist, so wie das, von dem hier die Rede ist, wo nach Zerstörung der Erscheinungsformen³⁴ alles in den früheren Modus zurückversetzt wird, als ob kein Wunder dazwischengetreten wäre. Daher könnte nach Aufhebung des substantiellen Bandes, d. i. der Substanz von Brot und Wein, ein neues eingesetzt werden, nämlich das, welches die Substanz des Körpers Christi ausmacht; und dieses mag an derselben Stelle existieren, wo zuvor die Substanz von Brot und Wein war, es ist aber nicht das substantielle Band der Monaden von Brot und Wein, die nun ohne jedes substantielle Band sind. /Und die Ansammlung / Aber an Stelle des substantiellen Bandes / Und die lokale Einheit oder Ansammlung dieser Monaden, / dieser bereits zerstörten Monaden, wird nur deren akzidentelles Band zurückbleiben, d. h. / lokales/ , m. a.W. die Ausdehnung, die ein Akzidens ist im Hinblick auf die Substanz des Brotes bzw. des substantiellen Bandes von Brot und Wein;/ Die Akzidentien von Brot und Wein aber, seien es reale Akzidentien (d. h. ein akzidentelles Band der Monaden), seien es bloß resultierende Phänomene, werden bleiben. R | Zu (4). Ich verneine, dass das substantielle Band von Pferdemonaden von Beginn der Schöpfung an existiert hat. Ich verneine auch, dass kein Absolutes entsteht oder vergeht. Das würde zwar wahr sein nach der Hypothese, dass es nichts außer Monaden gibt; aber es wird falsch sein, wenn zusammengesetzte Substanzen oder substantielle Bänder zugegeben werden, die jedenfalls entstehen und vergehen. (Zu 5). Nichts anderes lasse ich in den Monaden zu, als Perzep r° tionen und die Tendenz zu neuen Perzeptionen, ¦ und niemals erfolgt natürlicherweise irgendeine substantielle Veränderung in den Monaden. Neue Perzeptionen konnten bereits aus früheren zusammengefügt werden. Zu (6a). Ich verstehe unter dem substantiellen Band, das eine zusammengesetzte Substanz ausmacht, nicht irgendeine Modifikation ³⁴ »Erscheinungsformen« steht für lat. »species«.
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der Monaden, oder deren substantiellen oder akzidentellen Modus – denn ich kenne nichts, das diese [Funktion] erfüllt –, sondern ein zu den Monaden zusätzlich hinzugefügtes Absolutes, das jedoch mit deren Perzeptionen in der Ordnung der Natur übereinstimmt und ihnen vollkommen entspricht. Die Einwände scheinen mir vieles zu unterstellen, das ganz und gar nicht zu meinem Denken passt. Wie ich nämlich sagte, ich kenne keine Modi der Monaden außer Perzeptionen und Begehren, d. i. Tendenzen zu neuen Perzeptionen; durch diese allein geschieht es, dass Seelen oder Monaden einander untergeordnet sind, und zwar repräsentativ, ohne realen Einfluss aufeinander. Zu (6b). Ich weiß nicht, was für Sie jene substantiellen Modi der Monaden bedeuten, die den einzelnen Monaden eigentümlich sind. Nichts dergleichen wird von mir zugegeben, oder kann zugegeben werden. Eine zusammengesetzte Substanz besteht also formal nicht in einer Modifikation der Monaden, sondern in einem hinzugefügten neuen Absoluten. Und das, wenn ich nicht irre, müssen alle zugeben, die gleichzeitig Monaden und zusammengesetzte Substanzen zugeben. Dieses Ding, das den formalen Grund(begriff )³⁵ einer zusammengesetzten Substanz ausmacht, absolutes Akzidens zu nennen, heißt, die zusammengesetzten Substanzen zu beseitigen und alles Zusammengesetze zu akzidentellen Seienden zu machen: aber vielleicht wird das nur ein Streit um die Benennung sein; denn für mich ist jedes absolute Seiende Substanz. Smigleckis Erklärung von Substanz und Akzidens widerspricht mir nicht. Denn eine zusammengesetzte Substanz (wenn man sie einmal zugibt) ist nicht in den Monaden als einem Subjekt und kann zumindest übernatürlicherweise ohne Monaden sein. Nachdem jedoch Smiglecki, Aristoteles folgend, behauptet, es sei unmöglich, dass ein Akzidens ohne Subjekt sei, scheint auch Aristoteles keine absoluten Akzidentien zuzulassen. Daher bin ich verwundert, dass man mir entgegenhält, was auf mich einfach nicht zutrifft; sodass ich in diesem Punkt einräume,
³⁵ Lat.: »formalem rationem«
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Anhang A – Texte in Übersetzung
bei der Darstellung meines Gedankens neulich nicht ganz erfolgreich gewesen zu sein. R | Zu (7). Ich weiß nicht, was das Seiende sein soll, das die Phänomene realisiert, wenn nicht eben das, was ich zusammengesetzte Substanz oder substantielles Band nenne. Und v° ¦ Zu (8). Wenn ich nicht irre, ist es unvergleichlich angenehmer und leichter, das Seiende, das die Phänomene realisiert, unbeschadet der Monaden zu zerstören, als umgekehrt. Denn das die Phänomene realisierende Seiende ist ein zeitliches Seiendes, das entsteht und vergeht, eine Monade aber ist ein ewiges Seiendes. Zu (9) habe ich nichts anzumerken. Zu (10). Meinetwegen kann man das, was ich zusammengesetzte Substanz nenne, absolutes Akzidens nennen. Wir unterscheiden uns dabei ja nur den Worten, nicht dem Verständnis nach. Zu (11). Die Entelechie oder aktive Kraft im eigentlichen Sinn ist in der Monade enthalten und ist deren wesentliches Attribut, wie die Vernunft beim Menschen. Doch das Seiende, das die Phänomene realisiert, unterscheidet sich für mich in nichts von der zusammengesetzten Substanz, wie ich schon sagte. Zu (12). Ein Seiendes, das die Phänomene realisiert, von der zusammengesetzten Substanz zu unterscheiden, scheint mir die Seienden ohne Notwendigkeit zu vervielfachen. Zu (13) Ein Substantiat, d. i. eine zusammengesetzte Substanz, die die Phänomene realisiert, entsteht und vergeht an sich, nicht durch irgendwelche substantiellen Modi eines anderen Dinges; solche kenne ich nicht. Zu (14). Jenes Absolute, das die Phänomene realisiert, ist nicht unzerstörbar, nicht mehr als mein substantielles Band. Ich sehe daher nichts, worin sie sich unterscheiden würden. Zu (15). Wahr ist, dass Gott die Perzeptionen, die der zerstörten Substanz von Brot und Wein entsprechen, in anderen Monaden bewahren kann; das geschieht nämlich eben dadurch, dass er den normalen³⁶ Verlauf der Natur in ihnen bewahrt. Aber die Frage ist, wo³⁶ Lat.: »ordinarium«
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rin die zerstörte Substanz von Brot und Wein besteht? Gerade wenn es bloß Monaden, aber keine zusammengesetzten Substanzen gibt, kein Seiendes, das die Phänomene realisiert, behaupte ich, dass entweder die Substanz dem Brot und dem Wein uneigentlich zugesprochen wird, da es bloße Phänomene sind; oder, wenn man in ihnen eine Substanz sucht, dass diese in den Monaden selbst gesucht werden muss und somit von Euch eine Zerstörung der Monaden nicht umgangen werden kann, | was mir jedoch lieber gewesen wäre. Ich R sehe nicht, was akzidentelle Modi von Monaden bedeuten sollen, die von Perzeptionen und Begehren unterschieden sind. Zu (16) ist zu sagen, dass die Akzidentien des Brotes nicht im Körper Christi sind, damit nicht ein Weißes und Rundes verehrt wird. Ich sehe nicht, wie das Weiß mit einem Engel vereinigt werden kann, außer dass er weiß wird oder dass etwas Weißes mit ihm vereinigt wird. Zu (17). Die Modifikationen der einen Monade sind ideale Ursachen für Modifikationen einer anderen Monade, insofern in der einen Monade die Gründe erscheinen, die Gott zur Herstellung der Modifikationen in einer anderen Monade vom Anfang der Dinge an bewogen haben. Zu (18). Unendlichkeit der Teile eines physischen Kontinuums folgt nicht so sehr aus dem Grund des Besten als aus dem Prinzip des zureichenden Grundes, weil es keinen Grund gibt, zu begrenzen, zu beenden oder irgendwo anzuhalten. Ein mathematisches Kontinuum dagegen besteht in der reinen Möglichkeit, wie die Zahlen; daher ist bei ihnen die Unendlichkeit notwendig. Die Hypothese der bloßen Monaden hat den Vorzug, dass mit ihrer Voraussetzung nichts unerklärt bleibt und nur Bewiesenes und notwendig zu Setzendes gesetzt wird. ENDE.
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A · Leibniz: Bemerkungen, die mir beim Durchlesen von Aloys Temmiks »Die wahre Philosophie als Dienerin der Theologie und der Medizin« auf einer Reise einfielen (um /) Notationes quaedam quae P. Aloysii Temmik Philosophiam veram theologiae et medicinae ministram in itinere aliquo percurrenti inciderunt. In: Mugnai S. 155-160. Kursive Hervorhebung entspricht den Sperrungen bei Mugnai; was dort kursiv gesetzt ist, steht hier unter Anführungszeichen. M
| Distinkt oder verschieden möchte ich das nennen, was entgegengesetzte Prädikate annehmen kann, aus denen wir erkennen, dass es nicht dasselbe, sondern Verschiedenes ist. Weißer Sokrates und Musiker Sokrates³⁷ sind ein und dasselbe, denn obgleich Sokrates als Musiker gut singt und als weißer nicht singt, ist es doch wahr, dass der weiße Sokrates singt und alles, was über den Musiker Sokrates [gesagt wird], auch über den weißen gesagt werden kann, mit der Einschränkung, dass wir reduplikative Aussagen hier ausschließen, durch welche die formalen Gründe der Prädikate, nämlich Weiß³⁸ und Musikkenntnis, unterschieden werden. Und tatsächlich ist ja »Sokrates singt als Musiker gut« ein ³⁷ »Weißer Sokrates«: Das markante Beispiel stammt aus Aristoteles’ Organon; die Kombination mit »musisch« vgl. Hermeneutik, Kap. 11 (21 a1-14), in: Aristoteles: Kategorien. Hermeneutik. GriechischDeutsch. Hrsg., übersetzt, mit Einleitungen und Anmerkungen versehen von Hans-Günter Zekl (= Organon 2). Hamburg 1998, S. 129, wo »μουσικόϚ« allerdings entgegen Leibniz’ Interpretation mit »gebildet« übersetzt ist. Den »weißen« Sokrates vgl. weiters ebd. Kap. 7 (17 b28 ff.) u. ö. Zur allgemeinen Verankerung dieser Frage als ontologischer in der aristotelischen Ersten Philosophie vgl. die Anm. 273 zu Leibniz’ Brief an Des Bosses vom 5. Februar 1712 (S. 235). ³⁸ das lat. Abstractum »albedo«, also »Weiß-heit«, »die Weiße«, das »Weißsein«
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komplexer³⁹ Ausdruck, bestehend aus »Sokrates singt«, »Sokrates ist Musiker« und »Wenn Sokrates kein Musiker wäre, würde er nicht gut singen«. Daher ist nicht immer der eine ein Musiker und ein anderer weiß, und deshalb sind sie nicht disparat. Es ist mehr, zu sagen »Es gibt einen weißen Sokrates«, als zu sagen »Es gibt Sokrates, und es gibt jemand Weißen« oder »Es gibt Sokrates und das Weiß«, denn das Erstere besagt auch noch, dass Sokrates und das Weiße dasselbe sind; und somit wird das Subjekt des Weiß, das jedenfalls Etwas sein muss, mit Bezug auf Sokrates spezifiziert. Daher unterscheiden sich auch der Sache nach der weiße Sokrates und andererseits Sokrates und das Weiß. Die Subjektivierung oder Inhärenz⁴⁰ des Weiß kann nicht ohne Subjekt sein, aber daraus folgt nicht, dass das Weiß selbst nicht ohne Subjekt sein kann; es bedarf jedoch einer tieferen Vernunftüberlegung, damit klar wird, dass Qualitäten nur Modifikationen von Substanzen, aber keine absoluten Seienden sind. Sokrates und dieses Weiß unterscheiden sich nicht vom weißen Sokrates – wenn wir voraussetzen, dass das Weiß nicht ohne Subjekt sein kann. Anders ist es, wenn wir mit dem Volk der Scholastiker das Gegenteil annehmen. Außer den Substanzen oder letzten Subjekten gibt es Modifikationen der Substanzen, die als solche, per se, erzeugt und zerstört werden können; und es gibt schließlich auch Relationen, die nicht als solche erzeugt werden, sondern aus anderen Erzeugnissen resultieren und Realität ohne⁴¹ unseren Verstand besitzen, denn tatsächlich sind sie in niemandem, der denkt. Sie erhalten sie [sc. Realität] jedoch vom göttlichen Verstand; ohne diesen wäre nichts wahr. Somit werden zweierlei Wahrheiten allein durch den göttlichen Verstand realisiert: alle ewigen, und von den kontingenten die respektiven. ³⁹ »Komplex« steht für lat. »praegnans«, das wörtlich: »schwanger« und auch »umfassend« bedeutet. ⁴⁰ Wörtlich: »subjectatio (›Zugrundelegung‹) seu inhaesio«. ⁴¹ Wörtlich: »diesseits« (»citra«), also noch vor dem Einfluss von Verstandesoperationen.
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Wenn es reale Unionen gibt, die nicht aus der einfachen Setzung des Vereinigten resultieren, dann existieren sie nicht durch den göttlichen Verstand allein, wie die bloßen Relationen, sondern darüber hinaus durch seinen Willen, der eine neue Entität erzeugt. Solche Unionen sind notwendig, damit körperliche Massen wahre Seiende sind und zu den Monaden etwas über die bloße Hinsicht⁴² hinaus hinzufügen. Sokrates der Musiker und der weiße Sokrates unterscheiden sich real, denn nach Entfernung des Weiß – wenn er mit Schwärze gefärbt wird – kann er Musiker bleiben. Selbst wenn sie sich nur dem M | Modus nach unterscheiden, ist doch auch der modale Unterschied zu den realen zu zählen. Ich widerspreche nicht geradezu, wenn jemand diese Distinktion formal nennt, doch würde ich diese lieber dem zuschreiben, was sich auch modal nicht unterscheidet – so wie sich [»]die größtmögliche Fläche bei gleichem Umfang[«] nur formal von der [»]Gestalt, die durch die Bewegung eines Strahls um den Mittelpunkt der Fläche beschrieben wird[«] unterscheidet. Die 9. Generalversammlung der Ges[ellschaft] Jesu⁴³ hat beschlossen, es sei nicht ratsam, diesen Satz zu lehren: »Die Relation der Ähnlichkeit⁴⁴, der Vaterschaft etc. besteht nicht formal oder in ihrem Fundament, sondern ist etwas Vernünftiges oder ein bloßes Verstandesverhältnis«, sondern [»]Was durch den göttlichen Verstand geschieht, ist zugleich formal in den Dingen, mit Bezug⁴⁵ auf den Verstand[«]. ⁴² »respectus« ⁴³ Vgl. auch den Brief Des Bosses’ vom 17. September 1706 (Nr. 11, S. 40). Die neunte Generalversammlung der Jesuiten fand vom 13. 12. 1649 bis 23. 2. 1650 statt; die »nicht zu lehrenden« Sätze redigierte F. Piccolomini 1651. ⁴⁴ Wörtlich: »similitudo«, was allenfalls auch »Gleichheit« bedeuten kann. Auf die schwerwiegende Kontroverse in der schismatisierten Kirche, ob die göttlichen Personen »homoousios« (wesensgleich) oder bloß »homoiousios« (wesensähnlich) seien – zugunsten des Letzteren zunächst am ökumenischen Konzil von Nikäa 325 festgelegt – , geht Leibniz hier also nicht ein. ⁴⁵ Im Lat. heißt es hier wiederum: »respectu«.
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Ob die Wahrheiten der Relationen reflexiv sind? Die Relationen scheinen selbst nichts anderes als die Wahrheiten selbst zu sein. Bloße Relationen sind kein erschaffbares Ding und entstehen allein aus dem göttlichen Verstand, ohne dass ein freier Wille hinzutritt; von dieser Art ist nun alles, was aus Vorausgesetztem resultiert, wie etwa die Totalität eines Aggregats. Daher sind sie keine Seienden – denn jedes Seiende, das nicht Gott ist, ist geschaffen –, sondern sie sind Wahrheiten. Relationen würde ich eher Formalitäten⁴⁶ als Formen nennen. Rein metaphysisch kann genannt werden, was nicht aus Phänomenen zusammengesetzt⁴⁷ ist, wie es aus der scholastischen Theologie hervorgeht, z. B. die reale Einheit eines Ganzen aus präexistenten Teilen, die zu den Einzelnen noch etwas von einer, als solcher erschaffbaren oder erzeugbaren, Entität, d. h. die Erzeugung eines Bestimmenden⁴⁸ hinzufügt. Sokrates qua warm bewegt den Tastsinn, qua Sänger das Gehör, als weißer den Sehsinn, und doch sind es nicht drei Sokrates; auch nicht drei Dinge, sondern nur drei Prädikate. Im Göttlichen aber – wenn Gott als Vater zeugt und atmet; Gott als Sohn geboren wird und atmet; Gott als Hl. Geist geatmet wird und hervorgeht – ist mehr Unterschiedlichkeit⁴⁹ enthalten, und es entstehen verschiedene Personen. Indessen ist die Verschiedenheit der Prädikate, d. i. die formale, eine gewisse Rohform und ein Schattenbild der personalen Verschiedenheit. Alles, was dem Subjekt inhäriert, kann man Formalität und Bezeichnung⁵⁰ nennen. Im Subjekt, sagt Aristoteles, ist, was nicht als Teil in einem anderen ist und abgesondert von ihm nicht sein kann. Aber nicht als Teil ⁴⁶ Lat. »formalitates«, was neben bürokratischen »Formalitäten« auch »Formhaftigkeiten« meint; vgl. den drittnächsten Absatz. ⁴⁷ Wörtlich: »angesammelt« (»colliguntur«). ⁴⁸ »Bestimmendes« für »terminans«. ⁴⁹ Lat. »diversitas« ⁵⁰ »Bezeichnung« steht für »denominatio«.
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darin sein, erklärt die Sache nicht. Außerdem ist ein Punkt nicht als Teil in einer Linie und kann von ihr nicht abgesondert werden, und er ist trotzdem nicht in der Linie als einem Subjekt. Ob ein Teil vom Ganzen direkt ausgesagt wird, sodass man sagen kann: »Der Mensch ist Körper und Seele«? Das geht nicht. Ich würde nicht sagen: die Seele ist im Körper als dem Subjekt. Ist etwa das Weiß ein Teil des Weißen qua Weißes, wie die Seele Teil des Menschen? Man kann unterscheiden zwischen Prädikaten, die etwas zum Subjekt hinzufügen, und solchen, die nichts hinzufügen. Z. B. fügen Vernünftigkeit oder Fähigkeit des Staunens zum Menschen nichts hinzu. Aber Bildung fügt etwas hinzu, wenn ein Mensch gelehrt genannt wird. Doch fügt die Vaterschaft etwas zu Philipp hinzu? Wenn man Individuen als vollständige Begriffe nimmt, wird sie nichts hinzufügen. Man kann sagen, Kontingenzen seien den Individuen wesentlich, weil es der Begriff der Individuen ist, alles Kontingente zu M umfassen. Aber in Wahrheit sind die Kontingenzen | in all den Prädikaten eines Individuums, die nicht dessen ganze Kraft ausschöpfen, unwesentlich. Wie ein Punkt nicht die Linie vergrößert, so vergrößert auch eine Relation das Subjekt nicht. Bezeichnungen⁵¹ sind absolut oder relativ; beide sind wesentlich oder akzidentell. Eine wesentliche Relation ist nicht auf das Prädikat der Relation zurückzuführen; sie könnte einfach Hinsicht⁵² genannt werden. Das Fundament der prädikamentalen⁵³ Relation scheint ein absolutes Akzidens, m. a.W. eine Modifikation, zu sein. Manche fragen, ob Verstand und Wille verschiedene Dinge seien; man kann umgekehrt fragen, ob es einen Verstand ohne Willen geben kann oder einen Willen ohne Verstand. Es folgt nicht, dass sie ⁵¹ »Denominationes« ⁵² »Hinsicht« für lat. »respectus«. ⁵³ Dem lat. »praedicamentalis« würde auch das heute (etwa durch Husserl) gängigere »kategorial« entsprechen. Vgl. dazu die Anm. 134 zu Brief Nr. 52.
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verschieden sind, weil man fragen kann, ob eins ohne das andere sein kann: denn vieles scheint verschieden, was es nicht ist. Wesensbezeichnungen sind keine verschiedenen Seienden, wie etwa beim Kreis die größte Kapazität bei gleichem Umfang und die Gleichförmigkeit, obschon ein Kreis letzteres mit einer Geraden und einer zylindrischen Schraube gemein hat, ersteres nicht. Wenn Gott entscheiden würde, dem Willen nicht beizustehen, dann hätte deswegen die Seele nicht weniger Willen, wenn auch die Ausübung verhindert würde. Ebenso gelangt die größere Kapazität des Kreises nicht zur Ausführung, wenn es nur ihn allein gibt. Manche definieren Geist als von Natur aus durchdringbare Substanz. P. Honoré Fabri, wenn ich nicht irre, glaubt, dass sich ein Engel eine Zeit lang undurchdringlich machen kann, wenn es ihm beliebt; und so könne er auf Körper einwirken. P. Temmik (wie er sich nennt) gibt das nicht zu. Wenn das Wesen des Geistes in der Durchdringbarkeit bestehen würde, hindert nichts, dass es Geschöpfe gibt, die nach Belieben durchdringbar und undurchdringlich sein könnten, und ebenso mehr oder weniger durchdringbar. Elegant ist die Lehre von den Wesensgraden⁵⁴ in den Dingen – kann z. B. eine neue Vollkommenheit zur sensitiven Seele hinzugefügt werden, damit sie vernünftig wird? Oder ist es nötig, dass die sensitive Seele zerstört wird und die vernünftige sie ersetzt, sodass das Subjekt von einem bloß sensitiven zu einem vernünftigen wird? Potenzen können in zweierlei eingeteilt werden: Vermögen⁵⁵ (die nichts anderes sind als nahe Möglichkeiten⁵⁶) und Strebungen, d. h. der Zustand, aus dem eine Wirkung folgt, wenn nichts hindert.
⁵⁴ Vgl. zu den »gradus essentiales« u. a. Leibniz’ »Discours de Métaphysique«, § 1, obige Einleitung (3.2, S. XLVII f. ) und die Anm. 128 zu S. 130 (Nr. 52). ⁵⁵ »Vermögen« steht hier für »potestates« (»Mächte«); in der Briefübersetzung dient es zur Wiedergabe von »facultas«. ⁵⁶ »propinquae possibilitates«
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Tätigkeit⁵⁷ scheint sich vom Streben nur so zu unterscheiden wie Zeitliches vom Augenblicklichen; wenn eine Strebung mit der Zeit zunimmt, geht sie in Tätigkeit über; man kann dann sagen, Tätigkeit ist der Zug des Strebens in die Zeit. Den ursprünglichen Potenzen scheinen Wesensgrade zurechenbar. Derlei Potenzen sind nicht einfach, sondern Entelechien. Wenn ursprüngliche Entelechien und ursprüngliche passive Potenzen mannigfach modifiziert werden, entstehen Derivate⁵⁸ bzw. Akzidentien. Somit entstehen und vergehen sie ohne Erschaffung und Vernichtung, durch bloße Variation der Grenzen. Zur Tätigkeit ist nicht nur die letzte Bestimmung der Potenz erforderlich, sondern auch die Beseitigung des Hindernisses. Doch im Inneren der Dinge ist keine Strebung jemals ohne irgendeinen Grad von Tätigkeit. So ist etwa ein Stein, der ein Seil spannt, in fortwährender Tätigkeit, und es entsteht eine gewisse kontinuierliche, wenn auch sinnlich nicht bemerkbare⁵⁹ Wechselseitigkeit, wo einmal das eine, einmal das andere stärker ist, wie bei der Pendelschwingung, oder wenn ein Gewicht an einem eingedrehten Eisenfaden hängt. M | Hinsichtlich Gattung und Differenz⁶⁰ denke ich, sie können sich »actio« »derivativa« »insensibilis« Gattung (Genus) und Differenz gehören mit Art (Spezies), Proprium (Eigentümlichem) und Akzidens seit Porphyrios’ »Eisagoge«– der um 270 n. C. verfassten Einführung in Aristoteles’ Kategorienschrift – zu den fünf sog. Prädikabilien oder auch Kategoremen. Sie gelten als die obersten Artikulationen des Seins, als dessen erste, minimale sprachliche Unterscheidungs- und Aussagemöglichkeiten, noch vor den Kategorien als den vollständigen Aussageweisen; somit auch als die besten Instrumente für Definitionen, Begriffseinteilungen und Beweise. Vgl. Porphyrios: Einführung in die Kategorien des Aristoteles (Isagoge). In: Aristoteles: Kategorien. Hermeneutik, a. a. O. S. LV, 155 et passim. Vgl. auch die Anm. 128 zu Nr. 52 sowie Leibniz’ Brief vom 5. 2. 1712 (Nr. 89, S. 235). Zur Einbindung in die Transzendentalien und Universalien der Scholastik vgl. auch die Einleitung (5, S. LXX f. ).
⁵⁷ ⁵⁸ ⁵⁹ ⁶⁰
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wechselseitig ergänzen, ja sogar gegeneinander ausgetauscht werden, sodass die Differenz zur Gattung wird und umgekehrt. So lautet eine gewisse Definition: gleichseitiges Rechteck oder rechteckiger Gleichseiter⁶¹, und sie sagt nichts darüber, was man dabei für die Gattung oder für die Differenz halten soll. Gattung, Differenz und Eigentümliches sind wesentlich oder notwendig ›darin‹⁶²; aber die Gattung und die Differenz, d. i. das Wesen, gehen formal in das Ding ein, das Eigentümliche virtuell, das Akzidens kontingent. Reale Universalien sind nichts anderes als Ähnlichkeiten zwischen Einzelnen. Einige begreifen Gattung als Substantiv, Differenz als Adjektiv; so wäre etwa Lebendiges (animal)⁶³ die Gattung, vernünftig (rationale) die Differenz. Ich sehe aber nicht, warum nicht auch hier eine Umkehrung stattfinden könnte, indem man sagt »lebendiges Vernünftiges (rational animale)«, sodass Vernünftiges (rational) ein vernünftiges Ding, und lebendig (animale) dasselbe wie sensitiv⁶⁴ ist. Manche meinen, Gattung sei von Natur aus früher als Differenz und werde durch diese beschränkt, aber ich fürchte, dass die Beispiele das nicht bestätigen, und es bedarf einer solchen Gattung nicht. Real Verschiedenes pflegt mit den Sinnen unterschieden zu werden, begrifflich Verschiedenes nur mit dem Geist, d. i. verschieden im Formalen⁶⁵, wenn auch nicht in den Dingen. So wie sich auf einer Fläche Dreiwinkler und Dreiseiter⁶⁶ der Sache nach nicht un-
⁶¹ Im Original: »rectangulum aequilaterum vel aequilaterum rectangulum« ⁶² »insunt« ⁶³ Zur Verdeutlichung der grammatikalischen Operation Leibniz’ dient »Lebendiges« hier zur Wiedergabe von »animal«, das sonst als »Lebewesen« übersetzt wird. ⁶⁴ »sensitivum« ⁶⁵ Im Lat. handelt es sich hier wieder um die »formalitates«. ⁶⁶ Die lat. Neutra »Triangulum« und »Trilaterum« werden hier in
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terscheiden, sondern nur dem Begriff nach, also real dasselbe sind und nicht formal. Dreiseiter als solcher bezeichnet die Seiten, Dreiwinkler die Winkel. Ein Dreieck als Dreiwinkler hat drei Winkel gleich groß wie zwei rechte; als Dreiseiter hat es immer zwei Seiten, die größer als die dritte sind. Alle äußeren Bezeichnungen sind nach meinem Urteil auf inneren gegründet, und ein gesehenes Ding unterscheidet sich real von einem nicht gesehenen, denn die von einem gesehenen Ding reflektierten Strahlen erzeugen in ihm eine Veränderung. Ja wegen der universalen Verbindung der Dinge unterscheidet sich den inneren Qualitäten nach der Monarch der Chinesen, der mir bekannt ist, von demselben, sofern er mir noch nicht bekannt ist. Mit Sicherheit ändert sich durch die Zeit an sich jedes beliebige Ding, und es bedarf der Zeit, damit es von einem unbekannten in ein bekanntes übergeht. Manche glauben, die Einheit von Materie und Form sei eine Substanz oder etwas Substantielles. Richtiger würden sie das von der Union behaupten, die aus mehreren Substanzen eine neue, wahrhaft einzige Substanz macht, oder ein unum per se; diese Union zu behaupten ist notwendig, wenn der Körper eine Substanz ist. Seiendes habe ich früher einmal definiert als: alles, was distinkt denkbar ist; Existierendes: was distinkt sinnlich-vernehmbar oder perzipierbar ist. Um die Sache a priori zu erklären: Seiendes ist alles, was möglich ist; aktual aber existiert alles, was in der besten Reihe des Möglichen enthalten ist. Es gibt gewisse trächtige⁶⁷ Potenzen, die nicht nicht-verwirklicht⁶⁸ sein können; eine solche ist in Gott die Potenz zu existieren, in einem Lebewesen die Potenz zu perzipieren, in einer Entelechie: tätig zu sein. Absetzung von »Trigonum« (»Dreieck«) als »Dreiwinkler« und »Dreiseiter« wiedergegeben. ⁶⁷ Das lat. »praegnans« (»prägnant«), oben mit »komplex« übersetzt, wird hier zu seiner lexikalischen Hauptbedeutung zurückgeführt. ⁶⁸ »non … actuatae«
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Gott ist die letzte und zugleich individuelle Spezies, weil er nicht vervielfältigbar ist. Dasselbe kann man vom Universum sagen, aber in Wahrheit ist das Universum kein Seiendes. Man muss sehen, ob alle einfach einfachen⁶⁹ Vollkommenheiten der Unendlichkeit fähig⁷⁰ und miteinander verträglich sind. Das Unendliche⁷¹ ist bei den Geschöpfen nichts anderes als das Unbestimmte⁷², d. i. dessen Grenzen ungewiss sind. So gibt es zu jeder beliebigen Zahl eine größere, aber es gibt keine unendliche Zahl, obgleich | die Zahlen der Menge nach unendlich sind. Zu je- M der Bewegung gibt es eine schnellere, aber keine Bewegung ist die schnellste. Ein Geschöpf kann daher immer etwas von Gott empfangen, Gott von ihm nichts. Es gibt die Schwierigkeit bei den nicht notwendigen Prädikaten Gottes, ob sie – z. B. dass er Schöpfer, Erlöser ist – akzidentell genannt werden können. Sicher ist das nicht wesentlich, was er in freier Weise gemacht hat. Gibt es also in Gott eine Verwandlung⁷³ – da von ihm nicht zu jeder beliebigen Zeit dieselben [Prädikate] ausgesagt werden können? Vor der Erschaffung der Welt war er nicht Schöpfer, vor der Geburt Christi war er nicht Erlöser – außer man verneint, dass zeitliche Prädikate auf ihn zutreffen. Man muss, so scheint es, sagen, dass nicht Verwandlung in Gott Statt hat, sondern höchstens Variation⁷⁴. Gibt man nämlich bei ⁶⁹ Orio de Miguel (vgl. a. a. O. S. 675) weist darauf hin, dass Leibniz mit diesem Begriff des »einfach-Einen« über Van Helmonts physische Monade hinausgehe. Vgl. aber auch den Brief von Des Bosses vom 2. März 1706, Nr. 5, S. 20, wo dieser Begriff von dem Jesuiten eingebracht wird. ⁷⁰ »capax« ⁷¹ »infinitum« ⁷² »indefinitum« ⁷³ »Verwandlung« im Sinn eines einmaligen Umschlagens hier und im Folgenden für »mutatio«. ⁷⁴ Die »variatio« – als Veränderung und Mannigfaltigkeit – betrifft das Problem der Trinität ebenso wie der Zeitlichkeit Gottes.
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Gott zeitliche Prädikate zu, wird es in ihm eine Variation geben; aber Verwandlung ist eine Variation, die eine Unvollkommenheit in der Variation mit einschließt; etwas, was in dieser Art in Gott nicht stattfindet. Eine Eduktion⁷⁵ der Formen aus der Potenz der Materie ist nur von den Modifikationen anzunehmen, wie es Gestalten oder derivative Kräfte sind; diese bestehen in Begrenzungen des Absoluten. Das Absolute wird zweifach verstanden, denn es ist dem Begrenzten entgegengesetzt, und somit sind Modifikationen keine absoluten Akzidentien; ebenso ist es dem Respektiven entgegengesetzt, und so sind die Modifikationen absolute Akzidentien, während Relationen respektiv sind. Wenn eine Kugel aus Holz entsteht, dann verneint Aristoteles zu Unrecht, dass die Kugelartigkeit entsteht, denn vorher war sie nicht da. Das Kugelige entsteht formal, oder das, was kugelig ist, entsteht nicht, nämlich das Holz. P. Aloys Temmik verneint in der »Philosophie als Dienerin der Theologie und Medizin« , dass Akzidentien ohne Subjekt Bestand haben⁷⁶ können. Ähnlichkeiten können einander ähnlich sein. So kann das Verhältnis a zu b dem Verhältnis c zu d ähnlich sein. Jedes Individuum involviert Unendliches und kann daher nicht vollkommen erkannt werden. Die einmal gesetzte Existenz bestimmt [die Seele] zur Erhaltung. P. Temmik sagt auf S. 89, allein der Glaube erweise den Unterschied zwischen Substanz und Subsistenz, und zwar liege die Substanz den Akzidentien zugrunde⁷⁷, die Subsistenz dagegen den Handlungen⁷⁸. Wenn aber den Begriffen nicht die menschliche ⁷⁵ Vgl. auch Brief Nr. 108, S. 297. ⁷⁶ Wörtlich: »subsistieren«. ⁷⁷ »substare« ⁷⁸ »Handlungen« steht hier für »operationes«, also auch im Sinn von »Verrichtungen«, »Funktionen«.
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Natur als Substanz zugrunde liegt, fallen wir in die monotheletische Lehre⁷⁹. Sokrates als weißer bewegt den Sehsinn, als Sänger das Gehör, als warmer den Tastsinn, wie oben bemerkt. Macht etwa das »qua solcher« eine unterschiedliche Subsistenz im Göttlichen aus? Die geschaffene Subsistenz besteht in etwas Negativem, dass nämlich ein Seiendes sich nicht einem anderen unterwirft⁸⁰. Ungeschaffene Personalität ist jedoch eine neue Vollkommenheit. Pater Temmik glaubt auf S. 90, ein Geschöpf könne ein anderes nicht hypostatisch aufnehmen, damit nicht ein Loch mit einem Loch geschlossen wird, aber manche glauben doch, dass eine Hand keine eigene Subsistenz, sondern diejenige des Menschen habe. Lebendige Tätigkeit ist die Tätigkeit einer tätigen und leidenden Substanz in sich. Aristoteles’ Bewegung ist dasselbe wie für uns Veränderung; was wir aber Bewegung nennen, nämlich die örtliche, ist für ihn Verlagerung⁸¹. Er unterscheidet aber Entstehung⁸² von Veränderung⁸³, | die M sich in Wahrheit nur der Spezies nach unterscheiden würden, wenn er nicht gewisse substantielle Formen aufgestellt hätte.
⁷⁹ Der Monotheletismus schreibt der Person Christus einen einzigen Willen zu, was – so die Verurteilung durch die Kirche am Konzil von Konstantinopel 680/81 – seine zweifache, göttliche und menschliche Natur unzulässig reduziere (gemäß Konzil von Chalkedon 451). Vertreten wurde die monotheletische Ansicht von Monophysiten, vor allem in Byzanz (aber auch dem röm. Papst Honorius I.), ein Märtyrer des gegnerischen Dyotheletismus war Maximus Confessor (662). (Vgl. Denzler/Andresen S. 411 und 266.) ⁸⁰ Das hier verwendete lat. »mancipare« ist konnotiert durch: übereignen, sich unter die Herrschaft begeben, ausliefern. ⁸¹ Leibniz setzt hier nebeneinander den lat. und griech. Ausdruck »latio φορά«; oft auch als simple »Ortsveränderung« übersetzt. ⁸² »generatio« ⁸³ »Veränderung« an dieser Stelle für lat. »alteratio«.
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Gott oder ein Engel spricht nicht nur, indem er eine Wahrheit oder Erkenntnis einprägt⁸⁴, sondern indem er zugleich bewirkt, dass wir wissen, dass diese von jemandem willentlich eingeprägt wird. Die Seele steht für den unvollkommenen menschlichen Körper durch die körperliche Form.⁸⁵ Zur Freiheit gehört, dass das Freie sich selbst bestimmt; aber das genügt nicht zur Freiheit, sie ist nämlich vielmehr der Begriff des Spontanen. Man muss aber hinzufügen, dass sie Spontanes mit einer Wahl⁸⁶ ist. Die Scholastiker glauben, der Körper kann unausgedehnt und durchdringbar in der Eucharistie existieren, und der Geist kann sich im Gegenzug ausgedehnt und undurchdringlich machen, wenn er an einen Körper stößt. Willenlose⁸⁷, aber spontane Bewegungen hängen von den unsinnlichen Begehrungen⁸⁸ der Seele ab, willentliche von den sinnlichen. Nicht jedes Ganze entsteht aus Teilen; von solcher Art ist die Eins⁸⁹, deren Teile Brüche sind, welche von Natur aus später als die Eins sind. P. Temmik glaubt auf S. 125, der Körper Christi sei reduziert worden auf ein Korpuskel, wie es die kleinsten des Brotes sind, und ⁸⁴ »imprimit« ⁸⁵ »Steht für …« ist die Übersetzung des von Leibniz verwendeten »supponit« – nicht bloß supponieren, ersetzen, sondern »zugrundelegen«, sonst auch »unterordnen«, »einer Operation unterziehen« –, womit das vieldiskutierte »Suppositum« ontologisch im Spiel ist. Zur Rolle der (ontologischen) Supposition im Sinn der Anwendung eines Begriffs auf einen darunter fallenden Gegenstand in der spätmittelalterlichen »terministischen« Logik, ihrer Ausdifferenzierung und späteren Einebnung mit der davon zunächst unterschiedenen Signifikation (Bedeutung eines Wortes) vgl. HWBP 10, Sp. 652–660. ⁸⁶ »electio« ⁸⁷ »involuntarii« ⁸⁸ »appetitus« ⁸⁹ »unitas«, hier im engen Sinn der Zahl »Eins« übersetzt, ist auch allgemein als »Einheit« zu verstehen.
A 7 Leibniz: Bemerkungen
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diese kleinsten, replizierbaren Korpuskel seien zum Körper Christi so verwoben und angeordnet wie Brot und lägen allen seinen Akzidentien zugrunde. Solche Akzidentien des Brotes, wie sie in den Körper Christi eingehen – und dass das millionenfach unter einem hinreichend feinen Mikroskop sichtbar würde – [sind] ein Unsinn. P. Hon[oré] Fabri glaubt, dass ein Engel die Erkenntnis einer einmal erkannten Sache nie ablegt. Doch eben das [gilt] von jedem beliebigen Geist – ja sogar [wenn] wir uns bei einer bestimmten eigentümlichen Erkrankung kaum noch, höchstens vage, erinnern, wie wir die Buchstaben gelernt haben.⁹⁰ Dass Tiere nicht immer auf dieselbe Weise in ihrer Aktivität vorgehen, beweisen Jagdhunde. Sie wählen irgendwann auch ein weniger Gutes, allerdings wenn sie getäuscht werden, wie der Mensch. Der Mensch selbst, obschon frei, macht nichts aus reiner Eigenmächtigkeit⁹¹, das heißt ohne einen Impuls von einem sich zeigenden Gut.
⁹⁰ Es scheint sich hier um eine Anspielung Leibniz’ auf die unbewussten »petites perceptions« der »Nouveaux Essais« zu handeln, die die Kognition unterlaufen. – Im Übrigen referiert Leibniz in der ersten Hälfte dieses Absatzes konform Temmiks § 229 (a. a. O.), während er in der zweiten Hälfte gegen dessen Unterscheidung zwischen Tier und Mensch (§ 301) argumentiert. ⁹¹ Lat.: »mere potestative«.
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Anhang A – Texte in Übersetzung
A · Des Bosses: Monitum Interpretis. Auszug (Über körperliche und unkörperliche Substanz, namentlich der Engel)
Nach: Godefridi Guilielmi Leibnitii Tentamina Theodicaeae · De Bonitate Dei, Libertate Hominis et Origine Mali. Latine versa et Notationibus illustrata. Tomus prior. Francofurti 1719, S. [28–36] (unpaginiert). — Die Apostrophierung der Zitate und die Kursivsetzungen in der Passage entsprechen hier dem Original. Textvergleichende Anmerkungen zu den zitierten Briefen siehe unter Nr. 12, 14, 15 und 16. Des Bosses zitiert in der Vorerinnerung zu seiner Theodizee-Übersetzung – wie in der Einleitung knapp vorgestellt – ein achtfaches »non placet« von einem ungenannten katholischen Theologen⁹²; Punkt sechs davon besagt: »Inakzeptabel ist, was im § 124 S. 167 gesagt wird, dass es kein rationales Geschöpf ohne organischen Körper gibt und keinen geschaffenen Geist, der völlig von der Materie losgelöst ist.« (S. *[8 f.]) – Der Kommentar Des Bosses’ lautet wie folgt. [ ]
| […] Sechstens. Leibniz behauptet hier zweierlei: Erstens, dass es kein rationales Geschöpf ohne irgendeinen organischen Körper gibt. Zweitens, dass es keinen geschaffenen Geist gibt, der von der Materie völlig getrennt ist. Beginnen wir mit dem Letzteren; um seinen Sinn genauer herauszuarbeiten, werden wir einige Fragmente aus Leibniz’ Briefen, die sich darauf beziehen, unverfälscht anführen. Ich hatte den berühmten Mann gefragt, weshalb er der Meinung wäre, dass Körper von Engeln bewegt würden, obwohl seiner ⁹² Einer der Kandidaten ist vielleicht der Jesuiten-Zensor de Vitry – vgl. auch den Schluss des folgenden Anhangs 9 –, was mangels Quellenbelegen freilich offen bleiben muss.
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Ansicht nach ein Körper oder eine Materie nur von der Entelechie, d. i. der eigenen Form eben dieses Körpers oder dieser Materie, bewegt werden können. | Er antwortete (im Jahr 1706)⁹³: Engel sind [ ] nicht die Entelechien von Körpern, sondern auch selbst Entelechien, nämlich Geister, und haben meines Erachtens auch Körper. Dies war auch die Ansicht nicht weniger alter Kirchenlehrer, von der man ohne Notwendigkeit abgegangen ist, und als ob es nicht genug echte Verwirrungen gäbe, schaffte man fiktive heran.⁹⁴ Die Engel bewegen also Körper genauso wie wir es tun. Es ist wahr, dass allein Gott der Materie neue Kräfte und neue Richtungen verleihen kann, oder Bewegungen, die nicht aus ihren alten Entelechien folgen, und dass das zu den Wundern gehört. Ich möchte wissen, ob bei Euch eine der meinen entgegengesetzte, definierte Meinung über die Engel gilt. Zu Recht hat man jene zurückgewiesen, die behaupteten, die Engel und die gesamte Schöpfung seien körperlich⁹⁵; doch das betrifft jene nicht, die alle Geister, ja alle Entelechien als unkörperlich anerkennen. Ich versetzte: Diese seine Meinung widerspreche dem Laterankonzil,⁹⁶ und obwohl Bartholomäus Carranza, Sixtus von Siena, Melchior Cano, Gregorio de Valencia und manche andere meinen, dass jenes Konzil hinsichtlich der reinen Spiritualität der Engel nichts definieren oder als Glaubensdogma vorschreiben wollte, ja sogar der hl. Thomas, der mehrere Jahre nach dem Laterankonzil lebte, in der 16. Qu. von »De Malo«, Art. 1, aus dem ⁹³ Brief an Des Bosses vom 20. 9. 1706 (Nr. 12), S. 42 f. Die Auslassung gegenüber der oben (nach G) übersetzten Fassung kennzeichnet Des Bosses hier nicht; die sonstigen geringen Abweichungen betreffen zumeist die Interpunktion. ⁹⁴ »…recessum est, & quasi non satis esset verarum perplexitatum, accersitae sunt fictitiae.« GP·2, 316 hat zwei andere Versionen dieses Satzes; vgl. oben den Brieftext mit Anm. ⁹⁵ Nach GP·2 »…alle Engel seien köperliche Kreatur«. ⁹⁶ Die Antwort von Des Bosses mit Erwähnung des Laterankonzils findet sich in Brief Nr. 13 nicht, sie könnte in dem beigelegten EsparzaExzerpt enthalten sein, das von G nicht überliefert ist. Zum Lateranense vgl. obigen Brief Nr. 14, S. 47.
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21. Buch von Augustinus’ »De Civitate Dei« zitiert, es mache für die christliche Lehre nicht viel Unterschied, ob Dämonen von Natur aus mit sich vereinte Körper hätten oder nicht, und ebenda in der Antwort zu 1. hinzufügt, es würde der Fall sein, dass auch die Dämonen noch absolute Geister genannt werden können, obwohl sie mit sich vereinte Körper hätten; so wird diese Sache doch trotzdem im nahezu einhelligen Urteil der katholischen Theologen als voll von Unbesonnenheit beurteilt, um nichts Schlimmeres zu sagen, wenn man die reine Spiritualität der Engel leugnet, zumal darin schon alle katholischen Gelehrten seit dem Magister, 8. Dist[inktion],⁹⁷ und [ ] Th[omas] | Qu. 50, Art. 1,⁹⁸ mit gewichtigem Fundament in der offenbarten Lehre, übereinstimmen. So fast wörtlich Martin Esparza Qu. 1 »De Angelis«, Art. 10 ff. Siehe auch Dionysius Petau, »Theologorum Dogmata« Bd. 3, Buch 1 de Angelis, die ganzen Kapitel 2, 3 und 4, vor allem Kap. 3 Nr. 10. Leibniz antwortete mit diesen Worten:⁹⁹ »Die Ansicht von der völligen Trennung der Engel von den Körpern hat nicht die Vernunft, nicht die Schrift, sondern nur die allgemeine Ansicht der Schulen zur Grundlage. Dass das Laterankonzil nicht definitiv, sondern diskursiv auf Basis des damals überlieferten Sinnes spricht, zeigen die Worte zur Genüge. Dass einige Engel, die Sie mit Thomas von Aquino assistierende nennen, von den Körpern gänzlich getrennt sind, lassen meine Beweise, wenn ich nicht irre, nicht zu, und ohne Schwierigkeit würde ich das von allen gelten lassen, was man von einigen zeigen könnte. Einen Gebrauch des Körpers kann man, glaube ich, den Engeln trotzdem zuschreiben, sodass sie nicht unpassend eher assistierende Formen als inhärente (d. i. informierende) genannt werden – nicht weil sie die Funktion der Entelechien nicht ⁹⁷ Vgl. Petrus Lombardus: Liber Sententiarum, 2. Buch, dessen erste elf Distinctiones die Engelslehre behandeln. ⁹⁸ Thomas von Aquino: Summa Theologiae I ⁹⁹ Brief an Des Bosses vom 4. 10. 1706 (Nr. 14), S. 47–50; einige lexikalische und orthographische Unterschiede im Vergleich zur Fassung G, vgl. die Anm. zum Brieftext.
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erfüllen, sondern weil sie nicht fest am Körper haften. Ich glaube nämlich (da es naturgemäß möglich ist und zur Vollkommenheit des Universums beiträgt) dass es Entelechien gibt, die ganz leicht den Körper wechseln oder von Körper zu Körper übergehen, zwar nicht in einem Augenblick (denn nichts geschieht naturgemäß so), aber doch in kurzer Zeit, wenn auch schrittweise, wobei der Teil, den sie behalten, dem zu verändernden Teil, den sie ablegen, dient, obwohl er sich auch selbst dann je nach entstandenem Ding verändert, so wie wir mit Hilfe der Hand einen Fuß verändern können und den fleischlichen durch einen hölzernen ersetzen: ja wie wir mit Hilfe der einen Hand die andere verändern können, und mit Hilfe einer neuen Hand wiederum die ältere, wenn wir die neue hinreichend mit uns vereinigen könnten – so wird ein Engel immer durch Körper agieren, und immer wird die prästabilierte | Harmo- [ ] nie stattfinden, sodass das, was der Engel will, aufgrund des Gesetzes der Körper selbst geschieht, ungefähr wie – wenn ich mich recht entsinne – Euer Suarez sagt, dass nach der Meinung einiger die Dinge so vorhergeordnet sind, dass sie die Willen und Gebete der Glückseligen spontan befriedigen. Assistierende Formen also nenne ich die, die nach Belieben einen Körper annehmen und ablegen und den, den sie besitzen, umformen; inhärente und beseelende die, die keine solche Willkür besitzen – auch nicht wenn die Willkür beschränkt ist –, sodass alles nach der natürlichen Ordnung vor sich geht. Allein Gott kommt es zu, Beliebiges aus Beliebigem zu machen. Und die Ersteren, würde ich meinen, kann man von den Körpern abgesondert nennen, die Letzteren an den Körpern haftend. Trotzdem muss man sagen, dass beide eine Einheit mit dem Körper sind, sodass sie eine Entsprechung zur Entelechie aufweisen. Das scheint auch im Sinn von Augustinus, Buch XXI »De Civ[itate] Dei« Kap. 10 zu sein, zitiert von Thomas, Quaestio 16 ›Über das Böse‹, Art. 1: ›Man kann freilich die Dämonen (oder Engel) Geister nennen, weil sie vielmehr ihnen untertane Körper besitzen.‹ Daher werden wir weder den Intelligenzen die Bezeichnung Seelen noch den Engeln [die Bezeichnung] Lebewesen zusprechen. Im Übrigen hat ein Wechsel des Körpers nichts, was nicht mit der Überlieferung
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übereinstimmt: denn auch wir wechseln den Körper, sodass wir im Alter vermutlich nichts mehr von der kindlichen Materie behalten; der Unterschied ist nur, dass wir den Körper weder plötzlich noch willkürlich ablegen.« Die Antwort darauf war:¹⁰⁰ Zur Vollkommenheit und Harmonie des Universums sei es genug, wenn die angelischen Geister nur akzidentell mit den Körpern verbunden würden; zwischen den Körpern selbst besteht eine Harmonie, jedoch stellt sich keine substantielle Einheit zwischen ihnen ein; denn diese würde bewirken, dass alle Körper ein einziges Suppositum wären, wodurch es auch nicht mehr notwendig wäre, dass aus einem angelischen Geist und dem Körper eine Person entstände; sie würde aber entstehen, wenn der Engel aus Körper und Geist, als Entelechie oder Form, bestände. Um [ ] Leibniz hierauf zu der von den Scholastikern | akzeptierten Ansicht hinzuführen, wurde ihm eine Stelle bei Esparza angegeben¹⁰¹, der lehrt, dass alle Engel aufgrund ihrer Natur (akzidentell) entweder unmittelbar oder zumindest mittelbar in Beziehung zu einem bestimmten Körper stehen, oder auch zu einer bestimmten Ansammlung von Körpern, und sich mit diesem oder diesen besonders verbinden, in der Art eines Bewegers und Lenkers (siehe Esparza »De Angelis« Qu. 5, Art. 6). Diese Ansicht unterscheidet sich auch nicht von Aristoteles, der nach dem Zeugnis des hl. Thomas¹⁰² 1.T., Qu. 50, Art. 3 in corp. behauptete, dass diese vollkommeneren (angelischen) Naturen eine Anordnung zum Sinnlichen haben, in der Weise des Bewegers. Ja auf das Argument: Engel sind unkörperliche Substanzen, doch eine unkörperliche Substanz hängt ihrem Sein nach von keinem Körper ab; infolgedessen auch nicht ihrem Werden nach. Also wurden die Engel nicht an einem körperlichen Ort erschaffen – antwortet der hl. Thomas selbst, 1. T. Qu. 61, Art. 4 zu 1, die Engel seien an einem körperlichen Ort gemacht worden, um ihre Ordnung an der ¹⁰⁰ Vgl. Des Bosses’ Brief vom 14. 10. 1706 (Nr. 15), S. 52. ¹⁰¹ Vgl. ebd. S. 50 f. ¹⁰² Thomas von Aquino: Summa Theologiae (Utrum Angeli sint in aliquo magno numero)
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körperlichen Natur zu zeigen, und dass sie durch eigene Kraft Körperliches berühren. Gefragt schließlich, ob er glaube, dass Seelen, die ihren menschlichen Körper abgelegt haben, noch eine Vereinigung mit irgendeinem anderen Körper behalten usw., antwortete Leibniz Folgendes:¹⁰³ »Die Stelle eures Esparza gefällt mir sehr, und ich verachte auch jenes Dogma der Peripatetiker nicht, die die Relation zu einer bestimmten (obgleich je nach Zeit verschiedenen) Materie für die numerische Unterscheidung der Substanzen fordern. Bei Gott verhält sich die Sache anders, der sich selbst genügt und Ursache der Materie und alles anderen ist; daher ist er nicht die Seele der Welt, sondern ihr Urheber. Jedoch ist es für die Kreaturen natürlich, eine Materie zu haben, anders sind sie nicht möglich, außer Gott ersetzt die Leistung der Materie durch ein Wunder; doch was nur durch ein Wunder gewährt werden kann, ist zur Vollkommenheit des Universums nicht regelmäßig notwendig. | Der unendliche Geist wirkt auf [ ] die Körper durch Erschaffen und Bewahren, welches eine gewisse Fortsetzung des Erschaffens ist; mit einem endlichen Geist ist das nicht vereinbar. Als ich von den assistierenden Formen sprach, habe ich mich nicht auf die von Ihnen erwähnte Unterscheidung Thomas’ zwischen den Engeln, die Gott assistieren, und denen, die ihm dienen, bezogen (obwohl die Schrift sie allesamt Diener des Geistes nennt), sondern auf die peripatetischen Ausdrücke. Dass Gott assistierende Intelligenzen, die nichts anderes tun und auch nicht Gottes Gehilfen sind, mit der Ordnung der Dinge zusammenstimmen, glaube ich nicht. Diese nämlich von den Körpern und dem Ort zu entfernen, heißt, sie von der universalen Verbindung und Ordnung der Welt entfernen, welche in den Relationen von Zeit und Ort besteht. Ob es jedoch notwendig ist, dass es einen Engel gibt, der die ¹⁰³ Brief an Des Bosses vom 16. Oktober 1706 (Nr. 16; S. 55 ff.); die vorgenommenen Auslassungen sind von Des Bosses nicht gekennzeichnet; es gibt zudem zwei stilistische Varianten. Vgl. die Fußnoten zu Nr. 16.
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Form eingibt¹⁰⁴ oder die Seele des organischen Körpers und mit diesem persönlich vereinigt ist, ist eine andere Frage und kann in dem bestimmten, im vorigen Brief dargelegten Sinn verneint werden. Im Hinblick auf den Zustand der abgetrennten menschlichen Seele kann ich nichts Sicheres definieren, da außer dem Reich der Natur hier das Reich der Gnade Einfluss hat. Warum ihr aber eine bestimmte zweite Materie bis zur Auferstehung anhaften soll, dafür sehe ich keine Ursache.« Aus diesen Auszügen kann man sehen: Erstens, dass Leibniz der Meinung war, die Ansicht von der reinen Spiritualität der Engel sei auf dem Laterankonzil nicht definiert worden. Zweitens, dass er der Meinung Esparzas beipflichtet, der eine Verbindung des angelischen Geistes mit Körpern behauptet hat in seiner bloßer Relation zum Körper oder zu Körpern, in der Weise des Bewegers oder Lenkers. Drittens, dass er sagt, in einem gewissen, im vorausgehenden Brief formulierten Sinn könne verneint werden, dass ein Engel eine den organischen Körper, den er hat, informierende Form ist, und man könne sagen, dass es nur eine assistierende Form sei, etwa in der Art – wie ich nämlich glaube –, in der nach der überlieferten Lehre Pla[ ] tons die Seele dem menschlichen Körper wie ein Seemann | einem Schiff assistiert. Diese Art genügt wahrlich nicht, dass aus einem angelischen Geist und Körper eine einzige Substanz wird. Viertens schließlich, dass er sagt, man könne sagen, dass sich ein Engelsgeist nicht personal mit einem Körper vereinigt. Gewiss scheint die Fähigkeit, die der Autor dem Engelsgeist zuspricht, nämlich nach Belieben den Körper abzulegen, nicht zur unvollständigen und eigentümlich formgebenden¹⁰⁵ Form zu gehören, da das Engels-Suppositum, d. i. die Person des Engels, zumindest im regulären Sinn, von Natur aus schon bestanden haben muss, bevor sein Wille seine eigene Handlung zustandebrachte.
¹⁰⁴ Lat.: »formam informantem« ¹⁰⁵ Dem Lat. entspricht wörtlich wiederum die »informierende Form«.
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Wie auch immer, wenn der Autor zwischen Engelsgeistern und Körpern eine substantielle Verknüpfung behauptet (wie manche seiner oben angeführten Aussagen zu belegen scheinen), muss man in jedem Fall an der gegenteiligen Ansicht, die lehrt, dass Engel weder als Körper noch als Materie bestehen, festhalten, welcher Ansicht (nach dem Zeugnis von Petau, s. oben, Kap. 3, Nr. 10) alle Theologen nicht nur folgen, sondern deren Gegenteil sie als wenn schon nicht häretisch, so doch der Häresie sehr nahe stehend beurteilen. Denn dass sie offenbar als weniger häretisch eingeschätzt wird, kommt daher, dass diese Sache von der Kirche noch nicht genau erörtert worden ist. Denn jenes Lateran-Dekret wollte diesen Teil nicht von Amts wegen definieren, sondern die Synode hatte nur im Sinn gehabt, gegen die Manichäer zu behaupten, dass Gott der Urheber beider Naturen sei, während sie das Übrige nach der überlieferten Meinung jener Zeit kurz eingeflochten hat. So nun die Meinung von Petau, andere dagegen meinen mit Esparza (Qu. 1 »De Angelis«, Art. 12), »der Satz des Laterankonzils, über den gestritten wird, sei in seiner Art hinzugefügt und beabsichtigt gewesen, um den Unterschied und die Natur der erschaffenen Dinge selbst zu zeigen und zu bestimmen.« Die Ansicht des Autors könnte womöglich entschärft und so erklärt werden, dass er nur meinte, zwischen dem Geist eines Engels | und einem Köper müsse notwendig immer eine besondere Rela- [ ] tion oder akzidentelle Einheit eintreten, die den Bezug des Geistes auf Zeit und Raum begründet und kraft deren der Engelsgeist auf jenen Körper in natürlicher Weise einwirken kann, und daher wie eine analoge Form jenes Körpers ist, jedoch so, dass aus jenem Körper und Geist nicht eine Substanz entsteht. Denn nur das – wenn sie etwas beweisen – beweisen Leibnizens auf der Vollkommenheit des Universums, die die Ordnung und Verknüpfung der Teile erfordert, beruhenden Argumente, die wir ebenso wie seine anderen Gründe in den Anmerkungen ausführlich darlegen. Ob der zweite Teil: Dass es kein rationales Geschöpf ohne organischen Körper gibt, eine hinnehmbare Auslegung duldet, wage ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen; denn auch wenn er, wie wir oben
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gesehen haben, nicht definitiv zu sagen wagt, dass die abgetrennte menschliche Seele vor der Auferstehung einen gewissen mit sich verbundenen Körper hat; so behauptet er doch an anderen Stellen wiederholt als festes Prinzip, dass Monaden, wie er sie nennt, oder einfache Substanzen von Natur aus nie zugrunde gehen; woraus folgt, dass auch die Entelechien, aus denen, wie auch aus der ersten Materie, die Monaden entstehen, von der ihnen eigentümlichen ersten Materie auf natürlichem Weg nicht trennbar sind. Es ist wahr, dass für Leibniz ein organischer Körper das eine, jene ursprüngliche erste Materie etwas anderes ist: denn diese, so behauptet er, ist von der Entelechie untrennbar; jener dagegen ist flüchtig und im Lauf der Zeit veränderbar. Ich kann aber ebenso wenig die auch auf menschliche Seelen angewandte Untrennbarkeit der Entelechie von der Materie gutheißen, da man sie zum einen in den christlichen Schulen bisher nicht gehört hat, um nichts Schwerwiegenderes zu sagen, zum anderen auch, weil man – da die menschlichen Seelen gemäß dem Grad der Rationalität von Gott in der Zeit erschaffen werden, wie der Autor orthodox lehrt – wenn die menschliche Seele [ ] | und diese Materie voneinander untrennbar wären, sagen müsste, dass jene erstentstandene Materie zur selben Zeit wie die Seele erschaffen wird (was meines Wissens noch nie jemand behauptet hat), sonst hätte die Materie ohne Seele vor der Erschaffung der Seele existiert. Der Autor sagt auch nicht, dass diese Materie zwar ohne ihre Seele auf natürliche Weise existieren könne und existiert habe, nicht aber umgekehrt die Seele ohne Materie. Denn – außer man spricht davon gratis – es würde beweisen, dass Monaden entstehen und somit auch zugrunde gehen können, was den Prinzipien des Autors widerspricht. Dies alles wird aber ausführlicher in den Anmerkungen erklärt und erörtert werden.¹⁰⁶ Bezüglich der Engel habe ich zu dem, was ich zum ersten Glied [der Behauptung] zu bedenken gegeben habe, nur hinzuzufügen, dass es unserem Autor leicht gefallen wäre, einen organischen Körper mit irgendeinem ¹⁰⁶ Diese Anmerkungen zur Theodizee hat Des Bosses nicht mehr vorgelegt.
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Engelsgeist in allem übereinzustimmen, da er behauptet, dass sich überall in der Natur ein Organismus findet und alle körperlichen Bewegungen nur durch mechanische Organe ausgeführt werden.
A · Des Bosses: Clavis Lycaei (Darstellung ) Beilage zu einem Brief vom 29. Mai 1735 (möglicherweise an den Physiker und Naturphilosophen Louis-Bertrand Castel S J, zur Weiterleitung an den Hrsg. der »Lettres édifiantes et curieuses«, J.-B. Duhalde S J) Nach: de Certeau S. 578–582 (Brief von Des Bosses, frz., hier nicht aufgenommen); S. 583–585 (Clavis Frz. Teil); S. 585–591 (Clavis Lat. Teil); S. 592– 593 (Schluss des Briefes, frz.) [Ms. …] verweist auf die von Certeau angegebene Manuskriptpaginierung; de Certeaus Vorlage: 18seitiges Ms. am Archiv der Jesuiten in Chantillon (Collection Vivier, vol. 1, fol. 43 sq.). Kursive Hervorhebungen im zentralen, original lat. Teil entsprechen der Vorlage. Der frz. Part wird im Dt. in Paraphrase wiedergegeben.
| »Clavis Lycaei« – ›Schlüssel zum Lyzeum‹, also ein Handbuch zur C aristotelischen Schulphilosophie – sei eine Abhandlung über Metaphysik, an der Des Bosses seit mehreren Jahren arbeite und die er bald zu publizieren hoffe. Zweifacher Hauptpunkt: 1. Materie sei ein Ding, das sich vom Ausgedehnten unterscheidet. 2. Der Unterschied zwischen Materie und ursprünglichen körperlichen Formen sei infolgedessen mehr als nur modal, nämlich eben real. Referenz auf Etienne-Simon de Gamaches: Système du mouvement, Paris 1721, dessen Vorschlag aber nicht genüge; den Unterschied zwischen Materie und Ausdehnung zu bestimmen sei vielmehr »hier Mühe und Not, dort Arbeit«. Suarez erklärt, dieser Unterschied könne durch Vernunft nicht demonstriert werden. Emmanuel Maignan, »Cursus philosophicus …«, 1653, meint, es sei fraglich, ob es Scharfsichtigere
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als Suarez gebe. »Die Mehrheit der orthodoxen Peripatetiker«, so Des Bosses mit Bezug auf den fraglichen Unterschied zwischen Ausdehnung und Materie, »gibt sich damit zufrieden, ihn durch das Geheimnis der Eucharistie zu beweisen, aber hier geht es darum, ihn durch die reine Vernunft zu beweisen«¹⁰⁷. C | Zunächst gehe es um das Problem der Ausdehnung der kleinsten bzw. unendlich kleinen Materieteilchen: Jeder Teil eines Ausgedehnten müsse ausgedehnt sein – dies sei evident und von allen Geometern anerkannt –, sei er auch unendlich klein. Nun sei aber das Gegenteil der Fall bei der Materie, die bloß eine unendliche Ansammlung (collection) von Unteilbaren ohne jede Ausdehnung wäre; also sei Materie eine andere Sache als die Ausdehnung. Des Bosses stimme dem Untersatz zu. Aristoteles und alle alten wie neuen Philosophen bewiesen, dass die Materie unerzeugbar und unzerstörbar sei (»ex nihilo nihil fit«, usw.). Also sei in den Körpern nur dann etwas Unentstandenes und Unvergängliches, wenn es unausgedehnt und unteilbar wäre, denn Ausgedehntes könnte immer ins Unendliche geteilt werden, enthalte daher entstehende und vergängliche Modalitäten, die nicht das Wesen der Materie ausmachen könnten. Beseitige man all diese Modalitäten und Vereinigungen, würden evidentermaßen nur unausgedehnte Unteilbare übrig bleiben; denn wenn der Rest nochmals teilbar wäre, wären – da im Begriff der Teilbarkeit Modi und Unionen enthalten seien – nicht alle Modi beseitigt entgegen der Voraussetzung. Man könne vielleicht einwenden, dass dieses Argument auf der Natur des Unendlichen beruhe, das unbegreiflich und jenseits des menschlichen Verstandes sei. Wie komme es dann aber, dass die Gegner so erbittert als offenkundige Wahrheit zu verbreiten und zu verfechten wagen, man müsse der reinen Vernunft zufolge sagen, die Materie sei nur Ausdehnung? Müssten sie nicht – wenn das Unendliche in die Kontroverse hineinkommt – vielmehr sagen, dass möglicher¹⁰⁷ »La plupart des péripatéticiens orthodoxes se contentent de la prouver par le mystère de l’Eucharistie, mais ils’agit ici de le prouver par la pure raison.« De Certeau S. 583 f.
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weise die Gründe für die Identität der Materie und der Ausdehnung von jenen Gründen aufgewogen werden, die für die Unterscheidung dieser Dinge sprechen? Demzufolge müsse man die Unterscheidung vielmehr annehmen, die im Übrigen weitere Vorteile auf dem Gebiet der Religion aufzuweisen habe. Das Konzept der »Clavis« gliedere sich in vier Teile.¹⁰⁸ Teil eins präsentiere die Prinzipien und enthalte die Definitionen, Axiome und Forderungen oder Hypothesen, gemäß der Methode der »Synthetischen Geometrie«. | Unter anderem würde er die von Aristoteles C aufgestellte Definition der Substanz erklären: »Ens primo et simpliciter (das zuerst und einfach Seiende)«. ¦ Von den die Einheit betreffenden Axiomen seien nicht die letzten: Ms. »Ens et unum convertuntur. Sublatis unitatibus tollitur multitudo. Distinctio inadaequata partis a toto infert distinctionem adaequatam partis a parte (Seiendes und Eins sind austauschbar. Durch Aufhebung der Einheiten wird die Vielheit aufgehoben. Die inadäquate Unterscheidung des Teils vom Ganzen führt zur adäquaten Unterscheidung von Teil und Teil)« etc.¹⁰⁹ Postulate (demandes) oder Hypothesen stelle Des Bosses nur zwei auf: »1. Es gibt Körper; 2. Extensum sive continuum est divisibile en infinitum (Das Ausgedehnte oder Kontinuierliche ist ins Unendliche teilbar).« Ersteres brauche keinen Beweis, zweiteres werde man am Ende des Werkes beweisen können, wo man auch die schwierigsten der Einwände beantworte (Verweis auf die – folgende – Manuskriptseite 9). Hochwürden möge beiliegendes Billett Tournemine zeigen, der ihm, Des Bosses, eine Freude bereiten würde, wenn er ihn seine Meinung darüber wissen ließe. Dasselbe sage er den anderen Priestern der Gesellschaft [Jesu], die Gefallen an der Metaphysik finden. Viel¹⁰⁸ Die Teile zwei bis vier werden nicht weiter benannt und bleiben klandestin. ¹⁰⁹ De Certeau merkt an: Diese Axiome seien im Brief vom 12. Februar 1706 an Leibniz zu finden, was nur für das erste stimmt. Vgl. die vier Axiome in Nr. 3, S. 11.
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leicht könne Des Bosses das ganze Werk Stück für Stück Hochwürden übermitteln, je nachdem er jeweils die Reinschrift anfertige. Dieser könne mit dem Billett nach Gutdünken verfahren. Ms.
¦¹¹⁰
| Zweites Argument, mit dem bewiesen wird, dass die Materie unausgedehnt ist und real unterschieden sein muss von der Ausdehnung, die nicht unausgedehnt sein kann. D. h. ein Kreis wird durch das Zentrum in so viele Sektoren geteilt, dass es immer noch mehr, d. h. beliebig viele gibt. Alle diese einzelnen Sektoren werden ihre Spitze im Mittelpunkt haben. Diese Spitzen sind nicht ausgedehnt, da sie im unausgedehnten Zentrum zusammentreffen. Ich frage nun, ob die Spitzen etwas Materielles¹¹¹ sind oder nicht? Wenn sie etwas Materielles sind, dann können also verschiedene Teile der Materie zugleich an derselben Stelle¹¹² sein, d. h. auch auf natürliche Weise C durchdrungen werden, wenn sie wieder | verbunden werden. Wenn es Modi oder Formen oder irgendwelche Akzidentien sind, werden sie ein Subjekt haben. Dieses Subjekt ist entweder Materie, und dann wird in jeder Spitze unausgedehnte Materie sein, oder es ist wiederum eine andere Form oder Modus oder Akzidens, und diese Form (sic), damit man nicht ins Unendliche fortschreitet, wird jedoch in einem passiven Subjekt zugrundegelegt werden müssen, das nichts anderes als die Materie ist. Wenn daher Modus oder Akzidens nur in der Materie sein könnten, der sie inhärieren, wird etwas Materielles in den einzelnen getrennten Spitzen sein müssen, die, sobald sie wieder verbunden sind, zusammen durchdrungen werden, da sie sonst nicht im Mittelpunkt zusammenkämen. Ergo können die Teile der Materie durchdrungen werden, ja werden tatsächlich durchdrungen. Was zu beweisen war. Darüber nachsehen kann man bei Thomas Hobbes, De principiis et ratiocinatione Geometrarum, die ersten drei Kapitel. Aber C
¹¹⁰ Hier beginnt der lateinische Text. ¹¹¹ Materielles: »materiae« ¹¹² Stelle: lat. »situ« (eigentlich »Lage«).
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außerordentliches Licht in diese Sache brachte wie gewöhnlich der berühmte Leibniz in einem Brief an mich vom 29. Februar 1709¹¹³, aus dem ein Stück zu diesem Thema an dieser Stelle eingefügt werden kann: »Auch ergäben unendliche, zu Einem versammelte Punkte keine Ausdehnung. Das beweise ich so. Man nehme ein Dreieck ABC, dessen Seite AC in D zweigeteilt¹¹⁴ wird, und AD in E, und AE in F, und AF in G, usw. A Man nehme an, dass das ins Unendliche B geschehen ist. Wir werden ¦ unendliche Ms. G Dreiecke BCE, BDE, BEF, BFG, etc. haben. Jedes beliebige von ihnen (dadurch, F dass ihnen Plastizität¹¹⁵ gegeben wird, sodass sie Körper werden, oder dass E man von Anfang an ein dickes Dreieck, d. i. eine Pyramide nimmt) kann D abgesondert existieren. Somit wird jedes einzelne seine Spitze haben. Stellen Sie sich schließlich vor, dass alle miteinander zusammengesetzt werden, sodass eine Pyramide oder ein ganzes Dreieck C ABC entsteht, dann ist klar, dass alle jene unendlichen auf diese Art zusammengesetzten Spitzen | nur eine einzige gemeinsame Spitze B ausmachen. C Wenn Sie nun keine unendlichen Dreiecke verwenden wollen, dann sehen Sie zumindest, dass dies generell von Dreiecken gilt, wie viele ¹¹³ Problematisches Datum, da 1709 kein Schaltjahr war (sondern 1708). Gerhardts Datierung lautet: »24. April 1709«, vgl. oben Nr. 52 (S. 126), dort auch die Anmerkung der wenigen Varianten zum lateinischen Text. ¹¹⁴ Dies könnte auch im Sinn von exakt »halbiert« aufgefasst werden; lat.: »bisecare«. Vgl. die unterschiedlichen Grafiken hier und in GP·2, 370 (S. 128). ¹¹⁵ Im lat. Original: »crassities«, was auch »Dicke« bedeutet.
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es auch seien. Ausdehnung entsteht zwar aus der Lage, fügt aber zur Lage die Kontinuität hinzu. Punkte haben eine Lage, sie haben keine Kontinuität und setzen sie nicht zusammen, noch können sie von selbst bestehen. Also hindert nichts, dass unendliche Punkte kontinuierlich entstehen und vergehen, oder wenigstens zusammenfallen oder außer einander gesetzt werden, ohne Vergrößerung oder Verminderung der Materie und der Ausdehnung, da sie nur deren Modifikationen sind, und zwar keine Teile, sondern Begrenzungen.« So Leibniz. Mein drittes Argument schließlich ergibt sich aus der gemeinsamen Ansicht der Philosophen wie der Geometriker, die mathematisch Unteilbares behaupten, nämlich Punkte, Linien und Flächen,¹¹⁶ wofür Aristoteles und die alten Peripatetiker, der hl. Thomas, Scotus und deren beider Nachfolger, wie auch die anderen Scholastiker vor Occam und den Nominalisten eintreten; mit Aristoteles stimmen die englischen Neuerer überein, wie bei John Keill in der Introductio ad veram physicam, Lektion 3, zu sehen ist; Leibniz, wie aus seinen oben angeführten Worten hervorgeht. Ja selbst Descartes gibt in den 4. Antworten auf die Einwände zu den Meditationen (Responsiones 4tae ad ea quae Theologos morari Ms. possunt), kurz vor Mitte des § Notandum, ¦ Notandum denique, und C in den 6. Antworten diese unteilbaren | Modalien zu; aus diesen Modalien ergibt sich jedoch die Frage nach dem Subjekt der Modi, das bei den Punkten nicht quantitativ ausgedehnt, bei den Linien nicht breit und tief und bei Flächen nicht tief sein kann. Dieses Subjekt kann nichts anderes sein als die erste Materie, also ist die erste Materie etwas an sich Unausgedehntes. Nachdem Suarez diese Unteilbaren (40. Metaphys[ische] Untersuchung, Abschnitt 5) kunstgerecht und subtil aufgestellt hat, meint er in Nr. 5 b, dass ihre Subjekte, auch wenn sie am Wesen und an ¹¹⁶ Die mathematische Bestimmung von Punkt als Grenze von Linie, Linie als Grenze von Fläche und (Ober-)Fläche als Grenze von Körper war auch Lehrgut der Stoa, wie es etwa Apollodoros überlieferte; vgl. Diogenes Laërtios VII 135, a. a. O. Bd. 2, S. 70.
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der Natur des ersten substantiellen Subjekts, d. h. der Materie, teilhaben, dennoch entstehen und vergehen, nicht anders als die mathematisch Unteilbaren. Doch seine Ansicht zu dieser Sache haben Raphael Aversa Band I, Qu. 22, Abschn. 4, S. 723, Sp. 1,¹¹⁷ und Arriaga 16. Unters[uchung] zur Physik, Abschn. 4, n. 40 der Antwerpener Ausgabe, und 38, Lyon 1669,¹¹⁸ widerlegt. Man muss daher sagen, dass die Subjekte der Unteilbaren oder Begrenzenden bei einer Teilung oder Zusammenfügung¹¹⁹ weder entstehen noch vergehen, sondern in dem Punkt usw. präexistiert haben, in dem die Teilung erfolgt ist, z. B. im Zentrum. Daraus ergibt sich – da Teilung an jedem beliebigen Punkt eines Kontinuums ins Unendliche möglich ist –, dass es unendliche Unteilbare der Materie gibt. Mit dieser Annahme wird ein Licht aufgehen, um die Verdünnung im eigentlichen Sinn zu verteidigen, auf die sich die neueren Philosophen berufen, um von anderen Nebensächlichkeiten einmal zu schweigen. | Es bleibt noch das erste Argument, das ich vor einigen Monaten C Euer Hochwürden zur Beurteilung geschickt habe, durch die Auflösung zweier Schwierigkeiten zu untermauern, welche die gegenwärtige Angelegenheit aufklärt, auch wenn sie in Verbindung ¦ zum an- Ms. deren Teil meiner Untersuchung steht, in der ich die peripatetischen substantiellen Formen zu erörtern versuchen werde. Erster Einwand. Wenn das Argument, mit dem wir bewiesen haben, dass Materie nur aus Unteilbarem besteht, gilt, dann scheint es auch zu erweisen, dass Quantität oder Ausdehnung in reine Unteilbare aufgelöst werden kann, und so verschwindet jeder Unterschied, den wir zwischen Materie und Quantität festgestellt haben. A[ntwort] – Der Unterschied zwischen Materie und Quantität oder Ausdehnung ist, dass die Materie das erste Subjekt ist. Das erste ¹¹⁷ Aversa : Philosophia Metaphysicam Physicamque complectens …, vgl. Register sowie de Certeau S. 588 Anm. 48. ¹¹⁸ Arriaga : Cursus Philosophicus …, vgl. Register und de Certeau, a.a.O. Anm. 49. ¹¹⁹ Lat.: »continuatio«
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Anhang A – Texte in Übersetzung
Subjekt als solches aber muss begriffen werden als getrennt¹²⁰ von allerlei Modi und Formen, vor allem Einheiten und Lagen. Nicht so die Ausdehnung, die ja in der ersten Materie ihr Subjekt hat¹²¹, weshalb auch nichts verbietet, dass sie in ihrer Idee oder ihrem Begriff zumindest eine radikale Einheit¹²² einschließt, d. h. das Erfordernis einer unbestimmten, aktuellen lagebezogenen¹²³ Einheit, die ich unten erklären werde. Beharren [auf Ihrem Einwand]. Auch wenn die Ausdehnung ein absolutes und kein modales Seiendes ist und in ihrem Begriff eine zumindest radikale Einheit der Teile, d. i. das Erfordernis einer Einheit, einer unbestimmten lagebezogenen Einheit zwischen ihren Teilen einschließt, was spricht dagegen, zu sagen, dass auch die Materie selbst in ihrem Begriff eine solche radikale Einheit einschließt, die selbst kein Modus, sondern etwas Absolutes ist, das offenbar mit der Materie selbst identifiziert wird? A[ntwort]. – Ausdehnung ist zwar etwas Absolutes, wie wir beMs. wiesen haben, aber kein erstes Seiendes, sie setzt ¦ nämlich von Natur aus zuvor eine Materie voraus, sei es (wie andernorts noch zu beweisen ist) ein Zusammengesetztes, sei es eine Verschmelzung von Materie und substantieller Form. Es kann zwar ein absolutes, nicht-erstes Ding in seiner Idee oder seinem Begriff die radikale Einheit von Teil und Teil mit einschließen. Das widerspricht aber dem Konzept oder Begriff der Materie und des ersten Subjekts. Das erkläre ich so. Die radikale Einheit der Teile besteht darin, dass diese Teile nur so koexistieren können, dass sie untereinander eine aktuelle Einheit haben, sei es eine mittelbare oder unmittelbare. Das gilt nicht für die Materie, weil es keinen Teil der Materie, ja nicht einmal ein bestimmtes Unteilbares von ihr gibt, das nicht von jedem anderen Teil der Materie, und erst recht von jedem anderen Unteilbaren, getrennt ¹²⁰ ¹²¹ ¹²² ¹²³
Lat.: »praecisum« Lat.: »subjectatur«, wörtlich: »grundgelegt wird«. Lat.: »unio«, auch im Folgenden. Lat.: »situalis«
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werden kann. Jeder bestimmte, bezeichenbare Teil der ersten Materie kann nämlich – sowohl mittelbar wie auch unmittelbar – von jedem anderen bestimmten Teil der Materie getrennt werden. Dasselbe ist auch über die Trennung jedes beliebigen Unteilbaren der Materie von jedem anderen Unteilbaren zu sagen. Doch zwei Teile von ein und derselben Quantität können nicht anders zugleich existieren oder koexistieren, als dass sie untereinander eine unmittelbare oder mittelbare Einheit haben. Wenn z. B. ein Lebewesen um irgendein Glied verstümmelt wird und am Leben bleibt, kann in dem abgetrennten Glied nicht dieselbe Ausdehnung oder Quantität bleiben, die vorher im verbundenen oder zusammenhängenden Glied war. Weil Seiendes und | Eins austauschbar sind, verliert die C Quantität des abgetrennten Gliedes eben dadurch, ¦ dass sie die Ein- Ms. heit verliert, die in der Einheit oder Unteilbarkeit der Form begründet ist, auch ihre Existenz, und die Kadaver-Form des abgetrennten Gliedes erhält eine neue Quantität, gemäß der Ansicht des heiligen Thomas, der sagt, dass kein Akzidens im Zerstörten das bleibt, was es im Lebenden war. Aber im übrigen Körper des noch bestehenden Lebewesens bleibt noch dieselbe Teil-Quantität, die den lebendigen Teilen entspricht, weil in demselben noch dieselbe substantielle Form bleibt. Diese Lehre setzt voraus, dass die gesamte substantielle Form unteilbar ist, wie der hl. Thomas ausdrücklich über die Seelen vollkommener Tiere lehrt; ja sie dehnt vielmehr die Unteilbarkeit auf jede substantielle Form aus, wie man, so scheint es, dem ersten Teil, Quaestio 76, Art. 8, Über die Körp[er],¹²⁴ entnehmen kann. Jene, die den substantiellen Formen Teilbarkeit zusprechen, sind zu der Feststellung gezwungen, dass die Teile einer Quantität so voneinander getrennt werden können, dass zwei Teile derselben Quantität koexistieren können, ohne miteinander vereint zu sein; unsere Antwort können sie daher nicht verwenden. 2. Einwand. Wenn Materie als Ansammlung von Unausgedehntem und Unteilbarem begriffen werden kann, dann werden in der ¹²⁴ Thomas von Aquino: Summa Theologiae
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Anhang A – Texte in Übersetzung
Materie Einheiten oder Monaden enthalten sein ohne die Hilfe und das Dazwischentreten der substantiellen Form, die diesen Unteilbaren Einheit verleiht. Denn jene unteilbaren Einzelnen, eben weil Ms. unteilbar, werden offenkundig je Eins sein. ¦ A[ntwort] – Verneinung der Folge. Denn wenn nur das Unteilbare der Materie existieren würde, gäbe es nichts Ausgedehntes, oder, was dasselbe heißt, es würde kein Körper existieren. Nun ist aber sicher, dass es eine sinnliche und ausgedehnte Substanz, d. h. Körper gibt, wie wir postuliert oder vorausgesetzt haben; also können die Unteilbaren der Materie keine vollständigen ersten Seienden sein, sondern das Kollektiv¹²⁵ jener Unteilbaren wird nur ein Teil der körperlichen und ausgedehnten Substanz sein können, zusätzlich aber mit einer substantiellen Form, die, weil ja wesentlich Teil der sinnlichen und ausgedehnten Substanz (mit Ausnahme der Vernunftseele), nur so existieren kann, dass sie eine unbegrenzte Ansammlung jenes Unteilbaren der Materie, d. h. Metaphysischen, in sich vereinigt hat. Wenn nun jene metaphysischen Unteilbaren wahre substantielle Einheiten wären, dann gäbe es keine ausgedehnte Substanz, da jedes dieser Unteilbaren für sich und getrennt von den anderen existieren würde oder wenigstens so existieren könnte, und auch sonst offenbar keine dieser Substanzen real ausgedehnt wäre; aber auch ihre Ansammlung würde nicht ausgedehnt sein, weil es offenkundig ist, dass die Ausdehnung, wenn sie keinem Einzelnen zukommt, auch keinem gesamten Kollektiv von Ausgedehntem zukommen kann, da Ausdehnung nicht aus beliebig vervielfachtem Unausgedehntem und Unteilbarem bestehen kann. Anders ist das in der Ansicht Demokrits, der Atome oder ausgedehnte Unteilbare zulässt, weshalb Demokrit auch sagt, dass allein diese Unteilbaren erste Seiende oder Substanzen seien; im Gegensatz dazu seien Komposita oder Verschmelzungen aus mehreren solchen ausgedehnten Unteilbaren keine Substanzen, sondern vielMs. mehr eine Ansammlung von Substanzen. ¦ Nichts verbietet aber, ¹²⁵ »Kollektiv« oder »Ansammlung« ist Übersetzung des lat. »collectio«.
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dass die einzelnen | demokritischen Substanzen, wenn es sie geben C sollte, durch sich existieren könnten und dass aus ihnen – sofern ihre Ausdehnung sicher bewiesen ist – ein ausgedehntes Aggregat entstehen wird können. Hiermit muss übereingestimmt werden, was Aristoteles in Buch 3 Über den Himmel, Text 14,¹²⁶ sagt: Im Ganzen aber trifft zu, dass es entweder überhaupt keine Größe gibt oder dass sie aufgehoben werden kann, wenn sich ein Punkt gleich zur Linie verhält wie eine Linie zur (ebenen) Fläche und diese zum Körper; denn alles, was sich¹²⁷ auflöst, wird in die allerersten (das heißt in Punkte, m. a.W. Unteilbare und Unausgedehnte) aufgelöst, weshalb es geschehen kann, dass es nur Punkte, aber keine Körper gibt. Es wird nicht nur geschehen können, sondern sogar geschehen müssen, dass es keine Körper oder körperlichen Substanzen gibt, wenn diese metaphysischen Punkte Substanzen sind, d. h. einzeln und getrennt voneinander existieren können sollen. Ich sehe aber nicht, mit welcher Begründung jene, die als Substanz im eigentlichen Sinn nur einfache, unteilbare und unausgedehnte Seiende anerkennen, behaupten können, dass deren Aggregate ausgedehnt seien. Man kann nachsehen bei Wolff in der Ontologia § 792 und die drei folgenden; in der Cosmologia § 184 und die drei folgenden sowie § 219, 221, 223 ebenda.¹²⁸ ——— Es folgt ein letzter frz. Briefabschnitt (Blatt E; C·592 f.): Des Bosses bittet um Aufsätze aus dem Journal de Trévoux vom Jahr 1704 über Tournemines Leib-Seele-Union, genauer um einen kurzen Beitrag ¹²⁶ Vgl. Aristoteles: De Coelo (Vom Himmel) 300 a 7–12. ¹²⁷ Aristoteles sagt an dieser Stelle: »was sich ineinander auflöst«. ¹²⁸ Die Position Wolffs ist an den angegebene Stellen: An einem Kompositum ist nichts substantiell als die einfachen Bestandteile. – Es gibt nur einfache Substanzen, und zusammengesetzte Seiende sind deren Aggregate. – Wenn es in der zusammengesetzten Substanz eine Kraft gibt, dann stammt sie von den Kräften der einfachen Substanzen.
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Anhang A – Texte in Übersetzung
im Maiheft mit Bezug auf einen anonymen »Lettre d’un particulier à un de ses amis«, sowie vom September.¹²⁹ Er habe sich nach der Theodizeeübersetzung (Frankfurt 1719) intensiver Augustinuslektüre gewidmet, um die mögliche Übereinstimmung mit Leibniz’ System herauszuarbeiten. Der Schlüssel liege im Gnadenproblem, und die »natürlichste« Lösung bestehe darin, Leibniz’ Prinzip der besten aller möglichen Welten, und dass Gott stets – so Des Bosses – das Bessere oder vielmehr das Vernünftigere bewirke, auf Augustinus’ Unterscheidung zwischen »auxilium sine quo non« und »auxilium quo« anzuwenden, also zwischen einem unerlässlichen und einem positiv zur Verfügung stehenden Hilfsmittel.¹³⁰ P. Edouard de Vitry, der Des Bosses in dieser Frage einen Brief geschrieben habe¹³¹, stimme dem zu.
¹²⁹ Vgl. Mémoires de Trévoux 1704, Mai, S. 848–851; September, S. 1653. Zu Tournemines Artikeln und Leibniz’ Kritik siehe die Einleitung S. XXXV–XL . ¹³⁰ Vgl. zum Prinzip der bestmöglichen Welt in der Theodizee § 42 des Teils I, entsprechend dessen Thema eingelagert in die Diskussion des Voraus- und Allwissens Gottes. ¹³¹ Dieser Brief wurde nicht ermittelt. Der Zeitraum der allenfalls darüber hinausreichenden (nicht präsenten) Korrespondenz zwischen Des Bosses und de Vitry ist unklar, sie könnte schon vor Erscheinen der lat. Theodizee (1719) begonnen haben, de Vitry als der anonyme »dritte Theologe« des »Monitum Interpretis« (vgl. Auszug Anhang 8) zumindest in Betracht kommen.
A N HA N G B B R I E F E I N O R IG I NA L SP R AC H E
Aufgenommen sind hier die Briefe und Passagen zwischen Leibniz und Des Bosses – soweit publiziert – , die bei Gerhardt fehlen oder nach einer anderen Vorlage übersetzt sind.
B • Nr. : Leibniz an des Bosses, . . (L ) G IV / D·2, 265 / Look 1999 S. 69 f. Der Brieftext ist ergänzt nach Look, der auf das Leibniz-Ms. LBr 95 Bl. 11 der Niedersächsischen Landesbibliothek zurückgreift. Die in der (bei G abgedruckten) Endfassung nicht enthaltenen Stellen, die von Leibniz gestrichen wurden, sind kursiv zwischen spitze Klammern < > gesetzt.
¦ Plurimum Reverende Pater. ¦
D
| Vereor, ut quem mihi defers honorem, dum de abstrusioribus G quaeris, mereri satis possim. Dico tamen sententiam, quia jubes, et boni consules. Ens et unum converti Tecum sentio; Unitatemque esse principium numeri, si rationes spectes, seu prioritatem naturae, non si magnitudinem, nam habemus fractiones, unitate utique minores in infinitum. Continuum in infinitum divisibile est. Idque in Linea Recta vel ex eo constat, quod pars ejus est similis toti. Itaque cum totum dividi possit, poterit et pars, et similiter quaevis pars partis. Puncta non sunt partes continui, sed extremitates, nec magis minima datur pars lineae, quam minima fractio Unitatis. Infinitum actu in natura dari non dubito, positaque plenitudine mundi, et aequabili divisibilitate materiae, sequitur ex legibus motus varii, quodvis punctum moveri motu diverso a quovis alio assigna-
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Anhang B – Briefe in Originalsprache
bili puncto. Sed nec aliter sibi pulchritudo rerum ordoque constaret. Neque video, cur hoc refugere debeamus. Quae contra objiciuntur, responsionem ni fallor patiuntur, et falsis hypothesibus niti solent. Non datur progressus in infinitum in rationibus universalium seu aeternarum veritatum, datur tamen in rationibus singularium. Ideo singularia a mente creata perfecte explicari aut capi non possunt, quia infinitum involvunt. Majora pendent a minoribus, et haec ab aliis adhuc minoribus. Scholastici aliquando fortasse potentiam intellexere, quae esset cum conatu; communiter tamen rem aliter accepisse putem. Sic Risivitas in homine (vulgo Risibilitas) non significat risurum hominem si nemo impediat, sed risurum si occasio ridendi offeratur. Itaque cum potentiam requisitis omnibus positis necessario agere dixere, inter requisita, credo, posuere occasionem solicitantem. Violentum admitto utique, neque a communi sermone recedendum puto, qui ad apparentia refertur, eo fere modo, quo Copernicani de motu Solis loquuntur cum vulgo. Simili modo loquimur de casu et fortuna. In motu concedo utique esse aliquid ultra vim ad mutationem nitentem, nempe ipsam Mutationem. In aqua non magis substantialem Unitatem esse puto, quam in grege piscium eidem piscinae innatantium.
B 1 Leibniz an Des Bosses, 14. 2. 1706
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| Cum animam nihil in materia producere ajo, tantum intelligo G per animam non mutari leges motuum materiales. Alioqui Anima est Entelechia seu potentia activa primitiva in substantia corporea per quam Materia seu ejusdem substantiae potentia passiva primitiva perficitur, et horum primitivorum modificatione in ipsa substantia corporea actiones passionesque nascuntur . Sturmium puto fuisse amantem veritatis, sed praejudiciis occupatum mea non satis attente considerasse. Responsionem ad Turnamini objectionem (sic satis jam veterem, sed mihi serius observatam) misi in Galliam nuper, sed nondum accepi redditam. Ita nescio, quis sit nunc status Diarii Trivultiani. Spero tamen verum non fore, quod de cessatione ejus dictum est. Interim metuo, ne forte autoribus nocuerit, quod interdum res Theologicas liberius nec sine affectu tractant, et aliquando in alios paulo aculeatius dicunt.
Gaudeo consilium de condendo Breviario Philosophico tuis destinatis consentire. Et omnino sentio de multis non bene decerni, nisi omnia sint in conspectu. Vereor ut frui colloquio Tuo possim proximo Paschali festo, nam non Brunsvigam tantum, sed et Berolinum excurrendum est mihi. Spero tamen alias affuturam fortunam voto meo. Interea vale, et omnia ex sententia gere, ut respublica literaria tuis praeclaris lucubrationibus mature fruatur, et mihi favere perge. Dabam Hanoverae 14 Febr. 1706. D ¦ Deditissimus Godefr. Guil. Leibnitius. ¦ P. S. Cum ubique Monades seu principia unitatis substantialis sint in materia, consequitur hinc quoque infinitum actu dari, nam nulla pars est aut pars² partis quae non monades contineat. ¹ Korrigiert vom Hrsg. aus Look S. 69: »altoris« ² So G; Look S. 70: »par«
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Anhang B – Briefe in Originalsprache
B • Nr. a: Leibniz (an Des Bosses? Ende ) (L a) Grua 1, S. 255 ff. Der Text ist nicht normalisiert. Nicht übernommen wurden Gruas (zwei) Fußnoten, da ohnehin anderwärtig erläutert. Als Quelle gibt Grua nur allgemein den Hannoveraner Manuskript-Fundus an; das Datum sei »sûrement fin 1707«. — Vgl. auch die Anm. zu diesem Brief im Haupttext.
| Leibniz à Des Bosses? fin 1707 J’ay lû dans ma chaise le premier tome du livre que vous m’avés presté. Ces lettres sur le veritable esprit des nouueaux disciples de S. Agustin sont ingenieuses et agreables. Elles sont propre à divertir et à animer les gens contre ce qu’on appelle jansenistes, mais je ne les Grua trouue pas assez instructives, ni assez | charitables. Vous savés, mon Reverend Pere, que je ne suis point dans le systeme de Jansenius, et je ne voudrois pas qu’il eût reussi dans le dessein qu’il avoit de decrier et de faire condamner la doctrine prevalante dans les Ecoles en tout ce qui est contraire au systeme de S. Augustin. Mais je ne voudrois pas non plus qu’on traitât trop mal ceux qui se sont declarés pour Jansenius contre les Ecoles. C’est ce qu’on a fait à mon avis dans ce que j’ay dejà lû dans vostre livre. Grua
Accusations sans preuves contre la morale pratique des Jansénistes. La portée de leur condamnation est exagérée.
3e lettre … Tout ce qu’on dit pour accuser les jansenistes qu’ils rendent les bonnes et les mauuaises actions necessaires et qu’ils detruisent le libre arbitre, me paroist chicane toute pure depuis longtemps qui n’est fondée que sur les differens sens des termes necessaire, possible, impossible. Ceux qui ont soutenu ces phrases ont entendu par necessaire ce que les thomistes entendent par certain, determiné, infallible … J’ay de la peine à croire que M. de Meaux ait pu dire ou du moins qu’il ait pu dire sincerement que si l’on mettoit le livre de Jansenius à l’alambic, il n’en sortiroit que les cinq propositions. Pour
B 2 Leibniz (an Des Bosses? Ende 1707)
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moy, j’y ay trouué bien d’autres choses incidentes par rapport à son systeme, au moins dans le sens de l’Ecole. 5e lettre… Je suis persuadé que Jansenius n’a eu aucun mauuais sens dans ce qu’il a pû dire de l’impossibilité des preceptes, car il a pris impossible dans un sens tout à fait différent de celuy qu’on trouue vulgairement sous ce mot aujourd’huy. Je croy d’avoir reconnu qu’en cela son sens a esté celuy de S. Augustin, et je m’imagine que les papes ont condamné l’un aussi peu que l’autre. La 7e lettre va un peu viste en besogne, on parle de faire punir severement les Jansenistes qu’on pourra decouurire. C’est une chose bien injuste que l’esprit de persecution. Pourquoy punir des gens qui parlent suivant leurs sentimens sur des questions fort problematiques, et ou en effect la juridiction des superieurs ecclesiastiques paroist cesser. Car c’est un peu trop de vouloir contraindre les gens à sousmettre leur jugement à celuy des autres sur des faits qui n’interessent point le salut. On dit aussi p. 184 que c’est une heresie de dire qu’on peche en n’agissant pas par un motif d’amour de Dieu. Cependant il me semble que S. Augustin l’enseigne formellement, et que c’est la dessus qu’il trouue du peché dans toutes les actions des payens. | Je ne Grua suis pas tout à fait de ce sentiment, mais je doute qu’on puisse dire que c’est une heresie … La suite de l’analyse devient cursive, abandonnant le projet de lettre.
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Anhang B – Briefe in Originalsprache
B • Nr. : Leibniz an des Bosses, . . (L ) Discours 2002, S. 265-270 / (G LVII nach D·6 XXII, D ohne Beilage). Die a.a.O. enthaltene kritische Ausgabe durch Li/Poser: »Annotationes de cultu religioneque Sinensium (1708)« basiert auf der Konzeptversion in Hannover LBr 95, Bl. 91-92. Der Text unterscheidet sich von der Fassung G fast ausschließlich in Groß- und Kleinschreibung, Interpunktion und diakritischen Zeichen. Andere Unterschiede werden ausdrücklich angeführt. Neben der Paginierung von Discours 2002 (Dc) ist die von Gerhardt GP·2 angegeben. Im Original und Discours 2002 Unterstrichenes, bei Gerhardt durch Sperrung wiedergegeben, erscheint hier kursiv.
| ¦ In schedis meis reperi, quod anno (si bene memini) superiore, cursorio calamo, annotaveram occasione oblata circa Sinensium cultum religionemque³. Hoc (quia describere nunc non vacat) legendum tibi mittere volui, petereque ut remittas, quando tibi commodum fuerit. G ¦ R. P. Bouveto suasi olim, ut perspecto invento Arithmeticae Dyadicae in Fohianis figuris latente, faceret ut Missionarii uterentur tam plausibili argumento ad ostendendum Imperatori et Sinarum sapientibus adumbratam antiquissimis creationem, seu originem rerum ex unitate et⁴ nihilo. De caetero me ad priores refero. Vale et fave. Dabam Hanoverae 12 Aug. 1709.
Dc / G
⁵Cum nuper in Diario Eruditorum Gallico quod Parisiis a multis annis editur quaererem aliquid, forte oculis se iterum obtulere lectae jam dudum mihi recensiones Librorum quorundam de Sinensium cultu pridem editorum, quos Directores Seminarii Missionum Exoticarum Parisiis recudi curaverant. In diario XI. April 1701 ³ Fußnote Gerhardts (GP·2, 379): »Siehe die Beilage.« ⁴ »et« nach GP·2, 380; Discours 2002 S. 265: »ex« ⁵ Gerhardt betitelt den gesamten folgenden Text mit »Beilage«.
B 3 Leibniz an Des Bosses, 12. 8. 1709
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recensetur tractatus P. Longobardi, Soc. Jes. qui Passium, Ruizium et Sabbatinum ejusdem Societatis Missionarios secutus, dissentientibus Pantoja et Banonio statuit, Sinenses nullam rerum incorporalium notitiam habuisse, itaque deum, Angelos, animam ipsis fuisse ignotos, substantiamque quam illi Xangti vocant non esse pro deo nostro habendam. Omnia ipsis venire ex quodam principio dicto Taikie, quod in se contineat Li, materiam primam ac velut substantiam rerum, et Aerem primitivum tanquam materiam proximam. Ex ipso Li per se sumto emanare velut justitiam, prudentiam, caeterasque virtutes; sed ex Li magis affecto et aeri primitivo jam unito prodire quinque elementa et figuras corporales. Sinenses inde ab initio imperii spiritus adorasse, iisque sacrificasse, primum coelo, tum spiritui sex causarum, nempe calidi, frigidi, sicci, humidi, solis, stellarum, tertio spiritibus montium et fluviorum, quarto spiritibus virorum illustrium. Hos spiritus eandem substantiam constituere cum rebus quibus uniti sunt, principium habere, finem quoque cum mundo habituros, denique aequalis esse perfectionis, exiguae sanè, cum sint expertes vitae, scientiae, libertatis. Literatos Sinenses Atheos esse, mundum casu factum credere, fortuito corporum concursu (secundum ipsos) omnia regi, animas mortuorum in vacuum primi principii redire. XVIII. April sequitur appendix, quae continet P. Dominici Sarpetri ord. praedic. tr. de deo uno, vivo, vero à veteribus Sinensibus cognito adversus ¦ scripta P. Longobardi. Sarpetro verisimile videtur G Xamgti⁶ veteribus Sinensibus nomen solius veri dei fuisse, et primum ante 500 annos idolo Chum-ti | attributum, idem judicasse Dc eruditos quosdam Sinenses, lecto Matthaei Riccii libro. Riccium, judiciosissimum virum, nihil eorum quae Longobardus, successor ejus, attulit, ignorasse. Cum nomina nova fingi non possint, receptis Sinensium vocabulis, sed purgato sensu utendum. Male Longobardum Zoroastrem cum Fo-hi Imperatore antiquissimo confudisse.
⁶ Fußnote Gerhardts (GP·2, 381): »So wird hier das Wort geschrieben; oben Xangti«
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Anhang B – Briefe in Originalsprache
Haec Sarpetrus, quem alii dominicani tanquam jesuitis faventiorem contemnunt. XXV. April recensetur tr. Antonii de S. Maria Franciscani ibidem recusus. Is narrat tres apud Sinenses Legislatores coli, Confutium, Foë, et senem qui canus (an candidus) ex utero prodiit. Musicam, odores, vini effusionem, victimas, denique gratiarum actiones in sacrificiis adhiberi; novos etiam doctores prostrato in terram corpore Confutium honorare. Martinium Romae anno 1656. veritatem dissimulasse. Templa et sacrificia bis mille annis ante Confutium extitisse, instituta ab Imperatore Kun, qui fuerit ab imperii fundatione quintus; tunc et honores majoribus defunctis decretos, id Confucium postea valde probasse. Lumina ibi et flores et vini effusiones et crebras genuflexiones orationesque adhiberi, quae ad felicitatem temporalem obtinendam tendant. Finito sacro praefectum ceremoniae gratias agere auditorio nomine majorum, et prospera omnia spondere. Idem Autor P. Antonii de Govea sententiam, quod Xamgti verum deum denotet, non quidem spernendam putat, contrariam tamen verisimiliorem et tutiorem judicat. Xamgti videri vim esse dominantem in coeli corpore et per virtutes aereas generationis et corruptionis se exserentem. In generatione spiritus dici exeuntes, in corruptione redeuntes. Neque aliud hos esse spiritus quàm qualitates motus et quietis τοῦ Li. Sinenses sibi patronum quendam spiritum sumere, Stoicis autem assimilari, quibus deus quidam corporeus per omnia diffundebatur. P. Emanuelem Diaz etiam cultui Sinensium adversum fuisse, et imprimis sacrificia improbasse quae soli deo debeantur. Haec habent recensiones Autorum, de quibus dicam quid mihi videatur verisimilius. Quousque extendi possint ceremoniae civiles, et qua gratitudinis religione (ut sic dicam) heroës aut homines bene meriti honoG rari possint; ¦ Theologis discutiendum relinquo. Constat olim inter Christianos in festo S. Catharinae philosophis celebrato, multa in Aristotelis honorem dici solita, etsi ceremoniae abfuerint, sed nullam gentem Sinensibus ceremoniosiorem esse scimus, nec mores eorum ad nostros exigendi sunt. Cultus non tam in ritibus, quàm in animo consistit. Itaque dispiciendum fuerit, quo animo majores aut
B 3 Leibniz an Des Bosses, 12. 8. 1709
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bene meritos colant Sinenses, et inprimis utrum se intelligi putent, ab his quos colunt, et utrum aliquid ab illis flagitent aut expectent. Nam quod cultores majorum prospera | expetunt, quod mysta pro- Dc mittit, non est necesse ut expectent à defunctis, cum à majore causa proficisci haec bona possint, cui placet gratitudo; quemadmodum apud Mosem deus patrem matremque honorantibus longaevitatem⁷ spondet. Illud examinare malim, quod magis ad philosophum (id est ad Theologiam naturalem) pertinet, quid de Xamgti et spiritibus Sinensium statuendum videatur. Quid veteres senserint Mystae et philosophi Sinarum, res non est facilis discussionis. Scimus quantum apud nos saepe in tanta luce, Historiae et Critices et philosophiae de Mente Platonis, Aristotelis atque etiam D[ivi] Augustini litigetur. Apud Sinenses nec Historiam, nec Criticen, nec philosophiam satis constitutas puto. Nondum quisquam extitit, qui Historiam Sinensium literariam dederit et cuique autori vera sua opera, sententias, mentem assignarit. Et vereor ne vetera valde sint interpolata. Itaque nil prohibet ex generali regula, bene sentire nos de veterum doctrina, donec in alia omnia ire cogamur. Certè sanctissima vitae praecepta bonam spem praebent etiam doctrinae de religione salutaris. Et quod Longobardus negat ex Confutii scriptis substantias incorporales aut praemia poenasque post hanc vitam doceri posse; non admodum movere debet considerantem, non extare opus viri dogmaticum, sed collecta a discipulis, quae Confutiana dicere possis, tantùm pertinentia ad regulas vitae. Et sanè nec in Mosis scriptis nec in caeteris Veteris Testamenti libris satis aut substantiae incorporales aut alterius vitae praemia declarantur. Literatos Sinenses, qui Athei sunt, omniaque casu agi ferrique arbitrantur, ego à religione publicè recepta menteqve eorum à quibus instituta est, dissentire non dubito, usque adeo ut dubitem an sua satis proferre ausuri sint praesertim sub Cam-hio imperatore. Quid enim spiritibus, quid spirituum cultu opus erat, si omnia nudo ma⁷ Schreibung mit G; Discours 2002 »longae vitatem«, was grammatikalisch nicht auflösbar ist.
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Anhang B – Briefe in Originalsprache
teriae impetu fiunt, si nihil cognitionis spiritibus inest? Et licet Epicurus deos reliquerit inertes, hoc magis verbo quam animo fecisse G putandus est. Publicus cultus nunquam ¦ in gente Epicurea instituetur. Nec majores aut bene meritos coluissent Sinenses, nisi majori potestati hoc gratum putassent. Facile crediderim multos Orientalium philosophos, non minus quam platonicos et stoicos deum habuisse pro Anima Mundi seu natura universali rebus immanente; caeteros etiam spiritus corporibus induisse, et nonnullos etiam animam considerasse ut divinae particulam aurae, quae corpore extincto rediret in Oceanum animarum: neque ego negarim multorum Sinensium philosophorum hanc fuisse mentem, sed cum philosophia Sinensium nunquam in formam scientiae redacta fuerit et quantum suspicor, etiam verba illis philosophica desint, nihil prohibet in meliorem partem accipi Dc quae antiqui | apud ipsos de rebus divinis et spiritualibus docent. Favent quae ipse affert Longobardus de Taikie et Li, et Aere primitivo seu spiritu, quae sive christianorum sive platonicorum saltem Trinitati nonnihil respondent. Ut Taikie sit potentia seu primum principium, Li sit sapientia, quae continet ideas seu essentias rerum, Aer primitivus sit Voluntas seu Amor, quod spiritum dicimus, unde proceditur ad operationem et productionem. Nec de nihilo est quod ex Li dicuntur emanare virtutes, unde fontem in eo veri et boni esse intelligas. Quod verò vel Li vel spiritum concipiunt tanquam Materiam rerum, ex incommodis phraseologiis⁸ nasci potest apud gentem vocabulis metaphysicis destitutam, et fortasse agnoscebant autores antiqui res omnem suam realitatem perfectionemque à deo habere, etsi non potuerint distinctè exponere originationis modum. Itaque quantum hactenus intelligo, putem salva substantia veteris Sinensium Theologiae excludi errores addititios, adjungi magnas Christianae religionis veritates posse. Fohium antiquissimum Sinensium principem et philosophum agnovisse originem rerum ex Unitate et Nihilo, id est aliquid Creationi Analogum, ostendunt ⁸ GP·2, 383: »phraseologicis«
B 3 Leibniz an Des Bosses, 12. 8. 1709
471
arcanae ejus Figurae, Arithmeticam dyadicam, à me post tot annorum millia restitutam continentes, quanquam et majora innuentes, ubi omnes numeri scribuntur per binas tantum notas 0 et 1. Dc | Et 0 10 100 1000 10000 etc. significant 1 2 4 8 16 etc. G Et numeri ita exprimuntur ¦
0 1 10 11 100 101 110 111 1000 1001 1010 1011 1100 1101 1110 1111 etc.
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 etc.¹⁰
Fohy⁹ Figurae
0 1
0 1
0 1
00 01 10 11
0 1 10 11
0 1 2 3
000 001 010 011 100 101 110 111
0 1 10 11 100 101 110 111
0 1 2 3 4 5 6 7
Quod Fohii quoque figurae notant binae, quaternae, octonae, sedecim, triginta duae, sexaginta quatuor, à Kirchero et aliis exhibitae, ex quibus hic ascripsi tantum binas, quaternas et octonas; quas ⁹ GP·2, 384: »Fohii« ¹⁰ In GP·2, 384 folgt unter »1111 | 15« noch die Zeile »10000 | 16«.
472 Dc
Anhang B – Briefe in Originalsprache
| omnes Sinenses ipsi hactenus non intellexere, sed R. P. Bouvetus Arithmeticae meae dyadicae convenire rectè animadvertit. Quodsi ergo obtineri possit, ut imperator consultis gentis sapientibus declaret, Xamgti, esse Ens supremum, sapientiae, bonitatis, caeterarumque perfectionum fontem, sacrificia potissimum ad omnis boni autorem dirigi, prospera non à defunctis, sed ab ipso expectari, spiritus caeteros ab ipso produci; animas immortales esse, aut certè qvi haec omnia doceant, doctrinae Sinensi publicè probatae non contraire; vicerimus opinor; et frustra tunc putem nodum in scirpo quaeri aut objici sententias privatorum. Fac aliam fuisse aut esse mentem Sinensium philosophis, at tanti erit, publica autoritate sanum dogma stabiliri. Eoque opinor consilio et Riccius, Sinensis missionis princeps autor, vir utique sapiens, omnia in melius retulit, Pauli Apostoli apud Athenienses versantis exemplum secutus.
B • Nr. : Des Bosses an Leibniz, . . (DB ) Blondel 1930, S. 140 f. (erstmals Blondel 1893, S. 76 f.; wieder Blondel 1995, S. 683 f.) – nach Original der königl. Bibliothek Hannover. Die Unterschiede zwischen den drei Abdrucken sind sehr gering.
| Illustrissime Vir, Patrone collendissime, Jam dudum reditum Tuum avide praestolabar : nunc ex litteris Tuis Bl 8 Julii scriptis sed primum nudiustertius mihi traditis salvum | Te Hannoveram advenisse demum intelligo et serio laetor ; mirabar quid Te Berolini detineret, cum ex novis litterariis Diario Parisiensi insertis didicissem quod Academiae istius praesidiatu abdicasses eoque munere jam fungeretur Baro de Printz. Quod mihi arbitrium defers in tua cum Hartsoeckero controversia facis Tu quidem benevole sed nimium mihi tutius : non nostrum inter vos tantas componere lites, et vereor, ut tali arbitro stare velit clarissimus Tuus adversarius, cui rogatus non ita quidem dif-
Bl
B 4 Des Bosses an Leibniz, 18. 8. 1711
473
ficultates nonnullas objeci, ex quibus me Tecum facere facile judicabit. Caeterum litteras ad ipsum et P. Orbanum Tuas hodie curavi Dusseldorpium. Quae de morali necessitate deque arctissima Deum inter et creaturam unione respondes, plane mihi satisfaciunt. Quomodo Adamus initio majorem quidem inclinationem ad malum quam bonum non habuerit, cum creabatur, sed tunc tantum, cum praeceptum urgebat et peccatum instabat, necdum plene percipio. Unde illa inclinationis alteratio, an a Deo naturae et gratiae autore? at hominem fecit initio rectum! an ab Adam ipso? at instante peccato necdum culpam admisisse intelligebatur. Cum quis eliget hoc modo, videtur contradictionem implicare, si eligeret alio modo, etiamsi rationes determinantes ex se non necessitent, quia aliunde implicat contradictionem, voluntatem per rationes oppositas ut pote inefficacius propositas determinari, ut ipse statuis. Theodicaeam tuam accepit Ptolemaeus, de quo quid ipse sentiat ex ejus litteris adjunctis lubentius intelliges. Pervenit ad nos liber, cui titulus : »Observationes mathematicae et physicae factae a Patre Francisco Noel ab anno 1684 ad annum 1708 in lucem datae Pragae anno 1710.« Autorem, nisi consilium mutaverit, septembri mense hic videbimus. Si liber Tibi visus non est (et facile Praga Lipsiam deferri potuit) exemplar quod habeo Tibi mittam. Vale, Vir illustrissime et mihi Tui studiosissimo bene velle perge. Dabam Coloniae Agrippinae 18 Augusti 1711. Illustrissimae Dominationi tuae devotissimus cliens. Bartholomaeus Des Bosses. P. S. Quod de creatura perfectissima objicere videtur Ptolemaeus, id ergo jam ante tetigeram et Tu abunde solvisse mihi videbaris.
474
Anhang B – Briefe in Originalsprache
B • Nr. : Leibniz an Des Bosses, . . (L ) Robinet 1969, S. 94 ff. (G CI / D·2, 304). Der Text von Robinet (R) basiert auf: a) Paris Bibl. Nat. Fonds latin 10355, ff. 65–66: Abfertigung; b) Hannover Niedersächsische Landesbibliothek L. BR. 95, Bl. 186–87: zweites Konzept. — Vgl. auch die Anm. zu Leibniz’ früherem Entwurf in Anhang A 6. — Wiedergegeben wird hier die Version a), also die Abfertigung, die aus Robinets Rekonstruktion mit Hilfe seines Zeichenapparats herausgefiltert wurde. Verglichen mit der komplexen Präsentation durch Robinet kann die Textfassung von G nur als eine Mischung aus ›Pariser‹ Abfertigungsversion und ›Hannoveraner‹ Konzeptversion bezeichnet werden. D hält sich an die Abfertigungsversion. – Varianten von G sind als Fußnoten vermerkt, sofern sie über Interpunktion, Groß- und Kleinschreibung hinaus gehen; ebenso ist die Paginierung von G mit angeführt.
| Reverendissime Pater G ¦ Quaeritur quomodo sententia vestra περὶ τοῦ μετουσιασμοῦ explicari possit, tum secundum Hypothesin merarum Monadum, tum G secundum Hy¦pothesin substantiarum compositarum. Secundum priorem Hypothesin quaeritur in quo consistat substantia corporis¹¹ compositi; an in monadibus, an vero in ipsis phaenomenis. Id est, quaeritur (exempli causa) an anima vermis in corpore hominis existentis sit pars substantialis humani corporis, an vero nudum requisitum, et quidem non metaphysicae necessitatis, sed quod in cursu¹² naturae requiratur, quod ego malim. Quod si prius statuitis, utique dicendum est monades panis et vini tolli, et monades Corporis Christi earum esse loco. Sin vero monades non sint pars substantialis corporum, et composita sint mera phaenomena; dicendum foret corporum substantiam consistere in phaenomenis R
¹¹ Im (zweiten) Konzept hieß es: »corporis seu compositi« (Robinet S. 94), was Gerhardt übergeht. ¹² GP·2, 474: »cursu solum naturae«
B 5 Leibniz an Des Bosses, 24. 1. 1713
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veris, quae nempe ipse Deus in ipsis¹³ per Scientiam visionis percipit, itemque angeli et beati, quibus res vere videre datum est. Itaque Deum cum beatis percipere Corpus Christi, ubi nobis panis et vinum apparet¹⁴. Quodsi vulgarem sequamur Hypothesin, de substantiis corporeis, vel compositis, dicerem (ut jam praecedente Epistola mentem meam exposui) Vinculum substantiale seu additum Monadibus substantiale, quod substantiam compositam formaliter constituit, et phaenomena realisat, Mutari¹⁵, salvis monadibus; quia ut dixi Anima vermiculi non est de substantia corporis in quo est vermiculus, nec multiplicanda sunt miracula praeter necessitatem. Vinculum substantiale superadditum Monadibus, mea sententia est absolutum quoddam, quod etsi in naturae cursu accurate respondeat monadum affectionibus, nempe perceptionibus et appetitionibus, ita ut in Monade legi possit cui corpori corpus ejus insit; supernaturaliter tamen vinculum substantiale potest esse a Monadibus independens, et manentibus prioribus monadibus mutari, et aliis Monadibus accommodari. Ita monades panis et vini omni vinculo substantiali carerent, re quoad ipsas reducta ad statum Hypotheseos merarum Monadum. Accidentia autem panis et vini, seu phaenomena¹⁶ | manebunt, sed non in Corpore Christi tanquam in sub- R jecto. Idque etiam Theologorum Doctrinae convenit, ne album et rotundum coli dicatur, quod annoto ad numerum 16 Epistolae Tuae nuperae, ubi etiam non video quomodo albedo uniri possit angelo, nisi fiat albus, vel album ei uniatur. Porro vincula substantialia videris, num 5 et alibi in Epistola Tua, aliter quam a me fit accepisse, quasi ego, dum ea pro entibus absolutis habeo, semper inde ab initio creationis extitisse putem. Sed mea sententia, admissis substantiis GP·2, 474: »in iis« GP·2, 474: »apparent« GP·2, 474: »posse mutari« (statt »Mutari«) Nach Robinet S. 94 stand statt »seu phaenomena manebunt« im zweiten Konzept ursprünglich die Phrase »sive sint realia accidentia, / sive/ vinculum accidentale Monadum) sive mera phaenomena resultantia, manebunt«, die von Leibniz gestrichen wurde.
¹³ ¹⁴ ¹⁵ ¹⁶
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Anhang B – Briefe in Originalsprache
corporeis seu vinculis substantialibus, fatendum est ea generationi G et corruptioni subjacere. Nullam ¦ etiam novi Monadum modificationem vel substantialem vel accidentalem, quae constituat substantiam compositam, prout rem accepisse videris numero Tuo sexto. Nec quicquam in Monadibus agnosco nisi perceptiones et appetitiones. Vinculum quod substantiam compositam facit, nolim appellare Accidens absolutum quia mihi omne absolutum est substantiale. Quod si accidens inde facere velis, lis erit de nomine incongrua tamen locutio erit, substantiam compositam per accidentalia constitui. Cum Smiglecius Aristotelem secutus dicat, accidens non esse sine subjecto, ostendit Ens absolutum a se non admitti. Nolim enim¹⁷ Ens realisans phaenomena distinguere a vinculo substantiali, ut facere videris n° 7, haec duo enim mihi revera sunt idem, et dicendum est nasci ea et interire. Positis ergo substantiis compositis mihi incomparabiliter facilius videtur, et Convenientius destruere Ens realisans phaenomena; servatis monadibus, quam contra, ut videris malle n° 8. Modificationes unius Monadis sunt causae ideales modificationum alterius Monadis (de quo agis n° 17) quatenus in una Monade apparent rationes quae Deum ad modificationes in alia monade constituendas ab initio rerum moverunt. Infinitudo continui physici in Hypothesi merarum monadum non tam penderet ex ratione optimi, quam ex principio rationis sufficientis, quia nulla est ratio limitandi seu finiendi, sive alicubi sistendi. Continuum vero Mathematicum consistit in mera possibilitate, ut numeri; ideo in eo necessaria est infinitudo ex ipsa ejus notione. Caeterum miraberis Rme pater, ubi me videbis has literas Vienna Austriaca dare. Illuc usque excurrendi animum sumsi, cum in | R Thermis Carolinis nuper apud Magnum Russorum Monarcham evocatus egi. Medium enim jam itineris confeceram. Haerebo hic donec tempestas anni molliatur, inde bono cum Deo Domum redire spero. Caeterum intelligo et fasciculum a TE venisse, quem in redi-
¹⁷ GP·2, 475: »etiam« (statt »enim«)
B 6 Beilage zu Nr. 125: Leibniz an Des Bosses, 19. 8. 1715
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tum meum differri oportet, nisi remitti velis. Quod superest vale et fave. Dabam Viennae Austriacae 24 Januar. 1713 Deditissimus Godefridus Guilielmus Leibnitius.
B • Beilage zu Nr. : Leibniz an Des Bosses, . . (L A) G CXXIII, S. 506 / D·2, 314. Die Varianten nach Dutens sind – in Auswahl, sofern sie den Inhalt betreffen – als Fußnoten wiedergegeben. Herangezogen wurde auch der Abdruck mit detailliertem Versionenvergleich bei Schmalenbach (Hrsg.), Bd. 2, S. 91. — Außerdem verglichen wurde DB Monitum S. *[17], wo eine Passage aus dieser Skizze im lat. Wortlaut identisch, in Interpunktion und Orthographie leicht unterschiedlich zitiert ist. — Die Nummerierung der einzelnen Absätze wurde vom Hrsg. hinzugefügt.
478
Anhang B – Briefe in Originalsprache
Creatura permanens absoluta, quae adeo nec est
G
1. Unum per se, Ens plenum 1.1. Substantia
1.1.1. simplex, Monas ut Mentes, Animae, quae nulli aliarum creaturarum influxui obnoxiae sunt.
1.1.2. composita, velut Animal vel aliud organicum, quae semper perstat et adhaeret Monadi dominanti, sed ab influxu aliarum substantiarum compositarum patitur. Consistit in potentia activa et passiva primitivis seu consistit in materia prima, id est principio resistentiae et in forma substantiali, id est principio impetus, nam¹⁸ sciendum est corporibus revera vim novam non dari, sed in iis existentem tantum ab aliis determinari seu modificari. Et cum corpus incurrit in aliud, impellit ipsum determinando vim elasticam inexistentem a motu intestino ortam, quemadmodum visibile est, si duae vesicae inflatae aequales aequali celeritate concurrant, ubi per concursum rediguntur ad quietem, et deinde per insitam vim elasticam resumunt motum. Idem fit in omnibus concursibus, neque enim natura unquam agit per saltum, seu nullum corpus momento transit a quiete ad motum, vel a motu majore ad minorem, aut contra, sed transit per intermedia, et hoc fit ope vis Elasticae seu motus insiti a fluido permeante.
1.2. Modificatio¹⁹
1.2.1. Monadis, 1.2.2. Substantiae quae oritur ex compositae, quae propria penu oritur ex influxu ejus et consistit earum mutuo, et unice in perconsistit in potenceptione et ap- tiis activis et passipetitu. vis derivativis, cum corpora concurrunt secundum leges motus, nempe in viribus et resistentiis per magnitudines et figuras.
¹⁸ Die Passage von hier bis zum Ende des Absatzes (»nam sciendum est …« bis »… a fluido permeante«) zitiert Des Bosses im »Monitum interpretis« S. *[17]. ¹⁹ Modificatio] Accidens vel modificatio
B 6 Beilage zu Nr. 125: Leibniz an Des Bosses, 19. 8. 1715
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actio-passio neque relatio, est 2. Unum per aggregationem, Semiens, phaenomenon
2.1. Semisubstantia collecta ex substantiis ut chorus angelorum, exercitus hominum, grex animalium, piscina, domus, lapis, cadaver, itaque sunt cohaesione²⁰ 2.1.1. destituta: grex, strues
2.1.2. praedita: piscina, domus
utraque
2.1.A. naturalia, arenae cumulus, lapis, truncus arboris. ²¹
²⁰ ²¹ ²² ²³ ²⁴ ²⁵ ²⁶ ²⁷
2.1. B. artificialia, exercitus, domus.²²
2.2. semiaccidens, species, collectum ex modificationibus substantiarum 2.2.1 primarium, seu unicum,²³ nempe potentia derivativa
2.2.1.1. passiva, resistentia per magnitudinem et figuram, uno verbo per texturam determinatam.²⁴
2.2.1.2. activa, impetus
2.2.2. secundarium seu physicum, cujus ratio ex mechanismo occulto pendet, velut accidens sensibile, color, odor, sapor, item sympathia, antipathia etc. Talis qualitas rursus est 2.2.2.1 passiva, ut firmitas, liquiditas, asperitas, malleabilitas, perceptibiles ²⁵
2.2.2.1.1. immediate, ut calor,²⁶ gravitas, durities.
2.2.2.2. activa, ut calor, frigus, gravitas, vis elastica.
2.2.2.1.2. per effectum, vis magnetica, electrica,²⁷ volatilitas.
cohaesione] connexione naturalia … arboris] ordinata ut machina. artificialia … domus] confusa ut congeries. unicum] mechanicum , uno verbo per texturam determinatam] (v. g. texturam) determinata. perceptibiles] utraque perceptibilia ut calor,] ut calor, odor electrica] directrix
SIG L E N
A AA B Bl C D D·2 D·6 DB DB Monitum Dc E F G GM GP Grua HT L LL M R RK S SV W
Anhang A mit Nr. Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe (Akademieausgabe), zitiert mit > AA Reihe·Band, Seite < Anhang B mit Nr. Blondel 1930 de Certeau 1966 Dutens (Hrsg.) zitiert mit > D·Band, Seite < Dutens (Hrsg.) Leibniz: Opera Omnia, Tomus II, Pars I Dutens (Hrsg.) Leibniz: Opera Omnia, Tomus VI, Pars I Des Bosses: Brief an Leibniz mit durchlaufender Nummer Des Bosses: Monitum Interpretis Leibniz: Discours sur la Théologie Naturelle des Chinois, Hrsg. Li/Poser 2002 Erdmann (Hrsg.) Leibniz: Opera Philosophica Frémont: L’être et la relation 1999 Gerhardt (Hrsg.) Gerhardt (Hrsg.) Leibniz: Mathematische Schriften zitiert mit > GM·Band, Seite < Gerhardt (Hrsg.) Leibniz: Die philosophischen Schriften, zitiert mit > GP·Band, Seite < Grua (Hrsg.) Leibniz: Textes inédits Leibniz: Die Theodizee / Théodicée. Hrsg. Herring Leibniz: Brief an Des Bosses mit durchlaufender Nummer Look 1998 Mugnai 1992 Robinet 1969 Ritterkatalog der Leibniz-Handschriften (Online) Schmalenbach (Hrsg.) Leibniz: Ausgewählte philosophische Schriften Schriftenverzeichnis jeweils in den Bänden von AA Wiater (Hrsg.) Leibniz: Philosophische Schriften V/2
Weitere Abkürzungen vgl. Bibliographie.
B I B L IO G R A P H I E D E R A N G E F Ü H RT E N L I T E R AT U R
1. Schriften von Leibniz und Des Bosses Vgl. auch die Registereinträge
1.1. Leibniz BuCa s. Leibniz: Philosophische Werke in vier Bänden Couturat s. Leibniz: Opuscules et Fragments inédits Dutens s. Leibniz: Opera omnia Engelhard, Nicolaus: Otium Feriis Groningianis interpositum. Groningen 1740 Erdmann s. Leibniz: Opera Philosophica Frémont, Christiane: L’être et la relation. Avec trente-sept lettres de Leibniz au R. P. Des Bosses. Traduites du latin et annotées par Christiane Frémont. Préface de Michel Serres. Deuxième édition revue et corrigée, Paris 1999 Gerhardt s. Leibniz: Die philosophischen Schriften / Mathematische Schriften Goldenbaum, Ursula (Hrsg.): Leibniz, Gottfried Wilhelm: Philosophische Schriften und Briefe 1683–1687. Übers. von Hansulrich Labuske und Gerhard Müller. Berlin 1992 Grua s. Leibniz: Textes inédits Klopp s. Leibniz: Die Werke Kortholt s. Leibniz: Epistulae ad diversos Leibniz, Gottfried Wilhelm: Abhandlung über die chinesische Philosophie. [»Philosophie chinoise« 1715/16.] Übersetzt und kommentiert von Renate Loosen und Franz Vonessen. In: Antaios VIII (1967), S. 134 – 203. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Annotationes de cultu religioneque Sinensium (1708). In: Leibniz: Discours sur la Théologie Naturelle des Chinois. Hrsg. Li/Poser (2002), S. 265 – 270 Leibniz, Gottfried Wilhelm: ἈποκατάστασιϚ (πάντων) [1715]. In: Ettlinger, S. 27 – 34 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Ausgewählte philosophische Schriften. Im Originaltext hrsg. von Hermann Schmalenbach. 2 Bde., Leipzig 1914 – 15 (Bibliotheca Philosophorum Vol. II, III)
482
Bibliographie
Leibniz, Gottfried Wilhelm: Briefe von besonderem philosophischem Interesse (1990) s. Leibniz: Philosophische Schriften. Band V · Zweite Hälfte Leibniz, Gottfried Wilhelm: Der Briefwechsel mit den Jesuiten in China (1689–1714). Französisch/Lateinisch – Deutsch. Hrsg. und mit einer Einleitung versehen von Rita Widmaier. Textherstellung und Übersetzung von Malte-Ludolf Babin. Hamburg 2006 Leibniz, Gottfried Wilhelm: De cultu Confucii civili [1700/01]. Introduction, édition du texte et traduction par Ilana Klutstein-Rojtman et R. J. Zwi Werblowsky. In: Studia Leibnitiana XVI/1 (1984), S. 93 – 101 [Text S. 98 f.]. – dass. Lat.-Dt. in Widmaier (Hrsg. 2006) S. 248–257 Leibniz, Gottfried Wilhelm: De publica felicitate [um 1680]. In: AA VI·4, S. 2842 f. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Discours sur la Théologie Naturelle des Chinois. Mit einem Anhang hrsg. und mit Anmerkungen versehen von Wenchao Li und Hans Poser. Frankfurt am Main 2002 (Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs 13) Leibniz, Gottfried Wilhelm: Discourse on the Natural Theology of the Chinese. Translated, with an Introduction, Notes and Commentary by Henry Rosemont Jr. and Daniel J. Cook. (Monograph 4 of the Society for Asian and Comparative Philosophy). [Honolulu] 1977 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Disputatio metaphysica de principio individui (Leipzig 1763). In: AA VI·1, S. 9 – 19 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Divisio Societatum (1680). In: AA IV·3, S. 907 – 912 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Epistola ad Cardinalem Ptolemaeum (16. Juni 1712). In: Dutens, Tomus Quintus, S. 561 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Epistolae ad P. Des Bosses · XXX Epistolae Leibnitii ad P. Des Bosses. In: Dutens, Tomus Secundus, Pars I., S. 265 – 323 XL Epistolae ad Patrem Des Bosses S. J. In: Dutens, Tomus Sextus, Pars I., S. 171 – 201 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Epistolae ad diversos. Edidit Christianus Kortholtus. 4 Bde., Leipzig 1734–1742 Leibniz, Gottfried Wilhelm: [Epistolae Driesch] s. Leibniz/Driesch Leibniz, Gottfried Wilhelm: Epistolarum pentas. In: Engelhard: Otium Groningianis Leibniz, Gottfried Wilhelm: Extrait d’une Lettre de Mr. de Leibnitz sur ce
Bibliographie
483
qu’il y a dans les Memoires de Janvier & de Fevrier touchant la generation de la glace, & touchant la Demonstration Cartesienne de l’existence de Dieu par le R. P. l’amy Benedictin. In: Mémoires de Trévoux, September 1701, S. 200 – 207 (Teilabdruck in GP·4, 405 f.) Leibniz, Gottfried Wilhelm: Flores sparsi in tumulum Papissae. In: Scheidt, Christian Ludwig (Hrsg.): Bibliotheca historica Goettingensis · worinnen allerhand · bishero ungedrukte alte und neuere · Schriften und Urkunden, · welche · zur Erläuterung · der · Geschichte und Rechtsgelehrsamkeit · dienen können, · aus bewährten Handschriften · ans Licht gestellet werden. · Erster Theil · Göttingen und Hannover 1758, S. 297 – 392 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Fragmente zur Logik. Ausgewählt, übersetzt und erläutert von Franz Schmidt. Berlin 1960 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Frühe Schriften zum Naturrecht. Hrsg., mit einer Einleitung und Anmerkungen versehen sowie unter Mitwirkung von Hans Zimmermann übersetzt von Hubertus Busche. Lateinisch – deutsch. Hamburg 2003 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Fünf Schriften zur Logik und Metaphysik. Übersetzt und hrsg. von Herbert Herring. Stuttgart 1975 Leibniz, Gottfried Wilhelm: La place d’autruy [1679?]. In: AA IV·3 (Nr. 137), S. 903 f. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Mathematische Schriften. Hrsg. von C[arl] I[mmanuel] Gerhardt. Reprint der Ausgabe Berlin-Halle 1849 – 1863. 7 Bde., Hildesheim · New York 1971 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Metaphysische Abhandlung / Discours de Métaphysique. Französisch – Deutsch. Übersetzt und mit Vorwort und Anmerkungen hrsg. von Herbert Herring. Hamburg ²1985 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Monadologie. Neu übersetzt, eingeleitet und erläutert von Hermann Glockner. 2. Aufl. Stuttgart 1970 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Neues System der Natur und der Verbindung der Substanzen sowie der Vereinigung zwischen Seele und Körper. In: Leibniz: Fünf Schriften zur Logik und Metaphysik. Hrsg., Übersetzer Herring, S. 23–38 — dass. Frz.–Dt.: Système nouveau de la nature et de la communication des substances, aussi bien que de l’union qu’il y a entre l’âme et le corps / Neues System der Natur und des Verkehrs der Substanzen sowie der Verbindung, die es zwischen Seele und Körper gibt. In: Leibniz: Philosophische Schriften I, Hrsg. Holz, S. 200–227
484
Bibliographie
Leibniz, Gottfried Wilhelm: Notationes quaedam quae P. Aloysii Temmik Philosophiam veram theologiae et medicinae ministram in itinere aliquo percurrenti inciderunt. In: Mugnai S. 155 – 160 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Nouveaux Essais sur l’entendement humain / Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Frz. – dt. Hrsg. und übersetzt von Wolf von Engelhardt und Hans Heinz Holz. 2 Bde., Frankfurt am Main 1996 (Philosophische Schriften 3.1–3.2) Leibniz, Gottfried Wilhelm: Novissima Sinica (1697) / Das Neueste von China. Lat.– Dt. Mit ergänzenden Dokumenten hrsg., übersetzt, erläutert von H. G. Nesselrath und H. Reinbothe. Köln 1979 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Opera Omnia · Gothofredi Guillelmi Leibnitii Opera Omnia, nunc primum collecta, in Classes distributa, praefationibus et indicibus exornata, studio Ludovici Dutens. 6 Bde., Genevae MDCCLXVIII . Repr. Hildesheim – Zürich – New York 1989 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Opera Philosophica quae extant, recognovit, auxit, introductione critica atque indicibus instruxit Johannes Eduardus Erdmann. 2 Bde., Berlin 1840 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Opuscules et Fragments inédits. Extraits des manuscrits de la Bibliothèque royale de Hanovre. Par Louis Couturat. Paris 1903 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Philosophische Schriften. [Zweisprachig.] Hrsg. und übersetzt von Herbert Herring, Wolf von Engelhardt und Hans Heinz Holz. 4 Bde., Darmstadt 1965 – 1992 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Philosophische Schriften. Band V: Briefe von besonderem philosophischem Interesse. Zweite Hälfte: Die Briefe der zweiten Schaffensperiode. Frz. und dt. Hrsg. und übersetzt von Werner Wiater. Frankfurt am Main 1990 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz. Hrsg. von C[arl] I[mmanuel] Gerhardt. 7 Bde. Repr. der Ausgabe Berlin 1875 – 1890. Hildesheim 1960 — dass. auf CD-ROM: s. Leibniz im Kontext Leibniz, Gottfried Wilhelm: Philosophische Schriften und Briefe 1683 – 1687 s. Goldenbaum Leibniz, Gottfried Wilhelm: Philosophische Werke in vier Bänden. Übersetzt von Artur Buchenau, mit Einleitung und Anmerkungen hrsg. von Ernst Cassirer. Neuausgabe Hamburg 1996 (Bd. 1 und 2 = Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie)
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NA M E N R E G I ST E R U N D L I T E R A R I S C H E T I T E L M I T E R L ÄU T E RU N G E N
Ein * vor Namen oder Seitenzahlen verweist auf eine bloß indirekte Nennung im Text. Lat. Namensformen des Originals, sofern abweichend vom Eintrag, stehen am Beginn der Schlusszeile unmittelbar vor den Seitenangaben. Querverweise: kursiv. Literaturvermerke nach dem Eintragstext (kursiv in Klammer) verstehen sich als Quellenangaben und vertiefende Hinweise in komplexen Fällen. Allenfalls wird innerhalb der Einträge mit ° darauf verwiesen.
Abbé s. Saint-Perre Achates Figur bei Vergil: Der »tapfere A.« ist jener Gefährte von Aeneas, der nach dem Schiffbruch an der Küste Libyens das Lagerfeuer entfacht und als einziger mit ihm zur Erkundung der Stadt Karthago aufbricht (Aeneis, I. Buch 119, 174, 312 ff.). (Vergil: Aeneis) 45. Acta Eruditorum s. Journale Acta Sanctorum s. Antwerpische Hagiographen Adam Erster Mensch (Mann) gemäß der biblischen und außerbiblischen – frühjüdischen und anderen – orientalischen Literatur. A. wurde im Christentum – z.T. als »Antitypos« – in Entsprechung zu Christus gesetzt (Paulus: Röm 5 und 1 Kor 15). Die dem »doppelten A.« zugrunde liegende Lehre von der »doppelten Schöpfung« – aus Lehm und durch Einhauchung des Geistes, irdisch und geistig – hatte bereits Philon von Alexandria im Genesiskommentar formuliert. Ausgiebig tradiert wird A. auch in Gnosis und Islam. Er gilt zugleich als der erste Sünder, der im Verein mit Eva, herausgefordert durch Satan (Schlange), die Gottebenbildlichkeit des Menschen, das göttliche Gebot und das Paradies verraten hat. Als ursprüngliche »Erbsünde« des Menschen überhaupt, die »durch Fortpflanzung, nicht durch Nachahmung« übertragen wird, ist dies erst im Konzil von Trient (1545 – 63) definiert. (LTK³ 1, RGG4 1) 31, 158, 199 f., 202, 205 ff., 209, 211 f.
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Namenregister und literarische Titel mit Erläuterungen
agrippinisch s. Köln Akademie s. Sozietät (*Alamanni s. Alemann) Albertus Magnus 1193 – 1280, »Doctor universalis«, Sohn eines Dienstmannes des Grafen von Bollstädt (Bairisch-Schwaben), Studium in Padua, dort Eintritt in den Dominikanerorden. Lehrer in deutschen Städten, seit etwa 1243 in Köln. Mit seinem Schüler Thomas von Aquino 1245 nach Paris, Doktorat der Theologie. Ordenslehrer in Paris und Köln, von 1252 – 1254 an der Universität Paris, dann drei Jahre Provinzial der deutschen Ordensprovinz; verteidigte erfolgreich die Bettelorden gegen den drohenden Ausschluss aus der Pariser Universität. Neuerliche Unterrichtstätigkeit in dt. Ordensklöstern, Bischof von Regensburg bis 1262, Kreuzzugsprediger in Deutschland und Böhmen. Lebensabend in Köln. A. begründete grundsätzlich die kirchlichen Dogmen mit der aristotelischen Philosophie, somit den christlichen Aristotelismus der Scholastik. Neben der unvollendeten »Summa theologiae« und der »Summa de creaturis« schrieb er vor allem Kommentare zu Petrus Lombardus, Pseudo-Dionysius-Areopagita und Aristoteles. 1622 wurde A. selig-, 1931 heilig gesprochen. (BBK) 15. Alegambe, Philippe 1592 – 1652. Der belgische Jesuit, Professor für Philosophie und Theologie in Graz, Erzieher des Prinzen Eggenberg, darauf in Rom Superior des Jesuitenhauses und Sekretät des Ordensgenerals, veröffentlichte – u. a. – 1642 Bibliotheca Scriptorum Societatis Jesu auf der Grundlage eines bis zum Beginn des 17. Jhs. reichenden Katalogs des Jesuiten Ribadeneira; später führte Southwell das Werk weiter, Sommervogel gab ihm Ende des 19. Jhs. die heute noch gebräuchliche Form. (CE) Alegamb(i)us 302. Alemann s. Lallemant. Da über eine Kanditatur Lallemants bei der in Brief Nr. 2 erwähnten Wahl des Jesuitengenerals 1706 nichts zu ermitteln war, sei hier auf weitere Namensträger verwiesen: Angelo Alamanni (1637 – 1710), ital. Jesuit, Provinzial, Rektor des Collegium Germanicum, gestorben in Rom am 12. Februar 1710.° Die Spanier Antonio (geb. 1641) und Ignacio Aleman S J°° dürften dagegen kein entsprechendes theologisches Profil aufgewiesen haben. – Kein Jesuit (und 1706 für das Amt ohnehin wohl zu jung) war Vincenzo Antonio Alamanni Nasi (1679 – 1735),
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Kurienmitglied und Sekretär der antijansenistischen Kongregation für die Bulle Unigenitus seit etwa 1710, ein Freund auch Fénelons.°°° (°SOVO 8 Suppl.; °°IBN; °°°DBI 1 und DHGE 16 Sp. 983) Alemannus 7. Alexander VII., Papst (Fabio Chigi) 1599 – 1667. Geb. in Siena, Nuntius in Köln. Bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden von 1648 protestierte er gegen Zugeständnisse an die Protestanten, sodass der Papst (Innozenz X.) den Frieden nicht bestätigte. Als Kardinal und Leiter der kirchlichen Staatsgeschäfte setzte er 1653 die Verdammung von fünf Sätzen aus dem »Augustinus« Jansens durch. 1655 zum Papst gewählt, forscher Nepotist; demonstrativer Empfang für Königin Christine von Schweden nach ihrer Innsbrucker Konversion zum Katholizismus. Am 23. März 1656 Dekret zur Chinamission, in dem – auf Vorschlag des Jesuiten M. Martini – chinesischen Christen unter gewissen Bedingungen die Fortführung der konfuzianischen Riten, namentlich Ahnenverehrung, gestattet wurde°. Mehrere Konstitutionen gegen die Jansenisten. A. zog Poesie, Künste, Wissenschaften und den Umgang mit Gelehrten wie Sforza Pallavicino der Politik vor. Schwere Spannungen mit Frankreich (nach Tötung französischer Beamter in Rom militärische Bedrohung des Kirchenstaats durch Ludwig XIV.). Den Streit mit Portugal, dessen Unabhängigkeit von Spanien A. nicht anerkannte, beendete erst Clemens IX. 1669. (BBK; Li 2000, S. 18; °Biermann S. 94 – 98) 173, 238. Alexandre, Noël (auch: Noël, Alexander) 1639 – 1724, frz. Dominikaner. Studium und Professur der Philosophie und Theologie in Paris, 1704 – 1708 Provinzial. An der Sorbonne Gegner von Laxismus, Probabilismus und Ritenakkomodation, maßgeblich beteiligt an der folgenschweren Verurteilung jesuitischer Missionsbestrebungen durch die Sorbonne bei der Tagung im Jahr 1700°; gegen die Bulle »Unigenitus« von Clemens XI., die bloß antithomistisches Produkt der Jesuiten sei, Appellant ans allgemeine Konzil, was er kurz vor dem Tod widerrief. Bedeutender Kirchenhistoriker: »Selecta historiae ecclesiasticae capita«, 24 Bde. Paris 1677 – 86, wurde vor allem wegen gallikanischer Tendenzen bis 1734 indiziert. Außerdem u. a. »Theologia dogmatica et moralis«, 10 Bde. Paris 1694 u. ö.; »Conformité des cérémonies chinoises avec l’idolatrie grecque«, Köln 1700, und zwei weitere Schriften, 1697 und 1700, zur Verteidigung der ablehnenden dominikanischen Position
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Namenregister und literarische Titel mit Erläuterungen
im chinesischen Ritenstreit. (Wezter/Welte 1; LThK² 7; °Widmaier in Li/ Poser, Hrsg., 2000, S. 33 ff.; Journal des Savans 6. Dez. 1700, S. 471 – 475. – Ausführlich mit Schriftenverzeichnis vgl. Coulon S. 380 – 398.) Alexander Natalis 194. Alfenus Varus, Publius aus Cremona, römischer Jurist, aktiv in der 2. Hälfte des 1. Jhs. v. C., Schüler von Servius Sulpicius, Suffektkonsul, verfasste u. a. 40 Bücher »Digesta«, die teilweise in Justinians Kompilation des »Corpus iuris« eingegangen sind. Sie dokumentieren die Kasuistik der spätrepublikanischen Jurisprudenz. (NPauly, OxfClass, IBN 3) 334. Alpen, Johann von geb. 1630, dt. Priester, ab 1661 Generalvikar unter den Fürsterzbischöfen von Münster – Christoph Bernhard von Galen und dessen Nachfolger Ferdinand von Fürstenberg. 1682 ›Propst zu Xanten und Herr von Alpen‹. Münsterscher Gesandter in Religionsfragen, u. a. beim Friedenskongress von Nimwegen 1677; schrieb unter Verarbeitung zahlreicher Urkunden eine Apologie »De vita et rebus gestis Christophori Bernardi, Episcopi et Principis Monasteriensis Decas«, 1694; »Decadis Pars secunda«, 1703. (ADB 1) 219, 224. *Amalie Wilhelmine Kaiserin. Wilhelmine Amalie von BraunschweigLüneburg, 1673 – 1742, Gattin Kaiser Josephs I., Tochter des katholisch konvertierten Herzogs Johann Friedrich von Hannover, verwandt mit Elisabeth Christine. A. wechselte vor ihrer Vermählung 1699 ebenfalls vom Protestantismus zum Katholizismus, wobei sie ihren Namen in A.W. umkehrte. Seit dem Tod des 33jährigen Joseph I. (1711) lebte A. mit ihren beiden Töchtern im Schloss Schönbrunn. Leibniz pflegte während seines Wiener Aufenthaltes häufigen Umgang mit der Kaiserin. 1716 holte A. die Nonnen des Franz von Sales aus den Niederlanden nach Wien, in das von ihr errichtete Salesianerinnenkloster am Rennweg zog sie gegen Lebensende selbst ein, dort wurde auch ihr Leichnam beigesetzt, während man ihr Herz in der kaiserlichen Kapuzinergruft zu Wien bestattete. (Wurzbach 6, ADB 6 sub Elisabeth; Chronik) 82, 295. Amphion Den Musen geweihter Sohn von Zeus und Antiope, der mit seinem Zwillingsbruder Zethos von einem Hirten aufgezogen wird. Zusammen übernehmen sie die Herrschaft in Theben und bauen die Stadtmauer: der athletische Bruder mit Körperkraft, während durch A.s Lyraspiel die größten Steine sich von selbst zusammenfügen. Durch
Namenregister und literarische Titel mit Erläuterungen
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Euripides (»Antiope«) ist diese seit Homer überlieferte Geschichte zum Gegensatz zwischen aktiver und kontemplativer Lebensweise stilisiert. (Hunger). 329. Anti-Bayle (von Leibniz) s. Bayle Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel 1633 – 1714, Herzog und Dichter; auf einer Reise nach Paris Bekanntschaft mit Madeleine de Scudéry, Neigung zu Kunst und Theater: das »Frühlings-Ballett« erstes Bühnenstück (1656). Verheiratet mit Elisabeth Juliane († Februar 1704). Seit 1685 Mitregent seines Bruders Rudolf August, nach dessen Tod 1704 Alleinherrscher; der Kurfürst von Hannover, Herzog Ernst August, war A.s Neffe. Im April 1710 Übertritt zum Katholizismus. Als »der Siegprangende« Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft zur dt. Sprachpflege, der braunschweigische Hof wurde kulturelles Zentrum in Deutschland; Anlegung einer gewichtigen Gemäldesammlung. Lyrik, musikalische Bühnenwerke und bedeutende Romane (so »Die durchleuchtigste Syrerinn Aramea« 1669 – 73) zeugen von A.s Ideal einer galanten, von edlen Menschen bevölkerten Welt als Abbild der göttlichen Weltordnung; Tod am 27. März 1714. (DBE 1; Hirsch; Chronik) Antonius Ulricus *82, 179, *182, *185, *204 f., *208, 296, *414. Antonio s. Santa Maria Antwerpische Hagiographen die Redakteure der »Acta Sanctorum«, s. Janninck, Papebroch, Sirmond Apollonios von Perge um 262 – 190 v. C., »der große Geometer«, griech. Mathematiker aus Pamphylien (Kleinasien), der in Alexandria lebte. Sein bekanntestes Werk »Conica« über Kegelschnitte führte die Begriffe Ellipse, Hyperbel und Parabel ein; das Opus wurde von 1700 bis 1710 durch Halley in London zusammengestellt, übersetzt und publiziert. A. berechnete auch die Zahl π; in der Astronomie vertrat er (gemäß dem »Kreis des A.«) die Epizykeltheorie, die Ptolemaios für seine Berechnung der Planetenbewegung aufgriff. Zur Geometrie verfasste A., Pappos zufolge, auch noch Bücher über »Berührungen«, »Ebene Örter«, »Einschiebungen«, den »Raumschnitt« und schließlich den »Verhältnisschnitt« (»lógou apotomé«) – eine Schrift, die, nur in arabischer Übersetzung erhalten, ebenfalls an Halley gelangte, der sie 1706 herausgab: »Apollonii Pergaei de sectione rationis libri duo ex arabico M[anu]s[crip]to latine versi, accedunt eiusdem de sectione spatii libri duo restituti«. Leibniz gelangte Ende Mai 1706 in den Besitz dieser
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Namenregister und literarische Titel mit Erläuterungen
Ausgabe.° (NPauly I; http://www.mathematik.ch · Sept. 2003; Bro; °Widmaier, Hrsg., 1990 S. 236 f.) Apollonius Pergaeus 63. Aranea, Vicenzo 1588 – 1653, ital. Jesuit, Theologe, Philosoph und Schriftsteller, gebürtig aus Aquila, lehrte 10 Jahre Philosophie und Moraltheologie am Collegium Romanum, Rektor in Florenz und am Collegium Germanicum in Rom, wo er starb. Der Originaltitel des von Des Bosses angeführten, 1625 in Rom erschienenen Bandes lautet: »De universa philosophia a Marchione Sfortia Pallavicino publice asserta in Collegio Romano Soc. Jesu Libri tres ad Urbanum VIII. P.M.« (SOVO 1, hier Todesjahr 1652; IBN) 119. Arenberg, Leopold Philipp Karl Joseph Herzog von 1690 – 1754, geb. in Belgien bei Mons, gest. bei Löwen, Feldmarschall der österreichischen Armee. 1716 übernahm er ein Infanterie-Regiment, für Österreich erfocht er Siege bei Belgrad und, gegen die Franzosen, 1743 bei Dettingen. 1745 Statthalter von Hennegau, vom Kaiser zum Ritter des goldenen Vließes erhoben. (Wurzbach 1) 311. Aristoteles 384 – 322 v. C. Philosoph aus Stagiros, entwarf gegen Platons Ideenlehre die Erste Philosophie (Metaphysik) als Grundwissenschaft von allgemeinen Merkmalen und unterschiedlichen Weisen des IstSagens (Seiendes als Seiendes, Ontologie). Seine darauf aufbauende praktische (Ethik, Politik, Ökonomik) und theoretische Philosophie (einschließlich Theologie, Naturphilosophie, Psychologie, Kunsttheorie) sowie die Logik (Organon, Rhetorik) bildet einen die Geister scheidenden Grundbestandteil der europäischen und islamischen Philosophie und Theologie bis in die Scholastiken des Barock, aber auch für die Wissenschaftsphilosophie und Theologie (bes. des Katholizismus) im 19. Jh. und danach. 4, 6, 11, 14 f., 40, 43 f., 116, 119 f., 146, 165, 177, 221, 223, 248, 256, 275, 277, 290, 423, 426, 429, 436 f., 444, 450 f., 454, 459. S. auch Peripatetiker. Arnauld, Antoine 1612 – 1694, führender Theologe des Jansenismus aus Paris. Studium der Rechte und der Theologie, katholischer Priester, 1643 Mitglied der Sorbonne. Erregte durch Auftreten gegen den häufigen Sakramentsempfang (Schrift 1643), den die Jesuiten lehrten, und für eine Vertiefung der Buße die Gegnerschaft von Klerus und Regierung.
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Erst 1648, während Unruhen der Adelspartei, bekannte er sich offen als Jansenist und ging zu seinen Gefährten nach Port-Royal des Champs; hier Buße, Weltentsagung und gelehrte Studien. 1656 aus der Sorbonne ausgeschlossen, worauf weitere 80 Doktoren austraten. Trotz Friedens zwischen Papst Clemens IX. und den Jansenisten (1668) musste A. 1679 wegen Parteinahme für katholische Bischöfe gegen die gallikanische Kirche und Ludwig XIV. in die Niederlande fliehen und starb in Brüssel. Mit Leibniz, der ihm seine »Metaphysische Abhandlung« vorlegte, unterhielt er 1686 – 1690 einen Briefwechsel.° Wichtige Werke: zusammen mit Nicole »Logique de Port-Royal« im Anschluss an Descartes, 1662; »La perpétuité de la foi de l’Eglise touchant l’Eucharistie«, 3 Bde., 1669 – 74. (BBK; °kritische Ausgabe mit Übersetzung durch R. Finster 1997, a.a.O) Arnaldus 44 f., 70, 111. Arriaga, Rodríguez (Rodericus) de 1562 – 1622, spanischer Theologe, Jesuit. Lehrte vor allem als Interpret von Thomas von Aquino in Salamanca und Valladolid, seit 1625 in Prag; Nominalist. Wirkte mäßigend in der Frage der Rekatholisierung Böhmens. *Cursus Philosophicus (1632) behandelt Logik, Physik und Metaphysik, ohne Ethik und Theologie. »Disputationes theologicae« (8 Bde.) erschien postum 1643 – 55. (Mudroch S. 351 – 357; ESP 6; de Certeau S. 588 Anm. 49) 455. Arxo, José Raimundo (Arjó, José Ramón) alias Lu Ruose Shi Shi, auch Fu oder Fan 1659(60)–1711, span. Jesuit, seit 1685 auf Mission in China, vornehmlich im Südwesten (Guilin), auch Macao und Kanton – dort 1705 theologischer Disput gegen Visdelou über die Ritenfrage. 1706–08 Visitator über Japan und China. Mit Provana als Gesandter des Kaisers Kangxi zurück nach Europa (1708); hier versah A. das Amt des Missionsprokurators und starb kurz vor der neuerlichen Abreise in den Osten. Seine wenigen Schriften zu Religionsfragen wurden postum als »Noticia de la Vida y Virtudes del Venerable Padre Joseph Raymundo Arxo« 1712 von Padre Pablo Ingles herausgegeben. (DHCJ 1; SOVO 1; Dehergne S. 368) Raimundus, Raymundus *169, 180, 183. Ascalon Titular-Bischofssitz in Palästina, der bis ins 12. Jh. real besetzt gewesen war. Seit 1696 bekleidete das Bischofsamt der spanische Augustiner Eremit *Alvaro de Benavente (chin. Bai Wanluo Tairan°), zuvor Provinzial seines Ordens für die Philippinen, der damit wie sein 1679
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nach China gesandter Vorgänger François Dedier die Aufgabe der Priesterweihe für Macao, Peking und Nanjing übertragen bekam und zudem apostolischer (d.h. päpstlicher) Vikar für die chinesische Provinz Jiangxi wurde. Benavente starb 1709; ein Nachfolger als Bischof von A. wurde erst im Jahr 1718 bestimmt, dieser residierte in Ascalon resp. Babylonien. (HC; °BBK- Collani) 134. Atlas Der Titanensohn, nach Hesiods Theogonie Bruder von Prometheus und Vater der Hesperiden, trug den Himmel (oder auch Himmelssäulen) auf seinen Schultern. Ein Trick A.s, diese Last auf Herakles abzuwälzen, misslang. (Hunger) 54. August der Starke König von Polen (II.), Kurfürst von Sachsen (Friedrich A. I.), 1670 – 1733. A. wurde 1694 Kurfürst, konvertierte 1697 – zuerst heimlich in Baden bei Wien – zum Katholizismus, um sich für den polnischen Thron zu bewerben. Am 15. September 1697 wurde er in Krakau zum König von Polen gewählt. A. verzichtete ebenso auf den landesherrlichen Summepiskopat, mit dem er eigene Geheimräte beauftragte, wie auf Zwangsbekehrungen zum Katholizismus, während das sächsische Fürstenhaus seit ihm katholisch blieb. (BBK) Rex Augustus 122, 124, 133. Augustin le Blanc s. Serry Augustinus, Aurelius aus Numidien (Nordafrika), 354 – 430, »Kirchenvater«, Schriftsteller, Theologe. Durch Ciceros »Hortensius« Begeisterung für die Philosophie; Abkehr vom Manichäismus; Platonlektüre, Kritik der Skepsis. Rhetoriklehrer in Karthago, Rom und Mailand, konvertierte 386 zum Christentum. Seit 395 Bischof von Hippo Regius (in Africa), wo A. in einer Mönchsgemeinschaft lebte. Um 397 Neubewertung der Lehre vom Ursprung des Bösen, der Gnade und der Erbsünde: die Gnade verdrängt den freien Willen, der Mensch ist von der Prädestination Gottes abhängig°. Seit 412 Kontroverse um diese Frage mit Julianos und Pelagius, der A.s These bestreitet, dass der Mensch, sogar Neugeborene, ursprünglich böse sei. A.s im Konzil von Karthago 418 vorgetragene Gnadentheorie wurde als einzige außerbiblische Lehre überhaupt zum kirchlichen Dogma erhoben. Besonders gewichtig unter den zahlreichen Schriften ist De civitate Dei (412 – 426) als Grundlegung christlicher Geschichtsphilosophie, fundamental auch das frühere »De libero arbitrio«, »De trinitate« (ab 399), »De doctrina Christiana« (Schrift-
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auslegung, 396 – 427), Schriften zu den »sieben Künsten« des Unterrichts – wie »De Musica« – und eine Reihe von Selbstinterpretationen (»Soliloquia«, Confessiones 397 – 400 – vgl. S. 261 –, »Retractationes« ab 426), die die Gattung der Autobiographie mit begründeten. A. prägte und inspirierte die mittelalterliche Subsumtion der Philosophie unter Theologie (so Anselm von Canterbury, Bernhard von Clairvaux, Hugo von St. Victor, Thomas von Aquino), die Aneignung der Bibel in Renaissance und Reformation (Petrarca, Erasmus, Calvin, z.T. Luther) bis hin zu Jansen, sowie die Entwicklung der Semiotik bis ins 20. Jh. (NPauly 2; °vgl. dazu auch Flasch, Hrsg., 1990) 49, 75 ff., 83 f., 93, 99, 110–114, 146, 159, 165, 175, 214, 231, 241 f., 244, 250, 261, 311, 319, 442 f., 460. – S. auch Augustinus Europaeus; Fénelon; Jansen; Le veritable esprit; Serry. Augustinus Europaeus Africano contrarius (Der europäische Augustinus als Gegner des afrikanischen) stammt vermutlich von dem belgischen Augustiner Eremiten *Philippus van Wavre (um 1700), Lizentiat in Löwen und Augustinusspezialist, der u. a. Bücher zu Jansen als falschem »Augustinus Europaeus« publizierte. Schriften: »Confessio Augustana«, Lovanii 1687; »Cornelii Jansenii … Augustinus Europaeus perperam dictus«, Antwerpen 1709. Der von Des Bosses genannte Titel konnte nicht exakt belegt werden. (Ossinger; BVB) 242. Augustinusschüler s. Le véritable Esprit Averroes Alias für Ibn-Ruschd, Abu l-Walid Muhammad, 1126 – 1198, arabisch-spanischer Philosoph, »der Kommentator« von Aristoteles, Kadi in Cordoba, Justizberater des Königreichs Marrakesch. Bezüglich Universalien wurde A. als Nominalist mit materialistischen Zügen von der mittelalterlichen Kirche bekämpft. Im Lateinischen war außer den Aristotelesinterpretationen nur sein »Tahafut al Tahafut« (Destructio destructionum, gegen den philosophiekritischen Theologen und Mystiker Al Ghazali) bekannt. Weitere Schriften: Die Übereinstimmung von Religion und Philosophie, Über den Beweis der Dogmen in der Religion. Als »Averroismus« wird gewöhnlich die Lehre vom überindividuellen Weltgeist oder Gattungsgeist, zumal als Subjekt des Denkens, bezeichnet (also der Einheitsbegriff wider die Unsterblichkeit der Einzelseele) – eine Lehre, die in A.s Schriften nicht zu belegen ist. (Goldenbaum; Schulthess-Imbach; Hübener 1985, S. 21; Châtelet, Hrsg., II) 246, 305.
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Aversa, Raphael 1589 – 1657, italienischer Spätscholastiker vom Orden der Theatiner (Clerici regulares; mehrmals Generaloberer), der in der zweibändigen »Philosophia Metaphysicam Physicamque complectens«, Rom 1625 – 1627, 2. Auflage Bologna 1650, das auf Aegidius Romanus (um 1300) zurückgehende Programm einer Metaphysik als universaler Wissenschaft entwarf, in der die gesamte Erkenntnis (vom immateriell Seienden – Gott, Engel – bis zur Physik und empirischen Welt) zu behandeln sei: Innerhalb eines gestuften Systems könnten die einzelnen empirischen Dinge und Tatsachen durch oberste metaphysische Prinzipien begründet werden. (Blum, bes. S. 326; DBI 4; de Certeau S. 588 Anm. 48) 455. Avril, Philippe 1654 – 1698, frz. Jesuit. Nachdem A. 1685 – 1690 vergeblich versucht hatte, im Auftrag Frankreichs auf dem Landweg nach China zu gelangen – durch Russland und Sibirien bzw. über Syrien und Persien –, kam er auf seiner zweiten Chinafahrt bei einem Schiffbruch ums Leben. Publikation: »Voyage en divers etats d’europe et d’asie, entrepris pour decouvrir un nouveau chemin à la Chine«, Paris 1693.° (Widmaier, Hrsg., 1990 S. 26, 110; °Li/Poser 2000 S. 371) Aprilis 133. Aylworth, William alias William Harcourt, 1625 – 1679, seit 1641 Jesuit in Oxford, unterrichtete elf Jahre in Lüttich Philosophie und Theologie. Anschließend Missionar in Holland und England, wo er in Nottingham weilte. Wegen des angeblichen »popish plot« floh er nach Holland und starb in Haarlem. Unter den Werken ragt, abgesehen von dem Bericht »The Escape«, die Metaphysica Scholastica, Köln 1675 (101), hervor. (DNB) Ayleworthus 101 f., 105, 118. Banoni s. Vagnoni Barbarus, Hermolaus (Ermolao Barbaro) 1454 – 1493, Philosoph aus Venedig, führte politische Verhandlungen mit Kaiser und Papst, lief zur päpstlichen Partei über, als Innozenz VIII. ihn zum Patriarchen von Aquileia ernannte. Lehrte Philosophie (Aristoteles) in Padua und in seinem Privathaus in Venedig: Schriften zu Ethik, Logik, Naturphilosophie, am bedeutendsten »Compendium scientiae naturalis ex Aristotele«, 1484. Ferner: kritische Plinius-Textausgabe (»Naturalis historia«), »Castigationes Plinianae« (1492 ff.), weitere Bücher über antike Gelehrte; Übersetzungen und Textausgaben vor allem der grie-
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chischen Patristik. B. starb mit 38 Jahren in Rom an der Pest. Im Zuge eines Streits unter den Aristotelikern des frühen 16. Jhs. schwankte B. zwischen der »Entelechie« (Zielbesitz) und der »Endelechie« (Dauerhaftigkeit) der Seele im Verhältnis zum Körper. Die Lesart der »Endelechie« geht auf Cicero zurück und findet sich etwa bei Pomponazzi und Melanchthon. Da es dabei um die Sterblichkeit oder Unsterblichkeit der Seele ging, bedrängte der verzweifelte B. (nach der Anekdote bei Pietro Crinto: De honesta disciplina, Florenz 1504, VI und XI) mit der Frage nach der richtigen Lesart sogar den Teufel.° — Leibniz erwähnt die Geschichte, dass B. den Teufel nach der Bedeutung des Wortes »Entelechie« gefragt habe und es mit »Perfectihabie« übersetzte, ohne Quellenangabe in der Theodizee I (§ 87); vgl. auch Monadologie § 48.°° (Michaud; DBI 6; HT S. 335+Anm. 169 S. 644; °Mulsow S. 157 f. und 171; °°Leibniz: Vernunftprinzipien/Monadologie S. 49 und 71 Anm. 10) 4. Barton, Thomas 1606–?, Jesuit, Eintritt ins Kolleg 1623, Ordensgelübde 1642. – Mit diesen Daten skizziert Sommervogel/Rivière den Autor des unter dem Pseudonym Thomas Bonartes Nordtanus Anglus 1659° und 1664° bzw. 1665°° in Köln erschienenen Buches Concordia scientiae cum fide, e difficillimis philosophiae et theologiae scholasticae quaestionibus concinnata. Es dürfte alsbald in Rom verurteilt worden sein.°°° Leibniz, dem diese Schrift seit mindestens 1671 bekannt war, hatte sie Anfang der achtziger Jahre einer intensiven Lektüre unterzogen°°°° und in der Theodizee (Vorwort, HT S. 27, und Einleitende Abhandlung § 86) mit Lob (»geistvoll, gelehrt«) und Tadel (»beißend, verworren, enthält unhaltbare Meinungen«) versehen. — Des Bosses’ Lebensbeschreibung des Autors passt in manchem auch auf Thomas Barton alias Thomas Harvey · 1632/35 – 1696, einen engl. Jesuiten aus London oder Yorkshire, ausgebildet am Kolleg von St. Omer (Belgien), Ordenseintritt 1653; er studierte bis 1661 Philosophie und Theologie in Lüttich, lebte nach der Priesterweihe (1662) in den Jesuitenkollegien St. Aloysius, Gent und St. Ignatius, unterbrochen von einem Aufenthalt um 1678 in Poole Hall bei Chester; als Missionar 1682 in London arretiert, von 1683 – 1693 in New York, wo er fünf Jahre Superior war; Lebensabend in Maryland. (— Das in AA° und von Frémont ohne Quellenangabe kolportierte Sterbedatum 1681 könnte auf den Erstgenannten zutreffen, vielleicht aber aus einer Verwechslung B.s mit dem anglikanischen Religiosen und Schriftsteller Thomas Barton, Dr. von Oxford, resultieren, vgl. DNB
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3 S. 348; dieser war weder Jesuit noch in Belgien ansässig.) (SOVO 12 Suppl., Sp. 946 Nr. 3587; Holt; DHCJ 2; °AA VI·4 Schriftenverzeichnis; °°NUC; °°°Leibniz: Theodizee HT S. 203, sowie oben 118; °°°°ausführliche Auszüge und Marginalien abgedruckt in AA VI·4C, S. 2582 – 2601). Bartonus 117 f., 122. – S. auch Bonartes. Batavia (Bataviae) s. Niederlande Baune, Jacques de La 1649 – 1726, Jesuit aus Paris, verfasste für die Jugenderziehung »Panegyrici veteres ad usum Delphini« (1672) und andere lat. Gedichte und Reden, so ein Lob auf das Parlament, das von Boileau vorgetragen und ins Frz. übersetzt wurde. 1696 gab B. in Paris J. Sirmondi Opera Varia (5 Bde.) heraus. (Michaud; ESP) Baunius 99. Bay, Michel de (Michael Bajus) 1513 – 1589, belgischer katholischer Theologe, Professor in Löwen. B. wollte den Protestantismus in Belgien mit einer scholastischen Lektüre der Schrift-Autoritäten, d.h. der Bibel und Kirchenväter – vor allem Augustinus’ –, bekämpfen. Er entfachte damit heftige Polemik, 1567 verurteilte Papst Pius V. 76 seiner Sätze als häretisch, worunter B. sich nur vorübergehend fügte; Ähnliches geschah 1580. Wegen seiner prädestinativ-deterministischen Freiheitslehre mit Betonung menschlicher Sündhaftigkeit gilt er als Vorläufer des Jansenismus, die Sammlung seiner Werke – meist kurze methodische Traktate – erschien erst 1696 in Köln, besorgt von Gerberon und Quesnel, und wurde im Mai 1697 auf den Index gesetzt: »Michaelis Baii, celeberrimi in Lovaniensi Academia Theologi Opera: cum Bullis Pontificum et aliis ipsius causam spectantibus, jam primum ad Romanam Ecclesiam collecta, expurgata, et plurimis opusculis aucta, studio A. P. theologi«. (De Seyn 1; Denzler/Andresen; BBK: Gerberon) Bajus 197. Bayle, Pierre 1647 – 1706. Sohn eines reformierten Pfarrers aus dem Languedoc, konvertierte 1669 zum Katholizismus und begann sein Philosophiestudium bei den Jesuiten an der Universität Toulouse, kehrte aber nach Jahresabschluss wieder zum früheren Glauben zurück. Theologiestudium in Genf mit besonderem Interesse an cartesischer Philosophie. 1675 Professor an der calvinistischen Universität in Sedan. 1679 veröffentlichte er »Objectiones« gegen den Cartesianer Poiret. Übersiedlung nach Rotterdam, wo er Geschichte und Philosophie unterrichtete. Durch Katholiken Verurteilung und Verbrennung seiner pro-protestantischen vierbändigen Schrift gegen Maimbourgs
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Geschichte des Calvinismus. 1684 Gründung der Zeitschrift Nouvelles de la République des Lettres. Seit 1687 in Korrespondenz mit Leibniz. Nach der Zurücknahme des Edikts von Nantes (1685) scharfer Kritiker der Intoleranz; sein »Commentaire philosophique« von 1686 wurde aber auch von protestantischen Theologen einhellig verurteilt. Zum anderen attackierte B. die Politik der protestantischen Flüchtlinge in Holland (»Avis au réfugiées« 1690); 1693 verlor er wegen seiner Freisinnigkeit das Lehramt. 1695 – 97 erschien nach langer Vorarbeit in erstmals konsequent quellenkritisch-historischer Methode das zweibändige Dictionnaire historique et critique, 1702 in zweiter Auflage. B. vertrat aufklärerisch die moralische und theoretische Unwiderlegbarkeit des Atheismus, die strikte Trennung von Glauben und Wissen, Kirche und Staat und starb gläubig in Rotterdam. (Pierre Bayle Homepage, BBK) Mit dem Anti-Bayle ist im vorliegenden Briefwechsel in der Regel — a) die entstehende Theodizee von Leibniz gemeint, die sich laufend auf B. bezieht; allenfalls auch die vom Haupttext abgesetzte Einleitende Abhandlung der Theodizee. — Gegen B. richteten sich darüber hinaus b) Réponse aux réflexions contenue dans la seconde edition du dictionnaire Critique de M. Bayle, Article Rorarius, sur le système de l’Harmonie préétablie, die Leibniz 1702 als Reaktion auf die 2. Auflage von B.s Wörterbuch verfasst hatte, die jedoch erst 1720 in der zweibändigen Sammlung diverser Philosophen und Wissenschafter von Pierre Des Maizeaux erschien. Leibniz hatte den Text bereits 1711 zur Publikation an Des Maizeaux, den Herausgeber der »Histoire critique de la république des lettres«, gesandt. Dort wurde indessen in Band XI/1716 Leibniz’ Begleitschreiben »Lettre de Mr. Leibnitz à Mr. Des Maizeaux, contenant quelques Eclaircissements sur l’Explication précédente et sur d’autres endroits du Système de l’Harmonie préétablie. Hanovre, ce 8 Juillet 1711« abgedruckt. Schon 1698 war Leibniz’ erste Replik auf B.s »Dictionnaire«-Artikel »Rorarius« im Juliband der »Histoire des Ouvrages des Savans« erschienen: Lettre de M. Leibnits à l’Auteur, contenant un Eclaircissement des difficultez que Monsieur Bayle a trouvées dans le système nouveau de l’Union de l’âme et du corps. (Ravier, HT) — c) ein längerer lat. Text gegen B.s religiöse Zwei-Prinzipien-Lehre um 1702, postum hrsg. von C. I. Gerhardt 1886 (GP·3, 28 – 38): »Cum celeberrimi Baylii scripta …«. Bailius, Baylius 5, 33, 53, 56, 106 f., 109, 119, 127, 130, 142, 152, 156, 162, 165 f., 170, 172 f., 176, 178, 182, 189, 196.
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Behrens, Konrad Barthold (Conrad Bertold)° 1660 – 1736, stammte aus Hildesheim, Militärarzt, 1708 Mitglied der Berliner Sozietät der Wissenschaften,°° ab 1712 Leibarzt des Herzogs von Braunschweig (in Hannover°°). Verfasser medizinischer Schriften zur Hygiene, Diätetik und forensischen Medizin; veröffentlichte u. a. eine Geschichte des braunschweigischen Fürstenhauses, »Stamm-Baum des Hauses Asseburg«, Paderborn 1721; »Genealogische und zum Theil historische Vorstellung des Uhrsprungs und Fortstammung einiger uhralter hochadelichen Häuser, nahmentlich, deren von Adelips, Alvensleben, Asseburg, Hardenberg, Korff etc., sonderlich derer von Steinberg«, Hannover 1703; »Stammbuch und Geschlechtshistorie des Hauses der Herren von Grone, auff Wester- und Kirchbrake. Aus alten Briefen und Urkunden von neuem zusammengetragen«, Hildesheim 1726, ²1733. B.s Projekt der Familiengenealogie stellte Leibniz mit dem Beitrag Conradi Bertholdi Behrens D. Medici Hildesiensi Epistola G.G.L de Opere Genealogico Familiarum emortuarum, quod molitur in den Acta Eruditorum, Oktober 1695, S. 462 ff., der Öffentlichkeit vor.°°° (GV, °ebd.; ADB 2; °°AA I·17 Korr.-Verz. S. 737; °°°Ravier Nr. 228, vgl. Aiton S. 262) Behrensius 19, 69, 117, 122, 124, 162, 179, 216, 268 f., 295. Belgien Südliche bzw. (seit 1585) Spanische Niederlande. Seit 1648 offiziell von den nördlichen Niederlanden entlang der Nordgrenze Flanderns und Brabants getrennt. »Österreichische Niederlande« seit dem Frieden von Rastatt (1713) und Utrecht (1714). Wechselnder Grenzverlauf, teilweise von Frankreich annektiert (u. a. Cambrai und Lille unter Ludwig XIV.), 1701 – 1714 Kampfschauplatz im Spanischen Erbfolgekrieg. — Als römische Provinz war »Belgium« das Gebiet zwischen Seine und Rhein. Das einheitliche Territorium mit den übrigen Niederlanden und Burgund (»Burgundischer Kreis«), regiert von spanischen Habsburgern, hatte seit 1555 bestanden. Als offizieller Staatsname kam »B.« erstmals 1790 (erste Unabhängigkeitserklärung) in Gebrauch. (Bro20 3 und 15; NBro ) Belgium 60, 114–117, 169, 182, 311, 347. Bellarmin (Bellarmino), Robert Franciscus Romulus 1542 – 1621, einer der größten Gelehrten des Jesuitenordens, ital. Theologe. Studium der Philosophie und Rhetorik in Florenz und Montovi (Piemont), der Theologie in Padua, ab 1569 in Löwen. 1570, nach der Priesterweihe, als erster Jesuit Professor für Theologie an der Löwener Universität. 1576 – 89 Lehrstuhl für Kontroverstheologie in Rom. Vor allem durch
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sein Hauptwerk »Disputationes de controversiis christianae fidei adversus hujus temporis haereticos«, einer Verteidigung des katholischtridentinischen Dogmensystems, gilt B. als größter Polemiker der römischen Kirche; über 100 protestantische Gegenschriften folgten. Ende 1592 Rektor des Collegium Romanum, 1594 Ordensprovinzial in Neapel. Seit 1597 Hoftheologe bei Clemens VIII. in Rom, 1599 Kardinal, dann Erzbischof von Capua; seit 1605 wieder in Rom. Er leitete die auf dem Trientiner Konzil beschlossene Revision des Vulgatatextes; als Präsident der Kongregation »De Auxiliis« (s. Molina) erklärte B. das Verhältnis von Gnade und menschlicher Freiheit als autoritativ und dogmatisch unentscheidbar und überließ es weiterer Diskussion. Gegen William Barclay vertrat er zwar keine direkte, doch die indirekte politische (weltliche) Autorität des Papstes über den König aufgrund der geistlichen Gewalt – eine Position zwischen den Stühlen. In der Naturphilosophie durchbrach er die aristotelische Physik, blieb jedoch Geozentrist.° Kurienvertreter in Verfahren gegen Bruno und Galilei, noch zu Beginn des Galilei-Prozesses unterzeichnete B. die offizielle Verurteilung des Physikers. 1930 wurde er heilig gesprochen, seit 1931 gilt er als katholischer Kirchenlehrer. (BBK; CE; °Baldini S. 742 f.) Bellarminus 61, 63, 65, 67, 114, 165, 323, 326, 373. *Benavente, Alvaro s. Ascalon *Berkeley, George 1685 – 1753, geb. in Killerin (Irland), Philosoph, Geistlicher, Lehrer am Trinity College in Dublin, 1713 – 20 in London und Italien, 1728 – 31 in Amerika (Newport / Rhode Island), seit 1734 Bischof von Cloyne in Südirland. Außer seiner kontroversen Philosophie (Bonmot und Grundsatz: »Esse est percipi«) wurde B. als Wahrnehmungspsychologe und Nationalökonom (»The Querist«) wirksam. Hauptwerk: »Treatise concerning the principles of human knowledge«, Dublin 1710, als Kritik der Locke’schen Abstraktionstheorie. Außerdem: »An Essay towards a New Theory of Vision« (1709); »Three Dialogues between Hylas and Philonous« (1713); »Alciphron« (1732). (Volpi; Windelband) 309, 316. (Engländer; der in Irland) Bernard, Edward 1638 – 1697, Astronom und Philologe in Oxford. Orientalist (Hebräisch, Arabisch, Syrisch, Koptisch), Historiker, Philosoph. 1668 Forschungsaufenthalt in Leiden, wo er die Bücher fünf bis sieben aus der arabischen Fassung der »Conica« des Apollonios von Perge kopierte; in Oxford Fund der ersten sieben Bücher als arabische
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Manuskripte; die geplante Edition mit lateinischer Übersetzung realisierte jedoch erst Halley 1710. Mitgliedschaft in der Royal Society und Astronomie-Professur 1673. Den Plan zu einer umfassenden Ausgabe antiker Mathematiker setzte B. ebenfalls nicht um; Teilausgabe von Flavius Josephus 1686 – 87. Nach Scheitern einer Philologieprofessur in Leiden und Aufgabe des Oxforder Lehrstuhls (1691) Erarbeitung eines Manuskripteverzeichnisses von Großbritannien: »Cartalogi librorum manuscriptorum Angliae et Hiberniae cum indice alphabetico«, Oxford 1697. Tod auf einer Reise nach Leiden. (DNB 4/1885; Frémont) Eduardus Bernardus 63. Bernard, Jacques 1658 – 1718. Ausgebildet am protestantischen Kolleg von Die, Studium der Rhetorik, Philosophie, Theologie und hebräischen Sprache in Genf. Pastor in Frankreich, wegen obrigkeitskritischer Predigten Flucht in die Schweiz und nach Holland zu Jean Leclerc. In Den Haag Eröffnung einer Schule für Philosophie, Literatur und Mathematik. 1691 Weiterführung von Leclercs Journal »Bibliothèque universelle«; von 1693 – 1710 und wieder ab 1716 Herausgeber der von Bayle gegründeten Nouvelles de la République des lettres. Als solcher zeichnet er verantwortlich für die (anonyme) Rezension der (vorerst anonymen) Essais de Théodicée Leibniz’ im Band vom September 1710, S. 314 – 342, und Oktober, S. 363 – 396. Außer historischen Schriften erschienen von B. u. a. »Traité de la repentance tardive« (1712) und »De l’Excellence de la religion chrétienne« (1714). (Michaud; Nouvelles de la République des lettres, September 1710) Bernardus 217, 404. Bernhard von Clairvaux 1090 – 1153, aus burgundischem Hochadel, trat 1112 im Reformkloster Citeaux dem Zisterzienserorden bei und gründete 1115 das Kloster Clairvaux, dem Dutzende Neugründungen folgten. Armut, Askese und Militanz waren die Signale von B.s Mystik, die unter dem Einfluss Hugos von St. Victor den blutenden Christus am Kreuz reflektierte. »Für Christus grausam sein ist die höchste Stufe der Seligkeit.« Mitarchitekt des 2. Kreuzzugs von 1147. Dem Papst empfahl B. Enthaltung von weltlichen Machtstrukturen. Hauptwerk »De consideratione ad Papam Eugenium«. B. wurde 1174 heilig gesprochen und ist seit 1830 »Doctor ecclesiae«. (BBK) S. Bernardus 68. Bernier, François 1620 – 1688, Anhänger des Empirikers Gassendi. Publizierte 1674 – 75 in Paris Abregé de la philosophie de M. Gassendi en
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VII Tomes, 2. Aufl. Lyon 1684; ferner »Doutes sur quelque-uns des principaux chapitres de son Abregé de la philosophie de Gassendi«, 1682; mehrere Reisebeschreibungen aus Orient – Persien – Indien: »Voyages de Francois Bernier«, 1699. (HT 1, S. 628 f.; AA I·17, S. 319 f. und 775) Bernerius 154. Blanc, Augustin le s. Serry Blondel, Pierre-Jacques 1674 – 1730. Frz. Priester (Angers), Lehrer in Adelsfamilien. Gründete eine Art Privatakademie für spielerisches Denken. B. publizierte »Vérités de la religion par principes«, 1705, und eine Kritik an Praktiken des Buchmarkts: »Mémoire sur les vexations qu’exercent les libraires et imprimeurs de Paris«, 1720, außerdem Zs.Beiträge. Im Journal de Trévoux und den Nouvelles de la République des Lettres besprach er Texte, die bei Akademiesitzungen öffentlich diskutiert wurden (»Relations des assemblées publiques«). Dabei ging es u. a. um die Differentialrechnung, deren Erfindung in einer Sitzung der Akademie der Wissenschaften am 14. November 1705 den Brüdern Bernoulli gegen Leibniz zugesprochen wurde, worüber B. im Februar 1706 im Journal de Trévoux S. 288 – 296 in einer Eloge de Monsieur Bernoulli berichtete, die Teil der »Rélation de ce qui sèst passé à l’Assemblée publique de l’Academie Roiale des Sciences, le 14. Novembre 1705« war. Zu seinem durch Des Bosses vermittelten, teils publiken Schriftverkehr mit Leibniz über die Autorschaft an der Infinitesimalrechnung vgl. Frémont S. 129 und 144 f. (DBF 6; Mémoires de Trévoux; Frémont: †1725) Blondellus 102, 105. Bonanni (Buonanni), Filippo 1638 – 1725, Jesuit, Bibliothekar und Archivar des Collegium Romanum in Rom, Rektor des Maronitenkollegs. Lehrte zunächst Philosophie in Ancona; Zuwendung zur Naturwissenschaft, vor allem Zoologie: erste Publikation über die Erbaulichkeit der Schneckenbeobachtung, dann »Osservationi intorno agli animali viventi« (Florenz 1684), »Observationes circa viventia quae in rebus non viventibus reperiuntur« (1691); dokumentiertes Interessen auch in Numismatik: »Numismata summorum Pontificum« (Roma 1696, erweiterte Neuauflage 1698, umfangreiche Kataloge 1706 – 1711). B.s Jesuitenverzeichnis Catalogus provinciarum Societatis Jesu. Domorum, Collegiorum, Residentiarum, Seminariorum, et Missionum erschien 1679 und, mit leicht umgestelltem Titel, 1717 in Rom. 1698 ans Collegium Romanum, Assistent in A. Kirchers Museum. 1709 Zusam-
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menstellung seines größten Werkes, des Musaeum Kircherianum, sive Musaeum a P. Athanasio Kirchero in Collegio Romano Societatis Jesu (179). Außerdem umfangreiche Dokumentationen zu den kirchlichen Orden (1706 – 1711), Schriften über Musikinstrumente u. a. Werke. (DBI 15/1972; IBN 20) Philippus Bonannus 179, 302, 342. Bonartes Nordtanus Anglus s. auch Barton 73, 85, 87, 90, 93, 97, 100 ff., 105, 116 f., 122, 132, 162. Bosch (Boschius), Jakob 1634 – 1704, dt. Jesuit, Rektor in Schweizer Jesuitenkollegien, Landshut, Sekretär der deutschen Ordensassistenz in Rom, zuletzt in München. Sein mit der Kunst der Sinnsprüche befasstes Werk »Symbolographia, sive de arte symbolica sermones septem quibus accessit studio et opera eiusdem sylloge celebriorum symbolorum in quatuor divisa classes: sacrorum, heroicorum, ethicorum et satyricorum« erschien mit zweitausend Abbildungen 1702 in Augsburg; es war Erzherzog Karl von Österreich gewidmet. (Michaud, IBN) 111, 114. *Bossuet, Jacques Benigne 1627 – 1704, »der letzte Kirchenvater«, Kirchenpolitiker, Bischof von Meaux, Mitglied der Académie. Gegner des Jansenismus, Quietismus und Fénelons.° Ausgebildet bei Jesuiten, während des Theologiestudiums in Paris von Arnauld in Gelehrtenkreise eingeführt. Kontroversen mit Protestanten, glänzende Predigten. 1670 Rücktritt als Bischof von Condom. Erzieher des Königssohns bis zum Antritt des Bischofsamts in Meaux (1681). B. leitete als Befürworter des Gallikanismus (Unabhängigkeit des absolutistischen Staates, Einschränkung der päpstlichen Gewalt in frz. Kirche) die 1682 von Louis XIV. einberufene Generalversammlung des französischen Klerus; die angestrebte Reunion von Protestantismus und Katholizismus verfehlte er. Unter seinem Einfluss wurde 1685 im Edikt von Fontainebleau jenes von Nantes zurückgenommen; er vertrat den Standpunkt, dass die römisch-katholische Kirche niemals von den Lehren des Konzils von Trient abweichen könne. Einigungsverhandlungen (mit Molanus, Rojas y Spinola, Pellisson-Fontanier, Herzogin Sophie von Hannover u. a.°°°) und Diskussionen auch mit Leibniz zwischen 1679 und Februar 1702°°. 1692 »beklagte sich [Leibniz] über die Ausdrücke, die Bossuet persönlich gemeint habe, denn er hatte erklärt, man könne die Hartnäckigkeit, die Leibniz zum Häretiker mache, nicht entschuldigen«+. Für Leibniz’ geplante Frühschrift »Demonstrationes catholicae« war B.s »Exposi-
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tion de la foi de l’église catholique« (1671) bedeutsam. – B.s ausdrückliche Ansicht zu Jansen war, seine Lehre sei auf die inkriminierten fünf Sätze zu reduzieren++; zu Quesnel war er indessen der Meinung des Kardinals von Paris (Noailles), man könne seine »Reflexions morales« auch nicht-jansenistisch deuten; die Ablehnung des jesuitischen Probabilismus – s. Vazquez – teilte er mit den Jansenisten+++. Von 130 verfassten Werken publizierte er 80. Hauptwerk: »Politique tirée des propres paroles de l’Ecriture sainte«, 1709; »Discours sur l’histoire universelle« (bis Karl d. Gr.) 1681. Zudem Predigten, Briefe, weitere historische, politische und Kontroversschriften, gegen »falsche Mystik« (1697) und andere Hirtenbriefe und »Instruktionen« (»Instruction sur la version du Nouveau Testament, imprimée à Trevoux en 1702«, Paris 1702 und 1703++++); »Introduction à la philosophie«, 1722. (BBK, °ebd.; CE; Roscher 2002; Goldenbaum; °°Chronik S. 56, vgl. Aiton 151, 321 f; °°°ebd. S. 104; +Aiton 269; ++DHGE 9 Sp. 1364; da eine Publikation dieser Ansicht aber hier nicht belegt ist, bleibt Leibniz’ Quelle für S. 83 unklar und könnte sich auch auf Thiard beziehen; +++DHGE 9 Sp. 1367 f.; ++++Journal des Sçavans 1703. – Zur umfassenden Skizzierung der Positionen B.s vgl. den gesamten Artikel in DHGE 9, Sp. 1339 – 1391.) 32, 83. Bouhours, Dominique 1628 – 1702, frz. Jesuit. Ausbildung in Grammatik und Rhetorik. 1663 zur Betreuung von Soldaten und katholischen englischen Flüchtlingen in Dünkirchen. Vom Pariser Jesuitenkolleg »de Clermont« aus – das er bis zum Lebensende bewohnte – Kontakt zu literarischen Zirkeln (Scudery, Boileau, Racine, La Fontaine). 1668 »Lettre a un seigneur de la court« und »Lettre à Messieurs de Port-Royal sur la constance« begann eine literarische Kontroverse gegen die Jansenisten; Quesnel griff 1700 mit »Le P. Bouhours, jésuite, convaincu de ses calomnies anciennes et nouvelles de Port-Royal« ein. An linguistischen Werken legte B. u. a. »Les Doutes sur la langue française« (1674), das von Leibniz 1702 kommentierte »Manière de bien penser dans les ouvrages de l’esprit« (1687) und »Pensées ingénieuses des anciens et modernes« (1689) vor, außerdem historische und geistliche Abhandlungen (»Paroles tirées de l’ècriture sainte pour servire de consolation«, 1704) und eine umstrittene Übersetzung des NT (1697) als Konkurrenz zu derjenigen von Port Royal. Geistesgeschichtlich folgenreich wurde auch sein Vorwurf, den Deutschen mangle es an »bel esprit«. (DBF; Kühlmann) Burhursius 165.
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*Boursier s. De l’action de Dieu Bouvet, Joachim 1656 – 1730, alias Bai Jin Ming Yuan, frz. Jesuit, einer der fünf »Mathématiciens du Roy«, die Louis XIV. am 3. März 1685 nach China entsandte. Vertreter einer universalen »Theologia prisca«, d.i. einer göttlichen Uroffenbarung, die auch in den klassischen chinesischen Texten »figuristisch« (Collani) zum Ausdruck komme°°. Ankunft in China 1687, Berufung an den Kaiserhof in Peking, dort einer der Lehrer des Kaisers Kangxi für europäische Naturwissenschaften und Philosophie. 1693 entsandte ihn Kangxi nach Frankreich, wo er 1697 ankam. Nach Audienz bei Louis XIV. segelte er mit acht Ordensbrüdern am 7. März 1698 aus La Rochelle zurück nach China. Dort wandte er sich gegen das Mandat des Apostolischen Vikars Maigrot und gründete mit frz. Jesuiten eine apostolische Akademie. Quasi-historische Pointe des Figurismus war die Identifizierung des altchinesischen Kaisers Fu Xi mit dem alttestamentlichen Patriarchen Henoch sowie des gleichnamigen biblischen Buches mit dem »Yijing« (Buch der Wandlungen). Zudem begann B. 1697 einen Briefwechsel mit Leibniz, in dem er u. a. darlegte, dass schon in den 64 Hexagrammen des »Yijing« die von Leibniz entdeckte binäre Arithmetik vorhanden sei (Brief vom 4. November 1701) (*149). Der Papstlegat Tournon verurteilte jedoch B.s »Tianxue benyi« (Der wahre Ursprung der Himmelslehre). — Die von Leibniz erwähnte Nachricht (409 f.) von einer zweiten Frankreichreise B.s war unzutreffend: Kangxi wollte ihn zwar gleich nach der ersten Fahrt schon 1700 wieder nach Europa schicken, doch B. sagte aus Gesundheitsgründen ab und sandte einen Stellvertreter (Fontaney).° – Darüber hinaus war B. Anfang 1706 wegen der Tournon-Affäre zu einer neuerlichen Gesandtschaft unterwegs, wurde aber im September, noch in China, zurückbeordert.°°° Von 1711 bis 1714 holte er mit kaiserlicher Erlaubnis einige seiner Schüler nach Peking, mit deren Hilfe er die figuristischen Forschungen am »Yijing« trotz Obstruktion der Ordensoberen auf kaiserliches Geheiß ungestört fortsetzte, bis er in Peking starb. Die meisten seiner Manuskripte wurden nie veröffentlicht. Zahlreiche Briefe. Publikationen: »Portrait Historique de l’Empereur de la Chine. Présenté au Roy«, Paris 1697 (16982, La Haye 16993 als: Histoire de l’Empereur de la Chine), lat. 1699 in Leibniz’ zweiter Auflage der Novissima Sinica …, engl. 1699, holld. 1699, dt. 1706, ital. 1710); »Estat present de la Chine en figures«, Paris 1697; Extrait d’une lettre écrite à M. de Leibnitz sur la philosophie, 4 Novembre 1701 (*149), in:
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Mémoires de Trévoux, Janvier, 1704, 128 – 165. (BBK = C. Collani, dort auch ausführlichere Bibliographie; Dehergne; Li 2000; Widmaier, Hrsg., 1990; DHCJ 1, °ebd. S. 512; °°Schatz in Li/Poser Hrsg. 2000 S. 73; °°°Collani: P. Joachim Bouvet, S. 48 ff. – Vgl. außerdem: Collani: G. W. Leibniz and the China Mission, a.a.O.; dies., Hrsg.: Eine wissenschaftliche Akademie für China, a.a.O.) Bouvetus 143, 149, 188 f., 208 f., 409. Bremmer, Stephan 1660 – 1737, dt. Jesuit, ausgebildet in Trier und Münster, Ordensprofess 1693 in Geist. Missionar in Goa bis 1705, seit 1706 wieder in der niederrheinischen Provinz, namentlich in Hildesheim. B. starb in Köln. (PIBA 1 und 3 S. 293; Brief Des Bosses an Leibniz, 7. 3. 1716) 346. Bronckart, Johannes Franz Drucker in Lüttich. 120, *123, *126, *135, *140, 377. Brueys, David Augustin de 1640 – 1723, frz. Jurist, der zum Protestantismus konvertierte und gegen Bossuet schrieb, dann eine Rekonversion zum Katholizismus vollzog und weiter Kontroversschriften abfasste, darunter »Examen des raisons qui ont donnée lieu à la séparation des protestants« (1683), das laut Katalog der Wolfenbütteler Herzog-August-Bibliothek um 1700 auf Deutsch als »Prüfung der Ursachen, um welcher willen die Protestirende sich von der Catholischen Kirchen abgesondert haben · Ohne vorgefasstes Urtheil über das Tridentinische Concilium, das Glaubens-Bekäntniß der Protestirenden Kirchen und die heilige Schrift angestellet von dem Herrn Brueys, Advocaten zu Montpellier · Aus dem Französischen in die Teutsche Sprache übersetzt« ohne Ort, Verlag und Jahresangabe erschien; ferner die auch von Leibniz gelesenen »Reponses aux Plaintes des Protestants« (1686). (Goldenbaum; DDB B 3) 71. Brunacci, Domenico 1616 – 1695, italienischer Jesuit, Professor am Collegium Germanicum in Rom, zuletzt Rektor des Collegium Romanum, Novizenmeister in Palermo, Provinzial von Rom und Venedig. Als Schriftsteller hinterließ B. vor allem Manuskripte zu Aristoteles und Biographien. Die von Des Bosses genannte »Refutatio philosophiae Cartesianae« (Widerlegung der cartesischen Philosophie) konnte nicht verifiziert werden. (IBN 25; SOVO 2) Brunacius 298.
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Bruno, Giordano Filippo 1548 – 1600, aus Nola (Italien). Dominikaner, Piester, Theologe, früh unter Ketzereiverdacht wegen dogmatischer Zweifel, Wanderleben von der Schweiz bis England. 1592 bei der Inquisition in Venedig angezeigt, nach acht Jahren Verhör und Folter 1600 am Campo dei Fiori, Rom, auf dem Scheiterhaufen verbrannt, ohne zu widerrufen. Gegen die Scholastik setzt er die quantitative und qualitative Unendlichkeit der Welt und eine organisch-lebendiges Universum, in dem jeder Teil – nicht nur den Mensch – beseelt sei und Gott partiell als Natur erkennen lasse. Gedichte, Schauspiele, Schriften u. a. zur Gedächtniskunst; 1584 »De la causa, principio e uno« und »De l’infinito, universo e mondi«, 1586 »De magia« und 1591 »De monade, numero et figura« sowie sechs Bücher »De immenso et innumerabilibus«. (BBK) Jordanus Brunus 106. Bruno, Johannes fiktiver Nachfahre von Giordano Bruno, Gestalt aus der »Suite de Comte de Gabalis« von Villars. 106. Bückeburg s. Sophie Burhurs s. Bouhours Burnet, Thomas Der Engländer Thomas Burnett (1659/61 – 1727) aus Yorkshire trat 1681 im belgisch-englischen Kolleg von St. Omer dem Jesuitenorden bei; weitere Ausbildung in Watten, Lüttich, St. Michael. 1694 – 1727 sesshaft in Broughton Hall, zuletzt mehrere Jahre Superior des Ordenshauses St. Michael. Allfällige Publikationen B.s wurden nicht ermittelt, ebenso nichts über eine eventuelle Bekanntschaft mit Leibniz. Assoziationen Leibniz’ mit prominenten Namensträgern wie dem anglikanischen Theologen und Naturphilosophen T. B. (1635 – 1715, »Telluris Theoria Sacra« mit der These von der Erdformation durch gewaltige Wassereruptionen bei der Sintflut) oder auch dem »schottischen Edelmann«° T. Burnett of Kemney (gest. 1729), einem engeren Bekannten Leibniz’ aus diesen Jahren, mögen im Rätselraten um die Identität des Autors Bonartes eine Rolle gespielt haben. (Holt S. 48; °Aiton S. 319; AA Korrespondenzverzeichnis) Burnetus 97. Cabeo, Niccolo 1586 – 1650, ital. Philosoph, Mathematiker, Jesuit. Ausbildung am Kolleg zu Parma in Mathematik, lehrt Philosophie bis 1622. In Modena gefördert vom Grafen Francesco d’Este, Experimente zur Schwerkraft unabhängig von Galilei. Kontakte u. a. auch zu Mersenne
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in Rom. 1629 »Philosophia magnetica« nach zwölfjähriger Arbeit. Das als Aristoteles-Kommentar angelegte, stark beachtete Hauptwerk einer »Philosophia experimentalis« erschien vierbändig 1646 in Rom: »In quatuor libros Meteorologicorum Aristotelis commentaria et quaestiones«. C. beschloss seine Laufbahn als Mathematikprofessor am Jesuitenkolleg in Genua. (DBI 15/1972; IBN 30, 1983) Cabaeus 232. Caesar, Johannes (eigentlich Johannes Fabricius) Prämonstratenser, geb. vor 1600 in Gladbach, gest. 1657 in Geilenkirchen. Kanoniker in Knechtstadt nahe Köln, später Prior im Adelshaus Scheda, Sacellan des Nonnenklosters St. Katharina in Dortmund. C. erstellte Verzeichnisse der Pröbste von Scheda und Weddinghausen sowie der Priores von St. Katharina und verfasste Schriften zur Geschichte dieses Klosters. Diese Arbeiten blieben unveröffentlicht, verzeichnet ist C.s Herausgabe von »Martini Poloni Chronicon, ex vetustissimo et scriptori pene coaetaneo Mss. summa fide expressum«, Köln 1616 – ein Text, der die sonst bei Martinus Polonus kolportierte Erwähnung der Päpstin Johanna ausdrücklich nicht enthält. (Jöcher Ergbd. 2, DBA nach Jöcher Ergbd. 1) 170. Calixt, Georg 1586 – 1656, lutherischer Geistlicher, Theologieprofessor in Helmstedt, der auf Basis der Konzilsbeschlüsse der ersten 5 Jahrhunderte eine Versöhnung der christlichen Kirchen anstrebte. Das zu diesem Zweck 1645 vom polnischen König mit abendländischer Dimension veranstaltete Religionsgespräch in Thorn scheiterte. Strenge Lutheraner erhoben gegen C. den Vorwurf des Kryptokatholizismus. Eine ähnliche Haltung wie C. nahm sein Sohn Friedrich Ulrich C. (1622 – 1701) ein. Außer Werken wie »Apparatus theologicus sive introductio in studium et disciplinam theologiae« (Helmstedt 1628) und »De vera Christianae Religione et Ecclesia« (1633) verfasste C. viele Streitschriften, darunter »De Arte nova Tractatus contra Nihusium« gegen seinen ehemaligen Schülers Nihus, Frankfurt 1642. (Goldenbaum; BBK; Georgi) Calixtus 166. Calvin (Cauvin), Jean 1509 – 1564, Reformator aus der Picardie. Streng scholastisch-katholische Klerikerausbildung und Theologiestudium in Paris, 1528 Wechsel zur Jurisprudenz; zugleich humanistische Studien und Verkehr mit Humanisten. Wegen Scholastikkritik Einschreiten der
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Sorbonne, Flucht unter Decknamen. 1533/34 offizielle Glaubensumkehr zum Protestantismus, darauf über Straßburg nach Basel, 1535 als Protest gegen blutige frz. Reformationsverfolgung »Institutio religionis Christianae« (letzte Fassung 1559). Aufenthalt bei den Reformierten in Genf, Predigten, 1537 Katechismus zur Verpflichtung der Genfer Bürger auf reformierte Kirchenzucht, Unterricht und Glaubensbekenntnis, doch wurde C. 1538 vom Genfer Rat vertrieben. In Straßburg Heirat, Kontakt zur deutschen Reformation. 1539 »Responsio ad Sadoleti Epistolam« gegen Kardinal Sadoleto, der alle Protestanten zur Rückkehr in die katholische Kirche einlud. 1541 auf Bitte der Genfer Bürgerschaft abermals nach Genf, Schaffung des institutionellen Codex »Ordonnances ecclésiastiques«, neuerlicher Widerstand und hartes Durchgreifen C.s, 1555 endgültige Durchsetzung. 1545 »Catechismus genevensis« frz.-dt. 1559 Gründung der Genfer Akademie, die unter regem Zulauf aus vielen Ländern bald nach C.s Tod zur vollen Universität mit medizinischer, juristischer und philologischer Fakultät avancierte. Seine theologischen Vorlesungen, enthaltend u. a. die Prädestinationslehre, erschienen in 30 Foliobänden. Calvinus 182, 319. Cambrai Stadt in Nordfrankreich, Bischofssitz seit dem 6. Jh., Erzbistum seit dem 16. Jh. Erzbischof war seit 1695 *Fénelon, vor ihm Jacques Theodore de Brias (1675 bis November 1694), nach ihm Kardinal Jean d’Estrées (1716 bis 1718). (Gams) (Cameracensis) 60, 66 f., 70, 77, 311, 319, 323. Cano, Melchior 1509 – 1560, span. Dominikaner, Bischof (Kanaren, Amt nicht angetreten), Ordensprovinzial. Professor der Philosophie und Theologie in Alcala und Salamanca, scharfer Gegner der Jesuiten, Gutachter am Konzil von Trient und der Inquisition (u. a. gegen Carranza). In der Theologie Schüler der Thomisten Petrus und Dominicus de Soto°. Veröffentlichte die richtungsweisende Fundamentaltheologie »De locis theologicis libri duodecim«, 1563 u. ö. (BBK 1; Walz S. °400, 431, 450, 505) Canus 441. Capetinger Mittelalterliche Herrscherdynastie im Westfrankenreich, benannt nach Hugo Capet, der als König 987 die Karolingerdynastie ablöste; bezeugt seit dem späten 9. Jh. mit Odo von Paris und Robert dem Tapferen (daher auch Robertiner oder Rupertiner Bezeichnung der frühen Generationen), behielten die C. seit Capet bis 1328 die frz.
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Krone. Nach ihnen regierten die Nebenlinien Valois bis 1589, Bourbon bis 1792 sowie 1815 – 1830, und das Haus Orléans bis 1848. Capetini 98. Cardano, Girolamo 1501 – 1576, lombardischer Arzt, Philosoph, Mathematiker, Astrologe; seit 1543 Professor für Medizin in Pavia. (IBN 32) Cardanus 350. Carranza, Bartholomäus 1503 – 1576, Erzbischof von Toledo, span. Dominikaner aus Alcala und Salamanca, bedeutender Thomist neben Cano und Pietro Soto°. Ablehnung des Bischofsamt auf den Kanaren, Inquisitor in den Niederlanden. Als Sprecher am Konzil von Trient (Perioden 1545 – 47 und 1551 – 52) gegen den Primat des positiven Rechts°°. Vom Inquisitor F. Valdez unter Mithilfe des Ordensbruders Cano eingesperrt, starb nach siebzehnjähriger Haft, zuletzt auf der römischen Engelsburg. Die Verfolgung und Indizierung begann mit der Veröffentlichung seines Katechismus 1558 (Comentarios sobre el catecismo Cristiano, Antwerpen), dem die »Summa conciliorum et pontificum« (1546) und eine Reihe von »Kontroversen« (1547) vorausgingen. (BBK 1; Walz, °ebd. S. 448, °°506) Caranza 441. Cartesianer, Cartesius s. Descartes *Castel, Louis-Bertrand 1688 – 1757, Jesuit aus Südfrankreich. Statt in die beabsichtigte Chinamission ging C., auf Anraten Tournemines und anderer, als Lehrer ans Pariser Kolleg Louis-le-Grand (1720). Langjährige Arbeiten und Publikationen zu einem (später so genannten) »optophonetischen« Farbenklavier, darüber Auseinandersetzung mit J. J. Rousseau. Entwurf einer Kosmologie der Schwerkraft: »Traité de la pesanteur universelle«, 1724. Ferner »Géometrie naturelle en dialogues«, 1738 (in einem Sammelband); »L’optique des couleurs«, 1740; »Mathématique universelle«, 1758, außerdem Veröffentlichungen zur Physik Newtons, literarische und philosophische Abhandlungen. Seine Konzeptionen präsentierte und diskutierte C. ausgiebig in Zs., vor allem den Mémoires de Trévoux, die er seit 1720 herausgab. (DBF 7/1954; DLLF sub ›Jésuites‹) 449. Castelgandolfo Schloss nahe Rom, Sommerresidenz der Päpste 183. Castner (Kastner), Caspar alias Pang Jiabin Mu Zhai, Jesuit aus Bayern, geb. 1655, gest. in Peking am 9. November 1709. Erstmals gelangte C.
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als Missionar 1696 nach China. Als Vertreter der Bischöfe von Nanjing und Macao fuhr er mit François Noël 1702 nach Rom und Lissabon, um im chinesischen Ritenstreit die jesuitische Akkomodation zu vermitteln, 1706/07 kehrte er nach China zurück. Schriften zur Ritenfrage, die dem Papst vorgelegt wurden: »Memoriale circa veritatem et substantiam facti itemque circa usum vocum Tien et Xan-ti«, Rom 1703 (mit F. Noël); »Memoriale et Summarium novissimorum testimoniorum sinensium«, Rom 1704; »Responsio ad libros nuper editos super controversiis sinensibus«, 1704; außerdem »Historica relatio controversiae de ritibus aliquot sinicis«, München 1705. Er war an der Kartographierung des chinesischen Reiches beteiligt, gab navigatorische und geographische Ratschläge für Macao an die Portugiesen, wurde Vorsitzender des mathematischen Amtes in Peking und Lehrer des kaiserlichen Thronfolgers°. (CE; Pfister; Dehergne; Reil S. 100; °Duhr III, 354) 205, 262. Causa Quesnelliana s. Quesnel Cebu (Cebut) gelegen auf den Philippinen, war wie Nueva Segovia (NeuSegovia) seit 1595 katholisches Bistum, alias »Nominis Jesu«. Unter Urban VIII. amtierte der Augustiner Eremit *Petrus de Arce als Bischof, und zwar von 1612 – 1660 (oder 1613 – 1642)°; er richtete 1635 gemeinsam mit dem Erzbischof von Manila ein Schreiben an den Papst, in dem sie die jesuitische Nachsicht gegenüber chinesischen Kulten als Idolatrie und Aberglauben denunzierten; 1637 widerrief jedoch de Arce dies in einem weiteren Schreiben als Fehlinformation.°° (HC 4; Gams; °Biermann S. 64; °°DTC 2 Sp. 2369) (Zebutensis) 193. Celtis, Konrad Protucius 1449 – 1508, alias Bickel, dt. Humanist. Flucht mit einem Rheinfloß vom familiären Weingut, Wanderschaft, fertiges Studium der Artes in Köln und Heidelberg, studierte weiter u. a. an der platonischen Akademie in Rom, gründete nach italienischem Vorbild wissenschaftliche Gesellschaften (Sodalitäten) in Krakau, Ungarn, Wien und Heidelberg. Nach einer Professur u. a. in Ingolstadt von Kaiser Maximilian I. 1497 an die Universität Wien berufen, wo er Rhetorik und Dichtung unterrichtete und das »Collegium poetarum et mathematicorum« leitete. C. verfasste lateinische Lyrik (1487 von Kaiser Friedrich III. zum Dichter gekrönt) nach Vorbild von Horaz und Ovid sowie lateinische Festspiele und edierte alte literarische Texte, die er
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teils selbst auffand, so die Werke Roswithas von Gandersheim, Nürnberg 1501. (Die deutsche Literatur Bd. 3; BBK; ADB: Roswitha) Conradus Celta 105. *Ceva, Tommaso s. Reflexiones supra modernam Chaize (Chaise) d’Aix, François de la, alias Hedraeus (lat. hedra, frz. chaize: der Stuhl°) 1624 – 1709, Jesuit, Provinzial von Lyon, seit 1675 Beichtvater von Ludwig XIV. in Paris, Numismatiker. Befürworter der Eigenständigkeit der frz. Kirche unter dem König gegenüber Rom (nachmals »Gallikanismus«), was auch die These vom kirchlichen Primat der Konzile über den Papst implizierte. Lehnte gewaltsames Einschreiten gegen Jansenisten ebenso ab wie das antiprotestantische Edikt von Fontainbleau von 1685. Die Zerstörung des Jansenistenklosters Port Royal erfolgte bezeichnenderweise erst nach C.s Tod. Sein Nachfolger als Beichtvater des Königs war der Jesuit Le Tellier°°. (Schreibung »Chaize« nach DBF; Frémont und deutschspr. Quellen: »Chaise«; °Nesselbeck-Reinbothe in: Leibniz: Das Neueste von China, S. 51 Anm. 35; IBN; Widmaier; DBF 18/1994; °° HKG 5 S. 149) Chaesius 107, 109. Challes, Chasles, Chalester s. Dechales China, chinesisch Sina, Sinensis 126, 131, 133 f., 139, 143–152, 156, 160, 163, 168 f., 173–176, 178 ff., 183, 187 ff., 193 f., 200, 204 f., 209, 231, 237 f., 243, 245, 262, 292, 294 f., 304, 308, 326, 339 ff., 346, 359, 410, 434. Chinamission: Schriften ohne Verfasserangaben (Orthographie nicht normalisiert) Protestation des Jesuites sur les ceremonies de la Chine (Öffentliche Erklärung der Jesuiten wegen der Zeremonien in China) – bezieht sich allem Anschein nach auf: »Protestation des Jésuites à l’occasion du dernier Décret sur les affaires de la Chine. Avec des reflexions sur la Protestation de Messieurs des Missions étrangères«, o.O., o.J., ein 132seitiges Kleinformat (SOVO 11, Sp. 1283) Reponse à la Protestation de Messieurs du Seminaire des Missions etrangeres. (Antwort auf die offene Erklärung der Herren des Seminars der ausländischen Missionen) »Réponse de Messieurs du Mission-Etrangères à la Protestation et aux réflexions des Jésuites«, ohne Autoren- und Ortsangabe 1710, in zweiter Auflage 1711 erschienen. (Archivesmep »Brisacier«; BCW; SOVO 11 Sp. 1283)
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Lettre à un Prelat sur un ecrit intitulé: Lettre de Mr. le Cardinal de Tournon à Mr. Maigrot (Brief an einen Prälaten über eine Schrift mit dem Titel: Brief des Herrn Kardinal de Tournon an Herrn Maigrot). — Tournon hatte am 6. Oktober 1706 in China einen Trostbrief an den, auf Befehl des chin. Kaisers, bei den Jesuiten internierten Maigrot geschrieben: »Lettre de M. le Cardinal de Tournon à M. l’évêque de Conon«; ähnliche Schreiben ergingen mit der Datierung Macao le 7. janvier 1708; 7. décembre 1709 (gedruckt in den »Anecdotes sur l’etat de la Religion« II, S. 331 und 338); darauf bezieht sich »Lettre à un Prélat sur un écrit intitulé: Lettre de M. le Cardinal de Tournon, patriarche d’Antioche, etc., à Mr. Maigrot èvêque de Conon, etc.«, eine Oktav-Broschüre von 33 S., anonym, ohne Jahresund Ortsangabe erschienen°. (Archivesmep: Maigrot; °HBZ online; www.bell.lib.umn.edu/cat/bib_r.html) Lettre à Messieurs du Seminaire des Missions Etrangeres sur ce qu’ils accusent les Jesuites de ne s’etre pas soumis sincerement au nouveau decret touchant les affaires de la Chine (Brief an die Herren des Seminars der ausländischen Missionen, dass sie die Jesuiten anklagen, sich nicht aufrichtig dem neuen Dekret, betreffend die Affären von China, unterworfen zu haben) – im Umfang von etwa 200 S. Duodezformat°, erschien anonym, ohne Angabe von Ort und Erscheinungsjahr, gilt als Publikation eines Jesuiten. (SOVO Suppl. 2, Nr. 839; °Archivesmep) Osservazioni sopra la Risposta fatta dal Procuratore del Sig[nore] Cardinal de Tournon a cinque Memoriali de Padre Provana Procuratore de’ Missionarii della Compania di Giesu (Bemerkungen zur Antwort des Prokurators des Herrn Kardinals von Tournon auf fünf Erinnerungsschreiben von Pater Provana, den Prokurator der Missionare der Gesellschaft Jesu) – erschien ohne Ortsangabe gegen 1710 und stammt von dem Erforscher der brasilianischen Kiriri-Sprache, *Lodovico Vicenzo Mamiani della Rovere (1652 – 1730). (NUC) 175. chinesischer Dekalog Nicht verifiziert; vielleicht fälschlich mit der nestorianischen Säule von Xi’an Fu assoziiert. Vgl. Diaz und Kircher. 180, 183. Mémoires pour Rome s.d. Reflexiones super modernam causae Sinensis constitutionem juxta exemplar in Italia impressum in latinum translatae s.d. Supplément des Mémoires pour Rome s.d.
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Ohne Titel: – Bittschrift an Clemens XI., aus dem Ital. fehlerhaft übersetzt und gedruckt – nicht ermittelt. 169 – Buch der Andersdenkenden – nicht ermittelt. 169 – Frz. Apologie der chinesischen Riten – nicht ermittelt, vgl. die Anm. 181 zu S. 169. – Verteidigung der Jesuiten, aus dem Ital. und Frz. ins Lat. übersetzt, um Juni 1710 in Prag gedruckt – nicht ermittelt. Vgl. Anm. 199 zu S. 181. – Geheime Mandate von Clemens XI. an Tournon – nicht ermittelt. 181. Chinesen, alte s. auch Fu Xi, Guan Di, Konfuzius, Shang Di, Shun 144, 340. chinesische Gelehrte Seit Riccis Mission betonte eine Reihe chinesischer Konfuzianer (s. Konfuzius), die teils zum Christentum konvertierten (Chen Liancai, Zhang Ruitu, Xu Zhijiang, Feng Yingjing, Chen Yi, Li Zhizao u. a.), dass der christliche »Gott« mit »Shangdi« bzw. »Tianzhu« (Herr im Himmel) übersetzbar und verträglich sei.° Besonders prominente Apologeten der christlichen Mission waren Xu Guangqi (1562 – 1633; »Memorandum« 1617) und Yang Tingyun (1557 – 1627), die obendrein nicht nur mit dem verlockenden naturwissenschaftlichtechnischen Angebot der Missionare, sondern auch mit Respekt ad hominem argumentierten.°° Li Zhizao (1565 – 1630) hatte in Zusammenarbeit mit seinem Sohn Li Cibin und dem portugiesischen Jesuiten F. Furtado die große jesuitische Sammlung peripatetischer Philosophie, »Commentarii Collegii Conimbricensis SJ« (1592 – 1606), in Teilen auf Chinesisch publiziert, und zwar die Logik und Physik (»Mingli tan«, 1631)°°°, ebenso Furtados Übersetzung von Aristoteles’ »De mundo« und »De coelo« (»Huanyou quan«, 1628)°°°, zu der er eine Einleitung schrieb°°°°; außerdem 6 chin. Bände mit christlich-philosophischen, -theologischen und naturwissenschaftlichen Texten, »Tianxue chuhan (Erste Schriftensammlung über die Lehre des Himmels)«, 1626 in Peking hrsg. – Zu dem mit Übersetzungen aus europäischen Sprachen befassten Segment der chinesischen Gelehrtenwelt gehört auch der Suarez-Übersetzer Zhou Cosma (s. Martini). (EC: Li Zhizao; °Gernet: CC, S. 41 – 49; °°Li 2000, S. 246 f. bzw. 242 – 277 und 173; °°°DHCJ 2, S. 1544; °°°°Li 2000 S. 591 Fn. 6.) 145. Chinesischer Monarch s. Kangxi auch: 434.
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Namenregister und literarische Titel mit Erläuterungen
Christoph Bernhard s. Galen Christus 68, 77, 101 f., 156, 159, 168, 173, 181, 185, 187, 230, 234, 241 f., 248, 259 f., 265 f., 271 f., 276, 279–282, 288 f., 301, 334 f., 355, 414, 416, 420, 422, 425, 435, 438 f. Chrodegang C., der Hl., war von 742 – 766 Bischof von Metz (wahrscheinlich Erzbischof). Erzogen im Palast Karl Martells, ausgezeichnet durch körperliche Schönheit und geistige Vorzüge, führte im fränkischen Reich unter Pippin ein gewichtiges Wort bei Reichstagen und Konzilien. Durch umfassende Aktivitäten (Förderung römischer Gesänge und Bräuche, Einführung der benediktinischen Ordensregel im Domkapitel, Beschaffung von Reliquien, Klostergründungen, Kirchenbau) übernahm er für Franken die Rolle von Bonifatius, dem 754 verstorbenen päpstlichen Gesandten. Persönlich holte C. aus Rom den Papst, Stephan, gegen den Langobardenkönig zu Hilfe und erreichte damit den Titel »Schutzherr der Römer« für den Frankenkönig. C.s älteste Vita stammt von Paulus Diaconus, dem Benediktiner am Hof Karls des Großen (um 720 – 800), in den Gesta Episcoporum Metensium; eine weitere (»Vita Chrodegangi episcopi«) von Johannes, Abt von Görz. – Ein anderer Chrodegang, Bischof von Seez im 8. Jh., wurde auf der Wallfahrt nach Rom ermordet. (ADB 4; Stadler; Wimmer-Melzer; DHGE 12; Monumenta Germaniae Historica Script. X, 522 od. 552) Chrodegangus 79. Chrysostomos, Johannes 345/47 – 407, aus Syrien stammender Bischof von Konstantinopel (seit 397), großer Prediger, Kirchenvater, starb in Armenien. Studium bei dem »sophistischen« Philosophen und Rhetor Libanios in Antiochien, 368 getauft, Theologiestudien bei Diodor von Tarsos (gegen allegorische Schriftauslegung). Gegenspieler des Theophilos von Alexandrien, gegen den C. den 399 verdammten Origenes und dessen Schüler in Schutz nahm. Wegen Nichterscheinens am Konzil von Chalkedon wurde C. 403 nach Bithynien, 404 nach Armenien verbannt. Ein von Rom (Bischof und Kaiser) vorgeschlagenes ökumenisches Konzil, das vermitteln sollte, wurde von Kaiser Arkadios abgelehnt, was den ersten offenen Bruch zwischen römischer Kirche und byzantinischer bzw. alexandrinischer bedeutete. Die Gebeine von C. wurden rund 30 Jahre nach seinem Tod feierlich in Konstantinopel beigesetzt, C. selbst heilig gesprochen. (BBK) Chrysostomus 114. Chum-ti s. Guan Di
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Clavius (Klau), Christoph 1537 – 1612, deutscher Jesuit aus Bamberg, tätig in Rom, Studienaufenthalt in Coimbra, Mathematiklehrer, von Papst Gregor XIII. zur Kalenderreform herangezogen. Gegner von Kopernikus, insbesondere in Bezug auf gleichzeitige unterschiedliche Erdbewegungen; er untersuchte u. a., zu welcher Jahreszeit Gott die Welt erschuf. Seine »Opera mathematica« erschienen 1612 in 5 Bdn. (ADB 4/1876; SOVO 2; DHGE 12) 350. Clemens VIII. 1536 – 1605, Papst seit 1592. Als Ippolito Aldobrandini in Florenz geboren, schloss sich als Papst der Liga gegen Frankreichs König Heinrich IV. an, mit dem Effekt, dass dieser ein zweites Mal dem Katholizismus beitrat. C. duldete das Edikt von Nantes 1598, mit dem Heinrich IV. die Hugenotten beschränkt gewähren ließ, dafür 1603 den im Jahr 1594 vertriebenen Jesuitenorden wieder ins Land holte. C. setzte 1592 die »Congregatio de auxiliis gratiae« ein, um den Streit zwischen Dominikanern und Jesuiten über Freiheit und Gnade zu prüfen und zu schlichten (siehe auch Molina und Bay). 1592 erfolgte C.s Erstausgabe der Vulgata, 1596 die Neuausgabe des »Index der verbotenen Bücher«. (BBK) 59. Clemens XI. (Giovanni Francesco Albani) 1649 – 1721, Jurist und Altphilologe, Papst seit 1700. C. erließ am 16. Juli 1705 die Bulle »Vineam Domini Sabaoth« gegen die Jansenisten, exkommunizierte 1707 die Nonnen von Port Royal des Champs, welche sich der Bulle nur mit Vorbehalt angeschlossen hatten, ließ 1709 dieses Kloster räumen und danach abreißen. Am 8. September 1713 verurteilte C. mit der Bulle Unigenitus Dei Filius 101 Sätze aus dem »Neuen Testament« von Quesnel samt den enthaltenen Augustinuszitaten. Dieser entscheidende Schlag gegen die Jansenisten wurde von König Ludwig XIV., dem Parlament, den meisten Bischöfen und der Sorbonne unterstützt (»Akzeptanten«); zu den Gegnern zählten neben den Jansenisten immer mehr Universitäten, die 1717 ein allgemeines Konzil forderten (»Appellanten«), jedoch 1718 exkommuniziert wurden. — In der chinesischen Missionsfrage stellte sich C. auf die Seite der Dominikaner gegen die anpassungsfreundlichen Jesuiten, was er 1704 mit einem Erlass gegen die chinesischen Riten (»Cum Deus optimus«)° bestätigte. Während der misslungenen Mission seines Sonderlegaten Tournon sandte er am 2. März 1709 direkt an Kangxi einen scheinbar konzilianteren Brief
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zur Ritenfrage (150f.) (eingetroffen in Peking im Oktober 1712)°°; jedoch erging am 25. September 1710 eine Bestätigung des tournonschen Dekrets (von 1707): Decretum Sancti Officii feria V. in causa Rituum seu Ceremoniarum Sinensium (vgl. 204)°°°. Die erste Bulle (von 1704) wurde sodann mit dem Breve »Ex illa die« am 19. März 1715 erneuert – in Peking am 3. November 1716 bekannt gegeben°°°°. — Europapolitisch widersetzte C. sich gelegentlich dem Kaiser und dem brandenburgischen Kurfürsten (keine Anerkennung des Königstitels), 1708 wurde unter ihm das Fest der »Conceptio immaculata« gesamtkatholisch eingeführt. (BBK; Cottret; °Li 2000, S. 20; °°DTC 2 Sp. 2380, °°°ebd. sowie SOVO 12 Sp. 1282 Nr. 186, auch Collani 1988, S. 161; °°°°Dehergne S. 337) »Pontifex (maximus)« *31, 60, *126, *134, *150, *169, *174, 180, *194, *203, *209, *238, *245, *339, *410, *415. Cloppenburg, Johannes gest. 1696, dt. Jesuit, Historiker, gab u. a. in Neuhaus Werke des westfälischen Geschichtsschreibers Schaten heraus: 1690 dessen »Historia Westphaliae«, 1693 den ersten Teil der »Annales Paderbornenes«. (AA I·5, S. 658 und 703) Cloppenburgius, Cloppemburgius 219, 223, 312. Cochenheim, Ernst gest. 1719. Ratgeber der Fürstbischöfe von Münster, Friedrich Christian von Plettenberg (zwischen 1694 und 1699) und Franz Arnolf von Wolff-Metternich (1706 – 19). Seine »Relationes Cochenheim« werden im Staatsarchiv Münster aufbewahrt. Leibniz erwähnt C. bereits in den »Novissima Sinica«, zu denen C. Beiträge vermittelt hatte (vgl. 152). Ob C. der Autor der anonymen Abbé-SaintPierre-Übersetzung »Politischer Discurs von der Polysynodie«, Frankfurt 1720, ist, muss offen bleiben; eine deutsche Version des Projekts zum ewigen Frieden wurde nicht ermittelt. (Leibniz · Novissima Sinica S. 30, 61; AA Korrespondenzverzeichnis; NUC) 152, 340, 359. Coislin, Henri-Charles du Cambout de 1664 – 1732, ein Neffe des Kardinals Pierre du Cambout de Coislin, wurde Bischof von Metz im Jahr 1697; 1710 Mitglied der Académie française. Er veröffentlichte das »Rituale Metense« (1713) und den Katalog zu seiner »Bibliotheca Coisliniana«. Bei Erscheinen der Konstitution Unigenitus stellte er sich 1714 mit der Schrift »Mandement et instruction pastorale de monseigneur l’evêque de Metz, pour la publication de N. S. P. le pape, du 8. septembre 1713. Avec l’Arrest du conseil d’État du roi qui supprime ce Mendement
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et un avertissement sur ces deux pieces«,° erschienen ohne Ortsangabe in Paris, auf die Seite der Jansenisten (mit Kardinal Noailles). — Im vorliegenden Briefwechsel wird C. von Leibniz (am 6. 1. 1712) irrtümlich als »Meldensis Episcopus«, Bischof von Meaux, angesprochen. (DBF 9; ° NUC 114, S. 393) Henricus Coaslinus 218. Collegium Germanicum Zweitältestes Jesuitenkolleg in Rom (nach dem Collegium Capranicum), gegründet unter Papst Julius III. von Ignatius von Loyola und Kardinal Giovanni Morone. 1552 wurden die ersten Studenten aufgenommen (in roten Talaren – »gamberi cotti«, »gekochte Hummer«). Schwerpunkt: Philosophie und Theologie, die Kurse fanden aber am Collegium Romanum statt; seit Bellarmin wurden dafür am C. G. Kontroverstheologie und kanonisches Recht vorgetragen. 1580 wurde das Collegium Hungaricum angeschlossen (Germanico-hungaricum). Mehrere Ortswechsel erfolgten schon im 16. Jh.; die Zahl der Studenten lag zwischen 50 und 150. Erst im Lauf des 18. Jh.s wurde das Collegium zusehends aristokratisch. (CE) 34, 185, 245, *414. Collegium Romanum 1551 von Ignatius von Loyola gegründetes Jesuitenkolleg in Rom, vom Papst gegen 1580 zum Zentrum der kirchlichen Philosophie- und Theologieausbildung bestimmt. (Denzler /Andresen) 113, 179, 184, 255. Comachienses Mit den »Comachienses« spricht Leibniz Muratoris Piena esposizione di diritti imp[eriale] ed Estensi sopra la cittá di Comacchio an, das 1712 o.O. erschien°. Im Zuge des spanischen Erbfolgekrieges (Karl III. vs. Philipp V.) begannen 1701 zwischen Kaiser und Papst kriegerische Auseinandersetzungen, insbesondere um das dem Kirchenstaat benachbarte Königreich Neapel, das die Kaiserlichen im Frühjahr 1707 eroberten. Die auf dem Territorium des Kirchenstaats gelegene Küsten- und Salzstadt Comacchio wurde im Frühjahr 1708 besetzt, der im Herbst anhebende päpstliche Widerstand im Jänner 1709 gebrochen, Papst Clemens XI. zur Anerkennung Karls III. als legitimen spanischen Königs gezwungen. Über die »Affäre von Comacchio« erschien im April 1709 Leibniz’ Extrait de deux Livres Italiens … in den Nouvelles de la République des Lettres, im Mai darauf in den Acta Eruditorum die lateinische Rezension zu »Il dominio temporale …« von Fontanini und zu Muratoris Replik darauf (»Osservazioni sopra un lettera …«; beides 1708); man debattierte vor allem den Herrschaftsan-
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spruch des Hauses d’Este (s. Modena) über Comacchio. (Chronik S. 214; HKG 5 S. 147 f.; Ravier; °UBW Bandkatalog). 358. Comte de Gabalis (Roman) s. Villars Conon (Comanen, Comana, Cononen) Titularbistum in Kleinasien an der Schwarzmeerküste (Pontus Polemoniacus). Bischofsmetropole war bis 1397 Neucaesarea; als Titularbischof von C. amtierte seit 1696 Maigrot. Ein anderes Bistum namens C. befand sich in der Nachbarprovinz Armenia Secunda. (DTC 13; HC; Kl. Stowasser IV; vgl. auch VE I·20 S. 349) 194. Consbruch, Friedrich 1665 – 1723, aus Bielefeld stammender Jesuit, zunächst in Münster und (ab 1699) Osnabrück, war von 1708 bis 1711 Rektor des Jesuitenhauses Geist bei Paderborn und seit August 1713° bis zu seinem Tod 1723 Beichtvater der Gattin Kaiser Karls VI., Elisabeth Christina, in Wien. (Duhr IV·1, 83; IV·2, 437; CGA; °Brief Nr. 108: Des Bosses 8. 8. 1713; Frémont: »Consbruck«) Consbruchius 296, 299. Cornelius Erster nichtjüdischer Christ nach dem Neuen Testament, Apostelgeschichte 10, im 1. Jh. n. C. Hauptmann in der römischen Garnison zu Cäsarea an der Küste vor Samarien (zwischen htg. Haifa und Tel Aviv). Nach einer Engelsvision lässt der »gerechte und gottesfürchtige« Römer C. Simon Petrus vorladen, der seinerseits von der Vision bedrängt war, vermeintlich Unreines essen zu müssen. Aufgrund des göttlichen Spruchs »Kein Mensch ist unrein« bricht Petrus mit dem Verbot des Verkehrs zwischen Juden und Nichtjuden und tauft C. 113. Cranganor (Angamale) Stadt in Indien, in deren Nähe nach alter Sage der Apostel Thomas 52 n. C. sieben Kirchen gegründet haben soll; Kirchengemeinde der »Christen des hl. Thomas«. Von den Portugiesen 1523 erobert, entstand bald eine franziskanische, darauf auch jesuitische Mission. 1600, nach dem Tod des letzten nestorianischen Bischofs, Vereinigung mit Rom: seither katholisches Episkopat, ab 1605 im Rang eines Erzbistums. Bischof war 1641 – 1659 der Jesuit Francisco Garcia (geb. 1580, seit 1602 in Indien, Philosophie- und Theologielehrer in Cochin und Goa, Provinzial von Goa), der zuvor das Bischofsamt in Ascalon innehatte. Nach mehrjähriger Vakanz, während der sich holländische Calvinisten ansiedelten und diverse Bischofsernennungen von Rom
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verweigert wurden, übernahm 1701 Joannes Ribeiro, auch er Jesuit, bis 1716 den Bischofsstuhl. (SEEC S. 116; DHGE) Granganor 337. Cunibert, Quirinus 1661 – 1733, Jesuit aus Belgien, legte nach Studien in Trier und Coesfeld 1694 in Hildesheim die Ordensgelübde ab; tätig im frühen 18. Jh. als Mathematiker in Paderborn. Gestorben in Münster. — Die von Des Bosses (gemäß Gerhardt) gebrauchte Namensform »Quirorius« scheint nicht zuzutreffen. (PIBA 1; vgl. auch den Brief von Driesch an Leibniz vom 12. Juni 1715, D·5, 432.) Quirorius Cunibertus 64, 271 Daillé (Dallaeus), Jean 1594 – 1670, reformierter frz. Theologe. Studium der Philosophie und Theologie, Hauslehrer in halb Europa, seit 1626 Prediger der Pariser Hugenottengemeinde zu Charenton, 1659 Präsident der letzten hugenottischen Nationalsynode (Loudun). Seine Schriften gelten vor allem der Kirchen- und Dogmengeschichte: »Traité de l’employ des Saints Pères pour le jugement des différends qui sont aujourd’huy en la religion«, Genf 1632 (lat. 1636 u. ö.); »Apologie des Eglises réformées où est monstré la necessité de leur séparation«, Charenton 1633, 1641 (engl. 1653; lat. 1652, 1677); »De pseudepigraphis apostolicis seu libris octo Constitutionum apostolicarum apocryphis«, 1653; »De scriptis quae sub Dionysii Areopagita et Sancti Ignatii Antiochenii nominibus circumferuntur«, Genf 1666. (BBK) Dallaeus 166. Daniel, Gabriel 1649 – 1728, frz. Jesuit in Paris, als »Historiograph Frankreichs« von Ludwig XIV. mit einer Pension von 2000 Livres dotiert. Seine Histoire de France depuis l’etablissement de la monarchie françoise dans les Gaules (99, 231) erschien mit dem ersten Band 1696, vollständig 1713 (3 Bde.) u. ö. Darüber hinaus veröffentlichte D. Voyage du monde de Descartes (»Reise durch die Welt von Descartes«, Paris 1690 °° – eine utopische Seelenfahrt vom menschlichen Leib zur Mondkugel) (71, 181) und viele Schriften zum Gnadenstreit: Réponse aux lettres provinciales de Louis de Montalte ou Entretiens de Cléandre et d’Eudoxe (71), Rouen (angegeben: »Köln«) 1696, erstmals erschienen 1694 u. d. T. »Entretiens de Cleandre et d’Eudoxe sur les lettres au Provincial«°°, erfuhr zahlreiche Auflagen und Übersetzungen und war wie auch andere Texte von D. auf Pascal gemünzt; eine Reihe von 10 Briefen an den Sorbonner Dominikanerpater Noël Alexandre (1696 ff.); »Traité théologique touchant l’efficacité de la grâce«
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(2 Bde. 1705 – 06), sowie Dissertation théologique sur cet axiome de S. Augustin: Quod amplius nos delectat, secundum id operemur necesse est, die samt einer – von Des Bosses erwähnten – Fortsetzung über moralische Notwendigkeit und moralisches Vermögen in Bezug auf gute Werke 1714 erschien (311); ferner die an die Verantwortlichen der »Missions Etrangères« adressierte Histoire apologétique de la Conduite des Jesuites de la Chine (Paris 1700, gemeinsam mit Louis Bourdalouse°°°) (193). Vermutlich war D. auch der Autor des von Des Bosses ins Lateinische übersetzten antijansenistischen Buches Lettres d’un Abbé à un Evêque ou l’on démontre l’equité de la Constitution Unigenitus etc. et qui peuvent servir de Réponse aux libelles qui ont paru contre cette Constitution (330, 341, 347); es erschien rasch in mehreren Ausgaben, zuerst 1714 in Lyon und Paris; die dritte Auflage, schon 1715, führt »P. Lallement« als Autor an, während in anderen D., in einer weiteren »Cl. M. de Aubiqué« genannt ist.°°°° Lallemant wird auch als Verfasser von Le véritable esprit des nouveaux disciples de S. Augustin (s. Registereintrag) (1705 – 06) angesehen, das Des Bosses ebenfalls D. zuschreibt. (SOVO 2, °ebd.; Michaud 10/1855; Frémont 133; °°Vollst. Text in http://visualiseur.bnf.fr; °°°Discours 2002, S. 211 Anm. 68; °°°°CCF) 71, 95, 99, 102, 106, *181, 231, 311, *330, 384, 386. David s. Salomon 307. Dechales, Claude François Millet (auch: Challes, Chasles) 1621 – 1678, frz. Jesuit. Nach Missionstätigkeit in der Türkei Professor für Hydrographie in Marseille, dann für Mathematik und Philosophie am Collegium in Lyon und Turin. Hrsg. der Werke Euklids, publizierte u. a. 1674 den mehrbändigen Cursus seu mundus mathematicus (wieder 1690), an dem vor allem historische Fehler bemängelt wurden, zudem »Principes généraux de la géographie mathématique« (1676). D. verstarb in Turin. (Goldenbaum; GE 13) Deschalius, Chalesius, Chalester 163, 170, 173. Dekalog s. chinesischer Dekalog De l’action de Dieu sur les Creatures. Traité dans lequel on prouve la premotion physique par le raisonnement. Où l’on examine plusieurs questions qui ont rapport à la nature des Esprits et à la grace. (Über das Einwirken Gottes auf die Geschöpfe, Traktat, in dem die praemotio physica durch vernünftige Überlegung bewiesen wird. Worin man
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mehrere Fragen prüft, die mit der Natur der Geister und mit der Gnade zusammenhängen) Autor dieses 1713 in Paris zweibändig, in Lilles und Paris sechsbändig erschienenen Werkes war der Franzose *LaurentFrançois Boursier (1679 – 1749), Sohn eines Arztes, 1706 Doktor der Theologie an der Sorbonne, aus der er wegen seiner Bindung an den Jansenismus 1729 ausgeschlossen wurde. Vor der Polizei floh Boursier in ein Leben im Verborgenen. Zahlreiche anonyme projansenistische Schriften und Redaktionen bischöflicher Rundschreiben. Debatte über das genannte Werk in den Mémoires de Trévoux, März sowie September 1714, Jänner und September 1715, 1717 und schließlich 1733. 1714 brachte B. »Mémoire sur l’amour naturel et sur les œuvres faites sans grâce« als Kritik an Clemens’ XI. Bulle Unigenitus heraus, gegen die er eine Reihe weiterer Schriften, wie auch sonstige polemische Publikationen, folgen ließ; B. war Beiträger zur jansenistischen »Hexapla« (s. Quesnel), insgesamt einer der energischsten und einflussreichsten Jansenisten des 18. Jhs. (DHGE 10/1938) 306, 315, *316. De mente Concilii Tridentini s. Geist des tridentinischen Konzils Demokrit von Abdera (Thrakien) griech. Philosoph gegen 400 v. C., der gegen gewisse Tendenzen der Parmenides-Schule, ähnlich dem Zeitgenossen Leukippos, den Bestand materieller Atome als durch und durch kompakter, unzerlegbarer Seinsbestandteile bei gleichzeitigem Auftreten von Vakuum lehrte. Der Gestalt nach seien die Atome mit einer gewissen Rauigkeit, Häkchen u.ä. ausgestattet, der Größe nach mitunter beträchtlich. In der Ethik empfahl der »heitere« D. eine Förderung der Freude (hedoné), was sein Nachfolger Epikur aufgriff. Die heutige Überlieferung seiner Schriften (Tetralogie) stammt von Thrasyllos aus der ersten Hälfte des 1. Jhs. n. C. (EPW; NPauly 3) 458 f. Derken (Der-Kennis), Ignaz 1598 – 1656, Jesuit aus Antwerpen. D. unterrichtete zunächst Rhetorik, Mathematik und Philosophie, war später Professor für Theologie in Löwen, hier auch Leiter des Jesuitenkollegs, und polemisierte gegen den Jansenismus. Die Abhandlung De Deo uno, trino, creatore erschien 1655; neben zahlreichen »Theses Theologicae« zu verschiedenen Themen wurde auch seine mathematische Schrift »De numero infinito«, als Beitrag in der »Arithmeticae theoria« des Mathematikers Tacquet (1656), publik. (SOVO 2) Ignatius Derkenius 115, 120. 122.
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Des Bosses, Bartholomaeus SJ 1668 – 1738. Bio-bibliographische Daten s. Einleitung CVII–CXIII . (auch:) De Bos 325, 405, 419. Analysis 6. Dissertatio peripatetica de substantia corporea (Peripatetische Abhandlung über die körperliche Substanz) 223, 228. Epistulae Abbatis N. ad episcopum N.…, s. auch Daniel *330, 341, 347. Breviarium philosophicum (Philosophiebrevier) 8, 19, *28, *44, 46. Theodizee-Übersetzung s. Leibniz-Theodizee Descartes, René 1596 – 1650, entscheidender »moderner« Herausforderer der Philosophietradition im Bemühen um Fundierung der Erkenntnis durch eine methodische Vermittlung von Wahrheit und Gewissheit, im Durchgang durch die Skepsis, die Aufnahme und Kritik der Scholastik und in Abwehr des spiritus malignus von der Vernunft (Rationalismus). Cartesius 30, 35, 71 f., 99, 101 f., 221, 249, 331, 454. Cartesianer 4 f., 9, 13, 28, 38, 106, 153, 287, 298, 334. Deschal s. Dechales Des Champs Nicht ermittelt. 189. de Ursis s. Ursis Dez, Jean 1643 – 1712, frz. Jesuit, Professor für Philosophie, Rektor der bischöflichen Universität Straßburg, wo er bis 1712 lehrte. Mehrmals Provinzial verschiedener frz. und belg. Ordensprovinzen: 1708 (vgl. 112) unterbrach er zu diesem Zweck (Provinz Champagne) sein Universitätsamt bis 1711.° Im besonderen Dienst Ludwigs XIV. begleitete er auch dessen Sohn, den Dauphin, als Beichtvater nach Deutschland und Belgien.°° D. widmete sich vor allem der Annäherung von Protestanten und Katholiken. 1685 erschienen anonym die »Articuli irenici sive Articuli fidei praecipui ad unionem utriusque Ecclesiae«, die im römischen Index verzeichnet und dazu von protestantischer Seite aus Deutschland angegriffen wurden. Ein anderer literarischer Vorstoß, La réunion des protestants des Strasbourg à l’Église romaine (1687, mehrere Auflagen), wurde u. a. ins Deutsche übersetzt und von Bossuet ge-
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billigt. In den »Réflexions d’un docteur de Sorbonne« (wieder anonym, 1697) verteidigt D. Fénelon gegen Bossuet. In Auseinandersetzung mit Gerberon (»Lettre d’un ecclésiastique de Flandre à un de ses amis«) entstand schließlich D.s Hauptwerk »La foy des chrétiens et des catholiques justifiée contre les déistes, les juifs, les mahométans, les sociniens et les autres hérétiques«, in dem er die Konformität von Glauben und Vernunft vorstellt (postum 1714). Im Übrigen setzte D. sich für die Toleranz der nichtchristlichen Riten in der Chinamission ein, wozu 1700 in Lüttich, Venedig und Dillingen das Bändchen Ad virum nobilem de Cultu Confucii et primogenitorum apud Sinas (346) erschien. (DBF 11; Koch; Frémont; SOVO 3, °ebd.; °°ESP 18) Johannes Dezius 107, 109, 112, 346. Diarium Gallicum (frz. Journal) 343 – meist Journal des Sçavans oder Memoires de Trévoux; s. Journale Diaz, Emanuel jr. (Manuel Dias o Novo) alias Yang Manuo oder Yan Yan Lou (Yan Xi) 1574 – 1659, portugiesischer Jesuit, 1601 Abreise zur Mission nach Indien. Ab seiner Ankunft in China 1610 unterrichtete D. sechs Jahre lang Theologie in Macao; um 1628 Vizeprovinzial des Missionsgebiets. D. verfasste eine Reihe von chinesischen Schriften zu christlich-theologischen, auch ethischen Themen (etwa über die Weltverachtung) und eine vielbeachtete Übersetzung der berühmten Inschrift an der nestorianischen Stele von Xi’an Fu (vgl. Kircher): »Inscriptio lapidea Si ngan-fou«, 1641. Von ihm stammt auch eine chin. »Darstellung des Dekalogs« (Tien-Chu-Xing-Kiao-Che-Kiai), mit Auflagen 1642, 1659, 1738, 1798°. Er starb in Hangzhou. (SOVO 3 und 10 Sp. 1538; EC church in china; Dehergne; Li 2000; EAC; Pfister; °Discours 2002 S. 193 und 220 Anm. 242) 146. Dietmar (Thietmar) von Merseburg 975 – 1018, Chronist, Bischof. Seit der Kindheit entstellt durch einen Bruch des Nasenknorpels und eine Fistel in der linken Gesichtshälfte. Erster Unterricht bei seiner Muhme Emnilde im Stift Quedlinburg, ab 988 am Johannesstift Merseburg. 991 Eintritt ins Domkapitel. 1009 zum Bischof ernannt, wurde er als Geisel (bei den Normannen) in Kriegsgeschehen verwickelt. 1012 begann D. die Arbeit zum »Chronicon«, das zu einer Reichgeschichte seit Heinrich I. anwuchs; dabei verwendete er erstmals bestimmte Quellen (u. a. Widukind) für ein Geschichtswerk, das auch eine Fülle von Einzelmitteilungen, Träumen oder Wundern enthält. Bevor Leibniz sie als »Dit-
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marus restitutus« in Bd. 1 der Scriptores rerum Brunsvicensium herausgab, wurden die »Chronici libri« 1580 in Frankfurt (Hrsg. Reineccius) und 1667 in Helmstedt (Hrsg. Mader) gedruckt. (ADB 38; AA I·17 – SV S. 789 und 802) Ditmarus 79. *Dionysios Areopagita (Pseudo-Dionysios) 50 Anm. 56. *Dionysius der Kartäuser (van Leeuwis) 1402 – 1471, ndld. Kartäusermönch, Theologe. Kommentator der Bibel, der Patres- und scholastischen sowie spätantiken mystischen Literatur. Distanzierte Kurzfassungen von Thomas von Aquinos »Summa theologiae«. Gegner des Nominalismus, »Doctor exstaticus«. Seine »Opera« erschienen postum 1530 – 40 in Köln. (RGG 2) *203 mit Anm. 228. Dionysius von Werl 1640 – 1709. Theologe, Prediger, Kontroversschriftsteller aus Werl (Westfalen). Studierte nach Eintritt zum Kapuzinerorden während der sechziger Jahre Philosophie und Theologie in Paderborn. 1674 – 80 Theologe und Lektor bei den Kapuzinern am Hof des zum Katholizismus konvertierten Herzogs Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg in Hannover, wo er sich (seit 1687 persönlich) mit Leibniz anfreundete. Seither arbeitete er in Hildesheim – mit Zwischenspiel in Paderborn: hier intensive Beteiligung an den kirchlichen Reunionsgesprächen (1693 – 97, neben Leibniz, Molanus, Rojas y Spinola und Bossuet). Hauptwerk: »Via Pacis inter hominem per Germaniam in Fide dissidentes sive Tractatus irenicus« (1686); polemischer u. a. »Catholischer Ehren-Retter« (1698); »Philauton vindicatus« (1678) gegen den Helmstedter Staatsrechtler H. Conring. (NDB 3; Chronik S. 18 und 80) Dionysius Werlensis 138, 142. Drexel, Jeremias (Drechsel) 1581 – 1638. Jesuit, bairischer Prediger. Bedeutendster aszetischer Schriftsteller Deutschlands im 17. Jahrhundert. Seine Texte (»Zodiacus christianus«, »Heliotropium«) erlebten vor allem seit Erscheinen der gesammelten Werke eine Fülle von Übersetzungen und Auflagen. Repräsentativ ist »Deliciae Gentis Humanae Christus Jesus Nascens, Moriens, Resurgens«, erschienen in 3 Bdn., Antwerpen 1634. (ADB 5, NDB 5) Drexelius 208. van den Driesch, Gerardus Cornelius Geb. in Köln, gest. 1758. Ausbildung bei den Jesuiten in Paderborn. Baldiges Ausscheiden 1715,
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Aufenthalt auf Burg Herten, Hofmeister der Managetischen Stiftung. Historische Interessen und literarische Versuche: Tragödie »Absalon«, Komödie »Prodigus« (beide bis 1715), lebhafter Kontakt zu Leibniz mit Briefwechsel.° D. begleitete 1719/1720 den kaiserlichen Botschafter von Virmondt als Gesandtschaftssekretär nach Konstantinopel.°° D.s »Exercitationes oratoriae, continentes Orationes, Allocutiones, Epistolarum Familiarum Libri XII, Artificialia, Dialogos, Comoedias, Tragoediam, Carmina ac Epigrammata«, Wien 1718, enthalten Briefe an und von Leibniz; zwanzig Schreiben von 1715 – 16 sind abgedruckt im 4. Band von Kortholts Briefausgabe »Leibnitii Epistolae ad diversos« (1742) (weitere Abdrucke bei Dutens°, E. Lukinich u. a.). Weitere Werke D.s: »Exercitationes poeticae«, ca. 1719; »Historia magnae legationis Augustae ad Aulam Ottomanicam«, Wien 1721 – Köln 1722; dass. dt.: »Historische Nachricht von der Römisch Kayserlichen Grossbotschaft nach Constantinopel, welche auf allergnädigsten Befehl Sr. Röm. Kayserlichen und Catholischen Majestät Carl VI. etc. der Reichs-Graf Damian Hugo von Virmondt verrichtet. Worinnen ganz besondere Nachrichten von der Türken Policey, Religion, Griechischen Antiquitäten und anderen merkwürdigen anderswo vorgeblich gesuchten Sachen zu finden«, Nürnberg 1723. (Jöcher Bd. 2 Aufl. 1787; Chronik; Ravier; °Briefwechsel mit Leibniz von Ende Mai 1715 bis Anfang Mai 1716 in D·5, 429 – 443; °°Driesch Cornelius, G.V.D.: ›Historische nachricht […]‹ pp. 84; pp. 102, in http: Serb ethnicity.htm) 326, 342, 347, 349, 360. *Du Halde, Jean-Baptiste 1672 – 1743, Jesuit am Collège de Clermont (Louis le Grand) in Paris, hrsg. der Reihe »Lettres édifiantes et curieuses«. Beichtvater des Herzogs von Orleans. Verfasste Gedichte, Dramen, Berichte zu allerlei Wissenswertem; 1731 »Description géographique, historique, chronologique, politique et physique de l’empire de la Chine« in vier Bdn. (de Certeau 578) 449. Dumas, Hilaire 2. Hälfte 17. Jh. – 1742, frz. Priester mit Doktorat der Theologie an der Sorbonne. Nach Übersetzungsarbeiten (Thomas von Kempen und »Le quiétiste« von Paul Segneri) griff D. ab 1687 in die Jansen-Kontroversen ein, 1699 publizierte er anonym die vielfach aufgelegte Histoire des cinq propositions de Jansénius (»Geschichte der fünf Sätze Jansens«); erst im Streit mit Quesnel bekannte sich D. 1701 zur Autorschaft. »Lettres d’un docteur de Sorbonne à un homme
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de qualité, touchant les hérésies du XVII. siècle« erschienen 1711 – 15. (DBF 12/1970) Dumasius 54, 76. Duns Scotus, Johannes um 1265–1308, »Doctor subtilis« aus Schottland (Duns), Franziskaner. Lehrte in Oxford und Paris die Sentenzen von Petrus Lombardus (»Ordinatio«, um 1300, erschienen 1472). Insbesondere seine Konzeptionen der Metaphysik im kritischen Anschluss an Aristoteles (vgl. auch »Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis«), hier wiederum seine ontologischen Analysen mit Bezug auf Aussagbarkeit des Seienden, wurden von neuzeitlichen Denkern wie F. Suarez, Kant und Peirce fruchtbar rezipiert. (Volpi; Schulthess/ Imbach) 454. Durandus de Sancto Porciano (Durand de St. Pourçain), um 1275 – 1334. »Doctor modernus«, frz. scholastischer Philosoph und Theologe vom Dominikanerorden; Magisterium der Theologie 1312 an der Universität Paris, vom Papst als »lector« nach Avignon berufen, danach Bischof in Limoux, Annecy und seit 1326 in Meaux, wo er starb. Sein Beiname – mitunter auch »Doctor resolutissimus« – geht auf die Haltung zurück, keine Schulautoritäten anzuerkennen; D. vertrat den Nominalismus und bestritt, dass Theologie eine Wissenschaft sei. Seinen bei profunder Thomaskenntnis antithomistischen »Commentarius in IV libros sententiarum P. Lombardi« (gedruckt Paris 1508) musste D. auf Geheiß der Ordensleitung vor der Publikation dreimal überarbeiten; neben kirchenrechtlichen Werken verfasste er u. a. den ungedruckten »Tractatus de statu animarum Sanctorum postquam resolutae sunt a corpore usque ad reunionem cum corporibus in resurrectione«, die »Quaestio de natura cognitionis« und den »Tractatus de habitibus«. — Auf D.s von Des Bosses hier eingespielte Auffassung der eigenständigen Kausalität menschlichen Handelns geht Leibniz auch in Teil 1 und 3 der Theodizee (vor allem §§ 27 und 330) wieder ein. (BBK; Schulthess/ Imbach; HT 1, S. 641 Anm. 130) 6. Eburonen Mit E. sind die Wallonen in Frz.-Belgien angesprochen. Der antike germanische Stamm der E., der zwischen Maas und Rhein an der Nordgrenze Galliens lebte, war von Julius Caesar ausgelöscht worden. (GDEL) 117.
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Eckhart (Eccard), Johann Georg von 1664 – 1730, kam 1694 nach Abwendung von der Theologie aus Leipzig nach Hannover, wo er durch ungewöhnliche Kenntnis seltener Urkunden Leibniz als Gönner gewann. Zur Arbeit an der Welfengeschichte seit 1698 in Leibniz’ Diensten; 1706 Professor für Geschichte an der Universtät Helmstedt. 1714 Hofhistoriograph, 1717 Nachfolger Leibniz’ als Hofbibliothekar von Hannover. 1719 durch Kaiser Karl VI. geadelt, floh er nach Abfassung der »Origines Austriaca« aus Hannover und konvertierte 1724 im Kölner Jesuitenkolleg zum Katholizismus; zuletzt bischöflicher Historiograph in Würzburg. Als Herausgeber führte E. die von 1700 bis 1702 gedruckte Hannoveraner Zs. »Monatlicher Auszug aus allerhand neuherausgegebenen nützlichen und artigen Büchern«, mit vielen anonymen Rezensionen aus Leibniz’ Feder. Neben sprachwissenschaftlichen Publikationen verfasste er 1716 »Herrn von Leibniz’ Lebenslauf«, ursprünglich auf Frz. für die Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans, gab 1717 Leibniz’ »Collectaneae Etymologica, Illustrationi linguarum Veteris Celticae, Germanicae, Gallicae, aliarumque inservientia« und 1729 das Hildebrandslied heraus. (ADB 5; Ravier Nr. 252, 291 u. a.; Chronik S. 158 etc.; AA I·16 Korr.-Verz.) 103, 105. Eleutherius s. Meyer Elisabeth Christine 1691 – 1750, Kaisergattin aus dem Haus Braunschweig-Wolfenbüttel, Enkelin von Anton Ulrich, der sich seit 1703 bemühte, E. mit dem spanischen König Karl III. (seit 1711 dt. Kaiser Karl VI.) von Habsburg zu verheiraten. Nicht zuletzt betreut von Leibniz und synkretistischen protestantischen Theologen wie Calixt oder Molanus (dem Abt von Loccum) konvertierte E. am 1. Mai 1707 zum Katholizismus, wurde am 18. Oktober desselben Jahres mit Karl verlobt und am 23. April 1708 durch Prokuration, am 1. August in persona zu Barcelona verheiratet. Nach ihrer Regentschaft verließ sie 1713 Spanien und begab sich zu ihrem Gemahl nach Linz, am 18. September 1714 wurde sie zur Königin von Ungarn, später auch von Böhmen, gekrönt. Kurz vor ihrem Tod stiftete sie den Elisabeth-Orden für kriegsversehrte und bedürftige hohe Militärs, den ihre Tochter Maria Theresia zum hoch dotierten Elisabeth-Theresien-Orden, ohne Ansehen von Nation und Religion, ausbaute. (Wurzbach 6; ADB 6) Elizabeta 82, *295 f.
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Energumene bezeichnet in spätantik-christlicher, kirchlicher Tradition (im Gefolge von Epheserbrief 2,2) jemand von einem unreinen Geist »Angetriebenen«, unter dessen Einwirkung Stehenden, nahezu ident mit den bereits vorchristlichen Dämonisierten und Besessenen. Die E.n werden auch als Kranke, Gemütsbedrängte qualifiziert und sind Patienten des Exorzismus. (RAC 5/1962) 169. Epikur 342 – 271 v. C., griech. Philosoph aus Samos, Lehrer an verschiedenen Stätten Griechenlands, der ausgehend von Naturphilosophie (Demokrit) und Ethik (Lustlehre Aristipps) im Jahr 306 v. C. die Schulgemeinschaft des »Gartens« in seinem Haus zu Athen gründete. Seine Ethik basiert auf der Bestimmung des Handelns durch Lust bzw. Freude (hedoné), seine Erkenntnislehre ist sensualistisch und greift, vermittelt durch seinen Lehrer Nausiphanes, den Atomismus Demokrits auf. An Schriften hinterließ E., neben Briefen, die »Kyriai doxai« (Hauptlehren) und »Peri physeos« (Über die Natur). (Windelband; NPauly; Volpi) Epicurus 147, 227. Ernst von Hessen-Rheinfels 1623 – 1693, Landgraf und theologischer Schriftsteller, der 1652, im Zuge politischer Streitigkeiten, zum Katholizismus konvertierte und für Toleranz und Reunion eintrat. Dabei pflegte er mit Arnauld, Bossuet, Leibniz, Maimbourg, Spener u. a. Kontakt. Den Gedanken der politischen Vereinigung Europas mittels religiöser Einigung vertrat E. in seiner wichtigsten Schrift »Der so wahrhaffte als gantz auffrichtig- und discret-gesinnte Catholischer · Das ist Tractat oder discursus von Einigen so gantz raisonablen und freyen als auch moderirten Gedancken, Sentimenten, Reflexionen und Concepten über den heutigen Zustand deß Religions-Wesens in der Welt«, die 1666 anonym erschien, gefolgt von einem »Extract« 1673 und dessen lateinischer Übersetzung 1674 – mit der Schrift zum Thema Ewiger Friede meinte Leibniz (340) vermutlich eben den »Discreten Catholischen«. Bereits 1661 veröffentlichte E. »Audiatur et altera pars«, eine Darstellung seiner Konversion; der späte frz. »Discours« über Gewissensfreiheit blieb ungedruckt. E. begründete die Linie Rheinfels-Rotenburg und hatte die Herrschaft Niederkatzenelnbogen mit Burg Rheinfels inne, welche er 1692 gegen einen Ansturm Ludwigs XIV. verteidigte, bei dem 4000 französische Soldaten umkamen. (A. Ritter; BBK; Goldenbaum) Ernestus 112, 340.
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Esparza (Esparsa) Artieda, Martin de 1606 – 1689, span. Jesuit aus der Gegend von Pamplona (Navarra), 1621 Eintritt in den Orden, lehrte Philosophie in Santiago sowie Theologie in Valladolid, Salamanca und Rom »und lebte noch 1676 als Präpositus generalis,« – d.h. als Theologe für den Ordensgeneral J. P. Oliva – »Censor der Bücher, Qualificator der Inquisition und Rath bey der Congregatione Rituum« °. Verfocht gegen den Probabilismus (s. Vazquez) einen »Probabiliorismus« oder »Tutiorismus«. Über 20 Jahre Generalzensor. Er verfasste u. a. »Quaestiones theologicae« (1655) mit einem »Appendix« (1669), einen »Cursus theologicus« (1666), eine lat. Schrift über die unbefleckte Empfängnis Marias, Abhandlungen über moralische Tugenden (1674) und über die Gnade und gab eine Sammlung von Briefen Augustinus’ (1668) heraus. Die Quaestiones de Angelis (45 ff., 50 f.) erschienen im Rahmen einer mehrjährigen umfangreichen Reihe von »Quaestiones disputandae« 1659 in Rom°°. (Jöcher Bd. 2, °ebd.; Zedler; GEE; DHCJ 2; ESP 22: Esparza,°° ebd.) 46 f., 50 f., 55, 113, 115, 118, 122, 260, 314, 405, 442, 444–447. Esprit des nouveaux Disciples de St. Augustin s. Le véritable esprit Estrix, Aegidius (Gilles) 1624 – 1694, belgischer Jesuit, geb. in Mecheln, nach Ordenseintritt Studium der Philosophie in Löwen und Theologie in Rom. Priesterweihe 1657, Lehrer der Philosophie an den belgischen Jesuitenkollegien Antwerpen und Löwen, hier auch Unterricht der Theologie. Zuletzt Provinzial der Ordensprovinz Flämisch-Belgien bis 1687. Mit der »Logistica probabilitatum« (1695) widmete er sich der Mathematisierung der Metaphysik. Die meisten seiner theologischen Schriften, teils unter dem Pseudonym François Simonis oder Wilhelmus Sandaeus, bezogen sich auf das Konzil von Trient und waren polemischen Charakters. (BNB 6; IBN; Baldini S. 730) 314. Eugen von Savoyen (Eugène-François de Savoie-Carignan) 1663 – 1736, Prinz des Herzogtums Savoyen, mütterlicherseits Großneffe von Kardinal Mazarin. 1693 Feldmarschall, 1696 Oberbefehlshaber des siegreichen kaiserlichen Heeres gegen die Türken, weitere militärische Einsätze von Belgrad bis in die Niederlande (1708/09). 1703 Präsident des Hofkriegsrates, führte 1714 die Friedensverhandlungen von Rastatt und Baden. 1714 – 25 Statthalter der Niederlande, Sympathisant der Jansenisten. E. galt als Freund der Wissenschaften und Künste, traf gelegentlich mit Leibniz in Wien zusammen und bekam von diesem im Sommer
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1714 die »Principes de la nature et de la grâce« gewidmet. (NBro; Propyläen WG 7·2, S. 694; Rogiers S. 448 ) Eugenius 311. Euklid ca. 300 v. C., griechischer Mathematiker und Lehrer in Alexandria. Anregungen aus der athenischen Akademie Platons. Hauptwerk »Stoicheia« (Elemente) beruht auf streng »axiomatischer« (wie Proklos es nannte) Methode und begründet Mathematik, Astronomie und Physik auf geometrischer Grundlage (gegenüber arithmetischer der Pythagoreer). Als letzte Krönung des euklidschen Systems gelten Newtons »Principia mathematica«, nichteuklidische Methoden setzten sich (etwa hinsichtlich Relativierung des Parallelenaxioms) seit Beginn des 19. Jhs. durch. (EPW 1/1995) Euclides 350, 409. Eustache de Saint-Paul (Asseline) 1573 – 1640, Studium an der Sorbonne, Eintritt zu den Fuliensern (Feuillanten), einem asketischen Zweig der Zisterzienser; Prior u. a. in Rom, erster Assistent seines Ordens. E. stand auch in Verbindung mit Franz von Sales und geistlichen Frauen verschiedener spiritueller Häuser; vornehmlich in diesem Umkreis entstanden seine Werke. Führender Aristoteliker mit teils scotistischer, anti-thomistischer Akzentuierung, dessen »Summa philosophica quadripartita« (1609 u. ö.) das meistverbreitete lat. Philosophielehrbuch der ersten Hälfte des 17. Jh.s war. Descartes gedachte es parallel mit seinem eigenen Werk kontrastiv herauszugeben. Ferner: »Summa theologiae tripartita« (1613), Schriften zur spirituellen Praktik (»Exercises spirituels contenants méditations très efficaces pour retirer les âmes du péché et à la parfaite union d’amour avec Dieu«, 1630). Das von Leibniz in seiner eigenen Studienzeit (»De Principio Individui«) verwendete Handbuch trug den Titel Breviarium Eustachianum resp. Breviarium Metaphysicum Eustachii de S. Paulo, hrsg. von J. A. Scherzer, Leipzig 1663.° (DBF 13; Ariew S. 387 f.; Wetzer/Welte 4; °Leibniz: De principio individui AA VI·1, S. 15, VI·2 SV Nr. 926) Eustachius a S. Paulo 8. Fabri, Honoré 1607 – 1688, frz. Jesuit (Avignon), Theologe und Mathematiker, Philosophielehrer in Lyon und Arles, später auch der Mathematik. Ab 1646 in Rom Großpoenitarius bei der Inquisition des Hl. Officiums; trat ein für hypothetische Akzeptanz der Kosmologie Kopernikus’ und Galileis und ein figürliches Verständnis der biblischen Genesis, generell für wissenschaftliche Naturbeobachtung nach streng mathematischer
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Methode gegen die Scholastik. Als in der zeitgenössischen Gelehrtenwelt viel diskutierter Naturforscher entdeckte F. 1638 das Faktum der Blutzirkulation (unabhängig von Harvey), 1665 den Andromeda-Nebel. Befreundet mit Leibniz, in Korrespondenz auch mit Descartes, Huygens, Mersenne. Klandestine Rolle im Jansenismus-Streit im Bündnis mit La Chaize; mit seiner konzilianten Haltung, die ein F. zugeschriebener »Brief« um 1669 zum Ausdruck brachte, Einfluss auf Papst Clemens IX. Werke: »Philosophia universa« 1646, deren 2. Teil »Tractatus physicus« 1646, Teil 3 »Metaphysica demonstrativa« 1648; Über den Menschen (154) heißt der zweite der »Tractatus duo, quorum primus est de Plantis et de generatione animalium, posterior de homine«, Paris 1666, wieder Nürnberg 1677, wo F. die Entdeckung des Blutkreislaufs für sich beanspruchte; apologetische Schriften, so die Polemik mit Pascal, dessen Autorschaft an den »Lettres provinciales« F. 1659 enthüllte; »Euphyander« von 1669 – eine Sammlung des zeitgenössischen Wissens – erzielte neun Auflagen; »Apologeticus« in Verteidigung des Probabilismus (s. Vazquez), 1670, brachte F. wegen fehlender Druckerlaubnis einige Tage ins Gefängnis. (DBF 13/1975; Goldenbaum S. 436) Honoratus Fabrius, Honoratius Fabry 7, 11, 154, 331, 431, 439. Faust Im »Abentheuer mit einem Heuwagen« begegnete der betrunkene Faust vor den Toren Gothas einem die Ernte einfahrenden Bauern und forderte ihn auf, »einem vollen Mann« auszuweichen, sonst würde er das ganze Gespann fressen. Der Bauer versetzte: »Friss aus meinem Dreck« und wurde so »verblendet«, dass er zu sehen meinte, wie Faust Heu, Pferde und Wagen verschlang. Er holte den Bürgermeister zu Hilfe, doch als sie zurückkamen, war alles wie vorher. – Die Wolfenbütteler Herzog-August-Bibliothek war im Besitz der Hs. »Historia und Geschichte Doctor Johannis Fausti«, einer auf den Schwarzkünstler Georg Faust (um 1480 – 1540, vermutlich aus Heidelberg, trat in der Gegend von Nürnberg, Erfurt und Ingolstadt auf) zugeschnittenen Anekdotensammlung des 16. Jhs., die in veränderter Form 1587 in Frankfurt als »Historie von D. Johannes Fausten«, erweitert in mehreren Ausgaben bis 1599, gedruckt wurde. (www.sphinx-suche.de/lexmonst/faust/ htm, 23. 11. 2004; kompletter Text der Sammlung samt neuer Übersetzung in: www.faust.odysseetheater.com, 23. 11. 2004) Doctor Faustus 334. *Fénelon, François de Pons de Salignac de la Mothe 1651 – 1715 (gestorben am 7. Jänner), Erzbischof von Cambrai seit August 1695. Erzogen in
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Jesuitenkollegien, Priester 1675, Leiter von Seminaren zur Konversion der Protestanten, deren Verfolgung er ablehnte. Seit 1689 Erzieher der Enkel von Ludwig XIV. Schrieb nach mehreren pädagogischen Arbeiten 1699 den Fürstenspiegel »Die Abenteuer des Telemach«, der die Herrschaft Ludwigs XIV. als Despotie zeichnete und bis 1717 verboten wurde. Als Pädagoge und Ästhet – »le doux Fénelon«, der liebliche F. – Einfluss auf Rousseau, d’Alembert. Verteidigung des Quietismus gegen Bossuet. Auf Betreiben Bossuets und des frz. Königs verbot der Papst, ebenfalls 1699, 23 Sätze aus F.s »Explication des Maximes des Saints sur la vie interieur« (1697), wo F. eine Lanze für die Mystik brach (»reine Liebe«). F. unterwarf sich sofort dem Verbot (vgl. 66). Als Befürworter der Jesuiten, auch in Fragen einer aufgeklärteren Chinamission, bezog er gegen den Jansenismus Position, indem er zwischen 10. 2. 1704 und 20. 4. 1705 vier Hirtenbriefe, beginnend mit Ordonnance et instruction pastorale portant condamnation du Cas de conscience (Liége 1704), und in der Folge weitere Schriften herausgab (60, *66, *70, *77), die das Papstedikt gegen Jansens »fünf Sätze« unterstützten; allerdings könne man im Gewissensfall, »casus conscientiae«, die Gesinnung nicht durch Unterschriftleistung erzwingen. F. anerkannte so die kirchliche Unfehlbarkeit auch in nichtoffenbarten dogmatischen Tatsachen, vorerst in Bezug auf die Gesamtkirche, 1709 in der Lettre sur l’infaillibilité de l’Èglise auch in Bezug auf den Papst persönlich. Der 319 ausführlich benannte Hirtenbrief Instruction Pastorale au Clergé et au peuple de son diocese en forme de dialogues [contre] le systeme de Jansenius (*311) erschien 1714 in Cambrai, 2. Aufl. Cambrai und Paris 1715. (DBF; NCE 5/1967; HT 2 S. 271 f.; NUC; ausführlich: DHGE 16, bes. Sp. 979 – 986; Gams) (Archiepiscopus Cameracensis) 60, 66 f., 70, 77, 311, 319, 323. Feregere, Liberius s. Meyer. — Die von Des Bosses vorgenommene Differenzierung der Namensträger ist nicht belegt. 114. Firodoandus s. Frodoard Flacius, Matthias (Flaccus Illyricus) 1520 – 1575, aus Istrien, humanistisch gebildet in Venedig. Professor für Hebräisch und Theologie in Wittenberg und Jena. Bekämpfte als führender »Gnesiolutheraner« (d. h. »echter«) kompromisslos jede Konzilianz gegenüber den Katholiken, namentlich die Meinung, dass die Protestanten die katholischen Riten ohne Verletzung der Heiligen Schrift übernehmen könnten
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(»Adiaphoristen«, »Interimisten«). Im Laufe der Kontroversen um die politische Koexistenz (»Interims« von Leipzig und Augsburg) vertrat er die Ansicht, dass die Erbsünde nicht Akzidens, sondern Substanz des Menschen sei. Nach Entlassung aus Jena und kämpferischen Auftritten 1566/67 lutherischer Pfarrer in Antwerpen; wegen manichäischer Ketzerei 1573 aus Straßburg verwiesen, starb in einem Frankfurter Kloster. Außer Kontroversschriften (Hauptwerk »De veris et falsis Adiaphoris«, 1549) und der zentralen reformatorischen Hermeneutik »Clavis Scripturae Sacrae« (1567) begründete F. die lutherische Geschichtsschreibung als Hrsg. der bis zum 13. Jh. reichenden »Ecclesiastica Historia« (1559 – 1574). (BBK) Flaccius Illyricus 31. Fo Chinesischer Name für den Buddha (Siddhatta Gautama aus htg. Nepal, um 560 – 480 v. C.), dessen Meditations- und Lehrtradition in China seit etwa 100 n. C. bekannt und in verschiedenen Schulen weiterentwickelt wurde. Die Qualifikation F.s zu einem der drei chinesischen Gesetzgeber erfolgte ab dem 9. Jh. im Konzept der »Drei Lehren« (mit Daoismus und Konfizianismus) und war nicht zuletzt ein neokonfuzianischer Vereinheitlichungsversuch.° Im 17. Jh. wurde der Buddhismus von den westlichen Missionaren (nach anfänglicher Nachahmung) wie auch von chinesischen Neokonfuzianern bekämpft. Vgl. dazu, mit Akzent auf dem gegenständlichen Kontext und generellen Literaturangaben, Li 2000, S. 58 – 79. (außerdem: Geldsetzer / Hong 1991; Gernet CW S. 181 – 198, 133 et pass.; Gautama Buddha: Die vier edlen Wahrheiten S. 19 ff.; °Bauer 1989, S. 301) Foë 145. Fonseca, Francisco Duarte da 1668 – 1738, Jesuit aus Portugal, zuerst Lehrer der Humanfächer, kam im Zuge der Heiratsvermittlung zwischen König João V. und Maria Anna von Österreich in den Jahren 1708, 1715, 1719 – 21 und 1725 nach Wien. 1720 ging er nach Rom. F. war Generalprokurator der Mission für Ostindien und befasste sich generell mit der Asienmission. Er verfasste Hagiographien, Biographien und historische Schriften. (ELBC 8; SOVO; DHGE 17; IBN 73; CGA) P. Fonseca 341, 346, 359. Fonseca, Pedro da 1528 – 1599, portug. Jesuit, führender Repräsentant der Spätscholastik. 1548 Ordenseintritt, 1557 – 61 Universitätsprofessor für Philosophie am Colégio des Artes in Coimbra (Portugal), 1582 – 89 Ordensgeneral von Lissabon, dann Visitator der portugiesischen Or-
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densprovinz. Für die Beurteilung der menschlichen Handlungen Konzeption der »scientia media«, in Auseinandersetzung mit Molina: das Vorherwissen (Präszienz) als Mittelweg zwischen Prädetermination und menschlicher Willensfreiheit. Die Erkenntnis von Einzeldingen führt F. auf die Individuation als letzten inneren Modus eines Einzeldings zurück. In Kooperation mit seinen Schülern (»Conimbricenses«) veröffentlichte F. viele einflussreiche Lehrbücher, so »Institutionum dialecticarum libri octo«, 1564, und vor allem die Reihe »Commentarii Collegii Conimbricensis« zu Aristoteles – die um 1630 auch zur Gänze ins Chinesische übersetzt wurde°, vgl. auch chinesische Gelehrte –, darin 1604 seine eigenen »Commentarii in logicam«; außerdem vier Bände »Commentarii in libros Metaphysicorum«, 1577 – 1612. (Volpi; HT 1, S. 642 Anm. 137; Schulthess-Imbach; °SOVO 2, Sp. 1278, unter Berufung auf A. Kircher: China Illustrata, Vorwort zu Kap. V) 4. Förster, Nicola(u)s 1657 – 1732, aus Erfurt, seit 1680 in Hannover, dort seit 1681 Großbritannischer und Braunschweig-lüneburgischer Hofbuchhändler sowie Verleger des »Monatlichen Auszugs« Eckharts. (DGB II; VE I–20, zu Nr. 151; AA I·16, Korr.-Vz; I·17, S. 754.) Forsterus 105, 160, 179, 196. Foucher, Simon 1644 – 1696, frz. Geistlicher aus Dijon, mit dem Leibniz 1675 in Paris zusammentraf und bis 1696, zuletzt polemisch, in Briefwechsel stand. F.s Interesse galt auf Basis des Cartesianismus der Physik resp. Naturphilosophie und der Philosophie der Antike, insbesondere dem (Neu-)Platonismus und der »akademischen« Skepsis; zentrales Thema war der Begriff der Substanz. Hauptwerk: »Critique de la Recherche de la vérité« (1675, gegen Malebranche); gegen Leibniz veröffentlichte er im Journal des Sçavans u. a. »Objections de M. Foucher, Chanoine de Dijon, contre le nouveau Système de communication des substances dans une lettre à l’auteur de ce système« (12. Sept. 1695). Von Leibniz enthielt die Reihe der Kontroversartikel zwischen 1692 und 1696 vier Texte, beginnend – vgl. unter Leibniz – mit Extrait d’un lettre de M. de Leibniz à M. Foucher. (Wiater; Goldenbaum; Ravier ad Nr. 147; HT 1 Anm. 60) 92. Frodoard von Reims (meist Flodoard, ursprünglich auch Chlodward) 893/94 – 966, verfasste u. a. drei umfangreiche Hexameterpoeme De
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triumphis Christi (abgedruckt in MPL 135), auf die sich Leibniz 218 bezieht. (DBF 14) Frodoardus, Firodoandus 218, 223. Furetière, Antoine 1619 – 1688, geb. in Paris, Studium der Rechte und Theologie. Nach Tonsur Zuwendung zum Salonleben bei Mademoiselle de Scudéry, Abfassung von Lyrik, Satiren, Travestien und Beobachtungen zum zeitgenössichen Sprachgebrauch; 1666 »Roman bourgeois«, weitere belletristische Werke. Bereits 1654 publizierte F. »Essais d’un dictionnaire universel« über das Lexikonprojekt der Académie française, dessen erste Pläne auf das Jahr 1638 zurückgehen; 1662 stieg F. offiziell in das Projekt ein, 1684 erhielt er das königliche Privileg von Ludwig XIV., das Wörterbuch »Dictionnaire de l’Académie« zu veröffentlichen, an dem er über dreißig Jahre, oft mit Verzögerungen und Widerständen seitens der Académie, gearbeitet hatte; erst zwei Jahre nach F.s Tod erschien das Dictionnaire universel in vier Bdn., die Herausgabe besorgte Bayle. Eine dreibändige Folioausgabe »Dictionnaire universel de Furetiére« wurde in Trévoux gedruckt, wie die Mémoires annoncierten°. 1696 wurden die »Furetiriana« publiziert, eine Sammlung von Bonmots, Anekdoten und Gedichten. (DBF 14; °Mémoires de Trévoux Jänner 1705, letzte S.: das »Avis« gibt kein Erscheinungsjahr an.) (Fureterianum Dictionarium) 164. Fürstenberg, Ferdinand von 1626 – 1683, seit 1661 Fürstbischof von Paderborn und, seit 1675, Münster. Ausgebildet bei den Jesuiten, studierte Philosophie und Jus (in Köln), 1655 Kämmerer von Papst Alexander VII. in Rom, Präfekt der römischen Humanistenakademie, päpstlicher Gesandter u. a. in Wien. »Als Bischof vervollständigte er zunächst ernstlich die einschlägigen Sammlungen in den Archiven, Bibliotheken und an den Denkmälern des Landes, um daraus erwachsen zu lassen seine ›Monumenta Paderbornensia‹, eine reife, noch heute saftreiche Frucht seiner poetischen und historischen Begabung zugleich«°. Impulsgeber für die europäische Geschichtsforschung (von Jacob Balde über Hermann Conring bis Vetus Bering). Besondere Bedeutung hatte F. auch als kultureller Förderer – so der Antwerpener »Acta Sanctorum« und, besonders, neulateinischer Dichter –, oft als »weißer Rabe« über die Konfessions- wie Nationalitätsgrenzen hinweg. (ADB 6, °ebd. S. 707; Kühlmann) Fu(e)rstembergius 218, 223.
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Fu Xi Mythischer chinesischer Herrscher des 29. Jhs. v. C., oft mit vier Augen und Schlangenschwanz, gilt ungefähr seit der Zeit der streitenden Reiche (5.– 3. Jh. v. C. – »Buch der Urkunden«, Shujing) als Erfinder der Tierdomestikation, bes. der Rinderzucht, der Fischerei, Metallurgie, Schrift, des Kalenders, von Musikinstrumenten sowie der »ba gua«, der acht Trigramme des Yi Jing (Buchs der Wandlungen), gelegentlich auch der daraus kombinierten 64 Hexagramme (bie-gua), welche sonst dem König Wen (11. Jh. v. C.) zugeschrieben werden. (EAC; Gernet CW; Geldetzer/Hong: Grundlagen; vgl. Anm. 142 d. Hrsg. zu S. 143). Fo-hi, Fohius 143, 145, 148 f. 346. Gabalis s. Villars Galen, Christoph Bernhard von 1606 – 1678, Fürsterzbischof von Münster. Nach Ausbildung in Köln, Mainz, Löwen und Bordeaux Schulmeister des Münsteraner Domherrnkollegs; 1650 trotz Widerständen im Domkapitel zum Bischof gewählt. Seine Amtsführung unter dem Wahlspruch »Pie, iuste, fortiter« war gekennzeichnet durch martialische Expansion des weltlichen, aber auch kirchlichen Machtbereichs; vom Kaiser wurde er mit Regalien und Rechten eines Reichsfürsten belehnt. Engste Ratgeber waren die Jesuiten des örtlichen Kollegs. Aus dem teils bewaffneten Streit zwischen Fürstentum und Stadt, die sich u. a. mit den Niederländern verbündete, ging G. 1661 endgültig als Sieger hervor. 1664 wurde er Mitglied des Reichskriegsrats. Den Katholizismus in Münster hat er auf Dauer durchgesetzt, die Beziehungen zu den Niederlanden stark verschlechtert. Sein Nachfolger wurde Ferdinand von Fürstenberg. (ADB 2) Christophorus Bernardus 219, 224, 236 f. Gamaches, Etienne-Simon de 1672 – 1756, Augustiner-Chorherr in Paris, assoziiertes Mitglied der Académie des Sciences. Publizierte wissenschaftliche Schriften im eleganten Stil zu vielen Bereichen: »Système du mouvement«, 1721, »Système du philosophie chrétien«, 1755; unter dem Pseudonym M. de Clarigny: »Système du cœur«, 1704. (DBF 15) 449. Gassendi, Pierre 1592 – 1655, frz. katholischer Geistlicher, Naturwissenschafter, Philosoph, Professor für Mathematik in Paris, zu seinen Philosophiehörern gehörte der Dichter Molière. Suchte Konzepte des Mechanismus in der atomistischen Tradition Epikurs mit teleologischen (teils scholastischen) Konzepten zu verknüpfen. In der Physik Verteidiger des Vakuums, Kritiker von Schultradition, Aristoteles und Des-
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cartes, welcher G.s – auch den Dogmatismus betreffende – Einwände in den Anhängen zu seinen »Meditationen« publik machte. So wurde G. für Bayle, Locke, Voltaire und andere zum Bahnbrecher des sensualistischen Empirismus des 17. Jhs. Beobachtungen und Experimente in Astronomie (Merkurbahn), Mechanik (Trägheitsprinzip), Akustik (Schallgeschwindigkeit) komplettierten sein nur teilweise erfolgreiches wissenschaftliches Unterfangen. Hauptwerk ist das postume »Syntagma philosophicum« (1658), voraus gingen u. a. »Disquisitio metaphysica« (Amsterdam 1644 u. ö., gegen Descartes), »Exercitationes paradoxicae adversus Aristoteleos« (Amsterdam 1649), Arbeiten zu Diogenes Laertios, Epikur und neueren Naturwissenschaftern. F. Bernier gab die achtteilige »Abregé de la philosophie de Gassendi« 1678 in Lyon heraus. (EPW 1/1995; Wiater Anm. 3) Gassendus 137, 154, *157. Über den Geist des tridentinischen Konzils Literarischer Titel bei Launoy, Meyer, Réginald. Georgii (Georg, Georges), Heinrich 1641 – 1719, dt. Jesuit seit 1663 (Trier), war Professor für Philosophie, Mathematik und Theologie in Paderborn und starb in Trier; literarisch hervorgetreten scheint G. einzig in einem Sammelband des Paderborner Jesuitenkollegs von 1684 zu sein. (SOVO 3; PIBA 3) Henricus Georgii 271. *Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg / George I. (1660 – 1727), Kurfürst von Hannover seit 1698 (bis 1727), engl. Thronanwärter 1701, nach dem Tod von Königin Anne seit 12. August 1714 König von England in Koalition mit den Whigs. Sohn von Ernst August von Hannover und Sophie von der Pfalz, einer Enkelin James’ I. von England; Bruder von Sophie Charlotte. G. sprach kein Englisch und kommunizierte mit seiner Whig-Regierung, darunter James Stanhope, Robert Walpole und Viscount Charles Townshend, auf Französisch. Die beiden letzteren traten 1716 aus Protest gegen G.s einseitig an Hannoveraner Interessen orientierte Außenpolitik vom Ministeramt zurück und bildeten ein Oppositionsbündnis mit seinem Sohn Georg August (1683 – 1760), dem in Herrenhausen geborenen Prince of Wales und Nachfolger auf dem engl. Thron. Verstrickt in rechtlich fragwürdige Geschäfte der bankrotten South Sea Company, wurde G. zu politischen Konzessionen gezwungen. Auf einer Fahrt nach Hannover starb er an einem Schlaganfall. (NEB 5) (der König) 359.
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Gerberon, Gabriel 1628 – 1711, frz. Benediktiner (seit 1648), hatte zunächst bei den Oratorianern Philosophie studiert. Nach zahlreichen Stationen und theologischen Lehrämtern in Frankreich floh G., angeklagt des Jansenismus und staatsfeindlicher Umtriebe, 1682 über Amiens nach Brüssel; nach Ablegung der Mönchskutte ging er in die Niederlande und nannte sich Augustin Kergré. Am 30. Mai 1703 zusammen mit Quesnel verhaftet und in Mecheln eingesperrt, wo der Erzbischof, de Precipiano, am 24. November seine Verurteilung aussprach; bis 1710 in Kerkerhaft (Amiens, Vincennes), aus der G. halbseitig gelähmt entlassen wurde. Sein Lebensende verbrachte er in St.-Denis-en-France mit dem Versuch, sich vor der Welt und dem Papst theologisch zu rechtfertigen. G. war ein fruchtbarer Schriftsteller, der nicht zuletzt gegen die Jesuiten polemisierte und intransigent auch die Jansenisten Quesnel und Arnauld als zu gemäßigt angriff. (BBK; HKG 5 S. 58 und 61) Gerberonius 54, 61, 64, 66, 69 f., 75, 134. Germon, Bartholomé (Bartholomäus) 1663 – 1718, frz. Jesuit aus Orléans, Ordenseintritt 1679 in Paris, Studium der Theologie, Lehrer der Philosophie am Kolleg Louis-le-Grand. Glänzender lateinischer Stilist, 1701 Mitarbeit an den Mémoires de Trévoux, Kontroverse mit Serry über dessen Geschichte der »De Auxiliis«-Kongregation, ebenso mit Mabillon, was sich in den – von Leibniz im vorliegenden Briefwechsel indirekt angesprochnen – drei Bänden De veteribus regum Francorum diplomatibus (1703 – 1706) niederschlug. Durch seinen Mitbruder Jacques-Philippe Lallemant wurde G. 1715 in den Jansenismusstreit hineingezogen und musste mit anderen Pariser Jesuiten ins Exil. Korrespondenz mit Fénelon, gemeinsam mit P. Duprés Abfassung der »Traité historique sur les 101 propositions énoncées dans la bulle Unigenitus«, die erst 1722 unter der Autorschaft des Kardinals von Meaux, Thiard de Bissy, veröffentlicht wurde. G. starb in Orléans, als er seine Mutter auf ihrem Sterbebett aufsuchte. (DBF 15; Frémont) Germonius 81, 98. Gerson, Jean de auch Jean Charlier oder Carlerius 1363 – 1429, frz. Theologe. Kanzler der Pariser Universität; Konziliarist, der Scholastik und Mystik zu verbinden suchte. 165, 171. Geschichte der fünf Sätze Jansens s. Dumas Geschichte der Kongregationen über die Hilfsmittel der göttlichen
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Gnade (Historia Congregationum de Auxiliis divinae gratiae) s. Serry (Augustin le Blanc), aber auch Meyer (Geschichte der Kontroversen …). Giattini, Giovanni Battista 1601 – 1672, Jesuit aus Sizilien; Studium in Palermo, 1626 Abschluss des Theologiestudiums in Rom, Besuch von Vorlesungen in höherer Mathematik bei C. Grienberger, Veröffentlichung erster Gedichte. 1623 – 33 Lektor für Mathematik am Collegium Romanum, Abfassung des »Tractatus de horologiis«, in der Folge auch einiger Tragödien (»Leo philosophus«, 1649) in der Tradition des anti-allegorischen Jesuitendramas. Seit 1634, mit Unterbrechungen, auch Lehrer der Philosophie und scholastischen Theologie. Veröffentlichung einer »Logica« (1651) und »Physica« (1653) in Form von Aristoteles-Kommentaren. G.s Übersetzung »Relazione della grande monarchia della Cina« des Portugiesen A. Semedo S J erschien 1643, jene von Sforza Pallavicinos »Storia del concilio di Trento« unter dem Titel Vera concilii Tridentini historia 1670 in Antwerpen. (DBI 54; DHCJ 2) Giatinus 119. Gilbert, William 1540 – 1603, Arzt und Physiker, Ausbildung am St. John’s College in Cambridge. 1573 ließ er sich mit einer Praxis in London nieder; 1600 Präsident des College of Physicians. Davor Leibarzt bei Queen Elizabeth und James I. Publizierte 1600 »De Magnete, Magneticisque corporibus, et de Magno Magnete Tellure, Physiologia Nova«, eine umfassende Darstellung und Theorie des Magnetismus und seiner Anwendungen etwa in der Seefahrt, dessen experimentellwissenschaftliche Methode u. a. Francis Bacon beeindruckte. Postum erschien »De mundo nostro sublunari philosophia nova« (1651). Sein dem College vermachter Nachlass an Mineralien, Büchern, Globen und Instrumenten ging 1666 im Brand von London zugrunde. (DNB, DNBC, E-G) Gilbertus 332. Goa s. portugiesisch Indien Gobert von Aspremont 1187 – 1263, Seliggesprochener aus Lothringen, Enkel eines Kreuzfahrers. G. nahm nach Familiengründung an der Kampagne Ludwigs VIII. gegen die Albigenser und zwei Jahre später am Kreuzzug Friedrichs II. teil; den Rückweg aus dem Orient nahm er als Pilger über Santiago de Compostella. Nach weiterem militärischem Engagement vermachte G. zahlreiche Schenkungen an wohltätige religiöse Institutionen und trat 1237 in das Kloster Villers-en-Brabant ein. Marienverehrung und Verbindung zur seligen Juliana von Cornillon
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prägten sein weiteres Leben als Laienbruder, er starb am 20. August; sein Grab ziert seine liegende Statue. Die »Vita Goberti« wurde 1294 anonym geschrieben und in die Augustfolge der Antwerpener »Acta Sanctorum« aufgenommen, die u. a. 1754 in Venedig erschien. (BiS 7) Gobertus de Asperomonte 99, 160, 163, 170, 175, 184. Gonzalez de Santalla, Tirso (Thyrso) 1624 – 1705. Dreizehnter Jesuitengeneral (ab 1687), aus Spanien; Vorgänger Tamburinis. Nach Missionstätigkeit verfasste G. Schriften gegen den französischen Klerus (»Über die Unfehlbarkeit des Papstes« 1689 auf Anordnung von Papst Innozenz XI., während Alexander VIII. die Schrift einziehen ließ, um den Heiligen Stuhl wieder an Frankreich anzunähern) und über den Probabilismus (s. Vazquez), den er gegenüber dem Probabiliorismus attackierte (1691); er starb Ende Oktober 1705. (CE; DHCJ 2; Jöcher; SOVO 3) Thyrsus Gonsales 3, 7. Gooden, James 1670 – 1730, Jesuit aus England, ausgebildet am Kolleg von St. Omer, Gelübde 1707. Philosophie- und Mathematiklehrer in Lüttich, Rektor des Kollegs St. Omer 1721 – 1728, schließlich Superior in Gent. Starb in St. Omer. Sein in den Acta Eruditorum vom Juli 1706 rezensiertes Buch heißt: »Trigonometria plana et sphaerica cum selectis ex Geometria et Astronomia Problematis. Auctore R. P. Jacobo Gooden, Soc. Jesu in Collegio Anglorum Leodii Mathes. Prof.«, Lüttich 1704 bei J. F. Bronckart. In Koproduktion verfasste G. »Anathemata Poetica serenissimo Walliae Principi Jacobi regis filio recens nato sacra«, 1688. (DNB 22/1890; Acta Eruditorum Juli 1706, 321 f.) Gouden 270. Gormaz, Juan Bautista 1650 – 1708, spanischer Jesuit. Professuren u. a. in Valencia und Rom für Humanfächer und Theologie. Rektor an mehreren spanischen Kollegien, zuletzt in Saragossa, dort auch Ordensprovinzial von Aragon. Nach Emeritierung vor 1707 verstarb er in Saragossa. G. hinterließ einen zweibändigen »Tractatus de poenitentia«, Rom 1697, sowie zwei Bände »Cursus theologicus«, Augsburg 1707. (SOVO 3) 113. Gottignies, Gilles François de 1630 – 1689, Jesuit aus Brüssel. Novize in Mecheln, Theologiestudium in Rom, dort bis zu seinem Tod als Schriftsteller und Mathematikprofessor am Collegium Romanum. Zu seinen Veröffentlichungen gehören die »Elementa Geometriae planae« (1669) sowie mehrere Titel über »Logistik«: neben der in vorliegender Kor-
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respondenz gegenständlichen Logisticae Idea speculative et practice declarata von 1677 die »Logistica, sive scientia circa quamlibet quantitatem demonstrative discurrens«, 1675, und »Logistica universalis, sive Mathesis Gottigniana amplectens Arithmeticae, Geometriae, aliarumque partium Matheseos Elementa«, 1687; zudem Schriften über Astronomie und die frz. »Beobachtungen über die Augen der Fliegen« von 1669. (SOVO 3; Frémont) Aegidius Franciscus Gotignies, Gottigniesius 170, 173, 178. Gouye, Thomas 1650 – 1725, frz. Jesuit, Mathematiker, Professor an frz. Ordenskollegien wie »Louis le Grand« (Paris), Missionsprokurator, 1699 Mitglied der frz. Akademie der Wissenschaften, 1711 Präsident, starb in Paris. Unter dem Übertitel »Observations physiques et mathematiques« wirkte G. nebst Mitarbeitern der Pariser Académie an der Publikation von Beiträgen zur Geographie, Astronomie und Naturgeschichte mit, die französische Jesuitenpatres – die »Mathematiciens de Roy« – aus Siam, Indien und China nach Paris sandten (2 Bde. 1688 und 1692). Außerdem veröffentlichte er mathematische, physikalische und naturkundliche Beobachtungen in den Journalen der Académie. (DHCJ 2; SOVO 3; Frémont) 25. Govea (Gouvea), Antonio da 1592 – 1677, alias He Dahua und De Chuan, Jesuit aus Portugal, seit 1636 auf Chinamission, zwischen 1663 und 1669 in Kanton im Gefängnis, danach Vizeprovinzial. Neben einem kleinen chinesischen Katechismus (Meng yin) verfasste G. eine »Historia da China dividada em seis idades, tirada dos livros Chinas et Portugueses« (1654) und redigierte die apologetische, zweisprachige Publikation »Innocentia Victrix, sive Sententia Comitiorum Imperii Sinici pro Innocentia Christianae Religionis lata iuridice per Annum 1669 sinicolatine exposita« (Kanton 1671). Die Acta Sanctorum für den Monat Mai nahmen zwei weitere Schriften G.s auf: eine abermalige »Innocentia victrix«, nämlich die »Relatio authentica Exitus« zur China-Mission unter Papst Clemens IX. (Guangzhou 1669) und die zweite »Relatio de restitutione Praeconum Evangelicorum apud Sinas anno 1671«.° (SOVO 3; Dehergne; DHCJ 2; °Biermann, S. 128 f.) 145. Granado, Diego 1574 – 1632, Jesuit aus Cardiz (Spanien), Professor für Philosophie und Theologie an den Ordenskollegien Sevilla und Granada, Prokurator seiner Ordensprovinz in Rom, beeindruckte die
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Zeitgenossen auch durch Bescheidenheit, Frömmigkeit und Askese. Hauptwerk: »Commentarii in Summam Theologiae S. Thoma« in acht Bdn. (Sevilla 1617°/1623 – 1633, Nachdruck der ersten drei Bde. 1624 in Pont-à-Mousson), das von großem Einfluss auf die Schule von Salamanca war. Der Teil »De immaculata conceptione Mariae Virginis« war bereits vorher gesondert erschienen. (Ersch-Gruber 79; °ESP, Zedler; DHCJ 2; SOVO 3) Jacobus Granadus 314. Granganor s. Cranganor Gratianus, Liberius s. Meyer 92, 114. Gregorio de Valencia 1549 – 1603, span. Jesuit aus der Schule von Salamanca (mit Suarez), führte die span. Scholastik in Deutschland (Universitäten Dillingen und Ingolstadt) ein. Verband molinistische Ethik mit Aristoteles-Auslegung. Studienpräfekt am Collegium Romanum, federführend bei der jesuitischen »Ratio Studiorum« (Studienplan), wobei er Thomas von Aquino als maßgebliche Referenz vorschrieb, die kritisch zu modifizieren sei: so bestehe zwischen Essenz und Existenz kein Realunterschied. Scharfe Trennung von Metaphysik und Offenbarungstheologie. Hauptwerk: »Commentaria theologica« (4 Bde., 1591 – 97), ein Standardwerk der Jesuitenausbildung. (Blum S. 338) Gregorius de Valentina 441. Gregor von St. Vincent s. Saint Vincent Grimaldi, Claudio Filippo alias Min Mingwo De Xian 1638 – 1712, ital. Jesuit, Philosoph und Theologe. Landete nach dreijähriger Seereise 1669 als Missionar in Kanton (Südchina), wo er den Namen des soeben geflüchteten Navarrete annahm. Seit 1671 am Pekinger Hof als Astronom, Konstrukteur, Mathematiker und Reisebegleiter des Kaisers Kangxi. 1686 Prokurator der jesuitischen Chinamission und Reise nach Europa, währenddessen zum Mandarin und Direktor des Pekinger mathematischen Amtes ernannt, 1689 Begegnung mit Leibniz in Rom (mehrjähriger Briefkontakt); die Rückreise nach China, auf dem unerforschten Landweg über Russland vom Zaren untersagt, führte G. über Wien, Marseille, Smyrna und Persien, bis er 1694 neuerlich in Peking eintraf. 1695 – 98 Vize-Provinzial der Jesuiten Chinas, 1700 Rektor des Jesuitenkollegs Peking, 1703 – 1706 Visitator der Jesuiten im Fernen Osten, aus welchem Amt der päpstliche Legat Tournon ihn wegen Geldgeschäften enthob. G. publizierte 1711 »Fangxing tujie« (Erläuterung der Himmels-
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sphäre) und starb in Peking. Vgl. auch hierzu die Publikationen von R. Widmaier. (BBK; Li 2000; Dehergne) 133. Guan Di (Guan Gong) † 219 n. C., wegen seiner Loyalität heroisierter General, der im 12. Jh. unter Kaiser Hui Zong (Song-Dynastie) zu kultischen Ehren aufrückte; 1605 zur Gottheit (Guan Di, Chum-ti) erklärt, zugewiesen dem »Tempel des Militärs« (Wu Miao) als Ergänzung zum Konfuziuskult. (Discours 2002, S. 260 Fn. 4, und S. 87 Anm. zu Z. 12; Jian) Chum-ti 144. Hagiographen s. Antwerpen Halley, Edmund 1656 – 1742, Sohn eines Seifenfabrikanten, Studium der Mathematik und Astronomie in Oxford; mit 22 Mitglied der Royal Society; Reisen und astronomische Forschungen in Deutschland (Danzig), Frankreich, Italien. Nach Familiengründung und Einrichtung einer privaten Sternwarte (Islington) Assistent der Royal Society in London, Freundschaft mit Newton, der ihm zu einer Stelle an der Münze in Chester verhalf. Auftragsarbeiten zur Messung der magnetischen Inklination und Gezeiten, 1702 – 03 in Wien und Istrien geometrischer Gutachter für Festungsbau. Seit 1703 Lehrstuhl für Geometrie an der Universität Oxford, 1719 Astronom der Royal Society. H. wies die Eigenbewegung der Fixsterne nach unter Vergleichung antiker und neuer Aufzeichnungen – dieselbe Methode wie schon 1682 bei der Berechnung der Periode des »halleyschen« Kometen; er publizierte auch Innovationen in Mathematik und Geophysik. Zwischen 1700 und 1710 übersetzte er das Hauptwerk des Apollonius von Perge, sein Leben beschloss er in Greenwich. Hallejus 63. Hameln 219 *Harcourt s. Aylworth Hardouin, Jean 1646 – 1729; der aus der Bretagne stammende Jesuit, Professor für Rhetorik (Klassische Philologie) und Theologie am Ordenskolleg Louis-le-Grand in Paris, veranstaltete die maßgebende Konziliensammlung Conciliorum collectio regia maxima. Acta conciliorum et epistolae decretales, ac constitutiones Summorum pontificum ab anno 34 ad 1714, 12 Bde., Paris 1714 – 15, die die bis dahin gültige Sammlung von Giovanni Domenico Mansi ersetzte, aber wegen Einspruchs der
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Sorbonne erst zehn Jahre nach Erscheinen in den Handel kam. H. war mit historischen Untersuchungen zu philologischen, archäologischen und religiösen Fragen hervorgetreten (»Sancti Joanni Chrysostomi Epistola ad Caesarium Monachum«, 1689; »De supremo Christi Domini Paschate«, 1693; »Chronologia Veteris Testamenti ad Vulgatam versionem exacta, et nummis antiquis illustrata«, 1697 und 1700, daneben Aufsätze zu Horaz, den Psalmen, dem Neuen Testament); vor allem zur Numismatik publizierte er, neben »Chronologiae ex Nummis antiquis restitutae prolusio de Nummis Herodiadum«, 1693, zahlreiche Zeitschriftenartikel, die viel diskutiert wurden – angegriffen u. a. von Tournemine 1702 im Journal de Trévoux. Er war als Forscher teils anerkannt (Ausgabe der »Historia naturalis« von Plinius d. J., 1683), teils aufgrund eigenwilliger Hypothesen (wie: die meisten klassischen und frühchristlichen Texte seien Fälschungen des 13. Jhs.; Christus und die Apostel hätten ausschließlich lateinisch gepredigt) umstritten. Mehrere seiner Schriften kamen postum auf den römisch-katholischen Index, so die gegen seinen Willen veröffentlichten »Opera selecta« (Amsterdam 1709), die »Opera varia« (1733) und der »Commentarius in Novum Testamentum« (1741). (BBK; SOVO 4) Harduinus 98, 100, 339 f., 347. Hartmann, Johann Adolph 1680 – 1744 od. - 48, Jesuit in Münster seit 1698, Professor für Grammatik, Rhetorik und Humanfächer. Eine Kandidatur für die Chinamission, erst recht eine Teilnahme, ist bei Sommervogel nicht erwähnt: vielmehr trat H. 1716 vom Jesuitenorden zum lutherischen Protestantismus über; seit 1722 auf dem Lehrstuhl für Rhetorik und Geschichte an der Akademie in Marburg, wo er starb. Die Identität mit dem von Des Bosses genannten Adolph H. ist zu vermuten. (SOVO 4) Hartman 292. Hartsoeker, Nicolaas niederländ. Physiker, Physiologe und Naturphilosoph, geb. Gouda 1656 – gest. Utrecht 1725. Studium der cartesischen Physik u. a. bei de Volder in Leiden; Prioritätsstreit mit Leeuwenhoek um die Entdeckung der Spermatozoen. 1678 und 1684 – 96 in Paris, auf Betreiben des Amsterdamer Rates Lehrer von Zar Peter dem Großen in Astronomie, Hofmathematiker des Kurfürsten von der Pfalz, 1704 – 1716 Professor der Philosophie in Düsseldorf und Heidelberg, Konstrukteur von Tele- und Mikroskopen und anderen Apparaten. Mitglied der Pariser und der Berliner Akademie der Wissenschaften. H. kritisierte
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Descartes und die newtonsche Gravitationstheorie und kombinierte den Mechanizismus (Atomismus, Korpuskulartheorie) mit dem Prinzip einer aktiv bewegenden immateriellen Substanz, »Weltseele«, die in den einzelnen Lebewesen portioniert sei; steht so für den Übergang vom mechanistischen zu einem vitalistisch-organischen Konzept der Welt. – Schrieb u. a.: Essai de Dioptrique (1694), Principes de Physique (Paris 1696), Conjectures physiques (2 Tle., 1706 und 08), dazu ergänzend Eclaircissements sur les Conjectures Physiques in zwei Teilen (1710 – 12); »Description des deux Niveaux d’une nouvelle construction (Descriptio duarum libellarum)« (Amsterdam 1711); »Cours de physique« (1730). — Leibniz hatte schon 1696 über Hartsoeker publiziert (Extrait d’une Letre de M. de Leibniz sur son Hypothese …). Seit Oktober 1706, als Leibniz auf Anfrage ein Gutachten über die ersten »Conjectures« an H. sandte, standen die beiden über physikalische und metaphysische Fragen in kontroversiellem Gedankenaustausch; die Korrespondenz hielt bis Ende April 1715 an (bis 1712 vgl. bes. GP·3, 483 – 536); vgl. den bibliographischen Eintrag unter Leibniz: Lettres de Monsieur le Baron de Leibnits … (201, mit Anm. 227 des Hrsg.). (GWP 11/1991, S. 95 f.; DDP; IBN 103, S. 706; Chronik; Georgi; Goldsmith; Ravier 148 nach GP·4, 500 Fn.; Acta Erud. 1711) Hartsoekerus, Hartsoeckerus 63, 72, 74, 86 f., 132 ff., 139, 189, 191 f., 201, 204 f., 210 ff., 214, 219–223, 226 ff., 232, 237 f., 243 f., 292, 316 ff., 320 f., 323, 325 ff., 335, 341, 348. Harzgruben Vor allem im (westlich gelegenen) Oberharz Bergbau seit dem 10. Jh. (Silber); Mitte des 16. Jhs. Gründung von Freien Bergstädten (Clausthal, Zellerfeld; Lautenthal, Sankt Andreasberg u. a.), später Altenau. Im (östlichen gelegenen) Unterharz (Stolberg, Harzgerode) Erzförderung seit dem 12. Jh.° 1665 Zweiteilung des Oberharzes in den größeren »einseitigen Harz« (mit Altenau und den zwei erstgenannten Zentren) im Besitz Hannovers und den »Communion-Harz« (Welfenbesitz, teils verwaltet durch Hannover, teils Wolfenbüttel). Berghauptmann im »einseitigen Harz«, in dem Leibniz von 1680 – 86 und 1693 – 96 technische Versuche mit dem Ziel der Produktivitätssteigerung durchgeführt und abgebrochen hatte, war von 1695 bis 1728 Heinrich Albert von dem Bussche, später Kammerpräsident in Hannover.°° Mit Bernhard Ripking, seit 1712 Berwerksdirektor der Stolbergschen Gruben, führte Leibniz zwischen 18. April 1712 und 30. Oktober 1715 eine Korrespondenz über technische Belange (barometrische Höhenmessung
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in Bergwerken u. a.)°°°. — Über die Art von Hartsoekers Aktivität im Harz wurde vom Hrsg. nichts ermittelt. (°Bro; °°AA I·Supplementband Harzbergbau – Einleitung; °°°Chronik S. 229) Herciniae fodinae 134. Hedraeus s. la Chaize Heiningen Kloster der Kanonissen des hl. Augustinus bei Hannover im östlichen Oderwald, Kreis Wolfenbüttel, protegiert von den Hildesheimer Bischöfen, gegründet um 1000 durch die Adelige Hildswit und ihre Tochter Walburg, seit 1126 Observanz der Ordensregel von Augustinus. Bekannt war die Gobelinproduktion der Nonnen. Seit 1542 reformatorisch, ab 1643 wieder unter der Herrschaft des katholischen Bistums Hildesheim, 1810 säkularisiert. (DHGE 23/1990; Bro) (Heinigensis) 89. Heinrich II. der Heilige 973 – 1024, dt. Kaiser (seit 1014) bzw. König (seit 1002), letzter der Liudolfinger (Sachsen). Durch Schenkungen an Bistümer und andere kirchenfreundliche Maßnahmen Höhepunkt des Reichskirchensystems; 1146 Heiligsprechung. H.s dem Haus Sachsen entstammende Vorgänger waren sein Urgroßvater Heinrich I. (ab 919) und in der Folge Otto I., II. und III. (Bro) Henricus 312. Helmstedt 59, 103, 105. *Heraklit von Ephesos ca. 540 – 480 v. C., Philosoph der All-Einheit im Logos, welcher alle Gegensätze erfasst, die die Welt strukturieren. 249 f., Anm. 289. Hermolaus s. Barbarus Histoire apologétique de la conduite des jésuites s. Daniel Histoire de cinq propositions / Historia quinque propositionum s. Dumas Hobbes, Thomas 1588 – 1679, engl. Philosoph; geb. in Westport bei Malmesbury (Wiltshire), Studium – unterstützt von seinem Onkel Francis – in Magdalen Hall (Oxford), drei Studienreisen 1610, 1629, 1634 nach Frankreich, Italien, Deutschland; im Zuge der letzen Studienreise 1634 – 1637 Bekanntschaft mit Gassendi, Descartes und Mersenne; nach der Rückkehr Arbeit an einem Konvolut (»Elements of Law natural and politic«), das jedoch erst 1889 veröffentlicht wurde (Auszüge daraus erschienen 1650 unter dem Titel »Human nature«). Ab 1640 zwangsweise, rasche Flucht nach Frankreich, 1642 wurde »De cive« in Paris publiziert; 1651 Rückkehr nach England, daselbst er-
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scheint im gleichen Jahr »Leviathan«, weiters »De Corpore« (1655), »De Homine« (1656). Die »Questions concerning Liberty, Necessity and Chance« erschienen im Zuge der Debatte mit dem engl. Bischof Bramhall 1656 (darüber Leibniz: Réflexions sur la dispute … als Theodizee-Anhang); ein Spätwerk ist auch De principiis et ratiocinatione Geometrarum (1666). Hobbius 166, 452. *Hodann, Johann Friedrich Anm. 75 zu S. 81. Hodoiporicon Das Reisebuch über Karl V., eine mehr als 300blättrige Handschrift mit dem Titel »Journal des voyages de l’empereur CharlesQuint et du roi Philippe II., son fils« umfasst den Zeitraum von 1514 bis 1560 und stammt von *Jean de Vandenesse, einem aus Frankreich gebürtigen Vertrauten des Kaisers, Aufseher des spanischen Fürstenhofes seit 1514, der seine Funktion weiter unter Karls Sohn Philipp bis 1560 ausübte und im Ruhestand in Burgund verstarb. Das Kardinal Granvelle gewidmete Werk mit vielen Alltagsdetails ist in drei Abschriften (Paris, Besançon und Flandern) überliefert und wurde, nach ersten Publikationsankündigungen im späten 18. Jh., erst 1874 von L. P. Gachard in Brüssel als »Journal des voyages de l’empereur Charles-Quint de 1514 à 1551« im Druck hrsg. Welche Handschriftenversion Leibniz vorlag, konnte nicht ermittelt werden. Von Jean de Vandenesse ist außerdem ein hs. »Inventaire des titres concernant le domaine du roi en Bourgogne« erhalten. (Michaud 42; DahlmannWaitz Bd. 6 – 276/1370) 80. Hollandsche Mercurius s. Journale: Merkur Homer 8. Jh. v. C., griech. Sänger und Epiker, legendär von Blindheit geschlagen, Autor von Hymnen und des Epos »Ilias«; wahrscheinlich aus seiner Schule stammt die »Odyssee«. Homerus 330. Hopital s. L’Hospital Horaz / Horatius Flaccus, Quintus 65 – 8 v. C., geb. auf einem Landgut in Süditalien, Ausbildung in Rom und Athen, hier in Philosophie an der eklektischen neueren Akademie. 44 zum Militärdienst für Brutus und die Republik bis zur Niederlage im Jahr 42; in Rom Schreiber der Staatskasse. Im Jahr 38 Anschluss an den Maecenas-Kreis. Nach der poetischen Maxime »dulce et utile« (süß und brauchbar) veröffentlichte H. u. a. Gedichte (carmina), deren Kernbestand von 104 er als
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Oden (23 v.) mit den Epoden (jambi) klassisch zusammenfasste, weiters Satiren (35 – 30 v.) und Briefe (20 v.), unter ihnen die erst später von Quintilian so benannte »Ars poetica« in Versform, die bes. vom 15.– 18. Jh. als Norm der europäischen Dichtung fungierte. 17 v. C. »Carmen saeculare« an Augustus mit persönlichem Vortrag. H. wurde zu einem der meistübersetzten und -kommentierten Poeten überhaupt, in der europäischen Lyrik kommt ihm nicht zuletzt durch seine Aufnahme und Transformation der griechischen Gedichtformen eine Schlüsselstellung bis heute zu. In den letzten Lebensjahren dichtete H. nicht mehr. (Horaz: Oden, Hrsg. Kytzler; Ars poetica, Hrsg. Schäfer). Horatius 112, 114, *192, 249. Hroswitha s. Roswita Huet, Pierre Daniel 1630 – 1721, frz. Jesuit, Bischof von Avranches, Gelehrter, Gründer einer Académie für Physik in Caens (1662), Naturforscher insbesondere auf dem Gebiet der Optik und Anatomie des Auges, Erzieher des Dauphin zusammen mit Bossuet; erst Anhänger, dann Kritiker Descartes’ und des Rationalismus, dessen Begriff des Zweifels nicht radikal genug und auch auf die intellektuelle Evidenz anzuwenden sei – nur der Glaube überwinde den Skeptizismus. Gegner der (meist cartesianischen) Jansenisten, Befürworter der Jesuiten.° Verfasste neben »Censura philosophiae cartesianae« (1689) als »Ästhetiker« u. a. eine Untersuchung über den Ursprung des Romans »Traité de l’origine des romans« (1658); weiters »Traité philosophique de la faiblesse de l’esprit humain« (Philosophische Abhandlung über die Schwäche des menschlichen Geistes), 1723, indiziert. 1668 erschien H.s Origenes-Ausgabe in mehreren Büchern unter dem Titel Origeniana (236); die S. 30 erwähnte Demonstratio evangelica ad serenissimum Delphinum, eine vergleichende Religionsgeschichte, erstmals 1679. Auf Leibniz (Kontakt seit 1673) wirkte H.s Vorwurf der Ignoranz an den Cartesianismus, der jede historisch-humanistische Gelehrsamkeit unterbinde; gemeinsam sahen sie sich dagegen als Verteidiger der Religion und ihrer Traditionen und griffen gleichzeitig Spinoza in diesem Sinn an.° (Frémont; Görgemanns-Karpp in Origenes: Vier Bücher; ESP »Gomez Pereira«; BBK; °Juillard S. 145, 147, 149) Huetius 30, 33, 236. Imhof, Rudolph Christian 1660 – 1717, braunschweigischer Staatsmann aus Wolfenbüttel. Um 1707 Oberhofmeister der braunschweigischen Prinzessin Elisabeth Christine, deren Eheschließung mit dem spani-
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schen König Karl III. (später Kaiser Karl VI.) am 23. April 1708 I. herbeigeführt hatte. Die junge Königin geleitete er nach Barcelona, was er in einem hs. »Reisetagebuch« festhielt. Mit einem Jahresgehalt des Königs und Auszeichnungen durch Kaiser Joseph I. begab I. sich 1709 nach Hause und konvertierte 1710 nach dem Vorbild seines Herrn Anton Ulrich zum Katholizismus. Neuerliche Eheanbahnung zwischen einer Herzogstochter (von Ludwig Rudolph) und dem Zarewitsch Alexej Petrowitsch. 1711 zweite Reise nach Barcelona, wo er nach Schiffbruch an der korsischen Küste im August eintraf und bis März 1713 blieb, um die Kaiserin nach Wien zu geleiten. Als Stellvertreter des neuen Herzogs von Braunschweig, August Wilhelm, wurde er noch mehrmals, zuletzt 1716, nach Wien gesandt und reiste auch nach London und Paris. Sein Denkmal in weißem Marmor steht in der katholischen Kirche zu Wolfenbüttel. (ADB 14) 208 f. Index s. Sotomayor Irland (Hybernia) 316. italische Zeichen Form der Antiqua-Schrift (lateinische Druckbuchstaben), in der die Minuskeln (Kleinbuchstaben) nach rechts geneigt sind, die Majuskeln aufrecht bleiben; erfunden hat diesen Schrifttyp namens »Italica« oder »Cursiva« der venezianische Humanist und Typograph Teobaldo (Aldo) Manucio (1450 – 1515). (Bro 19 S. 467 sub »Schrift«; ESP 32) 165. Izquierdo, Sebastian 1601 – 1681, spanischer Jesuit, lehrte Philosophie in Alcalá, Murcia und Madrid; Assistent des Ordensgenerals für Spanien und Westindien. Er konzipierte die Philosophie als eine »Wissenschaft vom Wissen« (scientia de scientia), die im Sinn einer Universalwissenschaft auch die Entdeckung neuer Erkenntnisse methodisch garantieren soll; die entsprechende Kombinatorik, ars inveniendi, ging, in lullistischer Tradition, über die aristotelische Syllogistik hinaus. So wurde er auch vom jungen Leibniz rezipiert (»Dissertatio de arte combinatoria«, 1666). Das viel gelesene Pharus Scientiarum (»Leuchtturm der Wissenschaft«) verstand I. als Modifikation und Korrektur des aristotelischen Organons, es erschien unter längerem Titel 1659 in Lyon. Ferner »Opus theologicum, iuxta et philosophicum de Deo Uno …« 2 Bde., Rom 1664; »Practica de los Exercicios Espirituales de nuestro Padre San Ignacio« (1675); »Consideraciones de los cuatro Novisimos
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del hombre: muerte, juicio, infierno y gloria« (1672). (ESP 28·2/1926; Rivera S. 404 – 408; Eschweiler S. 315 f.) (auch:) Izquierdus 251 f., 260, 314. Jacobs, Peter Drucker und Verleger in Antwerpen (1705). 60. Jaquelot, Isaac 1647 – 1708, frz. reformierter Theologe, ging nach dem Erlass von Fontainebleau (Annullierung des Edikts von Nantes) 1685 nach Heidelberg und Den Haag, wo er bis 1701 als Prediger der frz. Kirche für Holland tätig war. Seit 1702 Hofprediger in Berlin bei König Friedrich I. In Auseinandersetzung mit Bayle bestritt er die Vereinbarkeit von doktrinalem Glauben und Wissenschaft und kritisierte – im Anschluss an Jacob Harmensen / Hermannsz (sog. »Arminianismus«) gegen Calvin (und die »Contra-Remonstranten« im Gefolge von Gomarus) – die Prädestinationslehre, was heftige Kontroversen (u. a. mit Naudé und dem Hugenotten Jurieu) auslöste. Werke: »Dissertation sur l’existence de Dieu« (gegen Spinoza, 1679); »Lettres à M. M. les prélats de l’église gallicane« (1698 – 1700); »Conformité de la foi et de la raison« (1705); »Examen de la théologie de Bayle« (1706); »Traité de la vérité et de l’inspiration des livres du V. et du N. Testament« (1715 u. ö.). — Des Bosses spricht in Brief Nr. 7 wohl J.s Werk von 1705 an, nachdem von Leibniz im Dezember 1705 in den Acta Eruditorum der Artikel »Observatio ad Recensionem Libri De Fide et Rationis consensu« über eine Rezension von J.s Buch »Conformité de la foi et raison« erschienen war. Leibniz hatte J. persönlich 1702 kennen gelernt, als dieser Argumente Epikurs und Spinozas bekämpfte. (BBK; HT; Ravier) Jaquelotius 30, 33. Janninck, Konrad 1650 – 1723, aus Groningen, Jesuit seit 1670 (Mecheln). Ab 1679 Gehilfe der Bollandisten (Jesuiten im Anschluss an den 1665 verstorbenen Jan Bolland, mit dem Zentrum Antwerpen) bei der Sammlung und Edition der Heiligenleben nach dem liturgischen Kalender, den »Acta Sanctorum«. Zwischen 1681 und 1686 studierte J. Theologie in Rom, wo er auch hagiographisches Material sammelte. Mitwirkung an den Teilbänden Mai V (1685) und Juli II (1721). In dem Streit um die von den Karmelitern angenommene, jedoch vom Herausgeber der »Acta Sanctorum«, Daniel Papebroch, angefochtene Gründung ihres Ordens durch den Propheten Elia (vgl. 1 Kön 18) vertrat J. die Sache Papebrochs in Rom. Durchsetzen konnte er sich nur zum Teil, Papebroch wurde schließlich durch die span. Dominikaner verurteilt;
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das Propylaeum Maii blieb bis 1900 auf dem Index der verbotenen Bücher. J. starb in Antwerpen. — Zu den im vorliegenden Zeitraum mehrmals angesprochenen Briefen an und von Leibniz wurde vom Hrsg. nichts ermittelt. Auch der unterdrückte Briefanfang von Nr. 18 erwähnt ein solches Schreiben°. (BBK; Denzler/Andresen; °RK 5320) Janningius, Janningus 36, 59, 81, 99, 133, 139, 160 f., 175, 184. Jansen, Cornelius, der Jüngere (Cornelis Van Akkooi, genannt Janszoon oder Jansenius) 1585 – 1638, katholischer Theologe, seit 1636 Bischof von Ypern (Niederlande). Aus katholischer niederländischer Familie, studierte Philosophie und Theologie in Löwen und Paris, 1612 – 1614 Leiter des Collegiums in Camp-de-Praz nahe Bayonne, ab 1618 in Löwen Professor der Theologie. Gegner des Calvinismus und der Jesuiten, Gegner der französischen Außenpolitik (1635 »Mars Gallicus« gegen Richelieu). Er veröffentlichte u. a. Kommentare zum Pentateuch und zu den Evangelien; seine Auffassung von der Unfreiheit des Willens, die im Konflikt zwischen dem Drang zum Bösen oder zum Guten den Primat der Gnadenwahl bezeuge, legte er vor allem in dem umfangreichen Werk über Augustinus seu doctrina S. Augustini de humanae naturae sanitate, aegritudine, medicina adversus pelagianos et massilienses dar, das dreibändig 1640 in Löwen erschien, nachdem J. an der Pest gestorben war. Es wurde 1641 von der Indexkongregation und ein Jahr darauf von Urban VIII. verboten. J. knüpfte an den Augustinismus der Universität Löwen an, deren theologische Fakultät (De Bay) Augustinus’ Gnaden- und Prädestinationslehre gegen die neueren Freiheitslehren (Molina) des Löwener Jesuitenkollegs verteidigte und dabei schon 1567 vom Papst verurteilt worden war. Die Bewegung des Jansenismus, erst 1668 (im »clementinischen Frieden« unter Papst Clemens IX.) von Kirche und Staat anerkannt, konzentrierte sich im Kloster Port Royal bei Versailles (Arnauld, Pascal, Nicole), das 1710 zerstört wurde; am 17. August 1705 gab Papst Clemens XI. eine Konstitution gegen die Jansenisten heraus (»Vineam Domini«): Fünf Sätze J.s, die allerdings der Jesuit N. Cornet 1649 zusammengestellt hatte, wurden, wie schon 1653 durch Innozenz X., verurteilt.° Die oft stillschweigend akzeptierte quaestio juris meinte den Inhalt der Sätze, viel heftiger umstritten war aber die quaestio facti, ob J. im »Augustinus« diese Thesen tatsächlich geäußert habe; im Anschluss daran die Frage, ob Kirche bzw. Papst auch in Tatsachenfragen abseits der göttlichen Offenbarung unfehlbar seien, und ob eine Distanzierung von jenen Thesen in Form des »schweigen-
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den Gehorsams« oder ausdrücklich und öffentlich erfolgen müsse, wie es die Kurie verlangte. Zur inhaltlichen Auseinandersetzung (hinreichende oder wirksame Gnade, unmittelbares oder mittelbares Vermögen zum richtigen Handeln und anderes) vgl. Blaise Pascals »Lettres Provinciales« von 1656 – 57. 1718 wurden die Jansenisten verbannt und erhielten in Utrecht Zuflucht. Leibniz – der das Buch über Augustinus studierte – äußert sich zu J. bes. 75 ff. und 83 f. Vgl. in diesem Briefwechsel Quesnel, Gerberon, Cambrai (bzw. Fénelon) und Arnauld, s. auch Bossuet, Boursier, Meaux, Montalte, Daniel, Nicole, Dumas. (Brockhaus 1957; BBK; Hirsch; DHGE 26 · 1997; GP·2, 326 f., 331; DBF 13/1975 sub Fabri Sp. 433: »paix clémentine«; Denzler/Andresen; Cottret S. 350. °Die einzelnen Sätze vgl. vorliegende Einleitung S. LXXXIV f., Anm. 180). Jansenius 45, 54, 60, 62, 6 ff., 70 f., 75 ff., 83 f., *99, 102, 106, 108, 110, 112, 121, 194, 214 ff., 218, 231, 241, 244, 250, 311, 319, 323. Japan In Abwehr ausländischer Zugriffe wurden im 17. Jh. in Japan die christliche Religion verboten und die (fast ausschließlich europäischen) christlichen Missionare ausgewiesen. Bereits Ende des 16. Jhs. waren die im Jahr 1549 aus Portugal angekommenen Jesuitenmissionare (Bateren) erstmals des Landes verwiesen oder getötet worden. 1633 begann eine rigorose Isolationspolitik (unter Shogun Iemitsu) mit Auslands-Reiseverbot und Einschränkung sämtlicher Auslandskontakte auf wenige Handelsstellen in Nagasaki. Nach dem blutig niedergeschlagenen »Shimabara«-Aufstand (1637/38, 40.000 Tote) war 1640 das Amt »Shumon Aratame« mit staatlichen Inquisitoren eingerichtet worden, über die buddhistische »Tempelgarantie« wurde zudem die Registrierung aller Personen in Zensuslisten angeordnet, die dem Christentum abschwören mussten. Abgesehen von den »Kakure Kiristan« (verborgenen Christen) war die Ausrottung in den 1660er Jahren vollzogen. 1708 wurde der ital. Weltpriester G. B. Sidotti (1667/68–1715) bei einem letzten singulären Missionierungsversuch unverzüglich verhaftet, von dem Konfuzianer Arai Hakuseki befragt und starb 1714 im Gefängnis (Kirishtan Yashiki). – Das 1633 verhängte Verbot des Bücherimports fiel 1720, die japanische Inquisition bestand indes bis 1792, das religiöse Überwachungssystem noch länger. Die kommerzielle Abschottung wurde nach der Edo-Periode (1603 – 1868) mit Beginn der Meiji-Ära aufgehoben, ebenso die Maßnahmen gegen das Christentum (1873). — Worauf sich Leibniz mit der »Wiederzulassung« der Missionare und seiner Vermutung des japanischen »Gesinnungswandels« gegenüber
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Fremdmächten (341) bezieht, bleibt mangels Quellenangabe fraglich; am ehesten ist er einem Gerücht aufgesessen. (HKG bzw. Beckmann S. 345; KEJ 1) 156, 341, 346, 359. Jesuiten Als »Compañia de Jesús« von dem spanischen Adligen Ignacio (Iñigo) de Loyola mit Gefährten um 1530 in Paris gegründeter Orden – später meist Societas Jesu –, 1540 vom Papst in der Bulle »Regimini militantis Ecclesiae« bestätigt. Die ursprünglichen Ordensregeln umfassen Armut, Keuschheit und Missionsarbeit im »Heiligen Land« (andernfalls Gehorsam gegen den Papst), Predigt, geistliche Exerzitien, Unterricht, Seelsorge und tätige Caritas. Auf eine Ordenstracht wird verzichtet. Erste Generalkongregation 1558. Hauptträger der Gegenreformation. (Denzler/Andresen) »1655 kamen die ersten Jesuiten unter Friedrich von BraunschweigLüneburg nach Hannover. Dort eröffneten sie eine kleine Lateinschule und missionierten von dort aus Celle und Nienburg. 1711 mussten die Jesuiten Hannover wegen Feindseligkeiten wieder verlassen. Zum zweitenmal kamen sie nach dem ersten Weltkrieg und begannen mit der Akademikerseelsorge.« (http://www.con-spiration.de/sjhannover/ jesuiten.html, 10. 7. 2004) 118, 139, 145, 169, *174, 175, 193, *199, 238, *302, *314, *328, *339, *341 f., 451 et passim. Neunte Generalversammlung (Kongregation) der Jesuiten 1649/50 40, 428. Niederrheinische Ordensprovinz 271, 292, 296, 347. Joanning, Joannes Mathematiker am Paderborner Jesuitenkolleg, geb. um 1620, gest. um 1700. 224. *Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg 1658 – 1716, kath. Kurfürst von der Pfalz seit 1690, residierte in Düsseldorf, verschwägert mit Kaiser Leopold I. (AA I·19, S. 63; BBK 3) 82. Johanna s. Päpstin Journale Acta Eruditorum Gegründet als Monatsschrift 1682 in Leipzig von Otto Mencke (1644 – 1707), 1707 – 32 hrsg. von Johann Burckhard Mencke, danach als »Nova Acta Eruditorum« von Friedrich Otto Mencke
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(bis 1754) und K. A. Bel, eingestellt 1782 mit dem 117. Jahres- bzw. Supplement-Band. (DLL 10) Auch: Diarium Lipsiense (Leipziger Journal) 5, 9, 60, 105, 132, 134, 220, 227, 270. Ein anderes Leipziger Journal waren die »Deutschen Acta Eruditorum«. Journal litteraire de La Haye Gelehrte Zeitschrift, die in Den Haag von 1713 bis 1723 erschien. Christian Wolff hatte der Redaktion dieses Blattes die »Remarques sur la controverse entre M. de Leibniz et de Newton« von Leibniz eingesandt, die Ende 1713 unter dem Titel »Remarques sur le différend …« abgedruckt wurden – eine Antwort auf einen (kurz zuvor u. a. in den Leipziger »Deutschen Acta Eruditorum« auf Dt. erschienenen) Text der Londoner Royal Society zum Streit um die Erfindung der Differentialrechnung. (Ravier Nr. 313, 310) 306, 315. Journal des Sçavans (so die Schreibung bis 1696 und seit 1702, wobei authentisch auch »Scavans«° verwendet wurde; zwischen 1697°° und 1701 »Savans«, ab 1816 »Savants«°°) Als montägliches Wochenblatt gegründet von De Sallo 1665, Erscheinungsort bis heute Paris; seit 1684 als »Edition de Holland« in Amsterdam nachgedruckt (im kleinen Duodezformat; in der Regel textident). (°Jahrgangstitelblatt 1696; °°Ravier S. 43 Fn.) *4, *67, *72, *92, *134, 143 f., *176, *210, *213, 221, *293 f., *302, *343. Mémoires (Journal) de Trévoux. Voller Titel: Mémoires pour l’Histoire des Sciences et des Beaux Arts. A Trévoux et à Paris, erschien von 1701 bis 1767; 1731 – 33 in Lyon, ab 1734 in Paris. Nachgedruckt wurde die Zs. 1701 – 1705 in den Niederlanden° (14, 114). Hrsg. war von 1701 – 1718 der Jesuit Tournemine, zum früheren Redaktionvorsitz gehörten auch P. Lallemant, Le Tellier und Buffier; seit 1720 – 1745 Louis-Betrand Castel SJ, z.T. mit Rouillé, später Bethier°°. (°Ravier S. 45 Anm. 3; °°DLLF (sub Jésuites); Catalog Collectif; Wetzer-Welte² 11) Diarium Trivultianum; Novellae Trivultianae, Commemorationes (Librariae) Trivultianae; Acta (literaria) Trivultiana 14, 18, 20, *62, 67, *73, 79, 97, 103 ff., 114, 201, 217, *223, 245, 251, *255, 270, 293, 301–305, 308, 314, 459. (Merkur, holländischer:) In Den Haag wurde 1686 – 1782 der von Bayle u. a. hrsg. Mercure historique et politique contenant l’état présent de l’Europe, gedruckt. — Außerdem erschien in Haerlem und Amsterdam
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von 1651 bis 1756 der »Hollandsche Mercurius«, seit 1690 u. d. T. »Europische Mercurius«, eine Nachrichtenchronik. Eine weitere Zeitschrift mit frz. Titel »Le Mercure Hollandaise« (Amsterdam) existierte nur bis 1683. 139. * Monatlicher Auszug aus allerhand neuherausgegebenen nützlichen und artigen Büchern 1701 – 03, hrsg. von Johann Georg Eckhart. 105. * Nouvelles de la république des lettres (Gegründet 1684 von Bayle, seit 1693 hrsg. u. a. von Bernard), erschienen de facto in Den Haag. 73 Anm 69, 217, 358 Anm. 394. Jouvancy, Joseph de 1643 – 1719, frz. Jesuit, lehrte Grammatik, Humanfächer und Rhetorik vor allem in Paris (seit 1677); 1699 zur Weiterführung der lat. »Geschichte der Societas Jesu« nach Rom berufen. (SOVO 4; JFA) Juventius 339, 342, 347. Kaiser s. Kang Xi, Karl V., Karl VI., Peter I., Shun, *Taizu Leibniz erlebte vier röm.-dt. Kaiser: Ferdinand III. (1637 – 57), Leopold I. (1658 – 1705), Joseph I. (1705 – 11) und Karl VI. Kaiserinnen Angesprochen sind Elisabeth Christine und die mit ihr verwandte Wilhelmine *Amalie. Kaiserswerth Rheininsel bei Düsseldorf, heute Stadtteil, ehemals Pfalz von Kaiser Friedrich Barbarossa. Caesaris insula 197. Kang Xi (Kangxi) Der unter der Devise »Kang Xi« (»mächtiger Lichterglanz«) von 1661 – 1722 regierende chin. Kaiser mit den persönlichen Namen Sheng Zi und Xuan Ye (geb. 1652) zählt mit seinen beiden Nachfolgern zu den bedeutendsten Regenten der seit 1644 herrschenden Qing- (Mandschu-)Dynastie. »Die großen Kaiser Kangxi […], Yongzheng […] und Qianlong […] haben eine Anpassungsfähigkeit, eine geistige Offenheit […] an den Tag gelegt, durch die sie um so mehr die Titel ›aufgeklärte Despoten‹ verdienen, als ihre Regierungsperiode vom Ende des 17. Jahrhunderts bis um 1775 wie eine konkrete Anwendung der moralisierenden und rationalistischen Philosophie des ›Neo-Konfuzianismus‹ erscheint« (Gernet)°. K. reformierte Staatsverwaltung, Verkehr und Ausbildung und initiierte eine Reihe wissenschaftlicher Unternehmungen, darunter die große »Geschichte der Ming-Dynastie« und eine illustrierte Enzyklopädie in 10.000 Kapiteln (Gujin tushu
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jicheng). Zumal er auch hervorragende Ausländer – besonders Jesuiten – etwa für Kartographie, Kalendererstellung oder Erdvermessung an seinem Hof beschäftigte, den Seehandel freigab (1684) und den diplomatischen Verkehr mit europäischen Staaten forcierte, genoss er in Europa den Ruf des Prototyps von aufgeklärtem Monarchen. Für die Missionen und Religionen im chinesischen Reich erließ K. 1692 ein Toleranzedikt, ab 1700 griff er in den »Ritenstreit« ein. Mit Erlass vom 21. Dezember 1706 verbannte K. Tournon und die christlichen Ritengegner aus China, untersagte jede Abweichung von der Missionsmethode Riccis°° und schrieb den bleibenden Missionaren ein piao (Aufenthaltsgenehmigung) vor; ein ähnliches Dekret folgte Anfang April 1707°°°. Am 24. Juni 1708 erging neuerlich ein Edikt des chin. Ritenministeriums, das Missionare ohne amtliche Lizenz außer Landes wies.+ Die Papstbulle »Ex illa die« von 1715, die die chinesischen Zeremonien für Christen verbot, kommentierte K. mit »An Unsinn hat man noch nie so etwas gesehen«++. 1716 verfügte er mit dem »Roten Edikt« die Ausweisung der Missionare – Ausnahmen wie Bouvet durften als Wissenschafter bleiben –, ein Jahr später ein Verbot der Verbreitung des Christentums; ein Missionsverbot wurde nochmals 1724 von K.s Nachfolger Yongzheng verhängt. (Gernet CW; Osterhammel; Geldsetzer-Hong: Klassikerwerke; Schmidt-Glinzer; Li 2000; Gernet CC 218 und Chronik Tafel; °Gernet CW S. 400; °°Widmaier in Li/Poser Hrsg., S. 31 Anm. 9; °°°R. Widmaier, schriftliche Mitteilung an den Hrsg. vom Mai 2005; +Dehergne S. 337; ++Gernet CC S. 218, 634) Cam Hio *131, *143, 147, *150 f., *179, *183, *188, *193, *204, *245, *292, *308, *339. Kanoniker Dom- oder Stiftsgeistliche, die nach gemeinsamer Regel (kanonisch) zusammen leben. (Denzler/Andresen) 10, 170, 269. Karl der Große geb. 742, röm. Kaiser, König des Fränkischen Reichs 768 – 814, Förderer der Literatur, eroberte u. a. Sachsen (Christianisierung), das Awarenreich und Teile des arabischen Spanien. Seine Heiligsprechung durch einen Gegenpapst im 12. Jh. wurde nicht anerkannt. (Bro) Carolus M. 88, 231, 312. Karl V. von Habsburg, röm.-dt. Kaiser, König von Spanien (Karl I.) 1500 – 1558, Enkel und Nachfolger von Kaiser Maximilian (gest. 1519), aufgewachsen in den Niederlanden, da sein Vater Philipp der Schöne von
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Burgund früh verstarb. Die spanische Krone übernahm K. von seinem Großvater Ferdinand dem Katholischen, seine Krönung 1530 war die letzte Kaiserkrönung durch einen Papst. K. litt seit dem Alter von vierzig an der Gicht, unter dem Leitbild der »monarchia universalis« führte er mehrere Kriege gegen Frankreich (beträchtliche Gebietsgewinne in Italien) oder die Osmanen und begründete durch die Eroberung Mexikos und Perus das spanische Kolonialreich. Obwohl durch seinen humanistischen Lehrer Adrian von Utrecht in Religionsfragen zur »via media« geneigt (Konzil von Trient), trat er als Gegner des Protestantismus auf (Wormser Edikt 1521: Reichs-Acht über Luther). Zunächst besiegte er die protestantischen dt. Fürsten 1547 (Schmalkaldischer Krieg), die sich aber, unterstützt von Frankreich, im Sinn des Augsburger Religionsfriedens von 1555 durchsetzten. K. dankte 1556 ab und verbrachte seinen Lebensabend in einer spanischen Villa. (Brockhaus; BBK; Hamann) 80. Karl VI. von Habsburg 1685 – 1740, dt. Kaiser. Suchte zunächst mittels »Erbfolgekrieg« in Spanien seit 1704 gegen Philipp V. seinen Königstitel (Karl III.) durchzusetzen, der 1703 in Wien proklamiert und 1706 in Spanien ausgerufen wurde. Nach dem überraschenden Tod seines Bruders, Kaiser Josephs I., am 17. April 1711 – die Nachricht erfuhr K. am 1. Mai ° – , wurde K. am 12. Oktober 1711 in Frankfurt am Main offiziell zum Nachfolger gewählt, am 22. Dezember gekrönt°° und zog im Jänner 1712 als Kaiser in Wien ein. Verheiratet mit Elisabeth Christine. Die »pragmatische Sanktion« zugunsten weiblicher Nachfolge, weitere Kriege – so gegen die Türken – und territoriale Ausdehnung markierten seine Reichspolitik. K. trieb das österreichische Barock zur Blüte, ließ u. a. die Hofbibliothek einrichten, die Bibliothek von Prinz Eugen in sie integrieren und starb plötzlich, im Alter von 55, nach einer Jagd. (Hamann; Wurzbach 6; °Mikoletzky S. 100; °° ebd. S. 127) Carolus 82, 114, *299. Kastner s. Castner Katharina von Alexandria (eigtl. Aikaterina – d.i. nicht die »Allzeit Reine« Aei katharina) Ab dem 8. Jh. als Heilige verehrte Schutzpatronin der Arbeiterinnen und Dienstmädchen, Redner und Schüler, Philosophen, Theologen und Universitäten (u. a. Paris, Eichstätt); Märtyrerin, historisch nicht belegbar, manchmal retrospektiv mit der griech. Philosophin Hypatia oder einer Christin aus Alexandria (4.– 5. Jh.) gleichgesetzt. Fest in allen christlichen Kirchen meist am 25. (selten 24.)
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November (bei Armeniern 27. März). Den variantenreichen Legenden nach soll K. mit einem Kaiser und 50 Philosophen debattiert und sie bekehrt, Folterungen überlebt und den Heldentod durch Enthauptung erlitten haben; ihr Grab mit Kloster am Sinai wurde Kultstätte. (RGG4 4; LTK³ 5; Wetzer-Welte 7) 146, 170. Keill, John 1671 – 1721, engl. Physiker und Naturphilosoph, Schüler Newtons. Seine im Jahr 1700 in Oxford gehaltenen Vorlesungen veröffentlichte er unter dem Titel »Introductio ad veram physicam«, London 1701, 4. Auflage 1719; außerdem »Introductio ad veram astronomiam«, London 1705, und »An Examination of Dr. Burnet’s theory of the earth«, Oxford 1698 u. ö. — K. war wesentlich an den Plagiatsvorwürfen der Newtonianer gegen Leibniz wegen der Infinitesimalrechnung beteiligt. (Ueberweg 17. Jh. 3, S. 14, 463, 482) Joannes Kal 454. Kelsos griech. Platoniker des späteren 2. Jhs. n. C. Hauptschrift, neben einer verschollenen Ethik, ist »Alethes logos« (Wahre Lehre), in der K. eine allen Völkern gemeinsame Weisheitslehre in den Vordergrund rückt, die von Platon verbindlich dargelegt worden sei. Judentum wie Christentum spricht er dagegen die Originalität ab, sie seien vielmehr neuerungssüchtiger Abfall vom »alten logos« und der Religion der alten Ägypter, aber auch der Perser, Griechen, Chaldäer, Inder, Assyrer, Kelten und anderer, und würden durch einen zur Schau gestellten Geist der Zwietracht den Bestand des römischen Staates gefährden. Daten über Leben und Lehre von K. sind bis heute allein durch Origenes’ Schrift gegen K.s Hauptwerk greifbar. (NPauly 6) Celsus 236. Kemper, Pater dt. Jesuit, Logiklehrer am Kolleg in Osnabrück. Weiteres nicht ermittelt. 292. Kepler, Johannes 1571 – 1630, Sohn eines Söldners aus Württemberg. Nach Lateinschule und Artistenfakultät im protestantischen Tübinger Stift, wo ihn der Mathematiker und Astronom Mästlin mit dem heliozentrischen System von Kopernikus bekannt machte, Studium der Theologie; lehnte jedoch gewisse Dogmen der lutherischen Lehre ab, weshalb er als Landschaftsmathematiker (u. a. Kalendererstellung) in die Steiermark vermittelt wurde. 1597 Heirat mit Barbara Müller. Zumal er sich den Rekatholisierungsmaßnahmen des innerösterreichischen Erzherzogs
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Ferdinand II. widersetzte, folgte K. einem Ruf Tycho Brahes nach Prag und trat 1601 dessen Nachfolge als Hofmathematiker Kaiser Rudolfs II. an. In seinen Planetenbahnberechnungen modifizierte er Kopernikus’ Lehre, verbunden mit neuplatonischer und neupythagoreischer Philosophie. Nach der Absetzung Rudolfs II., dem Tod der Ehefrau und eines seiner Kinder 1612 Landschaftsmathematiker in Linz. Nach weiteren familiären Rückschlägen (Hexenprozess gegen K.s Mutter in Württemberg) und religiöser Bedrängnis übersiedelte K. 1626 nach Ulm; 1628 Vollendung der rudolphinischen Tafeln mit den Planetenbahnen; zuletzt im oberschlesischen Sagan Mathematiker im Dienst des Feldherrn Wallenstein. Außer dem »Mysterium Cosmographicum« (1596, ²1621) und den »Harmonices Mundi« (1619) publizierte K. zahlreiche naturwissenschaftliche, naturphilosophische und theologische Schriften. Ein wichtiges Moment der K.-Rezeption stellt auch Leibniz’ Begriff der »prästabilierten Harmonie« dar. (BBK; Bialas S. 906 – 919) 220. *King, William 1650 – 1729, ausgebildet am Trinity College in Dublin, Kleriker, seit 1702 Erzbischof von Dublin. Obwohl politisch den englischen Whigs zugehörig, Verfechter einer eigenständigen irischen Kirche. Verfasser kirchenpolitischer Schriften (»State of the Protestants of Ireland under the late King James’ Government«, 1691), mit denen er gegen Katholizismus und Presbyterianismus auftrat. Hauptwerk: »De Origine Mali« (London, auch Dublin, 1702; Bremen 1704), in dem K. – philosophisch zunächst an Locke anschließend – bei dem Versuch, das menschlich Böse mit göttlicher Güte zu versöhnen, die Verantwortlichkeit des Menschen für böses Handeln bestritt. Leibniz verfasste dazu seine Rémarques sur le livre de l’origine du mal. (DNB 31; Ravier; Ueberweg 17. Jh. 3·2 und 4·2, S. 1039) 250 Anm. 290. Kircher, Athanasius 1601 – 1680 Jesuit, Professor für Mathematik, Philosophie, Hebräisch und Syrisch in Würzburg, Verfasser naturwissenschaftlicher Schriften, vom Papst ans Collegium Romanum in Rom berufen. K.s Museum entstand aus einer dem Collegium 1650 vermachten Sammlung, die K. 1651 übernahm und in einem zugemauerten Arkadengang zur Universalkollektion von technischen Erfindungen, Instrumenten, archäologischen Funden, Kunstwerken ausbaute; der Katalog dieser barocken Enzyklopädik erschien erstmals 1678; umfassend publizierte ihn 1709 Bonanni. Veröffentlichungen u. a.: »Oedipus
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Aegyptiacus. Hoc est universalis Hieroglyphicae Veterum Doctrinae … instauratio« I-III, Rom 1652 – 1655; »China Monumentis, qua sacris qua profanis, nec non variis naturae et artis spectaculis, aliarumque rerum memorabilium argumentis illustrata«, Amsterdam 1667. Mit der 183 genannten Herausgabe des altchinesischen Dokuments ist gemeint »Monumenti Sinici, quod anno Dom[ini] 1625 terris in ipsa China erutum, seculo vero octavo sinice, ac partim syriace in saxo prescriptum esse videtur, lectio, versio, translatio. P. Athanasius Kircher edidit, tonos addidit Andreas Mullerus Greiffenhagius, Berolini 1672« über die Inschrift an der im Februar 1625° entdeckten nestorianischen Stele von Xi’an Fu°°, die auch in »China Monumentis« vorgestellt worden war°; Entdecker und erster lat. Übersetzer war der Jesuit Nicolaus Trigault°°°; vgl. auch Diaz. (SOVO 4 Sp. 1064; Goldenbaum S. 441; http: www.didaktik.mathematik.uni-wuerzburg.de 7. 7. 2004; Li 2000 S. °27 und 607; °°vgl. Eintrag Nestorianer; °°° Li 2000 S. 127) Kircherus 149, 183, 232. Kircherianisches Museum 179. Knippenberg, Sebastian um 1645 – 1733, aus Brabant. In Köln Ordenseintritt zu den Dominikanern, 1688 Dr. theol., Professor der Theologie an der Kölner Universität, Dekan und Generalinquisitor des dortigen Concilium Theologicum. K. publizierte u. a. »Opusculum de providentia Dei gubernante per motum juxta mentem S. Augustini«, 1700 – das die (von Ordensoberen kritisierten) apologetischen Rückgriffe auf Thomas Lemos enthält°; außerdem »Deus movens juxta mentem Thomae Aquinatis«, 1708; »Doctrina S. Thomae in materia de gratia ab erroribus ipsi falsis impositis liberatur« mit einem angehängten »Compendium doctrinae Cornelii Jansenii Iprensis Episcopi«, 1718. (DBA, nach Jöcher Erg. Bd. 3 u. 7; DTC 8/1924; Coulon S. 549 – 552, °vgl. ebd. S. 550.) Knippemberg 71. Köln am Rhein Gegründet durch den römischen Statthalter Agrippa 38 v. C. für den angesiedelten Stamm der Ubier. Den Namen Colonia Agrippinensis erhielt der Ort zu Ehren der dort geborenen Agrippina d. J. (15 – 59 n. C.), Gattin des röm. Kaisers Claudius, im Zuge der Stadtrechtsverleihung 50 n. C. Unter fränkische Herrschaft kam K. Mitte des 5. Jhs. (NBro; NPauly) 68, 161 f., 164 et passim. Konfuzius / Kong Zi, urspr. Kong Qiu, Beiname Zhong Ni 551 –479 v. C., chin. Philosoph, Beamter des Staates Lu, danach 13 Jahre als politi-
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scher Ratgeber bei Herrschern verschiedener chin. Staaten unterwegs, schließlich bis zu seinem Tod wieder Lehrer in Lu. K. entwickelte zum Zweck gesellschaftlicher Kultur eine umfassende Sicht zwischenmenschlichen Verhaltens, zentriert um ein spezifisches Konzept der menschlichen Person (ren) und deren mitmenschlichen Ausdruck (ren), wobei er die Unhintergehbarkeit der Traditionen, sozialen Differenzen, Rollen und Riten (li; nicht zu verwechseln mit dem abstrakten Begriff des Ordnungsprinzips, li) voraussetzt. Überliefert ist seine Lehre vor allem in dem von seiner Schule aufgezeichneten, im 2. Jh. n. C. kompilierten Buch »Lunyu« (Gespräche). (EC; Geldsetzer/Hong Klassikerwerke) Confucius, Confutius 145, 147, 193, 209, 292, 295. Unter »Konfuzianismus« (Ru Jia) wurde in der europäischen Rezeption um 1700 vor allem der sog. Neo-Konfuzianismus verstanden, ausgebildet vom 9.– 13. Jh. in der späten Tang- und der Song-Zeit, insbesondere als Li-Lehre (li xue), wie sie durch Zhu Xi im 12. Jh. geprägt wurde. Diese Strömung erhielt 1415 offiziell verbindliche literarische Gestalt mit den drei großen Kommentarsammlungen zu »Natur und Ordnung (li)« (Xing Li Dajuan), zu den »Vier Büchern« (Große Lehre°; Mitte und Norm; Gespräche des Konfuzius; Mengzi) und zu den »Fünf Klassikern« (Yijing oder Buch der Wandlungen; der Urkunden; der Lieder; der Riten; Frühlings- und Herbstannalen). Von den ersten europäischen Missionaren des 16. Jhs. bis zum Missionsverbot Anfang des 18. Jhs. (Ritenstreit) suchten maßgebliche Christen und (Neo)konfuzianer in China, eine gemeinsame Front gegen Buddhismus und Daoismus zu bilden (vgl. chinesische Gelehrte), was auch zur verkürzten europäischen Rezeption der hierin kontroversen neokonfuzianischen Tradition beitrug. (Kern S. 236 – 39; Collani 1994 S. 126; EC S. 355; Gernet CC; °Das Große Lernen / Daxue, Hrsg. Moritz) Königin s. *Sophie Charlotte portugiesische K. (107) s. Portugal Konrad von Konstanz 900 – 975, Bischof, Sohn des Welfengrafen Heinrich von Altdorf. K. empfing seine Bildung an der Domschule zu Konstanz, wurde ebendort Domprobst und 934 Bischof. Er hatte enge Kontakte zu Kaiser Otto I., stand reichspolitisch aber im Schatten des Augsburger Bischofs Ulrich (923 – 973). K. fuhr mehrmals nach Rom und Jerusalem. Als Bauherr und Gründer verschiedener Kirchen (Mauritiusrotunde, St. Johannes Baptista, St. Laurentius, St. Paulus) dokumen-
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tierte er seine religiös-politischen Ideen. Errichtung eines Spitals. Seine Verehrung wurde vom Bischof Ulrich I. von Dillingen (1111 – 1127) gefördert, die Vita wurde um 1120 von Udalschalk, damals Mönch (später Abt) vom Augsburger Stift St. Ulrich und Afra, abgefasst. K. wurde auf dem 1. Laterankonzil 1123 heilig gesprochen. (BBK) Conradus 79. Konzil *von Konstanz (4) (869 – 70) *137. Laterankonzil (4) (1215) 47, 441 f., 446 f. tridentinisches (1545–63) 72, 92, 95, 114, 118. Kopernikaner Mit dem Namen des wissenschaftsmethodisch konservativ arbeitenden dt.-polnischen Juristen, Mediziners, Mathematikers, Astronomen und Domherrn Nikolaus Kopernikus (Copernicus) (1473 – 1543) wurde vor allem die Theorie der Bewegung der Erde um die Sonne verknüpft. Kopernikus stellte die Ersetzung des antiken Geozentrismus von Ptolemaeus durch den auf der Berechnung des Epizykelsystems der Planeten basierenden Heliozentrismus nicht erst in seinem Hauptwerk »De revolutionibus orbium coelestium«, Nürnberg 1543 u. ö., vor. Sein System wurde von dem Engländer Thomas Digges (gest. 1595) radikalisiert und auf einen unendlichen kopernikanische Kosmos ausgedehnt. K. waren Giordano Bruno und Johannes Kepler ebenso wie etwa J. Chr. Sturm°, der prominenteste wohl Galileo Galilei, dessen Verurteilung durch die römische Indexkongregation 1616 als Folge der Verwerfung der kopernikanischen Theorie im Allgemeinen gilt. Von anderer Seite versuchte etwa William Gilbert, die kopernikanische Erdrotation mit Hilfe der Magnetismustheorie experimentell nachzuweisen. (Bialas; Mittelstraß 2; °M. Albrecht S. 944) 17. Krokane, Pater Nicht ermittelt; vermutlich verderbt für Provana. 133. Kun s. Shun Labbé, Philippe (Labbaeus) S J, 1607 – 1667, Kirchenhistoriker und Bibliograph aus Bourges, lehrte Rhetorik, Philosophie und Theologie hauptsächlich in Paris, wo er im Collège Clermont (Louis Le Grand) starb. Hauptwerk unter zahlreichen Veröffentlichungen: Sacrosancta concilia ad regiam editionem exacta, 18 Bde. Paris 1662 ff. L. erlebte noch den Druck von Bd. 9, fertiggestellt wurde die Konziliensammlung durch Gabriel Cossart, neuerlich hrsg. 1725 von Hardouin. Neben
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weiteren Arbeiten zur Konziliengeschichte publizierte L., oft in mehreren Auflagen, bibliographische und historische Arbeiten; gegen Jansen »Triumphus catholicae veritatis adversus novatores sive Jansenius damnatus a conciliis pontificibus«, 1652, und »Bibliotheca antijansenistica« 1654. L. stritt aber auch mit Tournemine über numismatische Fragen. (Koch; SOVO 4) 741. Labroue Nicht ermittelt. – Ob etwa der frz. Bischof Pierre de L. (gest. 1720), prominenter Konzils-Appellant und Sympathisant des Jansenismus, sich auch in Köln aufhielt und irrtümlich Post erhielt, die für Leibniz bestimmt war, muss offen bleiben. (DBF 18) 313. La Chaize s. Chaize d’Aix Lallemant, Jacques-Philippe 1660 – 1748, frz. Jesuit, sehr produktiver Schriftsteller, starb in Paris; Mitarbeiter der Mémoires de Trévoux. Die meisten seiner Publikationen galten dem Streit mit den Jansenisten, voran »Reflexions morales avec des notes sur le Nouveau Testament« (12 Bde., 1713 – 1724), eine frz. Übersetzung des Neuen Testaments – teils in Kooperation mit Bouhours et al. – , die sich gegen das gleichbetitelte Werk von Quesnel richtete und weit bis ins 19. Jh. in Gebrauch war. Nicht völlig gesichert ist L.s Autorschaft an Le véritable esprit des nouveaux disciples de S. Augustin. Lettres d’un abbé licentié de Sorbonne (s. Eintrag) von 1705 – 06, ebenso (330 gemutmaßt) an dem ebenfalls mit dem Jansenismus-Streit befassten Lettres d’un Abbé à un Evêque ou l’on démontre l’equité de la Constitution Unigenitus (vgl. Daniel); »Jansénius condamné par l’Êglise«, Brüssel 1705, wurde zuerst fälschlich Hilaire Dumas zugeschrieben. Abermals gegen Quesnel erschien Lettre d’un théologien à l’auteur des Hexaples, dans laquelle on montre qu’il n’a fait que copier les auteurs protestants im Duodezformat 1714 in Paris°, eine – wie von Des Bosses 330 möglicherweise angedeutete – spätere zweibändige Auflage in Quart konnte nicht ermittelt werden. Eine Zusammenstellung der zahlreichen, oft pseudonymen Kontroversschriften L.s wurde 1734 – 43 herausgegeben; L. übersetzte auch die Psalmen (1708) und Thomas von Kempens »Nachfolge Christi« (1740). (Koch; DBF 12 Dumas; Frémont 133 nach Grua I, 255; SOVO; °DTC 8, Sp. 2458) Alemannus *7, 330, 401. Lami s. Lamy
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Lamindus Pritanius Pseudonym von L. A. Muratori als Autor der Schrift »De ingeniorum moderatione in religionis negotio« (Paris 1714), gerichtet gegen die Verteidiger der Unbefleckten Empfängnis. Muratoris Neffe, Soli, führte die Kritik als Lamindus Pritanius Redivivus gegen den hl. Alphonsus fort, der sich unter Berufung auf den hl. Bernhard verteidigte.° Ebenfalls unter L. P. veröffentlichte Muratori »Della riflessioni sopra il buon gusto nelle scienze e nelle arti«°°°, das 1708 von Bernardo Trevisano hrsg.°° und z. B. wieder 1723 in Venedig gedruckt wurde°°°. Stoßrichtung ist die Errichtung einer italienischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Bereits 1703 kam in Neapel ein »Projet d’un nouvelle Académie Litteraire, sous le nom de Lamindo Pritanio« – so die frz. Paraphrase – heraus.°° Im Gegenzug erschien eine anonyme, an Trevisano gerichtete Broschüre namens »De recte instituenda Juris Academia, ad Lamindum Pritanium Nobilissimum & Eruditissimum Virum Epistola« in Venedig (o.J.).°° Leibniz’ Gleichsetzung von L.P. mit Bernardo Trevisano scheint somit von einer mystifizierten Kooperation zwischen Muratori und Trevisano überlagert. Zu der vom Hrsg. nicht enträtselten Identität vgl. auch den Eintrag Trevisano. (°Scheeben, M.J.: Mariologie; °°Journal des Sçavans 1710, Nr. 43 (22. Dez.), S. 681; °°°UBW) 341, 358. La Montre (Jean°) frz. Professor für Mathematik und Philosophie, Beiträger des Pariser Journal des Sçavans zu technisch-naturwissenschaftlichen Fragen. 1696 führte La M. dort eine Auseinandersetzung mit Hartsoeker über dessen »Principes de Physique« (die Des Bosses rezipierte): Nachdem dieses Werk ebenda am 26. März rezensiert worden war (S. 146 – 153), eröffnete La M. den Disput am 16. April (»Difficultez proposées a Monsieur Hartsoeker, sur les Principes de Physique«, S. 188 – 190); Hartsoeker replizierte am 9. Juli (»Des Elemens du corps naturel et des qualitez qu’ils doivent avoir«, S. 326 – 331); La M. präzisierte den Themenkreis mittels des englischen Autors Henry Bond zur Frage der Magnetisierung (»La Cause Phisique de la Declinaison & Variation de l’éguille aimantée«, 6. August, S. 366 – 371) und setzte nach: »Replique de Monsieur La Montre … à la reponse de M. Hartsoëker, touchant les elemens du corps naturel« (13. August, S. 375 – 379); es folgten: • »Dificultez Proposées par M. Hartsoeker sur l’explication que M. La Montre a donnée dans le Journal du 6. de ce mois de la variation de l’éguille aimantée« (20. August, S. 389 f.); • La M.: »Critique de ce que
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M. Hartsoeker a publié dans ses principes de Phisique, touchant la declinaison & variation de l’èguille aimantée« (3. September, S. 414 – 419); • »Reponse de M. Hartsoeker a la Replique de M. La Montre touchant les élemens du corps naturels« (10. September, S. 429 – 431). In der Folgenummer (19. November) sprengte schließlich Leibniz die Debatte: mit Extrait d’une Letre de Mr. de Leibniz sur son Hypothese de Philosophie, & sur le problême curieux … — La M. steuerte weitere Beiträge über physikalische, naturphilosophische, geometrische und technische Themen zum Journal des Sçavans (vgl. z. B. 1701), zu den Mémoires de Trévoux (vgl. Juni 1702) u. a. bei. (Journal des Sçavans; Mémoires de Trévoux; °www.muwels.millersville.edu/~columbus/data/art, 26. 11. 2004: »Jean La M. […] wrote in 1702 […] vgl. Lagarde,[Lucie :] Historique du probleme du Meridien [origine en France, Paris 1979 (= Revue d’histoire des sciences et de leurs application 32)], S. 297«). 72, 221. Lamy (Lami), Bernard 1645 – 1715, frz. Oratorianer, Philosophieprofessor in Angers, wegen seines Cartesianismus von peripatetischen Kollegen angefeindet. Auch aufgrund seiner radikalen politischen Lehre, Monarchie sei gleich Tyrannei°, 1675 Verurteilung seiner Schriften, Versetzung, Lehrtätigkeit am Seminar in Grenoble. Nach publizistischem Erfolg 1689 ging L. über Paris für sein restliches Leben nach Rouen zu Studien und Gebeten. Über die von Leibniz genannten mathematischen Werke hinaus – Éléments de mathématiques (1691, als 2. Auflage der »Traité de la grandeur en général« von 1680) und Éléments de Géométrie (1684) – vielfältige Arbeitsgebiete und Publikationen: »De l’art de parler« (Rhetorik, 1670, mehrere Auflagen und Übersetzungen), »Nouvelles Réflexions sur l’art poétique« (1668 – 78), »Traité de méchanique« (1679), »Apparatus biblicus sive manuductio ad sacram Scripturam« (1708 u. ö.), »Demonstration de la vérité et de la sainteté de la morale chrétienne« (1688; 2. Aufl. in 5 Bdn. 1706 – 11), »Harmonia sive Concordia quatuor evangelistarum« (1689) mit nachfolgendem Kommentar und Apparatus (1699). Das größte Werk, »De tabernaculo foederis, de sancta civitate Jerusalem«, an dem L. 30 Jahre arbeitete, erschien postum 1720. (Michaud 23; °Brockliss S. 20) 162 f. Lamy (Lami), François 1636 – 1711, frz. Benediktiner aus adeliger Familie, studierte Philosophie und Literatur in Paris, trat in den Militärdienst, bei dessen Ausübung ihn ein Taschenexemplar der benediktinischen
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Ordensregel vor schwerer Hiebverletzung bewahrte. 1658 Eintritt zu den Benediktinern in Reims, dann in ein Kloster in Meaux, wo er mit Bossuet, dem späteren Bischof, Freundschaft schloss. Unterrichtete in verschiedenen Klöstern (St. Germain de Prés), wobei er die Lehre Descartes’ als erster in den Philosophiekurs einbaute, was ihm 1687 ein königliches Lehrverbot eintrug. Seinen durch Asthma getrübten Lebensabend verbrachte er im Kloster St. Denys, wo er u. a. mit Fénelon intensiven Kontakt in Religionsfragen pflegte; auch der Herausgeber der Augustinusedition (Blampin) suchte bei L. Rat. Bevorzugte schriftstellerische Themen: Askese und geistliches Leben sowie eine Apologetik auf Basis philosophischer Argumentation. Wichtige Werke: »De la connoissance de soi-même«, 6 Bde. 1694 – 1698, ²1700; »Sentimens de piété sur la profession religieuse, applicables à la profession des Chrétiens dans le Baptême«, 1697; »Vérité évidente de la Religion chrétienne« (1694, eine Streitschrift gegen den Jesuiten Carascoet); »Le nouvel Athéisme renversé, ou Réfutation du systême de Spinosa«, 1696 (²1711, zusammen mit Fénelons Spinoza-Kritik); »De la connoissance et de l’ amour de Dieu«, 1712; sowie stilistisch Epoche machende Briefe wie »Lettres … pour repondre à la critique du R. P. Malebranche … sur les trois derniers éclaircissemens de la connoissance de soi-même touchant l’ amour désintéressé«, 1699; »Lettres théologiques et morales«, 1708. Lettres philosophiques sur diverses sujets importantes, Trévoux 1703 (196), wurde u. a. im »Journal des Sçavans« vom 14. April 1704, S. 234 – 237 besprochen; demnach behandelt der erste Brief die Ursachen der »Diversité des hommes«, der zweite die »Continuation du mouvement des corps« und die restlichen Malebranches »Recherche de la verité«, wobei der sechste und letzte Brief die »Eclaircissemens des difficultez qu’on propose contre le systême des causes occasionelles« enthält. — Leibniz erwähnt dieses Werk im Vorwort und § 392 der Theodizee° und äußerte sich nochmals im Juli 1712 mit Remarques de Monsieur de Leibnits sur la sixième Lettre … Teil ihrer Auseinandersetzung über den Gottesbeweis war auch Leibniz’ Briefauszug in den Mémoires de Trévoux vom September 1701: Extrait d’un Lettre de Mr. de Leibnitz touchant … le P. L’Amy Benedictin. Im Journal des Sçavans, Supplement vom Juni 1709 (S. 275 – 281), veröffentlichte Leibniz die Réponse de M. Leibnitz aux Objections que l’Auteur du Livre de la Conaissance de soy-même a faites, da L. in der 2. Auflage seines Buches über die Selbsterkenntnis zu Leibniz Stellung
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genommen hatte. (BBK; Chronik; °HT 1 S. 87 und 229, Anm. 454 und 19; Ravier) Lamius 176, 179, 197, 201. Lana, Francesco Conte Terzi de 1631 – 1687, Jesuit. Studium in Rom, Pionier der Luftschifffahrt. L. unterrichtete Grammatik, Physik und Mathematik u. a. in Ferrara. Maßgeblicher Repräsentant der Ablösung metaphysischer durch empirische Konzepte in der experimentellen Physik, insbesondere in der Kinetik. Hauptpublikationen waren Magisterium naturae et artis (91, 93) aus der Spätzeit in Brescia (3 Bde., Brescia/Parma 1684 – 92) und der auf 9 Bde. geplante »Prodromo ovvero saggio di alcune invenzioni nuove« (1670), der sich mit der Konstruktion von Flugmaschinen sowie Fernrohren, Mikroskopen, Fernsprechern, Sämaschinen und einer Blindenschrift befasste. Für die Stadt Terni verfasste L. ein Heiligendrama, 1671 schrieb er zwei Briefe physikalischen und mathematischen Inhalts an Leibniz, vgl. AA II·1, N. 72 f. (Baldini S. 678, 721, 724; Chronik; EI 20; Koch) Franciscus Lana, de Lanis 91, 93, 103, 116, 119. Langegkfelder s. Spee von Langenfeld *Lao Zi Sagenumrankter chin. Philosoph mit ungesicherter historischer Biographie, nach dem Historiographen Sima Qian (2. Jh. v. C.) mutmaßlich Archivar im späten Staat Zhou (6.– 5. Jh. v. C.), hieß Li Er, genannt auch Lao Dan, gilt als Verfasser des gleichwohl erst im 3. oder 2. Jh. v. C. geschriebenen Klassikers »Dao De Jing« und Begründer des Daoismus als einer antikonfuzianischen Philosophietradition, die religiös-kultisch und medizinisch-therapeutisch ausstrahlte, doch philosophisch durch Zhuangzi (4. Jh. v. C.) klassisch ausgestaltet wurde. Eine von vielen Volkslegenden, aufgezeichnet von Li Feng im 10. Jh.° und im 17. Jh. von christlichen Missionaren vermerkt, erzählt, dass L.s Mutter nach mindestens 72 Jahren jungfräulicher Schwangerschaft ihn als Greis aus ihrer Seite gebar. (°Li 2000 S. 307 und 376 zit. Li Feng Taiping guangji / Sammlungen in der Tai-Ping-Ära; Bauer GCP S. 83 f.) 145. La Rochelle Das Bistum »Maillezais et La Rochelle« (Malleaca et Rupella) bestand seit 1317; 1648 wechselte der Sitz von der Abtei Maillezais nach La Rochelle. Bischof war von 1703 – 1724 Stephane Champflour. Zur gemeinsamen »Pastoralis Instructio« gegen Quesnel und den Jansenismus s. Luçon. (Rupellensis) 214, 241.
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Launoy, Jean de 1602 – 1678, der »Heiligentöter«; frz. Priester und Theologe in Paris, ab 1643 einer von vier königlichen Zensoren in Frankreich für die Schriften von Jansen und Arnauld. Wegen zu großer Nachgiebigkeit aus dem Collège de Navarra ausgeschlossen, ergriff er 1656 in einer Schrift für Arnauld Partei. Seine wöchentlichen Gelehrtendebatten wurden 1676 vom König verboten. L.s zahlreiche Werke – wegen Jansenismusverdachts oft unter dem Pseudonym »Jean le Buys« – hauptsächlich zur kirchlichen Verfassungsgeschichte sind geprägt durch Kritik an Legenden und Heiligenmythen, an der Unfehlbarkeit des Papstes und der unbefleckten Empfängnis. »Concilia antiqua Galliae«, 1639; »De mente concilii Tridentini circa satisfactionem in sacramento paenitentiae dissertatio«, Paris 1644; »De mente concilii Tridentini circa contritionem et attritionem in sacramento paenitentiae liber, quo scilicet duplici theologorum de contritione et attritione opinioni praejudicium nullum fecisse sed utrumque scholae liberam reliquisse demonstratur«, Paris 1653; »Regii Navarrae gymnasii Parisiensis historia«, Paris 1677. (BBK; Frémont) Launoius 173. Laxenburg Schloss südlich von Wien, kaiserliche Sommerresidenz. 295. Leibniz, Gottfried Wilhelm 103, 412, 414, 416. Werke, die im Text angeführt sind oder ohne ausdrückliche Titelnennung (*) mit Briefstellen in Zusammenhang stehen. Hier vermisste Titel such man unter entsprechenden anderen Einträgen. Annalen (Annales), auch Braunschweigische Geschichte oder Welfengeschichte, die in Annalenform abgefasst werden soll (zumindest für 768 – 1235; so die Übereinkunft Leibniz – Kurfürst Ernst August von Hannover 1693)°. Leibniz hat über dreißig Jahre daran gearbeitet: sein Plan entstand im Jänner 1680 (Geschichte des Hauses BraunschweigLüneburg ab Otto dem Kinde), der erste Schritt zur Ausführung erfolgte 1685 (Auftrag im August), um Mai 1686 Promemoria, Herbst 1690 erster Forschungsbericht (»Reisebericht«) an Ernst August. Jänner 1691 Unterbreitung eines Entwurfs; vor allem gegen Lebensende hat Leibniz wieder verstärkt daran geschrieben und den Teil 1 bis Heinrich II. fertiggestellt, aber nicht mehr zu Lebzeiten publiziert°°; ein guter Teil des leibnizschen Materials floss in Joachim Friedrich Fellers »Des Königlichen Gross-Britannischen, Chur- und Fürstlichen Braunschweig-
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Lüneburgischen Hauses Genealogische Historie«, Leipzig 1717, ein°°°. Eine kurze Annonce der »Historia Brunsvicensi quam edere paraverat G. G. Leibnitius« von Eckhart brachten die Acta Eruditorum im August 1717; Christian Ludwig Scheidt gab 1749 den ersten Abschnitt, »Protogaea«, heraus (einmal lat., einmal dt.) und 1750 – 53 vier Bde. »Origines Guelficae« (mit den Texten von Leibniz, Eckhart und Johann Daniel Gruber), ergänzt 1780 um Doppelband 5 (mit Indices) von Johann Heinrich Jung. Unter dem Titel Annales Imperii Occidentis Brunsvicenses erschien die Arbeit als Bd. 1–3 der Gesammelten Werke, hrsg. von Georg Heinrich Pertz, Hannover 1843 – 1846 (umfassend die Jahre 768 – 1005, über 2200 Seiten). (Chronik, °ebd. S. 125, °°ebd.; HeinekampMüller Bibl.; Ravier, °°°ebd. Nr. 329, vgl. auch S. 161) *30, 231, 312, 315, *330, 335. *ἈποκατάστασιϚ (πάντων) (um 1715). In: Ettlinger, Max: Leibniz als Geschichtsphilosoph. Festrede bei der 50jährigen Reichsgründungsfeier der Westfälischen Wilhelms-Universität zu München am 18. Januar 1921: mit Beigabe eines bisher unveröffentlichten Leibnizfragments über »Die Wiederherstellung aller Dinge« (Apokatastasis panton). München 1921, S. 27 – 34 218 Anm. 257. Apparat zur Philologie (Apparatus ad Philologiam) ist unter diesem Titel nicht nachgewiesen (nicht bei Ravier, Couturat, Grua, Chronik und Schulenburg), für den entsprechenden Stoff kommen andere Schriften in Frage. Eine »Dissertatio de Variis Linguis« (auch »Dissertatio Philologica«) lieferte Leibniz am 13. Jänner 1714 in Wien an John Chamberlayn, Mitglied der Londoner und Berliner Akademie, für dessen Sammlung »Dissertationes ex occasione Sylloges Orationum Dominicarum … una cum Dissertationibus nonnullis de Linguarum Origine«, Amsterdam 1715, ab. Vgl. aber auch »Collectaneae Etymologica, Illustrationi linguarum Veteris Celticae, Germanicae, Gallicae, aliarumque inservientia«, hrsg. von Johann Georg Eckhart, Hannover 1717: Der 2. Teil enthält die große Arbeit »Archaeologus Teuto sive Glossarium multorum Vocabulorum Veterum Teutonicorum Celticorumque, collectorum ex variis Vocabulariis et antiquissimis Teutonicis Scriptoribus«. Etymologische Untersuchungen prägen u. a. auch De origine Francorum. (Ravier Nr. 317, vgl. auch Steinhofer, J. U.: Catalogus Operum – Nr. 250, a.a.O. S. 375) 218.
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Blumen, auf das Grab der Päpstin gestreut s. Flores sparsi *Brevis demonstratio erroris memorabilis Cartesii et aliorum circa legem naturae, secundum quam volunt a Deo eandem semper quantitatem Motus conservari. In: Acta Eruditorum, März 1686, S. 161 – 163. — GM·6, 117 ff.; AA VI·4C, S. 2027 ff. 37. Causa Dei asserta per Justitiam ejus, cum caeteris ejus perfectionibus, Cunctisque Actionibus conciliatam. Amstelodami 1710 (apud Isaac Troyel); bildet in späteren Auflage den Schlussteil der Theodizee. — Weitere Ausgaben entsprechend Theodizee. *158, *192 Anm. 216, 223, *327. *Considérations sur les principes de vie, et sur les natures plastiques, par l’auteur du systeme de l’harmonie préetablie, in: Histoire des Ouvrages des Savans, Mai 1705, S. 222 – 236. — GP·6, 539 – 549 (mit Variation u. d. T. »Eclarcissement sur les natures plastiques et les principes de vie et de mouvement, par l’auteur du systeme de l’harmonie préetablie«); Frz.-Dt. in: Philosophische Schriften IV, Hrsg. Herring, S. 327 – 347. 4, 404. Dissertatio de Theologia Sinensium naturali – frz. Text (Arbeitstitel: »Philosophie chinoise« oder »des Chinois«, unvollendet, verfasst als Brief für Nicolas Rémond, letzte Hand Anfang 1716), publiziert erstmals 1735 (»Lettre de M. Leibniz sur quelques points de la religion des Chinois«, in: Leibnitii epistulae ad diversos, hrsg. von Chr. Kortholt, Bd. 2, Leipzig 1735, S. 413 – 494); später in D·4/1, S. 169 – 210; in deutscher Übersetzung mit Kommentar durch Renate Loosen und Franz Vonessen: G. W. Leibniz: Abhandlung über die chinesische Philosophie. In: Antaios VIII (1967), S. 134 – 203; auf Englisch durch Henry Rosemont und Daniel J. Cook (»Discourse on the natural Theology of the Chinese«, Hawaii 1977); zuletzt (kritische Ausgabe) unter dem Titel Discours sur la Théologie Naturelle des Chinois. Mit einem Anhang hrsg. und mit Anmerkungen versehen von Wenchao Li und Hans Poser. Frankfurt am Main 2002. 340, 346 *»Il dominio temporale /i.e. Dominium temporale sedis apostolicae in civitatem Comachiensem/ 1708«– »Osservazioni sopra un lettera … Il dominio temporale. 1708«, in: Acta Eruditorum, Mai 1709, S. 195 – 203 – eine Rezension zu zwei Schriften von Fontanini und Muratori. 358 Anm. 394.
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*Eclaircissement du nouveau Sisteme de la communication des substances, pour servir de réponse à ce qui en a esté dit dans le Journal du 12. septembre 1695. In: Journal des Sçavans, 1696, 2. April (Nr. XIV, S. 166 ff.) und 9. April (Nr. XV, S. 169 ff.). — GP·4, 493 – 498; Frz.-Dt. in: Philosophische Schriften I, Hrsg. H. H. Holz, S. 226 – 237. 92. Essais s. Theodizee *Explication de l’Arithmétique Binaire qui se sert des seuls Caractères 0 et 1; avec des Remarques sur son utilité, et sur ce quèlle donne le sens des anciennes figures Chinoises de Fohy. Par M. Leibnitz. In: Mémoires de l’Académie Royale des Sciences de Paris, 5. Mai 1703, S. 85 – 89. — GM·7, 223 – 227. 292 Anm. 324. *Extrait de deux Livres Italiens sur les affaires de Comachio. In: Nouvelles de la République des Lettres, April 1709, S. 359 – 377. 358 Anm. 394. Extrait d’une lettre de M. de Leibniz à M. Foucher, Chanoine de Dijon, sur quelques axiomes de Philosophie. In: Journal des Sçavans 2. Juni 1692, S. 247 ff.; forciert durch Extrait d’un lettre … pour soutenir … am 6. Jän. 1693 und Réponse de M. de Leibniz à l’extrait de la lettre de M. Foucher … insérée dans le Journal du 16. mars 1693, ebd. 3. Aug. 1693, S. 355 f. • Fouchers »Objections« gegen Leibniz’ »Neues System« ebd. 12. Sept. 1695, darauf wieder Leibniz: Eclaircissement du nouveau Sisteme … — GP·4, 466 f., 493 – 98 (Ravier 122, 147) und D·2 ,1 238 ff. und 242 f. (Ravier 117, 128). 92. *Extrait d’une Lettre de Mr. de Leibnitz sur ce qu’il y a dans les Mémoires de Janvier & de Fevrier touchant la generation de la glace, & touchant la Demonstration Cartesienne de l’existence de Dieu par le R. P. l’amy Benedictin. In: Mémoires de Trévoux, September-Oktober 1701, S. 200 – 207 (Teilabdruck in GP·4, 405 f.) (Nicht im Brieftext erwähnt). *Extrait d’une lettre de M. Leibniz sur la question, Si l’essence du corps consiste dans l’Etendue. In: Journal des Sçavans 1691, 18. Juni, S. 259 ff. — GP·4, 464 ff. (mit anderem Titel) 343. *Extrait d’une Letre de M. de Leibniz sur son Hypothese de Philosophie, & sur le problême curieux qu’un de ses amis propos aux Ma-
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tematiciens; avec une remarque sur quelques points contestez dans les Journaux precedens, entre l’auteur des ›principes de Physique‹ & celui des objections contre ces principes. In: Journal des Sçavans 1696, 19. November (Nr. XXXVII), S. 451 – 455. — GP·4, 500 – 503; Frz.-Dt. in: Philosophische Schriften I, Hrsg. H. H. Holz, S. 242 – 251. — Vgl. Hartsoeker, La Montre. 72, 220. Flores sparsi in tumulum papissae (Streublumen auf das Grab der Päpstin Johanna), um 1709, postum gedruckt in: Scheidt, Christian Ludwig (Hrsg.): Bibliotheca historica Goettingensis 1 (1758), a.a.O. S. 297 – 392. 126, *170, *173, 178, *182, 184, 218, *330, 335. De ipsa Natura sive De Vi insita actionibusque Creaturarum, pro Dynamicis suis confirmandis illustrandisque. In: Acta Eruditorum, September 1698, S. 427 – 440. — GP·4, 504 – 516; Lat.-Dt.: Über die Natur an sich. In: Philosophische Schriften IV, Hrsg. H. Herring, S. 272 – 309. *9, *13, *22, *28, *123, 135, *153. *Lettre de Mr. Leibniz Sur quelques faits qui le regardent, mal expliquez dans l’Eloge de Mr. Bernoulli prononcé à l’Académie des Sciences. In: Mémoires de Trévoux, März 1707, S. 540 – 548. 103 f. Lettres de Monsieur le Baron de Leibnits à Mr. Hartsoeker, avec les réponses de Mr. Hartsoeker (Brief Leibniz’ vom 10. Februar 1711, Hartsoekers Antwort vom 13. März 1711) und Lettre de Monsieur le Baron de Leibnits à Monsieur Hartsoecker, le 12. de Juillet 1711 in Mémoires de Trévoux, März 1712 (S. 496 – 510 bzw. 510 – 522; eingeleitet von Tournemine S. 494 ff.) und April 1712 (S. 676 – 679), sowie im Journal des Sçavans (holländische Ausgabe) vom Dezember 1712 (S. 603 – 625) und Januar 1713 (S. 73 – 76). (Ravier 181, 182, 185, 186.) Zu Hartsoeker vgl. auch Leibniz’ Extrait d’une Letre de M. de Leibniz sur son Hypothese … — Die genannten Briefe der Mémoires sind in GP·3, 516 – 528, mit leichten Veränderungen gegenüber dem Zs.-Druck (etwa bei der Datierung) nach hs. Vorlage abgedruckt, darüber hinaus insgesamt 16 Schreiben von Dezember 1706 bis Februar 1712 ebd. 483 – 536. 192, 201, 292 f. et passim. (Hrsg.:) Marii Nizolii de veris principiis et vera ratione philosophandi contra pseudophilosophos libri IV. Editore G. G. L. L. Qui Dissertationem Praeliminarem, Epistolam de Aristotele recentioribus recon-
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ciliabili, notasque atque animadversiones marginales leniendo textui adjecit. Frankfurt 1670. Neuausgabe Frankfurt 1674 mit dem zusätzlich vorangestellten Titel: Marii Nizolii Anti-Barbarus philosophicus, sive Philosophia Scholasticorum impugnata. Leibniz’ Anteile wurden als »Dissertatio de stilo philosophico Marii Nizolii« und »Annotationes in Marii Nizolii Antibarbarum philosophicum« wieder 1731 bzw. 1742 von Kortholt (Band 2 und 4 seiner Leibniz-Briefedition) und in GP·4, 127 – 176, publiziert. 30. *Meditationes de Cognitione, Veritate, et Ideis, per G. G. L. In: Acta Eruditorum, November 1684, S. 537 – 542. — GP·4, 422 – 426; AA VI·4A, S. 585 – 591. — Dt. in: Leibniz: Fünf Schriften zur Logik und Metaphysik, a.a.O., S. 9 – 17. 362 Anm. 5. *Mémoire de Mr. Leibnitz touchant son sentiment sur le calcul différentiel. In: Mémoires de Trévoux, November 1701, S. 270 f. — GM·5, 350. 20. *Monadologie Verfasst unter dem provisorischen Titel Principes de la philosophie im Juli 1714 für Nicolas Rémond; Erstausgabe durch Heinrich Köhler in dt. Übersetzung: »Des Herrn Baron von Leibnitz Lehrsätze von den Monaden und von der schönen Übereinstimmung zwischen dem Reiche der Natur und dem Reiche der Gnade«, in: »Des Hn. Gottfried Wilhelm von Leibniz … Lehr-Sätze über die Monadologie, ingleichen von Gott und seiner Existenz, seinen Eigenschafften und von der Seele des Menschen, wie auch dessen letzte Vertheidigung seines Systematis Harmoniae praestabilitae wider die Einwürffe des Herrrn Bayle, aus dem Französischen übersetzt«, Frankfurt und Leipzig 1720, S. 1 – 42; Lat. Übertragung durch Johann Jacob Koethen unter dem unzutreffenden Titel: »Theses metaphysicae in gratiam Serenissimi Principis Eugenii« in: »Principia quaedam Metaphysicae Wolfianae«, Köln 1737, S. 131 – 162; Erstausgabe des frz. Textes u. d. T. La Monadologie in Erdmann, Johann Eduard (Hrsg.): G. G. Leibnitii Opera Philosophica quae extant. Berlin 1840. Bd. 2, S. 705 – 712. — Kritische Ausgabe (»Principes de la Philosophie ou Monadologie«) durch André Robinet, Paris 1954. — Von zahlreichen weiteren Ausgaben sei genannt: Leibniz: Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade / Monadologie. Frz.-Dt. Hrsg. Herring, a.a.O., S. 26 – 69. Vgl. 243 f.
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*Μυστήριον ἀποκαταστάσεωϚ πάντων – Das geheimnis der Wiederbringung aller dinge, da in einer Unterredung zwischen Philaletha und Agatophilo gelehret wird, wie das böse und die Sünde … wiederum gäntzlich solle aufgehoben, hingegen die Creaturen Gottes … durch Jesum Christum den Wiederbringer aller Dinge … errettet werden … gedruckt in Pamphilia … Im Jahre Christi 1700 – eine Rezension der anonymen Schrift von Petersen. In: Monatlicher Auszug aus allerhand neu herausgegebenen nützlichen und artigen Büchern [hrsg. von J. G. Eckhart], S. 1 – 37. (Ravier Nr. 252, S. 111) 218 Anm. 257. Neues System s. Système nouveau Novissima Sinica Historiam nostri temporis illustratura. Edente G. G. L. (Hrsg. G. W. Leibniz). Hannover 1697 (bei Förster); 2. Auflage Leipzig 1699. Wieder: Novissima Sinica (1697) / Das Neueste von China. Lat.– Dt. Hrsg. H. G. Nesselrath und H. Reinbothe (1979), a.a.O. 139, 142, 152. *De Origine Francorum disquisitio. Hannover (Nicolaus Förster) 1715. Anm. 363. *Principes de la nature et de la Grâce fondés en raison. Entstanden im Juni 1714 für Prinz Eugen, dem es in einem insgesamt sechs Aufsätze von Leibniz enthaltenden hs. Codex im August d. J. überreicht wurde. Gedruckt in »L’Europe Savante«, November 1718, Bd. 6, 1. Teil, S. 100 – 123. — Kritische Ausgabe durch André Robinet, Paris 1954. Neuere Ausgabe mit dt. Übersetzung u. a.: Leibniz: Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade / Monadologie. Frz.– Dt. Hrsg. Herring, a.a.O., S. 2 – 25. Vgl. 243 f. * Réflexions sur la dispute qui a été agitée entre le Docteur Bramhal, Evêque de Londondery et Mr. Hobbes, touchant la Liberté, la Necessité et le Hazard – der zweite Anhang zur Theodizee-Erstausgabe von 1710. — Dt. Übersetzung in Leibniz: Die Theodizee, Übers. Buchenau, a.a.O. S. 426 – 440. 304 Anm. 341. *Remarques de Monsieur de Leibnits sur la sixième Lettre Philosophique, imprimée à Trevoux 1703. In: Mémoires de Trévoux, Juli 1712, S. 1235 – 1240. — D·1, 504 ff. 196 Anm. 222.
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*Remarques de Monsieur de Leibnits Sur un endroit des Memoires de Trevoux du mois de Mars 1704. In: Mémoires de Trévoux, März 1708, S. 488 – 493. — GP·6, 595 ff. (u. d. T. »Remarque de l’Auteur du Systeme de l’Harmonie préetablie sur un endroit des Memoires de Trevoux du Mars 1704«). — Die im Titel enthaltene Referenz auf die Märznummer 1704 kann (zumindest für die Pariser Ausgabe) nicht nachvollzogen werden; stattdessen bezieht sich der Text auf einen Beitrag Tournemines vom Mai 1703 und enthält außerdem eine Richtigstellung zur Autorschaft an der Infinitesimalrechnung (vgl. P.-J. Blondel). Allerdings sind 1704 ebd. im Mai und September (S. 848 – 851, 1653) anonyme Beiträge zu Tournemines »Conjectures« enthalten. 10, 14, 73, 103 f., 129, 159, 256. Rémarques sur le livre de l’origine du mal, publié depuis peu en Londres ist der dritte Appendix der Theodizee-Erstausgabe (Amsterdam 1710) und diskutiert das Buch »De Origine Mali« (1702) von William King. — Dt. in Leibniz: Die Theodizee, Übers. Buchenau, a.a.O. S. 441 – 488. 250, *304. *Remarques sur le manuscrit [Longobardo: Traité sur quelques points de la Religion des Chinois; sowie Santa Maria: Traité sur quelques points importans de la Mission de la Chine]. In: Christian Kortholt (Hrsg.): Leibnitii epistulos ad diversos, Bd. 2, Leipzig [1735], S. [167] ff. und [267] ff. (Ravier Nr. 401, S. 224) — Kritische Ausgabe samt den Texten beider Autoren in Leibniz: Discours 2002, a.a.O., S. 114 – 223. *339 Anm. 370. *Reponse de M. Leibnitz aux Objections que l’Auteur du Livre ›de la conaissance de soy-même‹ a faites contre le Système de l’Harmonie préétablie. In: Journal des Sçavans 1709·II (Supplement), Juni, S. 275 – 281. — GP·4, 577 – 590; Frz.–Dt. in: Philosophische Schriften I, Hrsg. H. H. Holz, S. 270–319. 176, 179. *Scriptores rerum Brunsvicensium illustrationi inservientes … cura Godefridi Guilelmi Leibnitii, Hannover 1707; Scriptorum Brunsvicensia illustrantium Tomus secundus, continens LI Autores scriptave Religionis Reformatione anteriora, Hannover 1710; dass., Tomus tertius, continens XLII Autores …, Hannover 1711 (Quellensammlung zur Geschichte des Welfenhauses vor der Reformation). 79, 105.
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Specimen Dynamicum. Pro Admirandis Naturae legibus circa Corporum vires et mutuas actiones detegendis, et ad suas causas revocandis Auctore G. G. L. In: Acta Eruditorum, April 1695, S. 145 – 157. — Neuere Ausgabe (zusammen mit dem von Leibniz unveröffentlichten »Teil II« und der hs. Alternativversion von Teil I): Specimen Dynamicum. Lat.Dt., Hrsg. H. G. Dosch et al. (1982), a.a.O. 21. *Système nouveau de la nature et de la communication des substances, aussi bien que de l’union qu’il y a entre l’âme et le corps. In: Journal des Sçavans 1695, 27. Juni (S. 294 – 300) und 4. Juli (S. 301 – 306). — Dt. in: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Fünf Schriften zur Logik und Metaphysik. Übersetzt und hrsg. von Herbert Herring. Stuttgart 1975, S. 23 – 38. 28, *408. [Theodizee] Essais de Theodicée sur la Bonté de Dieu, la Liberté de l’Homme et l’Origine du Mal. Amsterdam 1710 (bei Isaac Troyel) (anonym; ersch. 2. Jahreshälfte) *107, *114, *127, *132, *134, *140, *142, *161–164, *169 f., *177 f., *182, *192, 195, *200, 205, 211, 213, 215 ff., 220, 222 f., 225, 231, 236, 242, *244, 245, 251, 253, 255, 260, *262, *294, *297, 301, 303 ff., 308 f., 311, 313 ff., 323, 330, 335, 342, 348, 352, *412, 460. – »Pariser Ausgabe«: Essais de Theodicée sur la Bonté de Dieu, la Liberté de l’Homme et l’Origine du Mal, par Mr. Leibniz. Seconde édition. A Amsterdam, chez David Mortier 1714 (nach Ravier S. 37, Nr. 73 Anm. gedruckt in Paris Anfang 1715, aber nach Des Bosses auf September 1714 zu datieren). 305, 309, 313, 315, 323, 327. – Lat. Übersetzung: Godefridi Guilelmi Leibnitii Tentamina Theodicaeae De Bonitate Dei, Libertate Hominis et Origine Mali. Latine versa et Notationibus illustrata a M. D. L. [Übers.: Bartholomäus Des Bosses]. Ab ipso Autore emendata et auctiora. Tomus prior, Frankfurt 1719, parallel mit Neuausgabe der »Causa Dei«, bei Carl Joseph Bencard; zweiter Band mit Appendices ebd. 1733 (vgl. Ravier). Vgl. antizipativ 213, 215 f., 222, *223, *231, 236, 242, 244, 251, 255, 261 f., 268 f., 291, 293, 299, 304, 306, 309, 313, 315, 326, 335, 338, 342, 348, 440, 460. · Berücksichtigt in: · G. G. Leibnitii Tentamina Theodicaeae De Bonitate Dei, Libertate Hominis et Origine Mali. Versio Nova, Vita Auctoris, Catalogo Operum et
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variis oservationisbus aucta [von Johann Ulrich Steinhofer]. Frankfurt und Leipzig (C. H. Berger) 1739. (Die Zusätze und Veränderungen von Des Bosses gegenüber der frz. Ausgabe sind als Anm. festgehalten.) — Wieder: D·1, 35 – 500; sowie · G. W. Leibniz: Die Theodicee. Nebst den Zusätzen der Desbosses’schen Übertragung mit Einleitung und Erläuterungen deutsch von Robert Habs. 2 Bde., Leipzig, Philipp Reclam junior, o. J. [1883] (Universal-Bibliothek 1931/38) (auf Grundlage von Steinhofers Übersetzung). – Rezensionen der »Theodizee«: · Mémoires de Trévoux, Juli 1713, S. 1178 – 1199. 223, 245, 252, 255, 294, 301, 303 f., 308, 311. · Nouvelles de la République des Lettres, Septembre/Octobre 1710, S. 314 – 342; 363 – 396, von J. Bernard. 217. · Journal des Sçavans: nicht eruiert. 294. ( · nicht genannte zeitgenössische Rezensionen: · Acta Eruditorum, 1711, März, S. 110 – 121, April, S. 159 – 168. · »Memoirs of literature«, April – Juni 1711; Hrsg. und wahrscheinlicher Autor war Michel de La Roche. Vgl. Müller-Heinekamp: Leibniz-Bibliographie (1984), S. 280. 223 Anm. 266.) De la Tolérance des Religions. Lettres de M. de Leibnitz et réponses de M. Pellisson, Paris 1692; wieder Köln 1692; erschien erstmals 1691 (Paris) u. d. T. »Reflexions sur les differens de la religion. Quatrième partie. Ou Reponse aux Objections envoyées d’Allemagne, sur l’unité de l’Eglise, et sur la question, si elle peut tolérer les Sectes«. (Ravier 266 – 270) 29. Das Unendliche behandelte Leibniz u. a. in folgenden Schriften: »Specimen novum Analyseos Quadraturarum pro scientia infiniti, circa summas et quadraturas«, Acta Eruditorum Mai 1702°; zuvor »De Geometria Recondita et Analysi Indivisibilium et infinitorum«, Acta Eruditorum Juli 1686; »Considérations sur la différence qu’il y a à observer entre l’analyse ordinaire et le nouveau calcul des transcendentantes«, Journal des Sçavants 23. August 1694; Mémoire de Mr. Leibnitz touchant son sentiment …; schließlich im Brief an Christian Wolff »Circa scientiam infiniti« in den Acta Eruditorum, 5. Ergänzungsband 1713°°. Darüber hinaus liegen, abgesehen von den weiteren Ausführungen zur Infini-
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tesimalrechnung, kurze Fragmente namens »Infinitum«, »Sur l’infini« oder über das Unendliche bei Pascal°°° vor. (Couturat, Hrsg.: Opuscules et fragments inédits, a.a.O. S. 147 und 523; Baruzi, Jean: Leibniz. Paris 1907, S. 224; °vgl. auch Frémont S. 106; °°Chronik 242, Ravier Nr. 187; °°°mit dt. Übersetzung und Zusatz in Leibniz: Philosophische Schriften I, Hrsg. H. H. Holz, S. 368 – 385. – Vgl. generell Ravier). 36, 38. • Zu summarischen Referenzen auf Leibniz’ Beiträge im Journal des Sçavans, in den Mémoires de Trévoux und den Acta Eruditorum vgl. die Anm. 4 und 5 des Hrsg. zu S. 4 f. Leipziger Journal (Diarium Lipsiense) 220 = Acta Eruditorum, s. Journale Lemos, Tomas de 1545 – 1629, spanischer Dominikaner. Nach Studium der Rechte in Salamanca Ordenseintritt. 1590 Studienpräfekt der Theologie am Dominikanerkonvent in Valladolid, wo L. ab 1594 dem ebenfalls dort wirkenden Molina öffentlich etgegentrat. 1600 Einberufung in die »Congregatio de auxiliis« in Rom zur Verteidigung der thomistischen Gnadenlehre unter den Päpsten Clemens VIII. und Paul V., in intensiver Debatte mit den Jesuiten; anschließend Berater der Inquisition. L. starb nach dreijähriger Erblindung im Ruf der Heiligkeit. Sein Panoplia gratiae seu de rationalis creaturae in finem supernaturalem gratuita divina suavipotente ordinatione, ductu, mediis liberoque progressu dissertationes theologicae (4 Bde., 1676) wurde bezeichnet als »das großartigste Werk der Thomistenschule über die auxilia gratiae« (F. Morgott). Neben viel Ungedrucktem verfasste L. noch »Acta omnia congregationum ac disputationum de auxiliis divinae gratiae«, die 1702 erschienen. (BBK) 60, 71. Leotaud, Vincent 1595 – 1672, frz. Jesuit aus Valois, Mathematikprofessor, hinterließ mehrere Schriften wie »Geometriae practicae elementa« oder »Magnetologia«. L. starb in Evreux. (Jöcher 2, Sp. 2389) Leotaudus 232. Le Roy, Philagrius Unter diesem bisher nicht enthüllten Pseudonym erschien 1713 in Antwerpen (eigtl. Leipzig) »M. P. Le Roy Philosophia radicalis eclectica, inter Peripateticos et Anti-Peripateticos media, ex selectissimis auctoribus compilata et ju[x]ta ordinem alphabeticum digesta«. (BLC 190; Ueberweg 17. Jh. 4, S. 285) 298.
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Lettres d’un Abbé à un Evêque s. Daniel Lettres d’un Abbé licentié de Sorbonne s. Le véritable esprit Lettres philosophiques sur diverses sujets importantes s. Lamy, François Le véritable esprit des nouveaux disciples de S. Augustin. Lettres d’un abbé licentié de Sorbonne à un vicaire général d’un diocèse des PaysBas erschien anonym 1705 – 06 dreibändig in Brüssel, in neuer Ausgabe nochmals 1706 (in Brüssel nach den Mémoires de Trévoux, Okt. 1706, S. 1671), »augmentée de quelques lettres«; die zweite, durchgesehene und erweiterte Auflage in 4 Bdn. 1709 (in Lüttich nach vorliegender S. 152), wovon der 4. Bd. mit dem Titel Suite du véritable esprit des nouveaux disciples de S. Augustin. Lettres d’un abbé licentié de Sorbonne à Monsieur le Theologal de ** – also die in Des Bosses’ Brief vom 14. Juni 1710 genannte Fortsetzung – gesondert bereits 1707 erschienen war. Das Werk stammt entgegen der Vermutung Des Bosses’ – der Gabriel Daniel als Autor erwägt – wahrscheinlich von dem Jesuiten Lallemant (so SOVO; DTC 8 Sp. 2457; Frémont S. 133, nach Grua, Textes Inédits I, p. 255). 71, 83, 88, 93, 96, 100, 102, 152, 156, 171, 173, 175, 178, 182. L’Hospital (Hôpital), Guillaume François Antoine, Marquis de SainteMeme, Comte d’Entremont 1661 – 1704, frz. Offizier, der sich wegen eines Sehfehlers vom Militär ab- und der Mathematik zuwandte. In Kontakt mit J. Bernoulli Veröffentlichung des ersten Lehrbuchs der Infinitesimalrechnung »Analyse des infiniment petits pour l’intelligence des ligne courbes« (1696 u. ö.). Die Werkausgabe »Ouvrage posthume« erschien 1707 in Paris. (Mittelstraß 2) Hospitalius 170. Liberius von Feregere s. Meyer (Gratianus, Eleutherius) Liceti, Fortunio 1577 – 1657, italienischer Mediziner und Philosoph, studierte in Bologna, unterrichtete Philosophie an den Universitäten Pisa, Padua und Bologna. »De motu sanguinis origineque nervorum« (1654) bestritt W. Harvey’s Theorie der Blutzirkulation; die bekannteste seiner zahlreichen Publikationen war »De monstris«, in 3. Auflage 1665 in Amsterdam gedruckt. De ortu animae humanae (Vom Ursprung der menschlichen Seele) erschien 1602 bei Pavonius in Genua. (EI 21; Frémont; NUC 331) 167, 172, 177, 181. Linz am Rhein Linzium 262.
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Longobardo (Longobardi)+, Niccoló alias Long Huamin Jing Hua 1559 – 1654, gebürtig aus Sizilien, Jesuit und seit 1597 Missionar in der Provinz Guangdong in Süd-China. Von 1610 bis 1622 Oberer der gesamten Chinamission der Jesuiten. L. starb in Peking (wo er 1623 – 1640 der lokalen Mission als Superior vorstand). Er hielt entgegen seinem Vorgänger Ricci die chinesischen Gelehrten für Atheisten und vertrat – auf einer Linie mit den aus Japan ausgewiesenen Missionaren – die offensive christliche Missionierung des Volkes unter der puristischen Terminologie »Deus«, was erheblichen Anlass zu den ersten Missionarsverfolgungen in China 1617 bot. Mit der Korrektur des chinesischen »Herrschers in der Höhe« (shangdi) nicht als Gott, sondern als unpersönlicher Macht war L. maßgeblich an der frühen Formulierung des Ritenstreits beteiligt. Er kritisierte, »dass die Chinesen keine von der Materie getrennten geistigen Substanzen anerkannten und keine absolute Unterscheidung zwischen sittlichen Prinzipien der menschlichen Gesellschaften und Naturgesetzen des Universums« (Gernet)° machen würden. Unter dieser Prämisse verfasste er eine bedeutsame Darstellung der konfuzianischen Philosophie: die Streitschrift »Kurze Antwort auf die Kontroversen über Shang di oder den höchsten Herrn, über Tian jin oder die himmlischen Geister, über Ling hun oder die rationale Seele und andere chinesische Namen und Termini …«, zunächst 1623 auf Portugiesisch (»Resposta breve«), dann – nebst einer lateinischen Handschriftübersetzung »De Confucio ejusque doctrina tractatus« und »Responsio brevis super controversias de Xamti«, 1622 – 1625°° – auf Spanisch durch Navarrete publiziert (»Rispuesta breve« 1676), 1701 in frz. Übersetzung von de Cicé als Traité sur quelques points de la Religion des Chinois in dem Sammelband »Anciens Traités de diverses auteurs sur les Cérémonies de la Chine«, hrsg. in Paris vom Séminaire des Missions Etrangères (zusammen mit der Schrift von Santa Maria), zuletzt mit Kommentar abgedruckt in Discours 2002, S. 113 – 156; es war dies jener Text, gegen den Leibniz Stellung nahm (vgl. auch die von Leibniz kommentierte Ausgabe durch Kortholt 1734: Leibnitii epistolae ad diversos Bd. 2, S. 165 – 266). Weitere Publikationen u. a. »Livres de piété«, »Traité de l’âme«. (Kern S. 260 f., BBK; Dehergne; Discours 2002; Gernet CC; Gernet CW, °ebd. S. 438; Li 2000, °°ebd. S. 608; Michaud 25. +Zur Namensform vgl. Gernet: Leibniz on a seminal concept, a.a.O. S. 204, Fn. 6: »Longobardo is correct«; so auch Kern und DHCJ.) Nicolaus Longobardus 144 f., 147 f., 339 f., 346.
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Lücken, Herr von Postbediensteter in Hildesheim 236. Luçon Frz. Bistum, in dem von 1699 bis 1724 der aus Albi stammende Joannes Franciscus de Valderiès de Lescure das Bischofsamt ausübte. Gemeinsam mit dem Bischof von La Rochelle veröffentlichte er am 15. Juli 1710 einen Hirtenbrief, der Quesnels »Réflexions morales« zum Neuen Testament verurteilte, da sie die Irrtümer von Bay und Jansen enthielten. In der ersten Hälfte des 17. Jhs. war Kardinal Richelieu nicht nur Staatsminister, sondern auch Bischof von L. und wegen seiner Außenpolitik von Jansen angegriffen worden, dessen Gefährten und Port-Royal-Vertrauten Saint-Cyran er ins Gefängnis brachte. (HKG 5, S. 63; HC; GC 9, 352 f.) (Lucionensis) 214, 241. Ludwig XIV. (Louis) aus dem Haus Bourbon 1638 – 1715, König von Frankreich. Aufgewachsen unter der Regentschaft seiner Mutter Anna von Österreich, Selbstregierung seit 1661. Führte Frankreich in mehreren Kriegen zur europäischen Hegemonie, die im spanischen Erbfolgekrieg (1701 – 14) zerbrach. Unter Anspielung auf den Sonnenkult Schaffung einer effizienten Staatspolitik durch Ausschaltung der ständischen Gremien (Absolutismus), jedoch Staatsbankrott am Ende der Regierungszeit. Rigides Bemühen um religiöse Geschlossenheit in Frankreich: Zurücknahme des Toleranzedikts von Nantes im Edikt von Fontainebleau 1685 gegen Protestanten (Hugenotten), Verfolgung von Jansenisten und Quietisten; andererseits Querelen mit römischer Kurie wegen Gallikanismus. L. starb am 1. September 1715; sein geraubtes Herz kaufte der Dekan von Westminster, William Buckland, dessen Sohn es verspeist haben soll. Nachfolger L.s wurde sein Urenkel Ludwig XV. 70, *107, 410. Macao (Aomen) Stadt an der südchinesischen Küste westlich der Perlfluss-Mündung, seit 1516 von Portugal kolonisiert, das den Küstenflecken ab Mitte des 16. Jhs. zur Kolonie mit Hafen und eigener Verwaltung ausbaute. Mehr oder weniger stand aber M. bis 1887 (und wieder seit 1999) unter chinesischer Souveränität. 1680 wurde hier der erste portugiesische Gouverneur als »Vizekönig« über alle von Portugal beanspruchten Gebiete Asiens installiert. — Vom Papst wurde M. 1576 zum katholischen Bistum erklärt, dem ganz China und Japan unterstanden; es war seinerseits dem Bistum Goa (portugiesisch Indien) un-
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terstellt°. (Wikipedia; Brockhaus Geschichte; dtv Atlas weltgeschichte; °Biermann S. 20; Gernet) 131. Magliabecchi, Antonio 1633 – 1714. Bibliothekar am Palatin, gelernter Goldschmied aus Florenz, wurde 1673 Hofbibliothekar bei Cosimo III. di Medici. Führte zahlreiche gelehrte Briefwechsel zu Fragen der philosophischen Moderne. Dem Herzog von Florenz vererbte er 30.000 Bände, die später einen Teil der Florentiner Nationalbibliothek bildeten. Briefwechsel auch mit Leibniz. (Frémont; Ueberweg 17. Jh. 1; Columbia Encyclopedia – Juli 2003) Magliabecchius 142. Maignan (Magnan), Emmanuel 1601 – 1676. Frz. Physiker, Mathematiker und Philosophielehrer aus dem Orden der Mindestbrüder Franz’ de Paula, bekannt für seine Maschinen- und Kuriositätensammlung. Veröffentlichte Cursus philosophicus, 4 Bde. Toulouse 1653 u. ö.; »Philosophia Sacra«, Toulouse und Paris 1661. Die Schrift »De consensu veteris et novae philosophiae ac Physica generalis«, Paris 1663, behandelte Platon, Aristoteles, Epikur und Descartes und enthielt in zweiter Auflage (Rouen 1675) mit Bezug auf letzteren noch einen Beitrag über die Eucharistie – ein Thema, das M. auch in anderen Texten behandelte. (Ueberweg 17. Jh. 2, S. 595 Nr. 44, 611, 671 mit Nr. 204, 704 Nr. 402; DLF 3; vgl. auch Theodizee III § 392.) 449. Maigrot, Charles alias Yan Dang oder Yan Jiale 1652 – 1730. Frz. Priester, Doktor der Sorbonne, Angehöriger der »Mission étrangère de Paris«, kam 1681 nach Siam, zwei Jahre darauf nach China, 1687 zum Apostolischen Vikar für die Provinz Fujian ernannt, 1696 Bischof von Conon. Entgegen den Jesuiten verurteilte M. 1693 per Dekret (»Mandatum seu Edictum«) die chinesischen Riten für Christen, wurde von aufgebrachten Untergebenen und Schülern aber angegriffen und nahm das Mandat zurück; gemeinsam mit den Dominikanern brachte er 1697 bei Papst Clemens XI. unter Vorlegung des Mandats Beschwerde ein. 1700 verurteilte die Sorbonne mehrere diesbezügliche Sätze der Jesuiten, gleichzeitig approbierte der Kangxi-Kaiser deren Lehre, die 1701 in Peking gedruckt wurde°. Der Papst wiederum verteidigte M. 1702 gegenüber den Jesuiten, bestätigte 1704 dessen Edikt und beorderte 1705 Kardinal Tournon mit einem Mandat zum Kangxi-Kaiser nach Peking: dieser möge an seinem Hof M. als Leiter für die Angelegenheiten der Europäer
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bestimmen. Der Kaiser, indigniert ob der ausländischen Einmischung und mangelnden Kenntnisse des ebenfalls persönlich vorsprechenden M. (Sommer 1706), verfügte ein Aufenthaltsverbot über Missionare, die den Konfuzianismus nicht respektierten°°. M. verweigerte das, wurde am 17. Dezember ausgewiesen und landete 1708 mit einem englischen Schiff in Irland. Nach Aufenthalt in Paris seit 1709 in Rom. M. hatte mitgewirkt am Sammelwerk »Historia Cultus Sinensium seu varia scripta de cultibus Sinarum«, 1700 hrsg. von G. J. Fatinelli, und hinterließ das vierbändige Manuskript »De Sinica Religione«. (archivesmep; HC; Li 2000; BBK; Collani 1988 S. 156; Reil S. 112 f.; Widmaier 1990, S. 128, 268; AA VE I·20 S. 344 Anm. zu Nr. 206, °»Brevis Relatio eorum quae spectant ad declarationem Sinarum Imperatoris Kam-Hi circa Caeli, Confuciii et avorum cultum, datam anno 1700«, vgl. ebd.; NBG 32/1860, °° ebd. Sp. 867) Maigrotius 175, 180. Maillard s. Tournon Maillé (nicht ermittelt) 189. Malebranche, Nicolas 1638 – 1715, frz. Oratorianer, Priester, seit 1699 Mitglied der »Académie des Sciences«. Theologe und Philosoph, der zur Überwindung der Scholastik von Descartes ausgeht und ihn »occasionalistisch« interpretiert – eine Verschärfung des Zwei-Substanzen-Dualismus, wonach gleichwohl körperliche wie geistige Substanzen keine Selbsttätigkeit entwickeln, sondern allein Gott zu wirken vermag. Die Übel betrachtet M. als Irrtümer. Hauptwerk ist »De la recherche de la vérité« von 1674/75 (2 Bde.), zu den weiteren, mehrmals aufgelegten Veröffentlichungen zählen »Conversations chrétiennes« (1677), »Traité de la nature et de la grâce« (1680 u. ö.), »Traité de la morale« (1683), »Méditations chrétiennes et métaphysiques« (1699). (Goldenbaum, BBK) Malbranchius 35, 59, 239. Manichäismus Religion auf streng dualistischer Grundlage, die das Heil an der Trennung Licht – Finsternis ausrichtet. Ihr Begründer Mani (Manes, 215 – 277), Prediger in Babylonien, Persien, Indien, suchte christliche Gnosis, Parsismus und Buddhismus zu verknüpfen. Die weltmissionarische Gemeinde breitete sich rasch bis Westrom und China aus, die Gesinnung setzte sich u. a. über westeuropäische Sektenbewegungen (z. B. Katharer) bis in moderne, lebensformstiftende oder fragmentierte Heilsorientierungen fort. (NBro) 447.
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Manila In der Stadt auf den Philippinen residierten seit 1581, zunächst mit Mexiko verbunden, spanische Bischöfe. Unter Papst Urban VIII. waren dies die aus der Diözese Neu-Segovia übergewechselten Michael Garcia Serrano vom Augustinerorden (1618 – 1634) und der Augustiner Eremit *Ferdinandus Guerrero (1634 – 1646); letzterer, als Erzbischof, sandte gemeinsam mit dem Bischof von Cebu 1635 einen Bericht gegen die jesuitische Akkommodation an chinesische Riten nach Rom, widerrief aber diese Anzeige in einem neuerlichen Brief 1638 als Irrtum. (HC; Gams; DTC 2 Sp. 2369) Manillae 193. *Maria (Hl. Jungfrau) 82, 101. Maro s. Vergil Martianus Minneus Felix Capella Lat. Schriftsteller aus Karthago um 400 n. C., Verfasser des Grundbuches für das spätantike und mittelalterliche europäische Schulwesen über die sieben freien Künste: der Enzyklopädie »De nuptiis Philologiae et Mercurii«. 262, 268, 270. Martin von Troppau genannt der Pole (nach seiner Ordensprovinz), gest. 1278, Chronist, Dominikaner, Kaplan und Beamter bei Papst Clemens IV. In seiner in 120 Handschriften überlieferten »Tabula Martiniana Decreti« ist erstmals das historische Kirchenrecht (Decretum Gratiani) formal geordnet. Das noch weiter verbreitete, in strenger Tabellenform gehaltene Hauptwerk »Chronicon Pontificum et Imperatorum«, das M. mehrmals redigierte, wurde bis ins Spätmittelalter als »Chronica Martiniana« zum Gattungsbegriff; als Modell dienten auch die Predigten »Sermones de tempore, de sanctis«. Auf Kritik stieß M.s Vorliebe für Papstanekdoten, so über die Päpstin Johanna. (Frémont; BBK) Martinus Polonus 170, 173. Martini, Martino alias Wei Kuangguo Ji Tai 1614 – 1661, ital. Jesuit, 1631 Ordenseintritt (österreichische Provinz), Studium der Mathematik am Collegium Romanum bei Athanasius Kircher; seit 1643 Missionar in China. Kartographische, geographische und historische Forschungen. Rückreise nach Rom (Ankunft 1653) als Prokurator der Chinamission; im März 1656 entschied die Kurie M.s Anfragen im Sinne der jesuitischen Missionsstrategie. Drei Jahre vor seinem Tod Rückkehr nach China (Hangzhou). Lange unübertroffenen war M.s »Novus Atlas Sinensis«, Wien 1653; ähnlich oft aufgelegt und übersetzt wurde seine
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»Sinica Historia« (München 1658). M. verfasste auch theologische Texte auf Chinesisch – u. a. über den Gottesbeweis (Tianzhu lizheng), handschriftlich erhalten ist die unvollendete chin. Übersetzung der Werke von Francisco Suarez, die er mit dem christlichen chin. Gelehrten Zhou Cosma 1648 begonnen hatte. (CE; DHCJ 3; BBK 5/1993; Pfister) Martinius 145. Mauro, Silvestro 1619 – 1687, ital. Jesuit, der nach strengem Thomismus Philosophie und Theologie in Macerata, dann in Rom lehrte, wo er auch Rektor des Collegium Romanum war. Schüler von Sforza Pallavicino. Schwerpunkte seiner Veröffentlichungen sind zum einen die kommentierte Herausgabe der Werke von Aristoteles in 6 Bdn. (»Aristotelis opera quae extant omnia brevi paraphrasi ac litterae perpetuo inhaerente explanatione illustrata a P. Sylvestro Mauro«, Rom 1668), zum anderen die »Quaestiones philosophicae«, erschienen zunächst in vier Büchern 1658 in Rom; die zweite Auflage in fünf Büchern Rom 1670; der angesprochene Theologiekurs bezieht sich vermutlich auf das dreibändige »Opus theologicum, in quo praecipua totius Theologiae capita accuraté pertractantur«, Rom 1687; dazu kamen u. a. mehrere Bände »Quaestiones theologicae« (Rom 1676 – 79), die 1685 – 87 in Neubearbeitung durch andere Autoren nochmals aufgelegt wurden. — Des Bosses’ Vermutung des Sterbedatums von 1696, wie 119 nahelegt, ist verfehlt. (Koch; SOVO 5; DHCJ 3) Sylvester Maurus 116, 119, 122, 314. Meaux Stadt und Diözese in NW-Frankreich. Bischof von M. war seit 1705 Thiard de Bissy, der Nachfolger von Bossuet. — Zu Leibniz’ Verwechslung mit dem Bischof von Metz vgl. 218. Ein weiterer bischöflicher Vorgänger in M. war der Dominikaner Durandus im frühen 14. Jh. (Meldensis) 32, 83, 214, 216, 218, 220, 231, 236 f., 241, 250. Mecheln (Malines) Stadt in Belgien unweit Antwerpen, Erzbistum seit 1559. Erzbischof war seit 1689 *Humbert Guillaume de Precipiano, 1626 – 1711, belgischer Prälat und Diplomat aus Besançon, 1682 Bischof von Brügge. Als heftiger Gegner der Jansenisten forderte er deren Verfolgung über die scharfen Bestimmungen von Alexander VII. hinaus, was ihm zweimal einen Verweis durch den Hl. Stuhl einbrachte. Ohne sich dem zu fügen, ließ Precipiano am 30. Mai 1703 Quesnel und Gerberon verhaften und gab 1705 in Brüssel die polemische Dokumentarschrift »Causa Quesneliana« heraus. (ESP; NBG 40; GP·2, 319; NBro) 44 f., 47.
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Mémoires de Trévoux s. Journale Mémoires pour Rome sur l’état de la religion chretienne en Chine, avec le decret de Nostre S. P. le pape Clement XI sur l’affaire des cultes chinois et le mandement de M. le Cardinal de Tournon sur le même sujet erschien 1709 o. O., enthaltend sechs »Mémoires«: drei zu Tournon, je eines zum China-Dekret Alexanders VII., zum Tribunal des Papstes hier und des chinesischen Kaisers da, sowie über die chinesische Schrift. – In zweiter Auflage wurde es 1710 als Band 2° der Reihe »Ecrits des Messieurs des Missions étrangères sur l’affaire de la Chine« gedruckt, erweitert um zwei weiteres Mémoires über Tournon sowie den Widerstand der Jesuiten gegen die päpstlichen Anordnungen in der Ritenfrage; eine »Addition« dazu erschien gesondert 1711. – Auch der abweichende Titel »Mémoires pour la cour de Rome sur l’état de la Religion Chrétienne en Chine«, stammend von Tournon und gedruckt 1709 mit der Ortsangabe Paris, findet Erwähnung°°. – Der Erscheinungszeitraum 1709/1710 wird auch für das undatiert gedruckte Supplement vermutet°°. (SOVO 11, Sp. 1280 f.; NUC 356 S. 134; °BCW; °°DOA III: »Supplement …«) 177. Menke (Mencke), Johann Burkhard 1674 – 1732. Seit 1699 Professor für Geschichte in Leipzig, danach Jurist, 1708 sächsischer Hofhistoriograph, 1709 königlicher polnischer Rat, später Hofrat. Seinem Vater Otto Menke, der 1682 die Leipziger Zeitschrift Acta Eruditorum gegründet hatte, folgte er 1707 als Herausgeber. Als Vorsitzender der »Görlitzer poetischen Gesellschaft« – von ihm zur »Deutschübenden Gesellschaft« erweitert, bevor sie zur »Deutschen Gesellschaft« mutierte – war M. der Vorgänger Gottscheds; die Grundkonzeption von Jöchers Gelehrtenlexikon stammt ebenfalls von ihm. Als exzellente Veröffentlichung galten die drei Bde. »Scriptores rerum germanicarum praecipue Saxonicarum« von 1728 – 30, M. verfasste aber auch Satiren wie »Philanders von der Linde schertzhaffte Gedichte«, 1706. (ADB 21; Killy: Lyrik 5) Menkenius 105. Merkur s. Journale Metz s. Meaux Meyer, Levin de 1655 – 1730, flämischer Jesuit, lehrte nach dem Noviziat in Mecheln humanistische Fächer, Philosophie und Theologie, 1706 – 1710 Rektor in Löwen. Zahlreiche Schriften und Gedichte; für Kontrovers-
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schriften bediente M. sich gern des Pseudonyms Theodorus Eleutherius (das man auch anderen Autoren zugeschrieben hat)°: immerhin erschien das Vorwort zu Eleutherius’ Historia controversiarum de divinae gratiae Auxiliis (Geschichte der Kontroversen um die Hilfsmittel der göttlichen Gnade) (1705) später gesondert unter M.s Namen (1717). Im Zusammenhang mit diesem Werk könnte auch die Namensvariante Liberius von Feregere kursiert sein, kam doch, wie Sommervogel vermerkt, klandestin ein daran anklingender »Livino Freyer« als Autor zur Sprache°°. Die Epistula Curiosa Theodori Eleutherii ad F. Norbertum d’Elbecque Responsoria (189) wurde 1710 in Brüssel gedruckt.°°° Als Liberius Gratianus hingegen publizierte M. die Schrift »Über den Geist des tridentinischen Konzils«: De mente Sancti Concilii Tridentini circa gratiam physice praedeterminatam in einer Reihe von vier Abhandlungen (Antwerpen 1707 – 1709; vgl. allerdings auch die zwei von Launoy verfassten Abhandlungen »De mente Concilii tridentini …«); ansonsten erschien vieles anonym, unverhüllt blieb M.s Autorschaft in mancher Kampfschrift (»Responsio ad librum F. Henrici a S. Ignacio cui titulus Gratiae per se efficacis sive Augustiniano-Thomisticae adversus iniustitiam Jansenismi accusationem justa defensio ubi etiam theologia moralis sanctorum adversus injustasa obtrectatores defendetur«, 1715) wie auch in dem historischen »Parallelum antiquae et praesentis Ecclesiae« (1711) oder den angesprochenen Versen De ira libri III, nempe de causis, damnis et remediis irae von 1694. (SOVO 5, ° vgl. ebd. S. 333; °°Sommervogel Dictionnaire Sp. 394; °°°Rezension in den Acta Erud. Juli 1711, S. 333 f. ) 60, *81, *92, *95, 114, *189. Michaelismesse zum Fest des Erzengels Michael am 29. September 110. Michelles (Michahelles), Wolfgang Drucker und Verleger, von 1699 bis 1717 nachgewiesen in Nürnberg, laut Des Bosses in Würzburg. (DPB VI) 68. Modena Leibniz besuchte M. (Italien, südlich des Po) im Jahr 1690; Herzog war damals Francesco II. aus dem Haus d’Este, dem (nach frühem Tod) sein Onkel Rinaldo III. folgte, der zu diesem Zweck von der Kardinalswürde entbunden wurde und 1695 eine katholische Hannoveraner Prinzessin (Charlotte Felicitas) heiratete. (Hirsch 298, 239) – S. auch Muratori. Mutina 358.
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»Mohammedaner« Gemeint sein dürften die Moslems, die teils im 7. Jh. in der chinesischen Provinz Fujian erstmals Fuß fassten und sich in der Song-Zeit zu einer großen Gemeinde arabischer, persischer und türkischer Herkunft entwickelten, teils im 13. Jh. durch die Westerweiterung Chinas unter den Mongolen aus Zentralasien nach China gelangten. Viele von ihnen schlossen sich mit Han-Chinesen zum chinesischsprachig-islamischen Volk der Hui zusammen (seit dem 14. Jh., Ming-Dynastie). Gelehrte wie Hu Dengzhou (16. Jh.) und vor allem Wang Daiyu († 1657) etablierten ein auf dem Koran basierendes Bildungssystem (Nanjing u. a. Zentren), das manchen konfuzianischen und buddhistischen Elementen Rechnung trug. Ein auch äußerlich größerer religiöser Verhaltensspielraum der chinesischen Moslems scheint durch das Eindringen des Sufismus nach 1600 gefördert worden zu sein. Die Teilnahme von Moslems an traditionell-chinesischen Kulten wird etwa von Nicolas Freret, Louis Le Comte (»Des Ceremonies de la Chine«, 1700) und der von Leibniz S. 193 genannten »Histoire Apologétique« (1700) berichtet °. (EC: Confucianism and Islam; °Discours 2002, S. 213 Anm. 103) 193. Molina, Luis de 1535 – 1600, spanischer Jesuit. Nach dem Studium der Rechte in Salamanca, der Philosophie und Theologie in Alcala und Coimbra lehrte M. ab 1567 Philosophie und Theologie in Coimbra und anderen spanischen Städten, zuletzt Moral am Jesuitenkolleg in Madrid. Seine als »Molinismus« bekannt gewordene Gnadenlehre postuliert das Zusammenwirken von Gnade und freiem Willen durch den »concursus divinus« als Basis und Rechtfertigung sittlichen Handelns; eine »scientia media« vermittle – wie bei P. Fonseca – zwischen Gottes Vorherwissen und der Freiheit der Menschen, indem ein entsprechendes göttliches Arrangement der Verhältnisse angesetzt wird, das die Menschen veranlasst, frei und zugleich so zu handeln, wie Gott es vorher gesehen habe. Damit entfachte M. einen die Spätscholastik durchziehenden Streit zwischen Jesuiten und thomistischen Dominikanern (die im Gegenzug eine »praemotio physica« vertraten); 1592 berief Clemens VIII. die »Congregatio de Auxiliis« zur Diskussion dieser Frage, die 1598 M.s betreffendes Buch »Liberi arbitrii cum gratiae donis concordia« (1588) verwarf. 1607 löste Papst Paul V. die Kongregation auf und erklärte den Streit für beendet, am 1. Dezember 1611 wurde ein strenges Diskussionsverbot unter Kontrolle der röm. Inquisition
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verhängt, ohne dass in der Sache entschieden war. Dessenungeachtet wurde der Gnadenstreit wenig später von Jansen wiederbelebt. In bestimmten Schriften verfocht M. u. a. eine liberale Wirtschaftsethik. (BBK; Wetzer/Welte 3: Congregatio; Denzler/Andresen) 200. Mons (»Montes«) pannoniae s. Pannonien Montalte, Louis de Unter diesem Pseudonym veröffentlichte Blaise Pascal, 1623 – 1662, seine erste Sammelausgabe (1657, zahlreiche Neuauflagen) der seit 1656 einzeln und anonym publizierten »Lettres Provinciales«, d.i. seine Verteidigung der Jansenisten gegen die Morallehre der Jesuiten, vor allem die Kasuistik in der Abstimmung des Handelns mit den Gesetzen, wie sie namentlich der Spanier A. Escobar y Mendoza lehrte. Der Begriff der »Jesuitenfeindschaft« wurde durch diese Briefe europaweit zur literarischen Kategorie. Pascal hielt sich seit 1654, nach einer mystischen Erleuchtung, bei den Jansenisten im Kloster von Port Royal auf. (Bro 16; Pascal; NUC) Montaltius 71. Morales (Moralez), Juan Bautista alias Li+ 1597 – 1664, spanischer Dominikanerpater, Missionar in Mexiko, auf den Philippinen und seit 1633° (gleichzeitig mit Santa Maria) in China (Provinz Fujian). Im Zuge der Kontroverse gegen Franziskaner und Dominikaner um die (begrenzte)++ jesuitische Tolerierung traditioneller Riten bei chinesischen Christen wurde M. 1640°° nach Rom geschickt (Ankunft 1643), um von Papst Innozenz X. ein Verbot der jesuitischen Haltung zu erwirken, das 1645 erfolgte. Im Gegenzug erreichten die Jesuiten (Martini) von Papst Alexander VII. 1656 die konträre Entscheidung.°°° M. appellierte 1661 erneut; ein abermaliger Entscheid gegen die Jesuiten wurde nach seinem Tod, 1669, von Papst Clemens IX. ausgesprochen, obschon zu dieser Zeit die Dominikaner aus China (Lo alias Gregorio López, der erste chinesische Bischof °°°°) bereits ein Memorandum für die Jesuitenmethode abgesandt hatten. M. publizierte in dieser Sache neben den 17 dem Papst vorgelegten Streitfragen (1645) u. a. den »Tractatus ad explicandas et elucidandas controversias et opiniones« (1663), zudem auf Chinesisch die Bücher »Tractatus ad Dei amorem in voluntate excitandum« und ›Kommentar über Marienlitaneien‹. (CE; +erwogen von Pfister S. 1062; ++Li 2000 S. 331; °Biermann S. 36 ff., °° ebd. 66 f., °°°ebd. 94 f., °°°°ebd. 42 f. und 90 ff.; vgl. auch Discours 2002 S. 211 Anm. 68) 193.
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Mortier, Peter Verleger in Amsterdam. (DPB VI) 106. Mose Legendärer Stifter der JHWH-Religion. Nach dem Buch »Exodus« Anführer des Auszugs der Israeliten aus Ägypten, gilt als Gesetzgeber (10 Gebote), Verfasser der ersten fünf Bücher der Bibel (Pentateuch, Tora; 9.– 6. Jh. v. C.) und Stammvater der Leviten. Die historische Kritik belässt von der sehr komplexen und vielschichtigen Figur mit dem ägyptischen Namen »M.« (der Geborene) nur eine schwach umrissene anonyme Gestalt, die vielleicht in Priesterfunktion eine wichtige Rolle bei der Übernahme der JHWH-Religion durch Beduinen südlich des Toten Meeres um das 14.– 13. Jh. v. C. spielte. (RGG 5·2002; LTK³ 7/1998) 146 f. Münster Fürstbischöfe des Fürstbistums M. in Westfalen waren 1650 – 1678 Bernhard von Galen; 1678 – 1683 Ferdinand von Fürstenberg; 1683 – 1688 der bisherige Erzbischof von Köln, Maximilian Heinrich von Bayern, der vom Papst nicht bestätigt wurde; 1688 – 1706 Christian Friedrich von Plettenberg-Lenhausen, Erbauer mehrerer Schlösser; 1706 bis 1719 Franz Arnolf von Wolff-Metternich zu Gracht, zugleich Fürstbischof von Paderborn (er war dort 1704 seinem Onkel nachgefolgt), welcher wegen hoher Verschuldung infolge Stimmenkaufs die eigene Münzprägung forcierte. — Erwähnung finden auch das 1588 gegründete° Jesuitenkolleg (270) sowie die geographische Destination der Stadt M. (wikipedia; °Krammer S. 104; www.hoeckmann.de/geschichte/ muenstergeschichte, 15. 7. 2004) 52, 205, 219, 224, 237, 270, 312. Muratori, Lodovico Antonio 1672 – 1750, Leitfigur der »katholischen Aufklärung«. Historiker, Philologe, 1695 als Doktor an die Biblioteca Ambrosiana nach Mailand berufen, ging 1700 als herzoglicher Bibliothekar auf Lebenszeit zurück nach Modena. Wichtige Begegnung mit dem Benediktiner Bacchini, offiziellen Historiographen des aufklärerischen Herzogs Francesco II. d’Este. M. wandte erstmals in Italien konsequent die quellenkritische Methode an. Bedeutende Texteditionen: »De Ecclesiasticae Hierarchiae Originibus« (1703), »Antichità Estensi« (Modena 1717 – 40), »Rerum Italicarum Scriptores« (28 Bde. 1723 – 51), »Antiquitates Italicae Medii Aevi« (6 Bde. 1738 – 43), »Novus thesaurus veterum inscriptionum« (1739 – 43), »Annali d’Italia« (12 Bde. 1744 – 49) u.v.a. Schriften – siehe sein Pseudonym Lamindus Pritanius;
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siehe Comachienses. — Über die Historie des Hauses d’Este entspann sich zwischen M. und Leibniz ein Streit, der nach Aiton 1711 manifest wurde: »Leibniz [… bekam …] große Pakete mit Arbeitsmaterial aus Modena […] von […] Muratori […], der wollte, daß seine Genealogie des Hauses Este in Leibniz’ Welfengeschichte aufgenommen würde […] Leibniz war aber mit [der] Arbeit nicht zufrieden und übermittelte ihm am 27. Januar die Entscheidung des Hannoveraner Hofes, daß eine zusammengefaßte Genealogie der Häuser Braunschweig und Este von Azo nicht passend sei. Am 23. April entwarf er einen Brief […] an den Herzog von Modena [mit] dem Vorschlag […], Muratoris Genealogie nicht vor Abschluß der Forschungen zu veröffentlichen. Eine Zusammenfassug von Muratoris Arbeit wurde aber […] in den dritten Band der Scriptorum Brunsvicensia illustrantium [1711] aufgenommen.« – »Im April 1716 schrieb Leibniz dem Herzog von Modena, Muratori habe es zu eilig, sein Werk zu veröffentlichen […] , [h]auptsächlich […] wohl […] aus dem Grund, weil Muratori Leibniz’ Forschungen [zu den Annalen] kaum erwähnte, die doch den Italienern die ersten Hinweise auf den gemeinsamen Ursprung der Häuser Este und Braunschweig gegeben hatten; auch enthielt Muratoris Buch viele Auslassungen und Fehler. Der Gerechtigkeit halber […] müßten die beiden Bücher […] doch wenigstens gleichzeitig erscheinen.«° Im Februar 1716 klagte M. bei der Londoner Regierung, Leibniz habe eine aus Modena mitgenommene Handschrift unterschlagen – ein Streit, der sich bis zu Leibniz’ Tod hinzog.°° (GDE 14; NBro; °Aiton S. 441 f. und 463; °°Hirsch 591). Ludovicus Muratorius 358. Muys, Wier Wilhelm 1685 – 1760, holländischer Naturwissenschafter und Mathematiker, Cartesianer. Er promovierte mit 19 zum Doktor in Leiden, wurde Mitglied der Berliner Sozietät der Wissenschaften, 1711 Professor für Mathematik in Franeker, von 1712 – 1720 Professor der Medizin, 1726 der Botanik. An Schriften legte er Elementa physices, methodo mathematica demonstrata, quibus accedunt dissertationes duae: prior de causa soliditatis corporum; posterior de causa resistentiae fluidorum (Amsterdam 1711), die »Oratio de usu matheseos« (1711) und »Oratio de theoriae usu« (1714) vor. — Die »Elementa physices« wurden im September 1711 anonym in den Acta Eruditorum (S. 390 – 404) mit apologetischen Referenzen auf Leibniz besprochen (vgl. 227, Nr. 89). (NBG 37; Jöcher 3) Muysius 214 f., 224, 227.
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*Nagel, Baron von Alumne am Collegium Germanicum in Rom 245. Natalis s. Noël Navarrete, Domingo Fernadez, alias Min Mingwo 1618 – 1689. Dominikaner seit 1635, Erzbischof von Santo Domingo, Primas von Westindien, Missionar in Mexiko, Philippinen und China, seit 1665 im Exil in Kanton (Guangzhou). Auf der dortigen Konferenz über die Ritenfrage 1668 – 69, an der u.v.a auch der Franziskaner Santa Maria teilnahm, unterstützte N. die tolerantere Haltung der Jesuiten, während er seit der kurz darauf erfolgten Flucht nach Rom als deren Gegner (mit 119 Zweifeln an ihrer Akkommodation) auftrat. In diesem Sinn gab er in Spanien, wo er als Missionsprokurator für die Philippinen tätig war, das große Werk »Tradados Historicos« über China in zwei Bänden (1676, 1679) heraus; Band zwei wurde von der Inquisition verboten. Der erste Band enthielt Longobardos Traktat »Rispuesta Breve«. 1677 begab sich N. als Erzbischof nach Westindien. (Collani in BBK; Widmaier; Li 2000) Navarreta 193, 346. *Neokonfuzianer s. Konfuzius Nesselrode Seit dem 10. Jh. bezeugtes thüringisches und rheinisches Adelsgeschlecht. Möglicherweise ist hier Bertram Carl, geb. 1672, Graf von N. und Reichenstein, Freyherr von Mechernich, Herten u. a., Ritter des Ordens der Beschützer der Ehre Gottes unter dem Schutz St. Michaels, des Herzogthums Bergen Erb-Cämmerer, gemeint – ein Enkel Bertrams von Nesselrode, des Begründers der (reichensteinschen) Linie, sowie (nebst vierzehn Geschwistern) Sohn des Kammerherrn von Kaiser Leopold, Franz von N. –, der mit seiner Frau Marie-Antoinette bzw. Henriette schon ab dem Alter von dreizehn (laut Zedler) elf Kinder zeugte. – Philipp, ein Bruder von Bertram Carl, geb. 1678, war u. a. kaiserlicher Geheimrat und Schiffskommandant gegen die Türken. – Ein entfernterer Onkel der beiden, Wilhelm Franz Johann von N. (1638 – 1732), amtierte als kaiserlicher Geheimrat und seit 1701 als Bischof von Pécs in Ungarn; zu ihm scheint Driesch ebenfalls Kontakte gehabt zu haben. (Zedler 23; Leibniz/Driesch) 347. Nestorianer benannt nach dem griech. Kirchenmann Nestorios aus Antiochien, um 381 – nach 451, von Kaiser Theodosius 428 zum Patriarchen von Konstantinopel ernannt (bis 431). N.s Theologie gilt ins-
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besondere in der Frage der »Gottesgebärerin« (Theotokos) als typisch »antiochenisch«: demgemäß trifft dieser Titel auf Maria nicht zu, sie sei stattdessen die Mutter von Gott und Christus zumal, daher »Christusgebärerin«. Auf Initiative Kyrills von Alexandria protestierten die ägyptischen Mönche und der Bischof von Rom; nachdem Kyrill zwölf Irrtümer des N. formuliert hatte, berief Kaiser Theodosios II. auf Bitten N.s das Reichskonzil von Ephesos ein (431). Die gegenseitige Exkommunikation Kyrills und N.s gipfelte in der vorübergehenden Inhaftierung beider Gegner durch den Kaiser. N. begab sich in ein Kloster nach Antiochien, wurde aber 436 nach Ägypten verbannt, wo er starb. N.s griech. Schriften, Briefe, Predigten sind nur z.T. überliefert. — Nach der Teilrehabilitierung des ›Dyophysiten‹ N. auf dem Konzil von Chalkedon (451; Exkommunikation des ›Monophysiten‹ Eutyches, vgl. dazu Boëthius’ Schrift »Contra Eutychen et Nestorium«) kam es 486 auf einer Synode (Seleukia-Ktesiphon) zur Abspaltung der Nestorianer von der Reichskirche: der Nestorianismus wurde zur verbindlichen Lehre der apostolischen Ostkirche erklärt. Nunmehr als »persische Kirche« ausschließlich außerhalb der Reichsgrenzen, wurde der Nestorianismus die führende Missionskirche, die sich in Zentral- und Ostasien (außer Japan) bis zur Zerschlagung durch Timur Lenk (1380) fest organisiert hatte. Dies belegt auch die 1625 ausgegrabene syrisch-chin. Säule von Xi’an Fu° aus dem 8. Jh. (vgl. Diaz, Kircher). Im 16. Jh. schlossen sich die Nestorianer teils der römischen, teils der russischorthodoxen Kirche an, ein Teil blieb separat als assyrische Kirche bestehen. (BBK; °dt. Übersetzung der Inschrift in Leibniz: Novissima Sinica /Das Neueste … 1979, S. 131 ff.) 207. Neuhaus In Schloss N. residierten seit 1275 die Fürstbischöfe des nahe gelegenen Paderborn. 224. Newton, Isaac 1642 – 1727, sollte als Bauernsohn Farmer in Kensington werden. Studium am Trinity College in Cambridge, wo er 1665 – 66 erstmals seine Gravitationstheorie und die Differentialrechnung (Fluxionsrechung) zur Kurvenberechnung ausarbeitete (Leibniz stellte, veranlasst durch N., seinen eigenen Vorstoß zur Differentialgleichung erstmals im August 1676 öffentlich unter Beweis)°. 1669 wurde er Professor und las u. a. Optik (Entdeckung der prismatischen Zerlegung weißen Lichts in Spektralfarben), Algebra und Theorie der Gleichungen. In
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Cambridge schuf er seine bedeutendsten mathematischen Arbeiten; sein Hauptwerk »Philosophiae Naturalis Principia Mathematica« erschien 1687. 1696 Umzug nach London – die Ernennung zum Aufseher und Beförderung zum hoch bezahlten Meister der Londonder Münze (1699) brachten seine wissenschaftlichen Forschungen zum Erliegen, doch kam es zu weiteren wichtigen Publikationen. Der lange Streit mit Leibniz um die Autorschaft an der Infinitesimalrechnung geht auf Entwicklungen seit 1674 zurück. (Rouse Ball: A Short Account of the History of Mathematics 4th ed. 1908; °Chronik S. 44) Newtonus 69, 74, 170, 182, 220. Nicole, Pierre 1625 – 1695. Nach Studium an der Sorbonne lehrte N. seit 1646 Literatur in Port Royal, wo er eng mit Arnauld zusammenarbeitete – neben der »Logik« von 1659 vor allem an den drei Bänden »Perpétuité de la foi de l’Église catholique touchant l’Eucharistie« (1669 – 74), die primär gegen die calvinistische Theologie (Jean Claude, Pierre Jurieu) gerichtet waren. Auch an Blaise Pascals »Pensées« und dessen projansenistischen »Lettres Provinciales«, die er 1658 ins Lateinische übersetzte, wirkte N. mit. In seiner Verteidigung von Jansens fünf Sätzen unterschied N. erstmals in diesem Streit zwischen »quaestio facti« und »quaestio iuris«, also Tatsachenfrage und Rechtsfrage. Später vertrat er gegen die Jansenisten die Lehre von der universalen Gnade (»Traité de la grâce général«, 1715), suchte aber im Gnadenstreit insgesamt stets vermittelnd zu wirken. Sein Hauptwerk ist »Essais de morale« (8 Bde. 1671 – 1687, weitere Bde. postum), eine auf Descartes’ »provisorischer Moral« basierende Laienmoral. 1687 erschien De l’unité de l’Eglise. Mit dem von Des Bosses erwähnten »System der universalen Gnade« könnte die laut Bayle im Jahr 1699 gedruckte 105seitige Gnadenschrift im Duodezformat, Reprint 1700, gemeint sein; die Mémoires de Trévoux besprachen 1707 die »Instructions Theologiques et Morales sur le symbole«, 2 Bde. Paris 1706 (u. a. mit Kapiteln über die »Grace efficace« und »Grace suffisante et generale«); der Rezensent verweist auch auf »einen Traité de la Grace«, den N. ausgearbeitet hätte und der dieses »System« vollständig enthalte.° Die Lehre war auch innerhalb der Jansenisten kontrovers, 1715 erschienen (postum) gegen N. »Ecrits sur la systeme de la grâce générale« aus der Feder Arnaulds. (BBK; HT; Bayle: Dictionary; NUC; °vgl. Mémoires de Trévoux, Fevrier 1707, S. 189 – 216, zu den Gnadenkapiteln 209 – 215, zitierter Verweis S. 214.) Nicolius 67, 70, 121, 165, 177.
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Niederlande (Batavia) Einheitlicher Zusammenschluss von 17 Herzogtümern und Grafschaften von Friesland bis Hennegau unter Kaiser Karl V.; kam 1555 unter Herrschaft des Königs von Spanien. Im engeren Sinn hießen »N.« (seit 1579) die nördlichen sieben Provinzen, die die protestantische Republik der Vereinigten N. bildeten; ihre Verselbständigung gegenüber Spanien und dem Röm.-Dt. Reich war 1648 offiziell durchgesetzt. Aus den südlichen Teilen, zunächst »spanische Niederlande«, entstand Belgien. Das von Humanisten applizierte lat. »Batavii« hatte bei den Römern einen der keltisch-germanischen Stämme dieser Gegend (südlich des Rhein-Maas-Schelde-Deltas) bezeichnet. Die niederländische Kolonie Djakarta in Indonesien (gegründet 1619) wurde bis 1950 ebenfalls Batavia genannt. 44 f., 63, 87, 93, 97 f., 100, 111, 127, 142, 169, 173, 177 f., 192, 194, 217 f., 306, 308, 315, 323. Nihus, Berthold 1590 – 1657, geb. in dt. protestantischer Familie, Studium der Philosophie und Medizin in Helmstedt; Freundschaft, später literar. Streit mit seinem Lehrer Georg Calixt. Erzieher in Jena, Prinzenerzieher am Weimarer Hof. Nach Diskussionen mit Jesuiten über den Laienkelch und Zweifeln an der Authentizität des protestantischen Schriftverständnisses Übersiedlung nach Köln und Konversion zum Katholizismus (1622). Leitende Funktionen in verschiedenen Klöstern, 1631 Kanoniker in Hildesheim. 1632 Flucht vor anstürmenden Truppen nach Amsterdam, hier Kontakt zu dem protestantischen Theologen Georg Vossius, Korrespondenz u. a. mit der Propagandakongregation, mit Ferdinand von Fürstenberg und Athanasius Kircher. 1632 Publikation der Ars nova dicto scripturae unico lucrandi e pontificibus plurimos, 1640 »Apologeticus pro arte nova«, es folgte ein Band Epigramme. Dienst beim Mainzer Erzbischof Schönborn; weitere religiöse Schriften, 1654 Weihbischof in Mainz, 1655 Titularbischof von Mysien. (NDB 19; Bayle dt.) 166, 172. Nizolius, Marius (Mario Nizzoli, Nizolio) 1498 – 1576. Italienischer Humanist aus Mailand, im Schutz des Grafen von Brescia, lehrte an den Universitäten Parma und Sabioneta. Als Hauptwerk gilt »Thesaurus Ciceronianus. Omnia Ciceronis verba, omnemque loquendi atque eloquendi varietatem complexus«, zuerst Brixen 1535; in dieser oft gedruckten Sammlung vorbildlicher ciceronianischer Sprachwendungen, mit der »N.« bald zum Gattungsbegriff für rhetorische Handbücher
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wurde, forderte N. den Ersatz des abstrakten und fiktiven LogischAllgemeinen durch ein den Einzeldingen angemessenes RhetorischAllgemeines. 1553 Publikation des »Antibarbarus philosophicus«, 1556 Kommentar zu Galen. — Leibniz gab N. s Werk De veris principiis et vera ratione philosophandi contra pseudophilosophos libri IV, zuerst Parma 1553, mit einer Dissertatio praeliminaris 1670 in Frankfurt heraus, die Zweitauflage erschien 1674 als Antibarbarus philosophicus (vgl. Leibniz · Marii Nizolii …). (http://www.richardwolf.de/latein/ nizolius.htm, 20. 7. 2004; Ravier; http://comp.uark.edu/~mreynold/ notes.htm, 20. 7. 2004) 30. Noël Alexandre s. Alexandre Noël, François alias Wei Fangji 1651 – 1729, Jesuit, Chinamissionar aus Belgien, Studium der Theologie, Mathematik, Astronomie, Lateinprofessor in Tournai. Auf dem Weg zum ursprünglichen Missionsziel Japan landete N. 1685 in Macao, ging von dort nach Nanchang (chinesische Provinz Jiangxi). 1702 zusammen mit Caspar Castner als Jesuitenprokurator nach Rom, um dem Hl. Officium eine Reihe chinesischer Schriften zu überreichen, die den Gebrauch der Begriffe »Tian« und »Shangdi« für den christlichen Gott rechtfertigen sollten. 1707 wieder in Macao, wurde N. 1708 von Kaiser Kangxi ein zweites Mal nach Rom gesandt (mit den Patres Provana und Arxo), ohne wieder nach China fahren zu dürfen. Lebte in Prag und ab 1713 in Lille; publizierte mehrere Bücher über chinesische Riten und Philosophie: so die lat. Übersetzung einiger der bedeutendsten klassischen chinesischen Texte: »Sinensis Imperii Libri Classici sex« (1711), darunter erstmals vollständig das Buch Mengzi und das »Lernen der Kleinen« (Xiaoxue), wobei er sich auf die Zusammenstellung und Kommentierung der Neokonfuzianer stützte. Mit der auch von Leibniz geteilten Einbeziehung der neueren chinesischen Philosophie in eine mögliche theistische Religion forcierte N. die Interpretationslinie von Ricci und Nachfolgern, während Longobardo und Navarrete die Neueren als Heiden verwarfen. »Observationes mathematicae et physicae in India et China factae a Patre Francisco Noel ab anno 1684 ad annum 1708 … in lucem datae Pragae anno 1710 (Mathematische und physikalische Beobachtungen, angestellt von Pater François Noël vom Jahr 1684 bis zum Jahr 1708, erschienen in Prag 1710)« (211). Weiters: »Philosophia Sinica« sowie eine Zusammenstellung vornehmlich chinesischer Dokumente zu Ahnen-
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verehrung und Totenkult: Historica notitia rituum ac caeremoniarum Sinicarum (beide 1711) (darauf spielt womöglich S. 189 an), u.v.a. mehr. (BBK; Kern S. 228 f.; Li 2000) Franciscus Natalis, Noel 174, 186, 188 f., 211, 238. Nöthen, Servatius (auch: Noethen) vermutlich Jesuitenpater, der als aktiver Buchhändler 1688 – 1730 in Köln tätig war. (DPB; vgl. auch Schreiben Papebrochs an Leibniz vom 7. 3. 1701, VE I·19 Nr. 176, S. 277) 179. Nouvelles de la République des Lettres s. Journale Novissima Sinica s. Leibniz – Werke Occam, William ca. 1280 – 1349, Theologe und Philosoph aus dem Franziskanerorden. Studium und Lehre in Oxford, dann London. Zur Verantwortung der von ihm eingeschlagenen via moderna, d.h. des Neuansatzes gegen die aristotelische Tradition der Scholastik, insbesondere seines Nominalismus, wurde O. vor den Papst nach Avignon zitiert. Von dort 1328 Flucht nach München. Strikter Gegner des pästlichen Machtanspruchs. Wichtige Schriften: »Summa logica«, 1323; »Breviloquium de principatu tyrannico«, gegen 1342. (Volpi; Schulthess/Imbach) 454. Oliva, Giovanni Paulo (Johannes Paulus) aus Genua, von 1664 – 1681 Jesuitengeneral, der den Orden zur Zeit der Jansen-Kontroversen leitete und nach außen vor allem die Mission in Persien vorantrieb. (CE: Jesuit Generals) 117. Oratorianer 1552 vom italienischen Priester Filipo Neri um einen römischen Betsaal (Oratorium) gegründete Kongregation von Weltpriestern und Laien, ohne Gelübde und Regeln, mit dem Ziel der Anhebung des religiösen und moralischen christlichen Lebens durch Gebet, Predigt, Gesang. Seit 1575 offizielles kirchliches Institut. Unabhängig vom italienischen enstand 1611 das hierarchisch organisierte frz. Oratorium (Pierre de Bérulle; päpstlich approbiert 1613), von dem viele dem Jansenismus anhingen. Unterricht und Wissenschaft sind in der unterbrochenen Geschichte – in Frankreich Aufhebung 1792 – 1864 – bis heute Tätigkeitsfelder der O. Das erste Oratorium Deutschlands entstand 1643, in England 1848 (Kardinal Newman). (Denzler/Andresen; DHO) 44 f., 163. Orban, Ferdinand 1655 – 1732, dt. Jesuit, Beichtvater von Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz, Religionslehrer von Caroline von Ansbach –
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der Kurprinzessin von Hannover und späteren Prinzessin von Wales – sowie von Prinzessin Elisabeth Christine, späteren Gemahlin Kaiser Karls VI. Mit Leibniz, der ihn auch als theologischen Denker schätzte, stand O. von Oktober 1704 bis August 1716 in Korrespondenz, insbesondere auch über Fragen zu China. – Die von Gerhardt unterdrückten Briefanfänge von Nr. 32 und Nr. 40 betreffen ebenfalls O°. (Aiton 336, 389; Frémont; Chronik; °RK 5509, 30655) Orbanus 81, 86 f., 89, 91, 97 f., 101, 104, 107, 112, 115, 164, 175, 189, 192, 195, 204, 210, 225, 261 f., 270, 294, 296, 299, 302 ff., 315, 326. Origenes um 185 – 254, ägypt.-griech. Philosoph und Theologe aus Alexandria, »Kirchenvater«. Leitung der christlichen Katechetenschule in Caesarea, Romreise, Unterricht des Statthalters von Arabien, Predigten, seit 217 in Alexandria. Ausgabe des Alten Testaments unter Gegenüberstellung von sechs Textversionen (»Hexapla«, beendet 245); systematisch grundlegend die Schrift »Peri Archon« (Über die Gründe) zwischen 225 – 230, die in vollem Umfang nur in Rufinus’ dogmatisch bereinigter lateinischer Übersetzung erhalten ist. Unter Einbeziehung eines gewissen Neuplatonismus begründete O. die christliche Schriftauslegung nach der Methode des mehrfachen Schriftsinns. 230 wegen unbotmäßiger Priesterweihe aus Alexandria verbannt, errichtete er eine Theologenschule in Caesarea; mehrere Stenographen arbeiteten für ihn: neben Homilien entstand die Polemik »Gegen Kelsos«, in der O. Angriffe auf das Christentum pariert. Insgesamt verfasste er so über 2000 Bücher. Unter Decius im Zuge antichristlicher Kampagnen (250 – 53) eingekerkert und gefoltert, starb O. vermutlich in Tyros. Seine Rezeption wurde dominiert vom »Origenismusstreit« bezüglich der Orthodoxie seiner Lehre (u. a. Ewigkeit der Materie, Präexistenz der Seele, Akkommodation Christi an den allenfalls beschränkten Verständnishorizont der Gläubigen)°, die mehrfach, schließlich durch ein Edikt Kaiser Justinians 543, mit Zustimmung sämtlicher Bischöfe der Kirche in Ost und West, verurteilt wurde. O.s eschatologische Lehre von der Errettung Aller (apokatástasis pánton, nach Apostelgeschichte 3,21) stellt in den geschichtlich-ethischen Diskussionen bis heute einen Stolperstein dar. (BBK; °Denzler/Andresen) 70, 218, 236. Ovidius Naso, Publius 43 v. C.– 17 n. C., ausgebildet in Rom, Reisen in Griechenland, Beginn einer juristischen Ämterlaufbahn, die er im Kontakt mit den großen zeitgenössischen Lyrikern wie Horaz und Properz
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zugunsten der Dichtung aufgab. Gefördert im Kreis um Valerius Messala, stand O. zum regen Treiben um Maecenas in Distanz. Nach Publikation von erotischer Lyrik und Epik (»Metamorphosen«) wurde er im Jahr 8 n. C., während der Arbeit an den Kalendergedichten »Fasti«, vermutlich wegen einer skandalösen Affäre im Umkreis der Kaiserfamilie, von Augustus ans Schwarze Meer verbannt; hier starb er in Tomi nach Abfassung einschlägiger Exildichtung, ohne dass seine dritte Frau in Rom die Rückkehr hatte erwirken können. (NPauly) — Zitiert werden »Remedia amoris« und »Metamorphosen«. 215, *329. Ozanam, Jacques 1640 – 1717, entstammte einer vom Judentum zum Katholizismus konvertierten Familie aus Bouligneux (Ain). Nach Abwendung von der Theologie Studium der Mathematik, 1701 Aufnahme in die Académie des Sciences. Mit Leibniz war O. 1673 in Paris bekannt geworden. Er veröffentlichte u. a. »Tables des sinus, tangentes et sécantes« 1670, einen fünfbändigen »Cours de Mathématiques« 1693, Nouveaux Eléments d’algebre 1702 in Amsterdam – von Leibniz 1703 rezensiert° – und gab Euklids »Elemente« heraus. (GE 25; °Journal des Sçavans, 11. Juni, S. 19 – 26) Ozannam(us), Ozanamius 170, 173. Paderborn in Mitteldeutschland, südwestlich von Hannover. Einrichtung des Bistums P. 799, als Papst Leo III. zu Karl dem Großen nach P. floh und gemeinsam mit ihm die Kaiserkrönung beschloss. Die P.er Fürstbischöfe residierten seit dem 13. Jh. im nahen Neuhaus. Ein erstes Kolleg der Jesuiten entstand um 1580, 1614 war die Paderborner Jesuitenuniversität – als erste in Westfalen – gegründet worden. (Krammer S. 85 f.) 213–219, 225, 236, 238, 243, 251, 255, 261 f., 268, 270, 283, 293, 299, 302, 315. Pallavicino s. Sforza Pannonien Ob die »Montes pannoniae« von Seite 186 das ungarische Benediktinerkloster Pannonhalma (Martinsberg; »Mons Pannoniae«) nahe Györ aus dem 10. Jh., Ausgangspunkt der Christianisierung Ungarns, oder einfach westungarische Berge südöstlich von Wien meinen, bleibt der Vermutung anheim gestellt. Pantoja, Diego (Didaco) de, alias Pang Xun Yang bzw. °Pang Diwo 1571 – 1618, spanischer Jesuit, 1596 Abfahrt nach Japan, unterwegs Anschluss an Ricci zur Chinamission nach Peking (ab 1597), seit 1617 ver-
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bannt in Macao. P.s Bericht vom März 1602 an den Provinzial von Toledo, »Carta del Padre Diego Pantoja para Luys de Guzman«, wurde ab 1604 mehrmals gedruckt und übersetzt (dt. 1608). In der Frage der Übersetzbarkeit christlich-theologischer durch chinesische Begriffe vertrat P. die positive Haltung Riccis und Vagnonis scharf gegen Longobardo, de Ursis und João Rodriguez. Auf Chinesisch verfasste er theologische Schriften, die bedeutendste davon »Qike« (Sieben Siege, lat. De septem peccatis capitalibus et totidem virtutibus contrariis), 7 Bde. Peking 1614. (Kern 261; Dehergne; °Li 2000; SOVO 6) 144. Papebroch, Daniel 1628 – 1714. Historiker aus den »spanischen« Niederlanden, Jesuit. P. arbeitete in Antwerpen von 1660 bis 1709 an den »Acta Sanctorum« mit und gilt als Pionier quellenkritischer Geschichtsforschung (»Propylaeum antiquarium circa veri et falsi discrimen in vetustis membranis«, 1675), wobei er Mabillon zur Ausarbeitung der Grundsätze neuzeitlicher Diplomatik anregte. Wegen seiner Traditionskritik, so an der Entstehung des Karmeliterordens, wurde P. bei der Inquisition angezeigt; sie verurteilte die von ihm und Hensch bis dahin verfassten Bände der »Acta« am 25. Oktober 1695. Das Verbot wurde erst 1715, nach P.s Tod, aufgehoben. Seine letzte, unvollendete Arbeit galt einer monumentalen Geschichte seiner Heimatstadt Antwerpen. (BBK) Papebrochius 31, 34, 36, 69, *79, 99, *100. Papst s. Alexander VII., Clemens VIII. und XI., Päpstin Johanna, Paul V., Sixtus V., Urban VIII. Päpstin Johanna Leibniz’ Schrift Flores sparsi in tumulum Papissae (s. d.), ansatzweise 1661 begonnen°, wahrscheinlich 1709 fertiggestellt, wurde erst 1758 von Christian Ludwig Scheidt hrsg. Leibniz dokumentiert und kritisiert darin akribisch die historischen Quellen zur Geschichte über die Päpstin: sie soll – nach einer Version der erstmals um 1250 bei Jean de Mailly, danach bei Martin von Troppau im späten 13. Jh. erwähnten Legende – von 854 bis 856 amtiert und während einer Prozession von St. Peter zum Lateran im männlichen Ornat ein Kind zur Welt gebracht haben. Nennungen der P. J. sind ab dem 9. Jh. (Anastasius dem Bibliothekar) überliefert. – Über das angebliche Buch zur Magie (127) wurde nichts ermittelt. (LMa V; Herse; Chronik; DHGE 27/2000; °vgl. die Erwähnungen durch Leibniz im Jänner 1699: Bemerkungen auf Brief von Pfeffinger v. 22. 1., AA I·16, S. 532; Brief von J. Mabillon vom
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Feb. 1699 bez. L.s »Chronicon Alberici«, erwähnt Papesse als historisch – ebd. S. 590; Pfeffinger an L. über Papsthistorien Okt. 1698, ebd. S. 179 f.; Mai 1699: Brief an J. F. Pfeffinger, AA I·17, S. 216, zu Martinus Polonus’ »Flores Temporum«) Joanna Papissa 126 f., *132, 170, 173, 178, 182, 184, 218, 231, 330, 335. Pardies, Ignace Gaston 1636 – 1673, S J, Mathematiker, der sich als jesuitischer Cartesianer gegen die aristotelische Strömung verteidigte. P. lehrte Mathematik am Collège Louis le Grand und publizierte zahlreiche Schriften, darunter »Discours du mouvement local« (1670), »Discours de la conaissance des bêtes« (1672) und »La Statiques, ou la science des forces mouvantes« (1672); mehrere Auflagen erlebten seine »Eléments de Géométrie« (1671), die, von Schmitz lateinisch übersetzt (»Elementa Geometriae, in quibus Methodo brevi ac facili summe necessaria ex Euclide, Archimede, Apollonio, et nobilissima veterum et recentiorum Geometrarum inventa traduntur per P. I. G. Pardies S. J. Gallico idiomate conscripta, nunc vero post tertiam editionem in usum studiosae juventutis latinitate donata«)°, 1684 oder - 85 in Jena, 1711 in anderer lat. Übertragung in Uppsala erschienen; P.s »Atlas celeste« erschien postum. (Michaud; °SOVO 6, Sp. 601) Pardiesius 163, 170, 173, 178. *Pascal, Blaise s. Montalte Pasio, Francesco, alias Ba Yong Le oder Ba Xiaoji (auch Ba Fangji) 1553 – 1612, geb. in Bologna, Noviziat ab 1572 bei den Jesuiten in Rom. 1578 Aufbruch zur Mission nach Indien (mit R. Aquaviva); P. wurde Provinzial und Visitator der Jesuitenmission in Japan und starb in Macao. In Europa druckte und las man P.s briefliche Jahresberichte sowie die von ihm in Auftrag gegebenen »Relationi della gloriosa morte di nove Christiani Giaponesi, Martirizzati per la Fede Cattolica ne i Regni di Fingo, Sassuma e Firando«, die 1611 – verfasst vermutlich von Pater Joao Rodriguez – in Rom erschienen. (SOVO 6; DHCJ 3; Dehergne; Li 2000) Passius 144. Pasquino Anspielung auf eine Art Satiren, Spottgedichte oder Epigramme, wie sie ausgehend von Italien seit dem 16. Jh. anonym produziert wurden. Der Name stammt von einem römischen Schuster oder Schneider, der mit bissigen Formulierungen die Römer zu Kommentaren öffentlicher Ereignisse animierte, die man zunächst auf Zetteln an eine Statue selben Namens heftete. Ob Des Bosses in vorliegender
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Erwähnung eine bestimmte Publikation anspricht, konnte nicht ermittelt werden; möglicherweise bezieht er sich auf einen »Pasquinus« in der Art anonymer deutscher Publikationen (wie »Poetische Gedancken über Allerhand merckwürdige Begebenheiten, Rom 1704«, sechsteilig; »Pasquini mit dem Malforio Gehaltenes Gespräch«, oder »Über die Sämtlichen Polnischen Affairen … seit der Wahl Königs Augusti 1697«, 4 Bde. Köln 1707 – 09)°°°. Satiren in der P.-Tradition veröffentlichte damals etwa der Italiener Ludovico Sergardi (1660 – 1726).°° – Trotz üblicher Gleichsetzung von »Pasquill« und »Pasquinade« wird von dem literarischen Typ »P.« mitunter die weiter verbreitete, ausschließlich schmähende »Pasquille« (desselben Ursprungs, auch »libellus famosus«) unterschieden° (u. a. Pietro Aretino). (Wilpert; Ersch-Gruber III/ 13, °ebd.; Zedler 26; °°SLI VI S. 670 f.; °°°DDBK 4 S. 1598) Pasquinus 238. Paul V. Papst seit 1605. Geb. als Camillo Borghese, 1552 – 1621. Vor der Papstwahl Generalvikar und Inquisitor in Rom. P. förderte Kirchenreform, Orden und Kongregationen. Er löste die von Clemens VIII. zum Streit um Molina einberufene »Congregatio de Auxiliis Gratiae« 1607 auf, da keine strenge Notwendigkeit bestehe, zu entscheiden, ob Gott den freien Willen physisch oder moralisch bewege,° und erklärte 1611 mit einem strikten Schweigegebot den Gnadenstreit zwischen Jesuiten (Molinisten) und Dominikanern für beendet. 1606 verhängte er über die Republik Venedig, die kirchliche Hoheitsrechte beanspruchte, den Kirchenbann, im Prozess gegen Galilei verwarf er 1616 das heliozentrische Weltbild. Politisch wenn möglich neutral, suchte er gleichwohl die mittelalterlichen Herrschaftsansprüche des Papstes – sei es in England oder im dreißigjährigen Krieg – ein letztes Mal zu sichern. (BBK; LTK³ 4, Sp. 777; Wetzer/Welte 3, °ebd. Sp. 914) 60. Paulucci, Fabrizio 1651 – 1726, Kardinal seit 1688. Aufgewachsen in Rom, ab 1688 Bischof in mehreren italienischen Bistümern, 1696 Nuntius in Deutschland, 1698 in Polen, von wo er über Wien nach Rom zurück reiste. Nach Aufgabe des Bistums Ferrara Staatssekretär unter Papst Clemens XI. und Benedikt XIII., ohne vom kaiserlichen Hof anerkannt zu werden. P. stieg zu den Würden eines päpstlichen Generalvikars und, 1725, Kardinaldekans auf. (Zedler 26; EI 26) Paulucius 169. Paulus ? – 60 n. C.; Apostel, Hauptprotagonist der nachjesuanischen christ-
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lichen Bibel, einer der Hauptautoren des Neues Testaments. Geb. als Saul in Tarsos (Kilikien, heutige SO-Küste der Türkei), aus einer aus Galiläa ausgewanderten jüdischen Familie; Zeltmacher, mit griech. Muttersprache, in Jerusalem zum Pharisäer ausgebildet, nach anfänglicher Bekämpfung des Messianismus und hellenisierender Elemente der frühen Christen um 32 – 34 Konversionserlebnis°, wird zur – rasch umstrittenen – führenden Gestalt der Mission (Kleinasien, Zypern, Griechenland, südl. Balkan) und der Organsiation der christlichen Kirche. U. a. wird von P. ein öffentliches Streitgespräch mit stoischen und epikureischen Philosophen in Athen berichtet (Apg. 17, 16 – 34). Man vermutet seine Enthauptung in Rom nach Anklage wegen Aufruhrs in Jerusalem. Gnade, Gesetz, Gerechtigkeit und Nachfolge sind Hauptthemen von P.s religiöser Lehre. (RGG4 6/2003; °EKL³ 3/1992) 31, 150, 250. Pelagianer Der aus Britannien stammende Pelagius, geb. im 4. Jh., gest. um 430, wirkte als christlicher Theologe in Rom und wanderte um 410 nach Palästina aus. Sein Schülerkreis erstreckte sich bis nach Africa, von besonderem Einfluss war seine anti-manichäische und antifatalistische Verteidigung des freien Willens im menschlichen Handeln, die er vor allem gegen Augustinus ausfocht. Die Erbsünde wies P. vollends als Fatum zurück, die Rolle der göttlichen Gnade als Hilfestellung relativierte er entsprechend. Nach den Konzilen von Mileve und Karthago wurde P.s Lehre 418 von der Kirche, zumindest der westlichen, verurteilt, er selbst samt Gefährten (Caelestius) und Anhängern, auch von der kaiserlichen Kanzlei in Ravenna, exkommuniziert. P. starb in Ägypten, 431 schloss das Konzil von Ephesos die Pelagianer (nun auch Julianus v. Aeclanum) endgültig aus der Kirche aus; nur wenige seiner Schriften sind, vorwiegend fragmentarisch, erhalten. Der Terminus Semipelagianismus kam im 16. Jh. für die theologische Haltung in südgallischen Klöstern des 5.– 6. Jhs. auf, die Augustinus’ Lehre von Gnade und Prädestination bekämpften, ohne sich explizit auf P. zu berufen, ja ihn vielmehr ebenfalls kritisierten. Der aus der direkten Auseinandersetzung zwischen P. und Augustinus entstandene Streit wurde 529 amtlich beendet, indem auf der Synode von Arausio (Orange) – auf Betreiben Prosper Tiros von Aquitanien, Hilarius’ und Fulgentius’ – acht Sätze des S.p. einseitig extrahiert und verurteilt wurden. (NPauly 9 und 11) 76.
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Pellisson-Fontanier, Paul 1624 – 1693, frz. Historiker aus hugenottischer Familie, Doktor der Rechte (Toulouse), Mitglied der Académie Française. Als Berater des Königs, seit 1652, fiel P. in Ungnade und verbrachte fünf Jahre im Kerker; Ludwig XIV. nahm ihn wieder in Dienst. 1670 Konversion zum katholischen Bekenntnis, es folgte die Priesterweihe. Verwalter des Fonds zur Verbreitung des katholischen Glaubens in Frankreich; P. bemühte sich bis zuletzt um die Konversion der Protestanten zum Katholizismus. Von seinen meist mehrbändigen Schriften wurde u. a. die »Histoire de Louis XIV.« postum ediert (1749), voraus gingen »Histoire de l’Académie Française«, 1653, Réflexions sur les différends en matière de religion avec les preuves de la tradition ecclésiastique, Paris 1686 (29), und »Traité de l’Eucharistie«, 1694. — Als Antwort auf die Réflexions erschienen 1692 in Paris die zwischen P. und Leibniz gewechselten Briefe De la Tolèrance des Religions. (BBK) Pelissonius 29, 32, 182, 197. Pereira (Gomez Pereira), Gomez 1500 – ca. 1560, span. Arzt und Naturphilosoph, Studium in Salamanca, praktizierte in vielen Städten Kastiliens. Im Realienstreit Nominalist; Anlehnungen an Thomas von Aquino, Averroes, Augustinus. Atomist, Gegner der aristotelischen »substantiellen Formen«. Sein Hauptwerk zu Naturtheorie, Medizin, Psychologie und Theologie nannte P. nach seinen Eltern »Antoniana Margarita« (1554, mehrere Auflagen bis ins 18. Jh.), der zweite Teil erschien auch gesondert. P. bestritt insbesondere den realen Unterschied zwischen sensitiver und intellektiver Seele. In Bezug darauf exponierte Bayle im »Dictionnaire«, dass P. die Tiere als Maschinen betrachtet und ihnen die anima sensitiva, d.h. jegliches Empfinden, abspricht; dass jedoch Descartes diese Ansicht P.s plagiiert hätte, wie von Huet behauptet, weist Bayle zurück. (ESP »Gomez Pereira«; Bayle: Dictionary) 5. Perez, Antonio 1599 – 1649, geb. bei Pamplona in Navarra, seit 1633 Jesuit, unterrichtete Theologie in Salamanca und Rom, verstarb auf der Heimreise in Spanien. An Werken hinterließ P. »Conclusiones theologicae de Deo trino et uno« (1648), »De iustitia et iure, de restitutione et poenitentia« (1658, 1669) sowie Traktate über Thomas von Aquinos Summe der Theologie (Rom 1656 zu Teil I, 1669 zu Teil 2 und 3) (*88 f.); der letztere Band, »R. P. Antonii Perez Pontiregensis Navarri e Soc. Jesu in Secundam et Tertiam Partem D. Thomae Tractatus sex«, gedruckt in Lyon, enthält als vierte Abhandlung De Virtutibus Theo-
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logicis, den Traktat über die theologischen Tugenden. (Zedler 27; ESP; Frémont; SOVO 6) Perez(ius) 72, 74, 88 f., 113, 115, 118, 122. »Andere Autoren dieses Namens« (118) sind u. a. der • span. Benediktiner Antonio Perez, 1559 – 1637, Studium in Salamanca, ebendort Professor der Theologie und Abt des Klosters S. Vincente, 1607 Ordensgeneral von Valladolid, seit 1617 in Madrid, der u. a. Reden und eine Reihe von Schriften über die »authentica fides« publizierte; • der ebenfalls in Spanien geborene Antonio Perez (1588 – um 1672), seit 1617 – unterbrochen durch militärische Tätigkeit in der Pfalz – Professor für Rechte in Löwen, der, neben Arbeiten etwa über den Codex Justinianus, »Institutiones Imperiales« (1634 u.ö) und »Jus publicum« (Frankfurt 1668) verfasste. (Zedler; ESP 43) Perez de Unanoa, Martin 1579 – 1660. Mit 16 Eintritt in den Jesuitenorden, Lehrer der Theologie in Valencia. Er schrieb u. a. »De Sacramentis in genere«; »De Deo ut trino, seu de mirabili Sanctissimae Triadis Mysteriis Opus Theologicum«, 1639; De mirabili Divini Verbi Incarnatione. Opus Theologicum · Quadraginta Disputationibus divisum, Lyon 1642. (SOVO 6; ESP) Perez(ius) 122, 247 f. Pergaeus s. Apollonius Peripatos, Peripatetiker Schule von Aristoteles (nach dem Unterrichtsgebäude P. im Athener Lykeion/Lycaeum). 2, 6 ff., 11, 13, 51, 54–57, 168, 223, 240, 243, 246, 248, 277, 297, 345, 355, 357, 445, 450, 454 f. Perry s. Serry Petau, Denis (Dionysius Petavius) 1583 – 1652, frz. Theologe aus Orléans. Bereits mit neunzehn auf dem Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Bourges; weiteres Studium in Paris, 1605 Eintritt in den Jesuitenorden zu Nancy. Ruhmreicher Redner, zuletzt wieder in Paris, wo er von 1621 – 1641 einen Lehrstuhl für Theologie am Collegium de Clermont bekleidete. Vor allem mit den vier Bänden »De theologicis Dogmatibus« (1644 und 1655) errang P. den Ruf des »Vaters der Dogmengeschichte«, er veröffentlichte aber nicht nur eine große Anzahl theologischer Traktate – darunter zur Frage von Gnade und freiem Willen, so bei Augustinus, wie auch antiprotestantische und antijansenistische Kontroversschriften etwa gegen Arnauld – und historischer Abhandlungen, sondern auch Schauspiele und, seit dem 10. Lebens-
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jahr, griech. und lat. Gedichte. Zudem gab er klassische Texte antiker Theologen, besonders der griechischen Kirchenväter, heraus. (ESP 44; EI 26; Bro 17) Petavius 88, 93, 184. *Peter I. Romanow 1672 – 1725, russischer Zar. Nachfolger seines Bruders Fjodor III., seit 1682 neben seinem entmündigten Halbbruder Iwan V. auf dem Thron, ab 1689 Alleinherrscher. 1697 – 98 Reisen ins westliche Europa. 1703 Gründung der Residenzstadt Petersburg. Nach langjährigem »nordischen« Krieg gegen Schweden und einem vernichtenden Sieg 1709 löste Russland als neue europäische Großmacht Schweden ab. Verwaltungsreformen und Modernisierung des russischen Reichs unter teils grausamer Umsetzung gelten als Charakteristikum von P.s Herrschaft; auf dem Kaiserthron folgte ihm seine Gemahlin Katharina. Nachdem Leibniz seit 1709 für Russland politische Instruktionen und eine Denkschrift zur Förderung der Wissenschaften vorlegte, traf P. mit Leibniz 1711 (Ende Oktober: Torgau), mehrmals 1712 (November: Karlsbad, Leipzig), aber auch im Juli 1716 (Bad Pyrmont), zusammen; er gab ihm Titel (Justizrat), Aufträge und Gehalt. (NBro; Chronik) 133, 291. Petersen, Johann Wilhelm 1649 – 1726. Studierte Philosophie und Theologie in Rostock und Gießen. Seit 1675 in Frankfurt in pietistischen Kreisen (Spener, J. J. Schütz). Beteiligung an heftigen Kontroversen um die Prädestination, gegen die Konversionsbestrebungen der Jesuiten und den Zölibat. Ab 1678 Hofprediger und Superintendent des Fürstbistums Lübeck, ab 1688 in Lüneburg (Verbot reisender Schauspieler). Enge Kontakte zu pietistischen Visionärinnen (Rosamunde Juliane von der Asseburg, Adelheid Sibylla Schwarz). Aufgrund eines Gutachtens der Universität Helmstedt Amtsenthebung wegen Schwärmerei, Heterodoxie und Aufruhr; Herzog Rudolf August von Braunschweig entzog ihm die Gunst und verbot den Pietismus. P. verkehrte in Magdeburg weiter mit Enthusiasten und Philadelphiern. Ende 1689 öffentliches Bekenntis zum Chiliasmus, Berufung auf göttliche Einsicht durch Schriftexegese und die der lutherischen Orthodoxie widersprechende Meinung, eine Wiedergeburt durch Christi Geistbegabung schließe die Sünde aus. Schließlich hing P. der Allversöhnungslehre von Origenes an. Leibniz wurde mit P. wahrscheinlich 1677 in Hannover bekannt und tauschte mit ihm seit 1706 Briefe. In dem von J. G. Eckhart hrsg. »Monatlichen Auszug« hatte Leibniz im April 1701 eine ausführliche
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anonyme Rezension über P.s Μυστήριον ἀποκαταστάσεωϚ πάντων · Das Geheimnis der Wiederbringung aller Dinge … in einer Unterredung zwischen Philaletha und Agatophilo … gedruckt in Pamphilia … im Jahre Christi 1700 veröffentlicht. Nach zahlreichen anderen Schriften erschien P.s von Leibniz angesprochene Uranias, seu opera Dei magna … carmine heroico celebrata 1720 in Halle. (BBK; Chronik; Ravier Nr. 252 S. 111) Petersenius 217. Petrus Beiname des »ersten« Apostels Simon. Nach neutestamentlicher Überlieferung Fischer aus hellenistischem Umkreis am See von Galiläa (Genezareth) im 1. Jh., hohe gesamtkirchliche Autorität von Jerusalem bis Rom. Der zweite Beiname Kephas (aram. kêfâ’) bedeutet, ähnlich wie griech. »petros«, Stein, vielleicht Edelstein°. Eine spezifische Tradition, die – trotz P.s erstmaliger Öffnung der Jesusgemeinden für die Heidenchristen (vgl. Cornelius) – ihn gegenüber Paulus als judenfreundlicher unterstreicht, bewahrt die Literatur der Pseudo-Klementinen, die auch P.s Märtyrertod in Rom durch Kreuzigung mit dem Kopf nach unten berichtet. (LTK³ 8/1999, °ebd. Sp. 91) 113. *Petrus Lombardus ca. 1095 – 1160, Bischof von Paris, Lehrer in NotreDame. Sein Werk »Libri IV Sententiarum« befasst sich überwiegend mit Augustinus und war bis zum Konzil von Trient obligater Bestandteil des Theologiestudiums. (Schulthess/Imbach S. 132 f.) 442. Philagrius s. Le Roy Philipp II. König von Makedonien 359 – 336 v. C., Vater von Alexander dem Großen (III.). 430. Piccolomini, Francesco 1582 – 1651, 8. Jesuitengeneral (1649 – 51) aus altem Adelsgeschlecht von Siena. Professor der Philosophie und Theologie am Collegium Romanum, Provinzial von Rom, Mailand, Venedig, seit 1625 Sekretär des Ordensgenerals Vitelleschi. Als Ordensgeneral suchte P. – auf der 9. Generalversammlung (Dezember 1649 bis Februar 1650) – die Studien (Ratio Studiorum) zu reformieren, dabei die Lehrmeinungen zu vereinheitlichen und zu modernisieren. Dazu erstellte er eine Negativliste (Syllabus) mit 24 theologischen und 65 philosophischen Thesen »non docendae«. Zu diesen philosophischen Lehrsätzen gehörten die Leugnung der materia prima, die Zusammensetzung der
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Materie aus Atomen resp. Korpuskulartheorie°, die Bewegung der Erde und die Unbeweglichkeit des Firmaments.°° — Von Papst Innozenz XI. wurden die 65 Thesen verboten: »Sexaginta quinque propositiones ab Innocentio XI. proscriptae a S. J. theologis diu ante rejectae« erschien 1689, redigiert von J. Pollenter.°°° (Koch; °Baldini S. 723; °°DHCJ 2 S. 1630; °°°SOVO 10 Sp. 1518) Picolomineus 40. Pistorius d. J., Johann 1546 – 1608, »Niddanus« (aus Nidda), Sohn eines dt. Malteser-Ritters. Absolvent aller drei Universitätsfakultäten (Theologe, Arzt und Jurist), zudem Kabbalist und Historiker, konvertierte 1588 vom Calvinismus (seit 1575) zum Katholizismus. Magnum chronicon, in quo cumprimis Belgicae res et familiae diligenter explicantur, ein bis heute anonymes° Werk aus dem späten 15. Jh., bildete den 3. Band von P.s Rerum germanicarum veteres iam publicati scriptores (Frankfurt am Main 1607; Bd. 1 und 2 u. d. T. »Illustrium veterum scriptorum, qui rerum a Germanis per multas aetates gestarum historias vel annales posteris reliquerunt« ebd. 1582 und 1584) und erschien als Neudruck gesondert 1654 in Frankfurt. Als weitere Textsammlung gab er u. a. die unvollendete Sammlung »Polonicae historiae corpus« (Basel 1582) heraus. Unter seinem Einfluss konvertierte Markgraf Jakob III. von Baden als erster protestantischer Fürst zum Katholizismus (1590), was der Papst mit einem Freudenfest begrüßte. Zum Thema Konversion edierte P. 1691 die Sammelschrift »Jakob’s Markgrafen zu Baden erhebliche Motifen« (Köln 1591) mit 300 Thesen zur Justifikation. P. wurde zum Priester geweiht, Generalvikar des Bischofs von Konstanz, kaiserlicher Rat, Domprobst in Breslau und Prälat in Fulda. Weitere polemische Schriften wie »Anatomia Lutheri« (2 Bde., 1595 – 98). (ESP, DBE, NBD, ADB; °vgl. Dahlmann/Waitz 6, 222 und 3, 107/128.) 269, *270. Platon 427 – 347 v. C. Philosoph in Athen, Schüler von Sokrates. Begründer der Ideenlehre und der Akademie. 146 ff., 446. Portugal Unter dem lat. Namen »Lusitania« wurde das keltisch-iberische Land an der Algarve im 1. Jh. v. C. Teil des römischen Reichs. — Nach Aussterben der portugiesischen Königshäuser (Burgund ab 1139, Aviz ab 1385) herrschte seit 1580 Philipp II. von Spanien, nach Revolte 1640 wurde P. unter dem neuen Haus Bragança wieder selbständig. 1706 – 1750 regierte König João V. »o Magnanimo« (»der Groß-
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herzige«, geb. 1689, Nachfolger seines Vaters Pedro II. »des Friedfertigen«, 1683 – 1706), der mittels Ausschaltung der Ständeversammlung den Absolutismus einführte und mit brasilianischem Gold P. Prunk und Reichtum verschaffte. João V. heiratete am 27. Oktober 1708 Maria Anna von Österreich (vgl. 107 f.), eine Tochter Kaiser Leopolds I. (mit ihr traf Leibniz wahrscheinlich Anfang August 1708 in Detmold zusammen). Portugiesische Königin war zuvor Marie Sophie von der Pfalz (1666 – 1699), die zweite Frau Pedros II. — In China bauten die Portugiesen im 16. Jh. Macao zu ihrem Asien-Stützpunkt (Sitz des Vizekönigs seit 1680) um. Padroado (Patronat): 1514 erhielt P. vom Papst das Patronatsrecht (Auswahl des Missionspersonals, Vorschlagsrecht für Bischofsämter, Einhebung des Zehnten)° über alle Überseegebiete und verlangte seither von allen europäischen Missionaren, von Lissabon aus zu reisen.°° In China handelte es sich um die Bistümer Macao, Nanjing und Beijing.°°° Die Mission des Padroado wurde meist von Jesuiten getragen und stand nicht nur in Konkurrenz zur französischen »Mission étrangère« (die ebenfalls von Jesuiten mit gestaltet wurde), sondern vor allem zu den päpstlichen »Propagandamissionaren« (Beckmann): 1707 wurde der päpstliche Gesandte Tournon nach Verkündung des Ritenverbots von den Portugiesen verhaftet und in Macao eingekerkert. Gleichwohl suchten die Jesuiten sich vom Padroado zu emanzipieren und, nach dem chinesisch-russischen Friedensvertrag von Nertschinsk (1689), eine Reiseroute nach China über Moskau aufzubauen – was Leibniz z. B. in den Novissima Sinica stark unterstützte°°°°. (Brockhaus Geschichte; dtv Atlas weltgeschichte; Wikipedia; Chronik S. 210 – M. Anna; HKG; °LTK³ 7 Sp. 1484; °°Li 2000 S. 340 Anm. 160; °°°Beckmann S. 331; °°°°Widmaier 2000 S. 36 – 45) Lusitania 107 f., 131, 169, 183, 194, 245, 292, 339, 341. portugiesisch Indien Goa, heute der kleinste indische Bundesstaat, an der mittleren Westküste Indiens am Arabischen Meer. Seit der Eroberung durch Alfonso de Albuquerque 1510 waren diese Territorien portugiesische Kolonie (bis 1961), während die übrigen Staaten Indiens zum britischen Kolonialgebiet gehörten. Der systematische Aufbau der christlichen Mission durch Portugal (Padroado) begann, nachdem Goa 1534 vom Papst zum Bistum erklärt wurde°; es herrschte Sklavenhaltung und eine drakonische Form der Inquisition, die auch Missionare der römischen Propaganda betraf °°. (Wikipedia; DHGE 25, Sp. 1007; °Beckmann S. 29; °°ebd. S. 317) 346.
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Post Die Post im deutschen Reich wurde unter Kaiser Maximilian I. zu Beginn des 16. Jhs. als Nachrichtendienst eingerichtet, 1597 zum kaiserlichen Regal erklärt. Hauptbetreiber (bis nach Spanien) war zunächst die Familie Thurn und Taxis mit erblichem Monopol und kaiserlichem Postmeistertitel als Lehen, jedoch schufen die deutschen Einzelstaaten ab Ende des 16. Jhs. (regelmäßige Briefpost) eine Konkurrenz mit eigenen Post-Regalien, so auch Braunschweig-Lüneburg. Der volle Ausbau zum regulären Kursverkehr mit Personenbeförderung erfolgte seit Beendigung des 30jährigen Krieges zur Mitte des 17. Jh.s. (Flemming HKuG S. 211 – 213; HdWSG 435 f., 626 f.) Cursor, Currus; Posta; Tabellarius (Briefbote) 29, 34, 122, 160, 196, 236, 308, 348. Pozsony ungar. für Bratislava/Pressburg Posonium 294. *Precipiano s. Mecheln Printzen, Marquard Ludwig Freiherr von 1675 – 1725, dt. Diplomat und Beamter aus Kurbrandenburg. In brandenburgischem Staatsdienst mehrere Jahre Gesandter in Moskau. Ab 1704 Direktor des Lehnswesens in Berlin; Geheimer Staats- und Kriegsrat; seit 1709 Kurator der preußischen Universitäten. Am 8. August 1710 wurde P. von König Friedrich I. zum Ehrenpräsidenten der Berliner Sozietät der Wissenschaften ernannt, ohne dass Leibniz als Präsident informiert wurde, der dies zunächst als seine Ablösung missverstand und sich bei der Kronprinzessin Sophie Dorothea beklagte; die Klarstellung erfolgte im Dezember 1710, P. präsidierte neben Leibniz in eigener Funktion.° Von 1713 bis 1724 amtierte er auch als Protektor der Sozietät – wobei er Leibniz im September 1715 wegen mangelnder Präsenz das Gehalt strich°° –, außerdem als Präsident des reformierten Oberkirchenkonsistoriums (seit 1712), Oberhofmarschall und Leiter der königlichen Bibliothek und Kunstkammer. (DBAR; DBE 8; http://www.dhm.de; °Chronik S. 219 f., °°ebd. S. 253) de Printz, de Prinzen 210, 213. Prosper Tiro von Aquitanien geb. um 390 in Gallien, gest. um 455 in Rom. Mönch in Marseille. Korrespondierte über die von ihm bekämpfte semipelagianische Haltung in südgallischen Klöstern (Vinzenz, Cassian) mit Augustinus. Nach dessen Tod verfasste er eine Reihe weiterer Streitschriften gegen den Pelagianismus meist im Sinne der augustinischen Lehre vom beschränkten Heilswillen Gottes und der Vor-
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herbestimmung der Strafen, zudem diverse Kompilationen, Kommentare zu Augustinus und eine Chronik von Anfang der Welt bis 455 n. C.; nach 440 war er Beamter der päpstlichen Kanzlei. (BBK) 250. Provana, Antonio Giuseppe alias Ai Xun Jue / Ruo Se 1662 – 1720. Jesuitenpater aus Frankreich, Missionar in China seit 1695, kam 1708° als Gesandter des Kangxi-Kaisers mit R. Arxo nach Rom. Befürworter der päpstlichen Verordnung gegen die chinesischen Zeremonien. Vor der Rückreise nach China (1720) versprach er dem Papst »mit einem Eide, nach ihrer Zurückkunft in China darüber zu halten.« (Jöcher Erg. Bd. 6; Dehergne; Pfister; DHCJ 4; °Reil S. 117 f.) 126, 131, *133 (Krokane), 134, 175, 180, 238. Prudentius Clemens, Aurelius 348 – 405, »Horatius Christianus«, Statthalter aus Spanien und hoher kaiserlicher Beamter, der sich gegen Lebensende der christlichen Religion und Dichtung zuwandte, wobei er diffizile klassische Verskunst mit christlicher, besonders ambrosianischer Theologie verband. U. a. Schöpfer allegorischer christlicher Hymnen, von Märtyrerlyrik, Lehrdichtung wie »Apotheosis« (gegen häretische Christologien) und »Hamartigenia« (»Ursprung der Sünde«, gegen Marcions Lehre von einem guten und einem bösen Gott), der christlichen Kampfschrift »Contra Symmachum« sowie des Epos »Psychomachia«, das den Kampf der sieben Haupttugenden mit den sieben Hauptlastern stilbildend für das gesamte Mittelalter schildert. (NPauly; HT 1 S. 640) 159. Ptolemäi s. Tolomei Quesnel, Pasquier 1634 – 1719, frz. Oratorianer, Jansenist. 1659 Priesterweihe, 1662 Leitung des Pariser Oratorianer-Instituts. Hauptwerk: »Reflexions morales sur le Nouveau Testament« (1671), eine kommentierte frz. Ausgabe des »Neuen Testaments«, aus der 101 Sätze auf Betreiben der Jesuiten 1713 durch die Bulle Unigenitus von Clemens XI. verurteilt wurden. Wegen jansenistischer Ansichten in Bezug auf die Irresistibilität der Gnade Flucht aus dem Oratorium nach Orléans, Brüssel (zu Arnauld) und 1703 nach Amsterdam, nachdem er am 30. Mai (zusammen mit Gerberon) durch den Erzbischof von Mecheln, Precipiano, verhaftet wurde; dieser fertigte mit der Publikation Causa Quesnelliana, sive, Motivum juris pro procuratore Curiae Ecclesiasticae Mechlinensis actore, contra P. Paschasium Quesnel, citatum fugitivum. Cui dein
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accessit sententia ab Illustrissimo ac Reverendissimo D. Arch-Episcopo Mechliniensi, Belgii primate, etc. in Quesnellum lata, Bruxellis 1705, den »Fall Quesnel« literarisch ab. Seit Arnaulds Tod (1697) stand Q. an der Spitze der nunmehr organisierten jansenistischen Bewegung in Europa. 1687 erschien »Abrégé de l’histoire de la congregation«; als Antwort auf Unigenitus veröffentlichte Q. zusammen mit fünf weiteren Autoren (L. F. Boursier, J. Fouilloux, G. N. Nivelle, J. Le Fevre, J. B. Le Sesne de Ménillard d’Ètemare) das von Des Bosses S. 330 genannte Les Hexaples ou les Six Colonnes sur la Constitution Unigenitus, Amsterdam 1714, in dem das Schicksal von Q.s »Réflexions morales« behandelt wurde; neben vielen weiteren Schriften gab Q. auch die Werke von Leo dem Großen und Hilarius von Poitiers heraus. — Leibniz korrespondierte mit Q. 1706 – 08 und 1712.° (HT 1, S. 626; Frémont; BBK; NUC 372, S. 599; BLC 280, S. 338 unter Rome, Church of – Clement XI; DHGE 19, Sp. 253 – Boursier; °Chronik S. 201 ) Paschasius (Paschalius) Quenellus, Quesnellus 44 f., 47, 50, 54, 61, 64, 66, 69 f., 111, 133, 171, 173, 178, 182, 186, 189 f., 319, 330. Raimundo, P. s. Arxo Ramansisches Manuskript Nicht ermittelt. 81. Reflexiones supra modernam causae Sinensis constitutionem · Juxta exemplar in Italia impressum · in latinum translatae erschien ohne Angabe von Ort und Autor 1709, es behandelt das päpstliche Ritenverbot von 1704 und dessen Erlass in China durch Tournon 1707. Das italienische Original verfasste wahrscheinlich, so wie weitere Publikationen zum chinesischen Ritenstreit, der aus Mailand stammende Jesuit *Tommaso Ceva (1648 – 1737): »Alcune riflessioni intorno alle cose presenti della Cina« um 1708; frz. Übersetzung 1708, engl. 1709. Eine Referenz auf die Broschüre findet sich bei Serry 1709: »Difesa del giudizio formale della S. Sede Apostolico nel di 20. Novembre 1704«. (NUC 7 / 102 / 485 / 495; SOVO 2; SOVO 12 Sp. 1281) 151. Réginald (Regnault°), Antonin 1605 – 1676, frz. Dominikaner aus Albi, 1623 Ordenseintritt, Lehrer an Ordensschulen, seit 1639 Professor für Theologie an der Universität Toulouse mit Vorlesungen zu Thomas von Aquino; Ordensprovinzial des Languedoc. 1652 vertrat er in Rom bei den Verhandlungen um Jansens fünf Sätze die thomistische Schule, die er gegen die Jansenisten wie auch gegen die Jesuiten verteidigte. Un-
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vollendet blieb »Doctrinae D. Thomae Aquinatis tria principia« (1670), große Verbreitung fand seine »Dissertatio de catechismi Romani auctoritate« (1648). Über das tridentinische Konzil erschienen von R. zwei Titel: »Quaestio theologica, historica et juris Pontificalis, quae fuerit mens Concilii Tridentini circa gratiam efficacem et scientiam mediam« (1644) und De mente sancti Concilii Tridentini circa gratiam seipsa efficacem (72) postum 1706 in Antwerpen. — Dass Leibniz R. nicht kennt, wertet Eschweiler als typisch für die Ausblendung des Thomismus aus Leibniz’ Scholastik-Rezeption: R. »hatte im Jahre 1669 seine Tria Principia herausgegeben, ein Buch, das wegen seiner knappen und […] in ›geometrischer‹ Beweismethode fortschreitenden Schlüssigkeit die Aufmerksamkeit Leibnizens hätte reizen können«°° (BBK; °Frémont; °°Eschweiler S. 325) Reginaldus, Antonius 72, 92, 95, 114. Reims: Uhrmacher aus R. Nicht ermittelt. 255. Reingens, P. Nikolaus Günstling von Des Bosses, nicht ermittelt. Reyngens 205, 208. Reisch, Leonhard Uhrentechniker aus dem Allgäu (Bayern), der 1701 in Wien einen (mitunter am Schottenstift aufbewahrten)° Himmelsglobus konstruierte (und signierte) und um 1700 die Schrift: »Horologium rotatile astronomicum: centum diversorum horologiorum exhibens veros Planetarum ac Fixarum motus etc. et ex isto horologio jam conscriptae sunt Ephemerides ab anno 1701 usque ad 2000 annum Christi« (Kempten o.J., Druckerei Mayr)°° über ein von ihm erfundenes »kostbares und künstliches Uhrwerk« (Jöcher) veröffentlichte, das vielleicht mit ersterem identisch ist. Eine bei Jöcher vermerkte Rezension in den »Hamburger Berichten« 1739, S. 369, und der alternative Vorname »Ignaz« wurden vom Hrsg. nicht überprüft. (Jöcher Erg.-Bd. 6, 1819; °www.adlerplanetarium.org./history/websters/r.htm, 7. 1. 2005; °°www.kfunigraz.ac.at/ub/sosa/UnbekBibl.html, 7. 1, 2005) 294. *Rémond, Nicolas François (? – 1716?°) Rat des Herzogs von Orleans, Anhänger der platonischen Philosophie, Briefpartner von Leibniz seit 1713. (GP·3, 599 – 678; Wiater S. XXIII; °ESP: Remond des Cours) (ein Freund) 339. *Remonstranten Protestantische Gegner der calvinschen Prädestinationslehre. Erster Vertreter: der Holländer J. Arminius, um 1610.
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Rempe, Johannes 1663 in Paderborn geb., Studium der Philosophie. 1680 wurde R. Jesuit, später Benediktiner. Als Professor für Theologie und Philosophie verließ er 1707 das Kloster, konvertierte zur lutheranischen Konfession und übernahm eine Professur für natürliche Theologie in Helmstedt. Seine Schriften waren teils von scharfer Polemik geprägt (so gegen Johann Friedrich Meyer), R. verfasste aber auch »Poemata selectiora tam Latina quam Germanica« und den »Catalogus episcoporum Hildesiensium«. (Jöcher) Rempius 86 f., 108. Reuschenberg, Johann Sigismund von Domherr zu Trier, mit dem Leibniz etwa in den Jahren 1702 – 03 in Briefkontakt stand. (Chronik; Ravier Nr. 813·15 – 16 = S. 508) 10. Ricci, Matteo alias Li Madou Xitai 1552 – 1610. Ausgebildet am Jesuitenkolleg seiner Heimatstadt Macerata (Italien), Studium der Rechte in Rom, dort Ordenseintritt. Während des anschließenden Studiums der Mathematik (unter Clavius) Begeisterung für die Mission; 1578 Schiffsreise nach Goa und Ostindien, von dort – nach Priesterweihe – 1582 nach Macao, um P. Michele Ruggiero beim Aufbau der Chinamission zu unterstützen (nach der neuen Methode des Missionsprokurators Valignani: weitestgehende Annäherung an die chinesischen Kultur; Fehlversuche gab es zuvor durch die Patres M. N. Barreto SJ, den Dominikaner C. da Cruz und andere): nach intensivem Studium der chinesischen Sprache und Literatur wurden R. und Kollegen 1583 in die Provinz Guangdong eingelassen, R. ließ eine Weltkarte mit chinesischer Beschriftung drucken und verteilen; erste Bekehrungen; 1595 Nanjing, Abfassung der Schrift Wahre Lehre vom Herrn des Himmels (Tianzhu shiyi) (*145)° auf Chinesisch, die rasch viele Neuauflagen erlebte; Anlegen chinesischer Gelehrtentracht. 1597 erster Superior der gesamten chinesischen Jesuitenmission; 1598 erstmals in der Kaiserstadt Peking, 1601 mit einer Denkschrift an Kaiser Wan Li (1573 – 1619) an den Hof vorgelassen, wo er fortan wissenschaftlich als Mathematiker, Kartograph, Kosmograph und Astronom arbeitete. Seinen christianisierenden Ansprüchen verlieh R. mit den moraltheologisch-philosophischen Schriften »Ershiwu yan (25 Sprüche)« (1604) und »Jiren Shipian (Zehn Paradoxe)« (1608) Nachdruck, er verstarb in Peking. Umstritten war bald R.s christlich-religiöse Interpretation des konfuzianischen Ahnenkults (Shangdi als »Gott«, »Tian« als »Himmel«). (Koch; CE; Dehergne;
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Li 2000; DHCJ 4; Gernet CC, °ebd. S. 338; zur Identifizierung oben 144 f. vgl. Discours 2002, S. 266 Fn. zu Z. 1.) · Riccius 145, 150. Robert de Aspero Monte s. Gobert Rom (Römische Kirche) 2, 7, 15, 22, 31, 34, 58, 68, 76 f., 114, 119, 124, 131, 139, 142, 145, 151, 160, 167, 174, 176, 180, 183, 189, 193, 203, 205, 218, 231, 237 f., 245, 259, 298, 326, 341 f., 347. Rommerskirchen, Heinrich Drucker und Verleger in Köln, nachgewiesenermaßen tätig von 1700 bis 1732. (DPB) Henricus Romerskirchen, Rommerskirchen 224, 237, 245, 251, 270. Rorarius, Hieronymus (Geronimo Rorario) 1485 – 1556, ital. Diplomat aus Pordenone im Friaul, nach juristischer Betätigung in Padua Priester in Rom, päpstlicher Gesandter in Ungarn, Polen und bei Karl V. R. hinterließ die Schrift »Quod animalia bruta saepe ratione utantur melius homine« (dass also die Tiere oft vernünftiger seien als der Mensch), die 1648 in Paris von Gabriel Naudé hrsg., später auch andernorts gedruckt und von Bayle im »Dictionnaire historique et critique« vorgestellt und kommentiert wurde. Umstritten ist R.s. Autorschaft an »Pro moribus«, das ebenfalls 1648 durch Naudé erschien. (ESP 52/1926) 5, 53. Roswita (Hrotswit) von Gandersheim um 935 – um 975, aus sächsischer Adelsfamilie, Kanonisse im Reichsstift Gandersheim, dessen Äbtissin eine Nichte von Kaiser Otto I. war. R. hinterließ Werke in drei Büchern: vornehmlich Legenden in lateinischen Versen, aber auch Prosa-Dramen (»Gallicanus«, »Abraham«, »Sapientia« u. a.), ebenso die Epen »Gesta Oddonis I. Imperatoris« und eine Geschichte der Klostergründung von Gandersheim in reimenden (»leoninischen«) Hexametern. Entscheidung zwischen Heil und Verdammnis sowie das Ideal geistlichen Lebens sind die prägenden Inhalte. Die in St. Emmeram aufbewahrte Handschrift wurde von Conrad Celtis mit Holzschnitten Albrecht Dürers 1501 in Nürnberg publiziert. R.s darin nicht enthaltenes Hexameter-Gedicht Carmen de primordiis et fundatoribus coenobii Gandershemensis, beinhaltend die früheste Klostergeschichte von 856 – 919, wurde in der 1. H. des 16. Jhs. von einem Mönch eines Gandersheimer Nebenklosters entdeckt; 1693 druckte Schaten Auszüge daraus in den »Annales Paderbornenses«.° Leibniz fand vermutlich Ende September 1707 in Gandersheim eine Handschrift des Gandersheim-
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Gedichts; er publizierte es 1710 im 2. Band seiner Scriptores Rerum Brunsvicensium. Ein Jahr zuvor hatte es bereits Johann Georg Leuckfeld in seinen »Antiquitates Gandersheimenses« in Wolfenbüttel gedruckt (Pastor von Gröningen bei Halberstadt, gest. 1726; Leibniz stand mit Leuckfeld, der um Hilfe bei der Suche nach der Hs. des Gedichts »De fundatione Gandesiana« von R. gebeten hatte, von 1. Sept. 1704 bis Ende August 1707 in Briefkontakt°°). (BBK; Hrotsvitae Opera; Chronik; Ravier; DDB B·4; °ADB 29, S. 286 und 292;°°Chronik S. 192) Roswita 105, 108. Ruisbroeck s. Ruusbroec Ruiz de Montoya, Diego 1562 – 1632, Jesuit aus Sevilla, Theologe und Philosoph in Cordoba und Granada. Er verfasste diverse »Commentationes ac Disputationes« u. a. zu Thomas von Aquino, die »Commentarii in materiam de peccatis« oder »De Auxiliis divinae Gratiae« in 2 Bdn.; zu den anonymen Werken zählt »Doctrina Christiana«. (ESP) Ruizius, Ruiz 144, *203 Anm. 228, 231, 314. russischer Zar, Autokrat oder Großer Monarch der Russen s. Peter Ruusbroec, Jan van (Ruysbroeck, Ruisbroeck, Ruysbroek, Ruisbroec) 1293 – 1381, flämischer Mystiker aus Ruisbroek bei Brüssel. Priester 1317, 1350 Gründung einer Klostergemeinschaft nach Regel der Augustiner Chorherren. Entwicklung mystischer Lehren im Anschluss an Augustinus, Bernhard von Clairvaux und Wilhelm von Saint-Thierry, in Auseinandersetzung mit Hugo und Richard von Saint Victor. Hinterließ Briefe und elf Traktate, darunter »Die cierheit der gheesteliker brulocht (Zierde der geistlichen Hochzeit)« (um 1335) und »Vanden twaelf beghinen« (gegen 1380); er bekämpfte darin reduktionistische religiöse Bewegungen wegen Pantheismus, dessen er seinerseits von Gerson beschuldigt wurde. Eine Werkausgabe in lateinischer Übersetzung erschien 1552, von dort zahlreiche weitere Übertragungen; schon zu Lebzeiten stark rezipiert, beeinflusste Gruppierungen wie die »Brüder vom gemeinsamen Leben«. In der röm.-kath. Kirche darf R. seit 1908 offiziell verehrt werden. (Grote Winkler 20/1992; Bro 18) Rusbrokius, Rusbrock 165, 171. Sabbatino s. de Ursis Saccheri, Giovanni Girolamo 1667 – 1733, Philosoph, Theologe, Mathematiker und Vorläufer der nichteuklidischen Geometrie. Mit 18 Eintritt in den Orden der Jesuiten, geweiht 1694. 1693 veröffentlichte er »Quaesita Geometrica«. S. studierte Philosophie und Theologie am Jesuiten-
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kolleg in Turin, wo er die formal innovative »Logica demonstrativa« publizierte. 1697 ging er ans Kolleg in Pavia, 1699 erhielt er vom Senat in Milano einen Lehrstuhl für Mathematik. Eine weitere Schrift war etwa »Euclidus emendatus« (ital. 1904). (EI XXX / 1936; Baldini: Phil. Univ. – Ueberweg 17. Jh. 1, S. 621 – 668) Sacorierius 302. Saint-Pierre, Charles Irénée Castel, Abbé de 1658 – 1743, frz. politischer Schriftsteller, aufklärerischer Kritiker der absolutistischen Kriegspolitik Ludwigs XIV. Sein umstrittenes »Projekt zur Herbeiführung eines ewigen Friedens in Europa« (»Projet pour rendre la paix perpetuelle en Europe«, 1713), das einen europäischen Staatenbund forderte, wurde vollends berühmt durch Rousseaus Bearbeitung (»Auszug aus dem Plan des ewigen Friedens«, Amsterdam 1761). Eine frühere Version mit dem Titel »Memoire pour rendre la paix perpetuel en Europe« erschien 1711 in Kleinauflage für den engeren Freundeskreis in Paris, 1712 mit Ortsangabe Köln. Die S. 340 angesprochene dt. Übersetzung Cochenheims – von welcher Textfassung auch immer – konnte nicht ermittelt werden, allerdings erschien S.s »Discours sur la Polysynodie« (Paris 1718), mit Vorschlägen zu einer Art Räte-Monarchie, in einer anonymen dt. Übersetzung unter »Des Herrn Abts de St. Pierre Politischer Discurs von der Polysynodie« 1720 in Frankfurt. Castel verlangte umfassende Reformen der Geistlichkeit, des Erziehungswesens, der Staatsverwaltung und Wirtschaft. — Leibniz stand mit S. in Briefkontakt und verfolgte verschiedentlich seinen Denkweg: vgl. »Observations sur le Projet d’un paix perpetuelle« (D·5, 56 – 60); Brief an S. vom 7. Februar 1715 (D·5, 61 f.); in der Zs. »Histoire de l’Académie Royale des Sciences de Paris« tauschte er mit S. Gedanken über einen sprechenden Hund aus (»Lettre de M. Leibnitz à Mr. l’Abbé de Saint-Pierre sur un chien qui parle«, Jg. 1715, S. 3, wieder in D·2.2, 180); vgl. auch den Briefwechsel Leibniz – Rémond, GP·3. (Fontius Hrsg. Bd. 2, 533 f.; NBro; Ravier; DDBB·18, S. 208 f.; NUC 515: ns 0042385, 0042388, 0042367) Abbas de S. Petro 340. Saint Vincent, Grégoire de 1584 – 1667, Jesuit aus Brügge (Belgien), Mathematiker. Nach Theologiestudien in Rom und Löwen seit 1618 Professor für Mathematik in Antwerpen, Löwen, Rom und Prag, hier erster Schlaganfall und 1631 Verlust des Großteils seiner Manuskripte durch plünderndes schwedisches Militär. Lehrer von Don Juan d’Austria. S. starb nach zwei weiteren Schlaganfällen in Gent. Werke vor allem
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zur Geometrie, so »Theses mathematicae« (1623), »Theoremata mathematica Scientiae staticae« (1624) und »Opus geometricum posthumum«; darüber hinaus Problema Austriacum (1646) und »Problema Austriacum plus ultra Quadratura Circuli« (1647); letzteres beeinflusste im Zusammenhang mit der Flächenberechnung des Kreises Leibniz’ Konzeption der Differentialrechnung. Leibniz zufolge bildete S. mit seinen geometrischen Erfindungen neben Descartes (Linien als Gleichungen) und Fermat (Maximal- und Minimalmethode) das Triumvirat der Mathematik im Gefolge von Galilei. (De Seyn 1; Radelet-de Grave) Gregorio a St. Vincentio 170, 174, 178. Sainte Marie, Antoine de s. Santa Maria Salerni, Giovanni Battista 1670 – 1729, Jesuit, Professor am Collegium Graecum und Collegium Germanicum (Kirchenrecht), Ende 1709 als außerordentlicher Nuntius von Papst Clemens XI. nach Sachsen und Polen, im Jänner 1710 bei König August II., dessen Sohn Friedrich August II. von Sachsen er 1712 zum Katholizismus bekehrte. In neuerlichem Auftrag des Papstes in Wien und Polen (1716) vermittelte S. die Ehe zwischen Friedrich August von Sachsen mit der Tochter Karls VI., Erzherzogin Maria Josepha. S. wurde hierauf Kardinal. (DHCJ 4; ESP) Salernus 114 f., 121 f., 124. Salomo Nach der Bibel (2 Sam 7,12 – 16 und 1 Chr 17,10 – 14) sollte der künftige Messias »Davidssohn« sein, d. h. Nachkomme und Nachfolger des israelischen Königs David (1000 – 961 v. C.). Dessen unmittelbarer Thronfolger war sein und der Batseba Sohn S., Erbauer des Jerusalemer Tempels, der Gott statt um Reichtum, Ehre oder Tod der Feinde um Weisheit bat. Zum salomonischen Urteil über Mutterliebe vgl. 1 Kön 3, 16 – 28. — Den Vergleich mit S. im Zusammenhang der christlichen Chinamission hatte der Pekinger Jesuitenobere Kilian Stumpf im Oktober 1710 bemüht: eine der Möglichkeiten, die Mission zu retten, wäre, dass die Jesuiten darauf verzichten und sie den portugiesischen Missionaren oder sogar Rom (falls es die Riten anerkennen würde) überlassen.° (Bibel – Einheitsübers. Reg., vgl. bes. Bücher Chronik und 1 Könige; °Reil S. 141 ff.) 180, 307. Santa Maria, Antonio Caballero (genannt a S., auch de Sainte Marie), alias Li Andang 1602 – 1699. Spanier, seit 1618 im Franziskanerorden, kam 1628 auf die Philippinen, dann nach Taiwan und 1633 in die chine-
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sische Provinz Fujian. S. entfachte den ersten Streit um die Zulassung chinesischer Riten durch die Jesuiten; mit dem seit 1610 amtierenden Jesuitenoberen von China, Longobardo, gab es jedoch Übereinstimmungen. Die konfuzianischen Riten verwarf er als Aberglauben. Von Holländern 1636/37 acht Monate in Batavia (Djakarta) gefangen gehalten, gelangte von dort nach Manila und 1640 nach Macao, wo er erneut ausgewiesen wurde. 1645 vom Papst zum apostolischen Präfekten ernannt, 1649 wieder nach Fujian, anschließend nach Shandong (nahe Tianjin), 1659 nach Hangzhou, wo er mit P. Martino Martini über das päpstliche Dekret zur Erlaubnis chinesischer Riten von 1656 eine Diskussion führte, die er 1660 und 1661 publizierte. Ebenfalls 1661 schrieb er »Relatio Sinae Sectarum«; auf Chinesisch brachte er u. a. eine Schrift über die Parallelen zwischen Konfuzianismus und Christentum heraus (1664). 1665 wurde S. verhaftet, im Zuge der (1667 – 1671 währenden) allgemeinen Ausweisung der Chinamissionare nach Kanton abgeschoben und starb dort 1669. Während der Internierung hatte er 1668 den span. »Tradado sobre algunos punctos tocantes a esta mission de la gran China« verfasst, der 1701 in einem Sammelband in Paris (»Anciens Traités de diverses auteurs sur les Cérémonies de la Chine«, hrsg. vom Séminaire des Missions Etrangères, zusammen mit einer Schrift von Longobardo) auf Frz. erstveröffentlicht wurde: Traité sur quelques points importantes de la Mission de la Chine, übersetzt von de Cicé, zuletzt kritisch hrsg. von Wenchao Li und Hans Poser°. — Leibniz benutzte im sog. Discours sur la théologie naturelle des Chinois diesen Traktat S.s als eine der primären Quellen für chinesische Philosophie (vgl. Brief vom 13. Jänner 1716). Die beiden Texte von S. und Longobardo wurden mit den Anmerkungen von Leibniz auch durch Christian Kortholt im 2. Band seiner »Leibnitii epistulos ad diversos« 1734 hrsg. (Gernet CC S. 15 f.; Kern S. 227 f., 260 ff., 271 f.; Li 2000; Leibniz: Abhandlung …, S. 140 f. et passim; Widmaier, Hrsg. 1990, S. 115; Journal des Savans 1701 Heft 17 vom 2. Mai, S. 195 – 200; °Discours 2002, S. 9 f., 12, kommentierter Abdruck S. 157 – 223) 145, 339 f., 346. Sarpetri (de Sancto Petro), Domenico (? – 1683) Ital. Chinamissionar aus dem Dominikanerorden, 1640 Profess in Palermo, dort auch Lehrer der Philosophie. 1658 Ankunft auf den Philippinen, 1659 nach China (Provinz Zhejiang). Bekundete in verschiedenen Konferenzen Auffassungsdifferenzen zu seinem Orden, besonders zu Navarrete. S. publizierte vor
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allem zur Ritenfrage und kritisierte dabei die Praxis des chinesischen Konfuziuskultes, nicht aber dessen Theorie. Zumeist sprach er zugunsten der Jesuiten: »Libellus assertorius in gratiam methodi quo utuntur PP. S. J.« (Guangdong 1668); neben einer »Kurzdarstellung« von 1670 außerdem »Epistola ad Sacram Congregationem de Propaganda Fide« (1668). (DTC 14; Biermann S. 97, 133) Dominicus Sarpetrus, Sarpetri 144 f., 346. Sarpi, Paolo (Pietro Soave, Paulus Venetus, Paulus Servitus) 1552 – 1623, Servitenmönch und Jurist aus Venedig, der im Streit gegen Papst Paul V. die staatskirchliche Position Venedigs (auch »Gallikanismus« genannt) verteidigte und exkommuniziert wurde. In seinem unter dem Namen »Pietro Soave Paulano« publizierten Hauptwerk Historia del Concilio Tridentino (1619, zahlreiche Auflagen und Übersetzungen) griff S. das nachtridentinische Papsttum an; es stützte sich vor allem auf venezianische Quellen, wogegen die Konzilsgeschichte von Sforza Pallavicino eine Ergänzung durch vatikanisches Material lieferte. Wegen seines Plans einer Koalition aller Protestanten gegen Rom galt S. mitunter als »Kryptoprotestant«. (Bro20; vgl. ausführlich Ueberweg 17. Jh. 1, S. 533 – 544.) (Soaviani) 119. Schaten, Nicolaus 1608 – 1676, Jesuit, Historiker in Münster, von Ferdinand von Fürstenberg nach Paderborn berufen. Seine Historiographie des Hochstifts Münster blieb unvollendet und unveröffentlicht. Publiziert wurden die Annales Paderbornenses postum in drei Bänden (Band eins und zwei: Neuhaus 1693 und 1698°, bzw. Lemgo 1693°° ff., wieder Paderborn 1744°°°), der erste Teil hrsg. durch Cloppenburg S J; der dritte Teil des Werkes stammt von Michael Strunck, gleichfalls Jesuit, und erschien in Paderborn 1741. S. hinterließ auch »Historia Westphaliae« – postum Neuhaus 1690, ebenfalls von Cloppenburg hrsg. – und ein Werk über Karl den Großen: »Carolus M. Romanorum imperator et Francorum Rex … vindicatus adversus Christianum Nisanium Lutheranum«, Neuhaus 1674. (ADB 30/1890; °AA I·5, S. 658; °°GV 124, S. 90; °°°NUC) Schatenius (Schaltenius) 223, 312, 315. Schriften zur Chinamission s. Chinamission Schurzfleisch, Heinrich Leonhard 1644 – 1722. Dt. Jurist und Philologe, seit 1702 Prof. für Geschichte an der Universität Wittenberg, seit 1708 Direktor der Weimarer Hofbibliothek. Hrsg. von Opera Roswithae,
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partim soluto, partim vincto sermonis genere ab ea inscripta, a Conr. Celte formis primum expressa, nunc denuo recognita et repurgata, Wittenberg 1707, 2. Aufl. 1717 – ein kaum überarbeiteter Nachdruck der Celtis’schen Roswitha-Ausgabe von 1501; dazu »Notarum in Roswitham supplementa« (ca. 1712)°; außerdem eine Ausgabe der Schrift über das Erhabene von (Pseudo-)Dionysius Longinus°. Von seinem bekannteren Bruder Conrad Samuel S. (1641 – 1708, Prof. für Poesie, Eloquenz, Griechisch und Geschichte an der Universität Wittenberg, der u. a. »Disputationes historicae civiles«, Leipzig 1699; »Opera«, Berlin 1699, veröffentlichte) stellte S. »Animadversiones in historicos Graecos«° und vor allem zwei Bde. »Epistolae arcanae varii, politici imprimis, historici, antiquarii et literarii argumenti« (Halle 1711 – 12) zusammen. (DBE; ADB 29 – Roswitha v. Gandersheim; AA I·17: †1723, Reg.; Ueberweg 17. Jh. 4·1, S. 215; Acta Erud. 1712, Dez. S. 552; ADB 33; °Mémoires de Trévoux 1712 Mai S. 915 f.) 105. Scotus s. Duns Scotus Serry, François-Jacques-Hyacinthe 1659 – 1738, frz. Dominikaner, Pseudonym Augustinus »le Blanc«, »der Weiße«. Philosophiestudium – einer seiner Lehrer war N. Alexandre° – und erste Predigten in Paris. Von 1690 bis 96 als Theologe bei Kardinal Altieri und Berater der Indexkommission in Rom, nach Doktorat an der Pariser Fakultät 1697 Professor für Theologie in Padua auf Lebenszeit. In seinen Werken vetrat S. den Thomismus: Historia congregationum de Auxiliis divinae gratiae (Geschichte der Kongregationen über die Hilfsmittel der göttlichen Gnade) (Löwen 1700, wieder 1709) (*60, *65), an welche sich eine Kontroverse mit den Jesuiten – etwa Germon – knüpfte, in der S. 1702 eine frz. Rechtfertigung nachreichte. Divus Augustinus a calumnia vindicatus (Köln 1704, gegen Launoy°°) (173, 178), »Schola thomistica vindicata« (1706) und »Theologia supplex« (1736) gehören ebenfalls zu S.s bekannteren Werken. Mehrere seiner Schriften befassen sich mit der China-Frage.°°° (NBG 43; Frémont; °Coulon S. 618, °°ebd. S. 629, °°°ebd. S. 632; weitere ausführliche Hinweise und Bibliografie in Coulon S. 617 – 633) Serrius (Perrius) *60, *65, *92, *95, *114, 173, 178. Sextus Empiricus griech. Arzt und Philosoph der skeptischen Tradition, um 200 n. C. Zwei Hauptwerke: »Grundrisse« (der pyrrhonischen Skepsis), 3 Bücher; »Gegen die Gelehrten« (Adversus mathematicos),
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11 Bücher, eine Kritik des Dogmatismus in den verschiedenen Wissenschaftsdiziplinen seiner Zeit. 166. Sforza Pallavicino, Pietro 1607 – 1667, ital. Jesuit. Suchte die auch innerhalb des Jesuitenordens meist getrennten Strömungen der ›alten‹ aristotelischen gegenüber der neueren Philosophie auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.° Gegen den Widerstand des Vaters trat er 1637 in die Societas Jesu ein. 1639 Professor der Philosophie, 1643 bis 1651 der Theologie am Collegium Romanum. Papst Urban VIII. ernannte ihn zum referendarius utriusque signaturœ, Alexander VII. 1659 zum Kardinal. Unter Papst Innozenz X. wurde S. Mitglied der Kommission zur Prüfung der Schriften von Jansen. Er verfasste neben Reden, Gedichten und Dramen u. a. »Del bene libri quattro« (1644 u. ö.), »Vindicationes Societatis Jesu, quibus multorum accusationes in eius institutum, leges, gymnasia, mores refelluntur« (Rom 1649), »Assertiones theologicae« (9 Bücher in 8 Bdn., 1649 – 52), Disputationen zum 2. Teil der Summa theologiae von Thomas von Aquino (1653); »Istoria del Concilio di Trento« (2 Bde. 1656 – 57) war gegen die Konzilsgeschichte Sarpis gerichtet. (CE; SOVO 6; °vgl. dazu Baldini S. 733 f.) Sfortia Pallavicinus 115, 118, 122, 405, 431. Shangdi Herr in der Höhe, nach frühen chin. Texten (Buch der Lieder, Buch der Urkunden) eine der obersten Geistergestalten, der mit sterblichen Frauen Heroen zeugte, über Wetter, Politik und Krieg herrschte und nur mit wenigen Auserwählten in Beziehung trat. In früherer Zeit mit dem Himmel, Tian, gleichgesetzt, ab der Han-Epoche (um 200 v. C.) öfters mit dem »Großen Einen« (Tai yi). Unter den neokonfuzianischen Gelehrten der Song-Zeit (10.– 13. Jh.) gewissermaßen als Substanz und Funktion (ti yong) oder als Prinzip (li) verstanden. Die meisten jesuitischen Missionare übersetzten mit »S.« »Gott« – eine umstrittene Gleichsetzung, die zum Politikum avancierte, seit sie von Maigrot 1693 verboten wurde. (EC) Xamgti, Xangti 144 ff., 150. Shun Chinesische Herrscherfigur, seit dem »Shu Jing« (Buch der Urkunden, vermutlich 5. Jh. v. C.) oft auf 2255 – 2205 v. C. datiert, der letzte der legendären »Fünf Kaiser« vor der ersten, sog. Xia-Dynastie. S., besonders pietätvoll trotz liebloser Eltern, gilt in der konfuzianischen Tradition – allerdings bei Mangel an Belegen° – als Begründer des Ahnenkults. Als fünfter chin. Herrscher wird S. von Sima Qian in den
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»Historischen Aufzeichnungen« (um 100 v. C.) sowie in der Historie »Tongjian waiji« von Liu Shu (1032 – 1078) kolportiert, einer Ergänzung zum Geschichtswerk »Zizhi Tongjian« von Sima Guang (zwischen 1064 und 1086), die S. auch zu einem der Reichsgründer erklärt.° — Leibniz referiert bei der Nennung von S. im vorliegenden Text (145) fast wörtlich Santa Maria, der sich auf Liu Shus »Tongjian« ohne Nennnung des Autors bezieht°. Im sog. Discours sur la théologie naturelle des Chinois gibt Leibniz zu S. (Xum, Xun) ebenfalls dieses Werk als Quelle neben dem »Shu Jing« an. (°Discours 2002 S. 102 Anm. zu Z. 2; Leibniz: Abhandlung über chin. Phil., a.a.O. S. 178, 188, 193; Bauer: China Hoffnung, passim; http://www.chinavoc.com, 8. 10. 2004) Kun 145. Sibin, Philipp 1678 – 1759, geb. in Neuhaus, Noviziat in der unterrheinischen Jesuitenprovinz 1697. S. stach – nach Aufbruch aus Deutschland 1713, den Des Bosses erwähnt – im April 1714 in Lissabon in See, landete 1716 in China und starb, nach Ausübung mehrerer Ämter in Tonking und Siam (Thailand), in Macao. Verfasser einer Einführung ins Vietnamesische. Aus seinen verschiedenen Einsatzgebieten wurden von S. einige briefliche Berichte auf Dt. und Lat. in Europa veröffentlicht. (SOVO 7; SOVO 10 Sp. 1533; Pfister; DHCJ) 292. Simplicianus von Mailand gest. 400/1, Bischof seit 397 (Nachfolger von Ambrosius), Theologe und Kenner des Neuplatonismus, beförderte die Konversion von Augustinus und Marius Victorinus. Über biblische Sujets (Buch der Könige, Römerbrief von Paulus) stand er mit Ambrosius und vor allem Augustinus im Schriftverkehr, den dieser in »De diversis quaestionibus ad Simplicianum« zusammenstellte°. Im 8. Buch von Augustinus’ »Confessiones« bekehrt sich der populäre Rhetor Victorinus unter dem Einfluss von S. zum Christentum. (DECA; Augustinus: Bekenntnisse, a.a.O.; °vgl. auch den Auszug mit dt. Übersetzung durch Flasch: Logik des Schreckens.) 261. Sirmond, Jacques 1559 – 1651, frz. Kirchenhistoriker, Jesuit. Lehrer für Rhetorik und Literatur am Pariser Collège de Clermont. 1590 – 1608 Sekretär von Ordensgeneral Aquaviva in Rom, wo er Handschriften der vatikanischen Bibliothek erforschte und an den »Annalen« von V. Baronius mitarbeitete. In Frankreich Erforschung und Konservierung mittelalterlicher Manuskripte. Bedeutende Beiträge zur französischen
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Kirchengeschichte (»Concilia antiqua Galliae«, 1629); S. deckte auch eine Fehlidentifizierung des Pseudo-Dionysius Areopagita auf und gab die Werke von Frodoard, Sidonius Apollinaris u. a. heraus (teils über Mignes »Patrologia« heute noch in Verwendung), seine Vita des Papstes Leo XI. wurde in die Antwerpener »Acta Sanctorum« aufgenommen. Zu S.s theologischen Schriften zählen »Historia praedestinatiana« (um 1643) und »Historia poenitentiae publicae« (1651). Leibniz bezieht sich auf die von Baune hrsg. Gesamtausgabe: Jacobi Sirmondi Soc. Jesu presbyteri opera omnia, 5 Bde, 16961, 17282. (BBK) 99. Sixtus V., Papst (Felice Perretti) 1521 – 1590, Kirchenoberhaupt seit 1585, Franziskaner, führte als Kardinal (seit 1570) den Namen Montalto nach dem Franziskanerkloster, in dem er als Knabe gefördert wurde. Nach dem Theologiestudium an italienischen Universitäten leitete er das Franziskanerstudium u. a. in Siena und Neapel, zugleich war er ein glänzender Prediger und persönlich bekannt mit Ignatius von Loyola, Philippo Neri und manchem Papst. Vor seiner Wahl zum Pontifex war S. Mitglied der Inquisition und gab u. a. das Gesamtwerk von Aristoteles und die Werke Ambrosius’ v. Mailand mit heraus. Bekannt war S.s Härte gegen Verbrecher, durch exzessive Anwendung der Todesstrafe verpesteten Leichen und abgeschlagene Köpfe die Luft der Stadt Rom. Sein Pontifikat war markiert durch innerkirchliche Reformen, Maximierung des päpstlichen Reichtums, Konflikte vor allem mit Spanien, rege Kunst- und Bautätigkeit und Bibeleditionen (Septuaginta samt Übersetzung). (BBK) 59. Sixtus von Siena 1520 – 1569, italienischer Minderbruder, als Häretiker zum Tod verurteilt, danach Widerruf und Beitritt zum Dominikanerorden. Bibelexeget nach strengem Literalsinn, der für die Integration der jüdischen Mystik, aber Verbrennung des Talmud eintrat. Seine »Bibliotheca sancta« (8 Teile, 1566) gilt als Begründung einer biblischen Einleitungswissenschaft. (LTK³ 9) 441. Slaughter, P. Edward 1655 – 1729, Jesuit aus Herfordshire (England), seit 1677 Hebräischlehrer am Jesuitenkolleg in Lüttich, in der Folge auch Professor für Mathematik und Theologie; dazwischen, nach Priesterweihe 1682, auf Mission in England. 1701 Rektor des Lütticher Kollegs, danach von St. Omer und von Gent. Die letzten sieben Lebensjahre
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verbrachte S. wieder ohne Amt in Lüttich. Er veröffentlichte 1696 »Conclusiones ex universa theologia propugnandae in Collegio Anglicano Societatis Jesu Leodii«; seine »Grammatica hebraica« von 1699 wurde bis ins 19. Jh. häufig aufgelegt. (DNB 52) Eduardus Slaughter 117. Smiglecki, Martin 1564 – 1618°, polnischer Theologe und Philosoph aus Lemberg, Jesuit, Noviziat in Rom, Professor an Ordenskollegien in Vilna, Posen, Regens in Krakau, einer der prononciertesten Gegner der Sozinianer. Er hinterließ u. a. die aristotelische Logica selectis disputationibus et quaestionibus illustrata, Ingolstadt 1618 (postum; wieder 1638)°° und viele andere Druckwerke (»Nova Monstra novi Arianismi«, Nissae 1612). (SOVO 7/1896; ESP 56 / 1927, °ebd.: »1572 – 1619«, °°ebd.) Smigletius, Smiglecius 248, 275, 278, 290, 423. Soave s. Sarpi Sokrates Philosoph ohne eigene Schriften, Schüler von Archelaos und Lehrer von Platon. Der sitzende S. stammt aus der Beispielsmaterie von Aristoteles im »Organon«: in Topik I° erscheint er als Beispiel für einen Ausdruck katà symbebekón, also »Akzidens«; in Topik VIII°° im Zusammenhang eines Fehlschlusses aufgrund falscher Annahmen, »z. B. wenn einer annimmt: Wer sitzt, der schreibt, und Sokrates sitzt; ginge daraus hervor, dass Sokrates schreibt[…]«. — Vgl. zur spätscholastischen Problematisierung Suarez, der gegen eine äußere Bestimmung der aristotelischen Kategorie der »Lage« (situs, keisthai) argumentiert – selbst wenn sie im Sinn von »Position« (thesis) verstanden wird – und sich dabei auf »Kategorien« ab Kap. 6 beruft°°°: »Position aber ist keine äußerliche Bestimmung (denominatio)[…]. Z. B. ist Sitzen eine Bestimmung dieser Kategorie, die nicht von dem Sitz, auf dem jemand sitzt, genommen wird, sondern von der Sitzhaltung (sessio), die eine innere Disposition des sitzenden Körpers ist; ähnlich sagt man: jemand steht […]«°°°°. (°Aristoteles: Topik 103 a30 f.; °°ebd. 160 b25 ff.; °°°vgl. Aristoteles: Kategorien Kap. 6b und 7; °°°°Suarez: Disp. Met. 42·I,2 – S. 1007, Übers. C.Z.) Socrates 249, 254, 426–429, 437. Sophie von Bückeburg Gräfin von Schaumburg-Lippe, gestorben 1743. (Chronik, vgl. O. Klopp Bd. IX) Comitissa de Bükeburg 106. *Sophie Charlotte, Königin von Preußen 1668 – 1705. Tochter des Kurfürstenpaares Ernst August und Sophie von Hannover, seit 1684 mit
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dem späteren preußischen König Friedrich I. von Brandenburg verheiratet. Kurfürstin, seit 1701 Königin. S. residierte in Schloss Lützenburg bei Berlin (heute Charlottenburg); sie war maßgeblich an der Gründung der von Leibniz initiierten Berliner Sozietät der Wissenschaften durch Friedrich I. beteiligt; mit Leibniz stand sie seit 1688 in engem Kontakt, der persönliche Gespräche und einen ausgedehnten Briefwechsel mit einschloss. Im Sommer 1702 hielt Leibniz sich von Juni bis August vor allem bei ihr in Lützenburg auf. Sie starb am 1. Februar 1705 in Hannover. – Königin war nach ihr Sophie Dorothea (seit 1713), Enkelin Sophies v. Hannover, Gattin Friedrich Wilhelms I. (Bro; Chronik) (Königin) 106. Sotomayor, Antonio 1548 – 1648, Dominikaner aus Spanien, ausgebildet an den Ordensstätten zu Salamanca und Valladolid, nach brillantem Studium und Lehre der Artes und Theologie in mehreren Städten seit 1587 Leiter der Universität Santiago, ab 1608 – 1627 in Salamanca. 1617 Ordensprovinzial von Spanien; S. wurde Beichtvater des Königs, nach 1631 Generalinquisitor des Landes, Staats- und Kriegsrat Seiner Majestät. Dem Konvent von Salamanca schenkte er sechshundert Bücher samt all seinen handschriftlichen Kommentaren; für die Inquisition erarbeitete er ohne päpstlichen Auftrag einen neuen Index der zensurierten Publikationen, der 1640 erschien. (ESP 57; Wetzer/Welte 6, Sp. 653) Sotomajor 167. Southwell, Nathanaël (Sothuello, Sotvel) S J, 1598 – 1672, geb. mit dem Familiennamen Bacon in Norfolk (England). 1617 – 1622 Studium am englischen Jesuitenkolleg in Rom, wo er seinen Namen in S. änderte; zwei Jahre Missionstätigkeit in England, seit 1649 Sekretär der Jesuitengeneräle in Rom. 1669 veröffentlichte S. in London ein Betrachtungsbuch für alle Tage des Jahres; von 1668 bis 1675 erarbeitete und leitete er die Sammlung jesuitischer Schriftsteller als Fortsetzung des Katalogs, den Ribadeneira 1602 begonnen und Alegambe fortgeführt hatte: Bibliotheca Scriptorum Societatis Jesu. Opus inchoatum a R. P. Petro Ribadeneira, continuatum a R. P. Philippo Alegambe usque ad annum 1642, recognitum et productum ad annum iubilaei 1675 a Nathanaele Sotvello; der Band erschien 1676 in Rom, das Werk ist durch Erweiterung und Fortsetzung zuletzt durch Sommervogel bis heute in Gebrauch. (Koch; IBN-B1; Frémont) Sothuello, Sothwelliana 197, 302.
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Sozietät der Wissenschaften, im Volksmund auch »Akademie«, sonst »Societas Scientiarum Berolini« genannt, wurde unter Leibniz’ Federführung am 11. Juli 1700 als Brandenburgische Societät der Wissenschaften durch Kurfürst Friedrich III. in Berlin gegründet, Leibniz am 12. Juli als Präsident bestallt. Publikationsorgan waren die »Miscellanea Berolinensia ad Incrementum Scientiarum«. (Chronik) 204, 210, 213 f. Die Akademie bzw. Sozietät der Wissenschaften in Wien war Gegenstand vieler Gespräche und Aktivitäten Leibniz’, vor allem seit 1712, wurde aber zu seinen Lebzeiten nicht realisiert. Vgl. Promemoria und Entwurf des Stiftungsbriefs vom Mai 1713, die Ernennung zum gut besoldeten Direktor der geplanten Akademie durch Karl VI. am 14. August 1713, gleichzeitig Leibniz’ Vorschlag einer Papierstempelsteuer zu ihrer Finanzierung, den Vorschlag zur Einrichtung einer Kommission am 23. Juni 1714, neuerliche Denkschriften für Prinz Eugen im April und für den Kaiser am 17. August 1714, Briefwechsel in dieser Angelegenheit (mit Sinzendorf und Bonneval) bis 1716°. – Gegründet wurde die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien erst 1847, nach weiteren Fehlschlägen etwa durch Gottsched, Klopstock, Lessing.°° (Chronik S. 244 ff., 238 ff., °229; °°Benedikt: Leibniz in Österreich S. 167 f., mit weiteren Literaturverweisen; NBro »Akademie«) 299, 309, 314. *Sozinianismus die seit 1658 (Reichstag von Warschau) im römischdeutschen Reich verbotene Leugnung der Dreifaltigkeit. Muster für diese Lehre wie für ihre staatliche Unterdrückung waren der Arianismus und dessen Verbot durch den Codex Theodosianus Ende des 4. Jhs. n. C. Die italienischen Humanisten Lelio (†1562) und Fausto Sozzini († 1605, Neffe des ersteren) hatten diese Anschauung in der Schweiz und in Polen (dort im Bund mit den »Unitariern«) verbreitet; die Sozinianer wanderten in die Ostseegebiete, die Niederlande, nach England und Amerika aus und gelten mitunter als Brücke vom Renaissance- zum modernen Humanismus. (Denzler/Andresen S. 560) Spanheim, Friedrich der Jüngere 1632 – 1701, geb. in Genf, reformierter Theologe, bearbeitete die Archäologie, Dogmen- und Kirchengeschichte. Strenger Calvinist, Kritiker von Cocceius und Descartes, Parteigänger des Niederländis Voetius, der Descartes des Atheismus bezichtigte und und ihn ausweisen lassen wollte°°. 1655 als Professor der Theologie nach Heidelberg berufen, 1670 an die Universität Leiden, wo
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sein Vater Frederik Spanheim, 1600 – 1641, ebenfalls Professor – zuvor in Genf – gewesen war. Die von Leibniz angedeutete Schrift »De papa foeminina« erschien in Leiden 1691, eine französische Ausgabe »Histoire de la papesse Jeanne« 1720. »S. [vertheidigte] mit aller Entschiedenheit die nach der Chronik des Erzbischofs Polonus im 9. Jahrhundert vorkommende Päpstin Johanna als historisches Factum«°. Werkausgabe: »Opera quatenus complectuntur geographiam chronologiam et historiam sacram atque ecclesiasticam«, Leiden 1701 – 1704. (ADB 35/1893: Cuno, °ebd.; NNBW 10; Georgi; UBW; °°HT 2 S. 631 Anm. 54) Spanhemius 126. Spee von Langenfeld, Friedrich 1591 – 1635, S J, geb. in Kaiserswerth bei Düsseldorf. Jesuitenkolleg Köln, Baccalaureat der Artistenfakultät der Kölner Universität, 1610 Eintritt in den Trierer Jesuitenorden, Studium der Philosophie in Würzburg; Gymnasiallehrer in Speyer; Theologiestudium in Mainz. Nach der Priesterweihe ab 1623 in Paderborn – wo S. den Adel zu rekatholisieren versuchte – Professor für Logik, Physik, Metaphysik, 1629 – 30 für Moraltheologie, bis zum Entzug der Lehrerlaubnis; dazwischen an der Universität Köln. Bei einem antijesuitischen Attentat schwer verletzt (1629), erholte S. sich u. a. in Hildesheim. Bereits 1632 bekleidete er wieder eine theologische Professur in Trier. Seine Erfahrungen als Beichtvater in Hexenprozessen schlugen sich u. a. in einem Buch über die Generalbeichte (dt. 1631, lat. 1634) sowie in der pseudonym (»incertus theologus«) erschienenen Schrift »Cautio Criminalis seu de Processibus contra Sagas« (1631) nieder, die mit zahlreichen Auflagen auch ins Dt. ( »… das ist Peinliche Warschawung deß Proceß gegen die angebene Zauberer, Hexen und Unholden«, 1649), ins Ndl. und Frz. übersetzt wurde; ähnlich verbreitet waren S.s Gedichtsammlung »Trutz Nachtigall oder Geistlich-Poetisches Lust-Waldlein« (1649) und das »Güldene Tugend-Buch … deß Glaubens, Hoffnung und Liebe« (ebenfalls 1649). — Leibniz kannte Letzteres besonders gut, die Vorrede übersetzte er 1697 ins Frz.° (DLL 18; °Chronik S. 150) Speus 116, 197 f., 202, 205, 209, 414. Stagira oder Stagiros, der griech. Geburtsort von Aristoteles im Osten der Halbinsel Chalkidike. Stagyra 4. Stoiker, Stoa Antike Philosophenschule, gegründet auf Kreta durch Zenon von Kition um 300 v. C., der basierend auf (universal verteiltem) Logos und Tugend ein System der Logik, Ethik und Physik entwickelte
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und dabei eine kosmopolitische Position artikulierte. Theologisch galt der alten Stoa (auch Chrysipp, Kleanthes) Gott als stofflich-immanentes, ewiges Weltprinzip mit Äther- oder Feuer-Qualität. Über mehrere Phasen u. a. durch Seneca, auch Cicero, tradiert, erfuhr die Stoa in der Neuzeit bezüglich Kosmologie eine pantheistische Rezeption (Renaissance), wurde aber vor allem in der Ethik bei Erasmus, in der Politik bei Justus Lipsius und Caspar Scioppius, in Spanien von dem Jesuiten Francisco de Quevedo oder B. Gracian auch im 17. Jh. stark vertreten. Im Vordergrund steht dabei eine politische Tugendlehre (insbesondere die constantia, Beständigkeit) statt der aristotelischen StaatsformAnalyse und des machiavellischen Nutzenkalküls. (Rivera de Ventosa, a.a.O. S. 344 – 350; H. Deitzel in Ueberweg 17. Jh. 4, S. 700 – 706; Pohlenz I, S. 95) 146 f., 334, *454. Sturm, Johann Christoph 1635 – 1703, dt. Philosoph und Naturwissenschafter, Professor für Mathematik und Physik an der Universität Altdorf in Bayern (ab 1669), schuf dort mit dem »Collegium experimentale« das erste europäische Experimental-Institut und verfocht die »Friedlichkeit der Eklektik«° gegenüber den schulischen »Sekten«; dabei »occasionalistischer« Cartesianer und Leibniz-Kritiker in dem Werk »Physica electiva sive hypothetica« von 1697. Seine Naturphilosophie legte S. auch in »Idolum naturae similiumque nominum vanorum conatus philosophicus«, 1692, und »Exercitatio philosophica de natura sibi incassum vindicata«, 1698, dar. Er trat 1694 in eine briefliche Kontroverse mit Leibniz über den Substanzbegriff ein und kritisierte dessen »vis agendi«, die ihm Gott zu entmachten drohte. Leibniz äußerte sich zu S. besonders in der Schrift De ipsa natura von 1698; vgl. aber auch »De vocabula substantiae – de unione animae et corporis Epistola ad Sturmium« aus Leibniz’ »Otium Hannoveranum« in D·2.1, 94. (HT 1, S. 625 Anm. 18; BuCa Anm. 278; AA II·15, S. 938; M. Albrecht, °ebd. S. 945) Sturmius 6, 9, 13, 18, 22, 28, 123, 135, 153, 224. Suarez, Francisco de 1548 – 1619, »Doctor eximius«, führender Theologe der spanischen Scholastik, Jesuit. Lateinunterricht im Vaterhaus zu Granada, Studium der Rechte in Salamanca. Wegen mangelnder Begabung wurde ihm mehrmals der Zutritt in den Orden verwehrt; 1564 als Novize zugelassen, darauf Studium der Philosophie und Theologie in Salamanca. Ab 1570 Philosophielehrer in Avila und Segovia; als Pro-
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fessor der Theologie in Valladolid, Rom, Alcalá, wieder Salamanca und Coimbra kommentierte er vornehmlich die Summa theologiae von Thomas von Aquino. Gegen S. liefen mehrere Anzeigen bei der Inquisition, so wegen Abweichung vom Aristotelismus; seine Lehre von der schriftlichen Beichte wurde vom Papst verboten. Der Suarezianismus als umfassende christliche Durchdringung der Philosophie und des Wissens wurde von den Jesuitenoberen Acquaviva und M. Vitelleschi sowie Papst Paul V. unterstützt und verhalf einer nichtthomistischen Scholastik (doch auf peripatetischer Grundlage) zum Durchbruch. S. starb in Lissabon. Seit Mitte des 17. Jh.s galt er auch an protestantischen Universitäten als »Papst und Oberhaupt aller Metaphysiker« (so damals Heereboord). – Zahlreiche Werke: »De verbo incarnato«, 1590; ab 1592 Vorbereitung der »Metaphysicae Disputationes«, die 1597 in Salamanca erschienen – von Aristoteles ausgehend, eines der ersten und einflussreichsten Metaphysik-Handbücher überhaupt; »De Deo uno et trino« 1606; das dreibändige Werk über die Gnade, De divina Gratia (verfasst 1609 – 1611°; 199) erschien zuerst 1619 – 20 (Coimbra/ Lyon)°°° und bald in mehreren Auflagen; »De Defensione fidei« von 1613, gerichtet gegen König James von England, wurde in Löwen, Paris und London verbrannt. Der in Leibniz’ Theodizee zitierte Tractatus de oratione (vgl. 342) stammt aus dem 2. Band des dreiteiligen »Opus de virtute et statu Religionis«, der erstmals 1609 in Coimbra, wieder Lyon 1630 u. ö. erschien°°. — Leibniz’ schon frühe, im Einzelnen strittige Rezeption S.’ gilt laut Eschweiler dem Individuationsprinzip: »Jedes Individuum wird in seiner gesamten Entität individuiert (omne individuum sua tota Entitate individuatur)«; der selbständigen Kreativität geschaffener Substanzen (potentia creativa, potentia oboedientialis); dem Begriff einer allgemeinen Kausalität (influere) und einem gewissen konstruktiven Begriffs-Essentialismus (conceptus objectivi), sodass Leibniz als ein über S. hinausgehender Suarezianer betrachtet werden könne, wodurch Leibniz’ Affinität zu den Jesuiten auch theoretisch, nicht bloß äußerlich begründet sei.°°°° (BBK, °ebd.; CE; REP; °°SOVO 7, °°°ebd. – abweichend gibt AA VI·4, SV unter Nr. 868 die Ausgabe »Leiden 1609« an; °°°°Eschweiler 309, 258 f., 289, 324 f.; vgl. auch Robinet: Suarez im Werk von Leibniz). Franciscus Suaresius 49, 90, 199, 279, 342, 443, 449 f., 454. Sully, Henry (? – 1728) Uhrmacher aus England, ausgebildet in London, geschätzt von Newton; Aufenthalte in Holland, Wien (bei Prinz Eugen)
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und Paris (mit dem Herzog Arenberg, hier auch gelehrte Studien und Kontakte), Leiter zweier Uhrenfabriken in Versailles und St. Germain. Mit letzterer übersiedelte er nach England, ein Pendel zur Gezeitenmessung stellte er indes in Versailles her. Damit erfolgreiche Auftritte vor der Académie des Sciences, Gewährung einer Pension durch den König. Konversion zum Katholizismus. Weitere Versuche in Bordeaux und Paris, wo S. im Einsatz für die Akademie der Künste an einer Lungenentzündung starb. Publikationen: »Règle artificielle du temps«, mit einem Anhang von Leibniz: »Remarques sur le Discours de Mr. H. S.«, Wien 1714, wieder Paris 1717 und 1737, dt. Lemgo 1754; »Méthode pour régler les montres et les pendules«, 1728; »Theorie et description de l’horlogerie«; »Description d’une montre de nouvelle construction, presentèe a l’Académie Royale des Sciences«. Leibniz schickte Ende August 1714 über S. die »Principes de la nature et de la grâce« – gewissermaßen als Ersatz für die unfertige »Monadologie«° – an Rémond.°° (Michaud 40; Zedler 41; °Chronik S. 246; °°Brief an Rémond 26. 8. 1714; Wiater S. 341 und 468 Anm. 146; Ravier) Sullius 306, 311, 314. Supplément des Mémoires pour Rome sur l’etat de la Réligion Chrétienne dans la Chine S. J., eine gut 80seitige Duodezformat-Broschüre, erschien ohne Verfasser-, Orts- und Datumsangabe 1709/10 und gilt als jesuitische Publikation. (BVB; SOVO 9) 193. Tacquet, André 1612 – 1660, stammte aus Antwerpen und trat 1629 in den Jesuitenorden ein. Vornehmlich lehrte er Mathematik in Löwen und Antwerpen. U. a. stand T. in Briefwechsel mit Huygens. Von seinen mathematischen Schriften waren die euklidischen »Elementa Geometriae planae ac solidae«, zuerst 1654, mit mindestens zehn Auflagen besonders erfolgreich, mehrmals aufgelegt wurde auch »Arithmeticae theoria et praxis« von 1680, gesammelte »Opera arithmetica« kamen postum 1669 heraus. (SOVO 7) Tacquetus 120. *Taizu (Hongwu, Personenname Zhu Yuanzhang) 1386 – 98/99, erster Ming-Kaiser. Ließ 1372 gegen den Widerstand seiner Beamten das Tafelbild des Philosophen Mengzi aus dem Konfuziustempel entfernen und untersagte eine Reihe konfuzianischer Riten. Ende März 1384 erließ T. ein Gesetz zur Beamtenausbildung, das die vier Bücher und fünf Klassiker des Konfuzianismus zum obligaten, ausschließlichen
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Prüfungsgegenstand erklärte.° (EC »Confucianism and government« S. 113, Sp. 1; ° Jian) 193. Talbot, Peter 1620 – 1680, Erzbischof von Dublin, Zentralfigur des irischen Katholizismus. T. trat dem Jesuitenorden in Portugal bei, wurde in Rom zum Priester geweiht und unterrichtete Theologie am Kolleg in Antwerpen. Während der cromwellschen Usurpation loyal zu König Charles II., nach dessen Rückkehr Stellung am Londoner Hof; angeklagt wegen Konspiration gegen Vizekönig Ormond, Rückzug auf den Kontinent. Nach Ordensaustritt 1669 Erzbischof von Dublin: Konsolidierung des irischen Katholizismus. Durch königliches Edikt 1673 Vertreibung aller katholischen Amtsträger aus Irland; auf der Rückreise vom Kontinent wurde T. 1677 – im Zuge des »Popish Plots« (Shaftesbury, Titus Oates) der Rebellion verdächtig – durch den Herzog von Ormond verhaftet und starb nach zwei Jahren Kerker in Dublin. Werke: »A Treatise on the Nature of Catholic Faith and Heresy with Reflexions upon the Nullity of the English Protestant Church and Clergy« (8 Bde., 1657), »The Politician’s Catechism« (anonym 1658); Hirtenbrief an die irischen Katholiken von 1674 über »The Duty and Comfort of Suffering Subjects«. (CE) Talbotus 118. Tamburini, Michelangelo 1648 – 1730, 14. General des Jesuitenordens von 1706 bis 1730. Stammte aus Modena, lehrte Philosophie in Bologna, Theologie in Mantua; theologischer Berater des Kardinals Rainald d’Este. Vor der Generalswahl Rektor und Provinzial von Venedig, seit 1699 Sekretär der Societas Jesu, seit August 1703 Generalvikar des kränkelnden Oberen Gonzales. Im zweiten Wahlgang (31. Jänner 1706) der 15. Generalversammlung zum Ordensgeneral gewählt. 1706 erließ T. ein ordensinternes Lehrverbot von dreißig philosophischen Sätzen, die von Descartes, Malebranche, Locke und auch Leibniz stammten.°° In Sachen China-Mission und Ritenfrage veröffentlichte T. mehrere »Epistolae«, an das Hl. Officium in Rom war »Risposta del Padre Generale della Compania di Gesú« vom 11. Oktober 1710 gerichtet°. (SOVO 7, °ebd.; °°DHCJ 2, S. 1432; CE · Jesuit Generals) Michael Angelus Tamburinus 7, 328, 331, 341. Temmik, Aloysius Pseudonym eines nicht weiter verifizierten Jesuiten, »Theologe und vormals o. Prof. der Philosophie«°. Möglicherweise identisch mit Pater Gaspar (oder Aloysius°°) Kümmet°°°, geb. 1643,
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Professor für Theologie und Hebräisch in Würzburg und Mainz, der in diesen Fächern einige Publikationen vorlegte und 1706 (um 1705°°) in Aschaffenburg starb. Unter dem Namen T. erschien das Buch Philosophia vera, theologiae et medicinae ministra. In theatrum mundi dijudicanda 1706 in Köln, das die Texte »Lamuelis Soliloquium metaphysicum sive Scientia Entium & Entitatum ex universalissimis Dictaminibus Intellectus deducta, ad firmamentum dogmatum Theologicorum, coordinata a R. D. Aloysio Temmik, Theologo«, sowie »Liber Dialogorum R. D. Aloysii Temmik cum Amatoribus Veritatis de Mysteriis a Deo relevatis, quomodo cum vera Philosophia consentiant« enthält. Vgl. den kommentierten Abdruck des ersten Textes samt Leibniz’ Adnoten in Mugnai, sowie die Übersetzung dieser Adnoten im vorliegenden Anhang. (°Titelblatt »Philosophia Vera«, Mugnai S. 169; °°Des Bosses GP·2, 349, 332; °°°Mugnai S. 154, nach Angelelli; »G. Kuemmet«: SOVO 4) Temmick, Temmik, Temmigius 59, 68, 73, 96 f., 280, 426, 431, 436 ff. Terzi s. Lana Theodizee s. Leibniz Theseus mythischer König von Athen (nach Diodor, Plutarch, Apollodor), inzestuöser Sohn von Aigeus und dessen Tochter Aithra. Nebst vielen anderen Heldentaten segelt T. nach Kreta, um Athen vom Joch König Minos’ zu befreien, auf dessen Geheiß jährlich sieben Knaben und sieben Mädchen dem Minotaurus zum Fraß vorgeworfen werden. Auf der Hinfahrt springt T. von Bord, um einen von Minos versenkten Ring aus dem Meer zu heben, gelangt zur Meergöttin Amphitrite und, von ihr reich beschenkt, wieder zum Schiff zurück. Nach Tötung des Minotaurus und Rückkehr aus dem Labyrinth (mit Hilfe Ariadnes) fährt er mit den Geretteten auf demselben Schiff heim nach Athen. Trotz geglückter Mission laufen sie nicht wie vereinbart mit weißen, sondern schwarzen Segeln ein; der Ausschau haltende Aigeus wähnt einen Misserfolg und stürzt sich vom Felsen der Akropolis. (Hunger) 127, 136. *Thiard de Bissy, Henri de 1657 – 1737, frz. Kardinal aus adliger Offiziersfamilie, nach Ausbildung bei Jesuiten Studium an der Sorbonne (Doktorat 1685). Als Bischof von Toul starkes Auftreten für Unabhängigkeit der Kirche gegenüber dem Staat (Herzogtum Lothringen), daher von König Ludwig XIV. als Bischof nach Meaux weggelobt (vom 23. März 1705 bis zu seinem Tod). Heftiger Gegner der Jansenisten ähnlich wie
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sein Vorgänger Jacques-Bénigne Bossuet, kooperierte u. a. mit Germon. 1710 erschien Mandement et Instruction pastorale de Monseigneur l’Evêque de Meaux sur le Jansenisme, portant la condamnation des Institutions Theologiques du Pere Juenin in Paris°, worin T. die Lehrautorität der Kirche in Tatsachenfragen (facta dogmatica) verfocht – Anlass war das von Clemens XI. am 25. 9. 1708 ausgesprochene Verbot der »Institutiones Theologicae« des jansenismusfreundlichen Oratorianers Caspar Juénin; ebenso trat T. stets für die Bulle Unigenitus ein. (Wetzer-Welte 11 und 6 – sub Juénin; Gams; °Journal des Sçavans 1711 Nr. 5, 2. Feb., S. 65 – 70) Henricus, Episcopus Meldensis 214, 216, 220, 231, 236 f., 241, 250. Thietmar s. Dietmar Thomas von Aquino 1224/5 – 1274, »Doctor angelicus«, »Doctor communis«, auch »Stummer Ochse«. Adelig geboren auf dem Castello Roccasecca bei Aquino, von Benediktinern erzogen, Studium in Neapel: beeinflusst durch Aristoteles (Lehrer Petrus von Hibernia). 1244 überraschend Beitritt zum Armutsorden der Dominikaner, hierauf durch seinen Bruder ein Jahr eingekerkert. Studium in Paris (studiert PseudoDionysius Areopagita), 1248 – 1252 bei Albertus Magnus in Köln, Priesterweihe, grundlegende Frühschrift »De ente et essentia«. Ordenslehrer in Paris: Kommentare zu Petrus Lombardus’ Sentenzen, ab 1256, als Magister, Schriftauslegung: der Literalsinn dominiert, die Allegorie wird beschränkt. Boëthius-Kommentare folgten. Um 1260, nach Beginn der Summa contra Gentiles (207 f.), Übersiedlung nach Italien; Evangelienkommentare. 1265 – 68 in Rom, Beginn der Summa theologiae (46, *52, *442, *444, *457), die er 1273 mit Teil 3 abbrach; Ende 1267 Beginn der Aristoteles-Kommentare; »Compendium theologiae«. Von 1268 – 1272 wieder in Paris, hohe literarische Aktivität; polemische Schriften (so gegen Averroes), Apologien des Aristotelismus und des Dominikanerordens. In Neapel, wie schon in anderen Städten, Einrichtung eines studium generale der Philosophie. Erkrankung und Erschöpfung durch permanentes Arbeiten im Dezember 1273; unterwegs zum Konzil von Lyon starb T. 1274 in Fossanova. Einen erheblichen Teil des umfangreiches Werks bilden die Quaestiones disputatae (49, 441, 443) zu einzelnen Themen, die T. seit den 1250er Jahren verfasste. – Hauptelemente des thomanischen Denkens waren: die Unterscheidung von Sein und Wesen in den Geschöpfen und ihre reale Identität in Gott, dabei Abkehr vom Primat der Wesens-Ontologie; die Ablehnung der hyle-
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morphen Zusammensetzung reiner Geistwesen oder Engel, die reine Potentialität der ersten Materie, die Einzigkeit der substantiellen Form in körperlichen Geschöpfen, die Unterscheidung zwischen tätigem und aufnehmendem Verstand im Menschen als Vermögen der einzelnen Seele, die durch Quantität bezeichnete Materie als einziges Individuationsprinzip, die hypostatische Union der menschlichen Natur in Christus, die Wesensverwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi, der unendliche Unterschied zwischen dem Bereich der Natur und der Gnade. – Der 2. Bd. (1660) der Werkausgabe (15) Sancti Thomae Aquinatis, quinti ecclesiae doctoris angelici, Opera omnia. Nunc primum … a P. J. Nicolai emendata, Parisiis 1660 – 1677 (23 Bde.) enthält T.s Ausführungen zu Aristoteles’ »Physik«, »Himmel« und »Welt«.° (BBK; °UBW Bandkatalog) 15, 46, 48 f., 52 f., 56, 72, 90, 116, 118 ff., 207, 256, 305, 441–445, 454, 457. Thomisten (meist Dominikaner, s. u. a. Lemos, Réginald, Serry, Turco) 38, 57, 83, 199, 306, 319. Thomassin d’Eynac, Louis de 1619 – 1695. Schon mit 13 trat T. den Oratorianern in Aix-en-Provence bei, es folgte das Studium der Philosophie und Theologie in Ordenskollegien, 1643 die Priesterweihe, darauf die Professur für Theologie u. a. am Ordensseminar in Paris. Nachdem er jedoch »Dissertationes in concilia generalia et particularia« (1667) und »Mémoires sur la grâce« (1668) veröffentlicht hatte, zog sich der menschenscheue T. zurück; mit »Ancienne et nouvelle discipline de l’Église« wurde er der Begründer der Geschichtsschreibung des Kirchenrechts, das Werk erschien 1678 – 1682 in drei Bänden, in lateinischer Übersetzung als »Vetus et nova Ecclesiae disciplina circa beneficia et beneficiarios« 1688 und nochmals 1705/06 (in Lyon); es folgten Dogmata theologica (3 Bde., 1680 – 1689), die zweiteiligen »Traitez historiques et dogmatiques sur divers points de la discipline de l’Église et de la morale chrétienne« (1680 – 1683) und weitere, teils philologische und historische Schriften. Mit seiner Christozentrik beeinflusste T. auch die protestantische Theologie. (BBK) Thomasinus, Tomassinus 88, 93, 124. Tiro s. Prosper Tolomei (Tolemei, Ptolemäi), Giovanni Battista 1653 – 1726, aus der Toscana, seit 1673 Jesuit in Rom, Kardinal. 1687 Generalprokurator der jesuitischen Generalversammlung, nach fünf Jahren Wechsel auf den Philosophielehrstuhl des Collegium Romanum bis 1697, danach
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Professur für Theologie, Erneuerung des von Bellarmin geschaffenen Lehrstuhls für Kontroverstheologie (bis 1707). Bibliothekar (seit 1694) und Direktor des Collegium Romanum, von 1710 bis 1712 Rektor des Collegium Germanico-Hungaricum in Rom. Einschließlich früherer Lehrtätigkeit in Ragusa war T. Professor für Philosophie, Hebräisch, Theologie und ›Kontroversen‹ und beherrschte sieben Sprachen. Leibniz stand mit T., dem er in Rom 1689 persönlich begegnete und den Kontakt zu P. Grimaldi in China verdankte, von 1694 bis Juli 1712 in Briefwechsel. Neben der Lehrtätigkeit seit 1709 Berater der Kongregationen für Riten und für den Index. Seit der Kardinalsernennung am 17. Mai 1712 Ratgeber von Papst Clemens XI. zur Vorbereitung der Verurteilung Quesnels. Philosophisch war T. einer der ersten und stärksten Vertreter der Modernisierung der peripatetisch-scholastischen Metaphysik, um sie mit experimenteller Naturwissenschaft und Mathematik verträglich zu machen.°°° Seine Philosophievorlesungen publizierte er als Philosophia mentis et sensuum secundum utramque Aristotelis methodum pertractata metaphysice et empirice, Rom 1696, in erweiterter Auflage Augsburg und Dillingen 1698; ein weiterer Druck in Rom 1702 (vgl. *33, auch 405) enthielt zusätzlich die Abhandlung »De reliquis attributis animae rationalis«°. Eine Philosophiegeschichte, wie Leibniz nahe legt, enthält dieses Werk nach dem Vermerk von Eschweiler »sonderbarerweise« nicht, sondern vor allem Bezüge zu aktuellen physikalischen Theorien von Descartes, Gassendi, Fabri u. a.°° Weiters liegen vor »De Christo Deo polemico-dogmaticae Conclusiones« (1698) und, als Frucht seiner theologischen Professur, das 6-bändige Manuskript Supplément aux Controverses de Bellarmin (zu Bellarmins Hauptwerk), auf das Leibniz in der Theodizee und die vorliegenden Briefe Nr. 1 (3), Nr. 8 und Nr. 19 (63) anspielen; außerdem »Preces quotidianae ad impetrandam bonam mortem« (1713) – ein Gebetbuch, das 1856 auf Dt. erschien – sowie Manuskripte zum chinesischen Ritenstreit, darunter zwei Bittschriften an Papst Clemens XI. von 1709 und 1710. (DHCJ 4; CE; HT 1, S. 626; Chronik; SOVO 8, °ebd. Sp. 86 Nr. 2; °°Eschweiler S. 261, Anm.; °°°vgl. zum philosophiehistorischen Profil bes. Baldini.) Ptolemaeus 2, 4 f., 7, 10, 20, 22, 29, 31, 33 f., 37, 63, 89, 92, 96 f., 114 f., 120, 134, 139, 142, 150 f., 163, 169, 182, 184 f., 194 f., 199 ff., 203 ff., 210 ff., 233, 245, 252, 255, 261, 314, 326, 339, 405, 410, 412, 414 f. Tonking (Tonkin) Das spätere Nord-Annam (im heutigen Vietnam) wurde von Jesuiten und span. Dominikanern aus den Philippinen
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missioniert und 1658 zum apostolischen Vikariat ernannt, das 1679 zweigeteilt wurde; Ost-T. war seit 1693 den Dominikanern unterstellt. (Wetzer/Welte 6 sub Indien Sp. 685 ff.; Beckmann S. 330) (Tunckinensis) 292. Tournemine, René Joseph de 1661 – 1739, frz. Jesuit aus Rennes, zentrale Gestalt der katholischen Publizistik des frühen 18. Jhs., lehrte fünfzehn Jahre Humaniora, Philosophie und Theologie in Rouen. Seit 1701 am Ordenskolleg »Louis le Grand« in Paris: dort auch Philosophielehrer von Voltaire, mit dem er noch später verkehrte; ab Ende 1701 Leiter der neu gegründeten Zeitschrift Mémoires de Trévoux bis 1719, danach der Bibliothek des Ordenshauses, seit 1725 der Fortführung der »Bibliotheca Scriptorum S. J.« (nach Bonanni), deren Publikation er nicht mehr erlebte. Kritiker des Rationalismus, des Jansenismus, von Descartes, Malebranches, Spinoza und Newton. Publizierte religiöse Schauspiele, Gedichte, ein Panegyricum an Ludwig XIV., eine kommentierte Vulgata-Ausgabe, hauptsächlich aber Texte zu unterschiedlichen Bereichen von antiker Philologie, Archäologie und Numismatik bis zu theologischen und philosophischen Themen: »Réflexions sur l’athéisme« als Vorwort zu einem Werk Fénelons über Gottesbeweise (»Démonstration de l’Existence de Dieu«, 1713 u. ö.); Kontroverstheologisches zu Unigenitus ; der Großteil der Schriften erschien als Journalartikel. Mit den Conjectures sur l’union de l’ame & du corps entfachte T. in den Mémoires von Mai und Juni 1703° eine breitere philosophische Diskussion zu dem schon länger präsenten Thema°°; seine erste zusammenfassende »Réponse aux objections proposées contre son systeme de l’union de l’ame et du corps« folgte im Oktober desselben Jahres°°°. T.s dabei erhobenen Bedenken gegen Leibniz’ Harmonie-Konzeption des Leib-Seele-Verhältnisses – im Journal explizit S. 867 ff. – erwiderte Leibniz mit Remarques de Monsieur de Leibnits sur un endroit … im März 1708, denen T. eine kurze »Réponse« hinzufügte; schließlich ging Leibniz im Vorwort zur Theodizee im 33. Absatz darauf ein. Ein direkter Briefkontakt zu Leibniz bestand seit November 1710. »Lettre de Leibniz au P. Tournemine sur le livre intitulé Commercium Epistolicum. Braunschweig, 28. Okt. 1714«, erschienen Jänner 1715 in den Mémoires (S. 154 – 156), behandelt eine Schrift von John Collins (London 1712), in der es u. a. um den Prioritätsstreit zwischen Leibniz und Newton ging; im Jänner 1716 besprach T. Leibniz’ De origine Francorum (»Réflexions sur la dissertation de Leibniz
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touchant l’origine des Français«)+, 1722 kam er andernorts nochmals darauf zurück (»Lettre du P. Tournemine … aux objections de M. de Leibnitz et de M. Eccard«)++. U. a. lancierte T. in den Mémoires auch die »Philosophischen Briefe« von F. Lamy (1703). Als Manuskript hinterließ er den frühen »Essai de la science universelle« (1693) und »Traité sur le Déisme«. (DHCJ 4; DTC 15/1946; SOVO 8; DLF XVIII. T. 2; Chronik; HT 1 S. 629; BuCa II Reg; Ravier; °Mémoires de Trévoux, 1703, Mai S. 864 – 875, Juni S. 1063 ff.; °°vgl. dazu Boehm, S. 84 – 91 et passim, sowie Look 1994 und 1999 S. 51 – 63; °°°Mémoires de Trévoux 1703, S. 1857 – 1870; +Michaud 42 S. 50; ++Journal des Sçavans 1722 Jänner, S. 414 ff.) Turnemin(i)us, Turnamin(i)us *10, 14, 18, 40, 102–105, 108, 129, 132, 159, 195 f., 199, 201, 204 f., 208, 213 f., 216, 223, 228, 231, 238, 245, 251, 255 f., 304, 308 f., 313, 315, 323, 327, 330, 451, 459. Tournon, Charles-Thomas Maillard de, Monsignore 1668 – 1710, aus alter savoyardischer Familie geb. in Turin, Studien am Collegium De propaganda Fide in Rom, 1701 Patriarch von Antiochia sowie Legatus a latere für China (chin. Name: Duo Luo), Madagaskar, Indien. Aufbruch Juli 1702°; vom Vatikan beauftragt, »den Missionaren jede Toleranz gegenüber den traditionellen Gebräuchen der Chinesen zu untersagen: die Verehrung des Konfuzius und der Weisen des Altertums, den Ahnenkult usw.« (Gernet), kam T. 1705 in Kanton an, begab sich 1705 – 06 nach Peking°°. Nach diplomatischen Eklats beim Kaiser und offener Gegnerschaft gegen die Jesuiten belegte er im Anschluss an Maigrot jene Ritualpraktiken offiziell mit einem Bann, indem er die Bulle Clemens’ XI. von 1704 durch einen Hirtenbrief am 25. Jänner 1707 (promulgiert am 2. Februar)°°° in Nanjing publizierte. Der Kangxi-Kaiser ließ ihn darauf verhaften und nach Macao ausweisen, der Papst ernannte ihn am 1. August 1707°°°° zum Kardinal. T. veröffentlichte u. a. noch Mémoires pour Rome und Briefe an Maigrot (Lettre à un Prelat …, s. Chinamission, zu 175). Die Affären um T. waren ein Höhepunkt des schon um 1610 durch die gegnerischen Jesuiten Longobardo und Ricci ausgelösten »Riten-« oder »Akkommodationsstreits«. Die kirchliche Verurteilung der chinesischen Sitten durch T. führte die christliche Chinamission zum Scheitern und hat »im 18. Jahrhundert die gesamten Beziehungen zwischen Europa und China vergiftet« (Gernet). T. wurde 1707 von den Portugiesen in Macao inhaftiert und starb dort am 8. Juni 1710 im Gefängnis. (Reil S. 103 – 118; Gernet CW S. 438; Widmaier S. 273;
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HKG 5 S. 337 f.; EI 21; Collani 1988 S. 159, °ebd.; °°Li 2000 S. 20; °°°Reil S. 116 f. und 132; °°°°DTC 2 Sp. 2380) Turnonius 126, 131, 134, 151, 173 ff., 176, 179 f., 193, 231, 238, 339. Trevisano (Trivisano), Bernardo Venezianischer Adliger, Altertumsforscher, Autor von »Meditazioni Filosofice« (Venedig 1704)°; durch T. wurden 1708 die »Riflessioni sopro il buon gusto intorno la Scienze e le Arti, da Lamindo Pritanio«, publiziert, worauf eine anonyme an T. gerichtete Broschüre »De recte instituenda Juris Academia, ad Lamindum Pritanium Nobilissimum & Eruditissimum Virum Epistola«, erschienen in Venedig (o.J.), im Journal des Sçavans 1710 besprochen wurde. Ebenso wurde das »Projet d’un nouvelle Académie Litteraire, sous le nom de Lamindo Pritanio«, Neapel 1703, mit T. in Verbindung gebracht.°° T. stand 1710 – 1716 mit Leibniz in Briefverkehr, der auf ihn 1709 das Epigramm »In novissimos Venetorum triumphos« verfasste. — Zu dem Alchimisten Bernardus Trevisanus (1406 – 1490), der angeblich 1481 den Stein der Weisen gefunden hat, scheint T. distant. (Chronik S. 215; °Acta Eruditorum 1706, S. 249; °°Journal des Sçavans 1710, Nr. 43, 22. Dezember, S. 681) Bernardus Trevisanus 341, 358. Trévoux Ort nördlich von Lyon, Sitz des souveränen Fürstentums Dombes, das Ludwig XIV. 1682 für seinen Sohn Louis Auguste eingerichtet hatte. Dieser übernahm auch die Patronanz über die Druckerei und die von den Jesuiten hrsg. Zeitschrift mit dem Titel Mémoires pour l’Histoire des Sciences et des Beaux Arts. (Wetzer/Welte 11) 62, 67, 73, 89, 164, 196, 201, 223, 294, 308 et passim. S. Journale Troyel, Isaac Buchhändler, Verleger in Amsterdam. Troyelius 192. Turck, Heinrich 1607 – 1669, dt. Historiker, Jesuit, aus altem westfälischem Adel. Nach den üblichen philosophisch-theologischen Studien als Novize in Köln »Minister« am Paderborner Jesuitenkolleg bis 1648, wo er mit der Abfassung von Annalen begann. Seit 1650 Rektor am Kolleg von Trier, unterbrochen vom Vizerektorat im Haus »Geist« im Münsterland (1664 – 66). T. arbeitete seit den 40er Jahren bis Lebensende an den Annalen der niederrheinisch-westfälischen Ordensprovinz, wobei er dieses Gebiet von der Erdentstehung an behandelte und eine enorme Menge von publiziertem wie unpubliziertem Quellenmaterial verarbeitete; das als Manuskript erhaltene Werk blieb unfertig und wurde nur
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in einem Auszug gedruckt, späteren Historikern diente es als ergiebige Quelle. Der publizierte Teil über Karl den Großen hieß Fasti Caroli Magni, Taten Karls des Großen – mit ausführlicherem Titel »… excerpti ex opere Manuscripto Annalium Vestphalico-Rhenanorum R.P. Henrici Turckii è Societate Jesu, ex Musaeo Conradi Bertholdi Behrens« und erschien in Bd. 1 der »Scriptores rerum Germanicarum«, hrsg. von Johann Michael Heineccius und Johann Georg Leuckfeld, Frankfurt a. Main 1707. (BBK; GV) Turckius, Turkius 312, 315. Turco, Thomas ca. 1599 – 1649, Dominikanergeneral, seit 1638 Professor der Metaphysik in Padua in thomistischer Tradition, 1643 Prokurator des Dominikanerordnes in Rom, im selben Jahr General. (DTC 15; Jöcher) Turcus 72. Ultramontane »Ultramontanismus« wurde erst im Lauf des 19. Jhs. als Inbegriff des papstzentrierten römischen Katholizismus geläufig, als Gegengewicht zu den nationalen Bestrebungen nördlich der Alpen; seine Wortführer stammen aus der Romantik (Görres, C. M. Hofbauer) und antirevolutionären Bewegung (Bonald, De Maistre). – Doch schon vor der um 1850 kulminierenden, antimodernen »neo-ultramontanen Offensive« hatten im 17. Jh. (»Gallikanische Erklärung« 1682) die italienischen Kanonisten als U. gegolten, mit der Lehre vom päpstlichen Universalprimat und der monarchischen Kirchenverfassung. Stattdessen vertrat die Partei der Gallikaner, also Anhänger der französischen Staatskirche, gegen die päpstliche Unfehlbarkeit die Oberhoheit der allgemeinen Konzilien. (TRE 34; LKG) 169. Unigenitus (Bulle) s. Clemens XI. Urban VIII. (Maffeo Barberini), Papst 1568 – 1644, Florentiner Kaufmannssohn. Jesuitenkolleg, Studium in Rom, Doktorat der Rechte in Pisa. Anstellungen in der Kurie und am Pariser Königshof, Kardinal und mehrfacher höherer Amtsträger unter Paul V., 1623 Papst. Markant waren U.s selbstherrlicher und nepotistischer Amtsstil, Aufrüstung und Befestigung von Stadtteilen, Kleinkriege, Einweihung des Petersdoms, Errichtung der Sommerresidenz in Castelgandolfo, Förderung von Mission und Ordensgründungen, Vorgehen gegen den Jansenismus (Bulle »In eminenti« 1643 gegen Jansens »Augustinus«) und gegen U.s ehemaligen Freund Galilei. Im 30jährigen Krieg trug U. durch Lavieren
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sowohl gegenüber den Protestanten, wie auch zwischen rivalisierenden katholischen Mächten – mit gewissen Sympathien für Frankreich – wesentlich zum Abschluss des Westfälischen Friedens von 1648 bei. Angesichts der durch U. finanziell ruinierten Stadt – »Quod non fecerunt barbari, fecerunt Barbarini«, was die Barbaren nicht schafften, haben die Barberinis geschafft – soll die Bevölkerung Roms bei seinem Tod in Jubel ausgebrochen sein. (CE; Kl. Stow. IV) Urbanus 193. de Ursis (degli Orsi), Sabbatino alias Xiong Sanba (You Wang) 1575 – 1620, Jesuit aus dem Königreich Neapel, seit 1606 Missionar in Peking, dort 1610 Nachfolger Riccis als Superior. Übersetzer europäischer Werke (Hydraulik) ins Chin., seit 1617 wie fast alle Chinamissionare verbannt in Macao. d. U. vertrat die gänzliche Unvereinbarkeit chinesischer Philosophie mit christlichen Lehren (reingeistige Substanz, Schöpfung aus dem Nichts). Dies brachte er in »Tractatus de verbo Xam-Ti (Shangdi)«, 1614, und »De vera cognitione Dei apud literatos Sinenses«, 1618 zum Ausdruck. (Kern 261; Dehergne, Li 2000; DHCJ 2) Sabbatinus 144. Vagnoni (Banoni), Alfonso 1568 – 1640, alias Wang Fengxiao, auch Wang Feng Su und Ze Sheng, zuletzt Gao Yizhi, aus Turin stammender jesuitischer Chinamissionar. Ergriff mit Pantoja für Ricci und die Akkomodation Partei gegen Longobardo, de Ursis u. a. Verfasste chin. Schriften: »Pixue«, eine Art Philosophie für den Alltag (Liber similitudinum moralium); »Dadao jiyan« (De recta sui ipsius institutione juxta doctrinam Europaeorum) und ein Werk über Leben und Wunder der seligen Jungfrau. Im Zuge chinesischer Restriktionsmaßnahmen von 1617 – 1621 auf Macao verbannt, dann unter neuem chin. Namen in der Provinz Jiangsu. (Li 2000: 40, 114, 567 ff., 581, 612; Kern 261; Dehergne; DHCJ 4) Banonius 144. Valla, Laurentius (Lorenzo della Valle) 1405(07) – 1457, geb. in Rom, Lateinunterricht beim Humanisten Leonardo Bruni. Nach abgewiesener Bewerbung im Vatikan Übersiedlung nach Piacenza, Priesterweihe. Frühe Arbeit zur antiken lateinischen Rhetorik, Dialoge, 1431 erscheint »De voluptate« – der Versuch einer christlichen Ethik in Auseinandersetzung mit Stoizismus und Epikureismus; Professur für Rhetorik in Pavia. Reaktionen auf »De libero arbitrio« (1442, publiziert 1482 in Löwen) u. a. Schriften erzwangen seinen Abgang, ein unstetes Wanderleben in Norditalien folgte. V. kritisierte die Überschätzung von Cicero,
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Boëthius, Aristoteles und Thomas von Aquino. Am Hof von Neapel (ab 1437) Kollationierung und Edition alter Manuskripte; 1440 Unechterklärung der »konstantinischen Schenkung«, der Autorschaft des »Dionysius Areopagita« und anderer oft religionsgeschichtlicher Fiktionen. Durch seinen unerhörten textkritischen Zugang wegen Häresie 1444 vor der Inquisition, ohne verurteilt zu werden. Seit 1448 im Dienst der Päpste, zuletzt als Kuriensekretär, Professor der Rhetorik und Kanonikus des Lateran. Das philologische Werk V.s wurde erst im frühen 16. Jh. wirkungsmächtig (so bei Erasmus), als es von Hutten ediert und in verschiedene Sprachen übersetzt wurde. Laurentii Vallae Opera, nunc primum in unum volumen collecta erschienen in Basel 1540, der Band Dialogus de libero arbitrio · Apologia pro se · Contra Bartoli libellum 1516 in Wien.° Eine intensive Auseinandersetzung mit V. lieferte Leibniz als Schlussstück der Theodizee. (BBK; °NUC 628) 236f. van den Driesch s. Driesch *Vandenesse s. Hodoiporicon Vazquez, Gabriel 1549 – 1604, genannt Bellomontanus, Jesuit, spätscholastischer Theologe aus Spanien, Gegenspieler zu Suarez, 1585 dessen Nachfolger am Collegium Romanum, später in Alcala (Spanien); dort 1602 von der Inquisition verhaftet, nachdem die dortigen Jesuiten wegen theoretischer Einschränkung der Papstgewalt verdächtig waren; kurz darauf selbst Gutachter für die spanische Inquisition. Gegenüber Suarez bestritt V. die Realdistinktion zwischen Essenz (Wesen) und Existenz der Kreaturen: dieser Unterschied sei bloß rational-gedacht. Optimistisch und sokratisch behauptete er, Gott könne im geschaffenen Intellekt keinen Irrtum verursachen, der zu einem wahren Übel führen würde. In der Gnadenfrage stand V. auf dem augustinischen prädeterministischen Standpunkt, den üblicherweise die Protestanten, Augustiner und Dominikaner beanspruchten, während die Jesuiten sonst die persönliche Freiheit unterstrichen. V. zählte auch zu den moralischen »Laxisten« (weite Auslegung der Gebote) und vertrat den »Probabilismus«, demzufolge man einer wahrscheinlichen Meinung folgen darf, selbst wenn die Gegenmeinung mehr Wahrscheinlichkeit besitzen sollte; Gesetze und Normen seien also bei Vorliegen eines wahrscheinlichen Gegengrundes nicht mehr verbindlich. Vielmehr sei die »natura rationalis« und somit das Gewissen die entscheidende normsetzende Instanz – eine Auffassung, die den Katholizismus für die
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protestantische Scholastik des 17. Jhs. interessant machte und die rationalistische Gesetzestheorie des 18. Jhs. vorbereitete. V. verfasste zahlreiche theologisch-philosophische Werke, insbesondere im Anschluss an Thomas von Aquino, allen voran die »Disputationes metaphysicae«. (BBK; Baldini) Vasquius, Vasquez, Vasquesius 90, 114, 207, 209, 314. Vergilius Maro, Publius geb. 70 v. C. bei Mantua, Rhetorikstudium in Mailand mit Octavianus und Marcus Antonius, Studium der Philosophie in Rom und Neapel. Seit 39 im Kreis von Maecenas. Nach Schaffung der Gedichtzyklen »Bucolica«, »Eclogae« und »Georgica« begann V. ab 29 das imperiale Epos »Aeneis«, das unmittelbar nach seinem Tod publiziert wurde, der ihn 19 v. C. auf der Rückkehr von einer Griechenlandreise in Brundisium ereilte. (Aeneis, hrsg. E. u. G. Binder; Ausgew. Dichtgn., hrsg. Herzog-Hauser, 1972) (Virgilianus) *66, *70, 75, 350. Verjus, Antonio 1632 – 1706, trat mit 19 in den Jesuitenorden ein. Professor in der Bretagne, Mitglied der Académie de l’Eloquence von Lyon. Mit dem Herzog von Crecy reiste V. nach Deutschland und publizierte gegen die Casa d’Austria. Als Missionsprokurator gelangte er in die Levante, nach Persien, ans Schwarze Meer und nach Polen. Sekretär bei la Chaize, begnadeter Briefschreiber. V. veröffentlichte den Katechismus von Petrus Canisius (1688), mehrere Biographien (Pufendorf, Prinz v. Fürstenberg, hl. Franz v. Borgia) und eine Übersetzung der Werke von Antonio Viera aus dem Portugiesischen. Leibniz stand mit V. in Briefverkehr. (ESP; Widmaier) Verjusius 188. Véron, François 1575 – 1649, frz. Jesuit, Ordensaustritt nach Lehrtätigkeit an mehreren Kollegien, um seine antiprotestantische Agitation eigenständig zu forcieren. Auseinandersetzungen u. a. mit Daillé und Molina. Von 1638 – 48 trat V. in Paris gegen den Calvinismus auf, zeitweise predigte er vor Tausenden Zuhörern. Wichtige Persönlichkeiten konvertierten unter seinem Einfluss. Finanziert durch Klerus und Staat unterrichtete er seine »veronianische Methode« der buchstäblichen Schriftauslegung am Collège de France und anderen Schulen: die Protestanten seien aufgerufen, sämtliche ihrer Dogmen aus der Bibel abzuleiten; andererseits seien durch klare und einfache Darstellung der katholischen Dogmen die Protestanten zur Einsicht zu zwingen, zumal man die Lehren von historischen und subjektiven Missverständnissen
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oder Irrtümern reinige. Gleichwohl gelangte wegen hochgradiger Simplifizierung V.s Werk über den Primat der Kirche 1643 auf den Index. Besonders scharf griff V. die Jansenisten an. Zu den wichtigsten seiner 80 Publikationen zählen »La méthode nouvelle, acile et solide de convainere de nullité la religion prétendue reformée« (1615, mit zahlreichen Neuauflagen und Übersetzungen ins Engl., Ndl. und Dt.) und »Méthode de traiter des Controverses de la religion par la seule Écriture Sainte« (ebenfalls 1615); »Règle de la foi catholique«, 1649, wurde von der Generalversammlung des frz. Klerus gebilligt und nicht zuletzt auch von Leibniz wieder rezipiert. (CE; SOVO 8) Veronius 165, 172, 177. Victorinus: Marius V., Gajus Von Augustinus wird V. im 8. Buch der »Confessiones« als Konvertit gezeichnet, der erst unter dem Einfluss von Simplicianus vom bloß privaten zum öffentlichen Bekenntnis der wahren, christlichen Religion übergeht. Der in Africa geborene »vir clarissimus« lebte von ca. 300 bis um 385; seit etwa 340 Rhetoriklehrer in Rom bis zum Ende Kaiser Constantins (361). Im fortgeschrittenen Alter, um 355, Konversion zum Christentum; V. war der erste lateinische Pauluskommentator und brachte den Neuplatonismus in die christliche lat. Literatur. (NPauly 7/1999; Augustinus: Confessiones) 261. Vignoles (Desvignoles, Vignolles), Alphonse 1649 – 1744, geb. auf einer Burg im Languedoc. Vom Vater zwar für den Militärdienst vorgesehen, studierte V. Theologie in Genf und England. 1675 in der Heimat als Pastor; chronologische Forschungen. Nach Sistierung des Edikts von Nantes Emigration über die Schweiz nach Berlin, Pastor der Kirche in Brandenburg, später Köpenick. Aufsätze in Journalen, Mitgliedschaft in der neu gegründeten Berliner Akademie, deren Direktor er 1727 wurde; auf Leibniz’ Betreiben (Bekanntschaft ab Ende 1695) Rückübersiedlung nach Berlin. Redakteur der Zs. »Bibliothèque germanique«. Sein Hauptwerk »Chronologie de l’histoire sainte et des histoires étrangères depuis la sortie d’egypte jusque’à la captivité de Babylone« erschien 1738, zuvor veröffentlichte V. u. a. die »Disquisitio chronologica de periodica revolutione cometae annorum 1668, 1702«, »De Cyclis Sinensium sexagenariis« (im Akademie-Organ »Miscellanea Berolinensia«) sowie Beiträge zur Päpstin Johanna; unpubliziert blieb eine Geschichte des Ortes Brandenburg. (Michaud; AA I·12, I·17) Vignolius, Vignolles 97–100.
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*Villars, Nicolas Pierre Henri de Monfaucon, Abbé de 1635 – 1673, Studium an der Universität Toulouse, wegen nicht weiter bekannter Affären Flucht nach Paris, dort gefangen in der Bastille, dann Leben als Weltgeistlicher und Literat. 1671 mit einigen Cousins des Mordes an deren Vater angeklagt, wurde V. während der Flucht nach Lyon von Unbekannten ermordet. Hauptwerk ist der Roman Le Comte de Gabalis ou Entretiens sur les sciences secrètes, erstmals Paris 1670, dazu die – als postumes Werk V.s geltende° – Fortsetzung La Suite du comte de Gabalis touchant la nouvelle philosophie, Amsterdam 1708, mit Neuauflagen bis ins 20. Jh.; es war u. a. beeinflusst vom »Oedipus Aegyptiacus« des Jesuiten Athanasius Kircher und wirkte auf Alexander Pope, Anatole France und andere. 1671 erschienen »La Critique de Bérénice« gegen Corneille und Racine sowie die Dialoge »De la Délicatesse« gegen die Jansenisten und Blaise Pascal, der darin des Atheismus bezichtigt wird. In anderen Werken trat V. auch als Gegner von Descartes auf. (DLF XVII.siècle; NUC; °DOA, auch DLF) 106, 109, 111. Vinzent s. Saint Vincent Visdelou, Claude de, alias Liu Ying Shengwen 1656 – 1737, frz. Jesuit, Sinologe, Mathematiker und Missionar, der 1687 in der Gruppe der fünf von Ludwig XIV. entsandten Mathematiker in Ningbo (nahe Shanghai) ankam und nach Tätigkeit in verschiedenen Städten Chinas (Suzhou, Nanjing) 1692 in Peking eintraf. V.s Kenntnisse über den Konfuzianismus veranlassten den Thronfolger zu einer Lobschrift auf ihn. Später agierte V. in Kanton. Er distanzierte sich von der Akkommodationsmethode seiner Ordensbrüder und vertrat die Ansicht, Konfuzius sei kein Vorläufer der christlichen Religion, vielmehr wären die Chinesen seit jeher Götzendiener und Atheisten. Daher Parteinahme für den 1705 in China eintreffenden Kardinal Tournon, der ihn in wichtige kirchliche Ämter in China einsetzte, zuletzt als Titularbischof des süd-kleinasiatischen Claudiopolis. Im Gegenzug wurde V. 1708 von Kaiser Kangxi des Landes verwiesen und verbrachte, nachdem er dem Jesuitenorden den Rücken gekehrt hatte, den Rest seines Lebens in Indien (Pondicheri). (BBK; Widmaier, Hrsg., 1990 S. 220; Dehergne; Pfister) 178, 180. Vitelleschi, Muzio 1563 – 1645, 6. Jesuitengeneral (seit 1615). V. steht für eine starke Expansion des Ordens und eine ebenso starke Auseinan-
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dersetzung mit dem Probabilismus (s. Vazquez). Zum Verbot der 65 Lehrsätze bei den Jesuiten s. Piccolomini. (ESP; DHCJ 4) Mutius Vitellescus 37, 40. de Vitry, Edouard 1666 – 1730, frz. Jesuit. Statt Chinamissionar (geplant 1701/02) Lehrer für Philosophie, Mathematik, Astronomie und Theologie in Caen. Jahrelang Vertrauter Fénelons in Cambrai. Ab 1717 in Rom Zensor für jesuitische Bücher; seit 1719 in Lyon, gestorben in Rom. »Conclusiones theologicae de Gratia Dei et libero Hominis arbitrio«, Cadomi 1716; Hauptwerk: »Augustinus«, unpubliziert°; Werke zur Altertumsforschung; Beiträge in den Mémoires de Trévoux; Briefwechsel mit Bayle. (SOVO 8; °de Certeau S. 593) Vitri 460. Viva, Domenico 1648 – 1726, italienischer Jesuit, Rektor des Kollegs in Neapel, wo er Moraltheologie und Dogmatik lehrte; im letzten Lebensjahr Provinzial der neapolitanischen Ordensprovinz. V. war ein typischer Vertreter der probabilistischen Theologie der Jesuiten des 18. Jhs. (vgl. Vazquez). Neben Werken zur Moraltheologie veröffentlichte er u. a. Schriften gegen Jansen, so die dreibändigen »Damnatae theses ab Alexandro VII., Innocentio XI. et Alexandro VIII. necnon Jansenii ad theologicam trutinam revocatae juxta pondus sanctuarii« von 1708 (erweitert in 4. Auflage 1711 Frankfurt/Main), sowie gegen Quesnel (1716). (BBK) 314. Voetius s. Spanheim Vorstius (von der Vorst), Konrad 1569 – 1622, reformierter dt. Theologe und Prediger, der im odium theologicum sowohl bei Katholiken wie auch Reformierten teils des Sozinianismus, teils des Atheismus verdächtig war. Nach Ausbildung in aristotelischer Philosophie und katholischer Theologie (Aachen, Düsseldorf, Köln) wurde ihm die Magisterwürde vorenthalten, da er den Schwur auf das Tridentinum verweigerte; es folgten Kaufmannstätigkeit, Studium evangelischer Theologie, Doktorat in Heidelberg, dann Basel und Genf. 1610 nominelle Professur in Leiden, von der er 1619 auf der Dordrechter Synode wegen Arminianismus – auch auf Druck des englischen Königs James – abgesetzt wurde, zugleich mit kirchlicher Exkommunikation und Verbannung aus den Niederlanden. V. starb in Holstein. Schriften zur Dogmatik, Polemiken gegen Bellarmin, Piscator, Lubbertus – u. a. »Robertus Anti-Bellarminus contractus« 1610, »Confessio de iustitia Dei, merito
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et satisfactione Christi, fide iustificante« 1611, »Tractatus theologicus de Deo« [1612], »Notae in F. Socini disputationem de Jesu Christo Servatore« 1611, »Enchiridion controversiarum inter Evangelicos et Pontificos« 1604, 1608. (ADB 40/1896; DBE 10/1999; HT 1 S. 622 Anm. 4). Vorstius 224. Vota, Carlo Maurizio 1629 – 1715, ital. Jesuit. Lehrer in Turin und Venedig, starb in Rom. Verhandelte im Auftrag des Papstes eine Liga gegen die Türken mit Kaiser Leopold und dem polnischen König Jan Sobieski, dessen Beichtvater er später wurde; anschließend Reise nach Moskau, wo er eine Jesuitenniederlassung gründete. In Wiener Neustadt betreute V. die katholische Konversion des sächsischen Kurfürsten August des Starken, der darauf 1697 als August II. zum König von Polen gewählt wurde. 1708 – 1713 erster Apostolischer Präfekt für Sachsen seit der Reformation, als der er die katholische Seelsorge leitete. Um die Zustimmung des Papstes zur Königskrönung Friedrichs I. bemühte V. sich allerdings vergeblich. (BBK) 122, 130, 135. Walenburg (Walenburch), Adrian (gest. 1669) und Peter (um 1610 – 1675), auch Adriaan und Pieter, Walemburg oder Walenberg Suffraganbischöfe von Mainz bzw. Köln – Peter W. überdies Titularbischof von Mysien –, die zum Katholizismus konvertiert waren und für die Reunion der Kirchen arbeiteten. Sie gingen davon aus, dass die katholische Kirche zwar in einzelnen Vertretern, nicht aber in ihren Grundsätzen geirrt habe. Von den Brüdern liegen zwei Bde. »Opera omnia«, Köln 1670, vor, die »Tractatus generales de controversiis fidei« (1670) und »Fratrum Walenburgiorum tractatus generales contracti«, das Leibniz kritisch kommentierte; doch erwähnte Leibniz immer wieder die Walenburger im Zusammenhang mit der Rekonziliation der christlichen Konfessionen und hatte mit ihnen Gespräche geführt. (Goldenbaum; Chronik; AA I·17 Index) Walemburgii 165, 172. *van Wavre s. Augustinus Europaeus Werl s. Dionysius Wien Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Vienna 82, 208, 291, 293, 295 f., 299, 302 f., 306, 309 ff., 313 f., 341. Wolff, Christian Freiherr von 1679 – 1754, dt. Philosoph der Aufklärung, bemüht um Verknüpfung von Rationalismus und Empirismus. Die entsprechende Systematik auf Basis der »Ontologie« stellte W. zu-
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nächst in deutschsprachigen, dann lat. ausgearbeiteten Kompendien der einzelnen Philosophiedisziplinen vor, die die Universitätsphilosophie des 18. Jhs. prägten. W., Professor in Halle und Marburg, Mitglied der Berliner Sozietät seit Frühjahr 1711, suchte insbesondere auch Leibniz’ Gedankengut darin aufzunehmen. Bemerkenswert (auch für W.s eigene »philosophia practica universalis«) blieb seine akademische Rede über die praktische Philosophie der Chinesen (1721, gedruckt 1726), die ihn wegen angeblichem Atheismus seinen ersten Lehrstuhl und das Aufenthaltsrecht in Halle kostete. Den Reichs-Freiherrentitel verlieh man ihm 1745. (Killy 1992/ 12; EPW; Wolff: Oratio, darin Einleitung von M. Albrecht) 459. Zabarella, Giacomo (Iacopo, Jacobus) 1533 – 1589, ital. Spätscholastiker, Professor für Philosophie in Padua, der die Logik als Argumentationsverfahren und nicht als Analyse von Sachverhaltsrelationen lehrte (»alexandrinische«, d.i. an Alexander von Aphrodisias orientierte, Richtung des Padovaner Aristotelismus); dabei entwarf er das konstruktivistische Konzept einer »Fabrikation« der Begriffe°. Eine Berufung nach Polen durch König Sigismund schlug er aus, zeitweilig stand er im Dienst Venedigs. »Sonsten hatte er ein sehr schlechtes Gedächtniß, war dabey in seinem Thun ziemlich langsam, und konnte nicht leicht eine schwere Frage, die ihm ohnvermuthet vorgeleget wurde, auf der Stelle beantworten; doch hat er in seinen Schrifften gezeiget, daß sein Verstand, wenn er nur Zeit gnug hätte, fähig sey, die grösten Schwierigkeiten aufzulösen, und die allerdunckelsten Fragen zu verstehen«°°. Nach Eschweiler beeinflusste Z. mit seiner Instrumentallogik und logizistischen Metaphysik die gesamte europäische (Schul)philosophie und begünstigte die Übernahme der spanischen Scholastik auch im protestantischen Deutschland.°°° Verfasste u. a. »Opera logica« (1578 bzw. 1597, wieder Frankfurt 1608), einen Kommentar zu Aristoteles’ »Zweiten Analytiken« (1582), »De doctrinae ordine Apologia« (1583, gegen Piccolominis »Moralphilosophie«), »De rebus naturalibus« (30 Bücher, 1589) und didaktische Schriften wie »De methodis libri quattuor«. (Bro; EI 35, GDE 20; Jöcher 4; REP 9; ° Wollgast S. 185; °°Zedler 60; °°°Eschweiler § 19, S. 303 f., 271 f.) 246. Zebu s. Cebu
Namenregister und literarische Titel mit Erläuterungen
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Zeger, Jakob Verleger in Löwen um die Mitte des 17. Jhs. 108. Zenon von Elea Im Zusammenhang der antiken Diskussion, ob Seiendes und Eins identisch sind, meinte der süditalische Parmenidesschüler Z. (5. Jh. v. C.), das Seiende besitze notwendig eine Größe, was andererseits seiner Einheit und Unteilbarkeit widerspreche. Aristoteles bezieht sich darauf in der elften Aporie der Metaphysik, Buch III (1001 b7 ff.): »Wenn aber das Eine selbst unzerlegbar ist, so ist es nach Zenons Axiom überhaupt nichts. […] Und ist es eine Größe, dann ist es körperlich […] Die übrigen Größen […], in einer Weise hinzugefügt, machen größer, in anderer Weise hinzugefügt, nicht – wie etwa Fläche und Linie; doch ein Punkt und eine Einheit machen keinesfalls größer.« Zu diesem Punkte-Paradox gesellt sich bei Zenon die Fragwürdigkeit der Bewegung als solcher (Achill kann die Schildkröte nicht einholen, der fliegende Pfeil ruht usw.). Vgl. die Darstellung der zenonschen Bewegungsparadoxe wieder durch Aristoteles in Physik VI. 239, 358. Zoroaster (altiranisch Zaraθuštra) historisch nicht exakt greifbarer Verfasser religiöser Hymnen aus dem Ost-Iran oder Zentralasien, zwischen 12. und 6. Jh. v. C.; spätere altiranische Texte huldigen ihm als erstem Träger des Guten und, dualistisch, als erstem Götterverehrer und Dämonenbekämpfer. Christliche und islamische Zeugnisse distanzieren ihn dagegen als Feueranbeter ohne wahren Monotheismus. Nach wundersamer Kindheit soll Z. dem Gott Ahura Mazda begegnet, mit 30 in den Iran gereist sein und dort Könige zu seiner Religion bekehrt haben. Die griech. Namensform Z. stammt von Xanthos dem Lyder. Ihren Glauben (mit Priesterhierarchie – »magoi«) bezeichnen die Anhänger der Mazda-Religion seit der brit. Kolonialzeit selbst als Zoroastrismus. Bis ins 13. Jh. noch gebietsweise Mehrheitsreligion im Iran, schufen sie ab der Islamisierung zahlreiche Gemeinden in verschiedensten Weltgegenden, vor allem an der Westküste Indiens (»Parsen«). (NPauly 12 /2) 145.
G L O S S A R S AC H R E G I S T E R
Relevant abweichende Übersetzungen sind im Text eigens angemerkt, einige davon hier mit »ggf.« berücksichtigt. Ein * vor Termini oder Seitenzahlen verweist auf eine bloß indirekte Nennung im Text. Wichtige Begriffe werden in den Anmerkungen beim ersten Vorkommen erläutert.
Lateinisch, Griechisch, Chinesisch, Französisch (gereiht nach lat. Alphabet) absolutum Absolutes accidens Akzidens actio, actus Handlung, Tätigkeit, Tat, Akt, ggf. Wirkung actio mutua, commercium Wechselwirkung actu infinitum aktual Unendliches activum aktiv actus purus actus signatus bezeichneter Akt activitas Aktivität, Tätigkeit actu aktual, dem Akt nach actualis wirklich, aktual, (tatsächlich) actus Akt, Wirklichkeit, s. actio adhaerere, affixum anhaften, angeheftet adjectitia beigefügt aër primitivus *qi (yuan qi), ursprüngliche Luft aggregatio Aggregation aggregatum Aggregat aimant Magnet
alteratio Veränderung amor, ggf. caritas Liebe angelus Engel angeli assistentes assistierende (dabeistehende) Engel angeli ministrantes dienende Engel anima Seele anima irrationalis irrationale/ vernunftlose S. aima mundi Weltseele anima rationalis; animus rationalis rationale/vernünftige S., Vernunftseele anima sensitiva sensitive Seele [anima] vegetativa vegetative Seele animae brutorum Tierseelen animal, ζῶον Lebewesen, ggf. Tier animus Geist antitypia Antitypie apparitio Erscheinung apperceptio Apperzeption appetitus, appetitio Begehren
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Glossar
aptum geeignet, angepasst, tauglich arbitrium Willkür, Belieben arithmetica diadica/dyadica dyadische Arithmetik atheismus, Athei Atheismus, Atheisten atomus Atom attributum Attribut automata Automaten autoritas Autorität auxilia Hilfsmittel (der Gnade) βάθοϚ Bathos beati Selige, Glückliche beatitudo Glückseligkeit brutum, bellua Tier calculus infinitesimalis Infinitesimalrechnung capacitas, capax Fähigkeit, Kapazität, Fassungskraft, fähig, tauglich caritas Nächstenliebe, ggf. Liebe categorematicum Kategorematisches Catholici, catholicum Katholiken, katholisch causa Ursache causa idealis Ideale Ursache causae secundae Zweitursachen celeritas, velocitas Geschwindigkeit censura Zensur centrum Mittelpunkt, Zentrum ceremoniae Zeremonien certitudo moralis, moraliter certum moralische Gewissheit, moralisch gewiss
Chronosticha Zeitverse, Chronostichen cohaesio Kohäsion collectio Ansammlung, Kollektiv collectivum kollektiv commercium Austausch, Wechselwirkung (s. actio mutua), auch Umgang communis sensus Gemeinsinn comperceptio Komperzeption complexum Komplex compositum; compositio Zusammengesetztes, Kompositum substantia composita zusammengesetzte Substanz compossibilia Kompossibles conatus Strebung concupiscentia Begierde concursus Mitwirkung congruentia; congruere Kongruenz; übereinstimmen connaturale konnatural connotionalis, connotans konnotional, konnotierend conscientia sui, conscium sui Selbstbewusstsein, selbstbewusst conservatio, conservare Bewahrung, bewahren conspirare konspirieren consubstantiatio Konsubstantiation contigens, contingentia Kontingentes, Kontingenz contiguum »kontiguent«, Kontiguität continuatio kontinuierlicher Zusammenhang, Fortsetzung, Zusammenhalt
Glossar continuum Kontinuum contritio Reue corpus Körper corpus mathematicum mathematischer Körper corruptibile vergänglich, zerstörbar corruptio Vergehen, Zerstörung creatio Schöpfung, Erschaffung creatura Geschöpf, Kreatur; Schöpfung daemones Dämonen deceptio Täuschung demonstratio Dei Gottesbeweis dependentia Abhängigkeit derivativum Derivat, derivativ destructio Zerstörung determinatio Determination, Bestimmung determinatio sui, se determinare Selbstbestimmung differre s. unterscheiden diffusio Ausbreitung, Diffusion distinctio Distinktion, Unterscheidung, Unterschied, ggf. Verschiedenheit distinctio formalis Formaldistinktion diversitas Verschiedenheit, Unterschiedlichkeit divisio Teilung dogma Dogma dominari, (prae)dominans dominieren, (be)herrschen δυναμικόν Dynamisches, ggf. Potenz
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eductio Eduktion Echo Echo efficacia Wirksamkeit elasticum Elastisches electio Wahl ens a se Seiendes a se, von sich her Seiendes ens rationis Gedankending, Vernunftseiendes entelechia Entelechie essentia; (Pl.) etres Wesen, Essenz eucharistia Eucharistie evolutio Etwicklung exigentia Exigenz, Erfordernis, (Heraus)forderung, Beanspruchung existentia Existenz existere ggf. Entstehen exortus Entstehung, Ursprung experience Experiment experientia Erfahrung, Experiment experimentum, experimentalis Experiment, ggf. Erfahrungsexpressio Ausdruck extensio Ausdehnung extremum Grenzbegriff, Grenzbestimmung (ggf. s. terminus, terminativum) facultas Vermögen felicitas, felix Glück (Erfolg), glücklich fictio Fiktion fides Glaube fluidum Fluidum forma, formale Form, formal formae assistentes assistierende Formen
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Glossar
forma informans informierende, formgebende Form forma substantialis substantielle Form formalitas Formalität fractio Bruch, Bruchteil futura Zukunft, Zukünftiges generatio, exortus; ggf. existere Entstehen, Entstehung generatio aequivoca genus Gattung gradus essentiales Wesensgrade gratia Gnade gratia per se efficax von selbst wirksame Gnade
infinitesimum, infinitesimale infinitesimal infinitum unendlich infinituplum infinitupel inflatio Inflation (Aufplusterung) ingredientia; ingrediens Ingredientien inhaerentia Inhärenz intellectus Verstand, Intellekt intelligentia Intelligenz intentio virtualis virtuelle Intention interitus Untergang iris Regenbogen
hérésie, haereticum Häresie, häretisch hypercategorematicum Hyperkategorematisches
labyrinthus Labyrinth lex Gesetz Li li (Prinzip, Ordnung, Idee) libertas Freiheit limes Grenze locus, locale Ort, örtlich, lokalisiert
ichnographia Ichnographie identificatum identifiziert, identisch imaginatio Imagination impedimentum Hindernis imperfectio Unvollkommenheit impetus Antrieb; ggf. Drang incarnatio Inkarnation incomplexum Nichtkomplex indifferentia Indifferenz individuum Individuum, individuell indivisibilitas Unteilbarkeit inesse Darinsein (enthalten sein, sein in) infallibilitas Unfehlbarkeit
magnes; aimant Magnet magnitudo Größe machina Maschine malum Übel, Böses massa, moles Masse materia Materie materia prima erste Materie materia secunda zweite Materie mechanismus Mechanismus mens Geist; Absicht, Denken Metempsychose Seelenwanderung metaphysica, metaphysicum Metaphysik, metaphysisch μετουσιασμόϚ, μετουσίωσιϚ Transsubstantiation miraculum, mysterium Wunder
Glossar missio Mission modificatio Modifikation modus; modale Modus, Weise; modal modus essendi Seinsmodus moles (auch: Last) s. massa monas Monade monas dominans, praedominans dominierende, beherrschende Monade Monotheletismus moraliter certum s. certitudo moralis und necessitas motus Bewegung multipraesentia Mehrfachpräsenz multitudo Menge, Vielheit, Vielzahl mundus Welt mundus optimus beste Welt munus Leistung mutatio Veränderung (ggf. alteratio), Verwandlung, Wechsel, Wandel, Wandlung natura Natur naturale natürlich navigationes Navigation necessitas Notwendigkeit necessitas moralis moralische Notwendigkeit nisus Drang non-regenerati Ungetaufte, NichtWiedergeborene numerus Zahl; Anzahl operatio Operation, Handlung, Tätigkeit, tätige Ausführung, Wirkung, Tat
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ordo Ordnung ordo decretorum Ordnung der Beschlüsse organicum Organisch origo, ortus Ursprung paradoxum, paradoxologus unorthodox; Paradox, Paradoxologe pars Teil passio Erleidung peccatum originale, p. originis Ursünde pendulum Pendel perceptio Perzeption perfectio Vollkommenheit, Perfektion περιχώρησιϚ Perichorese persecutio Verfolgung phaenomenon; apparitio Phänomen, Erscheinung positio Lage, Position possibilitas, possibile Möglichkeit, möglich potentia, potentiale Potenz, Möglichkeit, möglich potestative (eigen)mächtig praedeterminatio Prädetermination praedicabilia Prädikabilie praedicamentum Prädikament, Kategorie praedicatum Prädikat praeexistentia Präexistenz praeiudicium Vorurteil praemotio / promotio physica physische Vorausbewegung praescientia, praescire Vorherwissen
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Glossar
praesentia Gegenwart, Präsenz p. ubicativa ubikative p. cirumscriptiva zirkumskriptive praestabilitum prästabiliert principium rationis sufficientis Prinzip des zureichenden Grundes promotio physica s. praemotio propagatio Fortpflanzung proprium Eigentümliches, Eigenes Protestantes Protestanten providentia; praevidere Vorhersehen, Vorsehung punctum Punkt puncta inflata aufgeblasene Punkte *qi als aër primitivus (ursprüngliche) Luft quaestio facti Tatsachenfrage quantitas Quantität quies Ruhe ratio Grund, Vernunftgrund, ggf. Verhältnis; Entsprechung; Vernunft rationalitas Vernünftigkeit realitas, reale Realität, Reales realizatio, realizans Realisation, Realisierendes Regnum Naturae / R. Gratiae Reich der Natur, Reich der Gnade relatio Relation, Beziehung replicatio Replikation requisitum Erfordernis (Exigenz, Requisit)
resistentia Widerstand respectus, respectivum Bezug, Hinsicht, Aspekt; respektiv ritus Riten salus Heil scenographia Skenographie scientia Wissen; Wissenschaft scientia media mittleres Wissen scientia visionis Wissen durch Schau Scholastice, Scholastici Scholastik, Scholastiker semiaccidens Halbakzidens semiens Halbseiendes semimentalis halbgeistig semisubstantia Halbsubstanz sensus obvius offenkundiger Sinn series Reihe similitudo Ähnlichkeit, Gleichheit simultas (gleichzeitiges) Zusammensein situs Lage somnium Traum spatium Raum species Erscheinungsbild, Spezies, Erscheinungsart, Erscheinungsform spiritus Geister spontaneum Spontanes subesse zugrunde liegen subjectum Subjekt subsistentia Subsistenz subsistere subsistieren, ggf. zugrunde liegen, bestehen substantia Substanz substantiatum Substantiat substare zugrunde liegen
Glossar substratum Substrat; zugrunde gelegt superadditum zusätzlich hinzugefügt superficies Fläche supernaturale Übernatürliches suppositalitas Suppositalität suppositum Suppositum, Zugrundeliegendes syncategorematicum Synkategorematisches systema, système System taikie tai ji tempus Zeit, Zeitpunkt tenacitas Zähigkeit terminus Terminus, (auch terminativum) Grenzbegriff, Grenzbestimmung textura Textur, Gewebe Tien Tian (Himmel) totum Ganzes totum distributivum/collectivum distributives/kollektives Ganzes traductio Fortpflanzung tradux Sprössling, ggf. Weitervererbung oder Fortpflanzung transcreatio Umschaffung transsubstantiatio Transsubstantiation ubicatio Ubikation (Verallgegenwärtigung) uniformis einförmig unio Union, Vereinigung, ggf. Einheit unio moralis moralische Union
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unitas Einheit, ggf. Eins (Zahl) universalia Universalien universum Universum unum Eines, Eins unum per se Eines-durch-sich, unum per se unum simplex Einfach-Eines unum actu simpliciter aktual einfach Eines vacuum; vuide Vakuum, Leere varietas Mannigfaltigkeit, Varietät, Verschiedenheit, Unterschiedlichkeit velocitas s. celeritas veritas Wahrheit viatores Reisende (noch nicht Selige) vibratio Schwingung vinculum Band vinculum accidentale akzidentelles Band vinculum substantiale substantielles Band violentum gewaltsam virtus Kraft virtus moralis Tugend vis Kraft vita Leben vitium Laster voluntas Wille v. absoluta absoluter Wille v. conditionata bedingter Wille v. decretoria dekretorischer Wille ζῶον Lebewesen
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Sachregister
Deutsch a parte posteriore 212. a priori 352, 434. Aberglaube superstitio 126, 292. Abfolge, Aufeinander- successio s. Zeit Abhängigkeit dependentia; (de)pendere 17, 40, 45, 229, 233, 250, 263, 310, 318, 322, 438. – logische 263, 275, 278, 321. – natürliche 263, 275, 322 f. (vs. übernatürliche). – Unabhängigkeit independentia 31, 37, 157, 289, 353, 357, 421, 444. Ableitung s. Derivat Absolutes absolutum 14, 24, 57, 69, 72, 110, 168, 199, 228 ff., 235, 239 f., 248, 250, 253 f., 256, 273 ff., 277 f., 280, 284, 286, 289 f., 296 ff., 300 f., 316, 322, 333 f., 336, 343 f., 350, 355, 407, 418, 420, 422 ff., 427, 430, 442, 456. Abstraktum, Abstraktion 20 f., 157, 234 f., 263 f., 277, 284 f. Adäquatheit, adäquat adaequatio, adaequatum 25 f., 54, 123, 137, 186, 199, 256, 272 ff., 298, 451. – s. auch Entelechie Affektion affectio 35, 235, 249, 263, 285, 289. Aggregat aggregatum 20, 23 f., 115, 125, 142, 187, 234 f., 243 f., 246, 248, 262, 265, 267 f., 271,
300 f., 334, 352–355, 357 f., 410, 417–420, 429, 459. Aggregation aggregatio 23 f., 26, 142, 172, 178, 181, 267, 337. Ähnlichkeit similitudo 16, 272, 343, 411, 428, 433, 436. Akt actus 5, 23, 38, 220, 236, 246, 315, 406. – actus purus (reiner Akt) 57. – ausgeführter Akt actus exercitus 23, 158, 226. – bezeichneter Akt actus signatus 158, 166, 172, 226. – metaphysischer vs. physischer 246. – reflexiver, r. Handlung actus reflexivus 38, 57. Aktion s. Handlung aktiv activum 4 f., 12, 22, 27, 37, 69, 78, 129, 225, 267, 310, 338. – s. auch Kraft, Potenz Aktivität activitas 12 f., 439. aktual, dem Akt (der Wirklichkeit) nach; wirklich, aktuell, (tatsächlich) actu, actualis 20, 25, 27, 35, 39, 72, 74, 121, 129, 141 f., 191, 197, 253, 256, 273, 406, 434, 456. – Aktuales vs. Ideales 142. – s. auch Unendliches, Wirkliches u. a. Akzidens accidens 12, 14, 35, 90, 106, 152, 159, 167, 224 f., 229 ff., 235, 240 f., 243, 246, 248, 254, 256 ff., 263–268, 271, 275–278, 280 ff., 284 f., 289 f., 297, 299, 305,
Sachregister 307, 333 f., 337 f., 352, 354, 356, 358 f., 418, 420, 422–425, 432 f., 435 f., 439, 452, 457. – absolutes A. 69, *159, *167, 168, 275, 277 ff., 290, 297, 423 f., 430, 436. – eucharistische A.en 230 f. – Halbakzidens semiaccidens 334, 337. – individuelles A. 281. – kategoriales vs. prädizierbares a. praedicamentale vs. praedicabile 333. – modales 225, 264, 278 f. – nichtmodales 90, 225, 229, 231, 240 f., 333. – reales 159, 167, 225, 230, 264, 276, 422. – akzidentell s. auch Band, Perzeption, Punkt, Quantität, Realität, Union et passim. Allmacht omnipotentia 344. angehäuft s. Aggregat anhaften, angeheftet adhaerere, affixum 26, 48 f., 53 f., 57, 196, 274, 301, 322, 327, 336, 443, 446. Ansammlung, Kollektiv collectio 50 f., 138, 227, 298, 420, 422, 444, 450, 457 f. Anspruch, Beanspruchung, Inanspruchnahme (uti, adhiberi, distrahi, prolatatio passim) – exigentia 228, 300, 351, 354 f. – s. auch Exigenz Antitypie antitypia 228. Antrieb impetus 21, 263, 265, 336, 338, 362, 395. Apokatastasis ἀποκατάστασιϚ 218.
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Apperzeption apperceptio 34. Architekt architectus 329, 332. Atheismus, Atheisten atheismus, Athei 131, 144, 147, 328, 340. Atome atomi 4, 12, 36, 187, 191, 220, 222, 226 f., 244, 458. – metaphysische/substantielle A. 74. Attribut attributum 13, 54, 189, 191, 227, 285, 345, 358, 424. – ursprüngliche a. primitiva 285. Auf dem Weg Befindliche s. Reisende Aufbrechen (der Monaden) refractio 253, 273 f. Ausbreitung s. Diffusion Ausdehnung extensio 26, 35, 56, 68 f., 90 f., 106, 126–132, 137 f., 155, 168, 181, 221, 224 f., 227– 230, 239 f., 244, 249, 253, 260, 267 f., 287, 343 ff., 351, 353, 358, 422, 449–459. – aktuale extensio actualis 35. – A. als Ordnung (Def.) 343. – Unterschied zu Materie 343, 449 ff., 452, 455. zu passiver Potenz 345. zu Substanz 138, 250. Ausdruck expressio 33, 41, 45 et passim. Ausgedehntes extensum 90, 102, 225, 240, 259, 261, 277 f., 356, 408, 438 f., 449–452, 454, 458 f. Austausch commercium 253, 273. Automaten automata 35, 37. Autorität autoritas 4, 60 f., 66, 70, 77, 98, 103, 131, 150, 155, 165 f., 171, 183, 194, 198, 218, 415. – menschliche A. 218.
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Sachregister
Band vinculum 18, 234, 263, 269, 272, 322, 328, 332. – akzidentelles vinculum accidentale 422. – modale Bänder vincula modalia 297 f., 305, 307. – reales vinculum reale 269, 322, 327 f., 353 f. – substantielles vinculum substantiale 229 f., 234, 244, 247 f., 253 f., 256, 265 f., 271, 273–276, 278 f., 289 f., 296–301, 303, 307, 322, 327, 332–335, 344 f., 351, 353 f., 420 ff., 424. – totales s. B. 301. – zusätzlich hinzugefügtes s. B. vinculum substantiale superadditum 254, 273, 289, 422 f. Bathos βάθοϚ 412. Begehren appetitus, appetitio 289 f., 298, 300, 337, 423, 425, 438. Begierde concupiscentia 31, 102, 108, 110. Begleitung, -umstand concomitantia, comes 54, 209, 256, 356, 418. Begrenzung s. Grenze Begriff notio 39, 285, 430 et passim. – vollkommener B. 187. beigefügt adjectitia 235 Bekehrung conversio 358. Belieben s. Willkür Benennung, Bezeichnung denominatio; nomen, appellatio, dicere 57, 67, 259, 278, 281 f., 423, 429 ff., 434 (innere/äußere) et passim. – s. auch Zeichen.
Bestimmung s. Determination Bewahrung conservatio 35, 56, 168, 228, 257 ff., 264, 279, 281 f., 289 f., 292, 301, 353, 418, 424, 445. Bewegung motus 8 ff., 12 f., 16 f., 21 ff., 25, 27, 31, 34–38, 40 ff., 51, 91 f., 95, 108 f., 145, 153, 186, 191 f., 196, 199, 220, 224, 227, 233, 239, 244, 249, 256, 284, 287, 320, 336 f., 418 f., 428 f., 435, 437 f., 440 f., 449. – div. Arten von B. 437. – geistige B. m. spiritualis 22. – B. der Himmelskörper 17, 77, 186, 311. – Körperbewegung m. corporeus 38, 186, 449. – unmittelbares Bewegungsobjekt objectum immediatum et motivum 257 f. – Ortsbewegung m. localis 13, 92, 249, 437. – Selbstbewegung m. sui 22. – Bewegungsunterschied 9, 13, 16, 25, 27, 31, 153, 192, 445. – Vorausbewegung praemotio / promotio physica 306, 313. – s. auch Gesetz Bezeichnung s. Benennung, Zeichen. Bezug, Hinsicht, Aspekt respectus 249, 264, 416, 427 f., 430; 51 (Substanz–Materie); 173, 178 (zu Dimensionen), 181 f. (Geist– Körper); 259 (Phänomen–Subjekt); 300 (zwischen Monaden) et passim. – s. auch Relation
Sachregister Böses, Übel malum 75, 111, 121, 200, 206, 209, 211 f., 413. Brot panis 102, 159, 168, 172 f., 178, 181, 185, 187, 231, 260, 265 f., 271 f., 276, 280 ff., 288 f., 301, 334 f., 356, 360, 419 f., 422, 424 f., 438 f. Bruch fractio 16, 20, 23, 74, 141, 406 f., 431. Chiromantie 341. Chronostichen s. Zeitverse Conatus s. Strebung Dämonen daemones 4, 49, 169, 442 f. Darinsein inesse 9, 116, 235, 248 f., 254, 263 f., 267, 274, 277, 351, 354 f., 424, 429 f., 433 f. et passim. Denken cogitatio, cogitare, ggf. ratiocinari 25, 37 f., 141 154, 410/ 412 (mens), 417, 434. Derivat, derivativ, abgeleitet derivativum 132, 157, 168, 235, 285, 337, 353, 407, 417, 432, 436. – s. auch Kraft Determination, Bestimmung determinatio, déterminer; (destinare,) ggf. terminari 51, 83, 111, 113, 115 f., 158, 199 f., 203, 206 f., 209, 211, 258, 315, 336, 338, 413, 429, 432, 436, 438. Dichter/in poeta 105, 218, 329 f. Differenz (vs. Gattung) differentia 432 f. Differenzialrechnung calculus differentialis 20.
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Diffusion, Ausbreitung diffusio 68 f., 141, 155, 228 ff. Dimension dimensio 88, 168, 172 f., 178, 181 ff., 185, 187, 246, 250, 305. Ding res 20, 78, 90, 148, 187, 232–235, 249, 258, 286, 289, 315 f., 333, 344, 352, 416 f., 423, 428–434, 456 et passim. – ausgedehntes res extensa 343, 356. – kontinuierliches res continua 141. – passives res passiva 68 f., 78, 343. – unausgedehntes res inextensa 69, 343, 356. – unkörperliches incorporea 144 – vollständiges completa 140 f. – s. auch Ordnung, Reihe Dogma dogma 6, 55, 66, 76 f., 88, 93, 102, 106, 135, 140, 147, 150, 165, 184, 250, 272, 441, 445. dominieren, (be)herrschen dominari, (prae)dominans 124, 137 f., 145, 246 f. – s. auch Monade Drang nisus 147. – s. auch Kraft, Substanz Dreieck triangulum, ggf. trigonum 38, 128, 131, 283, 434, 453. – Dreiseiter trilaterum 283, 433 f. – Dreiwinkler triangulum 433 f. Durchdringung, Durchdringbarkeit penetratio, penetrabilitas 94, 168, 172 f., 337, 358, 431, 438.
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Sachregister
– Undurchdringlichkeit impenetrabilitas 56, 354, 407, 432, 438. dyadische Arithmetik arithmetica diadica/dyadica 143, 148 f. Dynamisches δυναμικόν 26, 362, 407. Echo Echo 321, 328, 332 ff., 353, 356. – ursprüngliches E. Echo originaria 356. Eduktion eductio 297, 436. Effekt s. Wirkung Eigenes, Eigentümliches proprium 12 f., 75, 136, 158, 181, 191, 239, 243, 259 f., 266, 275 f., 280 f., 284, 297, 300, 318, 325, 329 f., 332, 337, 344, 356, 408, 423, 433 (als Kategorem), 446. – s. auch Entelechie, Materie eigenmächtig potestative 439. Eigenschaft proprietas 24, 300, 417. Eines, Eins unum, ggf. unitas (Zahl) 20, 234, 246, 256, 262, 417, 438, 451, 457 f. – Einfach-Eines unum simplex 20, 274. – unum per se, Eins-durch-sich 51, 234, 244, 248, 263 ff., 268, 271, 278, 300, 307, 322, 327, 332, 334, 336, 418, 434. – zusammengesetztes E. s. Kompositum Einfaches simplex 20, 30, 142, 224, 247, 263, 432, 451, 459. – s. auch Intelligenz, Substanz, Vollkommenheit
Einförmigkeit, Gleichförmigkeit uniformitas 9, 13, 153, 224, 431. Einheit unitas, ggf. unio 10, 12, 16 f., 19 f., 23 f., 49, 74, 123 f., 131 f., 136 f., 142 f., 148, 234, 240, 246 f., 253, 256, 272 f., 275, 407, 418, 422, 434, 443 f., 447, 451, 456 ff. – arithmetische vs. metaphysische 23. – einfache u. simplex 272 – E. durch Entelechie 49, 123, 136 f., 247. – formale vs. materiale E. 23. – von Geist / Körper 49, 434 f., 447. – halbgedankliche unio semimentalis 23. – von Körper/Seele 234, 418. – lokale E. u. localis 262, 422. – E. der Materie (Masse) 19, 123 f., 142, 458. – mathematische E. 11, 16, 20, 23, 74, 407, 418. – metaphysische 23, 104, 418, 451. – zwischen Monaden 246. – E. des Perzipierenden 132. – physische 418. – Prinzip der E. 240. – radikale E. der Teile unio radicalis 456. – reale 429. – substantielle 12, 19, 131, 234, 246 f., 253, 256, 273, 418, 434, 444, 458. – E. des Unendlichen 24.
Sachregister – des Zusammengesetzten 275, 457. – s. auch Nichts, Union einheitlich unionalis passim. s. auch Realität Elastisches, elastische Kraft elasticum, [vis] Elastica 8, 220, 226, 336 ff. Elemente (kosmolog.) elementa 134, 139 f., 144, 221 f., 226, 246. Ellipsen ellipses 220. Empfängnis conceptio, conceptus 101, 123, 158, 166 f., 258, 411. Energumene s. erstes Register Engel angelus 10, 35, 40, 42 f., 45–53, 56 f., 91, 113, 144, 168, 206, 234, 268, 281, 289 f., 337, 435, 431, 438–449. – assistierende (dabeistehende) angeli assistentes 46, 48, 52 f., 56, 442 f., 445 f. – dienende angeli ministrantes 46, 53, 56, 445. Entelechie entelechia 4, 7, 9 f., 10, 17 f., 20–23, 25 f., 28, 31, 33, 37 f., 40–43, 46, 48 f., 51–54, 56 f., 123 ff., 127, 129, 136 ff., 140 f., 152 f., 196, 201 f., 221, 225, 227 f., 247, 249, 261, 267, 274, 277, 298, 316, 356, 407, 417, 424, 432, 434, 441–444, 448. – adäquate 23, 25, 28, 137, 141. – eigene 26, 33, 56, 123. – perzeptionslose 31. – Unterscheidung der E. 31, 46, 137, 141, 274 f.
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– ursprüngliche E. primitiva 26, 28, 38, 43, 316, 417, 432. Enthalten sein s. Darinsein (inesse); sonst contineri, involvi etc. passim Entität entitas 23, 157, 298, 405, 428 f. Entschluss, Beschluss decretum 116. – E. Gottes 35, 110 f., 113, 115, 121, 199, 322. – virtuell unteilbarer d. virtualiter indivisibile 113. Entstehen, Entstehung generatio, exortus (fieri); ggf. existere 10, 18, 124, 129 f., 135, 141, 145, 148, 172, 178, 228, 234, 253, 256, 264 f., 273, 277 f., 290, 296 f., 300, 345, 350 ff., 354 f., 357 f., 411, 417 f., 420, 422, 424, 429, 432, 436 ff., 444, 447 f., 450, 454 f., 459. – s. auch generatio aequivoca Entwicklung evolutio 158, 172, 177. Erfahrung experientia, ggf. experimentum 62, 220, 316, 414. Erfahrungserkenntnis cognitio experimentalis 258. Erfordernis (Exigenz, Erheischung, Requisit) exigentia, requisitum 9, 26, 57, 201, 228 ff., 240, 248, 253, 288, 419, 456. Erkenntnis, vollkommene cognitio perfecta 187, 189, 191, 436. Erleidung passio 18, 26, 53, 284, 336, 354. Erschaffung s. Schöpfung
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Sachregister
Erscheinung apparens, apparentia s. Phänomen Erscheinungsbild, Spezies, Erscheinungsart, Erscheinungsform species 178, 280, 301, 333 f., 337, 422, 435, 437. – individuelle Spezies s. individua 435. erzeugen producere 13, 18, 22, 125, 142 (parere), 150, 155 (facere), 300 (generabilis), 427 (generari), 428 f., 434 (prodere). – Erzeuger parens 172, 178. – Erzeugung, Erzeugnis 220 (partum); 290, 357 (generatio); 427 (productum), 429 (productio). – s. auch hervorbringen Essenz s. Wesen Eucharistie eucharistia 101 f., 156, 159, 167, 181, 185, 241, 259, 272, 280, 355, 438, 450. Evidenz, evident 328, 413 f., 450. Exigenz (Herausforderung, Beanspruchung) s. Erfordernis, Anspruch Existenz existentia 15, 18, 111, 212, 239, 246 ff., 253, 256, 258, 272, 318, 322, 328, 408, 420, 436, 457. – Existenz Gottes 120, 328. Experiment experimentum, experience, experientia 74, 316 ff., 320, 323 ff., 335, 348. Extremalgröße, Extremität extremitas 16, 93. Fähigkeit / Fassungskraft s. Kapazität
Feld (Magnet) champ 325. Fiktion fictio 25, 39, 42, 106, 253 f., 260. Fläche, Oberfläche superficies 13, 196, 202, 418, 428, 433, 454, 459. Fluidum fluidum 8, 27, 191, 227, 337. – s. auch qi Form forma 4, 6, 12 f., 15, 21, 26, 51, 53, 68, 135 f., 153, f., 181, 221, 224 f., 246, 284 f., 297, 328 ff., 351, 355, 417, 434, 436, 441, 444, 447, 452, 456 f. – adäquate f. adaequata 137, 141. – assistierende Formen formae assistentes 48 f., 56, 442 f., 445 f. – dominierende f. dominans 137, 246. – informierende/formgebende forma informans 48, 57, 446. – körperliche f. corporea 38, 438, 441, 449. – logische f. logica 177. – menschliche f. humana 68. – mittlere f. media 154. – F. als Modus der Materie 68 f. – substantielle f. substantialis 4, 12, 36, 38, 228, 289, 297, 307, 333, 336, 344, 351, 356, 437, 455–458. – Teilformen formae partiales 26. – unbelebte/unbeseelte Formen formae inanimatae/inanimes 13. – Formen-Vakuum vacuum formarum 328. – Weltform mundi forma 222. – s. auch Ursache
Sachregister Formaldistinktion distinctio formalis 428. Formalität formalitas 429, 433. – Formales formale 230 et passim. Formgesetze s. Gesetz Fortpflanzung propagatio; traductio, ggf. tradux 130 f., 137, 141, 154 f., 158 f., 178. – s. auch Weitervererbung Freiheit libertas 22, 28, 34, 41, 64, 67, 70, 75 f., 102, 106, 108, 111, 113, 116, 144, 167, 176, 186, 199 f., 220, 325 f., 411, 438 f. – F. Gottes 6, 35, 113, 413, 435. – F. der Indifferenz l. indifferentiae 413. – Meinungsfreiheit sentiendi l. 76. – Freiheit des Philosophierens l. philosophandi 73. – s. auch freier Wille Funktion 48 (officium), 275 (munus), 408 (functio), 442 (off.). Ganzes totum 14, 16, 24, 39, 93, 142, 212, 234, 246, 253, 265, 272, 278, 301, 327, 356, 417, 429 f., 438, 451. – distributives/kollektives G. 39. – ideales/reales G. 406, 408. – s. auch substantielles Band, Reihe, Substanz. Gattung genus 231, 250, 282, 284, 432 f. Gedächtnis memoria 111, *272, 411. Gedankending, Vernunftseiendes ens rationis 307, 417.
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– halbgedanklich s. halbgeistig Gegenwart, Präsenz praesentia 35, 173, 181 f., 133, *202, 257, 262, 265, 331. – reale Präsenz Christi p. realis 156, 182. – ubikative p. ubicativa 183, 185, 187. – zirkumskriptive p. circumscriptiva 183, 185. – s. auch Repräsentation Geheimnis, Mysterium mysterium 14, 232, 269, 272, 405, 408, 450. G.e des menschlichen Herzens 176, 186. Geist, Geister spiritus, mens; (selten:) animus 13 f., 17, 20 f., 25, 28, 31, 36, 38 f., 42 f., 49, 52, 54, 56 f., 62, 73 (animus), 140, 144–148, 150, 152, 168, 182, 186 f., 198 (a.), 202, 221 f., 227, 234, 253 (a.), 258, 266, 281 f., 301, 322, 328, 334, 336, 340, 354, 405, 410 f., 417, 431, 433, 438–447 (spiritus). – endlicher spiritus finitus / mens finita 56, 187, 445. – Engelsgeist, angelische Geister spiritus angelicus 53, 444, 446 f., 449. – erschaffener spiritus creatus / mens creata 17, 52, 186, 189 f., 411, 440. – göttlicher mens divina / Dei 25, 258, 266, 281. – halbgeistig, halbgedanklich semimentalis 23, 26.
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Sachregister
– Hl. Geist (Trinität) Spiritus S. 429. – menschlicher mens humana 62, 186, 328. – unendlicher s. infinitus / m. infinita 52, 56, 190, 445. – unerschaffener s. increatus 234. – Unterschied der G. discrimen, diversitas spirituum 51, 221, 227. Geisterkult spirituum cultus 147. Geistwesen genius 173, 178. Gemeinsinn communis sensus 41. generatio aequivoca 179. Genuss delectation 319. Geometrie geometria 4, 9, 25, 63, 120, 164, 174, 233, 280, 350, 450, 454. – synthetische geometria synthetica 451. Gerechtigkeit justitia 65, 84, 144, 208 (iniquus), 217, 231, 292 (auch aequitas), 350. Geschöpf, Kreatur, Erschaffenes creatura 6, 8 f., 35, 55, 115, 140, 157, 176, 187, 189, 191, 198, 207, 209, 211 f., 224, 256, 279, 306, 313, 315 f., 319, 322, 328, 336, 352, 413, 431, 435, 437, 440 f., 445, 447. – vollkommenes Geschöpf creatura perfecta 113, 115, 176, 212, 413. Geschwindigkeit celeritas, velocitas 44, 88, 95, 336, 435.
Gesetz lex 37, 49, 52, 127, 198, 232, 286, 321, 328, 404. – Bewegungsgesetze leges motus/ motuum 16 ff., 21, 37, 244, 337. – Gesetze des Denkens leges cogitationum 37. – Formgesetze leges formae 28. – mechanische G.e leges mechanicae 28. – Naturgesetze leges naturae 9, 27, 202. – römische G.e 349. – G. der Sünde vs. des Geistes lex peccati – lex mentis 31. Gesetzgeber legislatores 145. Gestalt figura 10, 13, 36, 38, 102, 144, 153, 227, 247, 279, 337 f., 428, 436. Gewalt, gewaltsam violentia, violentum 12, 17, 75, 247. Gewissheit, gewiss certitudo, certum 30, 32, 34, 65, 83, 102, 136, 165 f., 199, 239 (prouvé), 305, 328, 414. – s. auch moralische G. Glaube fides, foi 33, 77, 106, 109 f., 113, 121, 135, 198, 228, 240, 257, 261, 329, 436. – Glaubenslehre fidei doctrina 65, 166. – Glaubensdogma dogma fidei 441. Gleichförmigkeit s. Einförmigkeit Gleichheit similitudo 39, 43. – s. auch Ähnlichkeit gleichzeitig s. Zeit
Sachregister Glück, Seligkeit beatitudo 54, 145 (felicitas), 286, 415 (fortuna). Glückselige, Selige beati 49, 102, 106, 108 ff., 289, 342, 443. Gnade gratia 102, 110, 112 ff., 116, 121, 208, 211, 242, 319, 359, 411. – innere, wirkliche grace interieur, actuelle 242. – Reich der Gnade Regnum Gratiae 57, 446, 460. – von selbst siegreiche G. g. per se victrix 45. – (von selbst) wirksame G. g. (per se) efficax 45, 72, 110, 113. Gnadenwahl electio gratuita 110, 113. Gott deus passim. – G. selbstgenügsam 55. – Unbegreiflichkeit G.s incomprehensibilitas 189, 191. – s. auch Existenz, Freiheit, Mitwirkung, Person, Phänomen, Wahl, Wille, Wissen. Gottesbeweis demonstratio Dei 120, 408. Gottesverteidiger Theodicaeus 217. Grad gradus 21, 106, 117, 191. s. auch Wesensgrad Grenzbegriff, Grenzbestimmung extremum, ggf. terminus, terminativum 253, 256, 258, 358. Grenze; Begrenztes limes, terminatum, definitum 24, 35 f., 44, 202, 291, 297, 420 f., 425, 432, 435 (fines), 436. – Begrenzung terminatio 129,
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138, 141, 227, 297 (Limitation), 436 (limitatio), 454 f. – aneinander grenzend s. »kontiguent« Größe magnitudo 10, 16, 20, 24 f., 36, 38, 153, 163, 263, 337 f. Grund, Vernunftgrund ratio 16 f., 22, 25, 38, 74, 111, 192, 203, 211 f., 227, 232, 254, 256, 266, 269, 281 f., 290 f., 343, 351 f., 356, 411, 420, 425, 451. – bestimmender G. r. determinans 111, 209, 211. – formaler G. r. formalis 254, 423, 426. – metaphysischer G. 25, 136, 140, 203, 305. – zureichender G. ratio sufficiens 226, 287, 291, 331, 425. – s. auch vorherrschender Vernunftgrund Gut bonum 62, 70 (Gesinnung), 116, 120 f., 146, 148, 150, 199, 202 f., 206–209, 211 f., 413 (Vorsatz), 439. – höchstes Gut summum bonum 111, 120 f. – s. auch Handlung, Qualität Güte bonitas 150, 292. G. Gottes 111, 197, *200, 231, 292, 328, 413. Halb- s. unter dem Grundwort Handlung, Aktion actio, actus, operatio 5 f., 9, 12, 22, 26 ff., 35, 43, 46, 57, 68 f., 83, 108, 110, 112 f., 116, f., 120 ff., 140, 153, 186, 284, 288, 235, 249, 316,
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Sachregister
328, 332, 336, 344, 354, 410, 436, 446. – freie H. 186. – gute H. 83, 113, 116, 202. – natürliche H. actiones naturales 12. – reflexive H. s. Akt – übernatürliche H. actiones/ actus supernaturales 12, 113 – s. auch Tätigkeit, Wirkung Handlungsprinzip principium actionis/operationum 140, 328, 332, 344, 354. Handwerker artifex 67, 329. Häresie, häretisch hérésie, haereticum 60, 65, 84, 447. Harmonie harmonia 241, 244, 248 f., 256, 307, 322, 329, 420, 444. – prästabilierte Harmonie harmonia praestabilita (praestituta) 28, 38, 48, 104, 129, 176, 182, 185 ff., 189, 191, 244, 249, 318, 329, 342, 356, 408, 421, 443. Heil salus 32, 84, 110, 182, 198 f., 241 f., 250, 261, 414. – aller Menschen 241 f., 250. – heilbringender Glaube fides salvifica 77. – heilbringende Lehre (Heilslehre) doctrina salutaris / salutifera 147, 285. Heilsdogmen dogmata salutaria 77. Heilstaten merita Christi 68. Herrschaft dominatio s. dominierende Monaden
herstellen constituo 230, 425. – wieder herstellen restituo 226. s. auch Apokatástasis hervorbringen, Hervorbringung, Produktion, produzieren productio, producere 17, 21 f., 31 (condi), 35, 110, 123, 135, 140, 148, 155, 172, 274 (faciendum), 297, 304, 319, 328, 330, 332, 340. – s. auch erzeugen Heterogenität ἑτερογένεια 196. Hierarchie hierarchia 50. Hilfsmittel (der Gnade) auxilia 59 ff., 65, 110, 114, 121, 460. Hindernis impedimentum 5, 17, 22, 27, 41, 43, 129, 173, 178, 196, 235, 249, 343 f., 352, 431 f., 454. Hornung 218. hyperkategorematisch hypercategorematicum 39. hypostatisch hypostaticum 102, 437. Hypothese hypothesis 17, 20, 74, 141, 167, 227, 254, 282, 334, 451. – H. der Leib-Seele-Union 40, 53, 104. – der Monaden (Phänomene) 254, 257, 259 f., 269, 280, 286, 288 f., 291, 309, 421 f., 425. – der realen zusammengesetzten (Körper-)Substanzen 288 f., 310, 318, 351, 422. – hypothetisch vs. absolut 286, 322. Ichnographie ichnographia 233. Idee idea 148, 350, 456
Sachregister Ideales ideale vs. Aktuales 142. ideale Abhängigkeit zwischen Monaden 233. – s. auch Ganzes, Raum, Ursache. Identität, Identifikation, dasselbe identitas, identificatum, idem 15, 17 f., 21, 26, 31, 76, 90, 101 f., 127, 136 ff., 141 f., 144, 152 f., 157, 159, 167 (Anzahl), 172, 196, 224, 228, 235, 247, 257 f., 263, 265, 272 f., 274, 280 f., 282 ff., 286, 290, 320, 343, 357, 407 f., 418, 426 f., 433 ff., 439, 451, 456 f. Illusion, illusorisch illusio, illusorium 334. imaginär s. Raum imaginäre Wurzeln (Algebra) radices imaginariae 25. Imagination imaginatio 227, 344, 350. Immaterialität immaterialitas 54, 157, 282. Impetus s. Antrieb Index (Bücherzensur) index 37, 58, 167. Indifferenz indifferentia 111, 275, 343 (der Zeit), 413 f. Individualität, individuell individualitas, individuum 54, 258, 280 f., 435. Individuum individuum 34, 430, 436. Individuation individuatio 51, 280. – s. auch Akzidens, Phänomen, Spezies, Substanz infinitesimal infinitesimum, infinitesimale 25, 88.
699
– Infinitesimalrechnung calculus infinitesimalis 88. infinitupel infinituplum 25. Inflation (Aufplusterung) inflatio 91, 94, 196, 406. Information s. informierende Form Ingredientien (Bestandteile) ingredientia *111, 228, 240, 253, 353, 355, 357, 419 ff. Inhärenz inhaerentia 48 f., 264, 277, 427, 429, 442 f., 452. Inkarnation incarnatio 207, 247, 269, 272. In-Sein, inesse s. Darinsein Intellekt, intellektiv s. Verstand Intelligenzen intelligentiae 49, 51, 53, 56, 168, 199, *352, 443, 445. – einfache Intelligenz 199. – intelligente Monaden monades intelligentes 234. – s. auch Engel Intention, virtuelle intentio virtualis 116 f., 120 f. – aktuale I. 121. irrational, vernunftlos irrationalis 41. – Monaden 234. – s. auch Seele Irrtum error 25, 60, 65 f., 71, 75, 117, 131, 148, *219, 308, 313, 319, 328. Jurisprudenz jurisprudentia 349. Kapazität; Fähigkeit, Fassungskraft, Tauglichkeit capacitas, capax 431; 54, 57, 67, 109, 227,
700
Sachregister
259, 265, 278, 282 ff., 321, 410, 435, 446 (facultas), 469 f. kategorematisch categorematicum 39, 283. Kategorie s. Prädikament – kategorial s. Akizdens – kategorisch s. Syllogismus Katholiken, katholisch Catholici, catholicum 66, 70, 118, 135, 165, 181, 205, 255, 259, 442. kindliche Materie m. infantilis/ infantis 49 f., 444. Kirche ecclesia 6, 8, 29, 60 f., 65– 69, 71, 76 ff., 84, 102, 111, 131, 135, 165 f., 171, 175, 177, 180, 184, 198 f., 202, 241, 245, 251, 259, 272, 414 f., 447. – Gallikanische 347. – Römische s. auch Namenregister Koexistierendes coëxistens 141, 233, 252, 287, 343, 351, 358, 456 f. Kohärenz der leibnizschen Ansichten 115, 250, 326. Kohäsion cohaesio 192. Kollektiv s. Ansammlung; s. auch Ganzes Komperzeption comperceptio 287. Komplex complexum, ggf. praegnans 259, 272, 283, 285 ff., 427. Kompositum s. Zusammengesetztes – abhängiges K. (gramm.) compositum obliquum 283. Kompossibles compossibilia 406. Kongruenz congruentia 44, 141, 189 (übereinstimmen), 229.
Konkretes concretum 234, 250, 263 f., 274, 284. – s. auch Substanz Konnaturalität, konnatural connaturalitas, connaturale 248, 259, 281 f., 297, 301. konnotional/konnotierend connotionalis /connotans 284, 287. konspirieren conspirare 192, 196, 252. Konsubstantiation consubstantiatio 159. Kontiguität, »kontiguent« contiguum, contigu 221 f., 234. Kontingenz, Kontingentes contingens, contingentia 85, 106, 199, 209, 352, 406, 427, 430, 433. Kontinuität continuitas, continuité 128 f., 138, 221 f., 229 f., 251, 353, 454. – s. auch Quantität Kontinuum continuum 11, 16, 18, 72, 88, 141 f., *168, 230, 239 (Träume), 247, 253, 260, 282, 291, *351, 353, 358, 406, 418, *432, 451, 455. – kontinuierlicher Zusammenhang continuatio *68, 78, 90, 138, 221, 457. – mathematisches vs. physisches K. 291, 425. – physisches 291, 425. Konzil Concilium 32, 47, 61, 65, 72, 92, 95, 114, 118, 339 f., 347, 441 f., 446 f. s. auch Namenregister
Sachregister Körper corpus passim 3–57, 93– 104, 124–196, 220–459. – ursprüngliche Körperformen formes corporelles primitives 449. – mathematischer K. c. mathematicum 246, 250, 253, 256, 276, 418 – menschlicher c. humanum 25, 31, 51, 102, 158, 168, 186, 222, 288, 297, 410, 419, 421, 430, 445 f. – gemischt zusammengesetzte K. corpora mixta 35. – organischer (organisierter) Körper c. organicum (organizatum, corps organizé) 28, 53, 56 f., 124 f., 127, 129 f., 136 f., 140, 142, 155, 158, 167, 222, 234, 262, 265, 271, 300, 307, 322, 327, 334, 418, 440, 446 ff. – unorganische Körper corpora inorganica 222. – s. auch Christus (Namenregister), Phänomen, Substanz, Wechsel. Korpuskel corpusculum 102, 438 f. Kraft vis, virtus 12, 17, 37, 42, 52, 94 f., 106, 135, 145, 196, 226, 257, 284, 328, 336 ff., 430, 441, 445, 459. – abgeleitete/derivative Kräfte vires derivatae 26, 28, 152 f., 159, 168, 353, 407, 436. – aktive K. vis/virtus activa 6, 8 f., 68, 159, 235, 277, 282, 343, 354, 356, 424.
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– elastische s. Elastisches – drängende vis nitens 12, 17. – K. zum Handeln virtus agendi/ actionis, vis operandi 41, 43, 132, 313, 328. – magnetische 320, 324 f., 348. – passive vis passiva 159, 235, 354, 407, 417. – ursprüngliche vis primitiva 28, 132, 152 f., 159, 168, 235, 353 f., 356, 407. Kreatur s. Geschöpf Kreis circulus 9, 26, 38, 174, 178, 255, 431, 452. Kugel globus, globe, boule 27, 196, 222, 227, 325, 348, 436. – Kugelartigkeit globositas 436. Kunst ars 111 (artificium),*249, 329, 332. – Neue K. ars nova 166, 172. – Symbolkunst ars symbolica 111, 114. – künstlich artificialis 234, 337. – s. auch Handwerker Labyrinth labyrinthus 142, 406. Lage, Position situs, positio; situation 36, 78, 90 f., 93 f., 126, 128 f., 138, 230, 233, 243, 247, 287, 317, 320 f., 323 ff., 343, 345, 348, 454, 456. – natürliche 317, 323 f., 348 Laster vitium 43, 62. Leben, lebendig vita, vivum 27, 144, 146 f., *158, 234, 286, 300 f., 307, 358, 433, 437. – ewiges vita aeterna 112, *411.
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Sachregister
Lebewesen animal, ζῶον 15, 23–27, 33, 43, 49, 51, 58, 125, 127, 158, 173, 178, 222, 235, 300, 305, 336, 352, 356 f., 410 f., 433 f., 443, 457. – Quasi-Lebewesen quasi animal 33. Leistung munus 55, 445. li Li 144 f., 148. Liebe, Nächstenliebe caritas (amor) 68, 88, 109 f., 148 (amor), 197 ff., 202, 414. – L. zu Gott amour de Dieu 84. – vollkommene (Nächsten)liebe caritas perfecta 88, 197 ff. Limitation s. Begrenzung Linie linea 16, 24, 78, 88, 125, 196, 228, 230, 407 f., 417 f., 430, 454, 549. Logik logica 165, 177, 248, 292. Luft aër 94 f., 145, 192. – ursprüngliche (*qi) aër primitivus 144, 148. Luftwiderstand aëris resistentia 94. Magnet, Magnetismus magnes; aimant 232, 316 ff., 320 f., 323 ff., 335, 348. Mannigfaltigkeit, Varietät varietas 13, 21, 43, 106, 224. – M. der Entelechien 153, 201, 227. – formale vs. materiale 224. – M. Gottes 224, *435 f. – M. der Materie 224, 227. – M. der Phänomene 10, 153.
Maschine machina 33, 140, 294, 311. – M. der Natur 22, 25 ff., 33, 41, 43, 140, 234, 337, 358. – organische M. 22, 358. Masse massa, ggf. moles 56, 68, 74, 124–127, 129 f., 137 f., 141 f., 152 f., 155, 159, 181, 196, 202, 242, 407, 418 f., 428. – organische Masse massa organica 201 – unorganische Masse massa non organica 124. Materie materia 9 f., 12 f., 15–27, 35 f., 38, 42, 44, 49 ff., 53–57, 68 f., 74, 102, 106, 123, 125 f.f., 129, 136 ff., 141, 144, 147 f., 153 f., 181, 187, 191 f., 201 f., 221, 224–230, 249, 253, 260, 305, 310, 340, 343 f., 351, 354, 407, 410, 417, 434, 436, 440 f., 444 f., 449–452, 454–458. – eigene m. propria 56, 123, 125, 127, 129, 136 f., 181, 448. – erste Materie materia prima 26, 53, 56 f., 123 ff., 129 f., 136 f., 144, 228, 260, 267, 307, 336, 351, 358, 448, 454–457. – konstruierte m. constructa 27. – magnetische 320, 324 f., 348. – nichtsinnliche m. insensibilis 8. – organische m. organica 201. – unausgedehnte m. inextensa 452. – unendliche m. infinita 125. – ursprüngliche m. primitiva 53, 153, 448. – Werkmaterie m. operis 329 f.
Sachregister – zweite Materie materia secunda 24 ff., 53, 55 ff., 127, 153, 446. – s. auch Teilbarkeit, Unteilbarkeit Mathematik, Mathematisches mathematica 5, 25, 38, 67, 72, 74, 78, 88, 120, 161 ff., 166, 170, 180, 211, 219, 224, 232, 250, 256, 262, 270 f., 282, 291, 302, 407, 418, 454 f. – s. auch Kontinuum, Körper, Punkt, Seiendes, Un-/Teilbarkeit Matrix matrix 181. Mechanismus mechanismus 176, 186, 330, 332, 337 f., *353. – s. auch Gesetz, Notwendigkeit, Organ Mehrfachpräsenz multipraesentia 172 f., 178, 181–185, 187. Menge s. Vielheit Mensch homo 15, 17, 22, 28, 31, 51, 54, 58, 62, 65, 67 f., 70, 77, 84, 100, 109, 112, 140 (vs. Maschine), 141, 154 f., 157 f., 166, 186, 197, 206, 211, 220, 234 f., 241 f., 250, 268, 272, 283–286 (als Terminus), 297 f., 310, 314, 328, 331, 337, 357 f., 411 f., 424, 430, 436–439, 450. – erster M. 34. – s. auch Körper, Natur, Seele; Autorität, Form, Monade Menschheit, Menschenartigkeit humanitas 51, 122, 158, 162, 234 f., 285, 322, 415. Metaphysik, Metaphysisches metaphysica, metaphysicum 76, 88, 101, 105, 52, 159, 173,
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207, 301, 327, 352, 429, 449, 451, 458 f. – aristotelische M. 6, 11. – s. auch Akt, Atom, Einheit, Grund, Notwendigkeit, Perzeption, Teilbarkeit, Union, Unteilbares, Wirklichkeit Mission missio 143 f., 150. 174 f., 180, 183, 193, 209, 231, 237, 245, 292, 308. Mitwirkung concursus 502. – Gottes concursus divinus/Dei 5 f., 8 f. Modifikation modificatio 18, 26, 28, 129, 138, 141, 168, 221 f., 225, 227, 233, 235, 254, 256, 263 f., 269, 271, 274, 276 ff., 284, 290 f., 297 f., 307, 316, 321 f., 328, 330, 332 f., 337, 343 ff., 352 ff., 356, 358, 418, 425, 427, 430, 436, 454. Modus, modal modus, modale 14, 37, 68 f., 78, 93, 137, 141, 152, 225, 256 f., 264, 273 ff., 277, 298 f., 332, 343, 351, 354, 414, 418, 422 f., 428, 452, 456. – substantieller modus substantialis 246, 248, 280, 351, 423. Möglichkeit, möglich possibilitas, possibile / potentia, potentiale 11, 34, 39, 48, 52, *55, 62, 67, 76, 83, 100, 141, 159, 167, 199 f., 202, 206, 239, 249, 267, 269, 279, 283 (Termini), 287, 291, 301, 327 ff., 331, 352, 406, *408, 425, 434 (Seiendes als Mögliches). – nahe Möglichkeiten propinquae possibilitates 431.
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Sachregister
– M. des substantiellen Bandes 322, 327. – s. auch Reihe, Welt Monade monas 18 f., 21, 25 f., 33, 38, 74, 125, 129 f., 136 ff., 140 ff., 152–155, 159, 172, 178, 181, 228–234, 239 f., 243 f., 246–249, 252 ff., 256–267, 269, 271–282, 286, 288–291, 297–301, 303, 305, 307, 310, 318, 321 f., 326 f., 329–332, 334–337, 344 f., 351–358, 408, 416–425, 428, 448, 458. – dominierende, beherrschende Monade monas dominans/ praedominans 253 f., 262, 272– 275, 297 f., 300, 303, 305, 307, 322, 327, 336, 356, 418, 420 f. – erschaffene monas creata 29 f., 137, 155, 259, 318, 322, 417. – menschliche m. humana 298. – Monade als Subjekt 263, 281, 432. – unerschaffene m. increata 417. – Unterschied zwischen M. 286. – ursprüngliche (vs. abgeleitete) monas primitiva (derivativa) 416. Monotheletismus 437. Monster monstrum 57, 189, 247. Moral, moralisch morale 83, 282, 414. – moralisch gewiss, m. Gewissheit moraliter certum, certitudo moralis 140, 414. – m.Notwendigkeit (vs. mathematische und metaphysische) s. Notwendigkeit
– m. Prädetermination 199, 206. – moralische Union Schöpfer/ Geschöpf unio moralis 207, 209. Musik, Musiker musica, musicus 145, 426 ff. Nächstenliebe s. Liebe Natur natura passim 11–55, 91– 94, 124–211, 234–303, 321–358, 420–425, 442–456. – Naturen in Christus 234. – menschliche N. 141, 155, 272, 436 f. – Reich der Natur regnum naturae 57, 446. – Unbegreiflichkeit der N. incomprehensibilitas 191. – unberührte N. n. integra 31, 41. – s. auch Gesetz, Maschine, Ordnung; Abhängigkeit, Handlung, Religion, Theologie. Naturphilosophie s. Philosophie Navigation navigationes 232. Neigung inclinatio 111, 202, 206, 209, 211 f., 413. – magnetische N. 325. Neues (neu Entstehendes) novum 18, 21, 27, 42, 48, 88, 102, 124, 127, 130, 135, 140 f., 153, 155, 157 ff., 166, 172, 201, 234, 256– 259, 263 ff., 273 f., 276, 278, 300, 336, 343, 345, 417, 422 f., 428, 431, 434, 437, 441, 443, 457. Nichtexistierendes non existens 352.
Sachregister Nichtkomplexe incomplexa 283, 285 ff. Nichts nihil 143, 148, 212, 322, 450. Notwendigkeit necessitas 5, 9, 12, 17, 44, 56, 62, 67, 76, 83, 100, 106, 111, 113, 115, 140, 202, 206, 289, 291, 311, 322 f., 352, 410 f., 413, 425, 433, 435, 445 et passim. – metaphysische (absolute) n. metaphysica 202 f., 229, 240, 252, 260, 288, 419. – mechanische 186. – moralische n. moralis 199 f., 202 f., 205 f., 209, 211, 251 f., 260, 311, 314, 413. – physische n. physica 229, 252, 260, 420. Objekt objectum 38, 41, 43, 111, 115, 199, 207, 233, 241, 249 f., 257 f. – unmittelbares Bewegungsobjekt 257 f. Objektives objectivum 46, 199, 407. Operation operatio 129, 132, 354. Ordnung ordo 14, 16, 27, 56, 130, 141, 233, 243, 247, 249, 252, 259, 265, 271 f., 274, 287, 301, 332, 343 f., 350–353, 358, 406, 443, 445, 447. – O. der Beschlüsse ordo decretorum 110, 113. – O. der Dinge ordo rerum 16, 49, 56, 226, 267, 343, 352, 445.
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– O. der Koexistenz und Abfolge s. Raum, Zeit – reale O. 14. reale vs. phänomenale O. 243. – O. der Natur ordo naturae/ naturalis 49, 176, 420, 423, 443. – s. auch Welt Organ organum 27, 102, 235. – mechanische Organe 449. Organisation organizatio 27. Organisches organicum 159, 334. – s. bes. Körper; zudem Maschine, Masse, Materie, Samen. Organismus organismus 158, 449. Ort; örtlich, lokalisiert locus, locale 13, 56, 92, 129, 131, 141, 228, 232, 253, 256, 329, 354, 422, 444 f. – absoluter Ort locus absolutus 253. – s. auch Bewegung Örtlichkeit localitas 230. Paradox paradoxum 85 f., 90, 101 f., 105 f., 118, 154, 157, *218, 239, 309. Paradoxologe paradoxologus 85. Passives passivum 343, 358, 407. – reine Passivität pure passivum 343. – s. auch Potenz, Kraft, auch Ding, Prinzip, Qualität, Subjekt Pendel pendulum 91 f., 94 f., 432. Perichorese περιχώρησιϚ 191. Person persona 58, 65, 70, 168, 173, 272, 418, 444, 446. – göttliche Personen *428 f. – moralische P. p. moralis 411.
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Sachregister
– unerschaffene Personalität personalitas increata 437. – s. auch persönliche Vereinigung, personale Verschiedenheit Perzeption perceptio 17, 31, 33 ff., 37 f., 41, 43, 46, 132, 227, 239, 241, 249, 252, 256 ff., 266 f., 274, 279–282, 287, 290, 298, 300, 318, 322, 337, 353 f., 359 f., 410 f., 422–425. – eigene P. p. propria 239 et passim. – Fremdperzeption p. aliena 266, 281 f. – Komperzeption s. dort – Übereinstimmung consensus metaphysico-mathematicus perceptionum 407. – P. vs. Objekt der P. 241, 249. – verworrene P. perceptio confusa 17, 34, 46, 267. Pferd equus, compositum equinum 246 f., 253, 256, 263, 273 ff., 297, 421 f. Phänomen phaenomenon, Erscheinung apparitio, apparentia 10, 18, 38, 87, 104, 129, 228–231, 233, 239 ff., 243, 249 f., 252 ff., 256–260, 265 ff., 271 f., 276 f., 276 ff., 287 ff., 299 ff., 307, 310, 318, 322, 329, 334, 337, 344, 353 f., 356, 359 f., 407 f., 416–421, 425, 429. – Ph.e Gottes 233. – Individualität der Ph. 258. – innere phaenomena interna 420 f. – Körper als Ph. 233, 239 f., 243,
253 f., 257, 260, 269, 280, 288, 300 f. – reales/realisiertes 130, 229, 233, 240, 253, 256, 267, 289 f., 297, 304 f., 316, 318, 321, 326, 344, 351, 353, 355 ff., 359, 419, 425. – resultierendes ph. resultans 125, 289, 359, 422. – wahre phaenomena vera 334, 359. – wohl fundierte phaenomena bene fundata 26, 229, 287, 407. – s. auch Kompositum, Ordnung, Übereinstimmung Philosophie 3–8, 11, 30, 44, 57, 59, 63, 67 f., 73, 86, 88 f., 99, 106, 119, 131, 134, 146, 148, 151, 155, 159, 184, 251, 256 (Naturphilosophie), 269, 271, 280, 298, 246, 357, 405, 409, 436. Philosophiegeschichte 184, 405. Physik physica 25, 87, 94, 136, 214, 250. Position positio s. Lage Post s. erstes Register Potenz potentia, ggf. δυναμικόν 5, 12, 17, 22, 27, 148, 154, 167, 200, 246, 337, 431 (Einteilung), 432, 434, 436. – absolute p. absoluta 57, 72. – aktive p. activa 18, 26 f., 39, 125, 267, 307, 336 ff., 344, 351. – passive p. passiva (primitiva)/ δυναμικόν παθητικόν 18, 22, 26, 39, 56, 124 f., 129 f., 137, 140, 228, 267, 282, 307, 336 ff., 344 f., 351, 432. – reine P. vs. Strebung 12.
Sachregister – ursprüngliche P.n p.ae primitivae 18, 26, 125, 130, 307, 336, 344, 351, 432. – s. auch Teil, Unendliches, Unteilbares Prädestination praedestinatio, praedestinare 241 f., 411. Prädetermination praedeterminatio 72, 92, 114, 186, 199 f., 202, 206, 316, 318, 329. Prädikabilie (Prädizierbares) praedicabilia 333, *434 f. Prädikament (Kategorie) praedicamentum 131, 235, 246. – s. auch Akzidens, Relation Prädikat praedicatum 263, 284, 354, 407, 426, 429 f., 435 f. produzieren, Produktion s. hervorbringen, erzeugen promotio s. Vorausbewegung Präexistenz praeexistentia 130, 137, 157, 172, 177, 429, 455. Präsenz s. Gegenwart prästabiliert praestabilitum 158, 212. – s. auch Harmonie Prinzip principium 4, 6, 8, 11, 16, f., 19, 26, 53, 70, 123, 138, 144, 165 f., 181 f., 191, 207, 215, 219 f., 227, 240, 243 f., 274, 297, 300, 305, 315 f., 329, 331 f., 413, 448, 451, 460 et passim. – P. des Antriebs principium impetus 336. – aktives 4, 129, 227, 267. – cartesische P.n s. Descartes (Namenregister) – erstes primum p. 144, 148.
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– inneres p. intrinsecum 12. – passives 4. – P. des nicht-sprunghaften Übergangs p. Transitus non saltantis 226. – P. des Widerstands p. resistentiae 26, 267, 336, 345. – P. des zureichenden Grundes principium rationis sufficientis 226, 291, 331, 425. – s. auch Einheit, Handlungsprinzip Proposition propositio 78, 249, 260, 280, 285 ff. Protestanten Protestantes 6, 31, 68, 70, 109, 139 f., 166, 168. Punkt punctum 16, 26 f., 78, 92, 125, 127–131, 136, 138, 228 ff., 240, 247, 249, 253, 287, 351, 353, 358, 417 f., 430, 452–455, 459. – akzidentelle P. puncta accidentalia 230, 240. – aufgeblasene Punkte puncta inflata 91, 94. – mathematische P. 72, 90 f., 93 f., 138. – Mittelpunkt, Zentrum centrum 26, 196, 428, 452, 455. – physische P. puncta physica 92. – wirkliche Punkte 72. *qi (yuan qi) s. ursprüngliche Luft Qualität qualitas 110, 145, 152, 229 f., 235, 286, 330, 338, 354, 407, *408, 427. – abgeleitete qu. derivativa 157. – aktive / passive 338.
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Sachregister
– gute 110. – innere qu. intrinseca 434. – unaussprechbare Qu.n qualitates ἄρρητοι 7, 332. – ursprüngliche qu. primitivae 7 f. Quantität quantitas 35, 37, 39, 68, 91, 131 (Prädikament), 138, 159, 246 f., 250, 354, 356, 408, 454 f., 457. – absolute 250. – akzidentelle 247. – Qu. der Bewegung 35, 37. – dimensionale qu. dimensiva 246, 250. – diskrete qu. discreta 408. – ideale qu. idealis 408. – kontinuierliche Quantität quantitas continua 138, 354, 408. Raum spatium 74, 91 f., 141 f., 155, 196, 222, 233, 252 f., 259, 286 f., 343 f., 350, 406, 418 f., 447. – absoluter Raum etwas Imaginäres imaginarium 350. – Raum etwas Ideales ideale 74, 142, 155. – R. als Ordnung (Def.) 141, *233, 253, 259, 343, 406. – realer Raum spatium reale 419. Reales reale 228, 283 f. 307, 328, 333, 350, 353, 407, 419 et passim. – s. u.a. auch Akzidens, Band, Einheit, Ganzes, Gegenwart, Ordnung, Phänomen, Raum, Relation, Universalien
Realisation, Realisierendes realizatio, realizans 229, 240, 253, 256, 266 f., 275–278, 289 f., 297, 304 f., 310, 318, 321, 328, 344, 351 f., 355 ff., 359, 424 f., 427. – Realisation als Akzidens oder Substanz 277. – Realisierung von Komposita 351. – von Körpern 328. – von Wahrheiten durch göttlichen Verstand 427. – s. reales Phänomen Realität realitas 148, 228 ff., 233, 239, 244, 249 f., 307, 310, 317, 326, 357, 407, 418 f., 427. – akzidentelle R.n realitates accidentales 407. – R. der Bewegung 244, 249. – einheitliche (vereinigende) R. r. unionalis 228 ff., 239 f. – R. der Körper *228, 233, 280, 310, 317. – R. der Relationen 233, 427. – R. des Zusammengesetzten 327, 418. – s. auch Union Recht jus 62, 66, 118, 217, 350. Rechteck rectangulum 433. Rechtfertigung justificatio 113, 197 f. Rechtsfrage quaestio juris 311. Rechtsprechung (Kirche) jurisdictio 84. reflexiv reflexivum – Akt, Handlung actus reflexivus 38, 57. – Relationen 429.
Sachregister Regenbogen iris 26, 159, 229, 286, 334, 353, 417. Reich s. Gnade, Natur Reihe series 34, 111, 115, 135, 209, 212, 249, 434. – best(mögliche) R. (der Dinge) 34, 115, 212, 434. – unendliche R. kein Ganzes 115, 212. Reisende (noch nicht Selige) viatores 102, 106, 108. Relation, Beziehung, Bezug relatio; respectus 14, 23, 55 f., 168, 203, 233 ff., 263 – (logisch-ontologisch:) 14, 23, 55, 203, 233 ff., 284, 305, 307, 336, 427–430, 436. – R. Geist–Körper 56, 168, 444– 447. – R. der Monaden 233, 263, 274, 300, 353 f., 356. – prädikamentale R. rel. praedicamentalis 430 – reale vs. vollkommenere B. 234. – reflexive r. reflexivae 429. – R. der Sprache nach secundum dici 14. – R. unerschaffbar rel. non res creabilis 429. Relatives relativum 14, 430. Religion religio 30, 45, 106 f., 112, 143, 146 ff., 150 ff., 165, 180, 406, 451. – natürliche R. 406. Replikation replicatio 172 f., 185, 187, 190, 201, 233, 259, 300, 319, 352, 411, 420 f., 423.
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Repräsentation repraesentatio 27, 38, 77, 88, 187, 201, 233, *257, 259, 300, 319, 352, 411, 420 f., 423. – vollkommene R. 419 f. respektiv respectivum, respectu 94, 235, 427, 436. Resultat resultatum 12, 26, 56, 130, 172, 200, 229, 234, 284, 321, 324, 344, 359, 427 ff. – s. auch Phänomen. Reue (Zerknirschung) contritio 118, 197. Riten ritus 126, 131, 134, 139, 146, 150, 169, 180, 194, 238. Ruhe, Stillstand quies 36, 91, 94, 145, 183, 220, 287, 336 f. Sakrament sacramentum 102, 197 f. Samen semina 141, 154 f., 157 f., 166 f., 172, 212. – organische Samen s. organica 158. Samen-Seelchen animacula seminalia 158. Satire satyra 68, 139. Scholastik, Scholastiker Scholastice, Scholastici 12, 17, 76, 85, 88 ff., 93, 115, 154, 184 f., 213, 281, 330, 332 f., 344, 351, 356 f., 427, 429, 438, 444, 454. Schöpfung, Erschaffung creatio 43, 55 f., 113 (condo), 123, 130, 140, 143, 148, 157, 166, 252, 259 f., 273, 422, 432, 435 (condo), 441, 445 et passim. – Fortsetzung der E. continuatio creandi 56, 445.
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Sachregister
– vollkommenste Sch. creatura perfectissima 113, 212, 413. – s. auch Geschöpf, Neues; Geist, Monade, Person, Seiendes, Welt Schuld culpa 106, 112, 116 f., 120 f., 198 f., 211, 413. Schule(n) schola 5–8, 26, 34, 45, 47, 51, 76, 78, 83 f., 90, 106, 120, 152, 157 f., 165, 226, 252, 263, 328, 332 f., 345, 357, 405, 442, 448. Schwingung vibratio 94 f., 432. – Halbschwingung semivibratio 91, 94. Seele anima (allgemein:) 6, 10, 14, 17 f., 22, 26 ff., 31, 35, 38, 49, 53, 57, 104, 124, 127, 129–132, 136 f., 140 f., 144, 147 f., 150, 153, 157 ff., 166 ff., 172, 176 ff., 181, 187, 208, 228 ff., 234 f., 241, 244, 246, 249, 253 f., 256, 258, 266, 268, 272, 298, 300, 336, 352 f., 407 f., 418–412, 423, 430 f., 436, 438, 443, 448, 457, 459. – Beseeltes animatum 159. – irrationale, vernunftlose S. anima irrationalis 130, 137, 153, 157, 234, 246. – menschliche S. a. humana/ hominis 51, 57, 123, 136 f., 153 ff., 167 f., 172, 177 f., 181, 340, 430, 446, 448. – rationale, vernünftige S. anima (ggf. animus) rationalis 13, 35, 40, 46, 51, 54, 130, 136 f., 153 f., 157, 182, 234, 411, 458. – sensitive S. anima sensitiva 141, 157 f., 166, 172, 177, 410, 431.
– Seelenteile partes animae 154, 167, 172, 178, 181. – spirituelle S. a. spritualis 28. – Tierseele a. brutorum 7, 21, 38, 57 f., 125, 127, 135 ff., 140, 155, 246, 288 f., 410, 419, 421, 457. – vegetative S. anima vegetativa/ vegetalis 154, 156, 167, 172, 178. – s. auch Samen-Seelchen, Weltseele Seelenwanderung Metempsychose 53. Seiendes ens 11, 16, 20 f., 23 f., 26, 51, 142, 150, 172, 178, 181, 224 f., 235, 240, 246 f., 256 f., 264, 267, 276 ff., 282–286, 285 (Einteilung), 290, 297, 334, 337, 352, 354, 416 f., 423 ff., 427 ff., 431, 434 f. (Def.), 437, 451, 456–459. – S. a se, von sich her ens a se 356. – absolutes S. 277, 290, 297, 423, 427, 456. – S. durch Aggregation per aggregationem 23 f., 26, 142, 172, 178, 181, 267, 459. – Halbseiendes semiens 334, 337. – mathematisches S. 20 f. – mittleres S. ens medium 257, 264, 278. – unerschaffenes S. ens increatum 224. – vollständiges S. ens completum 277, 336, 458. – s. auch Vernunftseiendes Seinsmodus modus essendi 272.
Sachregister Selbstbestimmung determinatio sui, se determinare 200, 206, 438. – S. ohne Ursache 203, 206 f. Selbstbewusstsein, selbstbewusst conscientia sui, conscium sui 57 f., 66, 410. Selige beati s. Glückselige Sinn passim. – offenkundiger sensus obvius 60, 76, 100. Sinne sensus 35, 152, 218, 352, 354. – Sinnesempfindung sensio 38. – Sinnlichkeit, sinnlich sensibilitas, sensibilis 157, 444. Skenographie scenographia 233. Skeptizismus Scepticismus 165 f., 172. Spekulationen 94. Spezies s. Erscheinungsbild Spiritualität spiritualitas 54, 441 f., 446. Spontanes spontaneum 22, 172, 178, 317, 438, 443. Spott irrisio, sal 62, 67, 75, 86. Sprössling tradux 131, 137, 141, 181. Sprung in der Natur saltus in natura 92. Stillstand s. Ruhe – kleine Stillstände morulae 92. Strafe poena 58, 61 f., 66, 75, 84, 117, 147, 207 f., 411. Strebung conatus 5 f., 9, 12, 17, 27, 316, 431 f. ursprüngliche S.en c. primitivi 316. Subjekt subjectum 23, 35, 157,
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159, 161, 172, 228, 235, 259, 263 f., 266, 274, 277, 280 ff., 289 f., 299, 301, 305, 307, 333, 354, 358, 423, 429 ff., 436, 452, 454 ff. – erstes / letztes S. s. primum / ultimum 263, 427, 455. – im S. sein subjecto inesse 263 f., 274, 277, 281, 289, 301, 333 (Akzidens), 429. – konnaturales S. 259, 282. – dasselbe nicht in mehreren Subjekten 263 f., 274, 299, 307, 354. – passives S. 277, 452. – S. vs. Prädikat 263, 430. – S. von Relationen 354, *430. – substantielles S. 172, 263, 307, 427, 455. Subjektivierung subjectatio 427. Subsistenz, subsistieren subsistentia, subsistere *24, 37, 53, 140, 158, 280, 307, 436 f. – unterschiedliche Weise der S. 437. Substantiat substantiatum 172, 178, 234 f., 263, 265 f., 268, 271, 278 f., 352, 354, 358, 424. Substanz substantia passim. – drängende S. s. nitens 168. – einfache S. substantia simplex 18, 78, 90, 132, 228, 234, 263 ff., 268, 278, 297, 334, 336, 352, 357, 416 f., 448, 459. – erschaffene S. s. creata 44, 51, 57. – Halbsubstanz semisubstantia 334, 337.
712
Sachregister
– individuelle S. s. individua 14, 258. – konkrete S. s. concreta 15, 234, 263, 284. – körperliche S. s. corporea 18, 21 f., 168, 223 f., 228 ff., *246, 247, 252 f., 259, 264, 288 ff., 296 f., 299 ff., 316, 321, 331, 336, 353, 357, 359, 407, 418–422, 434, 458 f. – materielle S. 247. – spirituelle S. s. spiritualis 28. – Teilsubstanzen substantiae partiales 353. – unerschaffene S. s. increata 234. – unkörperliche S. s. incorporea 147, 444. – unvollständige S. s. incompleta 51, 57, 247. – vollständige (ganze) S. s. completa (tota) 26, 56, 125, 240, 243, 247 f., 256, 272, 276, 278, 297 f., 418 – zusammengesetzte S. s. composita 234, 243, 263, 266 ff., 272, 274–280, 288 ff., 297 f., 301 (vs. Aggregat), 307, 327, 332 ff., 336 f., 344 f., 351–359, 416 ff., 420–425, 459. Substrat substratum 240. Sünde peccatum 31, 34, 84, 110, 166, 197 f., 205 f., 208 f., 211, 240, 413. – Ursünde peccatum originale, p. originis 31, 33, 40 f., 43, 241. Suppositalität suppositalitas 418.
Suppositum suppositum 243, 418, 438, 444, 446. – s. auch Zugrundeliegendes Syllogismen, hypothetische vs. kategorische syllogismi hypothetici /categorici 286. Symbol, symbolisch symbolum, symbolicum 114, 279. – Symbolkunst s. Kunst – symbolische Repräsentation, Vergegenwärtigung symbolice repraesentare 257, 259. synchron coaevum 225. – s. auch gleichzeitig Synkategoreme, Synkategorematisches syncategoremata, -icum 21, 39, 283. System systema, système 4, 11 f., 28, 30, 62 f., 67, 72, 78, 83 f., 87, 129, 134, 176, 200, 218, 220, 244, 246, 327, 329, 331, 413, 419, 460. – vollkommenstes 413. tai ji Taikie 144, 148. Tat 62 (factum), 84 (action), 121 (opus), 416 (actus). Tätigkeit actio, operatio 9, 18, 35, 140, 148, 152 f., 241, 324 f., 329 f., 432, 437. Tatsache factum 61, 78 (doktrinale), 84, 286, 323 f. Tatsachenfrage quaestio facti 61, 77, 202, 214, 311, 323. Tauglichkeit s. Kapazität Täuschung deceptio 165, 322, 328. Teil pars 14, 16, 19–28, 38 f., 48, 53, 57, 74, 91, 93 f., 124–129,
Sachregister 138, 141 f., 147, 187, 191, 196, 212, 227, 229 f., 246 ff., 253 f., 256, 272, 275, 277 f., 282, 288, 298 f., 301, 324, 332, 343 f., 351, 353, 356, 410, 417, 419, 421, 425, 429 f., 438, 443, 447, 450 ff., 454, 456 ff. – Teile außerhalb von Teilen partes extra partes 229 f., 343 f. – T. potentiell im Ganzen 253, 272, 410. – substantieller T. 288, 298, 412, 419. – s. auch Ingredientien, Seelenteile Teilbarkeit divisibilitas 11, 23, 72, 91, 94, 454–459. – der Materie 16, 21, 191 f., 221, 450, 455 ff. – mathematische 16, 21, 94, 191, 228, 454 f. – metaphysische 72, 74, 94. – physische 72, 74, 91, 94. Teilung divisio, division 16, 74, 91, 131, 167 (partitio),181, 221 f., 450, 452, 455. – aktuale Teilung 25, 39, 74, *141, 187, 191, 253, 256, *273 Terminus terminus 253, 257, 283 f., 286 f., 358. Textur, Gewebe textura (contextura) 36, 338, 359 f. Theodizee Theodicaea 217 et passim. s. Namenregister Theologie theologia 6, 8, 12, 26, 32, 46, 51, 59 f., 65, 71 f., 75 f., 85, 88, 93, 99, 106, 109, 112 ff., 117 ff., 121, 126, 146, 148, 166 f.,
713
180, 184, 197 f., 213, 218, 270, 279, 289, 314, 346, 405, 409, 412, 426, 429, 436, 442, 447, 454. – natürliche Th. th. naturalis 146, 148, 340, 346. Tian (Himmel) Tien 180, 183, 188. Tier brutum, bellua, ggf. animal 7, 21, 31, 35, 37f., 41, 57 f., 125, 127, 135 f., 140, 145, 153 ff., 157, 222, 246, 254, 256, 262, 285, 300, 337, 410 f., 439, 457. – vollkommene T.e 457. – s. auch tierische Seele Totalität totalitas 429. Trägheit inertia 249, 343. transformieren s. umformen Transsubstantiation transsubstantiatio, μετουσιασμόϚ, μετουσίωσιϚ 159, 172, 228, 230, 250, 254, 257, 259 f., 265 f., 269, 271, 279, 288, 301, 328, 333. Traum somnium 229, 239, 334, 352, 407. Tugend virtus moralis 43, 75, 110, 116, 120, 122, 144, 148, 415. Übereinstimmung consensus – von Ansichten passim (ὁμόψηφον 77.) – metaphysisch-mathematische c. metaphysico-mathematicus 407. – von Monaden 253, 273, 286, 307. – Ü. (Harmonie) der Phänomene c. phaenomenorum 104, 243 f., 248 f., 352 f.
714 – – – –
Sachregister
der Perzeptionen 407, 423. der Perzipienten 359, 407. von Seele–Körper 10, 27 f., 38 innere / äußere Seelenvorgänge 254. – von Träumen 239. – mit Vernunftordnung (der Dinge) 256, 265, 271, 445. – Wissen–Glauben 117. – s. auch Harmonie, Uhr Übernatürliches supernaturale 12, 123, 184, 229 f., 243, 248, 263 f., 269 (vs. Philosophie), 275 f., 289, 304, 322, 358, 420 f., 423. Ubikation (Verallgegenwärtigung) ubicatio 187. – s. auch Gegenwart. Uhr horologium 33, 186. umformen/transformieren transformare 49, 158, 411, 443. Umschaffung transcreatio 130, 136 f., 153, 155, 157 f., 411. Unausgedehntes inextensum, non e. 69, 225, 277, 343, 358, 438, 450, 452, 454, 457 ff. unaussprechbar s. Qualität Unbegrenztes, Unbegrenztheit illimitatum, infinitudo, interminatum, infinitum 256, 291, 305, 408, 458. unbelebt, unbeseelt s. Form Unbestimmtes indeterminatum 74, 435, 456. Unendliches, unendlich infinitum 11, 16 f., 20 ff., 24–28, 36, 38 f., 52, 56, 72, 88, 91, 111, 113, 115, 125, 127–130, 137 f., 141 f., 155,
158, 170, 187, 189 ff., 212, 221, 251, 261, 282, 406, 408, 412, 425, 435 f., 445, 450 f., 453. – aktual U. actu infinitum 11, 16, 19 f., 24, 39, 72, 120, 187, 191, 261, 267. – hyperkategorematisch / synkategorematisch U. 39. – potentiell U. i. potentiale 24. – unteilbar U. i. impartibile 24, 38 f. Unfehlbarkeit infallibilitas 29, 60 f., 65 f., 77 f., 83, 111, 113, 115, 194, 323. Ungetaufte, Nicht-Wiedergeborene non-regenerati; ggf. (Kinder) non baptizati 110, 112 f. uniform s. Einförmigkeit Union, Vereinigung unio 10, 14 f., 18, 21, 35, 38, 51, 102, 129, 137, 159, 168, 172 f., 178, 207, 209, 211, 228, 230, 234, 246 f., 253, 256, 262, 269, 316, 321, 345, 428, 434, 450, 459. – akzidentelle V. u. accidentalis 51, 247, 444, 447. – V. durch Entelechie 51, 53, 129, 228. – U. Geist/Körper 51, 168, 173, 434. – hypostatische Union 102, *234. – metaphysische U. 14, 129, 159, 345. – U. zwischen Monaden 18, 172, 178, 243, 246, 345. – moralische U. unio moralis 207, 209, 211.
Sachregister – U. Seele/Körper 10, 14 f., 35, 38, 51, 129, 256, 445, 459. – persönliche V. (Engel) unio personalis 57. – reale V. unio realis 102, 129, 262, 321, 428. – zusätzlich hinzugefügte r./realisierende V. 172, 228, 243, 246, 253, 256, 321, 458. – substantielle U. unio substantialis 21, 172, 228, 247, 253, 256, 316, 321. – V. des Zusammengesetzten 18, 256, 428, 434, 450. Universalien, Universales universalia, universale 41, 43, 45 f., 56, 147, 286, 360, 410, 433 f., 445. – objektives vs. formales und geistiges U. 46. – reale U. 433. Universum universum 27, 48, 52, 176, 186, 191, 196, 221, 257, 265, 271 f., 282, 350, 407, 420, 422, 435, 443 ff., 447. Unmittelbarkeit, unmittelbar immedietas 5 f., 8, 57, 167, 178, 183, 233, 257 f., 338, 444, 456 f. unorthodox paradoxum 218. Unteilbares, Unteilbarkeit indivisibilitas, indivisibilia (impartibile) 23 f., 38 f., 54, 72, 74, 91, 113, 172, 178, 221, 228, 251, 253, 256, 450, 454–459. – aktual vs. potentiell U. 72. – Unteilbarkeit der Materie 221, 450, 454–459.
715
– mathematisch U. 72, 74, 228, 454 f. – metaphysisch/substantiell U. 72, 74, 94, 228, 253, 256, 450, 454–459. – physisch U. 72, 74, 91, 94. – s. auch Unendliches Untergang interitus s. Vergehen. Unterordnung subordinatio 155, 246, 254, 275, 298, 354. Unterschied, Verschiedenheit distinctio, diversitas; differre 35 ff., 137 f., 152 f., 166, 227, 241, 248 f., 264, 277, 279 f., 298, 356 f., 407 f., 410, 424, 430 f., 445, 447, 452 et passim. – adäquater/inadäquater U. d. adaequata 256, 451. – akzidentelle vs. substantielle V. 274. – bemerkbarer/unmerklicher U. diversitas notabilis, difference non sensible 274, 324. – disparat disparatum 185, 427. – distinkt distinctum 426 (Def.), 434. – formaler vs. materialer 283. – geordneter 247. – U. vs. Identität, Einfachheit 247, 426 f. – innerer vs. komperzeptiver U. intrinsecus differre 287. – numerische V. zwischen Substanzen 51, 55, 445. – modaler 69, 274, 277, 327, 428 – personale vs. formale V. 429.
716
Sachregister
– realer U. 343, *351, 428, 434, 452. real vs. formal Verschiedenes 274 f., 433. – U. zwischen Teilen einer Substanz 247. – unbezeichenbarer U. 351. – falsche Voraussetzung eines U. 350 f. – U. des Wortgebrauchs 76, 100. – s. auch Ausdehnung, Bewegung, Entelechie, Monade Unterschiedlichkeit diversitas 429. unterwerfen (eines Seienden durchs andere) mancipare 437. Unvollkommenheit imperfectio 18, 33, 40 f., 117, 343, 436, 438. Ursache causa 6, 11, 22, 24, 35, 38, 55, 63, 95, 110, 144, 146, 152, 182, 196, 199 f., 203, 206 f., 224, 258, 266, 281 f., 287, 290, 310, 408, 445. – Formalursache c. formalis 224. – Gelegenheitsursache c. occasionalis 40. – freie U. 200. – ideale U. c. idealis 110, 258, 266, 281 f., 290, 425. – Wirkursache c. efficiens 35, 110. – Zweitursachen causae secundae 22, 27. Ursprung origo, (ex)ortus 38, 200, 333. (Spezifisch:) von Bewegung 35. Dingen 143, 148. Formen 355. Monaden 153. Seele 166 f., 177. Substanzen und Modifikationen 297. Wesensgraden 157, 166.
Ursprüngliches primitivum 286; s. auch Attribut, Echo, Entelechie, Körperform, Kraft, Luft, Materie, Monade, Qualitäten, Potenzen, Strebung, Wesensgrade Ursünde s. Sünde Vakuum, Leere vacuum; vuide 40, 44, 69, 74, 95, 196. – s. auch Formenvakuum Variation variatio – Gottes 435 f. – der (Gestalt-)Grenzen limitum variatio /varietas 227, 297, 432. – magnetische 232. vegetativ s. Seele Veränderung mutatio (variatio); ggf. alteratio 12 f., 17, 418, 434, 437 et passim. (Spezifisch:) – des Akzidens 284. – des substantiellen Bandes 289, 301, 304. – der Gestalt 227, *279. – Gottes 35, 37, 279, 435. – des Körpers 35, 48, 53, 318, 321, 443. – der ursprünglichen Kräfte 153. – des Lebewesens 300. – der Neigung 211. – der Materie 25, 56, 192. – der Monaden 130, 172, 263, 273 f., 321, 421 f. – von Objekt vs. Perzeption 257, 354. – der Phänomene 136, 153, 244, 249, 318. – der Seele 228.
Sachregister – der Substanz 21, 228 f., 264 f., 277. – übernatürliche V. 358. – V. des Willens 208. Verbindung conjunctio, Verknüpfung connexio 18, 50 f., 53, 56, 78, 93, 196, 233 f., 243, 265, 271, 285, 324 (liaison), 333, 345, 354, 356, 358, 407, 434, 444–448, 452, 457. Verdammnis, Verdammte damnatio, damnati 106, 110, 197, 206, 208. – ungetaufter Kinder damnatio infantium non baptizatorum 110. Vereinigung, vereinigend (unionale) s. Union Verfolgung persecutio 75. – Verfolgungsgeist esprit de persecution 84. Vergegenwärtigung s. Repräsentation Vergehen, zugrunde gehen corruptio, interire 21, 26, 38, 129, 137, 145, 155, 181, 260, 264 f., 272 f., 290, 297, 300, 305, 351 f., 354 f., 357, 420 ff., 424, 432, 448, 454 f. Verknüpfung s. Verbindung Verlagerung latio, φορά 437. Vermögen facultas, ggf. potestas 9, 39, 141, 153 f., 157, 166, 203, 429, 431. – Handlungsvermögen facultas agendi 316. – ursprüngliche V. (von Wesensgraden) facultates primitivae 157, 166.
717
Vernunft ratio 33, 47, 54, 57, 74, 106, 109, 141, 209, 220, 226, 235, 286, 319, 322, 329, 352, 411 (der Tiere), 424, 427 f., 433, 442, 449 f., *460. – reine V. la pure raison 450. – s. auch rationale Seele Vernunftgrund, vorherrschender/ je stärkerer ratio praevalens 200, 314. Vernünftigkeit rationalitas 136 f., 166, 178, 182, 284 f., 430. vernunftlos s. irrational Vernunftseiendes s. Gedankending Verschiedenheit diversitas, ggf. distinctio s. Unterschied Verstand, Intellekt intellectus 54, 154, 207, 220, 227, 234, 359, 410, 417, 424 (Verständnis), 427–430, 450. – intellektiv (Monade) intellectiva 417. Verwandlung, (Um)wandlung mutatio 102, 181 (conversio), 221 (changement), 230, 264, 276, 279, 310, 435 f. verwirklichen actuo s. auch aktual – nicht-verwirklicht non actuatum 434. – tätiges V. (von Monaden) actuare 256. Vielheit, Vielzahl multitudo 20 f., 23 f., 33 f., 41, 43, 45, 113, 124 f., 131, 142, 181, 287, 289, 331, 417, 420, 424, 451, 458. – aktual Vieles multa actu 20, 142.
718
Sachregister
– Gott nicht vervielfachbar 435. – Menge /Anzahl multitudo / numerus 20, 24 f., 39, 51, 72, 120, 130, 169, 187, 257, 284, 435. viereckig quadr(at)us 261, 329. vinculum s. Band virtuell virtualiter (v. in einem Ding enthalten sein) 26, 433. – s. auch Intention; Entschluss Viskosität viscositas 94. Vollkommenheit, Perfektion perfectio 144, 148, 150, 153, 156 f., 212, 356, 435, 437, 447. – einfach einfache Vollkommenheit perfectio simpliciter simplex 435. – vollkommenes Universum 48, 52, 55, 443 ff. – s. auch Automaten, Begriff, Erkenntnis, Indifferenz, Liebe, Relation, Repräsentation, System, Welt et al. Vollkommenheitsgrad s. Wesensgrad Vorausbewegung, physische s. Bewegung Vorherbestimmung s. Prädetermination Vorherwissen praescientia, praescire 176, 220. Vorsehung, Vorhersehen providentia; praevidere 34, 110, 186, 220, 265, 413. Vorurteil praeiudicium 18, 20, 45, 239, 343, 359. Wahl, Auswahl electio, eligere 206 f., 209, 211, 438 f.
– W. Gottes 110 f., 113, 115, 231, 318 f., 329, 413. – s. auch Gnadenwahl Wahrheit veritas 30, 63, 65 f., 75, 92, 148, 166, 220, 232, 234, 248 f., 285 ff., 295, 340, 359, 411, 414, 429, 438. – einzelne 17 – ewige 17, 411, 427 – geometrische 232. – kontingente 427. – notwendige 17, 410 f., 427. – Realität der W. 233. – W. der Relationen 429. – universelle 17, 410. Wahrscheinlichkeit probabilitas 189, 322 f., 414 (moralische). Wandel, Wandlung s. Verwandlung Wechsel (mutatio) des Körpers 48 f., 443 f. Wechselwirkung actio mutua, commercium 233, 331, 337, 356. Wein vinum 145, 265 f., 271 f., 281, 288 f., 301, 334 f., 356, 419 f., 422, 424 f. Weisheit sapientia 148, 150. – W. Gottes 9, 140, 231, 318, 322 f., 328 f., 331, 352. – Richtschnur der W. linea sapientiae 356. Weitervererbung tradux, propagatio 154, 157. Welt mundus 16, 21, 24, 35, 55 f., 115 (Def.), 123, 144, 187, 196, 249, 252, 256, 260, 273, 329, 343, 350 f., 358, 413, 435, 445.
Sachregister – beste aller möglichen W. m. optimus mundorum possibilium 111, 113, 115, 413, 460. – eigene W. m. proprius 229, 243. – Erschaffung der W. 252, 260, 273, 329, 343, 350, 435 et passim. – vollkommene W. m. perfectus 413. Weltsystem 413. Weltseele anima mundi 24, 52, 55, 147, 222, 445. Werkmaterie s. Materie Wesen, Essenz, wesentlich essentia; etres 12, 15, 18, 21, 24, 35, 63, 148, 221, 246 f., 248, 334, 353, 431, 433, 450, 454. Wesensbezeichnungen denominationes essentiales 431. Wesensgrad, Vollkommenheitsgradus essentialis, g. perfectionis 130, 136 f., 140 f., 153 f., 156 f., 166, 254, 431 f., 448. – zusätzlich hinzugefügter W. g. superadditus 137, 172, 178. Widerstand resistentia 9, 26, 68, 78, 90, 95, 110, 113 f., 127, 130, 192, 196, 267, 236 ff., 345, 358. Wiederholung repetitio 78, 90, 121, 138, 168, 183. Wille voluntas 35, 49, 54, 57, 109 f., 113, 148, 199 f., 206 ff., 211, 220, 275, 315, 317, 359, 430 f., 438, 443, 446. – absoluter v. absoluta 250. – bedingter v. conditionata 242, 250. – dekretorischer v. decretoria 250.
719
– freier s. Willkür – göttlicher 6, 49, 110, 113, 234, 241 f., 250, 279, 317, 417, 428 f., 443. – guter 110, 208. – wirklicher volonté effective 424. – vorausgehender v. antecedens 49, 110, 113. Willkür, freier Wille, Belieben (liberum) arbitrium, libre arbitre 6, 38, 49, 74, 83, 141, 157, 220, 242, 443, 446. – W. Gottes 38, 429. Wirkliches actuale, actualia 20, 72, 141, 408. – mathematisch Wirkliches mathematica actualia 72. – wirklich actu, vere, revera passim – s. auch aktual, Verwirklichung Wirklichkeit actus 39 et passim. – metaphysische W. actus metaphysicus 246 f. – physische W. actus physicus 246 f. – s. auch Akt Wirksamkeit efficacia 35, 40, 117, 135, 140, 207, 211, 224, 226, 325. – s. auch Gnade Wirkung, Effekt actio, operatio, effectus 12, 22, 27 f., 35, 37 f., 52, 56, 68, 123, 135, 152, 181 (operatio), 182, 199–203, 234, 262, 267, 273, 306, 310, 318, 321 f., 324, 330, 332, 338, 344, 353, 356, 359, 418, 431, 438, 445 ff., 460.
720
Sachregister
– W. der außermonadischen Substanz (des substantiellen Bandes) 262, 267, 273, 344. – Wirkung aus Ferne operatio in distans 173, 178, 182 ff. – s. auch Wechselwirkung Wissen scientia, scire 32, 36, 45, 144, 186, 199, 328, 343 (Allwissen), 414. Wissenschaft scientia 30, 36, 38, 73, 85, 117, 148, 231, 293, 315, 346, 411. – Humanwissenschaften litterae humaniores 185, *347. – Wissen der einfachen Intelligenz 199. – mittleres W. scientia media 199. – (göttliches) W. durch Schau scientia visionis 199, 233, 288. Wunder miraculum, mysterium 42, 44, 55, 86, 130, 136 f., 140 f., 154 f., 166, 172, 177, 191, 202, 228, 238, 272, 289, 297, 301, 310, 318, 322, 332, 343, 355 ff., 420, 422, 441, 445. Wurm vermis 254, 288 f., 419, 421. Zähigkeit (physik.) tenacitas 94. Zahl numerus 11, 16, 23 ff., 39, 78, 90, 94, 111, 148 f., 291, 344, 357, 406, 408, 425, 435. Zeichen, bezeichnen signum, designatio, assignatio 76, 93, 102, 111, 136, 141, 148 f., 165, 194, 258 ff., 266, *272, 280 f. (auch indigito), 351.
– bezeichenbar assignabilis 24, 267, 457. – s. auch Akt; Benennung. Zeit tempus 48, 55 ff., 72, 88, 121, 141, 233, 252, 286, 297, 343 f., 350, 406, 408, 424, 434 ff., 443, 445, 447 f. – keine absolute Z. 350. – Zeitliches vs. Augenblickliches temporale, momentum 432. – Gleichzeitiges simul(tanum) 22, 78, 159, 263, 274, *298 (simultas),*301, 305 (coaevum), 353 f., 357, 406. – Indifferenz der Z. 343. – Z. als Ordnung der Abfolge (Def.) ordo successivorum 141, *233, 252, 343, 406. – Realität der Z. 233. – Zeitlichkeit Gottes 434 ff. Zeitpunkt tempus 88, 123, 343, 350. Z. der Empfängnis 167. Zeitverse, Chronostichen Chronosticha 107, 111. Zensur, Zensoren censura, censores 3, 33, 36 f., 40, 62, 68, 76 f., 100, 163, 167, 172, 177, 314, 341. Zeremonien ceremoniae 145 f., 175, 193 f., 292. – Zeremonienvorsteher, Myste Mysta 145 f. Zerstörung destructio 27, 35, 61, 68, 83, 115, 123, 153, 155, 181, 200, 257 ff., 265 f., 271 f., 276, 279 f., 290, 325, 335, 343, 357 (corruptio), 418, 422 (corr.), 424 f., 427, 457 (corr.). – Unzerstörbares indestructibile,
Sachregister incorruptibile 21, 27, 278, 300, 424, 450. zugleich s. Zeit zugrunde liegen subesse, substare, subsistere 20, 25 f., 258 f., 281, 285, 346 f., 439. – unterschiedliche Weisen des Z. 26. Zugrundeliegendes (-gelegtes) suppositum, ὑποκείμενον 26, 51, 104, 124, 136, 159, 234 f., 256 (substratum), 260, 274, 277, 305, 418, 452. – s. auch Suppositum, Substrat Zukunft, Zukünftiges futura 85, 110, 115, 136, 176, 186, 199, 212, 331, 411. Zusammengesetztes, Kompositum compositum 15, 18, 234, 273 ff., 288, 300, 303, 305 ff., 332 f., 344 f., 351, 353–356, 417–420, 423, 456, 458 f.
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– gemischt zusammengesetzt mixtum 35. – K. als Phänomen 288, 417. – reale Komposita 419. – K. als Subjekt 305. – s. auch zusammengesetzte Substanz Zusammenhang, Verknüpfung nexus passim. – kontinuierlicher Z., Zusammenhalt s. Kontinuum Zusammensein simultas 298. Zusammensetzung compositio 138, 181, 229, 253, 260, 318, 329, 332, 353, 358, 406, 408. zusätzlich hinzugefügt superadditum s. substantielles Band, reale Union, Wesensgrad Zweifel, zweifeln dubium, dubitare 5, 20, 45, 89, 239, 328 et passim.